THE UNIVERSITY
OF ILLINOIS
/
MÜNCHENER
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
HERAUSGEGEBEft
VON
O. v. Angerer, Ch. Bäumler, A. Bier, M. v. Gruber, H. Helferich, M. Hofmeier, L. v. Krehl
München. Freiburg i. B. Berlin. München. Eisenach. Würzburg. Heidelberg.
Fr. Lange, W. v. Leube, G. v. Merkel, Fr. Moritz, Fr. v. Müller, F. Penzoldt, B. Spatz, R. Stintzing
München. Stuttgart. Nürnberg. Köln München. Erlangen. München. )ena.
REDIGIER!
HOFRAT DR BERNHARD SPATZ
PRAKT. ARZT.
LXI. JAHRGANG.
IT. Hälfte (Juli— Dezember).
MÜNCHEN
VERLAG VON J. F. LEHMANN
1914.
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in 2019 with funding from
University of Illinois Urbana-Champaign
https://archive.org/details/munchenermedizin612unse
r'/TS I?
Münchener Me
Die Mönchen» Medizinische Wochenschrift erscheint wöchentlich
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II
MÜNCHENER
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Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 27. 7. Juli 1914.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus der Universitäts-Augenklinik in München.
Neue Versuche über Lichtreaktionen bei Tieren und
Pflanzen *).
Von C. Hess.
M. H.! Erlauben Sie mir, zunächst, gewissermassen vor
der Tagesordnung, kurz über einen Befund zu berichten, der
zwar zu unserem Thema nur in lockerer Beziehung steht, aber
von allgemeinerem Interesse sein dürfte. Es handelt sich um
die Akkommodation der Alciopiden.
Die Alciopiden sind, wie Sie wissen, fast ganz durch¬
sichtige, ca. 3 — 8 cm lange, räuberische marine Würmer, deren
verhältnismässig hoch entwickelte Augen wiederholt Gegen¬
stand histologischer Untersuchungen waren; man glaubte ana¬
tomisch muskulöse Elemente in ihnen nachweisen zu können,
und gründete darauf (Hesse, D e m o 1 1) Theorien über einen
Akkommodationsvorgang in denselben; da diese, wie das
folgende zeigt, leicht als irrig dargetan werden können, gehe
ich nicht näher auf sie ein.
Wegen der Kleinheit der Augen — die grössten, die ich
untersuchen konnte, hatten einen Durchmesser von kaum
1 mm — galt es bisher als unmöglich, die Frage nach akkom¬
modativen Aenderungen an ihnen experimentell in Angriff zu
nehmen. Ich konnte nun, indem ich die überlebenden und
sorgfältig isolierten Augen unter Seewasser auf passende Elek¬
troden legte und bei sehr starkem auffallendem Lichte mit der
Binokularlupe beobachtete, die bei elektrischer Reizung an den¬
selben eintretenden Aenderungen verfolgen und damit einen
höchst merkwürdigen, in der Tierwelt einzig dastehenden
Akkommodationsvorgang aufdecken. Ich berichte darüber an
anderer Stelle ausführlicher und beschränke mich hier auf das
Wesentlichste.
Betrachtet man ein frisches Alciopidenauge von vorn, so
sieht man die Vorderfläche der Augenhülle in der Umgebung
der Linse von zahlreichen feinen, silberglänzenden Streifen
überzogen, die bisher irrigerweise als Muskeln gedeutet
wurden (Hess e). Tatsächlich handelt es sich um Gebilde,
die einerseits, nach Art einer Iris, den Eintritt diffusen Lichtes
in das Auge erschweren, andererseits die nach vorn unten ge¬
richteten Augen für einen von unten kommenden Feind mög¬
lichst unsichtbar machen; sie wirken also in ähnlicher Weise,
wie ich es früher für den Silberglanz der Fische nachgewiesen
habe.
Bei Reizung sieht man an der gerade nach unten von der
Linse gelegenen Stelle der sehr weichen Augenhülle eine Zu¬
sammenziehung der letzteren; alle übrigen Teile der Augen¬
wandung bleiben in Ruhe. Die Linse tritt bei Rei¬
zung beträchtlich nach vorn, sie nähert sich der
Hornhaut, wie man insbesondere bei Betrachtung im Profil
leicht wahmehmen kann. Damit ist nachgewiesen, dass die
Alciopiden eine aktive Nahakkommodation be¬
sitzen, indem durch die eben erwähnte Kontraktion die in
ihrer Form unveränderte Linse von der Netzhaut entfernt
wird. Die Art, wie diese Ortsveränderung der Linse erfolgt,
ist von grösstem Interesse: die Alciopiden unterscheiden sich
von allen anderen Tieren mit sonst ähnlichem Augenbau da¬
durch, dass bei ihnen ein „doppelter Glaskörper“ gefunden
wird; dicht hinter der Linse findet man eine zähflüssige Masse,
*) Vortrag, gehalten in der Münchener Gesellschaft für Morpho¬
logie und Physiologie am 19. V. 1914.
Nr. 27.
die von dem hinteren Glaskörperraum scharf gesondert und
mit den Augenhüllen allseitig innig verbunden ist. An der
nach unten gerichteten Stelle der letzteren zeigt nun dieser
vordere Glaskörper eine merkwürdige ampullenförmige Aus¬
stülpung, die mit dem Glaskörperraum durch einen Kanal in
Verbindung steht und von- Zoologen früher als Gehörbläschen
gedeutet wurde, heute als eine der Sekretion von Glaskörper¬
masse dienende „Glaskörperdrüse“ aufgefasst wird. Meine
Versuche decken die wirkliche Bedeutung dieser Ausstülpung
auf; letztere findet sich eben an der Stelle der Augenwand, wo
allein kontraktile Elemente vorhanden sind; bei Zusammen¬
ziehung dieser Muskeln wird die Ausstülpung ähnlich wie ein
mit Flüssigkeit gefüllter Gummiballon zusammengedrückt, da¬
durch etwas von ihrem Inhalte in das Auge gepresst und in¬
folge hiervon die Linse, die auf einer napfartigen Vertiefung
der vorderen Glaskörperfläche ruht, etwas nach vorn gehoben.
Wir lernen damit zum zweiten Male bei wirbellosen
Tieren einen Akkommodationsvorgang kennen; der Mechanis¬
mus ist von jenem, den ich früher bei Cephalopoden nach¬
weisen konnte,, wesentlich verschieden. Unsere Beob¬
achtungen lehren aufs neue, wie sehr uns das physiologische
Experiment auch bei der Deutung histologischer Befunde
fördern kann.
Unter den von mir neu gefundenen Lichtreaktionen
bei Echinodermen, über die ich heute nur kurz berichte,
beanspruchen jene bei Seesternen schon deshalb ein gewisses
Interesse, weil man über die Lichtempfindungen bei diesen
bisher so gut wie nichts wusste; auf Grund anatomischer Be¬
funde nahm man an, die bekannten roten Punkte an den Enden
der 5 Arme seien optische Empfangsapparate. Versuche, die
Frage experimentell zu lösen, führten zu widersprechenden
Ergebnissen; manche Autoren geben an, Seesterne, die eine
gewisse Neigung haben, sich zum Lichte zu bewegen, zeigten
diese nicht mehr, wenn die Armspitzen mit jenen „Augen“
abgeschnitten werden, während nach an-deren auch so ver¬
stümmelte Tiere noch zum Lichte kriechen sollen.
Im Verlaufe systematischer Untersuchungen fand ich die
überraschende Tatsache, dass bei den Astropectiniden die
Füsschen hochgradig lichtempfindlich sind:
Bei Belichtung werden die im Dunkeln ausgestreckten Füss¬
chen lebhaft eingezogen und die vorher weitgeöffnete Ambula-
kralrinne schliesst sich in der ganzen Ausdehnung, in der sie
belichtet wird, indem die sie flankierenden weissen Stacheln
über den eingezogenen Füsschen zusammenklappen. Die
überraschende Erscheinung, die ich in einer Reihe von Mo¬
mentaufnahmen festhalten konnte, liess auch die Prüfung der
Wirkung verschieden farbiger Lichter zu. Es ergab sich hier
wie bei allen bisher genauer untersuchten Wirbellosen, dass
die farbigen Lichter für unsere Seesterne ähnliche oder
gleiche relative Reizwerte haben, wie für das total farbenblinde
Menschenauge; rote Lichter sind selbst bei sehr grosser Licht¬
stärke fast oder ganz ohne Wirkung, während grüne und blaue
Lichter sehr viel stärker wirken als die roten, auch dann, wenn
sie unserem normalen Auge viel weniger hell erscheinen usw.
Auch adaptative Aenderungen konnte ich bei diesen See¬
sternen nachweisen und messend verfolgen.
Auch bei Seeigeln gelang es mir, neue, höchst merk¬
würdige Lichtreaktionen aufzudecken. Man wusste bisher aus
Untersuchungen von Sarasin und v. U e x k ii 1 1 nur, dass
manche Seeigel bei Beschattung ihre Stacheln etwas aufstellen;
genauere Untersuchungen über ihre Sehqualitäten hat man
1
1-490
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
nicht vorgenommen. Ich fand bei Centrostephanus longispinus
folgende interessante Erscheinung: Die Tiere haben in der
Umgebung ihres aboralen Poles 20 — 30 wundervoll hellvio¬
lette, ca. 3 mm lange, kölbchenartige Gebilde, von welchen man
bisher nur wusste, dass sie zeitweise rotierende Bewegungen
ausführen, zu anderen Zeiten in Ruhe sind; ich fand nun, dass,
wenn man ein Tier mit ruhenden Kölbchen leicht beschattet,
z. B. nur einmal rasch die Hand zwischen Fenster und Be¬
hälter vorüberführt, jene Kölbchen äusserst lebhaft zu rotieren
anfangen. Die weitere Untersuchung ergab, dass, um solche
Bewegungen hervorzurufen, schon äusserst geringe Licht¬
stärkenverminderungen genügen; wenn z. B. vorwiegend nur
Licht von einem passend gehaltenen grauen Karton zu dem
Tier gelangt und ich ersetze diesen Karton durch einen nur
wenig dunkleren, so fangen die Kölbchen lebhaft an zu ro¬
tieren. Schon auf diesem Wege waren bis zu einem gewissen
Grade messende Bestimmungen möglich, und ich konnte, in¬
dem ich weiterhin auch verschiedenfarbige Kartons zur Be¬
lichtung benützte, wieder eindringlich zeigen, dass auch diese
Tiere sich so verhalten, wie unter entsprechende Bedingungen
gebrachte total farbenblinde Menschen sich verhalten würden.
Noch feinere, überraschend genaue Messungen konnte ich mit
der im folgenden Abschnitte geschilderten Methode anstellen.
Man hat geglaubt, einen Einwand gegen meine bisherigen
Untersuchungen über die Sehqualitäten der Tiere daraus ab¬
leiten zu können, dass ich die „objektiven Lichtreaktionen“ bei
den Tieren zu den „subjektiven Helligkeitsempfindungen“ beim
Menschen in Beziehung bringe; für den mit der wissenschaft¬
lichen Farbenlehre Vertrauten erledigt sich ein solcher Ein¬
wand leicht. Aber es musste nach verschiedenen Richtungen
förderlich erscheinen, zu zeigen, dass man die Aufgabe noch
von einer ganz anderen Seite in Angriff nehmen kann. Ich
habe daher bei neuen grösseren Untersuchungsreihen jene
Lichtreaktionen bei Tieren nicht mehr zu unseren Helligkeits¬
empfindungen, sondern zu „objektiven Lichtreaktionen“ am
Menschenauge und zwar zu den durch das Licht hervor¬
gerufenen Aenderungen der Pupillen weite in Be¬
ziehung gebracht. Dies gelang mir nach langwierigen, ziem¬
lich mühsamen Vorarbeiten auf folgendem Wege.
Wir wissen aus früheren Untersuchungen von M. Sachs
(1893), dass der Grad der durch farbige Lichter hervorge¬
rufenen Verengerung der Pupille, der „motorische Reizwert“
eines farbigen Lichtes, von der Helligkeit abhängt, in der
dieses Licht gesehen wird. Es fehlte bisher eine zu ver¬
gleichender Untersuchung des Pupillenspiels beim Menschen
und der verschiedenen Lichtreaktionen bei den Tieren verwert¬
bare Methode. Sie sehen hier den von mir zu diesem Zwecke
hergestellten Apparat ‘), der mir auch bei Untersuchungen über
die Physiologie und Pathologie des Pupillenspiels beim
Menschen vielfach gute Dienste leistet, worüber an anderer
Stelle eingehender zu berichten ist. Hier soll er nur so weit
besprochen werden, als er zur Lösung der uns beschäftigenden
vergleichend-physiologischen Fragen beitragen kann. Von
einer Nernstlampe wird mit Hilfe eines geeigneten Linsen¬
systems in passendem Abstande ein kreisförmiges Feld sehr
stark und gleiehmässig belichtet. Vor der Frontlinse des Appa¬
rates befindet sich ein beweglicher Doppelrahmen, der mittels
einer einfachen Hebelbewegung ermöglicht, das Feld einmal
mit einem physikalisch genau bestimmten farbigen Glaslichte
und unmittelbar danach, ohne Zwischenbelichtung, mit einem
(angenähert farblos grauen) messbar variablen Ver¬
gleichslichte zu bestrahlen. Die Veränderung der Lichtstärke
des Grau erfolgt durch gegenläufige Verschiebung zweier
spitzwinkliger Prismen aus grauem Glase. Für jede Stellung
der letzteren ist die Menge des von ihnen durchgelassenen
Lichtes der Nernstlampe bestimmt; sie wird im folgenden stets
in Prozenten der Lichtstärke der Nernstlampe ausgedrückt.
Mit diesem vielfach verwendbaren Apparat habe ich eine
grosse Reihe von Messungen ausgeführt; wenn ich darüber
heute nur kurz berichte, bitte ich nicht auf entsprechend kurze
Beschäftigung mit dem Gegenstände zu schliessen; allein die
*) Derselbe wird von C. Z e i s s unter der Bezeichnung „Diffe-
rentialpupiiloskop“ hergestellt.
Nr. 27.
untenstehende Tabelle ist das Ergebnis von weit über 10U0
Einzelmessungen.
Motorische Reizwerte der farbigen Glaslichter.
Normaler
Mensch
1
Relativ Blau¬
sichtiger
Rotgrünbl
1 1
Total-
Farben¬
blinder
Taube
Nachtvogel 1
Sepia
Bienen
JI
£■§.
N £
</>
Psamtnobia
Rot
9—11
1 ,5-2,2
< 0,6
7, 3-9, 3
0, 9-1,1 < 0,6
< 0,6
< 0,8
< 1,0
Blau
1,5-2, 5
2-3
9,9—11,8
0,8-0, 9
7,4 -8,8 9,3—11,1
8,3-11,1
11,1-14,8
8,3-14,8
Die Zahlen geben die zu den motorischen Gleichungen erforderlichen Mengen des von
den Graukeilen durchgelassenen Vergleichslichtes in Prozenten des anfallenden Lichtes.
Ich begann mit Messungen am normalen Menschenauge
zur Bestimmung des durchschnittlichen pupillomotorischen
Reizwertes der verschiedenen farbigen Lichter. Weitere
Messungen an mehreren relativ blausichtigen Rotgrünblinden
(sogen. „Rotblinden“) ergaben, wie die Tabelle zeigt, als für
diese Farbensinnstörung charakteristisch einen sehr geringen
Reizwert des Rot, während die Reizwerte des Blau von jenen
für die Pupille des Normalen nicht nennenswert verschieden
sind (ich beschränke mich im folgenden der Kürze halber auf
Besprechung der für uns hier in erster Linie wichtigen Rot-
und Blauwerte). Bei zwei öfter von mir untersuchten total
Farbenblinden ergab sich für Rot ein äusserst geringer moto¬
rischer Reizwert (< 0,6), für Blau der verhältnismässig sehr
hohe Reizwert von 0,9 — 11,8 Proz. (gegenüber 1,5 — 2,5 Proz.
beim Normalen). Dies sind also die drei hauptsächlichen Arten
von Pupillenreaktion, die bei normalen und bei farbenblinden
Menschen Vorkommen und mit welchen wir nun die bei den
verschiedenen Tieren gefundenen motorischen Reizwerte zu
vergleichen haben.
Beim T a g v o g e 1 sind die Werte für Rot jenen für unser
Auge ähnlich, entsprechend der früher von mir auf anderem
Wege gefundenen Tatsache, dass die Tagvögel vorwiegend
rote Lichter ähnlich oder ganz so sehen wie wir. Die ver¬
hältnismässig sehr geringen Reizwerte für Blau — sie sind die
kleinsten, welchen ich bisher in der Tierreihe überhaupt be¬
gegnete — entsprechen der von mir gefundenen Tatsache,
dass die Tagvögel infolge Vorlagerung rot- und gelbgefärbter
Oelkugeln vor den optischen Empfangsapparat relativ blau¬
blind sind.
Mit Hilfe des Apparates ist es mir u. a. möglich gewesen, die
folgende, früher von mir aufgeworfene Frage zu beantworten. Das
schöne Blau des Gefieders mancher Vögel fassen die Zoologen fast
allgemein als Schmuckfarbe zur Anlockung des anderen Geschlechtes
auf: Diese Auffassung setzt voraus, dass von jenen Vögeln das Blau
ähnlich wie von uns wahrgenommen werde, in ihrer Netzhaut also
keine farbigen Oelkugeln vorhanden seien. Denn wenn solche sich
dort in ähnlicher Weise wie bei Huhn und Taube finden, muss auch ein
für uns leuchtendes Blau jenen Vögeln nur blaugrau oder farblos
grau erscheinen. Zur Untersuchung solcher blauer Vögel mit den
früher von mir beschriebenen Methoden am Spektrum hatte ich noch
nicht Gelegenheit: wohl aber konnte ich kürzlich das Pupillenspiel
des Schmetterlingsfinken (Mariposa phoenicotis) mit dem neuen
Apparate prüfen; die motorischen Reizwerte sind hier die gleichen wie
für Huhn und Taube, und damit ist erwiesen, dass das schöne Blau
an Brust, Bauch und Schwanz dieser Vögel keine Schmuckfarbe sein
kann.
Bei den Nachtvögeln fand ich die motorischen Reiz¬
werte jenen beim total farbenblinden Menschen ähnlich, was
dem Vorwiegen der Stäbchen gegenüber den Zapfen in der
Netzhaut dieser Vögel entspricht. Die relativ kleinen Unter¬
schiede erklären sich genügend aus der Tatsache, dass in der
Nachtvogelnetzhaut die Zapfen nicht, wie vielfach ange¬
nommen wird, völlig fehlen; konnte ich doch in solchen wieder¬
holt 1 — 2 Millionen Zapfen mit schwach gefärbten Oelkugeln
nachweisen.
Unter den Wirbellosen ergab die Prüfung des zur
messenden Untersuchung besonders geeigneten Pupillen-
Untersuchung besonders geeigneten zu messenden Pupillcn-
spieles bei Cephalopoden mit dem neuen Apparate, wie Sie
sehen, weitgehende Uebereinstimmung mit den Reizwerten für
den total farbenblinden Menschen; auch mit anderen Me¬
thoden, auf die hier nicht einzugehen ist, konnte ich erneut
zeigen, dass auch diese Wirbellosen total farbenblind sind.
Ein Blick auf die Tabelle zeigt Ihnen weiter, dass auch
bei Bienen, bei Muscheln (Psamtnobia) und Seeigeln (Centro-
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1491
Stephanus) die motorischen Reizwerte der farbigen Lichter mit
jenen beim total farbenblinden Menschen weitgehende Ueber-
einstimmung zeigen, dagegen von jenen bei normalen und
bei „rotblinden“ Menschen in charakteristischer Weise ver¬
schieden sind. Auf das Verhalten der Bienen brauche ich
nicht erneut einzugehen, da sich hier wie bei Fischen und
Krebsen ja auch mit anderen von mir entwickelten Me¬
thoden leicht nachweisen lässt, dass sie total farbenblind sind.
Die von einigen Zoologen immer wiederholten fehlerhaften
Angaben, aus welchen man auf Farbensinn bei diesen Tieren
schliessen zu können glaubt, bdeürfen nach unseren neuen
Messungen für den mit der Sache einigermassen Vertrauten
keiner erneuten Widerlegung.
Die Vorteile der hier kurz angedeuteten neuen Unter¬
suchungsmethode bestehen wesentlich in folgendem: Alle bis¬
her von mir genauer untersuchten Lichtreaktionen bei Tieren,
das Pupillenspiel der Vögel und Wirbellosen, das Schwimmen
der Fische und Krebse zum Licht, das Fliegen der Bienen zum
Hellen, die Retraktionserscheinungen bei Serpula und Psam-
mobia, das Rotieren der Kölbchen bei Centrostephanus usw.
alle diese so mannigfach verschiedenen, durch Belichtung
oder Beschattung auszulösenden Bewegungen können wir an
unserem Apparate mit den gleichen, physikalisch genau be¬
stimmten, farbigen Lichtern prüfen und deren motorische Reiz¬
werte durch ein und dasselbe messbar variable Vergleichs¬
licht ausdrücken. Weiter sind wir nunmehr in der Lage, alle
diese Reaktionen bei Tieren zu den motorischen Reizwerten
in Beziehung zu bringen, die die gleichen farbigen Lichter
für die Pupille des normalen, des „rotblinden“ und des total
farbenblinden Menschen haben.
Dass es mit dem neuen Verfahren möglich sein würde,
s o genaue Messungen vorzunehmen, konnte ich selbst zu Be¬
ginn dieser Untersuchungen nicht voraussehen; dass die auf
diesem Wege erhaltenen Ergebnisse bis ins Einzelne mit den
früher von mir auf ganz anderen Wegen erhaltenen überein¬
stimmen, bietet eine erfreuliche Gewähr für die Zuverlässigkeit
dessen, was ich bisher über die Sehqualitäten der Tiere habe
mitteilen können.
Die altbekannte Tatsache, dass für die Pflanzen rote
Lichter verhältnismässig geringe, blaue dagegen starke helio-
tropische Wirkung haben, dass also in dieser Hinsicht eine
gewisse Aehnlichkeit in der Wirkung farbiger Lichter auf
Pflanzen und auf Tiere besteht, veranlasste J. L o e b zur An¬
nahme einer „Identität des tierischen und pflanzlichen Helio¬
tropismus“. Ich habe früher unter Hinweis auf ältere Unter¬
suchungen von W i e s n er und neuere von B 1 a a u w Be¬
denken gegen eine solche Auffassung erhoben; da trotzdem die
Loebsche Schule neuerdings die Annahme einer Identität
beider Tropismen abermals nachdrücklich vertritt, schien es
mir erforderlich, die interessante Frage mit neuen Methoden
in Angriff zu nehmen. Zu ihrer Entscheidung war, um jedem
möglichen Einwande zu begegnen, erforderlich, beide Reak¬
tionen unter genau gleichen äusseren Bedingungen mit den
gleichen farbigen Lichtern zu untersuchen und insbesondere
bei messenden Untersuchungen beide Male zur Messung das
gleiche Messlicht zu benützen.
Diesen Anforderungen wurde ich durch folgende Ver¬
suchsanordnung gerecht. Ich setzte etiolierte Keimlinge ver¬
schiedener Pflanzenarten in langen, schmalen Gefässen von
einer Seite den Strahlen eines passenden Nernstlichtspektrums
und gleichzeitig von der anderen Seite einem messbar
variablen Vergleichslichte aus; als solches diente mir eine in
einem geeigneten Tunnel aufgestellte Glühlampe, deren Licht¬
stärke ich teils durch Aenderung ihres Abstandes, teils mittels
Episkotisters nach Bedürfnis variierte. Das Verfahren schliesst
sich an das früher von mir für Artemia und andere lichtscheue
Tierarten ausgearbeitete an. Gehen wir von einem gewissen,
durch Versuche gefundenen mittleren Abstande der Glüh¬
lampe aus, so finden wir bei einem solchen die Pflanzen nach
wenigen Stunden im Rot, Gelb und Grün stark nach dem
Messlichte gekrümmt, die im Grünblau und einem Teile des
Violett nach dem Spektrum, jene im äussersten Violett und
Ultraviolett wieder nach dem Messlichte gekrümmt. Wir er¬
mitteln also mit einem jeden solchen Versuche zwei Lichter
im Spektrum, deren heliotropische Wirkung jener des Misch¬
lichtes gleich ist. Der Umstand, dass die Pflanzen sich zu
beiden Seiten jener Stellen nach entgegengesetzten Richtungen
krümmen, ermöglicht eine verhältnismässig sehr genaue spek¬
troskopische Bestimmung der betreffenden Wellenlängen. In¬
dem ich nun solche Versuche bei mehreren verschiedenen
Abständen der Lampe wiederhole, erhielt ich mit jedem neuen
Versuche 2 weitere zur Konstruktion von Kurven verwertbare
Punkte. Sie sehen hier die Kurve der motorischen Reizwerte
der verschiedenen Lichter des Spektrums für die von mir
untersuchten Wirbellosen, daneben jene für einzelne von mir
untersuchte Pflanzen (Brassica napus), und Sie erkennen schon
hieraus, dass von einer „Identität“ beider Vorgänge keine Rede
sein kann: die Kurve für die Tiere hat ihr Maximum im Gelb¬
grün bei einer Wellenlänge von etwa 526 IW, jene für Brassica
napus hat ihr Maximum im Blau bzw. Anfang des Violett,
bei ca. 475 in<\ Im gelblichen Grün, wo wir für die Tiere das
Maximum finden, ist die heliotropische Wirkung für unsere
Pflanzen schon fast ein Minimum.
Noch eine zweite neue Methode arbeitete ich zur Unter¬
suchung der mich beschäftigenden Fragen aus; ich zeigte
früher, dass man z. B. bei Bienen, Fischen, Krebsen sehr
schöne und eindringliche Ergebnisse erhalten kann, wenn man
ihre Behälter gleichzeitig von zwei einander gegenüber liegen¬
den Seiten her in passender Weise mit farbigen Papierflächen
bestrahlt und durch geeignete Schirme vor dem direkt vom
Fenster einfallenden Lichte schützt. Die zum Hellen gehenden
Tiere eilen dann stets nach der Seite, die für den total farben¬
blinden Menschen die hellere ist, einerlei wie die Farbe vom
normalen Menschen gesehen wird. Die heliotropischen Be¬
wegungen der Pflanzen hat man bisher nur am Spektrum
und hinter farbigen Gläsern verfolgt; es wurde nie versucht,
zu ermitteln, ob auch schon bei Bestrahlung mit dem von
solchen Papierflächen zurückgeworfenen Lichte heliotropische
Bewegungen auftreten. Nachdem ich in einigen Vorversuchen
gefunden hatte, dass solches in der Tat, sogar in überraschen¬
der Weise, der Fall ist, bediente ich mich dieses auch von
Laien unschwer zu handhabenden Verfahrens zur Prüfung der
in Rede stehenden Fragen. Sind die beiden Tropismen identisch,
so müssen die zwischen zwei farbige Papiere gebrachten
Pflanzen diesen gegenüber stets das gleiche Verhalten
zeigen, wie die unter entsprechende Bedingungen gebrachten
Tiere. Ist aber der Heliotropismus der Pflanzen von den Licht¬
reaktionen der Tiere so verschieden, wie es die Kurve angibt,
so müssen z. B. zwischen einer passend gewählten grünen und
blauen Fläche die Tiere nach dem Grün gehen, die Pflanzen
aber nach dem Blau wachsen, also gerade entgegengesetztes
Verhalten zeigen, wie jene. Letzteres ist, wie Sie an den hier
aufgestellten Beispielen sehen, in sehr ausgesprochener Weise
der Fall; oft sind die Pflanzen schon 1 — 2 Stunden, nachdem
man sie aufgestellt hat, stark nach der blauen Seite geneigt.
Ich habe mir erlaubt, Ihnen zwei neue Methoden zur
Untersuchung des Heliotropismus der Pflanzen kurz vor¬
zuführen, weil ich glaube, dass dieselben in der Botanik auch
sonst zur Untersuchung und insbesondere zur messenden Ver¬
folgung hierhergehöriger Fragen gute Dienste leisten können
und weil insbesondere die zweite Methode auch vom Laien
leicht zu handhaben ist, zudem sehr eindringliche Ergebnisse
liefert und sich auch zu Vorlesungsversuchen eignet. Auf die
einschlägigen wissenschaftlichen Aufgaben gehe ich aber heute
nur soweit ein, als zur endgültigen Widerlegung der immer
wiederholten L o e b sehen Behauptung von der Identität des
tierischen und pflanzlichen Heliotropismus erforderlich ist.
Zum Schlüsse noch ein Wort zu meinen Befunden über die
Sehqualitäten der Fische und Wirbellosen. Es ist mir wieder¬
holt von Zoologen wie von Botanikern erklärt worden, man
könne meine „Theorien“ (wie man sich ausdrückte) unmöglich
anerkennen, weil sie in zu schroffem Widerspruch zu den
herrschenden Lehren stünden. Ich lege demgegenüber Wert
auf die Feststellung, dass ich niemals eine Theorie aufgestellt,
sondern lediglich Tatsachen mitgeteilt habe, die jeder ge¬
wissenhafte Beobachter leicht nachprüfen und bestätigen kann.
Theorie war das, was seit Sprengel (1793) über die Be¬
ziehungen zwischen Blütenfarben und Insektenbesuch gelehrt
r
149 2 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 27.
wurde. Diese Theorie ist aber endgültig erledigt durch die
Tatsache, dass sie sich auf nachweislich falschen Voraus¬
setzungen über die Sehqualitäten der Bienen aufbaut. Der
blütenbiologischen Forschung, die mehr als 100 Jahre im
Banne dieser selbst von D a r w i n für richtig gehaltenen Lehre
gestanden hatte, erwächst aus den neuen Befunden die wich¬
tige Aufgabe, nunmehr die wahre Bedeutung der Farben¬
pracht der Blüten aufzudecken.
Zur Röntgenuntersuchung des Wurmfortsatzes,
besonders bei Appendizitis.
Von Prof. H. Rieder.
Anatomisches: Wie seitens der Anatomen festgestellt
wurde, geht der Wurmfortsatz entwicklungsgeschichtlich
von der konischen Spitze des Zoekums aus, indem dieselbe vom
3. Monat der embryonalen Entwicklung an hinter dem übrigen Zoekum
im Wachstum zurückbleibt und sich allmählich zum Wurmfortsätze
verjüngt. Er rückt mehr und mehr in die Nähe des lleozoekalwinkels,
da der laterale Teil des Zoekums stärker wächst als der mediale.
Beim Erwachsenen findet sich deshalb die trichterförmige Mün¬
dung der Appendix an der medialen Seite des Blinddarmes und
zwar etwa 2—3 cm unterhalb der Ileozoekalklappe. Die Zoekum-
mündung wird von einer Art Klappe (von G e r 1 a c h schon im
Jahre 1847 beschrieben) überlagert, die zweifellos in Beziehung steht
zu den Eigenbewegungen des Wurmfortsatzes und nach Struthers
sowohl ein Hindernis für den Eintritt als auch für den Austritt von
Darminhalt abgeben kann. Die Klappenwirkung wird noch verstärkt
dadurch, dass der Wurmfortsatz oft schief in das Zoekum einmündet,
ähnlich wie der Ureter in die Blase.
Die Appendix ist gleich anderen rudimentären Organen in bezug
auf Grösse und Form ausserordentlich verschieden ausgebildet.
Sie kann einen kleinen, etwa millimeterlangen Konus bilden und
andererseits eine Länge bis zu 23 cm erreichen. Im Durchschnitt
beträgt ihre Länge allerdings nur 6 cm. Sie ist gestreckt oder
schlangenförmig, spiralig gewunden oder zusammengerollt.
Die Lage des Wurmfortsatzes in der Bauchhöhle
ist bestimmt durch die Lage des Zoekums, von dem er seinen Ursprung
nimmt. Am Ende des Fötallebens, wenn das Zoekum nach abwärts
gestiegen ist, befindet er sich in der Fossa iliaca dextra, wo er von
Dünndarmschlingen und Netz bedeckt, auf dem Musculus iliacus oder
auf dem Musculus psoas oder zwischen beiden liegt und öfters über
den Rand des kleinen Beckens herabhängt. Von dieser Normallage
des Wurmfortsatzes gibt es mancherlei Abweichungen. W a 1 d e y e r
unterscheidet 3 Hauptlagen des Wurmfortsatzes:
1. Derselbe liegt der normalen embryonalen Entwicklung ent¬
sprechend in der Fossa iliaca dextra und verläuft nach dem kleinen
Becken zu (Positio pelvinea). Aus dieser Lage lassen sich die beiden
anderen ableiten.
2. Es erfolgt eine Wendung des Wurmfortsatzes nach oben und
hinten unter die Ileumeinmündung, so dass er medialwärts vom
Blinddarm liegt (Positio ileocoecalis).
3. Es erfolgt eine Umbiegung des Wurmfortsatzes nach oben und
lateralwärts (Positio laterocoecalis).
Im Gegensatz zur Leichenuntersuchung und zur Unter¬
suchung bei operativen Eingriffen können wir die Appendix ver¬
mittels des R ö n t g e n v e r f a h r e n s bei intakten
Bauchdecken untersuchen und somit die natürlichen Ver¬
hältnisse viel besser studieren. Schon aus diesem Grunde
kommt der Röntgenuntersuchung wahrscheinlich doch eine
grössere praktische Bedeutung zu als man zurzeit annimmt,
insofern sie uns bei krankhaften Veränderungen des Wurm¬
fortsatzes möglicherweise wichtige diagnostische Aufschlüsse
zu geben vermag.
Der röntgenologische Nachweis des Wurm¬
fortsatzes gelingt sowohl nach Darreichung einer Kon¬
tra s t m a h 1 z e i t als auch nach Verabreichung eines Kon¬
trasteinlaufes.
In technischer Beziehung ist hiezu folgendes zu be¬
merken : Die Leuchtschirm Untersuchung in Ver¬
bindung mit Palpation ist am empfehlenswertesten.
Ich habe stets den Wurmfortsatz zuerst vermittels kleiner
Blende bei aufrechter Stellung des Patienten nachgewiesen
und erst dann auf der photographischen Platte zur Darstellung
gebracht. C a s e hingegen bevorzugt zum Aufsuchen des
Wurmfortsatzes die Rückenlage.
Kurzzeitige bzw. Momentaufnahmen sind emp¬
fehlenswert mit Rücksicht auf die Eigenbewegung des Wurm¬
fortsatzes. G r o e d e 1 hält zur röntgenologischen Feststellung
die gelegentliche Verwendung einer Kompressions¬
blende für angezeigt, um den Wurmfortsatz auch dann,
wenn er dem Zoekum an- oder aufliegt, darstellen zu können.
Endlich ist die Vornahme stereoskopischer Aufnahmen
von Gase warm empfohlen worden.
a) Einlauf: Der Wurmfortsatz wird aufgesucht nach
Ausführung eines Bariumeinlaufes sowie nach Entleerung bzw.
Ausstossung desselben. Dabei ist es nicht gleichgültig, in
welcher Weise bzw. unter welchem Drucke derselbe ver¬
abreicht wird. Es ist angezeigt — nach Darreichung eines
Reinigungsklystieres — den Einlauf unter niederem Druck
(höchstens 50 cm nach D i e 1 1 e n) einfliessen zu lassen und
das Vordringen der Flüssigkeit lediglich durch tiefe Atemzüge
seitens des Patienten zu begünstigen und endlich die Prozedur
nur solange fortzusetzen, bis das Zoekum gefüllt ist. 200 bis
300 g Bariumsulfat werden mit der doppelten Portion
Mehlbrei, wie er zu Kontrastmahlzeiten verwendet wird, also
etwa 700 g Brei, und mit lauem Wasser bis zur dickflüssigen
Konsistenz vermengt, so dass das Gesamtvolumen 1200 bis
1500 ccm beträgt. Diese Einlaufflüssigkeit, welche sich mir bis
jetzt am besten bewährt hat, soll Körpertemperatur besitzen.
An die Untersuchung bei wagerechter Stellung des
Patienten schliesst sich eine solche bei aufrechter Stellung
desselben an.
Wir haben im Gegensatz zu anderen Untersuchern, z. B.
Singer und Holzknecht, welche in 5 von 14 Fällen nach
Klysmadarreichung den Wurm darstellen konnten, denselben
nach Einläufen nur höchst selten gesehen. Es ist nicht wahr¬
scheinlich, dass in dieser Beziehung die Anwendung verschie¬
den hohen Druckes bei den Einläufen massgebend ist; wahr¬
scheinlicher ist, dass von verschiedenen Untersuchern ein ver¬
schieden grosser Zeitraum zwischen Verabreichung des Ein¬
laufes und Röntgenaufnahme gewählt wurde.
b) Kontrastmahlzeit: Derselben ist hier entschieden
der Vorzug vor dem Einlaufe zu geben. Nach Darreichung
einer solchen — ich bediene mich am liebsten eines mit Bis¬
mutum carbonicum versetzten Zwiebackbreies — soll sich die
Untersuchung erstrecken nicht bloss auf die Zeit der Zoekum-
f ü 1 1 u n g, also 4 — 6 Stunden nach Einnahme der Wismutmahl¬
zeit, sondern auch auf die Zeit der Zoekum entleerung,
damit der Wurmfortsatz der Beobachtung nicht entgeht. Er
entzieht sich trotzdem oftmals unseren Blicken, besonders
wenn er hinter dem Zoekum gelagert oder um dasselbe herum¬
geschlungen ist. Man hilft sich dadurch, dass man die Unter¬
suchung bis zur Defäkation und darüber hinaus in grösseren
Zwischenräumen fortsetzt.
Am häufigsten gelingt der Appendix-Nachweis 7 bis
8 Stunden post coenam, also erst mehrere Stunden
nach derZoekumfüllung, wenn die antiperistaltischen
bzw. rückläufigen Bewegungen in vollem Gange sind, doch ist
auch schon 1 — 2 Tage und später nach der Nahrungsaufnahme,
wenn also der übrige Darm schon leer war, noch Inhalt im
Appendix von Schwarz, Cohn, Case u. a. konstatiert
worden. Die Entleerung der Appendix geht mitunter so lang¬
sam von statten, dass sie in je einem von Cohn und Case
registrierten Falle erst 5 bzw. 10 Tage post coenam erfolgte.
Bei derartigen Untersuchungen kommt uns die Benutzung
harter, metallgefilterter Strahlen sehr zu statten, mit Hilfe
deren die Leuchtschirmuntersuchungen nicht bloss länger fort¬
gesetzt, sondern auch öfters wiederholt werden können.
Die Darstellung von Lage und Form der Appendix nach
oraler Zufuhr eines Kontrastmittels ist nicht so selten er¬
möglicht, als man früher annahm. (Eventuell sind beide Ver¬
fahren, d. h. die Darreichung einer Kontrastmahlzeit und nach
vollständiger Darmpassage derselben die Verabreichung eines
Einlaufes zum Zwecke des Appendixnachweises anzuwenden.)
Der Wurmfortsatz, welcher sich offenbar erst später
als das Zoekum füllt, zeigt, wie man nach Darreichung einer
Kontrastmahlzeit auf dem Leuchtschirme sehen kann, deutlich
ausgesprochene Eigenbewegung, d. h. aktive Kontrak¬
tion mit Lageveränderung, weshalb durch fortlaufende Auf¬
nahmen (Serien- oder Kinoaufnahmen) die einzelnen Phasen
seines Bewegungsablaufes sich zweifellos darstellen Hessen.
So lassen auch die beiden im Verlaufe einer Viertelstunde her¬
gestellten Aufnahmen (Fig. 1 und 2) auffallende Abweichungen
in bezug auf Lage und Form des Wurmfortsatzes erkennen.
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1493
Mitunter sieht man auch Eigenbewegungen desselben, d. h.
tiefe Einschnürungen, die der Segmentation anderer Darm¬
abschnitte ähnlich sind. Jordan will sogar direkt beob¬
achtet haben, wie der Wurmfortsatz sich entleerte, während
das Zoekum gefüllt war.
Wie beim Zoekum spielen sich offenbar auch am Wurm-,
fortsatz reguläre und rückläufige Bewegungen ab, d. h. seine
Füllung erfolgt im Anschluss an rückläufige Kolonbewegungen,
seine Entleerung durch peristaltische Bewegungen.
In Uebereinstimmung mit dieser Auffassung steht die Be¬
obachtung von Cohn, dass in einem Falle, in dem eine Zoekal-
fistel bestand, dieselbe sich erst entleerte, nachdem das Trans-
versum etwa bis zur Hälfte gefüllt war.
Die Frage, ob der Wurmfortsatz unter normalen oder
pathologischen Verhältnissen leichter festzustellen ist, und ob
aus seiner röntgenologischen Darstellbarkeit auf normale oder
pathologische Vorgänge zu schliessen ist, harrt noch der
Entscheidung.
Von englischer, französischer, russischer, amerikanischer
und deutscher Seite wurde bis jetzt über Röntgenunter¬
suchungen des Wurmfortsatzes berichtet, ln der letzten Zeit
haben sich besonders Amerikaner auf das röntgenologische
Studium des Wurmfortsatzes geworfen, wie denn auch ameri¬
kanische Aerzte die ersten waren, welche die Amputation des
erkrankten Wurmfortsatzes ausgeführt haben.
Zunächst einige Bemerkungen über den Nachweis des
Wurmfortsatzes unter normalen Verhältnissen
Hierüber liegen Mitteilungen vor von M. Cohn,.
Schwarz, Singer und Holzknecht, Belot, Case,
Desternes und Bando-n, Qrigorieff, Jordan.
i ;
Fig. 1. Fig. 2.
Dadurch, dass sich die Appendix unter Umständen gleich
den übrigen Dickdarmabschnitten mit Wismutbrei füllt, ist ihre
Lage und Form genau zu bestimmen. Dies muss insofern
überraschen, als der Wurmfortsatz sowohl bei Operationen als
auch, wie besonders Oberndorfer betont, bei Leichen fast
nie mit Kot gefüllt gefunden wird, sondern fast stets mit
Schleimhautsekret.
Nebenbei sei bemerkt, dass bei der Röntgenuntersuchung
gefüllte Dünndarmpartien zu Täuschungen Veranlassung geben
können und oft schon fälschlicherweise als „Wurmfortsatz“
gedeutet wurden.
M. Cohn ist es nach dem Vorgänge von Qrigorieff,
der eine Massage des Zoekums zum Nachweis der Appendix
empfohlen hat, in jüngster Zeit gelungen, dieselbe systematisch
darzustellen 0.
Manchmal besteht der Wurm, d. h. wenn er in Eigen¬
bewegung begriffen ist (Fig. 3), aus mehreren Abschnitten
(nach Art der Haustrenbildung des Darmes), manchmal ist er
langgestreckt, gewunden (Fig. 4) oder spiralig zusammen¬
gerollt, hirtenstabförmig, S- oder U-förmig. Inwieweit diese
verschiedenen Formen noch als normal angesehen werden
') Genauere, höchst instruktive, mit Demonstrationen belegte
diesbezügliche Mitteilungen hat Cohn auf dem letzten Röntgen¬
kongresse (1914) gemacht.
können, entzieht sich vorläufig noch unserer Kenntnis. Bei
normalen Menschen zeigt er meistens die Form eines in Be¬
wegung begriffenen Schwänzchens (Fig. 1 und 2).
Zur Zeit der rückläufigen Kolonbewegung ist der Wurm¬
fortsatz häufig in gefülltem Zustande darzustellen. Bei rascher
Füllung und prompter Entleerung desselben kann man (nach
F r ä n k e 1) annehmen, dass der Wurmfortsatz gesund ist.
Während meistens vom Zoekum ein ausgebildeter Wurm¬
fortsatz abzweigt, lässt sich vereinzelt bei der Röntgenunter¬
suchung Erwachsener mit infantilem Habitus statt eines Wurm¬
fortsatzes eine konisch geformte, verjüngte Spitze des Zoe¬
kums nachweisen, welche palpatorisch ausdehnungsfähig ist.
Dieser Befund steht im Einklang mit den oben erwähnten ent¬
wicklungsgeschichtlichen Verhältnissen der Appendix.
In pathologischen Fällen wurde die Appendix
bis jetzt nachgewiesen von M. Cohn, F. Qroedel, Jor¬
dan, Case, George und Gerber.
Die Appendix kann sich natürlich nur füllen, wenn ihr
Lumen nicht verlegt ist oder wenn sie nicht durch benachbarte
(perikolitische oder ileozoekale) Adhäsionen gezerrt ist. Trotz¬
dem ist es nach unserer bisherigen Auffassung nicht statthaft,
eine Obliteration des Wurmfortsatzes anzunehmen, wenn der¬
selbe sich röntgenologisch nicht darstellen lässt.
Allerdings Grigorieff behauptet, dass der Wurmfort¬
satz stets sich füllt, wenn sein Lumen frei bzw. seine Ver¬
bindung mit dem Zoekum offen ist. Bestätigt sich diese An¬
nahme, so dürfen wir in der Röntgenuntersuchung ein wich¬
tiges Hilfsmittel für die diagnostische Untersuchung des Wurm¬
fortsatzes erblicken, während es bisher nur als „interessanter
Zufall“ betrachtet wurde, wenn seine röntgenologische Dar¬
stellung gelang.
Fig. 3. Fig. 4.
G r o e d e 1 hat einmal trotz des Bestehens einer Appen¬
dizitis die kotgefüllte Appendix nachgewiesen und zwar
24 Stunden post coenam. Im Einklang mit diesem Befunde
steht die Auffassung der meisten Pathologen und Chirurgen,
welche ein krankhaftes Verhalten des Wurmfortsatzes an-
nehmen, wenn Kotinhalt in demselben stagniert.
Konstante Verkrümmung sowie mangelhafte passive Be¬
weglichkeit und verschwommene unscharfe Konturen des
Wurmfortsatzes lassen das Bestehen adhäsiver Prozesse ver¬
muten.
Nachdem die Diagnose der Magen-Darmkrankheiten eine
so grosse Förderung durch die Röntgenuntersuchung erfahren
hat, muss man sich fast wundern, dass die meist schwer¬
wiegende Diagnose „Appendizitis“ bis jetzt nicht gründ¬
licher mit Hilfe der Röntgenstrahlen erforscht wurde. Nur von
wenigen, so namentlich von M. Cohn, Singer und Holz-
knecht, Case, George und Gerber sowie von Jor¬
dan ist die Röntgenuntersuchung zur Diagnose der chroni¬
schen Appendizitis herangezogen worden.
Folgende Befunde können bei der Röntgenunter¬
suchung an Appendizitiskranken erhoben
werden :
a) Der direkte Nachweis des Wurmfortsatzes,
welcher verschiedentlich, so auch von G r o e d e 1 und Cohn,
1494
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
bei Appendizitis erbracht wurde. Hierbei hat man öfters
anormale Lage und Form der Appendix, so z. B. eine ver¬
schlungene, von Adhäsionen umschlossene Appendix, kon¬
statiert. Eine solche ist in Fig. 4 ersichtlich. Nach Cohn ist
der Wurmfortsatz bei Vorhandensein von Appendizitis nach
oben geschlagen, geknickt und oft auch adhärent. Allerdings
die von G r i g o r i e f f vorgeschlagene Massage des Zoekums
behufs Füllung und Entleerung des Wurmfortsatzes dürfte hier,
um den Patienten nicht zu schädigen, nur mit grosser Vorsicht
angewendet werden, da durch ein derartiges Verfahren
entzündliche Erscheinungen oder Kotsteinbildung hervor¬
gerufen werden könnten. Auch das Studium der Ap¬
pendixbewegungen könnte für den Nachweis von Ver¬
wachsungen verwendet werden, wobei durch vorsichtige Pal¬
pation seine Beziehung zum Zoekum festgestellt werden
könnte. Im allgemeinen aber spielt die röntgenologische Dar¬
stellung der Appendix bis jetzt noch keine grössere Rolle in
der Diagnostik. Den entgegengesetzten, wohl zu beherzigen¬
den Standpunkt vertreten allerdings Cohn, Case sowie
Desternes und B e 1 o t. Dieselben sind der Ansicht, dass
bei chronischer Appendizitis die Röntgenuntersuchung der
Appendix bzw. ihr Lagewechsel wichtige Aufklärung gibt be¬
treffs des Vorhandenseins oder Fehlens von Adhäsionen.
Case, der wohl über die grössten Erfahrungen in der Appen¬
dixuntersuchung verfügt, hält mangelhafte Drainage und Re¬
tention von Kot im Wurmfortsatz sogar für die wichtigste
Ursache der Appendizitis. Er hat 50 Fälle von röntgenologisch
sichtbarer Appendix beobachtet und stets bei der Operation
an ihr chronisch entzündliche Veränderungen gesehen. Auch
Cohn vertritt die Ansicht, dass Störungen in der Antiperi¬
staltik des Kolons und der Eigenbewegung des Wurmfortsatzes
zu krankhaften Zuständen des letzteren Veranlassung geben.
b) Stagnation von Darminhalt in der Ileo-
zoekalgegend und im Wurmfortsatz. Während in der Norm
7 — 8 Stunden nach Darreichung einer Wismutmahlzeit alles
Wismut den Dünndarm verlassen hat, haben George und
Gerber (Boston) bei Appendizitis das Wismut in den Ileum-
schlungen 24 Stunden und länger nachweisen können. In
diagnostischer Beziehung wichtiger ist eine Stagnation im
Wurmfortsatz selbst. Nach George und Gerber weist
dieselbe mit Sicherheit auf Appendizitis hin, besonders wenn
das Wismut 48 Stunden und länger im Wurmfortsatz bleibt,
während dasselbe die umgebenden Darmpartien schon ver¬
lassen hat. Auch Case sieht deshalb in der eventuell auf
mehrere Tage sich erstreckenden Zurückhaltung wismut¬
haltigen Inhaltes in der Appendix, nachdem das Kolon seinen
wismuthaltigen Inhalt bereits abgegeben hat, ein wohl zu be¬
achtendes gefahrdrohendes Symptom.
c) Ein streng auf die Appendixgegend lokali¬
sierter Druckschmerz. Der auf Druck hervor¬
zurufende Ileozökalschmerz, der gewöhnlich am MacBur-
ney sehen Punkt lokalisiert ist, zuweilen aber auf das ganze
Zoekum bis zur Einmündungsstelle des Ileums sich erstreckt,
gilt klinisch als das konstanteste Symptom der Appendizitis.
Die Leuchtschirmuntersuchung in Verbindung mit der Pal¬
pation gibt verlässigen Aufschluss, ob ein Druckpunkt in der
Ileozoekalgegend mit dem MacBurney sehen Punkt zu¬
sammentrifft, bzw. welchem Organ derselbe angehört. Auch
der negative Befund, d. h. die Feststellung nach Dar¬
reichung einer Kontrastmahlzeit, dass ein schmerzhafter Punkt
nicht dem Zoekum angehört, sondern ausserhalb desselben liegt
und demnach auf die Erkrankung benachbarter Organe (des
Urogenitalapparates) hinweist, ist von praktischer Bedeutung.
Die Lokalisation des Druckpunktes ist gerade durch das Rönt¬
genverfahren erheblich gefördert worden. Dabei ist allerdings
zu berücksichtigen, dass bei einfacher Colitis catarrhalis
neben anderen Stellen auch der MacBurney sehe
Punkt schmerzhaft sein kann und dass derselbe nicht immer
dem Ursprung des Wurmes, sondern häufig der Gegend der
Ileozoekalklappe entspricht.
d) Insuffizienz der Bauhinschen Klappe,
welche D i e 1 1 e n als ein wichtiges Zeichen der chronischen
Perityphlitis bezeichnet. Hiebei ist nur zu berücksichtigen, dass
auch schwere anatomische Läsionen, wie sie bei Ileozoekal-
tuherkulose und Tumoren Vorkommen, sowie starke Dehnung
des Zoekums (bei Darmeinläufen) eine derartige Insuffizienz
bedingen können. Auch nach Exstirpation des Wurmfortsatzes
wurde dieselbe von Cohn beobachtet.
e) Als Ueberbleibsel alter Entzündungen,
manchmal auch nach stattgehabter Appendektomie, lässt sich
am fixierten Zoekum und terminalen Ileum bei passiven, unter
Kontrolle des Leuchtschirmes ausgeführten Bewegungen Zer¬
rungsschmerz feststellen, der durch Adhäsionen be¬
dingt ist.
Auch verminderte palpatorische Beweg¬
lichkeit des Zoekums infolge von Verwachsungen bei
chronischer Appendizitis sowie nach Appendektomie lässt sich
durch die Röntgenoskopie nachweisen. Endlich trifft man bei
Appendektomierten oft lange Zeit (Monate oder Jahre) nach
der Operation noch Druckempfindlichkeit in der Gegend des
MacBurney sehen Punktes, sowie spasmodische
Erscheinungen im Gebiete des Dickdarmes.
Der Nachweis von meist harmlosen anorganischen
K o t s t e i n e n (Enterolithen) im Processus vermiformis ist
trotz ihrer Kleinheit schon manchmal geglückt, so F i 1 1 i g.
Weisflog, Matth es, Hürter. Derartige Konkremente
können, wie Albers-Schönberg hervorhebt, unter Um¬
ständen zu diagnostischen Irrtiimern Veranlassung geben, d. h.
mit Phlebolithen, Verkalkungen der Gefässe und Mesenterial¬
drüsen sowie Uretersteinen verwechselt werden. Hier kann
die Füllung der ileozökalen Region mit Wismutbrei ent¬
scheidende diagnostische Aufklärung geben. In jüngster Zeit
ist es Cohn auch gelungen, die gewöhnlichen organischen,
so häufig zu Appendizitis führenden Kotsteine im erkrankten
Wurmfortsatz nachzuweisen, indem sich dieselben deutlich
von der Kontrastfüllung desselben unterscheiden Hessen. —
Bei Verdacht auf latente Appendizitis und chronisch ver¬
laufende Krankheitserscheinungen des Darmes sollte ärzt¬
licherseits viel häufiger von der Röntgenuntersuchung bzw.
der Darreichung einer Kontrastmahlzeit Gebrauch gemacht
werden als bisher, da die oben aufgeführten röntgenologischen
Kennzeichen einer Appendizitis von nicht zu unterschätzendem
Werte sind. Aber auch manch unnötiger operativer Eingriff
könnte auf diese Weise vermieden werden. Ist doch schon
längst von chirurgischer Seite darauf hingewiesen worden,
dass als ursächliches Moment angeblicher Wurmfortsatzent¬
zündung häufig das Fehlen jeglicher anatomischer Verände¬
rungen des Wurmfortsatzes und lediglich das Vorhandensein
einer Kolitis bei der Operation konstatiert werden konnte.
Literatur.
J. T. Case: Paper read before the American Roentgen Ray
Society. Annual Meeting, 11. — 14. Sept. 1912, Niagara Falls, New-
Ycrk. — M. Cohn: D.m.W. 1913 Nr. 13 und M.m.W. 1913 Nr. 7
u. Nr. 19. — Desternes: Ref. in La Presse medicale 1913 Nr. 4L —
H. Die t len: Fortschr. d. Röntgenstr. 21. S. 23. — W. George
und J. Gerber: Read before the Surgical Section, Massachusetts
State Medical Society, 10. Juni 1913. — Frz. Groedel: M.m.W. 1913
Nr. 14. — Gr i gor i eff: Russischer Internistenkongress in Moskau
1911. — Jordan: Proceed. of the Royal Soc. of Med. 1911, Vol. V.
R. Liertz: Ueber die Lage des Wurmfortsatzes. (Springer,
Berlin 1914.) — Matth es: Verhandl. d. internen Kongresses zu
Wiesbaden 1912, Diskussion. — S. Oberndorfer: M. KI. 1911
Nr. 53. — G. Schwarz: Klinische Röntgendiagnostik des Dick-
darmes. (Springer, Berlin 1914.) — Singer und Holzknecht:
M.m.W. 1913 Nr. 48.
Die deformierende Gelenkentzündung (Arthritis deformans)
im Lichte neuerer Forschungen').
Nach den mikroskopischen Befunden von Prof. G. Pommer* 2).
Von L. v. Stubenrauch.
Die Veränderungen der Arthritis deformans sind seit
langer Zeit bekannt und nach dem Anfänge des 19. Jahr¬
hunderts ausser von Cruveilhier besonders von englischen
Chirurgen und Anatomen, so von Bell, T o d d, Smith,
*) Referat, erstattet in der Sitzung des ärztlichen Vereins Mün¬
chen vom 20. Mai 1914.
2) Prof. G. Pommer: Mikroskopische Befunde bei Arthritis de¬
formans. Mitteilungen aus dem Path. Institute der k. k. Universität
Innsbruck. Denkschriften der k. k. Akademie der Wissenschaften
zu Wien. LXXX1V. Bd. S. 65 — 316, mit 17 Tafeln und 22 Textfiguren.
7. Juli 1914.
1 495
MUENCHENER MEDIZINISCHE W OCH ENSCEI RIET.
A d a m s und C o 1 1 e s studiert worden. Später beschäftigten
sich in Frankreich Bro ca, in Deutschland Chirurgen und
Pathologen wie Wernher, Roser, Ecker, Roki¬
tansky, H. Meyer, S c h o e m a n, Zeis, Nuescheler,
Förster, C. O. Weber, R. Hein und Volkmann mit
der Frage. Im Jahre 1877 veröffentlichte dann A. Weich-
selbaum seine grundlegenden mikroskopischen Gelenk¬
studien, in welchen der Gelenkknörpel ganz besondere Be¬
rücksichtigung fand. Während frühere Autoren wie Ecker,
Roser, F o e r s t e r, C. O. W e b e r, R. H e i n, Volk-
mann und Weichselbaum bei ihren anatomischen Studien
ihr besonderes Interesse den Knorpelveränderungen zu¬
wandten, verlegten die ebenfalls 1877 veröffentlichten mikro¬
skopischen Untersuchungen E. Zieglers, welcher sein
Hauptaugenmerk auf die subchondralen Knochengebiete
richtete und den hier aufgenommenen Befunden eine regressive
und metaplastische Bedeutung zuschrieb, ebenso wie spätere
Untersuchungen aus der Ziegler sehen Schule (Steuern-
tiial und K i m u r a) den Ursprung und den Hauptsitz des
Krankheitsprozesses in den Knochen selbst und zwar in atro¬
phische und regressive Veränderungen und in daneben einher¬
gehende entzündliche Zustände der subchondralen Knochen¬
region der Gelenkenden. So fasste Kimura die Randwülste
als Resultate einer durch Knocheneinbrüche bedingten Gelenk¬
körperdeformation auf, deren Grundursache in der atrophi¬
schen und regressiven Knochenbeschaffenheit zu suchen sei.
Ziegler modifizierte übrigens später seine Anschauungen,
indem er nebenher doch auch die ältere Vorstellung eines vom
Gelenkknorpel aus direkt auf den Knochen übergreifenden Pro¬
zesses akzeptierte. In den neueren Arbeiten über Arthritis
deformans trat dann, entsprechend der zunehmenden Beteili¬
gung der Praktiker an diesen Untersuchungen das Streben
hervor, auf Grund ätiologischer Momente und statistischer
Feststellungen (R i m a n, Heckmann, auch N i c h o 1 s und
Richardson) die A. d. zu studieren. Auch der Weg
des Tierexperimentes wurde gewählt (W o 1 1 e n b e r g), um
das Wesen der Krankheit zu erforschen. Indes haben diese
Bestrebungen keine entscheidenden Fortschritte in der Frage
gebracht. Weder der Versuch der genannten Autoren, die
humorale oder vaskuläre Theorie zu begründen, noch auch der
Versuch Axhausens, in der Annahme einer primären
Knorpel- (und Knochen-) nekrose die Erklärung der A. d.-Ver-
änderungen zu gewinnen, kann nach den von mehreren patho¬
logischen Anatomen der neueren Zeit vorliegenden Befunden
als annehmbar bezeichnet werden. Als derartige aus der
neuesten Zeit stammende Untersuchungen sind, abgesehen
von den bereits 1897 publizierten B e n e k e s, die von Walk-
hoff, Beitzke und Pommer anzuführen. Aufgabe der
folgenden Zeiten soll es sein, die Ergebnisse der modernen
mikroskopisch-anatomischen Studien zusammenzufassen unter
besonderer Berücksichtigung des erschöpfenden Werkes
G. Pommers3), dessen auf 16 mikroskopisch untersuchte
verschiedengradige Fälle von A. d. des Hüft-, Knie- und
Schultergelenkes sich beziehende Befunde als grundlegend für
die Erkennung, Art und Entstehung der Knorpel- und Knochen¬
veränderungen bei Arthritis deformans zu bezeichnen sind.
Die Ergebnisse des genannten Autors wie die Schlüsse, die er
selbst aus seinen Ergebnissen zieht, umfassen die nunmehr
folgenden wichtigen Tatsachen:
Für die mikroskopische Diagnose der Ar¬
thritis deformans sind von entscheidender Bedeutung
nur die mehr minder ausgeprägten und zur Knochenbildung
s) Pommer hat in seine „Mikroskopische Befunde“ die ana¬
tomische Beschreibung und das methodische Kapitel der theresiatii-
schen Preisarbeit seines Schülers Dr. P e g g e r („Ueber die regres¬
siven Knochenveränderungen bei Arthritis deformans“) aufgenommen,
nachdem er dessen Untersuchungen selbst in grösserem Umfange und
nach erweiterten Gesichtspunkten fortgeführt hatte. Um die Herstellung
der einschlägigen Präparate und Bilder hat sich der Präparator des
Innsbrucker pathol. Institutes, Herr N. Bock, sehr verdient gemacht.
Es muss auch weiter darauf hingewiesen werden, dass die in Dr. Peg-
g e r s Preisarbeit erörterte und empfohlene Methodik der histologi¬
schen Untersuchung, welche im wesentlichen auf die bereits früher von
Pommer ausgearbeiteten erfolgreichen Methoden zurückgreift, ein¬
gehendst in dem Werke besprochen wird, wie auch die gesamte ein¬
schlägige Literatur, so dass bezüglich dieser auf die Arbeit Pom¬
mers zu verweisen ist.
führenden Anläufe zur Vaskularisation des Gelenkknorpels
über seine Verkalkungsregion hinaus und zwar dann, wenn der
Gelenkknorpel zugleich in den betreffenden Gebieten von der
Oberfläche aus Veränderungen zeigt, welche auf eine Beein¬
trächtigung seiner Elastizität hinweisen. Durch diese diagno¬
stischen Merkmale, die ein Hauptergebnis der Befunde
Pommers darstellen, ist die Möglichkeit geschaffen, gering¬
gradige beginnende oder in Stillstand geratene Fälle von Ar¬
thritis zu diagnostizieren sowie die Diagnose nur zu örtlich
beschränkter Ausbildung gelangter Fälle unabhängig von dem
Nachweise ausgeprägter Randwulstbildungen zu stellen.
Durch die Vaskularisations- und Ossifikationsvorgänge
werden von den tiefen Knorpelanteilen oberflächliche Schichten
abgespalten, welch letztere den knorpeligen Ueberzug der auf
Kosten des Gelenkknorpels entstehenden Randwülste bilden.
Bei besonders mächtig entwickelten Randwülsten kommt für
die Fortsetzung des knorpeligen Randwulstüberzuges sowohl
interstitielle Substanzneubildung als auch Anbildung faser¬
knorpeligen Gewebes von seiten des Synovialgewebes in Be¬
tracht. Bezüglich der knotigen Erhebungen im Bereiche der
Gelenkknorpelflächen, die von einzelnen älteren Autoren (ins¬
besondere von H. Meyer) beschrieben werden, gibt der
prägnante Befund eines Falles Aufschluss, in welchem der
Nachweis gelang, dass es sich um ein ossifiziertes Gelenk¬
knorpelgebiet handelte, das als Grundteil eines Knorpelhöckers
teils noch von Resten des Gelenkknorpels bedeckt, teils in
seinen Oberflächenteilen der Abscheuerung und narbigen Ver¬
änderungen verfallen war.
Was die Entstehung der Randwulstbil¬
dungen betrifft, so ist zu betonen, dass weder die Annahme
V o 1 k m a n n s, welcher darin verknöcherte Knorpelwuche¬
rungen erblickte, noch die Anschauungen von N i c h o 1 s und
Richardson, nach welchen der Knorpelüberzug der Rand¬
wülste im ganzen als neugebildet, das Perichondrium des Ge¬
lenkknorpels als die Matrix von verknöchernden Knorpel¬
wucherungen zu betrachten ist, zutreffen und befriedigende
Erklärungen bieten; denn an der dem Gelenkkopf zugewen¬
deten Innenfläche des Randwulstteiles konnte kein Knorpel¬
gewebe nachgewiesen werden.
Zu nachweisbarer Dickenzunahme des Gelenkknorpels kommt es
überhaupt nur im Bereiche der die Randwulstbildungen von der Kopf¬
region trennenden Grenzrinne und es sind die Knorpelanschwel¬
lungen strenge an diese Oertlichkeit gebunden. Sonst treten am Ge¬
lenkknorpel die Erscheinungen der Hyperplasie gegenüber mehr
minder tiefgreifender Auflockerung. Quellung und Zerfaserung
zurück.
Auch die in letzter Zeit vielfach vertretene Auffassung der Rand¬
wülste als periostaler Osteophyten entspricht ebensowenig wie die
Annahme, dass sie aus hyperplastischen Knorpelwucherungen oder
perichondralen Bildungen hervorgehen, den- Tatsachen, was jetzt auch
W a 1 k h o f f in seinem Referate über Pommers Befunde (Zbl. f.
allg. Path .1914 Nr. 1) zugibt. Nach Pommers mikroskopischen Be¬
funden handelt es sich bei den an Femurköpfen untersuchten Rand¬
wülsten der Kopfhalsgrenze sowie bei jenen des Fovearandes und
bei jenen des untersuchten Femurknorrenendes um analoge Bildungen,
die überhaupt nicht im Bereiche der mit Periost bekleideten Gebiete
der Gelenkenden zur Entstehung kommen, sondern im Bereich der
Randgebiete der mit Knorpelüberzügen ausgestatteten Gelenkenden
selbst. Unter allen Umständen besteht schon bei ganz geringer wie
bei hochgradiger Entwicklung der Randwülste das Gebälk derselben
aus mit der übrigen Spongiosa der Gelenkenden einheitlich gebauten
Lamellensystemen und zeigt keineswegs den Bau von Osteophyten-
gewebe.
Die Ausbildung der Randwülste bei Arthritis deformans
erfolgt von vornherein von den subchondralen Markräumen
aus unter Vaskularisierung und Verknöcherung der anstossen-
den Gelenkknorpelrandgebiete, so dass also in dieser Be¬
ziehung die alten makroskopischen Befunde Wernhers
durch Pommer Bestätigung finden; die Randwülste sind
demnach keine von aussen aufgelagerten osteophytären Pro¬
dukte, sondern intrakartilaginöse Knochenbildungen.
Nur an gewissen Punkten und besonders unter den örtlichen
Verhältnissen ausgebreiteter A. d. lässt sich der Nachweis führen,
dass örtlich auch periostale Appositionsvorgänge und zwar besonders
von Bänderansatzstellen aus und andererseits auch chondrogene Kno¬
chenbildungen von ossifizierenden Proliferationsfeldern des Knorpel¬
überzuges aus bei Entstehung bzw. Vergrösserung von Randwulst¬
bildungen eine Rolle spielen können. Für die mikroskopische Dia¬
gnostik der A. d. ist dabei jedenfalls der Hinweis wichtig, dass im
Bereich der Eintrittsstellen grosser Vasa nutritia gleich wie an
1496
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
Bänderansatzstellen periostale Appositionsvorgänge beobachtet wer¬
den können, die dabei aber ausserhalb des Gebietes der Randwulst¬
bildungen und auch ohne dieselben Vorkommen.
Durch Zusammenhangsstörungen kommt es bei hoch¬
gradigen wie auch leichten Fällen von A. d. zu L o s 1 ö s u n g
von Gelenkknorpelteilchen und Substanz¬
verlusten des Gelenkknorpels. Häufig und aus¬
gebreitet finden der Oberfläche parallele Auffaserungen und
Loslösungen von fadenförmigen Oberflächenanteilen des Ge¬
lenkknorpels statt; vielfach kann derselbe auch senkrecht zur
Oberfläche zerfasert und zerklüftet gefunden werden. Zellen¬
gehalt und Zustand der Zellen ist in den veränderten und ab¬
gelösten Knorpelteilen recht verschieden. Es finden sich viel¬
fach die bekannten Bilder der Proliferation zu Brutkapselent¬
wicklung und anderseits im Bereich von Druckwirkungen jene
der Zellen atrophie, nicht jedoch der Zellen n e k r o s e,
ausser im Läsionsbereiche der Abscheuerungs- und Schliff¬
flächen. Die Knorpelsubstanzverluste zeigen nach
Tiefe und Begrenzung Verschiedenheiten und auch nach den
in ihrem Bereich vorkommenden Veränderungen. Es können
die regressiven Veränderungen überwiegen oder mit solchen
der Proliferation vergemeinschaftet sich finden. In anderen
Fällen ist die Proliferation vorherrschend. Zeichen von Ab¬
scheuerung, Abrollung durch Gelenkbewegungen, auch auf¬
fällige Resorptionsvorgänge können im Bereich besonderer
Druckwirkungen (örtlich) in der Nachbarschaft von vorgreifen¬
den Vaskularisationsbezirken auftreten.
Gewisse Bezirke des Gelenkknorpels sind — wofür auf Weich¬
selbaums umfassende Untersuchungen zu verweisen ist — durch
die Eigentümlichkeit ihrer Textur in höherem Masse zu regressiven
Veränderungen und Abnutzung infolge besonderer funktioneller Be¬
anspruchung veranlagt. Alle untersuchten Knorpelusurstellen er¬
brachten den Nachweis des Vordringens von Gefäss- und Mark¬
räumen aus der subchondralen Region in die kalklosen Knorpelteile.
Gelegentliche örtlich beschränkte Nebenbefunde bieten Einbruchstellen
an der Knorpelknochengrenze oder Zertrümmerungen und Verlage¬
rungen dar. Nur in einem Falle Pommers konnte der Knorpel¬
substanzverlust nicht auf die Vorgänge der Arthritis deformans selbst,
sondern auf traumatische Einwirkung bezogen werden. Der Mangel
der beschriebenen primär-regressiven Veränderungen des Gelenk¬
knorpels in der Umgebung des Substanzverlustes wie auch der Mangel
vorgreifender Vaskularisation belegen dies. Anderseits beweisen die
Befunde direkt eine mit örtlicher Abhebung und basaler Zerklüftung
des kalklosen Gelenkknorpels kombinierte, die Entwicklung von Kal¬
lusgewebe veranlassende traumatische Zertrümmerung def verkalkten
Knorpelregion eine subchondrale Zerklüftung der Knochenkortikalis
selbst. Es handelt sich aber in diesem Falle um das Anfangsstadium
einer auf Traumawirkung hin sekundär entstehenden örtlichen
Arthritis-deformans-Veränderung, was durch eine örtlich beschränkte
Ossifikationsanbildung in der Nachbarschaft der Usurstelle und durch
eine Knorpelknötchenbildung darunter belegt wird In einem Falle
Pommers muss eine rein arthritische Usur ohne traumatische Kom¬
plikation bei hochgradiger Knochenatrophie, in zwei anderen eine
primär arthritische mit traumatischen Veränderungen komplizierte
Usur angenommen werden.
Für die Beurteilung der bei veralteten Luxa¬
tionen entstehenden A. d.-V eränderungen ist
der Untersuchungsbefund eines Fixierten Oberarmkopfes von
Bedeutung, welcher zur Annahme führt, dass es sich dabei um
eine durch Druckusurveränderung und Abscheuerung des Ge¬
lenkknorpels eingeleitete, unter Kombination mit Druck und
Inaktivitätsatrophie sich ausbildende sekundäre örtliche A. d.
handelt.
Was die Zusammenhangsstörungen anlangt,
welche bei A. d. die Bezirke der Knorpel¬
knochengrenze betreffen, so werden dieselben nach
der Art der Entstehung unterschieden, erstens in solche,
welche auf die im Prozesse der A. d. gegebenen, örtlich ge¬
steigerten Resorptionsverhältnisse vaskulärer und lakunärer
Art zurückzuführen sind, zweitens in diejenigen, welche sich
auf die infolge von Knochenatrophie bei A. d. vorkommenden
Knochenlücken der subchondralen bzw. subperiostalen
Knochenrinde beziehen, und drittens in solche, die mechanisch
oder traumatisch bedingt sind.
Die zur erstgenannten Gruppe gehörigen gesteigerten Resorp¬
tionsverhältnisse sind besonders bemerkbar, wenn unter besonderen
atrophischen Verhältnissen die appositionelle Ersatzbildung für die
Substanzverluste mangelhaft bleibt oder wenn bei tiefgreifenden
Knorpelusuren eine mehr weniger fortschreitende Entblössung der
Knorpelknochengrenze stattfindet. Im Grunde solcher Knorpelusur¬
stellen kann es zu fortschreitender Entwicklung von kallösem Knochen-
und Knorpelgewebe kommen, aber auch zum narbigen Ersatz der
hyalinen Knorpelgrundsubstanz durch lockeres faseriges, gefäss-
reiches Bindegewebe (Glätte und blutrote Färbung der Usurstellen).
Die auf mechanische oder traumatische Einwirkungen zu
beziehenden Zusammenhangsstörungen gelangen in den Be¬
funden Pommers zum Nachweis, während man sie bisher,
so auch K i m u r a, nur vermutete. Pommer fand sie in
Form von Sprüngen und Fissuren, die teils senkrecht zur Ober¬
fläche, teils parallel dieser verlaufen. In der subchondralen
Region findet eine mehr weniger ausgedehnte Zersplitterung
statt. Zertrümmerungsbrocken verkalkten Knorpels, welche
wiederum in Kallusbildungen eingeschlossen sind, deuten nicht
allein auf Druck, sondern auch auf Stosswirkung hin. Auch
mit Lageveränderungen einhergehende Einknickungen und
Zertrümmerungen im Bereich der Knorpelknochengrenze
waren nachzuweisen: Ausbrechungen von Stücken der
Knochenrinde, die in verschiedene Gebiete der Nachbarschaft
eingekeilt sich finden können. Als Folgeveränderungen dieser
traumatischen und mechanischen Zusammenhangsstörungen
zeigen sich die verschiedensten Reaktionen: Blutungen, Zellen¬
proliferation, Riesenzellenbildungen, Resorptions- und Appo¬
sitionsvorgänge, Entwicklung in die Markräume der Spon¬
giosa hineindringender Knorpelwucherungen, mehr weniger
ausgebreitete Kallusgewebswucherungen teils knorpeligen,
teils knöchernen aber auch bindegewebigen und schleim-
gewebigen Baues, welche Bruchstücke des ursprünglichen Zer¬
trümmerungsherdes in sich eingeschlossen halten. Solche
Vorgänge sind aber keineswegs im Prozess der A. d. be¬
gründet, sondern in mit der A. d. kombinierten traumatischen
Einwirkungen. Die bei A. d. vorkommenden, von E. Zieg¬
ler als Enchondrome beschriebenen und auf Rekartilagines-
zenz des Knochens bezogenen Knorpelknötchen treten
nach den Ermittlungen Pommers nur unter besonderen Be¬
dingungen auf. Zu ihren Entstehungsbedingungen gehören vor
allem Absprengungen und Verlagerungen von entwicklungs¬
fähigen Zellen und Zellkomplexen der kalklosen Tiefen¬
schichten des Gelenkknorpels bei Eröffnung der subchondralen
Markräume durch Zerklüftung der Verkalkungsregion des
Knorpels und der subchondralen Knochenrinde unter den Ver¬
hältnissen einer zu der embolischen Verschleppung der ver¬
lagerten Knorpelzellen hinreichenden Versorgung der Mark¬
räume mit Lymph- und Blutbahnen.
Wie Pommers Befunde ergaben, erfolgt ebensowohl auf dem
Wege der perimyelären Lymphräume bzw. der perivaskulären Räume
der Haversschen Kanäle, als auch innerhalb der perivaskulären
Lymphbahnen der Markgefässe und innerhalb dieser selbst die Ver¬
schleppung abgelöster Knorpelzellen und dort, wo sie haften bleiben,
durch ihre Proliferation dann die Ausbildung von Knorpelknötchen.
Stellenweise lassen die Knorpelknötchen sich mitten zwischen den
Fettzellen der Markräume nachweisen. Ausschliesslich in den benach¬
barten Spongiosagebieten der subchondralen Einbruchstellen auftretend,
kann ihre Aussaat eine verschieden reichliche sein. Sekundäre regres¬
sive Veränderungen (schleimige Verflüssigung der Interzellularsubstanz,
die dadurch zu Zystenbildung führt) kommen in ihnen vor, sind jedoch
keine gerade häufigen oder regelmässigen Ausgänge der Knorpel¬
knötchenbildung, ebensowenig die Verkalkung. Der Mangel auffälliger
eben sich abspielender Appositionsvorgänge im Bereiche der Knorpel¬
knötchen spricht dafür, dass diese sich langsam und unter beschränkter
Einflussnahme auf ihre Umgebung entwickeln.
Ihre relativ geringe Ausbildungsgrösse wie auch die ge¬
ringen Einwirkungen, welche sie auf die Gewebe der Nach¬
barschaft ausüben, deuten darauf hin, dass ihnen nur eine be¬
schränkte Entwicklungsfähigkeit, aber keineswegs progres¬
sives Wachstum zukommt. Man kann sie deshalb nicht wie
Z i e g 1 e r als „Enchondrome“ bezeichnen. Eine metaplastische
„Rekartilagineszenz“ des Knochens im Sinne von Ziegler
u. a. spielt bei ihrer Entstehung keine Rolle. Sie haben durch
Pommers Untersuchungen ihre Erklärung auf dem Boden
der gesetzmässigen Vorgänge des Zell- und Gewebslebens ge¬
funden, hindern nicht mehr seine einheitliche Auffassung unter
physiologischen und pathologischen Verhältnissen. Dasselbe
gilt auch von den die metaplastischen Annahmen Zieglers
widerlegenden Befunden, zu denen die Untersuchung der ver¬
schiedenen Zystenbildungen Gelegenheit gab, bei wel¬
chen es sich ebenfalls nicht um regressive metaplastische, son¬
dern vielmehr um progressive Abkapselungsvorgänge handelt.
Die Knochenschlifflächen findet man besonders
in den von mächtigen Randwülsten umgebenen Gebieten des
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7. Juli 1914.
Gelenkkopfes und an den angrenzenden Bezirken der Randwülste
selbst. Umgestaltungen der Gelenkflächen, dadurch bedingte
Aendcrung der Gelenkfunktionen (Einschränkung derselben mit
örtlicher Steigerung abscherender Einwirkungen) kommen für
ihre Entstehung in Betracht. Knorpelusurstellen begünstigen
die Ausbildung derselben.
Auch knotige Erhebungen der Gelenkflächen, deren schon Erwäh¬
nung geschah, sind fiir die Erklärung der Knochcnschliffbildung von
Bedeutung. Der Verschiedenheit der Eolgewirkungen, zu denen es im
Laufe der Zeit kommt, entspricht die Mannigfaltigkeit der Befunde.
Im Bereiche der Schliffflächen kommt es unter gewöhnlichen Verhält¬
nissen zu reaktiver Knochengewebsbildung (Eburneation früherer
Autoren, sklerosierte Schliffflächen W a 1 k h o f f s). Unter dem Ein¬
fluss allgemein oder örtlich bestehender Atrophieverhältnisse erfolgt
diese entweder gar nicht oder nur unvollkommen.
Nicht allein das Gebälk der eigentlichen Gelenkflächen¬
gebiete, sondern auch jenes der Randwulstbezirke kann der
Abschleifung unterliegen. Mögen die Abscherungsvorgänge
bei ihrem Tiefergreifen das eigentliche Knochengebälk des Kopf¬
gebietes oder das der Randwulstbildungen durchsetzen oder
nur die Knorpelknochengrenze wie deren subchondrale Mark¬
räume treffen, immer muss es zur Eröffnung von Markräumen
kommen, was örtliche Blutaustritte und die Entstehung ver¬
schiedener Kallusbildungen zur Folge hat. Von der Schliffläche
herstammender Detritus verkalkten Knorpels und Knochens
wird mit Gewebsstückchen, die sich von den sekundär in er-
öffneten Markräumen gebildeten Weichgeweben ablösen, in
die Tiefe gerissen und dorthin verlagert. Dort können je nach
Grösse und Tiefenlage der Einlagerungsherde und je nach den
sich um sie abspielenden reaktiven Veränderungen verschie
dene Bilder angetroffen werden (Fremdkörperriesenzellen,
zystische Abkapselungen, fibröse und schleimgewebige Herde).
Dagegen kommt es im Bereich der Knochenschlifflächen nie
zur Bildung von Knorpelknötchen, wahrscheinlich nicht allein
deshalb, weil etwa die im Gebiete der Schlifflächen zur Los¬
lösung gelangenden Knorpelzellen samt und sonders ihre Be¬
fähigung zu wachsen verloren haben, sondern wohl auch des¬
halb, weil mit allenfalls noch lebensfähigen Knorpelzellen die
verschiedensten infolge der Abscheuerung nekrotisierten Ge-
websteile zur Verpfropfung gelangen, wodurch Abkapselungs¬
vorgänge eingeleitet werden, welche einer weiteren Ver¬
schleppung der Knorpelzellen ebenso hinderlich sind, wie die
sichtlich gleichzeitig bestehenden ungünstigen Zirkulationsver¬
hältnisse innerhalb der mit Kallus- und Fasergewebe erfüllten
Markräume dieser Gebiete.
Die zystischen Bildungen entstehen in erster
Linie durch Abkapselung der früher besprochenen Ein¬
lagerungen im Bereich der Knochenschlifflächen, dann sub¬
chondral in Markräumen atrophischer Randwulstbildungen bei
Einbrüchen ihrer Rindenteile, aber auch subperiostal und sub¬
synovial innerhalb der Markräume der atrophischen Knochen¬
rinde nicht überknorpelter Gelenkgebiete, wenn es zur Ein¬
stülpung von Periost- oder Synovialmembranteilen durch die
Einpfropfung von Knorpelgeröllklümpchen kommt; auch letz¬
teres konnte, aber nur in einem Falle, von Pommer nach¬
gewiesen werden. Wichtig erscheint dabei ausserdem auch
die Trennung zwischen echten Abkapselungszysten
und zystenähnlichen Bildungen, welch letztere der
Absperrung von Synovialmembranteilen und andererseits auch
der schon erwähnten Verflüssigung der Knorpelsubstanz inner¬
halb der Knorpelknötchen ihre Entstehung verdanken. Nach
Inhalt und Wandbeschaffenheit der Abkapselungszysten lassen
sich unterscheiden: Erstens abgekapselte Blutungszysten, wie
auch W a 1 k h o f f bereits erkannte. Eine zweite Form neben
den Blutungszysten bilden die Detritus und
Trümmerzysten; bei diesen handelt es sich um von den
Schlifflächen abgescheuerte Detrituspartikelchen oder ver¬
lagerte Fragmente, welche von der Einbruchstelle der Knorpel¬
knochengrenze stammen. In einer dritten Form wurden von
Pommer abgerundete Klümpchen abgelöster Knorpelsub¬
stanz (Knorpelzellterritorien) allein oder mit Detritus ver¬
mischt, als Zysteninhalt gefunden. Solche „Knorpel-
geröllzysten“ können, wie schon oben angeführt, augen¬
scheinlich unter Einwirkung des Gelenkdruckes gelegentlich
auch innerhalb von Einstülpungen der Synovialmembran, durch
Einpressen der Knorpelgeröllkörperchen in unter Atrophiever¬
hältnissen subperiostal freigelegtcn Markräumen entstehen,
Nr. 27.
und es ist daher keineswegs richtig, dass nur freie Gelenk¬
körper, die eine zur mechanischen Obstruktion des Gelenkes
hinreichende Grösse besitzen, eine Bedeutung haben. Als
Folgezustände werden in der Umgebung der zystischen Bil¬
dungen die verschiedenen Wirkungen der reaktiven Vorgänge
gesteigerter osteoklastischer lakunärer Resorption und osteo-
blastischer Apposition nachgewiesen.
Unter derartigen Vorgängen können sich die Abkapselungszysten
auch bis zu ansehnlicher Grösse (Kirschkern-, Haselnussgrösse) ent¬
wickeln. Die an mazerierten Gelenkenden nachweisbaren Poren und
Löcher lassen sich auf durch Knochenzysten verursachte Substanz¬
verluste zurückführen, können aber auch auf vorhanden gewesene
Knorpeleinsenkungen bezogen werden, die sich im Bereiche der ab¬
geschliffenen Knochenstrecken innerhalb des blossgelegten Markge¬
webes nebst sonstigen Kallusgewebswucherungen gebildet hatten.
Bezüglich der reaktiven Folgezustände der bei A. d. auftretenden Ab¬
kapselungszysten ist besonders bemerkenswert der Fall eines 59 Jahre
alten Mannes, bei welchem es nach subchondraler Entstehung einer
Blutungszyste im Foveabereich zu einer Wachstumssteigerung des
Gelenkkopfes kam. Der angeführte, noch von Weiland Prof. v. H i b -
1 e r obduzierte und aufbewahrte Fall lässt annehmen, dass die Ent¬
stehung der Veränderung auf ein in der Jugendzeit erfolgtes Trauma
zurückzuführen ist, örtlich auf das Foveagebiet beschränkt blieb und
dann unter dabei ausgebildetem Verluste des Lig. teres nach Ab¬
schluss des Wachstums zum Stillstand kam.
Die Vorgänge der Resorption und Appo¬
sition zeigen bei der A. d. hinsichtlich der Oertlichkeit und
des Grades ihrer Ausbildung eine ausgesprochene Abhängig¬
keit von den Einwirkungen, unter denen das Knochenmark
ebensowohl im Bereich von Usurstellen als von Schliff¬
flächen, traumatischen Störungen und Verlagerungen steht.
Bei den von den Markräumen ausgehenden inneren, aber
auch bei den äusseren vom Periost eingeleiteten Resorptions¬
vorgängen handelt es sich um teils mehr minder tief ein¬
greifende, unter atrophischen Verhältnissen aber um flach¬
lakunäre osteoklastische Resorption, teils um Vorgänge vasku¬
lärer Resorption. Grössere Mannigfaltigkeit zeigt sich bei den
Befunden appositioneller Anbildungen. Die hieher zu rech¬
nenden verschiedenartigen, bei A. d. erhobenen Befunde pro¬
gressiver und reaktiver Natur bieten, wie schon erwähnt, eine
befriedigende Erklärung für die bisher so gerne auf regressive
Veränderungen und metaplastische Vorgänge bezogenen Bilder
und erfordern auch nicht die Annahme einer Halisterese. Es muss
mit Pommer betont werden, dass die Anbildung von Knochen¬
gewebe unter allen Umständen kalklos erfolgt und dass das¬
selbe erst nachträglich den Kalk aufnimmt. So sind, wie unter
sonstigen Umständen und bei Rachitis und Osteomalazie, auch
die stellenweise bei A. d. kalklos und unvollständig verkalkt
anzutreffenden Knochensäume und -strecken zu deuten. Auch
für ihre Beurteilung ist der von Pommer seit langem ver¬
tretene Grundsatz massgebend, dass kalklose Knochenanteile
nicht auf Kalkberaubung zu beziehen sind, bevor nicht ihre
etwaigen Eigentümlichkeiten unmöglich machen, sie als kalk¬
los geblieben anzusehen. Für die Annahme einer Kombination
der A. d. mit Osteomalazie bot sich überhaupt in keinem der
bisher untersuchten Fälle Anlass dar. Es lassen sich auch
keineswegs Knochenatrophieveränderungen und deren Folge¬
wirkungen im Sinne Kimuras als Vorbedingungen für die
Entstehung der A. d. ansehen, da die Untersuchungen durchaus
nicht den für diese Annahme anzufordernden Parallelismus
ihrer Befunde ergaben. Wohl aber können immerhin gelegent¬
lich atrophische Veränderungen die Entstehung von Ein¬
knickungen und Frakturen im Bereich der Knorpelknochen¬
grenze und damit die Ausbildung der verschiedenen Verände¬
rungen hochgradiger A. d. -Fälle begünstigen.
Andere regressive Vorgänge als die angeführten, der
lakunären und vaskulären Resorption zugehörigen, können bei
der A. d. im Bereiche der Knochengebiete nicht nachgewiesen
werden.
Die regressiven Veränderungen des Ge¬
lenkknorpels sind diejenigen, welche man in allen Unter¬
suchungsbefunden antrifft, sie sind schon darum als primär auf¬
zufassen, aber auch ihre grosse Verbreitung spricht dafür. Von
besonderer Bedeutung erscheint die von Weichselbaum
bereits betonte Annahme, .dass bestimmte örtliche Knorpelver¬
hältnisse und senile Veränderungen des Gelenkknorpels die
Vorbedingung und den Ausgangspunkt der A. d. -Verände¬
rungen abgeben, wie die Anschauung B e n e k e s, welcher die
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
14%
Knorpeldegeneration und die damit gegebene Störung der
Knorpelelastizität als Urgrund der genannten Veränderungen
bezeichnet. Unter den mannigfaltigen regressiven Knorpel-
veränderungen konnten nirgends Anzeichen von Nekrose kon¬
statiert werden, so dass nach den Befunden Pommers die
Annahme Axhausens abgelehnt werden muss, nach
welcher nekrotische Knorpel- bzw. Knochenveränderungen der
A. d. zugrunde liegen sollen. Diese Ansicht ist ebenso wie die
vaskuläre Theorie Wollenbergs auf Grund der mikro¬
skopischen Befunde P o m mers unhaltbar, da sie für den von
Wollenberg angenommenen Kausalnexus zwischen Ge-
fässsklerose und A. d. durchaus keine Belege liefern; im übri¬
gen ist die Hypothese Wollenbergs auch bereits vor
einiger Zeit von Axha u s e n und in jüngster Zeit von Walk-
hoff, Ewald und Pr e i s e r namentlich in ihrer experimen¬
tellen Begründung widerlegt worden. (Schluss folgt.)
Aus der II. med. Universitätsklinik der Kgl. Charitee in Berlin
(Geh. Rat Prof. Dr. Fr. Kraus).
Untersuchungen über die Funktion der Niere*).
Von Dr. Erich Leschke.
M. H.l Unsere Kenntnisse von dem Mechanismus der
Harnabsonderung in der Niere und die Möglichkeit einer funk¬
tionellen und topischen Nierendiagnostik beruhen vornehmlich
auf dem Studium der Ausscheidung chemisch nachweisbarer
Substanzen durch die Niere. Aber trotz aller hierauf ge¬
richteter Untersuchungen stehen sich auch heute noch ver¬
schiedene Ansichten über den Mechanismus der Nierenfunktion
schroff gegenüber.
Die erste Theorie verdanken wir W. B o w m a n, der in
den üefässknäueln der Glomeruli den Ort der Wasseraus¬
scheidung erblickte, in den Epithelzellen der Harnkanälchen
dagegen das Organ der Salz- und Harnstoffausscheidung.
Dieser im Jahre 1842 ausgesprochenen Ansicht stellte Carl
Ludwig 2 Jahre später eine andere entgegen, nach welcher
die Glomeruli bereits den gesamten Harn mit all seinen Be¬
standteilen als Filtrat der Blutflüssigkeit durch rein physi¬
kalische Kräfte hindurchtreten lassen, während die Harn¬
kanälchen durch Rückresorption von Wasser den Urin ein-
dicken.
Den ersten Versuch einer experimentellen Analyse der
Nierenfunktion auf histochemischem Wege unternahm R.
Heidenhain, der im Jahre 1874 in Gemeinschaft mit
phönizinsauren und harnsauren Salzen untersuchte und fand, |
dass die genannten Substanzen lediglich in den Harnkanälchen
nachweisbar waren, während die Glomeruli nur Wasser ab¬
sonderten. Dieses Ergebnis bedeutete also eine Bestätigung
der B o w m a n sehen Theorie. Heidenhain erkannte
auch, dass die Sekretion der Harnbestandteile keine rein
physikalische Filtration sei, sondern auf einer vitalen Tätig¬
keit der Epithelzellen beruhe.
Die Ergebnisse der Heidenhainschen Versuche blieben
in der Folgezeit jedoch nicht unbestritten; so sahen Pan-
t i n s k y und H e u s c h e n auch gelegentliche Ausscheidung
des indigschwefelsauren Natriums in den Glomerulis, und
v. W i 1 1 i c h fand das gleiche bei der Ausscheidung des Indig-
karmins; während Grützner und Adolf Schmidt die
gegenteiligen Befunde der genannten Autoren auf die Injektion
zu grosser Mengen der Farbstoffe und auf das Vorhandensein
suspendierter ungelöster Farbstoffkörnchen bezogen, die sich
in den Gefässschlingen der Glomeruli festsetzen und eine
Sekretion Vortäuschen.
Eine ganz neue und höchst ingeniöse Methode zur Diffe¬
renzierung der Funktionen von Glomerulis und Tubulis wandte
Moritz Nussbaum in seinen Untersuchungen über die Se¬
kretion der Niere aus dem Jahre 1878 an; indem er versuchte,
am lebenden Tiere aus der sonst intakten Zirkulation die
Glomeruli auszuschalten. Diese werden nämlich bei Fröschen
und Tritonen von der Arteria renalis gespeist, während die
Kapillaren der Harnkanälchen aus dpr Vena portarum renum
*) Vortrag und Demonstration, gehalten auf Einladung des ärzt¬
lichen Vereins in Hamburg am 12. Mai 1914.
stammen. Nach Ausschaltung der Glomeruli durch Unter¬
bindung der Nierenarterie sistierte die Wasserausscheidung,
während Harnstoff und indigschwefelsaures Natrium weiter
sezerniert wurden. Leider erfuhren diese grundlegenden
Feststellungen Nussbaums dadurch eine gewisse Ein¬
schränkung, dass A d a m i Anastomosen zwischen dem
System der Nierenpfortader und der Nierenarterie nachwies.
Gur witsch bestätigte die Angaben Nussbaums, hielt
es aber für wahrscheinlich, dass auch die Glomeruli alle Farb¬
stoffe in einer bestimmten Konzentration ausscheiden. welche
dem Prozentgehalte im Blute gleichkommt. Auch weitere
Untersuchungen von v. Sobieranski, Biberfeld, Bas¬
ler, R i b b e r t, Schlecht, Höher und Königsberg,
A s c h o f f und Suzuki haben die Frage nach der Farbstoff¬
ausscheidung in der Niere nicht eindeutig beantworten können.
Namentlich liegt eine grosse Schwierigkeit darin, dass — wie
Suzuki in seinen überaus gründlichen Untersuchungen
unter A s c h o f f s Leitung gezeigt hat — die Farbstoffe in der
Niere nicht nur ausgeschieden, sondern auch gespeichert
werden, und dass vieles, was man bisher auf Ausscheidung
des Farbstoffes durch die Zellen der Harnkanälchen bezogen
hat, lediglich auf einer Speicherung desselben in diesen Zellen
beruht.
Alle diese Untersuchungen über die Ausscheidung von
körperfremden Substanzen (namentlich von Farb¬
stoffen), haben das Problem der Nierenfunktion nicht zu lösen
vermocht. Selbst wenn wir ihren Ausscheidungsmechanismus
genau kennten, erführen wir damit doch noch nichts über die
Ausscheidung der normalen Harnbestandteile. Darum
habe ich auf einem anderen Wege, mit Hilfe eigener histo-
chemischer Methoden, versucht, die normalen Harn¬
bestandteile, wie das Kochsalz, den Harnstoff,
die Phosphate, die Harnsäure und Purinkörper
in der Niere nachzuweisen.
Der Nachweis des Kochsalzes geschieht durch Einlegen
dünner Schnitte von frisch exstirpierten Nieren von Menschen oder
Tieren in salpetersaure Silbernitratlösung, die nur die Chloride fällt,
die Phosphate dagegen in Lösung hält, und Reduzieren des Silber¬
chloridniederschlages mit einem Hydrochinonentwickler.
Der Harnstoff wird mit einer salpetersauren Lösung von
Quecksilberoxydnitrat gefällt, und der Niederschlag in den Paraffin¬
schnitten durch Schwefelwasserstoffwasser in braunschwarzes Queck¬
silbersulfid verwandelt.
Die Harnsäure und die Purinkörper werden durch
ammoniakalische Silbernitratlösung gefällt, wobei die Chloride und
Phosphate in Lösung bleiben. Die Reduktion geschieht auch hier
nach Auswaschen der Silbernitratlösung durch einen Hydrochinon¬
entwickler.
Die Phosphate lassen sich entweder mit neutraler Silber¬
nitratlösung zusammen mit den Chloriden fällen, oder aber dadurch
isoliert darstellen, dass man die Nierenscheiben in verdünnter Uran¬
nitratlösung einlegt und den weissgelben Niederschlag von Uran¬
phosphat durch Behandeln der Paraffinschnitte mit salzsaurer Lösung
von Ferrozyannatrium in rotbraunes Uraniferrozyannatrium überführt.
Dafür, dass die mit Hilfe dieser histochemischen Methoden
erhaltenen Niederschläge in den Harnkanälchen wirklich die
normalen Harnbestandteile darstellen und nicht auf
einer Imbibition der Zellen mit den Reagentien beruhen, können
folgende Beweise angeführt werden: 1. Die histochemischen
Methoden ermöglichen nur den Nachweis grösserer Mengen
von Salzen und Harnstoff. Organe, welche dieselben
nurindernormalen, ph ysiologischenKonzen-
tration enthalten (Lunge, Milz etc.) geben keine
oder nur eine sehr geringe h i s t o c h e m i s c h e
Reaktion. 2. Durch Auswaschen kann man die Salze
und den Harnstoff aus der Niere und Leber entfernen, ohne die
Vitalität der Zellen zu zerstören. In solchen ausgewaschenen
Organen lässt sich niemals histochemisch etwas nachweisen.
3. Wären die histochemischen Niederschläge unspezifisch, so
müssten sie sich in allen Zellen der betr. Organe finden.
Man sieht sie aber in den Nieren, niemals in den Zellen der
Sammelröhrchen oder Glomeruli, sondern ausschliesslich in
den Tubulis. Auch in anderen Organen tritt dieser Unterschied
klar hervor: so geben z. B. im Magen nur die salz¬
säureausscheidenden Belegzellen eine histo-
chemische Chlorreaktion, nicht aber die Haupt¬
zellen. 4. Die Menge der histochemisch nachweisbaren Harn¬
bestandteile in den Zellen der Harnkanälchen geht ganz
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parallel mit ihrer Konzentration im Urin. Bei
hungernden Tieren mit guter Diurese und stark verdünntem
Urin findet man kaum etwas, bei Injektion von Salzen oder von
Harnstoff eine mit steigender Injektionsmenge parallel stei¬
gende und wieder abklingende histochemische Reaktion in den
Zellen der Harnkanälchen. Auch der Einwand, dass es sich
um eine Resorption oder Speicherung der Salze in den Zellen
handle, lässt sich auf diesem Wege widerlegen. Diese 4 Be¬
weise zeigen, dass die histochemischen Methoden in der Tat
den Nachweis des normalen Harnbestandteiles in den Nieren-
zcllen und die Lokalisation ihrer Ausscheidung ermöglichen.
Ich habe Ihnen eine Reihe histochemischer Präparate der
Ausscheidung von Kochsalz, Harnstoff, Harnsäure, Phosphaten,
Jod, Eisen und Ferrozyan aufgestellt und zeige Ihnen jetzt
Abbildungen hiervon (Demonstration).
Sie sehen auf allen Bildern das gleiche Verhalten: die
Glomeruli enthalten entweder gar nichts von
diesen Salzen, oder so minimale Spuren, wie
sie höchstens der Konzentration einer phy¬
siologischen Salzlösung entsprechen. Die
E p i t h e 1 z e 1 1 e n der Harnkanälchen dagegen
und die Kanälchen selbst sind geradezu voll¬
gepfropft mit den histochemisch sichtbar ge¬
machten Harnbestandteilen. Die Hauptaus¬
scheidung geschieht in den gewundenen Ka¬
nälchen, aber auch die Ueberg angsteile zu
den geraden Kanälchen zeigen noch eine
deutliche Sekretion.
Ferner zeige ich Ihnen auch Bilder von der Ausscheidung
körperfremder Substanzen durch die Niere. Zunächst ein
Bild der Ausscheidung von Jodnatrium, das wir seit
Schlayers grundlegenden Untersuchungen ja als ein
schätzbares Hilfsmittel zur funktionellen topischen Nieren¬
diagnostik verwenden. Auch dieses Salz wird eben¬
so wie die körpereigenen nur durch die Harn¬
kanälchen ausgeschieden.
Das gleiche gilt für das Ferrozyan, das sich mit Ferri-
salzen als Berliner Blau leicht histochemisch nachweisen lässt.
Die Versuche über die Ausscheidung des Ferrozyans, die für
mich den Anlass bildeten, mich mit histochemischen Nieren¬
untersuchungen zu beschäftigen, habe ich bereits vor 2 Jahren
auf Veranlassung von Herrn Prof. Bunge in Bonn als sein
Assistent gemeinschaftlich mit ihm ausgeführt, um damit eine
experimentell gesicherte Grundlage für eine Funktionsprüfung
des tubulären Apparates der Niere mit Ferrozyan zu schaffen.
Ueber die klinischen Ergebnisse dieser Methode zur Nieren¬
funktionsprüfung werden Herr Prof. Bunge, auf Grund seiner
bereits zweijährigen Erfahrung, und ich, demnächst eingehen¬
der berichten. Im Rahmen dieses Vortrages will ich nur auf
die Bunge sehe Methode aufmerksam machen und Ihnen
auch am Beispiel des Ferrozyans wieder zeigen, dass d i e
Ausscheidung selbst enorm grosser Salz¬
mengen in der Niere allein durch die Harn¬
kanälchen erfolgt, während die Glomeruli nur
das Wasser (natürlich nicht als destilliertes
Wasser, sondern in Form einer physiologi¬
schen Salzlösung) aussc beiden.
Interessant sind auch die Befunde der Salzaus¬
scheidung bei kranken Nieren; man sieht hier an
den Stellen, wo die Harnkanälchen schwer geschädigt sind
lind nicht mehr funktionieren, dass die Salze in der die
Kanälchen umgebenden Lymphe liegen
bleiben. Nur an den Stellen, wo die Epithelzellen der Harn¬
kanälchen noch soweit erhalten sind, dass sie ihre Funktion
nicht völlig eingebüsst haben, findet man die Salze auch in
den Zellen selbst. Weitere Untersuchungen namentlich zur
Beantwortung der Frage nach den Partialfunktionen der
Harnkanälchen sind im Gange.
M. H.! Bei unseren heutigen Bestrebungen, die Nieren¬
erkrankungen nicht allein pathogenetisch und anatomisch zu
differenzieren, sondern auch im einzelnen Falle über die
Schwere der vorliegenden F u n k t i o n s beeinträchtigung und
damit über die Prognose ein Urteil zu gewinnen, besitzen die
Ihnen vorgetragenen Untersuchungen neben einem theoretisch¬
physiologischen, auch ein praktisch-klinisches Inter¬
esse. Denn wir werden aus Ergebnissen von Prüfungen der
Partialfunktionen der Niere nur dann richtige und klinisch
brauchbare Schlüsse ziehen können, wenn unsere Anschau¬
ungen über den normalen Mechanismus der Harnabsonderung,
die die notwendige Voraussetzung zu solchen Schlüssen bilden,
experimentell begründete und richtige sind.
Aus der med. Klinik Tübingen und der I. med. Klinik München
(Direktor: Prof. Dr. E. v. Romberg).
Azidose des Blutes bei Urämie.
Von H. Straub, Assistenzarzt der Klinik.
Zusammen mit Schlayer [l] habe ich 1912 die Beob¬
achtung mitgeteilt, dass bei Urämischen mit urämischer
Dyspnoe die Kohlensäurespannung der Alveolarluft, nach der
Methode Haldaues bestimmt, unter die Norm erniedrigt ist.
Entsprechend den Resultaten H a 1 d a n e s hatten wir diese
Veränderung darauf bezogen, dass bei Urämie im Blute saure
Substanzen auftreten, die einen abnormen Reiz für das Atem¬
zentrum bedingen und dadurch zur Herabsetzung der Kohlen¬
säurespannung in den Alveolen und im arteriellen Blute führen.
Bei einigen der damals von uns beobachteten Fälle hatte ich
versucht, diese auf indirektem Wege erschlossene Verände¬
rung des Blutes direkt nachzuweisen durch Bestimmung der
Dissoziationskurve des Blutes, welche die prozentuelle Sätti¬
gung des Blutes mit Sauerstoff bei Aendcrung des Sauerstoff-
partiardruckes anzeigt. Die Dissoziationskurve des Blutes, die
eine leicht S-förmige Linie darstellt (cf. Fig. 1 und 2) wird er-
Fig. 1 Dissoziationskurve des Blutes von
Fall 1 bei Kohlensäurespannung 31 mm.
Ordinate = prozentuelle Sättigung mit
Sauerstoff, Abszisse = Sauerstoffparliar-
druck in mm Hg. x tatsächlich bestimmte
Punkte. Normale (mesektische) Dissozia¬
tionskurven fallen innerhalb der schwarzen
Fläche (nach Barcroft). Die Kurve ist stark
meionektisch.
Fig. 2. Dissoziationskurve des Blutes von
Fall 2. x bei Kohlensäurespannung 27 mm
Hg. (x) bei Kohlensäurespannung 40 mm
Hg. x und (x) tatsächliche Bestimmungen
Erklärung wie Fig. 1.
mittelt, indem man Blut mit Gasmischungen von bekanntem
Sauerstoffgehalt in Berührung bringt und nach Eintritt des
Gleichgewichtes bestimmt, zu wieviel Prozent der maximalen
Sättigung das Blut bei dem bekannten Sauerstoffpartiardruck
der Gasmischung mit Sauerstoff gesättigt ist. Der Sauerstoff-
partiardruck wird als Abszisse, die zugehörige prozentuelle
Sättigung als Ordinate aufgetragen. Die tatsächlich be¬
stimmten Punkte werden durch eine Kurve verbunden. Diese
heisst die Dissoziationskurve des Blutes. Ich hatte Gelegen¬
heit gehabt, die von J. Barcroft erdachte Methode während
meiner Tätigkeit in Cambridge kennen zu lernen. Bei der Aus¬
führung der Untersuchungen hielt ich mich genau an die Vor¬
schriften B a r c r o f t s.
Meine Untersuchungen ergaben ein völlig eindeutiges Re¬
sultat, mussten aber aus äusseren Gründen abgebrochen
werden, ehe eine genügende Anzahl von Fällen untersucht
war. Auch schienen mir einige der theoretischen Voraus¬
setzungen für die Verwendbarkeit der Methode damals noch
nicht genügend gesichert. Diese Voraussetzungen sind in¬
zwischen von Barcroft geklärt worden. Seine Resultate
hat er vor kurzem in Buchform veröffentlicht [2j.
Barcroft konnte nachweisen, dass die Dissoziationskurve des
Blutes für jedes gesunde Individuum einen bestimmten Verlauf hat,
den sie unter den wechselndsten Bedingungen festhält. Die Dissozia¬
tionskurven verschiedener Personen unterscheiden sich voneinander,
fallen aber bei Gesunden innerhalb bestimmter Grenzen, die in Fig. 1
2*
1500
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
und 2 als schwarze Flächen ausgezeichnet sind. Kurven, die innerhalb
dieser schwarzen Flächen verlaufen, werden als mesektisch be¬
zeichnet, weil sie eine normale Affinität zu Sauerstoff anzeigen. Fällt
die Kurve nach links von der schwarzen Fläche, so heisst sie
pleonektisch, fällt sie nach rechts, meionektisch, entsprechend der
erhöhten oder verminderten Affinität zu Sauerstoff. B a r c r o f t
konnte zeigen, dass von allen bisher untersuchten Bedingungen nur
eine die Dissoziationskurve meionektisch macht, nämlich eine Azidose
des Blutes. Unter Azidose des Blutes versteht Bar er oft überein¬
stimmend mit der von mir [3l S. 224 vertretenen Auffassung das
Auftreten abnormer Mengen von nicht flüchtigen Säuren im Blute, die
eine Verdrängung der Kohlensäure bewirken. Die Dissociationskurve
des Blutes ist ein sehr empfindlicher Indikator etwaiger Azidose des
Blutes.
Die von uns [ 1 1 gestellte Frage: „Die Urämie eine Säure-
vergiftung?“, gab Barcroft [4] und seinen früheren Mit¬
arbeitern Foul ton und Ryffel [5] Veranlassung, bei
Urämie die Dissoziationskurve des Blutes auch ihrerseits zu
bestimmen. Die Resultate stimmen vollkommen mit den von
mir erhaltenen überein und rechtfertigen die nachträgliche Mit¬
teilung meiner Untersuchungen, um so mehr, als es von Inter¬
esse sein dürfte, wie sich die Dinge bei den Fällen verhielten,
die den Ausgangspunkt der ganzen Erörterungen bilden.
Die Antwort auf unsere Frage wird durch die überein¬
stimmenden Resultate der beiden unabhängig durchgeführten
Untersuchungsreihen dahin gegeben, dass bei Urämie eine
Veränderung der Dissoziationskurve des
Blutes gefunden wird, wie sie durch Säure¬
zusatz zum Blute erzielt werden kann. So weit
bekannt, kann diese Veränderung auf keine andere
Weise erzielt werden. Harnstoffzusatz zum Blut be¬
dingt keine solche Veränderung. Die Aenderung ist nicht be¬
dingt durch eine Zunahme der Kohlensäure, sondern durch
eine Zunahme anderer Säuren. In diesem Sinne findet
sich bei Urämie eine Azidose (Barcroft [2],
S. 283).
Die Beobachtungen können in Kurvenform aufgezeichnet
werden. Dies ist in Fig. 1 und 2 geschehen. Aber auch
zahlenmässig lässt sich die Veränderung des Blutes aus-
drücken. Der Verlauf der Dissoziationskurve ist nämlich be¬
stimmt durch Hills Formel
wobei y die prozentuelle Sättigung des Blutes mit Sauerstoff
bezeichnet (Ordinate der Kurve), x den Sauerstoffdruck (Ab¬
szisse der Kurve) und n die Aggregation der Hämoglobin¬
moleküle. Praktisch kann n = 2,5 gesetzt werden. Dann be¬
stimmt als einzige Variable die Dissoziationskonstante K den
Verlauf der Dissoziationskurve. Sie definiert den Grad der
prozentuellen Sättigung des Blutes mit Sauerstoff bei jedem
Sauerstoffpartiardruck. Bei mesektischen Kurven, die inner¬
halb der schwarzen Flächen fallen, liegt K zwischen 2,4 X 10-4
und 3,4 X 10 • Niederere Werte von K ergeben meionektische,
höhere pleonektische Kurven.
Und nun die Resultate meiner Untersuchungen:
Fall 1. Schm, (in unserer früheren Veröffentlichung fll als
Fall 2 aufgeführt, siehe dort die klinischen Daten). 14. XII. 1911
Kohlensäurespannung der Alveolarluft 31,7 mm. Hg., Aderlass. Das
aus der Vene entnommene Blut ergab die in Fig. 1 dargestellte
Dissoziationskurve. 5 Punkte der Kurve wurden in Doppelbestim¬
mungen ermittelt, die unter sich gut übereinstimmen und innerhalb
der Fehlergrenzen auf die eingezeichnete Kurve fallen. Die Kurve
wurde bei 31mm CO2 gewonnen. Mit Ausnahme eines Punktes fallen
alle nach rechts von der schwarzen Fläche, die Kurve ist ausge¬
sprochen meionektisch. Die Dissoziationskonstante K berechnet sich
aus den unteren 5 ermittelten Punkten, die zuverlässige Berechnung
ermöglichen, zu 1,6; 1,4; 1,5; 1,4; 1,3 X 10 4 » ist also deutlich
herabgesetzt. Obgleich das Blut unter abnorm niedrigem Kohlen¬
säuredrucke steht (31 mm statt normal mindestens 35) also abnorm
wenig CO2 enthält, verhält es sich abnorm sauer.
F a 1 1 2. H. (Fall 7 der früheren Veröffentlichung). 11. XII. 1911-
Kohlensäurespannung in der Alveolarluft 26,3 mm Hg., Aderlass. Die
Dissoziationskurve gibt Fig. 2. Bei Kohlensäurespannung 27 mm wur¬
den 3 Punkte der Kurve bestimmt. Sie fallen innerhalb der schwarzen
Fläche. Die Kurve ist mesektisch. Die Dissoziationskonstante be¬
rechnet sich für die 3 Punkte zu 3,2; 2,9; 2,9 X 10^4- Die 3 Werte
stimmen gut überein und fallen innerhalb der normalen Grenzen.
Dieses Resultat wird aber erzielt bei der diesem Fall zukommenden
abnorm niedrigen Kohlensäurespannung. Die Kurve ist mesektisch.
weil Kohlensäure durch andere, nicht flüchtige Säuren ersetzt wird.
Wie sich die Kurve bei normaler Kohlensäurespannung, normalem
Kohlensäuregehalt verhalten würde, wurde in diesem Falle speziell
untersucht. Die Kurve in Fig. 2 wurde von demselben Blute bei
einer Kohlensäurespannung von 40 mm Hg gewonnen. Sie ist ausser¬
ordentlich stark meionektisch, K. beträgt 6,3 X 10 5 . ist also sehr
stark herabgesetzt.
Die beiden Fälle stimmen mit denen Barcrofts überein,
bei beiden findet sich beträchtliche Azidose des Blutes in dem
oben definierten Sinne, bei beiden herabgesetzte Kohlensäure¬
spannung in der Alveolarluft. Fall 1 ist meionektisch trotz
des verminderten Kohlensäuregehaltes des Blutes. Fall 2
unterscheidet sich von den bisher bekannten Fällen dadurch,
dass er bei der Kohlensäurespannung der Alveolarluft mesek¬
tisch ist. Bei normaler Kohlensäurespannung würde auch
diesem Blute starke Meionexie zukommen. Der Unterschied
dürfte auf verschiedener Erregbarkeit des Atemzentrums be¬
ruhen. Der Fall erlaubt die Vermutung, dass eine korrekte
elektrometrische Reaktionsbestimmung des Blutes bei der
Kohlensäurespannung der Alveolarluft keine Aenderung der
Wasserstoffionenkonzentration ergeben würde, obgleich
zweifellos Azidose in dem oben definierten Sinne besteht. Der
Fall bestätigt also die von mir ([3] S. 266) geäusserte Ver¬
mutung, dass die Gaskettenmethode nur mit Vorsicht zu
Azidosebestimmungen gebraucht werden kann.
Literatur.
1. H. Straub und Schlayer: M.m.W. 1912 Nr. 11. —
2. J. Barcroft: The respiratory function of the blooU. Cambridge
University Press. 1914. — 3. H. Straub: D. Arch. f. klin. Med.
109 1913. S. 223. — 4. Th. Lewis, J. H. Ryffel, C. G. L. Wolf,
T. Cotton und J. Barcroft: Heart.. 5. 1913. S. 45. — 5. E. P.
Poulton und .1. H. Ryffel: Journ. of Physiol. 46. 1913. S. 47.
Aus dem med.-klin. Institut der Universität München
(Vorstand: Prof. v. Müller).
Ueber Abbau von Kasein durch Blutserum.
(Ein Vorschlag zur Bestimmung des „proteolytisejien Index“.)
Von L. F I a 1 0 w.
Gegenüber den Untersuchungen von H e i 1 n e r und
Petri, welche das Entstehen unspezifischer
'Fermente im Schwangerenserum behaupteten — gegenüber
meinen Untersuchungen, die bewiesen, dass in jedem Serum
derartige unspezifische Fermente vorhanden sind, die bei
Schwangerschaft und Krankheitszuständen unspezifisch ge¬
steigert sein können, — überhaupt gegenüber den Arbeiten
aller Verneiner der „Abwehrfermente“ pflegten Abder¬
halden und seine Anhänger den hypothetischen Ein¬
wand zu erheben: „Wahrscheinlich seien die verwendeten Or¬
gane nicht blutfrei gewesen“.
Obgleich die Publikationen über den Einfluss des Blut¬
gehaltes der Organe auf den Reaktionsausfall zu den kritik-
bediirftigsten Erzeugnissen der einschlägigenLiteratur gehören,
ist dieser „hypothetische“ Einwand trotzdem geeignet, in den
Kreisen jener, die über eigene Erfahrung nicht verfügen, Miss¬
trauen gegen die Technik der verneinenden Untersucher zu
erwecken. — Insbesondere auch deshalb, weil immer wieder
hervorgehoben wird, dass auch die „optische Methode“ unab¬
hängig vom Dialysierverfahren für strenge Spezifität der
„Abwehrfermente“ spräche. — Die Ergebnisse der optischen
Methode sind nun auch Gegenstand strenger, objektiver Kritik
von seiten Kjaergaards geworden. Man wird wohl in
nächster Zeit mehr Stimmen über sie hören; die Verzögerung
kritischer Arbeiten auf diesem Gebiete ist wohl nur dem
Mangel an den geeigneten teuren Polarisationsapparaten in
den meisten Instituten zuzuschreiben.
Um nun die Frage nach dem spezifischen Abbau unab¬
hängig von dem hypothetischen Versuchsfehler des
Blutgehaltes zu gestalten, entschloss ich mich, eine Kasein¬
lösung als Substrat zu wählen.
Kasein ist ein chemisch definierter reiner Eiweisskörper.
Seine Lösung kann nicht bluthaltig sein, sie enthält keine Be¬
standteile ubiquitären Gewebes („Bindegewebsfehler“), sie ist
genau abmessbar und homogen mit dem proteolysierenden Se¬
rum mischbar.
7. Juli 191*4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1501
Die Reaktion führte zu dem folgenden in etwa 20 Fällen
übereinstimmenden Resultat :
Es bauten sowohl die Sera von normalen wie von graviden
Personen Kaseinlösung stark ab, Gravidensera im Durchschnitt
stärker und schon nach kürzerer Dialysedauer. Vielleicht ge¬
lingt es, durch die Wahl einer optimalen Dialysezeit oder
durch Verdünnung von Serum oder Dialysat Bedingungen
zu schaffen, welche eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose der
Schwangerschaft ermöglichen. Eine sichere Diagnose zu
stellen, wird mit Hilfe dieser Methode ebensowenig möglich
sein, wie mit derjenigen Abderhaldens.
Das nämlich hat Kjaergaards Arbeit bewiesen.
Kjaergaard hat, an Stelle des wohlwollenden Herumpro¬
bierens mancher Autoren, mit abgewogenen Plazentamengen,
einheitlichen Serummengen und einheitlicher Dialysezeit ge¬
arbeitet. Er findet bei Untersuchung vieler hundert Fälle von
Graviditäten oder Zuständen, die mit Gravidität verwechselt
werden können, in über 'A aller Fälle Fehldiagnosen, wenn er
die optimale Dialysedauer von 16 Stunden wählte. Bei Aus¬
dehnung der Dialyse auf 22 Stunden fielen alle Reaktionen
positiv aus. Er kommt also, zu der gleichen Schlussfolgerung
wie ich, dass jedes Serum proteolytisches Ferment besitzt
und er ist unabhängig von mir (M.m.W. Nr. 21) zu der gleichen
Anschauung gelangt, dass Variieren von Plazentamenge,
Serummenge oder Dialysezeit nach Belieben des Experi¬
mentators zu positiven oder negativen Resultaten führen kann.
Aus dem von mir beobachteten regelmässigen Abbau von
Kasein durch Serum Normaler und dem meist verstärkten Ab¬
hau durch Gravidenserum ergibt sich erneut die Unspezifität
des Serumfermentes, denn Kasein ist für Männer ein völlig
körperfremdes Organeiweiss, das nach Abderhaldens
Vorstellungen überhaupt von diesen niemals abgebaut werden
dürfte. Der erhöhte Abbau des Kaseins durch Gravidenserum
steht in völliger Parallele zu der Abbausteigerung, die alle
gekochte Organe durch Gravidenserum erfahren (H e i 1 n e r
und Petri, F 1 a t o w).
Im Interesse einer exakten, vergleichbaren Messung der
proteolytischen Wirkung eines Serums halte ich es für er¬
wünscht, mit Hilfe des Kaseinabbaues den neuen Begriff des
„proteolytischen Index“ eines Serums zu normieren. Es
scheint ja die vermehrte proteolytische Wirkung eines
Serums diagnostisch in mancher Hinsicht einen Fingerzeig
geben zu können. Das haben die zahlreichen Untersuchungen
der letzten 2 Jahre gezeigt — wenn auch fälschlich die beob¬
achteten Fermentsteigerungen als spezifisch gedeutet wurden.
Deshalb schlage ich vor, als „proteolytischen Index“ den
prozentuellen Stickstoffzuwachs zu bezeichnen, den gegenüber
der Kontrolle „Serum allein“ nach 15 ständiger Dialyse das
Dialysat von „Serum + Kaseinlösung“ aufweist.
Dabei sei angenommen, dass als Kontrolle 1.5 ccm Serum, als
Hauptversuch 1,5 ccm Serum + 0,2 ccm Kaseinlösung Verwendung
fanden und dass gegen 20 ccm Wasser dialysiert wurde. Die Kasein¬
lösung sei folgendermassen hergestellt: 1,0 g Kasein nach Hammar¬
sten wird mit 3,5 ccm Vio n Natriumbikarbonatlösung zur Quellung
gebracht, dann werden 16,5 ccm Wasser hinzugefügt und es wird
nach Zugabe von Toluol die in Stunden erfolgende Lösung ab¬
gewartet. Unter Toluol aufbewahrt, scheint mir die Lösung lange
Zeit haltbar zu sein. 5 ccm von ihr gaben innerhalb 24 Stunden keine
nachweisbaren Mengen stickstoffhaltiger Substanzen im Dialysever¬
such an die Aussenflüssigkeit ab. Die Verwendung von mehr als
0,2 ccm dieser Lösung bewirkt Schwächung des Reaktionsausfalles,
da in diesem Falle die Kaseinlösung als Verdünnungsflüssigkeit wirkt.
Ebenso ist die konstante Alkalinität selbstverständlich für den Grad
des Abbaus von Bedeutung *).
Mittels der Mikrokjeldahlmethode nach P r e g 1, über
deren Einfachheit und Exaktheit ich stets von neuem erfreut
war, kann der N-Gehalt der Dialysate mühelos ermittelt
werden.
*) Die hier vorgeschlagene Kaseinlösung reagiert noch schwach
sauer. Alkalisiert man sie bis zur neutralen oder schwach alkalischen
Reaktion, so lässt die Intensität der Ninhydrinreaktion im Abbauver¬
such nach. Gleichzeitig werden die Farbtöne schmutzig. — Durch
die Mikrokjeldahlbestimmung kann man sich aber überzeugen, dass
nicht etwa unter diesen Bedingungen die Proteolyse gehemmt wird.
Der Abbau ist nur wenig abhängig von der Ionenkonzentration —
sehr abhängig davon ist die Ninhydrinreaktion bei Gegenwart von
mir wenig Eiweissspaltprodukten.
Vielleicht lässt sich auch die Ruhe m a n n sehe Nin¬
hydrinreaktion quantitativ kolorimetrisch verwenden, wie
E. H e r z f e 1 d dieses bereits inauguriert hat.
Jedenfalls dürfte der zahlenmässig bestimmbare „proteo¬
lytische Index“ theoretisches Interesse beanspruchen, da die
Vermutung nahe liegt, dass er als F e r m e n t titer zu dem
gleichfalls quantitativ bestimmbaren Antiferment titer
eines Serums in Korrelation steht. Diese Vermutung stützt
sich darauf, dass bei Tumoren, Gravidität und sonstigen Zu¬
ständen durch Untersuchungen von Joch m a n n, B r i e g e r,
r r e b i n g, Rosenthäl u. a. bereits eine Erhöhung
der früher gleichfalls für spezifisch gehaltenen Antifermente
festgestellt wurde. Es gründete sich sogar auf diese Tat¬
sache bereits vor Abderhaldens Dialysierverfahren die
„R o s e n t h a 1 sehe Schwangerschaftsdiagnose“. Sie wurde
wenig propagiert und führte ein ephemeres Dasein.
Nur anhangsweise sei in gebührender Kürze noch be¬
richtet, dass ich den Abbau von Plazenta durch Graviden- und
Nichtgravidenserum mittels des Dialysierverfahrens und des
Mikrokjeldahls einer quantitativen Prüfung unterzog; etwas
variiert gegenüber Abderhalden und F o d o r. Dabei fand
ich zwar bei 5 Graviden erheblichen Stickstoffzuwachs im
Dialysate des Verdauungsversuches.
Gravida ca. 8 Wochen
Gravida ca. 10 Wochen
Gravida ca. 10 Wochen
Lues -h Gravida M. VI.
Gravida M. VI.
89.6 Proz.
90,0 Proz.
46,0 Proz.
73,3 Proz.
68.7 Proz.
N-Zuwachs
Aber auch bei allen 5 Nichtgraviden, nämlich bei
Hodensarkom
Iritis tuberculosa
Neurasthenie
einem gesunden Kollegen
einer nichtgraviden Frau
32.5 Proz.
34.6 Proz.
36,0 Proz.
37,0 Proz.
48,0 Proz.
N-Zuwachs
Die Versuchsanordnung war folgende: Es wurde in Doppel¬
gläsern für je 2 Hülsen gearbeitet**). Der Hauptversuch enthielt: Hülse I
0,6 g trocken gepresste Plazenta + 2,5 ccm Serum. Hülse II 2,5 ccm
physiologische Kochsalzlösung. Die Kontrolle, enthielt: Hülse I 0,6 g
Plazenta + 2,5 ccm physiologische Kochsalzlösung. Hülse II 2,5 ccm
Serum. — Dialyse 16 Stunden. — Sulfosalizylsäureprüfung der Dia¬
lysate. Mikrokjeldahl je 10 ccm.
In vollem Umfange kann ich Griesbachs Beobachtung be¬
stätigen. dass ältere Pergamenthülsen (der Firma Schleicher und
S c h ü 1 1) sich nach längerem Gebrauch — bei Vermeidung des Aus¬
kochens — völlig gleichdurchlässig für Pepton erweisen. Eine bei
uns vor kurzem eingetroffene Sendung von Hülsen der Firma
Schöps- Halle a. S. „geprüft nach Prof. Abderhaldens Ver¬
fahren“ erwies sich als recht wenig befriedigend.
Die Hülsen waren schlecht pergamentiert, sahen opak, fast wie
Filterpapier, aus und gleich bei den ersten Versuchen erwiesen sich
einige Exemplare für Eiweiss derart durchlässig, dass die Dialysate
dichte Trübungen mit Suifosalizylsäure ergaben. — Sic wurden nicht
weiter zu Versuchen verwendet.
Zusammenfassung.
1. Kasein wird von jedem Normalserum deutlich, von
Gravidenserum meist verstärkt abgebaut. Damit ist ein
weiterer Beweis für die Unspezifität der Serumfermente
geliefert.
2. Kaseinlösung dürfte zur Bestimmung des „proteo¬
lytischen Index“ eines Serums geeignet sein.
i
Literatur.
H e i 1 n e r und Petri: M m.W. 1913 Nr. 28. — K j a e r g a a r d:
Zschr. f. Immun.Forsch. 22. 1914. H. 1. — Abderhalden und
F o d o r: M.m.W. 1914 Nr 14. — G r i e s b a c h : M.m.W. 1914 Nr. 18.
— E. H e r z f e 1 d : Biochem. Zschr. 59. 1914. — L. F 1 a t o w : M.m.W.
Nr. 9, 11 u. 21. — Rosen thal: Serumdiagnose der Schwanger¬
schaft. Zschr. f. klin. Med. 72.
**) Derartige Additionskontrollen müssen auch bei den „Kom¬
plementierungsversuchen“ (Stephan u. a.) gefordert werden.
Z. B. Kontrolle: Hülse I. Meerschweinchensermn + Substrat.
Hülse II. Patientenserum + Substrat. Hauptversuch: Meerschwein¬
chenserum + Substrat T- Patientenserum. Die bisherigen Kontrollen
sind nicht umfassend.
1502
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
Intradermale und konjunktivale Schwangerschafts-
reaktion.
Von Prof. Dr. D. A. de Jong in Leiden.
Wäre die Mitteilung von Engelhorn und W i n t z über
„eine neue Hautreaktion in der Schwangerschaft“ ') nicht er¬
schienen, so hätte ich vielleicht die von mir in dieser Richtung
angestellten Untersuchungen nicht veröffentlicht, weil die Re¬
sultate zu wenig deutlich waren. Jetzt kann es jedoch von
Nutzen sein, sie zu erwähnen.
Nach den in meinem Laboratorium über die Abd er-
h a 1 d e n sehe Schwangerschaftsdiagnose angestellten Unter¬
suchungen von Dr. J. R o o s *), welche etwa in derselben Zeit
stattfanden, wie die von Dr. J. W. B y 1 e v c 1 d in der geburts¬
hilflichen Klinik von Prof. vanderHoeven ausgeführten * * 3).
hatte ich mir vorgenommen, die Reaktion intrakutan nach
Mantoux und Moussu zu versuchen, eben, weil diese
Methode mir bei früheren Untersuchungen über „die Intra¬
dermoreaktion bei Serumanaphylaxie“4) ziemlich gute Resul¬
tate gegeben hatte.
I )ass also die Abderhalden sehen Eiweissabbaureak¬
tionen und die allergischen Immunitätsreaktionen auch von mir
in enger Beziehung stehend gedacht wurden, ist ohne weiteres
klar. Inwieweit solches richtig ist, steht jetzt nicht zur Be¬
sprechung.
Zur Ausführung der betreffenden Versuche standen einige
trächtige und nichtträchtige Rinder zur Verfügung. Die erste
Frage war jedoch, in welcher Weise das Antigen zu be¬
reiten war.
In den ersten Versuchen fand ein getrocknetes, pulveri¬
siertes, aus fötaler Rinderplazenta bereitetes Antigen An¬
wendung. Von einer frischen Rinderplazenta wurde der fötale
Teil sorgfältig von dem maternalen getrennt, in möglichst
kleine Stückchen geschnitten und auf Glasplatten bei 37° C
unter Luftströmung getrocknet, solange, dass sie sich in einem
Mörser fein zerreiben Hessen.
In derselben Weise wurde ein Pulver aus Rinder¬
muskelgewebe bereitet, welches zur Kontrolle dienen
sollte.
Von beiden Pulvern wurde mit destilliertem Wasser eine
lOproz. Suspension angefertigt, wovon je Vio ccm eingespritzt
wurde. Als Ort der Einspritzung wurde nach Moussu die '
Schwanzfalte gewählt, in der Weise, dass die Plazenta¬
suspension in die rechte, die Muskelsuspension in die linke
Falte gespritzt wurde.
Im ganzen standen 22 Tiere, worunter 10 trächtige und
1 1 nichtträchtige Kühe, sowie ein Ochse, zur Verfügung, welche
ganz genau beobachtet wurden, was Entstehung und Grösse
der event. auftretenden Reaktionen betrifft.
Das Ergebnis war, dass alle konstatierten Anschwellungen
zwischen 3 und 5 Stunden nach der Injektion auftraten und
später schnell verschwanden, so dass in dieser Hinsicht keine
Uebereinstimtnung mit der intrakutanen Tuberkulinreaktion
bestand, während auch die Schwellungen viel geringer waren
und schneller verschwanden als bei der früher von mir be¬
schriebenen intrakutanen Reaktion bei Serumanaphylaxie.
Nimmt man als Massstab für eine event. praktische
Bedeutung der Reaktion an, dass, verglichen mit der Wirkung
der Muskelgewebesuspension, die der Placenta foetalis bei
schwangeren Tieren eine ausgesprochene stärkere Reaktion
hätte zeigen müssen, und eine gleiche bei nichtschwangeren,
so war in unserem Fall das Resultat, dass in 11 Fällen richtiger
und in 1 1 anderen falscher Ausschlag der Reaktion erhalten
wurde, d. h. dass die Reaktion keine praktische
Bedeutung hatte.
Mit denselben Antigenen in gleich starker Suspension,
jedoch vom 5. Dezember ab geschüttelt, wurde am 19. De¬
zember 1913 bei denselben Tieren die Ophthalmoreaktion ver¬
sucht durch Einträufeln der Flüssigkeit in den Konjunktival-
G Ueber eine neue Hautreaktion in der Schwangerschaft.
M.m.W. 1914 Nr. 13.
8) De reactie van Abderhalden, toegepast bij runderen.
Tijdschrift voor Veeartsenijkunde, 15. Dezember 1913.
3) J. W. Byleveld: De zwangerschapsreactie van Abder¬
halden. Probeschrift, Leiden, 1913.
*) Tijdschrift voor Veeartsenijkunde, 15. September 1912.
sack, rechts die Plazentasuspension, links die Muskelsuspen¬
sion. Reaktionen hatten sich in diesem Fall als Rötung und
entzündliche Sekretion der Konjunktiva zu manifestieren.
Deutliche Reaktionen traten aber nicht auf.
Wünscht man jedoch bei der Beurteilung auch auf äusserst
geringe, fast unmerkbare Differenzen in der Rötung der Kon¬
junktiva zu achten, und eine etwas stärkere Rötung rechts als
links als positiven Ausschlag anzunehmen, dann waren bei den
22 Rindern 13 positive und 9 negative Reaktionen zu beob¬
achten. Aber gerade bei den 10 trächtigen Rindern war der
Ausschlag nicht weniger als 8 mal unrichtig. Das heisst
also, dass die Methode keinen Wert hat.
Um in dieser Hinsicht sicher zu sein, wurden andere
Antigene versucht, und nicht Muskelgewebe neben fötaler
Plazenta gewählt, sondern Placenta materna. Nach den Unter¬
suchungen von R o o s 5) verringert sich die Unrichtigkeit im
Ausschlag der Reaktion bei Seris von nichtträchtigen Rindern,
wenn man auf Placenta foetalis und auch auf Placenta materna
einwirken lässt. Diese Sera bauen meistens nicht beide
Plazenta ab, das Serum trächtiger Kühe wohl.
Ueberdies wurden die Plazenten in anderer Weise präpariert.
Frisch genommen wurden sic sorgfältig getrennt und jede für sicli
zerkleinert und mit steriler physiologischer Kochsalzlösung in gleicher
Gewichtsmenge geschüttelt und nachher während einer Woche in den
Eisschrank zum mazerieren gesetzt. Dann wurden sie durch sterile
Gaze filtriert und in dieser Weise am 5. Januar 1914 zur konjunkti-
valen und intrakutanen Reaktion verwendet in der Weise, dass rechte
Schwanzfalte und rechtes Auge Placenta foetalis, linke Falte und
linkes Auge Placenta materna erhielten. Die verwendete Flüssigkeit
war trübe, ohne grössere Stückchen und von frischem Geruch, also
nicht faul. Natürlich bildeten die Zahl der nicht trächtigen Rinder
eine genügende Menge Kontroiltiere. Was die Geburtszeit bzw. die
stattgefundene Geburt betrifft, wurde damit gerechnet, dass nach dem
Versuch vom 19. Dezember jetzt 17 Tage verstrichen waren.
Zuerst darf bemerkt werden, dass, wie die Versuche
zeigten, wenn in der Tat ein spezifischer Abbau stattgefunden
hatte, die Placenta materna mehr angegriffen wurde wie die
fötale. Alle Reaktionen der linken Schwanzfalte waren
stärker als die der rechten.
Weiter zeigte sich, dass auch bei nichtträchtigen Tieren
Schwellungen auftreten können, so dass der Unterschied
zwischen spezifischer und nichtspezifischer Schwellung schwer
zu finden war.
Nimmt man behufs der Beurteilung an, dass trächtige
Rinder beide Antigene abbauen sollen, also beiderseitige
Schwellungen zeigen, dass nichtträchtige Rinder nicht ab¬
bauen sollen, also weder rechts noch links Schwellung zu
zeigen haben, dann sind beiderseitige Schwellungen bei träch¬
tigen Tieren als positiv, bei nichtträchtigen als negativ zu ver¬
zeichnen. Umgekehrt ist dann bei nichtträchtigen Tieren das
beiderseitige Ausbleiben der Schwellungen als positiv, das
beiderseitige Auftreten als negativ zu verzeichnen. Einseitige
Reaktionen sind bei trächtigen sowohl wie bei nichtträchtigen
als zweifelhaft zu betrachten. Aus den erhaltenen Resultaten
war dann zu folgern, dass in 13 Fällen gute, in 7 Fällen
fehlerhafte und in 2 Fällen zweifelhafte Ausschläge erzielt
wurden. Das ist also ein besseres Resultat als bei dem ersten
Versuch, aber bei genauerer Betrachtung zeigte sich, dass die
spätere Methode keine Besserung der Fehlresultate der ersten
bedeutete. Die besseren Resultate erschienen als zufällige,
und von praktischem Wert waren sie keinesfalls.
Dass in dem letzten Versuch auch nicht eine Bestätigung
der in dem zweiten Versuch durch die Konjunktivalreak-
tion erhaltenen Resultate zu sehen war, war ebenfalls klar,
obwohl auch dann 13 mal richtiger Ausschlag erhalten wurde.
Dort waren aber bei 10 trächtigen Rindern 8 unrichtige Aus¬
schläge gefunden worden. Bei dem letzten Versuch war das
Resultat in dieser Hinsicht viel günstiger. Von den 10 träch¬
tigen Tieren hatten 7 positiv, 2 zweifelhaft und 1 negativ
reagiert.
Alle Schwellungen waren nach 7 Stunden in der Abnahme
begriffen.
Bei dem letzten Versuch wurde, wie bereits gesagt, auch
die Konjunktivalreaktion erprobt. Das Resultat war besonders
deutlich insofern, als kein einziges Tier eine Reaktion
gezeigt hat.
!l) Loc. cit.
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIET.
1 504
Im Ranzen ist das Resultat des dritten Versuches wieder
so, dass die Methoden keinen praktischen Wert
h a b c n.
Es ist bekannt, dass die lokalen Immunitätsreaktionen bei
unseren Rrössercn Haustieren, besonders Pferd und Rind, für
einzelne Krankheiten als besonders wertvoll für die Diagnose
zu betrachten sind. Namentlich bei Rotz und bei der Tuber¬
kulose geben die Augen- und die Hautreaktionen öfters sehr
genaue Resultate.
Auch die Intrakutanreaktion nach Moussu und Man¬
toux gibt tatsächlich bei Tuberkulose des Rindes sehr er¬
mutigende Resultate.
Die zwecks der Diagnose der Serumhypersensibilität von
mir an Rindern angestellten Versuche hatten auch (1. c.) einen
ziemlich guten Erfolg gezeigt. Behufs der Schwangerschafts¬
diagnose haben Intrakutan- und Konjunktivalreaktion jedoch
im Stich gelassen, und ich wollte nicht verfehlen, dies zu er¬
wähnen, wenn auch die Mitteilung von Engelhorn und
W i n t z von anderen Resultaten mit der Kutireaktion beim
Menschen Zeugnis ablegt.
Aus dem chemischen Laboratorium der medizinischen Uni¬
versitätsklinik Zürich (Direktor: Prof. Dr. H. Eichhorst).
Ueber eine kolorimetrische Bestimmungsmethode der
mit Triketohydrindenhydrat reagierenden Verbindungen.
Von Dr. E. H e r z f e 1 d.
Im Anschluss an die vom Verfasser (Biochem. Zschr. 1914
B. 59, H. 3 u. 4) empfohlene modifizierte Ninhydrinreaktion
und die daraus ausgearbeitete spektrophotometrische Methode
zur Bestimmung der dialysierbaren, mit Ninhydrin reagieren¬
den Stoffen, versuchte Verfasser dieselbe auch für kolori¬
metrische Bestimmungen brauchbar zu machen. Es ergab sich
bei diesen Versuchen, dass man mit Hilfe eines Kolorimeters
die Menge der abgebauten Stoffe durch Vergleich mit einer,
in geeigneter Weise hergestellten Glykokollösung schnell und
gut bestimmen kann.
Zunächst wurde versucht, ob man durch geeignete Me¬
thoden die Dialysierhülsen ersetzen könnte. Hierbei zeigte
es sich aber, dass man auf diese Weise keine einheitliche Re¬
sultate erhielt und besonders trat auch die proteolytische Wir¬
kung nicht so deutlich auf, wie bei den parallel angesetzten
Hülsenversuchen; vielleicht deshalb, weil die schon vorhan¬
denen Abbauprodukte hemmend wirken. Aus diesem
Grunde scheint das Dialysierverfahren zur
Trennung der Eiweissabbauprodukte vom Eiweiss uner¬
setzlich zu sein.
Um die von der Ungleichmässigkeit der Hülsen stammen¬
den Fehlerquellen zu beseitigen, hat Verfasser folgende quanti¬
tative Methode ausgearbeitet.
Man setzt 10 — 15 solcher Hülsen an, bei denen man sich nach
dem bekannten Verfahren von der Eiweissundurchlässigkeit über¬
zeugt hat. In jede Hülse gibt man 0,5 ccm (0,5 mg) einer 0,1 proz.
Glykokollösung und dialysiert, unter Einhaltung der üblichen Be¬
dingungen 12 — 16 Stunden im Brutschrank. Hierauf wird das ganze
Dialysat in einer Porzellanschale zur Trockne verdampft. Sobald
der Schaleninhalt eingetrocknet ist, digeriert man ihn mit je 10 ccm
90 proz. Alkohol, so lange, bis auch beim Reiben mit einem Glas¬
stabe der Alkohol sich nicht mehr färbt. Man vereinigt die blau¬
violetten, alkoholischen Extrakte, füllt mit Alkohol bis 50 ccm auf und
giesst die Lösung in die eine Küvette des Kolorimeters. Im anderen
üefässe befindet sich die Vergleichslösung von bekanntem Glykokoll-
gehalt. Zur Herstellung dieser Lösung dampft man in einer Por-
zellanschalc auf dem Wasserbade 0,5 ccm (0,5 mg) einer 0,1 proz.
Glykokollösung mit 0,5 ccm 1 proz. Ninhydrinlösung zur Trockne ein,
löst den Rückstand portionweise in 90 proz. Alkohol und füllt bis
50 ccm auf. Diese blauviolette Lösung hält sich (besonders im dunklen
Orte) mehrere Tage lang unverändert. Es empfiehlt sich nach je
8 — 10 Tagen eine frische Lösung herzustellen. Die Nuancen der
erhaltenen Farblösungen waren fast stets gleich, so dass der Ver¬
gleich im Kolorimeter sehr leicht ausführbar war. Sollte man
etwas rötliche Nuancen erhalten, so kann man für beide
Lösungen das Minimum einstellen, d. h. die Schichtdicke so
lange verringern bis noch eben eine Farbe merkbar ist. Wenn .,a"
die Höhe (Schichtdicke) der Vergleichslösung, „b“ die der zu prüfen¬
den Lösung ist, so verhalten sich a : b wie 0,5 mg Glykokoll zu
„X“ mg, vorausgesetzt, dass die zu prüfende Lösung auch bis 50 ccm
aufgefüllt ist.
Bei einer derartigen Prüfung der Hülsen konnten solche
von 25 — 90 Proz. Durchlässigkeit gefunden werden. Als
brauchbar wurden auch diejenigen Hülsen angesehen, welche
zwar nicht sehr gut, aber untereinander gleich durchlässig
waren, da bei derselben Versuchsserie diese Fehler sich auf¬
hoben. Die so geprüften und gruppenweise je nach ihrer
Durchlässigkeit eingeteilten Hülsen erwiesen sich als ziemlich
haltbar und konnten zu zahlreichen Versuchen angewandt
werden. Es soll besonders hervorgehoben werden, dass die
Hülsen niemals gekocht wurden, dagegen nach der Reinigung
einige Stunden gewässert.
Um die abbauende Fähigkeit gewisser Blutsera zu prüfen,
wurde ebenfalls die oben beschriebene kolorimetrische Me¬
thode angewandt. Man setzt in geprüften Hülsen zunächst
0,5 ccm Serum allein, dann 0,1 g Organeiweiss in 1 ccm
Wasser und endlich 0,5 ccm Serum 4- 0,1 g Organeiweiss;
ausserdem ähnliche Proben mit dem Kontrollserum. Auch hier
wird das ganze Dialysat mit 0,5 ccm 1 proz. Ninhydrinlösung
in einer Porzellanschale eingedampft, der Trockenrückstand
portionsweise in 50 ccm 90 proz. Alkohol gelöst und im Kolori¬
meter untersucht. Es ist zweckmässig, sowohl mit
dem Kontrollserum, wie auch mit dem zu prü¬
fenden Serum möglichst mehrere Organe,
event. andere Eiweisskörper anzusetzen.
Nach der geschilderten Methode sind die Versuche in
vollem Gange; über die erhaltenen Resultate wird nach Ab¬
schluss derselben berichtet werden.
Aus der med. Universitätsklinik zu Strassburg i. Eis.
(Direktor: Prof. Wenckebach).
Zur Technik der Indikanprobe nach Jaffe.
Von Dr. M. R h e i n.
Bei der Anstellung der Indikanprobe nach J a f f e stellt die
geringe Haltbarkeit der vorgeschriebenen Chlorkalklösung
einen Uebelstand dar. Natriumhypochlorit und Chlorwasser,
die man an Stelle des Chlorkalks empfohlen hat, sind ebenso
wenig beständig. Dagegen besitzen wir in dem zur An¬
reicherung der Tuberkelbazillen vielfach gebrauchten und in
den meisten Laboratorien vorrätigen Antiformin eine infolge
Alkalizusatzes sehr haltbare Lösung von Natriumhypochlorit.
(Uhlenhuth und Xylander: Arb. a. d. Kais. Ges.A. 32 S. 161.)
Antiformin enthält 7,5 Proz. Natriumhydroxyd und 5,6 Proz.
Natriumhypochlorit. Beim Einträufeln von Antiformin in den
zu gleichen Teilen mit konzentrierter Salzsäure gemischten
Harn wird das Natriumhydroxyd sofort neutralisiert und aus
dem Natriumhypochlorit das Chlor ausgetrieben, so dass die
Reaktion sich genau so gestaltet, wie wenn man Chlorwasser
zugesetzt hätte. Zur Anstellung der Reaktion beginnt man mit
1 Tropfen konz. Antiformin und fügt dieses dann weiterhin tropfen¬
weise bis zum optimalen Ausfall der Reaktion hinzu. Bei Kon-
trollproben mit frisch bereiteter gesättigter Chlorkalklösung
stellte sich heraus, dass meist einige Tropfen Antiformin mehr
nötig waren als Chlorkalkwasser. Mithin ist die Gefahr einer
Ueberoxydierung geringer als bei Anwendung der Chlorkalk¬
lösung. Zur guten Konservierung des Antiformins empfiehlt es
sich, dasselbe in braunen Flaschen mit Stopfen aus Gummi oder
Glas (leicht mit Paraffinöl eingefettet) aufzubewahren.
Die Abstammung der Keratoblasten bei der Regeneration
der Hornhaut. Zugleich eine Erwiderung an Bonnefon
und Lacoste*).
Von Prof. Dr. Salzer in München.
M. H.l Gestatten Sie mir im folgenden nochmals eine
Frage aufzurollen, die ich an anderer Stelle *) schon kurz
berührt habe, nämlich die Entstehung der Keratoblasten bei
der Regeneration der Hornhaut, und Ihnen bei dieser Ge¬
legenheit einen Ueberblick über das gesamte Material ein¬
schliesslich der Originalpräparate zu geben. Insbesondere
liegt mir daran, auf eine Veröffentlichung von Bonnefon
*) Vortrag, gehalten am 5. Mai 1914.
x) Int. Med. Kongr. London 1913.
1504
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
und Lacoste2) einzugehen, die geeignet ist, eines meiner
Resultate für den nicht Eingeweihten als irrtümlich erscheinen
zu lassen, durch Einwendungen, welche sehr leicht zu ent¬
kräften sind und mit den tatsächlichen Befunden im Wider¬
spruch stehen.
Meine Untersuchungen wurden ursprünglich veranlasst
durch Arbeiten über Keratoplastik. Es erschien wünschens¬
wert, über die Natur der Zellen ins klare zu kommen, die einen
Defekt in der Hornhaut ausfüllen, auch wenn kein Lappen an¬
wesend ist. Die beim Kaninchen erhaltenen Resultate sind
bereits in extenso veröffentlicht3). Ich konnte nachweisen,
dass es in der Tat eine echte Regeneration der Hornhaut gibt,
indem eine Trepanlücke von einigen Millimetern Durchmesser
sich mit durchsichtiger Hornhautsubstanz ausfüllt. Natürlich
ist die Durchsichtigkeit keine vollständige, aber in günstigen
Fällen doch so, dass man durch die regenerierte Stelle hin¬
durch die Papille spiegeln kann. Das histologische Resultat
war ein vollständig unerwartetes: Die hornhautbildenden
Zellen, die ich Keratoblasten genannt habe, werden nach¬
weislich nicht von den fixen Hornhautzellen geliefert, wie dies
jetzt fast allgemein angenommen wird. Diese verhalten
sich vielmehr vollständig passiv und gehen in der nächsten
Umgebung der Wunde sogar dauernd zugrunde. Die von
Ran vier4) an Qoldpräparaten geschilderte Bildung von
Fortsätzen an diesen Zellen, die sich in die Wunde hinein er¬
strecken, beruht auf einer irrtümlichen Deutung der mikro¬
skopischen Bilder: man kann diese in ganz ähnlicher Weise
auch an postmortal angelegten, sofort ver¬
goldeten Hornhautschnittflächen nachweisen. Auch das
Endothel der Hornhaut liefert die Keratoblasten nicht; aus ihm
gehen lediglich flächenhafte Wucherungen hervor, welche die
Neubildung der Descemet sehen Membran besorgen. Vom
Blutgefässsystem können die Keratoblasten nicht abgeleitet
werden, da der Prozess in reinen Fällen ohne jede Vaskulari¬
sation verläuft. Auch etwa vom Randschlingennetz ein¬
wandernde, weisse Blutzellen kommen nicht in Betracht, da
sich mit voller Deutlichkeit nachweisen lässt, dass eine solche
Einwanderung nicht stattfindet.
Somit führt schon allein die Ausschliessung aller anderen
Möglichkeiten zu der Auffassung, dass die Keratoblasten
aus dem Epithel hervorgehen. Und in der Tat
sprechen alle diese Bilder direkt zugunsten dieser Auffassung.
Ueberall finden sich die Keratoblasten bei ihrem ersten Auf¬
treten entweder noch im Verbände des Epithels, als spindel¬
förmig gewordene Epithelzellen in der Basaltzellenschicht, oder
sie liegen in unmittelbarer Nachbarschaft der Epithelpolster
und Sprossen, sie scheinen aus dem Epithel herausgewandert zu
sein. Das Verfolgen einer dieser Serien klärt über diesen
Punkt besser auf als eine ausführliche Beschreibung, die gleich¬
wohl an anderer Stelle gegeben werden soll.
Bonnefon und Lacoste (1. c.) haben nun diesen
Feststellungen gegenüber trotzdem die Keratoblasten von den
Blutgefässen ableiten wollen; zwar können auch sie nicht
leugnen, dass bei dem Prozess keine eigentlichen Qefässe
in der Hornhaut gebildet werden. Sie konstatierten aber bei
einem 12 Stunden alten Präparate, bei dem eine oberflächliche
Hornhautwunde bis nahe an den Limbus reichte,
kleinste Hohlräume ohne Wand, die rote Blutkörperchen in
verschiedener Zahl enthielten, ebenso nach 24 Stunden; von
da an sind diese Hohlräume nicht mehr nachzuweisen. Von
diesen „embryonalen Gefässen“ sollen die Keratoblasten ge¬
liefert werden. Diese Auffassung Bonnefons und La¬
costes ist leicht zu widerlegen.
1. Wenn man die Keratoblasten von weissen Blutkörperchen ab¬
leiten will, so braucht man dazu keine Gefässe in der Hornhaut selbst,
denn sie können bekanntlich leicht vom Randschlingennetz einwan¬
dern. Eine solche Einwanderung kann aber nicht unsichtbar ver¬
laufen, und wenn sie nachweislich vollständig fehlt, so ist diese Auf¬
fassung hinfällig.
2. Wenn die Keratoblasten von den Wandzellen der Gefässe ab¬
stammende Fibroblasten wären, so müssten die neugebildeten Gefässe
eben doch eine Wand haben, was B o n n e f o n und Lacoste selbst
ausdrücklich verneinen.
s) Arch. d’Ophth. T. 31, p. 210.
3) Arch. f. Aughlk. 1911 u. 1912.
’) Arch. d’anatom. microscop. 1898, 2.
3. Der Befund einzelner roter Blutkörperchen bei einer bis nahe
an den Limbus reichenden grossen Hornhautwunde ist leicht zu er¬
klären, wenn man bedenkt, dass bei der Operation die Nickhaut ver¬
letzt wurde; ausserdem können rote Blutkörperchen durch Diapedese
vom Randschlingennetz her geliefert werden, wenn die Wunde bis
nahe an den Rand reicht, wie es hier der Fall war.
Im übrigen sei die Tatsache hervorgehoben, dass ihre objektiven
Befunde in allen anderen Punkten mit den meinigen übereinstimmen,
und dass, wie die Autoren ausdrücklich hervorheben, die Bilder sehr
zugunsten der epithelialen Abstammung der Keratoblasten zu sprechen
scheinen. Ihre Untersuchungen beschränken sich aber auf nicht-
perforierende Defekte, bei denen die fraglichen Bilder weit weniger
augenfällig sind, als bei den perforierenden, wie ich dies genau dar¬
gestellt habe. Solange also keine anderen Gegengründe beigebracht
werden können, als der Befund vereinzelter roter Blutkörperchen in
wandungslosen Spalten, muss ich durchaus bei meiner Auffassung, die
vielfach begründet ist, stehen bleiben.
Da nach der jetzt herrschenden Ansicht die Hornhaut ein
mesodermal entstehendes Gewebe ist, würde dieses Resultat
gegen die Spezifität der Keimblätter sprechen. Allerdings
wurde in einer älteren, sehr sorgfältigen Arbeit von Kess¬
ler5) das Hornhautstroma als epitheliale Bildung aufgefasst,
während die fixen Zellen dem Mesoderm entstammen sollen.
Die Frage darf zurzeit wohl noch als offen bezeichnet werden.
Deswegen und weil auch sonst das ganze Problem hohes
biologisches und natürlich auch praktisches Interesse bietet,
wurde die Regeneration der Hornhaut noch einmal ver¬
gleichend anatomisch an Meerschweinchen, Huhn,
Taube, Forelle, Frosch und Triton nachgeprüft. Auch diese
Untersuchungen konnte ich durch das dankenswerte Entgegen¬
kommen des Herrn Prof. R ü c k e r t wieder im anatomischen
Institut in München durchführen. Das Resultat war,
dass in allen prinzipiell wichtigen Punkten
eine vollständige U e b e r e i n s t i m m u n g be¬
steht. (Demonstration einer grossen Anzahl von Zeich¬
nungen, Diapositiven und Originalpräparaten.) Insbesondere
ist nirgends etwas von einer Beteiligung von Gefässen zu
sehen.
Ueberblickt man die zahlreichen Einzelbefunde, so sieht
man bei Meerschweinchen, Huhn und Taube eine weit¬
gehende Uebereinstimmung mit den Befunden beim Kaninchen,
nur dass, namentlich beim Huhn, vieles noch wesentlich deut¬
licher und prägnanter hervortritt, so dass ich für eine etwaige
Nachprüfung besonders das Huhn empfehle.
Bei den Kaltblütern fällt vor allem die ausserordentliche
Verlangsamung des Prozesses auf. Hier übernimmt offenbar
der Epithelzapfen als solcher gemeinsam mit dem Gerinnsel
lange Zeit hindurch den Wundverschluss. Noch nach zwei
Monaten fanden sich beim Salamander Bilder, wie sie bei
Warmblütern scheinbar schon in den ersten Tagen bestehen.
Das gesamte Material, das manche interessante Einzel¬
heiten bietet, wird noch in einer ausführlichen Veröffentlichung
mitgeteilt werden.
Auf eine Anregung von Gustav W o 1 f f hin habe ich ver¬
sucht, der Frage noch auf anderem Wege beizukommen. Es
wurden Defekte an der Hinterfläche der Hornhaut angelegt
und die Heilung derselben beobachtet. Selbstverständlich
kann in diesem Falle die Regeneration nicht in derselben Weise
erfolgen, wie bei oberflächlichen oder perforierenden Wunden.
Ueber das Resultat dieser Versuche, die technisch recht
schwierig sind, kann ich bisher nur mitteilen, dass das Epithel
anscheinend vollständig passiv bleibt, dass aber auch von einer
Ansammlung von Spindelzellen in dem Defekt keine Rede ist.
Das Endothel wuchert über die verletzte Stelle hinüber und
es scheint, dass es allein durch Bildung der bekannten flächen¬
haften Wucherungen die Ausfüllung des Defektes übernimmt.
Ob ausserdem eine wirkliche Neubildung von Hornhautgrund¬
substanz erfolgt, konnte ich bisher auch an Stadien von 6 und
7 Wochen Alter nicht entscheiden. Es ist indessen zu be¬
denken, dass ein Defekt an der Hinterfläche der Hornhaut
keine akute Gefahr für das Auge bedeutet und deswegen noch
mehr, wie bei den oberflächlichen nicht perforierenden Ver¬
letzungen vielleicht der nötige Anreiz für den Organismus fehlt,
neue Grundsubstanz schnell zu bilden. Wenn sich hie und da
in den gequollenen Wundrändern Spindelzellen finden, so ist
5) Untersuchungen über die Entwicklung des Auges. Inaug.-Diss.
Dorpat 1871.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1505
7. Juli 1914.
hier die Möglichkeit nicht auszuschalten, dass sie von der hei
dem Eingriff mit dem Instrument gestreiften Iris abstammen,
oder von der Wundgegend am Limbus her eingewandert sind.
Endlich ist auch sehr wohl möglich, dass, wenn überhaupt hier
neue Grundsubstanz gebildet wird, diese auf einem anderen
Wege entsteht, als bei den gewöhnlichen Verletzungen von
vorne her. Die Frage erfordert eine eigens auf diesen Funkt
gerichtete Untersuchung.
Es bleibt noch ein anderer Weg einzuschlagen: Beob¬
achtung der Wundheilung an einem nach Garrel explan-
tierten Hornhautstück.
Derartige Versuche sind bereits von v. Szily0) ange¬
stellt worden. Er fand in den oberflächlichen Parenchymlagen
im Bereiche der Defektstelle zahlreiche Bindegewebszellen,
deren Protoplasma von typischen eosinophilen Granulis voll¬
gestopft erschien; über die Abstammung dieser Zellen äussert
sich Verfasser nicht.
Busse') zeigte jüngst ebensolche Präparate, in denen
langgestreckte Spindelzellen zu sehen waren, die er von den
fixen Hornhautzellen ableitet.
Da bei diesen Versuchen jede Einwanderung vom Rande
her ausgeschlossen ist, können in der Tat nur die fixen Horn¬
hautzellen oder, nach meinen Resultaten wahrscheinlicher, das
Epithel in Frage kommen. Von diesen beiden Möglichkeiten
muss die eine leicht auszuschliessen sein, wenn man ver¬
gleichsweise ein von Epithel entblösstes Hornhautstück
explantiert.
Ich hoffe, über das Resultat dieser Versuche bald be¬
richten zu können.
Aus der Universitäts-Augenklinik Leipzig (Direktor: Geh. Rat
Prof. Dr. H. Sattle r).
Die Chemotherapie der Pneumokokkenerkrankungen des
Auges, insbesondere des Ulcus serpens durch Optochin-
salbe (Aethylhydrocuprein)* *).
Von Dr. M. Goldschmidt, Assistent der Klinik.
Eine der häufigsten und folgenschwersten Augenerkran¬
kungen, die der praktische Arzt, hauptsächlich auf dem Lande,
zur Behandlung bekommt, ist das Ulcus serpens. Zahlreiche
einseitige oder doppelseitige Sehstörungen sind auf die Folgen
des Ulcus serpens zurückzuführen, und gross ist die. Belastung
der Berufsgenossenschaften durch die dadurch notwendigen
Rentenentschädigungen. Es ist deshalb leicht erklärlich, dass
diesem Augenleiden von jeher von spezialistischer Seite ein
grosses Interesse entgegengebracht wurde, was auch in der
beträchtlichen Anzahl der vorhandenen therapeutischen Mass¬
nahmen zum Ausdruck kommt. Zahlreich sind die Salben und
Streupulver, deren wichtigsten Bestandteil eine allgemein des¬
infizierende Substanz bildet. Sehr alt ist die Kauterisation des
progredienten Randes mittels Glühhitze, neuesten Datums die
von Wessely angegebene Dampfkauterisation. Entsprechend
den Fortschritten der Allgemeinmedizin suchte man sich auch
deren Ergebnisse zur Behandlung des Ulcus serpens zunutze
zu machen. So entstanden die serotherapeutischen Bestre¬
bungen von Deutschmann und Römer.
Wenn man auch den Wert und die Erfolge der bisherigen
Therapie des Ulcus serpens sicherlich nicht in Abrede stellen
darf, so wird man doch, genau wie beispielsweise bei der Be¬
handlung der Spirillosen, auch bei der Behandlung des Ulcus
serpens dahin streben, den Krankheitserreger spezifisch zu
treffen. Mit anderen Worten : Dierationelle Therapie
des Ulcus serpens muss eine Chemotherapie
sein.
Wir besitzen nun in dem Chininderivat Optochinum hydro-
chloricum (Aethylhydrocuprein. hydrochloricum) ein Präparat,
das in ausgezeichneter Weise alle Anforderungen, die man an
ein chemotherapeutisches Mittel stellen kann, erfüllt. Aber
ebenso wie bei der Chemotherapie der Lues durch Salvarsan
die Art der Anwendung von höchster Wichtigkeit für den Er¬
folg ist, ebenso verhält es sich auch bei der Optochintherapie
“) Soc. belg. d’Ophth. 1913.
7) Pathologenkongress München 1914.
*) Vgl. Goldschmidt: Klin. Mbl. f. Aughlk. 1913.
N’r. 27.
des Ulcus serpens. Nur bei strikter Befolgung gewisser Leit¬
sätze, die sich auf Grund der wissenschaftlichen Arbeiten von
Morgenroth und seinen Mitarbeitern sowie eigener experi¬
menteller und klinischer Untersuchungen ergeben haben, kann
das Optochin seine optimalen Wirkungen entfalten.
Die erste dieser Forderungen, von der nie abgesehen
werden darf, ist die bakteriologische Untersuchung des Er¬
regers des betreffenden Ulcus. Zu diesem Zweck genügt es
vollständig, wenn nach vorausgegangener Kokainisierung
(3 Proz.) ein leichter Abstrich vom progredienten Rand des
Ulcus als Ausstrichpräparat nach G r a m gefärbt und unter¬
sucht wird. Nur wenn Pneumokokken nachgewiesen werden
können, darf das Optochin angewandt werden. Stellt es sich
jedoch heraus, dass das Ulcus serpens durch Diplobazillen ver¬
ursacht ist, so muss unbedingt von der Optochintherapie ab¬
gesehen werden, will man nicht irreparable Verschlimme¬
rungen hervorrufen.
Nachdem Pneumokokken festgestellt sind, beginnt die
eigentliche Behandlung. Als Leitsatz gilt hierbei, d i e
Behandlung von Anfang an möglichst inten¬
siv und zeitlich zusammengedrängt zu ge¬
stalten. Diese Forderung muss deshalb erfüllt werden,
weil es sich auf Grund experimenteller Versuche ge¬
zeigt hat, dass bei verschleppter oder ungenügend konzen¬
trierter Behandlung eine Giftfestigkeit der Pneumokokken
gegen das Optochin entsteht, mit anderen Worten, dass die
Pneumokokken dem Optochin gegenüber refraktär werden.
Um das Entstehen dieser Giftfestigkeit zu vermeiden, ist es
daher notwendig, diejenige Konzentration zu wählen, die eben
noch anstandslos vom Auge vertragen wird. Am geeignetsten
erwies sich uns eine 1 proz. Salbe folgender Zusammensetzung:
Rc. Optochin. hydrochlor. 0,1
Atr. sulf. 0,2
Amyl. trit. 2,0
Vas. flav. am. Cheseborough ad 10,0
S. Augensalbe. Nur 4 Tage lang benützbar.1)
Diese Salbe muss pro die 5 — 6 mal in regelmässigen zeit¬
lichen Abständen in den Konjunktivalsack eingestrichen und
unter leichter Hornhautmassage verteilt werden. Sodann wird
ein Heftpflasterverband angelegt, um ein möglichst langes Ver¬
bleiben der Salbe im Bindehautsack zu gewährleisten. Die
erste Applikation der Salbe ist meist ziemlich schmerzhaft,
daher ist es ratsam, zuvor durch 3 proz. Kokain zu anästhe¬
sieren. Da das Optochin selbst anästhesierend wirkt, sind die
späteren Einstreichungen schmerzlos. Die manchmal auf¬
tretende geringe Schwellung der Augapfelbindehaut (Chemo¬
sis) ist ohne Bedeutung.
Eine weitere wichtige Forderung, die sich gleichfalls aus
der unliebsamen Möglichkeit der Entstehung einer Giftfestig¬
keit heraus entwickelt hat, ist die Optochintherapie
nur dann zu beginnen, wenn die 5—6 malige
tägliche Applikation auch wirklich durch¬
geführt werden kann. Daher soll mit der Optochin¬
therapie nie abends angefangen werden. Wir beginnen selbst¬
in schweren Fällen die Therapie nur früh morgens, nie am
Tage der Einlieferung selbst, sondern begnügen uns an diesem
Tage mit der Verabreichung einer 5 proz. Noviform-Atropin-
salbe.
Unter Beobachtung dieser Kautelen wird die Optochin-
behandlung in der angegebenen Weise solange fortgesetzt, bis
das Ulcus total gereinigt ist, wozu gewöhnlich 1—3 Tage er¬
forderlich sind. Nach Aussetzen der spezifischen Behandlung
wird 5 proz. Noviformsalbe mit Atropin täglich 2 mal in den
Konjunktivalsack eingestrichen. Verband bleibt weg.
Bei der so geübten Anwendungsart ändert sich der
Charakter des Ulcus serpens und der damit verbundenen Er¬
scheinungen an der Konjunktiva sehr schnell. Die anfangs
eitrige Sekretion geht rasch zurück, die Schmerzen hören so¬
fort auf (Anästhesie des Kokains und des Optochins), der Pro¬
gressionsrand verliert in sehr kurzer Zeit alle Anzeichen der
Progression: der vorher aufgeworfene gelbe Wall wird flach
und grau, die Ulcusfläche selbst, soweit sie noch nicht gereinigt
*) Die Optochinsalbe verliert nach ca. 4 Tagen ihre Wirksamkeit,
was am augenfälligsten an der Abnahme der anästhesierenden Kom¬
ponente zu erkennen ist.
3
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1506
war, wird spiegelnd. Die totale Reinigung des Ulcus serpens
wird so in ca. 12 — 36 Stunden, je nach dem Stadium, in dem
das Ulcus zur Behandlung kam, erzielt.
Nie haben wir bei der so durchgeführten Behandlung in
sehr zahlreichen Fällen (ca. 100) ein anderes Verhalten be¬
obachten können, wie eine Progression, nie eine Reinfektion.
Anders im klinischen Verlauf verhalten sich die Pneumo-
kokkenulcera, die mit mehr oder weniger tiefen Hornhaut¬
infiltraten kompliziert sind. Es ist ohne weiteres einzusehen,
dass in diesen Fällen, wo die Pneumokokken zu einem grossen
Teil in den tiefen Qewebsschichten der Hornhaut verborgen
liegen, die Wirkung des Optochins keine so rasche sein kann,
wie in den Fällen, wo die Erreger direkt an der Oberfläche
oder dicht darunter sich befinden und unmittelbar mit dem
Optochin in Berührung kommen. Aber auch die Ausbreitung
der tiefen Infiltrate sistiert nach kurzer Zeit unter der Op-
tochinbehandlung. Die Resorption der bereits vorhandenen
infiltrierenden Massen ist dagegen dem chemotherapeutischen
Einfluss nicht zugänglich und muss den biologischen Faktoren
überlassen werden. Hierbei fällt es auf, dass sowohl der Vor¬
gang der Resorption wie auch der Reparation bei der Op-
tochintherapie langsamer zu verlaufen scheint, als bei den
früher bei uns üblichen Behandlungsweisen. Es hängt dies mit
grosser Wahrscheinlichkeit mit einer allgemeinen Chinin¬
wirkung des Optochins, der Verlangsamung enzymatischer
Prozesse, zusammen.
In diesen mit tiefen Infiltraten komplizierten Fällen ist die
Dauer der Optochinbehandlung natürlich eine längere. Auch
wenn der Progressionsrand verschwunden ist, auch wenn
Pneumokokken im Konjunktivalsack nicht mehr nachgewiesen
werden können, darf das Optochin noch nicht ausgesetzt
werden, da sonst eine neuerliche Ausbreitung der tiefen In¬
filtrate eintreten kann. Wir behandeln deshalb so lange, bis
eine leichte beginnende Trübung und Trockenheit und ein
leicht bläulicher Schimmer der Hornhautoberfläche eintritt,
Symptome, die bei der folgenden Noviformsalbenbehandlung
stets spurlos zurückgehen.
Dass es bei Infiltraten, die die ganze Hornhaut durch¬
setzen, oder bei totaler Einschmelzung bis zur Descemet trotz
Anwendung des Optochins zur Perforation kommen kann, be¬
darf keiner weiteren Erläuterung.
Von besonderer Wichtigkeit ist der Umstand, dass Tränen¬
sackerkrankungen, die bei der früher geübten Behandlung so
ungünstig auf den Verlauf des Ulcus serpens einwirkten, bei
der Optochintherapie ohne jeden verschlimmernden Einfluss
sind. Es findet durch das Optochin eine ständige Abtötung der
aus dem Tränensack in den Konjunktivalsack einwandernden
Pneumokokken statt. Ausdrücken des Tränensackes ist wegen
der Ueberschwemmung des Konjunktivalsackes mit Pneumo¬
kokken zu unterlassen.
Auch die übrigen durch Pneumokokken hervorgerufenen
Affektionen werden gemäss der spezifischen chemotherapeuti¬
schen Wirkung des Optochins in günstigem Sinne beeinflusst.
So die akute Dakryozystophlegmone und die Conjunctivitis
catarrh. pneumococc. Wir verwenden dabei ebenfalls die oben
angegebene 1 proz. Salbe, jedoch ohne Atropin. Im allge¬
meinen genügt eine 24 ständige Behandlung bei dreimaliger
Applikation. Nur die chronische Dakryozystitis ergab weniger
günstige Erfolge; wir konnten bisher eine Sterilisierung des
Konjunktivalsackes infolge der anatomischen Verhältnisse des
Tränennasenganges nicht erreichen.
Ein weiteres überaus wichtiges Gebiet für die Anwendung
des Optochins bietet die Prophylaxe des Ulcus serpens.
Bei Pneumokokkenträgern oder bei Vorhandensein einer chro¬
nischen Dakryozystoblennorrhöe und Hinzutreten einer trauma¬
tischen Erosio corneae wird durch 5 — 6 malige Applikation
der 1 proz. Salbe pro die das Entstehen eines Ulcus serpens
mit Sicherheit vermieden.
Auch in der Prophylaxe vor Operationen ist
das Optochin von grosser Bedeutung. Wir behandeln in der
Klinik jeden Pneumokokkenträger vor einer auszuführenden
Operation mit der 1 proz. Optochinsalbe bis zur vollständigen
Sterilisierung des Konjunktivalsackes, wozu in der Regel
12 Stunden mit 3 — 4 maliger Applikation erforderlich sind.
Nr. 27.
Dank dem Optochin beherrschen wir das durch Infiltrat
nicht komplizierte Ulcus serpens mit solcher Sicherheit, dass
auch die ambulante Behandlung möglich ist. Voraus¬
setzung dazu ist, dass sie in striktester Weise durchgeführt
werden kann. Sie ist also nur bei intelligenten und gewissen¬
haften Patienten in dieser Form anwendbar, da allerdings mit
bestem Erfolg. Die mit Infiltraten komplizierten Fälle bleiben
am besten wie bisher der klinischen Behandlung Vorbehalten.
Das Optochinum hydrochloricum stellt somit ein chemo¬
therapeutisches Mittel dar, das in streng spezifischer Weise
den Pneumokokkus, den Erreger des Ulcus serpens und
anderer wichtiger Augenaffektionen abzutöten imstande ist.
Die Spezifität geht so weit, dass man bei Versagen der Thera¬
pie an einen anderen Erreger des Ulcus oder an eine Misch¬
infektion denken muss. Nur in ganz vereinzelten Fällen scheint
eine angeborene Giftfestigkeit des betr. Pneumokokken¬
stammes vorliegen. Ich selbst habe unter ca. 100 Fällen
nur 2 derartige erlebt.
In ihrer Eigenschaft als Chemotherapie besitzt die Opto¬
chintherapie noch einige weitere Vorzüge: Nur die Pneumo¬
kokken werden zerstört, das Gewebe selbst erleidet bei An¬
wendung der angegebenen Konzentration keine bleibende
Schädigung. Es wird daher kein weiterer Defekt gesetzt, als
der zu Beginn der Behandlung bereits vorhandene, die Narbe
wird daher so klein als überhaupt möglich. Da überdies die
Narbenbildung eine zarte ist, bleibt' meist ein relativ guter
Visus erhalten. Endlich ist die Anwendung einfach und die
Kosten der Behandlung gering.
Literatur.
Morgenroth und Halberstädter: Sitzungsber. d. Kgl.
Preuss. Akad. d. Wiss., Math.-phys. Klasse, v. 21. Juli 1910. — Die¬
selben: Ebenda, 12. Jan. 1911. — Dieselben: B.kl.W. 1911. —
Morgenroth und Rieh. Levy: Ebenda 1911, I. u. II. Mitt. —
Morgenroth u. Kaufmann: Zschr. f. Immun. Forsch. 1912. —
Gutmann: Ebenda 1912. — Morgenroth u. Ginsberg:
B.kl.W. 1912. — Wright: Lancet, 14. und 21. Dez. 1912. —
Morgenroth u. Kaufmann: Zschr. f. Immun.Forsch. 1913. —
Morgenroth u. Ginsberg: B.kl.W. 1913. — Ginsberg u.
Kaufmann: Klin. Mbl. f. Aughlk. LI. 1. 1913. S. 804. —
Boehncke: M.m.W. 1913. — Tugendreich u. Russo: Zschr.
f. Immun.Forsch. 1913. — A. Leber: 39. Vers. d. Ophth. Ges. Hei¬
delberg 1913. — M Goldschmidt: Klin Mbl. f. Aughlk. 1913
S. 449. — M. Schur: Klin. Mbl. f. Aughlk. 1913 S. 469 u. ff. —
Morgenroth u. Bumke: D.m.W. 1914 H. 11 S. 538. — Schie¬
mann u. Ishiwara: Zsch. f. Hyg. 77. 1914. H. 1. — E. Kraupa:
Bact. Prophylaxe d. operat. Inf. Kl. Mbl. f. Aughlk. 1914 S. 185 u.
186. — Kuhnt: Niederrh. Ges f. Natur- u. Heilk., Med. Abt., Sitzung
v. 19. 1. 1914. — A. Darier: La clinique opth. 20. 1914. p. 17. —
N a t a n s o n - Charkow: 1. Vers. russ. Augenärzte, zit. n. Klin. Mbl.
f. Aughlk. 1914 S. 553. — S o 1 o w j e f f : Russki Wratsch 1914 Bd. 13;
zit. n. Zbi. f. d. ges. Ophth. S 138.
Aus der dermatologischen Universitätsklinik zu Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Dr. E. J a c o b i).
Ueber die Anwendung kleiner Salvarsandosen bei
sekundären Anämien und Ernährungsstörungen.
Von Dr. Kurt Kall, Assistenzarzt.
Jeder, der Salvarsaninjektionen in grosser Zahl gemacht
hat, wird beobachtet haben, dass in den meisten Fällen der
Ernährungszustand sich während der Behandlung bessert und
die Blutentnahmen meist schwieriger sind als vor der Sal-
varsanbehandlung, da ein festes, kerniges Fettpolster die
Venen nicht mehr so deutlich hervortreten lässt. Hierbei war
es in einer Reihe von Fällen Herrn Prof. J a c o b i aufgefallen,
dass das entnommene venöse Blut öfters eine hellrote, fast
arterielle Färbung hatte, eine Beobachtung, die auch von
anderer Seite gemacht und genauer studiert wurde (Weil und
G u e n o t). Eine Gewichtszunahme, zumal bei reiner Sal-
varsanbehandlung ohne Hg, ist eine fast regelmässige Erschei¬
nung, wie auch eine Hebung des Allgemein- und Wohlbefindens
und eine Besserung des Appetits von Patienten nach Salvarsan
oft spontan angegeben wird.
Wenn man das Salvarsan lediglich als Arsenpräparat be¬
trachtet, so werden die letzteren Erscheinungen nicht über¬
raschen. Das Arsen wurde ja schon immer zur Erzielung eines
guten Fettpolsters benützt und ist seit langer Zeit unser bestes
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Heilmittel bei Bluterkrankungen, zumal bei sekundären An¬
ämien.
Der Einfluss des Arseniks auf das Blut und Knochenmark
ist unter anderen von Bettmann experimentell am Kanin¬
chen erforscht worden. B e 1 1 m a n n fand, dass der Arsenik
die zirkulierenden Blutkörperchen zwar schädigt, aber gleich¬
zeitig einen Reiz auf das Knochenmark ausübt, und so neue
Elemente der Blutbahn zuführt.
Die schon erwähnten Erscheinungen, wie Besserung der
Ernährung und des Allgemeinbefindens, und die Gewichts¬
zunahmen legten es nahe, das Salvarsan auch bei nicht lueti¬
schen Anämien zu versuchen. Besitzen wir doch in dem Sal¬
varsan ein, bei seinem hohen Arsengehalt, wenig toxisches
Präparat, das allen anderen Arsenpräparaten gegenüber nur
eine geringe Neurotropie zeigt. Dabei war selbstverständlich
neben dem Allgemeinbefinden und dem Gewicht auch das Blut¬
bild besonders zu berücksichtigen, worauf wir schon durch die
bereits erwähnte hellere Farbe des Venenblutes aufmerksam
geworden waren.
Die Einwirkung des Salvarsans auf die zelligen Elemente des
Blutes ist von Schwa er geprüft worden. Derselbe fand nur ge¬
ringe Schwankungen in der Blutbildzusammensetzung. Bei verschie¬
densten Anämien versuchte er auch ganz kleine Dosen (0,05 S.),
ohne dass das Blutbild wesentlich beeinflusst wurde.
H o e s s 1 i n behandelte Anämien mit Acid.-arsenic.-Pillen und
zum Vergleich 2 Fälle mit Salvarsan. Er fand eine Zunahme der
roten Blutkörperchen und des Hämoglobins. Ueber bedeutende
Hebung des Hämoglobins und der Zahl der roten Blutkörperchen
bei B a n t i scher Krankheit und perniziöser Anämie berichten
W. Schmidt, Perussia, Vallardi und B r a m w e 1 1.
Weil und Guenot berichten, dass nach Salvarsaninjektionen
bei Lues das venöse Blut häufig ein fast arterielles Aussehen hat,
besonders oft in den ersten Monaten, jedoch noch vereinzelt bis
1 Jahr später. Ob dieses wirklich durch die Hyperglobulie verur¬
sacht ist, wie die beiden Autoren behaupten, erscheint uns zweifel¬
haft. Ausser der Vermehrung der roten Blutkörperchen stellten sie
eine vermehrte Widerstandskraft gegen hypotonische Lösungen
fest und sprechen direkt von einer „renovation sanguine“. Auch
Thevenot und B r i s s a u d fanden bei Lues eine Vermehrung der'
roten Blutkörperchen.
Ich wurde im Herbst 1913 durch Herrn Prof. J a c o b i an¬
geregt, die Wirkung kleiner Salvarsandosen bei sekundären
Anämien, Unterernährung u. dergl. zu erproben. Versuche
bei Lues im Anschluss hieran sind noch im Gange und die
Möglichkeit der Heilung scheint uns nicht ausgeschlossen.
Ausser dem Material unserer Klinik wurde uns durch das
liebenswürdige Entgegenkommen von Herrn Prof, de 1 a
Camp, Direktor der medizinischen Klinik, noch eine Reihe
schwerer und schwerster Tuberkulosen und Anämien zur Be¬
handlung zur Verfügung gestellt, wofür ich an dieser Stelle
meinen besten Dank ausspreche.
Die Blutuntersuchungen wurden in diesen Fällen in der medi¬
zinischen Klinik selbst vorgenommen (Sahli und Thoma-Zeiss-
sche Zählkammer). Wir selbst benützten zur Hämoglobinbestim¬
mung Heiliges Kolorimeter (nach Authenrieth und Königs¬
berger konstruiert), das nach unseren Erfahrungen zuverlässiger
ist und kleinere Fehlerquellen gibt als die sonst üblichen Hämo¬
globinometer. Zur Zählung der roten Blutkörperchen benutzten wir
die Bürkersche Zählkammer, jedoch wurde die Zählung der
Erythrozyten von uns nur in einem Teil der Fälle vorgenommen,
da wir hierin keine grossen Aenderungen erwarteten.
Unser Ziel war, durch ganz kleine Salvarsangaben jede
toxische Arsenwirkung zu vermeiden und nur den blutbilden¬
den Reiz auszuüben, um so bessere Ernährung und Gewichts¬
zunahme, sowie Hebung des Allgemeinbefindens zu erzielen,
und zwar in zuverlässigerer und schonenderer Weise, als dies
bei den sonst üblichen Methoden der Arsenbehandlung, denen
allen grössere oder kleinere Mängel anhaften, der Fall ist.
Durch die intravenöse Zufuhr des Arsens hofften wir eine
rasche Wirkung und sichere Resorption zu erzielen, und
gleichzeitig den Darm zu schonen.
Bei der Zufuhr des Arsens per os in der Form der Solutio
Fowleri und der Arsenwässer sind ja Verdauungsbeschwerden
recht häufig, auch wissen wir nicht, wieviel davon resorbiert
wird. Beim Gebrauch der arsenigen Säure scheint mit der Zeit
die Resorption durch einen Selbstschutz des Epithels immer ge¬
ringer zu werden (Arsenesser). Intravenöse Injektionen von
Atoxyl sind wegen der Gefahr der Neuritis optica wohl ganz
verlassen. Von den subkutanen Injektionen haben die ver¬
1507
schiedenen Kakodylate den Nachteil, einen unerträglichen
Knoblauchgeschmack hervorzurufen, ausserdem ist die Wir¬
kung sehr unsicher und zu schwach. Acid. arsenic., Solut.
Fowleri und die Ziemssensche Lösung verursachen bei
subkutanen Injektionen oft solche Schmerzen, dass die
Patienten diese Behandlung nicht zu Ende führen lassen. Auch
wissen wir bei subkutaner Behandlung, wobei sich Depots
bilden, nicht, wieviel von dem Arsen, und wann dasselbe re¬
sorbiert wird. Es erscheint uns daher die intravenöse Me¬
thode als die sicherste.
Wir gaben anfangs Altsalvarsan und zwar meist nur 0,05
in 10 ccm physiologischer Kochsalzlösung neutralisiert mit der
Rekordspritze in die Armvene, bei Kindern und schwächlichen
Personen die Hälfte. Später der Einfachheit halber Neo-
salvarsan 0,075 l) (= 0,05 S.) in 1 ccm physiologischer Koch¬
salzlösung. Einen Unterschied in der Wirkung zwischen Alt-
und Neosalvarsan sahen wir bei unseren Versuchen nicht.
Statt Kochsalzlösung benutzten wir beim Neosalvarsan auch
gut abgekochtes Leitungswasser, da bei diesen kleinen Flüssig¬
keitsmengen der Wasserfehler keine wesentliche Rolle mehr
spielt. Wo kein einwandfreies Wasser zur Verfügung steht,
empfiehlt es sich, die von Herrn Dr. T a e g e angegebene
Methode 2) zur raschen synthetischen Herstellung einer ge¬
brauchsfertigen, absolut sterilen physiologischen Kochsalz¬
lösung anzuwenden.
Der ganze Apparat unserer Injektionen besteht aus einer
1 ccm-Rekordspritze und einer kleinen Schale zum Lösen des
Neosalvarsans. Beides liegt bei uns dauernd in Alkohol und
braucht daher vor der Injektion nicht erst ausgekocht zu
werden. Die Lösung des Neosalvarsans kann auch in der
Glasampulle der Packung vorgenommen werden. Die Technik
wird daher niemand Schwierigkeiten bereiten, und die Injek¬
tion lässt sich ohne Assistenz, auch von Ungeübten, innerhalb
weniger Minuten ausführen.
Der Patient hält die Stauungsbinde selbst. Durch Aspi¬
ration von Blut in die nicht ganz gefüllte Rekordspritze stellen
wir fest, ob wir auch wirklich in der Vene sind, und nachdem
der Patient selbst die Binde vorsichtig losgelassen, injizieren
wir langsam.
Wir gaben Neosalvarsan meist intravenös; in diesen
kleinen Dosen kann es jedoch ohne besondere Beschwerden
auch subkutan in der Glutäal- oder Subskapulargegend ge¬
geben werden, am besten in Vi ccm physiologischer Koch¬
salzlösung. Wenn es uns dabei gelingt, nach Wechsel¬
mann, auf die Faszie zu injizieren, so sind diese Injektionen
fast völlig schmerzfrei, immerhin aber hat die intravenöse
Methode sich uns am besten bewährt. Die Injektionen wurden
gewöhnlich 2 mal wöchentlich vorgenommen, können aber
auch jeden zweiten Tag wiederholt werden.
Irgendwelche lokale Beschwerden an der Injektionsstelle
oder toxische Erscheinungen, Fieber und sonstige Be¬
schwerden sahen wir selbst bei den schweren Tuberkulose¬
fällen und bei ambulanten Patienten nie. Auch bei einer An¬
zahl von Luesfällen, die wir versuchsweise mit unseren kleinen
Dosen behandelten, wurden Neurorezidive, die ja gerade nach
kleinen Salvarsangaben Vorkommen sollen, nicht beobachtet.
Die Besserung des subjektiven Befindens und des Aussehens
war in manchen Fällen überraschend.
Wir behandelten bis jetzt 55 Fälle mit kleinen Salvarsan¬
dosen. Von diesen entzogen sich 16 vor Beendigung der Be¬
handlung der Weiterbeobachtung meist aus äusseren Gründen
nach Entlassung aus dem Hospital.
In einer Anzahl von sehr schweren Tuberkulosen (6) sahen
wir schrittweise ein Heruntergehen des Hämoglobins und der
roten Blutkörperchen und hatten den Eindruck, als werde dies
durch die Salvarsantherapie beschleunigt. Doch hob sich auch
in diesen Fällen das Körpergewicht oder ging zum mindesten
nicht herunter. Es scheint eben in diesen schweren Fällen von
Tuberkulose das Knochenmark nicht mehr auf den Arsenreiz
zu reagieren und so nur die toxische Wirkung zur Geltung zu
kommen. Wir möchten daher in Fällen von vorgeschrittener
und fieberhafter Lungentuberkulose vor Anwendung des Sal-
J) Packungen von Salvarsan 0,05 und Neosalvarsan 0,075 sind
jetzt im Handel zu haben.
2) M.m.W. 1914 Nr. 24.
3*
1508
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
varsans warnen, da selbst eine Hebung des Gewichts durch
die Verschlechterung des Blutbildes nicht erkauft werden
darf :1). Auch einige Fälle von schwerer Psoriasis behandelten
wir mit kleinen Salvarsandosen ohne lokale Therapie und
sahen ein Zurückgehen und Abblassen der Infiltrate und Ver¬
schwinden der Schuppung bis auf wenige hartnäckige Herde.
Allerdings gelang es uns in einem alten, aussergewöhnlich
schweren Falle selbst durch eine Reihe von 32 Injektionen
(2 mal wöchentlich ä 0,075 Neosalvarsan) nicht, eine völlige
Heilung zu erzielen. In einem Fall von Dermatitis herpeti-
formis sahen wir schon nach 6 Injektionen ä 0,075 Neo¬
salvarsan seit 2 Monaten keine neuen Schübe mehr auftreten.
Derselbe hatte vorher Solut. Fowleri erfolglos genommen und
wegen der Magenbeschwerden aufgeben müssen.
Mit sehr gutem Erfolg behandelten wir 7 Fälle von An¬
ämien mit leichter und mittelschwerer Tuberkulose, 17 Fälle
sekundärer Anämien bei Lupus und anderen Hautkrankheiten
und 9 Luesfälle.
Die Veranlassung, auch bei Tuberkulose mit sekundärer
Anämie kleine Salvarsandosen in grösserem Massstabe zu
versuchen, gab uns der glänzende Erfolg bei
Fall 1. 20 Jahre, Dienstmann, ausgedehnter Lupus, lupöse
Elephantiasis und leichte Spitzentuberkulose, hatte vom 7. IX. bis
25. XI. hier im Krankenhaus ständig und zwar von 54,5 — 51 kg abge¬
nommen. Ab Ende November 18 Injektionen von 0,05 AS. i. v. in
3 — 4 tägigen Pausen. Das Gewicht hob sich seitdem ständig und be¬
trägt seit März bis heute 57 kg. Der Hämoglobingehalt stieg von
62 auf 76 Proz.
Tabelle 1. Leichte und mittelschwere Tuberkulosen mit sekundären
Anämien.
c
z
U
u
Diagnose
Therapie
Hämogl.
Proz.
Rote Blutk.
in Millionen
Gewicht
kg
<
vor
nach
vor
nach
vor
nach
Ui
der Behandlung
2
19
m.
Lnpus u. Spitzen¬
tuberkulose
10 ä 0,05 AS.
85
91
53,5
55,2
3‘)
41
w.
Spitzentuberk.
14 ä 0,025 NS.
G8
05
4,05
4,50
47,5
50,5
4
21
w.
do
14 ä 0,075 NS.
30
4t
3,50
4,47
46
47,5
5
44
w.
do.
12 ä 0,075 NS.
55
65
4,00
5,60
47
47,5
c
23
w.
Chloroanämie mit
leichter Titberk.
14 ä 0,075 NS.
15
34
2,60
3,90
52
57
7
22
m.
Tuberk. Uleus d.
Nase, alte Tuber¬
kulose d. Lungen
12 a 0,15 NS.
60
71
4,51
4,82
54
55,5
Tabelle 2. Sekundäre Anämien bei Lupus und anderen Hautkrank-'
heiten etc.
8
26
w.
Lupus fac.
14 ä 0,075 NS.
84
88
47,5
48,5
D
47
111.
Lup. vulg. u.
14 ä 0,075 NS.
87
87
82
86
elephantiasis
10
9
m.
Lup. vulg.
15 ä 0,02 AS.
79
78
,
29
31,2
11
12
w.
do.
14 ä 0,025 NS.
77
83
36
37,5
12
23
w.
do
14 ä 0,075 NS.
79
80
58,5
69
13
43
w.
do.
12 ä 0,075 NS.
66
73
53,3
54,2
14
65
m
Psoriasis, Furunk.
8 a 0,075 NS
74
80
62,5
65
15
32
m.
Psoriasis
32 ä 0,075 NS.
79
80
66,5
69
16
20
in.
do. •
20 ä 0,075 NS
61,5
64,5
17
17
w.
Arthritis gon.
14 ä 0,075 NS.
79
81
48,5
51,8
18
19
in.
Gonorrh a. et p.
14 ä 0,05 AS.
84
90
62
65
19
81
m.
do.
10 ä 0,05 AS.
76
84
71,5
71,5
20
16
w.
Ekzem
7 ä 0,05 AS.
75
77
56,5
58,5
21
20
m.
do.
6 ä 0,05 AS.
86
90
76
78
22=)
48
in.
Psoriasis
6 ä 0,075 NS.
67
78
65
68,5
23
20
w.
Dermatitis herpet.
8 ä 0,075 NS.
81
93
68,5
71
24
43
w.
Perniziöse Anämie
14 ä 0,075 NS.
20
23
0,90
1,25
46
49,5
•) Hatte auch auf Natr. arsenic. vorher schon gut reagiert.
Hatte hier in der Klinik vorher 1% kg abgenommen.
Bei Fall 24 war allerdings schon einen Monat nach Abschluss
der Behandlung der Hämoglobingehalt auf 16 Proz., die Anzahl der
roten Blutkörperchen auf 0,90 Millionen gefallen, während das Ge¬
wicht sich auf 49,5 kg hielt. Pat. kam 2 Monate später nach einer
Milzexstirpation ad exitum.
Betonen möchten wir noch, dass unsere Lupuspatienten
sämtlich gleichzeitig angreifenden Pyrogalolkuren und der Be¬
handlung mit Diathermie unterzogen wurden. Die Gonor-
rhoiker bekamen gleichzeitig intravenös Arthigon bis zu hohen
Dosen.
Eine ganze Reihe von Patienten war schon erfolglos mit
anderen Arsenpräparaten behandelt worden.
3) Auf dem diesjährigen südwestdeutschen Neurologentag zu
Baden-Baden hat Herr Dr. Erlen m eye r, Assistent der medi¬
zinischen Klinik, wie er uns nachträglich mitteilte, in der
Diskussion diese Tatsache erwähnt. Herr Dr. Erlenmeyer, der
uns 5 dieser ungünstig reagierenden Fälle zur Verfügung gestellt
hatte, kannte die übrigen Ergebnisse unserer Versuche nicht, Es
scheint uns nicht angängig, aus den negativen Resultaten bei diesen
schwerkaehektischen Tuberkulosen verallgemeinernde Schlüsse über
die Arsenwirkung des Salvarsans zu machen.
Tabelle 3. Luesfälle.
U
D
• u
Diagnose
Therapie
Hämogl.
Proz.
Rote Blutk.
in Millionen
Gewicht
kg
<
3 ~
vor
nach
vor
nach
vor
nach
</)
der Behandlung
25
32
in.
Lues lat.
7 ä 0,05 AS
86
86
46
52,5
26
45
w.
Spätlues cerebro¬
spinalis
14 ä 0,075 NS.
GG
72
5,17
4,00
62
57
27
36
in.
Lues III
10 ä 0,3 NS
epifa,c.
74
81
4,22
5,20
85
85
28
32
w.
Lues II
12 ä 0,3 NS
epifasc.
74
80
4,76
4,85
56
59
29
31
m.
do.
9 ä 0,3 NS.
epifasc
86
88
4,94
5,12
68,5
71
30
20
w.
Lues I
14 ä 0,1 NS.
intravenös
52
57
4,76
4,59
50,6
50
31
25
w.
Lues III cong.
9 ä 0,3 NS.
epifasc.
53
57
4,45
4,93
55
59
32
23
w.
Lues II
12 ä 0,075 NS.
74
79
5,57
4,36
59,7
62
33
21
in.
do.
10 ä 0,3 NS.
epifasc.
86
86
6,09
6,35
•
66
Ueber die Heilwirkung unserer kleinen Salvarsandosen bei Lues
werden wir später noch berichten.
Auf Grund unserer Erfahrungen können
wir in allen Fällen von sekundären Anämien
jeder Art und leichten Tu berkulosenSalvars an
resp. Neosalvarsan in kleinen Dosen von 0,05
r e s p. 0,075 als eine einfache und gefahrlose
A r s e n t h e r a p i e zur Hebung des Körperge¬
wichtes, des Blutbildes und des subjektiven
Wohlbefindens auch dem Praktiker warm
empfehlen. Die Gesamtzahl der nötigen In¬
jektionen beträgt 10 — 15; event. ist nach Pause
von einigen Wochen die Kur zu wiederholen.
Auch mit unseren kleinen Dosen führen wir dem Körper
relativ grosse Mengen Arsen zu. Es scheint nun, dass auf
die plötzliche intravenöse Einverleibung solcher Arsenmengen,
besonders in der Form des Salvarsans, der Organismus und
die blutbildenden Zellen besser reagieren als auf innerliche und
subkutane Einführung, wobei die Resorption nicht nur un¬
sicher, sondern auch weit langsamer erfolgt.
Als hauptsächlichen Vorteil der Methode möchten wir
nochmals die leichte Technik — auch von Ungeübten ist die
Injektion in wenigen Minuten ausführbar — hervorheben. Be¬
tonen möchten wir noch besonders das Ausbleiben von Stö¬
rungen der Verdauung, wie wir sie bei längerer interner Dar¬
reichung von Arsenpräparaten sehen oder von Schmerzen
nach subkutaner Injektion, bei zuverlässigster Wirkung unserer
Methode.
Literatur.
1. Bettmann: Ueber den Einfluss des Arseniks auf das Blut
und Knochenmark des Kaninchens. Heidelberg. — 2. R. Bilbault:
De la resistance globulaire dans les etats morbides et chez les mal.
traites par le „606. These de Paris 1913. — 3. Bramwell: 2 Fälle
mit perniziöser Anämie mit Salvarsan behandelt. Brit. med. Journ.
1911. — 4. Guenot: Contribution ä l’etude de l’Arsenobenzol „606“.
These de Paris 1912. — 5. Hoesslin: Ueber den Einfluss des
Arseniks auf den Ellutbefund. Ther. Mh. 1913. — 6. Perussia: Ein
Fall von Anaemia splenica der Erwachsenen mit Salvarsan be¬
handelt. M.m.W. 1912. — 7. W. Schmidt: Ueber B a n t i sehe
Krankheit bei hereditärer Lues und ihre Behandlung mit Salvarsan.
M.m.W. 1912. — 8. Schwaer: Ueber die Einwirkung des Salvarsans
auf die zelligen Elemente des Blutes. M.m.W. 1912. — 9. Thevenot
et Brissaud: Modifications des Globules sanguins apres injection
de 606 Congr. frang. de med. int. Lyon 1911. — 10. Vallar di:
Spleno-anämische Syndrome und Salvarsanbehandlung. M.m.W. 1912.
II. Weil et Guenot: De la renovation sanguine determ. chez
les syph. par le dioxydiamidoarsenobenzol. Presse medicale 1914.
Aus der medizinischen Poliklinik der Universität Tübingen
(Vorstand Prof. Dr. N a e g e 1 i).
Poliklinische Erfahrungen mit Larosan.
Von Friedrich Föhrenbach.
Seit zu Beginn des vergangenen Jahres Stoeltzner [ 1 1
die ersten Mitteilungen über das auf seine Veranlassung von
der Firma Hoffmann-La Roche hergestellte und in den Handel
gebrachte Kasein-Kalzium (Larosan) als Ersatz für die Eiweiss¬
milch gemacht hat, sind schon von den verschiedensten Seiten
Publikationen über Larosan erschienen, die sich auf Grund
eines zum Teil ziemlich umfangreichen Materials, fast durch¬
weg für die gute Verwendbarkeit des Larosans bei der Be¬
handlung ernährungsgestörter Säuglinge und junger Kinder
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1 509
aussprechen. Ich erwähne hier nur die Arbeiten von
Forcart [2], von W e h n e r [3], von B e r 1 1 i c h [4] aus der
S t o e 1 1 z n e r sehen Klinik selbst, die jüngsten Veröffent¬
lichungen Wegners [5], die Beobachtungen Cursch-
in a n n s [6] in Mainz. Im Ausland haben sich in Russland
Ostrowstzy [7] und Stawsky [8], in Italien
G u i d e [9] mit der Erprobung des Larosans beschäftigt.
Unsere Erfahrungen mit Larosan in der poliklinischen
Klientel in Tübingen stehen zwar an Zahl der behandelten
Fälle zum Teil erheblich hinter anderen Veröffentlichungen zu¬
rück, aber sie scheinen mir doch nicht eines gewissen Inter¬
esses zu entbehren, weil es mir bei meiner Versuchsanordnung
in erster Linie darauf ankam, zu erproben, ob und inwieweit
die Larosanmilchernährung geeignet ist, in der ganz allge¬
meinen Praxis Verwendung zu finden, und ob ihre Einführung
auch bei Kindern der sozial und hygienisch am schlechtesten
gestellten Bevölkerungsschichten — in denen sonst bekannter-
massen eine auch nur einigermassen komplizierte Therapie dem
Arzt die grössten Schwierigkeiten bereitet — mit Vorteil mög¬
lich ist.
Ich kann vorausgreifend hier schon sagen, dass in allen
von mir beobachteten Fällen es den meist in sehr ärmlichen
Verhältnissen lebenden Müttern, die zudem oft einen grossen
Teil des Tages von zu Hause abwesend waren, gelang, die
für ihre Kinder bestimmte Larosanmilch nach einmaliger An¬
weisung so einwandfrei herzustellen, dass ein therapeutischer
Erfolg erzielt werden konnte. Wegen der Einfachheit in der
Zubereitung und wegen des so schnell bemerkbar werdenden
Erfolges wurde das Larosan allenthalben von den Müttern
gern und daher auch mit einer gewissen Sorgfalt und, wo es
nötig erschien, auch mit Ausdauer gegeben, alles Umstände,
die den Erfolg wesentlich förderten.
In der Art der Zubereitung hielten wir uns im wesent¬
lichen an die von Stoeltzner gegebene und jeder Larosati-
packung beigefügten Vorschriften. Ich habe allerdings die Er¬
fahrung gemacht, dass es zweckmässig ist, einmal die zum
Anrühren bestimmte Milch dem Larsosan langsam unter
ständigem Rühren zuzuführen und dass man zweitens nicht
länger wie 2 — 3 Minuten kochen soll; seiht man nun durch,
so bleibt so gut wie kein Rückstand im Sieb zurück. Die so
zubereitete Larosanmilch wurde von allen damit ernährten
Kindern anstandslos und gern genommen; Erbrechen trat nie
ein, im Gegenteil, wo dasselbe vorher bestanden hatte, hörte
es jetzt völlig auf.
Meine Versuchsanordnung war im allgemeinen folgende:
Die Frauen, die ihre erkrankten Kinder in unsere poli¬
klinische Sprechstunde brachten, wurden dort, nach Unter¬
suchung der Kinder, beraten und erhielten das Larosanpräparat
nebst mündlicher oder schriftlicher Anweisung und Er¬
nährungsvorschrift mit nach Hause. Im Laufe der Behandlung
wurden die Kinder dann von mir gewöhnlich 2 — 3 mal
wöchentlich besucht, dabei wurden eventuell erforderlich ge¬
wordene Vorschriften oder Abänderungen in der Ernährung
gegeben und die notwendigen Aufzeichnungen über das Be¬
finden der Kinder insbesondere über Art und Anzahl der
Stühle gemacht; die Gewichtskontrolle erfolgte wöchentlich
einmal auf der Kinderwage der Poliklinik; eine tägliche Wä¬
gung war leider nicht durchführbar.
Auch nach dem Aufhören der Larosantherapie behielt ich
die Kinder nach Möglichkeit noch länger im Auge, um mich
von der Dauerhaftigkeit des erzielten Erfolges überzeugen zu
können. Die Auwahl der Kinder, die wir für den Versuch der
Larosanmilchbehandlung für geeignet erachteten, traf sowohl
solche mit schon länger bestehender Dekomposition, mit
Milchnährschaden, exsudative dyspeptische Kinder sowie auch
Kinder mit akuten Dyspepsien.
Ueber die Art der Behandlung und die dabei erzielten Re¬
sultate, werden die im Folgenden in Kürze wiedergegebenen
Krankengeschichten den besten Aufschluss geben.
Fallt Bertha B., Buchbinderskind, geh. 30. VII. 13, 8 Tage
gestillt, dann „ging es nicht mehr“ Ernährung mit 14 Milch, 'A Reis-
inehlsuppe, alle 2 Stunden und häufiger; nachts 2 — 3 mal. Durchfälle
10—12 am Tag seit Geburt; viel Erbrechen. Poliklinische Behand¬
lung seit 30. XI. 13.
Status: Aeusserst reduzierter Ernährungszustand, schlaffe
Muskulatur, meteoristisches Abdomen; Kopfgrind, Intertrigo am Ge-
säss, Gewicht 3640 g.
Ordination: Larosanmilch + Reisschleim aä; mit 8 Mahl¬
zeiten am Tage beginnend in Gesamtmenge von ca. 800 g; nachts ein¬
mal Thee mit Saccharin.
31. X. 5 dünne Windeln.
1. — 3. XI. Je 3 dünne Windeln.
Ab 4. XI. täglich 3 — 2 gute, gelbe, glatte Windeln, Gewicht am
6. XI. 3750 g, am 13. XI. 3900 g .
Ab 13. XI. anstatt Reisschleim Kufekemehlabkochung; Stühle
bleiben gut, Gewicht am 20. XI. 4050 g.
Ab 23. XI. Yi Larosanmilch + 14 Kufeke, 1000 g pro die; Win¬
deln bleiben gut.
27. XI. Gewicht 4150 g .
3 XII. 6 dünne verspritzte Windeln. O r d. Larosan + Reis¬
schleim ää; 800 g pro die.
Stühle rasch wieder besser, ab 10. XII. wieder Kufeke. Gewicht
am 4. XII. 4220 g, am 18. XII. 4440 g.
Ab 23. XII. Larosan weg. Stühle bleiben gut. 30. XII. Gewicht
5000 g.
Geweht
Ernährung
5tuh!
- dunnerbtuh!
fester ge -
formteri/uN
Fig. 1. Fall 1. Bertha B.
In dem vorliegenden Falle ist bemerkenswert, dass hier die
hohe Zahl der täglichen durchfälligen Entleerungen sofort mit
Beginn der Larosanmilchernährung herabgesetzt wird, und
dass vom 4. Tage an die Durchfälle selbst salbenartigen und
späterhin geformten guten Stühlen Platz machen; ebenso be¬
merkenswert ist, dass das stets vorher aufgetretene Erbrechen
mit dem Beginn der Larosanernährung sogleich völlig sistiert.
Die neue Nahrung wird also von dem zweifelos sehr ge¬
schwächten Darm gut vertragen, die Gärungsvorgänge hören
sofort auf und das Kind ist imstande, schon nach 14 Tagen
den Uebergang zur kohlehydratreichen Nahrung ohne Rück¬
schlag zu ertragen. — Als auf eine zu plötzliche Reduktion
der Larosanmilch von 5:5 Kufeke auf 3:5 Kufeke mit wieder
dünneren Stühlen reagiert wird, werden diese durch die Stei¬
gerung des Larosanmilchgehaltes in der Nahrung sofort wieder
zu normalen Stühlen zurückgeführt. Auch eine zweifellos durch
Zufüttern von seiten der Mutter verursachte akute Dyspepsie
wird dadurch, dass an Stelle der kohlehydratreichen Ver¬
dünnungsflüssigkeit eine kohlehydratärmere eingelegt wird, so¬
fort zum Stillstand gebracht. — Die Gewichtskurve ist mit
Beginn der Larosanmilchernährung, ohne vorübergehendes
Sinken, sofort angestiegen und geht während der ganzen
Dauer des Versuches aufwärts; in der Nachperiode macht das
Kind bei gewöhnlicher Milchernährung, im Gegensatz zu der
Zeit von der Larosanernährung regelmässige gute Fort¬
schritte.
Fall 2. Erich T., Bauernkind, geb. 6. V. 13. Die ersten 14 Tage
Ueberernährung mit Muttermilch — dann Muttermilch nur noch
nachts, tagsüber 2 stündlich Kuhmilch, daneben 3 mal Mehlbrei. Seit
Anfang Juli viel Erbrechen, täglich 5 — 6 dünne Windeln.
Status: Schwer dekomponiertes Kind. Gewicht 3610g. Poli¬
klinische Behandlung seit 15 Juli.
Ord.: 15. VII. 3 mal 0,003 Kalomel, Theediät; ab 6 Uhr abends
zweistündlich Ammenmilch in kleinsten Dosen.
16. VII. Zweistündlich 3 Strich Larosanmilch mit % Liter
Wasser, mit dünnem Schleim auf 14 Liter aufgefüllt. Kind ruhiger,
3 Windeln, nicht mehr grün, gelb mit grossem Wasserhof.
17. bis 22. VII. 3 mal täglich Ammenmilch, sonst dreistündlich
3 Strich Larosanmilch (10:500). Täglich 1 Windel, salbenartig gelb;
in den letzten Tagen Bronchitis. — 22. VII. Gewicht 3550 g.
1510
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
23. bis 29. VII. Steigerung der Larosanmahlzeit von jeweils
1 aUl4b 4trVHI ^ bis^. IX.gkcine Ammenmilch mehr ; 3 stündlich 100 g
Larosanmilch Täglich 1-2 grauweissliche feste Stuhle. Gewicht am
8 VIII 3900 g, am 22. VIII. 4120 g, am 6. IX. 4440 g.
Ab 22. IX. Larosan weg. Stühlen bleiben weiter, aiich beim
Uebergang zur gemischten Kost, gut. Kind hat am - • •
Gewicht von 6990 g, macht guten, kräftigen, gesunden Eindruck.
In diesem Fall von schwerer Dekomposition wollten wir
nicht darauf verzichten, den Darm zunächst moschst sehnen
zu entleeren und der Ernährungstherapie eine halbtägige Thee-
diät vorangehen zu lassen. Da uns Frauen- (Amme -)
zur Verfügung stand, so gaben wir das Larosan zunächst
8 Tage lang ohne Kuhmilchverdünnung. Der Erfolg war auch
hier wieder der, dass nach Beginn der Larosanmilchernahrung
die durchfälligen Stühle am 3. Tage aufhorten und das Er¬
brechen sofort sistierte. Das Umsetzen von Frauenmilch auf
Kuhmilch erfolgt ohne jede Störung von seiten des Darm¬
kanals. Dass hier in der ersten Zeit keine Gewichtszunahme,
sondern zunächst ein wenn auch nicht sehr bedeutender G -
Wichtsrückgang eintrat, ist wohl mit der zu Beginn des _Ve -
suchs aufgetretenen Bronchitis erklärt. Wie günstig di
Toleranz des Darmes durch die Larosanernährung beeinflusst
war zeigt die nach Beendigung des Larosanversuches stetig
ansteigende üewichtskurve, die auch dann noch anhalt, als das
Kind eine für ein so schwer dekomponiert gewesenes Kind
sicher nicht zweckmässige Nahrung erhält.
Fall 3. Johannes K., Taglöhnerskind, geb. 11. VII. 13. 8 Tage
gestillt, dann Ueberernährung durch Vollmilch, Mehlsuppen. Täglich
6 — 8 dünne Windeln, viel Erbrechen. , XT , ,
Status: Sehr abgemagertes, dekompomertes Kind. Nebenbe¬
fund Bronchitis, Gewicht 4240 g.
Ord • Kalomel und Theediät. . ... ,
17. XL Larosan 20 g: 250 Wasser mit 250 Schleim verdünnt,
2 Windeln, fast gelbgrau.
18 XI 20 g Larosan, % Liter Wasser mit 134 Proz. Hafer¬
schleim auf % Liter aufgefüllt; 3 stündlich 80 g. 2 feste, geformte
bUlhlie9 XI Zusatz von Milch anstatt Wassers zu 20 g Larosan; sonst
wie am 18. XI. 1 fester geformter Stuhl Schleim
30. XI. 20 g Larosan + 14 Liter Lilch + 34 Liter bchleim.
(3 stündl. 100 g.) Stuhl in der letzten Zeit einmal täglich, fest, ge-
f0rmt{. xil. Gewicht 4380 g. Ernährung bleibt weiter so.
16. XII. Gewicht 4470 g.
29. XIL Gewicht 4610 g. , *-
15 I 14 Gewicht 4700 g. Von heute ab Larosan weg. Er¬
nährung mit -U Milch 34 Haferschleim, 3 stündlich 120 g. Stuhle gelb,
nicht mehr so fest wie in der letzten Zeit. ,
Kind lebhaft, Abdomen nicht mehr hart; Aussehen sehr ge¬
bessert.
Im vorliegenden Fall, in dem eine entschiedene Kohle-
hvdratiiberfütterung bei gleichzeitiger ausgiebiger Milchdar-
reichung die Ernährungsstörung herbeigeführt hatte, bringt
das 2 Tage lang gegebene Larosan ohne Milch nur in Schleim¬
verdünnung die Durchfälle sofort zum Stehen und gestattet
vom 3. Tage ab die Milchzulage ohne Rückschlag; gleichzeitig
findet, trotz einer begleitenden Bronchitis von Anfang an ein
Ansteigen der Gewichtskurve statt.
Es folgen die Krankengeschichten zweier etwas älterer,
ausgesprochen exsudativer Kinder mit dyspeptischen Er¬
scheinungen.
Fall 4. Eugen B., Dreherskind, geb. 25. XII. 12. 6 Wochen
gestillt, dann Ernährung mit Milch und Haferschleim, in den letzten
4 Wochen täglich Erbrechen und 6 — 7 dünne Stuhle. ,
Poliklinische Behandlung seit 25. X. Kleines schwaches Kind,
Kopfgrind, Lingua geographica Gewicht 6360 g. . ,
Ord.: Larosanmilch mit Kufekeabkochung jeweils (80.80) drei-
StUndDieh' ersten 3 Tage noch 3 gehakte Windeln, kein Erbrechen
mehr. Vom 4. Tag an täglich 2 glatte Windeln.
Gewicht am 29. X. 6400 g. ,. ,
Dieselbe Ernährung bis 26. XL (Gesamtmenge 1000 g pro die)
Ab 27. XL 2,5—5 Proz. S o x h 1 e t s Nährzucker.
Stühle bleiben sut. . ^ ytt er
Gewicht am 12. XI. 6400 g, am 29. XI. 6310 g, am 2. XII 6320 g
(vom 21. bis 29. XL ausgedehnte Bronchitis), am 11. XII. 64/0 g.
Ab 14 XII. Larosan weg; 2/s Milch, 34 Kufeke, Breie, Gemüse.
Gewicht am 19. XIL 6500 g, am 24. XIL 6570 g. Gutes Allgemein¬
befinden.
Fall 5. Ernst F., geb. 25. I. 13, Kellnerinnenkind. 8 Tage ge¬
stillt; dann Ernährung mit Milch, Brei mit Zuckerzusatz und Kamillen-
t,iee’ln der letzten Zeit bedeutende Gewichtsabnahme, viel Erbrechen,
Stühle grün, dünn und schleimig, 5—7 am Tage. Poliklinische Be¬
handlung ab 30. X. 13. _ ... ,ir.n
Status: Im Ganzen gut gepflegtes Kind. Gewicht 6100 g.
Auf Larosanmilch und Kufeke stehen die Durchfälle am 3. Tage.
Gewichtsanstieg am 6. XI. auf 6350 g. In der Folgezeit treten bei
der Larosannahrung keine Durchfälle, kein Erbrechen mehr au ,
trotzdem das Kind am 15. XL an Bronchitis mit Temperaturen bis
39 6 erkrankt. Gewicht am 20. XL 6300 g. Verlegung m die medi¬
zinische Klinik, dort ohne Schädigung auf Milch und Beikost um-
gesetzt. Am 31. XII. Exitus un Pneumonie.
In den beiden letzten Fällen 4 und 5 erscheint die gute
Wirkung des Larosans besonders bezüglich des Anstieges der
Gewichtskurven weniger auffällig. Es ist aber dabei in Be¬
tracht zu ziehen, dass es sich hier um ausgesprochene exsu¬
dative Kinder handelte, bei denen die Neigung zu immer wieder
auftretenden Affektionen der Respirationsorgane und wohl
auch der Darmschleimhaut ein ununterbrochenes Gedeihen
hindert. Jedenfalls sehen wir aber auch hier, dass Larosan
die bestehenden und auftretenden Durchfälle schnell zum
Schwinden bringt und dass es unzweifelhaft die Toleranz für
Kuhmilch und Kohlehydrate erhöht.
F a 1 1 6. Pauline K., geb. 22. II. 12, Weingärtnerskind. 4 Monate
gestillt; mit 5 Monaten Masern; seitdem krank und nicht mehr weiter
gediehen, steht noch auf der Stufe eines 5 monatlichen Kindes; statische
Funktionen und Sprache fehlen noch vollständig, leidet an immer
wieder auftretenden Bronchitiden und Bronchopneumonien Seit Mo¬
naten Gewichtsstillstand; Gewicht 5250 g. Stühle meist dyspeptisch,
dünnflüssig, grün, 5 — 6 am Jage. „ , ,, F
Kind steht schon seit 5. XIL 12 in poliklinischer Behandlung, Er¬
nährung mit Milch und Kufeke, mit Keil er scher Malzsuppe und
vorübergehend mit Eiweissmilch.
Seit 11. VI. 13 Larosan; 34 Haferschleim, ,4 Larosanmilch, 800 g
pro die in 5 Mahlzeiten; Gewicht am 11 VI. 5250 g; ab 12. VII. Zu¬
lage von 3 Proz. Soxhlets Nährzucker; Stuhle werden mit Larosan-
beginn zum erstenmal salbenartig, dann geformt; Kind selbst
munterer. Die Stühle bleiben bei dem Kind bis zu seinem am 5. XL
an Pertussis erfolgten Exitus, fest, glatt; als wahrend dieser Zeit
2 mal aus äusseren Gründen die Larosanernahrung ausgesetzt werden
musste, nahm jedesmal bald die Zahl der Stühle wieder zu, Durch¬
fälle traten auf, die aber mit Beginn der Larosanernahrung sogleich
wieder standen. x
In diesem Fall, bei dem es sich um ein in jeder Hinsicht
schwer reduziertes Kind handelte, war sicher die Ernährung
mit Larosan neben der mit Eiweissmilch, die aber aus tech¬
nischen Gründen nicht durchgeführt werden konnte, die ein¬
zige, die als Heil- und zugleich Dauernahrung das Kind
einigermassen vorwärts brachte.
Das zweimal unfreiwillig angestellte Experiment der
Unterbrechung in der Larosanernährung zeigt jedesmal mit
Sicherheit, dass hier in diesem so schwer geschädigten Or¬
ganismus die Toleranz für eine Kuhmilch- und Kohlehydrat¬
ernährung nicht lange über die Kaseinkalziumdarreichung hin¬
aus anhält.
Fall 7 Eugen R., geb 18. VII. 13, Schutzmannskind Bis vor
14 Tagen Mutterbrust 2 stündlich; dann nur noch 2 mal täglich, sonst
Kuhmilch und Kufeke. Von Anfang an schlecht gediehen, viel Durch¬
fälle.
7. Juli 1914
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1511
Status: Sehr kleines, welkes Kind, aufgetriebenes Abdomen; Ge¬
wicht 4220 g.
Poliklinische Behandlung ab 17. XI. 13. Morgens und abends
Mutterbrust, 3 mal am Tage Larosan + Kufeke aä.
Durchfälle stehen
*wi//*5* sofort, täglich 1 guter
soiotr. Stuhl, der vom 3. Tage
an sehr fest wird. —
Zusatz von allmählich stei¬
gernd 1,5 — 7 Proz. Milch¬
zucker erzielt eine gute
glatte Windel pro die.
Gewicht am 24. XI. 4400 g,
am 1. XII. 4450 g, am 13. XII.
4720 g.
Seit 4. XII. Larosan weg;
sehr gute weitere Fort¬
schritte.
Es hat sich hier fast
sofort mit Beginn der
Larosanernährung eine
unerwünscht feste Kon¬
sistenz der Stühle^ ein¬
gestellt. In solchen Fällen
scheint dann, wie sich
mir auch an einem
zweiten weiter unten an¬
geführten Fall gezeigt hat, die Zulage von Milchzucker gute
Dienste zu leisten, trotzdem derselbe in den dem Larosan bei
gegebenen Anweisungen als ganz ungeeignet bezeichnet und
auch von Stoeltzner selbst nicht empfohlen worden ist.
Fall 8. Margarethe L„ Maurerskind, geb. 12. VII. 13. 6 Wochen
lang gestillt, ganz unregelmässig, oft stündlich am Tage und 1 — 2 mal
nachts. Seit Anfang des 3. Monats alle 2 Stunden 14 Haferschleim,
Yi Milch (Tagesmenge der Milch etwa 3A Liter.) Seit 10 Wochen
täglich 5 — 6 Windeln, grün verspritzt.
In poliklinische Sprechstunde am 25. XI. 13. Im Ernährungs¬
zustand reduziertes, gut gepflegtes Kind; aufgetriebenes Abdomen.
— Gewicht 5200 g.
Ord. am 25. XL: Hungerdiät; ab 26. XI. 3 Tage lang je 20 g Laro¬
san in Yt Milch + Yi Haferschleim; jeweils 120 g alle 3 Stunden. Am
4. Tag wiederkommen.
Am 29. XI. bringt die Frau das Kind wieder mit der Angabe, dass
dasselbe am 25. abends und 26. vormittags noch je 2 grüne dünne Win¬
deln gehabt habe; von da ab habe der Durchfall aufgehört, das Kind
habe am 26. nachmittags, am 27. und 28. noch je 2 geformte Stühle
gehabt.
Die mitgebrachte letzte Windel ist fest, grau, trocken, alkalisch
reagierend. Gewicht 5230 g.
In diesem Fall 8, der einen überraschend schnellen und
guten Erfolg der Larosanmilchtherapie zeigte, war mir leider,
da das Kind von auswärts mit der Bahn gebracht wurde, die
persönliche Beobachtung und Kontrolle nicht mehr möglich,
und musste ich mich mit der schriftlichen Angabe begnügen,
dass das Kind, für das noch für 3 Tage Larosan mitgegeben
war, auch nach Aussetzen der Larosanernährung nicht mehr
an Durchfällen leide und gut gedeihe.
Fall 9. Anna H., Taglöhnerskind, geb. 9. VII. 13. 6 Wochen
gestillt, wenig zugenommen; Ernährung mit 54 Milch, 2U Reismehl¬
schleim, 2)4 stündlich, keine Zunahme, 4 — 5 dünne Windeln; dann
Milch -f Kufekemehl, 2 — 3 Windeln am Tage, breiig, schüttet viel aus.
Poliklinische Behandlung seit 4. XII.
Status: Kleines schwaches Kind, gut gepflegt. Gewicht 4210 g.
Ord.: 10 g Larosan auf Yt Liter Milch + 54 Liter Wasser, auf
morgens und abends in 2 Mahlzeiten verteilt. Ausserdem 3 mal täg¬
lich 54 Milch + 2U Kufekemehlabkochung .
Windeln ab 6. XII. 2 — 3 am Tage, gut geformt, lehmfarbig.
Gewicht am 10. XII. 4400 g.
Vom 10. XII. ab täglich 3 stündlich 80 g Larosanmilch + 80 g
Kufekemehlabkochung.
Gewicht: 17. XII. 4500 g, 24. XII. 4630 g, 31. XII. 4900 g.
Windeln sind in der ganzen letzten Zeit gut; kein Erbrechen mehr.
Ab 1. I. 14 Larosan weg, Ernährung mit Milch und Kufeke.
Kind gedeiht bei guten Windeln weiter gut.
In diesem Falle standen weniger die dyspeptischen Stühle,
als der geringe Anwuchs des von Geburt an schwächlichen
Kindes im Vordergrund; auch hier hat die Larosanernährung
gute Dienste geleistet; die Stühle werden sofort ganz gut und
die Gewichtszunahme von 700 g in 3'A Wochen hat das All¬
gemeinbefinden ganz erheblich gebessert. Das Larosan hat
hier gleichsam als Anstoss zu einer rationellen Ausnutzung der
zugeführten Nahrung gewirkt, die auch nach dem Uebergang
zur gewöhnlichen künstlichen Ernährung bestehen bleibt. Wie
meine Nachkontrolle im Februar ergab, gedeiht das Kind jetzt
ganz normal und zufriedenstellend.
Fall 10. Fanny K., geb. 24. I. 13, Fuhrmannskind. 6 Wochen
gestillt, dann Milch ~r Zucker; Kind immer schwach gewesen. — Seit
14 Tagen viel Erbrechen, starke Durchfälle, 4 — 5 am Tage.
Poliklinische Behandlung seit 31. X.
Status: Kind in sehr reduziertem Ernährungs- und schwerem All¬
gemeinzustand; hochgradige Dyspnoe; ausgedehnte bronchopneu-
monische Herde über beiden Lungen; Abdomen meteoristisch auf¬
getrieben. Windeln dünn, grün. Temp. 39,8. Gewicht 5220 g.
Ord. für die Ernährung: Larosan + Kufeke zu gleichen Teilen
ca. 800 g in öfteren kleinen Mahlzeiten.
Vom 1. Tag ab täglich nur 1 — 2 gut geformte glatte Windeln; da
dieselben sehr fest werden vom 7. XI. ab Zulage von 3 Proz. Soxhlets
Milchzucker; die tägliche eine Windel wird salbenartig
9. XI. Gewicht 5240 g.
Vom 12. bis 18. Kur in chirurgischer Klinik wegen Empyem —
Larosanernährung wird beibehalten, Stühle bleiben dauernd gut.
24. XI. Gewicht 5250 g.
6. XII. 13 Exitus.
Klinische, durch die Obduktion bestätigte Diagnose: Chronische
indurative Pneumonie des rechten Oberlappens; akute Bronchopneu¬
monie des linken Oberlappens. Keinerlei anatomische Veränderungen
im Verdauungstraktus.
Während der ganzen Dauer der Larosanernährung befand
sich das Kind in einem, durch die Lungenprozesse bedingten
sehr schweren Allgemeinzustand und es ist wohl mit Sicher¬
heit anzunehmen, dass das Kind dieser Infektion gleich im An¬
fang erlegen wäre, wenn die damals bestehende Dyspepsie
nicht mit Erfolg durch das Larosan beseitigt worden wäre.
Der Fall ist auch einer von denen, bei denen ich, als in¬
folge der Larosanernährung der vorher dyspeptische Stuhl
bald zu fest wurde, bewusst Milchzucker zulegte und dabei,
ohne dass erneut Gärungserscheinungen auftraten, den ge¬
wünschten salbenartigen glatten Stuhl bekam.
Es scheint demnach so, als ob Larosan sehr schnell auch
die Toleranz für Milchzucker erhöht, was ja eigentlich auch
zu erwarten ist. F i n k e 1 s t e i n betont ja schon, dass die
durch grosse Eiweissmengen entstehenden Fäulnisprozesse
den Gärungen antagonistisch entgegenwirken, in erster Linie
das Kasein. Hierauf beruht ja die Ursache des schnellen
Stehens der Durchfälle nach Larosanernährung und hierin ist
wohl auch die Ungefährlichkeit vorsichtiger Milchzuckerzu¬
lagen zu suchen, wenn einmal erst die Gärungsvorgänge auf¬
gehoben sind.
Fall 11. Magdalena Oe., Bauernkind, 11 Monate alt. 6 Wo¬
chen gestillt, jetzt täglich 5 — 6 Flaschen Vollmilch (ca. 154 Liter am
Tage), ausserdem täglich Nudeln und Spätzle. Seit 8 Tagen Durch¬
fälle und Erbrechen; 5 — 6 dünne Windeln am Tage.
Status am 20. XII. beim Besuch der poliklinischen Sprechstunde:
Pasteuses fettes Kind, Gewicht 9,6 kg.
Ord.: 1. Tag: Larosan 20 g auf 1 Liter Wasser. 2. und 3. Tag:
Larosan 20 g auf 54 Liter Wasser, 54 Liter Haferschleim.
Mutter bringt am 4. Tage das Kind wieder mit der Angabe, dass
dasselbe seit dem letzten Besuch am 20. XII den ersten (festen) Stuhl
erst wieder in der Nacht vom 21 .122. gehabt habe. Am 22. und 23. XII.
dann je eine Windel; die mitgebrachte Windel ist graugelb, geformt
und reagiert alkalisch. Das Kind konnte, da von auswärts und Mutter
nicht mehr in der Sprechstunde erschien, nicht weiter beobachtet
werden.
Fall 12. Marie Sch., geb. 27. IX. 12, Taglöhnerskind. Kind
von jeher schwächlich. Ernährung mit Milch und Schleim; nicht prä¬
zis zu erfahren. Nicht gestillt. Seit 3 Wochen nach jeder Mahlzeit
Erbrechen; dünne grüne Windeln.
Status am 6. XII. 13: Sehr dürftiges, schlecht gepflegtes Kind;
Kopfgrind, Intertrigo; aufgetriebenes Abdomen. Gewicht 5580 g.
Ord.: Larosan + Reisschleim zu gleichen Teilen.
Am 7. und 8. XII. nur noch je 2 breiige, gelbe, noch etwas schlei¬
mige Windeln.
■Vom 9. XII. ab täglich 1 Stuhl, zuerst breiig, dann glatt, geformt.
Gewicht am 13. XII. 5700 g, am 20. XII. 6050 g.
Das Kind akquiriert am 18. XII. von seinen Geschwistern Per¬
tussis; trotzdem in der Folgezeit täglich 1 gute Windel, Allgemein¬
befinden zufriedenstellend.
Fall 13. Heinrich B., Dienerskind, geb. 2. V. 13. 6% Monate
ausschliesslich Mutterbrust; seit 4 Wochen Zufütterung von Brei,
Haferschleim und Vollmilch. Morgens und abends noch Mutterbrust.
Seit ca. 8 Tagen fast täglich Erbrechen; die Windeln dünn, grün,
4 — 6 am Tage.
Status am 13. XII. 13: Kräftiges Kind in sehr gutem Ernährungs¬
und Pflegezustand. Abdomen etwas gespannt, aufgetrieben. Gewicht
7640 g.
Ord. ab 13. XII. 13 Larosanmilch + Haferschleim zu gleichen
Teilen (3 mal 120 g). Mutterbrust morgens und abends.
1 t 3 * 3u.t
Fig. 3. Fall 7. Eugen R.
1512
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
Durchfälle stehen am 1. Tag. Gewicht am 22. XII. 7800 g.
Larosan weg — dauernd Wohlbefinden bei guten Windeln.
Endlich möchte ich noch kurz einen Fall aus der eigenen
Eamilie anführen.
Fall 14. Heinolf F„ geb. 26. VI. 11. Sehr kräftiger gesunder
Junge, erkrankt im September 1913 plötzlich unter hohem Fieber an
einer akuten Enteritis, wohl infektiöser Natur.
Nach energischer Ausräumung des Darmes, Hungerdiat und vor¬
sichtigem Uebergang zu Haferschleim, Mondaminbrei, Wasserkakao
bleiben die Entleerungen (7 — 9 am Tage) die nächsten Tage noch sehr
dünn, schwarzgrün und schleimig. Darauf Zusatz von 20 g Larosan
auf XA Liter Wasserkakao; die Stühle werden am folgenden jage
schon seltener (4) und sind besonders in ihrer Beschattenheit breiiger,
nicht mehr so schleimhaltig und in der Farbe besser. Unter Beibe¬
haltung von Larosan kehren die Stühle nach weiteren 6 Tagen ganz
zur Norm zurück. . ... . . ,
Ich habe diese Fälle im wesentlichen als rem poliklinische
Beobachtungen mitgeteilt, ohne auf die theoretischen Folge¬
rungen, die vielleicht aus einem oder dem anderen zu ziehen
sind, näher einzugehen. IT , ..
Ich möchte aber nach unseren Versuchen unser Urteil
über die Verwendbarkeit des Larosans an einem entschieden
ungünstigen Materiale dahin zusammenfassen, dass wir das¬
selbe voll und ganz für geeignet erachten, in der allgemeinen
Praxis und vor allem auch in der ärmeren Bauern- und
Arbeiterbevölkerung als einfachstes Mittel in der I herapie der
Ernährungsstörungen der Säuglinge und jungen Kinder ver¬
wendet zu werden. „ , t , .. , .
Wo wie hier in so vielen Fällen die Rückkehr zur Mutter¬
brust, weil sie entweder gar nicht oder nur ganz ungenügend
lange Zeit gereicht wurde, unmöglich ist, hat die Anwendung
der Larosanmilchernährung, mit der grossen Sicherheit des
therapeutischen Erfolges, die sie auf eine Stufe mit der Eiweiss-
milch stellt, zugleich den Vorteil der grösstmöglichen einfach-
heit in der Zubereitung und wird allein dadurch schon ausser¬
halb der Anstalten der Eiweissmilch überlegen.
Aber es kommen auch noch andere Vorteile hinzu.
Zweifellos erfolgt das Auftreten fester, nicht mehr dyspep-
tischer Stühle rascher (vgl. die Fälle 7, 8, 10, 11, 1-) als bei
jeder anderen, auch der Eiweissmilchernährung.
Ueberall, wo nicht anderweitige Erkrankungen die Er¬
nährungsstörungen begleiteten, fand ich eine sehr schnell auf¬
tretende Gewichtszunahme, der kein Gewichtsabsturz voran¬
ging; diese Beobachtung finde ich von fast allen Autoren,
bestätigt. , . , T . .
Dass das Allgemeinbefinden der Kinder, in erster Linie
auch der am schwersten erkrankten, ausserordentlich rasch
sich besserte, war eine Beobachtung, die fast in allen Fällen
von den Müttern selbst gemacht und geäussert wurde; sie trug
nicht unwesentlich zur Beliebtheit des Präparates mit bei.
Ich möchte als einen weiteren grossen Vorzug des Laro¬
sans seine Möglichkeit einer weitgehenden Individualisierung
betonen. . , ,
Bei leichteren Darmstörungen genügte in einer Anzahl von
Fällen, die hier nicht näher aufgeführt sind, eine leicht modi¬
fizierte Diät, ohne eingreifende Verordnung, mit Larosanzu-
lage, um die normalen Darmfunktionen schnell wieder hei-
zustellen.
Was die Frage des Preises des Larosans anbelangt, so ist
derselbe leider doch noch immer ein nicht unbeträchtlicher;
es werden deshalb wohl noch grosse Schwierigkeiten bis zu
seiner Zulassung zu den Krankenkassen bestehen.
Ich glaube, dem könnte einigermassen abgeholfen werden,
wenn sich die Firma Hoffmann-La Roche dazu entschlösse, das
Larosan auch in kleinen Packungen, etwa jeweils 4 mal 20 g
in einer Packung abzugeben.
Wie meine Fälle 8, 11, 13 zeigen, genügt oft schon, be¬
sonders in Fällen akuter Dyspepsien, die Verordnung von
Larosan wenige Tage hindurch, einen dauernden Heilerfolg
zu erzielen. . __ , , , . .
Dann, in kleineren Packungen in den Handel gebracht,
wäre die Larosantherapie auch recht billig.
Literatur.
] Stoeltzner: Ueber Larosan, einen einfachen Ersatz der
Fiweissmilch M.m.W. 1913 Nr. 6 und Ueber Eiweissmilch-Ersatz-
präparate. Med. Klin. 1913 Nr. 22. — 2. M. R. Forcart: Larosan
als Ersatz für Eiweissmilch. M.m.W. 1913 Nr. 22. 3. Ph. Meh¬
ner; Neue Anwendungsform von Larosan. D.m.W. 1913 Nr. 44.
4 Bert lieh: Poliklinische Erfahrungen mit Larosan. Zscnr. i-
Kinderhlk. 1913. — 5. Cur sch mann: u,e,ber,.VarSIt1M^h‘ °!l
trag im ärztlichen Kreisverein Mainz. M.m.W. 1913 Nr. 51.
6 W W egen er: Zur Frage der Ernährung kranker Säuglinge mit.
Larosanmilch. M.m.W. 1914 Nr. 7. — 7. Ostrowski: Die Be¬
deutung der Larosanmilch in der Diätetik der Kinder im frühen
Alter Russki Wratsch 1913 Nr. 29. — 8. S t a w s k y: Die Larosan¬
milch' in Verbindung mit Brusternährung. TherapewUtscheskoje
Obe sreniie 1913 Nr. 18. — 9. Guidi: Ueber diätetische Behandlung
mit 1 arosantnilch. Gaz. internaz. di Med. Chirurg. Igiene 1913 Nr. 45.
Aus dem 3 a c h s sehen Kinderkrankenhause, Stockholm
(leitender Arzt: Privatdozent Dr. H. Ernberg).
Erfahrungen mit Eiweissmilch.
Von Dr. A. L i c h t e n s t e i n.
Da aus Schweden noch keine Erfahrungen mit Eiweiss¬
milch vorliegen, so scheint mir folgende kurze Mitteilung be¬
rechtigt i). T, , , ...
Eiweissmilch wird in unserem Krankenhause seit etwa
2XA Jahren in geeigneten Fällen verwendet. Die Milch wird
in unserer Milchküche nach Finkeistein und Meyers
Vorschriften zubereitet; nur wird anstatt Buttermilch
saure Magermilch (Fettgehalt ca. 1 Proz.) als Zusatz
verwendet, eine Modifikation, welche für die Wirkung der Ei-
weissmilch belanglos sein dürfte. .
Die Dosierung geschieht nach Finkeistein und
Meyers späteren Anweisungen mit sofortigem Zusatz von
2—3 Proz. Kohlehydrat (Loeflunds Nährmaltose) später
bis 5 (event. auch 6—7 Proz.) steigend; Säuglinge über 3 Mo¬
nate erhalten event. 1 — 2 Proz. Mehl.
Wir geben Eiweissmilch fast nur in schweren
Fällen, also entweder so schwerkranken Kindern, dass nur
Brust- oder Eiweissmilch überhaupt in Frage kommt odei
auch Kindern, welche im Krankenhause ohne Erfolg andere
artifizielle Nahrung, Milchmischungen, Keller, Buttermilch etc.
bekommen haben.
Wir haben jetzt etwa 70 Fälle von schweren Ernährungs¬
störungen mit Eiweissmilch behandelt. Unsere Resultate sind
gute und sind, wie ich betonen möchte, allmählich immer
besser geworden, was ich teils einer gleichmässigen Zu¬
bereitung, teils und hauptsächlich aber unserer steigenden Er¬
fahrung über die Wirkung und Dosierung des Mittels zu-
schreibe.
Unser wachsendes Vertrauen zu der Eiweissmilch hat auch
bewirkt, dass zufällige, gewöhnlich durch parenterale In¬
fektionen verursachte Verschlimmerungen uns nicht so schnell
zu einem Verlassen der Eiweissmilchtherapie veranlasst
haben; damit ist auch die Anzahl erfolgreich behandelter Fälle
grösser geworden.
Unsere Resultate sind, wie gesagt, gute und zwar
sowohl in akuten Fällen, darunter auch Fälle von
Cholera infantum mit schweren Intoxikationssym¬
ptomen, wie auch in chronischen Fäll e n, darunter
hochgradige Atrophiker. Auch bei Ernähr u n g s -
Störungen infolge parenteraler Infektionen
hat sich die Eiweissmilch gut bewährt. Das Mittel scheint m
der Tat „einen heilsamen Einfluss auf die Intakterhaltung der
Ernährungsfunktionen“ zu haben; es übertrifft in dieser Hin¬
sicht meines Erachtens andere artefizielle Ernährungs¬
methoden.
Die Immunität der Eiweissmilchkinder scheint im all¬
gemeinen gut zu sein, ist aber der Brustmilchimmunität weit
unterlegen. Speziell fehlt den Eiweissmilchkindern die Haut¬
farbe der Brustkinder; auch kommen bei ihnen Intertrigo und
andere Zeichen herabgesetzter Hautimmunität öfters vor.
Die Entwöhnung nehmen wir nicht selten in akuten
Fällen nach 2—3 Wochen mit Erfolg vor; in schwereren chro¬
nischen Fällen wurde Eiweissmilch 2 — 3 Monate gegeben.
Irgendwelche Nachteile einer so lange dauernden Eiweiss¬
milchernährung haben wir nicht beobachtet und auch keine Ent¬
wöhnungsschwierigkeiten erlebt.
’) Fine ausführlichere Arbeit mit Krankengeschichten und Kurven
erscheint in der schwedischen Zeitschrift Hygiea 1914.
7. Juli 1914.
Entgegen den theoretischen Bedenken von F i n k e 1 -
stein und Meyer hat sich Allaitement mixte mit
Eiweissmilch bei uns gut bewährt, und zwar auch in
schweren Intoxikationsfällen. Als Beinahrung zur Brustmilch
leistet jedoch Buttermilch im allgemeinen mehr.
Was die Theorie der Ei weissmilch betrifft, so
hat sich die praktische Anwendung derselben den theo¬
retischen Voraussetzungen nicht genau angepasst. Der
Ausgangspunkt ist ja der Wunsch gewesen, in Anbetracht der
grossen pathogenetischen Rolle, die der abnormen Kohle¬
hydratgärung zugeteilt wurde, eine kohlehydratarme
und eiweissreiche Nahrung herzustellen. Die klinische Er¬
fahrung zeigte aber bald die Gefahren des Kohlehydrathungers
und man gab deshalb bald die Eiweissmilch schon von Anfang
an mit einem immer kühneren Maltosezusatz. Die Eiweiss¬
milch wurde anstatt einer kohlehydratarmen eine relativ
kohlehydratreiche Nahrung (1 V2 Proz. Milchzucker
+ 3—5—7 Proz. Maltose + 1—2 Proz. Mehl). Hier liegt
meines Erachtens eine Inkongruenz zwischen Theorie und
Praxis vor, zwischen der Theorie von der grossen patho¬
genetischen Rolle der Kohlehydratgärung bei dyspeptischen
Zuständen einerseits und der praktischen Erfahrung, dass eine
kohlehydratreiche Eiweissmilch gerade in solchen Fällen eine
sehr gute Wirkung entfaltet andererseits. Legt man hierzu die
alte, von niemand bestrittene Erfahrung, dass die milch¬
zuckerreiche und eiweissarme Brustmilch die ideale Heil¬
nahrung bei allen Ernährungsstörungen der Säuglinge ist, so
scheinen mir diese Umstände nicht gerade für die über¬
wiegende pathogenetische Rolle der Kohlehydratgärung zu
sprechen.
Die vollständige Erklärung der guten Wirkung der Ei¬
weissmilch bleibt vorläufig eine offene Frage. So viel scheint
sicher zu sein, dass die Eiweissanreicherung e i n Faktor von
Bedeutung ist; doch zeigen Versuche Eiweissmilch durch
kaseinangereicherte Halbmilch zu ersetzen, dass andere Fak¬
toren mit im Spiele sind. Beachtung verdient Stoltes An¬
sicht, dass eine für das Entstehen von Fettseifenstühlen gün¬
stige Relation zwischen Fett und Kalksalzen ausschlag¬
gebend ist.
Wie alledem auch sei, so viel steht doch fest, dass die
Ei weissmilch sich in der Praxis ausserordentlich gut
bewährt und als ein grosser therapeutisch-diäte¬
tischer Fortschritt betrachtet werden muss.
Aus der Universitätsklinik Heidelberg (Abteilung für Haut- und
Geschlechtskrankheiten: Prof. Dr. Bettmann).
Ein Beitrag zur Kenntnis der Dermatosen bei Hysterie.
Von Dr. Antoni, Assistenten der Klinik.
Hautaffektionen bei Hysterischen können unter verschie¬
denen Gesichtspunkten praktisches Interesse beanspruchen.
Sie bieten unter Umständen grosse Schwierigkeiten für die
Diagnose dar, werden leicht missdeutet, und sind in bezug auf
ihre Voraussetzungen umstritten, daraus ergeben sich auch
Schwierigkeiten für die Behandlung. Aus solchen Zusammen¬
hängen heraus erscheint mir die Mitteilung des folgenden
Falles gerechtfertigt.
Am 21. X. 13 kam eine 21 jährige Bergmannstochter aus E. mit
ausgedehnten Ulzerationen der Bauchhaut in unsere Klinik, die u. a.
als Tuberkulose und Syphilis aufgefasst, trotz langer ärztlicher Be¬
handlung in- und ausserhalb des Krankenhauses nicht zur Heilung
kamen. Jegliche Art von Salbenbehandlung, im Aetherrausch vor¬
genommene Verschorfungen, Transplantationen, spezifische Behand¬
lung mit Jod und Salvarsan vermochten keine Heilung zu erzielen.
Die Untersuchung ergibt folgenden Befund. Die mittelgrosse, bleich
aussehende Pat. bot ein Bild des Jammers mit ihrem leidenden Ge¬
sichtsausdruck, ihrer gebeugten Haltung und dem schwerfälligen
Gang. Das Fettpolster ist gering, die Muskulatur schwach ausee-
bildet. Ein starker fötider Geruch breitet sieh im Zimmer aus. Die
ganze Vorderseite des Rumpfes unterhalb der Mammae ist in eine
geschwiirige, stark sezernierende Wundfläche verwandelt.
Am unteren Rande der Mamma zieht sich quer über den Leib eine
zum Teil weisslich vernarbte Stelle mit nekrotisierter Mitte von
bräunlicher Farbe und unregelmässigen, serpiginösen, leicht erhabenen
weisslichen Rändern, dazwischen sitzen kleinere, mit reichlichem
Eiter bedeckte Ulzera. Die Mitte dieses Geschwürs deckt eine
lederartige bräunliche Borke. Links darunter sitzt ein Geschwür von
Handtellergrösse mit zur Seite kriechenden, schlanken, unregel-
Nr. 27
1513
massigen Ausläufern. Die Ausläufer zeigen in ihrem Rand eine
schmale braune Pigmentierung. Die Mitte dieses Herdes zeigt grau-
weissen, festen Belag; dort wo er fehlt, sieht man rote granu¬
lierende Wundfläche. Die Ränder des Herdes sind ein wenig erhaben
W 11 t"«en deutlich eine nierenförmige Anordnung erkennen. Der
Wall fällt sanft zur Mitte hin ab. An einer Stelle ist das Geschwür
zur strahligen Narbe abgeheilt. Zum Nabel hin ziehen sich grössere
und kleinere, zum Teil erhabene Narben von schneeweisser Farbe
und unregelmässiger Anordnung. Unterbrochen werden diese Narben
von kleineren, eben zu granulierenden Geschwüren. Mitten auf dem
Abdomen vom Nabel rechts in grossem Bogen zum Schamberg ver¬
lautend zieht sich ein Geschwür mit zackigen, zerklüfteten, wallartig
ansteigenden Rändern. Die Grundfläche ist jauchig zerfetzt und mit
speckigem Belag bedeckt. Links vom Nabel sitzt noch ein grosser
Herd mit tiefschwarzer nekrotischer, quadratischer Mitte und Aus-
laufern, wie sie vorhin beschrieben. In beiden Leistenbeugen sitzen
nimmarkstückgrosse Herde, ganz unregelmässig angeordnet, mit z. T.
nierenförmigen Rändern, erhabenem Wall, stinkendem Sekret. Die
Verbindung zwischen den einzelnen Geschwürsherden bilden teils
gesunde Hautfleckchen, teils strahlenförmige Narben. Ziemlich weit
links in Höhe des Hüftbeins sitzt ein zehnpfennigstückgrosses Ge¬
schwür, kreisrund, mit scharfem, wallartigem Rand, wie mit dem
Locheisen ausgeschlagen. Die bei der Aufnahme der Patientin ins
Krankenhaus angefertigte Photographie gibt ein Bild von der enormen
Ausdehnung der Hautaffektion.
Bei diesem Befund war mit Rücksicht auf die Konfiguration
der Geschwüre wohl an Syphilis zu denken, doch ergaben
sich, abgesehen von der Schwierigkeit, alle diese Erschei¬
nungen in ein bestimmtes Stadium der Syphilis zu verlegen
und dem negativen Ausfall der WaR. sofort folgende Einwände.
Der Herd links vom Nabel mit seiner geometrisch be¬
grenzten schwarzen, nekrotischen Mitte passt nicht zum lue¬
tischen Krankheitsbild. Dazu kommt, dass sich um beide
Oberarme spangenartig weissliche Narben von ungefähr 1 cm
Breite ziehen (cf. Bild). Die Narbe auf dem rechten Oberarm
ist besonders deutlich ausgeprägt und tief, während die auf
dem linken Arm aus mehreren kleineren parallelen Strichen
besteht, so dass man unwillkürlich an einen gewaltsamen Ein¬
griff (Strangulation des Armes) denkt. An beiden Armen über
den Kubitalvenen sitzen 2 pfenniggrosse keloidartige Narben,
die Spuren ihrer früheren Salvarsanbehandlung. Auf der
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1514
MUENCHENER MEDIZINISCHE \\ 0CHENSCHR1F 1 .
Nr. 27.
Volarseite des rechten Unterarmes sitzt 1 pfennigstuckgrosser
braunroter Herd, der schon völlig vernarbt ist, der Rand ßt
wie auch bei einem Teil der Geschwüre der Bauchhaut starker
pigmentiert als das Zentrum. Von diesem Herd nun ziehen
sich rundliche braune Pigmentierungen in einer Ausdehnung
von 1 cm über die gesunde Haut hin, die aussehen, w le
eine aufgetropfte ätzende Flüssigkeit herabgelaufen wäre.
Die schwarzen geometrischen Schorfe auf einem Teil der -
schwüre, die braunrote lederartige Stelle auf dem zuerst be¬
schriebenen Herd, die Schnürfurchen an den Oberarmen und
vor allen Dingen die tropfenartige Pigmentierung bei dem Herd
am Unterarm, das alles sind Dinge, die wir bei der Syphihs
nicht kennen, und die den dringenden Verdacht erwecken, dass
das ganze sonderbare Krankheitsbild auf äussere Einwirkung
zurückzuführen ist.
Die genauere Verfolgung der Anamnese förderte nach und
nach noch folgende Punkte zutage:
Die Familienanamnese ist ohne Besonderheiten. Pah litt seit
frühester Kindheit öfters an „Gesichtsrose . die sich alle 4 . Wochen
wiederholte, mit Fieber einherging und ‘".spateren Jahren oft ^ e
Kr-inkenhausbehandlung notwendig machte. Als Ueberbleibsel lnrer
Gesichtsrose deutet sie die „och leist auf ihrer rechten Wange Sicht-
bare zehnpfennigstückgrosse Narbe.
Im Jahre 1904, dem 12. Lebensjahre der Pat., entstand spontan
an der Daumenbeere der rechten Hand ein eiterndes Geschwür, das
von selbst zuheilte. Kurze Zeit nach Heilung dieses U^Schlffen'
deten sich auf dem Handrücken zwei neue, von gleicher Beschauen
heit, die, vom Arzt geschnitten, bald zur Ausheilung kamen.
Im Alter von 14 Jahren unterzog sich die Pat. wegen einer
Eiteransammlung im Unterleib einer Operation, die gut verlief. Die
WunS hShe reaktionslos. Die senkrechte Narbe links vom Nabel
ist noch ietzt sichtbar. Im Alter von 20 Jahren fiel die Pat. von
einer Leiter und zog sich dadurch eine Wunde am Epibe zu- P>ese
Wunde wurde vom Arzt genäht. Die Nähte hielten nicht, die Wunde
Dlatzte auf und fing an zu eitern. Zum Abfluss des Liters wur
ein ^Röhrchen eingelegt, und die Wunde heilte bis auf ein kleines
Loch zu. ... , „ ,
Plötzlich war über Nacht an d 1 e s " ^ VV u n d r a n d
eine geschwürige Veränderung der Haut entstän¬
de n, di e s i c h t a g t ä g 1 i c h v e r g r ö s s er t e. Uie ^schwur. gen
Hautstellen wurden immer grosser, vernarbten zum Teil, um an
anderer Stelle wieder frisch aufzubrechen. Nach einer im Aether-
rausch vorgenommenen Verschorfung, die des Abends um 6 Uhr
stattfand, traten in der Nacht heftige Schmerzen auf und am anderen
Morgen war in der vorher gesunden Umgebung wieder eine grosse
neue8 Wundfläche da. Da nun alle Behandlung nichts genutzt hatte,
suchte sie unsere Klinik auf, um sich heilen zu lassen. Die Menses
der Pat sind erst im 17. Lebensjahre eingetreten, in unregelmassigen
Intervallen, und hielten öfters 9 ja sogar 12 Wochen an.
Das Nervensystem der Pat. zeigt keine schwerere Storung.
Pupillen reagieren auf Licht und Konvergenz. Bauchdeckenre lex
O B Patellarreflex lebhaft. Achillessehnenreflex o. B. Fusssohlen-
reflex o. B. Vorderarmreflex o. B. Keinerlei Sensibilitätsstorung.
Allerdings handelt es sich um eine leicht erregbare Person, deren
eigenartiges psychisches Verhalten sich aus dem Folgenden ergeben
Der Leib wurde im Okklusivverband mit H e b r a scher Salbe
verbunden. Unter dieser Behandlung heilten die Wunden rasch Kein
Auftreten von neuen Eruptionen. Ueberall frische Granulationen.
Der Fötor ist völlig verschwunden. Reichlichere Nahrungsaufnahme
und wesentlich heiterere Stimmung als in den ersten T agen der Auf¬
nahme. ^ starke Schmerzen in der Blasengegend. Blase ge¬
spannt.' Katheterismus, da seit 2 Tagen angeblich kein
Urin abgegangen. Befinden besser.
30 X Starke Obstipation. Innerliche Mittel helfen nicht, nur
täglicher Einlauf. Abendtemperatur 38,5 in der Axilla.
Rektale Nachmessung ergibt 37,6 . ,
5. XI. Die Patientin fühlt sich heiss an und schwitzt derart, dass
sie tätlich öfters die Wäsche wechseln muss. . ,
8. XI. Starke Heilungstendenz der Wunden. Fortbestehen der
Obstipation.
11. XI. Befinden leidlich gut.
zugehen.
17. XI. Völlige Heilung der
Wunsch der Pat. nach Entlassung.
dreimal täglich Hemd und Jacke -
das Fehlen jeglichen Schweissgeruches der Wasche.
Atropin bringen keine Besserung des Schwitzens.
18 XI Wiederum sehr starkes Schwitzen. Die Jacke der Pat.
ist vollständig nass. Bei genauerer Untersuchung durch den Arzt
stellt sich heraus, dass der Körper der Patientin ziem¬
lichtrocken ist, ebenfalls das unter der nassen
Nachtiacke getragene Hemd. (Pat. trinkt sehr viel Wasser
wahrscheinlich ist, dass sie sich Wasser über ihre Jacke sprüht.)
Pat. äussert den Wunsch, heim-
Wunden am Leib. Dringender
Sie schwitzt so stark, dass sie
wechseln muss. Auffallend ist
Agarizin und
10 XI Pat erhält in jedes Glas Wasser 2 Tropfen Jodtinktur,
anseblic lf nls Aniihidrotikn.n, zuslcich n“ öTt"d ^
§». T^rtÄTt. VPÄ" woVel,' k,ae.
iber sehr über aufgetriebenen Leib. Auf Einlauf Stuhlgang.
20. XI. Stärkere Aufgetriebenheii des Leibes. Tympame ub
dem Abdomen im höchsten Grade. Umfangdes Leibes
62 CI2L jXL Z Leibesumfang 88 cm. Bei einem hohen Einlauf geht
viel Luft at äussert fortgesetzt den Wunsch nach Entlassung.
Heute Leü)esumfangU69 cm. Klagen über heftige Leibschmerzen. Am
A b C25.d XI.1 ° Immer noch' der* gleiche Zustand.' Die Wunden sind
fast sämtlich ^geheilt. Andauernd Klagen über Leib¬
schmerzen. ' Das Abdomen ist wieder stark aufgetrieben und wölbt
sich rechts besonders vor, während links in der Gegend er P
t ionsnarbe eine Retraktion der Bauchdecke zu bemerken ist Man
hat den Eindruck, als wenn im Narbengebiet Adhäsionen bestanden.
Obstipation. ^dntgenau{najime nach einer Wismutmahlzeit.
SUindcm’beündet sich der Wismutbrei im Zoekum nach
s Äm “Ä
1 a T X l I)d CNachf di es^e Untersuchung soll die Pat. entlassen werden,
lieber Nacht sind neue Affektionen am Ab d o m c
aufgetreten und zwar zum ersten Male seit ihrem
Aufenthalt im Krankenhaus. Sie bestehen aus drei Blasen
und zwei mit Schorf bedeckten Substanzverlusten. Die Blasen sind
hamo^rrhagischiagen über erhebliche Schmerzen. Die Wunden werden
mit Heb rascher Salbe verbunden. Wenn sich die Kranke nicht
vom Arzt oder der Schwester beobachtet glaubt, ist sie sehr ausge¬
lassen und erheitert die ganze Station. , „ , „„„
7 XII Auftreten von neuen hämorrhagischen Herden, die aus¬
sehen,' als wenn sie durch mechanische Reizung hervorgerufen waren.
Verband mit Scharlachrotsalbe. , { . , ..
8. XII. Pat. erzählt, dass sic heute Nacht derart heftige Eem
schmerzen bekommen, dass sie den sp an n c n en r
hätte zurückklappen müssen. D n 2 U nt ers u c h un 8
ergibt mehrere ausgedehnte neue Bla s e n a u f der
Bauchhau t, die teilweise schon aufgegangen waren. Da der
Kranken keinerlei Aetzflüssigkeit zur Verfügung stand, wird heisses
Wasser als Ursache angesehem j «rhmerz-
9. XII. Schwellung, Rötung und starkes chmerz
haftigkeit der rechten Wange. Geringe Blase
bilduiuder befallenen Gesichtshälfte und s arkes
Tränen des rechten Auges. Das Auge ist vo g -
k C S 16h xn.1 'üer entzündliche Zustand der rechten Wange hat nach¬
gelassen Es besteht eine leicht bräunliche Verfärbung. Unten am
Kinn ein neuer fünfmarkstückgrosser H e r d mit ge¬
rötetem. stark nässendem Rand, und einem Zentrum mit vielen
kleinen Bläschen. Der Herd sieht aus wie eine Verbrennung
1 1 2^ XII. Heute Morgen bietet die linke Backe dasselbe Bild,
wie vorgestern die rechte. Starkes Oedem des linken Auges, Schwel¬
lung und Rötung der Wange mit oberflächlicher Erosion. A m Nach
mittag vorher wurde die Patientin, angeblich
schlafend, an dem heissen Ofen angelehnt aii ge¬
funden Nach gründlicher Auseinandersetzung mit der Kranken,
wobei ihr gesagt wurde, dass sie selbst sich alle diese Verätzungen
zugefügt habe, leugnet sie hartnäckig und bestreitet alles. Am
nächsten Morgen verlässt sie fluchtartig die Klinik, nachdem sie eine
Zusammenkunft ihres sie abholenden Vaters mit den Aerzten ge¬
schickt verhindert. . „ . s m )4
In einem an eine Mitpatientin gerichteten Briefe vom 23 III. 14
schreibt die Kranke, dass sie dem Doktor sehr dankbar sei, weil
er sie geheilt und sie nun wieder alle Arbeit verrichten könne, was
seit VA Jahren nicht der Fall gewesen.
Es handelt sich also hier um einen einwandfreien klas¬
sischen Fall von Selbstbeschädigung bei einem hysterischen
Individuum. Berechtigt sind wir zu dieser Diagnose aus einer
Fülle von Gründen und zwar zunächst aus dem Charakter der
Geschwüre. Beim Eintritt der Kranken in unsere Behandlung
machten die Geschwüre zwar einen syphilisähnlichen Ein¬
druck doch wiesen sie ganz besondere Begrenzungsfoi men
auf, wie die geometrische Anordnung einzelner Herde und vor
allen Dingen die Abtropfungsform am Arm. Dann waren ein¬
zelne Geschwüre bedeckt mit einer braunroten, lederartigen
Schicht. Als zweiten Punkt müssen wir den Verlauf der Ge¬
schwüre berücksichtigen. Unter Hebra scher Salbe im
Okklusivverband kommen sie ohne weiteres zur Heilung und
zwar sehr schnell. Dann finden wir ein plötzliches Neuaut-
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1515
treten von Geschwüren unter besonderen psychischen Be¬
dingungen, z. B. dann, als die Kranke entlassen werden soll.
Hinzu kommt der wechselnde Charakter der einzelnen
Eruptionen. Bald Blasen, bald tiefe Nekrosen, dann wieder
akute Dermatiden, alles in gefälligem Wechsel.
Für die Hysterie der Patientin haben wir auch Beweis¬
mittel genügend zur Hand. Da ist zunächst ein grosser
hysterischer Anfall. Dann findet die Kranke grossen Gefallen
daran, sich interessant zu machen, bemitleidet zu werden und
den Arzt an der Nase herumzuführen. Mit aller Gewalt
weigert sich die Patientin gegen eine Vorstellung im Hörsaal,
dabei hat sie aber schon vor einer Stunde ein besseres Kleid
für diese Vorstellung angezogen u. dergl. mehr.
Nun finden wir bei der Revision der Krankengeschichte
noch viele Dinge, die ausserordentlich charakteristisch für
hysterische Dermatosen sind.
Die Geschwüre sind im Anschluss an eine Operation auf¬
getreten und zwar ganz plötzlich. In der Nacht hatte die
Kranke heftige Schmerzen, am anderen Morgen waren die
ulzerösen Veränderungen da. Dann sitzen die Ulcera im
Operationsfeld, wie unsere Anamnese deutlich gezeigt hat.
Die Wunde am Leibe ist nach Drainage bis auf ein kleines
Loch zugeheilt, als plötzlich der Rand dieses Loches anfängt
zu eitern und um sich zu fressen. In unserer Beweisführung
bleibt uns nur noch eine Lücke, und zwar der Nachweis der
Schädlichkeit, mit welcher sich die Kranke diese Verletzungen
zugefügt hat. Wir können uns da nur auf Vermutungen
stützen, zumal die Schädigungen verschiedener Natur waren
und ein Ertappen auf frischer Tat uns nicht gelang. Für die
im Krankenhaus aufgetretenen Schädigungen glauben wir mit
Ausschluss von Chemikalien, die der Kranken nicht zur Ver¬
fügung standen, die ätiologischen Gründe einmal in Verbrühen
mit heissem Wasser, dann durch Anlehnen an den glühenden
Ofen und zuletzt durch rein mechanische Reizung annehmen
zu dürfen.
Jene Lücke lässt einen generellen Einwand gegen die ge¬
gebene Annahme zu und zwar den der spontanen Aeusserung.
Früher nannte man diese Erkrankung Spontangangrän und man
hat sich lange gestritten, ob es nicht eine solche gäbe. In
letzter Zeit ist die Grenze der in direktem Abhängigkeitsver¬
hältnis zum Nervensystem stehenden Krankheiten wesentlich
enger gezogen und sie beschränkt sich heutzutage auf eine
kleine Gruppe von Dermatosen, z. B. die Hautdefekte bei
Syringomyelie, Herpes zoster bei Erkrankung der Spioal-
ganglien usw. Dass wir es nicht mit einer dieser Erkran¬
kungen zu tun haben, ist zur Evidenz erwiesen, wie denn auch
das Nervensystem unserer Kranken frei ist von jeder or¬
ganischen Störung schwerer Natur.
Bei den Artefakten bleibt uns gleichwohl die Vermutung,
dass es sich um eine eigenartig disponierte Haut handelt, wo¬
für denn auch mehrere Dinge sprechen. Ich erwähne nur die
Keloidbildung an der Einstichstelle der Kubitalvenen und die
Armschnürung in ihrer abnormen Form, wenn man auch in
Ausnahmefällen ähnliches bei der Syphilis gesehen hat.
Jedenfalls kommen wir vollständig aus ohne Annahme
irgend welcher Besonderheiten und wir müssen Nachdruck
darauf legen, dass es sich hier sicher um Artefakte handelt,
und nicht um spontan auftretende Dinge, selbst wenn uns der
Nachweis der Schädigung nicht gelingt.
Glücklicher waren wir in einem anderen Fall, wo es sich
um eine Wärterin der psychiatrischen Klinik handelte. Es war
hier unterhalb des linken Ohres eine handtellergrosse ent¬
zündliche Veränderung der Haut sichtbar, die auf die Ohr¬
läppchen Übergriff. Einzelne linsengrosse tiefe Geschwüre mit
weissem Rand wechselten mit solchen, die mit bräunlich gelber
Borke bedeckt waren. Dazwischen sassen vereinzelte
Nekrosen.
Hier Hess sich durch Auflegen von feuchtem Lackmus¬
papier eine starke Säure nachweisen, die sich aus dem
Destillat der Borken als Essigsäure entpuppte. So wurde diese
Patientin sofort entlarvt und die Aufklärung war von aus¬
gezeichneter therapeutischer Wirkung.
Dies gibt uns Veranlassung, einige therapeutische Fragen
zu erörtern. Es muss natürlich unser nächstes Ziel auf die
Heilung der Symptome gerichtet sein, um so mehr als, sich
selbst überlassen, diese einen höchst bedenklichen Charakter
annehmen können. Wir müssen dies Ziel der Heilung zu er¬
reichen suchen, ohne bei dem Kranken die Meinung zu
fixieren, dass es sich bei ihm um eine merkwürdige seltene
Erkrankung handelt. Ist dies Ziel glücklich erreicht, dann ist
die Heilung der Hysterie unsere nächste Aufgabe, denn darüber
muss Klarheit herrschen, dass nach Beseitigung der Symptome
vikariierende Dinge schlimmerer Art und schwererer Natur
eintreten können, als die vorher dagewesenen. Gegebenen¬
falls werden wir die Entlarvung der Patientin vorzunehmen
haben, wobei wir besonders Rücksicht auf die Psychose der
Patientin nehmen müssen, um nicht einen schweren Schock
auszulösen.
Zur Anästhesierung des Uterus*).
Von Dr. Emil Kraus, Frauenarzt in Brünn.
Ein Stiefkind der Lokalanästhesie ist die Geburtshilfe
und Gynäkologie. In diesen Disziplinen hat die örtliche
Schmerzbetäubung, infolge der schweren Zugänglichkeit der
in Betracht kommenden Organe, sowie der Nerven, welche die
inneren weiblichen Genitalien versorgen, keinen hohen Grad
der technischen Vollendung erreicht.
Deshalb ist auch die Literatur über diesen Gegenstand
eine sehr bescheidene.
Heinrich war der erste, der die Lokalanästhesie der
inneren Genitalien durch Injektionen in die Portio und Para-
metrium ausführte. Ihm folgten Wernitz und Kratz. Die
Leitungsanästhesie fand in S e 1 1 h e i m ihren hervorragendsten
Vertreter.
Die Veranlassung, eine Anästhesierung der inneren weib¬
lichen Genitalien auf einem in der Gynäkologie noch unver¬
suchten Wege anzustreben, ging für mich von einer in der
Odontologie erst kurze Zeit geübten Methode der Druck¬
anästhesie aus.
Sie besteht darin, dass man in eine schmerzhafte Zahn¬
kavität, noch bevor man den Bohrer ansetzt, ein mit einer
anästhesierenden Flüssigkeit getränktes Wattebäuschchen ein¬
hämmert, worauf nach wenigen Minuten Schmerzlosigkeit für
die entsprechenden Eingriffe erfolgt. Allerdings muss man die
Einhämmerung immer vom frischen wiederholen.
Dieses Verfahren der Druckanästhesie habe ich nun ver¬
sucht, auf gynäkologische Eingriffe zu übertragen und zwar für
die Abrasio mucosae uteri bei Endometritis.
Die Dehnung der Zervix ist bekanntlich das Schmerzhafte
an dieser Operation. Ich habe mich nun in analoger Weise,
wie in der Zahnheilkunde, bemüht, die anästhesierende Sub¬
stanz unter Druck an die Zervixwände anzupressen. Diese
Einpresung ist zum Vorteile der Methodik zufällig in dem bei
der Operation vorgenommenen Einführen der Hegarstifte ge¬
geben, welche ja stark an die Zervixwände gepresst werden.
Die Wehentätigkeit des Uterus, bedingt durch den Reiz der
Stifte, erzeugt den Gegendruck, so dass zwischen Stift und
Zervix befindliche Medikamente nach der Seite des geringeren
Widerstandes der Zervix eingepresst werden müssen.
Dieser Forderung zu genügen, war nicht leicht.
Vor allem musste das Medikament in leicht löslicher Form,
gut verteilt in den Uterus gebracht werden.
Ich hatte mir zu diesem Zwecke Baeilli aus Kakaobutter
mit entsprechender Menge Novokain-Suprarenin bereiten
lassen. Diese schob ich in den Uterus bis an den Fundus ein,
Hess das Stäbchen bis zu einem Brei zerschmelzen und führte
nun Hegarstifte in langen Zwischenräumen ein.
Da aber die Druckanästhesie erfahrungsgemäss nicht lange
in ihrer Wirkung anhält, so hatte ich dieses Verfahren oft
wiederholen müssen. Auch liess die Aseptik der Baeilli uterini
viel zu wünschen übrig.
Deswegen habe ich in der Folge das Verfahren derart ab¬
geändert, dass ich vor der Operation die Hegarstifte in auf¬
gelöste Kakaobutter, der Novokain-Suprarenin zugesetzt war.
eintauchte und die Kakaobutter an den Stiften erstarren liess.
Auf diese Weise war ich in der Lage, immer frische Mengen
des Anästhetikums ganz automatisch in den Uterus einzuführen.
*) Nach einem auf dem Deutschen Naturforschertag in Wien
(1913) gehaltenen Vortrage.
4
1516
MUENCHENER MEDIZINISCHE NVOCHKNSCHRITU
Nr. 27.
Trotzdem ich schon mit diesen Methoden Eriolg hatte,
machte mir die Resorbierbarkeit des in Kakaobutter SU|P^J}-
dierten Anästhetikums Bedenken, da die betreffenden Sto _
eben nur suspendiert und nicht gelöst waren und dadurch die
Resorption nur langsam vor sich gehen konnte.
Darum habe ich das Verfahren schliesslich in letzter Zeit
in der Weise abgeändert, dass ich die betreffenden Stoffe m
Syrupus Simplex löste, den Syrup durch Kochen, wie der g
bräuchliche Ausdruck lautet zum Spinnen brachte und nun
diese Masse an die einzelnen Hegarstifte anschmelzen hess.
Die mit der Zuckerglasur überzogenen Stifte müssen natürlich
vor der Operation vorbereitet sein und knapp vor dem Ein¬
fuhren noch in laues Wasser getaucht werden.
Die Syruplösung war folgendermassen dosiert: aut 100 g
Syrup kommen 5 g Novokain und 0,15 g Supraremn. comp.
H°LDie Operation hat den kaum in die Wagschale fallenden
Nachteil, dass sie lange dauert, weil man jeden Stift solange
im Zervix belassen muss, bis er halbwegs abschmilzt und die
beabsichtigte Anästhesie eintritt. Gewiss ein Nachteil, der
aber durch die schmerzlose Ausführung der Operation weit
aufgewogen wird. , . , ,
Die Aseptik der so präparierten Stifte lasst nichts zu
wünschen übrig, da die ausgekochten Stifte in eme durch
Kochen sterile Syruplösung getaucht werden und überdies
Zucker selbst als Antiseptikum bereits verwendet wird-
Ich habe mit diesem Verfahren 24 Abrasiones bei Endo¬
metritis gemacht, und ohne Rücksicht darauf, ob es sich um
Nulliparae oder Multiparae gehandelt hat, einen zufrieden¬
stellenden Erfolg konstatieren können.
Es wird Aufgabe der Nachprüfung an einem grosseren kli¬
nischen Materiale sein, die Methode noch weiter auszubilden
und event. für andere Gebiete der Medizin in Anwendung zu
bringen. So stelle ich mir vor, dass in der Urologie zur
Dehnung der Strikturen die gleiche Art der Anästhesie in An¬
wendung kommen könnte, wobei die Sonden die Rolle der
Hegarstifte übernehmen würden.
Ueber Ligaturen an schwer zugänglichen Stellen.
Von Dr. H. A. v. B e c k h - W i d m a n s t e 1 1 e r.
Dass das Anlegen von Ligaturen in der Tiefe des Beckens, be¬
sonders bei vaginalem Operieren, Schwierigkeiten bereiten kann, er¬
hellt schon daraus, dass man versucht hat, eme Reihe von
strumenten hiefür anzugeben.
*lcm*
Nach Ansicht des Verfassers suchen alle diese teilweise leider
recht komplizierten Geräte die Schwierigkeiten am fals^en Punkte
zu überwinden. Nicht um das Anlegen, sondern um das Zuziehen des
Fadens handelt es sich. .Dafür habe ich eine 2anz einfache, aus
einem einzigen Stücke bestehende Führung bei der Fii rm i R. K u U U
in Wien *) herstellen lassen, die an der I. Universitäts-Frauenklinik
von Hofrat Schauta mit Erfolg erprobt worden ist. S^e besteht
aus zwei nach aussen offenen Oesen, die wie die Firn zeigt, ' urc
einen Sl- förmigen Bügel verbunden sind, der in der Mitte an der
Stelle S an einem zur Zeichenebene senkrechten langen Stiel be
lL ^Nachdem der Faden mittels Dechamps, Umstechung oder S cl hu-
m a c h e r scher Klemme herangebracht oder einfach an einen Pean
angelegt und der erste Knoten geschlungen ist, nimmt der Operateur
die' beiden Fadenenden in die linke Hand und schiebt die beiden Oesen
dazwischen. Der Knoten ist so zwischen die Fusschen des *
für' das Auge infolge der seitlichen Anbringung des Stieles beobacht¬
bar — ausgespannt, kann mittels des Instrumentes mit der rechten
Hand über das Ende des Abklemmungsinstrumentes geschoben und
durch Zug der linken Hand zugezogen werden. Der in der Richtung
des Stieles geführte Zug wird durch Gleiten an den Oesen in einen
dazu senkrechten in de? Ebene der Schlinze übertefohrt und erfolg
so in derselben Richtung, in der man ihn vornehmen wurde, wenn
man mit beiden Händen bis an die Unterbindungsstelle reichen konnte.
Sitzt der Knoten, so wird das Instrument ausgehangt, worauf der
zweite Knoten meist keine Schwierigkeiten mehr bereitet.
*) Wien IX, Spitalgasse 7.
Aus der Universitäts-Hautklinik in Bonn.
Darf bei weichen Schankergeschwüren prophylaktisch
Salvarsan angewandt werden?
Von Prof. Erich Hoffmann.
In einer unter dem Titel „Ulcus molle oder Primäraffekt eine
therapeutische Betrachtung“ erschienenen Arbeit ) d^weSen
Müller nachzuweisen, dass auf Geschwüre vom Typus des weichen
Schankers ohne sonstige Zeichen einer syphilitischen Infektion ■ doc
nach Jahren Folgeerscheinungen der Syphilis sich einstellen können.
Zum Beweis dafür führt er 5 Krankengeschichten aus seiner Praxis
an, in denen er zunächst typische Ulcera mollia und spater Tabes,
Paralvse oder andere Symptome von Syphilis folgen sah Dabe
erwähnt er ausdrücklich, dass diese Beobachtungen aus der Zeit
vor der Entdeckung des Syphiliserregers und der W a ss e mann-
sctien Reaktion stammen. Aber auch heute noch scheint ihm trotz
genauester mikroskopischer Untersuchung die Differentialdiagnose
zwischen weichem Schanker und Primäraffekt nicht genügend sicher
zu sein und er schlägt daher vor, in jedem Falle von Ulcus molle
einige Salvarsaninjektionen prophylaktisch zu geben, weil eme gleich¬
zeitige Syphilisinfektion sich unbemerkt entwickeln konnte und bei
abwartendem Verhalten die günstige Chance der Abortivheilung ver¬
loren ginge. Zur Begründung dieses Vorschlages beruft er sich auch
auf A N e i s s e r, der aber nur für gewisse Fälle wahrscheinlichster
syphilitischer Ansteckung (durch Verkehr mit einer an infektiösen
syphilitischen Erscheinungen leidenden Person) eine frühzeitige Be¬
handlung angeraten hat. H. M ü 1 1 e r glaubt ferner auf Grund seines
Mainzer Krankenmateriales, dass Falle von reiner ^ e y' rcrhD?
weichem Schanker nicht häufig seien, und dass daher sein „Vorschlag
der Salvarsanprophylaxe bei Ulcus molle praktisch verhältnismässig
selten zur Ausführung kommen“ würde.
Schon mehrfach habe ich betont, dass die Behandlung der Sy¬
philis wegen der besseren Aussicht auf völlige Heilung mit einer Hg-
Salvarsan-Kur so früh wie möglich begonnen werden muss, aber nie¬
mals bevor die Diagnose absolut sicher ist, und habe diesen - tand-
punkt auch N e i s s e r s Vorschlag gegenüber in Uebereinstimmung mit
den meisten Dermatologen aufrecht erhalten Die Tatsache, . dass
bei Ulcus molle mit gleichzeitiger Syphilismfektion dei Spirochaten-
nachweis im Geschwürsekret schwierig sein kann, ist von mir stets
anerkannt worden, und ich habe gerade für s°lche Falle besondere
Methoden zum Spirochätennachweis empfohlen, wie wir sie in der
Punktion des Geschwürsgrundes oder der regionären Drusen und
der Untersuchung des Gewebssaftes kleiner exzidierter Stück¬
chen vom Schankerrande besitzen. Meine weiteren Erfahrungen
haben mich gelehrt, dass es hierdurch fast in allen Fallen möglich
ist zu einer sicheren Diagnose zu gelangen, ohne dass dem Kranken
wesentlicher Schaden erwächst. Darin freilich stimme ich Hugo
Müller zu, dass bei allen Kranken mit Ulcus molle an die Möglich¬
keit einer gleichzeitigen syphilitischen Infektion gedacht werden muss
und eine längere Ueberwachung notwendig ist. hur diese stehen
uns folgende Methoden zur Verfügung: 1. die genaue klinische
Untersuchung, welche das Verhalten des Gesell wursgrundes, des
dorsalen Lymphstranges, der regionären Drüsen und das Auftreten
etwaiger Allgemeinerscheinungen zu beachten hat, _. die haut g
wiederholte mikroskopische Untersuchung und
3 die mehrfach in regelmässigen Abstanden an ge st eilte
Wassermann sehe Reaktion. Die Untersuchung im Dunkel¬
feld führt nach meiner Erfahrung so gut wie regelmassig zur Ent¬
scheidung der Diagnose, falls genügende Sorgfalt angewandt wird,
wo bei Mischinfektion oder infolge vorausgegangener Aetzung oder
Kauterisation die Spirochäten an der Oberfläche nicht nachweisbar
sind, muss man, wie schon oben erwähnt, das Material durch P u n
tion des Geschwürsgrundes und der Drüsen oder Exzision eines
kleinen Stückchens vom Rande des Schankers entnehmen und hat
dann fast stets Erfolg1*). Findet man ausnahmsweise auch auf diese
Weise keine einwandfreien Syphilisspirochäten, so ist die regel-
mässige Prüfung des Blutserums durchzuführen, wobei zwei I unkte
wohl zu beachten sind. Wie ich schon vor Jahren mit Franz Blu¬
me n t h a 1 gefunden habe, kann auch bei reinem Ulcus molle infolge
der Drüsenschwellung selten einmal eine vorübergehende Hemmung
der Hämolyse sich einstellen, die aber nur geringfügig zu sein pflegt,
auf eine solche darf daher kein entscheidender Wert gelegt werden.
Andererseits habe ich in Fällen, in denen Primäraffekte unzweck¬
mässiger Weise mit Kauterisation etc. behandelt worden waren, eine
Verzögerung des Auftretens der positiven W assermann sehen
Reaktion beobachtet, die so weit ging, dass sie erst 8 läge und
länger nach Auftreten einer Roseola deutlich wurde. Aus diesem
Grunde rate ich allen Ulcus-moIle-Erkrankten an, sich einige (3—4)
Monate nach der Infektion nochmals gründlich klinisch und sero¬
logisch untersuchen zu lassen.
Schliesslich entsteht nun noch die Frage, ob die Annahme Mül¬
lers, dass ein solch abwartendes Verhalten, das er selbst als wissen¬
schaftlich allein begründet anerkennt, den Kranken erheblichen Nach¬
teil bringt. Meiner Erfahrung nach ist das nicht der Fall; denn die
i) M.m.W. 1914 Nr. 23. , _ .. ... .
1#) Auch die Impfung (P.-A.-Stückchen oder Drusensaft) auf
Kaninchenhoden ziehe ich zuweilen in schwierigen Fällen heran.
7. Juli 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1517
Guecksilber-Salvarsankur führt, wie ich erst kürzlich s) berichtet
habe, auch bei älterer primärer Syphilis so gut wie regelmässig und
selbst bei frischer sekundärer Erkrankung in der grossen Mehrzahl
der Fälle zum Ziele, wenn sie nur unter Beobachtung der Kurve
der Wassermannreaktion mit genügender Stärke durchgeführt wird;
gerade in Fällen, in denen die WaR. verspätet auftritt (s. oben),
pflegt sie auch schnell wieder in die negative Phase umzuschlagen,
so dass die Kur weit über diese Umwandlung hinaus fortgesetzt
werden kann und sicherer einen Dauererfolg verspricht. Anderer¬
seits sind reine Infektionen mit Ulcus molle besonders in den Gress¬
städten viel häufiger, als H. Müller annimmt, und bei dem heutigen
Stande unseres Wissens ist die Anwendung des Salvarsans doch
noch nicht als so ungefährlich anzusehen, dass sie ohne zwingenden
Grund eingeleitet werden sollte.
Aehnliche Betrachtungen Hessen sich übrigens auch für die Go¬
norrhöe aufstellen, die auch, falls sich unbemerkt eine Induration in
der Harnröhre entwickelt, spätere Syphiliserscheinungen nach sich
ziehen kann. Auf diese und andere genitale Erkrankungen (Balanitis,
Herpes etc.) will aber Müller seine Prophylaxe selbst nicht aus¬
gedehnt wissen, da er ein solches Vorgehen für unwissenschaftlich
erklärt. Hieraus ergibt sich eigentlich schon von selbst, was von dem
Vorschlag H. Müllers überhaupt zu halten ist, und es könnte über¬
flüssig erscheinen, ihn so eingehend zu widerlegen. Aber wer in der
Praxis steht, weiss, wie sehr der Praktiker leider schon jetzt zur
Behandlung verdächtiger Ulzerationen mit antisyphilitischen Mitteln
neigt und wie oft er dadurch die Diagnose für lange Zeit unklar oder
unmöglich macht, und die Berufung auf Gelehrte, wie Kaposi und
N e i s s e r macht es doppelt notwendig, hier Klarheit zu schaffen und
vor einem durch nichts gerechtfertigten Vorgehen nachdrücklich zu
warnen. Ehe nicht die Diagnose völlig feststeht, darf eine anti¬
syphilitische Therapie nicht angewandt werden; auch die örtliche
Behandlung suspekter Schanker muss so geleitet werden, dass da¬
durch der Spirochätennachweis nicht zu sehr erschwert wird.
Somit komme ich zu folgenden Schlusssätzen:
1. Reine Infektionen mit Ulcus molle sind weit häufiger als
H. Müller annimmt.
2. Durch genaueste klinische Ueberwachung, sorgsame und
wiederholte mikroskopische Untersuchung (auch des Gewebs- und
Drüsensaftes) sowie regelmässige Prüfung der Wassermann-
schen Reaktion lässt sich eine gleichzeitige syphilitische Infektion
neben weichem Schanker mit genügender Sicherheit feststellen, wobei
zu beachten ist. dass leichte Hemmungen der Hämolyse auch bei
weichem Schanker mitunter Vorkommen können.
3. Der Vorschlag, bei jedem Ulcus molle sofort Salvarsaninjek-
tionen prophylaktisch anzuwenden, ist völlig unbegründet und würde
uns auf einen Stand unseres Wissens zurückführen, den wir durch
eine Reihe bedeutungsvoller Entdeckungen glücklich überwunden
haben.
4. Die Verzögerung, die durch die völlige Sicherung der Diagnose
in nur wenigen Fällen entsteht, erschwert die Abortivheilung der
Syphilis nicht erheblich und bedeutet gegenüber der Verwirrung, die
durch prophylaktische Salvarsanbehandlung aller Ulcera mollia ent¬
stehen würde, keinen wesentlichen Nachteil.
Bücheranzeigen und Referate.
O. Hammarsten: Lehrbuch der physiologischen Chemie.
VIII. völlig umgearbeitete Auflage. Mit einer Spektraltafel. Wies¬
baden 1914. Verlag von J. F. B e r g m a n n. 961 Seiten. Preis
24 Mark.
Das bekannte Lehrbuch des schwedischen Physiologen erscheint
in dieser neuen Auflage wieder in erheblich geänderter und dem
heutigen Stande unseres Wissens angepasster Ausführung. Wenn
auch Hammarsten die Bearbeitung nicht mehr allein durchgeführt
hat, sondern sich der Unterstützung seines jüngeren Kollegen H e d i n
erfreute, ist doch das Werk in Anlage und Charakter durchaus das
alte geblieben. Das Lehrbuch ist daher auch in der neuen Auflage
eines grossen Kreises von Freunden sicher, so dass es einer be¬
sonderen Empfehlung an dieser Stelle nicht bedarf. Es sei nur
hervorgehoben, dass der Umfang des Buches trotz der Einschiebung
sehr zahlreicher neuer Abschnitte, namentlich aus dem Gebiet der
physikalisch-chemischen Physiologie, infolge geschickter Kürzung an
anderen Stellen seine bisherige Grösse nicht überschritten hat. Für
den Studierenden wie für den praktischen Arzt dürfte gerade in
der hier geübten Beschränkung ein grosser Gewinn zu verzeichnen
sein. Schade-Kiel.
Die Albuminurie. Klinische und experimentelle Beiträge zur
Frage der orthostatisch-lordotischen und der nephritischen Albumin¬
urie, von Dr. Ludwig Jehle-Wien. Verlag von Jul. Springer.
109 Seiten. Preis 4 M.
Ein Buch, das der Kritik formal und inhaltlich sehr viele Angriffs¬
flächen bietet. Liest man das Buch, so gewinnt man den Eindruck,
dass Albumen etwas ist, was bei sehr vielen Menschen sehr leicht zu
provozieren ist, und das dementsprechend keinerlei tiefere Bedeutung
J) Der Wert des Salvarsans für die Abortivheilung der Syphilis.
D.m.W. 1914 Nr. 23 S. 1168.
zu besitzen braucht. Je hie selber macht mit Recht auf die
Albuminurien der Sportsleute etc. aufmerksam. Anstatt aber daraus
die therapeutischen Konsequenzen zu ziehen und zum mindesten die
Albuminurie auch bei der orthostatischen resp. lordotischen Albumin¬
urie nicht als das Zentrum, sondern nur als ein Symptom zu be¬
trachten, ist J e h 1 e s ganzes Dichten und Trachten darauf eingestellt,
die Albuminurie zu beseitigen. Ist sie beseitigt, dann ist alles gut.
Beseitigt muss sie um jeden Preis werden, selbst um einen Preis,
der keineswegs jedem Arzt einwandfrei erscheint, wie das Verordnen
des Mieders.
Ir. der Bewertung der mechanischen Momente für die Genese
der Albuminurie geht J e h 1 e entschieden viel zu weit. Es ist sein
Verdienst, auf ihren Einfluss nachdrücklich hingewiesen zu haben.
Aber der Behauptung, dass die Albuminurie der Säuglinge durch die
Streckung im Steckkissen hervorgerufen sei und dass bei Soldaten
lordotische Albuminurie eine Berufskrankheit sein soll, werden sich
wenige anschliessen.
Ob wirklich alles, was J e h 1 e deshalb für orthotische resp.
lordotische Albuminurie hält, weil er das Albumen beseitigen konnte,
eine solche war, bleibt zweifelhaft. Die Beseitigung des Albumen
allein beweist das sicher nicht. Sehen wir doch oft genug inter¬
mittierende resp. provozierbare Albuminurie bei Nephritikern. Dass
J eh 1 e von diesem Boden aus zu der Anschauung kommen konnte,
lordotische resp. orthostatische Albuminurie könne in echte Nephritis
übergehen, erscheint erklärlich.
Das Buch enthält ausserdem noch eine Anzahl von Tierver¬
suchen ohne inneren Zusammenhang. Mangelhafte Funktion der
Nierenkapsel soll nach diesen Versuchen die Entstehung der Albumin¬
urie bei Orthotikern begünstigen. Anlage und Uebertragung dieser
Experimente auf menschliche Verhältnisse bedürfen noch sehr kri¬
tischer Ergänzung.
Alles in allem scheint es mir bedauerlich, den Kern dieser wesent¬
lichen Frage lediglich in so eng umgrenzten Fragestellungen suchen
zu wollen. Das bringt die Gefahr einer Verflachung der Frage¬
stellung mit sich, während andererseits eine weitgreifende grosszügige
Behandlung, die auch andere Leistungen und Funktionsäusserungen
des Organs, als die Albuminurie und ausserdem den gesamten Orga¬
nismus in ihren Bereich zieht, viel Anregung auch für andersartige
Albuminurien zu bieten vermöchte. Schlayer - München.
Jos. W e 1 1 e r e r - Mannheim: Handbuch der Röntgentherapie
nebst Anhang: Die radioaktiven Substanzen in der Therapie. Ein
Lehrbuch für Aerzte und Studierende. 2 Bände. Zweite, umge¬
arbeitete und erweiterte Auflage. 991 Seiten, 340 Textfiguren,
47 Tafeln. Verlag von Otto N e m n i c h, Leipzig. Preis I. Teil 20 M„
II. Teil 26 M. ■
Seit die Röntgentherapie in ungeahnter Weise sich neben die
Diagnostik gestellt hat, ist ein neues grosses Arbeitsgebiet entstanden,
das nur mit gründlichen Vorkenntnissen betreten werden sollte. Ge¬
rüstet mit den Erfahrungen, welche von anderen durch mühsame
Studien und zahllose klinische Versuche errungen wurden, muss der
Arzt an die Strahlentherapie herangehen. Wetterers Handbuch
ist ihm ein gründlicher Lehrer und zuverlässiger Berater. Die
2. Auflage ist in 2 Teilen erschienen: der erste enthält eine ge¬
schichtliche Einleitung, die Beschreibung der physikalisch-technischen
Grundlagen, mit Röhren, Dosimetrie und Schutzvorrichtungen, dann
mit dankenswerter Ausführlichkeit die biologischen Strahlenwir¬
kungen, ferner die Technik der Oberflächen- und Tiefenbestrahlung
und schliesslich ein von Heinr. Schröder verfasstes Kapitel über
die rechtliche Seite der Radiotherapie, mit der sich jeder befassen
sollte, um nicht davon erfasst zu werden. Der zweite Band bringt
die spezielle Röntgentherapie, nach Krankheitsgruppen geordnet, mit
einem Anhang über Therapie mit radioaktiven Substanzen. Be¬
sonders das letztere Kapitel, das im Brennpunkt des Fortschrittes
steht, musste ganz wesentlich erweitert werden, ferner das grosse
Literaturverzeichnis, das freilich durch das Gocht sehe Literatur¬
werk zum Teil überflüssig gemacht wird. In den übrigen Kapiteln
haben zahlreiche, vom Fortschritt der letzten 5 Jahre diktierte, Er¬
gänzungen und Einschaltungen Platz gefunden. Durch engeren Druck
des ganzen Werkes tritt diese innere Ausarbeitung äusserlich wenig
hervor. Im 2. Teil sind zahlreiche neue Abbildungen („vor und
nach Bestrahlung“) eingefügt; die schwarzen wirken besser als die
farbigen. Ueber Indikationen, Technik der Bestrahlung bei be¬
stimmten Formen von Dermatosen, Tumoren etc. gibt Verf. auf
Grund seiner grossen Erfahrung und Belesenheit präzise und zu¬
verlässige Ratschläge, so dass das Buch jedem unentbehrlich ist, der
sich etwas genauer umsehen und unterrichten will.
Grashey - München.
F. Munk: Grundriss der gesamten Röntgendiagnostik innerer
Krankheiten. Verlag G. T h i e m e - Leipzig. 1914. 264 Seiten. Geb.
7.50 M.
Das Buch ist Fr. Kraus gewidmet, in dessen Klinik es ent¬
stand. War doch auch Kraus derjenige unter den Klinikern, der
den Wert der Röntgendiagnostik für die innere Medizin zuerst er¬
kannte. Es ist nicht für die Röntgenologen, sondern für die Aerzte
bestimmt gedacht, „welche, ohne selbst ein Laboratorium zu be¬
sitzen oder in einem solchen technisch zu arbeiten, die Ergebnisse
der Röntgendiagnostik kennen lernen und sich dieser diagnostischen
Methode zu ihrem eigenen und ihrer Patienten Nutzen bedienen
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
1518
wollen“. Referent glaubt, dass die Auswahl des Stoffes, die An¬
ordnung und die Art der Darstellung dem Verfasser glücklich ge-
hingen sind und der Inhalt noch mehr bietet, als es dem Vorwort
nach scheint. Solcher Bücher, die das genannte Gebiet in dieser
bündigen Weise darstellen, kann es gar nicht genug geben zu der
Zeit, wo es um die Möglichkeit, sich mit den unentbehrlichsten
röntgenologischen Kenntnissen zu versehen, auf den deutschen Hoch¬
schulen reichlich ungenügend bestellt ist. Was das Buch in eyster
Linie für seine Zwecke vor anderen ähnlichen Schriften auszeichnet,
sind die technisch vollendeten, trefflich ausgewählten, sehr gut
wiedergegebenen Abbildungen, die auch den Fachmann erfreuen, zu¬
mal man leider heute noch oft Röntgenogramme veröffentlicht sieht,
die mit der Technik von 1897/98 angefertigt zu sein scheinen und
Schuld daran sind, dass die Mehrzahl der praktischen Aerzte der
Röntgendiagnostik innerer Leiden noch sehr skeptisch gegenübersteht.
Der Inhalt des Buches zerfällt in folgende grössere Kapitel:
Physikalische Grundlagen des Röntgenverfahrens. Technisches.
Röntgenuntersuchung des Herzens, der Lunge, Bronchien, Pleura und
des Mediastinums; des Oesophagus; des Magens; des Darmes; der
Leber: des Harnapparates; pathologischer Prozesse am Skelett. Den
Schluss bildet ein kurzes Literaturverzeichnis.
Alban Köhler- Wiesbaden.
Prof. Dr. G. Anton: Psychiatrische Vorträge für Aerzte, Er¬
zieher und Eltern. S. Karger. Berlin 1914. 91 Seiten. Preis
M. 2.40. . J , ,
Die Themen der einzelnen Arbeiten sind: 1. Gehirnbau und
Seelenkunde, 2. Gefährliche Menschentypen, 3. Wiederersatz der
Funktion bei Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarkes, 4. Spre¬
chen und Denken, 5. Geistige Artung und Rechte der Frauen.
Es handelt sich um kurze Vorträge, die naturgemäss ihr Thema
nicht erschöpfen können, sondern aus dem jeweiligen Stoff das für ein
weiteres Publikum Interessante und Nützliche mit Geschick heraus¬
heben. In bezug auf den Wiederersatz der Funktionen im Gehirn
sind wir wohl nicht ganz so weit in unserer sicheren Erkenntnis,
wie es nach Verf. erscheinen möchte; v. Monakow z. B. kommt
zu einer stark abweichenden Auffassung. Auch die hereditäre Be¬
deutung solcher Kompensationen steht noch zur Diskussion. Die
Darsteilung ist überall eine klare und einfache; die Bedeutung der
Affekte in der Psychologie des einzelnen wie in dem Verhältnis
von Mensch zu Mensch ist besser herausgehoben als von den meisten
anderen Autoren. Ueberhaupt wird auch der eine und andere Kollege,
dir von diesen Dingen etwas zu wissen glaubt, im einzelnen manche
unerwartete treffende Bemerkung finden; so in dem besonders hüb¬
schen letzten Vortrag die Konstatierung, dass die Frau nach dem
Klimakterium in gewisser Beziehung eine „geistige Spätblüte er¬
leben könne, die dem Manne meist versagt bleibt. Diese kurze, aber
ganz treffende Bemerkung mag geeignet sein, den kritiklosen tnthu-
si ismus über die Möbius sehe Aufstellung des „physiologischen
Schwachsinnes des Weibes“ auf ein richtiges Mass herunterzusetzen.
Bleuler- Burghölzlm
A Justschenko - Dorpat : Das Wesen der Geisteskrank¬
heiten und deren biologisch-chemische Untersuchungen. Dresden und
Leipzig. Th. Steinkopf 1914. 132 Seiten. Broschiert 4 M., geb.
5 M
In 10 für Studierende bestimmten Vorlesungen wird dargestellt,
was die verschiedenen biologisch-chemischen Untersuchungsmethoden
für die Auffassung des Wesens der Geisteskrankheiten geleistet
haben, und insbesondere was von ihrer weiteren und ausgedehnteren
Anwendung für die psychiatrische Forschung zu erwarten ist.
Behandelt werden die Stoffwechseluntersuchungen mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Autointoxikationen, die Beziehungen
der Infektionen zu der Entstehung von Psychosen unter Anführung
der verschiedenen Immunitätsreaktionen, die Erforschung der Fer¬
mentationsprozesse bei Geisteskranken, die kolloid-chemischen Pro¬
bleme und schliesslich die Bedeutung der Drüsen mit innerer Se¬
kretion. , . x . , „.
Die beiden ersten Vorlesungen bringen eine historische Ein¬
leitung. den Schluss bildet eine Erörterung der therapeutischen Mög¬
lichkeiten. Plaut- München.
Aerztliches Recht. Unter besonderer Berücksichtigung deutschen,
schweizerischen und französischen Rechts. Von Dr. J. R, Spinner-
Zürich. Berlin, Verlag von Julius Spri.nger, 1914. 556 Seiten.
Preis broch. 16 M„ geb. 18 M. 50 Pf.
Seit die Aerzte angefangen haben, sich mehr um ihre Standes-
intcressen zu bekümmern, erfahren auch die die allgemeine und per¬
sönlich rechtliche Stellung der Aerzte berührenden Fragen literarische
Behandlung; eine neuere Erscheinung auf diesem Gebiete ist das
Werk von Dr. Spinner, das diese Probleme unter Beiziehung
der Gesetzgebung aller deutschsprechenden Staaten vergleichend be¬
handelt und zum Teil auch den Stand dieser Probleme in anderen
Kulturstaaten beizieht. , c . .
Behandelt werden die öffentlich-rechtliche Stel¬
lung des Arztes, die Kurpfuscherei, der ärztliche Eingriff in die
körperliche Integrität des Menschen (Operationsrecht). Eingriff in
die Fortpflanzung des Menschen und das ärztliche Berufsgeheimnis.
Im Kapitel „Kurpfuscherei" wird auch über die „unlauteren Elemente
des ärztlichen Standes“ gehandelt.
Den einzelnen Abschnitten ist ein reichhaltiges Literaturver¬
zeichnis angefügt; ein ausführliches Inhaltsverzeichnis erleichtert
die Handhabung des Werkes, das dem Arzt über die verschiedensten
Fragen, die für ihn von Interesse sind, Aufschluss zu geben ver¬
mag.
Statistisches zur Wirkung des Reichsimpfgesetzes vom
8. April 1874. Aus der Medizinalabteilung des Kgl. preussiscnen
Ministeriums des Innern. Berlin 1914. Verlagsbuchhandlung \on
Richard S c h o e t z. SW. 48. 8 S. ,
Vor jetzt 40 Jahren wurde das Deutsche Impfgesetz erlassen.
Veranlassung war die schwere Pockenepidemie von 1871 1 •
Seitdem sind die Pocken aus der Zivilbevölkerung verschwunden.
Bei der Armee wurde die Impfung der Rekruten durch die Order vom
16. Juni 1834 eingeführt mit dem Erfolg, dass sie von 1835 an von
den Pocken fast ganz verschont blieb. Die freiwillige Schutzpocken-
impfung wurde in Preussen seit Anfang des 19. Jahrhunderts vor-
genommen. Vor der obligatorischen Einführung — 8. April 1874 —
hatten etwa alle 10 Jahre Epidemien geherrscht und ein ansehnlicher
Bruchteil der Bevölkerung starb noch immer an den Pocken, im
Jahre 1834, in dem die Schutzpockenimpfung im Heere eingefuhrt
wurde, starben von 100 000 Mann noch 28,1 (in den 5 unmittelbar
vorausgehenden Jahren resp. 75 Proz. — 66,7 Proz. — 75 Proz.
22 1 Proz _ 27 Proz.). In den 5 Jahren, die auf die Einführung
folgten, starben resp. 3,7 Proz. - 6,9 Proz. - 2,4 Proz - 5,5 Proz
— 15 Proz ln den Jahren 1904—1912 (so weit reicht vorliegende
Statistik) starben 0 Proz. In der Zivilbevölkerung hatten die Pocken
früher durchschnittlich jährlich 60 000 Personen dahingerafft, seit der
Durchführung des Gesetzes sind sie so gut wie verschwunden — Die
Behauptung der Impfgegner, dass die Impfung keinen Zweck habe,
weil die geimpften Personen angeblich ebenso leicht, ja leichter an
den Pocken erkranken und sterben, wie Nichtgeimpfte, wird zahlen-
mässig widerlegt. Von den Ungeimpften starben mehr als 4 mal so
viel als von den Geimpften und mehr als 6 mal so viel als von den
wiedergeimpften Personen. Aber auch bei den Personen, welche
nicht starben, war der Verlauf der Pocken bei den Ungeimpften viel
schwerer als bei den Geimpften und den Wiedergeimpften. Die Be¬
hauptung der Impfgegner, dass die Wirkung der Schutzpockenimpfung
nur von kurzer Dauer sei, ist falsch. Ihre Wirkung dauert bei manchen
Menschen das ganze Leben hindurch, zumal wenn zu ihr noch Wieder¬
impfung im 12. Lebensjahre hinzukommt. Auch dies wird zahlen-
mässig bewiesen (Tabellen). Die Schutzwirkung macht sich bis in
die höchsten Altersklassen hinein geltend. — Die absolute Zahl der
erkrankten Personen im jugendlichen Alter war bei den Ungeimptten
viel grösser als bei den Geimpften bzw. Wiedergeimpften. Aus einer
kleinen Tabelle geht hervor, wie sehr die Pocken die jugendlichen
Lebensalter gefährden, während diese unter den geimpften Personen
nur in ganz geringem Verhältnis vertreten waren. . Die Mehrzahl dei
Personen aber, welche erkrankten, trotzdem sie geimpft worden
waren, befanden sich im höheren Lebensalter, in dem die Wirkung
der Schutzpockenimpfung schon nachzulassen begann. Daraus geht
hervor dass die Schutzpockenimpfung von überaus segensreichei
Wirkung ist. — Eine letzte Tabelle verzeichnet statistisch die Todes¬
fälle an Pocken im Deutschen Reich, in England und Wales, Oester¬
reich und der Schweiz vom Jahre 1896 — 1913. Bedingungsloser Impf¬
zwang besteht nur in Deutschland. Es starben 1896—1913 zusammen
572 Personen an den Pocken = 0,05 von je 100 000 Lebenden. Eng-
land und Wales (Gewissensklausel) entsprechende Zahl: 5408 = 1.56
von je 100 000 Lebenden. Oesterreich (kein Impfzwang) resp. 7458
— 2.94. Schweiz (Impfzwang in den einzelnen Kantonen verschieden,
in 17 Kantonen kein Impfzwang) resp. 171 = 0,45. Russland (kein
Impfzwang) jährlich 30 000—50 000 Todesfälle an Pocken. Dasselbe
ist in Britisch-Ostindien der Fall. — • Deutschland hat alle
Veranlassung, den durch das Impfgesetz vom
8 Juni 1874 geschaffenen ausgezeichneten Impf¬
schutz mit Nachdruck aufrecht zu erhalten. — „Die
von den Impfgegnern behaupteten liupfschädigungen lassen sich bei
sorgfältiger Prüfung feist stets entweder als erfunden oder uls über-
trieben oder als ganz unabhängig von der Impfung nachweisen.
Fritz Loeb.
Neueste Journalliteratur.
Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. Bruns.
91. Band, 3. Heft. Tübingen, Laupp, 1914.
Im 3. Heft des 91. Bandes gibt Oberarzt Reich und Professor
B e r e s n e g o w s k i - Tomsk aus der Tübinger Klinik Unter-
suchungen über den Adrenalingehalt der Nebennieren bei akuten In¬
fektionen. besonders Peritonitis und teilt diesbezügliche Versuche an
Kaninchen mit, aus denen sich schliessen lässt, dass eine akute allge¬
meine Infektion durch Bact. coli oder Pneumokokken beim Kaninchen
sehr rasch und intensiv die Chromaffinreaktion beeinflusst, dass aber
bei allzu akuter Sepsis der Tod erfolgt, bevor ein schwerer Grad
von Chromaffinschwund erreicht ist und dass die Beeinflussung der
Chromaftinreaktion bzw. der Extraktwirksamkeit bei Allgemein-
infejitionen im wesentlichen eine primäre, nicht sekundäre Infektions¬
wirkung ist, d. h. direkt durch die Bakterien bzw. ihre Toxine be¬
dingt sein muss. Die anatomischen Veränderungen an den Neben¬
nieren werden besprochen und gelangen die Autoren betr. der Be¬
deutung des Chromaffinschwundes zu der Hypothese, dass die in-
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
1519
fektiöse Blutdrucksenkung in erster Linie und in manchen Fällen viel¬
leicht fast ausschliesslich auf zentraler Vasomotorenlähmung beruht,
in anderen Fällen aber eine periphere Hypotonie der Gefässe durch
Nebenniereninsuffizienz hinzukommt und die Gesamtwirkung steigert.
Durch spezielle Versuche werden die Wirkung des Adrenalins
auf die Chromaffinreaktion normaler Kaninchen sowie die Chrom¬
reaktion bei peritonitiskranken Kaninchen und bei solchen nach Salz¬
wasserreaktion studiert und Nebennierenuntersuchungen am Menschen
angereiht. Das Ergebnis der Untersuchungen wird dahin zusammen¬
gefasst, dass bei akuter Peritonitis des Menschen sich in mehr als
der Hälfte der Fälle die Nebennieren in einem anatomischen Zustande
der Chromaffinverarmung befinden, der mit einer normalen Adrenaliti-
rcaktion nicht vereinbar ist und dass dementsprechend in einem Teil
der Fälle wahrscheinlich eine akute Nebenniereninsuffizienz an der
Erzeugung der Kreislaufschwäche neben zentraler Vasomotoren¬
lähmung ursächlich beteiligt ist.
Max Tiegel berichtet aus dem Luisenhospital zu Dortmund
über Behandlung von Handphlegtnonen. Indem er auf die häufigen
Misserfolge der häufig geübten Tamponbehandlung (Gewebs¬
schädigung beim Verbandwechsel etc.) eingeht, will er diese ganz
verbannen und empfiehlt das Einsetzen von kleinen Spreizfedern nach
der Inzision und Beschränkung des Fixationsverbandes auf das
Mindestmass, d. h. nur den betr. Finger, d. h. wenn es die Verhältnisse
irgendwie gestatten, soll eine Schiene nur dorsal angelegt und das
Fingerendglied in leichter Beugestellung durch Heftpflaster oder
Bindcnschlinge an ihr suspendiert werden (nur soweit, dass die
Volarfläche ausser Kontakt mit der Unterlage ist). T. empfiehlt eine
Schiene von der Länge des Vorderarmes, in die am distalen Ende
Löcher cingebohrt sind, in die Metallstäbchen (für die Fingerfixation)
eingesteckt werden. Die Schiene bleibt beim Verbandwechsel liegen,
nur das Fingerstäbchen wird herausgenommen und wieder neu ein¬
gelegt. Die Spreizfedern bleiben nach der Inzision in der Regel
24 Stunden liegen, werden event. wieder eingelegt, wenn Eiter¬
verhaltung eintreten sollte, die blossliegende Sehne wird bei Sehnen¬
scheidenphlegmonen in der Regel rasch von Granulationen bedeckt.
Eine Nekrose der Sehne ist seit Verwendung der Spreizfedern nicht
mehr beobachtet worden, die Resultate der Behandlung waren recht
gute. T. führt kurz die Krankengeschichten von 18 Fällen an.
B a g g e r d gibt aus dem städtischen Krankenhause zu Posen
eine Arbeit: zur Kenntnis der Massenblutungen ins Nierenlager. Er
berichtet anschliessend an eine frühere Mitteilung eines Falles von
E. Koch über einen neuen Fall, bei dem früher hydronephrotische
Beschwerden vorangegangen waren und bei dem wegen bedrohlicher
Erscheinungen des diagnostizierten perirenalen Hämatoms die
Nephrektomie vorgenommen wurde. B. bespricht anschliessend
Aetiologie, Symptome etc. der Erkrankung. Die Mortalität derselben
beträgt 40 Proz. und sind alle konservativ behandelten Fälle ge¬
storben. B. hebt hervor, dass sich auch in desolaten Fällen mit der
Operation (typischer extraperitonealer Schnitt) nichts verlieren,
sondern nur gewinnen lasse.
Wladimir Schmidt berichtet aus der chirurgischen Klinik des
Scheremeteff sehen Hospitals zu Moskau über bogenförmige
Osteotomie bei Winkelanchylosen und arthrogenen Kontrakturen des
Knies und empfiehlt, um eine volle Korrektion zu erreichen und un¬
nötige Verkürzung wie bei Keilresektion zu vermeiden und den noch
bestehenden Grad von Beweglichkeit nicht zu beeinträchtigen, von 2
an der Längsachse des Oberschenkels angelegten Seitenschnitten
(6 — 7 cm lang) von der Spitze des Kondyls nach oben (nach Aus¬
einanderschieben der Weichteile) denKnochen mit schmaler Bogensäge
oder Giglisäge bogenförmig zu durchtrennen. Schm, teilt 4 Fälle
(z. T. mit Röntgenbild) mit und empfiehlt die Methode besonders für
knöcherne und fibröse Winkelanchylosen und arthrogene Kontrakturen
nichttuberkulösen Ursprungs, selbst bei Kontrakturen von 90° gibt
sie gute Resultate.
Peuckert gibt aus dem Kgl. Krankenstift zu Zwickau eine
Arbeit über die Technik ausgedehnter Thoraxresektionen bei aus-
I gedehnten Empyemen, er hält die Zerlegung des Eingriffs auf mehrere
Sitzungen für zweckmässig und soll die operative Behandlung ver¬
alteter Empyemhöhlen in 4 Akte zerlegt werden, von denen jeder
einzelne einen meist in wenig Minuten zu beendenden Eingriff dar¬
stellt. Die Reihenfolge der Akte ist von wesentlicher Bedeutung,
nach jedem kann die Operation unterbrochen werden ohne das End¬
ergebnis zu gefährden. 1. breite Eröffnung des Thorax am unteren
Ende der Empyemhöhle, Nachbehandlung mit Spülungen und
aseptischer Tamponade der ganzen Höhle; 2. Durchschneidung der
Thoraxwand am hinteren Rande der Empyemhöhle; 3. Durch¬
schneidung der Thoraxwand am vorderen Rande der Höhle; 4. Ab¬
lösen des Sc hed eschen Lappens und Entfernung der bereits vorn
und hinten durchschnittenen Rippen nebst Pleuraschwarte in einem
Stück, gitterförmiges Einschneiden der pulmonalen Pleuraschwarte.
Der 2. und 3. Akt. zuweilen auch der 4. können bei kleinen Höhlen
und kräftigen Patienten zusammengefasst werden ohne Aenderung
der Reihenfolge, denn 2 und 3 bedingen Blutleere und Anästhesie
für den 4. Akt. Wird der 4. Akt nicht gleich angeschlossen, so muss
die beim 2. und 3. gesetzte Hautwunde wieder vernäht werden. Bei
Totalempyemen warnt P. dringend vor einer Zusammenfassung ein¬
zelner Akte.
Prof. Ad. H o f f m a n n und Prof. Martin Kochmann geben aus
der chirurgischen Klinik und dem pharmakologischen Institut zu Greifs¬
wald Untersuchungen über die Kombination der Lokalanästhesie mit
Kaliumsulfat nebst Angabe einer einfachen Wertbestimmungsmethode
der Lokalanästhetika; sie geben in graphischen und tabellarischen
Zusammenstellungen ihre Ergebnisse und kommen zu dem Schluss,
dass durch Quaddelversuchc am Menschen die anästhetische Kraft
eine Anzahl von Lokalanästhetika vergleichsweise in der Reihe fest¬
gestellt wurde: Akoin, Kokain, Tropakokain, Stovain, /?-Eukain, Novo¬
kain, Alypin, wobei Akoin die stärkste Wirkung zeigt. Kaliumsulfat
ordnet sich zwischen Novokain und Alypin ein. Bei der Kombination
der Lokalanästhetika mit Kaliumsulfat ergibt sich eine erhebliche
Wirkungsverstärkung über das arithmetische Mittel bei Kokain und
Novokain, in geringem Grade bei Tropakokain und /J-Eukain, eint
additioneile Wirkung bei Akoin, eine Abschwächung bei Alypin und
Stovain. Nach der letalen Gabengrösse am Meerschweinchen lässt
sich folgende Reihe aufstellen: Kokain, Holokain, Alypin, Akoin,
Tropakokain, Stovain, /?-F.nkain. Novokain, Kaliumsulfat, wobei
Kokain die grösste Toxizität besitzt. Aus einem Vergleich der Zahlen
für anästhetische Kraft mit denen für die letale Dosis lässt sich ein
Wert berechnen, dem die Formel W = ^ L zugrunde liegt (wobei K
die minimal anästhesierende Konzentration in Proz. und L die Dosis
letalis ist). Nach diesem Wert W ordnen sich die lokalen Anästhetika
in folgender Weise: Alypin, Kokain, Holokain, Novokain, ß-Eukain.
Stovain, Akoin, Tropakokain, wobei Alypin den niedrigsten Wert auf¬
weist, Kaliumsulfat steht zwischen Stovain und Akoin. Durch
Kaliumsulfat verändert sich der Wert für die beiden untersuchten
Kombinationen in der Weise, dass er bei Stovain erniedrigt, bei
Novokain auf das 10 — 11 fache erhöht wird. Daraus ergibt sich von
neuem die Berechtigung dieser Kombination. Durch die Wert¬
bestimmung werden die klinischen Erfahrungen bestätigt und vor
allem erklärt.
Alfred H u s s y berichtet aus den Krankenanstalten zu Leysin
über die Erfolge der Heliotherapie im Hochgebirge bei Tuberkulosen
der Hand und teilt die R o 1 1 i e r sehen Erfahrungen an diesem Gebiet
der chirurgischen Tuberkulose an der Hand betr. Krankengeschichten
(meist mit Abbildungen vor und nach der Behandlung und Röntgeno¬
grammen) mit. Die Ergebnisse bei den vorwiegend jugendlichen
Patienten sind durchaus vorzügliche. H. ist der Ansicht, dass die
Sonnenbehandlung stets durch einen auch orthopädisch und chirurgisch
ausgebildeten Arzt geleitet werden soll, er plädiert mehr für dies¬
bezügliche Anstalten in mittlerer Höhenlage, da in den über 1500 m
gelegenen Sanatorien die Kosten für Transport, Verpflegung etc. zu
teuer werden und betont, dass die chirurgischen Tuberkulosen, die
ja in der Mehrzahl der Ausdruck einer Allgemeinerkrankung sind,
nicht in dunkle Krankenzimmer, sondern an die Luft und besonders
die Sonne gehören.
Das Heft gibt dann weiter die Verhandlungen der südost¬
deutschen Chirurgenvereinigung in Breslau XI 1913, bringt eine Arbeit
von Part sch über temporäre Gaumenresektion, von Riegner über
Prothesenbehandlung der Gaumenspalte, von A. T i e t z e über Art
und Lokaldiagnose des Ileus und Fr. Neugebauer über Pneu-
matosis intestini. Carl G o e b e 1 berichtet über Tumor villosus recti,
Alfr. P e i s e r zur Frage der Pylorusversorgung beim Ulcus duodeni,
Technau über die Behandlung und Prophylaxe postoperativer
Bronchitiden und Pneumonien mit Menthol, Eukalyptolinjektionen,
während weiterhin Fritsch die Karzinomreaktion nach Abder¬
halden bespricht und K ii 1 1 n e r über eine 14 fache Perforation des
Magendarmkanals durch Nahschuss mit 9 mm Bleigeschoss und
Heilung durch Operation referiert; Borchard schildert Prinzipielles
zur Chirurgie der peripheren Nerven, G. Dreh mann behandelt die
Osteoarthritis deformans juvenilis (Perthes), eine typische Be¬
lastungsdeformität, C. G o e b e 1 die Arthritis gonorrhoica und
K o 1 e p k e bespricht die Spontanfrakturen nach Ueberanstrengungs-
periostitis, S. Weil gibt experimentelle Untersuchungen zur Frage
der Periostregeneration. — Rieh. Levy schildert die Plombierung
von Knochenhöhlen durch gestielte Muskellappen, Renner die Ver¬
wertbarkeit der Leitfähigkeitsbestimmung des Urins in der Diagnostik
der Nierenkrankheiten, K. Wrobel die Phenolsulfophthaleinprobe
bei chirurgischen Nierenerkrankungen, Fritz P e n d 1 beschreibt einen
Gallertkrebs einer Urachuszyste, C. Ritter schildert die Bedeutung
der Thymusdrüse als Atemhindernis, Alfr. P e i s e r gibt einen Beitrag
zur Kenntnis der Freund sehen Thoraxoperation beim starr dik¬
tierten Thorax und E. Jäger und J. L e 1 a n d schildern aus der
K ü 1 1 n e r sehen Klinik eine neue Methode zur Vermeidung post¬
operativer Komplikationen nach grossen endothorakalen Operationen,
des weiteren geben dieselben einen Beitrag zur Nahttechnik am
Aortenbogen. Entsprechende Diskussionsbemerkungen sind jeweils
dem betreffenden Vortrag angereiht. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 25, 1914
P a y r - Leipzig: Zur Indikationsstellung der operativen Behand¬
lung des Ulcus callosum ventriculi.
Verf. legt klar seinen Standpunkt und Auffassung über den Be¬
griff „Ulcus callosum und Simplex“ dar. Nach ihm ist Ulcus callosum
„diejenige Geschwürsform, die sich durch Bildung einer derben, aus¬
gedehnten, in der Magenwand deutlich fühlbaren, durch Verände¬
rungen an der Magenoberfläche auch sichtbaren Schwiele kenn¬
zeichnet“; hieher sind zu rechnen die auf die Magen wand be¬
schränkten Schwielenbildungen und die infolge Penetration in Nach¬
barorgane adhäsionsfixierten Ulzera; der Begriff der „Tumorbildung“
1520
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
deckt sich mit keiner der beiden eben genannten Qeschwürsiormen
vollständig. Alle Formen können karzinomatos sein. Verf. resez
ein Ulcus callosum, wenn Lage des Falles und Allgemeinzustand
des Pat. es irgendwie gestatten. Das Ulcus Simplex ohne erhebliche
und ausgedehnte Wandveränderung behandelt er in der Regel durch
Anlegung einer Gastroenterostomie. ..
Arthur W a g n e r - Lübeck: Zur operativen Behandlung des
Sanduhrmagens infolge Ulcus der kleinen Kurvatur. ...
Für die Fälle von Sanduhrmagen, bei denen eine Querresektion,
weil zu eingreifend, nicht mehr möglich ist oder eine einfache Gastro¬
enterostomie häufig nicht mehr genügt, empfiehlt Verf. folgende Me¬
thode: der obere Magenrest wird mobilisiert und möglichst weit
heruntergezogen: der untere Magenteil mehrfach gerafft und in den
Krater des Ulcus eingestülpt; so bleibt zuletzt durch wiederholte
Raffung statt des Sackes ein solides, wulstiges Gebilde übrig, das an
Leber und Ligam. tcres fixiert wird; eine Gas,tro^nterof
die Operation. So wird der geschwürtragende Magenteil völlig aus-
gesclialtet und zugleich eine stärkere Blutung verhindert, weil der
den Krater eingestülpte Magenteil wie ein lampon wirkt, es
in uen ivraier ein*;cMuiyi^ i» lakuuui " . , i- „
muss nur der funktionelle Ausfall durch die totale Ausschaltung des
pvlorischen Sackes bei dieser Methode mit in Kauf genommmen
werden (Mit 4 Skizzen.) E. H e i m - Oberndorf b. Schweinfurt.
Band 76.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Heft 1, 1914. Stuttgart, F. E n k e.
Ph. Kr ei ss- Dresden: Tetanoide Symptome bei Schwangeren
und Wöchnerinnen.
w ücniicriiiiicii. .. ,, ~ , r j
Bei Vs aller Wöchnerinnen und bei 3/s aller Schwangeren fand
Verf ein positives C li v o s t e k sches Symptom und eine elektrische
Uebererregbarkeit des N. facialis. Damit ist eine Unterfunktion der
Epithelkörperchen bewiesen, wahrscheinlich bedingt durch eine be¬
sondere Inanspruchnahme des Kalks abseiten des Fötus. Die Wirk¬
samkeit der Kalktherapie bei Tetanie der Säuglinge und der Wöch¬
nerinnen steht fest. .
Ph. Kreiss-Dresden: Der Blutverlust bei gynäkologischen
Operationen und seine prognostische Bedeutung.
Genaue Berechnung des Blutverlustes ergab interessante Aus¬
kunft über die sonst wohl nicht richtig geschätzte Blutmenge. Sie
schwankt nach der Schwere des operativen Eingriffs, ist abhängig
von der operativen Technik, vom Zeitpunkt der Operation. Prak¬
tischer Erfolg dieser Berechnung ist der Ersatz des verloren ge¬
gangenen Blutes durch etwa die doppelte Menge einer subkutanen
Traubenzuckerinfusion.
Edwin Reinhardt- Dresden: Uebcr Pemphigus neonatorum
Schilderung einer an der Dresdener Frauenklinik yorgekom-
menen 6 Monate lang andauernden Pemphigusepidemie, die 23 Falle
betraf und eine 22 Proz. betragende Mortalitätsziffer aufwies. Auch
durch genaueste bakteriologische und zytologische Untersuchung liess
sich die Ursache der Erkrankung nicht eruieren. Auch die exakteste
Desinfektion und Isolierung genügte nicht, der Weiterverbreitung zu
begegnen. Therapeutisch sind Salvarsanversuche bemerkenswert
wahrscheinlich ohne spezifischen Erfolg. Trockenbehandlung mit
Dermatolstreupulver und Brandbinden erwiesen sich als das beste.
Otto H a h n - Strassburg i. E.: Ein Beitrag zur Kenntnis des
Oberflächenpapilloms des Ovariums. , . ,
Histologische Bearbeitung eines Falles mit dem Ergebnis, dass
neben der bisher häufig angenommenen Durchbruchsatiologie auch
die der primären Keimepithelwucherung Beachtung verdient
Kinga Kurihara (Japan)-Göttingen: Ueber den Keimgehalt
des Urins Schwangerer. . .. , . . ..
Der Harn wurde auf die verschiedenste Weise möglichst steril
gewonnen. Die Art und Weise der Urinentnahme war von grossem
Einfluss auf das Resultat. Doch fanden sich selbst bei den strengst
aseptischen Methoden noch nicht allzu selten Bakterien.
Erich Landsberg- Halle a. S.: Eiweiss- und Mineralstoff-
wechseluntersuchungen bei der schwangeren Frau nebst lier-
v ersuchen mit besonderer Berücksichtigung der Funktion endokriner
Drüsen. Ein Versuch einer Darstellung der Stoffwcchselveränderungen
in der Gravidität auf allgemein-biologischer Basis.
Sehr interessante Stoffwechscluntersuchungen über Eiweiss-,
Phosphor-, Kalzium- und Magnesium-Bilanz, die in manches Dunkle
der Schwangerschaftsphysiologie Licht gebracht haben Die Ge¬
wichtszunahme, die Wirkung der innersekretorischen Drusen, die
physiologischen Unterschiede der „Schwangerschaftszelle , der in
gewissem Sinne vorhandene Parasitismus des Fötus und die im
Gegensatz dazu stehende Assimilationssteigerung durch die Gravidität
sind die Hauptkapitel, die besprochen werden. Praktisch nicht un¬
wichtig erscheint das Resultat, dass die Prochown i c k sehe Unter¬
ernährung zur Erzielung kleiner Kinder und damit leichter Geburten
einer experimentellen Stoffwechselprüfung nicht stand hält.
Marcus M a i e r - Freiburg i. B.: Untersuchungen über Eisen¬
gehalt, Hämoglobin und Blutkörperchenvolumen bei geburtshilflichen
und gynäkologischen Patientinnen.
Quantitative Eisenbestimmungen lagen bisher nicht vor. Verf.
arbeitete nach einer von ihm und A u t e n r i e t h konstruierten Me¬
thode Eisengehalt. Hämoglobin und Blutkörperchenvolumen stehen
immer im direkten Verhältnis. In der Schwangerschaft nimmt der
Eisengehalt ab; das Eisen geht in den Fötus über. Erhebliche Eisen¬
verarmung kann möglicherweise als Ursache für den Abortus in
Fi ...e komme ^i ; (japan)_Marburg; Geber das Vorkommen doppelt¬
brechender Lipoide in menschlichen Ovarien und Uterls, nebst einer
Bemerkung über Fettablagerung in denselben Organen.
Verf hat systematisch 54 Fälle histologisch untersucht und be¬
richtet eingehend über das Verhalten der Fette in den weiblichen
i LJ.^ V o o r h o e v e - Amsterdam: Erwiderung und einige Bemer¬
kungen zu dem Artikel Lamers: „Der Kalkgehalt des mensch¬
lichen Blutes, besonders beim Weibe usw.“
F. A li 1 f e 1 d - Marburg: Nachgeburtsbehandlung und manuelle
P*aZejctaweniger man den Uterus nach der Ausstossung des Kindes
betastet, desto eher vollzieht sich die Lösung der Plazenta unte
mässiger Blutung in physiologischer Weise. Erst nach 1 /a— 2 Stunden
pflegt der Uterus derart verkleinert und in den Zustand der Dauer-
kontraktion gelangt zu sein, dass eine Entfernung der t'ef m dtr
Scheide liegenden Nachgeburt durch ausseren Druck zweckmassig
erscheint und mit wenigen Ausnahmen leicht ausführbar «st. Unter
Umständen kann man infolge schwerer Erkrankung der frau i
gewisser Abnormitäten in früheren Geburten und im jetzigen Geburts¬
verlaufe schon vor Beginn der Nachgeburtszeit damit rechnen, dass
man die dritte Periode abkürzen oder wenigstens au* stärkere
Blutungen gefasst sein muss. Bei Mehrgebarendcn treten diese Falle
häufiger ein. Ueberwachung des Uterus und abwartende Methode
sind zu empfehlen. Kommt ohne vorausgegangene an Vorsicht
mahnende Symptome plötzlich eine Blutung erblicher Art, so kann
dies auch bei Anwendung der abwartenden Methode dem Arzt und
der Hebamme nicht entgehen, wenn der Forderung genügt wird, alle
5 Minuten zwischen die Schenkel zu sehen und frisches Leinen unter¬
zulegen. Das dauernde Auflegen der Hand auf den Uterus bietet keine
Garantie, eine äussere Blutung zu erkennen. Manuelle 1 lazentar-
lösungen werden um so seltener notwendig, je weniger äussere
Manipulationen am Uterus vorgenommen sind. Sie schliessen sich
dann meist an pathologische Vorkommnisse an und hangen ment mit
der abwartenden Methode, nicht mit dem Unterlassen äusserer
Manipulationen zusammen.
Einilio S a n t i - Arezzo: Ueber den Wert der Fixationsabszesse
in der Behandlung der Puerperalinfektionen. .
S. hat bereits 1911 auf seine Behandlungsmethode des I uerperal-
fiebers hingewiesen, die in einer Injektion von I erpeirtinöl unter die
Bauchhaut besteht, wodurch ein .Fixationsabszess erzielt wird
Damals hatte er unter 18 sehr schweren Fallen 6 Todesfälle. In i der
vorliegenden Arbeit schildert er 12 neue schwere und schwerste Falle
mit 2 Todesfällen. Die Injektionen in Mengen von 3—10 ccm wurden
unte. Umständen wiederholt. Die günstige Wirkung dieser Methode
zeigte sich auch in Fällen, in denen jedes andere Heilverfahren im
Stiche gelassen hatte. Die Beobachtungen lehren, dass die frühzeitige
Injektion des '1 erpentinöls die Krankheit ganz gewa tig abkurzt dass
auf die Injektion eine immer mehr zunehmende Reaktion erfolgt. Da
die Methode nie schadet und bisweilen selbst in verzweifelten Fallen
noch hilft, dürfte sich ihre Anwendung empfehlen.
G. L inzenmeier - Kiel: Der Verschluss des Ductus arteriosus
Botalli nach der Geburt des Kindes.
Als Hauptmoment für den Duktusverschluss gleich nad’ d
Geburt hat die Drehknickung des Duktusrohres infolge der Flerz-
verlagerung zu gelten. Diese ist eine Folge der Lungenentfaltung
und Ausdehnung durch den ersten Atemzug. Die Knickung wird durch
Zerrungen seitens des Perikards verstärkt. Ein weiteres wichtiges
Moment ist die Zugwirkung auf den Duktus durch die 1 ulmonalaste.
die sie dadurch ausüben, dass sie bei der Ausdehnung der Lunge eine
starke Krümmung des Teilungsendes der Art. pulmonalis und des
Ansatzpunktes des Duktus nach hinten verursachen.
Werner- Hamburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 25. 1914.
P. Hüssy- Basel: Eine Vereinfachung der Schwangerschafts¬
diagnose nach Abderhalden.
H s Versuche beziehen sich auf ein neues Praparat der Höchster
Farbwerke, Plazentareiweiss siccum Höchst, von dem
Röhrchen mit 0,5 und 0,25 g in den Handel kommen. Die Resultate
an 23 Versuchen waren günstig und bedeuten eine wesentliche Ver¬
einfachung des Verfahrens. H. hatte nur 2 Fehlresultate, einmal bei
einer Extrauteringravidität nach der früheren Methode mit der aus¬
gekochten Plazenta, einmal in einem Falle von Myom und Gravidität
mit dem Höchster Präparat. Mit letzterem wurde auch eine simu¬
lierte Gravidität aufgedeckt. „
A. N. R a c h m a n o w - Moskau : 30 Falle von klassischer Sectio
C3CS3rG3
Kurzer Bericht über 30 Fälle, von denen 2 an Sepsis starben,
die übrigen Mütter und alle Kinder am Leben blieben. Darunter
waren 11 Erstgebärende, 19 Mehrgebärende. R. halt die Sectio
caesarea für eine ideale Operation, der die Zukunft gehört. Sie dart
aber nur in „reinen“ Fällen ausgeführt werden, d. h. in solchen, in
denen das Fruchtwasser noch nicht abgegangen ist. Vernachlässigte,
verschleppte Fälle, wie sie auch in der Grossstadt keine Seltenheit
sind, erfordern die Perforation. Zur Ausführung der Sectio caesarea
bedarf es stets der Einwilligung der Frau.
7. Juli 1914.
MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1521
J. Kocks- Bonn: Hydrosalplnx, prolabiert durch Zangenver-
such.
K. beobachtete dieses seltene Ereignis bei einer jungen l.-para,
bei der ein anderer Arzt den Forzeps angelegt und statt des Kopfes
die Hydrosalpinx extrahiert hatte. Die Rupturstelle in der Vagina lag
links. K. logierte den Tumor und exstirpierte ihn, worauf die Ex¬
traktion des Kindes leicht gelang. Wochenbett normal.
Einen ähnlichen Fall hat E. Moritz in einer Bonner Disserta¬
tion des Jahres 1910 veröffentlicht. K.s Fall stammt übrigens schon
aus dem Jahre 1896. . .1 a f f e - Hamburg.
Archiv für Kinderheilkunde. 62. Band, 5. und 6. Heft.
S. N. R o s a n o f f - Moskau: Die diagnostische Bedeutung der
I.eukozyteneinschlüsse von Döhle bei Scharlach, Masern, Di¬
phtherie, Angina- und Serumexanthemen.
Die nach der Methode von Pappen hei in oder Manson
gefärbten Einschlüsse können nicht als Scharlacherreger gelten, da
sie auch bei anderen Krankheiten Vorkommen. Da sie sich
bei Scharlach immer in den ersten Tagen zeigen, spricht ihr
Fehlen in dieser Zeit bestimmt gegen Scharlach mit Ausnahme der
Fälle von Scarlatina fulminans. Die Stärke der Reaktion kann auf
die Schwere der Erkrankung hinweisen. Anginen, bei denen sich
Einschlüsse finden, sind scharlachverdächtig.
Albert S t o m m e I - Frankfurt a. M. : Erfahrungen mit Tuberkulin
Rosenbach bei der Behandlung der internen Tuberkulose der Kinder.
Bei den Fällen von Lungen-, Bronchialdrüsen- und Bauchfell¬
tuberkulose war irgend eine besonders günstige Einwirkung des
R o s e n b a c h sehen Tuberkulins nicht zu bemerken. Heilungen
wurden nicht beobachtet; auch die eingetretenen Besserungen können
nicht unbedingt als Erfolge der Tuberkulinkur angesehen werden.
Gleiche Besserungen wurden auch durch einfache hygienische Mass¬
nahmen erzielt. Einige Fälle erholten sich unter Tuberkulin weniger
gut als vorher. In zwei Todesfällen wurden keinerlei Ansätze zu
einer Heilungstendenz bemerkt. So kann das R o s e n b a c h sehe
Tuberkulin zwar als ungefährlich, aber auch als therapeutisch wenig
wirksam angesehen werden. Hecker- München.
Zeitschrift für Kinderheilkunde. XI. Band. 2. Heft. 1914.
0. Heubner: Eine Diskussionsbemerkung zur Lehre vom
Kraftbedarf des Säuglings.
H. nimmt Stellung zu der Kritik, die S a m e 1 s o n kürzlich an
einigen Hauptsätzen der Heubner sehen Lehre vom Energiebedarf
des Säuglings geübt hat. Er bleibt darauf bestehen, dass der Energie¬
quotient bei künstlicher Ernährung nicht unter 120 Kalorien sinken
darf, wenn anders man „normale Wachstumsintensität“ bei ihm vor¬
aussetzt, und dass der minimale Energiequotient von 100 Kalorien
beim Brustkind zu Recht besteht, ebenso wie die allerdings nur
approximative Annahme des Kaloriengehaltes der Milch zu 700 Ka¬
lorien pro 1 Liter.
S. S a m e 1 s o n - Strassburg: Erwiderung.
B. S a 1 g e - Strassburg: Blutuntersuchungen bei tuberkulösen
Kindern.
Das Blutserum tuberkulöser Kinder weist einen auffallend hohen
Brechungsindex und eine in manchen Fällen ausserordentlich niedrige
Leitfähigkeit auf.
Eberhard N a s t - Strassburg: Ueber den Eiweissgehalt des
Blutes im Kindesalter mit besonderer Berücksichtigung der Tuber¬
kulose.
Refraktometrische Bestimmungen an einem Material von über
200 Kindern ergeben Werte für den Eiweissgehalt des Blutes, die mit
den bisher angenommenen gut übereinstimmen und zeigen, dass etwa
i:n 10. Monat der Umschlag vom geringen Eiweissgehalt des Säug¬
lingsblutes zu dem des Erwachsenen eintritt, sowie dass das Blut
tuberkulöser Kinder in der Mehrzahl der Fälle einen abnorm hohen
Eiweissgehalt aufweist.
Hans B e u m e r - Halle : Das Dialysierverfahren Abderhal¬
dens bei Rachitis und Tetanie.
Das Serum Rachitischer und rachitischer Tetaniker baute weder
Epithelkörperchen noch andere endokrine Drüsen ab, nur mit Thymus¬
gewebe erfolgte mehrfach positive Reaktion, die der Autor indes aus
triftigen Gründen nicht zu Schlüssen verwertet.
Ernst Mayerhofer und Franz Roth- Wien: Klinische Be¬
obachtungen über die kalorische Betrachtungsweise der Säuglings¬
ernährung.
Die Verfasser halten die Kalorienberechnung nach Heubner
für die beste Grundlage der Säuglingsernährung, obwohl sie an
iluem Material gefunden haben, dass sich eigentlich nur eine kleine
Gruppe von Säuglingen mit den Heubner sehen Kalorienmengen zu
optimalem Gewichtsanstieg bringen lässt, während vielmehr nicht
wenige Kinder (Frühgeborene, Atrophiker) weit höhere, andere
Kinder bedeutend geringere Kalorienmengen zu optimalem Gedeihen
notig haben.
Herbert Koch und Walter S c h i 1 1 e r - Chicago und Wien:
Ueber die Reaktionsfähigkeit tuberkulöser Hautstellen auf Tuberkulin.
Erzeugt man P i r q u e t sehe Tuberkulinreaktionen auf Haut¬
stellen. die, sei es natürlich (Lupus, Lichen), sei es artefiziell (voraus¬
gegangene Tuberkulinreaktion) tuberkulös allergisch sind, so fallen
sie um so intensiver aus, je älter die primäre Hautveränderung ist,
während sie ebenso stark wie an normalen Hautstellen dann sind,
wenn die spezifische Entzündung der tuberkulösen Hautstelle noch
frisch, noch nicht abgeklungen ist.
Hans Bahr dt und Stafford M a c L e a n - Charlottenburg:
Untersuchungen über die Pathogenese der Verdauungsstörungen im
Säuglingsalter. VIII. Mitteilung: Ueber die flüchtigen Fettsäuren im
Darm gesunier und magendarmkranker Säuglinge und ihre Be¬
ziehungen zu den Stoffwechselstörungen.
In Kuhmilchstühlen gesunder Säuglinge fehlen freie flüchtige
Fettsäuren, in Bruststühlen sind sie vorhanden (besonders in den zer¬
fahrenen Stühlen gesunder Brustkinder). Bei akuten Verdauungs¬
störungen sind freie flüchtige Säuren vermehrt, offenbar durch die
vermehrte Darmgärung. Aus den Untersuchungen werden ursäch¬
liche Beziehungen zwischen Entstehung der flüchtigen Fettsäuren und
der akuten Verdauungsstörungen abgeleitet.
F. üoetzky und F. Weihe- Frankfurt: Ueber die Bedeutung
der Epiphysenschatten beim Myxödem.
Sehr interessante Röntgenbilder eines Falles von Hypothyreose,
dessen aufeinanderfolgende Wachstumsstillstände und neue Wachs¬
tumsschübe sich in dunklen Querschatten an der Epiphysengrenzc
und diaphysenwärts davon- — ähnlich wie Jahresringe eines Baumes —
manifestieren. , G ö 1 1.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 51. Bd. 3. — 6. H.
Festschrift, dem Allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppen¬
dorf zur Feier seines 25 jährigen Bestehens überreicht von
früheren und jetzigen Aerzten des Krankenhauses.
Nonne-Hamburg: Ueber die Bedeutung der Liquoruntersuchung
für die Prognose von isolierten syphilogenen Pupillenstörungen.
Verf. ist von der Frage ausgegangen, ob die isolierte reflek¬
torische und totale Pupillenstarre nur eine „Narbe“, d. h. einen Rest¬
zustand der überstandenen syphilogenen Erkrankung am Nerven¬
system darstellt, oder ob sie eine Tabes, Paralyse oder Lues cerebro¬
spinalis ankündigt. Die sorgfältigen, jahrelang durchgeführten Beob¬
achtungen an 23 Fällen haben ergeben, dass beides der Fall sein
kann; die Pupillenstörungen können einerseits stets isoliert bleiben,
andererseits aber auch weitergehende syphilogene Nervenleiden nach
sich ziehen. Ob letzteres zu befürchten ist, das kann auch der
Ausfall der Liquoruntersuchungen nicht entscheiden; denn auch bei
pathologisch verändertem Liquor kann die Pupillenstarre einziges
Symptom bleiben. Ist aber die Zerebrospinalflüssigkeit bei den er¬
wähnten Pupillenanomalien normal, so spricht dieser Befund dafür,
dass diese nur die Reste eines ausgeheilten oder stets rudimentär
gewesenen Prozesses am Zentralnervensystem bilden.
S ä n g e r - Hamburg: Ueber Eunuchoidismus.
In einem Jahre kamen auf der dem Verf. unterstellten Ab¬
teilung 6 Fälle von Eunuchoidismus zur Beobachtung, ein Beweis,
dass die Erkrankung durchaus nicht so selten vorkommt.
L u c e - Hamburg: Beitrag zur Klinik der Hodenneuralgie.
Ein 56 jähriger Mann erkrankte mit sehr heftigen anhaltenden
Schmerzen in den Hoden, die auch nach deren operativer Entfernung
keine Besserung erfuhren. Ehe die vom zugezogenen Verf. vermutete
Diagnose eines Rückenmarktumors klinisch sichergestellt werden
konnte, erlag der Kranke einer interkurrenten Pneumonie. Als Ur¬
sache dieser zentral bedingten Neuralgie deckte die Obduktion eine
Caries superficialis des 2. bis 4. Lendenwirbelkörpers auf mit schwie¬
liger Pachymeningitis, die zu der schmerzhaften Wurzelneuritis ge¬
führt hatte.
P f e i f e r - Nietleben: Experimentelle Untersuchungen über die
Funktion des Thalamus opticus.
Nach einem auf der 19. Versammlung der Vereinigung mittel¬
deutscher Neurologen und Psychiater in Jena gehaltenen Vortrag.
Vergl. diese Wschr. 1913 S. 2701.
H a s c h e - K 1 ü n d e r - Friedrichsberg: Ein Fall von degenera-
tiver Hysterie in engem Zusammenhang mit dem Geschlechtsleben
und vor allem mit der Menstruation.
Verf. teilt die Geschichte einer Kranken mit, die im Alter von
12 Jahren von monatlich wiederkehrenden, kurzdauernden psychi¬
schen Störungen (Verwirrtheit, Wandertrieb) befallen wurde. Mit
Einsetzen der Menstruation verloren sich diese Anfälle, traten aber
bei Beginn des Geschlechtsverkehrs in verstärktem Masse wieder
auf und führten schliesslich zu einer völligen ethischen Depravation
der Patientin. Das periodische Auftreten der Störungen jedesmal
zur Zeit der Menstruation, sowie der Beginn des Leidens gleichzeitig
mit dem Einsetzen der Geschlechtsreife und der Rückfall beim An¬
fang der ersten geschlechtlichen Betätigung zeigen den engen Zu¬
sammenhang der Erkrankung mit dem Geschlechtsleben an. Das Lei¬
den selbst muss als eine auf degenerativer Basis entstandene hyste¬
rische Psychose angesehen werden
S t e r t z - Breslau: Die klinische Stellung der amnestischen und
transkortikaien motorischen Aphasie und die Bedeutung dieser For¬
men für die Lokaldiagnose besonders von Hirntumoren.
Das Ergebnis seiner Untersuchungen fasst der Autor in folgen¬
den Sätzen zusammen:
1. Zwischen der Wortamnesie als Symptom und der amnestischen
Aphasie besteht kein prinzipieller Unterschied.
2. Allgemeine Störungen der Hirnfunktion (Benommenheit, Merk-
fähigkeits- und assoziative Störungen) vermögen die amnestische
Aphasie nicht hervorzubringen. Die letztere ist vielmehr als unab¬
hängig von dergleichen Störungen anzusehen.
1522
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 27.
a Sie hat als Lokalsymptom einer Läsion des Sprachgebietes zu
SÄSÄtSSBSK
bte"s Beide sind in der Mehrzahl der Fälle nicht als selbständige
Aphasieformen anzusehen. sondern als Vorlaufsstadien von motorisch-
Diagnostik und Therapie der
Gehirntumoren. ^ Hand yon 43 selbstbeobachteten Fällen
-
SsesÄ° pf“- "Ä
SfNlliZg^'SrnSrSnÄeS; Sdener.o£sc;
antd^aSu p^nPaimf-Fufibur^^DL^Dt^^ose^d^^frühluetiscben
MC"'ÄsmveXsVerÄk«on im Liquor .ist auch im Seta-
mmmßmm
Rint sondern werden im Zentralnervensystem selbst gebildet. Ais
leichtester Grad der luetischen Meningealaffektion ist die Eymph^-
SSISSSSÄ1?
^ "rilRa v e n - Hamburg: Serologische und klinische Untersuchungen
bCi SDiehUmeer1rhMgen des Veri. an 117 SyphiUtikerfamilien er-
ÄÄaiXÄÄÄS'Äah
venleidenals der sekundär infizierte, «f hurtige • E-*™kun^«d*r.
erfofgtc'meist'late8^' wenn "de^pHniär infizierte Gatte syphilogen
nervenkrank war, sonst relativ häufig mit manifesten Symptomen,
was für eine Virulenzabnahme der Lues bei Passage durch das Ne
vensi“ em sprechen könnte. Von den Ehehälften de; ; primär ( m, i -
ten Gatten wurden 46,15 Proz. nervenkrank 2T6Pi blieben Jesund
tive Wassermannreaktion im Blut, nur 29,25 Proz. blieben gesuna.
sssäSsä»
SS” In einem Fall wurde aber noch im 16. Jahre nach statt-
E?mgeaNUle,kmmteI1ein'nsyphilog™nes*fferveideideifrbefadea Zeugung
““’sffüfTc KsfÄ
cularis. Leber heilbare und abortive Formen von Myelitis fumeu-
lariSVerf teilt mehrere Fälle von Strangerkrankungen mit, die teils
hei schweren sekundären Anämien, teils bei Alkoholismus beobachtet
wurden Die theoretischen Ausführungen, die der Autor hieran an-
, hesaeen dass Myelitis funicularis als eine Erkrankung sui
™ s knzusehen ist Sie kann durch exogene ( Alkohol). und endo-
IZe Toxine ^ hervorgerufen werden. Letztere können sich infolge
schwerer Magendarmerkrankungen oder hochgradiger sekundärer
Anämien bilden Die Strangerkrankungen bei perniziöser Anämie
find nicht wesensgleich mit denen, die im Verlauf sekundärer Ana-
onf+rptpn' sie werden vielmehr durch das gleiche Gilt ^er
ur sacht wie die’ Bluterkrankung selbst. Die bei der funikularen Mye-
|itis niftretenden Zerebralsymptome müssen als toxische Reizerschei-
nungen oder als Folgen allgemeiner Kachexie aufgefasst werden
Differentialdiagnostische Schwierigkeiten kann, wie durch einen Fal
illustriert* wird, die Unterscheidung von multipler Sklerose bereiten.
_ Es kommen auch abortive Fälle vor. -«■*»**
abusus, die eine günstige Prognose haben. Oft tritt aber nach jahre
langen Remissionen das Leiden wieder zu Tage.
Har ms- Hamburg: Ueber Hypophysengeschwulste.
Kasuistischer Beitrag.
Meggendorfer - Hamburg: Leber Syphilis in der Aszendens
von verf. ist Lues bei den Eltern von an
sSbsÄH
handelte es ' 'NaSommen” “o AÄ oder Paralytikerm
Du ge- Bonn: Ein Beitrag zur Kenntnis der Psychosen bei der
aolen Es scheibt somit eine eigenartige Demenz, deren Haupt¬
gewicht in der Einschränkung des Erimicrungsvermögens und der B
einflussung des Ablaufs der Ideenassoziationen liegt, durchaus
Symptom enkomplex der multiplen Sklerose zu gehören
HanHmnnn - Döbeln: Ptosis und Cataracta senilis.
Die 3 mitgeteilten Beobachtungen, bei denen sich trotz lang-
iähriger Ptosis ein Altersstar entwickelt hatte, sprechen Segen di
Anschauung, dass der Lichtwirkung bei der Entstehung der Cataracta
senilis eine wesentliche Rolle zukomme^ R ß n n e r . Augsburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
76. Band, 3. u. 4. Heft
K P Sevderhelm und R. Sey der heim: Die Ursche
der perniziösen Anämie der Pferde. Ein Beitrag zum Problem des
U,tia Ausgehend" von der Beobachtung, dass bei allen Sektionen von
Pferden die an perniziöser Anämie eingegangen waren,
Magenwand haftend die L a r v e n der Pferd e b r e m s e (OestrusK
m a t ische"1 U n t (Tr such u n g e n "i'iber"" dfe° W irks amk e i t des Extraktes dieser
Sven anges, eit und kommen zu sehr .bemerkenswerten und .nter-
essanten Resultaten. Sie konnten mit dem wässerigen Extr kt, d
SÄ-'ii'Ä atSh ÄÄÄ Ebenso g
ÄÄ&SÄÄS,:«
m ! F 47 Es wird vom Magendarmkanal resorbiert und findet s ch
Sä sÄiwa?*? ■
gift und dass es ihnen gelungen ist, durch ein „^“sektloÄichte
bekämpfen. Die zahlreichen Versuchsprotokolle, Sektionsbericnte,
Fieberkurven müssen im Original nachgelesen werden.
P Isenschmid und W. Schnitzler: Beitrag zur Lokali¬
sation des der Wärmeregulation vorstehenden Zentralapparates m
ZwfSchenhlrn (Med. KHml j Frankfurt a.^ ^ Darstellung
lntinn ict das Tuber cinererum, von dem aus weitzerstreute raser
im kaudalen Teil des Zwischenhirns die Impulse fortleiten, von denen
schon ein Teil genügt, die Wärmeregulation aufrecht zu erhalten.
A ehndorff: Leber die Wirkung des Jods auf den Kreislauf.
Nebsf einem Anhang über die Wirkung der Bromsalze auf den Kreis-
laUf' I nt ra venöse" * ^ njekt Urnen isotonischer Jodnatriumlösungen bei
Katzen mgäblS eine Erhöhung des Schlagvolumens de, l»«J
woraus Verf die günstige Wirkung des Jods auf den Kreislauf un
die Resorption von Entzündungsherden (bessere Durchblutung) er¬
wart Die gleichzeitige Blutdrucksteigerung, die aber durch Gefass-
erweitening hintangehalten werden .kann, lässt : das i Jod bei hohem
Rintrlrnrk und organischen Veränderungen besonders
kontrabrdiziert eSeinen. Bromnalrium in dm gleichen Weise ge-
geben blieb ob« Wirkung ^ ; ^ E,nfluss des v tallven Nervc„.
Cholin Ver
mehrung der Eosinophilen und Lymphozyten, ebenso ei"e.yer^ p^
der letzteren nach Adrenalin, eine Verminderung nach Atropin. Ein
Antagonismus "zwischen sympathischem und parasympathischem
Nervensystem, wie er von einigen Pharmakologen angenommen wird,
UeSSKSiCF raofmdieeSr z^VSlÄndedvate als Lokalanästhetika.
Ein Beitrag zur Differenzierung der lokalanästhetischen Wm ungs
arten und zur Frage der Beziehungen zwischen chemischer Kon.ti
tution und physiologischer Wirkung. (Pharmak. Insbtut Freiburg i. .)
Es wurde eine Gruppe von Substanzen untersucht die sich von
einem Derivat des Pbwylurethai.a (gSSS^itS. °nd
SSSS Versuche und
prinzipiellen Darlegungen sei auf das Original «'™«"Würzburg
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1523
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 26, 1914.
Alexander T i e t z e - Breslau: Die Bedeutung der Latuinektomic
bei spondylitischen Lähmungen.
Oie Resultate des Verf. sind eigentlich recht deprimierend, trotz¬
dem glaubt er jetzt bei verbesserter Technik und mit der nötigen
Eifahrung ausgerüstet dekompressive Operationen bei tuberkulöser
Spondylitis nicht ablehnen zu müssen.
Georg M ü 1 1 e r - Berlin: Zur Therapie der schnappenden Hüfte.
(Nach einem Referat, gehalten auf dem Deutschen Orthopäden-
kengress am 14. April 1914.)
Cf. Spezialreferat der M m.W. 1914.
A. R h e i n d o r f - Berlin: Hysteroneurasthenie oder chronische
Appendizitis? Zugleich ein Beitrag zur Appendizitisfrage und ihrer
Beziehung zur Oxyuris.
Schluss folgt.
Eduard S c h a e ff e r - Berlin: Uebertragung von Lympho-
granulomatosis (Hodgkin sehe Krankheit) auf Meerschweinchen.
Durch Injektion einer lymphogranulomatösen Drüse, in welcher
weder säurefeste noch M u c h sehe granulierte Stäbchen nachzu¬
weisen waren, entstand bei einem Meerschweinchen ein Granulations¬
gewebe mit Riesenzellen vom Sternberg-Paltauf sehen Typus,
welches am Injektionsort als hühnereigrosser Tumor auftrat.
Granulomherde fanden sich in den Lymphdrüsen, der Leber, Milz und
Lunge; in letzterer Hessen sich intrazelluläre säurefeste Stäbchen in
den Granulomherden nachweisen.
Carl Wienand R o s e - Strassburg i. E.: Alkaloide in den Drüsen
mit innerer Sekretion und ihre physiologische Bedeutung. Vorläufige
Mitteilung.
Durch Tierversuche fand der Verf., dass die physiologische
Lebensäusserung der Organe mit innerer Sekretion zum grossen Teile
in den Basen, Alkaloiden dieser Organe gelegen ist. Von diesen
Basen sind mehrere flüchtige und nicht flüchtige von verschiedener
physiologischer Wirkung nebeneinander in den Zellen der einzelnen
Organe vorhanden. Durch ein besonderes Verfahren kann man nun
diese Basen unverändert in grösserer Menge aus den einzelnen
Organen gewinnen und zu therapeutischen Zwecken verwenden.
Fr. M i e 1 k e - Göttingen: Die Spitzendämpfung im Kindesalter.
Manche muskelschwache und neuropathische Kinder zeigen eine
Pseudodämpfung, die sie der Tuberkulose verdächtig macht, während
es sich in Wirklichkeit nur um eine Haltungsanomalie handelt. In
korrigierter Stellung verschwindet die Spitzendämpfung prompt.
Hugo Marx und E. Pfleger: Eine interessante Verletzung
der Carotis interna.
Kasuistischer Beitrag.
Hans L i e s k e - Leipzig: Zur Frage der Ablehnung des Schaden¬
ersatzes wegen Verweigerung von Operationen.
Juristischer Beitrag. Dr. G r a s s m a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 26, 1914.
T o b 1 e r - Breslau: Die Behandlung des akuten Infektions¬
zustandes im Kindesalter.
Klinischer Vortrag.
B. M ö 1 1 e r s - Strassburg: Der Typus der Tuberkelbazillen bei
der Tuberkulose der Lungen und Bronchialdrüsen.
Einschliesslich der Untersuchungen des Verf. sind von 36 ver¬
schiedenen Autoren zusammen 974 Fälle von Lungen- und Bronchial¬
drüsentuberkulose untersucht worden; es fand sich 967 mal der
humane, nur 5 mal der bovine und 2 mal gleichzeitig der humane
und bovine Typus des Tuberkelbazillus.
Arnold G a 1 a m b o s - Pest: Ueber den renalen Diabetes.
Im Anschluss an einen genau beobachteten und hier beschrie¬
benen Fall von renalem Diabetes werden die Besonderheiten dieser
Form des Diabetes erörtert. Wenn sich normale oder subnormale
Blutzuckerwerte finden und eine alimentäre Hyperglykämie fehlt,
wenn der Grad der Glykosurie mehr oder weniger unabhängig vom
Kohlehydrat- oder Eiweissgehalt der Nahrung ist, so ist die Annahme
eines Diabetes renalis gerechtfertigt, bei dem eine Azidose ebenso
vorhanden und daher die Gefahr eines Koma gegeben sein kann wie
beim Diabetes mellitus.
A. M a g n u s - L e v y - Berlin: Ueber ungewöhnliche Verkalkung
der Arterien. (Arterienverkalkung ohne primäre Arteriosklerose?)
Nach einem Vortrag im Verein für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde in Berlin am 16. März 1914 (vgl. das Referat der M.m.W.).
Fritz Lesser und Richard K 1 a g e s - Berlin: Ueber ein eigen¬
artiges Verhalten syphilitischer Neugeborener gegenüber der WaR.
Die Anwesenheit von Reaginen im Nabelvenenblut ist abhängig
von dem Vorhandensein von Spirochäten im Organismus des Neu¬
geborenen. Systematische Untersuchungen des Nabelvenenblutes
haben nun ergeben, dass die WaR. öfters positiv ausfiel, wenn als
Antigen das A e t h er - Herzextrakt von Lesser benutzt wurde,
dass jedoch das gleiche Serum negativ reagierte, wenn alkoholi¬
scher syphilitscher Fötal-Leberextrakt zur Verwendung kam. Um¬
gekehrt gab alkoholisches Herzextrakt einen negativen. Aether-Leber-
extrakt einen positiven Ausfall der WaR. Der positive Ausfall sei
immer als massgebend anzusehen .
P. W i c h m a n n - Hamburg: Die Bewertung der Röntgenstrahlen
in der Therapie des tiefgreifenden Hautkrebses.
Selbst die moderne Steigerung der Härte und Homogenität
der Röntgenstrahlen befähigt diese nicht unter allen Umständen, die
Heilung von tiefgreifenden Hautkrebsen herbeizuführen. Häufig wer¬
den daneben radioaktive Substanzen zu Hilfe genommen werden, die
allein in solchen Fällen in Betracht kommen, bei denen Lokalisation
und besondere lokale Verhältnisse im Tumor die Röntgenbestrahlung
unmöglich machen.
H e i n e k e - Leipzig: Zur Frage der Einwirkung der Röntgen-
und Radiumstrahlen auf innere Organe, insbesondere auf die Milz.
Bemerkungen zu der Arbeit von Krönig, Gauss, Krinski,
Lembcke, Wätjen und Königsberger in Nr. 16 d. W.
Julius V i g y ä z 6 - Pest: Ein Fall von Schussverletzung der
Gallenblase, einhergehend mit Bradykardie.
Der Einschuss war durch die Leber hindurch erfolgt; der Aus¬
schuss lag auf der Rückseite der Gallenblase; Cholezystektomie, Hei¬
lung. Trotz der vorhandenen peritonealen Reizerscheinungen (Er¬
brechen, Druckschmerz, Bauchdeckenspannung, Temp. bis 38,8) ging
der Puls allmählich auf 56 Schläge herunter, was Verf. mit Fin¬
sterer auf Gallenresorption zurückführt. Nach der Operation stieg
der Puls wieder zur Norm an.
L. Müll er- Wien: Durch Operation geheilte Fälle von Netz¬
hautabhebung.
Auf Grund seiner teilweise äusserst günstigen Erfahrungen emp¬
fiehlt der Verf. dringend, mindestens alle 1 Jahr und darüber bestehen¬
den Fälle von Netzhautabhebung, bei denen also die Sehfähigkeit bei
zuwartender Behandlung als verloren angesehen werden muss, der
von ihm angegebenen Operation zu unterwerfen. Diese solle unter
allen Umständen in Narkose vorgenommen werden, damit Glaskörper¬
verluste, Zerreissungen der Aderhaut und Blutungen sicher vermieden
werden können.
E. V o g t - Dresden: Erfahrungen mit Koagulen (Kocher-
Fon i o).
Auch in der operativ-gynäkologischen Praxis hat sich das Koagu¬
len in 10 proz., durch 2 — 3 Minuten langes Aufkochen sterilisierter
Lösung mittels Rekordspritze auf die blutenden Stellen aufgespritzt,
sehr gut bewährt.
S. S a 1 1 y k o w - St. Gallen: Vollständige Entfernung eines
Uteruskarzinoms mit der blossen Hand.
Bei Gelegenheit einer operativen Entbindung wurde lediglich mit
der Hand ein polypenartiges halbeigrosses Gebilde von der Portio
entfernt, das sich mikroskopisch als Plattenepithelkarzinom erwies.
Die Patientin ist jetzt 2 Jahre rezidivfrei; gelegentlich vorgenommene
Probeexzisionen aus der Portio ergaben normales Gewebe.
Fritz Rosenfeld - Stuttgart: Erfahrungen über F. F. Fried-
m a n n s Heil- und Schutzmittel.
Das Friedmann sehe Mittel hat in den meisten Fällen ver¬
sagt; einige leichtere Spitzentuberkulosen besserten sich, auffallende
Besserung wurde in 2 Fällen von Drüsentuberkulose gesehen.
Paul B o n h e i m - Hamburg: Zur Behandlung der Tuberkulose
mit Schildkrötentuberkelbazillen nach Piorkowski.
10 Kranke wurden mit 35 Injektionen behandelt; trotz der regel¬
mässig eintretenden, gelegentlich recht heftigen Reaktion soll das
Piorkowski sehe Mittel keine gefährlichen Nebenwirkungen
haben. Besserungen waren stellenweise unverkennbar.
H. v. H e r 1 1 e i n - Hamburg: Ein Fall von Akrodermatitis chro¬
nica atrophicans Herxheimer.
Kasuistischer Beitrag.
Adolf S c h n e e - Frankfurt a. M.: Die diagnostische und thera¬
peutische Bedeutung der Kondensatorentladungen.
Eignet sich nicht für ein kurzes Referat. B a u m - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. Nr. 24, 1914.
A. 0 s w a 1 d - Zürich : Zur Behandlung des endemischen Kreti¬
nismus.
Beschreibung von 2 Fällen, die mit eklatantem Erfolg mit dem
chemisch reinen Sekret der Schilddrüse, dem vom Verf. dargestellten
Jodthyreoglobulin behandelt wurden. Man soll in jedem Fall das
Präparat anwenden, da nur der Versuch entscheidet, ob das Leiden
im Einzelfall beeinflussbar ist. Bei Mongolismus blieb die Wirkung
aus. Das Mittel ist im Handel als Tabletten mit bestimmtem Jod¬
gehalt unter dem Namen Thyrakin zu haben, ist geschmack- und
geruchlos; man gibt alle 2 Tage 0,1 g.
0. Stiner-Bern: Zur Aetiologie und Diagnose der Pyelo-
zystitis im Kindesalter.
Verf. beschreibt 2 Fälle, die mit Sicherheit auf Erkältung zurück¬
zuführen waren, einen mit Appendicitis acuta komplizierten und einen
vierten, bei dem die Differentialdiagnose mit Appendizitis Schwierig¬
keiten machte. L. Jacob- Wiirzburg.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 26. R. K r a u s - Buenos Aires: Ueber neuere Ergebnisse in
der Erforschung des filtrierbaren Virus.
In eigenen Versuchen hat Verf. mit dem Virus der Maul- und
Klauenseuche, Hühnerpestvakzine, Rabies durch peritoneale Impfung
beim Kaninchen und Meerschweinchen einen Fiebertypus hervor¬
gerufen, ähnlich dem von Thomas und Nicolle beschriebenen;
vielleicht lässt sich auf diese Weise auch bei Scharlach und Masern
ein Resultat erzielen. Die von F o r n e t angegebene Züchtung des
Variolavirus ist Verf. bisher nicht gelungen; die von Noguchi bei
1 r24
MUENCHENER MEDIZINISCHE OCEtENSCHRlFT^
Nr. 27.
Lvssa (Virus fixe) gL denen Gebilde hat auch Verf. nachgewiesen,
dagegen ist die Kultui urch Tierimpfung nicht gegluckt.
G Kelling-Dre. ’en: Blutserumuntersuchungen bei Kar-
zlnoinatösen mit neuer w. besserter Alethode. ... erhielt
K. beides KarzinoÄe n ^^'^^daumig^anah ^8 mak ^ i.^ in
fn’ca° 3>ProzUnefn positive^ Resultat"13^ Sicherheit der Diagnose
ässf’ sich beträchtlich erhöhen, wenn ausserdem eine der anderen
Serumuntersuchungen ausgeführt wird, wozu sic nositiven^usfall
A s c n i ; Sche Meiostagminreaktion eignet. Bei dem pos tiven Ausian
heide? Reaktionen wird das Vorhandensein eines Karzinoms höchst
wahrscheinlich. Gut ist auch die Kombination der
mir der Untersuchung der Eazes auf okkulte Blutungen, nervur
Tuheben ist der diagnostische Wert der Blutserumuntersuchungen
gegenüber der von den Spezialärzten fiir Magen- und Darmkrank¬
heiten mit Unrecht vielfach allein geübten Rönt|enuntersuchung s
sind namentlich für die Frühdiagnose wertvoller, da schon
kleine, nicht palpable Tumoren positiv reagieren luctischen Rc-
W. Spät- Kladno: Die Frage der Herkunft des luetiscnen ise
at< (innskörners in der Zerebrospinalflüssigkeit. .
K dem Ergebnis der Untersuchungen erscheint die von
Wassermann und Lange (B.kl.W. 1914 Nr. 11) ausgesprochene
Annahme, dass in der Zerebrospinaiflüssigkeit - d, e ^nphozyten den
Ursprungsort für den luetischen Reaktionskorper bilden, nicht als oe
gründet da nicht nur die Lymphozyten von positiv reagierenden
Zerebrospinalflüssigkeiten den Hemmungstiter .crh‘^
fir-ssio-k-eiten steigern konnten, sondern auch andere teilen mci
luetischer Herkunft, wie u. a. Meerschweinchenleukozyten, die Zellet
ymi tuberkulöser Meningitis und Erythrozyten. .
von "jD^‘[Uc1JS,cr - Wien: Zur Kasuistik des Röntgenkarzmoms.
Vier Krankengeschichten von drei sicheren und einem uns^eren
Fall von Röntgenkarzinom. Einer derselben zahlte erst hr .
er zur Operation gelangte, und war im 9. Lebensjahr einer Ko rügen
bclnndlung wegen Prurigo Hebrae und Ekzem der Kopfhaut unter-
worlen worden20 Sämtliche Fälle liefen in ihrer Entstehung : weit zu-
rück- gegenwärtig lassen sich bei Beherrschung der 1 ectiniK unu
Gewissenhaftigkeit schwere Röntgenschädigungen und damit das
KarZN°WofontTsmcehd-CWien: Zur Frage der menstruellen Schild-
diÜS< \vieSerrhoUeUMessungen an 53 Frauen in der Zeit der Men¬
struation. Grössenschwankungen der Schilddrüse werden durch
srhiedene Momente bedingt und werden anscheinend häufiger bei
krankhafter Veränderung der Schilddrüse gefunden. Zahlenmassig
nachweisbare Schwankungen zur Zeit der Menstruation wurden nur
in geringer Zahl beobachtet, wobei es nicht smher. sondern nur wahr¬
scheinlich ist. dass die Volumvergrösserung wirklich durch die Men¬
struation bedingt ist. Die bisherigen gegenteiligen Annahmen sind
nicht «ml|cnd bfr™"£e|dorf-HaCHnr. Heber eine,, Fall von hy-
S'CrlKSsS"DMi«;iln,,2. B e r * e a t - Manchen.
Russische Literatur.
(Schluss.)
W. K e r n i g - Petersburg: Zur Lehre von der Lebersenkung
(Descensus hepatis). (Russky Wratsch 1914 Nr. kommt
Auf Grund seiner ausgedehnten klinischen Erfahrungen kommt
der Autor zu dem Schluss, dass leichtere und mittlere Grade von
Lei ? Senkung häufiger angetroffen werden, als man gemeinhin an-
7im •; men nflegt. Zu ihrer Diagnose ist neben der Palpation des
Leberandes noch der Nachweis des Fehlens der Leberdampfung
rechts hinten unten am Thorax in aufrechter Stellung des Kranken
erfc cr] n-lich Die Senkung der Leber, die fast ausschliesslich bei
Frauen und sogar bei hochgradiger Fettleibigkeit beobachtet wird
hat sehr häufig keinerlei Beschwerden zur Folge, mitunter jeaoen
»s ht sie eine chronische Appendizitis oder schmerzhafte Nieren-
affeOi.-n vor. Auch kann dieser Zustand mit einer Vergrosserung der
Leber oder mit einem Tumor derselben verwechselt werden.
l> w o j n o w - Petersburg: Die Bedeutung des Nachweises von
Löffler sehen Bazillen für die klinische Diagnose der Diphtherie.
(Russrt v f^jrc fs^c^tzüfen kommen im Rachen auch gesunder Per¬
sonen' oder bei nichtdiphtherischen Erkrankungen vor, wahrend sie
hei w -ifelloser Diphtherie manchmal fehlen können. Am Kranken¬
bett tat skh daher der Arzt vornehmlich durch das gesamte kli¬
nische Bild leiten zu lassen: die bakteriologische Untersuchung is
nur eines der Hilfsverfahren zur Sicherung der Diagnose und diese
ganz auf den Bazillenbefund begründen zu wollen, wäre absolut ver-
feh\v Kusnezow- Petersburg: Ueber die Frühdiagnose des
Magenkrebses mittels der Reaktion von Wolff und Junghans.
(RUSDie vontWhol9f14und Jung h ans für die Unterscheidung der
*■ .... Arhvlie von der bösartigen empfohlene Reaktion mit Phos-
gutartigen Achylie \on i aer Dosarug * Verein mit anderen
pliorwoKramsaure iut brauchbar und wmvig jedoch eine be-
™fe von Achylie ohne iedc Blutbei-
tiiqo Prozess schon ziemlich weit fortgeschritten ist. der 1 umor bc-
S exulzerle?! und infolge des Kernze, falls Nukleoalbum.nc Ire,
geworden, sind. , . (Dorpat): Materialien zur Frage nach der
organölropen Wirkung1 des Sa^arsans Eine experimentelle Unter-
suchimg. 10 Katzen und
7 Hunden ausgefütirt. denen das Salvarsan in 1 proz. al“sc,her
sung meist intravenös injiziert wurde. Es zeigte sich, dass das ^ a
varsan eine merklich organotrope Wirkung besitzt, die sich auch auf
das Nervensystem erstreckt. ^ k||nl8chc Bedeutun(! der A b d e r -
" 3 ' hÄcÄ
ÄÄÄÄtSÄÄ
, •(oiinrp Totsache dass sie bei der Gravidität konstant cm
■" 4 Fräbpcr'iode,, derselben, was
r^olÄPgrnachtl SSÄÄ Ergebnisse SÄ sc .ist
sie auch für die gerichtlich-medizinische Feststellung stattgehabter
Schwangerschaft «. We| _ n t z - Moskau: Die ch.rnrg.sehe Be-
“if de) Ät Ä die ^operative Behandlung
t-otz temporären Erfolges in vereinzelten Fällen jeglicher Begrün-
düng- sie ist m? ganz ausnahmsweise zulässig, auf das kategorische
Verlangen zurechnungsfähiger Kranker und ohne ^Tälle ,us-
SJiiSSS ^MS'pS^iÄ-nsf'gesundem
SiS. ,SrS? SffiTÄi'ÄÄ "«Ä SO
muss man wohl bei echter Riudenepdepsie stets operieren abc> - ohne
Hfsn Frfnlv zu verbürgen. Ebensowenig ist das Resultat vorauszu
sehen mSÄ Epilepsie: in diesen Fällen ist ledoch die
Operation indiziert nicht nur dort wo eine offenbare Verletzung d
QotiäHpk oder des Gehirns vorliegt, sondern auch dort, wo eine soicue
fehl? Von allen für die Behandlung der Epilepsie empfohlenen chirur¬
gischen EingdSen ist nur die Trepanation einigermassen gerecht-
fert'RS Dibailow-Pawlowsk: Ueber die Infektiosität der fibri-
nöse^^kruppösen) Pneumonie. (Pr^kticzesky er^di e^k V u p-
Ä •Ä.Ä " Se f i
wurde. Die Lungenentzündung ist somit e‘ne uFb2raR ar p “
ÄSM LSÄ föiSlÄÄ
AngWnHUolCmesfenn- Moskau: Ueber die Verwendung des Jothions
- ^rrÄBor^BScÄ'an^r^^’beider
ÄSsrteUoto “nl1
"‘"WXK ffz 'ÄÄ =— £
spontanen Gangrän der unteren Extrem, tai len mit der Sklerose
mär^Obturatio^findeEgewöhnlk'l'^a'n'gapz bestimmen Jprädncktions-
Vorgänge werden in den weiter unten belegenen Gefassen ftewohn-
Uch diejenigen speziellen Gef äss wandveränderungen beobachtet
. . „n .,is Arteriitis obliterans bezeichnet und als eine Atiekt
ÜÄ ä a
HerZWS‘siavi an is- Moskau: Ueber Ervasin und Ervasinkalzlum.
(PraDasZeEr vasin 'und' sViif Kaizfuinsalz ist eines der besten Sali-
zylpräpara^e Indiziert ist es bei akutem Gelenkrheumatismus, be,
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1525
Exazerbationen seiner chronischen Formen, bei Muskelrheumatismus,
Neuralgien, Influenza und überhaupt dort, wo eine milde antipyre¬
tische und schmerzstillende Wirkung erforderlich ist. Liegen Kom¬
plikationen seitens der Kreislaufs-, Verdauungs- oder Atmungsorgane
vor, so verdient das Frvasinkalzium den Vorzug, ebenso auch in der
Kinderpraxis.
D. P a p i t o w - Tomsk: Die Bestimmung der motorischen Funk¬
tion des Magens mittels einer Lösung von Traubenzucker. (Medi¬
zinskoje übosrenije 1914 Nr. 1.)
Durch Vorversuche an 26 gesunden Personen wurde festgestellt,
dass eine halbe Stunde nach Darreichung von 400 ccm Wasser der
allergrösste 1 eil davon in den Darm übergegangen und nur ein
kleiner Rest von 40 — 80 ccm im Magen noch verblieben ist. Bleibt
nach Ablauf von 30 Minuten eine grösseie Wassermenge im Magen
zurück, so spricht dieser Umstand für eine Störung der Magen-
motilität, und zwar für eine umso beträchtlichere, je mehr Wasser an
dem bezeichneten Zeitpunkt im Magen noch nachweisbar ist. Das an
zahlreichen Magenkranken erprobte Verfahren besteht nun darin, dass
man 30 Minuten nach Darreichung von 400 ccm Wasser noch 200 ccm
einer 1 proz. Traubenzuckerlösung einführt, einige Zeit abwartet, bis
sich die Zuckerlösung mit dem etwaigen Wasserrest im Magen gut
vermengt hat, sodann mittels der Magensonde 20 — 30 ccm aushebert,
die Flüssigkeit filtriert und mit Hilfe von Fehling scher Lösung den
Prozentgehalt an Zucker in der ausgeheberten Flüssigkeitsmenge be¬
stimmt. Auf Grund der so bestimmten Zuckerkonzentration ist nun
leicht auszurechnen, wieviel Wasser im Magen zurückgeblieben ist.
Die klinischen Erfahrungen zeigten, dass diese Methode von allen
anderen den Vorzug verdient, da sie es gestattet, auf einfache Weise
und mit fast mathematischer Sicherheit die motorische Funktion des
Magens zu ermitteln.
E. G o 1 d e n w e i s e r - Moskau: Vomito negro appendicularis.
(Medizinskoje Obosrenije 1914 Nr. 1.)
Bluterbrechen bei Appendizitis wird am häufigsten beobachtet in
schweren Fällen mit Perforation des Wurmfortsatzes und konseku¬
tiver eitriger Peritonitis; in einigen selteneren Fällen jedoch kann
diese Komplikation auch bei Colica appendicularis auftreten. Für die
erstere Krankenkategorie ist die Prognose eine sehr schlechte: mit
seltenen Ausnahmen gehen solche Patienten zugrunde. Für die letz¬
tere Kategorie ist die Vorhersage bedeutend besser: eine Genesung
kommt öfter vor. Die Hämatemesis bei Blinddarmentzündung stellt
sich stets völlig unerwartet ein, ohne jegliche Prodrome; häufig genug
überrascht sie erst nach der ä chaud ausgeführten Operation. Die
Pathogenese dieses Symptoms ist noch nicht ganz aufgehellt ; in
der Mehrzahl der Fälle scheint es sich um eine Embolie der Magen¬
schleimhaut zu handeln.
M. Newiadomsky - Moskau: Die Anwendung von Serum bei
der kruppösen Pneumonie. (Medizinskoje Obosrenije 1914 Nr. 3.)
Die Anwendung von Pneumokokkenserum in 10 Fällen von
fibrinöser Lungenentzündung lehrte, dass dieses Serum eine streng
spezifische Wirkung entfaltet, indem es die Diplokokkenpneumonie
beeinflusst, während bei der F r i e d 1 ä n d e r sehen Pneumonie jeg¬
licher Effekt ausbleibt. Wird das Serum in den ersten drei Krank¬
heitstagen eingespritzt, so kupiert es unzweifelhaft die Krankheit:
die Temperatur sinkt früher als sonst, und die fieberhafte Periode
wird abgekürzt. Später injiziert wirkt es nicht so sicher, so
dass wiederholte Einspritzungen erforderlich sind. Die Serumappli¬
kation leitet ganz ohne Zweifel den Beginn der Lösung des Lungen¬
prozesses ein, die Dauer des Reinigungsstadiums dagegen wird durch
sie wenig beeinflusst. Das Allgemeinbefinden bessert sich auffällig:
die Schmerzen lassen nach, die Delirien und die Unruhe schwinden;
auch die Herztätigkeit wird gebessert, der Puls wird voller und
minder frequent, die Diurese steigt an. Durch die Serumeinwirkung
erfährt die Leukozytose eine erhebliche Steigerung. Die Dosis be¬
trägt mindestens 50,0 subkutan, die erforderlichenfalls wiederholt
wird. Serumerscheinungen kamen nur in 3 Fällen von 10 zur Beob¬
achtung.
J. M a i s e 1 - Moskau: Ueber tuberkulöse Perikarditis bei Kin¬
dern. (Medizinskoje Obosrenije 1914 Nr. 4.)
Eine tuberkulöse Perikarditis wird bei Kindern in 3,3 Proz. sämt¬
licher Fälle angetroffen, in denen bei der Sektion das Vorhanden¬
sein von Tuberkulose zu erheben ist. Intra vitam ist kein einziges
Symptom als für dieses Leiden konstant zu betrachten. In manchen
Fällen vermag die tuberkulöse Perikarditis einen Ausgang in Ge¬
nesung zu nehmen.
A. K o 1 1 y p i n - Moskau: Ueber die Behandlung der Malaria
mit Salvarsan. (Medizinskoje Obosrenije 1914 Nr. 4.)
Das Salvarsan ist ein spezifisches Heilmittel bei der Malaria,
wenigstens bei der Tertianaform. Dennoch ist auf eine völlige Sterili¬
sierung des Organismus wohl kaum zu rechnen, insbesondere bei ein¬
maliger Applikation und noch weniger bei subkutaner Anwendung
Deshalb muss man das Mittel mehrmals einführen, und zwar auf
intravenösem Wege, sonst dient das Salvarsan nur als erster Ictus
therapcuticus, dem eine länger dauernde Chininbehandlung zu folgen
hat
A. S s o k o 1 o w - Moskau: Die Serodiagnose des Krebses nach
Abderhalden. (Medizinskoje Obosrenije 1914 Nr. 6.)
Von 17 Krebspatienten reagierten 16 positiv und nur einer
nC8ativ: bei diesem letzteren war jedoch die Karzinomdiagnose nicht
völlig einwandfrei. Mit gutartigen Geschwülsten reagierte Krebs¬
serum in 100 Proz. negativ. In zwei Fällen von Drüsenkarzinom
fiel die Reaktion auch mit gesundem Lymphdrüsengewebe positiv aus.
Häufig ergaben kleine, etwa nussgrosse Tumoren eine intensivere Re¬
aktion als grosse. Die Abderhalden sehe Reaktion vermag so¬
mit für die Diagnose krebsiger Neubildungen wertvolle Dienste zu
leisten. Die Ergebnisse dieses Verfahrens sind sicherer und exakter
als die der anderen serologischen Methoden, und die Technik ist
nicht schwerer und komplizierter als die anderer Serumreaktionen.
Deshalb gebührt dem Abderhalden sehen Dialysierverfahren eine
der ersten Stellen in der Reihe der klinischen Untersuchungsmethoden
bei Karzinom.
Th. A 1 e x a n d r o w - Moskau: Neue Wege in der Behandlung
gynäkologischer Erkrankungen. (Medizinskoje Obosrenije 1914 Nr. 6.)
Der Autor verfügt über 13 abgeschlossene Fälle gynäkologischer
Erkrankungen, die mit Röntgenstrahlen behandelt worden sind. Eine
Amenorrhöe wurde erzielt bei 5 Patientinnen mit Fibrom und be'.
einer Patientin mit Metroendometritis, eine Oligomenorrhoe stellt,
sich bei 7 Patientinnen ein. Eine vollständige Atrophie der Ge
schwulst trat bei 3 Kranken, eine hochgradige Verkleinerung bei 5
und eine geringe Grössenabnahme be: 5 ein. Die Röntgenstrahlc-'
entfalten demnach bei Fibromyomen des Uterus und bei Metropalhk .
eine äusserst günstige Wirkung. Solche Tumoren, in denen die En:
Wicklung von Muskelgewebe prävaliert, mit starkem Oedem de
Gewebe und der Kapsel, können sogar vollkommen schwinden. An¬
zuwenden sind mittlere Dosen; grosse Strahlendosen sind nur bei
Blutungen zu gebrauchen, da sie blutstillend wirken.
N. L e s h n e w - Petersburg: Die Behandlung der Tuberkulose
nach F. F. Friedmann. (Nowoje w Medizine 1914 Nr. 2.)
Nach dem F r i e d m a n n sehen Verfahren wurden 16 Patienten
behandelt, und bei 6 von ihnen war nicht die geringste Wirkung
zu konstatieren. Von den Fällen, wo eine Besserung eintrat, hielt
diese nur bei zwei Kranken mehr als 5 Wochen an, bei den übrigen
hingegen überdauerte sie nicht den Zeitraum von 3 Wochen. Die
besten Resultate sind, wie es scheint, erst von der wiederholten Ein¬
führung des Präparates zu erwarten, und auch dann hauptsächlich bei
der chirurgischen Tuberkulose. Jedenfalls wurden rasche und ..ver¬
blüffende“ Heilerfolge kein einzigesmal beobachtet, so dass unter
den gebräuchlichen Tuberkulosemitteln das F r i e d m a n n sehe vohl
Beachtung verdient, aber keine grösseren Ansprüche zu erheben be¬
rechtigt ist.
W. B o 1 d y r e w - Kasan: Der Einfluss des Schilddrüsenappa¬
rates auf die Wärmeregulierung. (Charkowsky medizinsky J< arnal
17. 1914. H. 2.)
Experimentelle Untersuchungen über die Hervorrufung r.nd Be¬
handlung krankhafter Zustände, die für der Schilddrüse und der
Nebenschilddrüse beraubte Tiere typisch sind, ergaben, dass eine
vollständige Thyreoidektomie Warmblüter (Hunde und Katzen) zu
Kaltblütern degradiert oder dass, mit anderen Worten, der Sch.'id-
drüsenapparat bei der Wärmeregulierung eine wichtige Rolle spiJt.
Durch Erwärmung vermag man bei thyreoidektomierten Tieren e-’oen
typischen Krampfanfall auszulösen, und durch Abkühlung des T: .res
werden die künstlich hervorgerufenen oder spontan entstanrenen
Konvulsionen beseitigt. Wird jedoch das Tier noch weiter sta;k ab¬
gekühlt, so folgt auf die erste, günstige Phase eine zweite, schäd¬
liche, in der die Ueberkiihlung ernste Störungen oder sogar den
Tod nach sich zieht. Diese experimentellen Ergebnisse legen eine
ganze Reihe von Fragen nahe, so z. B., ob nicht die bei manchen
Tieren und Menschen zu beobachtende Ueberempfindlichkeit gegen¬
über hohen Temperaturen von einer unzureichenden Funktion ihres
Schilddrüsenapparates abhänge, ob nicht manche Krankheitserschei¬
nungen, die bisweilen bei erhöhter Temperatur der Umgebung beim
Menschen zur Beobachtung kommen (wie Hitzschlag, Ohnmachts¬
anfälle im heissen Bade u. dgl.), ebenfalls mit der gestörten Funk-
Fon dieses Apparates im Zusammenhänge stehen, ob nicht der
Eklampsie der Kinder gleicherweise irgend eine Unregelmässigkeit
in der Entwicklung und der Funktion des genannten Apparates zu¬
grunde liege, und ob nicht schliesslich die Eklampsie der Kreissendc
durch dieselbe Ursache bedingt sei. Für .'etztere Vermutung spn ;nt
der Umstand, dass man in jüngster Zeit rr.'f Erfolg versucht h-.i, die
Eklampsie der Frauen mit Schilddrüsenpräpora^en ra oehandeln.
Auch für die Hygiene sind die angeführten Versuchsergebnisse von
Bedeutung. Denn wenn eine hohe Aussentemperatur für manche
Personen schädlich und sogar verderblich sein kann, so ist an öffc
liehen Orten, bei grossen Volksansammlungen, bei Manövern jsw.
nicht nur für genügend reine Luft zu sorgen, sondern auch «Jeber-
hitzung der Räume oder der versammelten Personen zu verhindern.
L. Kandyba und D. Natanson - Charkow : Ueber die
Chemotherapie bakterieller Infektionen. — Aethylhydrokuprein bei
Ulcus corneae serpens. (Charkowsky medizinsky Journal 17. 1914.
H. 2.)
Das Aethylhydrokuprein ist allem Anscheine nach ein sicheres
Mittel zur Bekämpfung der Pneumokokkenaffektionen der Hornhaut
und speziell des Ulcus serpens. Ebenso ist in Fällen von Pneumo¬
kokkeninfektion nach Starextraktionen neben dem Chinin die Anwen¬
dung von Aethylhydrokuprein am Platze. Vor Operationen am Aug¬
apfel, insbesondere vor einer Extraktion, sollte man das Sekret des
Konjunktivalsackes auf Pneumokokken untersuchen und bei posi¬
tivem Befund bis zu ihrem Verschwinden Aethylhydrokuprein instil-
lieren.
A. A 1 a d o w - Charkow : Ueber die Behandlung des Rekurrens
mit Salvarsan. (Charkowsky medizinsky Journal 17. 1914. H. 3.)
1526
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
Behandelt wurden 22 Patienten Im Alter ndvo0n5'Ve lifS
Die Salvarsandosis schwankte zwischen 0.3 und ..
wurde verhältnismässig gut ver ragen, ^ niemais einen bedroh-
tionserscheinungen sich einstellten, d J bei 2 Kranken
liehen Charakter annahmen. Ruckfa 1 e vvuraen n
beobachtet, und zwar ha ten ^f^eeruna de? Gabe aul 0.4-0.5
von Die JS
äStSt'SÄÖS des Rekurrens Ist
somit, sakyn-eChark0w : Die Ehrlich sehe ^ Dlmethyl-
amidobenzaldehyd-Reaktion. (Charkowsky medizinsky Journal .
1914’rne Ehrliche Dimethylamidobenzaldehydreaktion bildet eine
notwendige Ergänzung zu Bedeutung
2 5äf .7 ÜÄÄÄ ^
SStäs ää «*
iiebers d A - fS£sffiü£: Ä5Ä
Se“nZs!rr? “o^lSskranklmlten Iruss.) 27. 1914.
H' ''Die Gonokokken selbst werden .ff/^ar^mvh das Qünokokken-
«viissSs«
iÄÄÄÄZÄ.
dldimls rSer abaunehmen. Dagegen .wirkt™ a»'J"Re^
SSms
KhÄGoÄkenWä
Geschlechtsverkehr mit einer gesunden Person mch zu gestatten.
A. Dworetzky - Moskau.
alS° WeJnZdTeSVedfninbdereEinleitung sagen, dass der Gebrauch von
Schiessbrillen im Felde eine mehr untergeordnete Rolle spielt< da
§o!rbSk\?cÄ im" ErnSe b|PaSouu|n die
nach vorwätrs getan wurde.
Fortschritte auf dem Gebiete des Militärsanitätswesens.
Senate der Kaiser-Wilhelms-Akademie von Prof. Kr ucKmann,
wYclüi'g weil der Mann, der mit einem Refraktionsfehler behaftet ist,
hellen Arten von ■ .»deutender; so hat das Gardekorps in einem
d?r "ten fata? Sein 428 Schless'brillen beschafft da keine be¬
sondere Vorschrift oder Anhaltspunkte dafür vorhanden waren. So
• f t aip Sache nun für manchen bisher zu sein schien, so kom-
e!nf?cl d‘e ä cf! Wir klich k ei t Wurde schon bisher immer über¬
sehen dass der Mann beim Zielen, besonders liegend nicht das Zen¬
trum des korrigierenden Glases benutzen kann, sondern stets durch
. i ,., pan(] desselben sehen muss, wodurch die prismatische Ablenkung
5er Strahlen bei Zylindergläsern aber noch viel verwickeltere
der btranien. d . KCrade Gegenteil von dem bewirken,
was ^ie "bewirken sollen, nämlich sie verursachen eine Verzerrung
VOrwdlla üciau w
Lagerungsvorrichtungen für Krankentra gen
sind schon eine stattliche Anzahl erfunden und erprobt worden
Aii,, vnben aber ihre Fehler und Mängel: bald zu geringe Stabil ‘ ,
b ld zu grosses Gewicht oder zu bedeutende Anschaffungskosten
SHE S2 « ,iS£i
. . , „ic nllf Pritschenwagen oder Lastautornobilen, als
SLTrX ISfÄ™ Wem Falle erfolgt die Ueber-
<‘eCkÄE?rmtioäem dTs" Gerüst grösstenteils aus Holk besteht wiegt
es doch 286 kg*) und bietet Raum — wie das L'n*™fde~fy/o Teiie
für 8 Traeen dazu Sitzgelegenheit für 8 Leichtverletzte. Die -
ia Hie Breite der Güterwagen durchweg die gleiche ist. uas sysiem
verträgt also entschieden eine Vereinfachung und gibt dann voraus¬
sichtlich ein brauchbares ModeH für Herstellung durch lmPr0Vlsatl
mit Hilfe von Lattenstücken und Drahtstiften invweilersvstems
angefühTwird, dLs" die^SlSrn di? Stösse während der Fahrt
KSÄÄ g
die dKraniäesti gS°inSkurzen?Gütee,!-)UnWadgene Sifz^beseitigen^gelingt
nich^auch nicht durch an der Wagenwand angebrachte Federn, aber
wesentlich Äldert können sie werden dadurch, dass man d e
Tragen in langen Schlaufen aufhängt. Alle hölzernen Tragen - die
dsemen Feldfragen tun dies nicht - federn so »viel, dass die senk¬
rechten Stösse grösstenteils paralysiert werden.
Die Firma Manry & Co. in Offenbach a. M. bringt eine z e r 1 e g -
ÄÄ" Ä31 Sanlfätskolonnen1 ÄH«!* g
S» äs SÄf ■<§
unhandlich, weil das Sägeblatt nicht verschränkt werden kann, Ab¬
hilfe kann hier wohl getroffen werden. p,
in jst SÄÄÄ«
täUkolonn'en^1 uSd" 'bwühlt ^it Recht die Ausbildung ver¬
schieden alteriger Mannschaften, die verschiedenen Standen ange¬
hören und verschiedene Bildungsstufen und Auffa-^ungspbe zeigen,
so darnach seinen Erfahrungen am Ende eines Dienstjahres höch¬
stens 25 Proz der Freiwilligen als gut ausgebildet bezeichnet werden
können wobei nur Nothilfe, Transportdienst und einige Kenntnis n
de? HersTellung von Notbehelfen berücksichtigt ist. Er nimm an.
dass an diesem Mangel viel weniger die Verschiedenheit des Alters
der Intelligenz und die häufige Abhaltung von der Teilnahme an den
Uehuneen die Schuld tragen, als vielmehr das Fehlen einer für ga -
Deutschland einheitlichen Organisation des Uebungsdienstes mit
strengster Beschränkung auf die Hauptaufgabe und Anpassung des
strengster DescnraiiR s „ Durchschnitts der Frei-
Un,l,err'C :htSsä"ndee dies n?cht der Fall ist, bleibt das Kolonnenwesen,
»SM b nSe°J Sgf, ein ordnunksloses, mangelhalt ausgcbildetes
Massenaufgebot ohne besonderen inneren Wert, worüber Parader i der
Kolonnen nicht täuschen können. Allerdings muss noen ningeiug
werden! dass wohl nicht jeder Kolonnenarzt ein guter Lehrer sein
wird.
*) Linxweiler 764 kg.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1527
7. Juli 1914.
Dass übrigens ftir den Ernstfall Mangel im Mitgliederbestände
der freiwilligen Sanitätskolonnen vom roten Kreuz herrschen wird,
da ja alle Reservisten, Landwehrleute und sogar ein Teil der
Landstrumpflichtigen ausscheidet, ergibt sich aus einer Zusammen¬
stellung im „roten Kreuz“ Nr. 7/14, wo auch der Frage, wie diesem
Mangel abzuhelfen ist, nähergetreten wird.
Das französische rote Kreuz (gl. Nummer) besteht,
nach einer Mitteilung des Generalarztes Dr. Körting, seit dem
Jahre 1864, wo eine Gesellschaft zur Unterstützung der im Kriege
verwundeten und erkrankten Soldaten sich bildete, wozu im Jahre
1883 die Verbindung französischer Damen zur Unterstützung der
Heeressanitätsdienstes mit 30 000 Mitgliedern trat nebst einem Ver¬
mögen im Werte von 7 000 000 Frs. Es beziffert sich alles in allem
die Mitgliederzahl jetzt auf etwa 140 000 Personen mit über
30 000 000 Frs. Vermögen, eine Summe, mit der wir in Deutschland
wohl noch nicht rechnen können. Nicht uninteressant ist es zu
sehen, dass nach dem genannten Aufsatze ein Mitglied des roten
Kreuzes kommt in
Oesterreich-Ungarn auf 477 Einwohner
Frankreich . 260 „
Schweiz »93 „
Deutschland »75 »
Japan „ 31 „
Plötzlrche Todesfälle beim Baden kommen alljähr¬
lich auch bei den Truppen vor. Während man bisher als Ursache
plötzlichen Stillstand des Herzens infolge von Muskeldegeneration
oder den durch den gefüllten Magen gegen das Herz ausgeübten
Druck oder Erstickung infolge von Aspiration von Speiseresten an¬
sah, die aus dem Magen regurgitieren, oder den Tod mit dem Ein-
diingen von kaltem Wasser in die Respirationswege und reflek¬
torische Herzlähmung oder mit einem Herzschock in Verbindung
brachte, stellt A. G ü 1 1 i c h in der Medizinischen Klinik 13/13 die
Behauptung auf, dass Leute mit Trommelfellperforation, wenn sie
plötzlich tauchen oder ins Wasser springen, und dabei Wasser in das
Mittelohr eindringt, Schwindel und Brechreiz bekommen können
durch Reizung der Vorhofsnerven besonders dann, wenn die Tem¬
peraturdifferenz zwischen Wasser und Vorhof eine grosse ist. Es
ist deshalb zweifellos die schon seit Jahrhunderten bestehende An¬
sicht berechtigt, dass man nicht mit vollem Magen baden, desgleichen,
dass man sich vor dem Bade abkühlen soll, um Erbrechen und
Aspiration von Speiseresten zu verhindern. Dass prädisponierte Indi¬
viduen — Nervöse — ganz besonders hierauf zu achten haben, ist
selbstverständlich. Um plötzliches Eindringen von kaltem Wasser
ins Mittelohr zu verhindern oder wenigstens zu verzögern, haben
Leute mit Trommelfellperforation mit Oel vollgesogene oder sonst¬
wie eingefettete Wasserpfropfen in den Gehörgang zu stecken. Die
Todesfälle genannter Art werden dann sicher seltener werden.
Reh.
Inauguraldissertationen. 1)
W. K ö r b e r berichtet über die Purpuraformen, spe¬
ziell Peliosis rheumatica und ihre Beziehung zum
akuten Gelenkrheumatismus nach den Kranken¬
geschichten der Leipziger medizinischen Klinik
aus den Jahren 1889- — 1911. Die Blutungen bei den Purpura¬
erkrankungen sind wahrscheinlich auf toxische Momente zurück¬
zuführen. Es bestehen direkte ätiologische Zusammenhänge zwischen
dem Gelenkrheumatismus und den Purpuraerkrankungen, speziell der
Peliosis rheumatica. (Leipzig 1913. 41 S.) Fritz L o e b.
Neuerschienene Dissertationen.
Universität Leipzig. Juni 1914.
Anders Gerhard: Ueber rhinogene Meningitis serosa acuta mit
einem kasuistischen Beitrage.
Krzyzagörski Stefan: Ueber eine ruhrartige Grippeendemie.
Rau Johannes: Aerztliche Gutachten und Polizeivorschriften über
den Branntwein im Mittelalter.
Schlesinger Bernard: Beitrag zur Kenntnis der Psychosen im
Kindes- und beginnenden Pubertätsalter.
Stiehl er Heinrich: Ueber „Kropffisteln“.
Weinberg Alfred: Lieber einen Fall von partiellem angeborenem
Riesenwuchs der rechten unteren Extremität mit gleichzeitiger
Hiiftgelenksluxation.
W i t k o w s k i Stanislaus: Ueber Temperatursteigerungen bei einigen
Gehirnerkrankungen: Apoplexie, Epilepsie und Gehirntumoren.
Baltzer Paul: Vaginale Operationen in parametraner Leitungs¬
anästhesie, insonderheit vaginale Totalexstirpation des Uterus.
Bernfeld Isidor: Ueber die Beziehungen der Urikämie zur Gicht.
Euscher Hermann: Wachstums- und Phagozytoseversuche an
Protozoen.
Heuer Kurt: Ueber Oberkieferfrakturen.
Markus Max: Scheidenplastik aus dem Rektum bei angeborenem
Scheidendefekt.
Veclken Joseph: Ueber Ergebnisse des A b d e r h a 1 d e n sehen
Dialysierverfahrens bei Lungentuberkulose.
') Zusendung von Dissertationen an die Adresse der Redaktion:
München, Arnulfstrasse 26, erbeten. Besprechung Vorbehalten.
Vereins- und Kongressberichte.
III. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Urologie
vom 2. bis 5. Juni 1914.
(Eigener Bericht.)
Prof. James I s r a e 1 - Berlin eröffnete als 1. Vorsitzender im
Herrenhause den Kongress in Anwesenheit einer grossen Zahl von
Aerzten aus aller Herren Länder. In einer glänzenden Rede führte
I. aus, dass das scheinbar engumgrenzte Gebiet der Urologie auf die
Erkenntnis und Behandlung der Krankheiten von Organen abzielt,
mit deren intaktem Funktionieren die Erhaltung der Gesundheit für
das Leben ganz besonders innig verknüpft sind, weil ihre Störungen
zuletzt die Nieren bedrohen, deren Schädigung alle lebenswichtigen
Organe in Mitleidenschaft zieht. Diese vielgestaltigen, teils medi¬
zinischen, teils chirurgischen Krankheitszustände zusammenzufassen,
ist das Ziel der modernen Urologie.
Das meiner Ansicht interessanteste Thema des Kongresses, über
das deshalb auch etwas breiter berichtet werden soll, war „D i e
Anästhesieinder Urologi e“. Als erster Redner über diesen
Gegenstand sprach A. Bi er- Berlin: Die urologischen Operationen
gehören zu den Eingriffen, die oft der Lokalanästhesie bedürfen, weil
sie häufig an Nieren- und Herzkranken und häufig an alten und
schwachen Leuten ausgeführt werden. Alle urologischen Operationen
lassen sich bis auf geringe Ausnahmen unter Lokalanästhesie aus¬
führen. Allerdings bleiben besonders bei Nierenoperationen einzelne
Akte (Auslösen der Niere, Unterbindung des Nierenstiels) meist
I schmerzhaft. Es genügt aber die Zuhilfenahme eines kurzen Aether-
I rausches, um auch diese Akte unempfindlich zu machen. Die Zu¬
hilfenahme anderer narkotischer Mittel (Morphium, Skopolamin und
anderer Schlafmittel) ist zu kompliziert und meist überflüssig. Für
die Lokalanästhesie der Nieren gibt es zwei Methoden: a) Die primi¬
tive, in der Chirurgie ausserordentlich viel gebrauchte Um- und
Durchspritzung, die hier die Bauchdecken und das Nierenlager be¬
trifft, mit Vi proz. Novokainlösung + Suprarenin: b) die Leitungs¬
anästhesie der in Betracht kommenden Dorsal- und Lumbalnerven
durch 1 proz. Novokainlösung + Suprarenin. Beide geben gute Re¬
sultate und lassen kleine Eingriffe, z. B. Pyelotomie, Annähen der
Wandernieren, völlig schmerzlos ausführen. Beim Auslösen der Niere
und Unterbinden des Nierenstiels oder bei einem von beiden wurde in
den Fällen bei der erster Methode fast immer, bei der zweiten immer
Schmerz empfunden. Da die Leitungsanästhesie komplizierter und
schwieriger ist, als die einfache Um- und Durchspritzung, dabei aber
keine besseren Resultate liefert, so ist das letztere Verfahren für
gewöhnlich vorzuziehen. Die Leitungsanästhesie eignet sich nur
für die Exstirpation sehr grosser und verwachsener Nieren, die
schwer zu umspritzen sind. Das Auslösen der Niere und die Unter¬
bindung des Nierenstieles sind zuweilen bei der Lokalanästhesie so
wenig empfindlich, dass man die Operation ohne weiteres Hilfsmittel
zu Ende führen kann, meist ist dagegen die Hinzufügung eines kurzen
Aetherrausches notwendig.
Die beste und ausgedehnteste Lokalanästhesie für Blasen-, Pro¬
stata- und Harnröhrenoperationen gibt Brauns parasakrale Lei¬
tungsanästhesie. Sie ist das wichtigste Verfahren für diese Opera¬
tionen und hat die früher gebräuchlichen Leitungsanästhesien und die
Sakralanästhesie weit überholt und überflüssig gemacht, weil sie tech¬
nisch viel leichter, ausgedehnter und vor allem weit zuverlässiger ist.
Ferner bietet sie den grossen Vorteil, dass sie ein einheitliches Ver¬
fahren für alle diese Eingriffe darstellt. Beim Eingehen in die Blase
von oben muss man den betreffenden Teil der Bauchdecken und den
Prävesikalraum mit 34 proz. Novokainlösung ausserdem durchspritzen,
weil diese Gegend durch die parasakrale Leitungsanästhesie natürlich
nicht unempfindlich wird. Diese Anästhesie ist leicht und sicher her¬
zustellen. Gewisse Blasenoperationen, z. B. Steinschnitte, sind auch
sehr gut schmerzlos zu gestalten, wenn man die Bauchdecken und
den Prävesikalraum einfach mit dem Anästhetikum durchspritzt und
die Blasenschleimhaut nach den für die Schleimhaut gültigen Regeln
anästhesiert. Das gleiche gilt für die Prostatektomien, wenn man die
Prostata mit der anästhesierenden Lösung umspritzt. Aber auch diese
Verfahren dürften durch die einfache und zuverlässige Parasakral¬
anästhesie in den Hintergrund gedrängt werden. Bei den Opera¬
tionen, die den Hodensack nebst seinem Inhalt betreffen, hat sich
die Lokalanästhesie längst das Bürgerrecht erworben. Für die Lo¬
kalanästhesie des Penis ist ein einheitliches Verfahren noch nicht
anerkannt. Es dürfte sich aber empfehlen, auch für die häufig vor¬
kommenden Operationen an der Vorhaut den ganzen Penis nach der
Methode von Braun, die in einer Umspritzung der Peniswurzel be¬
steht, unempfindlich zu machen. Denn die Einspritzung des Anästheti-
kums in die Vorhaut führt ein lästiges, das exakte Operieren sehr er¬
schwerendes Oedem herbei, und bei ringförmiger Umspritzung der
Vorhaut hat man Gangrän derselben beobachtet. Für die Anästhesie
der Schleimhaut von Blase und Harnröhre scheint das Alypin in
3 proz. Lösung mit Zusatz von einem Tropfen Suprarenin auf jeden
Kubikzentimeter der Lösung zurzeit das beste Mittel zu sein. Die
Rückenmarksanästhesie, die früher bei urologischen Operationen viel
gebraucht wurde, ist in neuerer Zeit durch die Ausbildung der Lokal¬
anästhesie und wegen der ihr anhaftenden Mängel in den Hintergrund
gedrängt worden. Sie ist aber immer noch das Verfahren, abgesehen
von der Allgemeinnarkose, das die vollkommenste Anästhesie hervor-
1528
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. - .
Nr. 27,
bringt, und ihre weiter. Ausbildung ist RückS-
die moderne AusgesiahunK der Lokal. was auszuführen ge-
marksanasthesie fast alle urologiscnen p die ai|gemejne
Allgemeinnarkose gegeben ist ^er ™ ^ kose ist zurzeit die
stbffabpara, und die Anslchten, wle sie in Amerika
:XniT.Assodaaobn“0oderi d“ch Spinalanästhesie wird der Schock
VerrlrtonzÄeRtsTakorni'edien’ Spinalanästhesie im allgemeinen die
Anästhesie der Wahl bei urologischen Operationen unterhalb des
Nabels an Patienten mit Leiden der Niere, Lungen oder des Zirk -
i ^ i.c , 9 v-uiHpn Ni trooxv Kenias und Sauerstoff. in Veruin
mrSmi,PCrf 'es MetSode der .Sci-AssociatioiV die Anästhesie
de? Wahl bei Operaaonen an der Niere und dem Ureter, ausser in
H-illen von Störungen des Zirkulationsapparates. 3 Sollte Aether L
Onerationen an der Niere und dem Ureter im Falle von Erkrankung
des ^ ZirkSionsapparates anstatt Nitrooxygengas und Sauerstoff an-
SCW AK die Vertreter Frankreichs sprechen über diesen Gegenstand
Michon und Pasteau-Paris. Aus allen bisherigen Veröffentlichungen
vreibt sich deutlich, dass Chloroform und Aether, wenn auch in ver¬
schiedenem Sde, eine gewisse Wirkung auf Leber und Nieren aus¬
üben welche zu multiplen histologischen Veränderungen mit schwerer
Schädigung oder gar Tod der zeitigen Elemente führen kann. Man
eme'w'ederho'iung6 dcFEinorWe die Mbg^chkeif deFvcJgiltimg stei-
eert so ertragen schliesslich die meisten Patienten die allgemeine
Narkose ganz gut Während der ersten 24-48 Stunden nimmt wohl
die H irnmenge etwas ab, es tritt auch wohl Albuminurie und Ikterus
ein aber gewöhnlich geht dies alles wieder rasch und dauernd vor¬
über1 Es ist ratsam, vor der Anästhesie sich von dem Zustand
Nieren und der Leber ein Bild zu verschaffen. Die besondere Emp¬
findlichkeit dieser Organe muss vorausgesehen werden. Je mehr der
Patient vorgeschrittene Veränderungen an Leber oder Niere zeigt, je
mehr er Erscheinungen von Intoxikation, Infektion, Eiterung aufweist,
um so weniger darf man die Allgemeinnarkose als harmlos auffassen,
und es sollte als Grundsatz gelten, dass die Chloroform- oder Aether
narkose bei jeder Operation zu unterlassen ist, wo sie nicht dringend
indiziert ist. . , , „
n;„ Qntmlanästhesie hat in der Urologie nur zwei besondere
Vorzüge- sie ist zunächst völlig unschädlich für die Nierenfunktion, sie
hat ferner die Wirkung, die Kontraktionen der entzündeten Blase zu
beruhigen Wo diese Indikationen vorliegen, sollte man sich ihrer
bedienen natürlich mit all den Massnahmen, die ihre Gefahren ver¬
ringern Da sie aber andererseits wirklich ernste Gefahren im Ge-
folee haben kann so haben wir vor allem die Pflicht, das Gebiet der
regionären oder^ lokalen Anästhesie nach Möglichkeit zu erweitern.
Die regionäre Anästhesie bietet wohl grössere technische Schwierig¬
keiten- aber die noch neuen Versuche in dieser Richtung verdienen
verfolgt zu werden. Was die Lokalanästhesie angeht, so wird un¬
zweifelhaft ihre immer ausgedehntere Anwendung dazu beitragen, die
Gefahren der Operation bei Harnkranken mehr und mehr zu ver-
Von den Diskussionsrednern, die hier nicht alle im einzelnen
aufgezählt werden können, empfiehlt W i 1 d b o 1 z- Bern die Par£E
sakrale Methode, besonders auch bei schwierigen Kystoskopien mit
kli'incr Blase Allessandri - Rom tritt für die lumbale Anästhesie
ein während R avasi n i - Triest die üblen Zufälle bei den yer-
schiedenen Anästhesien in N i c o 1 i c h s Klinik Revue passieren lasst.
Rovsing- Kopenhagen bleibt dem Aether treu, den er nach einer
Morphiuminjektion einatmen lässt mit dem Höchstverbrauch von
75 ccm Kümm eil -Hamburg tritt ebenfalls für den Aether ein,
event für die intravenöse Aethernarkose, da er die Schockwirkung
der Lokalanästhesie fürchtet. S u t e r - Basel hat gute Erfolge mit
der Nova kaindurchspritzung bei der F r e y e r sehen Operation, L
Fr
Wirkungen gesehen.
Ueber das Thema: „Nephrektomie b e i E rkr a n k u n g
I3S e“ Todesfäe Ä
in Fällen angegeben: sie war 5 mal = 0, 6 mal senr gunsxig, au
nur von kurzer Dauer; 13 mal hielt die Besserung an. Bei 4 Kranken
Ä’T&lfä'Äf'Ä'd™ iMbÄ’-Ä™»
F" ^Ctder am'stärksten^erkrarilUe^Niere^at^elnenhglücklich'en und
femung der am stärkste ranK Tuberkuiose der zurückgelassenen
«f““1 «• sM zwei vcr-
schiedenartige Bedingungen zu unterscheiden. R teht
a) Der Harnleiterkatheterismus ist ausgefuhrt worden. Beste
zwischen den beiden Seiten eine erhebliche funktionel e Verschieden-
i a wäiirpnd beiderseits Eiter und Bazillen vorhanden sind, so ist
die * Nephrektomie indizier^ weil die zurückgelassene Niere um so
leichter ausheilen kann, je eher der gegenüberliegende Infektionsherd
beselHgt wird IsV abkr auf beiden Seiten die funkt, on nur m, tel-
mässig, so tut man am besten, sich jeden Eingriffes zu enthalt .
b) Der Harnleiterkatheterismus ist nicht ausgefuhrt. Hier fei
die Kontrolle über die Anwesenheit von Fiter und Bazillen m der
anderen Seite- wir orientieren uns mittels der A mb ard sehen Kon¬
ifante über d!e Nierenfunktion im ganzen und mittels der RaJ'ograph>e
über die meisterkrankte Seite. Ist die Konstante gut, so kann ma
allein auf dieses Ergebnis hin die kränkere Niere entfernen, vielleicht
S auch d?e andere Niere tuberkulös, aber ihre Funktion reicht hm,
um die Existenz aufrecht zu halten.
Die Nephrektomien bei verschiedenartiger bilateraler
Erkrankung umfassen alle die Fälle, in welchen die andere Niere an
ehie^Nephritis leidet, die zu Urämie oder Hydrops fuhren kann
Die meisten Nephrektomien gehören hierher, selbst diejenigen, welche
z , Hei ung führen. Die andere Niere zeigt stets vorübergehende
oder dauernde leichte oder ernstere Funktionsstörungen. Auch hier
sieht man die interessantesten Fälle bei der Tuberkulose, ferner aber
auch in hohem Grade, beim Krebs und bei der Lithiasis. Eine erste
Kategorie betrifft die hämaturische Nephritis, die unabhängig von
ipr Tuberkulose sein und schwere Blutungen auch bei Patienten ver-
Ursachen kanrf,6 welche die Operation lange und in gutem Zustande
überleben Bei einer zweiten Kategorie, die noch wichtiger is ,
kommt es zu dem Symptomenkomplex der Urämie und der Hydropsie.
MiZte? erhält man vor der Operation auf der gesunden Seite einen
Sark eiweisshaltigen Harn. Geringe Mengen Eiweiss verschwinden
nach der Operation, grosse aber bleiben zuruck und bald stellen sic
andere Zeichen von Nephritis ein. L e g u e u hat bei 24 Kranken
die Entwicklung dieser Funktionsstörungen der gegenüberliegenden
Niere verfolgt; alle sind geheilt, aber bei dreien haben sich nach
langer Zeit ernste Zustände, wie Oligurie und Oedeme, als Zeichen
einer wirklichen Impermeabilität der Niere, eingestellt. An sich
kontraindizieren diese Nephritiden die Operation nicht; aber sie leg
uns doch einige Zurückhaltung auf. Die Eiweissmenge selbst ergi
keine Kontraindikation. Vielmehr bedarf es in solchen Fallen einer
sehr genauen mehrfach wiederholten Untersuchung der Nierenfunk
üon mit oder ohne bestimmte Regime, um zu einem bindenden
Schluss zu kommen. Wenn nun die Nephrektomie bei bilateraler
Erkrankung von der Funktion der anderen ^ere abhangt, ^ei welchem
Fraebnis der Funktionsprufung ist sie noch erlaubt.-' weicnes sna
die Grenzen der Nephrektomie? Die Frage ist nur einer relative
Lösung fähig. Zur Prüfung der Funktion erscheint es mehr und
mehr untunlich, sich auf einen einzigen Faktor, etwa die zufällig
vorhandene Konzentration des Urins, zu verlassen; man muss stets
alle Ergebnisse miteinander vergleichen und durcheinander kontro
lieren Wir legen den Hauptwert auf 1. den jedesmaligen Gehalt an
Harnstoff und Chloriden; 2. die Harnstoff- und Chloridausscheidung in
2 Stunden; 3. die Wasserausscheidung, geprüft mittels des Verdun-
nungsversuches; 4. den Stickstoffgehalt des Blutes; 5. die Konstante
und mitunter 6. auf die Concentratio maxima.
I C a s p e r - Berlin führt zu demselben Thema aus, dass erst
der Ürcterkatheterismus uns lehrte zu erkennen, ob beide
bzw. welche von beiden krank sei. Krankheit und Funktion der
Niere gehen nicht immer parallel. Für die Frage der Operabilität
einer Niere kommt es nicht sowohl auf Krankheit oder Gesundheit
des Schwesterorganes wie auf dessen ausreichende Funktion an.
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1529
Unsere Funktionsprüfung beruht darauf, dass wir die Arbeit beider
Nieren miteinander vergleichen, indem v/ir die Summe ihrer gleich¬
zeitigen Ausscheidungsprodukte (körpereigene [^, J| und körper¬
fremde Substanzen | Phloridzin. Indigokarmin]) in einem gegebenen
Zeitmass miteinander vergleichen und beobachten, welche Niere diese
Stoffe schneller und in grösserer Menge ausscheidet, indem wir ferner
die Nieren auf ihre Akkommodationsbreite. Flüssigkeiten oder Diuretizis
gegenüber prüfen. In bezug auf die Frage der Operabilität sind
nicht nur die Nephrektomie, sondern auch leichtere Eingriffe, wie
Nephrotomie. Pyelotomie usw. mit in Betracht zu ziehen. Die sich
auf unsere Funktionsprüfung gründende Prognose erwies sich als
korrekt in 322 einseitigen, von mir operierten Nierenfällen. Niemals
wurde ein hemmender funktioneller Einfluss einer kranken Niere auf
das gesunde Schwesterorgan beobachtet. Wohl aber gibt es toxische
Nephritiden, welche durch die Erkrankung des Schwesterorgans be¬
dingt werden und welche nach Entfernung der erkrankten Niere aus¬
heilen können. Von 9 Fällen doppelseitiger Erkrankung mit guter
Prognose bezüglich der zweiten Niere genasen 7, einer starb. Am
schwierigsten zu beurteilen sind Fälle von Nephritis der zweiten
Niere, jene Orenzfälle, in denen es sich fragt, ob die Nierenerkran¬
kung eine reparable toxische oder eine progressive, zum Tode
führende Entzündung ist. Am besten hilft hier die kritisch vorge¬
nommene Beurteilung des Ausfalls der Funktionsprüfung. Im allge¬
meinen funktionieren toxische, heilbare Nephritiden in dem erörterten
Sinne gut, während die progressiven interstitiellen Nephritiden eine
deutliche Verminderung oder gar ein Aufgehobensein der Funktion
erkennen lassen. Schwere irreparable parenchymatöse Nephritiden
und Amyloid verraten sich durch den grossen Eiweissgehalt. Von
9 doppelseitigen Erkrankungen mit schlechter Prognose bezüglich der
zweiten Niere starben 8 nach der Operation, einer blieb unter chro¬
nisch-urämischen Erscheinungen noch zwei Jahre am Leben. Da¬
durch ist der Schluss berechtigt, dass in allen Fällen, in welchen
die von uns empfohlene Funktionsprüfung bei gleichzeitiger anatomi¬
sch61' Affektion eine Niereninsuffizienz der zweiten Niere erkennen
hisst, die Exstirpation der anderen Niere ein grosses Wagnis ist.
Eine Reservekraft der Niere, die in Erscheinung tritt, wenn an die
Niere grössere Anforderungen gestellt werden, haben wir niemals
beobachten können. Insuffizient in dem Sinne, dass Gefahr besteht,
dass sie postoperativ eine Urämie ausbrechen lässt, nennen wir eine
Niere, wenn einmal in dem von ihr abgesonderten Harn die Zucker¬
ausscheidung nach Phloridzin gänzlich ausbleibt, Farbstoff sehr spät
und nur bis zum Grünwerden des Harns ausgeschieden wird und
wenn die Nierenstarre eine ausgesprochene ist. Wir haben niemals
beobachten können, dass gesunde Nieren keinen Phloridzinzucker
ausscheiden. Zucker nach Phloridzin bei gesunden Nieren kann aus-
bleibem wenn ein Abflusshindernis in der Niere oder unterhalb der-
selben im Ureter besteht, bei Verwendung schlechter Präparate oder
nicht völliger Lösung des Pulvers, bei zu geringen Dosen (unter
0.01), bei sehr starker Polyurie, bei Anwesenheit von grösseren
Eiweissmengen und im Hungerzustande des Individuums. Endlich
können symptomlose Schrumpfnieren und Druckatrophien der Niere
die Zuckerausscheidung vermissen lassen.
Als Dritter spricht zu diesem Thema F. Voelcker - Heidel¬
berg: Wenn bei einer beabsichtigten Nephrektomie die andere Niere
nicht gesund befunden wird, so ist die Entscheidung zu treffen:
ob die Erkrankung der zurückbleibenden Niere durch die
Erkrankung der zu entfernenden verursacht ist (toxische Nephritis
Amyloid),
ob es sich bei beiden Nieren um dieselbe Erkrankung handelt,
ob es sich um von einander vollständig unabhängige Erkran¬
kungen der beiden Nieren handelt.
Bei allen Nephrektomien wegen doppelseitiger Erkrankungen soll
die zurückbleibende Niere durch funktionelle Proben auf ihre Reserve¬
kraft untersucht werden. Dazu eignet sich folgende Kombination:
Eine Farbstoffprobe, z. B. Indigkarmin. Dieselbe gibt eine unge¬
fähre Vorstellung davon, ob die Niere gegenüber festen Substanzen
noch über einige Reservekraft verfügt.
Der Verdünnungsversuch. Kontrolle, ob durch reichliche Wasser¬
gabe der Urin entsprechend verdünnt ausgeschieden wird. Diese
Probe ist besonders in jenen Fällen wichtig, wo unter gewöhnlichen
Bedingungen ein zu konzentrierter Urin angetroffen wird.
Der „Durstversuch“. Kontrolle, ob durch Entziehung des Trink¬
wassers eine entsprechende Konzentration des Urins zustande kommt.
Diese Probe ist besonders wichtig in jenen Fällen, bei denen man
einen reichlichen und zu dünnen Urin antrifft.
Die toxische Albuminurie und Nephritis der zurückbleibenden
Niere ist — genügende Reservekraft vorausgesetzt — kein Gegen¬
grund gegen die Nephrektomie der anderen Seite. Bei gleichartiger
Erkrankung beider Nieren, z. B. bei doppelseitiger Tuberkulose oder
doppelseitigen entzündlichen Erkrankungen, kann eine Nephrektomie
nur in Frage kommen, wenn der Prozess auf der einen Seite sehr
vorgeschritten, auf der anderen Seite nur im Beginn ist, und wenn
| diese Seite sich funktionell als genügend ausweist. Sie kann be¬
rechtigt sein aus vitaler Indikation, wenn durch die schwerer er¬
krankte Niere das Leben unmittelbar bedroht wird. Eine relative
Indikation in dem Sinne, dass man erwartet, durch Entfernung der
schwerer erkrankten, das Leben nicht unmittelbar gefährdenden
Niere, der anderen günstigere Bedingungen für eine spontan« Aus¬
heilung zu schaffen, darf man anerkennen: es ist aber zu verlangen,
dass für eine solche Spontanheilung tatsächlich günstige Verhältnisse
vorliegcn. Bei doppelseitigen Erkrankungen, die von einander un¬
abhängig sind, lassen sich nur sehr schwer allgemeine Gesichts¬
punkte geben, hier muss die Entscheidung von Fall zu Fall getroffen
werden. Bei doppelseitigen Nierentumoren und bei polyzystischer
Degeneration sind Nephrektomien zu vermeiden.
B r o n g e r s m a - Amsterdam legt grossen Wert auf die klinische
Beobachtung von Herz und Gefässsystem, deren Analyse wenigstens
ebenso wichtig ist, wie die funktionelle Untersuchung. Rovsing-
Kopenhagen beachtet hauptäschlich positive Resultate bei der Nieren-
funktion, negative Resultate können unberechtigter Weise zur Un¬
tätigkeit und Unterlassung der Operation veranlassen, die retten
könnte. Manchmal arbeitet die eine Niere nicht, weil die andere
schwerer krank ist: ist das kranke Organ entfernt, so wird ihre
Funktion besser. Die Harnstoffprobe ist die natürlichste Probe, der
beiderseitige Explorationsschnitt empfehlenswert. Kümmcll-
Hamburg ist der Blutkryoskopie treu geblieben, besonders bei Un¬
möglichkeit des Ureterenkatheterismus. G ö t z e 1 - Prag macht auf
die Unregelmässigkeit der Farbstoffausscheidung aufmerksam.
Ho g ge - Lüttich verlangt zur sorgsamen wiederholten Vornahme der
Nierenfunktionsprüfung einen längeren Aufenthalt in der Klinik. M i -
chon-Paris rät bei bilateraler Nierentuberkulose gleicher Intensität
nicht zu operieren, bei einer deutlich kränkeren Seite diese zu operieren.
H e i t z : B o y e r - Paris erkennt die Notwendigkeit der Operation bei
Bazillurie der anderen Seite an; bei Steinen jedoch nie Exstirpation
sondern nur Nephrotomie. I s r a e I - Berlin erhebt Einspruch gegen
die Auffassung, dass die Beseitigung der schwerer erkrankten Niere
eine Besserung des leichter erkrankten Organs bei Tuberkulose
herbeiführe; dies widerspreche allen Erfahrungen und wie solle die
tuberkulöse Zystitis bei kranker Niere heilen? B a c h r a c h - Wien;
Die Nephrektomie bei beiderseitiger Nierentuberkulose ist nur dann
vorzunehmen, wenn der Zustand des Pat. es dringend (Fieber oder
Blutungen) erfordert. Beiderseitige Zystennieren können wegen Blu¬
tungen oder Steinen Operation erfordern, aber nur bei Notfällen.
Das dritte Thema : Bakteriurie, behandeln Suter- Basel
und B i e d I - Prag:
Unter Bakteriurie versteht S u t e r - Basel eine Infektion
des Harns mit Bakterien ohne Zeichen entzündlicher Reaktion der
Harnwege. Er unterscheidet autochthone und Ausscheidungsbakteri-
urien. Die ersteren entstehen primär oder sekundär im Anschluss
an einen entzündlichen Prozess der Harnwege. Aus der Bakteriurie
kann sich wieder ein entzündlicher Prozess entwickeln. Die gleichen
Bakterien machen in einem Teil der Harnwege Bakteriurie, in einem
anderen Entzündung. Die Bakterien gelangen in die Harnwege von
aussen nach innen, z. B. durch Instrumente oder von innen nach
aussen, z. B. durch den Blut- oder Lymohstrom. Die Bakteriurie ist
eine vesikale, oder eine vesikale und renale, oder stammt aus
einem Herd in den männlichen Genitalien. Kolibakterien, andere
Stabbakterien und Staphylokokken sind die. bekanntesten Erreger.
Prognosis quoad vitam bona, quoad sanationem dubia. Die das Haupt¬
interesse in Anspruch nehmende Tuberkelbazillurie bedeutet noch
nicht eine Nierentuberkulose, braucht auch nicht zu derselben zu
führen.
B i e d 1 - Prag: Die Bakteriurie entsteht in der Mehrzahl der
Fälle durch eine Einwanderung von Keimen aus der Urethra in die
Blase, bei Frauen leichter als bei Männern, bei letzteren haupt¬
sächlich experimentell und sekundär aus Bakterienherden in den An¬
hangsorganen der männlichen Harnröhre. Eine andere, viel seltener
vorkommende Genese der Bakteriurie ist die intestinale, die Ein¬
wanderung von Keimen aus der normalen oder pathologischen Harn¬
flora auf dem kurzen Wege, vielleicht auch durch kommunizierende
Lymphbahnen in die Blase. Störungen der Darmtätigkeit sowie
Harnstauung begünstigen diesen Entstehungsmodus. Am seltensten
wird die Bakteriurie durch Keime bedingt, welche aus zirkumskripten
Bakterienherden in entfernten Organen in die Blutbahn einbrechen
oder von vornherein im Blute zirkulieren und dann durch die Niere
zur Ausscheidung gebracht werden, wenn es auch als feststehend
angesehen werden kann, dass im Blute kreisende Mikroorganismen
ohne nachweisbare Gewebsläsionen der Niere durch den Harn elimi¬
niert werden können. Diese renale Form der Bakteriurie ist nur in¬
sofern von praktischer Bedeutung, als sie eine sekundäre Infektion
der Harnwege ermöglicht. T u f f i e r - Paris erzielte bei Bakteri-
urien hämatogenen Ursprungs mit Autovakzinen gute Erfolge, bei
Bakteriurien exogenen Ursprungs Hessen dieselben zu wünschen
übrig.
T u f f i e r - Paris unterscheidet Bakteriurie mit und ohne Ver¬
änderung des Harnapparates. In den Fällen des Ursprungs der
Krankheit durch Infektion des Blutes konnte er mit Vakzinebehand¬
lung Heilungen erzielen, während bei Bakteriurien exogenen Ur¬
sprunges die Behandlung mit abgetöteten Bakterienkulturen ergebnis¬
los blieb. Ko h n - Königsberg hält die Bakteriurie für kein gut
charakterisiertes Krankheitsbild, sondern für einen Folgezustand an¬
derer Krankheiten; die Vakzinebehandlung zeigte keine günstigen
Resultate. Zur Frage der tuberkulösen Bazillurie nahmen
Kielleuth n er- München und C a s p e r - Berlin das Wort. Das
Erscheinen von Tuberkelbazillen im Harn muss keineswegs beweisend
1530
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
sein für die spezifische Erkrankung der Niere Ro^i ng- Kopen-
unterscheidet eine medizinische und eine chirurgiscne Nieren
Sdw die Sic harmlose ,,„d andererseits die schwere deletäre
Ai sihciduna dcr Tuberkelbazillcn aus der Niere erklären sollen,
n l Sh^hurie ist wegen der Beweglichkeit des Bakteriums schwer
[milbar Jane, I Paris halt die liakteriurie für eine Infektion nu,
abgeschwächten Bazillen.
Ucber das letzte Thema, den P r o s t a t a k r e b s, referiert
Wil ms- Heidelberg: . . _ _
20 Proz aller Vergrösserungen der Prostata sind Karzinome,
deshalb ist zeitige Operation angezeigt. Die Diagnose wird gestellt
durch den Schmerz, den Tcnesmus. den lokalen Druckschmerz der
Drüse und der Samenblasen, der Härte, früher Erkrankung, höckerigen
Beschaffenheit und häufig zapfenartigen Formung der Vcsiculae semi-
nales. 3 Die radikal e Operation soll perineal nach Y o u n g ausgefuhrt
werden ev. die Steissbeinmethode. Die Aushüjsung der Druse allein
ist ebenso w-ie die Dauerdrainage vom Unterleib aus nur eine Hilfs-,
keine Heiloperation. Radium und Röntgenstrahlen sollen nach Ent¬
fernung der Geschwulst zur Nachbehandlung verwandt werden, aber
nicht in ungenügenden Dosen, die zum Wachstum reizen und nicht m
zu starken Dosen, die verbrennen. Allgemeinbehandlung des Organis¬
mus ChenSherapie, spezielle Behandlung mit Zellextrakten des
Krebses zur Hervbrrufung von Antikörperbildung lassen einen wei¬
teren Fortschritt der Therapie erhoffen.
J Verhoogen - Brüssel macht auf den verschiedenartigen
Verlauf des Prostatakrebses aufmerksam; manchmal rasches Wachs-
tmn mit schnellem Tod, manchmal jahrelanges Bestehen des zweifel-
osen Krebses mit wenig charakteristischen Symptomen und deshalb
zu später Diagnose für die Operation; dies erklärt das immer neue
Suchen nach neuen Operationsmethoden und die unbefriedigende Sta
tistik Möglichste Frühdiagnose und Entfernung der Prostata mit d
Kapsel perineal oder parasakral: ist letztere nach hinten durch¬
brochen ist die Prognose trüber. Nur Männer in gutem Ernährungs¬
zustand und mit guter Nierenfunktion sollen operiert werden. Radium
heilt' zwar nicht! bessert aber manchmal und macht inoperable ru¬
moren vielleicht operabel. Versagt der Katheter zur Blasenentleerung
und Schmerzlinderung, so muss man mit Zystostomie oder Damrn-
drain-ige den Abfluss des Harnes sichern Pasteau - Paris betont,
dass die Behandlung von der frühzeitigen Diagnose abhangt, aber
über die Zeichen des frühen Karzinoms ist man noch im Streit, wie
i : , Fr-,tre der Therapie in der Evolution begriffen ist. Noch voi
?? fahren war der PrSStaicrebs ein Noli me tangere, heute wird
die frühzeitige Operation und das Radium empfohlen F . berichtet
über einen sek 4 Jahren geheilten Fall: Radium vermindert die Zahl
del Operationen. Proust-Paris verlangt eine Aenderung der
üblichen perinealen Technik dahin, dass man durch Freilegung der
Samenblasen und Vasa deferentia die hintere Fläche der Prostata frei-
i‘ t diese Organe in die Wunde herunterklappt und so Gelegenheit
hat’ die Ureteren zu sehen und zwischen ihnen im Irigonum die.
Blase zu eröffnen und die Operation nach Alb ar ran zu vollenden
das Verfahren der Freilegung der Ureteren ist schwierig, aber gib
grössere Sicherheit für den Harnleiterschutz. S t r om in g er -Bu¬
karest empfiehlt die Sectio alta, weil man perineal Knoten zuruck¬
lassen kann und ist Freund der Rückenmarksanästhesie.
W i 1 d b o 1 z - Bern schont immer den Sphincter internus der
Blase und öffnet die D e n o u v i 1 1 e r sehe Kapsel ; e nach dem Be¬
fund schält er bei gutartigen Geschwülsten unter dieser Kaps
Drüse aus bei bösartigen Tumoren, die an der Faszie adharieren,
nimmt er alles fort mit den Samenblasen und vereinigt Blase mit
Stütze der Pars prostatica urethrae. Das Verfahren ist nicht ganz
radikal schont aber den Sphinkter, hält die Patienten kontinent und
Int keine schlechteren Resultate als die Radikaloperationen. E. D es-
ii o s - Paris ist trotz leidlicher Resultate mit Radium bei frühen Fallen
Freund der Operation. . „ , ,,
L c tt u c u - Paris hat erst bessere Resultate seit der ßehantllum:
mit Radium, und zwar mit „rossen Dosen zu Wiede rhoUen Ma lern
ondourethral nach der Operation. Marion- Paris hat mit Radium
Mich der Zvstotomie gute Resultate gesehen. Er unterscheidet
Krebse die sich in einer normalen Prostata entwickelt haben und
solche die in einer hypertrophischen Drüse zur Entwickln«; sc-
1 -inerten In den primären Fällen operiert er perineal, vernäht aber
nicht Blase mit Harnröhre, sondern macht zur Ableitung des Harns
!!• Lmm tlm Freudenberg - Berlin hält ebenso wielsrael-
BerHn die 20'pfoz. Krebs aller Hypertrophiefälle für übertrieben.
Mit dem Kongress war eine ausserordentlich interessante Aus¬
stellung verbunden! die sich auf die Geschichte der Urologie mit
Bildern, Büchern, alten Instrumenten und Dokumenten bezieht
Dip Generalversammlung ernannte den wegen hohen Alters
zurücktretenden f^olcssor Q tfy n n - Paris zum Ehrenpräsidenten und
Ä ffi’Ä'ISSS des Ä“ | ä:
XXI. Tagung des Vereins Deutscher Laryngologen
in Kiel, 29. und 30. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr S p i e s s - Frankfurt a. M.
Schriftführer: Herr K a h 1 e r - Freiburg i. Br.
Bericht,
erstattet vom Schriftführer Prof. Dr. Otto K a h 1 c r - Freiburg i. Br.
In der Geschäftssitzung wurde beschlossen, im nächsten
Jahre wegen des in Hamburg tagenden internationalen Lar> g -
Rhinologenkongresses keine Versammlung abzuhalten. Für >
wurde Köln als Tagungsort bestimmt Hoffmann-
Zum Vorsitzenden für 1915 und 1916 wurde Herr »off mann
Dresden, zu dessen Stellvertreter Herr Bo enn i n gh au s- Breslau,
als neues Vorstandsmitglied Herr Chi an- Wien gewählt.
Ein Antrag T h o s t s - Hamburg, in Hinkunft auf mternationalen
Kongressen und auf den Naturforscherversammlungen die laryngo-
So'SSte Sektion mi, der o,olo„ische„ zu verelni„en. wurde m,
grosser Mehrheit angenommen. Herr Chiari-Wien mciae
ton 15 Mitgliedern unterschriebenes Separatvoturn an, dab'^zidend.
dass die beiden Sektionen voneinander getrennt bleiben, dass man
aber nach Möglichkeit dahin wirken solle, dass die Mitglieder beider
Sektionen allen Vorträgen folgen können.
Sektionen allen v onr ^ er b* r _KöniRsbers, wurde eine Resolution
angenommen, dahin lautend, dass die rechtzeitige Erkennung und Be¬
kämpfung des beginnenden Gesichtslupus in erster Reihe Aufgabe tcr
Rhino Larvngologie sei, da diese Krankheit immer ihren Beginn n
der inneren^ Nase hat Die der Aufklärung des Publikums dienenden
Merkblätter der Lupuskommission sollen dahin geändert werden, dass
der Lupus nicht nur als eine Hautkrankheit, sondern auch als eine
innere Nasen- und Halskrankheit bezeichnet wird.
Wissenschaftliche V erhandlungcn.
1 Herr K a t z e n s t e i n - Berlin: Demonstration von Instru-
menla)U Apparat ^ starke Erwärmung des Halses. Er besteht aus
einer Halskrause, in deren Asbestlage Heizwiderstande ähnlich wie
bei den elektrischen Kochapparaten eingebaut sind Es lassen sich
Temperaturen bis 120°, die an einem eingelegten Thermometer ab
kshJb) Apparat' zur Durchleuchtung des Kehlkopfs und der Luftröhre.
Dpr Anmrat ist ähnlich dem H a e n 1 e i n sehen Instrument für L
wlrimmg^ dis Halses gebaut, aber mit dem Unterschied dass sehr
stark leuchtende Nitrallampen zur Verwendung kommen. Bei Un cr-
suchung des Patienten mit Kehlkopfspiegel und Reflektor erbhekt man
das Innere des Kehlkopfs und der Luftröhre hei erleuchtet. Indivi¬
duen jugendlichen Alters lassen sich ohne Reflektor, allein mit dem
Kehlkopfspiegel untersuchen. Die feinsten Niveaudifferenzen lassen
sich erkennen, ganz geringe Infiltrationen der Stimmlippen sind als
llUnkc) Kwnpressorium'des Kehlkopfs in seiner fetzigen .Gestalt. An
Stelle der Bandpelotten sind zwei an den seitlichen Gestängen befm
liehe mit Schrauben bewegliche Blechplatten getreten, die auf die
Gegend des Schildknorpels seitlich nach Bedarf fest aufgeschraubt
werden. Von Wichtigkeit ist, dass eine Platte locker hegen kann,
während die andere sehr fest angeschraubt ist.
2. Herr G e r b e r - Königsberg : Demonstration von Instrumenten
dUS 1erSpatneffürrMeso-Uunkd Hypopharyngoskopie, 2‘
anastiematischer Vorhofspiegel, 3. Pharynxlupe, 4. Wattctragcr,
5. Stimmbandfeilen, 6. Nasensi chienen 7 Tonsillen ®xpr^
sillektomie, 8. Elevatorium für Tonsillektomie, 9. Apparat zur Nact
behandltin^g [» "“tllolo8lsch.hlstoi„glsche Prä-
parate von Tumoren der oberen Luftwege.
Diskussion: Rcthi, Winckler.
3 Herr Chiari-Wien: Zur Technik der Oesophagoskop.e.
Statt der runden Spatelrohre werden solche von beiläufig ellip-
tischem Durohschhit, empfohlen. Diese Fern, .des Rohr« igHOte
Einführung in den Anfang der Speiseröhre le'cnhter;^rerJne£kP s™in
nicht so weit nach vorne verschoben werden Der Einblick ist ein
besserer als bei den runden Rohren, man kann leichter die Be
wegungen eines Operationsinstrumentes verfolgen.
Diskussion: v. Eicken, Siebenmann.
4 Herr v E i c k e n - Giessen : Zur Technik der Septumoperat.on.
Vortragender empfiehlt, das Blut, welches zwischen den Septum¬
schleimhautblättern sich ansammelt, nicht wegzutupfen, sondern mit
einem Röhrchen, das mit einer doppelten Wasserstrahlluftpumpe in
Verbindung steht, wegzusaugen. Das Röhrchen ist neuerdings so
modifiziert worden, dass es zugleich als Raspatorium dient. S ekun-
däre Abszessbildungen zwischen den Schleimhautblättern infolge von
sich zersetzenden Hämatomen kommen bei dieser Methode so gut
wie tE mehr vor. Das Saugröhrchen hat sich ubniens auch vor-
züglich bei Nebenhöhlenoperationen bewahrt.
Diskussion: Winkler, Stur mann und Spiess.
5 Herr Br ueggema nn- Giessen: Verbesserte Bolzenkanule.
lier Bolzen ist durch ein Scharniergelenk gegen den Bolzenteil
beweglich3 gemacht, wodurch die Einführung wesentlich erleichtert
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
wird. Demonstration einer Schutzplatte, die bei der Extraktion des
Holzenteils durch die Tracheotomiewunde die Wcichtcile auseinander¬
drängt und schützt. Besondere Bolzenkanüle für Kinder von 1 bis
2 Jahren und für Ewachsene, bei denen der Bolzen ausgehöhlt und für
Luft durchgängig ist.
Diskussion: Herr A n s c h ü t z - Kiel und Herr Thost-
Hamburg haben mit der Brueggemann sehen Kanüle gute Erfolge
erzielt. Herr W i e b e - Dresden empfiehlt seine Schienenkanüle,
durch die jede Granulationsbildung vermieden wird.
6. Herr S i e b e n in a u n - Basel demonstriert einige Instrumente
resp. Modifikationen solcher zur galvanokaustischen Behandlung der
Larynxtuberkulose im endoskopischen Rohre und bei Schwebe¬
laryngoskopie. Bei dieser Gelegenheit macht der Vortragende auf
Grund von diesbezüglichen Erfahrungen aufmerksam auf die grossen
Vorteile, die die Schwcbelaryngoskopie bietet für die Erweiterung
des Oesophagusmundes bei der Inzision tiefliegender Retropharyn¬
gealabszesse und die Extraktion von Fremdkörpern des Hypopharynx
und Oesophagusmundes.
7. Herr W. A 1 b r e c h t - Berlin: Demonstration. Die Gegen¬
druckautoskopie mit Seitenstützen.
Die Gegendruckautoskopie wurde dadurch verbessert, dass zu
beiden Seiten des Kehlkopfs Stützplattcn angebracht wurden, auf
denen der Gegendrücker ruht. Die Methode wirkt so gleichzeitig als
Gegendruck und Schwebelaryngoskopie. Der Vorteil vor der ein¬
fachen Gegendruckautoskopie ist darin zu sehen, dass das eingeführte
Instrument fest fixiert wird und sich auch bei Kindern verwenden
lässt. Das Instrument ist ähnlich dem bei der Schwebelaryngoskopie
gebräuchlichen gestaltet.
Diskussion: Herr C h i a r i, Herr Burger.
8. Herr Friedei Pick -Prag: Demonstration zur Kenntnis der
T r acheatstenose.
P. demonstriert Röntgenaufnahmen des Kehlkopfs eines 15 jähri¬
gen Knaben, der zunächst als Diphtherie tracheotomiert wurde und
nach monatelangem Spitalsaufenthalt ohne Kanüle entlassen, wegen
Stenoseerscheinungen neuerdings tracheotomiert werden musste. P.
begann Dilatationsbehandlung, worauf dann eines Tages ein Stück
eines Röhrenknochens ausgehustet wurde, der, ganz von Bindegewebe
umgeben, 4 cm unter der Glottis gelegen war und auch auf der Rönt¬
genplatte zu erkennen ist. Der Junge wusste nichts von dem Vor¬
handensein des Fremdkörpers und erinnert sich erst nach dem Aus¬
husten, vor einem halben Jahr einen Knochen geschluckt zu haben.
Diskussion: Herr Chiari-Wien hat einen ähnlichen Fall
beobachtet. Herr v. Eicken macht darauf aufmerksam, dass bei
Verdacht auf Fremdkörper des Bronchus der negative Ausfall des
Röntgenbildes nicht gegen Fremdkörper spricht.
9. Herr T h o st - Hamburg: Die Behandlung inoperabler Karzi¬
nome.
Die Karzinome der Stimmlippen oder der Taschenbänder geben
für die Operation bei rechtzeitiger Diagnose Aussicht auf Erfolg.
Prognostisch schlecht sind die Karzinome des Recessus piriformis.
Ist der Tumor grösser, so ist mit dem Spiegel der Ausgangspunkt
nicht mehr festzustellen, wohl aber durch das Röntgenbild, das die
charäkteristischen Veränderungen am Schildknorpel zeigt. Wegen
der frühzeitigen Drüsenmetastasen ist die Prognose der Operation
bei dieser Art von Krebs sehr ungünstig. Solche inoperable Fälle
kann man nur symptomatisch behandeln. Innere Mittel versagen.
Das Antimeristem Schmidt ist wirkungslos, auch Kuprase mit Rönt¬
genbestrahlung zeigt keinen Erfolg. Die Schluckschmerzen ver¬
schwinden, wenn man den Tumor partiell entfernt und mit dem
Brenner verschorft, die Tumormassen mit Pyoktanin durchtränkt.
Gute Erfolge hatte Thost mit der von Spiess empfohlenen An¬
ästhesierung. Sehr wirksam sind Röntgenbestrahlungen, wenn gleich¬
zeitig die Anästhesierungstherapie angewendet wird.
Demonstration von markanten Röntgenbildern.
10. Herr K r a m p i t z - Breslau: Indikation für die Mesothorium¬
auwendung in den oberen Luftwegen und deren bisherige Ergebnisse.
K. erörtert an der Hand der Literatur und eigener Beobachtungen,
welche Krankheitsformen der oberen Luftwege sich zur Bestrahlungs¬
therapie eignen. Bezüglich der operablen Karzinome sei Operation
mit nachfolgender prophylaktischer Bestrahlung das zweckmässigste.
Allerdings ist gerade bei Geschwülsten der oberen Luftwege die
Grenze der Operabilität noch recht strittig und unsicher. Ein pri¬
märer Bestrahlungsversuch sei ausser bei dem Kankroid der Haut,
der Nase und des Naseneingangs am ehesten noch bei kleinen, scharf
begrenzten Karzinomen des Larynx zu rechtfertigen, event. mit Ex¬
zision per vias naturales zu kombinieren. Die Bestrahlung kann An¬
wendung finden bei operablen Karzinomen, wenn diese mit schweren
inneren Komplikationen vergesellschaftet sind oder bei ausgedehnter
Metastasenbildung; ferner dort, wo die Operation verweigert wird:
ferner bei allen inoperablen Karzinomen. Günstiger reagieren Rtmd-
zellensarkome. Ein als inoperabel bezeichneter Fall von Rundzellen¬
sarkom des Nasenrachenraumes ist seit über 1 Jahr klinisch ge¬
heilt. Auch die stark blutenden Angiofibrome eignen sich zur Be¬
strahlung. Erfolgreich erwies sich diese Behandlung auch beim
Sklerom. Von 25 Fällen von Lupus der Nasenschleimhaut, die mit
Mesothorium behandelt wurden, sind 8 als vorläufig geheilt aus der
Behandlung entlassen worden, die übrigen sind zum Teil gebessert,
ein Drittel verhielt sich gegen die ausschliessliche Bestrahlung
refraktär.
1531
11. Herr M a r s c h 1 k - Wien: Erfahrungen mit der Radiutnbe-
handlnng von Erkrankungen der oberen Luft- und Speisewege.
An der Klinik C h i a r i wurden 67 Fälle mit Radium behandelt,
darunter eine Tuberkulose der Zunge, 3 Angiofibrome des Nasen¬
rachenraumes, 2 Papillome des Kehlkopfes, 5 Sklcrome, 5 Sarkome
und 51 Karzinome. Keine günstigen Erfahrungen wurden bei den
Angiofibromen und Kehlkopfpapillomen gemacht. Aussichtsreich ist
die Behandlung des Skleroms. Bei den malignen Tumoren verspricht
die Behandlung der Sarkome mehr Erfolg. Die günstigsten Chancen
bieten Fälle mit makroskopisch radikaler operativer Entfernung des
Tumors und prophylaktischer Bestrahlung nach der Operation; 7 der¬
artige Fälle sind bisher geheilt geblieben. Bei Bestrahlung primärer
Tumoren erscheint es geboten, die Lymphdrüsen der befallenen Seite
oder beiderseitig radikal auszuräumen. Für die Bestrahlung maligner
rumoren, besonders der Karzinome ist von grösster Wichtigkeit, die
spezifische Natur des Tumors, da besonders unter den Karzinomen
grosse Verschiedenheit herrscht. Verwendet wurden mittlere Dosen
mit starker Filterung. Die einzelnen Bestrahlungen sollen bei
stärkeren Präparaten nicht über 24 Stunden hinausgehen.
12. Herr Denk er- Halle a. S. : Zur Behandlung der malignen
Tumoren der Luft- und Speise wege.
Durch die Verwendung der Strahlcntherapie kann bei bösartigen
Tumoren des Oesophagus wohl eine vorübergehende bessere Permea¬
bilität, aber keineswegs Heilung erzielt werden.
Sodann werden Mitteilungen über die Verwendung eines von
Abderhalden vorgeschlagenen Tumorenserums bei der Behand¬
lung von Karzinomen gemacht. Abderhalden gelang es, Ratten¬
sarkome durch Einspritzung eines fermenthaltigen Serums voll¬
kommen zum Schwinden zu bringen. Dieses fermcnthaltige Serum
wurde dadurch gewonnen, dass man einem Tiere Presssaft aus einem
Rattensarkome parenteral in die Blutbahn bringt. Dadurch erhält
das Serum Fermente, welche imstande sind, Tumorgewebe abzu¬
bauen. Auf Grund dieser Beobachtungen hat D. bei inoperablen Kar¬
zinomen mit einem entsrechende Abwehrfermente enthaltenden
Serum Versuche gemacht. 50—60 ccm des Serums in Dosen von
10 — 15 ccm innerhalb von 5 — 6 Tagen injiziert, werden gut vertragen.
Man sieht nach der Injektion deutliche Reaktionserscheinungen am
Karzinomgewebe. Eine, an einem ausgedehnten Kieferkarzinom
leidende Patientin, bei welcher vor den Injektionen eine Palliativ¬
operation vorgenommen wurde, hat seit dieser Behandlung an Körper¬
gewicht um 10 Pfund zugenommen, die Schmerzen sind vollkommen
verschwunden. Es dürfte sich empfehlen, die Radium- resp. Röntgen¬
bestrahlung mit der Serumbehandlung zu kombinieren, da vielleicht
das Serum, welches genuine Karzinomzellen nicht anzugreifen ver¬
mag, durch die Bestrahlung bereits veränderte Zellen in ähnlicher
Weise wie das fermcnthaltige Serum das ausgekochte Karzinom¬
gewebe angreift, zu zerstören imstande ist.
Im Anschlüsse an seinen Vortrag empfiehlt D. das Pituitrin als
blutstillendes Mittel. Es wurde in 32 Fällen von spontanen und ope¬
rativen Blutungen angewendet und zwar in der Dosis von 1,0 g bei
erwachsenen Männern, in der Dosis von 0,5 g bei Frauen und Kindern
injiziert. Schädliche Wirkungen wurden nicht beobachtet, das Pitui¬
trin ist als sehr wertvolles styptisches Mittel anzusehen.
13. Herr M a n a s s e - Strassburg: Beitrag zur Lehre von den
primären malignen Geschwülsten des Gaumens.
M. demonstriert die Präparate von 4 malignen Gaumenge¬
schwülsten. 1. Solitäres Kankroid der Uvula bei einem 50 jährigen
Mann. Durch Amputation der Uvula geheilt. 2. Basalzellenkarzinom
des vorderen Gaumenbogens, durch Operation bis jetzt geheilt.
3. Endotheliom des harten Gaumens bei einer 50 jährigen Luetikerin,
Salvarsan ohne Erfolg, Operation, die in Herausmeisselung des harten
Gaumens mit dem Tumor bestand, brachte völlige Heilung. 4. Sarkom
der Mandel. Nach grosser Probeexzision mit Salvarsan behandelt
und völlig geheilt (Nichtluetiker mit negativem Wassermann).
14. Herr Anschütz - Kiel: Demonstration eines mit Radium be¬
strahlten Tonsillenkarzinoms.
Ein inoperables Karzinom der Tonsille, das auf Gaumen- und
Zungengrund Übergriff, wurde durch intratumorale Bestrahlung -
100 mg durch 23 Stunden — zum Verschwinden gebracht. Histo¬
logisch handelte es sich um Basalzellenkarzinom. Vortr. verwendet
das Radium wenn möglich stets intratumoral. Bei Recessus piriformis-
Karzinomen wird von aussen an den Tumor herangegangen und durch
die Wunde das Radium eingelegt. Bei Oesophaguskarzinomen wurde
durch endoturnoralc Einführung des Präoarates schnell eine Besserung
der Schluckfähigkeit erzielt. A. ist der Ansicht, dass offenbar ein¬
zelne Individuen sehr gut auf Radium und Mesothorium reagieren,
man solle aber nicht denken, dass jedes Karzinom mit Radium zum
Schwinden zu bringen ist.
Diskussion zu den Vorträgen 9 — 14: Herr Hinsberg-
Bieslau hat bei Radium- und Röntgenbestrahlung keine Dauer¬
heilungen gesehen. Man sieht kolossale Rückbildungen, es kommt
aber wiederum zu Rezidiven, andere Fälle wachsen rapid nach der
Bestrahlungstherapie.
Herr K a h I e r - Freiburg: Die endotumorale Behandlung mit
grossen Dosen, die Bestrahlung aus geringer Entfernung auch unter
Anwendung starker Filterung ist gefährlich, da es zu sehr beträcht¬
lichen Nekrosen kommen kann. Die Freiburger Schule emfiehlt jetzt
Bestrahlung mit grossen Dosen unter Wahrung des Fernabstandes.
K. beobachtete sehr rasche Rückbildung eines Recessus piriformis-
Karzinoms bei dieser Technik. Bei beginnenden Kehlkopfkarzinomen
1532
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
sollte, wenn genügende Mengen von Radium vorhanden sind, eine Be¬
strahlung versucht werden, man kommt mit der Operation nicht
lierr W i n c k 1 c r - Bremen hat mehrere Fälle von Rezidiven
nach Pharynxresektion und Larynxresektion beobachtet, bei denen
durch die Strahlenbehandlung absolut kein Erfolg zu erzielen war.
Herr B r i e g e r - Breslau cmfiehlt die Strahlenbehandlung be¬
sonders für die Nasenrachenraumtumoren. .
Herr A 1 b r e c h t - Berlin sah bei Larynxkarzinomen gar keine
Erfolge, hingegen sehr günstige Resultate bei der Behandlung von
Lymphosarkomen der Tonsillen. 6 Fälle wurden geheilt.
Herr S c h e i b c - Erlangen sah in Fällen von malignen Nasen¬
tumoren Besserungen, jedoch keine Heilung.
Herr A 1 b a n u s - Hamburg emfiehlt Anämisierung des umgeben¬
den Gewebes und Anwendung grösserer Dosen, um die Reizdosis zu
\ ermeiden ^ u p p r e c ^ t . ßremen macht darauf aufmerksam, dass
nicht so selten auch maligne Tumoren nach palliativen Operationen
ausheilen. Das muss man bedenken, wenn man die Erfolge des
Radiums und Mesothoriums beurteilt.
Herr v. E i c k e n - Giessen hat ein Sarkom der Kieferhöhle und
ein Karzinom des Nasenrachenraumes mit Erfolg bestrahlen lassen.
Herr S p i e s s - Frankfurt erinnert daran, dass nach seinen Ver¬
suchen mit Anästhesierungsmethoden Tumoren beeinflusst werden
können. Er konnte durch Anästhesierung eine Reihe von Mause¬
tumoren heilen Die empfindlichen Infiltrate bei Zungenkarzinomen
bilden sich durch Injektion eines Anästhetikums zurück, die Tumoren
können operabel gemacht werden. .. ...
Schlusswort die Herren: T h o s t, Krampitz, M a r s c h i k,
A n s c n li t z« •
15. Herr W a 1 1 1 c z e k - Breslau: Erfahrungen mit Fried¬
man n s Tuberkulin bei Larynxtuberkulose.
Von den 21 mit F r i e d m a n n schein Serum geimpften Fallen
sind 5 gestorben, 7 verschlimmert, 5 unverändert, 3 gebessert und
von 2 ist der Zustand unbekannt. Heilung ist in keinem Fall ein¬
getreten Einfluss des Serums auf den Kehlkopf machte sich zunächst
in der Weise bemerkbar, dass allgemeine Euphorie eintrat. Auch
die mitunter recht schmerzhaften Schlingbeschwerden verschwanden
spontan, aber nicht immer dauernd. Objektiv trat häufig Abschwel¬
lung des Oedems, Reinigung der Geschwüre innerhalb der ersten
3 _ 5 Wochen auf. Narbenbildung und Dauerheilung ist bisher in
keinem Fall erreicht worden. Das Fr i e dm annsche Serum ist
demnach zur Behandlung der Kehlkopftuberkulose nicht zu empfehlen.
16. Herr G e r b e r - Königsberg: Die rechtzeitige Lupusbe¬
kämpfung ist Aufgabe der Rhinologen.
Die häufigste und schwerste Form des Lupus, der zentrale Ge¬
sichtslupus, entsteht meist auf der Nasenschleimhaut, in den vor¬
geschrittenen Fällen für den geübten Rhinoskopiker leicht zu er¬
kennen, in den Anfangsstadien schwierig zu diagnostizieren. Die
Diagnose kann durch die histologische Untersuchung gesichert
werden Man findet fast immer Rund- und Epitheloidzellentuberkel mit
meist reichlichen Riesenzellen. Diese behalten unbeschadet ihres
Vorkommens bei anderen Prozessen ihre volle Bedeutung für die
Lupusdiagnose. Besonders hinzuweisen ist auf die Lupome, die
einem allgemeinen Lupus vorausgehen, sie sind teils echt tuber¬
kulöser, teils fibröser oder papillomatöser Natur. Auch aas rrla^r(J“
skopisch gesunde adenoide Gewebe der Mandeln und bollikel zeigt ott
charakteristisch lupöse Veränderungen. Die rechtzeitige Erkennung
und Bekämpfung des beginnenden Gesichtslupus ist in erster Reihe
Aufgabe der Rhino-Laryngologie.
17. Herr A 1 b a n u s - Hamburg: Grenzfälle des Lupus der Nasen¬
schleimhaut. . . . „
Vortr. erörtert die Schwierigkeiten einer Abgrenzung zwischen
dem Lupus der Nasenschleimhaut und gewissen Formen der Tuber¬
kulose der Nasenschleimhaut. Weiterhin werden Grenzfalle be¬
trachtet, die sich bei einem gleichzeitigen Vorhandensein einer
Lues III ergeben können und die auf dem Gebiete des skrofulösen
Ekzems der Tuberkulide und des Lupus erythematodes in Erscheinung
treten können. . ,
18. Herr A. Rethi-Pest: Zur Dysphagietherapie.
Eine sichere Daueranästhesie ist nur durch die Durchtrennung
des Nervus laryngeus superior zu erreichen. Das neue Verfahren des
Verfassers besteht darin, dass die Kontinuität des Nerven aufgehoben
wird ohne eine Operation machen zu müssen. Mittels eines Distrak¬
tors 'wird der Recessus piriformis entfaltet, dadurch wird der Nerv
in der Plica nervi laryngei fest angespannt und hebt sich plastisch
empor. Mittels einer Quetschzange kann nun der Nerv gequetscht
und dadurch eine totale Anästhesie erreicht werden. Die Leitungs¬
fähigkeit des Nerven tritt erst nach längerer Zeit wieder ein.
19. Herr S p I e s s - Frankfurt a. M.: Die Chemotherapie bei Er¬
krankungen der oberen Luftwege. ...
Nach kurzen einleitenden Worten über die Ziele der heutigen
Chemotherapie, wie sie von Ehrlich inauguriert wurde, kommt
Vortr auf seine neuen Versuche zur Behandlung der Tuberkulose mit
Goldkantharidin zu sprechen. Die günstigen Erfahrungen bei Kehl¬
kopftuberkulose, die er in der ersten Publikation mitteilen konnte, hat
er auch weiter zu verzeichnen. Bei einzelnen refraktären Fällen ist
auf Vorschlag von Professor .! e s i o n e k - Giessen die Goldbehand¬
lung mit intensiver Hautbestrahlung, Quarzlampe, Höhensonne zwecks
Pigmentierung kombiniert worden, dies scheint sich zu bewähren.
Demonstration einiger Farbenphotographien, die deutlich die Heil¬
wirkung des Präparates auf das tuberkulös infizierte Kaninchenauge
im Vergleich mit dem nie behandelten Kontrolltiere erkennen lassen.
20. Herr Friedei Pick- Prag: Ueber die Prognose des Skleroms.
Das früher für Deutschland als exotische Kuriosität angesehene
Sklerom ist in den letzten Jahren in Ostpreussen als enoemisch nach¬
gewiesen worden und der von P. auch für das Sklerom in Böhmen
betonte Zug nach dem Westen ist auch für Preussen durch den Nach¬
weis eines solchen Falles in der Nähe von Kiel erwiesen. Die ärzt¬
lichen Kreise und die Behörden wollen von prophylaktischen Mass¬
nahmen nichts wissen, wohl weil das Sklerom eine langwierige, aber
das Leben nicht wesentlich bedrohende Krankheit ist. Diese Be¬
wertung des Skleroms als Krankheit mit quoad vitam günstiger Pro¬
gnose stammt noch von Zeit Hebras, da das Sklerom eine Domäne
der Dermatologen darstellte. Auch für die an der Schleimhaut be¬
ginnenden Sklcrome ist die Prognose meist günstig. P. erwähnt
mehiere seit mehr als 20 Jahren ärztlich sichergestellte derartige Fal e
und einen schon von Türck 1866 veröffentlichten Fall, der noch als
alter Mann lebt. Doch gibt es auch nicht so selten plötzliche Iodes-
fällc bei Skleromkranken, die wahrscheinlich durch das Loslosen von
Borken und Verschluss der durch die Sklerominfütrate verengten
Larynx- bzw. Trachealpartie durch dieselben ihre Erklärung finden.
Demonstration eines derartigen Präparates.
21. Herr W. A 1 b r e c h t - Berlin: Mischinfektion von Tuber¬
kulose und Lues im Kehlkopf. . .
A. demonstriert in Vertretung von Geheimrat K i 1 1 1 a n ein
histologisches Präparat eines Falles, der klinisch das Bild der Kehl¬
kopftuberkulose bot. In den Schnitten lassen sich Tuberkelbazillen
und Spirochaeta pailida nachweisen.
Diskussion zu den Vorträgen 15— 21 :
Herr F i n d e r - Berlin hat 5 Fälle mit Piorkowski-Tuberkulin
und 3 mit dem Friedmann sehen Mittel behandelt, und hatte nur
ungünstige Erfahrungen. Er empfiehlt warm das von Mandel in
Pest angegebene Ulsanin, bei flachen Ulzerationen hatte er mit
diesem Präparat schöne Erfolge. Mit den Alkoholinjektionen in den
Nervus laryngeus superior gegen Dysphagie ist F. sehr zufrieden.
Herr W i n c k 1 e r - Bremen berichtet über einen Fall, der mit
dem Serum von Deycke und Much behandelt wurde. Kein gun-
cpq fr
Herr A 1 b a n u s - Hamburg empfiehlt die Behandlung der tuber¬
kulösen Geschwüre mit dem Kaltkauter. Auch er sah nach An¬
wendung des Friedmann sehen Mittels rapide Verschlechterung.
Herr P o 1 1 a t s c h e k - Pest und Herr B 1 u m e n f e 1 d - Wies¬
baden warnen ebenfalls vor Anwendung dieses Mittels.
Herr B r i e g e r - Breslau stimmt Herrn Gerber bei, dass kein
Lupus ohne primäre Schleimhauttuberkulose vorkommt. Es gibt aber
wohl Schleimhauttuberkulosen der Nase, die nicht von Lupus gefolgt
sind: der Name Lupom für diese Erkrankung sei daher abzulehnen.
Herr B r ü g g e m a n n - Giessen will gleichfalls den Namen
Lupom fallen lassen, er warnt davor, allein auf Grund des Befundes
von Riesenzellen die Diagnose Tuberkulose zu stellen.
Herr Seyffarth - Hannover berichtet über einen Fall von
Sklerom, den er in Hannover zu beobachten Gelegenheit hatte. Die
Patientin war nie in einer Skleromgegend. ... , ,
Herr N o 1 1 e n i u s - Bremen sah me Nachteile bei der Alkohol¬
injektion in den oberen Kehlkopfnerven. r . ppthi
Schlusswort die Herren: W a 1 1 1 c z e k, Gerber, Rethi,
S p i e s s, P i c k. _ . <Schluss folgU
Die Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft zur
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten,
welche in der Zeit vom 19. — 21. Juni 1914 in Leipzig stattfand,
hatte zum Gegenstand der öffentlichen Vorträge bestimmt die * Themen:
Der Einfluss der Geschlechtskrankheiten auf die Gesundheit und
Fruchtbarkeit der Frau, und: Die Behandlung der jugendlichen
^ IJeber^die erste Frage berichtete Prof. Dr. E 1 es c h - Frank¬
furt a. M. auf Grund seiner reichen praktischen Erfahrung. Nach
einem Hinweis auf die Schwierigkeiten der Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten wegen ihres Zusammenhangs mit dem über¬
mächtigen Triebleben und auf die zerstörenden Folgen der Syphilis
befasste sich Dr. Flesch mit den schädlichen Einwirkungen der
Gonorr h ö e, welche ganz mit Unrecht als eine Art Kinderkrankheit
des jungen Mannes betrachtet und eingeschatzt werde, wahrend sie
in Wirklichkeit ein schlimmer Feind der Menschheit sei, weil sic,
für den Mann nur in gewissem Umfange als Beschränkung seiner
Erwerbstätigkeit auftretend, bei der Frauzur Beschranku g
oder Zer st örung der Fruchtbarkeit führe. Auch wenn
diese vermeintliche leichtere Art von Geschlechtskrankheit beim
Manne als geheilt erscheine, wirke sie bei der durch den Ehemann
angesteckten Frau verderblich auf die Fruchtorgane ein und fast
alle Frauenleiden, das Siechtum vieler Frauen sei auf diese An¬
steckung zurückzuführen. Nach statistischen Feststellungen seien
7 Proz aller Ehen gänzlich unfruchtbar durch vorangegangene
Trippererkrankungen des Mannes, weitere 10 Proz. der Ehen seien
aus dem gleichen Grunde sekundär unfruchtbar; es sei mit Sicherheit
anzunehmen, dass der starke G e b u r t e n r ü c k g a n g in Frank¬
reich veranlasst sei durch das Ueberhandnehmen der Geschlechts-
7. Juli 1914.
MUENCHKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
*Ungen Ici(fh1tercr Art- und dass auch in Deutschland dieselben
SS welche zu einer Häufung der Geschlechtskrankheiten
gu rt haben, auch für den Geburtenrückgang mitverursachend ge-
wesen seien; dieser Geburtenrückgang sei aber nicht bloss festzu-
s e ien bei den minderbemittelten Bevölkerungsschichten, sondern
mehr noch bei den besitzenden und wohlhabenden Klassen. Die vom
JÄaLarom“ Massnahmen gegen das Ueberhandnehmen
der Geschlechtskrankheiten träfen das Wesen der Sache nicht, sondern
seien nur geeignet, das Gegenteil herbeizuführen.
. Bin Anki?rnPfen Segen die Zunahme der Geschlechtskrankheiten
SC' i,~w •er' insbesondere könne man unter den heutigen Lebens-
verhaltnissen von einer Enthaltung von der Prostitution nichts er¬
warten; mehr Erfolg verspreche Aufklärung und Bekämpfung durch
un neues, den ärztlichen Forderungen besser angepasstes Gesetz.
Darum mussten auch in erster Linie die Acrzte mitarbeiten als die
l erutenen Huter der Hygiene, dann aber auch die Frauen, die Mütter
durch Aufklärung und Erziehung insbesondere der heranwachsenden
Sohne zur Verantwortlichkeit.
Lieber das zweite Thema sprachen vom juristisch-erzieherischen
polizeilich-vorbeugenden, medizinisch-hygienischen Standpunkt aus
Landgerichtsrat Rupprecht, Polizeipflegerin S t e m m 1 e r, Polizei¬
arzt Dr. Bendi g und Anstaltsleiterin Schneidhuber. Gemein-
sam war allen Berichten die Feststellung, dass die geheime
I rostitution besonders von jugendlichen Mädchen bestritten wird
und dass diese Art der Prostitution wegen der starken Verseuchung
da jugendlichen Dirnen und wegen ihrer Scheu vor heilender Behand-
hmg für die Allgemeinheit, und zwar nicht bloss der mit ihnen ge¬
schlechtlich verkehrenden, besonders gefährlich ist; gemeinsam war
diesen Referaten, welche von erfahrenen Sachkennern aus dem
Norden. Süden und Westen Deutschlands erstattet wurden, die
Ueberemstimmiing in der Feststellung, dass die jungen Dirnen ganz
überwiegend nicht durch die wirtschaftliche Not und das Elend der
kapitalistischen Arbeitsordnung, sondern infolge ethischer Defekte,
mangelhafter Erziehung, psychopathischer Veranlagung und Ver-
SrhuLnUAiit Bahun du? La,sters. oft schon im fortbildungsschul-
pfhchtigen Alter, gebracht und erhalten werden
hr °le sicb anschliessende Besprechung der beiden Referatsgruppen
vorscMä eCh V'C sachkundlge Anregungen und wertvolle Besserungs-
Finstimmige Annahme fand die von Geheimrat Prof N e i s s e r
vorgeschlagene Resolution :
deUtS-che Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts-
SrhnlhphtnrHPm0ge bLerren Kultusminister ersuchen, sämtliche
M d 'hP ml Zll beaabragfn’ alle Knaben und insbesondere
Mädchen, die schon vvahrend der Schulzeit durch Liederlichkeit,
Hu umtreiben sexuelle Frühreife und Exzesse sich auffällig bemerk¬
bar machen, den zuständigen Behörden, Jugendpflege- und Jugend-
ursorgeverein.gungen spätestens bei der Schulentlassung zu melden
um diese in den Stand zu setzen, diesen besonders gefährdeten Per¬
sonen ihre besondere Aufmerksamkeit zu schenken, sie zu über¬
wachen und für sie zu sorgen.“
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 1. Juli 1914.
Tagesordnung:
Hör m C/"r Fel!.? Hirschfeld: Ueber den Nutzen und die Nachteile
der Unterernährung (Karellkur) bei Herzkranken.
Iso? ^ a/j. \ !iat zuerst seine bekannte Kur veröffentlicht und Vortr.
. 92 auf die hierdurch eintretende Entlastung bei Kreislaufsstörungen
äfilrbW''?3'1 g\bt mT2,° Proz' des Erhaltungsbedarfs. Eine
spezifische Wirkung der Milch ist abzulehnen, da bei Darreichung
grosserer Mengen die gewünschte Wirkung nicht eintritt. Die Wir-
5* der Unterernährung beruht z. T. darauf, dass reichliche Er¬
nährung zur Verminderung der Diurese führen kann. Seine Vor-
efntraf 'vcxden bls 190^ abgeiebnt’ bis Len hart z für die Methode
® JL; • w-rcauss utnl WJ d a 1 wiesen dann darauf hin, dass die
giins ge Wirkung auf Nephritiden auf die Chlorentziehung bei der
Karellkur zuruckzuftihren ist. Eine milde Kur bietet vielfache Vor¬
teile. Besonders indiziert ist sie bei dem Völlegefühl, den Kopf¬
schmerzen etc. bei den älteren Bürobeamten.
Sind 1—2 kg Gewichtsverlust erzielt, wird meist die Bauch-
!n!!!rRsna?f?', Daneben werden Abführmittel für Entlastung
sorgen. Sind 2—3 kg Gewichtsverlust erzielt, wirkt oft Diuretin,
aas vorher versagt hat. Dann sind Atemübungen indiziert
„ . h- m,Ider Unterernährung verschwinden oft leichte Allnimin-
unen, die er zuerst für gichtisch anzusehen geneigt war. Es ist neuer-
w o r d e nC r d nrff 1 ? n b a d e r Kur ?in% Wirkung auf Nephritis zugeschrieben
worden, doch ist sie auf die Entziehungsdiät zurückzuführen.
Bei Greisen ist bei Unterernährung Ruhe indiziert, gleichzeitig
Piat zur. Nierenschonung zweckmässig. Den Ge-
wich sver ust darf man nicht über 1—2 kg ausdehnen.
errvii l mit Fettleibigkeit sieht er von leichter Unter¬
bind ^Ghpb|^ ^cr'n«er Zuckerausscheidung Erfolge, doch
h 'jd dol tf £-1 n.'cht 1° hauflg’ wie er früher Keglaubt hatte. Auch
Ar inctu infolge der verbesserten Diabetestherapie häufigeren
nuiosklerose wird man leichte Unterernährung anwenden.
rcten I ulsstörungen etc. bei Unterernährung auf, so ist die
_ 1533
Entziehungskur zu unterbrechen. Durch die Karelische Unter-
skleroVSpTrp?-16 Bll'tmcnge vermindert und besonders ein artcrio-
anzubassen MfnyStC'n ,'st '"suffizient, sich der Blutverminderung
geringer E l 0 11 1 " c k c normalerweise die Nachturinmenge
gekehrt ’ d gesmenge- Bei Artcriosklerotikcrn ist es oft um-
hanEiTlä " Qallen?teinanfälle bei der Karellkur, ein Zusammen¬
hang ist nicht zu erweisen
,,iM.Sryn« Karellkur empfiehlt er nur bei schweren Nephritiden
Ä, he seih« SS T1r2[TafCn,dcr, Eochc aurchgeführt. kann ohne
Bettruhe selbst im Berufe durchgeführt werden.
sind — 'ohneS*nhp0m VHnrr M().sler: Bei schwerer Herzinsuffizienz
, d f °hne schematisch zu sein — strengere Beachtung der Karell-
kur erforderlich. Doch erleichtern 1-2 Eier die Durch hrun£ der Ku .
Herr H 1 r s c h f e I d (Schlusswort).
Milz (Ki^r“ lentberKL R,e Röntgenphotographie der Leber und
/viilz. (Kurzer vortrag mit Demonstrationen.)
Aszites1* der Le,bor hat er nach Ablassen des
Kongress.) ff eingeblasen‘ Bericht auf dem Wiesbadener
Jetzt hat Vortr. gleiche Versuche an Fällen ohne Aszites an¬
gestellt zu dem Zwecke, die Probelaparotomie zu umgehen An den
demonstrierten Platten sieht man deutlich Verwachsungen der Leber
und cier Milz, Metastasen von Tumoren, szirrhotische Prozesse und
aus mögnch°erscheinte d« Verfahrens dureh^
' ' u 1 1 1 • c i s n c r,
Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 22. Juni 1914.
„ U Berr Paul R o s e n s t e i n sprach über die Behandlung der fort¬
schreitenden Thrombophlebitis im Femoralisgebiet. ln Analogie zu
dem Vorgehen bei Sinusthrombose und bei postpuerperaler Becken¬
venenthrombose rät Müller- Rostock seit 1902 zu operativen Mass¬
ig/™6/1 bei den thrombosierten Varikositäten der unteren Extremi¬
st- Im Anfang beschränkte man sich auf die Unterbindung der
ähe,na dl,cht vor der Einmündung in die Vena femoralis, und legte,
falls die Thrombosierung sich bis in die Femoralis hinein erstreckte
die Ligatur innerhalb des Thrombus an der Saphena an. Dies erwies
sich als wirkungslos und Müller schritt in diesen Fällen zur Unter¬
bindung der Vena femoralis. Die gefürchtete Gangrän trat nicht ein
ychre^pnHperTheht und unterbindet bei schwerer fort¬
schreitender Thrombophlebitis der Vena femoralis die Vena iliaca ex-
terna und wenn auch diese schon von dem Prozess ergriffen ist sogar
d‘e„ I?“ “mmunls- .Bericht über 3 geheilte Fälle mit Kranken™"
SSf-K Da? °Peratlfve Vorgehen gestaltet sich so: Senkrechter
^chnitt über der Vena femoralis, der nach oben zu etwa handbreit bis
über das Ligamentum inguinale hinaufgeführt wird. Zurückschieben
des Peritoneums, übersichtliche Freilegung der V. iliaca externa und
commums. Durch sehr vorsichtiges Palpieren stellt man die obere
Gitnze des Gerinnsels fest und legt oberhalb davon im gesunden
eine Klemme an. Der ganze Thrombus wird nun bis in die Femoralis
munter exstirpiert. Seidenligatur des gesunden Gefässes oberhalb
der Klemme. Die Gefahr der Gangrän des Beines beim Unterbinden
der Vena iliaca communis besteht nicht, denn es haben sich während
des Thrombosierungsprozesses bereits genügend Kollateralen gebildet
and auAsgeschaItefe Gefässbezirk ist ja für die Zirkulation sowieso
wertlos.. Aber auch dann, wenn das Lumen nicht ganz vollständig
veHegt ist, soll man zur Unterbindung schreiten, weil dabei die Ge-
a ir der Verschleppung der infektiösen Massen besonders gross ist.
n bedrohlichen Fällen bei Beginn von Thromboembolien kann die
Operation noch lebensrettend wirken.
r <Jer Diskuss[°n berichtete Herr Körte über einen Fall
von Beckenvenenthrombose, den er vor einigen Jahren operierte und
der trotz der ausgedehnten Unterbindung zugrunde ging.
« ftehrr U n gef wies auf die Schwierigkeit hin, das obere Ende
des Thrombus festzustellen. Er erinnerte an einen Fall von
Fromme der bei puerperäJer Thrombose die Vena cava unter¬
bunden hatte. Der Thrombosierungsprozess griff dann von der kran¬
ken Iliaca communis auf die gesunde über, gelangte von hier aus
durch eine Anastomose zur Nierenvene und führte zum Exitus.
• ;°i seiin jm Schlusswort bemerkte Herr Rosenstein, dass es
meist doch durch I alpation und genaue Besichtigung der Gefässwand
gelingen werde, die Ligatur im Gesunden anzulegen. Der Fall
Frommes beweise die von ihm betonte Notwendigkeit, den ganzen
thrombosierten Bezirk zu exstirpieren.
ä. He,rr S.2° n n e " b 11 r K sprach über seine Eindrücke vom 4. Inter¬
nationa en Kongress für Chirurgie und dem Kongress der American
surgical association.
Herr. Neumann berichtete über zwei von ihm operierte Fälle
von Zystinsteinen und Zystinurie. Ein 24 jähriges Mädchen litt seit
2 Monaten an Schmerzen in der rechten Bauchseite. Fs fand sich ein
auf die Niere bezogener faustgrosser Tumor im rechten Hvpochon-
drium. Im Urin zahlreiche sechseckige Kristalle. Auf dem Röntgen-
bild wär näch Ko nargolfiillung ein Steinschatten in der Gegend ' des
rechten Nierenbeclcens sichtbar. Die Hautfarbe war auffallend blass.
Durch Pyelötomie wurde ein pflaumcngrosser Zystinstein entfernt.
Das Nierenparenchym erwies sich als eitrig entzündet. Nach der
1534
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 27.
Operation Klanen über Mattigkeit und Schmerzen in i der N‘eren^genJ
,|„r linken Seite Diese wurden auf die \v eiterbestehencie z,>stmurie
zuriiekeeführt Die quantitative chemische Analyse hot wegen der
geringen Menge des ausgeschiedenen Zystins Schwierigkeiten, einen
vmen Schätzuneswer ergab die Zählung der Zystinkristalle m einer
Reihe Gesichtsfeldern. Milchdiät brachte die Zystmmenge
he SSter die Beschwerde., nahmen dabei aber zu. Be, massigen
Vermehrung des Zystins, dabei aber Nachlassen der
Beschwerden. Zuführung von' Natron bicarbonicum wie es
(•. Kl em per er vorgeschlagen hat, war wirkungslos. Der 2. Fall
betra ei en 3jährigen Knaben, dem ein Zystinstein der Blase durch
Sectio a ta entfernt wurde. Nach der Operation erhebliche Gewichts¬
zunahme. Die Zystinsteine kommen auf der Röntgenplatte ziemlich
gUt rd^DitkTssion berichtete Herr Rosenstein über eine
Patientin, der er vor 8 Jahren 45 Zy^steim t aus der Niere entfernt
tvittp Die Niere bildete einen schlaffen Sack, ns trat nenung ein.
I j.lt heiratete 2 mal musste wegen Urämie die Schwangerschaft
unterbrochen werden, ein Kind wurde ausgetragen. Auch e,ne
SC%«rKdrrS«iLte,"Ä“<ll.m entfernten Zystinstein des
Nierenbeckens, der auf dem Röntgenbild deutlich zu sehen gewesen
war.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 23. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Rumpel.
Herr Sauer berichtet über einen interessanten Ball von
totaler Dickdarmausschaltung. Die 18 jährige Patientin war mit. Alter
von 6 Jahren operiert (Krankengeschichte nicht mehr erhaltl ch) Sm
hatte seither an ständigen DurchfaUen (bis zu 12 pro g) g
und das Bild einer chronischen Nephritis bis zu 10 Prom. Albumen,
aber ohne Herz- und Blutdruckabnormitaten geboten. Bet einer
wegen eines Narbenbruchs vorgenommenen Laparötomte wurde die
Totalausschaltung des Dickdarms gefunden, durch eine Kontrastein
laufröntgenaufnahme festgestellt, dass der Dünndarm direkt mit dem
Enddarm kommunizierte. Das ausgeschaltete Darmstück lag wie ein
grosser mit Darmsekret prall gefüllter Tumor im Abdomen, es wurde
eröffnet und der Inhalt durch eine Fistel abgelasse n und ausgt espult
Dadurch wurde zwar die Albuminurie verringert (Nephrose durch
Toxinwirkung), aber nicht die Durchfälle. Versuch einer Wiederem-
schaltung eines grösseren Abschnittes des Dickdarms durch Entero-
anSomose Die Schwächliche Kranke ging 2 Tage hinterher an einer
* erltHe1rtrSDr: eihss demonstriert einen nervösen 21 jähr. Pat. mit
einen? Hydrops articul. Intermittens. Der Gelenkerguss tritt _ seit
2 Jahren ohne jede äussere Ursache in regelmässigem 13 tägigem
Typus auf meist im rechten Kniegelenk das ganz enorm ansehw ,11t
(12 cm Differenz des Umfanges), verschwindet nach 2 3 Tag .
Vikariierend tritt bisweilen em grossflockiges fluchtiges Exanthem
auf Bemerkenswert ist die Heredität in diesem Falle Die
Mutter litt am gleichen Leiden, gleichfalls im 13 tägigen Typus. Erster
Anfall während der Gravidität mit diesem Patienten. DieubrK
Kinder gesund und kräftig. Therapie sehr zweifelhaft. Jodotorm
glyzerininjektion von Erfolg, aber wahrscheinlich als rem suggestiver
Erf0lHe?rfBötStTger: a) Junges Mädchen mit Myasthenia gravis
pseudoparalytica. b) Fall von subkortikaler motorischer Aphasie.
Einem Arbeiter fiel eine Eisenplatte auf die linke Kopf hälfte, schadel
fraktur, Bewusstseinsverlust, Parese des Faziahs, des Armes und
Aphasie Freilegung der Dura, Entfernung der Knochensplitter,
rascher Rückgang der Lähmungen. Hirnphysiologisch interessante
Beobachtungen der Form und der Art des Rückganges der bpracl -
storung-skussion über den Vortrag des Herrn Slmmonds:
Ueber Tuberkulose des männlichen Genitalsystems.
Herr Kropeit macht Bemerkungen über die eventuell mög¬
liche konservative Behandlung der Samenblasen, entweder durc
Ausspülungen vom Vas deferens aus oder durch den Katheterismus
der Ductus ejaculatorii. Auch in frühdiagnostischer Beziehung durfte
in manchen Fällen die Urethroskopia posterior Aufschluss geben
Herr Wiesinger: Die Kontrolle der Operierten, speziell der
wegen Genitaltuberkulose Kastrierten ist von ihm an seinem Ma¬
terial in die Wege geleitet, aber noch nicht vollendet. Die operative
Inangriffnahme der Samenblasen unterblieb bisher, weil der Eingriff
für die ohnehin schwächlichen Patienten zu schwer erschien und
weil andererseits eine Spontanvernarbung durch Bindegewebswuche¬
rung allgemein angenommen wurde. Nach den S i m m on ds sehen
Befunden ist das ja nun nicht richtig und man wird sich wohl der
Operation zuwenden, für die W. den ischiorektalen Schnitt ■ '
lösung des Mastdarmes wählen würde; man wird aber wohl nicht m
Frühfällen operieren, sondern sich auf Fälle beschranken, wo die
Samenblasen in tuberkulöse Abszesse umgewandelt sind.
Herr Kümmell ist von jeher für eine Trennung der Genital¬
tuberkulose von der Tuberkulose des uropoetischen Systems einge¬
treten. Es sind 2 ganz getrennte Krankheitsbilder, die sich nur in
ganz seltenen Fällen mal beim gleichen Menschen finden. Eine
Blasentuberkulose Ist Immer die
kulose. die im Anfang einseitig ist und he*'bar nach Esst irpation der
erkrankten Niere. Die Operationsstatistik Kümmel s pezieni sich
auf (>2 Fälle von Genitaltuberkulose und ergibt pktehi'8^ Todes¬
resultate: 31 geheilt entlassen, 21 gebessert, i mit Fisteln. >
fäiie an Phthise und Miliartuberkulose, lherapie: vernünftiger -
servatismus gepaart mit chirurgischen Massnahmen, also zuerst Ver-
such mit Stauung und Röntgen, dann Kastration. dass
eine SÄÄ ÄÄ «n |
Frühfälle 2 nicht die schweren, aussichtslosen Samenblasenerkran
Ä I
kommen und dass sowohl ein Aszendieren auf die Nieren, wie ein
liphersrreifen der Erkankung vom uropoetischen auf das Genital
f vorkommt Auch die Wahrscheinlichkeit der einseitigen
SKSSÄ'’ JSr. I
vatismus ist nicht gerechtfertigt, wenn man such das anatomisc he Bi d
der Erkrankung vorhält. Tatsächlich sind auch von V o 1 c k e r
6h Fälle von Samenblasentuberkulose operiert mit 6 Todesfälle
J t von denen keiner der Operation als solcher zur Last
gerade teÄtÄ5 geben wollen, die üenitaltuber- I
kuios^intensiver «r neckiyplms.
Mit Demonstrationen. , 7 pxiiPt, von Fleck-
Vortr konnte seine Untersuchungen an 1 r allen von riecN
tvohus vornehmen, von denen 4 in Eppendorf und 3 in der Türkei
beobachtet wurden. Von den letzteren kam einer zum Exitus und
die Haut und die inneren Organe erhielt Fr. zur Untersucnung
geschickt. Untersuchung der Roseolen Den Erreger
konnte er nicht Sn, dafür fand er aber in den Roseolen histo- 1
Wische Veränderungen an den Arterien, die typisch sind. Sie be¬
stehen in einer an den tieferen Arterien der Subkutis nachweisbaren
schweren Schädigung der Gefässintima. Auf dem Querschnitt sieht
man die Intima pilzartig in das Lumen vorgebuchtet, darüber be¬
findet sich eine hyaline Thrombosierung und in der Umgebung dieser
Veränderung eine Anhäufung von anfangs spindeligen, dann kugeligen
zellcm Diese Schädigung der Oe-
fä«wand und die damit einhergehenden proliferativen Prozesse
finden sich auch in fast allen inneren Organen, insbesondere sind
sie iS den Gefässen der Dura mater und des Gehirns leicht nach-
weishar Aber auch die Bilder vom Herzfleisch, Magen, Leber,.
Niere, Hoden lassen ähnliche Vorgänge deutlich erkennen Das ^El|ck- j
fiphersrift schädigt also das Gefasssystem und macht eine Getass
wanderkrankung, die der Periarteriitis nodosa diffe-
SKaÄ*^
r0SCt!\ 'ku s z!"ö'n: eRefrX s! mm ö M5 Äinaliiü.
SS 1
anders Aussehen . Betreffs des Vergleiches mit der Periarteriitis ,
nodosa möchte er darauf aufmerksam machen, dass hier doch d
Drimär an der Gef ässinnen wand einsetzt.
Herr H e 1e r kritisiert die v. P r 0 w a z e k sehen Erregerbe- I
funde die noch recht angreifbar sind. Auch P. hat bei Menschen
und bei Affen, die durch Läuse infiziert wurden, im Gehirn pen-
iHvpntitielle Gefässveränderungen nachweisen können.
Herr Sannemann spricht über die sanitätspolizeiliche Ueiei-
wachunE «gen FlTcktyphus. Für Hamburg kommen 3 Quellen in
Frage- 1 Die Seeseite: Einschleppung durcli den Seeverkehr. 2. Die
•ms Russland und Galizien stammenden Auswanderer und 3. die zu
den grossen modernen Hafen- und Eisenbahnarbeiten gedungenen
auswlrtigen Arbeiter. Während für 1. und 2. die sanitäre Kontrolle
Seiir streng ist könnte unter der letzteren Kategorie doch wohl mal
ein Fall dfe Aufmerksamkeit des zugezogenen Arztes beanspruchen.
Herr F r a e n k e 1 betont in seinem Schlusswort, dass die E
kennung der histologischen Veränderungen abhängig ist von der
vorsichtig« Fixierungsart. Die Bezeichnung Periarterntis noüosa
hat er nur als „ähnlich“ erwähnt. _ Werner.
Aus den Wiener medizinischen Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
K. k. Gesellschaft der Aerzte.
Sitzung vom 19. Juni 1914.
O Chiari zeigt eine kleine Spitzkugel, welche er aus dem
Recessus pyriformis dexter eines 9 jährigen Knaben osophagoskopisch
entfernt hat.
7. Juli 1914.
MUFNCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
a r s c b ' stellt einen 69 Jalire alten Mann aus der Klinik
C ii i a r i s vor, der mit Karzinom der Trachea und vorgeschrittener
Stenose der Trachea und des Oesophagus behaftet war und durch
eine Radikaloperation und nachfolgende Bestrahlung mit Radium
geheilt wurde. Das Karzinom ging von der Schilddrüse aus, führte
beim Durch wuchern der Trachea zu Erstickungsanfällen und bei der
vorgeschrittenen Oesophagusstenose zu starker Abmagerung des
Kranken. Bei der Operation wurden die malign entartete Schilddrüse
und die rechte Hälfte des oberen Trachealanteils entfernt, jedoch
mussten die nach abwärts in den Brustraum sowie die in den Oeso-
phagus eingewucherten Karzinomreste unberührt gelassen werden
Durch die lange fortgesetzte Radiumbehandlung sind Atmung und
Nahrungsaufnahme normal geworden, der Mann kann auch verständ¬
lich sprechen. Der Vortr. weist auf die Notwendigkeit hin, Fälle
dieser Art nach operativer Entfernung des Krankhaften und Radium¬
behandlung trotz scheinbarer Heilung durch lange Zeit nach-
zu bestrahlen, um Rezidive nach Möglichkeit zu vermeiden.
E. 1 r ö s c h e 1 s demonstriert einen Knaben, der auch bei iso-
1 erte" L,au‘en stottert, d. h. sehr häufig stecken bleibt, was er mit
den Methoden der experimentellen Phonetik nachweisen kann. Er
schliesst hieraus, dass die Kussmaul-Gutzmann sehe Definition
des Stotterns als Schwäche des Silbenkoordinationsapparates nicht
mein aufrecht sei, dass das Stottern vielmehr, wie er schon in früheren
Arbeiten nachgewiesen hat, psychologisch zu erklären sei, nämlich zu
Beginn aus mangelhaftem Wortreichtum, später als Folge der
Sprechfurcht.
W. Q o I d s c h m i d t stellt 5 Patienten aus der Klinik v. E i s e 1 s-
1 Ci.r K,Y°r’ we,che wegen ihrer chirurgischen Tuberkulose mit „künst¬
licher Hohensonne“ (Quarzlampe) behandelt wurden und bei welchen
darnach alle pathologischen Erscheinungen zurückgegangen sind. Die
ralle betrafen einen Sehnenscheidenfungus mit Fistel, eine Finger-
karies, eiternde Lymphome und einen kalten Abszess, von einer Rippe
ausgehend. Bisher sind an genannter Klinik 71 Fälle chirurgischer
. uberkulose in dieser Weise mit Erfolg behandelt worden und
reagierten besonders gut die beginnenden Fälle, bei welchen noch
keine Mischinfektion bestand. Die Lymphome reagierten zuweilen
prompt, bald aber waren sie ausserordentlich hartnäckig. Bei einem
gi ossen tuberkulösen Aszites war die Flüssigkeitsansammlung schon
nach 3 Bestrahlungen geschwunden, doch entzog sich die Kranke der
weiteren Behandlung durch Abreise in ihre Heimat, wo nach 2 Mo¬
naten ein Rezidiv beobachtet worden sein soll.
In der Diskussion berichtete R. W i 1 1 h e i m über günstige
trfahiungen an der Abteilung G. Singers, woselbst nicht nur
tuberkulöse Gelenksprozesse, sondern versuchsweise auch refraktäre
Falle von gonorrhoischer Arthritis, akutem Gelenksrheumatismus etc.
mit der künstlichen Höhensonne behandelt wurden.
E. G. O s e r stellt aus der Klinik v. Eiseisberg einen Fall
von Aneurysma racemosum vor. ln der linken Submaxillargegend
sieht man einen ganseeigrossen, pulsierenden Tumor. Das Aneurysma
ist wohl von der linken Art. maxillaris ext. ausgegangen und hat schon
auf die Carotis ext. übergegriffen.
L. Holfaaucr zeigt ein 9 jähriges Mädchen, das seit 20 Monaten
an einem Quälenden Husten leidet, der durch einen Fremdkörper be¬
dingt wird. Der Husten tritt anfallsweise auf und hält fast ohne
Steigerung der Expektoration oft mehrere Stunden lang an. Die
Anamnese ergab, dass das Kind ein ca. zweikronengrosses Blech-
stuck verschluckt hatte und die Röntgendurchleuchtung Hess in der
Hohe des Jugulums, im untersten Teile des Pharynx oder im Be¬
ginn des Oesophagus, einen entsprechend grossen Metallschatten er¬
kennen. Schluckbeschwerden machte der Fremdkörper nicht.
, . j Arzt und W. Kerl: Weitere Mitteilung über Spirochäten-
befunde beim Kaninchen.
Anknüpfend an eine frühere Mitteilung berichtet L. Arzt über
die Untersuchung von 267 erwachsenen Kaninchen, unter welchen
72 gefunden wurden, welche mit einer Genitalaffektion. öfters einer
solchen ulzeröser Natur, zuweilen mit regionären Drüsenschwellungen
einhergehend, behaftet waren. Auch wurden bei diesen Tieren
.pirochäten nachgewiesen. Ueberimpfungsversuche auf gesunde
Kaninchen und auf zwei Affen ergaben einen positiven Erfolg, insofern
als sich bei den geimpften Tieren Erosionen oder papulöse Efflores-
zenzen konstatieren Hessen. Die bei den Kaninchen gefundenen
pirochäten lassen sich vorläufig nicht von der Spirochaeta pallida
differenzieren. Die Versuche werden fortgesetzt.
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde.
Sitzung der pädiatrischen Sektion vom 25. Juni 1914.
FL M o n t i demonstriert einen Fall von Gangrän eines Meckel-
schen Divertikels infolge Volvulus. Ein 5 jähriger Knabe bekam Ab-
dominalsymptome, welche für Appendizitis sprachen. Puls 154, klein,
I emperatur 38,2°, Erbrechen, Abdomen aufgetrieben, überall druck¬
empfindlich, besonders in der Ileozoekalgegend sowie zwischen dem
, , V.1. , ~?.r Symphyse. Bei der Laparotomie fand sich in der
Bauchhöhle Eiter, die Appendix war verdickt, gerötet und an der
v pitzc mit Membranen belegt, aber nicht perforiert. Sie wurde
entfeint. Ausserdem fand sich ein kindskopfgrosses Konvolut von
Darmschlingen, in deren Innerem, in Eiter und Darminhalt eingebettet,
ein wurstförmiger I umor mit einer Perforationsöffnung lag; dieser
1 umor war ein M e c k e 1 sches Divertikel, welches am Ileum sass
und infolge von Volvulus gangränös geworden war. Der Knabe genas.
G. B i e n führt ein Mädchen mit Raynaud schem Symptomen-
M denLonstriert ein 21 Monate altes Kind mit einem
Sterna defekt. Vom Sternum ist nur der Schwertfortsatz erhalten,
an Melle des Korpus und des Manubrium ist ein dreieckiger, mit der
abwäTts sehender Defekt, welcher nur von narbiger Haut
lber kleidet ist. Die Ränder desselben sind von einem bindegewebigen
v trang emgesamnt, der sich in der Unterkiefergegend ansetzt. Beim
Husten wölbt sich die Decke des Defektes hernienartig vor. Die
Rippen sind normal.
Rcaeli stellt 2 Kinder vor, bei welchen er Papaverin gegen
T itnnnISAmit «"^wendet hat. Es wurde von 0,3 Papaverin
A^fan ° AqU' stundbcJ? ein Kaffeelöffel gegeben, worauf die Zahl der
, m|KnpUhKarwndidieS! se,„st Richter wurden, das Erbrechen hörte
io Vani f m Wwwcn tr1at,HcilunK ein. Vortr. hat ausserdem noch
n LhI f ,1’ese behandelt- er konnte sich überzeugen, dass
Infnr? 6 "^Verabreichung des Papaverins das Erbrechen
ofort sistierte und die Anfälle kürzer und seltener wurden.
ln der D iskussion bestätigten A. G o 1 d r e i c h, K. H o c h -
Währungen Und E' P 0 p p e r diese Angaben nach ihren eigenen Er-
. HUIT1ehndo..rSf demonstriert mikroskopische Präparate von
" FiilVOn M'kromyeloblasterileukämie. Dieselben stammen von
einem Kinde, welches in den letzten Monaten immer wieder Attacken
von Gelenkaffektionen erlitt, dadurch kachektisch und blass wurde.
p^e Undf Rad'umtrjnkkur führten keine Besserung herbei.
Pat- be^am herauf Fieber, das Blut wurde fast farblos, hatte einen
Farbeindex von 5 Proz. nach Sahli, eine Million rote und 4600 weisse
Blutkörperchen mit überwiegenden kleinen Lymphozyten Das Blut-
£ SvJ„wief dasjenis.e bei lymphatischer Leukämie aus, kernhaltige
rote Zellen fanden sich nicht vor; im Blute waren Streptokokken
nachweisbar. Das Kind starb. Bei der Obduktion fand man fettige
Degeneration der parenchymatösen Organe, das Knochenmark war
rot wie bei akuter Leukämie, in der Milz und in den Lymphdrüsen
war das lnterfollikulare Gewebe gewuchert. Die Mikromyeloblasten
unterscheiden sich wenig von den gewöhnlichen Lymphozyten, das
Entscheidende ist die Oxydasereaktion.
E. Nob e I zeigt ein 1%, Jahre altes Kind mit akuter lympha¬
tischer Leukämie. Es hatte eine mässige Rachitis, eine geringe
Schwellung der Milz und der Unterkieferdrüsen. Am harten Gaumen
sitzt ein kronenstuckgrosses oberflächliches Geschwür, welches mit
Pr5!Men1S7enMm°rken un*d ^tZfn bedeckt ist Die Blutuntersuchung
ei gibt . L7 Millionen rote Blutkörperchen, 25 Proz. Hämoglobin, 6400
weisse Blutkörperchen, unter ihnen 46 Proz. Lymphozyten, 33 Proz
Fieber1""186 Lymphozyten’ 18 Proz- Neutrophile. Das Kind hat
E. No hei stellte den Knaben vor, welchen er vor einigen Zeit
mit angeborenem chronischen acholurischen Ikterus demonstriert
hat Bei dem Knaben ist vor 10 Tagen die Splenektomie aus-
gefuhrt worden. Schon 24 Stunden darnach ist der Ikterus zurück¬
gegangen, jetzt ist er ganz geschwunden und das Kind sieht blühend
Bf^Namogfobingehalt ist von 46 auf 71 Proz. angestiegen und
die Zahl der roten Blutkörperchen hat zugenommen.
K. Kassowltz demonstrierte ein 4Vs Jahre altes Kind mit
der vorläufigen Diagnose: akute lymphatische Leukämie. Es hat
eine leichte Diphtherie durchgemacht. Die Lymphdrüsen im Unter-
kieJerwinkel und in der Achselhöhle sind stark geschwollen, Milz und
Leber sind hochgradig vergrössert, stellenweise finden sich Haut¬
blutungen. Die Blutuntersuchung ergab das Bild der akuten lympha¬
tischen Leukämie, 80 000 weisse Blutkörperchen, unter ihnen 96 Proz
grosse Lymphozyten. Unter Benzoldarreichung, U/s g pro Tag ist
die Zahl der weissen Blutkörperchen auf 14 000 zurückgegangen' ist
dann aber wieder angestiegen.
T,. y- Peyerer zeigt ein 2lA Jahre altes Kind mit Mikromelie.
Lue Gesamtlänge beträgt 66 cm, von welchen 24 auf die unteren
Extremitäten entfallen. Besonders verkürzt sind die Oberschenkel,
die Epiphysen sind aufgetrieben, die Knochen der Extremitäten sind
plump; die Hände zeigen die Dreizackform. Das Kind bekam vor
einiger Zeit Fraisen. Die Augen sind tief eingesunken, weich, aus
der Tiefe der Pupille kommt ein grünlicher Reflex, es besteht Nystag¬
mus. Die Rippenenden sind rosenkranzförmig aufgetrieben.
W. Knöpfelmacher zeigt ein 3 jähriges Kind mit chroni¬
schem Gelenkrheumatismus. Beide Handgelenke, die Ellbogengelenke
die Knie- und Sprunggelenke sind geschwollen, die Schwellung ist
elastisch und nicht druckempfindlich. Die Krankheitsdauer beträgt
bereits 2 Jahre, jetzt kann das Kind nicht mehr gehen. Es hat chro¬
nisches intermittierendes Fieber, die Schwellungen sind aber nicht
tuberkulöser Natur, wie sich Vortr. durch Untersuchung eines ex-
zidierten Stückchens überzeugen konnte. Behandlung mit Radium
war bisher ohne Erfolg.
W. Knöpfelmacher demonstriert ein 21 Monate altes Kind
mit hereditärer Lues und Pleiozytose der Zerebrospinalflüssigkeit.
Das Kind wurde mit Salvarsan behandelt und es hat jetzt ein papu-
löses Exanthem. Als das Kind 6J4 Monate alt war, wurde bei ihm
die Lumbalpunktion vorgenommen, welche Pleiozytose der Zerebro¬
spinalflüssigkeit ergab. Die jetzt vorgenommene Lumbalpunktion
ergab eine noch stärkere Pleiozytose. Das Kind hat Hydrozephalus
und eine gringe Intelligenzstörung. Die Wassermann sehe Re¬
aktion ist in der Zerebrospinalflüssigkeit negativ, im Blute positiv
Bei luetischen Säuglingen ist die Pleiozytose ziemlich häufig bei
alteren ist sie selten; sie deutet auf ein Befallensein der Meningen
1536
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
oder des Zentralnervensystems hin. \ ortr. hat sie bei alteren K -
dem noch in 2 Fällen beobachtet, und zwar bei einem Falle von labes
und von Meningoenzephalitis.
K. Kassowitz bespricht die .Massnahmen, welche er anläss¬
lich einer Diphtherieepidemie in einem Kindergarten des Vereins
Settlement zur Verhütung der Ausbreitung der Seuche ergriffen hat
Bei der ersten Erkrankung wurden alle 52 Kinder des Kindergartens
untersucht, bei 8 fanden sich Bazillen in der Kultur aus dem Abstrich
der Tonsillen. Die Anstalt wurde desinfiziert und gesperrt. Es
kamen dann später noch 4 Erkrankungen vor, die Erkrankten wurden
isoliert und serologisch behandelt, die Bazillenträger wurden gleich¬
falls isoliert und wiederholt untersucht. Ebenso wurden alle Per¬
sonen untersucht und streng beaufsichtigt, welche mit den kranken
Kindern oder mit den Bazillenträgern in Berührung kamen. Die Ba¬
zillenträger wurden prophylaktisch mit Serum behandelt. Nac i
Wiedereröffnung der Anstalt, welche vor lVs Monaten erfolgte, ist
kein neuer Erkrankungsfall mehr vorgekommen.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
40. Deutscher Aerztetag
in München am 26. und 27. Juni 1914.
(Eigener Bericht.)
II.
Lebhafter Beifall folgte der Eröffnungsrede des Vorsitzenden,
wie dessen Worten zur Begrüssung des Prinzen Ludwig Fer¬
dinand. .
Hierauf ergreift das Wort Ministerialrat Prof. Dr. Dieudonne,
um im Auftrag des Staatsministers des Innern Frhrn. v. Soden so¬
wie zugleich namens der preuss. Med.-Verwaltung den Aerztetag zu
begrüssen. Besondere Freude hat es erregt, dass München als Ort der
diesjährigen Tagung ausersehen worden ist. Nach langen schweren
Kämpfen ist es gelungen, die Grundlagen zur Regelung der kassen¬
ärztlichen Verhältnise zu finden und es ist zu hoffen, dass nunnie r
die Stetigkeit erreicht wird, deren der ärztliche Stand zur Erfüllung
seiner Aufgaben bedarf. An einem leistungsfähigen und arbeitsfreudi¬
gen Aerztestande hat auch der Staat das allergrösste Interesse.
Unter den auf der Tagesordnung stehenden wichtigen Fragen sind
insbesondere die Bestrebungen zur Bekämpfung der Kurpfuscherei
zu begrüssen.
Oberbürgermeister Dr. v. Borscht begrüsst den Aerztetag
namens der Münchener Bürgerschaft nicht nur, um den konventio¬
nellen Dank für die Ehre des Besuches auszusprechen, sondern da
wie alle deutschen Städte auch München in den engsten, mannig¬
fachsten und für beide Teile nutzbringendsten Beziehungen zu den
Vertretern der Heilkunde steht; einerseits bilden die städtischen Kran¬
kenhäuser die Stätte der Ausbildung und Fortbildung der jungen '
Aerzte, anderseits ist die Stadt in den wichtigsten Fragen, wie Saug-
lingsschutz, Schulhygiene, Wohnungsaufsicht und Armenpflege aut
die Mitwirkung des ärztlichen Standes angewiesen. Auf das dank¬
barste muss anerkannt werden, dass die Vereinigungen der deutschen
ärztlichen Organisation stets auf diesen Gebieten die uneigennützigste
Unterstützung gewährt haben und dass die Erfolge nur durch die be¬
währte Mitarbeit dieser Vereinigungen zu erzielen sind. Um so freudi¬
ger können die deutschen Städte, ohne in den Streit der Meinungen
einzugreifen, es begrüssen, dass der Deutsche Aerztetag in peinlicher
Gewissenhaftigkeit über dem Ansehen des Standes wacht und den
Gefahren zu begegnen sucht, welche die bedauernswerte Ueber-
füllung der Akademischen Stände für die freien Berufe mit sich bringt.
In keinem freien Berufe mehr als in dem ärztlichen ist es tüchtigen
Kräften möglich, zu hervorragenden Stellungen zu gelangen, bei
keinem steht einem hohen Mass von Leistungen ein so hohes Mass
von Erfolgen und innerer Befriedigung gegenüber.
Selbst Ehrendoktor der Medizin wünscht der Redner dem Aerzte¬
tag den besten Erfolg in der Ueberzeugung, dass die Verhandlungen
nicht nur dem Stande, sondern auch der Allgemeinheit reichen Nutzen
bringen werden. , ^ ^
Der Rektor Magnificus Unterstaatssekretar a. D. Professor Dr.
v Mayr begrüsst den Aerztetag namens der Universität,
der Dekan Professor Dr. v. T a p p e i n e r namens der medizini¬
schen Fakultät, deren Interesse und Sympathien zum Ausdruck
bringend. „ .
Im Namen des Ortsausschusses für alle ärztlichen Vereinigungen
und der ganzen Aerzteschaft heisst Hofrat Dr. U h 1 die deutschen
Aerzte in München willkommen.
Der Vorsitzende erwidert alle liebenswürdigen Be-
grüssungen mit herzlichem Dank; Es wird auf seiten der Aerzte
dankbar und erhebend empfunden, dass gerade in Bayern die Be¬
hörden den Verhältnissen der Aerzte ein warmes Interesse und Wohl¬
wollen erwiesen haben. (Beifall.)
Der Stadtgemeinde München danken wir für den schönen Emp¬
fangsabend; der Teil der Liebe zu München, der durch den Magen
geht, hat jedenfalls gestern eine ungemessene Steigerung erfahren.
Bei unseren Arbeiten legen wir immer grosses Gewicht auf die
Verbindung mit den medizinischen Fakultäten und hoffen bei diesen
stets gutes Gehör und Verständnis zu finden.
Der Münchener Aerzteschaft wünschen wir, dass die gleich
schöne Harmonie, die uns bei dem Konzert des Aerzteorchesters
gestern erfreute, eine dauernde bleiben möchte. Zur Gründung der
Landeszentrale wünschen wir den bayerischen Aerztcn D'uck aber
wir müssen auch die dringende Bitte aussprechen dass die Landes-
zentralc sich fest an die Zentralorganisation und den Leipziger Ver¬
band anschliesse, nur so kann sie selbst etwas erreichen und das
Wohl der ärztlichen Gesamtheit fordern! (Beifall.;
1. Geschäftliches.
a) Kassenbericht und Erteilung der Entlastung.
Die Kassenführung wurde durch die Mitglieder des Geschaftsaus-
Schusses B r u n k und W c r n e r geprüft. . . . % ±.
Die Entlastung wird ohne Diskussion erteil .
b) Geschäftsbericht. . ... „„„
Der Geschäftsbericht liegt gedruckt vor; auf seine Verlesung
wird verzichtet; aus demselben gibt der Generalsekretär
Sanitätsrat H e r z a u den Stand der Verhandlungen, die auf Beschluss
des Elberfelder Aerztetages mit den Berufsgenossenschaften ein¬
geleitet worden sind, bekannt: . .
Die Verhandlungen mit dem Verbände D e,u
rufsgenossen sc haften wurden vom Generalsekretär bereits
am 25. Juli eingeleitet. Der Vorsitzende Spieker ant¬
wortete am 4. August: „Ich habe mit Freude von Ihrem Schreiben
Kenntnis genommen, am 12. August ist Sitzung des geschäfts¬
führenden Ausschusses, dem ich Ihre Anfrage vorlegen wer .
Am 15. August erfolgte der Bescheid: „Der Ausschuss hat im i H
blick auf die schweren und verletzenden Angriffe, die auf dem Elber¬
felder Aerztetage gegen die Berufsgenossenschaften ge^
den sind, beschlossen, seine weitere Stellungnahme von dem Erg
nisse einer Prüfung des von Herrn Dr. Besselmann nach Veröffent¬
lichung des stenographischen Berichts zu erbittenden Materials, das
seinen Beschuldigungen zugrunde liegt, abhängig zu machen Diese
Prüfung wird mit tunlichster Beschleunigung vorgenommen werden
Nach einer längeren Korrespondenz zwischen B e ss e Im a m i.
S p i e c k e r und Generalsekretär schlug letzterer die Prüfung
des Besselmannschen Materials, soweit es diesem nicht als absolut
vertraulich übermittelt wäre, durch eine paritätische Komm ssion .
Die Berufsgenossenschaften machten nunmehr (Schreiben
vom 12. November) ihre Zusage zu Verhandlungen davon abhängig,
dass der Geschäftsausschuss die E r k 1 arun gafb^ lb ’
dass er sich die in dem Besselmannschen Referate
enthaltenen Verallgemeinerungen nicht zu eigen
macht.“ In einer mündlichen Besprechung, welche der General¬
sekretär am 15. Dezember in Berlin mit dem Vorsitzenden
S p i e c k e r und dem Syndikus der Berufsgenossenschaften,
Justizrat Neisser-Breslau, hatte, erklärte ersterer, dass
Besselmann nicht als vom Geschäftsausschuss bestellter Referent,
sondern im Aufträge des Aerztevereins Kempen und auf eigene Ver¬
antwortung sein Referat erstattet hat, und dass der Geschaftsaus-
schuss, abgesehen von der Disposition, von dessen Inhalte * im ein¬
zelnen vor dem Aerztetage keine Kenntnis hatte. Gleichwohl b
standen die anderen Herren auf der geforderten Erklärung des Ge¬
schäftsausschusses mit dem Bemerken, dass diese dem Vorstande des
Berufsgenossenschaftsverbandes in seiner nächsten Sitzung mitgeteut,
ins Protokoll aufgenommen und dann mit diesem in ihre Zeitschritt
.Die Berufsgenossenschaft“ aufgenommen werden solle. Der Ge¬
neralsekretär wies natürlich diese Forderung als eine Demütigung mi
Entschiedenheit zurück. Am 20. Dezember wiederholte der V o r -
sitzende Dippe in einem Schreiben an S pieck er obige Er¬
klärung des Generalsekretärs und fügte hinzu: „Wir vom ue-
schäftsausschuss haben dem Vortrage Bessel¬
mann s in Elberfeld gegenübergestanden wie jeder
andere Abgeordnete auch, und haben uns weder
damals noch hinterher irgend e* w as dar aus zu
eigen gemacht. Diese Sachlage erübrigt doch wohl
eine weitere Erklärung des Geschäfts ausschuss es
vollkommen.“ (Auch das Protokoll des Aerztetages weist auf
Seite 43 rechts oben als erste Worte des Vorsitzenden nach Bes¬
se 1 m a n n s Bericht die Worte auf: „Herr Kollege Bessel-
mannn hat nicht als Referent des Geschaftsaus-
schusses gesproche n.“ Gleichwohl beharrte Spiecke r auf
seiner Forderung und betonte in seinem Briefe vom 30 September,
dass der Ausschuss namentlich durch das Verhalten des Vorsitzenden
bei der Elberfelder Tagung veranlasst worden sei, der für die groben
Beschimpfungen Besselmanns gegen Abwesende kein Wort der
Zurückweisung gefunden, sondern dem Referenten am Schlüsse noch
in aller Namen für sein Referat gedankt habe. I rotzdem richtete
der Vorsitzende Dippe unterm 5. Januar wiederum ein versöhn¬
liches Schreiben an Spiecker, verbat sich aber gleichzeitig eine
Kritik seiner Geschäftsführung in Elberfeld mit aller Entschiedenheit.
Die Antwort vom 16. Januar lautete wieder ablehnend.
Dieses unverständliche Verhalten in Verbindung mit der münd¬
lichen Erklärung der Herren Spiecker und Neisser vom 15- De¬
zember dem Generalsekretär gegenüber, sie sahen eigentlich
gar keinen Grund ein für die vom Aerztetag verlangten Verhand¬
lungen sowohl bei der Elektrizitätsberufsgenossenschaft wie bei allen
schlesischen sei alles in bester Ordnung, legt doch wohl den Schluss
nahe dass die Berufsgenossenschaften die Verhandlungen nicht
wollen. Der Grund lässt sich leicht erraten.
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1537
Es ist nun Aufgabe des diesjährigen Aerztetages, weitere Schritte
zu beschliessen.
Der Generalsekretär bemerkt dazu weiter:
In den letzten Tagen hat in Leipzig eine Tagung der Berufsge¬
nossenschaften stattgefunden, auf welchen die Ausführungen eines der
Vertreter, Herrn Schauseil, zwar an Schärfe gegen Bessel-
m a n n nichts zu wünschen liessen, aber anscheinend doch zugestehen,
dass es Punkte gibt, die einer Regelung bedürfen. Die Kürze der Zeit
erlaubte noch keine Prüfung der Sache durch den Geschäftsausschuss:
eine allgemeine Diskussion dürfte sich heute kaum empfehlen; wir
bitten den Aerztetag, dem Geschäftsausschuss das Vertrauen zu
schenken, dass er für die ärztlichen Forderungen weiter mit Ent¬
schiedenheit eintreten wird.
B e s s e 1 m a n n - München-Gladbach: Ich will nur zeigen, dass
ich nach all den vernichtenden Angriffen auf mich noch lebe und
verweise nur auf meine im Vereinsblatte veröffentlichte Erklärung.
Ich bin aber auch der Ueberzeugung, dass es zu Verhandlungen doch
wird kommen müssen.
H a k e r - Berlin: Soweit aus den Berichten hervorgeht, scheint
Herr S c h a u s e i 1 in sehr gereizter Stimmung gewesen zu sein und
den Bericht Besselmanns nicht gelesen zu haben oder nur ganz
ungenügende Kenntnis von demselben zu besitzen. Der Aerztetag
sollte aussprechen, dass er auch heute noch den Ausführungen Bes¬
selmanns in Elberfeld zustimmt; Kollege Besselmann hat
dort nicht auf die Berufsgenossenschaften geschimpft, sondern im
Gegenteil anerkannt, dass die Aerzte mit einer Anzahl derselben
sehr gut auskommen; er hat auch die auf ärztlicher Seite vorkommen¬
den Fehler nicht verhehlt; auch gegen die Vertrauensärzte der Be¬
rufsgenossenschaften hat er keine Beschimpfungen ausgesprochen.
(Beifall.)
Eine weitere Diskussion findet nicht statt.
II. Die Lage nach dem Berliner Abkommen.
H a r t m a n n - Leipzig: Auf der vor einiger Zeit stattgehabten
Hauptversammlung des deutschen Betriebskrankenkassenverbandes
hat Herr Heinemann - Essen (welcher auch Mitglied des Ber¬
liner Zentralausschusses ist) einen Vortrag über das Berliner Ab¬
kommen gehalten, der nach den offiziellen Berichten mit lebhaftem
Beifall aufgenommen wurde. In diesem Vortrag hat sich Herr
H e i n e m a n n zu einigen sehr gewagten Behauptungen verstiegen.
Er hat als Grund für das Scheitern der Verhandlungen des Betriebs¬
krankenkassenverbandes mit den Aerzten im Herbste 1913 folgende
drei Forderungen der Aerzteorganisation bezeichnet: 1. Zulassung
aller Aerzte zur Kassenpraxis, welche sich den von der Aerzte¬
organisation aufgestellten Bedingungen unterwerfen (sog. organisierte
freie Arztwahl). 2. Bezahlung der Einzelleistung nach den von der
Aerzteorganisation bestimmten Sätzen. 3. Kollektivverträge.
Man könnte sich über diese völlig aus der Luft gegriffenen
Behauptungen und diese Entstellung der Tatsachen wundern, wüsste
man nicht, wie wenig orientiert die Teilnehmer solcher Versamm¬
lungen sind und dass in gewissen Verbänden die eigentlichen Führer
nur das wissen, was ihnen von den Geschäftsführern vorgelogen
wird. Daher auch die tiefe Kluft, die heute noch die Aerzte von
dem Betriebskrankenkassenverband trennt. Schon gleich nach dem
Berliner Abkommen vom 23. Dezember 1913 hat der Verband es
in seiner und in der politischen Presse so dargestellt, als ob der
Leipziger Verband und der Aerztevereinsbund durch das Abkommen
eine schwere Niederlage erlitten und auf wichtige, früher feierlich
erhobene Forderungen verzichtet habe. Ich verkünde feierlich: Wir
können und wollen niemals auf die Forderungen verzichten, die wir
seit Königsberg erhoben haben als die Elemente der Berufsfreiheit der
Aerzte und zugleich im Interesse der Versicherten und Kranken
und des Gedeihens der Krankenkassen selbst. Wir haben nicht ver¬
zichtet, sondern nur nicht alles erreicht. Wir wollten keinen Sieg,
sondern nur den Frieden, und ich wiederhole auch heute: Die deut¬
schen Aerzte sind nicht dazu da, ihre besten Kräfte in gewerkschaft¬
lichen Kämpfen zu verzetteln. Wir sind der Meinung, dass wenn
bei den Kassen der Hass und die Voreingenommenheit schwindet,
sie selbst einsehen werden, dass mit der Erfüllung unserer Wünsche
auch sie am besten fahren werden. Hierzu ist das Berliner Ab¬
kommen, wenn richtig angewendet, wohl geeignet. Ich habe das
Abkommen in einer Broschüre gewürdigt und bin deshalb sehr scharf
und persönlich durch eine förmliche öffentliche Kundgebung der
Krankenkassenverbände angegriffen worden; demgegenüber halte ich
jedes meiner Worte ausdrücklich aufrecht. Schon dadurch habe ich
den Zorn erregt, dass ich behaupte, dass künftig nur Kollektiv-
Verträge abgeschlossen werden und damit eine unserer Haupt¬
forderungen erfüllt ist. Man legt dabei das Hauptgewicht auf das Wort
„abschliessen“; tatsächlich ist im Berliner Abkommen vorgeschrieben,
dass der Wortlaut desVertrages von einem Ausschuss festgesetzt wird.
Ein Kollektivvertrag ist eben ein solcher, der von einer Vertretung
der Allgemeinheit, sei es nun für die Allgemeinheit oder eine Mehr¬
zahl oder einzelne Aerzte abgeschlossen wird. Eventuell trifft das
Schiedsamt die Entscheidung. Diese Bestimmung ist neu und
wird von vielen Aerzten beargwöhnt. Wenn kein Kampf sein soll,
muss es einen solchen Schiedsspruch geben, und ich bin persönlich
nicht im Zweifel, dass bereits auch auf dem Aerztetag in Königsberg
diese Einrichtung schon ins Auge gefasst war, wenngleich die genaue
Formulierung noch fehlte. Auch der bayerische Vertrag hat sich
diesem Prinzip angepasst, der badische Vertrag sieht einen obligatori¬
schen Schiedsspruch vor und der württembergische gleichfalls einen
solchen auf 2 Jahre. Somit ist eine zweite Forderung der Aerzte
erreicht. Nicht erreicht ist die dritte Forderung, die allgemeine
Anerkennung der freien Arztwahl. Im württembergischen,
badischen und bayerischen Vertrag sind, teilweise allerdings in etwas
platonischer Weise Bestimmungen zugunsten der freien Arztwahl
getroffen. Ich habe nun behauptet, dass im Berliner Abkommen
wenigstens für neuzugründende Kassen grundsätzlich die freie Arzt¬
wahl verlangt wird und stütze mich dabei auf eine Bemerkung des
Staatssekretärs v. Delbrück bei den Verhandlungen, der mir auf
eine Interpellation antwortete: „Da haben Sie ihre freie Arztwahl“!
Das wird von den Krankenkassen bestritten. Wenn nun wirklich die
Krankenkassen künftig das Recht haben sollten, selbst das Kassen¬
arztsystem zu bestimmen, dann würde ich darin eine sehr ernste Ge¬
fährdung des Berliner Abkommens erblicken. Was war der Zweck
des ganzen Streites, wenn das alte Elend weitergehen soll? Dann
wäre das Abkommen nicht den Fetzen Papier wert, worauf es ge¬
schrieben ist! Ein kleiner Fortschritt besteht darin, dass eine Zahl
von Versicherten vereinbart wurde, auf die mindestens ein Arzt
treffen muss. Auch hier wollen die Krankenkassen das Zugestandene
wieder wegdisputieren. Was hätte die Bestimmung für einen anderen
Zweck, als die Aufstellung einer grösseren Zahl von Aerzten?
Nicht erreicht haben wir auch die Garantie für eine angemessene
Honorierung. Wir wollten aber nicht, wie Herr Heinemann den
Kassen weismacht, die Festsetzung der Honorarbeträge einseitig
durch die Aerzte, sondern nur die Festsetzung der unteren Honorar¬
grenze, unter die niemals heruntergegangen werden sollte. Die
Kassen aber kehren den Stiel um und wollen eine Höchstgrenze, die
der bisher geübten bekannten Knauserei entspricht.
Der Durchführung des Abkommens stellen sich überall ungeahnte
Schwierigkeiten entgegen, so dass man manchmal an der Durch¬
führbarkeit überhaupt zweifeln möchte. Ich habe gestern in der
Hauptversammlung des Leipziger Verbandes von der grossen Ge¬
schäftslast gesprochen, welche uns das Abkommen bringt. Die
Schwierigkeiten liegen nicht nur in der Kompliziertheit und Unklar¬
heit des Abkommens selbst, sondern oft auch fehlt es am guten
Willen bei allen Beteiligten, den Kassen, Behörden und auch den
Kollegen. Sicher erwächst den Behörden eine grosse Last, doch hätte
man ein schnelleres Einarbeiten derselben oft erwarten können.
Oft habe ich herzhaft die ärztlichen Organisationen getadelt, ich habe
ihnen aber recht Abbitte geleistet, seit ich gesehen, was die Ver¬
waltungsbeamten alles fertig bringen und missverstehen. Ein Ver¬
sicherungsamt teilt das Abkommen in zwei Teile, einen obligatorischen
(Ziffer 1—10), der für die Kassen günstig ist, und einen fakultativen
(Zifferll), der den5-Pfennigbeitrag betrifft; bei diesem wird es für aus¬
sichtlos erklärt, auf die Kassen einzuwirken. — Ein anderes Versiche-
rungsamt hat alles geregelt, aber diesen 5-Pfennigbeitrag vergessen.
„Eine Aenderung ist nicht mehr möglich und deshalb sollen ihn die
Aerzte übernehmen!“ — Einem Arzt, der den von dem Versicherungs¬
amt hergestellten Vertrag nicht unterzeichnen will, wird die Strei¬
chung als Kassenarzt angedroht. — Ein Versicherungsamt versagt die
freie Arztwahl, ein anderes legt den Aerzten fertige Verträge zur
Unterschrift vor. Da ist es doch fraglich, ob die Versicherungsämter
wissen, was sie zu tun und nicht zu tun haben, und ob die Ver¬
sicherungsamtmänner auf diese Weise wirklich unbefangen im
Schiedsamt wirken können.
Bezüglich der Errichtung der Arztregister und der Wahl der
Ausschüsse herrscht noch ein völliges Chaos. Dabei fehlt es sicher
oft am guten Willen und spielen Nebenabsichten eine Rolle. So
trägt ein Versicherungsamt nur die „Nothelfer“ in das Arztregister
ein, ein anderes stellt kein Register auf, weil die Kassen keines
wünschen, anderswo wird das Register nur für bestimmte Kassen
und deren festangestellte Aerzte eingerichtet. Die Einrichtung ge¬
meinsamer Register für mehrere Bezirke wurde in Preussen bisher
überhaupt abgelehnt, obgleich in manchen Bezirken so wenige Aerzte
sind, dass sie nicht einmal zur Besetzung der Ausschüsse hinreichen.
Aehnlich steht es mit den notwendigen Wahlen. In manchen Be¬
zirken sind bis heute noch keine Wahlen angesetzt worden. Man
kann sagen: in ganz Deutschland gibt es noch kaum ein Arzt¬
register und einen Vertragsausschuss, die dem Abkommen wirklich
entsprechen! Man hat eben den Bau mit dem Dach begonnen, nicht
mit dem Fundament. Vorerst wäre das Wichtigste, dass endlich die
Verträge zum Abschluss gebracht werden, erst dann lässt sich richtig
weiter arbeiten; aber der alte Hass der Kassen gegen den LWV.
macht sie blind. Man sollte meinen, nachdem sie einmal doch mit
dem LWV. den Vertrag abgeschlossen haben, müssten sie froh sein,
wenn dem LWV. möglichst viele Aerzte angehören; denn umso
leichter wird dann die Durchführung des Abkommens. Aber jetzt,
nachdem der LWV. den Kassen die ärztliche Versorgung vermittelt
hat, pressiert es ihnen mit dem Abschluss der Verträge gar nicht
mehr. Ende 1913 waren sie oft geneigt zum Abschluss unter guten
Bedingungen, jetzt aber wollen sie überhaupt nicht mehr verhandeln;
denn „die Aerzte müssen ja die Kranken behandeln“. Dabei werden
alle möglichen Vorwände gebraucht, wie z. B„ dass die allgemeine
Durchführung des Berliner Abkommens erst gesichert sein müsse.
Andere Kassen wollen sich nicht den Schiedsinstanzen fügen, andere
versuchen die Abschaffung der freien Arztwahl, leider öfters mit
Unterstützung von Aerzten. Oft werden dabei die Kassen von den
Oberversicherungsämtern oder von dem preussischen Handelsmini¬
sterium unterstützt. Die grösste Schwierigkeit macht die Leistung
1538
M U ENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
N.. 27.
des 5-Pfennigbeitrages durch die Kassen. Von 75U0 Kassen Deutsch¬
lands haben auf die Aufforderung nur 825 geantwortet und 750
zugestimmt. Völlig ablel nend verhalten sich die Kassenyerbande in
Baden Bayern und in den Reichslanden. Man benützt die Dehnba -
Weit des §11 des Abkommens oder erklärt nur diejenigen Kassen ur
gebunden die bei den Verhandlungen über das Abkommen; vertreten
waren. Der Reichsverband der Landkrankenkassen lehnt die Zah K
ab verlangt aber doch einen Sitz in dem durch das Abkommen ge
“‘'SÄÄ noch die Regelung der Hono^tmd
von 'M 1 C3.50b ün dC f ür Famüienbehandlung IvT 4%0 einschliesslich aller
NCbCÄbCeSrtäuchnvon den Aerzten wird noch viel gesündigt. Bei gutem
Willen wären unsere Organisationen dem Abkommen völlig anzu-
nassci! Nicht zu billigen ist, wenn sich die Aerzte weigern die
Ausschüsse zu bilden, wenn sie fordern, dass der Vertrag nur durch
die Vereine abgeschlossen werden soll oder wenn sie sich weigern
die vorgeschriebenen, von den Aerzten Unterzeichneten Einzelver-
träge nachzuliefern. Zum Teil werden die Schwierigkeiten gerade
von sotehen Aerztevereinen gemacht, die Ende 1913 geneigt waren
ohne Genehmigung des LWV ihren Frieden mit en ' as^.eij{ ch
machen. Auch bei der Nothelferfrage machen die Ae^te vielfach
Schwierigkeiten. Nicht genug anzuerkennen ist es, dass die Aerzte
in Baden, Württemberg und Bayern den 10-Pfennigbeitrag leisten,
obgleich ihn die Kassen ablehnen. Die schärfste Verurteilung verdient
aberdie Ablehnung des Beitrages. z B. mit der l*B»nd“.* da*
das Berliner Abkommen nicht die Versprechungen erfüllt und die
Aerzte im Stiche gelassen habe. . f WPiciie nie.
Allerdings legt das Berliner Abkommen Opfer auf, welche ine
ienieen Aerzte geniessen, die wir nicht gern zu uns zahlen, aber es
soll auch das letzte Opfer sein. Die Ablehnung dieses Opfers ladt
d?e graste Verantwortung auf. Das grösste Opfer bedeutet für die
Aerzte Elbing. Die dortigen Zustande widersprechen den feste
Abmachungen und den feierlichen Zusicherungen der Regierung. Ich
spreche es laut und feierlich aus: Wir Aerzte fühlen uns hierin
schwer enttäuscht. Der Regierung aber sei der Name Elbing als
pjn Mene Tekel von uns an die Wand geschrieben. Das Miliei
in Elbing ist ein eigenartiges: Der Inhaber der Schichau werft ist er
grösste ^Industrielle und Steuerzahler' der Provinz Das ist a
kein Grund, warum das Berliner Abkommen vor Ha^ Sg®»
sollte. Das dortige Versicherungsamt tragt aber nur die „Notheller
ins Verzteregister ein und obwohl es durch die Anlage des Roos ,
d is Berliner Abkommen eigentlich anerkennt, lasst es keine Wahle
in die Ausschüsse vornehmen. Sehr wahrscheinlich ist es, dass cs in
seiner Stellungnahme von dem preußischen Ve^sidi"^
unterstützt wird. Dem Berliner Abkommen das auf 1350 Versicherte
einen Kassenarzt verlangt, widerspricht aber auch, dass in Elbing
für ?2 000 Versicherte nur 8 Kassenärzte aufgestellt sind, von denen
einer" noch auf 1 Jahr für Köln, 10 Jahre für Düsseldorf ver- _
pflichtet ist. Demgegenüber berufen un^e^d/rUC^le.
auf die vom Reichsamt des Innern am 28 D ^er Nothetfer
graphisch gemachte Zusage, dass die Abgab
■in andere Orte als durchaus unzulässig zu gelten habe. uas
eine" können wir sagen: Die deutschen Aerzte geniert Elbing ga
ausserordentlich! Den Elbinger Aerzten rufen wir zu. narrt mutig
‘“'Xrmifhab’e loh gezeigt, wie weit wir zufrieden seht können und
manch ^ Kollegen stehe, grollend beiseite. Sie sollen aber bedenken
dass wir nicht den Gegner nicderzwingen und ein Vae victis zürnten
wollten Jetzt ist aus dem Gegner ein Partner zum
wir cs ehrlich halten müssen und wollen. Dann wird auch er Zl ,
Verständnis gelangen und der Friede erreicht werden. Unser Ziel
ist das alte, unverrückbare: Der Kassenarzt muss unabhängig und
unbeeinflusst seinen Pflichten nachgehen können. Das Berliner Ab
kommen bietet, wenn es loyal und restlos du£7K^uh' V weni der
wohl den Weg zu unserem und der Kassen Nutzen un ' m d r
Frioflp erreicht ist, auch zum Nutzen des lieben deutschen yaitr
1 an des. (Lebhafter Beifall.) Der Geschäftsausschuss schlagt folgen
ReS01 dS" Anerkennung der von der deutschen Aerzteschaft seit
langen Jahren immer wieder einmütig erhobenen Forderungen
liegt nicfF bloss im Interesse der Unabhängigkeit und einer sachge-
Ssen Berufsausübung der Kassenärzte, sie dient ebenso sehr dem
Wolile der Versicherten und dem Gedeihen der Krankenkassen. Wenn
^ch das BerHner Abkommen vom 23. Dezember 1913 wesentliche
dieser Forderungen noch unerfüllt lässt, so ist es doch geeignet, den
( ■■ ii Rpfpiiip-ten nötigen Frieden herbeizuführen. Deshalb macht es
der n Echln ve?sfmirelle 40. Deutsche Acrzictag den Bundes-
der in iviuncr ... , Lokalorganisationen und den Sek¬
tionen ^und Ortsgruppen seiner wirtschaftlichen Abteilung, des Lem-
tionen una urisg vv pfli y.t überall für die Anerkennung und die
Durchführung'des Akolenstatkräf/ig einzutreten Er erklärt es
aber ausserdem für unerlässlich, dass auch die Reg.erungs- und
Versicherungsbehörden und die Krankenkassenverbande weit mehr a s
, . , neiste das Friedens wirken, und dass vor allem die
Krankenkassen selbst' die sich vielfach im Reiche hinauszögernden
V er trjfgs a b Schlüsse fördern, dabei den, durch die Ze.tverhaltn.sse und
die von der Reichsversicherungsordnung herbe gefuhrte V trmmderung
der Privatpraxis, begründeten Flonoraranspruchen der Kassenarzte
vmecht werden/ und den für die Beseitigung der ärztlichen Not¬
helfer erforderlichen 5-Pfennigbeitrag nicht langer verweigern. Da ei
verhehlt sich der Aerztetag nicht, dass das Vertrauen der Atr
da* Berliner Abkommen solange .kein grosses sein wird und kein
grosses sein kann, bis nicht alle Vorbedingungen für sein Zustande¬
kommen restlos erfüllt sind. Er spricht daher die bestimmte Er¬
wartung aus, dass nun endlich den unerträglichen Zustanden bei den
Krankenkassen in Elbing ein Ende gemacht wird, und richtet an dm
am Berliner Abkommen beteiligten Krankenkassenverbande die ein¬
dringliche Mahnung, dafür zu sorgen, dass die Elbinger Betriebs¬
und Ortskrankenkassen schleunigst auf den Boden des Berliner Ab¬
kommens treten und die zugezogenen Nothelfer entlassen. Schliess¬
lich Tedangt er von der Preussischen Regierung, dass sie, in Er¬
füllung eines beim Abschluss des Abkommens feierlich gegebenen
Versprechens, die beiderseitigen Kassen- und Aerzteverbande bei
seiner Durchführung unterstützt, die in Betracht kommenden Ver
Sicherungsbehörden anweist, ohne Ansehen der Person auch für
Elbing im Sinne des Berliner Abkommens tätig zu sein. (Beifal .)
Der Vorsitzende spricht dem Berichterstatter den besten
Dank aus und die Floffnung, dass nunmehr eine Beschleunigung in
der Durchführung des Berliner Abkommens eintreten werde.
Es liegt ein Antrag Hecht-Munchen vor.
cs liegt ein Antrag 1 1 c v. n i - m u ». w ~ — . .
Der 40 Aerztetag ersucht die Reichsregierung und den Reichstag,
die Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung mögen dahin ab¬
geändert werden, dass die Krankenkassenmitglieder für ärztliche
Behandlung und Arzneien einen wenn auch nur kleinen prozentualen
Beitrag jeweils selbst bezahlen müssen. ... . . . ..
Hecht- München: In dem Bezirksverein München ist dieser
Antrag eigentlich für die diesjährige Sitzung der bayerischen
Aerztekammern eingereicht worden, er soll nun aber bereits den
Aerztetag vorgelegt werden. Wir wollen keine grosse Diskussion
hervorrufen. Wir alle kennen die Schäden, die der Antrag beseitigen
will Auch wenn der Antrag den Regierungen nicht genehm i n
zur Zeit als zwecklos erscheinen mag, wird er doch vielleicht
später zum Ziele führen. Sich regen bringt Segen!
E i s f e 1 d - Groningen berichtet, welche Schwierigkeiten im Be¬
reich des Versicherungsamtes Oschersleben zu überwinden waren, so
dass im April neuerdings der Ausbruch des vertragslosen Zustandes
drohte Nach telegraphischer Anrufung des Oberversicherungsamtes
kam es schliesslich durch dessen Eingreifen ohne Mitwirkung des
Schiedsamtes zu einem befriedigenden Abschluss. n ..
Stern- Königsberg: Bei uns ist die Beurteilung des Berlinu
Abkommens nicht so günstig, wie es gestern in der Versammlung
des LWV und bisher heute den Anschein hatte. In ganz Ostpreusscn
bedauert man heute noch das Abkommen. Wir waren viel besser
ohne dasselbe fertig geworden. Man kann einige Lichtpunkte 11
demselben finden und anerkennen, wie das Aufhören des Reichs¬
verbandes und den diplomatischen Erfolg, dass dieser Verband nicht
zu den Verhandlungen zugezogen wurde; ebenso d,e Ausschaltung der
Kurpfuscher in der Kassenkrankenbehandlung, schliesslich auch die
Beseitigung des Nothelferwesens. Damit sind aber auch die Vorzüge
zu Ende und sie wiegen leicht gegenüber den schweren Schädi¬
gungen die das Abkommen dem Aerztestand gebracht hat Wir
Ostpreussen sind „Dickschädel“, bei denen es lange dauert, is u
Gedanke hineinkommt, kommt einer aber hinein, so bleibt er auch
lange darin und wir vergessen nicht so leicht, was geschehen ist.
Das Schlimmste ist das grosse Vertrauen in die Regierung obwohl
niemand weiss, wie lange eine Regierung besteht und obwohl gerade
im Schosse der preussischen Regierung vielfach eine den Aerzten
ielndDehrevAo"fsf.“"lnbdef ermahnt den Redner zur Mässigung; der
AUSdDeCrk R e dnehr“ Uhr? forTwir Aerzte sind durch das Ab-
kommen einfach der Regierung verschrieben, insbesondere durch die
obliKatorischen Schledsämter. Schon in den, ersten Entwürfe waren
^chicdsausschüsse vorgesehen. Da war es M u g d a n, der dem
Entwurf diese Giftzähne ausbrach und jetzt sind unter seiner Mit¬
wirkung diese Giftzähne in das Abkommen wieder hineingekommen.
Damit können wir uns nicht befreunden und das wollen wir nicht
mitmachen Weiter in der Frage des Arztsystems ist die Durch¬
setzung der alten Forderungen nicht gelungen und die AU der
Durchführung der Verhandlungen bedeutet eine Schwächung der lokalen
äi ztlichen Organisationen die nie mehr wettzumachen^sU die Or¬
ganisation ist gerade/u lahmgelegt worden. Der LWV. hat im
grossen und ganzen seine Bedeutung eingebusst, er hat aufgehort
Hip entscheidende Vertragszentrale zu sein. Die Stellung des ver
b indes ist verschoben und das Gewicht in die lokalen Organisationen
verlegt worden; ' damit bereitet sich der Zerfall vor, den wir be¬
dauern müssen. Wir Ostpreussen sind aber trotzdem dem LVvV.
freu Seblicben und wollen an der Durchführung des Berliner Ab¬
kommens mifwirken, aber es hat uns grosse Ueberwindung gekostet.
(BC1 Staude ^-Nürnberg: Ich beabsichtige keine Kritik des Berliner Ab¬
kommens- wir bayerischen Aerzte denken noch feuchten Auges unseres
bayeHschen Abkommens, das wir heute noch für wesentlich besser
halten als das Berliner, aber wir erkennen voll an, dass die Zentrale
unserer Organisation das menschenmögliche geleistet hat und wissen
Sen Filhrcn, Dank fiir ihre aufopfernde Tätigkeit. Jetzt handelt es
7. Juli 1914.
MUKNCHKNKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sich nicht mehr um die Kritik, sondern um das Rinleben in die
neuen Verhältnisse. Wichtig ist die Frage der Vertragssammelstelle
in Leipzig. Nach Ziffer 4 des Abkommens ist für den Vertrags¬
abschluss eine massgebende Genehmigung durch die Leipziger Zen¬
trale nicht mehr möglich, aber die Sammelstelle für die Verträge hat
ihre grosse Bedeutung behalten vor allem für statistische Zwecke und
spätere Ereignisse; gerade jetzt müssen wir bedauern, keine solche
Materialsammlung zu besitzen. Daher ist es notwendig, künftig das
Material zu sammeln ,zu sichten und zu bearbeiten. Zu betonen ist
noch gegenüber Hartmanns Ausführungen, dass in Bayern infolge
des wohlwollenden Eingreifens der Regierung die Kassen für den
5-Pfennigbeitrag gewonnen worden sind. Kassen aller Arten haben
den Beitrag wirklich schon geleistet.
E i e r m a n n - Frankfurt a. M. spricht zu dem Münchner Antrag.
Derselbe hat einen ausgezeichneten Kern und ist schon oft zu ver¬
wirklichen versucht worden, am erfolgreichsten wohl in Württemberg,
wo in der Familienversicherung ein Beitrag zu den Medikamenten-
kosten verlangt wird. Es wäre ein Glück, wenn die Petition erfolg¬
reich wäre, allein dazu besteht wenig Hoffnung. Man muss vielmehr
gerade im jetzigen Stadium sehr zur Vorsicht raten. Der Antrag er¬
scheint deshalb nicht ratsam, weil er nur zur öffentlichen Agitation gegen
die Aerzte ausgebeutet werden wird, bei der durch das Berliner
Abkommen geschaffenen Erregung. Die Krankenkassen werden uns
„unsoziale“ Anschauungen vorwerfen, aus politischen Gründen, ob¬
wohl sie selbst vielfach von der Berechtigung des Antrages über¬
zeugt sind. Daher wäre es vorzuziehen, den Antrag auf 1 — 2 Jahre
zu vertagen oder ihn der Krankenkassenkommission zu einer gründ¬
lichen Prüfung zu überweisen, die immer lange Zeit in Anspruch
nimmt.
S a m u e 1 - Stettin: Auch wir hatten im Anfang schwere Be¬
denken gegen das Berliner Abkommen, die sich aber legten, als wir
die Stimmung auf Seiten der Kassen erkennen konnten. Sie waren
so erbittert, dass sie erst nach langer Zeit für Verhandlungen zu
haben waren. Dabei haben wir durch die Regierung eine wesent¬
liche Unterstützung gefunden und jetzt sind die Verträge unter Dach
gebracht. Mit Ruhe und Geduld haben wir noch manches, auch eine
Erhöhung des Pauschales erreicht. Jedenfalls ist es unverständlich,
wenn man sagt, unsere Organisation sei geschädigt oder gar ver¬
nichtet worden. Erst vor kurzer Zeit haben wir durch unsere Or¬
ganisation noch schwankende Kollegen festgehalten.
H a k e r - Berlin: Es erscheint doch wichtig, den Münchener An¬
trag anzunehmen und diesen Gedanken einmal wieder zu betonen.
Die Agitation gegen ihn brauchen wir nicht zu fürchten, auch viele
Vertreter der Kassen sind für denselben und es wird auch die im
nächsten Jahre in Paris tagende internationale soziale Konferenz Ge¬
legenheit bieten, sich mit demselben zu befassen.
Schlüter - Minden: Bei uns bieten die Verhältnisse ein freund¬
licheres Bild, als Stern es gegeben hat. Uns allen war ein Stein
vom Herzen, als in ehrenvoller Weise der Kampf vermieden war, der
für die Aerzte und die Bevölkerung ein Unglück gewesen wäre. Die
erste Enttäuschung schwand bei genauerer Prüfung des Abkommens.
Notwendig bleibt eine geschlossene Aerzteorganisation, vor der auch
die Regierung Respekt hat. Wir erkennen dankbar an, in wie un¬
parteiischer und vorzüglicher Weise das Versicherungsaint Minden
gewirkt hat. So haben wir in Frieden die grundsätzliche Durch¬
führung der freien Arztwahl und eine Erhöhung des Honorars erreicht.
L e v y - Graudenz: S t a u d e r hat nicht recht, dass wir hier das
Abkommen nicht kritisieren sollen; denn der Aerztetag ist hierfür das
einzige Forum; aber die Kritik muss eine positive, nicht nur negative
sein. Es kann nur einen guten Eindruck machen, wenn man sieht,
dass wir nicht nur von den Führern geleitet werden, sondern ihnen
mit Ueberlegung folgen. Interessant ist eine Würdigung der allge¬
meinen gewerkschaftlichen Bewegung. Prof. K es t er- Jena hat auf
die Analogie mit der grossen Politik hingewiesen: Aus kleinen An¬
fängen bilden sich grosse Organisationen, die gewaltig rüsten, so dass
der Kampf unvermeidlich erscheint, dann kommt es aber im letzten
Moment doch meist zum Frieden. So haben die beiden grossen
Organisationen im Buchdruckgewerbe schon seit vielen Jahren keinen
Kampf miteinander gehabt, weil sie gegenseitige Gleichberechtigung
errungen haben. Wir müssen uns klar sein, unser früheres Fanfaren¬
geblase war ein Mittel für einen ganz anderen Zweck. Die Aerzte
sind psychologisch nicht für den Krieg disponiert, sondern für den
Frieden. Wir haben erreicht, dass die Regierungen nicht mehr
negierend uns gegenüberstehen, sondern als gleichstehender Faktor,
der die Gleichberechtigung aller Vertragsteile anerkennt. Dem
Friedensbcdürfnisse der Aerzte ist freie Bahn geschaffen worden.
Dass H a r t m a n n, die Kampfnatur, das gemacht hat, ist seine grösste
moralische Leistung!
v. Wild- Kassel: Das Berliner Abkommen ist wie ein junger,
erst gepflanzter Baum. Elbing ist eine faule Frucht an demselben.
Schuld ist das mangelhafte Verhalten der Regierung, die ihre Pflicht
vernachlässigt hat. Im Uebrigen zeigt sich in dem Auftreten der
Kegierungsbeamten in Preussen doch eine grosse Hochachtung vor
dem, was die Aerzte in ehrenamtlicher Tätigkeit, die nicht auf Orden
und I itel und oft nicht einmal auf Dank im eigenen Kreise rechnen
kann, geleistet haben; es besteht auch das ernste Streben, tief in
die Verhältnisse einzudringen und ihnen gerecht zu werden. Wenn die
Frage des 5-Pfennigbeitrages Schwierigkeiten macht, sind teilweise
die Aerzte schuld. Sie sollten eben keine Verträge abschliesscn,
bevor dieser Punkt geregelt ist.
M u g d a n - Berlin: Es wäre zu verwundern, wenn auf dem
ersten Aerztetag nach dem Abkommen nur Gutes darüber gesagt
worden wäre. Da die Ostpreussen die Bundestreue halten, haben sie
cm Recht darauf, dass man auf ihre Vorwürfe eingeht. Es ist unbe¬
rechtigt, mir meine Haltung in Sachen der Schiedsämter vorzu¬
werfen. Im ersten Entwürfe waren zwei verschiedene Schiedsämter
für die fixierten Aerzte und für freie Arztwahl vorgesehen, diese
doppelten Instanzen haben wir verworfen. Ganz anders verhält es
sich mit den gegenwärtigen. Diese haben wir doch schon seit
Königsberg gefordert und diese müssen eine behördliche Spitze _ sei
es einen Beamten aus dem Versicherungswesen oder einen anderen
erhalten, am besten einen mit dem Versicherungswesen vertrauten.
Die Kritik Hartmanns an der Haltung der Versicherungsämter ist
berechtigt. Aber es ist zu bedenken, dass die Oberversicherungs-
ainter aus den Schiedsgerichten für Arbeiterversicherung hervorge¬
gangen sind, und ihnen nun auf einmal auch das Krankenversicherungs¬
wesen zufiel. Ein Teil der Missgriffe beruht noch auf der begreif¬
lichen Unkenntnis, nicht auf bösem Willen. Das zeigt sich auch
bereits in verschiedenen für uns Aerzte gewiss günstigen Entschei¬
dungen. So wurde enstchieden, dass die „Angemessenheit“ des Ho¬
norars objektiv und unabhängig von den Finanzverhältnissen der ein¬
zelnen Kasse zu beurteilen ist und gegebenenfalls eben die Finanzen
der Kasse den berechtigten Forderungen der Aerzte anzupassen sind.
Zwei wichtige Entscheidungen hat auch das Reichsversicherungsamt
getroffen: Die eine schliesst die Beschäftigung von Kurpfuschern bei
den Krankenkassen so gut wie vollständig aus, die andere sagt, dass
dem Berliner Abkommen auch durch den Vertrag mit ärztlichen Ver¬
einigungen genügt wird und nicht nur durch den Vertrag mit Einzel¬
ärzten. Jedenfalls lassen die Versicherungsbehörden mit sich reden,
wenn auch die Kassenführer nicht einzusehen scheinen, dass jetzt
Frieden sein soll. Wir halten die Behörden nicht mehr für feindlich,
aber es wird unter ihnen verständnisvolle und verständnislose geben.
Wenn die Aerzte und die Kassen sich einigen, bedürfen sie der Be¬
hörden überhaupt nicht. Gerade jetzt ist aber eine gute Organisation
der Aerzte nötig, um das Abkommen durchzuführen.
W e i s s - Hamburg: In Hamburg, das bis jetzt immer eine Aus¬
nahmsstellung hatte, scheint sich erst durch das Abkommen ein Fort¬
schritt anzubahnen. Der Antrag München hat einen guten Kern. Wenn
wir uns auch missliebig machen, brauchen wir uns nicht zu sehr
fürchten, die Kassen leiden selbst unter den gegenwärtigen Miss¬
ständen ohne die Möglichkeit der Abhilfe; auch die Tätigkeit der
Kassenärzte ist erschwert. Manche Kassenmitglieder haben das Ge¬
fühl, dass die Honorare nicht genügen und zahlen selbst noch einen
Betrag darauf, andere nehmen sich auf eigene Kosten einen Arzt, weil
sie auf das persönliche Verhältnis zum Arzte Gewicht legen.
P e ys e r - Charlottenburg: Das Berliner Abkommen hat immer¬
hin das Gute, dass noch so viel zu tun ist; denn es wäre schade,
wenn die Aerzte in Lethargie verfallen würden; Kassen und Re¬
gierung sorgen wohl noch längere Zeit, dass das nicht geschieht. Nun
könnte man fragen, welche Einrichtungen der Organisation jetzt ev.
entbehrlich geworden sind. Es wird bisweilen gesagt, die Vertrags¬
kommissionen der Aerztekammern seien nnzweckmässig oder schäd¬
lich geworden. Gerade hier möchte ich vor einer Aenderung warnen,
schon deshalb, weil viele Kassen von dem Berliner Abkommen gar
nicht getroffen werden. In neuerer Zeit beschäftigen ferner auch die
Verträge für die Polizei-, Schul- und Armenärzte die Vertrags-
kommjssionen. Daher müssen diese beibehalten werden.
Burk- Heidenheim: Der Württembergische Landesausschuss hat
schon s. Z. bei der Vorbereitung des RVO. eine Bestimmung im Sinne
des jetzigen Münchener Antrages gewünscht; was aus dieser An¬
regung im Bundesrat geworden ist, wissen wir nicht. Jedenfalls
würde auf diesem Weg die ganze Misere der Kassenarztfrage ihre
Lösung finden.
Nunmehr wird die Resolution des Geschäfts¬
ausschusses und der Antrag Hecht angenommen.
III. Bericht der Kurpfuschereikornmission mit Antrag des Geschäfts¬
ausschusses auf Erhöhung des Bundesbeitrages um 1 Mark.
Franz-Schleiz: In Elberfeld hat der Aerztetag seine Zustimmung
dazu erklärt, dass die Bekämpfung der Kurpfuscherei auf eine breitere
Grundlage gestellt, unsere Kommission verstärkt und ein Zusammen¬
gehen mit der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Kur¬
pfuscherei eingeleitet werden solle. Notwendig hierfür sind vor allem
grössere Geldmittel, mit den bisherigen geringen Aufwendungen lässt
sich nichts erreichen, zumal gegenüber einem Gegner, der über
grosse Geldmittel verfügt. Es wurden nun Verhandlungen mit der
Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Kurpfuscherei eingeleitet
und folgendes in Aussicht genommen: Errichtung einer Zentralstelle
für die Sammlung und Bearbeitung des Materiales. Dazu dient die
Anstellung eines Geschäftsführers und von Hilfskräften, deren Aufgabe
auch die Auskunfterteilupg an jede Behörde, ärztliche Vereine usw.
sein wird. Seit dem Scheitern des letzten Gesetzentwurfes hat
das Kurpfuschertum sich noch weiter ausgebreitet, so sind in Preussen
jetzt 5081 Pfuscher gezählt, aber sicher noch viel mehr vorhanden.
Die Zahl der Pfuscher hat um 8, die der Aerzte um 3 Proz. zuge¬
nommen, und es gibt jetzt in Preussen Bezirke, wo die Zahl der
Ptuscher halb so gross ist als die der Aerzte. Das schädlichste ist
die Reklame; denn sic darf noch so dumm und einfältig sein so
finden sich bei Hoch und Niedrig Leute, die hereinfallen. Hier ist eine
eifrige Aufklärungsarbeit dringend notwendig und zwar auch unter
1540
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
den Reichstagsabgeordneten, damit so klägHche grjchdnunj en wie in
den letzten Jahren sich nicht A' r7|pvercinsbund soll in derselben
Dresden ihren Sitz erhalten- A ^ Mark pr0 Mitglied für diesen
vertreten sein und ^nen ^e. r/»p Hi s c)ic durchzuführen sein. Sache
Sä fSSHt
pluschereikommission der dieser Kommission waren
EääähiS
Vereine, 'e s m B « . - er A r . : . m , t . e . k om m , s
WWimsmm
S*Jas‘ÄS ÄÄ ffi ä
mit dem Gedicht:
Ich freue mich ein Elephant zu sein
und juble deshalb laut .
nicht wegen das schöne Elfenbein,
Man miüi^aus^verschtedenen8 Gründen ®£J^e^ngiep?jLPorm
SS,*; säs^Svä: » -
8 SHSachn) eine? Panse, " in «Me/ die' Wahl " d« 'oVsÄulf
Schusses stattfand, gelangte
IV. der Antrag Leipzig-Land-Nürnberg
zur ?.erra Deutsche Aerztetag fordert die deutschen Aerzte auf, ärzt-
mäSäE
handelt Der lokalen Standesvertretung obliegt die Pruf™g d,e
f rS ÄÄtte :
trag ^zur° Bearbeitmfg der Frage seitens des
slnd^in^ner ^em^sehi^auslührH^heifTedruckten Referat beigelegten
Tabelle verwertet.)^ ärztljche Berufstätigkeit gibt, ist die ärztliche
Rehandlung bezahlt worden; die Bezahlung bildet den Regelfall, die
SfeSSSrttsjSä^g
Honnrai au fraäen Auch hat es bei Behandluns von besonderen
Bevölkernngssruppen und Bevölkerungsmassen immer j schon als Ans-
nähme die Unentgeltlichkeit gegeben. Die schone resiscnrin
Esc henburgs zum Lübecker Aerztetag zeigte dass eine Frage
Gemeinwohls, die Schutzpockenimpfung, im Jahre 1804 zum
e\ , i Hip I iihecker Aerzte zu gemeinsamer Beratung zusammen-
Gemeinwohl isl die adtes.e
Hp.tKrhP Standesvereinigung in Lübeck hervorgegangen. Es waren
deutsche btandesveremigung Notwendigkeiten des all-
l™5!nen Wohles hatten uSd dabei nicht an Bezahlung dachten. Dar-
ans ist fast alles, was heute als vornehmste Pflichtaufgaben für Staat
und Gemeinden anerkannt ist, hervorgegangen, aber zugleich auch
SüiLn tiph hieraus feste Stellungen entwickelt, in denen viele Aerzte
habe Rp,aW»nTi.rheiten So sind u. a. auch die Seehospize, die
Fürsorgeeinrichtungen für Tuberkulose ins Leben gerufen worden,
und man kann auch daran erinnern, dass gerade unter den die Stan-
r=Sten“" Maler 1 ftl™ Bi dhau”. “effi auf dem Gebiete ihres
ilsisssrresisi
entspricht die Unentgeltlichkeit der Leistung so sehr dem Wesen des
BerUNnn «hentif dasffB. für ein Krüppelheim Mitglieder anderer
ÄÄÄÄÄÄ
Senerdfe” UrtereictaisS«” für SeuchenSellimg wie die
Btt MASrtSLÄ
Ä fio Ä ÄSr £
ÄÄSÄ./JÄA;;
Sf^aflflhrÄgLtr^
stellen veranlasst und damit erhielten die bisher unentgeltlich tätig g
wesenen und andere Aerzte für die gleichen Leistungen nunmehr e n
Fnteelt Beispiele ähnlicher Entwicklung gibt es mehrere, wenn m
Einrichtungen Solcher Art, trotz der Uebernahme durch die Behörden
SSfwSSstehen wollen, so wird das nunmehr im die
Aerzte kein ausreichender Grund zur weiteren unentgeltlichen Tat g-
keü sein können Dagegen sind die Ferienkolonien von jeher E.n-
?fchtungen die nicht von seiten der Behörden sondern durch frei¬
willige Leistungen unterhalten werden und zu denen
den 8 Nutznlesscfu nur sehr . wenig dazu beiges steuert ^ wird,
zäTaSen "FeSkoloSn ’fhre berufliche Tätigkeit unent-
gelflich Gemeinnützig sind auch die Heilstätten für fgXh "m
tr BÄS“- 'so’1 grossen Aufwand! d1?s eife «n-
entgeltliche Verpflegung und Behandlung nicht möglich ist und Ver
Xeunissätze erhoben werden müssen. Aus diesen werden für die
Behandlung ^uch die Gehälter der Aerzte bestritten. Hier tritt also
dCr tdnef’gibf nBo ^Sre Beispiele dieser Art, welche sich auf
die Bedeutung der ärztlichen Beratung. Behandlung und den Unter
rieht beziehen Die an den Vortr. gelangten Mitteilungen aus Aerzte-
Aprrtpsehaft zu der Frage der Bezahlung und der UnentgeitncnKeu
ärztlicher Leistungen für gemeinnützige Unternehmungen zugegangen
ist Nur das eine, den Aussenstehenden vielleicht Unbequeme, geht
ph'pnfalls aus diesem Material hervor: die Aerzte wollen selb er be¬
stimmen, wo ihre Pflicht dem Allgemeinwohl gegenüber beginnt und
^ ° ^an verlangt eine Ausnahmsstellung für das Rote Kreuz in An¬
betracht seiner hervorragenden vaterländis eben Zwecke. Anderseits
nhpr wird vielfach gefragt, wie es möglich sei, dass cne unian-
stationen vom Roten Kreuz, während die Armee ^^ {m^;cbc.
vipler in der Verwundetenpflege ausgebildeter Aerzte beüari, sicn g
rädezu bemühen in Friedenszeiten die Mehrzahl der Aerzte von der
Verwundetenbehandlung auszuschalten. Kann man ^staaS
dass die Aerzte vaterländischer sein sollen, als die hohen Staats¬
beamten, welche die Krankenkassen und die Bervifsgenossenschatten
dabei unterstützen, die Aerzte in ihrer Mehrzahl aus der Behandlung
von Verletzten auszuschalten; und vaterländischer al*
behörden, welche die ärztliche Tätigkeit so gering emschatzen dass
sie in rein ärztlichen Berufsangelegenheiten Kassenkontrolleure, Ge
meindevertreter, Arbeitgeber, Hebammen u. dgl. als hinreichend zu¬
verlässig und sachkundig erklären? Die Aerzte müssen patriotisch
sein und trotz allem ihrer vaterländischen Pflicht ^t|PrecJen, und d^
genannten Staatsbeamten sind ja auch nicht das Vaterland, penness
fich ?st freilich die gesamte ärztliche Tätigkeit ein vaterländisches
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1541
Werk und darum muss auch hier die Besonderheit der Leistung aus¬
geschieden werden. Das Rote Kreuz selbst zahlt ja ohne weiteres
für gewisse Leistungen, so erhalten, wie bemerkt, die leitenden
Aerzte in den Heilstätten für tuberkulöse Kinder feste Gehälter.
Auch in dem bekannten noch nicht beendeten Streit des lang¬
jährigen Leiters des Roten Kreuz-Krankenhauses in Eberswalde,
Dr. H e i d e m a n n, handelt es sich nicht um die Frage der Bezahlung
au sich, sondern nur um Form und Höhe derselben. Man muss unter¬
scheiden zwischen der Kriegs- und Friedenstätigkeit des Roten
Kreuzes. In seiner Friedenstätigkeit enthalten sind gemeinnützige
Unternehmungen, die wie andere solche Unternehmungen zu beur¬
teilen sind, anders verhält es sich mit der Kriegstätigkeit. Diese steht
im Dienste der Armeen, die den Boden schützen, auf dem wir geboren
sind, und uns vor Fremdherrschaft bewahren. Im Ernstfälle werden
von jedermann neue und freiwillige Opfer gefordert, also auch von
den Aerzten; alle Berichte der letzten Zeit beweisen, dass die Armee-
verwaltung nicht imstande ist, auf dem Dienstweg das notwendige
Pflegepersonal zu stellen, und wie verhängnisvoll der Mangel an ge¬
schultem Personal werden kann; wir müssen als Glieder des Vater¬
landes, nicht nur als sachkundige Aerzte dankbar sein, wenn zur
rechten Zeit freiwillige Pfleger geschult werden. Wenn wir uns
daran beteiligen, so können wir eine Bezahlung nur dann als not¬
wendig bezeichnen, wenn die Aerzte die Leistungen nicht unentgelt¬
lich bieten können, d. h. wenn sie nicht neben der ärztlichen Er¬
werbsarbeit geboten werden können. Können wir die vor¬
bereitende Tätigkeit im Frieden unentgeltlich gewähren, so müssen
wir das tun, und das trifft besonders auf die Tätigkeit bei den frei¬
willigen Sanitätskolonnen zu. Die Stellung der Aerzte bei diesen ist
gewöhnlich so, dass sie dem Vorstand angehören, mehrfach auch
Führer oder Vorstände der Kolonnen sind; auch als Inspizienten sind
sie vielfach tätig. Diese Stellungen werden bis auf gewisse Reise¬
entschädigungen ehrenamtlich und unentgeltlich versehen. Sie
dienen der k r i e g s mässigen Ausbildung. Neuerdings aber werden
diese Kriegseinrichtungen auch vielfach für Friedenszwecke nutzbar
gemacht, z. B. zur Ausbildung der Samariter für den Betrieb der
Eisenbahnen und für die Berufsgenossenschaften (Betriebshelferunter¬
richt) und grössere Industrieunternehrnungen. Solche Inanspruch¬
nahmen der Kolonnenärzte, die für Friedensverhältnisse bestimmt sind
und teilweise mit erheblichen materiellen Interessen verknüpft sind,
bedingen durchaus eine angemessene Honorierung der Aerzte. Im
ganzen wenig begeistert äussern sich die Zuschriften über die Aus¬
bildung der Helferinnen. Trotz mancher Bedenken muss auch hier
neben anderen gemeinnützigen Gesichtspunkten der Zweck der Aus¬
bildung für den Kriegsfall in den Vordergrund gestellt werden. Wir
müssen nur bestrebt sein, die dieser noch jungen Einrichtung noch
anhaftenden Schlacken möglichst bald abzuschleifen und zu beseitigen.
Alles in allem ist also für die Friedenstätigkeit des Roten
Kreuzes der gleiche Massstab wie für sonstige gemeinnützige Unter¬
nehmungen anzulegen, für die K r i e g s t ä t i g k e i t ist Entgelt zu
foidern in den Fällen, wo Schwierigkeit und Umfang der Leistungen
über das neben der beruflichen Erwerbstätigkeit mögliche Mass
hinausgeht. Dagegen ist die Unentgeltlichkeit für die Ausbildung
von freiwilligen Krankenpflegern, Sanitätskolonnen und Helferinnen
zuzugestehen.
Es entspricht der allgemeinen Entwicklung, dass in wichtigen,
unsere Berufstätigkeit angehenden Fragen der einzelne Arzt sich dem
Urteil seiner Organisation fügen muss, wenn auch der Verzicht auf
die eigene Entschliessung nicht leicht fallen kann; es werden noch
viele solcher Fragen an ihn herantreten. Je mehr aber diese Not¬
wendigkeit sich geltend macht, um so notwendiger ist es, dass die
freie Entschliessung nicht unnötig weit eingeengt wird. Daher muss
man fiagen, ob eine so bedeutende Angelegenheit für den einzelnen
und den Stand vorliegt, dass die Meinung des einzelnen gegenüber
der Organisation zurücktreten muss. Das hat der Geschäftsausschuss
einstimmig bejahen zu müssen geglaubt und war nicht der Meinung,
dass, wie Kollege B o r c h a r d - Posen auf der Konferenz der Lan¬
desvereine vom Roten Kreuz aussprach, hiermit ein freier Stand die
Selbstbestimmung des einzelnen knechte und das einzelne Individuum
schlimmer wie in den schlimmsten Zunftzeiten behandelt werde.
Nun wäre noch zu entscheiden, welchen Stellen die Prüfung der
Frage jeweils übertragen werden soll. Es schien geraten, nicht aus¬
schliesslich die örtliche Organisation damit zu betrauen, sondern
durch eine Berufungsinstanz möglichst alle persönlichen und egoisti¬
schen Momente auszuschliessen. Um möglichst eine einheitliche Be¬
urteilung im ganzen Reich zu erzielen, empfiehlt sich die Schaffung
einer einzigen solchen Oberinstanz für das Reich. Keine Stelle er¬
schien geeigneter, als der Geschäftsausschuss des Aerztevereins-
bundes; er braucht aber deshalb noch nicht jeden Fall in seinem
Plenum zu beraten und zu entscheiden. Man kann es ihm über¬
lassen, einen besonderen Ausschuss einzusetzen aus Aerzten, die
durch Erfahrung besonders zur Beurteilung der Einzelfälle geeignet
erscheinen und die möglichst alle an einem Orte wohnen. Die Be¬
stimmung der örtlichen Instanz muss den Kollegen an Ort und Stelle
überlassen werden. Die Vereine sind vom Aerztevereinsbund zu
ersuchen, dies in die Wege zu leiten. Mit der Zeit wird wohl die
Oberinstanz Entscheidungen, die allgemeines Interesse haben, ver¬
öffentlichen und damit den örtlichen Instanzen eine wertvolle Grund¬
lage für ihre Entscheidungen geben.
Die vorstehenden Ausführungen sind in folgenden Vorschlägen
des Geschäftsausschusses zusammengefasst:
1. Die unentgeltliche charitative ärztliche Tätigkeit bleibt eine
Ehrenpflicht der deutschen Aerzteschaft, sie bedarf aber des
Schutzes vor missbräuchlicher Ausnützung.
2. Dass eine Unternehmung als „gemeinnützig“ bezeichnet wird,
bedingt an sich nicht Unentgeltlichkeit der ärztlichen Tätigkeit.
3. Allgemeine Vorbedingung für diese ist, dass der Zweck der
Unternehmung nicht in den Bereich behördlicher Leistungen
fällt, und dass die Unternehmungen ihre Leistungen ohne oder
gegen nur geringes Entgelt gewähren.
4. Im Einzelfalle ist die Unentgeltlichkeit von der Besonderheit
der Unternehmung und der Besonderheit der ärztlichen Tätig¬
keit abhängig zu machen.
5. Unentgeltlichkeit begründende Besonderheit ist als vorhanden
anzusehen bei der Ausbildung der Genossenschaften frei¬
williger Krankenpfleger im Kriege, Sanitätskolonnen und Helfe¬
rinnen vom Roten Kreuz.
6. Wo immer Aerzte unentgeltlich eine Ausbildungstätigkeit aus¬
üben, ist eine schriftliche Verpflichtung von den auftraggeben¬
den Stellen und von den auszubildenden Personen einzuholen,
dass diese keinerlei ärztliche Tätigkeit, insbesondere nicht im
Sinne des § 370 RVO. ausüben dürfen oder werden.
7. Im Einzelfalle ist die Frage, ob ärztliche Tätigkeit für ein ge¬
meinnütziges Unternehmen unentgeltlich geleistet werden soll,
der örtlichen Organisation der Aerzte vorzulegen. Gegen deren
Entscheidung kann eine von dem Geschäftsausschuss des
Deutschen Aerztevereinsbundes einzurichtende Instanz an¬
gerufen werden.
Dazu liegen vor:
Abänderungsanträge Leipzig-Land:
1. Unentgeltliche ärztliche Tätigkeit ist nur dann im Wesen des
ärztlichen Berufes begründet, wenn der Hilfe oder Belehrung
Suchende unbemittelt ist.
2. Die Tatsache, dass eine Unternehmung als „gemeinnützig“ be¬
zeichnet wird, beweist noch nicht, dass sie mittellos ist.
3. Allgemeine Vorbedingung für die Gewährung unentgeltlicher
ärztlicher Hilfs- oder Lehrtätigkeit an solche Unternehmungen
ist, dass hierüber nicht der einzelne Arzt, sondern die zustän¬
dige Standesvertretung auf Antrag des um solche Leistungen
gebetenen Arztes entscheidet.
4. Deshalb ist es nicht angezeigt, dass der Aerztetag bestimmte
Arten gemeinnütziger Unternehmungen als solche bezeichnet,
denen unentgeltliche ärztliche Leistungen zu gewähren seien.
5. Ueber Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnem Arzte
und ärztlicher Standesvertretung hat immer nur das zuständige
ärztliche Ehrengericht, nicht der Geschäftsausschuss des
Deutschen Aerztevereinsbundes zu entscheiden.
Der 40. Deutsche Aerztetag fordert deshalb die deutschen
Aerzte auf, ärztlichen Unterricht oder sonstige ärztliche Lei¬
stungen für gemeinnützige Unternehmungen unentgeltlich nur nach
eingeholter Zustimmung der ärztlichen Standesvertretung zu ge¬
währen.
Antrag Meiningen:
Der Deutsche Aerztetag beschliesst: Jeder Arzt hat, bevor er
ärztliche Tätigkeit für ein gemeinnütziges Unternehmen über¬
nimmt, der örtlichen Standesvertretung Kenntnis zu geben. Der
Standesvertretung obliegt die Prüfung der Frage, ob im einzelnen
Fall Bezahlung zu fordern ist oder nicht.
Antrag B a c k - Düsseldorf : Zusatz zum 1. Satz des Antrages
Leipzig-Land: „wenn der Hilfe oder Belehrung Suchende un¬
bemittelt ist und nicht die Möglichkeit hat, sich von
anderer Seite bezahlte Hilfe oder Belehrung zu
verschaffe n“.
G o e t z - Leipzig: Was Kollege Lennhoff vorgetragen hat,
ist genau dasselbe, was ich im vorigen Jahr zur Begründung des An¬
trages Leipzig-Land gesagt habe, nur ein Unterschied besteht, es soll
für das Rote Kreuz eine eigene Wurst gebraten werden. Das woll¬
ten wir nicht, weil gerade durch diese Rücksichtnahme auf das Rote
Kreuz besonders grosse Misstände entstanden sind, die das Ansehen
der Aerzte gefährden und weil das Rote Kreuz die Entscheidung
darüber in Anspruch nimmt, ob der Arzt seine Tätigkeit unentgeltlich
leisten soll oder nicht. Wir sind deshalb in unerhörter Weise an¬
gegriffen worden. Der einzelne Arzt ist, weil er nicht unabhängig
genug ist, gleich wie in der Kassenfrage vor der Gründung des
LWV. nicht stark genug, sich selbst zu helfen, deshalb wollen wir
der Schwachheit des Einzelnen eine Stütze schaffen. In all den Be¬
strebungen für Säuglingsheime, Kinderkrippen, Sport und andere Dinge
sind einflussreiche Leute tätig, denen der angeblich freie Arzt nicht
gewachsen ist, er leidet und wird geschädigt und nur die Macht
der Organisation kann ihm helfen. Wir Aerzte brauchen uns gar
nicht zu schämen, wenn wir nicht unentgeltlich arbeiten wollen. Wir
können es nicht billigen, dass der Geschäftsausschuss gewissen Kate¬
gorien, z. B. dem Roten Kreuz, Vorrechte einräumen will. Durch
diese Leitsätze wird die Sache nur noch schlechter; denn dadurch
würden diejenigen, die bis jetzt noch eine Bezahlung erhalten, den
Anspruch darauf verlieren. Dazu ist der Aerztetag nicht da. Die
„Freiheit“ des Arztes, unentgeltlich tätig zu sein, ist nicht viel
besser als die Freiheit sich tot zu schiessen; auf eine solche Freiheit,
die mir nur schadet, pfeife ich. Von Freiheit spricht man doch nur
1542
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIE 1 ._
Nr. 27.
bei Dingen die dem Menschen zum Vorteil gereichen! Mit Ausnahme
toBÄrn Oes Roten Kreuzes, die diesem soEar Anspruch
auf unentgeltliche Mitwirkung der Aerzte gibt, bin leh « ■ n“‘
mit den Leitsätzen Lennhotfs einverstanden Ich bin tur die
Prüfung durch die Standesvertretung, ev auch durch ^ Zentral
instanz die der Geschäftsausschuss errichtet. D e Lhrenpthctit einer
freiwilligen unentgeltlichen Tätigkeit erkenne ,c^ an^ wir braudien
sie aber nicht noch besonders auszusprechen. Nehmen Me unsere
Leitsätze an und zeigen Sie, dass wir Aerzte etwas gelernt haben.
ßfck- Düsseldorf: Eine Schwierigkeit besteht dann dass imme
noch nicht genau feststeht, was charitative Tätigkeit ist. Aus der
sog Stativen Tätigkeit sind eine Reihe ungeheuerer kapital¬
kräftiger Institutionen hervorgegangen. Was früher eine gemein¬
nützige Tädgkeit war. ist oft später direkt ein Schaden für die
Aerzte geworden. Schon die Berechtigung der T J ^es-
schäftsausschusses muss man bezweifeln L e n "ho f f hat bezugheh
des Roten Kreuzes mehr an die Empfindung appelliert, als einen
logischen Beweis gegeben. Wenn das Rote Kreuz eine für die Allge-
mdtthdt SÄ Hinrichtung ist, hu. das Vater and dtc Pfltch t.
diese Vorbereitungen für den Krieg zu treffen und zu bezahlen.
Niemand wird Krupp die charitative Lieferung von Kanonen zu-
muten wollen! Aber wir Aerzte sind noch immer zu sehr m Ge¬
fühle verstrickt, die wir nicht los werden. Die ganze Trage wäre
geregelt durch Annahme der I. These des Antrages Leipzig-Land mi
meinem Zusatz. Setzen Sie sich nicht in Nesseln, die Sie nach
Ja’’1 Ho"/ man* Sonneberg: Eine Vermittlung zwischen dem be¬
stehenden extremen Anschauungen ist schwer. Im allgemeinen ist
der Standpunkt des Berichterstatters wohl der richtige, nur durfte
es fraglich sein, ob wir uns auf die Unentgeltlichkeit der Leistungen
für das Rote Kreuz wirklich festlegen sollen.
Dornberger- München: ln der Frage der Sauglingsfursorge
hat das bayerische Ministerium vor einiger Zeit den Grundsatz aus¬
gesprochen, dass die ärztliche Tätigkeit nach Möglichkeit zu ent¬
schädigen sei. Bezahlt soll vor allem die 1 atigkeit für die Milc -
Küchen, Säuglingsheime, Kostkinder, Hebammenkurse werden. An¬
deres können wir noch unentgeltlich leisten. Die Untersuchungen für
die Wehrkraftvereine werden hier durch eine Pauschalsumme hono¬
riert Was das Rote Kreuz betrifft, so hat sich Prof. Kimmle, der
an massgebender Stelle desselben tätig ist, vollständig einverstanden
erklärt mit den Thesen des Geschäftsausschusses. Unentgeltlich soll
der Unterricht an die Mitglieder sein, von den Kolonnenfuhrern. In¬
spektoren und Kreisdirektoren erhält keiner ein Honorar. Für solche
Stellen sollen wir Aerzte nichts verlangen, sondern sie als ein nobile
officium betrachten, nicht allein m Anbetracht der Vorbereitung : für
den Krieg, sondern auch der, besonders in grossen Städten, ausser¬
ordentlich wichtigen ersten Hilfeleistung im Frieden. Andere Dienste
sollen honoriert werden. , ,c . , . . ,.
K o r m a n n - Leipzig: Der Vortrag Lennhoffs bedeutet me
giösste Genugtuung für den Kollegen Goetz, dessen Antrag s. .
überhaupt keine Unterstützung erhielt, während heute allgemeiner
Beifall vorhanden ist. Auch L e n n h o f f ist nicht ganz frei von
atavistischen Anwandlungen; die These 5 ist in ihrer allgemeinen
Fassung nicht annehmbar und überzeugend. Das Rote Kreuz be¬
schränkte sich bis in die Mitte der Neunziger Jahre auf den Kriegs¬
fall seither hat es immer mehr seine Friedenstätigkeit ausgebreitet,
das war ganz gut, aber es wird auch von den Berufsgenossen¬
schaften, Eisenbahnverwaltungen usw. für ihre Zwecke ausgenutz .
Es ist gar nicht einzusehen, warum das Rote Kreuz eine Ausnahme¬
stellung haben soll. Mit dem Appell an den Patriotismus kann man
freilich alles rechtfertigen, der haftet bei jedem von uns. Ist das
Rote Kreuz für den Krieg notwendig, so ist es Pflicht des . taates,
dafür zu sorgen; bei den Milliarden, die für die Armee aufgewendet
werden, wird das keine Rolle spielen. . ,
Petersen - Duisburg beantragt folgende Aende-
rungen an den Leitsätzen des Geschaftsaus-
schusses.
a) zu 5»
Unentgeltlichkeit begründende Besonderheit darf nachPrü-
f u n g angenommen werden bei ....
b ) zu 7
’ In allen Fällen ist die Frage, ob ärztliche Tätigkeit für
ein gemeinnütziges Unternehmen unentgeltlich geleistet werden
soll, der örtlichen Organisation der Aerzte vorzulegen.
Schiller- Breslau wünscht, dass in allen Fällen die Zu¬
stimmung der Organisation einzuholen ist und verweist z. B. auf
die eigenmächtigen Verfügungen, welche bei der Jahrhundertfeier in
Breslau die Leitung des Roten Kreuzes über die Köpfe ihrer Aerzte
hinweg getroffen hat. Richtig ist, dass durch den Unterricht kur¬
pfuscherische Auswüchse gezeitigt werden können, das zu vermeiden
ist Sache der Kolonnenärzte.
P e y s e r - Charlottenburg: Das Material Lenn ho f f s hat mich
nicht ganz überzeugt, indem wichtige Dinge fehlen. Ein falsches Bild
ergibt sich z. B. bezüglich der Behandlung der Armen durch die
Stadt- man könnte meinen, dieselbe würde überall bezahlt, das ist
aber z B in Berlin bei den Spezialärzten nicht der Fall. Man sollte
unterscheiden zwischen der Behandlung von Kranken und allen an¬
deren Tätigkeiten. Eigentlich ist diese letztere Gruppe alle die
Schwierigkeiten nicht wert, die wir uns damit machen. Ist die These 7
überhaupt durchführbar? Wir sind als Aerzte absichtlich in einen
fi eien Beruf hineingegangen und wir gehören dem L®ip.zIjf"
und Aerztevereinsbund deshalb an, um uns frei von Unterdrückung
zu machen. Und nun sollen wir uns wegen so geringer Dinge eine
reue Unfreiheit schaffen? Was lieist: die Standesorganisation e -
scheidet? Wie ist es da, wo eine anerkannte Organisation nicht
besteht? Da wird der, dem eine Entscheidung nicht gefallt, einfach
aus dem Standesverein ausscheiden. Alle die Schwierigkeiten ist die
Sache nicht wert. Darum wollen wir lieber über die ganze An¬
gelegenheit zur Tagesordnung übergehen. Vieles ist noch gar nicht
geklärt wie die Begriffe, vaterländisch, charitativ, Organisation usf.
Die Aussprache an sich war gewiss nicht ohne Vorteil gewesen, aber
die vorgeschlagene Regelung halte ich für unnötig und gefährlich.
1 evv -Dorn- Berlin: Ueber das, was berechtigt und was nicht
berechtigt ist, bestehen noch die schiefsten Auffassungen. Will man
sich auf Krupp beziehen, so könnte man auch sagen, dass ihm doch
gewiss auch niemand die charitative Lieferung von Kanonen für die
deutsche Armee würde verbieten wollen! Wenn wir nicht zur ages-
ordnung übergehen wollen, sind am brauchbarsten die Thesen des
Geschäftsausschusses. . ,. Dfl. , . .
B a d t - Friedenau: Der Aerztetag hat die Pflicht, in das Ko¬
lonnen wesen nicht mit rauher Hand einzugreifen, es wurde damit
grosse Verwirrung geschaffen werden. Viele Aerzte sind zufällig
zugleich für die Kolonnen und das ärztliche Standeswesen tätig. Die
Entscheidungen der lokalen Organisationen sind nicht abzusehen und
es könnte leicht kommen, dass wegen dieser Lappalien für „utc
Kollegen unerwünschte und schwere Situationen entstehen. Es emp¬
fiehlt sich der Uebergang zur Tagesordnung oder die Annahme der
Thesen des Geschäftsausschusses. , .
P e y s e r - Charlottcnburg beantragt: Nach Kenntnis¬
nahme des Materiales, dessen Verwertung wir den
Vereinen empfehlen, wird der Uebergang zur
gesordnung beschlossen. , . r
Winkelmannn - Barmen : W enn G ö t z die Thesen des Ge¬
schäftsausschusses beanstandet, weil dadurch Kollegen geschädigt
werden, die bis jetzt eine Bezahlung erhielten, so trifft die Schuld
schliesslich den Verein Leipzig-Land, der seit- 5 Jahren diese Ange¬
legenheit betreibt. Wenn wir die erste Niese des Antrages Leipzig-
Land mit dem Zusatz Back annehmen, kommen wir zu dem merk¬
würdigen Resultat, dass die Unentgeltlichkeit der Leistung dem
Wesen des ärztlichen Berufes entspricht, wenn der andere kein Geld
hat. Einigkeit scheint darüber zu bestehen, dass die örtlichen Ei¬
stänzen massgebend sind und darüber, dass für die Kriegstatigkeit des
Roter. Kreuzes die Unentgeltlichkeit eintreten kann, fraglich ist nur,
ob sie hier in allen Fällen eintreten soll.
G o e t z - Leipzig: Wir machen uns die Sache viel zu schwer.
Ein Uebergang zur Tagesordnung wäre jetzt geradezu eine Feigheit,
da wir den Mut nicht hätten, die sog. „Freiheit“ der Aerzte ein¬
zuschränken. Wer jetzt noch nicht weiss, was unter unserer „Organi¬
sation“ zu verstehen ist, muss die letzten 40 Jahre geschlafen
haben/ Wir gehen doch nicht auf den Aerztetag, um nur zu reden,
sondern um etwas Vernünftiges zu beschlossen Fast konnte es
aussehen, als wäre ich aus Ostpreussen und ein unbelehrbarer Dick¬
schädel, aber ich bitte Sie, lassen Sie sich nicht abhalten durch
Rücksichten auf Instanzen, die uns sonst nur feindlich gesinnt sind.
E i e r m a n n - Frankfurt a. M. empfiehlt den Zusatzantrag Pe¬
tersen als den zweckmässigsten Ausgleich.
Ein Antrag auf Schluss der Debatte wird ange-
" " 'Wr/ii h o f f - Berlin: Da ich den Auftrag des üeschäftsaus-
schusses als eine grosse Ehre betrachtete, habe ich mich der Arbeit
nicht entzogen. Wenn ich angenommen hätte, dass die deutsche
Aerzteschaft unsere 1. These nicht annehmen würde und wenn tioetz
Recht haben sollte mit seiner Auffassung, dass nur das Nuzten hat,
was Geld bringt, dann wäre ich nicht hierhergekommen Wer in
sich nicht in höherem Masse als andere den Beruf der Menschlich¬
keit fühlt, der soll nicht Arzt werden. Es geht auch nicht an, dass
Korinann es für die Auffassung von Goetz verwertet, wenn ich
sage dass die Bezahlung der ärztlichen Leistung immer als Regel
gegolten hat. Ich habe als Referent jedes Für und Wider erörtert;
meine persönliche Ansicht steht sehr nahe der des Kollegen P e y s e r.
Die unentgeltliche Tätigkeit ist überwiegend eine Pionierarbeit, aus
der fast automatisch späterhin bezahlte Stellungen hervorgehen.
Auch ich halte die Entscheidung der Frage durch die Standesinstanzen
nicht für ungefährlich. Die Leitsätze stellen ein Kompromiss zwischen
meiner Meinung und der Stellungnahme, wie sie auf dem letzten
Aerztetage war, dar. Wir wollten mehr bieten, präzise Direktiven
für die lokalen Organisationen, damit sich nicht dort Leute den Kopf
zerbrechen und urteilen, die von den Dingen kein Verständnis haben,
und damit die Ausscheidung der einzelnen Fälle nach bestimmten
Gesichtspunkten erleichtert wird. . .
Goetz-Leipzig verwahrt sich in Kürze gegen einige Punkte
in der Argumentierung des Referenten.
Die Abstimmung ergibt die Ablehnung der Anträge Peyser,
Back, Meiningen und Leipzig-Land.
Nach Annahme der Zusätze von Petersen wer¬
den die Leitsätze des G e s c h ä f t s a u s s c h u s s e s mit
allen gegen 9 Stimmen angenommen.
Schluss 5 Uhr.
7. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
E ' n e n Beitrag zur Behandlung von Tetanus init
M a g n e s i u m sulfuricum gibt Friedrich M i e I k e - Göttingen.
Nach seinen Erfahrungen bei einem schweren Tetanusfall, der ein
5 jähriges Mädchen betraf, kann man Magnesium sulfuricum in 20 proz.
Lösung ohne Schaden subkutan verwenden. M. hat bei dem Kinde
täglich 3 g Magnesium sulfuricum injiziert und hat im ganzen 24 In¬
jektionen mit 61 g Magnesium sulfuricum gemacht- ohne eine Schä¬
digung des Unterhautzellgewebes zu beobachten. (Ther. Mh. 1914, 4 )
Kr. '
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 6. Juli 1914.
— Unter den Fragen ,die der 40. Deutsche A e r z t e t a g in
München in seinen zweitägigen Verhandlungen erörtert hat, hat das
von Hartmann erstattete Referat über die Lage nach dem Ber¬
liner Abkommen das Interesse der Aerzte am stärksten in Anspruch
genommen. Die Stimmung, in der an diese Frage herangetreten
wurde, war auf keiner Seite eine rosige; weder der Referent ver¬
suchte die offenbaren Mängel des Abkommens zu beschönigen, noch
hielten die Redner mit ihrer Kritik zurück. Auf allen Seiten zeigte
sich aber doch das Bestreben, das Berliner Abkommen, dessen guten
Kern alle anerkannten, als etwas gegebenes hinzunehmen und sich
unter Aufrechterhaltung der bisherigen bewährten Organisation, nach
Möglichkeit zum Wohle des ärztlichen Standes mit ihm abzufinden.
Das seit Jahren bei den Aerzten bestehende tiefe Friedensbedürfnis,
die Freude darüber, dass endlich Frieden geworden, siegte über alle
gegen das Abkommen bestehenden Bedenken. Von den sonstigen
Beschlüssen des Aerztetages war besonders erfreulich derjenige, der
durch Erhöhung des Bundesbeitrages um eine Mark Mittel zu einer
energischeren Bekämpfung des Kurpfuschertums bereitstellt. Dass
uabei auch die Arbeiten der Arzneimittelkommission des Deutschen
Kongresses für innere Medizin Förderung durch einen Zuschuss er¬
fahren sollen, ist besonders begrüssenswert. Auch die Art und Weise,
wie der alte Antrag Leipzig-Land durch den Aerztetag jetzt endlich
erledigt wurde, gereicht diesem zur Ehre. Die mit geringen Abände¬
rungen angenommenen Leitsätze Lennhoffs wahren den alten
Ruhm des ärztlichen Standes, es an Gemeinsinn und Nächstenliebe
allen anderen Ständen zuvorzutun, während sie ihn vor missbräuch¬
licher Ausnutzung seiner charitativen Tätigkeit genügend schützen.
Auch die Tagesordnung des zweiten Tages (Ehrengerichte für Sani¬
tätsoffiziere des Beurlaubtenstandes, Hebammenfrage u. a.) bot viel
Interessantes; wir berichten ausführlichst darüber in dieser und in
der folgenden Nummer.
Das Vergnii'gungsprogramm des Aerztetages war ein sehr reich¬
haltiges und es hat seinen Zweck, die Kollegen nach den ernsten
Stunden der Arbeit angenehm zu unterhalten, vollauf erfüllt. Der zur
Begrüssung des LWV. im Künstlerhaus veranstaltete Empfang (24. VI.)
bot Gelegehneit, die Gäste mit einigen literarischen und darstelle¬
rischen Kräften der Münchener Aerzteschaft bekannt zu machen
Dr. Max Nassauer und Dr. N o d e r (A. de Nora) lasen Proben
ihrer dichterischen Erzeugnisse vor; Dr. Men ach er u. a. erfreuten
durch ihre humoristischen Vorträge. Von ganz besonderer Art war
der von der Stadt München gegebene Festabend im Hofbräuhaus
(25. VI.). Neben anderen bodenständigen Darbietungen waren es
hier die Leistungen des Münchener Aerzteorchesters (unter der
famosen Leitung des Kollegen H ö r r m a n n) und insbesondere die
Vorträge des berühmten Wagnersängers, Kollegen de B a r y, die
stürmischen Beifall fanden. Man war sich darüber einig, dass man
diesen gottbegnadeten Sänger nie hinreissender hat singen hören, als
an diesem Abend, im Kreise seiner Kollegen. Das am Freitag (26. VI.)
abgehaltene Festmahl zeichnete sich durch die ganz ungewöhnlich
grosse Zahl der Teilnehmer aus; der Saal des Deutschen Theaters
reichte nicht aus, die Tische alle zu fassen. Da auch die Ränge
durch eine grosse Schar Münchener Aerzte und ihrer Frauen gefüllt
waren, die gekommen waren, um die im Anschluss an das Festessen
gespielte Operette „Die Kinokönigin“ zu hören, so ergab sich ein
ebenso buntes wie reizvolles Bild. Der nächste Tag (27. VI.) brachte
noch eine wohlgelungene Aufführung der ..Zauberflöte“ im Kgl. Hof¬
theater, zu der die Herausgeber unserer Wochenschrift eingeladen
hatten. Am Sonntag fanden, vom schönsten Wetter begünstigt, Aus¬
flüge nach Bad Reichenhall und nach Starnberg statt, am Montag
rolgten viele den Einladungen der Jodbad A.-G. nach Bad Tölz und
I )r. W iggers, des Besitzers des bekannten Sanatoriums, nach
I artenkirchen. So folgte sich eine Reihe genussreicher Feste, an die
die Besucher des Münchener Aerztetages gerne zurückdenken
werden. Die Männer, die in mühevoller Arbeit das gute Gelingen des
, Aerztetages vorbereitet und gesichert haben, an ihrer Spitze Hofrat
! Uhl, haben sich den Dank des Aerztetages reichlich verdient.
Ende des Jahres 1913 sind im deutschen Reichsgebiet
34 136 Aerzte festgestellt worden, das ist gegenüber dem Vorjahr
ein Mehr von 600 Aerzten. Die Verteilung der Aerzte auf die ein¬
zelnen Bundesstaaten regelt sich folgendermassen: Preussen stellt
mit 20-66 Aerzten 60 v. H. der Gesamtsumme, Bayern mit 3779
1543
Aerzten II v. 11, Sachsen mit 2425 K v. H., Württemberg mit 1135
3,3 v. H.
inreu zahlreichen Hilfsmitteln zu anschaulicher Belehrung hat
die Bayerische Zentrale für Säuglingsfürsorge nunmehr das modernste
hinzugefügt, indem sie mit grossen Mühen und Kosten einen 400 m
langen Film: „Bilder aus der Säuglingsfürsorge“ her-
stellen liess. __ Der Film, der zum ersten Male bei der diesjährigen
I agimg der Zentrale in Wiirzburg durch Prof. Dr. Hecker vor¬
geführt wurde, zeigt in anschaulicher Weise den Verlauf einer B e -
rat ungs stunde für Mütter; das Leben und den Betrieb in einem
Säuglingsheim: Morgenarbeit. Baden, Wickeln, ärztliche Visite.
w1 u» iUnc^ Gartcnbehandlung der Kinder, Pflegerinnenschule,
Waschküche; den Betrieb einer Milchküche; das Leben in einer
p p^..n aT s 1 a ' t: Aufnahme, Reinigung und Einkleidung der
Kinder, Säuglingssaal, die grösseren Kinder beim Spielen und Schlafen-
gehen usw. Der Film wird noch weiter ergänzt und soll dann in der
Ucffentlichkeit gezeigt werden.
?as Wandermuseum der Bayerischen Zen¬
trale für S ä u g 1 i n g s f ü r s o r g e, das gelegentlich der Tagung
dei Zentrale in Würzburg verschiedentlich ergänzt worden war, so
vor allem durch je ein Kinderzimmer „wie es sein soll“ und „wie es
nicht sein soll“, ist zurzeit auf besonderen Wunsch der Stadt’ Köln
im dortigen Stadthaus ausgestellt. Nach der Eröffnung durch den
Bdgeordneten Prof. Dr. Krautwig hielt auf Einladung der Stadt
Prot Dr. Hecker- München einen Führungsvortrag vor zahlreichem
geladenen Publikum. Das Wandermuseum wird in den Monaten
Julj bis Oktober an 5 verschiedenen Punkten von München zur Auf-
Stellung kommen und durch Vorträge von Fachärzten, praktische
Führungen und Uebungen im Baden, Wickeln, Kleidung der Kinder
und Kochen der Säuglingsnahrung seitens der Geschäftsführerin des
i jl ?.ii ksverbandes München, Frl. W ö r n e r, wertvoll ergänzt werden.
Der ärztliche Direktor der Charitee, Obergeneralarzt Prof.
Dr. Scheibe, wird am 1. August aus dieser Stellung ausscheiden
und als Inspekteur der 3. Sanitätsinspektion nach Cassel übersiedeln.
Zu seinem Nachfolger ist Generalarzt Dr. S c h m i d t, zurzeit General¬
arzt des III. Armeekorps, ernannt.
Herr Dr. Heinrich Kantor in Warnsdorf, der verdiente
Herausgeber des „Gesundheitslehrers“ und erfolgreiche Bekämpfer
der Kurpfuscherei ist zum Medizinalrat ernannt worden.
„ 1 T“ Der -Antrag des Bezirksvereins Dresden- Stadt auf
Schaffung einer besoldeten ärztlichen Stadtratsstelle
wurde von Rat und Stadtverordneten in Dresden, von letzteren nicht
ohne Widerspruch, abgelehnt.
“T Die Robert - Koch-Stiftung zur Bekämpfung der
1 uberkulose hat eine Preisaufgabe „Die Bedeutung der verschiedenen
Strahlen (Sonnen-, Röntgen-, Radium-, Mesothorium-) für die Dia¬
gnose und Behandlung der Tuberkulose“ ausgeschrieben. Für die
beste Arbeit ist ein Preis von 3000 M. ausgesetzt. Die Arbeiten
müssen bis zum 1. Juli 1915 an den Schriftführer der Stiftung Geh.
San. -Rat Prof. Dr. Schwalbe abgeliefert sein. Das Preisgericht
besteht aus dem Präsidenten des Reichsgesundheitsamts Dr. B u m m,
Prof. Dr. Gaffky, Ministerialdirektor Dr. Kirchner und Prof
Dr Löffler.
— In Oldenburg i. Gr. hat sich ein „Deutscher Verein für
S a n i t ä t s h u n d e E.V.“ gebildet, dessen Zweck es ist, auf die Be¬
deutung des Hundes für die Auffindung der Verwundeten
nach einer Schlacht aufmerksam zu machen und für ein geeignetes
Hundematerial zu sorgen. Die bisherigen Versuche haben ein sehr
günstiges Resultat ergeben und haben insbesondere gezeigt, dass die
in Deutschland in grosser Zahl zur Verfügung stehenden Polizei¬
hunde für die Aufgabe brauchbar sind.
— Die nächste Versammlung der Vereinigung mittel¬
deutscher Psychiater und Neurologen findet am
25. Oktober d. J. in Dresden statt.
~ Der 27. französische Chirurgen kongress findet
am 5. Oktober d. J. in Paris statt. Tagesordnung: Geschlossene Ver¬
letzungen des Handgelenkes; blutige Behandlung des Zungenkrebses-
paranephritische Tumoren.
— In der Zeit vom 20.— 25. Juli soll in der Erlanger Ohren¬
klinik ein Fortbildungskurs für Spezialärzte abgehalten
werden. Thema: 1. Funktionsprüfung der Schnecke und des Vesti¬
bulärapparates; 2. Technik der mikroskopischen Untersuchung des
menschlichen Felsenbeines. Nähere Auskunft durch Privatdozent
Dr. Brock
— In der kantonalen Krankenanstalt Aarau findet vom 19 bis
31. Oktober d. .1. ein Kurs für Unfallmedizin statt. Eine
Anzahl Dozenten der Universitäten ßasel, ßern und Zürich beteiligen
sich an dem Kurs, zu dem auch deutsche Aerzte Zutritt haben.
Anmeldungen sind zu richten an Dr. Eugen B i r c h e r, Kranken¬
anstalt Aarau.
— Der Hauptverband deutscher Ortskrankenkassen, dem die
überwiegende Mehrzahl aller Ortskrankenkassen Deutschlands ange¬
hört, gibt vom 1. Juli ab im Selbstverläge unter dem Titel „Orts¬
krankenkasse“ eine zweimal monatlich erscheinende Zeit¬
schrift heraus. Sie wird als amtliches Organ des Verbandes alles
bringen, wa^ für die Ortskrankenkassen, ihre Vorstände, Ausschuss¬
mitglieder, Beamten usw. von Interesse ist, darüber hinaus aber auch
allgemein der Krankenversicherung und dem Krankenkassenwesen ge-
widmet sein und eine Zentralstelle für die literarische Betätigung auf
diesem Gebiete bilden. Als Herausgeber zeichnen Justizrat
1544
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 27.
Dr. M a y e r in Frankenthal und Direktor Koh n von der Allgemeinen
Ortskrankenkasse der Stadt Berlin. Als Schriftleiter ist Dr. Baum,
Rechtsanwalt am Kammergericht zu Berlin, gewonnen worden. In
eien ersten uns vorliegenden Nummern der Zeitschrift sind auch
Aerzte als Mitarbeiter stark beteiligt, so Qeh.-R. N e i s s e r (mit
einem Artikel Geschlechtskrankheiten und Krankenkassen), Tugend¬
reich, G r o t j a h n, Moll etc. An der Spitze des Blattes findet
sich ein beachtenswerter Artikel: „Krankenkassen und Nothelfer“ von
Prof. Oertmann in Erlangen. Von der Polemik gegen die Aerzte.
die man sonst in Krankenkassenzeitungen zu finden gewohnt war, ist
nichts zu bemerken. Wenn die Zeitschrift in diesem Geiste weiter¬
geführt wird, darf man sie als ein erfreuliches Symptom des besseren
Verhältnisses zwischen Aerzten und Krankenkassen begrüssen.
— Cholera. Britisch Ostindien. In Moulmein vom 12. April
bis 16. Mai 1 Todesfall.
— Pest Deutsch Ostafrika. In Daressalam wurde am 6. und
9. Mai je 1 tödlich verlaufener Pestfall festgestellt. — Türkei. Zufolge
Mitteilung vom 7. Juni ist die Pest in Chios erloschen. Laut Mit¬
teilung vom 10. Juni sind in Jaffa seit dem am 2. Juni festgestellten
Pestausbruch im ganzen 6 Erkrankungen, davon 5 mit tödlichem Aus¬
gang, vorgekommen. Ein pestverdächtiger Fall wurde noch am 9. Juni
gemeldet. Die Erkrankten waren sämtlich Neger. — Britisch Ost¬
indien. Vom 17. bis 23. Mai erkrankten 6331 und starben 5485 Per¬
sonen. — China. In der Stadt Amoy sind vom 4. bis 18. Mai 17 Per¬
sonen an der Pest gestorben. — Peru. Im Lazarette von Trujillo be¬
fanden sich am 18. April 5 Pestkranke.
— In der 24. Jahreswoche, vom 14.— 20. Juni 1914, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Elbing mit 29,9, die geringste Recklinghausen-Land mit 4,1 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Königshütte, an Masern und
Röteln in Bochum, Buer, Hamborn, Ulm, an Diphtherie und Krupp in
Bottrop, an Keuchhusten in Gleiwitz. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Die beiden Direktoren der städtischen Irrenanstalten
Dalldorf und Herzberge, Geh. Med.-Rat Dr. W. Sander und Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. M o e 1 i haben zum 1. Oktober d. J. ihren Ab¬
schied erbeten.
Bonn. Prof. Dr. M a c h o 1, Oberarzt der chirurgischen Klinik
ist zum Chefarzt der chirurgischen Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses in Erfurt gewählt worden. Er wird sein neues Amt bereits
Mitte Juli antreten.
Breslau. Die Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität
weist in diesem Semester 2813 immatrikulierte Studierende, gegen
2740 im Sommersemester 1913 und 2713 im Wintersemester 1913/14
auf. (hk.) .
Göttingen. Geheimrat Prof. Dr. Arthur v. Hippel, Direktor
der Augenklinik der Universität Göttingen, tritt mit Ablauf dieses
Sommersemesters vom Lehramte zurück, (hk.) — Die Georg-
August-Universität zählt in diesem Semester 2834 immatrikulierte
Studierende, davon 455 Mediziner.
Halle a. S. Der Direktor der Augenklinik Prof. Eugen
v. Hippel hat eine Berufung nach Göttingen als Nachfolger des
in den Ruhestand tretenden Prof. Arthur v. Hippel erhalten und
angenommen. — Die vereinigte Friedrichs-Universität Halle-
Wittenberg zählt in diesem Semester 2855 immatrikulierte
Studierende gegen 2635 im Sommersemester 1913 und 2801 im Winter¬
semester 1913/14. Davon sind 434 Mediziner, darunter 22 Studierende
der Zahnheilkunde, (hk.)
Hamburg. Die Abteilungsvorsteher am Institut für Schiffs¬
und Tropenkrankheiten in Hamburg Dr Stanislaus v. Prowazek
und Gustav G i e m s a, sowie der wissenschaftliche Assistent am
Hygienischen Institut daselbst Dr. Hermann Noll wurden zu Pro¬
fessoren ernannt, (hk.)
Jena. Geh. Hofrat Prof. Dr. Gärtner legt mit Beginn des
Wintersemesters sein Amt als Direktor des hygienischen Instituts der
Universität Jena nieder.
Marburg. Der Direktor der Irrenheilanstalt, Geh. Medizinal¬
rat Prof. Dr. Tuczek, tritt am 1. Oktober d. J. in den Ruhestand.
Der seitherige Oberarzt, Prof. Dr. J a h r m ä r k e r, wurde mit der
einstweiligen Leitung der genannten Anstalt betraut.
Würzburg. Die Julius-Maximilians-Universität zählt in
diesem Semester 1605 immatrikulierte Studierende, davon 675 Me¬
diziner und 86 Studierende der Zahnheilkunde, (hk.)
Graz. Dem Privatdozenten für Chirurgie an der Universität
in Graz und städtischen Primarärzte in Meran Dr. Max H o f m a n n
wurde der Titel eines a. o. Universitätsprofessors verliehen.
Kopenhagen. Habilitationen: Dr. med. Birte Marie K r o y h
(Habilitationsschrift: Die Luftdiffusion durch die Lungen des Menschen)
und Dr. med. Groes-Petersen (Habilitationsschrift : Zer¬
streuungsbilder).
P a v i a. Dr. U. Z a n d o n i n i habilitierte sich als Privatdozent
für externe Pathologie. — Der Professor der Pathologie, Dr. Camillo
G o 1 g i, feiert am 7. ds. seinen 70. Geburtstag. Für seine hervor¬
ragenden Untersuchungen über den feineren Bau des Gehirns und
seine Studien über Pocken und Malaria erhielt G o 1 g i im Jahre 1903
den Nobelpreis, (hk.) ,
Prag. Dem a. o. Professor für Geschichte der Medizin und
Epidemiologie an der tschechischen Universität Dr. Andreas
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26.
Schrutz wurde der Titel und Charakter eines ordentlichen Uni¬
versitätsprofessors verliehen. — Der a. o. Professor Dr. Kamillo
L h o t ä k Ritter v. L h o t a wurde zum ordentlichen Professor für
Pharmakologie und Pharmakognosie an der tschechischen Universität
ernannt — Der a. o. Professor der internen Medizin an der deutschen
Universität Reg.-Rat Dr. Theodor P e t r i n a erhielt anlässlich seines
Uebertritts in den bleibenden Ruhestand den Titel eines Hofrates.
T u r i n. Dr. P. E. B u y s habilitierte sich als Privatdozent für
Oto-Rhino-Laryngologie. , „ ,
Wien. Der ordentliche Professor an der Universität in btrass-
burg i. E. Dr. Friedrich Wenckebach wurde zum ordentlichen
Professor der speziellen medizinischen Pathologie und Therapie und
Vorstand der I. mediz. Klinik ernannt. Damit ist die durch den Ab¬
gang Prof. v. Noordens vakante Lehrkanzel besetzt. — Der mit
dem Titel eines a. o. Professors bekleidete Privat- und Honorardozent
an der tierärztlichen Hochschule in Wien Dr. Josef F i e b i g e r hat
sich als Privatdozent für Parasitologie an der mediz. Fakultät
habilitiert.
(Todesfälle.)
ln Bremen ist am 23. v. Mts. der a. o. Professor der inneren
Medizin an der Universität Halle a. S., früher Direktor der medizi¬
nischen Poliklinik, Dr. Eberhard Neb elthau im 50. Lebensjahre
gestorben, (hk.)
In London starb am 28. Juni im 44. Lebensjahre nach schwerem
Leiden Dr. Karl Fürth. Der Verstorbene, ein früherer Assistent
von B ä u m 1 e r in Freiburg i. B., war Oberarzt am Deutschen Hospital
und ein sehr beliebter und beschäftigter Arzt besonders in deutschen
Kreisen Londons.
(Berichtigungen.) In Nr. 26 ist in dem Bericht des Allgem.
ärztlichen Vereins zu Köln die zu der Demonstration von Luxem¬
burg, Fall von Luxationsfraktur des 4. und 5. Halswirbels, gehörige
Röntgenabbildung irrtümlicherweise zu der Demonstration von
Frangenheim, Osteom der Stirnhöhle, gesetzt.
In der Arbeit von Sormani „Wert und Methodik der Be¬
stimmung des luetischen Index“ in Nr. 2 d. Wschr. ist auf S. 70, Sp. 1,
Z. 30 v. u. statt „in den 4 Röhrchen“ zu lesen: „in dem 4. Röhrchen“.
Dieser Druckfehler hat zu einer missverständlichen Auffassung in der
Literatur (M. Stern, Z. f. Immun.Forsch. Bd. 22 H. 2) geführt und
wird daher nachträglich berichtigt.
Korrespondenz.
Nachtrag zu der Mitteilung:
Universal-Augen- und Kopfelektrode für Diathermie.
(M.m.W. 1914 Nr. 20 S. 1120/21.)
Von Augenarzt Dr. Alexander 0 u r i n - Wiesbaden.
Auf Anregung von Herrn Dr. H i r s c h 1 a n d, Ohrenarzt in Wies¬
baden, wurde für die Ohrendiathermie ein für obigen Elektroden¬
apparat passender Gehörgangthermometer angefertigt. Derselbe wird
auf Wunsch von der Firma W a 1 b - Heidelberg mitgeliefert.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 24. Jahreswoche vom 14. bis 20. Juni 1914.
Bevölkerungszahl 640 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 10 (71), Altersschw. (über 60 Jahre) 7 (9), Kindbettfieber 1 (— ),
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft — (— ), Scharlach 1 (— ),
Masern und Röteln 3 (5), Diphtherie u. Krupp — (— ), Keuchhusten 2 (1),
Typhus (ausschl. Paratyphus) — (— ), akut. Gelenkrheumatismus — (— ),
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) 2(1), Starrkrampf 1 (— ),
Blutvergiftung 1 (1), Tuberkul. der Lungen 17 (33), Tuberkul. and.Org.
(auch Skrofulöse) 6 (4), akute allgem. Miliartuberkulose — (2), Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrhal, usw. 7 (7), Influenza — ( — ), veneri¬
sche Krankh. 2 (2), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfieber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel¬
fieber usw. — (— ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab.insip.) 1(2), Alkoholis¬
mus _ Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 1 (3), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane 6 (2), organ. Herzleiden 19 (16), Herzschlag, Herz¬
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) — (5), Arterienverkalkung
6 (4), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 3 (6), Gehirnschlag 5 (6),
Geisteskrankh. — (1), Krämpfe d. Kinder 5 (2), sonst. Krankh. d. Nerven¬
systems 4 (7), Atrophie der Kinder 1 (4), Brechdurchfall — (— ), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 9 (14), Blinddarm¬
entzünd. 2 (2), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 2 (5), sonst. Krankh. derVerdauungsorg.5(— ), Nierenentzünd. 5 (5),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 2 (3), Krebs 19 (22), sonst.
Neubildungen 5 (2), Krankh. der äuss. Bedeckungen 2 (— ), Krankh. der
Bewegungsorgane — ( — ), Selbstmord 4 (1), Mord, Totschlag, auch
Hinricht. — (—), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 6 (6),
andere benannte Todesursachen 3 (6), Todesursache nicht (genau) an¬
gegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— ).
Gesamtzahl der Sterbefälle: 175 (196).
1) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
— Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Die Münchener Medizinische Wochenschrift erscheint wöchentlich ,, 2usendnngen sind zu adressieren:
.m Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. • Preis der einzelnen IV lf T T IV T T T IV T Fürdie Redaktion Arnulfstr.2ü. Bürozeit der Redaktion 1 Uhr
Nummer SO 4. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich Ul , |U I H P N H K Für Abonnement an I. F. Lehinann’s Verlag, Paul Heysestr
-« 6.—. • Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag. lll U 11 VJH LjIHjLV Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse S.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 28. 14. Juli 1914.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Ueber das Verhältnis der Lymphogranulomatose zur
Tuberkulose*).
Von Professor Dr. P. Baumgarten in Tübingen.
Kaum ein anderes Kapitel der speziellen Pathologie ist von
so vielen Schwierigkeiten und Zweifeln umgeben, wie das Ge¬
biet der primären Lymphdriisenschwellungen, der Lymphome
und Lymphomatösen. Allerdings haben eifrige Forschungen
der neuesten Zeit den Schleier etwas gelüftet, aber manche
Fragen blieben trotz intensivster Arbeit ungeklärt. Hierher
gehört namentlich die Frage nach dem Verhältnis der neuer¬
dings fast allgemein als Lymphogranulomatosis bezeichneten
Erkrankung des lymphatischen Apparates zur Tuberkulose.
Die Tuberkulose kann am lymphatischen Apparat unter
vier verschiedenen Formen auftreten, die auch klinisch meist
verschiedene Bilder geben, wenngleich weder anatomisch noch
klinisch ganz scharfe Grenzen zu ziehen sind, vielmehr Ueber-
gangsformeti Vorkommen.
Die erste Form ist das körnige oder granuläre Lym¬
phom, seinem ersten genauen Beschreiber zu Ehren auch als
S c h ii p p e 1 sches Lymphom bezeichnet; die Bezeichnung
„granulär“ ist hier im makroskopischen Sinne gemeint, dass
an der Schnittfläche Körnchen, Granula, eben die Tuberkel,
hervortreten. Das körnige Lymphom tritt fast immer nur
lokalisiert, besonders häufig an der Halsregion auf.
Die zweite Form ist das käsige Lymphom, früher als
das charakteristische Produkt der Skrofulöse betrachtet; es
kann, wie das körnige Lymphom, auf einzelne Drüsen oder
eine Drüsengruppe, z. B. Tracheobronchialdrüsen, beschränkt
sein, ist aber häufig über mehrere Drüsengruppen verbreitet
lind kann auch als allgemeine Lymphdrüsentuberkulose, kli¬
nisch eine Pseudoleukämie vortäuschend, verlaufen. Ana¬
tomisch ist diese Form durch die ausgesprochene Neigung zur
käsigen Degeneration mit sekundärer Erweichung gekenn¬
zeichnet.
Eine dritte Form ist das indurierende tuberku¬
löse Lymphom, welches durch die Neigung des Tuberkel¬
gewebes zur fibrösen Metamorphose, zur bindegewebigen
Induration unter mehr oder weniger vollständigem Zurück¬
treten der Verkäsung charakterisiert ist. Diese Form treffen
wir am häufigsten in den Bronchialdrüsen bei den indurierenden
Formen der chronischen Lungentuberkulose an; doch liegt sie
auch manchen der geschwulstartig auftretenden, primär mul¬
tiplen harten Lymphomen der Hals- und Brustregion oder
anderer Körperstellen zugrunde.
Die vierte Form ist die von mir sogen, „pseudoleu¬
kämieähnliche“ Form der Lymphdrüsentuber¬
kulose. Es unterscheidet sich diese Form von der generali¬
sierten käsigen Form der Lymphdrüsentuberkulose dadurch,
dass sie nicht bloss klinisch, sondern auch makroskopisch¬
anatomisch unter einem pseudoleukämieähnlichen Bilde auftritt,
so dass die betreffenden Fälle auch noch bei der Sektion für
Pseudoleukämie gehalten werden können, was bei der gene¬
ralisierten käsigen Form ganz ausgeschlossen ist. Es beruht
dieser Unterschied darauf, dass bei der pseudoleukämieähn¬
lichen Form statt der typischen käsigen Nekrose eine mehr
hyaline Nekrose sich einstellt, welche die Schnittfläche
mehr grauwciss, als gelb erscheinen lässt, und nicht, wie jene,
*) Nach einem im Medizinisch-naturwissenschaftlichen Verein
in I übinjjen am 15. Juni d. J. gehaltenen Vortrag
Nr. 28.
zur Erweichung und Höhlenbildung tendiert. Ich habe daher
diese Form der Lymphdrüsentuberkulose seit der Beobachtung
des ersten einschlägigen, von M. Askanazy trefflich be¬
schriebenen Falles im Jahre 1888 als eine „eigentümliche, un¬
gewöhnliche Form der Tuberkulose“ betrachtet und bezeichnet.
Zehn Jahre später hat dann Sternberg aus dem
P a 1 1 a u f sehen Institut unter dem Titel: „Ueber eine eigen¬
artige, unter dem Bilde der Pseudoleukämie verlaufende Tu¬
berkulose des lymphatischen Apparates“ eine grössere Zahl
von Fällen veröffentlicht und in ausgezeichneter Weise be¬
schrieben, welchen ausser der Uebereinstimmung des klini¬
schen Bildes auch noch ein eigenartiges mikroskopisches
Strukturbild gemeinsam war, das S t e r n b e r g als ein modifi¬
ziertes tuberkulöses Gewebe anzusehen berechtigt zu sein
glaubte, obwohl weder Tuberkelknötchen, noch Langhans-
sche Riesenzellen, noch auch, abgesehen von einem Falle, Tuber¬
kelbazillen darin von ihm nachgewiesen werden konnten. Es
handelt sich um ein polymorphzelliges, gefässhaltiges Gewebe,
welches sich vom gewöhnlichen Granulationsgewebe durch die
reichliche Anwesenheit von protoplasmareichen, ein- und mehr-
bis vielkernigen Zellen, den später sogen. S t e r n b e r g sehen
Zellen, unterscheidet. Bestimmend für seine Auffassung dieses
Gewebes als eines eigenartigen tuberkulösen Gewebes
war, dass in zwei Drittel dieser Fälle neben dem erwähnten
eigenartigen Gewebe in denselben Präparaten typische Tuber¬
kulose nachzuweisen war, dass es ferner, allerdings nur in
einem Falle, ihm gelang, zahlreiche Uebergänge von dem
eigenartigen Gewebe in typisch tuberkulöses Gewebe auf¬
zufinden und dass in diesem Falle auch das erstere, also das
nicht typisch tuberkulöse Gewebe, Tuberkelbazillen enthielt.
Während nun die Sternberg sehe Beschreibung bald
von allen Seiten bestätigt und das von ihm charakterisierte
histologische Bild als der Ausdruck einer eigenartigen
Erkrankung des lymphatischen Apparates allgemein anerkannt
wurde, begegnete doch seine Auffassung dieser Erkrankung
als einer eigenartigen Tuberkulose starken Zweifeln.
Sternberg selbst schränkte sie später erheblich ein und
Paltauf gab sie ganz auf, indem er die in Rede stehende
Affektion unter der Bezeichnung „Lymphogranulomatosis“ als
eine Lymphomatosis sui generis, wahrscheinlich chronisch¬
infektiöser Natur, von der Lymphdrüsentuberkulose abtrennte.
Diese Paltauf sehe Auffassung fand allgemeinen Beifall und
blieb längere Zeit die herrschende. In den letzten Jahren ist
jedoch wieder ein Umschwung zugunsten der ursprüng¬
lichen Paltau f-Sternberg sehen Ansicht eingetreten.
Der Anstoss zu dieser Wendung ging aus von den Mit¬
teilungen von Fraenkel und Much über das regelmässige
Vorkommen Gram-positiver granulierter Stäbchen und Granula
in dem Lymphogranulomgewebe, Gebilde, welche morphologisch
nicht von der Much sehen sogen, granulären Form des Tu¬
berkulosevirus zu unterscheiden waren. Fraenkel und
Much schliessen aus ihren Befunden, dass die Lympho¬
granulomatosis eine Infektionskrankheit sei, die durch ein dem
Tuberkulosevirus zum mindesten sehr nahestehendes Virus
hervorgerufen werde. Dieser Schlussfolgerung steht das Be¬
denken gegenüber, dass die Natur und Bedeutung der Much-
schen granulierten Stäbchen und Granula noch nicht genügend
festgestellt ist. Als legitimer Repräsentant des tuberkulösen
Virus kann bis auf weiteres nur der säurefeste Bazillus mit der
Fähigkeit, beim Versuchstiere die Tuberkulose zu reprodu¬
zieren, gelten, welche Fähigkeit bisher für die Much sehe
granuläre Form nicht nachgewiesen ist. Den legitimen Ba-
1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
zillus in ganz reinen Fällen von Lyniphogranulom, d. h. solchen,
die nicht mit der typischen Tuberkelstruktur weder in den
Lymphdrüsen, noch in anderen Organen, kombiniert waren, zu
finden, war bis vor kurzem nicht gelungen. Die neueste Zeit
hat diese Lücke ausgefüllt: es sind nicht nur eine grössere Zahl
solcher reiner Fälle mit dem mikroskopischen Befund
säurefester Bazillen in dem Lymphogranulomgewebe be¬
obachtet worden, sondern es hat auch in einigen derartigen
Fällen die Verimpfung granulomatösen Gewebes auf Meer¬
schweinchen die Entstehung typischer bazillär tuberkulöser
Veränderungen, bei den Versuchstieren zur Folge gehabt. Dies
beweist, dass iii reinen Fällen von Lymphogranulomatosis viru¬
lente Tuberkelbazillen im Granulomgewebe vorhanden sein
können und macht es höchst wahrscheinlich, dass diese Ba¬
zillen die Erreger der Lymphogranulomatose in jenen Fällen
waren. Weiterhin gibt ein Autor, Lichtenstein, an, durch
Verimpfung von Teilchen der Milz eines Falles von Lympho¬
granulomatosis, der aber mit typischer Tuberkulose kombiniert
war, bei Meerschweinchen tuberkulöse und granulomatöse
Veränderungen nebeneinander erzeugt zu haben, die beide
Tuberkelbazillen enthielten, wonach er als bewiesen an¬
sieht, dass auch die granulomatösen Gewebsveränderungen
tuberkulöser Natur sind, welcher Schluss aber doch nicht ganz
stringent ist, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei
der Impfung ausser dem legitimen Tuberkelbazillus auch noch
das, von vielen Autoren angenommene besondere Virus der
Lymphogranulomatose eingeführt worden sei. Der sichere
Beweis der tuberkulösen Aetiologie unserer Erkrankung kann
nur gewonnen werden durch Experimente mit r e i n kulti¬
vierten Tuberkelbazillen, die nicht aus Lymphogranulom
ge webe stammen, wenn deren .Verimpfung auf Versuchstiere
typische Lymphogranulomatose hervorzurufen im¬
stande wäre. Diesen Beweis glaubt nun ebenfalls Lichten-
stein erbracht zu haben, indem er bei mit reinkultivierten
menschlichen Tuberkelbazillen geimpften Meerschweinchen in
den erkrankten Organen teils typisch tuberkulöse, teils typisch
granulomatöse Gewebsveränderungen und Uebergänge zwi¬
schen beiden vorgefunden zu haben angibt. Diese Lichten-
stein sehen Angaben sind von verschiedenen Forschern in
Zweifel gezogen worden, d. h. es wurde die Identität der ex¬
perimentell erhaltenen Gewebsproduktionen mit dem Lympho¬
granulom beanstandet. Ich aber kann das Lichten¬
ste i n s c h e Resultat bestätigen. Bei Infektions¬
experimenten an Meerschweinchen mit fallenden Mengen von
Tuberkelbazillen, die Herr Dr. S a s a k i aus Japan im ver¬
gangenen Wintersemester im hiesigen pathologischen Institut
anstellte, hat sich ergeben, dass die mit minimalen Mengen
von Bazillen eines virulenten Bazillenstammes geimpften
Meerschweinchen an einer Tuberkulose von sehr protrahiertem
Verlaufe erkrankten, deren Produkte makro- und mikro¬
skopisch eine grosse, an Identität grenzende Aehnlichkeit mit
jenen häufigen Fällen von Lymphogranulomatose darboten, in
welchen die Granulomstruktur mit der typischen Tuberkel¬
struktur verbunden ist. Es fanden sich in den Präparaten
auch viele Uebergänge zwischen den beiden Strukturformen
und die spezifischen Bazillen waren in der einen wie in der
anderen Gewebsform enthalten. Ich hege daher jetzt keinen
Zweifel mehr an der Richtigkeit der ursprünglichen P a 1 1 a u f -
Sternberg sehen Ansicht, dass wir es bei der in Rede
stehenden Erkrankung des lymphatischen Apparates mit einer
eigenartigen Tuberkulose desselben zu tun haben. (De¬
monstration von Präparaten von menschlicher Lymphogranulo¬
matose und von der ihr Bild nachahmenden Impftuberkulose
des Meerschweinchens.)
Wenn wir uns auf den Standpunkt der ätiologischen Iden¬
tität von Lymphogranulomatose und Tuberkulose stellen, dann
bleibt vom histologischen Standpunkt aus noch die
Frage zu erörtern, in welchem Verhältnis die Lymphogranulo¬
matose zu der von mir sogen.„pseudoleukämieähnlichen“ Form
der Lymphdrüsentuberkulose steht. Letztere mit der Lympho¬
granulomatose schlechthin zu identifizieren, geht ebensowenig
an, als sie von ihr ganz zu trennen und der typischen
Lymphdrüsentuberkulose zuzuweisen. Vielmehr nimmt sie
eine Mittelstellung zwischen der typischen Lymphogranulo¬
matose und der typischen generalisierten Lymphdrüsentube"-
kulose °in und dient somit als weitere Stütze für die
Annahme der tuberkulösen Natur der sogen. Lymphogranulo¬
matose. Die letztere Bezeichnung wurde gewählt, um die
Affektion von der Tuberkulose abzugrenzen; wir können die
Bezeichnung aber trotz der Erkenntnis des tuberkulösen Cha¬
rakters der Affektion beibehalten, wenn wir dem Hauptwort:
Lymphogranulomatosis das Adjektivum: tuberculosa hinzu¬
setzen. Denn Lymphogranulomatosis bedeutet nur die An¬
wesenheit eines granulierenden Entzündungsprozesses in den
Lymphdrüsen. Granulierende Prozesse können aber durch die
verschiedensten ätiologischen Momente hervorgerufen werden.
Tatsächlich bewirken ja ausser dem Tuberkelbazillus auch die
Erreger der Syphilis, der Lepra, des Rotzes usw. granulierende
Entzündungen der Lymphdrüsen, also Lymphogranulomatosen.
Man muss also die durch den Tuberkelbazillus hervorgerufene
Lymphogranulomatose als Lymphogranulomatosis tuber¬
culosa bezeichnen. Für die von mir so genannte „pseudoleu¬
kämieähnliche“ Form der Lymphdrüsentuberkulose, die, wie
gesagt, histologisch eine Uebergangsform zwischen der
typischen käsigen Form und der granulomartigen Form dar¬
stellt, wird jetzt eine andere Bezeichnung zu wählen sein, um
sie von der Lymphogranulomatosis tuberculosa abzugrenzen,
die ja a u c h, wie jene, klinisch und makroskopisch-ana¬
tomisch der Pseudoleukämie ähnlich ist, und zwar dürfte sich
auch für s i e, wie bei den anderen Formen, eine rein ana¬
tomische Bezeichnung empfehlen. Ich möchte vorschlagen,
sie als „fibrös-käsige Form“ der Lymphdrüsentuberkulose zu
benennen, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass hier eine
Tendenz zu fibröser Metamorphose des Tuberkelgewebes be¬
steht, die aber nicht, wie bei der indurierenden Form, zu defi¬
nitiver, sondern nur zu provisorischer Bindegewebsbildung
führt, die später der käsigen Nekrose verfällt. Diese liefert
hier nicht die gewöhnlichen trüben, feinkörnigen, sondern mehr
glasige, hyaline Massen, wie wir sie auch sonst von der Ver¬
käsung sogen, „fibröser“ Tuberkel (Langhans) kennen.
Somit würden wir die obige Einteilung der Lymphdrüsen¬
tuberkulose folgendermassen zu modifizieren haben:
1. das körnige oder S c h ü p p c 1 sehe Lymphom,
2. das käsige Lymphom,
3. das indurierende tuberkulöse Lymphom,
4. das fibrös-käsige Lymphom,
5. das Lymphogranuloma tuberculosum.
Alle 5 Formen können sowohl regionär beschränkt als auch
generalisiert auftreten; am häufigsten aber ist das letztere bei
der 4. und 5. Form und den Uebergangsformen zwischen beiden
der Fall. Es erscheint mir das einfachste, die generalisierte
Lymphdrüsentuberkulose von der Form 1 — 4 als Lympho-
matosis tuberculosa und die generalisierte Form 5 als Lympho-
granulo matosis tuberculosa zu bezeichnen.
Zusatz. Nachträglich erhalte ich Kenntnis von der Publikation
von O. Steiger: Klinik und Pathologie der Lymphogranulomatosis
(Zschr. f. klin. Med. 79. 1914. H. 5 u. 6). Der Autor berichtet über
Impfversuche mit Lymphogranulomgewebe, die meistens in dem Sinne
positiv ausfielen, dass die Meerschweinchen an einer akuten Miliar¬
tuberkulose erkrankten, ln 3 Fällen konnte neben dieser Tuberkulose
das typische S t e r n b e r g sehe Granulationsgewebe nachgewiesen
werden. Subkutan und intraperitoneal mit Granulombrei geimpfte
Kaninchen erkrankten an knotenförmiger Tuberkulose der inneren
Organe. Nach diesem Ergebnis der Impfexperimente und weil die
bei einem menschlichen Erkrankungsfall ausgeführte Impfung mit
Tier tuberkulin ein sehr stark positives Resultat ergab, während die
Proben mit menschlichem Tuberkulin bei allen Fällen negativ
ausfielen, nimmt der Verf. eine bereits von Sticker und Löwen¬
stein geäusserte, aber nicht erwiesene Ansicht von neuem auf, dass I
die Lymphogranulomatose durch bovine Tuberkelbazillen hervor¬
gerufen sei. Diese an sich höchst unwahrscheinliche Annahme, da ja ]
die bovinen Bazillen für den Menschen, insbesondere den erwach- I
senen, eine nur geringe Pathogenität besitzen, wird durch die
Steiger sehen Experimente nicht entfernt erwiesen. Wie ich fest- j
gestellt habe, gibt es menschliche Bazillenstämme, welche für Ka¬
ninchen sehr virulent sind (ohne rinderpathogen zu sein), und zwar
sind diese Stämme keineswegs selten. Es ist ferner nicht zutreffend,
wenn den Perlknoten der Rinder eine grössere mikroskopische Ueber- i
einstimmung mit den Granulomknoten zugeschrieben wird, als den j
menschlichen Tuberkeln; beide sind vielmehr, wie schon Schüppel
erwiesen und ich nur bestätigen konnte, histologisch identisch.
In Betreff der sonstigen Literatur verweise ich auf die neueste
vorzügliche zusammenfassende Darstellung von Herxheimer
(Beitr. z. Klin. d. Infekt.- u. Imm.-Forschung, Würzburg 1913), die
auch wertvolle eigene Beiträge bringt.
14. Juli 1914. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 154?
Aus dem hygienischen Institut der Universität Leipzig
(Direktor: üeh. Med.-Rat Prof. Dr. Kruse).
Die Erreger von Husten und Schnupfen* *).
Von W. Kruse.
Ueber die Ursachen des Hustens und Schnupfens, des ge¬
wöhnlichen Katarrhs der oberen Luftwege, wusste man bisher
recht wenig. Seit alters her wurde er zu den sogen. Er¬
kältungskrankheiten gerechnet, aber die Ueberzeugung, dass
es mit der Erkältung allein, wenigstens in allen Lallen nicht
getan ist, sondern dass ein infektiöses Moment dabei eine
grosse Rolle spielt, hat sich allmählich immer mehr Geltung
verschafft. Die bakteriologische Forschung hatte jedoch bisher
nur wenig sichere Ergebnisse geliefert. Allerdings macht es
manchmal den Eindruck, als ob bestimmte Bakterien, wie
Pneumokokken, Micrococc. catarrh., der sog. Influenzabazillus
die Erreger wären, weil sie in grossen Mengen und ausschliess¬
lich im katarrhalischen Sekret gefunden werden. Ich selber
habe auch Fälle gesehen, in denen mir in der Tat dieser Zu¬
sammenhang sehr wahrscheinlich schien. So kamen noch
jüngst bei Gelegenheit von Pneumokokkenversuchen, die in
meinem Institut angestellt wurden, einige Uebertragungen von
Pneumokokken auf die Schleimhaut der Luftwege vor. Diese
Anerkennung einer bestimmten bakteriellen Ursache des
Schnupfens und Hustens für einzelne Fälle und vielleicht für
kleinere Epidemien schliesst aber nicht aus, dass wir für die
grosse Mehrzahl Bakterien als Erreger ablehnen müssen.
Dazu sind die Absonderungen gewöhnlich viel zu spärlich mit
Bakterien durchsetzt und diese wenigen selbst viel zu unbe¬
ständig. Bei dieser Sachlage beschloss ich im Januar d. J.
der Ursache unseres Katarrhs auf anderem Wege nach¬
zugehen.
In den letzten 20 Jahren haben wir eine ganze Reihe von
Iniektionen kennen gelernt, die wir nicht auf die bekannten
„Kleinwesen“, Bakterien, Pilze und einzellige Tiere, zurück¬
führen können, sondern für die wir noch kleinere, jenseits der
mikroskopischen Beobachtung liegende Lebewesen, „unsicht¬
bare“, „ultramikroskopische“ Virus daraus erschlossen, dass
wir mit den krankhaften Absonderungen auch dann noch die
Infektion erzeugen können, wenn sie durch Filtration von allen
Bakterien und überhaupt von sichtbaren Elementen befreit
sind. Dazu gehören z. B. die Mosaikkrankheit des Tabaks,
die Maul- und Klauenseuche, die Lungenseuche des Rindes, die
Hühnerpest, die Geflügelpocken, die Schafpocken, die Rinder¬
und Schweinepest und von menschlichen Krankheiten das
Gelbfieber, die Hundswut, die Pocken und Kuhpocken, der
Scharlach und die Masern, das Dengue- und Papatacifieber,
das Molluscum contagiosum und die Warzen, das Trachom, die
epidemische Kinderlähmung und wahrscheinlich auch der
Flecktyphus.
Ein Schnupfen, der meinen Assistenten Dr. Hilgers be¬
fallen hatte, gab uns das Material für unsere Versuche. Das
aus der Nase ausgeblasene Sekret wurde 15 mal mit physio¬
logischer Kochsalzlösung verdünnt, durch ein kleines Berke-
feldfilter filtriert, und je einige Tropfen davon 12 Mitgliedern
des Instituts in die Nasenlöcher eingeträufelt. Die Wirksamkeit
der Filtration wurde durch Kulturen festgestellt. Das Ergebnis
dieses ersten Versuchs bestand darin, dass 4, d. h. 33 Proz. der
geimpften Personen nach Inkubation von 1 — 3 Tagen an
Schnupfen erkrankten.
Dieser immerhin nicht ungünstige Ausfall ermutigte mich,
einen zweiten grösseren Versuch zu machen. Am 15. Juni
wurde das von einem akuten Schnupfen (Hilgers) stam¬
mende Sekret 20 mal verdünnt und filtriert auf 36 Teilnehmer
meines bakteriologischen Kursus verimpft. 15, d. h. 42 Proz.,
von ihnen erkrankten mit den bekannten Erscheinungen des
Schnupfens, dem sich, wie sonst, in einzelnen Fällen auch
Husten zugesellte. Die Inkubation betrug 1 — 4, und zwar meist
2 - 3 Tage. Bemerkenswert ist, dass von 29 Kursteilnehmern,
die sich nicht impfen Hessen, und von den am Kurs beteiligten
7 Mitgliedern des Instituts zusammen nur ein einziger, mit einer
Inkubation von einem Tage, erkrankte. Das Filtrat erwies
sich auch diesmal wieder bakteriologisch keimfrei.
*) Vorgetragen in der Sitzung der Medizinischen Gesellschaft in
Leipzig vom 23. Juni 1914.
Auf Grund dieser Ergebnisse halte ich es für höchst wahr¬
scheinlich, dass die Erreger mindestens einer
Form des Hustens und Schnupfens zu der
Gruppe der unsichtbaren oder filtrierbaren
Keime gehören. Vielleicht ist es sogar die gewöhnlichste
Form dieser Krankheit. Natürlich befinden sich unsere Unter¬
suchungen über diese Erreger erst im Anfangsstadium. Es
bleiben zahlreiche Aufgaben noch zu lösen. Ich veröffentliche
aber diese ersten durch die üpferwilligkeit meiner Mitarbeiter
und Zuhörer ermöglichten Erfahrungen schon jetzt, damit sich
andere Forscher an der Arbeit beteiligen können. Namentlich
würde es sich meines Erachtens auch empfehlen, in ähnlicher
Weise andere Schleimhauterkrankungen, z. B. Anginen und
Influenza zu studieren. Gerade die letztere Krankheit scheint
mir noch keineswegs genügend aufgeklärt zu sein.
Zum Schluss möchte ich noch den Vorschlag machen, dem
mit der Zeit doch nicht nur zu Jahren, sondern auch zu recht
stattlicher Entwicklung gelangten Kinde nun endlich einen
(naturhistorischen) Namen zu geben. Trotz mancher Unter¬
schiede bilden die filtrierbaren Virus doch unleugbar eine
natürliche Gruppe. Die sogen. Chlamydozoen Prowazeks
stellen nur einen Teil davon dar. Ich empfehle die von mir
seit Jahren in meinen Kursen gebrauchte Bezeichnung als
Aphanozoen1) für die ganze Familie, Aphanozoum für die
Gattung und A. c o r y z a e für die Art.
Eine lebende erwachsene Doppelmissbildung (Epigastrius
parasiticus)*).
Von F. Marchand.
Jean Jaques Libbera wurde 1884 von italienischen Eltern in
Buenos-Ayres geboren. Die Mutter hatte angeblich 13 Kinder; ein
vor jean geoorenes männliches Zwillingspaar soll zusammen¬
gewachsen, mit 2 Köpfen und einem Beinpaar versehen gewesen,
und bei der Geburt gestorben sein. Ein Onkel soll anstelle des
einen Oberschenkels einen mammaartigen Stumpf und einen kurzen
missgebildeten Arm gehabt haben1).
Kaum mittelgrosser, grazil gebauter, brünetter Mann. In der
Gegend des Epigastriums hängt ein unvollkommen entwickelter,
kleinerer Körper nach abwärts, an dem 4 Extremitäten ausgebildet
sind. Die Ventralfläche ist der Bauchfläche des Autositen zugekehrt.
Die Verbindung des parasitischen Körpers mit seinem Träger ist
seitlich zusammengedrückt; die obere Grenze, von knochenharter Be¬
schaffenheit, am Processus ensiformis, die untere Grenze weich, etwa
4 cm oberhalb des Nabels des Autositen; die Nabelgegend ist ver¬
strichen, etwas vorgewölbt. Die Haut des parasitischen Körpers geht
ohne Grenze in die des Trägers über. Bei der Ansicht von vorn
sieht man zunächst die beiden seitlich herabhängenden oberen Ex¬
tremitäten, die nach aufwärts unter einem spitzen Winkel einander
stark genähert und hier mit einem länglichen knöchernen Ge¬
bilde fest verbunden sind, welches durch eine gelenkige Verbindung
mit einem etwa 3 cm langen, knöchernen, schräg nach vorn und
abwärts gerichteten Zapfen zusammenhängt, der die Stelle des Pro¬
cessus xiphoideus einnimmt, aber stärker ist als der normale. Die
etwas gekrümmten Oberarme sind durch ihre wenig umfangreichen
Weichteile miteinander fast bis zur Mitte der Länge vereinigt, ähn¬
lich auch durch eine flughautartige Falte mit den Vorderarmen. Diese
wie die Hände sind sehr viel schwächer, namentlich die letzteren
klein, sehr schmal, stark flektiert, wenig beweglich und mit dünner,
atrophischer Haut bedecxt. Beiderseits 5 i inger, mit kleinen Nägeln, die
Daumen sehr klein. Bewegungen in den Ellenbogengelenken sind nicht
ausführbar. Beim Aufheben der oberen Extremitäten kommt dicht unter¬
halb der Achselfalte beiderseits eine kleine Brustwarze mit Areola
zum Vorschein. Die Umgebung ist schwach behaart. Unterhalb der
oberen Extremitäten tritt der verhältnismässig grosse, halbkugelig
gewölbte untere Ieil des Rumpfes hervor, der weich anzufühlen, an¬
scheinend sehr fettreich ist und keine mediale Einkerbung zeigt.
Daran schliesst sich beiderseits eine untere Extremität, die im Knie
spitzwinklig flektiert und nicht streckbar ist. Die Oberschenkel sind
durch eine Hautfalte bis zur Mitte mit den Unterschenkeln vereinigt
Die Unterschenkel lang und dünn, daran die beiden schmalen, platten,
dorsal flektierten Ftisse mit spitz hervortretenden Fersen und je fünf
Zehen, von denen die grosse und die zweite auffallend lang sind,
während die übrigen stark in der Grösse abnehmen; die kleine Zehe
ist beiderseits sehr klein, mit undeutlichem Nagel. An der Ventral-
') unsichtbar, unscheinbar.
*) Vorgestellt in der Sitzung der med. Gesellschaft zu Leipzig
am 12. Mai 1914.
') Van Duyse: Un Epigastrius vivant (Jean Libbera). Gand,
Ad. Hoste 1912. Die Angabe von van Duyse, dass diese Doppel¬
missbildung nach Jean geboren und 10 Jahre alt geworden sei, be¬
zeichnet dieser als unrichtig.
1*
1548
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
seitc findet sich am unteren Umfang zwischen den Oberschenkeln
eS ziemlich unnanacicl,«. weich sich anfühlendes i ikrotum dessea
linke Hälfte eine stärkere Schwellung zeigt, die sich i nach Art einer
äusseren Leistenhernie nach aufwärts fortsetzt. Lin 1 estikel ist links
nicht deutlich fühlbar, anscheinend nicht herabgetreten, rechts findet
sich ein ziemlich kugeliger Hode von der Grosse einer kleinen Kirsche.
L)cr Umfang der hernienartigen Anschwellung scheint zu wechseln,
bei der Vorstellung am 12. Mai ist er erheblich Sr0SJer- als einige
Tage vorher. Der Penis ist klein, sonst normal beschaffen, perforiert.
Hei stärkeren Berührungen, z. B. beim Waschen, soll der eins
schwache Erektion zeigen, was bei dem Fehlen eines Rückenmarkes
sehr auffallend sein würde. Die ganze Umgebung, auch die unteren
Extremitäten, sind mit sehr reichlichen schwarzen Haaren bedeckt.
" e Der Cganze 'ifar asi'/är e Körper ist ziemlich beweglich, nach beiden
Seiten zu verlagern und nach aufwärts zu erheben Line W irbelsaule
ist nicht durchzufühlen, ebensowenig Rippen oder Rippenknorpel
Aktive Bewegungen werden nicht ausgefuhrt. Die Sensibilität ist
X |edng Berührung, besonders an einigen Stellen am meisten in
der Nähe des Ansatzes, auch an den Genitalien, werden vom Auto
siten empfunden, angeblich aber verlangsamt. , ,
Die Zirkulation des Parasiten ist augenscheinlich sehr stark
herabgesetzt. Die Extremitäten fühlen sich sehr kühl an, wenn s e
einige Zeit unbedeckt waren. Ein Puls ist nur stellenweise sehr
schwach fühlbar. Von einem Herzen ist augenscheinlich nichts vor¬
handen. Die Harnabsonderung, tropfenweise und unregelmässig,
soll nach van Duyse täglich ca. 30 — 50 g betragen und soll nach
der Angabe des Libbera besonders in der Nacht erfolgen, ohne
dass der Träger es merkt. Mit dem Harn wird — jedoch nicht
regelmässig — eine schwach gelbliche, schleimige oder im einge¬
dickten Zustande, in dem vorgelegten Mull breiahn .che Masse ent¬
leert die L. selbst mit dem Säuglitigsstuhl vergleicht. (Line deutlich
gallige Färbung ist daran bei Abendbeleuchtung nicht wahrzunehmen
leider war eine mikroskopische Untersuchung der Entleerung nicht
möglich.) L. selbst erklärt diese Entleerung von Darminhalt durch
das Vorhandensein einer „Kloake“; jedenfalls ist also ein Darm u
vorhanden, der nach Art einer Atresia am urethralis oder vesicalis
üb der Darm des Parasiten mit dem des Autositen zusammen¬
hängt, ist ohne genauere Untersuchung noch nicht sicher zu ent¬
scheiden, aber durchaus unwahrscheinlich bei der _ Beschaffenheit der
Entleerung, die nur aus eingedicktem Darmschleim zu bestehen
scheint. Darmgase scheinen nicht vorhanden zu sem. Auch erfolgen
die Entleerungen unabhängig vom Autositen. Libbera ^gibt sogar
an, dass sie zeitweise häufiger auftreten sollen, wenn „Er (d. h. der
parasitische Bruder) krank ist, was mehrmals der Fall gewesen sein
soll. (Libbera gibt übrigens an, dass die Ausleerungen bei Ge
legenheit seines Aufenthaltes in Berlin im Jahre 1905, wo er sich in
Castans Panoptikum sehen liess, wiederholt untersucht worden seien,
doch ist mir das Ergebnis nicht bekannt geworden.)
Besonders wichtig ist das Verhalten des Skeletts.
Nach einer von vanDuysein der Kopie mitgeteilten Röntgen¬
aufnahme 2) ist der knöcherne Körper, der die Verbindung der Ober¬
arme mit dem Sternum des Autositen vermittelt, aus mehreren (an¬
geblich 5) ungleichen Segmenten zusammengesetzt, von denen - oder
3 verdickt sind. Die Köpfe der verhältnismässig grossen, eicht ge¬
krümmten Humeri verschwinden in der e,rwabnten
Knochenmasse, die vielleicht jederseits Teile der Skapuk (Kolli m,
Akromion, Proc. coracoideus) einschliesst. Zwischen die Humerus¬
köpfe ist ein schmales Knochenstück eingeschaltet, das sich nach oben
und unten fortsetzt, nach van Duyse vielleicht den Scapulae an-
gehörend. Zwischen den unteren Extremitäten be bildet sich im Be¬
reich des Gesässes eine unvollkommene Beckenbildung, die nicht
deutlich als solche erkenbar ist. Von einer Wirbelsäule ist auch hier
nichts sichtbar, ebensowenig Teile des Kopfes. . .
Die Deutung der Teile des Schultergürtels ist sehr schwierig; die
der beiden stumpf-konischen Knochenmassen als Teile der Scapulae
dürfte wohl zutreffen, da sie ganz mit den Humerusköpfen verschmol-
zen sind. a a a
Herr Privatdozent Dr. A s s m a n n, Assistent der medizinischen
Klinik (G.-R. v. Strümpell) hatte die Güte, 2 Radiogramme des
Libbera aufzunehmen, die jedoch infolge der Schwierigkeit des
Objektes und der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht alle
Teile mit hinreichender Deutlichkeit erkennen Hessen3 *). Die Reste
des Schultergürtels sind nicht vollständig sichtbar. Die dünnen Kno-
chenbälkchen der konischen Körper scheinen unmittelbar mit denen
der Humerusköpfc zusammenzuhängen. Zwischen den letzteren ist ein
etwa 1 cm breites Knochenstück sichtbar, das zwischen beiden Hu¬
meri etwa 4 cm nach abwärts reicht und sich hier bis auf 2 cm ver¬
breitert aber nur sehr schwach sichtbar, augenscheinlich sehr dünn
ist Der Form nach entspricht es vollständig einem Proc. ensiformis.
Berücksichtigt man aber, dass man die Rückenfläche des Parasiten
vor sich hat, und dass dessen vordere Thoraxwand nicht geschlossen
ist' sondern beiderseits in die Bauchwand des Autositen übergeht, so
ist’ das Vorhandensein eines ausgebildeten Processus ensiformis nicht
2) Dieselbe wurde von Dr. G r a s s n e r in der Chirurg. Abteilung
des Kölner Bürgerspitals unter Bardenheuer aufgenommen.
3) Herrn Kollegen A s s m a n n möchte ich auch an dieser Stelle
meinen Dank aussprechen.
wahrscheinlich. Es kann sich also wohl um eine den Schulterblättern
ungehörige Knochenplatte handeln, die aber nicht von der Kante, wie
“ ® D u y s e meint, sondern von der Fläche gesehen ist. Sämtliche
Knochenteile sind sehr atrophisch, am meisten die Bälkchen oer . pon-
giosa in den Extremitäten. Die Beckenknochen kommen auf- der
neuen Aufnahme in der dicken Masse des Gesässes leider nur sehr
undeutlich zum Vorschein.
CE Fig. 1. Ansicht des J. J. Libbera von Fig. 2. Ansicht von vorn u. links,
a rechts u. vorn, der parasitische Körper
in der natürlichen Lage herabhängend.
Es handelt sich in unserem Falle um die von G e o f f r o y
St. H i 1 a i r e dem Aelteren als Heteradelphus bezeich-
riete Doppelmissbildung, die von Ahlfeld Dipygus
parasiticus, besser Epigastrius parasiticus be¬
nannt wird. Ueber die Entstehungsweise dieser eigentüm¬
lichen Doppelmissbildung, von der bereits eine grössere Anzahl
von Fällen im fötalen aber auch einige im erwachsenen Zu¬
stande beobachtet worden sind, gehen die Ansichten der
Autoren noch auseinander; während die einen dieselbe dem
Thorakopagus zurechnen, glauben andere, z. B. Schwalbe
und mit ihm van Duyse, dass es sich um eine von vorn¬
herein asymmetrische Doppelmissbildung, einen A k a i d i u s
handelt, d. h. um eine Implantation einer embryonalen Anlage
in den Körper einer zweiten. Vergleicht man aber die ver¬
schiedenen bisher beobachteten Fälle dieser Art untereinander,
so kann man leicht eine zusammenhängende Reihe aufstellen,
deren am meisten ausgebildete Formen einen erhaltenen Kopf¬
teil mit dem mehr oder weniger mangelhaften Rumpf mit
Extremitäten erkennen lassen. Der bekannteste Repräsentant
dieser Art ist der Genueser Lazarus Colloredo (geh. 1617),
der bereits von Thomas Bartholin- us und L i c e t u s )
beschrieben worden ist. Daran würden sich mehrere andere
Fälle anschliessen, bei denen sich Reste des Kopfes ebenfalls
nachweisen Hessen, jedoch in vollständiger Verschmelzung mit
dem des Autositen. Dahin gehören beispielsweise die Fälle
von R o s e n s t i e 1 5) und von A h 1 f e 1 d °), bei denen 4 Ohren
an dem gemeinsamen mangelhaft ausgebildeten Kopfteil vor¬
handen waren, von denen 2 dem Autositen, 2 dem Parasiten
angehörten.
Bei den meisten übrigen im eigentlichen Sinne als Epi¬
gastrius (Heteradelphus) bezeichneten Fällen fehlt der Kopf
vollständig, so dass es aussieht, als sei er in die Brust des
4) Fortunius Licetus: De Monstris, Ed. novissiina, Amstelo-
dami 1645, worin noch mehrere ähnliche Fälle aus dem 16. Jahr¬
hundert mitgeteilt werden. ... V
5) Ad. Rosen stiel: Monstri duphcis rarissimi descriptio ana-
tumica. Diss. inaug., Berol. 1824.
ß) Missbildungen, Tafel XVII, Fig. 3, I ext, p. 94. Zyklopischer
Fötus aus der Sammlung der Leipziger Entbindungsanstalt.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1549
14. Juli 1914.
Trägers versenkt, während die Extremitäten, Teile des
Rumpfes, mehr oder weniger ausgebildet sind. Zu diesen
länger am Leben gebliebenen gehört, abgesehen von einigen
älteren Fällen, der von Rudolf Virchow im Jahre 1891 be¬
schriebene Indier namens Laloo 7) und ein von H e 1 1 e n d a 1 1
untersuchter Knabe von 12 Jahren, ebenfalls indischer Ab¬
kunft, namens Pirmall Buddis8 *). Dieser ist augenscheinlich
identisch mit dem von C h i a r i in der Gesellschaft deutscher
Aerzte in Prag am 11. I. 01 vorgestellten indischen Knaben,
dessen Name entstellt und dessen Alter auf 14 Jahre an¬
gegeben ist “). Strass m a n n bildet einen angeblich 4 jähr.
Heteradelphus aus der Sammlung des Berliner pathologischen
Institutes ab, der noch nicht genauer beschrieben zu sein
scheint.
Von besonderem Interesse sind znm Vergleich mit unserem Falle
die Röntgenaufnahmen von H e 1 1 e n d a 1 1, der bei Pirmall zwi¬
schen den Humerusköpfen eine unregelmässige zweiflügelige Knochen¬
masse darstellt, die er als Manubrium (in Verbindung mit Klavikula)
deuten möchte. Es kann sich jedoch auch hier um die miteinander
vereinigten Gelenkpfannen der Scapulae handeln, die hier von den
Humeri getrennt sind. In dem Strang, der die Verbindung mit dem
Proc. xiphoideus des Knaben herstellte, fand sich ebenfalls ein Kno¬
chenstück, das vielleicht dem Sternum angehört. Bei seinem Fall II
(Fötus) bildet H. ein der Furcula der Vögel ähnliches Knochenstück
ab, das er als die vereinigten Schlüsselbeine deutet (?). In beiden
Fällen fanden sich ferner je 2 miteinander in der Mitte vereinigte
Darmbeine. Bei dem von Schwalbe10 *) beschriebenen und ab-
gcbildeten Epigastrius, welcher durch v. Beck im Alter von
11 Wochen operativ von dem Autositen getrennt wurde, zeigte das
Radiogramm nur sehr undeutliche Reste des Schultergürtels, deut¬
lichere des Beckens.
Sucht man die Entwicklung dieser eigentümlichen Miss¬
bildung zu erklären, so muss man davon ausgehen, dass
2 Anlagen, die selbstverständlich aus einem Ei hervorgegangen
Fig. 3, Schematische Darstellung eines Thoracopagus parasiticus in frühem Stadium,
cf = Chorion frondosum, b = gemeinsamer Bauchstiel, d = gemeinsamer Dottersack,
n = Nabel, k1 = Kopfteil des Autositen, k- Kopfteil des Parasiten, c= gemeinschaftliche
(ursprünglich doppelte Herzanlage), a = Aorta des Autositen.
sind, frühzeitig oder von ihrer ersten Bildung an, miteinander
im mittleren Teile bei ziemlich ventraler Gegenüberstellung
vereinigt waren. Die Ausbildung der beiden Anlagen hat in
ungleicher Weise stattgefunden, was wohl mit einer ver¬
schiedenen Entwicklung der Herzanlage zusammengehangen
haben mag. Während bei den symmetrischen Thorakopagen
das Herz gewöhnlich ziemlich gleichmässig beiden Körpern
angehört, resp. verdoppelt ist, ist hier in der Regel das Herz
des Parasiten in der Entwicklung ganz zurückgeblieben und
die Zirkulation wird gewöhnlich durch ein arterielles Gefäss
(einen Ast der Arteria mammaria interna oder subclavia)
übernommen. Während die Entwicklung des Kopfes ganz
zuriickbleibt, wird der Rumpf mit den Extremitäten, wie in
unserem Falle, in der Gegend des Sternum fixiert, was leicht
erklärlich ist, wenn man berücksichtigt, dass in dem frühen
Stadium die Seitenplatten sich noch nicht geschlossen haben.
Beide Anlagen sind von vornherein durch einen gemeinschaft-
7) Eine Skizze desselben nach einer Photographie findet sich be¬
reits im Jahre 1886 in den Verhandlungen der- Berliner Gesellschaft
für Anthropologie etc., s. Zschr. f. Ethnol. S. 373. Das Alter des
Laloo wurde 1891 auf 18 — 19 Jahre geschätzt. Nach Angabe des
I-ibbera ist er später in Mexiko gestorben.
*) Fortschr. d. Röntgenstr. 6. 1902/3. S. 59.
"l M.m.W. 1901 Nr. 13.
,0) Morphologie der Missbildungen, II. T., Doppelbildungen, 1907,
S. 346. -
liehen Haftstiel an dem Chorion. fixiert, haben einen gemein¬
schaftlichen Dottersack, dementsprechend auch einen ein¬
fachen Nabel. Der Darmkanal des Autositen kann teilweise
mit dem des Parasiten in Verbindung stehen; Harn- und
Genitalorgane können sich selbständig ausbilden. Das Zentral¬
nervensystem geht frühzeitig zugrunde. Die Innervation geht
vom Autositen aus. Es würde demnach die Entwicklung der
eines ursprünglich symmetrisch angelegten Thorakopagus
entsprechen, den man demnach nach Foerster als Tho¬
racopagus parasiticus (oder truncatus) bezeichnen
kann, wie das auch von mir in dem Artikel Missbildungen in der
E u 1 e n b u r g sehen Realenzyklopädie 3. Aufl. 1897, 4. Aufl.
1904 gesehen ist, wo auch die obenstehende schematische
Figur sich findet. Derselben ist ein frühes Stadium der nor¬
malen Eientwicklung zugrunde gelegt, wie es z. B. in dem
Embryo von Graf Spee vorliegt und in ähnlicher Weise von
E t e r n o d beschrieben und in einem schönen Modell dar¬
gestellt ist. In der Figur sieht man die beiden ungleichen
Embryonalkörper mit dem gemeinschaftlichen Dottersack an
dem einfachen Bauchstiel fixiert und von dem ebenfalls ein¬
fachen Amnion umgeben.
Aus der Nervenklinik der medizinischen Hochschule für Frauen
zu St. Petersburg (Direktor: Prof. v. Bechterew).
Ueber den Einfluss der Schutzimpfungen gegen Lyssa
auf den Verlauf der Anfälle bei Epilepsie*).
Von Privatdozent Dr. med. M. N i k i t i n in St. Petersburg.
Zuerst möchte ich die Krankengeschichte eines Falles an¬
führen, den ich vor ca. l'A Jahren zu beobachten Gelegenheit
hatte und der zum Ausgangspunkt der von mir angestellten
Versuche wurde.
Fall I. Frl. E. N. Tsch., 43 Jahre alt1). Keine Krämpfe in der Fa¬
milie, keine anderweitigen Hinweise auf das Bestehen einer patho¬
logischen Heredität. 3 Schwestern und 1 Bruder der Kranken sind
im frühesten Kindesalter gestorben. 3 andere Schwestern leben und
sind gesund. Die Patientin ist das jüngste Kind in der Familie. So¬
wohl die Geburt als auch die Entwicklung im Kindesalter verliefen
normal. Im Kindesalter hatte die Pat. Masern, mit 30 Jahren
hatte sie Scharlach. Die erste Menstruation trat auf im Alter
von 16 Jahren und kam regelmässig wieder.
Anamnesismorbi. Im 1. Lebensjahr bekam die Pat. einen
Krampfanfall; über die Art desselben kann sie nichts Näheres mit-
teilen. Bis zum 10. Lebensjahr fehlten irgendwelche Krampferschei¬
nungen. Im 10. Lebensjahr aber traten Anfälle auf, welche sich seit¬
her gewöhnlich unabhängig von jeden äusseren Eindrücken oder Ge¬
mütserschütterungen wiederholten. Meistens ereigneten sich die An¬
fälle in der Nacht im Schlafe, manchmal aber auch am Tage. Trat
der Anfall am Tage auf, so ging demselben während einiger Minuten
oder selbst Sekunden ein eigenartiger Aufregungszustand („als ob
nach einem Schreck“) voraus. Bald danach verlor Pat. das Bewusst¬
sein und sank mit einem Schrei zusammen, wobei sie sich gewöhnlich
verletzte. Die während der Anfälle aufgetretenen allgemeinen
Krämpfe dauerten jedesmal, wie es der Kranken die umgebenden Per¬
sonen mitteilten, nicht mehr als 5 Minuten. Während der Anfälle
fanden gewöhnlich Zungenbiss und unwillkürlicher Harnabgang statt.
Nach dem Anfall fühlte sich die Pat. im allgemeinen abgeschlagen
und empfand ausserdem ein Schweregefühl im Kopfe. Ausser den
nächtlichen - Anfällen, welche von der Umgebung der Kranken be¬
obachtet und von der Pat. selbst am nächsten Morgen auf Grund
des Gefühls der Abgeschlagenheit festgestellt wurden, bestand manch¬
mal Enuresis nocturna. Zuerst waren die Anfälle selten, traten aber
später immer öfter und öfter auf. Durch eine Brombehandlung ge¬
lang es, die Frequenz der Anfälle herabzudrücken, so dass im Alter
von 21 Jahren dieselben bei einer regelmässigen Einnahme von Brom
durchschnittlich einmal wöchentlich auftraten. Alle Aerzte, an die
sich die Eltern der Pat. wandten, hielten die Krankheit des Mädchens
für Epilepsie (unter diesen Aerzten waren die damals hervorragend¬
sten russischen Spezialärzte Eichwald, Mergejewsky,
Tschetschott). So verhielt sich der Krankheitsverlauf bis zum
Jahre 1891, als die Pat. 21 Jahre alt wurde.
Ungefähr am 10. August des genannten Jahres wurde die Kranke
von einem Hunde gebissen; das Zentralnervensystem desselben wurde
im Pasteurinstitut zu Samara untersucht und es ergab sich, dass der
Hund an Lyssa litt. Die Kranke machte dann eine Behandlung mit
Schutzimpfungen gegen Lyssa a'ri diesem Institut durch. In der
*) Vortrag, gehalten in der Sitzung der psychiatrischen Gesell¬
schaft in St. Petersburg am 22. Februar 1914.
1) Dieser Fall, sowie die 4 folgenden, wurden vom Verfasser in
der Sitzung der Petersburger psychiatrischen Gesellschaft am 22. Fe¬
bruar 1914 demonstriert.
1550
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28..
ersten Zeit wurden die Impfungen 2 mal täglich, später 1 mal täglich I
vorgenommen. Im ganzen dauerte die Behandlung 2 Wochen. Wäh-
rend dieser Zeit wurden 18 Schutzimpfungen gemacht. Bis zum
8. September, d. h. fast während eines ganzen Monats, nachdem die
Pat. von einem tollen Hunde gebissen wurde, blieb sie anfallsfrei.
Am 8. September trat in der Nacht ein Anfall ein, der den gewöhn¬
lichen Charakter zeigte. Dieser Anfall war aber der
letzte. Seither ist die Pat. bis zum gegenwärtigen
Moment, d. h. während 22 Jahren von den Anfällen,
an welchen sie während 11 Jahren litt, vollstän¬
dig frei. Gleichzeitig mit den Anfällen schwand auch die Enuresis
nocturna.
Fassen wir die Ergebnisse dieses Falles zusammen, so
haben wir folgendes: Bei einer erblich unbelasteten Person
entstehen im 10. Lebensjahre ohne jeden äusseren Anlass An¬
fälle, deren Schilderung keinen Zweifel an der epileptischen
Natur derselben hinterlässt. Diese Anfälle existieren während
11 Jahren; zum Schlüsse dieses Zeitraumes erlangen dieselben
trotz der reduzierenden Beeinflussung durch Bromeinnahmen
eine Frequenz von einmal in der Woche; die Anfälle führen
allmählich eine Hemmung der geistigen Entwicklung herbei;
im Alter von 21 Jahren hören die Anfälle plötzlich auf, nach¬
dem die Kranke von einem tollen Hunde gebissen wurde und
danach eine Behandlung mit Schutzimpfungen gegen Lyssa
durchmachte; während der darauffolgenden 22 Jahre bleibt
die Patientin bis zum gegenwärtigen Moment von den An¬
fällen, an welchen sie gelitten hat, frei.
Der geschilderte Fall ist als eine ganz besondere Aus¬
nahme zu betrachten und veranlasst notwendigerweise die
Frage aufzuwerfen, warum die bei der Kranken während
11 Jahren existierenden epileptischen Anfälle plötzlich auf¬
hören, nachdem Pat. einen Biss durch einen tollen Hund er¬
litten und eine Behandlung mit Schutzimpfungen gegen Lyssa
durchgemacht hat.
Bei den Versuchen diese Frage zu beantworten, können
verschiedene Annahmen gemacht werden. Erstens könnte
man annehmen, dass das Aufhören der Anfälle bei der
Patientin selbständig und unabhängig vom Hundebiss und von
der Behandlung mit Schutzimpfungen vor sich ging und dass
es sich nur um eine zufällige zeitliche Koinzidenz beider Er¬
scheinungen handelt. Wäre das selbständige Aufhören von
Anfällen bei Epilepsie eine gewöhnliche Erscheinung, so
würden wir uns vielleicht an diese Annahme halten; wir
wissen aber umgekehrt, wie selten die Fälle von Schwinden
der epileptischen Anfälle sind. Infolgedessen liegt der Ge¬
danke nahe, dass der Hundebiss und die nachfolgende Be¬
handlung durch Schutzimpfungen eine gewisse Rolle beim Auf¬
hören der epileptischen Anfälle bei unserer Kranken gespielt
haben. Es ist wohl kaum möglich, sich diese Rolle als
psychische Beeinflussung in der Form von einem Schreck nach
dem Hundebiss zu denken, denn wir wissen, wie wenig die
typischen epileptischen Anfälle einer psychischen Beeinflus¬
sung zugänglich sind. Viel ungezwungener ist die Annahme,
dass in diesem Falle der Stillstand der Anfälle als die Folge
einer Beeinflussung des Organismus der Patientin durch irgend
ein physisches Moment zu betrachten sei; dieses Agens müsste
in den äusseren Einwirkungen enthalten sein, welchen die
Patientin vor ihrer Genesung unterworfen war/ Es waren
dies zweierlei Einwirkungen; 1. der Eintritt des Lyssavirus in
den Organismus bei den Schutzimpfungen und vielleicht beim
Hundebiss und 2. die Einführung in den Organismus von einer
Emulsion des Kaninchenrückenmarkes bei der Impfbehandlung.
Wenn das Aufhören der Anfälle bei unserer Kranken durch
das letzte von den angeführten Momenten bedingt wurde, so
handelte es sich hier um einen Fall von einer ungewöhnlich
erfolgreichen Organotherapie, welche schon vielfach früher,
freilich ohne besonderen Erfolg, bei Epilepsie angewandt
wurde. Wenn hier aber dem Lyssavirus die therapeutische
Rolle zukommt, so stehen wir vor einer ganz eigenartigen Er¬
scheinung nud es sind bezüglich des Mechanismus derselben
nur mehr oder weniger dunkle Vermutungen und Annahmen
möglich.
Man wird sich leicht vorstellen, wie verlockend der Ver¬
such erscheinen musste, die angeführte Beobachtung zum
Zwecke der Epilepsiebehandlung auszunützen. Die in dieser
Richtung vorgenommenen Versuche gingen von der Annahme
aus, dass das Aufhören der Anfälle bei unserer Patientin als
Folge der Beeinflussung entweder durch das Kaninchcnriicken-
marksgewebe oder durch das Lyssavirus zu betrachten sei.
Die erste Versuchsreihe bestand in Zufuhr von einer aus
dem Rückenmark eines normalen Kaninchens zubereiteten
Emulsion an Epileptiker. Zu diesem Zwecke wurden zur Er¬
leichterung der Beobachtung 8 Kranke gewählt, unter denen
die meisten an frequenten Anfällen litten (manche hatten die
Anfälle täglich) und es wurden diesen Patienten täglich sub¬
kutane Einspritzungen von einer frisch zubereiteten 1 proz.
Rückenmarksemulsion eines eben getöteten Kaninchens ge¬
macht. Sowohl während dieser 16 Tage als auch während
der der Injektionszeit nachfolgenden Beobachtungszeit, welche
für die meisten Kranken zirka anderthalb Monate umfasste*
konnte man bei keinem einzigen Patienten irgend eine be¬
stimmte Beeinflussung im Sinne der Herabsetzung der Fre¬
quenz der Anfälle feststellen.
Nachdem sich auf diese Weise die Erfolglosigkeit dieser
Injektionen ergeben hatte, beschlossen wir, den Kranken das
geschwächte Lyssavirus einzuführen in derselben Form, die
gewöhnlich in den Pasteurinstituten angewandt wird. Dank
dem liebenswürdigen Entgegenkommen des Direktors der
Impfabteilung am Institut für experimentelle Medizin, des Herrn
Dr med. W. Krajuschkin und des Vizedirektors der ge¬
nannten Abteilung, des Herrn Dr. W. U s c h a k o f f, verfügte ;
ich täglich über frisch zubereitetes Impfmaterial, welches in
einem sterilen Reagenzglas in die Klinik zugestellt wurde und
nicht später als nach \V% Stunden nach Zubereitung der 1
Emulsion den Kranken eingespritzt wurde. Der Virulenzgrad
der Emulsion, welche zur Injektion benutzt wurde, entsprach
dem Virulenzgrad eines 4, 3 und in vereinzelten Fällen 2 Tage j
getrockneten Kaninchenrückenmarks. Einer Gruppe von
Kranken wurden 15 Injektionen am Ende April und im Anfang
Mai 1913 gemacht. Leider verliess die Mehrzahl dieser
Kranken sofort nach Beendigung der Injektionen das Kranken¬
haus, da die Klinik während der Sommerferien geschlossen
wurde. Die Kranken suchten ihre Heimatsdörfer auf und es I
liegen keine Auskünfte über ihr Schicksal vor. Nur einer unter
dieser Kranken blieb während des ganzen Sommers bis !
Mitte September im Peter-Paul-Krankenhaus und besuchte i
später regelmässig die Klinik, so dass es möglich war, seinen :
Zustand zu verfolgen. Wir wollen hier das wichtigste, was den j
Fall betrifft, anführen.
Fall II. A. Art., 19 Jahre alt, Tapezierer. Wurde am 23. Sep- I
tember 1912 in das Peter-Paul-Krankenhaus aufgenommen.
In der Familie sind keine Fälle von Nerven- und Geisteskrank¬
heiten vorgekommen. Der Vater des Kranken ist ein Alkoholiker. :
der noch vor der Heirat zu trinken begonnen hat. Von 7 Kindern
sind 3 im Kindesalter gestorben. Pat. ist das 6. Kind. Die Geburt '
verlief normal, die erste Entwicklung ging regelmässig vor sich. Im !
Alter von 9 Jahren bekam Patient einen Schlag auf den Nacken mit
einem Stocke, wonach keine Bewusstlosigkeit auftrat; Pat. fiel auch
nicht um. Die Verletzung am Nacken hinterliess eine kleine Narbe. \
Im Alter von 15 Jahren bekam Pat. ein Ulcus induratum, wonach er :
in einer Klinik eine Einreibungskur mit Hg durchmachte. Schnaps!
trank der Pat. wenig und selten. Im Alter von 12 Jahren begann
Pat. zu rauchen, raucht in der letzten Zeit ca. 15 Zigaretten täglich.
Im Alter von 16 Jahren traten bei dem Kranken zeitweise«
Schwindelanfälle auf. wobei er sich an irgend einen Gegenstand an¬
lehnen musste, um nicht umzufallen. Diese Schwindelzustände tra¬
ten unabhängig von jedem äusseren Anlass auf und dauerten jedes¬
mal nicht mehr als 5 Minuten. Nach einem Monat wurden diese
Schwindelanfälle von einem Hinfallen des Pat. begleitet, wobei der»
Kranke sich nicht selten verletzte und Blutsugillationen an den ver¬
letzten Stellen behielt. Im 4. Monat nach dem Beginn der Erkran¬
kung wurden die Anfälle nicht nur vom Hinstürzen des Kranken, son¬
dern auch von einer vollständigen Bewusstlosigkeit begleitet. Dem
Beginn jedes Anfalls ging gewöhnlich eine starke Rötung des Ge¬
sichts voraus, welche einige Minuten anhielt. Den Mitteilungen der
Personen, welche die Anfälle zu beobachten Gelegenheit hatten,;
konnte man entnehmen, dass im Beginn des Anfalls gewöhnlich vor¬
übergehende, kurzdauernde tonische Krämpfe auftraten, welche
manchmal vom rechten Arme und von der rechten Gesichtshälfte
auszugehen schienen und sich im weiteren auf den ganzen Körper
ausbreiteten. Nach 1—2 Minuten lösten allgemeine klonische
Krämpfe die tonischen ab. Die gesamte Dauer der Krämpfe beider
Art übertraf nie die Dauer von 5—7 Minuten. Unwillkürlicher Harn¬
abgang während der Anfälle wurde kein einziges Mal beobachtet.
Einmal wurde ein Zungenbiss während eines Anfalles festgestellt.
Vielfach kam während der Anfälle Schaum vor den Mund und man
bekam Laute zu hören, die an Rasseln erinnerten. Nach dem Auf¬
hören der Krämpfe wurde gewöhnlich eine kurzdauernde Bewusst-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1551
14. Juli 1914.
seinstrübung beobachtet; während derselben führte der Kranke
manchmal verschiedene Handlungen aus, so zupfte er z. B. an seiner
Decke usw. Danach verfiel der Kranke in einen tiefen Schlaf, der
jedesmal nicht unter 2 Stunden dauerte. Nach dem Erwachen emp¬
fand der Kranke gewöhnlich Kopfschmerzen und ein allgemeines
Schwächegefühl. Anfälle dieser Art traten in der ersten Zeit 2 — 3 mal
in der Woche, seltener einmal wöchentlich ein.
Seit Ende 1911 wiederholten sich die Anfälle täglich, meistens
einigcmale an einem Tag.
Die bei der Aufnahme des Patienten in die Klinik ausgeführte
objektive Untersuchung seines Nervensystems ergab keine be¬
sonderen Abweichungen von der Norm, ausser eines Nystagmus bei
Seitenbewegungen des Augapfels. Wie aus der Kurve Nr. 1 zu er¬
Reihe von Kranken mit Impfungen behandelt. Anfangs No¬
vember wurden Impfungen an 9 Patienten vorgenommen.
Diesmal wurde eine dreiwöchentliche Impfungskur durch¬
gemacht. Von diesen 9 Kranken verliessen 2 die Klinik nach
dem Schlüsse der Kur und es fehlen alle Auskünfte über ihr
Schicksal. Von den übrigen 7 Kranken bekommt einer seine
Anfälle nur einmal während 2 — 3 Monaten, so dass man bis
jetzt die Wirkung der Behandlung noch nicht beurteilen kann.
Was das Ergebnis der übrigen 6 Fälle betrifft, so haben wir
folgendes feststellen können: In der Hälfte der Fälle, d. h.
bei 3 Kranken, übten die Impfungen eine starke Wirkung im
1912
n
1913
ta
17
YI
sehen ist, traten die geschilderten Anfälle während des Aufenthaltes
des Patienten in der Klinik meistens täglich 2 — 3 mal auf; manchmal
wurden an einem Tage 4, 5, ja sogar 6 Anfälle beobachtet. Unter
dem Einfluss einer Brombehandlung wurden die Anfälle etwas sel¬
tener entsprechend der Menge der angewandten Bromdosis. Aber
auch bei einer intensiven Brombehandlung ging die Frequenz der
Anfälle nicht unter 4 — 6 wöchentlich herunter.
Im Zeitraum vom 20. März bis zum 4. April 1913 wurden dem
Kranken 16 Einspritzungen einer Rückenmarksemulsion von einem
normalen Kaninchen gemacht. Sowohl während der Injektionszeit als
auch während der darauffolgenden 3 Wochen ging die Frequenz der
Anfälle nicht herunter. Man konnte im Gegenteil während der letzten
Woche der Injektionszeit eine Steigerung der Anfallsfrequenz fest¬
stellen, was wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Unterbrechung
der Brombehandlung beim Beginn der Injektionen stand. Am 21. Tage
nach der Unterbrechung der Einspritzungen der Rückenmarksemulsion
eines normalen Kaninchens wurden dem Patienten während 15 Tagen
täglich Einspritzungen der Rückenmarksemulsion eines mit ge¬
schwächtem Lyssavirus infizierten Kaninchens gemacht, so wie es
gewöhnlich bei der Behandlung mit Schutzimpfungen nach Pasteur
geschieht. Während der Behandlung behielten die Anfälle ungefähr
dieselbe Frequenz wie früher. Während der ersten Woche nach dem
Schlüsse der Behandlung wurde eine gewisse Steigerung der Fre¬
quenz der Anfälle beobachtet, dann blieben die Anfälle während
11 Tagen vollständig aus. Nach diesem 11 tägigen Intervall folgte
eine Woche, wo der Kranke 7 Anfälle hatte (während dieser Zeit
hatte er Zahnschmerzen). Vom 9. Juni 1913 ab bis heute,
d. h. während 814 Monaten, hatte der Patient keinen
einzigen Anfall.
Die Kurve 1 erlaubt uns den Einfluss des Broms mit demjenigen
der Impfungen auf den Verlauf der Anfälle bei unserem Kranken
übersichtlich zu vergleichen. Das Brom übte zweifellos eine redu¬
zierende Wirkung, obwohl im sehr beschränkten Masse, auf die An¬
fälle aus. Diese Wirkung trat sofort, d. h. am selben oder am folgen¬
den Tage ein und schwankte sofort in der einen oder der anderen
Richtung, sobald die Bromdosis geändert wurde. Ein ganz anderes
Bild beobachten wir bei der Anwendung der Impfungen. Während
der 15 Injektionstage bleibt die Frequenz der Anfälle fast unge-
ändert; nach dem Schlüsse der Impfungen beobachten wir eine
vorübergehende Zunahme der Anfallsfrequenz (während
8 Tagen), dann bleiben die Anfälle für 10 Tage vollständig
aus, — jetzt folgt während 8 Tagen ein neuer Ausbruch der
Anfälle, wonach dieselben vollständig schwinden.
Die Wirkung der Impfungen war also von der¬
jenigen des Broms in bezug sowohl auf die Quantität
als auch auf die Qualität verschieden. Was den quali¬
tativen Unterschied betrifft, so liegt hier die charakte¬
ristische Eigentümlichkeit vor, dass die Wirkung der
Impfungen sich nicht sofort äussert. Dieser Aeusse-
rung der Wirkung gehen folgende Stadien voraus:
1. eine Latenzperiode, während welcher man keine
Aenderung der Frequenz der Anfälle feststellen kann
und 2. eine (sich zweimal wiederholende) Periode
einer Steigerung der Anfällefrequenz. Nur nach dieser Häu¬
fung der Anfälle schwinden dieselben.
Bei Eröffnung der Klinik im Herbst 1913 wurde eine neue
Sinne einer Abnahme der Fre¬
quenz der Anfälle aus; im 4. Falle
wurde eine solche Wirkung auch,
aber nur vorübergehend be¬
obachtet: Die Beobachtungszeit
fiel bei dieser Patientin mit dem
Beginne einer Schwangerschaft
zusammen, die, wie bekannt, die
epileptischen Anfälle meistens un¬
günstig beeinflusst. Schliesslich
übten die Impfungen in den 2 übri¬
gen Fällen keinen Einfluss auf den
Verlauf der Anfälle aus. In einem
von diesen Fällen existierten die
Anfälle schon während 13 Jahren,
traten meistens täglich auf und wurden von einer aus¬
gesprochenen Demenz begleitet. Der zweite Fall gehört zu
denjenigen, wo die Differentialdiagnose zwischen Epilepsie
und Hysterie auf ausserordentlche Schwierigkeiten stösst und
wo deshalb die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass wir
es hier mit Hysterie zu tun gehabt haben.
Wir wollen hier die Haupttatsachen anführen, welche die
3 Patienten betreffen, bei denen die Frequenz der Anfälle nach
den Impfungen stark abgenommen hat.
Fall III. Frau E. L„ 27 Jahre alt, ist 5 Jahre verheiratet. Vor
8 Jahren traten bei der Pat., die bis dahin gesund gewesen war,
Krampfanfälle auf, welche von Bewusstseinsverlust nicht begleitet
wurden. Nach 4 Jahren, d. h. im zweiten Jahre nach der Heirat,
traten Anfälle auf, die sich in Bewusstlosigkeit, Hinstürzen mit Schrei
und in allgemeinen Krämpfen äusserten. Beim Hinstürzen verletzte
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Kurve 2.
sich die Kranke oft. Während der Anfälle wurde gewöhnlich un¬
willkürlicher Harnabgang und selten Zungenbiss beobachtet. Anfälle
dieser Art traten am Tage meistens am Morgen auf und wieder¬
holten sich in der letzten Zeit zweimal und noch öfter an einem
Tage.
Die Kurve Nr. 2 gibt -die Häufigkeit der von der Patientin täglich
registrierten Anfälle während April, Mai und Juni 1913 wieder.
j Während der folgenden Monate, die der Behandlung unmittelbar
vorausgegangen sind, führte die Pat. keine systematische Registration
der Anfälle, behauptet aber, dass die Frequenz der Anfälle ungefähr
I auf demselben Niveau geblieben ist.
1913
21
M
1919
I
Kurve 3.
1552
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
1913
Vom 12. November bis zum 3. Dezember 1913 wurden der Pa¬
tientin 22 Einspritzungen des geschwächten Lyssavirus gemacht. Wie
die Kurve Nr. 3 zeigt, treten die Anfälle bei der Kranken wahrend
der ersten 13 Tage täglich auf, wie es auch in der der
Behandlung vorausgehenden Zeit der Fall gewesen ist. Vom
14. Tage ab blieben die Anfälle während 11 Tagen aus, um
dann während 4 Tagen wie früher aufzutreten, dann blieben
dieselben wieder während 18 Tagen aus. Nach diesem Zeit¬
raum folgten wieder 3 Tage mit Anfällen; dann kam ein
28 tägiges anfallfreies Intervall, das wieder von einem
neuen Ausbruch der Anfälle abgelöst wurde, wobei letzterer ^
wieder 3 Tage dauerte. Seither bleiben die Anfälle bis | *
heute, d. h. während 25 Tagen, aus.
trachtung dieser Kurve beweist, dass die Anfälle jedesmal gehäuft
während der Menstruation oder kurz vor derselben auftreten. Vom
12 XI 13 bis zum 3. XII. 13 wurde eine Impfkur durchgefuhrt. Zur
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vorzuheben, dass der Patient mit 3 Jahren aus dem
zweiten Stockwerk heruntergestürzt ist. Keine besonderen
Krankheiten in der Anamnese: Pat. weist nur darauf hin,
dass er manchmal an Kopfschmerzen gelitten hat. Der erste Anfall
ereignete sich im Alter von 12 Jahren. Die Anfälle beginnen
meistens mit einer Schwindelempfindung, während welcher es dem
Pat. manchmal gelingt, das Bett zu erreichen und sich niederzulegen;
manchmal aber ist der Schwindel so kurzdauernd, dass der Kranke
auf den Boden fällt. Gleichzeitig mit der Bewusstlosigkeit treten
Krämpfe ein, die nach der Schilderung der Verwandten zuerst einen
tonischen und dann einen klonischen Charakter haben. Die Krämpfe
dauern einige Minuten und werden dann von einem Schlafzustand
gefolgt, welcher jedesmal ca. 2 Stunden dauert (während des Auf¬
enthaltes des Kranken in der Klinik wurde ein Anfall von Frau
Dr. Drabkin beobachtet; der Verlauf des Anfalles entsprach dem¬
jenigen eines typischen epileptischen; im Speziellen fehlte die Licht¬
reaktion der Pupillen). In der ersten Zeit wiederholten sich die
Anfälle einmal monatlich, während der letzten 1)4—2 Jahre treten
dieselben durchschnittlich 1—2 mal wöchentlich auf.
Kurve 5.
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Kurve 4.
Zeit der Menstruation, die während der Behandlung eintrat, wurde
bei der Kranken der gewöhnliche Ausbruch der Anfälle beobachtet.
Während der nächsten Menstruation, die nach Beendigung der Impf¬
kur eintrat (vom 25. bis 31. XII. 13) kam wieder ein Ausbruch der
Anfälle, dieselben waren sogar häufiger als gewöhnlich. Die folgende
Menstruation aber — im Januar — verlief anfallfrei. Die Pat. be¬
hauptet, das sei zum ersten Male während der 7 Jahre, wo die An- I
fälle existieren, zu beobachten. Auch die Menstruation im Februar ;
war von keinen Anfällen begleitet.
So gestalten sich die Tatsachen, auf welche ich in dieser ;
meiner Mitteilung aufmerksam machen wolllte. Das angeführte
Beobachtungsmaterial lässt erkennen, dass es sich hier um j
ein therapeutisches Agens handelt, welches auf den Verlauf :
der Anfälle bei Epileptikern eine sehr starke Wirkung aus- ;
zuüben imstande ist. Diese Wirkung wurde in mehr als in der
Hälfte der Fälle beobachtet, welche bis |
jetzt verfolgt werden konnten. Auf Grund
der Beobachtungen kann man sagen, dass
dieses Agens eine viel mächtigere Wir-;
kung als die Bromsalze, welche wir ge- i
wohnlich zur Epilepsiebehandlung anwen¬
den, entfalten kann. Indem sich die Imp¬
fungen von Brom der Kraft ihrer Wirkung :
nach unterscheiden, haben dieselben auch
eine andere Wirkungsart. Die Beein¬
flussung tritt nämlich nicht sofort ein —
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Die Kurve 4 lässt den Verlauf der Anfälle beim Kranken wäh¬
rend der letzten 5 Monate, die der Impfbehandlung vorausgegangen
sind, verfolgen. Es ist aus der Kurve zu ersehen, dass im Juli 1913
die Zahl der Anfälle 8, im August 7, im September 11. im Oktober 6,
im November 8 betragen hat. Vom 8. XII. bis zum 14. XII. wurden
dem Patienten 7 Impfungen gemacht, d. h. es wurde eine dreimal
kleinere Virusmenge als den übrigen Kranken derselben Versuchsreihe
eingeführt. Am 5. Tage der Kur bekam der Kranke 3 Anfälle und
nach der Unterbrechung der Behandlung einen Anfall. Vom 18. XII 13
bis zum 25. I. 14, d. h. während 39 Tagen, traten keine Anfälle
auf. Nach dieser Periode folgte ein Ausbruch von 2 Anfällen, wel¬
cher wieder von einem 21 tägigen anfallfreien Intervall abgelöst
wurde. Vom 6. bis zum 20. II. 14 wurden dem Pat. noch 15 Impfungen
gemacht. Am 12. Tage dieser zweiten Kur trat beim Pat. wieder
ein Ausbruch von Anfällen ein, der 5 Tage dauerte.
Fall V. Frl. E. P., 25 Jahre alt. Die Eltern der Kranken sind
gestorben, woran, weiss Pat. nicht. Nerven- und Geisteskrankheiten
sowie Alkoholismus fehlen in der Familie. Von 17 Geschwistern
sind 11 im frühesten Kindesalter gestorben. Die lebenden Geschwister
der Pat. sind gesund. Pat. ist das jüngste Kind. Sie ist ausgetragen
geboren, die Geburt verlief normal; die Entwicklung im Kindesalter
ging regelmässig vor sich. Mit 14 Jahren überstand Pat. einen
Typhus, mit 20 eine Lungenentzündung. An Anfällen leidet die Kranke
vom 17. Jahre ab. Der erste Anfall ereignete sich nach einem
Schreck; im weiteren wiederholen sich die Anfälle ohne besonderen
äusseren Anlass, wobei dieselben immer während der Menstruation
eintreten; während der ersten Jahre wurden ausserdem Anfälle
auch ausserhalb dieses Zeitraumes beobachtet, in den einigen letzten
Jahren erscheinen dieselben ausschliesslich während der Menstruation
oder kurz vor Ausbruch derselben. Früher traten die Anfälle am
Tage auf, wobei die Kranke gewöhnlich das Bewusstsein verlor, hin-
stürzte und sich meistens verletzte. Die Anfälle bestanden aus allge¬
meinen Krämpfen; während derselben wurde nicht selten Zungenbiss
und unwillkürlicher Harnabgang beobachtet. Ungefähr vor 3 Jahren
wurden die Anfälle zu nächtlichen, wobei dieselben, wie oben er¬
wähnt, sich jedesmal zur Zeit der Menstruation wiederholten. Wäh¬
rend jeder Menstruation ereignen sich einige Anfälle — 3 und
darüber. Nach den Angaben der Kranken ging während der 7 Jahre,
wo sie an Anfällen leidet, keine einzige Menstruation anfallsfrei
vorbei. Die Kurve Nr. 5 zeigt den Verlauf der Anfälle bei der Kranken
während einiger, der Behandlung vorausgehenden, Monate. Die Be-
es wird zuerst eine gewisse Latenzperiode beobachtet;
dann kommt nach Beendigung der Kur, eine vorüber¬
gehende Zunahme der Frequenz der Anfälle und erst da¬
nach tritt eine Frequenzabnahme resp. ein Ausbleiben der An¬
fälle während eines mehr oder weniger langen Zeitraumes ein.
Ob es auf diese Weise möglich ist, eine vollständige Heilung
der Epilepsie zu erreichen, wie es bei der Patientin der Fall
war, deren Krankengeschichte zum Ausgangspunkt unserer
Beobachtungen wurde, ist vorderhand nicht zu entscheiden.
Der erste unter den von uns behandelten Kranken stützt bis-l
weilen unsere Hoffnungen in dieser Hinsicht.
Was den Mechanismus der Beeinflussung betrifft, welche
die Impfungen auf den Verlauf der Anfälle bei Epilepsie aus-l
üben, so sind in bezug darauf einstweilen selbstverständlich
nur mehr oder weniger ungewisse Annahmen möglich.
Als Material für die Entscheidung dieser Frage könnten
vielleicht zwei Umstände von Bedeutung sein.
Der erste Umstand besteht darin, dass während der letzten
Zeit sich immer mehr und mehr Tatsachen anhäufen, welche
auf die Existenz einer ganzen Reihe von Veränderungen im
Stoffwechsel bei der sogen, genuinen Epilepsie hinweisen]
Hierher gehören die Beobachtungen über die toxischen Eigen-;
schäften des Harns bei Epileptikern, über die Anhäufung vonj
Toxinen im Blute der Epileptiker. Untersuchungen über ver¬
mehrten Gehalt von antiproteolytischen Substanzen im Serum
der Epileptiker usw.
Der zweite Umstand, dem eine gewisse Bedeutung zu]
kommt, ist derjenige, dass wir hier mit der Wirkung eine;!
Agens zu tun haben, welches den Organismus vor der Ent¬
stehung von Hydrophobie schützt, einer Erkrankung, welche
meistens den Charakter einer Krampfform hat und demzufolge
eine gewisse klinische Aehnlichkcit mit der Epilepsie aufweistj
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1553
Aus der inneren Abteilung des Auguste Viktoria-Krankenhauses
vom Roten Kreuz Berlin-Weissensee
(Direktor: Dr. A. v. Domarus).
Zur Frage der Abwehrfermente.
Von A. v. Domarus und W. B a r s i e c k.
Trotz der grossen Zahl von Arbeiten, die das Verhalten
der Abderhalden sehen Abwehrfermente behandeln, ist
bis in die letzte Zeit die Frage, die den Kernpunkt der
Abderhalden sehen Lehre betrifft, unentschieden ge¬
blieben, ob nämlich die auf die parenterale Einverleibung von
verschiedenen Eiweisskörpern reaktiv auftretenden Fermente
tatsächlich die strenge Spezifität besitzen, die ihnen Abder¬
halden zuweist, und damit praktisch ein neues diagnostisches
Hilfsmittel von ausserordentlicher Feinheit und Sicherheit ge¬
wonnen ist, oder ob, wie die gegnerische Seite behauptet, die
von Abderhalden vertretene Spezifität nicht zu Recht be¬
stellt und die aus seiner Lehre abgeleiteten praktischen
Schlüsse irreführend sind.
Auch wir haben uns seit längerer Zeit mit der Frage der
Spezifität der Abwehrfermente eingehend beschäftigt. Die
Resultate dieser Untersuchungen sollen, soweit sie nicht später
zu publizierende Tierversuche betreffen, in folgendem wieder¬
gegeben werden.
Zunächst seien einige Erläuterungen über die von uns an¬
gewendete Methodik des Fermentnachweises mitgeteilt.
Es wurde in allen Einzelheiten der von Abderhalden ange¬
gebenen Originalmethode wörtlich gefolgt. Wenn im weiteren Ver¬
laufe der Untersuchungen gewisse noch zu besprechende Modi¬
fikationen und Ergänzungen in der Methodik vorgenommen wurden,
so geschah das nur, um die von Abderhalden aufgestellten
Fostulate noch strenger durchzuführen.
Was zunächst die Organe betrifft, die wir für die
Untersuchung benutzten, so handelte es sich, von einigen Tumoren
abgesehen, stets um Fälle, die bei uns im Krankenhaus sorgfältig
untersucht worden waren und uns demnach genau bekannt waren.
Obduktionsmaterial wurde nur unter besonderen Kautelen verwendet,
d. h. wenn wir in der Lage waren, die entsprechenden Organe sofort
nach dem Exitus zu entnehmen, und auch hier nur dann, wenn es
sich um Fälle handelte, die nicht intra vitam Krankheiten darboten,
die wie Sepsis etc. nach Abderhalden eine Kontraindikation
gegen die Verwendung der Organe darstellten. Eine grosse Reihe
von Organen, die von uns eingestellt wurden, waren Operations¬
material.
Was die Verwendung der Plazenten anlangt, von
denen 15 bei Versuchen eingestellt wurden, so handelte es
sich ausschliesslich um solche von Frauen, die bei uns im Kranken¬
haus geboren hatten. Das hatte einmal den Vorteil, dass wir die
Plazenten ganz frisch erhielten, und andererseits konnten wir uns
stets davon überzeugen, dass die Mutter gesund war. Ein besonderes
Augenmerk richteten wir auf etwaige pathologische Veränderungen
der Plazenten, die in derartigen Fällen von der Verarbeitung aus¬
geschlossen wurden. Wie auch C. Lange (Biochem. Zschr. 61.
H. 3 u. 4) jüngst betont, dürfen insbesondere luetische oder mit
Infarkten versehene Plazenten nicht verwendet werden. Wir suchten
uns durch Prüfung der eingebetteten und gefärbten Stücke aus ver¬
schiedenen Partien auch mikroskopisch von der normalen Beschaffen¬
heit der jeweilig verwendeten Plazenta zu überzeugen.
Auch bei den übrigen als Substrat verwendeten Organen unter¬
lassen wir es niemals, eine genaue mikroskopische Untersuchung der
Prüfung auf Abbau vorauszuschicken. In letzter Zeit nahmen wir
auch eine mikroskopische Untersuchung der gekochten und vom
Serum bebrüteten Organe vor, die in Paraffin eingebettet und ge¬
schnitten wurden. Es sollte dadurch vor allem festgestellt werden,
ob tatsächlich das entsprechende Gewebe und nicht etwa nur binde¬
gewebiges Stroma zur Bebrütung gekommen war.
Die Organe wurden streng nach Vorschrift blutfrei gemacht. Es
muss dabei betont werden, dass trotz grösstmöglichster Eile und
trotzdem wir mit mehreren Hilfskräften zugleich arbeiteten, es uns
nicht gelang, eine Plazenta vor Ablauf von 2Va Stunden blutfrei zu
machen. Bei anderen Organen dauerte es entsprechend länger. Wir
Pflegten dabei das Organ auf das Minutiöseste in kleine Teile zu zer¬
zupfen, wobei wir die Stücke, die uns nicht völlig einwandfrei er¬
schienen, selbstverständlich aus der weiteren Bearbeitung aus¬
schlossen. Wenn diese Methode auch zu einer relativ geringen Aus¬
beute führte, so war doch wenigstens das resultierende Material in
tadellosem Zustand. Das Auswaschen nahmen wir, wie A. vor¬
schreibt. in fliessendem Leitungswasser vor. C. Lange (1. c.) gibt
zwar den Rat, statt dessen physiologische Kochsalzlösung zu nehmen,
da bei Anwendung von Leitungswasser die Gefahr bestehe, dass durch
dieses aus den in der Plazenta enthaltenen Erythrozyten nur das
Hämoglobin ausgewaschen werde, während die Erythrozyten¬
stromata Zurückbleiben und event. beim Abbau der Plazenta fehler¬
hafte Resultate verursachen. Dazu können wir bemerken, dass bei
Nr. 28.
sorgfältiger Hämatoxylin-Eosinfärbung, die derartige Blutschatten
sehr wohl wenn auch schwach darzustellen vermag, auch in
Leitungswasserplazenten zurückgebliebene Blutschatten nicht nach¬
zuweisen waren. Wenn Lange andererseits behauptet, dass es
bedeutend schwieriger sei und längere Zeit erfordere, mit Kochsalz¬
lösung ein rein weisses Gewebe zu erhalten, so können wir dem nicht
beipflielitcn, und möchten dabei an Schlimperts Untersuchungen
(M.m.W. 1913 Nr. 13) erinnern, der die Organe mit physiologischer
Kochsalzlösung wusch, weil es mit dem Freiburger Leitungswasser,
das mit dem Härtegrad 2 fast destilliertem Wasser glich, nicht
gelang, Plazenten rein weiss zu waschen.
Die fertigen Substrate wurden vorschriftsmässig gekocht und
hierauf unter Chloroform und grossen Mengen Toluol im Eisschrank
aufbewahrt, so dass bakterielle Zersetzungen auszuschliessen waren.
Vor der Verwendung wurde das Organ geprüft, indem eine
grosse Menge desselben in destilliertem Wasser gegen destilliertes
Wasser dialysiert wurde. Selbstverständlich wurde mit jedem bei
einem Versuche zur Verwendung gelangenden Organ noch unmittel¬
bar vor dem Ansetzen des Versuchs eine letzte Kochprobe vor¬
genommen. Es hat nun weiter Abderhalden neuerdings (Ab¬
wehrfermente 3. Aufl.) die Forderung aufgestellt, man dürfe keine
Plazenta in den Versuch einstellen, die vom Serum eines Karzinom¬
trägers abgebaut werde. Wir haben in allen unseren Versuchen
neben anderen Organen regelmässig auch Plazenta eingestellt, und
ein grosser Teil unserer Plazenten wurde von einer Reihe von
Karzinomseren nicht abgebaut. Im Prinzip müssen wir aber die Be¬
rechtigung dieser Abderhalden sehen Forderung ablehnen.
Ausser den Organen kommen vor allem die D i a 1 y s i e r -
h ü 1 s e n als Quelle von Irrtümern in Betracht. Bei sorgfältiger
Prüfung der Hülsen ergab sich, dass von den uns von der Firma
S c h ö p s in Halle gelieferten Hülsen ca. 25 Proz. unbrauchbar waren.
Meist waren sie für Eiweiss durchlässig. Nachdem wir anfangs als
Eiweissreagens nach Abderhaldens Angabe die Biuretreaktion
angewandt hatten, gingen wir später dazu über, die sehr viel deut¬
lichere Probe mit 30 proz. Sulfosalizylsäure anzuwenden. Auch be¬
züglich der Prüfung auf Durchlässigkeit für Pepton wichen wir von
der Abderhalden sehen Vorschrift insofern ab, als wir statt einer
1 proz. Seidenpeptonlösung eine 0,2 proz. Lösung verwendeten. Das
hatte den Vorteil, dass die Ninhydrinreaktion bei dieser Konzentration
eine mattblaue Farbe zeigte, die in ihren Abstufungen viel leichter
zu vergleichen war. Es wurden nur Hülsen verwendet, die eine
gleichmässige Peptondurchlässigkeit zeigten. Hülsen, die Pepton
auffallend stark dialysieren Hessen, wurden verworfen. Ein be¬
sonderer Wert wurde auf eine regelmässige Kontrolle der Hülsen
gelegt. Wir verwenden zurzeit etwa 100 Hülsen, die nach 4— 5 maliger
Benutzung von neuem geprüft werden. Jede einzelne ist numeriert
und es wird bei jeder Untersuchung die Hülsennummer ins Protokoll
eingetragen. Bei jedem Resultate, das in irgendeiner Richtung auf¬
fallend war, wurde die Hülse sofort geprüft, um im Falle eines Hülsen¬
fehlers das Resultat aus dem Protokoll zu streichen. Uebrigens kamen
Hülsenfehler, da die Hülsen sehr sorgfältig geprüft wurden, nur selten
in Betracht.
Die Ninhydrinprobe wurde genau nach Abderhaldens
Vorschrift angestellt. Die anfangs von uns benutzten hölzernen
Siedestäbe waren wenig geeignet, da sie etwas Farbstoff abgaben
und dadurch der Ninhydrinprobe eine störende Farbnuance verliehen.
Wir versuchten daher als Siedestäbe Glasröhrchen, die an beiden
Enden zugeschmolzen waren. Als Nachteil dieser Aenderung aber
stellte sich bald heraus, dass die Reagenzgläser beim Kochen fort¬
während zersprangen, so dass wir später wieder zu den Holzstäbchen
zurückkehrten und nur darauf achteten, dass wir nur rein weisse Stäbe
verwendeten. Um eine grössere Serie von Ninhydrinproben gut mit¬
einander vergleichen zu können, konstruierten wir ein Reagenzglas¬
gestell für 8 Proben mit einem weissen Schirm als Hinterfläche
(Ninhydrinprobenvergleicher, Firma Lauten Schläger). Die bei
auffallendem Licht betrachtete Serie lässt bei dieser Anordnung mit
Sicherheit noch Unterschiede in der Färbung erkennen, die sonst nur
schwer wahrnehmbar sind.
Auch bei der Gewinnung des Serums hielten wir uns streng an
die Vorschriften Abderhaldens. Das Blut wurde stets nur in
nüchternem Zustand entnommen, blieb bei Zimmertemperatur in
sterilen Gefässen und wurde der spontanen Gerinnung und Serum-
abscheidung überlassen. Es wurde vermieden, den Blutkuchen zu
umstechen. Spektroskopisch wurde die Abwesenheit von Blutfarb¬
stoff festgestellt.
Die Versuchsanordnung wurde jedesmal in der Weise
durchgeführt, dass stets mit drei Seren auf einmal gearbeitet wurde.
Das erste Serum stammte von einem klinisch gesunden Fall, das
zweite von einer sicheren Gravidität und als drittes Serum diente
eines, das auf Abbau von Karzinom, Leber, Niere und anderen Organen
geprüft werden sollte. Der ganze Versuch wurde jedesmal doppelt
angesetzt, eine Vorsichtsmassregel, die wir von Anfang an durch¬
führten und die von 0 eil er und Stephan mit Recht gefordert
wird. Sie ist vor allem deshalb nicht zu entbehren, weil sie vor
Täuschungen durch Zufallsresultate, besonders Hülsenfehler schützt.
Eine weitere Kontrollmassnahme, die uns auf Grund unserer Er¬
fahrungen unentbehrlich dünkt, ist die gleichzeitige Durchführung des
Versuches mit inaktiviertem Serum. Dies ist unseres Erachtens
nicht so eine Kontrolle des Serums auf den Gehalt an proteolytischen
2
1554
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2Ü
Fermenten als vielmehr eine Prüfung der Organe, ob sie mit Nin-
hydrin reagierende Stoffe abgeben. , , .
Was endlich die Kontrolle des Serums betriftt, so wurde bei
jedem Versuch Serum allein angesetzt, um seine einwandfreie Be¬
schaffenheit sicherzustellen. Die Inaktivierung des Serums geschah
in den hier mitgeteilten Versuchen stets durch Erhitzen im Wasser¬
bade auf 58°. wobei wir die Beobachtung machten, dass die Dauer
der Erwärmung von grosser Bedeutung ist. \\ ährend die Zeit von
30 Minuten nicht immer zur völligen Inaktivierung ausreicht, war
die Dauer von einer Stunde in allen Fällen genügend. Ueber zahl¬
reiche Versuche, die wir anstellten, um auf anderen physikalischen
Wegen eine Inaktivierung des Serums herbeizuführen, soll, da sie
noch nicht abgeschlossen sind, später berichtet werden. Um Miss¬
verständnissen vorzubeugen, sei noch auf folgenden Punkt ausdrück¬
lich hingewiesen. Wenn in einem Versuch die Bebrütung des Or¬
ganes mit nativem Serum ein positives Resultat, mit inaktivem Serum
dagegen ein negatives Resultat ergibt, so ist damit noch nicht ohne
weiteres Organabbau erwiesen. Es ist nämlich neben dem Unwirk¬
samwerden der Fermente noch eine andere Möglichkeit in Betracht
zu ziehen, auf die auch Abderhalden hinweist. Es wäre der
Fall denkbar, dass durch eine physikalische Zustandsänderung des
Serums infolge der Inaktivierung Ninhydrinstoffe vom Serum zurück¬
gehalten werden. Wenn nun z. B. ein Organ an und für sich schon
mit Ninhydrin reagierende Stoffe abgibt, aber in so geringer Menge,
dass mc für sich allein keine positive Reaktion zu erzeugen vermögen
und nun zu diesem Organ ein Serum hinzukommt, das ebenfalls in
geringer Menge Ninhydrinstoffe enthält, so könnte durch Summierung
beider eine positive Reaktion entstehen, ohne dass man sie auf fer-
mentative Wirkungen beziehen darf. Um auch dieser Fehlerquelle
aus dem Weg zu gehen, wendeten wir in der letzten Zeit die „Sum¬
mationskontrolle“ (Frank, Rosenthal und B i b e r s t e i n in
der Weise an, dass wir zwei Hülsen in einen Becher stellten,
von denen die eine Serum, die andere Substrat + physiologische
Kochsalzlösung enthielt, ln den Fällen, wo genügend Serum zur
Verfügung stand, wurden die Substrate doppelt angesetzt.
Schliesslich sei noch bemerkt, dass die Untersuchungen sämtlich
in einem Raum stattfanden, der ausschliesslich serologischen Arbeiten
dient, dass ferner bezüglich aller Utensilien, wie Pipetten usw. streng
steril gearbeitet wurde, ebenso wie wir die Hülsen stets nur mit
Pinzetten anfassten.
Das von uns untersuchte Material umfasst im ganzen
170 Fälle. Davon entfallen 66 auf sichere Graviditäten, 72 auf
normale bzw. leichtkranke Fälle (nicht gravide, nicht karzinom¬
kranke, nicht fiebernde) und 23 auf maligne Tumoren. Der
Rest betrifft verschiedenartige Erkrankungen.
Was die G r a v i d i t ä t anlangt, mit der wir unsere Unter¬
suchungen begannen, so ist zunächst hervorzuheben, dass wir
in der grossen Mehrzahl starken Plazentaabbau fanden. In
4 von 66 Fällen fehlte dagegen der Plazentaabbau vollständig,
auch bei mehrfacher Untersuchung, und zwar betraf das sichere
Graviditäten, einmal im 3. Monat (Protok. Nr. 107), 2 mal im
4 (Nr. 97 und 104) und einmal im 5. Monat (Nr. 86). In 5 Fällen
war der Abbau der Plazenta äusserst schwach [1 Fall im
3 Monat (Nr. 113), 1 Fall im 4. Monat (Nr, 83), 2 Fälle im
5! Monat (Nr. 77 und Nr. 165) und 1 Fall im 7. Monat (Nr. 156)J.
Der Abbau anderer Organe durch Schwangerschaftserum ver¬
hielt sich verschieden. Oft wurde Leber abgebaut, ohne das^
Zeichen einer Leberaffektion bestanden, ferner Niere, Magen¬
karzinom, Mammakarzinom, Schilddrüse, Grosshirn und Pan¬
kreas. Es sei noch bemerkt, dass in den vier genannten Fällen
von Gravidität, bei denen kein Plazentaabbau stattfand, auch
andere Substrate keine positive Reaktion gaben,
Bei den Tumoren (23 Fälle) war der Ausfall der Reaktion
recht verschieden im Hinblick auf die Uebereinstimmung zwi¬
schen klinischem Befund und Verhalten der Abwehrfermente.
Zunächst bestand in zahlreichen Fällen gleichzeitig Abbau
mehrerer Organe, darunter oft auch von Plazenta und zwar
bei Männern sowohl wie bei Frauen. In einer Reihe von
Fällen wurden Organe abgebaut, die wie die Autopsie bzw.
Operation später ergab, weder durch Metastasen noch durch
andere Veränderungen an der Krankheit beteiligt waren.
Besonders häufig wurde ausser Plazenta auch Leber von den
Tumorträgern abgebaut. Bei mehreren Fällen von Magenkarzinom
wurde letzteres stark abgebaut (Protok. Nr. 15, 18). Andererseits
wurde in einem Fall, bei dem es sich um einen Skirrhus der Brust-
drüse handelte (Protok. Nr. 45), besonders stark Magenkarzinom,
hingegen Mammakarzinom nur schwach abgeabut. In einem anderen
Fall wo der Verdacht auf Magenkarzinom mit Lebermetastasen be-
stand (Nr 55), wurde Abbau von Magenkarzinom, Leber und Pan¬
kreas beobachtet; die Laparotomie ergab das Fehlen eines malignen
Prozesses und das Bestehen eines Gallenblasenhydrops sowie Leber¬
zirrhose Eine Frau mit Zervixkarzinom (Nr. 37) baute stark Magen¬
karzinom und Plazenta ab. Eine Frau mit Uteruskarzinom (Nr. 138)
baute ebenfalls Magenkarzinom und Plazenta ab.
Auf der anderen Seite seien folgende Fälle erwähnt:
Eine Frau (Nr. 124) zeigt Verdacht auf Magenkarzinom; die
Operation erweist die Diagnose als irrtümlich und ergibt lediglich
Adhäsionen als Ursache der Beschwerden; hier hatte die Abderhalden¬
reaktion wiederholt keinen Abbau von Magenkarzinom und einen
schwachen Plazentaabbau ergeben. Aehnlich verhielt sich ein anderer
Fall bei einem Manne (Nr. 89). bei dem die Fehldiagnose Magen¬
karzinom gestellt wurde, während es sich um eine Gastritis anacida
handelte, auch dieser hatte bei mehrfacher Untersuchung Magen¬
karzinom nicht abgebaut. . . ^ Q „ ollt
Bei den Untersuchungen anderer Krankheiten aut
Abbau verschiedener Substrate erhielten wir Resultate, die sich
zum Teil recht widerspruchsvoll verhielten. Es seien hier nur
einige Beispiele genannt.
Ein junges Mädchen rrfit einem Panaritium (Nr. 10), das ohne
Komplikation ausheilte, baut Plazenta und Grosshirn und in Keriase-
r ein Grade Niere und Magenkarzinom ab. Ein ball von Scharlach¬
nephritis (Nr 39) baut Plazenta, Grosshirn und Magenkarzinom
ab Eine Frau mit Nephritis und Urämie (Nr. 48) zeigt ausser
Abbau von Niere auch Plazentaabbau ohne bestehende Gravidität.
Ein Mann mit Schrumpfniere (Nr. 92) baut zwar Niere ab, 111
stärkerem Masse aber auch Plazenta. Eine mcht gravide
Patientin mit Gonorrhöe (Nr. 95) baut sowohl Plazenta als Leber
ab Eine fiebernde nicht gravide Parametritis (Nr. 155 baut
ebenfalls Plazenta ab. Ein Fall mit einem verkalkten^ Ovarialkystom
baut als einziges Organ Grosshirn ab. Ein Mann mit Gastritis anacida
(Nr. 71) baut Pankreas ab. Ein Patient mit chronischem A koholis-
mus (Nr. 79) baut neben Leber und Niere auch Plazenta ab. Eine
nicht gravide Frau mit Enteroptose (Nr. 85) baut Plazenta, Leber
und Magenkarzinom ab.
Demgegenüber stehen auf der anderen Seite Falle, wo
das Verhalten der Abwehrfermente mit der klinischen Diagnose
übereinstimmt. Dies mögen folgende Beispiele zeigen.
Zwei Fälle von genuiner Epilepsie, von denen der eine, eine Frau
(Nr. 44), ausschliesslich Grosshirn, der andere, ein Mann (Nr. 72),
Grosshirn (und allerdings auch Plazenta) abbaut. Ein Mann mit
Nephritis und Leberschwellung (Nr. 109) baut ausschliesslich Niere
und Leber ab. Ein Alkoholiker (Nr. 112) mit Säuferleber baut nur
Leber ab, desgleichen ein anderer Patient (Nr. 123) mit Ikterus (Lues).
In diesem Zusammenhang wären noch zwei Gravide zu nennen,
die eine starke Aldehydreaktion im Harn zeigten und ausser Plazenta
auch Leber stark abbauten.
iT^KarKünP ühpr rlip hipr wieder gegebenen Resultate
lässt folgendes erkennen: .
Hält man sich zunächst an die rein praktische Frage,
inwieweit das A b d e r h a 1 d e n sehe Verfahren in den von
uns herangezogenen Fällen geeignet war, die klinische Dia¬
gnose zu bestätigen, so kann man nicht der Auffassung bei¬
stimmen, dass eine für die praktische Diagnostik auch nur ent¬
fernt ausreichende Uebereinstimmung zwischen der Abder¬
halden sehen Reaktion und dem objektiven Befund bei
unseren Untersuchungen zu konstatieren war.
Wenn schon die Resultate bei vorhandener Gravidität mit
starkem Abbau von Plazenta relativ am günstigsten liegen,
und dennoch bereits auf 66 Fälle 4 Versager fallen, so be¬
kommt die Bewertung des Abaues der Plazenta ein wesent¬
lich ungünstigeres Aussehen, wenn man den überaus häufigen
Abbau dieses Organs bei Tumoren und anderen Affektionen
berücksichtigt. Wollte man in diesen zahlreichen Fällen aller
möglichen Erkrankungen das Verhalten der Abwehrfermente
der Diagnose zugrunde legen, so käme ein recht bizzares Bild
zustande, von dem Abbau der Plazenta durch männliches
Serum ganz abgesehen.
Als Erklärung für die widersprechenden Ergebnisse
unserer Untersuchungen lassen sich a priori zwei Annahmen
machen. Einmal könnte es sich um Fehler in der angewandten
Methode handeln, die an der theoretischen Richtigkeit der
Abderhalden sehen Hypothese nichts ändern würden; auf
der anderen Seite kommt die Möglichkeit in Betracht, dass die
von A b d e r h a 1 d e n aufgestellte Lehre von der strengen Spe- >
zifität der Abwehrfermente nicht oder wenigstens nicht in dem ;
Umfange, wie Abderhalden behauptet, zu Recht besteht.
Was zunächst die Methodik betrifft, die wir anwendeten, >;
so haben wir in dem methodischen Abschnitt dieser Arbeit ge¬
zeigt, dass wir nicht nur die Abderhalden sehen Vor¬
schriften auf das genaueste befolgten, sondern noch darüber
hinaus gewisse Kautelen durchzuführen pflegten, um uns gegen
alle nur denkbaren Fehlerquellen zu sichern. Wir sind übrigens
damit beschäftigt, mit Hilfe anderer von dem Dialysierver-
fahren unabhängiger Methoden unsere Untersuchungen über
das Verhalten der Abwehrfermente fortzuführen.
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Es war nun nach unseren Ergebnissen naheliegend, der
Frage nachzugehen, ob sich nicht auf anderem Wege Beweise
dafür erbringen lassen, das den proteolytischen Fermenten,
die man unter den verschiedensten Umständen im Serum
findet, nicht d i e strenge Spezifität innewohnt, die Abder¬
halden in allen seinen Arbeiten mit Nachdruck betont.
Die Abwehrfermente sollen bekanntlich nach Abder¬
halden Reaktionsprodukte auf das Eindringen plasmafremder
Stoffe ins Blut sein. Mit anderen Worten, damit Abwehr¬
fermente auftreten, muss eine Einverleibung blutfremder Stoffe
vorausgegangen sein. Ist diese Voraussetzung richtig, so
dürfen im Blutserum nicht von vornherein Fermente nachweis¬
bar sein, die bereits „bluteigene“ Körper abzubauen vermögen.
Steht man also auf dem Boden der Abderhalden sehen
Lehre, so muss man erwarten, dass das Blutserum art¬
eigene Serumeiweisskörper nicht abzubauen vermag, wofern
nicht vorher parenteral dem Organismus Serum einverleibt
worden ist. Diese Ueberlegung bildet bekanntlich einen der
Grundpfeiler der Arbeiten Abderhaldens und seiner
Schüler.
Wir haben uns nun die Aufgabe gestellt, zu untersuchen,
ob tatsächlich niemals ein derartiger Abbau von Serum in
Fällen stattfindet, wo nicht vorher ein parenterale Zufuhr von
Plasma stattgefunden hat.
Wir koagulierten menschliches Serum durch langsames
Erhitzen zu einer gallertigen Masse und setzten davon 0,5 mit
1,5 Serum in einer Hülse zur Bebrütung in den Brütschrank.
Das koagulierte Serum stammte teils von demselben, teils von
anderen Fällen. Die Versuche wurden jedesmal doppelt und
ferner auch mit inaktiviertem Serum angesetzt. In der letzten
Zeit unterwarfen wir, entsprechend einem jüngst von Abder¬
halden gemachten Vorschlag, das Serum, das wir koagu¬
lierten, einer Vordialyse gegen physiologische NaCl-Lösung für
4 Stunden, um etwaige mit Ninhydrin reagierende Stoffe vorher
zu eliminieren.
DasResultatdieserVersuchewar, dasswir
unter 66 Seren 25 mal einen deutlichen Abbau
von Blutserum erhielten, wobei die parallel ange¬
setzten Versuche gleichsinnig ausfielen. Von den 25 positiven
Fällen entfallen 10 auf Graviditäten, 11 auf nichtgravide Fälle
und 4 auf Karzinome. Unter den nichtspaltenden Fällen be¬
fanden sich 8 Graviditäten. 3 andere Fälle, die ebenfalls dazu
dienen sollten, den Abbau von Serum zu beweisen, konnten
wir zur Entscheidung dieser Frage nicht verwerten, da die
Resultate in den Doppelversuchen widersprechend ausfielen.
Es sei noch bemerkt, dass die 10 Fälle von Gravidität, die
Serumabbau zeigten, sämtlich eine positive Abderhalden¬
reaktion mit Plazenta aufwiesen. Unter den übrigen serum¬
abbauenden Fällen fanden sich die verschiedensten Affektionen
mit gleichzeitigem Abbau verschiedener Organe, daneben auch
eine Reihe völlig normaler Individuen. Von den letzteren Hess
sich nur ein Fall finden, bei dem ausschliesslich Serum ab¬
gebaut wurde. Bei den übrigen normalen und pathologischen
Fällen mit Serumabbau wurde daneben stets auch noch Abbau
von Plazenta, zum Teil auch von anderen Organen beobachtet.
Irgend ein Parallelismus zwischen dem Vorhandensein von
Serumabbau und dem sonstigen Verhalten der Fälle konnte
bisher nicht festgestellt werden.
Die theoretische Bedeutung dieser Versuche liegt auf der
der Hand. Sie beweisen zur Evidenz, dass es in diesen Fällen
nicht erst der parenteralen Zufuhr von Serum bedarf, um das
Auftreten bestimmter, auf den Abbau von Blutserum einge¬
stellter Fermente hervorzurufen. Es geht weiter aus ihnen die
Tatsache hervor, dass in einer Reihe von Fällen der scheinbar
spezifische Charakter der proteolytischen Wirkung eines Serums
nicht nur dadurch eine Einschränkung erfährt, das dieselbe
sich auf mehrere verschiedene — aber doch stets plasmafremde
— Substrate erstreckt, sondern dass gleichzeitig auch plasma¬
eigne Stoffe in den Wirkungsbereich der „Abwehrfermente“
fallen.
Dieser Befund hat übrigens unseres Erachtens noch in
einer anderen Richtung Bedeutung. Es ist in letzter Zeit
darauf hingewiesen worden, dass Sera, die Abwehrfermente
enthalten, und die durch Hitze inaktiviert worden sind, sich
durch Zusatz von Normalserum reaktivieren lassen. Es wurde
daraus der Schluss gezogen, dass die Abwehrfermente nach
Art eines Ambozeptors komplexen Charakter besitzen. Uns
selbst fehlen bisher in dieser Hinsicht persönliche Erfahrungen,
um uns zu dieser Auffassung, die zweifellos viel für sich hat,
äussern zu können. Immerhin scheint es uns für die Ver¬
folgung dieser Fragestellung zur Vermeidung von Fehl¬
schlüssen von grösster Bedeutung, dass man bei derartigen
Untersuchungen der Tatsache Rechnung trägt (vor allem durch
richtige Wahl der Serummengen), dass ein Abbau von Serum
durch arteigenes Blutserum unter Bedingungen möglich ist,
wo eine vorherige parenterale Zufuhr von Serumeiweiss nicht
in Frage kommt.
Wenn wir am Schluss dieser Ausführungen unserer Auf¬
fassung darüber Ausdruck geben sollen, wie wir uns auf Grund
unserer eigenen Untersuchungen zur Frage der Abwehrfermente
stellen, so möchten wir in allererster Linie betonen, dass wir
es für verfrüht halten, schon jetzt die Frage der prak¬
tischen Brauchbarkeit des Verfahrens zu entscheiden, ge¬
schweige denn, es bereits als diagnostisches Hilfsmittel am
Krankenbett zu benutzen. Hierfür bedarf es noch eingehender
Untersuchungen nach den verschiedensten Richtungen, um zu¬
nächst einmal eine sichere Grundlage für unsere theoretischen
Kenntnisse über die Frage zu schaffen. Ob sich dann daraus
eine für praktische Zwecke mit genügender Sicherheit ar¬
beitende Methode ergibt, muss die Zukunft lehren.
Unsere eigene theoretische Auffassung, zu der uns unsere
Untersuchungen führten, möchten wir kurz folgendermassen
formulieren. Man braucht keineswegs die Spezifität gewisser
im Blute kreisender Fermente, die auf bestimmte Substrate ein¬
gestellt sind, prinzipiell in Abrede zu stellen — auch wir haben
oben über einige in diesem Sinne sprechende Beispiele berichtet
— und dennoch wäre die Möglichkeit denkbar, dass in vielen
Fällen der spezifische Charakter dieser Fermente nicht zutage
tritt, weil ihr Vorhandensein durch die gleichzeitige Gegenwart
anderer weniger spezifisch eingestellter Fermente maskiert
wird. Dass derartige unspezifisch wirkende Fermente neben
den spezifischen gewissermassen nebenher laufen, geht be¬
sonders deutlich aus unseren Versuchen über den Abbau von
Blutserum hervor. In diesem Zusammenhang sei übrigens
auch auf die jüngst publizierten Beobachtungen von S a x 1
(B.kl.W. 1914 Nr. 18), sowie auf das von uns häufig konstatierte
Vorhandensein peptidspaltender Fermente (Spaltung von
Glyzyltryptophan) im Serum von normalen und pathologischen
Fällen einschliesslich der Gravidität hingewiesen. Es scheint
uns demnach die Annahme am meisten für sich zu sprechen,
dass wir es bei den mit der bisherigen Methodik gewonnenen
Resultaten mit einer Summe verschiedenartiger Ferment¬
wirkungen zu tun haben, deren Komponenten in einer Reihe
von Fällen zum Teil spezifischen Charakter tragen. Wenn
nun in einem bestimmten Fall diese spezifischen Komponenten
dorhinieren, so fällt das Gesamtresultat im Abderhalden-
schen Sinne aus, während in anderen Fällen das spezifische
Resultat latent bleibt.
Würde diese Annahme den Tatsachen entsprechen, so
käme es darauf an, ein Verfahren ausfindig zu machen, das es
ermöglicht, die unspezifischen Fermente auf irgend einem
Wege zu eliminieren bzw. die spezifischen Elemente aus dem
Fermentgemisch zu isolieren.
Daneben möchten wir allerdings noch einen anderen
Gesichtspunkt zur Erklärung der widersprechenden Er¬
gebnisse aufstellen. Es ist uns im Verlauf unserer Unter¬
suchungen aufgefallen, dass von den verschiedenen von
uns in die Versuche eingestellten Organen die Pla¬
zenta dasjenige Substrat war, das am häufigsten einen Ab¬
bau zeigte. Diese Tatsache legt die Frage nahe, ob diese
Erscheinung nicht etwa weniger mit dem häufigen Auftreten
gewisser auf dies Substrat abgestimmter Fermente als viel¬
mehr mit einer eigenartigen augenblicklich noch nicht näher
zu definierenden physikalisch-chemischen Beschaffenheit dieses
Organs im Zusammenhang steht, so dass dasselbe gegenüber
verschiedenen proteolytischen Fermenten leichter angreifbar
ist und gewissermassen, um den vielgebrauchten Vergleich an¬
zuwenden, nicht so komplizierter Schlüssel bedarf, wie z. B,
Schilddrüse, Grosshirn usw., um aufgeschlossen zu werden.
2
1556
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Jena
(Direktor: Geheimrat Lexer).
Zur Magnesiumbehandllung des Tetanus.
Von Dr. Kurt Stromeyer, III. Assistent der Klinik.
Welch grosses Interesse der von Meitzer und Auer
in Amerika inaugurierten und von Kocher in Europa ein¬
geführten Magnesiumbehandlung des Tetanus entgegenge¬
bracht wird, geht aus den zahlreichen, in letzter Zeit publi¬
zierten Fällen und Sammelreferaten hervor.
Trotzdem ist die Zahl der mit Magnesium behandelten
Tetanusfälle, die bis jetzt mitgeteilt worden sind, so gering,
dass ein Urteil über den Wert oder den Unwert dieser Therapie
noch nicht gefällt werden kann. , „
Jede Mitteilung über Erfahrungen mit dieser Behandlungs¬
methode ist deshalb von Wert; das veranlasst uns, schon heute
mit unseren Beobachtungen hervorzutreten, obgleich wir nur
über 5 Fälle verfügen.
Zuerst die Krankengeschichten.
Fall 1. Handarbeiter K. H., 41 Jahre. N ,
Am 2. V. 13 Quetschung des 5. Fingers der linken Hand. Naht
durch den behandelnden Arzt.
8. V. Trismus, Nackensteifigkeit. ^ _
5 VI. Aufnahme in die Klinik. Befund: Iotale Starre der Ex¬
tremitäten- und Bauchmuskulatur, Trismus, Schluckbeschwerden,
Atmung 35, Puls 120, Temperatur 37,5. 20—25 Krampfanfalle pro
Minute. — Wundversorgung. , .
6. VI., 9 Uhr morgens: Lumbalpunktion. Auswaschung des
Subduralraumes mit physiologischer Kochsalzlösung, darauf Injektion
von 8 ccm 15proz. Magnesiumsulfatlösung.
9 Uhr 20 Min. Tiefer Schlaf, aus dem Patient durch Anruf zu
wecken ist. Anästhesie auf Kneifen mit chirurgischer Pinzette bis
zum Nabel herauf.
9 Uhr abends. Temperatur 40,5. Puls. 120, Atmung 26.
7 VI morgens 9 Uhr. Patient spricht spontan. Allgemein¬
befinden besser. Keine Krämpfe mehr. Muskelstarre erheblich zu¬
rückgeangen. Trismus unverändert. Temperatur 38, luls HO,
Atmung 26. Anästhesie bis zur Leiste herauf. Blauverfarbung am
Kreuzbein und an den Fersen. Sofort entsprechende Therapie.
Abends. Patient wird unruhig. Temperatur 40,5. Puls 100,
Atnumg'VL> morgens. Muskelstarre wird stärker. Keine Anästhesie
mehr. Katheterismus. t .
9. VI., morgens 9 Uhr. Wegen wieder eingetretener totaler
Muskelstar’re und Schluckbeschwerden zweite Injektion von 8 ccm
25 proz. MgSOi-Lösung nach vorhergegangener Lumbalsackspulung.
Temperatur vor der Injektion 37,8. Puls 100, Atmung 25.
12 Uhr Temperatur 35,8. Puls 86, Atmung 15. Muskelstarre
erheblich zurückgegangen. Allgemeinbefinden besser. Patient isst.
9 Uhr abends. Patient hat den ganzen Tag über tief geschlafen,
ist nur auf Anruf zum Essen aufgewacht. Keine Schluckbeschwerden
mehr Anästhesie unvollkommen (nur an den Unterschenkeln).
10. VI. Muskelstarre beinahe vollständig geschwunden, nur
Trismus unverändert. Atmung, Temperatur, Puls normal. Schlucken
frei. Der Dekubitus schreitet unaufhaltsam weiter über dem Kreuz¬
bein, an den Fersen und unter den Schulterblättern.
12. VI. Wegen wieder beginnender leichter Muskelspannung an
den unteren Extremitäten und im Rücken abermals Injektion wie oben.
13. VI. Pneumonie in beiden Unterlappen, die Patient gut uber-
StCllt30. VIII. Entlassung. Die Entlassung hatte sich verzögert, weil
die ausgedehnten Dekubiti nur langsam heilten.
18. VIII. Erhebliche Besserung. Schlucken beinahe beschwerde¬
frei. Keine Krämpfe mehr.
IQ VI II. Der Puls wird schlecht. . . , . .
20. VIII. Tod an Herzschwäche. Die Obduktion ergab akute
Dilatation des Herzens und Hypostase in beiden Lungen.
Fall 4. Landwirt O. B., 45 Jahre.
18 IX. 13. Hufschlag gegen den Malleolus internus des rechten
Fusses. ^ Aufnahme. Komplizierte Luxationsfraktur des rechten
Fu.sgeluik Abends; Schmerzen in den Masseteren und in der Hals-
Wirb25äIXe morgens: Ausgeprägter Trismus, Facies tetanica. Opistho¬
tonus. ' Atmung 25 in der Minute. Temperatur und Puls normal
?5 IX. 12 Uhr mittags: Spülung des Lumbalsackes und Injektion
von 8 ccm 15 proz. Magnesiumsulfatlösung. M.
2 Uhr mittags: Patient schläft ruhig. Atmung 15 in der Minute.
ODisthotomis etwas geringer ausgeprägt. , „ .
4 Uhr mittags: Patient wird unruhig. Tieferlegung des Kopfes,
worauf wieder ruhiger Schlaf eintritt.
Abends: Verschlechterung des Pulses.
26. IX. Exitus an Herzschwäche. Die Obduktion ergibt be¬
ginnende Pneumonie in beiden Unterlappen und Lungenödem.
Fall 5. Kutscher M. K., 29 Jahre. ., .
27. XI. Ausgedehnte Weichteilverletzung am Bauch mit Abriss
von Skrotal und Penishaut.
8 XII. 12 abends: Trismus, Facies tetanica.
9 XII. morgens 9 Uhr: Muskelstarre. Starker Trismus. Aus¬
geprägte Facies tetanica. Krämpfe in den Armen. Injektion von
8 ccm 15 proz. Magnesiumsulfatlösung in den Lumbalsack nach vorlier-
gLg.ingcner Spülung. aus ^ Patient auf Anruf erwacht. Anästhesie
bis zur Leiste herauf.
12 Uhr: Muskelstarre erheblich geringer. Atemfrequenz von
30 auf 20 in der Minute gesunken. Keine Krämpfe mehr.
Abends: Temperatur 39, Puls 120, Atmung 30. Extremitäten und
Bauch vollständig schlaff. Beginnende Pneumonie beiderseits
10 XII abends: Puls 150, Temperatur 40, Atmung 40. Extremi¬
täten und Bauch schlaff. Anästhesie bis zu den Leisten.
11. XII. morgens: Exitus. Obduktionsbefund: Doppelseitige
Pneumonie.
Fall 2. Dienstmädchen P. K., 15 Jahre.
Am 12. VI. leichte Kopfverletzung.
16. VI. Trismus.
18. VI. Krämpfe, Muskelstarre, Trismus.
^0 VI Aufnahme in die Klinik. Ausgeprägter Tetanus mit
starkem Opisthotonus. Die leichteste Berührung löst Krämpfe aus.
Pneumonie des rechten Unterlappens. . ,
20 VI nachmittags 5 Uhr. Magnesiumsulfatinjektion in den
Lumbalsack nach Auswaschung (10 proz. Lösung 4 ccm). Nach einer
halbcn Stunde tritt Schlaf auf, aus dem Patientin durch Anruf geweckt
w erder^ cheyne-Stokes scher Atemtypus. Nach Hoch¬
lagerung des Kopfes wird die Atmung wieder normal.
10 Uhr Exitus an Herzschwäche.
Bei der Sektion wurde Lungenödem und akute Dilatation des
Herzens festgestellt, ferner eine Unterlappenpneumonie.
Fall 3. A. Q., Frau, 41 Jahre.
Am 3 VIII. 13 Fall. Verletzung des Oberschenkels.
Am 13. VIII. Krampf der Kaumuskulatur, Schluckbeschwerden.
16 VIII., morgens Aufnahme. Zuckungen in Armen und Beinen.
Trismus und Schluckbeschwerden. Typische Facies tetanica. Aus¬
waschen des Spinalsackes und Injektion von 8 ccm 15 proz. Ma¬
gnesiumsulfatlösung. Abends Temperatur 37,5. Puls 100.
Betrachten wir nun kurz die einzelnen Fälle:
Die Resultate sind schlecht. — 80 Proz. Mortalität. Aller¬
dings ist dabei in Betracht zu ziehen, dass zwei der Ge¬
storbenen mit schweren Pneumonien in die Behandlung traten,
dass wir also nicht berechtigt sind, den Exitus auf das Konto
des Tetanus zu setzen.
Sehr interessant sind aber jedenfalls einige Beobachtungen,
die wir an unseren Kranken machen konnten.
Hier ist in erster Linie eine weitgehende Anästhesie bei
Fall 1 und 5 hervorzuheben.
Warum in den beiden Fällen Anästhesie auftrat und in den
anderen, die mit denselben Dosen behandelt worden sind, nicht,
warum dieselbe bei Fall 1 nur nach der ersten und zweiten
Injektion auftrat und sich auf die folgende Injektion nicht
wieder einstellte, ist uns unklar.
Auch auf den bei Fall 1 beobachteten Dekubitus von einer
Ausdehnung und einer Schwere, wie wir ihn sonst nur bei
trophoneurotischen Störungen beobachten, möchten wir be¬
sonders hinweisen. . _ ,
Da Fall 5 kurz nach der Injektion starb, bevor ein Deku¬
bitus sich hätte ausbilden können, so muss für diesen Fall die
Frage offen gelassen werden, ob nicht auch hier der Dekubitus
der Begleiter der Anästhesie geworden wäre. Jedenfalls aber
scheinen uns Anästhesie und Dekubitus im Zusammenhang
zu stehen.
Als konstante Wirkungen unserer Behandlungsmethode
konnten wir Schlaf, Aufhören der Krämpfe, Herabsetzung des
Muskeltonus und der Reflexerregbarkeit und Verlangsamung
der Atmung feststellen.
Von den Gefahren der Therapie, auf die Koche r sc
dringlich aufmerksam machte, bemerkten wir nichts. Wi
haben nicht einen einzigen Fall mit Atmungsstörungen gesehen
was offenbar auf unsere etwas niedrigere Dosierung zurück
zuführen ist. .
Auf die Serumtherapie haben wir verzichtet, um ein klare
Bild von den Leistungen der Magnesiumbehandlung zu ge
winnen. Wir hielten uns dazu für berechtigt, da wir einei
wesentlichen Nutzen dieser Therapie früher nie gesehen haber
Ein Urteil über den Wert der Therapie kann heute noc!
nicht abgegeben werden. Jedenfalls haben wir noch bei keine
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1557
1-4. Juli 1914.
der verschiedenen Tetanustherapien ein derartig promptes
Abklingen der Symptome und eine derartige beinahe momen¬
tan einsetzende Hebung des Allgemeinbefindens, Besserung der
Atemfrequenz, Ermöglichung des Schluckens usf. eintreten
sehen.
Unsere 4 Todesfälle sind zum Teil auf den ungünstigen
Ausgang interkurrenter Erkrankungen zurückzuführen. Sicher¬
lich waren wir aber auch mit der Dosierung zu vorsichtig,
gewarnt durch die Erfahrung Kochers mit der Einwirkung
des Magnesiums auf das Atemzentrum.
Unsere nächsten Fälle werden wir mit grösseren Dosen
behandeln und vielleicht auf die subkutane Therapie zurück¬
greifen.
Aus den inneren Abteilungen der städt. Krankenanstalten zu
Potsdam (dirig. Arzt: Dr. Max Schmid).
Erfahrungen mit Lipojodin-Ciba.
Von Dr. med. Max Schmid.
Da das Jod zu den Medikamenten gehört, welche hinsicht¬
lich ihrer therapeutischen Anwendung die weitesten Indi¬
kationskreise umfassen, so ist es erklärlich, dass die chemische
Industrie bestrebt ist, immer vollkommenere Jodverbindungen
herzustellen, welche den modernen Wünschen bei der internen
Anwendung des Jods hinsichtlich ihrer Resorptionsfähigkeit,
Jodspeicherung im Organismus und Ausscheidungsdauer am
meisten entgegenkommen, und damit das Jod durch Verhütung
des früher so häufigen sogen. Jodismus zu einem für den
Patienten harmlosen Präparat machen.
Um eine volle Wirksamkeit des Jods zu erzielen, ist es
erwünscht, dass das Jod im Organismus nicht nur lange und
gleichmäsig zirkuliert, sondern sich auch in den Geweben
direkt aufspeichert und so eine lokale Wirkung entfalten kann.
Dazu ist nötig, dass das Präparat nicht zu rasch resorbiert
wird, dass es gewisse organotrope (speicherungsbegünsti¬
gende) Eigenschaften hat, und dass seine Ausscheidung eine
langsame ist; besonders aber auch, dass das Präparat eine
einheitliche chemische Verbindung mit absolut konstantem Jod¬
gehalt ist, auf dessen geregelten Abbau man bei einigermassen
normalen Resorptionsverhältnissen im Magendarmtraktus
rechnen kann. Erfüllt ein Präparat obige Bedingungen, so
wird sich der unter der Bezeichnung „Jodismus“ bekannte Er¬
scheinungskomplex, welcher in Reizerscheinungen der Nasen-
und Bronchialschleimhaut, in Kopfschmerzen, Magenverstim¬
mungen, Akne und mitunter in nicht zu unterschätzenden Ge¬
fahren bei innersekretorischen Anomalien (Schilddrüse) besteht,
vermeiden lassen. Ist doch der übliche Jodismus, abgesehen
von besonderen Fällen von Jodidiosynkrasie, meist zurück¬
zuführen auf eine zu plötzliche Ueberschwemmung des Or¬
ganismus mit Jodionen, wie sie bei Darreichung der so leicht
resorbierbaren aber ebenso rasch wieder ausscheidenden Jod¬
alkalien so häufig ist. Und trotzdem nahm man bislang in
vielen Fällen diesen Jodismus mit in Kauf, wenn es sich bei
vielen Krankheitserscheinungen, speziell den spätluetischen,
darum handelte, eine möglichst intensive Jodumspiilung der
erkrankten Organe zu erzielen. Eine solche und damit eine
zeitweise Speicherung von Jod im Gewebe war jedoch nur
.iurch eine intensive Ueberschwemmung des Organismus mit
Jodalkalien technisch möglich. Besitzt man aber nun ein Prä¬
parat, welches nicht durch ständige Konzentration des Jods
im Organismus, sondern durch Speicherung des organotropen
Jodpräparats im erkrankten Organ dieselbe therapeutisch gün¬
stige Wirkung entfalten kann, so kann man der Alkaliver¬
bindung des Jodes, die ja auch infolge der gleichzeitigen Ueber¬
schwemmung des Organismus mit Alkali schon längst nicht
mehr besonders wünschenswert erschien, entraten.
Bei der Suche nach einem solchen Präparat ergab sich
nun, dass bei den Untersuchungen über die Wirkungen von
Jodfettsäurederivaten auf den Organismus, welche die Privat¬
dozenten L o e b und von den Velden im Göttinger
pharmakologischen Institut und in der Düsseldorfer medizini¬
schen Klinik Vornahmen, in dem Aethylester einer zweifach
jodierten ungesättigten höheren Fettsäure, dem Dijodbrassidin-
säureäthylester, welcher 41 Proz. Jod enthält und in Tabletten¬
form ä 0,3 g unter dem Namen „Lipojodin-Ciba“ von der Gesell¬
schaft für chemische Industrie in Basel in den Handel gebracht
wird, eine Verbindung gefunden ist, welche den oben er¬
wähnten Anforderungen an ein brauchbares Jodpräparat in
denkbar günstigster Weise entspricht.
Die Jodspaltung ist bei diesem Präparat keine zu rasche,
wie wir sie bei den Jodalkalien und leider auch in manchen
Fällen bei den Jodeiweissverbindungen finden, noch anderer¬
seits eine zu langsame, wie sie bei dem jodierten Sesamöl
(Jodipin) oder bei den Jodseifen (Sajodin) öfter beobachtet
wurde.
Das Lipojodin zeigt ferner, wie die Versuche erwiesen,
eine überaus stark ausgeprägte Lipotropie, welche die der bis¬
her bekannten Jodpräparate um ein vielfaches übertrifft;
ausserdem ist das Präparat aber auch noch entschieden neuro-
trop und somit als polytrop anzusprechen. Diese Polytropie
führt zu einer Speicherung des Jodes im Organismus und zwar
erfolgt die Speicherung beim Lipojodin rascher und wesentlich
intensiver wie bei den übrigen Jodpräparaten, andererseits ist
diese Speicherung des Jods keine so protrahierte, wie in der
Regel bei den Jodseifen, da, wie die Untersuchungen ergaben,
die Jodausscheidung nach Ablauf von 4 — 4lA Tagen wieder
völlig beendet ist und es damit möglich ist, eine Ueberanreiche-
rung des Gewebes mit Jod auch ohne regelmässige Ausschei¬
dungskontrolle zu vermeiden.
Zu diesen therapeutisch wichtigen Eigenschaften des Lipo-
jodins kommt nun aber noch, dass es in der in den Handel ge¬
brachten Darreichungsform, abgesehen von einem leicht süss-
lichen Geschmack absolut keinen medikamentösen Bei¬
geschmack hat, der bislang fast allen Jodpräparaten in mehr
oder weniger ausgeprägtem Masse eigen war, und daher sen¬
siblen Patienten die Jodkur (speziell bei längerem Gebrauch)
aus Geschmacksrücksichten verleidete. Auch der bei ander¬
weitiger Jodmedikation so oft geklagte ständige salzig-bittere
Geschmack im Munde trat während des Gebrauchs von Lipo¬
jodin nie in Erscheinung. Nie habe ich auch bei dem Gebrauch
von Lipojodin, selbst wenn es wochenlang zu 3 Tabletten täg¬
lich genommen wurde, Jodismus auftreten sehen, auch nicht
bei Patienten, die sonst auf Jodalkalien bei Darreichung von
dreimal täglich 1 Theelöffel einer 5 proz. Lösung prompt mit
dem üblichen Jodschnupfen reagiert hatten.
Auf der inneren Abteilung unserer städtischen Kranken¬
häuser, sowie auch bei meinen Privatpatienten, gebrauche ich
das Lipojodin, welches ich zwar schon seit 2 Jahren in seinen
günstigen therapeutischen Eigenschaften kennen und schätzen
lernte, seit etwa 6 Monaten fast als ausschliessliches Jodmedi¬
kament in Form der üblichen Tabletten zu 0,3 g und es hat
uns dabei in allen Krankheitsfällen, bei denen Jod indiziert
erschien, in seiner Jodwirkung nie im Stiche gelassen.
Am häufigsten erfolgte die Anwendung bei Fällen von
Arteriosklerose, wo wir bei selbst wochenlangem Gebrauch
nie ungünstige Wirkung sahen. Die Dosis betrug hier 1 bis
2 Tabletten täglich, nur in Ausnahmefällen, wenn es sich um
drohende apoplektische Zustände handelte, täglich 3 bis 4 Ta¬
bletten. Der therapeutische Einfluss äussert sich stets in einer
Herabsetzung des Blutdruckes, Kopfschmerzen und Schwindel¬
gefühl Hessen oft schon nach wenigen Tagen nach.
Sehr gute Erfahrungen machten wir mit Lipojodin bei
5 Fällen von Asthma bronchiale, bei welchen die Anfälle, aller¬
dings unter gleichzeitiger Anwendung von Glühlichtbestrah¬
lungen auffallend rasch schwanden. In 2 Fällen blieben bei
bisher regelmässigem Lipojodingebrauch in Intervallen die
Anfälle seit 5 resp. 7 Monaten ganz aus. Auch bei zahlreichen
Fällen von chronischer Bronchitis, die sich den zahlreichen
anderen Behandlungsmethoden refraktär verhielten, wirkte
Lipojodin lösend und ausheilend.
Als sehr günstiges Indikationsgebiet für Lipojodin erwiesen
sich uns der subakute und chronische Gelenkrheumatismus. In
3 Fällen von akutem Gelenkrheumatimus, bei welchem trotz
mehrwöchentlicher Darreichung von Salizylpräparaten Re¬
siduen in den Gelenken nicht zum Schwinden gebracht werden
konnten und bei denen die betreffenden Patienten durch das
ständige Schwitzen sehr herabgekommen und empfindlich ge¬
worden waren, wirkte Lipojodin ausgezeichnet; anfangs 2,
1558
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
später 3 Tabletten täglich brachten die entzündlichen Produkte
in den Gelenken vollends rasch zur Aufsaugung und das
Schwinden der Empfindlichkeit der Patienten mit Wegfall
der Schweisse erlaubte zeitiges Aufstehen. Analog den be¬
kannten Erfahrungen mit Jod bei chronischer Arthritis war
auch in verschiedenen Fällen derartiger chronischer Gelenk-
erkrankungen der Erfolg mit Lipojodin ein sehr zufrieden¬
stellender.
In einem Fall von Kopfschmerezn auf metasyphilitischer
Basis war der Erfolg ebenfalls ein prompter; ein Fall von
Psoriasis, der auf lokale Behandlung von Chrysarobin-Trau-
maticin wenig reagierte, ging nach dreiwöchentlicher Lipo-
jodinbehandlung (dreimal täglich eine Tablette) auffallend
zurück.
In 3 Fällen von Prostatahypertrophie war der Erfolg schon
nach 8—10 tägiger Darreichung von Lipojodin (zweimal täglich
eine Tablette) ein eklatanter; die Harnbeschwerden und das
lästige Druckgefühl schwanden wieder völlig.
Ausserdem wandte ich Lipojodin noch in ungezählten
anderen Fällen an, wo ich mir vom Jod eine günstige Wirkung
erhoffte, wie z. B. bei Leberleiden, sekundären gonorrhoischen
Erkrankungen, organischen Nervenkrankheiten u. a. m.. Wenn
hierbei der therapeutische Effekt auch manchmal kein ekla¬
tanter, resp. bei gleichzeitiger Anwendung anderer thera¬
peutischer Massnahmen kein eindeutiger war, so machte ich
doch in allen Fällen die Erfahrung, dass das Lipojodin ein
Präparat ist, welches bei der therapeutisch völlig ausreichen¬
den Anwendungsform von 3 — 4 mal täglich einer 1 ablette
selbst bei wochenlangem Gebrauch keinen einzigen Fall von
Jodismus brachte. Es wurde von allen Patienten auch auf die
Dauer gerne genommen, die Tabletten wurden in den meisten
Fällen geschluckt oder gekaut, nur wo dies nicht möglich war,
liess ich die Tabletten zerdrücken und gab sie eingerührt in
warme Milch. Als Darreichungszeit wählte ich mit Vorliebe
die Zeit nach den Hauptmahlzeiten, da zu diesen Zeiten der
Magendarmchemismus die günstigsten Bedingungen zum Ab¬
bau des Jodfettsäurepräparates bietet.
Wie ich mich durch mehrfache eigene Kontrolle über¬
zeugte, liess sich Jod nach Darreichung von Lipojodin erst
nach \lA Stunden, nach Jodeiweissverbindungen nach ca.
% Stunden, nach Jodalkalien schon nach 5—10 Minuten im
Urin nachweisen. Die Ausscheidung nach Jodalkalien war
nach ca. lÄ Tagen beendet, nach Jodeiweisspräparaten nach
2 _ 3 Tagen, nach Lipojodin nach 4—4)4 Tagen. Die Jod¬
ausscheidung erschien in diesem Zeitraum bei Lipojodin als
eine ziemlich gleichmässige.
Zusammenfassend möchte ich nochmals hervorheben, Lipo¬
jodin ist ein angenehm zu nehmendes Jodpräparat, welches
trotz seines relativ hohen Jodgehaltes (41 Pioz.), bei langsamer
Resorption, günstiger Organspeicherung infolge seiner poly¬
tropen Eigenschaften und gleichmässigen protrahierten Aus¬
scheidung in den zweckmässigen therapeutischen Dosen nie
die Symptome von Jodismus auftreten lässt und als voll¬
wertiger Ersatz der bisher immer noch häufig angewandten
Jodalkalien gelten kann.
Ein mit Lecutyl (Kupfer-Lezithin) geheilter Fall von
Blasentuberkulose.
Von Dr. Hugo W e i s s, Assistent von Herrn Dr. Artur
Strauss in Barmen.
Das Bestreben, auf chemisch-biologischem Wege im Sinne
E h r 1 i c h s eine komplexe Verbindung eines Metalles oder seiner
Salze gegen die Tuberkulose ins Feld zu führen, brachte Prof.
Gräfin v. Linden- Bonn auf den Gedanken, mit dem Kupfer Ver¬
suche zu machen. Die von ihr am Tierversuche und an mit Kupfer
versetzten Nährböden gewonnenen Erfahrungen Hessen unzweideutig
die ätiotrope Wirkung des Kupfers auf den Tuberkelbazillus
erkennen. Die ersten mit Kupfer von Strauss an einer grossen
Reihe von Lupusfällen durchgeführten Behandlungen und deren
Ergebnisse bestätigten in überraschender Weise die Resultate der
Gräfin v. L i n d e n und Hessen S t r a u s s in konsequenter Verfolgung
des nun einmal Erreichten die Zusammensetzung der Mittel und die
Methode ihrer Anwendung weiter ausbauen. Um den Tuberkel¬
bazillus und seine Lipoidhülle besser zu treffen, brachte er das Metall
in Verbindung mit Lezithin. In dieser Form besitzt
das Lecutyl“ genannte K u p f e r p r a p a r a t au s *J *
sprochene b a k t e r i o t r o p e E i g e n s c h a f t e n, für die nicht
sowohl die äusserliche als besonders die perkutane, intramuskuläre
und intravenöse Anwendung spricht. . „ .. .
Es haben bereits eine ganze Anzahl von Beobachtern die aut-
fallenden reaktiven Fernwirkungen bei der S t r a u s s sehen Kupfer¬
therapie bestätigen können, und zwar ebenso bei vorgeschrittenen
Erkrankungen der Lungen- wie bei Haut- und chirurgischer Tuber-
kulose.^ss auch dje Urogenitaltuberkulose dem Kupfer als
chemotherapeutischem Heilmittel zugänglich ist, dafiir möge folgender
Fall, dessen Veröffentlichung mir Herr Dr. Strauss freundhehst
gestattet hat, als Beispiel dienen.
In der Familie des jetzt 41 jährigen Mannes ist Tuberkulose nicht
nachweisbar. Er ist verheiratet und hat 3 gesunde Kinder. In seinem
12 .fahre erkrankte er an einer linksseitigen Gonitis tuberculosa,
welche bis zu seinem 20. Jahre konservativ vergeblich behandelt
worden war. Im Krankenhaus Lennep i. W. wurde er dann operiert;
es erfolgte Eröffnung des Gelenks. Exstirpation der Kniescheibe und
schliesslich Heilung. An dem seither vollkommen ankylotischen und
verdickten Gelenk sieht man fünf 4 — 5 cm lange Narben.
Vor 7 Jahren — 1907 — traten die ersten Erscheinungen einer
Zystitis auf. Es bestanden Harndrang, terminale Miktionsschmerzen
und temporäre kleine Blutungen; der Urin war trübe. Die Behand¬
lung bestand nach den Angaben des Patienten in den erstell Jahren
in Diuretizis, hydropathischen Massnahmen und Diät. Die Krankheit
zeigte keine Besserung, Patient magerte ab, sah blass aus, und sein
Allgemeinbefinden verschlechterte sich.
Schon im Jahre 1909 trat er in die Behandlung von Strauss.
Im Urin, welcher trübe war und viel Eiter enthielt, fanden sich damals
bei wiederholter Untersuchung Tuberkelbazillen. Es wurden A Jahr
lang Sublimatinstillationen vorgenommen und Urotropin verabfolgt.
Trotz resorbierender Diät magerte Patient weiter ab und der Krank¬
heitsprozess zeigte keinerlei Veränderungen. Patient verlor die Ge¬
duld und gab jegliche Behandlung auf. Erst am 20. Oktober 191 i
suchte er Strauss wieder auf, wo er noch dieselben subjektiven
und objektiven Erscheinungen wie vor 4 Jahren bot. Die Behandlung
bestand in Darreichung von Hexal und Urotropin und Instillationen
von Kollargol, die 3 Wochen lang ohne Erfolg vorgenommen
"UI<Seit dem 15. November 1913 erhielt Patient nunmehr Lecutyl
(3 mal täglich 2 Pillen) und machte mit Lecutylsalbe bis Ende be-
bruar 1914 eine Schmierkur analog derjenigen bei Syphilis durch,
wobei er täglich 1—2 g Lecutvlsalbe unter Nachreiben von Kampfer¬
spiritus einrieb. Als deutliche Reaktion traten gehäufte kleinere
Hämaturien auf. Die am 3. Januar 1914 vorgenommene zystoskopische
Untersuchung ergab den Befund einer diffusen Zystitis und einer
typisch tuberkulös infiltrierten Schleimhaut des Trigonum, mit mul¬
tiplen kleinen, flächenhaften Ulzera daselbst. Es erfolgte nun im
Februar unter konsequenter Lccutylbehandlung eine allmähliche Auf¬
hellung des Urins, und das Allgemeinbefinden des Patienten besserte
sich zusehends. Obwohl inzwischen der Urin vollständig klar ge¬
worden und die Schmerzen in der Blase sowie der Harndrang ver¬
schwunden waren, so wurde doch am 28. Februar zur Sicherung des-
bisher Erreichten eine 'einmalige intravenöse Injektion von Lecuty
(0,05 ccm) gemacht. Die Behandlung wurde hiermit abgebrochet
und der Erfolg abgewartet. I
Erst am 1. Mai d. J. stellte sich Patient wieder vor. Er sieh:
gut aus, hat keinerlei Beschwerden und fühlt sich wohl. Gewichts¬
zunahme 214 kg. Der Urin ist vollkommen klar, ohne Blut, ohm
Eiweiss; keine Tuberkelbazillen.
Was den klinischen Verlauf dieses Krankheitsfalles so bemerkens
wert macht, ist der Umstand, dass alle Bemühungen, die Blasentuber
kulose mit den üblichen Methoden zu heilen oder auch nur zu bessern
vergeblich waren, dass erst mit dem Einsetzen der Kupfertherapn
eine auffallende Besserung in dem fast 7 Jahre bestehenden Leidei
wahrzunehmen ist und dass der Patient in der relativ kurzen Zei
von 2% Monaten ausschliesslich durch das Kupfer geheilt wird.
Es ist dies nicht der einzige Fall von Urogenitaltuberkulose, be
welchem wir eine günstige Beeinflussung durch Lecutyl sahen. Abe
gerade in diesem Falle war für uns der Erfolg des neuen Heilmittel
so überzeugend, dass wir seine Veröffentlichung für angebrach
hielten. Inwieweit eine Resorption des Kupfers vom Magendarm
katial aus in Form der unserem Kranken gereichten Pillen zur Heilun
beigetragen hat, kann erst beantwortet werden, wenn genügend
weitere Beobachtungen auch nach dieser Richtung hin angestel
worden sind. So viel aber steht fest, dass — was nach den einwanc
freien Tierversuchergebnissen der Gräfin v. Linden auch für de
Menschen von vornherein anzunehmen war — das Kupfer auf der
Wege des Lvmphstromes und der Blutbahn an den tuberkulösen Her
gelangt ist. Denn nur so lässt sich in Uebereinstimmung mit de
bisher bei Lupus, Lungen- und chirurgischer Tuberkulose bcol
achteten Vorgängen auch in diesem besonderen Falle von Urogenita
tuberkulöse der auffallende Heilerfolg des Lecutyls erklären.
14. Juli 191*4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1559
Adalin im Hochgebirge und in heissen Ländern.
Von Arnold Masarcy in München.
Die günstigen Erfolge, die in unseren Zonen mit Adalin
als Sedativum und leichtem Hypnotikum erzielt worden sind,
legen es nahe, das Mittel in grossem Massstabe auch in jenen
Klimaten zu erproben, iq denen erfahrungsgemäss das Wohl¬
befinden des Europäers durch allgemeine nervöse Unruhe und
Schlaflosigkeit beeinträchtigt wird.
Die Mitteilung meiner Erfahrungen, die ich während eines
mehrmonatlichen Sommeraufenthaltes in Aegypten und bei
einer darauffolgenden Besteigung der spanischen Sierra
Nevada mit Adalin gemacht habe, mögen Anregung zu weiteren
Versuchen in dieser Richtung geben.
Die Neigung zu nervöser Gereiztheit und Schlaflosigkeit,
die sich in Aegypten schon während der kühleren Winter¬
monate bei manchen Reisenden zeigt, befällt während des
Frühjahrs und Sommers auch viele sonst durchaus robuste
Naturen sowohl unter den frisch Angekommenen als besonders
auch unter den Ansässigen, die seit längerer Zeit keinen Er¬
holungsurlaub in Europa gemacht haben.
Schon im April, kurz nach meiner Ankunft in Heluan litt ich
an leichter, aber zunehmender nächtlicher Unruhe. Adalin in der
üblichen Dosis von 0,5 verschaffte mir wieder gesunden Schlaf, der
sich schon nach dreimaliger, hintereinander folgender Anwendung des
Mittels in den Nächten von selbst wieder einstellte und auch bis zu
meiner Uebersiedelung nach Oberägypten anhielt. Dieselbe Erfahrung
machten in Heluan auch mehrere Patienten (meist Nephritiker und
Leichttuberkulöse), die schon seit Monaten in Aegypten weilten und
bei der täglich zunehmenden Hitze über Schlaflosigkeit geklagt
hatten. In Oberägypten, besonders in Luxor, war es mir während
einer längere Zeit dauernden Hitzeperiode (das Thermometer stieg
mehreremals über 40° C und sank auch nachts in meinem Zimmer
nicht mehr unter 30° C) von neuem unmöglich, ohne Adalin Schlaf
zu finden.
Geradezu unentbehrlich war mir das Mittel aber in der Oase
Eayum, in der ich mich während der heissesten Zeit aufhielt. Der
nachts verlorene Schlaf sollte mittags nachgeholt werden, doch
machte es die dumpfe Hitze und die heftig stechenden Sandfliegen,
die auch durchs feinste Moskitonetz eindringen können, ganz unmög¬
lich, einige Ruhe zu finden. Nur Adalin (allerdings in stärkerer Dosis
bis zu 1,5) schien eine gewisse Unempfindlichkeit gegen die brennen¬
den Insektenstiche zu erzeugen und machte es auch dadurch leichter,
etwas Schlummer zu finden.
Diese wertvollen Erfolge lassen es angezeigt erscheinen,
den vielen Patienten, die alljährlich zu langem Aufenthalt nach
Aegypten ziehen, und überhaupt allen zur Nervosität veran¬
lagten Reisenden den Gebrauch des Adalins für die erste Zeit
der Akklimatisation in der Wüste zu empfehlen. Irgendwelche
üble Folgen oder eine Neigung zur Angewöhnung haben sich
weder an mir noch an meinen Bekannten gezeigt. Der nor¬
male Schlaf kam stets wieder von selbst, sobald Witterung und
Aufenthalt in günstigem Sinne wechselten.
Ueber Versuche im feuchten Tropenklima ist bis jetzt noch
nichts bekannt geworden, doch scheint die Frage einer aus¬
gebreiteten Anwendung des Adalins da von besonderer
Wichtigkeit, wo ihm günstigen Falles eine Rolle im Kampf gegen
den Alkoholmissbrauch zuteil werden könnte. Jeder Arzt,
der tropische Länder bereist hat, weiss, dass sich oft gerade
in den gesundheitlich gefährdetsten Orten die deutschen An¬
siedler Abend für Abend mit schlechtem Bier ihre Bettschwere
antrinken, — unter der ausdrücklichen Begründung, nur so den
Schlaf finden zu können. — Bei aller berechtigter Zurück¬
haltung vor langdauernder, gewohnheitsmässiger Anwendung
eines Medikamentes wird man mit mir darin übereinstimmen,
dass es zweifellos besser wäre, an Stelle des Alkohols als
Sedativum ein Mittel zu versuchen, von dem bisher so wenige
schädliche Nebenwirkungen bekannt geworden sind.
Die Wirkung des Adalins auf die Schlaflosigkeit, die
Störungen der Atmung und des Herzschlages, wie sie bei
raschem Uebergang vom Tiefland ins Hochgebirge vorüber¬
gehend auftreten, erprobte ich gelegentlich einer Expedition in
die fast 4000 m hohe spanische Sierra Nevada, auf der im
Sommer eine ausserordentlich trockene Luft herrscht. Wohl
infolge des zu rasch vollzogenen Aufstieges aus den im August
drückend feuchten Tälern bei Granada nach unserem mehr
als 3000 m ii. M. gelegenen Zeltlager, machten sich die genannten
Symptome bei mir und zwei Begleitern anfänglich stark be¬
merkbar. In der zweiten Nacht, nachdem wir die erste schlaf¬
los verbracht hatten, erzielten wir mit Adalin einen tiefen,
ruhigen Schlaf und fühlten uns auch am folgenden Morgen
allgemein wohler. Durch den eintägigen Aufenthalt in der
Höhe hatte allerdings die natürliche klimatische Eingewöhnung
gewiss schon mitgewirkt. Wenn man aber die bekannte Tat¬
sache berücksichtigt, dass Adalin auch nach dem Erwachen
am anderen Morgen als angenehme Beruhigung und Er¬
frischung weiterwirkt, so ist die Wahrscheinlichkeit einer di¬
rekten Beeinflussung unseres Zustandes durch das Medikament
gross genug, um die Anregung zu berechtigen, Adalin auch
bei drohender Bergkrankheit zu versuchen.
Wenn es sich dabei auch bloss um eine symptomatische
Einwirkung handelt, so könnte es vermutlich doch gelingen,
durch die Unterdrückung der bei Bergkrankheit fast regel¬
mässig vorausgehenden nervösen Ueberreiztheit und Aengst-
lichkeit auch den eigentlichen Ausbruch zu verzögern oder
ganz zu verhindern. Bei langdauerndem Aufenthalt in ex¬
tremen Höhen, wie er weniger in unseren Alpen als bei Be¬
steigungen in aussereuropäischen Gebirgen vorkommt, wäre
für Disponierte direkt an eine prophylaktische Verabreichung
zu denken. Von grösserer Wichtigkeit wäre aber diese Frage
bei den Bahnfahrten über die Kordilleren Südamerikas,
während deren es regelmässig bei einigen Passagieren zu den
schwersten Symptomen von Bergkrankheit kommt.
Auf diese bisher noch unversuchten Wirkungsmöglich¬
keiten des Adalins seien hiemit besonders diejenigen Kollegen
hingewiesen, welche tropische Länder bereisen oder Hoch-
gebirgstouren unternehmen.
Aus dem dermatologischen Stadtkrankenhaus II in Linden.
Ueber gonorrhoische Granulationen.
Von Dr. Gustav S t ü m p k e, dirigierendem Arzt des Stadt¬
krankenhauses II.
Klingmüller [l] berichtet im Jahre 1910 über Wuche¬
rungen bei Gonorrhöe, die sich bei dem weiblichen Geschlechte
hauptsächlich um den Anus herum oder am Damm lokalisieren.
Diese Wucherungen stellen eigenartige hahnenkammförmige
Gebilde von blassrötlicher bis rötlicher Farbe dar und sind
häufig mit Geschwüren kombiniert. Den ätiologischen Cha¬
rakter dieser Granulationsgeschwülste glaubt K 1 i n g m ü 1 1 e r
daraus schliessen zu können, dass einmal diese Patientinnen
gleichzeitig . an einer anderweitigen Gonorrhöe litten, Zervix
resp. Rektalgonorrhöe, und ferner, dass ihm in 2 von den
4 publizierten Fällen der mikroskopische Nachweis der Gono¬
kokken gelang; kulturell Hessen sich Anhaltspunkte für den
Charakter dieser Granulationen nicht gewinnen.
K 1 i n g m ü 1 1 e r hebt hervor, dass diese meistens peria¬
nalen Wucherungen nicht so selten sind, dass er z. B. in
einem Jahre in seiner Poliklinik 8 derartige Fälle beob¬
achtet habe.
Ich habe seit ca. % Jahren, seitdem ich auch die weib¬
liche Abteilung des Krankenhauses zu leiten habe, auf diese
Dinge mein Augenmerk gerichtet und dabei vereinzelte Be¬
obachtungen gemacht, die mir der Veröffentlichung wert er¬
scheinen.
Ich möchte mir erlauben, im folgenden zunächst die
Krankengeschichten der diesbezüglichen Patientinnen mitzu¬
teilen.
1. Frieda D., 20 Jahre, Arbeiterin. Aufgenommen 22. V. 1913.
Seit einigen Wochen bemerkt Patientin Geschwüre am Eingang der
Vagina und am After. Seit ca. 2 Monaten hat sie Ausfluss.
Status praesens: Am Introitus vaginae finden sich einige
flache ca. erbsengrosse Ulzerationen; rings um den Anus herum eine
Reihe von hahnenkammartigen Wucherungen, die den letzteren
trichterförmig umgeben und zentralwärts eine Geschwürsfläche dar¬
stellen. Diese Geschwürsflächen reichen bis zur Schleimhaut des
Rektums und nehmen hier an einer Stelle einen rhagadiformen
Charakter an. Die Oberfläche der eigentlichen Wucherungen ist glatt,
die Konsistenz derselben ziemlich hart. Die Wucherungen sitzen der
Unterlage breit auf. Die Breite der Granulationen beträgt etwa
Vz cm, die Höhe ca. 1 cm. Zwischen den einzelnen Granulationen
finden sich Einkerbungen der eigentlichen Wucherungen. Die Ge¬
schwüre selbst sind nicht sehr tief.
Der mikroskopische Befund ergibt: Massenhaft intrazelluläre,
Gram-negative Diplokokken im Sekret der Urethra und des Zervix,
im oberflächlichen Eiterbelag des Analgeschwüres zerstreute, meist
1560
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT,
extrazelluläre Gonokokken, mittels der Gramfärbung als solche nach¬
gewiesen: endlich in einem kleinen keilförmig exzidierten Gewebs- l
stücke des Geschwürsgrundes gleichfalls massig zahlreiche Gono¬
kokken (Bericht des pathologi¬
schen Instituts des städt. Kran¬
kenhauses I: Prof. Dr. S t r ö b e).
Im Rektalsekret wurden Gono¬
kokken nicht gefunde.n
Nach ca. 5 wöchentlichem
Krankenhausaufenthalt wird Pa- \
tientin, deren Zervikal- resp.
Urethralgonorrhöe in der üb¬
lichen Weise behandelt war —
Irrigationen mit Chlorzink und
Kalium hypermanganicum, Lokal¬
behandlung der Urethra mit He-
gonon, des Zervikalkanals mit
Argent. nitric. — als gebessert
entlassen. Die Geschwüre in der
Analregion sind unter anfäng¬
licher Applikation von feuchten
Kataplasmen, später Salben —
3 proz. Borsalbe K> proz. Argent.-
nitric.-Salbe — nahezu geheilt.
An Stelle der hahnenkammartigen
Wucherung finden sich noch ge¬
ringgradige Hypertrophien des
Gewebes. NB.! Die am Introitus
vaginae erwähnten ca. erbsen¬
grossen flachen Ulzerationen er¬
gaben seinerzeit keinen Gono¬
kokkenbefund, hatten auch sonst nicht die klinische Eigentümlich¬
keit der Analgranulationen und sind wohl als einfache banale Ge-
websprozesse aufzufassen.
2. Anna R., 26 Jahre alte Arbeiterfrau. Aufgenommen am
6. VI. 1913. Seit 2 Monaten bemerkt Patientin Geschwüre am Anus.
Ausfluss aus der Vagina und ebenfalls aus dem Anus will Patientin
schon seit längerer Zeit haben. Rings um den Anus herum finden
sich 2 ca. zehnpfennigstückgrosse, sich genau gegenüber liegende Ge¬
schwüre, die peripher erhaben sind, eine Art Wall darstellen, nach
dem Anus zu eine schmierig belegte, ziemlich oberflächliche Ge¬
schwürsfläche bilden. Die Form jedes der beiden Geschwüre ist
ungefähr dreieckig.
In der Urethra sowohl wie im Zervix- als auch im Rektalausfluss
finden sich massenhaft intrazelluläre Gonokokken. Ebenso finden sich
in dem von dem Ulcus mit dem scharfen Löffel abgekratzten Gewebs-
massen vereinzelte intrazelluläre Gonokokken.
3. Henriette Dr., 23 Jahre alt, Arbeiterin. Aufgenommen am
6. VI. 1913. Seit 5 Wochen hat Patientin einen ziemlich starken
Scheidenausfluss. Seit ca. 3 Wochen bemerkt sie wunde Stellen am
After und klagt seit dieser Zeit über ziemlich heftige Schmerzen beim
Stuhlgang.
Rings um den Anus herum findet sich ein zackig geformtes, stern¬
förmig strahliges Geschwür, dessen Rand kammartig erhaben ist und
dessen Geschwürsgrund mit ziemlich massenhaftem Sekret bedeckt
ist. Der Geschwürsrand ist nicht gleichmässig kreisförmig gestaltet,
sondern lässt 5 vorspringende Wülste erkennen. Die Farbe dieser
Granulationen ist blaurötlich.
Im Urethralsekret finden sich vereinzelte intrazelluläre Gono¬
kokken, im Zervixsekret sehr zahlreiche intrazelluläre, z. T. auch
extrazelluläre. Gleichzeitig besteht eine Rektalgonorrhöe. Im ober¬
flächlichen Eiterabstrich des Aftergeschwürs sind vereinzelte intra¬
zelluläre Gonokokken zu erkennen, desgleichen in abgekratzten
Detritusmassen des Geschwürsgrundes.
Die gonorrhoischen Granulationen kamen in ca. 2 Monaten unter
konservativen Behandlungsmethoden zur Abheilung. Eine später zum
Ausbruch gekommene Lues — Ausbruch eines grossfleckigen Exan¬
thems und Umschlagen des vorher negativen Wassermanns — machte
eine intensive antiluetische Behandlung erforderlich, so dass Patientin
erst am 7. XI. entlassen werden konnte.
4. Anna Sehr., 21 jährige Arbeiterin. Aufgenommen 20. I. 1914.
Seit 6 Wochen Ausfluss, seit etwa 14 Tagen Geschwüre an den
Genitalien. Zeitweise hat Patientin Schmerzen beim Wasserlassen
und beim Stuhlgang. Sonst will sie immer gesund gewesen sein.
Auf der rechten grossen Labie ausgedehnte spitze Kondylome.
An der hinteren Kommissur befindet sich ein ca. zweipfennigstück¬
grosses, scharf umgrenztes, reines Geschwür mit aufgeworfenen
Rändern. Dahinter sieht man 2 hahnenkammähnliche, ca. 2 cm lange,
1 cm hohe Effloreszenzen, die in einen stumpfen Winkel gegeneinander
stossen. Das Ulcus, das von diesen beiden ziemlich längs ange¬
ordneten Kämmen begrenzt ist, liegt nach der Mittellinie zu. Unter¬
halb der eben beschriebenen Granulationsmassen befindet sich eine
etwa lVa cm lange, Vs cm breite, blaurot verfärbte Hämorrhoidal¬
geschwulst, die ungefähr die Fortsetzung jener darstellt. Eine Rektal¬
gonorrhöe besteht nicht, dagegen finden sich sowohl im Urethral-
wie im Zervixsekret massenhafte intrazelluläre Gonokokken. Auch
im Sekret des Ulcus sowohl wie in den Gewebspartien desselben
lassen sich trotz wiederholter Untersuchungen Gonokokken nicht
nachweisen. Es muss hier nachgetragen werden, dass die Gonorrhoe
dieser Patientin bereits vor ihrer Aufnahme in das Krankenhaus be¬
handelt wurde, und dass speziell auch die Geschwüre therapeutisch
in Angriff genommen waren.
5. Helene K., 21 Jahre alt, Arbeiterin. Wurde vom 2. IX. 13 bis
13 X 13 wegen Gonorrhöe und Lues im Krankenhaus II behandelt
und an diesem Tage ohne Krankheitserscheinungen entlassen. Am
21 November desselben Jahres wird sie wieder aufgenommen. Hat
jetzt seit ca. 3 Wochen wieder Ausfluss aus der Scheide und klagt
ungefähr seit der gleichen Zeit über Schmerzen beim Stuhlgang und
über spontane Schmerzen an den Genitalien.
An der hinteren Kommissur, links von der Medianebene, befindet
sich eine ca. 214 cm lange und 1 cm hohe Gewebswucherung von
hellrötlicher Farbe, die an ihrem analen Ende an eine zweite hahnen¬
kammartige Gewebshypcrtrophie stösst, die über die Mittellinie hin¬
über erst quer, dann umbiegend etwa parallel der erstgenannten
Wucherung, zur hinteren Kommissur zurückzieht. Beide Gewebs-
granulationen umgrenzen ein ziemlich oberflächliches, ca. zehnpfennig¬
stückgrosses, mit hellrötlichen Granulationen ausgefiilltcs Geschwür,
das mit etwas weisslichem Schleim besetzt ist. Das Ulcus reicht
ungefähr so weit, wie die es umschliessenden Granulationen. Von
dem oben erwähnten Kreuzungspunkte der beiden hahnenkammartigen
Gebilde zieht nun nach dem After zu eine dritte Effloreszenz, klinisch
genau so beschaffen wie die oben erwähnten, auch ungefähr von der¬
selben Länge und Höhe. Und zwar ist der Verlauf dieser Gewebs¬
neubildung ringförmig parallel zur Analöffnung. Eine Ulkusbildung
hat hier nicht stattgefunden. _
Im Sekret der gonorrhoisch erkrankten Urethra und Zervix
finden sich intra- und extrazelluläre Gonokokken in mässiger Menge.
Aus dem Geschwürsgrunde lassen sich sowohl bei der Untersuchung
des oberflächlichen Geschwürssekretes, als auch der eigentlichen Ge-
websmassen Gonokokken nachweisen. Eine Rcktalgonorrhöe be¬
steht nicht. , ,
Die Granulationen wurden exzidiert und die dann zutage treten¬
den Wundflächen mit dem Thermokauter verschorft.
Die anderweitige Gonorrhöe wurde gleichfalls durch die übliche
Irrigationstherapie in ca. 8 Wochen so wesentlich gebessert, dass Aus¬
fluss aus Zervix und Urethra kaum noch vorhanden war, und die
mikroskopischen Befunde sich dauernd gonokokkenfrei erwiesen.
6. Ida E., 20 Jahre alt, Prostituierte. Vom Mai bis Juni 1913
wegen Syphiiis im Krankenhaus II behandelt. Damals geheilt ent¬
lassen. Am 18. II. 14 wieder
Aufnahme. Starker Scheidenaus¬
fluss seit 6 Wochen. Klagt seit
einigen Tagen über Wundsein an
den Genitalien.
Schmächtiges, anämisches
Mädchen in etwas reduziertem
Ernährungszustände. Innere Or¬
gane o. B. Urin frei von Eiweiss
und Zucker. An der rechten
grossen Labie findet sich eine ca.
einpfennigstückgrosse, kreis¬
runde, nässende Papel, in derem
Reizserum massenhaft Exemplare
der Spirochaete pallida nachge¬
wiesen werden. Wassermann
stark positiv. Im Zervix und
Urethralsekret finden sich
massenhaft intra- und extrazellu¬
läre Gonokokken. Das Rektum¬
sekret ist gonokokkenfrei.
Pat. wird einer antisyphi¬
litischen Behandlung unter¬
worfen, unter der sich die Papel
zurückbildet. Gleichzeitig wird
natürlich auch die Gonorrhöe
therapeutisch in Angriff ge¬
nommen. .
Am 10. III. finden sich im Zervikalsekret noch spärliche Gono¬
kokken, im Urethralsekret nicht mehr. Das Rektalsexret ist nach wie
vor gonokokkenfrei. Am 12. III. wird am After, und zwar an der
Partie, die nach dem Damm zu liegt, ein haselnussgrosses Geschwür
bemerkt, dass sich rhagadenartig bis zur Schleimhaut des Rektums
erstreckt, an seinen Rändern von wallartigen, ca. Vs cm hohen kamm¬
artigen Gebilden begrenzt ist. Die Farbe dieser Granulation ist mehr
blaurötlich Das Geschwür selbst ist ziemlich oberflächlich und sieht
ziemlich rein aus. In den mit dem scharfen Löffel abgekratzten Ge-
websmassen lassen sich vereinzelte intrazelluläre Gonokokken
nachweisen.
Die mikroskopische Durchsicht eines Probeexzisionsstückes, die
Granulationen wurden am 2. II. sämtlich exzidiert, von Fall 6 ergab
folgenden Befund:
Das gesamte Bindegewebe ist von einem äusserst zellenreichen
Granulationsgewebe ausgefüllt, und zwar finden sich diese Granu¬
lationsmassen ziemlich diffus im ganzen Korium angeordnet und
reichen an manchen Stellen unmittelbar bis an die Epidermis heran.
Das Granulationsgewebe ist zum Teil mit kleinen Leukozytenherden
durchsetzt, Plasmazellen dagegen finden sich nur ganz vereinzelt.
Fig. 2.
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1561
Auffallend ist eine äusserst starke Gefässbildung in dem neugebildcten
Granulationsgewebe. Dieselbe ist fast ausnahmslos in den Teilen
direkt unter der Epidermis am stärksten. Es zeigt sich, dass gleich¬
zeitig das Granulationsgewebe an diesen Stellen ganz besonders dicht
angeordnet ist, zuweilen kann man erkennen, dass sich die frischen
Bindcgewebszellen um die Gefässe herum etwas stärker und dichter
ungeordnet finden als sonst. Weiter ist zu bemerken, dass ein grosser
Teil der Gefässe thrombosiert ist, und zwar in manchen vollkommen,
in manchen nur in Form von wandständigen Thromben. Auffallend ist
der kolossal starke Gehalt dieser neugebildeten Gefässe an Leuko¬
zyten: ln einem Teil der Gefässe sind diese so zahlreich
zu finden, dass die roten Blutkörperchen fast von ihnen ver¬
deckt werden. Zuweilen hat man den Eindruck, dass der
Leukozytengehalt dieser Gefässe ganz besonders dort gross
ist, wo die Gefässe unmittelbar unter der Epidermis liegen; ferner
wo der Entziindungszustand des Gewebes ganz besonders stark ist,
und endlich in kleineren Gefässen mehr als in grösseren. In einigen,
in der Längsrichtung getroffenen Gefässen liess sich erkennen, dass
die Leukozyten sich ganz besonders in der Randschicht des Gefässes,
unmittelbar dem Endothel anliegend, zeigten. Das Epithel, das an
manchen Stellen durch den geschwürigen Prozess zugrunde gegangen
war und hier Exsudatmassen und massenhaft Leukozyten aufwies,
zeigt auch an anderen Partien, speziell in den unteren Schichten des
Stratum Malpighi, vielfach eine Durchsetzung mit Leukozyten. Die
Epidermis ist an manchen Stellen gewuchert, die Papillen an manchen
Stellen vergrössert und verbreitert, vielfach an solchen Partien, wo
die Entzündungsherde und die Gefässneubildungen den erwähnten
Teilen besonders nahe kommen. Gonokokken wurden in dem Gewebe
selbst nicht gefunden.
In drei von den 6 beschriebenen Fällen wurde versucht, die
Gonokokken auch kulturell nachzuweisen. Zweimal wurden Aus¬
striche auf Serumagar 04 Serum, 2/3 Agar), einmal auf reinem Serum
gemacht. In allen drei Fällen gingen die Kulturen nicht an.
Resümierend möchten wir darauf hinweisen, dass die be¬
schriebenen Gewebswucherungen bei Gonorrhöe auch von
uns entsprechend der K 1 i n g m ü 1 1 e r sehen Beobachtung am
Anus und Damm gefunden wurden, und zwar am Anus häu¬
figer, als am Damm (4 : 2). Die Frauen, die an diesen Pro¬
zessen litten, hatten sämtlich eine Gonorrhöe der Urethra
sowohl wie des Zervikalkanals; eine Rektalgonorrhöe, bestand
nur in 2 Fällen. In 5 Fällen von den beschriebenen 6 wurde
in dem Sekret der Ulzera oder in den oberflächlichen Gewebs-
partien Gonokokken nachgewiesen. Es geht daher wohl aus
diesen Befunden hervor, dass gewisse Beziehungen zwischen
den beschriebenen Gewebsprozessen und der Gonorrhöe vor¬
handen sind. Auffallend ist ja, dass diese Wucherungen mit
besonderer Vorliebe in der Rektalgegend angetroffen wurden,
obwohl, wie hervorgehoben, eine eigentliche Rektalgonorrhöe
nur zweimal konstatiert werden konnte. Immerhin wäre ja
möglich, dass auch in diesen Fällen eine Rektalgonorrhöe vor¬
handen, aber inzwischen zur Abheilung gekommen war.
Kulturen konnten von uns in den 3 Fällen, wo wir den
Versuch gemacht, nicht gewonnen werden. Wir möchten aber
diesen Negativbefund nicht allzu hoch in Rechnung stellen,
zumal bei dem verhältnismässigen spärlichen Gonokokken¬
gehalt der Geschwüre die Aussichten von vornherein nicht
günstig waren. Auch K 1 i n g m ü 1 1 e r konnte ja aus den
eigentlichen Geschwüren Kulturen nicht gewinnen.
Hervorzuheben ist, dass die Gewebsveränderungen, die
oben beschrieben, klinisch sich aus zwei verschiedenen An¬
teilen zusammensetzen: Einmal den eigentlichen Wuche¬
rungen, jenen mehrfach beschriebenen, hahnenkammartigen
Gebilden, deren Farbe teils mehr hellrötlich, teils blaurötlich
erscheint, und den Geschwüren, die häufig von jenen um¬
schlossen sind, meistens verhältnismässig oberflächlich ver¬
laufen und mit mässigem Sekret bedeckt sind. Geschwüre
allein haben wir nie beobachtet, wohl aber die hahnenkamm¬
artigen Gebilde, so dass man versucht sein könnte, anzu¬
nehmen, dass ursprünglich lediglich Wucherungsprozesse
durch die Gonorrhöe hervorgerufen wurden, die erst im
späteren Verlauf zur Ulzeration gekommen waren. Die Ent¬
stehung der Ulzera wäre ja sowohl durch den Fluor vaginae
für die Dammpartien, wie durch den Stuhlgang für die Rektal¬
gegend leicht zu erklären.
Interessant ist die Kombination dieser Granulationen mit
spitzen Kondylomen in Fall 4, wobei doch offenbar dieselbe
Enstehungsursache geltend gemacht werden kann. In dem¬
selben Falle waren auch noch Hämorrhoiden vorhanden —
siehe Krankengeschichte — , Hämorrhoiden, die ja auch von
Klingmüller differentialdiagnostisch mit in Betracht ge-
Nr. 28.
zogen wurden. Ich kann K 1 i n g m ü 1 1 e r beistimmen, dass
sich die erwähnten gonorrhoischen Gewebswucherungen durch
ihre breite Wurzel und das Fehlen stärkerer Blutungen leicht
von jenen unterscheiden lassen.
Auch die Kombination mit Lues (Fälle 3, 5, 6) wurde be¬
reits in den Krankengeschichten erwähnt, doch ist die Ver¬
wechslung dieser Granulationen mit luetischen Effloreszenzen
nicht leicht, da die breiten Papeln, die ja wohl nur in Frage
kämen, zwar auch Wucherungen darstellen, indes von ganz
anderem, pilzartigen Charakter; auch ist die Oberfläche der
gonorrhoischen Granulationen meistens glatt, im Gegensatz zu
der rauhen, etwas zerklüfteten der breiten Kondylome.
Subjektiv werden durch die gonorrhoischen Geschwüre
oft Schmerzen bedingt, bei Lokalisation am Rektum speziell
Schmerzen beim Stuhlgang. Eigentliche Blutungen habe ich
nicht gesehen.
Der Verlauf ist ein ziemlich hartnäckiger, zweimal führte
die chirurgische Therapie zum Ziel, in den anderen wurden
die Geschwüre mit konservativen Massnahmen behandelt.
Bezüglich der mikroskopischen Details, wie sie speziell die
Untersuchung des Falles 6 ergibt, kann ich im allgemeinen die
Befunde von K 1 i n g m ü 1 1 e r bestätigen. Auch ich fand ein
diffuses, zellreiches Entzündungsgewebe, mit Leukozyten¬
herden durchsetzt, das vielfach bis an die Epidermis heran¬
reichte und die letztere an manchen Partien zu Wucherungen
veranlasste, ferner einen ausgeprägten Gefässreichtum der der
Epidermis unmittelbar angrenzenden Gewebsschichten des
Koriums. Auch ich konnte konstatieren, dass viele dieser Ge¬
fässe thrombosiert waren, und manche, vorzüglich in den
obersten Schichten, äusserst zahlreiche Leukozyten aufwiesen.
Dagegen habe ich Plasmazellen nur sehr wenig finden können.
Bezüglich der Literatur ist zu erwähnen, dass schon
K 1 i n g m ü 1 1 e r darauf aufmerksam macht, dass Angaben
über Wucherungen bei Gonorrhöe nur spärlich zu finden sind,
obschon die Granulationen offenbar gar nicht so selten Vor¬
kommen. K 1 i n g m ü 1 1 e r teilt den Befund von J u 1 1 i e n [2]
mit, fragt allerdings mit Recht, ob die von diesem Autor be¬
schriebenen Bildungen identisch mit seinen Beobachtungen
seien, und möchte sie mehr für einfach ödematöse Schleim¬
hautwulstungen halten, wie sie beispielsweise bei lange be¬
stehendem Analekzem oder Pruritus sich einstellen. Thal¬
mann [3] erwähnt dagegen in einem Falle von Ulcus serpi¬
ginosum gonorrhoicum die Bildung von Flügelfalten an der
Analöffnung, in einem zweiten Falle das Auftreten von Flügel-
ulcera am Damm. Ferner beschreibt Eichhorn [4] bei auf
Rektalgonorrhöe untersuchten Patientinnen „hypertrophische,
hahnenkammartige Falten, die mit zahlreichen Ulcera vom
Typus des Ulcus molle besetzt waren und mit der Erkrankung
des Darmes an sich nichts zu tun hatten“. Endlich spricht
S t r a u s s [5] in seinem Buch über „Protosigmoskopie“ von
lappen- resp. hahnenkammartigen Effloreszenzen, die in der
Nachbarschaft des äusseren Analrandes im Anschluss an
ulzerative resp. maligne Prozesse des Rektums anzutreffen
sind.
Nach 1910 sind Beobachtungen wie die Klingmüllers
in der Literatur nicht festgelegt, wenigstens von mir nicht ge¬
funden. Mitteilungen wie die von Mesch tschersky [6]
und S e r r a [7] beziehen sich mehr auf einfache gonorrhoische
Ulcera resp. Abszesse, es fehlt ihnen aber das eigentümlich
tumorartige der K 1 i n g m ü 1 1 e r sehen Fälle.
Literatur.
1. Klingmüller: Ueber Wucherungen bei Gonorrhöe. D.m.W.
1910 Nr. 28. — 2. Jullien: Seltene und weniger bekannte Tripper¬
formen. Uebersetzung von Merzbach. Wien und Leipzig 1907,
S. 18 und 19. — 3. Thalmann: Arch. f. Derm. u. Syphilis 1904,
Bd. 71. — 4. Eichhorn: Beiträge zur Kenntnis der Rektalgonorrhöe.
Derm. Zschr. 1909, 16. S. 439. — 5. Strauss: Die Proktosigmo-
skopie und ihre Bedeutung für die Diagnostik und Therapie der
Krankheiten des Rektum und der Flexura sigmoidea. G. Thieme.
Leipzig 1910. — 6. Meschtschersky: Ein Fall von multiplen
gonorrhoischen Geschwüren bei einem Manne. Arch. f. Derm. u.
Syphilis 109. S. 302. — 7. Alberto Serra: Beitrag zum Studium
des gonorrhoischen Ulcus. Annales des maladies veneriennes. März
1912 Nr. 3. ■'
3
1562
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aus der med. Universitäts-Poliklinik München (Prot. May).
Hirntumordiagnosen.
Von Priv.-Doz. ür. v. Malaise.
In nachstehendem möchte ich über 3 Fälle von Hirn¬
tumoren berichten, die meines Erachtens eine ausführlichere
Mitteilung verdienen.
Fall 1 M. L., 12 jähriger Knabe aus Wolfratshausen (Ober¬
bayern). Erste Untersuchung am 8. Juli 1913. Seit mehreren Mona¬
ten fiel den Eltern eine starke Wesensveränderung an dem früher
braven, fleissigen und intelligenten Kinde auf: Es lernte bedeutend
schlechter, war unaufmerksam, blieb in der Schule zurück. Später
wurde es unreinlich, verschmierte sich und den Abort, urinierte auch
einmal in die Hose. Spontan sprach der Knabe wenig mehr, oft auch
nichts, und antwortete auf Fragen nur mit Ja und Nein. Im Frühjahr
1911 stahl er den Eltern ein Zwanzigmarkstück, von dem er 6 M.
zum Kauf von Leckereien verwandte, während er den Rest im Garten
vergrub. Auch dem älteren Bruder stahl er einmal 3 M.
Dann soll sich eine Unsicherheit des Ganges eingestellt haben
und als Patient bei der Kommunion in der Kirche frei knien sollte, fiel
er um. Im weiteren Verlauf Klagen über Kopfschmerzen, Schwindel,
soll sogar mehrfach hingestürzt sein im Schwindel, kein Erbrechen.
Früher immer gesund, auch bei den Eltern und Geschwistern keiner¬
lei Krankheiten. Im Alter von 5 Jahren soll er aus Zimmer'höhe
herabgestürzt sein; über diesen Unfall oder seine unmittelbaren Fol¬
gen konnte nichts erfahren werden lm weiteren Verlauf besserte
sich der Kopfschmerz wieder und die Mutter machte die Angabe,
der Knabe sei „munter“, spreche zwar spontan fast nichts, sei aber
der erste der lache, wenn die anderen Kinder Unsinn machten.
Am 18. September findet sich verzeichnet, dass wieder Kopf¬
schmerz aufgetreten sei, einmal auch Erbrechen, allerdings nach dem
Genuss schwer verdaulicher Speisen. Der Kopfschmerz wird in die
linke Stirnseite lokalisiert. Weiterhin findet sich vermerkt „heiterer
Gesichtsausdruck“. Am 3. Februar d. J. wurde das Kind der Poli¬
klinik wieder zur Untersuchung gebracht. Der Vater gab dabei an,
dass Gehen und Stehen unmöglich geworden sei. Die Sehkraft soll
zeitweise stark herabgesetzt sein. Nüchtern kein Erbrechen, da¬
gegen bestehe Neigung zur Ueberladung des Magens, was einigemale
zu Erbrechen nach der Mahlzeit geführt habe. Das Wesen sei das¬
selbe geblieben.
Status während des ersten Aufenthaltes in der K. Poliklinik
1913. Aeusserst kräftig entwickeltes, blühend aussehendes Kind.
Gang deutlich zerebellar-ataktisch, dabei wird der Kopf etwas nach
der linken Schulter geneigt, der im Ellbogengelenk gebeugte rechte
Arm wird abduziert gehalten. Abweichen von der Geraden über¬
wiegend nach links. Rumpfmuskulatur ohne Besonderheiten. Vor-
und Rückwärtsbeugung des Rumpfes auch gegen Widerstand gut,
einbeiniges Stehen links schlecht, rechts unmöglich. Keine Be¬
wegungsataxie in den Extremitäten, keine Atonie, keine Dysmetrie,
Diadochokinese rechts und links ungefähr gleich gut. Normale Knie¬
beugung bei Rückwärtsneigung des Rumpfes. Keine kataleptischen
Erscheinungen. Reflexe: Patcllarreflexe beiderseits erhöht, r. deutlich
stärker, r. auch leichter Grad von Rigidität. Der Babinskische
Reflex ist beiderseits vorhanden, links auch Oppenheim. Armreflexe
r. u. 1. gleich stark, o. Bes. Keinerlei Störung der Sensibilität, keine
Astereognosie. Beklopfen des Schädels wird über der r. Stirngegend
als schmerzhaft bezeichnet, der Perkussionsschall scheint r. auch ge¬
dämpfter zu sein, indessen ist dies unsicher. Schädelumfang 53,3 cm.
Kein Nystagmus, Hirnnerven intakt, keine aphasischen Störungen.
Beiderseits Stauungspapille angedeutet. Psychisches Verhalten: Pat.
spricht spontan nichts, auf Fragen antwortet er in normaler Weise.
Rechnen etwa seinem Alter entsprechend. Nacherzählen leidlich.
Leichte Ermüdbarkeit, keine schwereren Aufmerksamkeitsstörungen.
Stimmung eher heiter. Lässt meist unter sich gehen.
Am 13. VIII. findet sich notiert: Gang zerebellar ataktisch und
zugleich etwas spastisch, Stehen auf einem Bein nicht möglich, keiner¬
lei halbseitige Zerebellarsymptome. Die spastischen Erscheinungen
an den Beinen haben sich verstärkt, überwiegen aber deutlich auf der
r. Seite, Nystagmus bei seitlicher Augenstellung. In r. Seitenlage bei
Blick nach r. kein Nystagmus. Bei linker und dementsprechender
Blickrichtung besteht er fort. Psychisch erscheint er wieder freier,
lacht leicht. Visus nach Bericht der Kgl. Augenklinik unverändert.
Status vom 3. Februar 1914: Gehen und Stehen ohne Unter¬
stützung unmöglich. Auf beiden Seiten gestützt, lehnt er den Rumpf
stark nach hinten über, bei Gehversuchen höchster Grad von Asyn-
ergie cerebelleuse, Kopf dauernd nach der 1. Schulter geneigt. Ver¬
sucht man passiv den Kopf aus dieser Haltung zu bringen, so stösst
man auf einen gewissen Muskelwiderstand. Die linken Halsmuskeln
verharren auch in der Ruhe in einem Kontraktionszustand.
Beine: beiderseits, rechts stärker ausgesprochene spastische
Parese mit Spitzfussstellung, r. hoher Grad von Rigidität. Auch
der r. Arm ist etwas hypertonisch, weniger der linke. Dement¬
sprechend verhält sich auch die Reflexsteigerung. Weder an Armen
noch Beinen halbseitige Kleinhirnsymptome. Keine Bewegungs¬
ataxie. keine Dysmetrie der Bewegungen, kein pathologisches Ver¬
halten bei der Widerstandsreaktion. Die Diadochokinese jetzt beider¬
seits deutlich verlangsamt, doch ist dies zweifellos auf Kosten der
spastischen Parese zu setzen. Demgemäss ist sie r. starker wie 1.
Dagegen findet sich in der 1. Hand deutliche Apraxie:
Znitrpti nach dem linken Ohr: r. und 1. gut.
Rechts
Links
Zunge zeigen :
Drohen :
gut
gut
gut
fährt mit gespreizten Fingern
vor seinem Gesicht herum
Winken :
erst etwas unbeholfen, dann
ähnliche Bewegungen wie bei
„Drohen“ (Perseveration),
dann ganz uncoordinierte Be¬
wegungen, auch nachdem er
es rechts wiederholt richtig
aber richtig mit gekrümmten
Zeigefinger
ausgeführt hat, ist er links nicht
dazu imstand
Militärischer Oruss :
richtig
reibt sich zuerst mit der
flachen Hand die Stirne, dann
gut
Fliegenfangen :
schlägt zuerst nur mit der
flachen Hand auf die Decke,
dann richtige Fangbewegung
ist zu letzterer nicht imstand
Taklschlagen :
gut
unbeholfen
Drehorgel :
gut
zuerst ratlos, dann in verkehrter
Richtung
Kaffeemahlen :
desgleichen
desgleichen
An Objekten hantiert er richtig, kämmt sich mit der linken Hand,
bürstet die Zähne usw. Auch komplizierte Handlungen an Objekten
werden einwandfrei ausgeführt. ..
Rechter Mundfazialis leicht paretisch, Nystagmus unverändert.
Schädelumfang hat um über 2 cm zugenommen. Die Schädelnahte
zeigen sich auf dem Röntgenbilde klaffend.
Zusammenfassung.
Ein lljähr. Junge zeigt als 1. auffallendes Krankheits¬
symptom schwere Charakterveränderungen und Abnahme der
Intelligenz. Das früher heitere, lernbegierige Kind wird ver¬
schlossen, faul, unaufmerksam. Es stiehlt seinen Eltern Geld,
vernascht es teilweise und vergräbt den Rest. Diese psychi¬
schen Veränderungen bestanden mindestens % Jahre, bevoi
den Eltern die Gleichgewichtsstörungen an dem Kinde auf¬
fielen, und dieses über Kopfschmerzen zu klagen begann.
Unsere 1. Untersuchung Juli 1913 ergibt: Zerebellar-atak¬
tischer Gang, doppelseitiger Babinski, rechts Zeichen leichter
spastischer Parese. Keinerlei halbseitige Kleinhirnsymptome.
Keine Bewegungsataxie, keine Rumpfmuskelschwäche. Be¬
ginnende Stauungspapille beiderseits bei normalem Visus,
psychisch macht Pat. zunächst einen stuporösen Eindruck, gibt
aber geordnete Antworten. Intelligenz vermindert, Neigung
zu Heiterkeit und Lachen.
Im Februar findet sich absolute Unfähigkeit zum Gehen
und Stehen. Höchster Grad von Asynergie cerebelleuse beim
Gang unter doppelseitiger Unterstützung. Auch jetzt kein ein¬
ziges halbseitiges Zerebellarsymptom. Dagegen hat sich die
spastische Paraparese der unteren Extremität verstärkt, über¬
wiegt aber nach wie vor rechts. Auch die Arme zeigen leichte
spastische Parese in gleichem Stärkeverhältnis wie die Beine.
Auf der rechten Seite ist auch der Mundfazialis in das
Bereich der Parese mit einbezogen. Leichte Zwangshaltung
des Kopfes, bedingt durch Anspannung der linksseitigen Hals¬
muskeln. Beim Sitzen Neigung nach rechts und hinten zu
fallen. Rechts Stauungspapille sehr ausgeprägt, links be¬
ginnende Atrophie des Sehnerven. Zunahme des in die rechte
Stirngegend verlegten Kopfschmerzes. Erbrechen nur bei
Ueberfiillung des Magens. Psychisch stärker stuporös, aber
auch jetzt noch leicht heiter zu stimmen. Auch die Mutter gibt
an, „er sei der erste, der lache, wenn es etwas zu lachen gibt,
und lache mehr, als in gesunden Tagen“.
Als neues Symptom findet sich eine ausgesprochene
Apraxie der linken Hand. Die kalorische Reaktion (Kgl.
Ohrenklinik) ergibt Unerregbarkeit von beiden Ohren aus,
selbst bei 600 ccm Eiswasser. Auf dem Drehstuhl erweist sich
dagegen, dass Pat. beiderseits erregbar ist, allerdings ist nur
die vestibuläre Komponente deutlich, oder doch wesentlich
deutlicher als die zentrale.
Die Diagnose schwankte nun zwischen einem Tumor
des Vermis cerebelli und einer im Stirnhirn gelegenen Ge¬
schwulst. An letztere war zu denken:
1. Wegen der frühzeitig entstandenen und lange Zeit iso¬
liert gebliebenen schweren psychischen und intellektuellen
Veränderungen.
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Dass psychische Störungen auch bei jedem anderen Sitz
eines Tumors Vorkommen können, ist hinreichend bekannt ‘).
Trotzdem wird man sicli vorerst bei dem Vorhandensein
starker psychischer Veränderungen und namentlich, wenn
solche lange Zeit isoliert bestehen, doch die Frage vorlegen
müssen, ob dies nicht im Sinn eines Stirnhirnsymptoms zu
deuten ist.
2. Wegen der ausgeprägten Apraxie- nicht als Stirnhirn¬
symptom (Hartmann), sondern als Nachbarschaftssymptom
des Balkens.
3. Traten die allgemeinen Hirndrucksymptome erst spät
in die Erscheinung und das Erbrechen spielte bis zuletzt eine
sehr untergeordnete Rolle im Krankheitsbilde.
4. Fehlt ausgesprochene Nachbarschaftssymptome eines
Wurmtumors vor allem, bilaterale Augenmuskellähmungen.
Die doppelseitige, rechts wesentlich stärkere spastische Hemi¬
parese konnte ja als Nachbarschaftssymptom von seiten des
Pons resp. der Medulla oblongata aufgefasst werden. Indessen
war schliesslich auf Seite der stärkeren Parese (rechts) auch
der Fazialis und zwar ausschliesslich der Mundfazialis mit er¬
griffen, während man als Ponssymptom, wenn schon einer der
Hirnnerven mitergriffen war, eine alternierende Lähmung
hätte erwarten müssen, also eine Lähmung des Fazialis auf der
linken Seite mit Beteiligung des Stirnaugenastes.
5. Endlich schien der Ausfall der Drehversuche für einen
supranukleär sitzenden Tumor zu sprechen.
Bei dem Versuch, den Tumor ins Stirnhirn zu lokalisieren,
kam man ohne die Annahme eines sehr grossen Tumors nicht
aus. Die Geschwulst musste sich in diesem Falle vom linken
Stirnhirn gegen den Lobus paracentralis vorschieben, dabei
die motorische Sprachregion verschonen. Frühzeitig musste
er eine Druckwirkung auf den Lobus paracentralis der rechten
Seite und zuletzt auch auf den Balken ausüben. Die links¬
seitige Apraxie schien einen sicheren Anhaltspunkt dafür zu
geben, dass irgendwelche Beziehungen der Geschwulst zum
Balken bestünden 2)-
Andererseits musste, falls es sich um einen Wurm¬
tumor handelte, mit einem intrazerbellarsitzenden und damit
operativ ungünstigen Tumor gerechnet werden.
Da die lange Dauer und die schon dadurch bedingte An¬
nahme eines grossen Tumors, vor allem aber die beginnende
Atrophie des Sehnerven zur Dekompression drängte und die
Eltern jetzt ihre Einwilligung gaben, wird in der Gegend des
1. Stirnhirns ein Hautknochenlappen angelegt und eine Ven¬
trikelpunktion angeschlossen. Nach diesem Eingriff blieb der
Puls dauernd über 140, die Temperatur stieg bis 39, die Atmung
wurde stertorös, das Bewusstsein war benommen und am
3. Tag erfolgte der Exitus.
Bei der Sektion erschien das Gehirn abnorm gross. Beide
Grosshirnhemisphären schwappten, keine Meningitis.
Kleinhirn: Erscheint auffallend gross. Aus dem enorm er¬
weiterten Aquädukt entleeren sich bei leichtem Druck erweichte
Tumormassen, ln der Tiefe des Aquädukts sieht man Tumormassen
gegen den intakten Ventrikelboden herunterhängen. Es werden nun
durch beide Hemisphären Sagittalschnitte gelegt, Auf der Schnitt¬
fläche der 1. Kleinhirnhemisphäre zeigte sich ein kleinwalnuss¬
grosser, in den zentralen Partien erweichter und schwärzlich ver¬
färbter Tumor, der das Mark nach der Seite gedrängt hat. Er ist
von der umgebenden Kleinhirnsubstanz nicht scharf abgegrenzt. Auf
der korrespondierenden, dem Mittelstück angehörenden Schnittfläche
ist der Tumor total zerfallen und verschont gleichfalls das Mark der
Hemisphäre. Auf dem Querschnitt der r. Hemisphäre ungefähr das
gleiche Bild, jedenfalls ist die Lokalisation eine symmetrische. Es
wird dann etwa 1 cm vor dem Uebergang der Medulla oblongata
in den Pons ein Frontalschnitt durch das Mittelstück gelegt. Ober¬
halb des intakten Ventrikelbodens ist nahezu in der ganzen Aus-(
dehnung des Mittelstückes der stark erweichte Tumor sichtbar. Seit¬
lich und oberhalb wird der Tumor von einer an den Seiten von
einer schmalen Zone gesunder Kleinhirnsubstanz umgeben.
Das Grosshirn wird in Frontalschnitte zerlegt. Die Hirnhöhlen
erscheinen enorm erweitert, der linke Seitenventrikel eher noch
etwas stärker als der rechte, der dritte Ventrikel ist blasig ausge¬
stülpt. Der Balken ist überall äusserst verdünnt, bis
zu 1 mm.
*) Ich sah u. a. kürzlich wieder ausgesprochene Witzelsucht bei
einem durch die Operation bestätigten Kleinhirnbrückenwinkeltumor.
a) Der Fall Westphals — linksseitige Apraxie bei linksseitig
stärke-vm Hydrocephalus internus als einzigem Befunde — (M.Klj
1908 Nr. 9) steht m. W. vereinzelt da.
15'6'T
Die Geschwulst erweist sich mikroskopisch als ein äusserst zell¬
reiches Sarkom.
Epikrise: Worin liegt das Eigenartige dieses Falles?
Einmal in der Summation von Symptomen, die die Differcntial-
diagnose zwischen Sitz im Klein- oder im Stirnhirn er¬
schwerten: Die lange Monate isoliert bestehenden Symptome
psychischer und intellektueller Veränderung eingreifendster
Natur; das späte Einsetzen der allgemeinen Hirndrucksym¬
ptome und die wenig charakteristischen, teilweise direkt irre¬
führenden Nachbarschaftssymptome, besonders statt der als
Ponssymptome zu erwartenden alternierenden Hemiplegie
eine Hemiparese inkl. Fazialis, von dem nur der Mundast be¬
troffen war. Endlich hatte der begleitende Hydrozephalus zu
einer so abnormen Verdünnung des Balkens geführt, dass die
von der linken Hemisphäre zum rechtsseitigen Armzentrum
gehenden Direktiven so unzureichend wurden, dass eine aus¬
gesprochene linksseitige Apraxie resultierte. Dieses Symptom
zog die Aufmerksamkeit in lokaldiagnostischer Beziehung vom
Kleinhirn weg in die Umgebung des Balkens.
Mit der Möglichkeit des Symptoms einer Balkenapraxie
bei mit starkem Hydrozephalus einhergehendem Kleinhirn¬
tumor wird in Zukunft zu rechnen sein, ohne dass man dadurch
von der Annahme eines Kleinhirntumors abzugehen bräuchte.
Das Auftreten dieses Symptomes wird insbesondere durch eine
lange Dauer des Leidens begünstigt und weiterhin in den
Fällen zu erwarten sein, in welchen ein vollkommen intra¬
zerebellarer Sitz einer weichen Geschwulst das bei anderen
Tumoren der hinteren Schädelgrube gewohnte frühzeitige Her¬
vortreten der allgemeinen Hirndruckerscheinungen lange Zeit
hintanhält.
Diagnostisch klar und einfach gelagert war der folgende
Fall 2, der in anderer Hinsicht Interesse erweckt.
Es handelt sich um ein 15 jähr. Mädchen vom Lande, das am
5. Februar er. von seinem Vater in die Poliklinik gebracht wird.
Letzterer macht dabei folgende Angaben: Seit 14 Tagen klage das
Kind über heftige Kopfschmerzen, die zeitweise exazerbierten. In
den letzten Tagen sei mehrfach Erbrechen aufgetreten, einigemale
nüchtern, meist aber im Anschluss an die Nahrungsaufnahme, so dass
Pat. oft tagelang nichts behalten konnte. Seit dieser Zeit habe ,sich
der Gang ganz erheblich verschlechtert, sei schwankend und un¬
sicher geworden. Während das Kind bis in die letzte Zeit in der
Feiertagsschule gute Fortschritte machte, habe es in den letzten
Wochen im Rechnen stark nachgelassen. Vor einiger Zeit habe sie
vorübergehend über Doppelsehen geklagt.
Bis zu dieser Erkrankung vor 14 Tagen habe Pat. alle landwirt¬
schaftlichen Arbeiten verrichtet. Das einzige, was den Eltern vor¬
her, und zwar im Herbst 1913, aufgefallen sein soll, war ein „Plumper¬
werden“ des Ganges. Wie von anderer Seite noch angegeben wird,
sei das Kind häufig durch Schläge auf den Kopf misshandelt worden.
Status: Blasses Kind mit allen Anzeichen heftiger Kopf¬
schmerzen. Es besteht sehr ausgesprochene doppelseitige Stauungs¬
papille. Linkseitige Abduzenslähmung. Nystagmus horizontalis und
vertikalis. Uebrige Hirnnerven intakt. Die Sprache ist auffallend
langsam. Kopf- und Gesichtsbewegungen nicht verlangsamt. Gang
stark zerebellar-ataktisch, ohne Regelmässigkeit in der Richtungs¬
abweichung. Extremitäten: In Arm und Bein der linken Seite aus¬
gesprochene Hypotonie, die Glieder lassen sich übermässig leicht
in die verschiedensten Stellungen bringen. Die grobe Kraft links
gegenüber rechts nur wenig herabgesetzt. Widerstandsreaktion in
normaler Weise. Die Sehnenreflexe fehlen an den unteren Extremi¬
täten beiderseits, an den Armen sind sie rechts und links ungefähr
gleich, normal stark auslösbar. Keinerlei echt spastische Phänomene.
Im linken Beine ausgesprochene zerebellare Bewegungsataxie und
Dysmetrie der Bewegungen. Diese hinsichtlich ihrer Intensität bei
verschiedenen Untersuchungen wechselnd. Im linken Arm ausge¬
sprochene Bewegungsataxie von zerebellarem Typus und starke Adia-
dochokinesis.
Vom Tage des Eintritts an bestehen 5 Tage lang Temperaturen
zwischen 38 und 39,2, Leukozytose 15 600, die nach Fieberabfall auf
ca. 5000 zurückgeht.
Kalorische Reaktion (Kgl. Ohrenpoliklinik): Normaler Nystagmus
vom linken Ohre aus bei Irrigation mit kaltem Wasser. Dagegen
kein Vorbeizeigen links.
Diagnose: Tumor der Rinde der linken Kleinhirnhemisphäre.
Diese Diagnose findet in der Untersuchung nach B a r a n y ihre Be¬
stätigung.
O p e r a t i o n (Prof. Klausner): Freilegung der linken Klein¬
hirnhemisphäre nach Anlegung eines breiten Hautknochenlappens. Nach
Eröffnung der stark gespannten Dura reichlicher Liquorabfluss. Kein
Tumor sichtbar noch palpabel. Spaltung der linken Kleinhirnhemi¬
sphäre, ohne dass der palpierende Finger auf einen Tumor stösst.
3*
1564
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
Operation wird abgebrochen. Nächster lag: unter plötzlicher Atem¬
lähmung Exitus. , - , .
Bei der Obduktion fällt nach Herausnahme des Gehirns ein
gut walnussgrosser Tumor aus der gespaltenen Kleinhirnhcmisphare
heraus Erfühlt sich weich an, zerbröckelt und birgt in seinem
Innern eine noch ziemlich frische, sehr ausgedehnte Blutung. Mas¬
siger Hydrozephalus. Die linke Kleinhirnhemisphare erscheint ein¬
gesunken und stark verdünnt. Nur die laterale Partie ist annähernd
vorTnormaler Dicke und Konsistenz. Auf einen Parallelschnitt durch
das Kleinhirn erscheint die linke Hemisphäre in eine Tasche ver
wandelt mit, in der Ausdehnung des Geschwulstbettes, stark ver¬
dünnten Wandungen. Das anscheinend intakte Mark ist ganz lateral-
wärts gedrängt. Ein ca. mandelgrosser Teil des Tumors ist in der
Medianlinie zurückgeblieben. Auf dem Durchschnitt durch den Tumor
erscheint nahezu die ganze hintere Hälfte von einer ziemlich frischen
Blutung eingenommen. Sie erweist sich mikroskopisch (Proi.
Oberndorfer) als ein gefässreiches, äusserst zellreiches barkom.
Epikrise: Auffallend war in diesem Fall zunächst die
Anamnese insofern, als der ganze Symptomenkomplex, sowohl
die allgemeinen Hirndruckerscheinungen als die Lokalsym¬
ptome mit Ausnahme der Qangveränderung in akuter weise
unter Temperaturerhöhungen 2 Wochen vor der Einheferung
der Kranken in die Klinik entstanden waren. Wenn man auch
mit einer schlechten und wenig sorgsamen Beobachtung seitens
der Eltern rechnet, so bleibt doch die auch ärztlicherseits be¬
stätigte Tatsache bestehen, dass das Kind bis zu diesem Termin
schwere landwirtschaftliche Arbeiten verrichtete und dass
seine Leistungen in der Feiertagsschule erst in den letzten
Wochen Anlass zu Klagen gegeben haben.
Das plötzliche Auftreten schwerer Symptome ist durch die
Blutung hinreichend erklärt, die in der Geschwulst gefunden
wurde, und die äusserst weiche Beschaffenheit der letzteren
lässt auch die Annahme zu, dass der durch sie ausgeubte Druck
auf die Kleinhirnsubstanz sich sozusagen schonend voLlzog, und
die Druckwirkung erst spät in die Erscheinung treten konnte.
Dass ein Schädeltrauma (Stockschläge) bei der Entstehung der
Blutung eine Rolle gespielt, liegt im Bereichender Möglichkeit
Der Gefässreichtum des Tumors lässt dies einerseits noch
nähergerückt erscheinen, während andererseits die bröckelige
Beschaffenheit des Tumors auch zu einer spontanen Blutung
disponierte.
Beachtenswert ist in mancherlei Beziehung das Fieber.
Die Höhe der Temperaturen und der Umstand, dass es sich
um Kontinua handelte, machten einen Abszess zum mindesten
unwahrscheinlich. Eher hätte an Meningitis serosa gedacht
werden können, aber die rein halbseitigen, auf die Rinde des
Kleinhirns hinweisenden Symptome Hessen auch diese aus-
schliessen. Da für die Entstehung des Fiebers an den übrigen
Körperorganen bei der Obduktion keine Ursache zu eruieren
war, muss man wohl annehmen, dass die Resorption der Blu-
tung bei seiner Entstehung eine wichtige Rolle gespielt hat.
In der Temperaturerhebung ein zentrales Symptom zu er¬
blicken, erscheint mir mit Rücksicht auf das allmähliche Ab¬
fallen des Fiebers und weiterhin deshalb unwahrscheinlich,
weil man bei der zentralen Entstehung meist Hyperpyrexie
verzeichnet findet.
Der Fall bestätigte die Richtigkeit und Zuverlässigkeit der
neueren Kleinhirnlokalisation. Der Tumor entwickelte sich
nahe der Mittellinie und verdrängte den Wurm stark nach der
anderen Seite. Daher Beginnen mit zerebellarem Gang; er
entwickelte sich weiterhin ausschliesslich auf Kosten der Rinde
unter Verschonung der zerebellaren Kerne, daher nur Rinden-
symptome; endlich war die Verdünnung der Hemisphäre an
der vorderen Fläche entschieden stärker vorgeschritten und
demgemäss waren die zerebellaren Erscheinungen — Atonie,
Dysmetrie, Bewegungsataxie — im Bein stärker als im Arm
ausgesprochen. Weiterhin deckte sich das Untersuchungs¬
ergebnis nach Barany mit der Diagnose auf Grund der
übrigen nervösen Erscheinungen. Bemerkenswert endlich ist
für die intrazerebellare Lokalisation auch in diesem Falle das
absolute Fehlen von Nachbarschaftssymptomen mit Ausnahme
der leichten Parese des bekanntlich ausserordentlich leicht
lädierbaren Abduzens.
Zur Publikation des dritten Falles bewog mich die
schon mehrfach angestellte Beobachtung, dass Linkshändigkeit
die Seitenlokalisation eines Grosshirntumors temporär erheb¬
lich zu erschweren vermag, solange eben nicht ausgesprochene
Nachbarschaftssymptome über diese Schwierigkeit hinweg-
hÜ ET handelte sich um eine 47 jähr Dame meiner Privatklientek die
bei meiner ersten Untersuchung schon seit ca. 1)4 Jahren an tr
scheinungen von Kopfschmerz, Sprachbehinderung im Sinne ei”e.r
amnestischen Aphasie, Alexie und zeitweise auftretende Unsicherheit
rs Ganges gelitten hatte. Vor ca. L Jahr war von ophthalmo-
logischer Seite eine rechtseitige, später doppelseitige Neuritis optica
abgetreten die einen sehr hohen Grad erreichte und mit zahl¬
reichen Hämorrhagien in der Umgebung des
ging Auf der rechten beite habe auch die Sehscharfeabnabme er
heblich frühzeitiger als links eingesetzt. Hat befand sich i schon i seK
über Jahresfrist im Klimakterium und man hatte der Ansicht zig
St, dass die Sprachstörung, die hinsichtlich ihrer ln ensdat er-
lieblichen Schwankungen unterworfen gewesen sei m den
Rückbildungsvorgängen in Zusammenhang stunden. Pat. hat ö g
sunde Kinder und keine spezifische Infektion durchgemacht. Sie
ist von kräftiger Konstitution. Pat. ist von jeher linkshändig und
verrichtet ausser dem Schreiben alle feineren Handhabungen mit der
linken Hand. Linker Arm und linke Hand sind entsprechend etwas
kräftige^ ^t^.1<'Doppelseitige hochgradige Neuritis optica mit zahl¬
reichen Blutaustritten in der Netzhaut. Visus rechts erheblich herab¬
gesetzt links weniger. Es besteht ausgesprochene amnestische
Aphasie — Fehlen der Substantiva und Concreta, Umschreibung dieser
nJt Sätzen etc. — Paraphasie oft bis zum ausgesprochenen Kauder-
w rechtsseitige Abduzens ist vollkommen paretisch, dement¬
sprechende Doppelbilder. Der linke Mundast des Fazialis weist eine
sehr geringe Innervationsdifferenz auf, die noch am deutlichsten beim
weiten OeHnen des Mundes in die Erscheinung tritt . Arme .und
Beine ohne Parese, ohne Ataxie, keine Astereognosis^ Kerne Storung
auf dem Gebiete der bewussten Empfindung. Am rechten russ
Babinski, der sich aber bei den nachfolgenden Untersuchungen
nicht immer als konstant erweist. Endlich fand ich bei der ersten
Untersuchung Hemianopsia bilateralis homonyma dextra.
Die Diagnose lautete auf einen Iumor, wahrscheinlich Gliom,
im oberen Teile des Schläfenlappens, nach hinten bis in den Gyrus
angularis sich erstreckend — in Rücksicht auf die schon lange b-
stehende, stark ausgesprochene Alexie. Irotz der Linkshändigkeit
musste in Rücksicht auf die Hemianopsia bilateralis hom. dextra die
Geschwulst in den linken Schläfenlappen verlegt werden für welche
Auflassung auch — mit einiger Reserve wegen seiner Inkonstanz —
der rechtseitige Babinski zu verwenden war. In Rücksicht auf die in
den letzten Wochen rasch abnehmende Sehschärfe wird sofortige
Operation empfohlen. , . , . j
Die Unsicherheit in der Seitendiagnose begann erst, als bei der
Untersuchung durch den Ophthalmologen die Hemianopsie nicht be¬
stätigt wurde. Denn für einen Sitz im rechten 1 emporallappen
schien ausser der Linkshändigkeit noch die rechtseitige Abduzens¬
lähmung und der Beginn der Neuritis optica und der Sehscharfe-
abnahme auf dem rechten Auge zu sprechen, wahrend durch Wegfall
der Hemianopsie nur noch der nicht konstante Babinski am rechten
Fusse und ev noch die recht unsichere Innervationsschwache des
rechten Mundfazialis für einen linksseitigen Sitz zu verwerten war.
Schliesslich erwies sich aber doch die Hemianopsia dextra als
zu Recht bestehend und die Operation (Prof. v. Stubenraue )
wurde zweizeitig über dem linken Schläfenlappen ausgefuhrt. s
fand sich ein grosses Gliom, das nur teilweise entfernt werden konnte.
Die Pat genas, aber die Sehschärfe nahm rapid ab und führte zur
Amaurose infolge Atrophie des Sehnerven. Die amnestische Aphasie
und Paraphasie hat sich nach 1 Jahr nicht wesentlich gebessert, was
man bei der ausgesprochenen Linkshändigkeit der Pat. durch Ein¬
greifen der rechten Hemisphäre hätte erwarten können.
Der Fall war eine weitere Bestätigung der schon früher
gemachten Erfahrung, dass selbst bei ausgesprochener Links¬
händigkeit die Annahme einer Lokalisation des Sprachzentrums
in der rechten Hemisphäre nur mit grosser Vorsicht zu
machen ist, _____ _
Zur Methodik der intravenösen Injektion.
Von Professor H. S t r a u s s in Berlin.
Da in der letzten Zeit in dieser Wochenschrift mehrfach, so von
E Schneider (in Nr. 16), von H. Spitzy (in Nr. 19) und von
J W a 1 1 e r (in Nr. 26) und auch an anderen Stellen, so z. B. in der
Med. Klinik von E. Rüdiger (Nr. 14 ds. Js.) für die Venenstauung zum
Zweck der intravenösen Injektion das Prinzip der Riva-Roccischen
Umschnürung des Oberarms unter Zwischenschaltung eines T-Rohres
oder Dreiweghahns empfohlen wurde, so möchte ich bemerken, dass
ich dieses Prinzip schon 1907 in der Deutschen mediz. Wochenschrift
Nr 4 für den gleichen Zweck auf Grund einer längeren Benutzung
empfohlen habe. Wenn man von unwesentlichen Einzelheiten absieht,
entspricht die an der genannten Stelle reproduzierte Abbildung den
in den jüngst erschienenen Mitteilungen wiedergegebenen Skizzen
völlig und es hat sich mir dieses Vorgehen auch bis in die neueste
Zeit bewährt. Ferner möchte ich mit Rücksicht auf einige neuere
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1565
Mitteilungen über die Benutzung knieförmig gebogener Kanülen für
intravenöse Injektionen, so z. B. von Chajes (D.m.W. 1914 Nr. 5)
hier darauf hinweisen, dass ich auch an der oben genannten Stelle
schon die Verwendung knieförmiger Kanülen für intravenöse In¬
jektionen empfohlen und durch Abbildung der von mir benutzten
mit einer Liegeplatte versehenen Injektionskanüle illustriert habe.
Zur Technik der Anlegung des künstlichen Pneumothorax.
Bemerkungen zu der Arbeit von W. F r e h n in Nr. 25 d. W.
Von Dr. K. Kaufmann in Schömberg, OA. Neuenbürg.
Am Schluss seines Aufsatzes erwähnt F r e h n meine Methode
zur Anlegung des künstlichen Pneumothorax, die ich Anfang vorigen
Jahres im 6. lieft des Intern. Zbl. f. Tbc. Forsch, angab und die wir
damals schon seit 3 Jahren in der neuen Heilanstalt mit gutem Erfolg
und ohne jeden Zwischenfall anwandten, als seiner ähnlich. Das trifft
insofern durchaus zu. als gerade mehrere Einzelheiten vollkommen
übercinstimmen: das Prinzip der von Schmidt angegebenen Gleit¬
nadel, das Einstechen auf die Rippe, das Abgleitenlassen von ihr auf
und durch die Faszie mit der Muskulatur bei einem tiefen Atemzug,
die Verwendung der S a 1 o m o n sehen Kanüle, das Einfliessenlassen
von Sauerstoff (D e n e k e) und hiefür die Modifikation des Brauer-
schen Instrumentariums.
In einem möchte ich aber doch einen wesentlichen Unterschied
hervorheben, und nach der Richtung bedeutet meiner Ansicht nach
die Methode von F r e h n keine Verbesserung meines Verfahrens.
Ich hütete mich sehr vorzuschlagen, mit dem scharfen Instrument
tiefer als bis auf die Rippe, die einen absoluten Schutz bildet, vor¬
zudringen, entferne das Stilett des von mir benutzten Trokarts hier
und gehe nur mit der stumpfen Salomor sehen Kanüle weiter, um
jede Möglichkeit, die Pleura scharf zu verletzen, zu vermeiden, was
bei der langen Gleitnadel von Frehn schon allein bei einer un¬
vorhergesehenen, schnellen Bewegung des Patienten geschehen kann
— bekanntlich sind gerade dabei öfter Luftembolien beobachtet
worden — , ganz abgesehen davon, dass man nicht leicht beim Durch¬
stechen der Faszie und Muskulatur mit der scharfen Nadel im rich¬
tigen Augenblick vor der dünnen Pleura Halt machen kann. — Den
Trokart, den Frehn als Komplikation meiner Methode ansieht, ver¬
wende ich absichtlich. Er liegt besser in der Hand und ermöglicht
ein sichereres Arbeiten, hat auch vor allem den Vorzug, dass sich
das Stilett ganz entfernen lässt und damit nur die stumpfe Hülse vor
der Pleura bleibt. Er dürfte ferner eine einfachere Handhabung ge¬
statten und aseptischer sein als die mit 3 Stellschrauben ausgerüstete
Gleitnadel des Frehn sehen Instrumentariums.
Ueber das Auftreten peptolytischer Fermente im Blute.
Eine Richtigstellung der Bemerkungen von M. Mandel¬
baum in Nr. 26 dieser Wochenschrift.
Von Prof. Dr. Hermann Pfeiffer.
Gegenüber den Ausführungen M. Mandelbaums weise ich
darauf hin, dass ich in meinen beiden Publikationen an keiner Stelle
Prioritätsansprüche gestellt habe. Ich habe vielmehr deutlich zum
Ausdrucke gebracht, dass meine Untersuchungen auf dem Gedanken
Mandelbaums fassten, die Reaktion sei durch Zelltod bedingt.
Ebenso habe ich hervorgehoben, dass ich mich seiner Methodik be¬
dient habe. Es kam mir ausschliesslich darauf an, zu prüfen, ob bei
den von mir schon mehrfach studierten Krankheitsbildern, bei denen
ein Partialtod im Organismus zum Teil selbstverständlich, zum Teil
nur möglich ist, sich auch intravital eine hochgradige Peptolyse in
Serum und Harn nachweisen lasse. Und dieser Nachweis ist mir
gelungen. Damit war gleichzeitig dargetan, dass es nicht nur agonal
oder postmortal, sondern auch intravital bei Zelluntergang zu hoch¬
gradigen Titersteigerungen kommen kann.
Die deformierende Gelenkentzündung (Arthritis deformans)
im Lichte neuerer Forschungen1).
Nach den mikroskopischen Befunden von Prof. G. Pommer2).
Von L. v. Stubenrauch.
(Schluss.)
Von den genannten primären Verände¬
rungen des Gelenkknorpels, nicht von der
Veränderung an der Knorpelknochengrenze
muss man ausgehen, wenn man die A. d. befrie¬
0 Referat, erstattet in der Sitzung des ärztlichen Vereins Mün¬
chen vom 20. Mai 1914.
2) Prof. G. Pommer: Mikroskopische Befunde bei Arthritis de¬
formans. Mitteilungen aus dem pathologisch-anatomischen Institut der
der k. k. Universität Innsbruck. Denkschriften der k. Akademie der
Wissenschaften zu Wien. LXXXIX. Bd, 1913, S. 65 — 316, mit
17 Tafeln und 22 Textfiguren.
digend erklären will. Das Vorgreifen von Mark¬
räumen und Gefässkanälen in den unverkalkten Gclenkknorpel
— ein zum Wesen der A. d. gehöriger Vorgang — mit allen
möglichen Folgezuständen geschieht nicht selbständig, son¬
dern nur in Kombination mit den besagten Knorpelverände¬
rungen. Verschiedene funktionelle und anatomische Um¬
stände kommen für die Entstehung der subchondralen Ver¬
änderungen in Betracht, so vor allem Gelenkknorpelverän¬
derungen, welche zu Beeinträchtigung der Elastizität führen,
Art und Mass der mechanischen und funktionellen Bean¬
spruchung. So erklärt es sich auch, dass unter den Bedin¬
gungen seniler Ernährungsstörungen des Knorpels und seniler
Knochenatrophie vorwiegend A. d.-Befunde anzutreffen sind.
Auch die Befunde geringgradiger Fälle geben Beweise für die
Richtigkeit der Anschauung B e n e k e s, dass die zur Beein¬
trächtigung der Elastizität des Gelenkknorpels führenden Ver¬
änderungen desselben die Entstehung der A. d. und zwar auf
indirekte Weise bedingen. Durch die bei der A. d. bestehende
Aufrechterhaltung der Gelenkbewegungen kommt es auch
später, wenn die Markräume mit ihrem gefässhaltigen Gewebe
blossgelegt werden, nicht zu ankylosierenden Bindegewebs-
oder Knochenbildungen.
Differentialdiagnostisch ist die A. d. von der Arthritis
ankylopoetica sowohl klinisch wie anatomisch zu
trennen. Bei letzterer bilden die aus den Markräumen vor¬
greifenden Vaskularisations- und Ossifikationsvorgänge den
Abschluss der Veränderungen, während die besagten Vorgänge
bei der A. d. frühzeitig auftreten, den Prozess von Anfang be¬
herrschen und dabei über die Gelenkfläche vorgreifende syno¬
viale Bildungen gefässhaltigen Bindegewebes völlig fehlen.
Dieser wesentliche Unterschied, den schon C. H u e t e r er¬
kannte, sichert die mikroskopische Differentialdiagnose beider
Krankheitsprozesse. Dagegen kann eine Trennung der A. d.
in eine atrophische (degenerative) und eine hyper¬
trophische (hyperplastische), sowie eine Abscheidung des
sogen. Malum senile von der A. d. nicht anerkannt werden.
Geht man nunmehr nach Einsichtnahme in die vorange¬
führten Untersuchungsergebnisse Pommers und unter
Würdigung der bereits über den gleichen Gegenstand vor¬
liegenden vom Autor in eingehendster Weise berücksichtigten
Literatur an die kritische Betrachtung der wesentlichen für die
Entstehung der A. d. in Betracht kommenden Theorien, so
wäre zunächst zusammenfassend zu wiederholen:
Die Annahme, von welcher Wollenbergs vaskuläre Theorie
ausgeht, dass Gefässveränderungen (Verdickung der Arterienwand,
Verengerung des Gefässlumens), welche er im Knochenmark fand,
primär für die Entstehung der A.-d.-Veränderungen in Betracht
kommen, während der Knorpel, der allerdings meist die ersten deut¬
lichen Veränderungen aufweist, nicht Sitz der primären Läsion sein
kann, ist ebensowohl nach den vorliegenden Befunden Pommers,
als auch nach den schon angeführten Untersuchungen Walkhoffs,
Ewalds und P r e i s e r s unhaltbar.
Die gleichen Einwendungen, welche aus der Erkenntnis der ört¬
lichen Entstehungsbedingungen und des Entstehungsmodus der A.-d.-
Veränderungen der vaskulären Theorie Wollenbergs gegenüber
sich ergeben, gelten auch gegenüber der humoralen Affassung R i -
m a n s, welcher eine atrophische und hypertrophische Form der A. d.
unterscheidet und bei denselben für die Entstehung des Krankheits¬
prozesses einerseits die durch Tuberkulose (auch durch Karzinom,
Sepsis, Syphilis), andererseits die durch Arteriosklerose eintretende
chemische Alteration der Gewebssäfte im allgemeinen und der Ge¬
lenkflüssigkeit im besonderen verantwortlich macht, indem er auf
sie die Degeneration des Gelenkknorpels zurückführt, welche dann
dem physiologischen Gelenkmechanismus nicht mehr gewachsen sei
und zugrunde gehe.
Nach den Voraussetzungen, von denen diese Anschauungen
ausgehen, müsste die A. d. unter allen Umständen ein mehr
weniger ausgebreiteter Gelenkprozess sein. Dies trifft aber
keineswegs zu. Die von Pommer an seinen geringgradigen
und örtlich beschränkten Fällen von A. d. aufgenommenen Be¬
funde weisen in ihrer Uebereinstimmung mit den Befunden,
die sich bei ausgebreiteter A. d. aufnehmen Hessen, deutlich
darauf hin, dass gleichwie bezüglich der Diagnostik so auch
bezüglich der Pathogenese nur Auffassungen befriedigen
können, die dem einheitlichen Charakter jener Veränderungen
gerecht werden, die der ausgebreiteten und hochgradigen A. d.
und andererseits auch den Fällen von beschränkter gering¬
gradiger und beginnender A. d. eigen sind.
1566
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28..
Den Anforderungen, die in letzterer Beziehung an eine be¬
friedigende Theorie der A. d. herantreten, suchte auch
Q. P r e i s e r gerecht zu werden, was ihm jedoch, wie Pom¬
mers Erörterungen darlegen, keineswegs einwandfrei ge¬
lungen ist, trotzdem Pr e i s e r von funktionellen Gesichts¬
punkten ausging. Nach G. P r e i s e r soll die A. d. eine sta¬
tische Erkrankung sein.
Er betont zunächst den schädlichen Einfluss gewisser Beinstel¬
lungen (Aussenrotation, Abduktion, Valgität) bei bestimmten gewerb¬
lichen Berufen, dann die Bedeutung der Veranlagung gewisser an¬
geborener Gelenkanomalien (Pfannenstellung). Durch solche Um¬
stände tritt „Gelenkflächeninkongruenz“ mit ihren weiteren Folgen
auf: Einzelne Teile der Gelenkknorpeloberfläche werden ausser Kon¬
takt gesetzt, es kommt zu Atrophie des kontaktlosen Knorpels, zu
Kapselveränderungen und Osteophytenbildungen, deren Auftreten als
ein „Selbstheilungsvorgang“ „als Anpassung oder Ausgleich für die
statischen Missverhältnisse“ zu betrachten sei. Als beweisend hiefür
werden die osteophytären Auflagerungen angegeben, welche am
Pfannendache auftreten und dem „darunter herausrollenden Kopf nach
oben statischen Halt geben“.
Demgegenüber muss darauf hingewiesen werden, dass
gewisse Annahmen, von welchen die statische Theorie aus¬
geht, nicht zutreffen. Keineswegs ist der Kontakt des Gelenk¬
knorpels eine notwendige Bedingung für die dauernde Existenz
des Knorpels. Durch Anatomen, wie Henle und P. Fick,
ist festgestellt, und besonders von Schulin wieder be¬
tont worden, dass die Ausdehnung der Gelenkflächen bei
gewissen Gelenken durchaus nicht immer der Ex¬
kursionsgrösse der Bewegungen entspricht. Auch geht
es keineswegs an, die Randwulstbildungen als osteo-
phytäre Produkte im gebräuchlichen histologischen Sinne
zu bezeichnen, die zu dem Zweck gebildet sein sollen,
einen Ausgleich der statischen Missverhältnisse zu schaffen.
Pommers Untersuchungen haben deutlich nachgewiesen,
dass es sich bei den Randwulstbildungen nur in ganz ein¬
zelnen Fällen und nur unter ganz bestimmten örtlichen Ver¬
hältnissen um echtes Osteophytengewebe periostaler Abkunft
handelt. Weder die so häufig die Gelenkflächengrenze um¬
greifenden Randwulstbildungen, noch jene auf Knorpelusuren
und Schliffflächen sich beziehenden Befunde, die man bei A. d.
ohne Randwulstbildungen im inneren Gelenkflächengebiete vor¬
findet, können nach der statischen Theorie G. Pr eis er s erklärt
werden. Diese berücksichtigt allzusehr die Gefahr für die
druckentlasteten Gelenkteile gegenüber der Bedeutung
der an den statisch und mechanisch über beanspruchten Ge¬
lenkteilen eintretenden Erschöpfung der Knorpelelastizität, für
deren Würdigung bereits auf physiologischem Gebiet, ausser
den Gebrüdern Weber, Henke, Roux, Lesshaft und
R. F i c k eintraten. Auch die experimentellen Untersuchungen
K r o h s, deren Ergebnisse P r e i s e r als Beweise für die
Richtigkeit seiner eigenen Anschauungen anführt, sind keines¬
wegs Belege für die statische Theorie, da in den Versuchen
K r o h s niemals der Deformierungsprozess auf das betreffende
Gebiet der Druckentlastung beschränkt blieb. Wenn demnach
die bei der „Gelenkflächeninkongruenz“ Preisers voraus¬
gesetzte Druckentlastung nicht als Ausgangspunkt für die Er¬
klärung der A. d. -Veränderungen genommen werden soll,
so kann man die betreffenden Gelenkverhältnisse immerhin als
disponierendes Moment von nicht zu unterschätzender Be¬
deutung für die Entstehung der A. d. in Betracht ziehen, da es
hiebei ja örtlich zu relativer funktioneller Ueberbeanspruchung
des Gelenkknorpels kommen muss. In einer bedeutungsvollen
Arbeit über Spondylitis deformans hat E. B e n e k e bereits
1897 auf den Grundlagen, die ihm im Besonderen die Anschau¬
ungen von Roux und L e s s h a f t boten, die funktio¬
nelle Theorie der Arthritis deformans geschaffen, durch
welche eine einheitliche Erklärung der anatomischen Befunde
ermöglicht ist. Wie es die primäre Bandscheibendegeneration
ist, welche bei fortbestehender mechanischer Inanspruchnahme
der Wirbelsäule durch die Abnahme ihrer Elastizität bzw. in¬
folge des Unvermögens, die Stosskräfte gleichmässig zu ver¬
teilen, die Spondylitis deformans erzeugt, so sind auch für die
Arthritis deformans die Knorpeldegeneration der wesentliche
Urgrund und die hierdurch veränderten statischen Bedingungen
die weiteren massgebenden Momente. Auch die Untersuchungen
Walkhoffs brachten das wichtige Ergebnis, dass die A. d. ent¬
gegen der Kimura sehen Anschauung nicht auf Atrophie des
Knochens beruht, sondern als Ursache eine Degeneration des
Knorpels hat, welche mannigfachen Ursprung haben kann.
Sowie der Knorpel degeneriert ist, stellen sich durch die un¬
geschwächt zur Einwirkung kommenden statischen und dyna¬
mischen Kräfte in den subchondralen Knochenpartien die aus¬
gedehnten progressiven Prozesse ein, in den nichtbeanspruch-
ten aber Atrophie. Die Bedeutung primärer Knorpelverände-
rungen, die sie als Fibrillation bezeichnen (dieselben gingen nur
in eine m ihrer Fälle mit ausgebreitetem Verlust der Kern¬
färbbarkeit einher), wie funktionelle Gesichtspunkte betonen
auch Nichols und Richardson. Besonders wertvolle
Belege für die funktionelle Theorie finden sich aber in den Er¬
gebnissen und Schlüssen Pommers. Die Vorgänge der A. d..
sind nach ihm augenscheinlich an das Zusammenwirken mehr¬
facher Momente funktioneller und anatomischer Natur ge¬
bunden. Auch die Erfahrungen, welche von zahlreichen Be¬
obachtern, schon von Smith und Schoemann, in neuerer
Zeit besonders von P r e i s e r, v. Brunn, König sowie von
Nichols und Richardson und von Stempel auf dem Gebiete
der Aetiologie und Pathogenese gewonnen wurden, erweisen
die Annahmen, von welchen die funktionelle Theorie ausgeht,
als zutreffend und stichhaltig. Nach allem lehrt die Erfahrung,
dass eine das physiologisch Mass übersteigende Bean¬
spruchung der Elastizität des Gelenkknorpels (körperliche
Ueberanstrengung, schwere Arbeit, einseitige Belastung in ge¬
bückter Stellung, langes Stehen) im Verein mit disponierenden
Momenten für die Entstehung der A. d in Frage kommt. Ge¬
wisse Gelenke (besonders Knie-, Hüft- und Schulter¬
gelenk) sind häufiger befallen und durch ihre von
Weichselbaum erwiesenen Eigentümlichkeiten, auch
gewisse Stellen des Gelenkknorpels besonders dazu ver¬
anlagt. Besonders bevorzugt zeigt sich die rechte Seite. !
Zu den disponierenden Momenten sind ausser den mit
dem Senium unter Umständen einhergehenden Ernährungs¬
störungen auch die durch Luxationen und Frakturen ver-
anlassten abnormen Gelenkstellungen, ferner angeborene Ge¬
lenkanomalien und die Fälle der sogen. „Gelenkflächeninkon¬
gruenz“ Preisers zu rechnen, ohne dass damit den Vor¬
stellungen Preisers beigepflichtet wird, dass unter solchen
Verhältnissen, so z. B. bei Plattfussstellung, eine Entlastung in
gewissen Knorpelgebieten den Anlass zu ihrer Degeneration
und damit zur A. d. gebe. Unter den pathogenetischen Mo¬
menten stehen voran die Gelenkknorpelveränderungen. Er¬
nährungsstörungen und Gewebsveränderungen, welche die
Knorpelelastizität beeinträchtigen, geben die Vorbedingung zur
Entstehung der A. d. ab; dafür spricht die grosse Verbreitung
der regressiven Knorpelveränderungen (W eichseibau m,
Nichols und R i c h a r d s o n, B e i t z k e). Andererseits lässt
sich, wie schon angegeben, die Verknöcherung des Gelenk¬
knorpels, die bei A. d. so auffällig bemerkbar wird, ebenso¬
wenig durch Druckentlastung als durch Ruhestellung der Ge¬
lenke erklären; dagegen sprechen schon die von Moll u. a.
mit andauernder Immobilisation ausgeführten Versuche. Nor¬
maler Gelenkknorpel verknöchert weder an sich durch das
Alter physiologischerweise, noch infolge Ruhestellung und Ent¬
lastung, sondern erst dann, wenn seine Elastizität gestört ist
und sich der Einfluss übermässig gesteigerter und ins Patho¬
logische abgeänderter Funktion durch den veränderten Knorpel
hindurch auf das Zellenleben und Gefässleben in den subchon¬
dralen Markräumen geltend macht. Die indirekt daraus re¬
sultierenden Veränderungen der subchondralen Knochenteile
verdanken also, wie Pommer auseinandersetzte, ihre Ent¬
stehung nicht einem Mangel an Druckwirkungen, sondern einer
mangelnden Sicherung vor Druck, Stoss und Abscherungs¬
wirkungen. Vorwiegend findet man A. d.-Befunde unter den
Bedingungen seniler Ernährungssstörungen des Knorpels
unter welchen der Krankheitsprozess entweder erst entsteht
oder, wie schon Beneke annahm, auf Basis der von Jugend¬
zeit her bestehenden Anfangsstadien der Veränderungen noch
zu besonderer weiterer Ausbildung gelangen kann. Begreif¬
licherweise können bestehende atrophische Knochenverhält¬
nisse unter den Bedingungen gestörter Knorpelelastizität das
Vorgreifen der Resorption von den Markräumen aus begün¬
stigen und auch besondere Gelegenheit zu Einbiegungen und
Einbrüchen an der Knorpelknochengrenze und damit Gelegen-
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1567
heit zur Komplikation mit hochgradigen reaktiven Verände¬
rungen schaffen. Sehr wohl vereinbar mit den Annahmen der
funktionellen Theorie ist die Entstehung der im inneren Gelenk¬
flächenbezirke anzutreffenden Veränderungen örtlich be¬
schränkter A. d.; ferner auch der umgreifenden Randwulst¬
bildungen in Fällen ausgebreiteter A. d„ Befunde, die, wie
schon hervorgehoben wurde, auf Grund der statischen Theorie
Dreisers nicht erklärt werden können. Auch die Erklärung
gewisser subjektiver, im Verlaufe der Krankheit auftretender
Symptome steht mit den Annahmen der funktionellen Theorie
wohl in Einklang. Die Anpassung der Eorm der Randwiilste
an die sie bedeckenden Kapselgebiete gestattet Schlüsse auf
bestimmte Zustände der Kapselspannung. Auf schmerzhafte
Kapselspannung lassen sich die schmerzhaften bei A. d. auf¬
tretenden Empfindungen beziehen, welche (was das Kniegelenk
betrifft) als statische Schmerzen nach P r e i s e r beim Gehen
und Stehen beginnen, ebenso wie jene, welche sich nach
Ueberanstrengungen verschlimmern und die nach P r e i s e r
als Folgezustände der von ihm angenommenen Inkongruenz
bei Valgität auf Zerrung und Verdrehung der Gelenkbänder
zurückzuführen sind. Bei den Anfällen plötzlich einsetzender
schmerzhafter Funktionsstörungen handelt es sich augen¬
scheinlich nicht bloss um durch traumatische Einwirkungen be-*
dingte, sondern auch um unter dem Einflüsse der Gelenk¬
funktion entstandene mechanische Störungen und daraufhin
folgende reaktive Veränderungen, wie sich solche in den auf
Einknickungen, Verlagerungen, Einpfropfungen und Verschlep¬
pungen hin entwickelten verschiedenen Kallusbildungen, in den
Abkapselungszysten und Knorpelknötchenbildungen aus¬
sprechen.
So hat durch die Befunde G. Pommers die funktionelle
Theorie der A. d. neue und äusserst wichtige Belege erhalten;
sie wird neuerdings auch insofern durch Beitzke gestützt,
als er ja die A. d. als „Abnü tzungserscheinung“ auf¬
fasst. Die auffällige Beziehung des Krankheitsprozesses zum
Lebensalter zeigt dies am deutlichsten. Es kommen dabei
ausser dem Einfluss der Berufstätigkeit auch andere mecha¬
nische Faktoren, z. B zu enges Schuhwerk, für die Schädi¬
gung des Gelenkknorpels in Betracht, wie bereits aus den Er¬
fahrungen Weichselbaums, Nichols und Richard-
sons hervorgeht.
In den prinzipiellen Punkten der Frage befindet sich nach
alledem Beitzke in Uebereinstimmung mit Pommer: So
was die Unterscheidung zwischen primärer Gelenkknorpel¬
degeneration und sekundären reaktiven Vorgängen in den sub¬
chondralen Schichten, die Befunde von Einbiegungen und Ein¬
knickungen an der Knorpelknochengrenze, die einheitliche Auf¬
faserung des Malum senile und der A. d. und damit die An¬
erkennung des Vorkommens einer örtlich beschränkten A. d.
betrifft, für die bereits V i r c h o w eintrat. Nun kann
Beitzke darin nicht beigepflichtet werden, dass er ähnlich
wie Ri mann humoralen Auffassungen huldigt, während er hin¬
gegen die von B e n e k e eröffneten Gesichtspunkte gänzlich
ausser acht lässt.
Es erübrigt noch die Prophylaxe und Therapie
der A. d. in ihren allgemeinsten Punkten zu erörtern, Fragen,
deren Beantwortung zweifellos auf Grund der erhobenen ana¬
tomischen Befunde und der Ergebnisse statistischer For¬
schungen wesentlich erleichtert wird. Was zunächst die Pro-
P h y 1 a x e betrifft, so kommt in erster Linie die Ausschaltung
disponierender Momente in Betracht, die Beseitigung bzw.
Kompensierung ungünstiger statischer Verhältnisse, die Ver¬
meidung einseitiger, über das physiologische Mass hinaus¬
gehender Belastung der Gelenke. Am wirksamsten wird
zweifellos die Prophylaxe schon zur Zeit der Berufwahl ein-
greifen, indem diese ganz besonders auf die statischen Ver¬
hältnisse und damit auf die für spätere Zeit voraussehbare
funktionelle Tüchtigkeit der Gelenke Bedacht nehmen muss.
Dabei bedarf es wohl keines besonderen Hinweises auf die
wichtige Rolle, welche diese Rücksichtnahme gerade während
der Pubertätszeit und der dieser unmittelbar folgenden Zeit¬
periode spielt. Man denke nur an den mit Valgität, Pes
planus schon behafteten oder dazu disponierten Jungen,
welcher den Beruf eines Kellners, Schlossers oder Bäckers er¬
greifen soll. In bezug auf diesen wichtigen Punkt Hesse die I
allgemeine Einführung von Schulärzten in den Fortbildungs¬
schulen Erspriessliches für die Prophylaxe erhoffen. Der Ge¬
werbehygiene fällt die Aufgabe zu, dafür Sorge zu tragen,
dass Arbeiter jener Berufsarten, deren Ausübung eine beson¬
ders anhaltende einseitige Belastung gewisser Gelenke er¬
fordert, in zeitlich genügenden Pausen Gelegenheit zur Aus¬
führung allseitiger Gelenkbewegungen erhalten. Da wo die
Art des Arbeitsbetriebes verschiedene Arbeitstätigkeit zuliesse,
wäre jedenfalls die Durchführung von Wechselschichten im
Sinne der Prophylaxe sehr erstrebenswert. Leider gestatten
aber in der Regel die betriebstechnischen Verhältnisse einen
regulären derartigen Arbeitsmodus nicht. Als besonders aus¬
sichtsvoll müssen die modernen Bestrebungen angesehen
werden, welche auf eine ausgiebige körperliche Ausbildung
der Jugend hinarbeiten und welche auch in den arbeitenden
Volksschichten, die das Hauptkontingent der A. d. stellen, be¬
reits grosses Interesse und Nachahmung gefunden haben.
Die turnerische, gymnastische Betätigung ist zweifellos ein
wichtiger Faktor für die Erhöhung und Erhaltung der funtio-
nellen Leistungsfähigkeit und Widerstandskraft der Gelenke.
Aus diesem Grunde muss die Erziehung von frühester Jugend
an die Pflege des Turnens ins Auge fassen und das Haupt¬
gewicht auf den obligatorischen Turnunterricht gelegt werden,
der unter wohlüberlegter Leitung Uebung in geschulten ela¬
stischen Körperbewegungen bringt. Ungeschulte steife
Sprünge u. dgl. würden mehr und mehr vermieden und damit
auch deren in ihren Folgen ungünstigen Einflüsse auf die
Gelenkteile. Welche Bedeutung solchen Ereignissen für
die Entstehung von Gelenkveränderungen zukommt, ist aus
früheren Darlegungen leicht ersichtlich. Der Krankheits¬
prozess der A. d. verläuft für gewöhnlich äusserst chro¬
nisch; aus diesem Grunde gelangen häufig seine Anfangs¬
stadien nicht zur klinischen Untersuchung oder sachgemässen
Würdigung. Es ist nun ohne weiteres klar, dass nach
eingetretener arthritischer Störung bzw. Feststellung der¬
selben ein Wechsel oder eine Beschränkung der beruf¬
lichen Tätigkeit einzutreten hätte; eine Forderung, deren
Erfüllung allerdings gewöhnlich ungünstige wirtschaftliche
Verhältnisse im Wege stehen. Dass sie aber unter Umständen
— theoretisch gedacht — erfolgreich die Fortentwicklung des
Prozesses bekämpfen könnte, lässt der Gegensatz im Auf¬
treten der Krankheit bei den einzelnen Berufsarten vermuten,
welcher in den statischen Erhebungen B e i t z k e s zum Aus¬
druck kommt: Denn die 16 Arbeiter, welche die Tab. Nr. 4
B eitzkes unter den von ihm untersuchten 200 Fällen auf¬
weist, boten alle bis auf einen Gelenkveränderungen dar,
während die 4 daraufhin von Beitzke untersuchten Leichen
von Näherinnen und Schneiderinnen sämtlich davon verschont
waren. Es besteht auch keineswegs Berechtigung für die An¬
nahme, dass der Krankheitsprozess der A. d. unter allen Um¬
ständen ein progredienter ist, wie verschiedene von Pommer
gewonnene histologische Bilder von Anfangsstadien erkennen
lassen, welche auf reparatorische Ersatzbildungen in den de¬
fekten Gelenkregionen hinweisen.
Was nun die frühzeitige Erkennung und Be¬
handlung der A. d. anlangt, so gehören die Fortschritte
auf diesem Gebiete — Verbesserung der technischen Unter¬
suchungsmittel wie besonders Berücksichtigung der subjek¬
tiven und objektiven Krankheitssymptome, Beziehung der¬
selben zu Belastungsverhältnissen, darauf aufgebaute Grund¬
sätze der Therapie — der neueren Zeit an. Um die Bewertung
der initialen Krankheitserscheinungen, besonders der im Ge¬
biete des N. ischiadicus und N. cruralis auftretenden schmerz¬
haften Empfindungen und die Würdigung der entsprechenden
röntgenographischen Bilder hat sich G. P r e i s e r dauernde
Verdienste erworben. Der therapeutische Grundsatz
Dreisers’): „Bewegung ist alles für unsere Patienten“,
muss auch auf Grund der vorliegenden anatomischen Befunde
anerkannt werden. Die Ausführungen, welche Pommer
auf (irund seiner Befunde über die Differentialdiagnose
’) Bei der hier folgenden Besprechung der Therapie sollen ledig¬
lich Gesichtspunkte Berücksichtigung finden, welche eine kritische Be¬
urteilung der üblichen therapeutischen Massregeln nach den vorliegen¬
den anatomischen Befunden zulassen, ln Bezug auf eine ausführliche
Darstellung der Therapie ist auf die interessante Arbeit P r e i s e r s
(Statische Gelenkerkrankungen. Stuttgart 1911.) zu verweisen.
1568
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
zwischen der A. d. und der Arthritis ankylopoetica brachte,
sind ebenfalls in vorgenannter therapeutischer Richtung zu
verwerten. Denn andauernde Benutzung des Gelenkes ist der
Grund für das Ausbleiben ankylosierender Vorgänge bei der
A. d. So wünschenswert es auch vielleicht erscheinen mag,
z. B. durch entlastende Schienenhülsenapparate (Hoffa)
brüske Gelcnkbewegungen zu verhindern, um Einbrüchen an
der Knorpelknochengrenze vorzubeugen oder den auf den
Schenkelkopf wirkenden Druck zu verringern, so begründet
ist auch die Vorstellung, dass mit einer ausgiebigen Entlastung
oder Fixation des Gelenkes derjenige Faktor beeinträchtigt
oder unwirksam gemacht wird, der nach Freilegung der sub¬
chondralen Markräume die Gewebe der letzteren verhindert,
zur Ankylose führende Bildungen zu erzeugen. Nach den vor¬
angehenden Ueberlegungen wird der für die Therapie mass¬
gebende Gesichtspunkt die Erhaltung der Gelenkfunktion durch
andauernde allseitige Gelenkbewegung fordern und nur zu ge¬
wissen Zeiten schmerzhaftester Empfindungen eine vorüber¬
gehende Beschränkung derselben verlangen. Daneben muss
aber die Therapie natürlich alle Momente berücksichtigen,
welche die Statik ungünstig beeinflussen. (Pes valgus, pes
planus, schlecht gebautes Schuhwert etc.) Die Erfolge,
welcher in dieser Hinsicht P r e i s e r in der Behandlung der
subjektiven Erscheinungen, im besonderen auch mit der Ver¬
ordnung passender Schuheinlagen erzielte, sind allerseits aner¬
kannt und beachtenswert wie auch sein Rat, energisch durch
entsprechende Aenderung des Ganges die Aussenrotation zu
bekämpfen, da diese in ungünstigster Weise die Statik beein¬
flusst. Ausser dieser mehr weniger mechanisch orthopädischen
Behandlung soll auch eine ausgedehnte Anwendung solcher
therapeutischer Hilfsmittel Pliatz greifen, welche imstande
sind, das Zelleben in den erkrankten Gelenkgebieten anzu¬
regen und zu fördern wie die vielfach bereits empfohlene
Applikation von feuchter oder trockener Wärme (Thermal¬
bäder, Heissluftbäder etc.). In weit vorgeschrittenen Fällen
von A. d. spielt neben häufig bestehender hochgradiger
Schmerzhaftigkeit ganz besonders die Sorge für die Ver¬
besserung von Kontrakturstellungen eine wichtige Rolle, inso¬
fern diese nicht bloss die Gelenkfunktion hochgradig beein¬
trächtigen, sondern auch neuerdings als Momente zu betrachten
sind, welche eine Ueberbelastung bestimmter Gelenkbezirke
begünstigen.
Die moderne Therapie der A. d. muss dem Gesagten zu¬
folge im wesentlichen eine statisch-mechanisch-funktionelle
sein; ihre Richtungspunkte decken sich mit den Auffassungen,
auf Grund welcher sich Beneke, Walkhoff und
Pommer als Anhänger der funktionellen Theorie bekannt
haben.
- ■•.;asg. -
Dr. Gaspar Vianna f.
Am 14. Juni starb in Rio de Janeiro an den Folgen einer
septischen Infektion an der Leiche der Privatdozent an der
medizinischen Fakultät in Rio de Janeiro und Assistent am
Instituto „Oswaldo Cruz“ Dr. Gaspar Vianna. Dr. Vi¬
anna war zweifellos einer der tüchtigsten, begabtesten und
erfolgreichsten Mitarbeiter des berühmten tropenmedizinischen
Institutes in Brasilien, ein ausgezeichneter Mikrobiologe, der
sich in den letzten Jahren namentlich durch eine Reihe von
glänzenden Arbeiten über die pathologische Anatomie von bis
dahin wenig bekannten und erforschten Tropenkrankheiten
hervorgetan hatte. So ist die genauere Erforschung der patho¬
logischen Anatomie und Histopathologie der brasilianischen
Schizotrypanose (der sogen. Chagaskrankheit) im wesentlichen
sein Werk. In seinem Vaterland ist er besonders bekannt
geworden durch die Entdeckung einer rationellen Behand¬
lungsart einer bis dahin für unheilbar gehaltenen, sehr ver¬
breiteten und zu furchtbaren Zerstörungen führenden Erkran¬
kung der Haut und der Schleimhäute, der Leishmaniosis.
Die von ihm eingeführte intravenöse Behandlung mit Brech¬
weinstein hatte fast immer eine überraschend schnelle Heilung
der entsetzlichen Krankheit zur Folge und wird vielleicht auch
noch bei anderen durch Protozoen hervorgerufenen Krank¬
heiten eine wichtige Rolle spielen.
Dr. Vianna, der gleichzeitig auch Professor an der Bra¬
silianischen Landes-Ackerbauschule war, sollte die neuerrich¬
tete pathologisch-anatomische Abteilung des Instituto Cruz
übernehmen; seine bisherige erfolggekrönte Tätigkeit berech¬
tigte zu den allergrössten Hoffnungen. Die Gründlichkeit und
Exaktheit seines Arbeitens, die sich bei ihm mit reichstem
Wissen und mit einer glänzenden Technik verband, ist in allen
seinen Publikationen geradezu vorbildlich.
Persönlich war der kaum 30 jährige Gelehrte ein liebens¬
würdiger, bescheidener und immer hilfsbereiter Mensch, dem
nicht nur seine engeren Landsleute sondern auch die vielen
fremden Aerzte, die in den letzten Jahren das herrliche In¬
stituto Cruz besucht haben, ein treues und ehrenvolles An¬
denken bewahren werden. H. D ii r c k - München.
Leitsätze der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene
zur Geburtenfrage*).
Mit Bemerkungen von Dr. Fritz Lenz, Redakteur des
Archivs für Rassen- und Gesellschaftsbiologie.
A. Die Gefahr.
1. Die Zukunft des deutschen Volkes ist aufs schwerste bedroht.
Das Deutsche Reich kann sein Volkstum und die Unabhängigkeit
seiner Entwicklung auf die Dauer nur bewahren, wenn es ohne
Verzug und mit der grössten Energie daran geht, seine innere und
äussere Politik, sowie das ganze Leben des Volkes in rassenhygieni¬
schem Sinne zu gestalten. Am dringendsten sind Massregeln zur
Förderung der Fortpflanzung der gesunden und tüchtigen Familien.
2. Die rasch abnehmende und vielfach schon heute zur Erhaltung
ungenügende Fortpflanzung der gesunden und tüchtigen Familien muss
schon in wenigen Generationen zum kulturellen, wirtschaftlichen und
politischen Rückgänge des deutschen Volkes führen.
3. Die ungenügende Fortpflanzung ist zum Teil durch Beein¬
trächtigung der Fortpflanzungsfähigkeit, insbesondere durch die Go¬
norrhöe, die Syphilis und den Alkoholismus verursacht.
4. Die Hauptursache des gegenwärtigen Geburtenrückganges ist
aber die zunehmende willkürliche Beschränkung der
Kinderzahl.
5. Die wichtigsten Beweggründe für die Beschränkung der Kin¬
derzahl sind:
a) die Besorgnis vor der Verschlechterung der
wirtschaftlichen Lage der Familie, der Er¬
schwerung einer sorgfältigen Pflege und Erziehung der Kin¬
der bei grösserer Kinderzahl,
b) die Rücksicht auf die Erbteilung,
c) die Unvereinbarkeit der ausserhäuslichen Berufstätigkeit der
Frau mit der Aufzucht einer grösseren Zahl von Kindern,
d) die Bedrängnis durch die städtische Wohnnot.
6. Der Geburtenrückgang wird stark beschleunigt durch die mit
skrupelloser Reklame und rasch wachsender Kapitalskraft betriebene
Herstellung und den organisierten Handel mit Mitteln zur Empfängnis¬
verhütung und Abtreibung und durch die Propaganda für den Neo¬
malthusianismus.
B. D i'e Bekämpfung.
Die Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene fordert zur Sicher¬
stellung eines nach Zahl und Tüchtigkeit ausreichenden Nachwuchses:
1. Erhöhte Förderung der inneren Kolonisation
mit Regelung des Erbrechts im Sinne der Schaf¬
fung kinderreicher Familien.
2. Schaffung von Familienheimstätten für kinderreiche städtische
Familien (Gartenstädtische Siedelung, gemeinnütziger genossenschaft¬
licher Bau von Kleinwohnungen mit Gärten, Laubenkolonien uam.).
3. Wirtschaftliche Förderung genügend kinder¬
reicher Familien durch Gewährung von wesent¬
lichen Erziehungsbeiträgen an eheliche Mütter bzw. über¬
lebende Väter und Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Be¬
soldung der Beamten und Angestellten.
4. Beseitigung der für viele männliche Berufe (Offiziere, Beamte)
bestehenden Erschwerung der Eheschliessung, soweit es irgend tun¬
lich ist.
5. Erhöhung der Alkohol-, Tabak- und Luxussteuern sowie Er¬
hebung einer Wehrpflichtersatzsteuer für die in Punkt 3 genannten
Zwecke.
6. Gesetzliche Regelung des Vorgehens in solchen Fällen, wo
Unterbrechung der Schwangerschaft oder Unfruchtbarmachung ärzt¬
lich geboten erscheint.
7. Bekämpfung aller die Fortpflanzungsfähigkeit bedrohenden
Schädlichkeiten, insbesondere der Gonorrhöe und der Syphilis, der
Tuberkulose, des Alkoholismus, der gewerblichen Vergiftungen und
der Berufsschädlichkeiten für die erwerbstätige Frau.
8. Obligatorischer Austausch von Gesundheitszeugnissen vor der
Eheschliessung.
9. Aussetzen grosser Preise für ausgezeichnete Kunstwerke (Ro¬
mane, Dramen, bildende Kunst), in denen das Mutterideal, der Fa¬
miliensinn und einfaches Leben verherrlicht werden.
*) Angenommen in der Delegiertenversammlung zu Jena am
6. u. 7. Juni 1914.
14. Juli 1014.
muenchener medizinische Wochenschrift.
1560
. 10- Erweckung einer opferbereiten nationalen Gesinnung und des
Pflichtgefühls gegenüber den kommenden Geschlechtern, kraftvolle
Erziehung der Jugend in diesem Sinne.
Die Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene richtet an alle, die
sich von der Richtigkeit der vorstehenden Leitsätze überzeugt haben,
die dringende Bitte, ausdauernd und tatkräftig mit
ihr an der Gewinnung immer weiterer Kreise mit¬
zuarbeiten, damit die gesetzliche Einführung und Durchführung
der notwendigen Massregeln erreicht werde, bevor cs zu spät ist.
Der Sitz der Gesellschaft ist München, Vorsitzender ist Geheim¬
rat Prof. v. Gr über; Anmeldungen sind an den Schriftführer, Ver-
legrer J. F. Lehmann, München, Paul Heysc-Strasse 26 zu richten.
Die in Jena angenommenen Sätze geben nur die Richtlinien für
einen I eil der Rassenhygiene, allerdings einen derart zentralen Teil
dass sie fast ebensogut als Leitsätze der Gesellschaft für Rassen¬
hygiene überhaupt dienen könnten. Sie suchen nur das Allerwesent¬
lichste zusammenzufassen. Begründungen fehlen fast gänzlich. Diese
werden jedoch den Lesern dieser Zeitschrift noch aus der Arbeit
Gcheimrat v. Grub er s über „Ursachen und Bekämpfung des Ge¬
burtenrückganges“ gegenwärtig sein. Dort sind auch die Beziehungen
der Frage zur Moral ziemlich eingehend erörtert worden, und die
ganze Arbeit ist von Wertgesichtspunkten durchsetzt. Die Leitsätze
aber glaubten sich auf die Feststellung der als Tatsachen erfassbaren
Zustände was moralische Wertungen nie sein können — und auf
konkrete Forderungen, vor allem solche wirtschaftlicher Natur, be¬
schränken zu sollen. In den ersten drei Leitsätzen des praktischen
I eiles dürften in der Tat die wesentlichsten Reformen einen sehr
glücklichen Ausdruck gefunden haben. Trotz ihrer Knappheit stellen
diese Sätze ein grosszügiges Programm dar, das auf alle kleinlichen
Mittelchen, die nur die Aufmerksamkeit von dem Wesentlichen ab¬
zulenken geeignet sind, verzichtet. Die Delegierten in Jena haben
sich natürlich keinen optimistischen Illusionen über die Kostenfrage
hingegeben. Man rechnet allein für Punkt B. 3. mit einem Aufwand
von mehr als einer Milliarde jährlich. Aber es handelt sich um die
Lebensfrage unseres Volkes und der organischen Grundlage unserer
Kultur. Satz 1 und 2 der theoretischen Sätze malen durchaus nicht
zu schwarz. Wen die Geldfrage schreckt, der möge übrigens be¬
denken, dass keine Ausgaben für n e u e Aufwendungen gefordert wer¬
den, wie es etwa bei dem Wehrbeitrag der Fall war; sondern es
handelt sich nur um eine andere Verteilung der Kosten für die Auf¬
zucht einer Kinderzahl, die nicht grösser zu sein braucht als die
heute noch vorhandene. Aber unbedingt notwendig ist es, einen
weiteren Rückgang mit den wirksamsten Mitteln zu verhindern; sonst
ist unser Volk rettungslos verloren. Da die Kinderzahl insgesamt
künftig nicht grösser zu sein braucht als sie heute noch ist, so
braucht auch das Volk in seiner Gesamtheit keine neuen Ausgaben
dafür aufzubringen. Nur müssen auch die Kinderlosen und Kinder¬
armen in einem solchen Masse dafür herangezogen werden, dass das
Zwei- und Einkindersystem auch für die Einzelnen ein möglichst
schlechtes Geschäft wird. Es müssen also die Kosten für das 3. und
4. Kind möglichst vollständig der Mutter ersetzt werden, denn dort
liegt die Grenze zwischen dem langsamen Aussterben und der Ver¬
mehrung der Familien. Dort würde auch eine Hilfe den grössten
Erfolg haben; hier also gilt es, einen energischen Schlag zu führen.
Die Kosten auch für das 5. und weitere Kind zu ersetzen, empfiehlt
sich aus folgenden Gründen nicht. Einesteils würde dadurch die
Stosskraft der wirtschaftlichen Aktion zersplittert werden, weil dann
für das einzelne Kind weniger Mittel verfügbar wären. Sodann aber
muss es auch verhindert werden, dass etwa gerade minderwertige
Familien den grössten Vorteil hätten. Zwar kann keine Rede davon
sein, dass die 5. und späteren Kinder als Folge ihrer höheren Ge¬
burtennummer etwa minderwertiger seien, wohl aber steht es heute
leider so, dass gerade die weniger wertvollen Familien die meisten
Kinder zu haben pflegen, während die begabten und wirtschaftlich
tüchtigen den meisten Grund zur Beschränkung unter die Erhaltungs¬
zahl haben. Diesen also gilt es über den kritischen Punkt hinweg¬
zuhelfen. Durch Kostenersatz für die Kinder von höherer Geburten¬
nummer würde man gerade jene Familien in höherem Masse zur
Vermehrung veranlassen, welche infolge erblicher geringerer
Leistungsfähigkeit in wirtschaftlich ungünstiger Lage sind; denn bei
gedrückter wirtschaftlicher Lage wirken Erziehungsbeiträge natürlich
am stärksten. Dass diese Familien in erster Linie die Eltern der
kommenden Generationen sind, ist aber keineswegs erwünscht. Daher
müssen die Erziehungskosten nach der sozialen Stellung der Eltern
abgestuft sein. Für die grosse Masse der versicherungspflichtigen
Bevölkerung wären die Kinderrenten in den Rahmen der sozialen
Versicherung einzufügen. Für den Mittelstand aber müsste *eine
gesonderte grosszügige Fürsorge getroffen werden. Selbstverständ¬
lich müssen die Kinder bei der Mutter bleiben. Erziehung
in Staatsanstalten ist zu bekämpfen, weil man dadurch der
Mutter ihre höchste Lebensfreude nehmen und folglich wesent¬
lichste gefühlsmässige Antriebe zur Mutterschaft untergraben
würde. Es ist zu erstreben, die tüchtigen Familien bis auf
v\ enigstens vier Kinder im Durchschnitt heraufzubringen, und die
untüchtigen ebensoweit herunter. Darum sind die Kosten für das
3. und 4. Kind zu ersetzen. Wie man etwa die hochgradig Minder¬
wertigen ganz von der Fortpflanzung ausschalten könne, ist eine
Frage, die in Leitsatz B. 6 gestreift ist. Es ist aber erfreulich, dass
man darauf keinen sehr grossen Nachdruck gelegt hat, denn die
Nr. 28.
Rasse kann man nicht durch Ausmerzung Minderwertiger retten, son¬
dern nur durch Erhaltung und Vermehrung der wirklich tüchtigen und
gesunden Familien. Die Leitsätze der Deutschen Gesellschaft für
Rassenhygiene unterscheiden sich darin sehr vorteilhaft von den in
Amerika betriebenen Massregeln. Dort treibt man negative Rassen-
hygiCne, bei uns hat man sich noch rechtzeitig auf die positive Rassen¬
hygiene besonnen — wenigstens vorerst theoretisch. Persönlich
scheint mir der allergrösste Nachdruck auf der Ausgestaltung der
inneren Kolonisation mit Regelung des Erbrechtes zu liegen. Das
ist daher mit Recht an die erste Stelle der Bekämpfungsmassregeln
gesetzt worden. Kleinbäuerliche Siedelung allein genügt nicht, wie
die französischen Bauern beweisen, welche mit dem Zwei- und Ein-
kindersystern fast als erste begonnen haben. Denn leider bedeutet
nicht einmal mehr im Bauernstand allgemein eine grössere Kinder¬
zahl zugleich wirtschaftliche Förderung. Wenn aber die Erblichkeit
der neuen Siedelungen z. B. von dem Vorhandensein von 4 Kindern
abhängig gemacht werden würde, so würde aus den Kindern
ein wesentlicher Vorteil erwachsen, und folglich würden diese dann
auch erzeugt werden.
Durch die Erreichung der vorgeschlagenen Reformen würde zu¬
gleich ein wirksamer Schritt zur Lösung der Frauenfrage getan sein,
welche von einschneidendster Bedeutung für die Rassenhygiene ist (cf.
Satz A. 5). In natürlichen Verhältnissen fand die Frau volle Betätigung
in Haus, Garten und Wirtschaft, und diese Tätigkeit machte sich auch
sehr wohl bezahlt, wenngleich meist nicht in klingender Münze. Die
moderne Wirtschaftsentwicklung hat das leider untergraben. Der
Mutterberuf ist aber dem Kriegsdienst oder dem Offiziersberuf des
Mannes gleichzusetzen. Die Mutter leistet dadurch ihre Wehrpflicht
dem Staate, dass sie die Soldaten der kommenden Generation stellt.
Sie sollte also gerechterweise dafür besoldet werden, wie das durch
die Erstattung der Erziehungskosten des 3. und 4. Kindes geschehen
würde. Wollte man sagen, der Waffendienst des Mannes habe Ehren¬
dienst zu sein, so müsste man zum Ausgleich die ledigen und kinder¬
losen Frauen zu einem staatlichen Dienst heranziehen, schon damit
auf diese Weise ein wirksames Motiv zur Ehe geschaffen werde.
Wenn nun die Mutter wesentliche Kinderrenten erhält, so werden
dadurch zugleich die Eheschliessungen gefördert, weil dann
schon ein geringeres Einkommen des Mannes ausreicht, und weil
der Ausfall an Einkommen, den die Frau durch Aufgabe eines
ausserhäuslichen Berufes erleidet, dadurch geringer wird. Zugleich
wird auf diese Weise auch den erwerbstätigen Frauen geholfen, denn
nicht dadurch, dass man ihnen neue Konkurrentinnen ausbildet, son¬
dern dadurch, dass man deren Zahl vermindert, wird ihre Stellung
verbessert. Weiter würde in geringerem Grade auch die Konkurrenz
des Weibes gegenüber dem Manne nachlassen, folglich das männliche
Arbeitseinkommen nicht mehr so sehr durch weibliches Angebot
gedrückt werden und damit auch auf diesem Wege die Ehe¬
schliessung erleichtert. Das wieder würde von grosser Wichtigkeit
für die Bekämpfung der Gonorrhöe und Syphilis sein, die gerade im
weiblichen Geschlecht mit der Ausdehnung der ausserhäuslichen Er¬
werbstätigkeit entsetzlich zugenommen haben. Auch auf diesem Um¬
wege würden somit wichtige Ursachen des Geburtenausfalles ver¬
ringert werden (cf. Satz A3 und B 7). Jedes Glied der unheilvollen
Kette, die das Leben unserer Rasse zu erdrosseln droht, steht in
fester Verbindung mit den anderen. Durch Besoldung des Mutter¬
berufes aber könnte man den verderblichen Ring zersprengen. Nicht
dadurch, dass man primär die erwerbstätige Frau besser stellt, kann
man jemals die Frauenfrage und die Existenzfrage der Rasse gelöst
werden, sondern einzig und allein durch Besserstellung der Mutter.
Wenn der Mutterberuf derart anerkannt ist — durch Titel und
Ehrenzeichen erreicht man nur das Gegenteil — dann wird die Frau
auch nicht mehr die intellektualistische männliche Tätigkeit als die
höhere einschätzen und erstreben, sondern ihren höchsten und ein¬
zigen Beruf in der Mutterschaft sehen. Daher sollten auch die
Führerinnen der Frauenbewegung alles daran setzen, dass die Ziele
der Gesellschaft für Rassenhygiene verwirklicht werden. Wie im
Bienenstaat die Königin allein Mutter ist und alle anderen Weibchen
nur Arbeitstiere, so soll im wahrhaft menschlichen Staat die Mutter
Königin sein. So retten wir die Frau; so retten wir unsere Rasse.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Ueber die Erfolge der operativen Behandlung des
Morbus Basedowii.
Von Dr. Georg Richter in Wölfeisgrund.
Als im Jahre 1840 der Merseburger Arzt Carl Adolph v. Base¬
dow in Caspers „Wochenschrift für die gesamte Heilkunde“ eine
Arbeit erscheinen liess unter dem Titel; „Exophthalmus durch Hyper¬
trophie des Zellgewebes in der Augenhöhle“ und in dieser die sogen.
Merseburger Trias als eine besondere Krankheit kennzeichnete, liess
es sich wohl kaum voraussehen, welch interessantes und umfang¬
reiches Kapitel der klinischen Medizin der von Basedow be¬
schriebene Symptomenkomplex von Exophthalmus, Struma und
Tachykardie bilden würde, ein Kapitel, das jetzt nach jahrelanger
Arbeit noch durchaus nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann.
4
1570
MUENCHeNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
Man darf wohl sagen, dass es nicht viele Krankheitsbilder gibt, deren
Bearbeitung und Erforschung eine so ausserordentlich umfangreiche
Literatur zur Folge hatten, wie gerade der Morbus Basdowii. Und
das ärztliche Interesse an dieser eigentümlichen Krankheit hat durch¬
aus nicht nachgelassen, sondern immer wieder erscheinen Publi¬
kationen, die zur Aufklärung des Wesens der Krankheit und zu ihrer
Therapie Bausteine beitragen. Freilich muss eine Reihe von Theo¬
rien als abgetan betrachtet werden, und wenn vielleicht auch noch
nicht das letzte Wort über die Ursache der Basedow sehen Krank¬
heit gesprochen wurde, so scheinen sich doch die meisten Forscher,
nachdem vor allem Moebius das Wesen der Krankheit nicht nur
in einer Hyper-, sondern auch in einer Dysfunktion der Schilddrüse
erblickt hatte, darüber einig zu sein, dass das Wesen der Krankheit
in einer Dysthyreosis zu suchen ist. Die notwendigen Unterlagen für
diese Auffassung, der sich u. a. auch Rehn1), der als erster die
Basedow sehe Krankheit operativ angriff, und Garre2) an-
schliessen, hat Klose 3) in einer ungemein eingehenden Arbeit in
kritischer Form zusammengestellt. Einiges davon wird später zu er¬
wähnen sein.
Weniger einheitlich als die Ansichten über das Wesen der Krank¬
heit sind heutzutage noch die Meinungen über die zweckmässigste
Therapie. Diese Frage ist natürlich für den in der Praxis stehenden
Arzt die wichtigere, da es sich doch um eine immerhin recht schwere
Erkrankung handelt, die in zahlreichen Fällen einem schlechten Aus¬
gange zuneigt und darum von vornherein mit den geeignetsten Mitteln
zu bekämpfen ist. Alle die Wege zu verfolgen, die bei der Behand¬
lung des Morbus Basedowii eingeschlagen worden sind, verbietet
natürlich der knappe Rahmen dieser Betrachtung, die der modernsten
Basedowtherapie, der chirurgischen, gewidmet ist. Eine kurze Wür¬
digung der konservativen Behandlungsmethoden in bezug auf ihre
Heilungsresultate lässt sich jedoch nicht umgehen, weil den relativ
dürftigen Erfolgen der internen Therapie, der noch sehr namhafte
innere Kliniker im Prinzip das Wort reden, während sie die chirur¬
gische Behandlung nur für gewisse Fälle Vorbehalten sehen wollen,
sehr ermutigende und zum Teil glänzende Erfolge der operativen
Therapie gegenüberstehen, so dass ein Chirurg von dem Range
Eiseisbergs4) seine Ansicht dahin ausspricht, dass die innere
Behandlung hier vollkommen Fiasko gemacht habe.
Eines muss von vornherein betont werden: es gibt Fälle von
Basedow scher Krankheit, sogar fortgeschrittenen Grades, die bei
innerer Behandlung, ja fast ohne eine solche, anscheinend vollständig
ausheilen, Fälle, bei denen auch in späterer Zeit keinerlei Symptome
mehr auftreten. Das ist mehrfach beobachtet worden. So berichtet
z. B. Grober6) über einen spontan geheilten Fall von Basedow.
Nach vierjährigem Bestehen eines sehr deutlich ausgeprägten Krank¬
heitsbildes verringerten sich unter gleichzeitiger Entwicklung einer
chronischen, wahrscheinlich phthisischen Lungenerkrankung die Ba¬
sedowsymptome, um schliesslich fast ganz zu schwinden. Damit ist
aber für den Wert einer konservativen Therapie nicht viel gesagt.
Es gibt ebenso ganz zweifellos Fälle, in denen eine sicher diagnosti¬
zierte Lues ohne Behandlung gänzlich ausheilt; ja, Naunyn0) hat
sogar gesagt, dass die Lues glücklicherweise in den meisten Fällen
auch ohne Therapie von selbst heile. Deshalb aber wird es keinem
Arzt einfallen, einen Patienten, der sich nachweislich mit Syphilis in¬
fiziert hat, anders als mit den stärksten zur Verfügung stehenden
Mitteln intensiv zu behandeln, um eine möglichst sichere Gewähr für
eine vollständige Ausheilung zu haben. In gleicher Weise wird man
auch bei der Basedow sehen Krankheit, die häufig letal verläuft,
und sehr oft, wenn sie nicht energisch genug behandelt wird, lang¬
dauernde oder immerwährende Beschränkung der Arbeitsfähigkeit,
selbst völlige Arbeitsunfähigkeit nach sich zieht, die Therapie wählen
müssen, von der die besten Erfolge zu erwarten sind.
Es ist deshalb schwierig, sich ein zutreffendes Bild über die
Dauererfolge der internen Therapie zu machen, weil eine gewisse
Anzahl von’ Basedowfällen, die konservativ behandelt werden, aus
erklärlichen Gründen für die Statistik verloren geht. Es wird weiter
auch in der Praxis mancher Fall als geheilt betrachtet und aus der
Behandlung entlassen werden, der nur augenblicklich frei von auf¬
fälligen Symptomen ist, sich aber in einem Latenzstadium befindet,
das über kurz oder lang vielleicht von einem neuen Ausbruch von
Krankheitserscheinungen abgelöst wird. Es kann aber nur eine ge¬
nügend lange fortgesetzte Beobachtung über den wirklichen Erfolg
Klarheit geben, da es sich eben häufig genug nur um scheinbare Hei¬
lungen handelt.
Eine Uebersicht über die Dauerresultate der inneren Heilung gibt
Klose7): ich entnehme seiner Arbeit folgende Daten:
‘) 83. 'Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Ref.
M.m.W. 1911 Nr. 4L
2) 40. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.
Ref. ibidem Nr. 18.
3) H. Klose: Die Basedowsche Krankheit. Erg. d. Inn. M.
10. 1913.
4) 40. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.
Ref. M.m.W. 1911 Nr. 4L
5) Grober: Ueber Selbstheilung von Basedow scher Krank¬
heit. M.m.W. 1913 Nr. 1.
°) Zit. nach Plehn: Die praktische Bedeutung der Wasser-
m a n n sehen Reaktion etc. Verhandlungen der Berliner medizinischen
Gesellschaft 1911. 7) 1. c.
B u s c h a n berechnet bei interner Behandlung aus 900 Fällen
11,6 Proz. Mortalität, Cheadle 9,6, Thomson 10, Graefe 12,
Dusch 12, Charcot, Mackenzie und William 25 Proz.
Sy 11 ab a sagt von der internen Therapie: „Alles hilft und alles ver¬
sagt“. Barucli8 9 10) rechnet aus, dass sich die operativen Erfolge
zu den konservativen verhalten wie 85: 10. Wenn ich schliesslich
die Fälle von Basedow mir vor Augen führe, die ich selbst beobachtet
habe, und die.z. T. ausserordentlich lange innerlich behandelt wur¬
den, so kann ich eigentlich nicht einen anführen, der wirklich geheilt
wurde, und wo merkliche Besserungen eintraten, waren sie nicht
von Dauer. Dagegen habe ich einige sehr schwere Fälle gesehen,
die erst konservativ behandelt wurden, dann aber schliesslich doch
dem Chirurgen überwiesen werden mussten, der die ersehnte Hilfe
brachte. Ein recht schwerer Fall von Basedow scher Krankheit,
dem dringend die Operation angeraten wurde, liess sich nicht ope¬
rieren. ln wenigen Wochen trat der Exitus ein, der meiner Ueber-
zeugung nach sicher hätte vermieden werden können, obwohl schon
eine erhebliche Schädigung des Herzens bestand.
Die chirurgische Behandlung des Morbus Basedowii ist noch
verhältnismässig jungen Datums. Rehn griff als erster in Deutsch¬
land im Jahre 1880 die Krankheit auf operativem Wege durch Ent¬
fernung von Schilddrüsensubstanz an, da er in der Thyreoidea die
Ursache der Krankheit gefunden zu haben glaubte, ln den ausge¬
zeichneten Erfolgen der Operation erblickte er die „Abhängigkeit der
Basedow sehen Krankheitssymptome von der Struma, für die Be¬
ziehungen des Morbus Basedowii oder einzelner seiner Symptome zu
den Anschwellungen der Schilddrüse“. Konnte nun der experimentelle
Nachweis erbracht werden, dass tatsächlich das ganze vielgestaltige
Krankheitsbild sich auf eine falsch funktionierende Schilddrüse zurück¬
führen liess, dann war natürlich der rationellste Weg zu einer end¬
gültigen Beseitigung der Krankheit die Elimination der krankhaften
Drüsenteile. Als das geeignetste Versuchsobjekt zur Erzeugung des
experimentellen Basedow hat sich der degenerierte Terrier heraus¬
gestellt, so dass Klose diesen Tiertypus für das Basedowexperiment
geradezu als das „Tier der Wahl“ bezeichnet. Durch intravenöse
Injektion von Presssäften aus Basedowstrumen konnten nun auf das
sinnfälligste die Erscheinungen des akuten Basedow hervorgerufen
werden, nicht aber auf Presssaftinjektion von normalen und einfach
kropfigen Schilddrüsen. Die Operationsmethode bei der B a s e d o w -
sehen Krankheit besteht daher jetzt fast ausschliesslich in der Exstir¬
pation der krankhaften Schilddrüsenteile, und die übrigen chirurgi¬
schen Behandlungsmethoden, die Operationen am Nervus sym-
pathicus, die Exothyreopexie, die alleinige Unterbindung der zu¬
führenden Arterien sind fast allgemein verlassen. Von namhaften
Chirurgen scheint sich nur noch de Quervain11) auf Unterbindung
der Arteriae thvreoideae bei Basedow zu beschränken. Ueber Ope¬
rationen am Halsteil des Sympathikus habe ich aus neuerer Zeit nur
einen Bericht von C h a 1 i e r 1U) gefunden; von 36 Fällen hatten 29 die
Operation überstanden, nur 3 wurden völlig geheilt, also ein recht
schlechter Erfolg. Ausser der Exstirpation von Schilddrüsensubstanz
ist in einer grösseren Reihe von Fällen bei sog. Status thymicus eine
Entfernung der Thymus mit gutem Erfolge vorgenommen worden,
worüber nachher noch zu berichten ist.
Es ist zweckmässig, vorausgesetzt, dass die Schilddrüse die
alleinige oder doch wenigstens die Hauptursache der Erkrankung ist,
sich die Frage vorzulegen, in welchem Sinne eine Entfernung nur
eines Teiles der kranken Dfüse günstig wirkt und wieviel man über¬
haupt im günstigsten Falle von der Operation zu erwarten berechtigt
ist. Ich gebe über die Heilwirkung der Operation wörtlich die An¬
gaben Kloses11) wieder, die alles wesentliche in gedrängter Form
zusammenfassen: „Die Operation der Basedowschen Krankheit
wirkt durch zwei Momente heilend: erstens entfernt sie den dysfunk¬
tionierenden Schilddrüsenteil und coupiert den deletären Einfluss des
„Basedowjodins“, und weiter regt sie zu mächtiger Neubildung normal
funktionierender Schilddrüsenteile an. Nach Entfernung des kranken
Teiles kann der Jodweg nur über den noch gesunden, d. h. das Jod
richtig maskierenden, mithin kompensierenden Teil der Schilddrüse
gehen“. „Nach den histologischen Untersuchungen Kochers ist
zweifellos, dass die Basedowschilddrüse auf den Operationsreiz mit
einer kräftigen Neubildung normalen Gewebes antwortet“. Dieser
Umstand trägt vielleicht besonders dazu bei, auch in Fällen, wo eine
cinigermassen vollständige Entfernung des erkrankten Gewebes nicht
angängig ist, die Krankheitssymptome dennoch zum Verschwinden zu
bringen.
Ein zutreffendes Bild von den Wirkungen der Operation kann
man nur bei der Betrachtung grösserer Statistiken gewinnen. Ich
führe zunächst aus der K 1 o s e sehen Arbeit eine Tabelle an, die über
Resultate chirurgischer Basedowbehandlung aus den Jahren 1896 bis
1912 berichtet.
Zur Ergänzung dieser Tabelle dienen folgende Angaben über
Operationserfolge aus den letzten Jahren, die teilweise allerdings
etwas allgemein gehalten sind.
8) Baruch: Ueber die Dauerresultate operativer und konser¬
vativer Therapie bei der Basedow sehen Krankheit. Beitr. z. klin.
Chir. 75. 1911.
9) De Quervain: Zur Technik der Kropfoperation. D. Zschr.
f. Chir. 116.
10) Bericht auf dem 25. französischen Chirurgenkongress. Ref.
M.m.W. 1912 Nr. 52. “) 1. c.
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1571
Jahr
Namen der Autoren
1896
1898
1900
1909
1903
1904
1905
1906
1907
1908
1909
1911
1913
Schuir ...
Wolf .
Helferich .
Reinbach (Mal. von v. Mi
kulicz)
Witmer (Mat. von Krönlein)
Th. Kocher .
Curtis . . ’
Mayo .
Lessing (Mat. von König)
Hartley .
K. Schulze (Mat. von Riede
A. Kocher
Itzina (Mat. von Hildebrand
Mayo (nur neuere Fälle)
Halsted . .
Landström .
Moses (Mat. von Oarre)
Klemm
Th Kocher .
Mac Cosh
Haenel . . .
Sudeck . . .
Baruch .
v. Eiseisberg
Enderlen . .
Klose .
Weispfennig
Gesamt¬
zahl der
1 Fälle
Hei¬
lungen
1 Erhebt
Bes-
1 serung
Geringe
Bes¬
serung
| Miss-
1 erfolge
Tod
Proz.
Proz.
Proz.
Proz.
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20
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23
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86 2
9,2
9,2
9,2
59
76,0
14,0
3,3
6,7
11
60 0
10,0
_
_
30,0
40
67,5
17,5
—
_
15|0
8
50,2
—
37,3
_
12,5
21
87,5
—
—
_
12,5
50
72,0
12,0
_
2,0
14,0
6,3
167
93,7
_
_
7
85,7
—
_
14,3
136
78,2
19,6
_
2,2
90
97,8
—
—
_
2,2
51
50,2
15,3
—
29,0
5^5
28
16,9
41,6
24,9
12,5
4,1
32
93,2
—
3,4
3,4
153
—
98,7
1,8
22
14,5
72,7
8,2
4,6
4,6
21
38,1
42,8
26
84,6
4,0
_
_
4,0
40 I
72,5
12,5
—
15,0
15,8
44
61,4
34,1
_
4,0
40 1
70,0
20,0
_
2^2
2,2
61
75,5
9,8
—
1,6
13,1
30 |
60,0
6,6
—
23,3 |
10,0
1216
61,8 |
21,2
3.1 1
5,0 |
7,6
Erfolg
= 86,1 Proz.
nnPriPrtnR6,1^ bfrich,tet ülLer 21 ^Ile von mit gutem Erfolge
bfm |r Dnföafed°WT^-ran^en- Davon blieben geheilt oder nahezu ge-
“ P at'?nte£ Die übrigen wurden gebessert, oft geradezu ekla¬
tant (ct. obige Iabelle).
A„fi A; K 0 c b e r “) ist ein Anhänger der Frühoperation. Gerade das
Auttreten von Herzmuskeldegenerationen berechtige zu diesem
Standpunkte Nach seiner Ansicht hat die Schilddrüsenoperation fast
ohne Ausnahme eine Besserung und, wenn richtig durchgeführt, eine
Heilung zur Folge. „Die Bedingung zur Vermeidung von Misserfolgen
und zur Erzielung möglichst vieler wirklicher Heilungen ist die Früh-
Operation.
, . Th K o c h e r “) berechnet eine Gesamtmortalität von 3,4 Proz.
ei der Operation des Basedow; er hält es auf Grund seiner guten
Erfolge geradezu für einen Kunstfehler, wenn diese Krankheit im An-
iang anders als durch Operation behandelt wird. An anderer Stelle
registriert er 721 Operationen an 535 Fällen; er verlor 17 Patienten,
as ergibt eine Mortalität von 3,1 Proz. Kocher spricht sich auch
hier dahin aus, dass die Operation im Frühstadium gefahrlos und
erfolgreich sei, ferner, dass die Besserung der Menge des exzidierten
Drusengewebes entspreche; Misserfolge träten nur bei zu wenig
ausgiebiger Entfernung ein.
Garre 15) hat von 95 operierten Basedowfällen zwei infolge von
hyperplastischer Thymus verloren.
H i 1 d e b r a n d 16) operierte 100 Fälle, von denen 5 starben, da-
runter 2 an Status thymicus, 3 an Herzschwäche.
Die Erfolge von Eiseisberg17) erscheinen auf den ersten
Blick weniger ermutigend, sind aber in Hinsicht auf die recht schlechte
Prognose der inneren Behandlung durchaus nicht ungünstig zu nennen
Er hatte bei 71 Operierten 6 Todesfälle. In 23 Fällen trat absolute
Heilung ein, in den anderen wesentliche Besserung, nur 2 blieben
ungeheilt.
Küttner18) berichtet von 85 Fällen schwerer Basedowerkran¬
kung Die nicht operierten 21 blieben ungeheilt; in desolatem Zu¬
stande gingen 11 zugrunde, darunter 2 infolge von Status thymicus,
r nehrnonie und 7 an Herzschwäche; 5 wurden vollkommen ge¬
heut, 8 wieder erwerbsfähig, 2 blieben ungeheilt. Auch diese Erfolge
bei denen es sich allerdings um schwere Fälle handelt, die meist schon
irreparable Veränderungen aufwiesen, erscheinen zunächst nicht viel
zu versprechen, unterstützen aber nur die dringlichst auszusprechende
rorderung, mit der Operation nicht zu lange zu zögern.
v i 298. 7on R e h n chirurgisch behandelten Fällen, über die
jv ose ) berichtet, sind 64 Proz. geheilt — die Nachuntersuchungen
beziehen sich auf den Zeitraum von 2 bis 18 Jahren — 24 Proz. ge¬
bessert, 3 Proz. ungeheilt; die Zahl der Rezidive beträgt 2 Proz
H c i n I e i n 20) berichtet über einen schweren Fall von Basedow
bei einer 51 jährigen abgemagerten Patientin mit Oedem der Beine
12) Haenel; Ueber die chirurgische Behandlung des Morbus
Basedow ii. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
M.m.W. 1910 Nr. 2.
13) A. K o c h e r: Die Behandlung der Basedowschen Krank¬
heit. Ibidem Nr. 13.
") Bericht auf der 78. Jahresversammlung der „British Medical
Association“. Ref. M.m.W. 1910 Nr. 36.
15) I. c.
. Bericht auf der 40. Versammlung der deutschen Gesellschaft
für Chirurgie.
17) Ibidem.
,s) Ibidem.
18) 1. c.
r> t 1! Bericht in der Nürnberger med. Gesellschaft und Poliklinik.
Ref. M.m.W. 1912 Nr. 29.
Hydrothorax. Nach der Operation trat rascher
Kuckgang der Zirkulationsstörungen ein und allmähliches Verschwin-
en aller Basedowsymptome bis auf einen mässigen Exophthalmus.
Die Gewichtszunahme nach der Operation betrug über 50 Pfd.
ho, We'sPfennig21) schildert aus dem allgemeinen Kranken¬
haus zu Hamburg-Eppendorf die Dauerresultate der operativen Be-
SS"* des Morbus Basedow». Von 35 Fällen wurden 43 Proz.
8C o0Z‘ vorh!uflK Keheilt, 7 Proz. gebessert, 20 Proz. rezidi-
vierten, 8 Proz. starben. Die Misserfolge sind nach Weispfen-
i g darauf zuruckzuführen, dass der seinerzeit exstirpierte Schild-
h^leiJtC1 h-‘C* neu Keh’ldet hat oder dass der stehengebliebene Teil
R|Sh°P rtf' 5 egj grosses Gewicht auf das K o c h e r sehe
Blutbild, zumal es die Indikationsstellung für die dringend empfohlene
rruhoperationen erleichtere (cf. obige Tabelle)
tu D“,nIIVI1.22) führt auch hei Morbus Basedow» die partielle
Thyremdektomie unter Lokalanästhesie aus. Er hat 230 Fälle ope-
4wdurch de" Tod verloren. Da die Operation heute noch
vie tach als u timum refugium angesehen werde, so gehe viel wert¬
volle Zeit verloren Der Exophthalmus bildet sich nach D u n h i 1 1 s
als aufUnderaUafndereneite ^ exstirpierten Lappens prompter zurück,
Vnn OTi'lairllält si der Operation gegenüber reservierter,
m H oSeme"- Lallen wurden 10 chirurgisch behandelt (1 Ligatur
haM 9rmPhrtHe e Xhyr?«ldeitorr|ien)- Die 3 ersten Kranken starben
bald nach dem Eingnff. Der mit Ligatur behandelte Fall ist jetzt,
n (l Ja/ire nach der Operation, zwar gebessert, jedoch nicht geheilt.
Dann kommen 2 Heilungen und 4 gebesserte Fälle. Bei leichteren
Erkrankungen rat Murray von der Operation ab, ebenso bei Herz-
indlzier^hä» W° ^ operative Eingriffe für sehr gefährlich und kontra-
HnhitXnrXl k6 —in3* |°.ra,le oper!ert und formuliert seine Ansicht
fidire' daSS ^ei mi den Lruhformen eine Operation immer zur Heilung
o p" Geber ausgezeichnete Erfolge der operativen Behandlung in
2 Fallen, wo protrahierte Durchfälle das Hauptsymptom des Basedow
ausmachten, berichten Kolb25) und Schmieden2«). In beiden
Iung ein Fat naCh dCr 0peration eine Prompte und dauernde Hei-
Forst ige27) berichtet über 32 operierte Fälle; die meisten
erlangten ihre volle Arbeitsfähigkeit wieder; 40 Proz. wurden voll¬
kommen geheilt, 32 Proz. bedeutend gebessert, 8 Proz. gebessert,
1 FtJ?z' blieben unbeeinflusst. Die Operationsmortalität betrug
12,5 Proz., war also noch -eine recht hohe.
Beschäftigen wir uns nun genauer mit dem Rückgänge der ein-
zelnen Symptome nach dem chirurgischen Eingriff, so will ich zunächst
des Einflusses auf das Blutbild Erwähnung tun. Bekanntlich weist
aas Blut bei allen Basedowfällen eine ausgesprochene Lymphozytose
bei meist vorhandener Leukopenie auf. Nebenbei sei bemerkt, dass
sich ein ymphozytäres Blutbild nach H a t i e g a n 28) übrigens in der
Häute aller Fälle von Struma überhaupt finde, so dass die dia¬
gnostische Bedeutung der Lymphozytose eine begrenztere wäre. Die
Beeinflussung des Blutbildes nach der Operation ist nun eine ver¬
schiedene. Unter den 52 Fällen von B a r u c h 29) aus der K ü 1 1 n e r -
sehen Klinik befindet sich nur einer, in dem das Blutbild wieder nor-
inal wurde, bei den anderen Patienten blieb eine mehr oder weniger
ausgesprochene Lymphozytose zurück. Auch andere Autoren be¬
richten über ein Persistieren der Lymphozytenvermehrung bei zwei¬
felloser Heilung der Krankheit. In 126 nachuntersuchten Fällen, deren
Operation längstens 29 Jahre zurücklag, konnte nach Klose noch
eine Lymphozytose zwischen 26,5 und 51,5 Proz. konstatiert werden.
Klose bemerkt hierzu: „Wir müssen aus diesen Tatsachen die Be-
AA- u^ung ne,h£?ei!* der Schilddrüse einen direkten Einfluss auf das
Mischungsverhältnis der weissen Blutkörperchen abzusprechen und
anzunehmen, dass das Basedowblutbild indirekt zustande kommt
d. h. über ein anderes oder mehrere andere Organe hinweg, die unter
dem Einflüsse der dyssezernierenden Schilddrüse nach einer bestimm¬
ten Richtung hin verändert werden.“ Als das wesentlichste, ver¬
mutlich sogar einzige Organ kommt hier der Thymus in Frage In
den 8 Fallen, in denen Klose30) den Thymus reseziert und 1 mal
volkommen entfernt hat, kehrte das Blutbild zur Norm zurück
Ebenso hat Garre31) in 2 Fällen mit gutem Erfolg die Thymektomie
vorgenommen, beide Male wurde das Blutbild wieder normal.
•') Weispf ennig: Die Dauerresultate der operativen Be¬
handlung des Morbus Basedow». Beitr. z. klin. Chir. 79. 1912.
22) T. P. Dunhill: Die partielle Thyreoidektomie Unter Lokal-
anasthesie bei der Basedowschen Krankheit. Lancet, 10. II 1912
Ref. M.m.W. 1912 Nr. 35.
23) R. Murray: Die Grundlagen der Behandlung der Base-
dOW24Swn Krankheit- Lancet. 24. II. 1912. Ref. M.m.W. 1912 Nr. 35.
) T r o 1 1 e r: Die operative Behandlung der Basedow sehen
Krankheit. Lancet, 9. III. 1912. Ref. M.m.W. 1912 Nr. 35.
*5) Kolb: Ueber Intestinalerscheinungen bei Basedowscher
Krankheit etc. M.m.W. 1912 Nr 49
20) Zbl. f. Chir. 1912 Nr. 40.
27) Inauguraldissertation, Heidelberg 1912.
*8) J. Hatiegan: Ueber das Blutbild bei Struma und Morbus
Basedown. W.kl.W. 1912 Nr. 39.
29) cf. Klo s e, 1. c.
30) 1. c. 31) 1. c.
4*
1 57i
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
Von den mehr imponierenden Symptomen des Basedow, der Er¬
regbarkeit des Nervensystems, den kardiovaskulären Erscheinungen,
der Veränderung des Stoffwechsels, dem Exophthalmus, gehen je
nach der Dauer und Intensität der Erkrankung die meisten mehr oder
weniger vollkommen zurück. Ja, selbst die nicht so ganz seltenen
Psychosen werden häufig auf das günstigste beeinflusst. Klose
berichtet von einer Basedowpatientin, die im „schwersten Erkran¬
kungszustände bei ausgesprochener Manie operiert wurde . Die
Kranke wurde vollkommen geheilt. Desgleichen berichtet Schle¬
singer32) über eine 35 jährige Frau, deren Basedow mit einer
schweren Psychose paranoisch-maniakalischen Charakters einher¬
ging und als ursächlich zusammenhängend mit dem Basedow auf-
gefasst werden musste. Sofort nach der Operation wurde die Fa-
tientin vollkommen ruhig, und auch späterhin hat sich nichts mehr
von krankhaften psychischen Erscheinungen gezeigt, obwohl die Pa¬
tientin nun schon 2 Jahre lang beobachtet wird.
Am ehesten scheint eine gewisse Vulnerabilität des Nerven¬
systems zurückzubleiben, selbst nach Operationen, die sonst alle
anderen Symptome restlos beseitigt haben. Dieser Ansicht wird von
den verschiedensten Chirurgen Ausdruck gegeben; besonders n 1 1 -
debrand33) betont, dass ihm dies in vielen Fällen — er hat gegen
200 Basedowkranke operiert — aufgefallen sei. Auch von der
Patientin, die vor 30 Jahren als erste von Rehn operiert wurde,
berichtet Klose1'), dass sie nach ihrer eigenen Angabe sich leichter
errege als vor ihrer Krankheit, während „kein Arzt irgendwelche
noch so leisen Anklänge an ihre frühere schwere Erkrankung finden
könne“. Diese leichtere Erregbarkeit des Nervensystems in vielen
Fällen wird man aber gern mit in den Kauf nehmen, wenn die Pa¬
tienten im übrigen Widerstands- und leistungsfähig werden. Freilich
ist zu bemerken, dass die Erscheinungen von seiten des Herzens, so-
bald schon schwerere Schädigungen vorliegen, unter Umständen noch
recht lange Zurückbleiben, vielleicht gar nicht mehr schwinden, wenn
die Myodegeneratio eben schon zu weit vorgeschritten ist. Aber ich
habe selbst Fälle mit ausserordentlich schweren Herzstörungen be¬
obachtet, wo die lange Zeit fortgesetzte interne Therapie gar keinen
Nutzen zeitigte und wo dann nach der Operation schliesslich doch,
wenn auch nur langsam, auch die Herzerscheinungen sich aufs deut¬
lichste besserten. Andererseits beobachte ich jetzt einen Fall -
es handelt sich um eine ältere Dame, bei der vor etwa 3 Jahren zum
erstenmal ein Basedow festgestellt wurde — die vor einem halben
Jahre operiert wurde und bei der fast dauernd das Herz noch der
Unterstützung durch Digitalis bedarf und trotzdem noch recht un¬
regelmässig arbeitet. Offenbar liegen hier schon schwere organische
Veränderungen vor. Interesse erfordern die Beobachtungen Hilde¬
brands35) an den Elektrokardiogrammen von Basedowkranken, die
gegenüber der Norm schwere Veränderungen der Vorhof- und der
Initialzacke zeigten. Nach der Operation wurde jedesmal das Elek¬
trokardiogramm desselben Individuums annähernd normal.
Der Exophthalmus wird durch die Operation nicht immer zum
Schwinden gebracht, aber doch meistens erheblich verringert.
Klose hat eine solche Besserung niemals vermisst; in einigen Fällen
sah er das Symptom sehr schnell zurückgehen. Misserfolge in bezug
auf den Rückgang des Exophthalmus bei länger bestehender Erkran¬
kung führt Rehn 36) auf schwere Veränderungen im retroorbitalcn
Fettgewebe zurück. D u n h i 1 1 3‘) will auf Grund seines reichen Ma¬
terials beobachtet haben, dass auf der Seite des exstirpierten Schild¬
drüsenlappens der Exophthalmus prompter zurückgehe als auf der
anderen. . _
Es gelingt nun öfters nicht, mit einer einmaligen Operation
Heilung der Basedow sehen Krankheit zu erzielen. Es treten Re¬
zidive auf, die noch einen zweiten Eingriff notwendig machen. Aber
die langjährige Beobachtung erfahrener Chirurgen hat gezeigt, dass,
je später operiert wird, desto eher Rückfälle sich einstellen und dass
oei Frühoperationen diese mit grosser Sicherheit sich vermeiden
]aSsen
Nach diesem kurzen Ueberblick über die Erfolge der operativen
Basedowbehandlung ist nun die Frage aufzuwerfen, ob wir berechtigt
oder gar verpflichtet sind, den Kranken von vornherein zu einem
operativen Eingriff zu raten. Ich habe schon eingangs erwähnt, dass
sehr namhafte innere Kliniker, wie Erb, v. Strümpell, Eulen¬
burg u. a. durchaus zuerst für eine innere Behandlung plädieren
und erst bei Versagen dieser ein chirurgisches Vorgehen empfehlen;
und es muss nochmals gesagt werden, dass auch ohne Operation,
allein auf dem Wege einer konservativen Therapie, Erfolge erzielt
werden. Es bleibt aber doch, wenn wir das vorher angeführte chirur¬
gische Material Revue passieren lassen, die nüchterne Tatsache be¬
stehen, dass die Resultate der operativen Therapie ungleich glänzen¬
dere sind als die der inneren, und aus diesem Faktum heraus, so
meine ich, müssen wir die Verpflichtung herleiten, unseren Patienten,
wenn irgend möglich, einen frühzeitigen operativen Eingriff in Vor-
32) S c h 1 e s i n g c r: Zur chirurgischen Behandlung des Morbus
Basedowii. Verhandlungen d. Berliner med. Gesellschaft 1912.
33) Diskussion zu Schlesingers Vortrag. Verhandlungen d.
Berliner med. Gesellschaft 1912.
34) 1. c.
35) 1. c.
38) Bericht auf der 83. Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte. Ref. M.m.W. 1911 Nr. 41.
37) 1. c.
schlag zu bringen. Das Urteil des inneren Klinikers Kraus38) geht
dahin, „dass die Chirurgie es ist, die an erster Stelle berufen er¬
scheint, die Therapie des Morbus Basedowii zu übernehmen und
mehr und mehr zu einer operativen zu gestalten“. K ü 1 1 n e r hat auf
dem Chirurgenkongress 1911 sich dahin geäussert, dass der Morbus
Basedowii eine chirurgische Krankheit sei, deren Behandlung in der
Frühoperation bestehe, die Todesfälle fast ganz vermeiden lasse.
Die Mahnung zur Frühoperation findet man fast bei allen Chirurgen,
denen ein groses Material durch die Hände geganeen ist, vor allem
auch bei Th. Kocher, der wohl über die grösste Erfahrung auf
diesem Gebiete verfügt. Es ist doch zu bedenken, dass in der grossen
Mehrzahl der Fälle anfangs nur ein Teil der Schilddrüse erkrankt ist,
dessen Entfernung die Krankheit schnell und restlos zur Heilung zu
bringen pflegt. Bei fortgeschrittenen Fällen wird man immer einen
Rest krankhaften Gewebes zurücklassen müssen, so dass dann der
Erfolg mehr oder weniger in Frage gestellt wird. Könnte man, sagt
Rehn™), die ganze Schilddrüse entfernen, so würden alle Falle ge¬
heilt werden. „
Es wird für einen Patienten, der verhältnismässig wenig Be¬
schwerden von seiner im Anfangsstadium befindlichen Erkrankung
hat nicht immer leicht sein, sich zu einer sofortigen Operation zu
ent'schliessen. Man wird daher in vielen Fällen zunächst mit einer
inneren Behandlung anfangen müssen, dem Kranken aber zweck¬
mässig sagen, dass diese nicht zu lange ausgedehnt werden dürfe, um
das Auftreten irreparabler Veränderungen zu vermeiden. Tritt nicht
sehr bald ein Erfolg ein, so scheint es mir doch empfehlenswert, auf
eine Operation zu dringen, ganz besonders aber in Fällen, wo es sich
darum handelt, die Patienten möglichst bald wieder arbeitsfähig zu
machen, also zunächst bei Angehörigen der arbeitenden Klassen,
dann aber auch bei allen den Kranken, die aus materiellen Gründen
nicht in der Lage sind, sich eine lange Kur leisten zu können. Hier
ist besonders im Interesse des Patienten die Frühoperation am Platze.
In jedem einzelnen Falle von Basedowscher Krankheit sollte
aber, wie Klose40) fordert, „der Chirurg von vorneherein bei der
Frage der Basedowtherapie“ hinzugezogen werden. Wie andere
Krankheiten, die früher zunächst hauptsächlich die Domäne des inne¬
ren Klinikers bildeten, jetzt von Anfang an unter die Obhut des
Chirurgen gestellt werden — ich denke an die meisten Formen der
Appendizitis, an zahlreiche Lungenerkrankungen, endlich an manche
Krankheiten des Zentralnervensystems — , so muss man auch heute un¬
bedingt den Morbus Basedowii den Krankheiten zurechnen, die weit¬
aus am besten beim Chirurgen aufgehoben sind. Die innere I herapic
ist im allgemeinen zu unsicher und braucht auch viel zu lange Zeit zu
einem meist nur vorübergehenden Erfolge, als dass wir sie den Kran¬
ken, die möglichst bald wieder hergestellt sein wollen, empfehlen
k°nriMit Hinsicht auf die wirklich guten Erfolge der chirurgischen
Basedowtherapie will mir die Forderung gerechtfertigt erscheinen,
dass wir in der Regel die F r ü h o p e r a t i o n als sicherste Behand¬
lung der Basedow sehen Krankheit unseren Patienten anzuraten
verpflichtet sind, solange wir nicht ein Mittel kennen, das auf un¬
blutigem Wege die causa peccans zu entfernen vermag.
Bücheranzeigen und Referate.
C. Oppenheimer: Die Fermente und ihre Wirkungen.
IV. völlig neubearbeitete Auflage. Nebst einem Sonderkapitel: Physi¬
kalische Chemie der Fermente und Fermentwirkungen von Prof.
R. 0. H e r z o g in Prag. Leipzig 1913. Verlag von F. C. W. V o g c 1.
Bd. II. 663 Seiten. Mit Bd. I zusammen (1150 Seiten) 36 M. S
Das Werk ist bereits mit Erscheinen des I. Bandes dieser Auf¬
lage an dieser Stelle einer ausführlichen, sehr günstigen Kritik unter¬
zogen. Auch der II. Band der neuen Auflage zeigt die gleiche Gründ¬
lichkeit in der Sammlung und Bearbeitung des Stoffes. Trotz der
ganz ausserordentlich angewachsenen Literatur dieses Gebietes dürfte
es schwer sein, dem Verfasser eine erheblichere Lücke im Zitieren
nachzuweisen. Dieser II. Band behandelt zunächst als Fortsetzung
des Hauptteiles 2 die folgenden Hauptgruppen der Fermente: Prote¬
asen, Zvmasen, Oxydasen und Katalasen.
Der 3. Hauptteil des Gesamtwerkes gibt wieder aus der Feder
von R. O. Herzog eine ausführliche physikalische Chemie der
Fermente und ihrer Wirkungen, die ebenfalls gegenüber der früheren
Abfassung eine ausgezeichnete Weiterführung erfahren hat. Eine
Bibliographie von ca. 100 Seiten macht den Beschluss des Buches.
Für alle, die auf dem Gebiete der Fermentforschung Interessen haben
oder selber forschend sich betätigen wollen, muss das Buch als der
zurzeit beste, vollständigste und zuverlässigste Ratgeber bezeichnet
werden. Schade- Kiel.
C. Oppenheimer: Grundriss der anorganischen Chemie.
VIII. Auflage. Leipzig. Verlag von J. T h i e m e. 1914. 246 Seiten.
Preis gebunden 3.50 M.
Schon wieder liegt eine neue Auflage dieses bekannten kurzge¬
fassten Kompendiums der anorganischen Chemie vor. Sie hat gegen-
38) Zit. nach Klose, 1. c.
39) 1. c.
40) 1. c.
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1573
über den früheren im allgemeinen Teil eine wesentliche Erweiterung
und Verbesserung erfahren. Kurz zusammengedrängt (auf 93 Seiten)
wird eine ganz vorzügliche erste Orientierung über die allgemeinen
Gesetze der Chemie (einschliesslich der physikalischen Chemie) ge¬
geben. Im speziellen Teil ist wenig geändert, nur ist das Kapitel
über radioaktive Stoffe erweitert und den neueren Forschungsergeb¬
nissen angepasst. Als kurzes Repetitorium der anorganischen Chemie
ist das Buch den Medizinern durchaus zu empfehlen; selbstverständ¬
lich kann und will es das ausführliche Lehrbuch nicht ersetzen.
Schade- Kiel.
Friedrich Craemer: Vorlesungen über Magen- und Darm-
krankheiten. 6. Heft. Die chronischen katarrhalisch entzündlichen
Erkrankungen des Darmes. München 1914. J. F. Lehmanns
Verlag. 220 Seiten. Preis 4.50 M.
Von den bisher erschienenen Heften beschäftigt sich eines mit
allgemein ätiologischen Fragen, der Einwirkung der Genussmittel auf
den Darm, drei mit Magenerkrankungen, Katarrh, Erweiterung und
Geschwür, und nur eines mit einer Darmerkrankung, der Darmatonie.
Das neue, 6. Heft befasst sich wieder mit den Darmerkrankungen und
zwar mit einem der schwierigsten Kapitel. Verfasser sagt selbst, dass
man nicht abgeschlossene Schilderungen von ihm erwarten dürfe. Das
bekannte tiefe Dunkel, das im Darm und im kranken Darm herrscht,
ist noch weit entfernt von völliger Aufhellung. Um so mehr muss
man dem Verfasser dankbar sein, dass er es versucht, auf Grund
eines grossen, sorgfältig beobachteten Krankenmaterials zur Klärung
beizutragen. Soweit es überhaupt mit rein klinischen Untersuchungs-
methöden möglich ist, so ist der Versuch vorzüglich gelungen.
Freilich verkennt der Verfasser wohl selbst am wenigsten, dass die
klinischen Beobachtungen nur im Verein mit mühevollen anatomisch¬
histologischen an vom Toten und vor allem vom Lebenden gewonnenen
Material, den schwierigsten chemischen Forschungen und den experi¬
mentellen Methoden imstande sind, eine wirklich klare Einsicht in
die Darmerkrankungen zu gewinnen und eine scharfe Charak¬
terisierung der Krankheitsbilder durchzuführen. Aber gerade für den
praktischen Arzt bietet die neue Vorlesung des gereiften Praktikers
eine solche Fülle von Anregung und Belehrung, dass man beim Lesen
gern seine Wünsche für eine vollkommenere Zukunft zurückdrängt und
sich an den reichen, in der Gegenwart gebotenen Beobachtungs¬
ergebnissen erfreut. In therapeutischer Hinsicht wäre es vielleicht
zu wünschen, wenn unter den so zahlreich gebotenen Behandlungs¬
verfahren und den vielen erwähnten abführenden, stopfenden, des¬
infizierenden und anderen Arzneimitteln eine engere kritische Aus¬
wahl auf Grund der gewiss in dieser Beziehung ganz besonders
reichen Erfahrung des Autors geboten würde. Ein Nachschlagebuch
ist das vorliegende nicht. Es sind Vorlesungen, die man, wenn man
sie nicht hören kann, im Zusammenhang lesen muss. Kein Praktiker
wird das Buch aus der Hand legen, ohne von seiner Lektüre Nutzen
und Genuss gehabt zu haben. P e n z o 1 d t.
A. Bier, H. Braun, H. Kümmell: Chirurgische Operations¬
lehre. Band I, Lieferung 2. Preis des ganzen I. Bandes geb. 47 M.
Mit der 2. Lieferung liegt der ganze I. Band und damit das ge¬
samte Werk vollständig vor. Ein leuchtendes Wahrzeichen des hohen
Standes der deutschen Chirurgie.
Die Lieferung enthält die Beschreibung der Operationen am Kopf
und an der Wirbelsäule.
Otto Tilmann-Köln behandelt die Operationen am
Schädelteil des Kopfes. Das Kapitel enthält ausser wert¬
vollen Abschnitten über Hirnoperationen und Bestimmung von Fremd¬
körpern im wesentlichen eine vortreffliche Beschreibung der Trepa¬
nationstechnik aus den verschiedensten Indikationen. Die grosse per¬
sönliche Erfahrung des Verfassers kommt der Darstellung aller tech¬
nischen Einzelheiten sehr zu statten.
Die Operationen am Gesichtsteil des Kopfes sind
von Fritz K ö n i g - Marburg, Erich Lex er- Jena und Ludwig
W rede- Jena dargestellt. Eine besondere Bereicherung hat dieser
Abschnitt dadurch erfahren, dass Hermann Braun dazu ein eigenes
Kapitel über Anästhesierungsverfahren und Punktion
der Trigeminusstämme verfasst hat.
Von L e x e r stammt das Kapitel über die plastischen
Operationen im Gesicht und in der Mundhöhle. Der erfahrene
Jenaer Chirurg hat bekanntlich auf dem Gebiete der plastischen Ope¬
rationen zahlreiche neue Verfahren geschaffen und diesem Teil der
Chirurgie neue Wege gewiesen. Die zusammenfassende Darstellung
seiner eigenen Methoden und derjenigen, die schon Gemeingut der
Chirurgie waren, ist ein besonderer Vorzug des Werkes.
Die Operationen am Nervus facialis und Nervus
trige minus sind von Wrede behandelt. Die zum Teil neuen
operativen Methoden haben durch W. eine in jeder Beziehung vor¬
treffliche Schilderung erfahren. Von W. stammen auch die Abschnitte
„Operationen an der Orbita und an der Zunge und dem Mund¬
bode n“.
Fritz K ö n i g - Marburg hat den Abschnitt über die Ope¬
rationen an denKiefern und bei Nasenrachentumoren
verfasst. Als berufener Autor, der selbst an der Ausbildung der
Technik vielfachen hervorragenden Anteil genommen hat, berück¬
sichtigt er besonders auch den Ersatz der durch die Eingriffe gesetzten
Defekte.
Ein Gebiet, das zum grössten Teil eine Errungenschaft der letzten
Jahrzehnte darstcllt, sind die Operationen an der Wirbelsäule
und am R ii c k e n m a r k. Die Darstellung derselben durch Victor
S c h m i e d e n - Halle stellt einen besonders wertvollen Teil des
Handbuches dar. Die grosse Zahl der den Gang der einzelnen Ope¬
rationen erläuternden originellen Abbildungen (Laminektomie, Ope¬
ration der Spina bifida, Förster sehe Operation) muss rühmend
hervorgehoben werden. Kr ecke.
Oskar Polano: Geburtshilflich-gynäkologische Propädeutik.
Eine theoretische und praktische Einführung in die Klinik und in die
Untersuchungskurse. Mit 78 meist farbigen Abbildungen. Würzburg
1914. Verlag von Curt K a b i t s c h. 144 S. Preis geb. 5 M.
Die vorliegende Propädeutik zerfällt in einen theoretischen und
einen praktischen Teil. In dem ersten Teile wird die Anatomie der
weiblichen Genitalorgane vom Standpunkt des Klinikers erörtert; des¬
gleichen wird die Biologie der Ovulation und Menstruation und der
Einfluss der Schwangerschaft auf den Genitalapparat einerseits
und den Gesamtorganismus andererseits abgehandelt. Jeder der selbst
lehrt, wird unumwunden zugeben, dass diese kurzen und doch gründ¬
lichen Erörterungen über das „Normale“ dem Studierenden das ver¬
ständnisvolle Folgen in der klinischen Vorlesung und in den Unter¬
richtskursen ausserordentlich erleichtern müssen. Der zweite Teil
handelt von den geburtshilflichen und gynäkologischen Untersuchungs¬
methoden. Er steht in keiner Hinsicht dem ersten Teile an Klarheit
der Diktion und Uebersichtlichkeit der Disposition nach. In ausge¬
zeichneter Weise wird die Technik, der Zweck und die Leistungs¬
fähigkeit der einzelnen Methoden gelehrt. Unterstützt wird die flotte
Darstellungsweise durch zahlreiche instruktive Abbildungen, so dass
man als Lehrer dem angehenden Klinizisten das Studium des Buches
wärmstens empfehlen kann. P. Esch- Marburg.
H.v.Tappeiner: Anleitung zu chemisch-diagnostischen Unter¬
suchungen am Krankenbett. 10. umgearb. Aufl. mit 12 Figuren im
Text. München 1914, M. Riegers Buchhandlung. 146 S. Preis
geb. 2.20 M.
Die grosse Zahl der Auflagen zeigt, dass das Büchlein seinen
Zweck erfüllt. Es verdankt seine Beliebtheit wohl vor allein der
kurzen, übersichtlichen und leichtverständlichen Darstellung und An¬
ordnung des grossen Stoffes, so dass es auch dem Anfänger rasch
möglich ist, einen Ueberblick zu gewinnen. Freilich ist es dann sehr
schwer, wohl unmöglich, eine Auswahl des Stoffes und der Methoden
zu treffen, die alle Benützer befriedigt. Jedoch gehören Methoden,
die in der Praxis doch nicht ausgeführt werden können, wie die
Wassermann sehe Reaktion und der neue Abderhalden sehe
Nachweis der Abwehrfermente sicherlich nicht in ein derartiges Buch;
eine kurze Darstellung nützt dem Leser nichts und die theoretische
Begründung wird er in einer kleinen praktischen Anleitung mit Recht
nicht suchen. Dagegen erscheint dem Ref. die Untersuchung des
Blutes allzu stiefmütterlich behandelt und über den Liquor cerebro¬
spinalis finden sich nur 9 Zeilen. Im Kapitel über Chloride wäre wohl
zweckmässig die quantitative Kochsalzbestimmung mit dem Koch¬
salzröhrchen von FI. S t r a u s s zu erwähnen, die eine klinisch ge¬
nügende Bestimmung in wenigen Minuten ermöglicht. Dass das
spezifische Gewicht des Harns wesentlich durch den Eiweissgehalt
mitbeeinflusst werde, ist nicht richtig, wenigstens nicht bei den Ei¬
weissmengen, wie sie gewöhnlich Vorkommen. — Dem Praktiker, der
sich nicht auf kompliziertere Methoden einlassen kann und dem
Studenten als erste Einführung in das Gebiet, ist das Büchlein zu
empfehlen. L. Jacob- Würzburg.
Dr. Carlo Vallar di: II fosforismo cronico. Mailand 1914.
238 Seiten, 9 Tafeln.
Es werden, nachdem die Streichholzindustrie, die allgemeine Toxi¬
kologie des Phosphors und die Geschichte der Phosphorvergiftung
besprochen, eingehend die Nekrose und die weiteren Aeusserungen
der chronischen Phosphorvergiftung behandelt Daran schliessen
sich die Aufzählung der Schutzmassregeln und der gesetzlichen Vor¬
schriften der verschiedenen Länder. Den Schluss bildet der Bericht
des Verfassers über seine Versuche an Hunden und Meerschweinchen
und das Literaturverzeichnis. D a 1 1' A r m i - München.
Rohleder: Monographien über die Zeugung beim Menschen.
Bd. IV: Die libidinösen Funktionsstörungen der Zeugung beim Weibe.
99 Seiten. M. 2.80, geb. M. 3.60.
Mit dem nunmehr erschienenen 4. Bande ist Rohleders
einzigartiges Werk über die Zeugung beim Menschen beendet: es ist
nicht zuviel gesagt, wenn ich behaupte, dass der Verfasser die Auf¬
gabe, die er sich gestellt, in mustergültiger, geradezu glänzender
Weise gelöst, der Aerztewelt ein ideales Lehr- und Nachschlagebuch
geschenkt hat. Der letzte Band behandelt die Störungen der Zeu¬
gung, soweit sie in der Libido des Weibes begründet sind: die Frigidi¬
tät, die Dyspareunie, die Hysterie, sowie die Differenzierungen des
Geschlechtstriebes nach der sog. krankhaften Seite hin, Masochismus,
Sadismus, Fetischismus. Auch dieser Band behandelt den Stoff rein
vom Standpunkte des Sexologen aus unter Ausschluss der Gynäkologie,
aber unter eingehender Würdigung aller Beziehungen zur gericht¬
lichen Sachverständigentätigkeit. In reichlichem Masse weist der
Verfasser auch auf die jeweils zweckentsprechende Therapie hin,
sowie auf die allenfalls vom befragten Arzte zu gebenden Ratschläge,
Eingehung einer Ehe betreffend. R o h 1 e d e r hat uns mit seinem
1574
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
Buche das erste Werk gebracht, das alles, was bei der menschlichen
Zeugung in Betracht kommt, in eingehender Weise nach allen Ge¬
sichtspunkten berücksichtigt. B 1 u m m - Bayreuth.
W. Hirt: Das Leben der organischen Welt. 1914. Verlag von
E. Reinhardt in München. 150 Seiten.
Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gesetzt, diejenigen Vor¬
gänge in der anorganischen Welt zusammenzustellen, welche, wenn
auch in einfachster Art, an die spezifischen Vorgänge des Lebens
anklingen. Es wird eine fliessend geschriebene Uebersicht über die
hier vorliegenden Beziehungen gegeben. Die beigebrachten Analogien
erstrecken sich im wesentlichen auf die Prozesse, in welchen eine
Vorstufe der Atmung, Ernährung, Hautbildung, Fortpflanzung und
Anpassung gefunden wird. Auch von Krankheitserscheinungen an¬
organischer Stoffe, so z. B. der sog. Zinnpest von Münzen und
sonstigen Metallgegenständen, wird eine Analogie zu den Infektions¬
krankheiten behauptet. Das letzte Kapitel bringt schliesslich eine
Vergleichung einiger seelischer Vorgänge mit Vorgängen der an¬
organischen Welt. Der Verfasser glaubt sich auf Grund des von ihm
zusammengestellten Materials zu der Anschauung berechtigt, dass
auch die anorganische Welt lebt, so dass ihm das Problem der
Urzeugung in relativ einfacher Weise seine Lösung findet: Leben
braucht nicht erst im Moment der Urzeugung zu entstehen, es geht
vielmehr nur eine höher organisierte, kompliziertere Materie aus der
einfacheren, aber bereits lebenden anorganischen hervor. Wenn auch
dieser letztere, das ganze Buch durchziehende Grundgedanke keine
allgemeine Annahme erfahren wird, so ist doch hervorzuheben, dass
die Zusammenstellung der Erscheinungen, durch welche die belebte
und die anorganische Materie verknüpft sind, in diesem Buche eine
im wesentlichen sachliche und von Phantasterei freigehaltene Dar¬
stellung erfahren hat. Schade- Kiel.
Neueste Joumalliteratur.
Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie.
16. Band, 1. Heft.
W. Koch: Die Orte der Reizbiidung und Reizleitung im mensch¬
lichen Herzen. (Aus der II. med. Klinik in Berlin.)
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
J. T r e b i n g - Berlin: Beitrag zur Eisenwirkung. Ein Versuch,
die Unterschiede in der Wirkung der Eisenpräparate zu erklären.
Der Verfasser stellte Untersuchungen über die Eisenausscheidung
im Harn nach verschiedenen Eisenmedikationen an, wobei das Harn¬
eisen nach der von Sachs und Friedenthal angegebenen kolori-
metrischen Methode bestimmt wurde. Die Ergebnisse der Versuche
sind: Die Wirkungsweise anorganischer Eisensalze und organischer
Eisenpräparate ist verschieden. Doch stehen manche chemisch or¬
ganische Eisensalze, z. B. Ferrum oxydatum saccharatum — vermut¬
lich auch Ferrum citricum — in ihrer physiologischen Wirkung den
anorganischen Eisensalzen gleich. Eine Klasse für sich bildet die
künstlich hergestellte Eiseneiweissverbindung Eisentropon. Die aus
Blut hergestellten Präparate haben keine andersartige Wirkung als
eisenreiche Nahrungsmittel selbst. Während die sonstigen Eisen¬
präparate entweder nur bei Chlorose oder nur bei Anämie nützen, ist
das Eisentropon in beiden Fällen ein energisch wirksames Heilmittel.
R. L u z z a 1 1 o: Die Glykosurie bei experimentellen Nephritiden.
(Aus dem pharmakol. Institut der Universität Camerino.)
Der Verfasser erzeugte bei Kaninchen durch Kantharidin, Uran¬
salze, Chromate, Sublimat, Natriumtellurat und Aloin Nephritis und
untersuchte, durch welches von diesen Giften gleichzeitig Glykosurie
verursacht wurde. Nach Kantharidin trat nur Glykosurie auf, wenn
die injizierte Dosis klein war. Wiederholte kleine Kantharidindosen
bringen die Glykosurie zum Verschwinden, während die Albuminurie
zunimmt. Wahrscheinlich beruht diese Kantharidinglykosurie zum
grossen Teil auf Veränderungen der Funktionsfähigkeit und Durch¬
lässigkeit der Nierenkapillaren. Bei Einspritzung der anderen Gifte
trat die Glykosurie nicht so früh ein, erst einen oder zwei Tage nach
der Einspritzung, hielt dafür aber länger an, häufig bis zum Tod des
Tieres. Diese Glykosurie ist wahrscheinlich mit der schweren Läsion
der aktiv funktionierenden Epithelien der gewundenen Kanälchen in
Beziehung zu bringen; der im Harn ausgeschiedene Zucker stellt
nichts anderes als von den Epithelien nicht verwendetes Material dar.
Die ausgeschiedene Zuckermenge ist nie gross, höchstens 1 Proz.,
die Glykosurie tritt auch beim Hunger ein; Hyperglykämie wurde
nie beobachtet. Vinylamin, welches eine charakteristische papilläre
Nephritis verursacht, ruft keine Glykosurie hervor.
W. G. Korentschewsky: Die Beziehungen zwischen Schild-
und Keimdrüsen in Verbindung mit deren Einfluss auf den Stoff¬
wechsel. (Aus dem Laboratorium für allgemeine und experimentelle
Pathologie an der k. militär-medizinischen Akademie in Petersburg.)
Die Versuche an Hunden und Kaninchen ergaben, dass nach
Kastration die Eiweisszersetzung bedeutend geringer wird, auch
wenn das Tier hungert; während ein direkter Einfluss auf die Ver¬
brennung stickstofffreien Materials (Fett) vermisst wird. Injektion
von Keimdrüsenemulsion erhöhte bei kastrierten Tieren die Eiweiss¬
zersetzung, bei männlichen Tieren um 16, bei weiblichen um 35,6 Proz.,
während der Gaswechsel unverändert blieb. Thyreoidektomie be¬
wirkte Verminderung der Eiweisszersetzung und des Gaswechsels.
Der Thyreoidektomie nachfolgende Kastration hatte keine den Ei¬
weissstoffwechsel reduzierende Wirkung mehr. Tritt nach Thyreoid¬
ektomie eine erhöhte Eiweisszersetzung ein, entwickelt sich also eine
Cachexia strnmipriva, so kann die Kastration den erhöhten Eiweiss¬
verbrauch nicht mehr herabsetzen. Injektion von Testikel- oder
Ovärienemulsion erhöhte bei thyreoidektomierten Tieren die Eiweiss¬
zersetzung und den Gasverbrauch.
S. Kobsarenko: Die Tätigkeit des peripheren Gefässsystems
und ihre Rolle im Blutkreislauf. (Aus der inneren Abteilung des
Militärhospitals in Kiew.)
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
Lippmann: Studien über die Steigerung der Resistenz und des
Antikörpergehaltes durch Knochenmarksreizmittel, Thorium X, Arseni¬
kalien etc. (Aus der II. med. Klinik in Berlin.)
Das Thorium X hat wie alle anderen Knochenmarkreize die
Fähigkeit, ausser der Erythro- und der Leukopoese auch die Anti¬
körperproduktion zu steigern. Thorium X vermag die Agglutinin¬
produktion, die im Sinken begriffen ist, ohne neue Antigenzufuhr
energisch zu steigern. Thorium X und Salvarsan vermögen in der
Reizdosis Mäuse vor einer vielfach tödlichen Pneumokokkeninfektion
zu retten. Einen Einfluss auf die Ambozeptorproduktion haben die
Knochenmarksreize nicht, so dass für diese Antikörper eine ander¬
weitige Entstehung in Frage zu ziehen ist. Eine Provokation der
Wassermann sehen Reaktion bei negativ reagierenden Luetikern
durch Thorium X ist nicht möglich. Die Povokation durch Salvarsan
ist auf die Auflösung von Spirochäten und dadurch erzielte neue An¬
tigenzufuhr zurückzuführen. Neben den spezifischen Schutzstoffen
vermag auch die — aktive wie passive — Steigerung der un¬
spezifischen Schutzstoffe Infektionen wirksam zu bekämpfen.
B. Grünfelder: Die Beeinflussung der Magensaftsekretion
durch Infektion und deren Folgen auf die Magendarmstörungen des
Säuglings. (Aus dem Waisenhaus und Kinderasyl der Stadt Berlin.)
Die Untersuchung an nach P a w 1 o w operierten Hunden, bei
welchen ein in der Bauchwand sich öffnender Blindsack aus einem
Teil des Magens gebildet wurde, ergaben bei experimenteller Er¬
zeugung von Fieber (durch Abszesse infolge von Terpentininjektionen
oder Injektion von Staphylokokkenaufschwemmung bzw. Kolibazillen
oder endlich durch Einblasen eines Gemenges von Nasensekret eines
an Staupe erkrankten Hundes mit Zimmerkehricht in die Nasenlöcher)
Störungen der Magensaftsekretion. Die Störung beruhte jedoch
nicht in Veränderung der Zusammensetzung des Drüsensekretes, son¬
dern nur auf einer Verlangsamung der Sekretbildung, welche zu einer
verlangsamten Strömungsgeschwindigkeit des Magensaftes führte.
Während der Höchsttemperaturen zeigte sich eine auffallende Ver¬
minderung des Gehaltes an freier HCl: Da bei den Versuchen der
Saft nicht direkt aus den Labdrüsen erhalten wird, sondern erst
nachdem er längs der von alkalischem Schleim bedeckten Magen¬
wandung herabgeflossen ist, so wird dabei immer eine teilweise Neu¬
tralisierung eintreten, die um so stärker ist, je langsamer der Saft
fliesst, je geringer also die Absonderungsgeschwindigkeit ist; infolge
dessen ist bei verminderter Sekretion auch die Azidität vermindert,
während die Fermentproduktion resistenter ist. Die Uebertragung
der Ergebnisse auf die kindliche Pathologie ergibt, dass jede akute
Infektion eine verlangsamte und verringerte Magensaftsekretion zur
Folge hat, welche bei Säuglingen um so mehr ins Gewicht fällt, als
schon normalerweise Milch sekretionshemmend auf die Magendrüsen
einwirkt. Dazu kommt npeh die Verringerung der antiparasitären
Wirkung des Saftes infolge des geringeren Gehaltes an freier HCl.
Lindemann - München.
Zeitschrift für Tuberkulose. Band 22, Heft 3.
H a u p t - Dresden: Beitrag zur Schutz- und Heilimpfung gegen
die Tuberkulose bei Meerschweinchen und Kaninchen.
Fortsetzung folgt.
Ferd. W i n k 1 e r - Wien: Beiträge zur Therapie der Tuber¬
kulose mittels Endotin.
Behandlung mit stark verdünntem Endotin scheint Knochen- und
Drüsenherde günstig zu beeinflussen.
Die Heilstättenbeilage enthält einen Bericht über Brehmers
Heilanstalt Görbersdorf von Dr. Franz W e h m e r zur Feier des
60 jährigen Bestehens und einen Jahresbericht der M’GIadbacher Ein¬
richtungen zur Bekämpfung der Tuberkulose.
Liebe- Waldhof Elgershausen.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. Bd. XXII.
Murk J a n s e n - Leyden: Das Wesen und das Werden der
Achondroplasie.
Die Achondroplasie (Chondrodystrophie) entsteht durch die Enge
des Amnion. Der Amniondruck ist imstande, mechanische Form¬
störungen des Embryo zu machen. Im ersten Embryonalstadium
(erste und zweite Woche) verursacht er eine Runzelung der Em¬
bryonalachse und Zerstörung des weichen Gewebes. Im zweiten
Stadium (3. — 6. Woche) eine Aufrollung des Embryo durch Druck in
den Nacken und in die Kauda, Wachstumshemmung an der Schädel¬
basis, am Kreuzbein und an den Gliedmassen. Im dritten Stadium
sind bereits Knochen gebildet und der Amniondruck hemmt nur mehr
das Wachstum an der konkaven Seite der Verkrümmungen. Im
ersten Stadium entstehen Missbildungen wie die Anenzephalie, im
zweiten Stadium die Achondroplasie und im dritten Stadium De¬
formitäten wie die Klumpfiisse. Es ergibt sich somit ein einheit-
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
liches Bild für die Genese sehr vieler angeborener Deformitäten. Die
tilge des Amnions ist eine Krankheit, an der manche Familien im
Verborgenen leiden. Die Lektüre des Originals ist sehr zu empfehlen.
James F r ä n k e 1 - Berlin : Zur Ätiologie und Therapie des an¬
geborenen Kluinpfusses.
Der Klumpfuss entsteht aus der physiologischen Supinationsstel¬
lung der fötalen Füsse durch Raumbeengung. Das Ziel der Frän-
k e l sehen 1 herapie ist: Weichteil- und Knochenverletzungen zu ver¬
meiden, Narkosen und 1 enotoinie einzuschränken. In einem eigens
konstruierten Saugkasten wird der Fuss hyperämisiert und schonend
redressiert.
R. Werndorf f- Wien: Die Entstehung der Hüftgelenkskon¬
traktur bei Koxitis.
Die Adduktionskontraktur ist eine Folge der Belastung und ent¬
steht durch die beginnende Destruktion des Gelenkes und durch In¬
suffizienz der pelvitrochanteren Muskeln.
K. V o g e 1 - Dortmund: Heber Coxa vaiga.
Mitteilung eines Falles von Coxa vaiga statica mit Literatur¬
übersicht.
G. M o 1 i n ä u s - Düsseldorf : Das Genu valgum im Röntgenbilde.
Bei 113 röntgenologisch untersuchten Genua vaiga der Mün¬
chener orthopädischen Poliklinik ergab sich als der Hauptsitz der
\ erkrümmungen im Alter von 1 — 5 Jahren die Tibiametaphyse (in
90 Proz.), im Alter von 16 — 20 Jahren die Femurmetaphyse (in
90 Proz.).
J. E 1 s n e r - Dresden: Ueber Lehrlingsskoliose.
In den Pubertätsjahren entwickelt sich bei starker körperlicher
Beanspruchung eine schnell fortschreitende schwere Skoliose. Be¬
schreibung von 29 solcher Fälle.
F. B ä h r - Hannover: Die Fussgeschwulst und ihre Beziehungen
zum vorderen Frontalgewölbe.
Beim Einsinken des frontalen Fussgewölbes kommt es leicht zu
Knickungen des 2. und 3. Metatarsus.
M. Wi 1ms- Heidelberg: Physiotherapie der Gelenkkrankheiten,
insbesondere der Tuberkulose.
Referat 1. über die Behandlung des Gelenkrheumatismus mit
radioaktiven Substanzen und mit Röntgenstrahlen, 2. über die Rönt¬
genbehandlung der Gelenktuberkulose, deren Wert W i 1 m s hoch ein¬
schätzt.
A. R o 1 1 i e r - Leysin: lieber die Sonnenbehandlung der Knochen-
und Gelenktuberkulose.
Genaue Schilderung der Technik der Heliotherapie.
V. Menar d-Berck: Die Behandlung der tuberkulösen Kno¬
chen- und Gelenkentzündungen in der Seestation zu Berck.
Das Seeklima wirkt hauptsächlich auf das Allgemeinbefinden.
Es kürzt den Krankheitsverlauf nicht ab, macht ihn aber wesentlich
leichter.
E 1 m s 1 i e - London: Die physikalische Behandlung der Gelenk¬
krankheiten, im besonderen der tuberkulösen Gelenkkrankheiten.
Philipp E r 1 a c h e r - Graz: Aenderungen der Respiration im
Abbott sehen Verbände.
Siehe den Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft Berlin.
F. Sehe de- München: Zur pathologischen Anatomie der kon¬
genitalen Hüftverrenkung.
v Präparaten, dem Becken eines Neugeborenen und eines
Zwanzigjährigen mit angeborener Luxation, wird der Entstehungs¬
mechanismus und die Entwicklung der Deformität erörtert.
K. Cr am er- Köln: Zur Anatomie der Spina bifida occulta.
Siehe den Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
G. A. Wollenberg-Berlin: Zur Therapie der Arthritis de-
formans. Prinzip der Therapie: Bewegung ohne Belastung.
Operative Behandlung nur am Kniegelenk zu empfehlen. Ausser¬
dem Jod innerlich und Heissluft.
S. K o f m a n n - Odessa: Freie Luft- und Sonnenbehandlung der
Knochentuberkulose.
Die Besonnung wird ohne Gewöhnung eingeleitet, so dass Ver¬
brennungen auftreten.
O. V u I p i u s - Heidelberg: Ueber die Lichtbehandlung der
chirurgischen Tuberkulose.
Referat über die Anschauungen von der Physiologie der Licht¬
wirkung.
G. Fr. v. Saar- Graz: Beitrag zur Nervenplastik.
Erfolgreiche totale periphere Implantation des Radialis in den
Medianus nach ausgedehnter Resektion des ersteren wegen malignen
Neurofibroms.
R. W. L o w e 1 1 - Boston: Ueber die Atrophie von Muskeln und
Gelenken in ihrer Beziehung zu den Gelenkverletzungen und -er-
krankungen und deren Fixation.
Ausführlicher Literaturbericht. Die Atrophie der Muskulatur bei
Gelenkserkrankungen beruht 1. auf experimentell nachgewiesenen re¬
flektorischen Vorgängen, 2. auf der verminderten Funktion durch
Ruhigstellung. Das Gelenk bleibt reizbar, so lange die Atrophie
besteht. Die Knochenatrophie begleitet die Muskelatrophie.
A. E. S t e i n - Wiesbaden: Zur Technik der Diathermiebehand¬
lung der Gelenkkrankheiten.
Einlagenförmigc Elektroden zur Erwärmung der Fussgelenke.
A. Lorenz- Wien: Ueber die unblutige operative Behandlung
der Pseudarthrosis colli femoris. •
1575
Siehe den Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
G. M u s k a t - Berlin: Die Anwendung der Diathermie zur Be¬
handlung des fixierten Plattfusses.
Es gelang häufig in wenigen Sitzungen die vorhandene Fixierung
zu lösen.
H. F. W o 1 f f - New York : Ueber die Frühbehandlung der ent¬
zündlichen Erkrankungen der Gelenke.
W. empfiehlt vorsichtige Bewegungstherapie von Anfang an. Bei
gonorrhoischen Gelenken auch Massage vom 8. Tage an.
Schede- München.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 26.
Manfred Fraenkel - Charlottenburg: Die günstige Einwirkung
der Röutgenstrahlenrcizdosen bei der Heilung von Knochenbrüchen.
Verf. hat bei 7 Knochenbrüchen beobachtet, wie durch Röntgen-
sti uhlenreizdosen die Kallusbildung in auffallender Weise beschleunigt
wurde. Diese günstige Einwirkung der Reizdosen hat Verf. auch als
ausgezeichnetes Agens bei der Bekämpfung der Lymphdrüsentuber-
k ul ose gefunden: diese Reizdosen beeinflussen besonders deutlich
solche Organe, die sich bereits in einem physiologischen Reizzustand
befinden (granulierende Wunden, Fisteln). Wie die Wirkung der
Röntgenstrahlen hier zu erklären ist, müssen weitere Versuche erst
ergeben.
Mysch - Tomsk: Ein neues Verfahren zur Beseitigung einer
beiderseitigen Ankylosis ossea des Unterkiefergelenkes.
Die neue Methode des Verf. besteht darin, dass er zuerst je eine
Anheftungsstelle der Kaumuskeln mobilisiert; die doppelte Osteotomie
des Arcus zygomatic. mobilisiert den M. masseter, die Osteotomie
der Spitze des Process. coronoid. mandibul. den M. temporalis; dann
wird der Arcus zygom. und die Spitze des Proc. coronoid. durch eine
Kreuznaht zusammengebunden, nachdem eine Resektion des anky-
losierten Gelenkkopfes bzw. eine keilförmige Osteotomie des Halses
mit Interposition eines Muskels- oder Aponeuroselappens ausgeführt
worden ist. Womöglich werden in einer Sitzung beide Seiten so
operiert. Im Notfall kann auch noch die untere Ansatzstelle des
M. pterygoid. int. mobilisiert werden. Die erste Anwendung dieser
neuen Methode brachte ein vorzügliches Resultat: der Mund wird
mit grosser Kraft geschlossen, eine Deformität des Gesichtes ist nicht
zurückgeblieben; die Funktion der Kaumuskeln ist nicht gestört.
Diese Methode macht auch eine Nachbehandlung überflüssig.
Oskar V u 1 p i u s - Heidelberg: Knochenplastik nach Lamin-
ektomie.
Um nachträglichen Deformitäten der Wirbelsäule durch die
Laminektomie vorzubeugen, deckt Verf. den Defekt der Wirbelsäule
durch einen Periostknochenlappen; er nimmt aus der Tibia eine
Knochenspange, so weit als die Lücke im Wirbelbogen ist, aber etwas
länger, schiebt sie dann unter die oben und unten an die Lücke an¬
grenzenden Dornfortsätze, die vorher so weit abgemeisselt worden
sind, dass sie nach oben bzw. unten zurückgeklappt werden können;
dabei schaut die Periostfläche des Knochenspans in den Wirbelkanal
hinein. Ist die Lücke überbrückt, dann wird die implantierte Knochen¬
spange durch einige Nähte unter den zurückgeklappten Dornfortsätzen
fixiert. E. H e i m - Oberndorf b. Schweinfurt.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. XIII, 1914, Nr. 1.
G. M o g w i t z: Ueber das Verhalten des sympathischen Nerven¬
systems des Säuglings gegenüber dem Adrenalin. (Aus der akad.
Kinderklinik in Düsseldorf — Prof. Schlossmann.)
Die Prüfung des Sympathikus mittelst subkutaner Adrenalin¬
injektion und nachfolgender serienweiser Blutzuckerbestimmung
liefert bei richtiger Versuchsanordnung ein annäherndes Bild von dem
Tonus und der Erregbarkeit des Nervensystems. Bei den gesunden
Säuglingen verläuft die Reaktion unabhängig vom Alter, infolgedessen
auch unabhängig von dem Entwicklungszustande der unfertigen
Nebenniere, individuell sehr verschieden. Die meisten reagieren auf
eine Adrenalinmenge von 0,05—0,08 mg pro Kilo Körpergewicht durch
eine inässige Hyperglykämie bis zum Doppelten des Anfangswertes
ohne Glykosurie, einige wenige reagieren sehr schwach, andere
wiederum mit starker Hyperglykämie und Glykosurie als Ausdruck
einer konstitutionellen Verschiedenheit im Sympathikusgebiet.
Frühgeburten reagieren sämtlich in abnorm starker Weise auf
Adrenalin, mit starker Hyperglykämie und Glykosurie. Bei einer
Hyperglykämie von 0,21—0,24 Proz. infolge Adrenalininjektion tritt
Glykosurie auf. Die infolge Adrenalininjektion auftretende Hyper¬
glykämie wird durch Pilokarpin und Atropin nach keiner Richtung
hin beeinflusst. Als Krankheitssymptom tritt eine reizbare Schwäche
des Sympathikus bei der Tetanie und den schweren alimentären
Ernährungsstörungen auf, wahrscheinlich auch bei der exsudativen
Diathese.
Erich Nirrnheim (Schleswig): Der normale Blutdruck im
Kindesalter. (Aus der Dresdener Kinderheilanstalt.)
Untersuchungen mit dem Recklinghausen sehen Apparat
an gesunden taubstummen Kindern. Die gefundenen Mittelwerte sind
in 5 Tabellen wiedergegeben.
Franz Hamburger: Ueber Schlafstörungen im Kindesalter.
Der Verf. bespricht nur die chronischen Schlafstörungen und
unterscheidet hier zwischen Störungen des Einschlafens und Störungen
des kindlichen Schlafes selbst. Er nennt von den letzteren den Pavor
1576
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
nocturnus, den Somnambulismus, die Jactatio capitis nocturna, die
Enuresis nocturna bzw. die Incontinentia alvi nocturna, das nächt¬
liche Zähneknirschen, nächtliche Krampfanfälle und endlich seltenere
Formen von Husten, Bauchschmerzen, Erbrechen, die er als Aequi-
valente des Pavor nocturnus ansieht. Er beeinflusst die Enuresis
nocturna wie den Pavor nocturnus und seine Aequivalente, die er
alle als psychogen entstanden (Schlafgewohnheiten) ansieht, mit
bestem Erfolg durch Wachsuggestion. Die interessanten
Einzelheiten des Artikels müssen im Original nachgclesen werden.
Kurt Blüh dorn: Das klinische Bild der bazillären Ruhr im
Säuglings- und Kindesalter. (Aus der Univ.-Kinderklinik in Göttingen —
Prof. G ö p p e r t.)
Rudolf Schild: Bakteriologische Befunde bei Bazillenruhr im
Säuglings- und Kindesalter. (Aus dem hygien. Institut der Universität
Göttingen — Prof. R e i c h e n b a c h.)
Berichte über die Erkrankungen in der Göttinger Kinderklinik
in den Jahren 1912 und 1913. Im letzten Jahre kam es sogar zu einer
Endemie in der Klinik selbst (15 Säuglinge und ältere Kinder). Zahl¬
reiche Krankengeschichten. Das klinische Bild der Erkrankung im
Säuglingsalter kann so different sein, dass vielfach aus ihm allein die
Diagnose nicht gestellt werden kann. Differentialdiagnostisch gegen¬
über der alimentären Intoxikation ist es wichtig, dass im Intoxikations¬
stadium der Ruhr im Urin kein Zucker nachweisbar war, während
allerdings Azeton, Azetessigsäure und Eiweiss fast regelmässig vor¬
handen waren. Auch im späteren Kindesalter ist anfangs die Diagnose
keineswegs immer möglich (Verdacht auf Pneumonie oder Scharlach).
Therapie: Zu Beginn mildes Abführmittel und reichliche Wasser¬
speisung Gute Erfolge sah man von der Molketherapie; bei toxischen
Fällen kommt es selbst bei Brusternährung öfters zum Exitus. — Die
bakteriologische Untersuchung wies Bazillen nach, die zur Gruppe
der giftarmen Ruhrbazillen (B. Pseudodysenteriae) gehörten. Die
sämtlichen aus der Endemie des Jahres 1913 gezüchteten Stämme
konnten (im Gegensatz zu einem Teil der in der vorausgehenden Zeit
isolierten Stämme) mit irgendeiner der bekannten Pseudoruhrrassen
weder durch Agglutination noch durch Komplementbindung identifiziert
werden.
.1. Peiser: Zur Kenntnis der Rumination im Säuglingsalter.
Beschreibung dreier Fälle. Die Behandlung deckt sich im Grunde
mit der des habituellen Erbrechens. Den sichersten Erfolg erlangt
man durch zweckmässige Ernährung. Breikost brachte P. nicht in
Anwendung; einmal erzielte er Erfolg mit Buttermilch, zweimal mit
alkalisiertem Kefir, den er bei Hypersensibilität des Magens für be¬
sonders angezeigt hält. Einmal schwand die Rumination noch während
der Behandlung, in den beiden anderen Fällen nicht; die Kinder ge¬
diehen aber, während sie vorher sich in sehr schlechtem Allgemein¬
zustand befunden hatten. Albert Uffenheimer - München.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
76. Band, 5. u. 6. Heft.
H. Freund und E. Schlagintweit: Ueber Zuckerstich¬
wirkung und Wärmeregulation. (Med. Klinik Heidelberg.)
Es sollte die Frage beantwortet werden, ob die Eingriffe am
Nervensystem, die die Wärmeregulation verhindern, auch die Wir¬
kung des Zuckerstiches aufheben und umgekehrt, ob die Operationen,
nach denen der Zuckerstich unwirksam bleibt, auch das chemische
Regulationsvermögen ändern. Die Versuche an Kaninchen zeigten,
dass bei Durchschneidung des Brustmarkes oberhalb des 5. Segmentes
der Zuckerstich unwirksam bleibt, die chemische Wärmeregulation
jedoch intakt ist, so dass ein prinzipieller Gegensatz zwischen beiden
Funktionen anzunehmen ist. Die Kältehyperglykämie ist quantitativ
vom Glykogengehalt der Leber abhängig, wie besondere Versuche
zeigten, und beruht auf peripherer (vielleicht Sympathikus-) Reizung.
H. Freund: Welche Bedeutung hat die Durchschneidung der
Leberarterie und der sie begleitenden Lebervenen für den Zucker¬
stich? (Med. Klinik Heidelberg.)
Verf. wollte eine möglichst vollständige Enervierung der Leber
erzielen, ohne dabei in der Nähe der Nebennieren operieren zu
müssen und durchschnitt die Lebernerven zugleich mit dem Haupt¬
stamm der Arterie. Die Versuche ergaben kein eindeutiges Resultat,
jedoch schliesst Verf. aus ihnen, dass die Wirkung des Zuckerstiches
durch nervöse Ausschaltung der Leber verringert oder ganz ver¬
hindert wird.
H. Freund und F. Marchand: Ueber die Wirkungen des
Zuckerstichs nach Nebennierenexstirpation. (Med. Klinik Heidelberg.)
Der Zuckerstich äussert sich auch nach Exstirpation der Neben¬
nieren in der Blutzuckerkurve und kann sogar hohe Hyperglykämie
zur Folge haben. Er greift also direkt an der Leber an, seine Wir¬
kung geht nicht über die Nebennieren.
0. Gross und F. Vorpahl: Beitrag zur Lehre von der Ver¬
fettung parenchymatöser Organe. (Med. Klinik Heidelberg.)
S. Referat d. W. 1912 S. 1246.
H. Rettig: Zur Frage des toxogenen Ei weisszerf alles bei der
Phosphorvergiftung. (Med. Klinik Heidelberg.)
Die Steigerung des Eiweissumsatzes, die bei Phosphorvergiftung
regelmässig eintritt, bleibt fast völlig aus bei Zufuhr sehr reichlicher
Kohlehydratmengen, ebenso entsteht keine Organverfettung. Es
handelt sich also nicht um eine primäre toxische Schädigung der
Zelle durch das Gift, sondern der Eiweisszerfall ist eine Folge des
Kohlehydratmangels.
M. Hashimoto: Zur Frage der aus dem Verdauungstrakt
darstellbaren diuretlsch wirkenden Substanz. (Pharmakol. Institut
Wien.)
Leitungswasser per os wirkt diuretisch, subkutan oder intra¬
venös nicht; durch NaCl-Zusatz wird die Diurese nach intravenöser
und subkutaner Zufuhr gesteigert. Destilliertes Wasser wirkt auch
per os kaum diuretisch. Offenbar ist zum Auftreten der Wasser¬
diurese ein gewisser Salzgehalt und der a 1 1 m ä h 1 i c h e Eintritt der
Hydrämie des Blutes nötig und es scheint dafür die Mitbeteiligung
des Verdauungstraktus und der Leber von Vorteil, weil die Hydrämie
verlangsamt wird und vielleicht auch Salze an das resorbierte Wasser
abgegeben werden.
H. N i c k: Ein Beitrag zur Frage der mechanischen Beeinflussung
der Blutzirkulation durch die Luftdruckerniedrigung im Höhenklima.
(Pharmakol. Institut Tübingen.)
C. J a c o b j : Zur näheren Begründung des mechanischen Ein¬
flusses der Luftdruckerniedrigung im Höhenklima und der ans dem¬
selben sich ergebenden theoretischen und praktischen Folgerungen.
(Pharmakol. Institut Tübingen.) L. J a c o b - Wiirzburg.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 27, 1914.
E. J o s c p h - Berlin: Die Pyelographie und ihre chirurgische
Bedeutung. (Referiert S. 1091 der M.m.W. 1914.)
L. C a s p c r - Berlin: Indikationen und Grenzen der Pyelo¬
graphie. (Cfr. Referat S. 1148 der M.m.W. 1914.)
H. E d e 1 b e r g - München: Röntgenstrahlen und Schwanger¬
schaft.
Verf. beschreibt einen Fall, wo eine mit Bestrahlungen behandelte
Frau konzipierte und ein völlig gesundes Kind gebar. Eine Abkürzung
der Schwangerschaft trat nicht ein.
F. Stern-Kiel: Erfahrungen mit dem neuen Schlaf- und Be-
ruhigungsmittel Dial-Ciba.
Dial steht dem Veronal nahe. Die Versuche an 96 Patienten
ergaben, bei Dosis von 0,2— 0,4 g, dass es ein brauchbares und bei
Kontrolle ungefährliches Medikament ist. Als Schlafmittel kann cs in
der Therapie der Psychosen mit Vorteil verwendet werden. Eine
spezifische Wirkung auf Angstzustände konnte nicht beobachtet
werden.
Peyton R o u s - New York: Histologische Variationen eines
Hühnersarkoms, mittels filtrierbarem Agens erzeugt.
Verf. beschreibt besondere histologische Einzelheiten an Ge¬
schwülsten, welche durch Injektion von Berkefeldfiltraten mit aus-
getrocknetem und glyzerinisiertem Tumorbrei erzeugt worden waren.
Lange- Barmen: Beitrag zur Zeller sehen Pastenbehandlung.
Die Angaben in der Literatur und die Versuche des Verfassers
zeigen keine elektiv zerstörende Wirkung des Arsens auf karzinoma-
töses Gewebe. Die Pastenbehandlung kürzt weder ab, noch ist sie
schmerzloser. Das Heil liegt also „einzig und allein“ im Messer.
L. S. F r i d e r i c i a - Kopenhagen: Eine klinische Methode zur
Bestimmung der CCL-Spannung in der Lungenluft.
Muss im Original verglichen werden.
A. R h e i n d o r f - Berlin: Hysteroneurasthenie oder chronische
Appendizitis?
Auf Grund pathologisch-anatomischer Befunde betont Rh. die
Bedeutung der Oxyuriasis für die Entstehung von Appendizitis und
fordert energische Bekämpfung dieser Parasiten. Durch Oxyuren
verursachte Fälle scheinen dann öfter als Neurasthenie gedeutet zu
werden. Die Oxyuren können gewisse, vom Verf. beschriebene Ver¬
änderungen in der Appendixschleimhaut bewirken. Kranken¬
geschichten und Präparate stützen diese Ansicht.
Dr. Grassmann - München.
Italienische Literatur.
B. B a e c c h i - Parma: Ueber die Unterscheidung mütterlichen
und fötalen Blutes auf gerichtsärztlichem Gebiete. (Arch. di Antropol.
crim., Psichiatria e Medicina legale 1914 Nr. 1.)
Aus seinen Versuchen zieht Verf. folgende Schlussfolgerungen.
Das Verfahren der I s o agglutination ermöglicht in der grossen Mehr¬
zahl der Fälle die Unterscheidung mütterlichen Blutes von fötalem
Blute, indem ersteres die menschlichen Erythrozyten meistens, letz¬
teres nie agglutiniert. Durch das Verfahren der Hetero agglutina¬
tion kann man stets mit Sicherheit mütterliches von fötalem Blute
unterscheiden: ersteres agglutiniert tierische Erythrozyten (Hunde,
Kaninchen, Meerschweinchen) immer, letzteres nie. Am besten
eignen sich zu der Probe die Kaninchenerythrozyten.
Die Technik der Probe ist folgende: Aus den zu untersuchen¬
den Blutflecken wird ein möglichst konzentrierter Extrakt (Verf.
schreibt e s t r a 1 1 o) in 0,9 proz. Kochsalzlösung hergestellt: dieser
durch Hämoglobin mehr oder minder intensiv gefärbter Extrakt
stellt das agglutinierende Serum dar. Zur Herstellung der Erythro¬
zyten wird ein Tropfen frisches Blut mit 1 ccm physiologischer Koch¬
salzlösung in ein Zentrifugenröhrchen getan und zentrifugiert, dann
abgegossen, von neuem mit 1 ccm Kochsalzlösung gewaschen; darauf
folgt eine neue Zentrifugation und Dekantation und schliesslich wer¬
den die Blutkörperchen in 1 ccm Kochsalzlösung aufgeschwemmt: das
gibt eine ca. 5 proz. Aufschwemmung. Zur Agglutinationsprobe bringt
man nun vermittels einer Platinöse 2 Tropfen des Extraktes und
1 Tropfen der Erythrozytenaufschwennnung auf ein Deckgläschen,
mischt sorgfältig, ordnet das Gemisch zu einem hängenden Tropfen
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1577
unter Abschluss mit Vaselin an und liest nach 1 Stunde ab. Verf. unter¬
scheidet 5 Intensitätsgrade, nämlich: 1. Spuren von Agglutination;
2. leichte Agglutination; 3. mittelmässige Agglutination; 4. starke
Agglutination; 5. sehr starke Agglutination.
G. Bracco- Iurin: Lieber erworbene Lagerungs- und Be¬
st, haifcuheitsanomalicn der Bauchorgane. I. Die Eingeweide Verlage¬
rungen bei Frauen. (II Morgagni 1914 Nr. 3—4.)
Verf. bezeichnet mit dem Ausdruck „Viziatura addominale“ (Vi¬
tium abdominis, Bauchfehler) jede Abweichung vom normalen Zu¬
stande der Statik, der Lage, der Beschaffenheit und der Struktur
sowohl des Bauches in seiner Gesamtheit wie seiner einzelnen Or¬
gane, als auch der ganzen Eingeweidemasse und der Bauchwände
(abnorme anatomische Verhältnisse), und ebenso jede Abweichung
vom normalen Zustande des lokalen Lymph- und Blutkreislaufes mit
den entsprechenden Folgezuständen (abnorme funktionelle Verhält¬
nisse), auch wenn die Abweichung auf äusseren Faktoren (Korsett,
Schnurbänder usw.) beruht. Der Begriff: Bauchfehler soll also nicht
nur die Verlagerungen umfassen, die bereits eingetreten sind (Pro¬
laps. Enteroptose) und ev. schon besondere pathologische Folgen
(Uydronephrose, Koliken usw.) gehabt haben, sondern auch die Ver¬
lagerungen, die im Begriff sind, zu entstehen; er soll ferner die Folgen
der Umwandlung des abdominellen Blutkreislaufes, die derartige Ver¬
lagerungen begleitet (Magen- und Darmstörungen, Störungen in der
Genitalsphäre, Albuminurie usw.), die Umwandlungen, die durch von
aussen auf den abdominellen Kreislauf einwirkende Momente (Kor¬
sett usw.) herbeigeführt werden und schliesslich die Modifizierungen
der Bauchwandungen umfassen, die in den erwähnten Fällen ein-
treten (eingesunkener Bauch, hängender Bauch, Veränderungen des
Zustandes des Zwerchfells, des Dammes usw.) oder die in den Fällen
zustande kommen, wo besondere Ursachen nur oder fast nur auf die
Wandungen selbst einwirken (natürliche oder postoperative Hernien,
Zystozcle usw.).
In gegenwärtiger Arbeit beschäftigt sich Verf. mit den Verlage¬
rungen der Eingeweide bei Frauen. Zunächst beschreibt er seine
Beobachtungen über die Senkung der Baucheingeweide und hebt her¬
vor, wie die Evolution dieser Verlagerung parallel mit der Evolution
des Körpers der Frau (in ihrem Zyklus: Vorbereitung zur Sexualität,
Entwicklung dieser, Vorbereitung zur Maternität, weitere Entwicklung
nach eingetretener oder ausgebliebener Maternität bis zum Aufhören
der geschlechtlichen Funktionen) verläuft. Danach bespricht er die
Beziehungen zwischen dem sozialen Leben und der Evolution der
Verlagerungen der Baucheingeweide und hebt besonders den un¬
günstigen Einfluss hervor, den das Stadtleben auf die Entwicklung des
adoleszierenden Mädchens ausübt, und den Einfluss, den das Korsett
ausübt, indem es die Lungenventilation und die Blutoxydierung ein¬
schränkt und somit zu einer progressiven Abschwächung der Ge¬
webe beiträgt; eine Aplasie der Brust- und Bauchmuskeln infolge
ausbleibender Funktion und mangelhafter Ernährung der zusammen¬
gepressten Gewebe herbeiführt; eine Veränderung der Form des
Thorax hervorruft, dessen unterer Abschnitt konisch wird, so dass
die grossen Baucheingeweide aus ihrer natürlichen Lage sozusagen
herausgepresst werden. Dann beschäftigt sich Verf. mit dem Me¬
chanismus, mit welchem die grossen Organe von ihrer natürlichen
I.ogie auswandern, mit den Zufällen, die diese Wanderung begleiten
können (Achsendrehungen, Einklemmungen usw.) und mit dem Me¬
chanismus, mit welchem die Darmmasse in die obengenannten frei¬
gewordenen Logien einwandern, und bespricht die Faktoren des
thorako-abdominellen statischen Gleichgewichtes und den Me¬
chanismus, mit welchem dieses gebrochen wird (Eingeweideverlage¬
rung, anatomischer Bauchfehler). Schliesslich bespricht er das funk¬
tionelle Gleichgewicht des Bauchinhaltes, die Störungen desselben
(funktionelle Bauchfehler) während des Lebens des Weibes und
die Beziehungen zwischen dem funktionellen und dem statischen
Gleichgewicht, und hebt die wichtige Rolle hervor, die der abdomi¬
nelle Blut- und Lvmphkreislauf mit seinen wechselnden Zuständen spielt.
D. C e s a - B i a n c h i - Mailand : Weitere Untersuchungen über
die Natur der in den wässerigen Extrakten aus einigen Organen
enthaltenen Gifte. (Lo Sperimentale 1914 Nr. 1.)
Die Toxizität der frischen wässerigen Extrakte aus einigen Or¬
ganen und besonders aus der Lunge ist von komplexer Art und hängt
von verschiedenen Giften ab. Von diesen können nur zwei als genau
nachgewiesen betrachtet werden, und zwar: ein thermolabiles,
das eine koagulierende Wirkung entfaltet, mit dem thromboplastischen
Vermögen der Extrakte in Beziehung steht, besonders beim Kaninchen
seine Wirkung äussert und unter gewissen Bedingungen durch Zu¬
satz von homologem, frischem Blutserum neutralisiert werden kann;
ein thermostabiles, toxisch (in engerem Sinne) wirkendes, das
mit noch nicht identifizierten, in den Extrakten enthaltenen Protein¬
stoffen zusammenhängt, besonders auf das Nervensystem einwirkt,
am deutlichsten bei Meerschweinchen seine Wirkung entfaltet und
weder durch das Blutserum noch durch die antikoagulierenden Stoffe
neutralisiert wird.
Was die beiden übrigen bisher in Betrachtung gezogenen Gifte
anbelangt, so scheint die Existenz des einen, nämlich des Kachexie
herbeiführenden, in Abrede zu stellen zu sein, während diejenige
des anderen, entzündungserregenden, nur örtlich wirkenden, nicht
genügend nachgewiesen ist.
L. C h i m i s s o - Neapel: Ueber die Hautmanifestationen bei Ma¬
laria, mit besonderer Berücksichtigung einer Form von Ektyma. (Ri-
forma Medica 1914 Nr. 13—14.)
Bei Malariakranken kommen verschiedenartige Hauteffloreszenzen
und -eruptionen vor.
Von primären Effloreszenzen wurden beobachtet: Flecken
(Strack, Notaryan ni, Comparetti, Puccinotti u. a. ni.),
Papeln (T o r t i, B a r b a r o 1 1 a, Moscato), Papulo-Vesikeln
(B r o c q), Knoten oder Tuberkula (Puccinotti, Obedenar o,
L a v e r a n, M a s u c c i), Pomphi, Bläschen, Blasen (Dorotea,
Döring), Pusteln (Dekker, Haller, Lanzoni, Torti, Bor¬
sieri- Notaryanni, Puccinotti, Dorotea, Barba¬
rotta); von sekundären Effloreszenzen: Schuppen (Puccinotti),
Geschwüre (C r o s s).
Von Hauteruptionen kommen vor: Herpes (C o r r e, Kelsch
und Kiene r, Marchiafava und Bignami, Laverqn, Mac-
F a r 1 a n e, V. J. E n g m a n n), Urtikaria (Werlhoff, Borsieri,
Puccinotti, Barbarotta, Corre, Laveran, Moscato,
M a r c h iafava e Bignami, Engmann, Todd Charles,
I a t a k r o s t a, W e 1 s), Petecchien (Werlhoff, Morandi, Bor-
s 1 e r i, Notaryanni, Puccinotti, Barbarotta), skarla-
uniformes Exanthem (M orton, Borsieri, Notaryanni,
Puccinotti, Barbarotta, Moscato, Bastianelli e
B i g n a mi, Bille t, Mosaki, Tarasconi), pustulöse Exantheme
(Iorti, Dekker, Aller, Lanzoni, Strack, Notaryanni,
Puccinotti, Dorotea, Barbarotta), Miliaris (Borsieri.
i -n-r a r T aT n Puccinotti, Barbarotta), Exanthema mor-
bilhforme (B arbarotta, Marchiafava e Bignami, Ma-
s u c c i), Erythema nodosum (Puccinotti, Obedenaro,’ Boi-
cesco. Moncorvo, Laveran, Moscato. Masucci), Pur¬
pura (Werlhoff, Puccinotti, Corre, Engmann), Bash
erythematosum (Marchiafava e Bignami, Paccari Eng¬
mann), Erythema multiforme (Engmann), Pemphigus (Doe-
r i n g).
Besondere Erwägung verdient eine Form von Ektyma, die das
Ectyma syphiliticum vortäuscht, sich aber von diesem durch einen
schwärzlichen Vorhof, durch das Auftreten und Fortbestehen während
des- Malariafiebers, durch die gleichzeitige melanodermatische Pig-
mentierung der Haut des Rumpfes und schliesslich dadurch unter¬
scheidet, dass es durch die antimalarische Therapie beeinflusst wird.
Alle erwähnten Läsionen stehen in direkter Beziehung zur Ma¬
laria. Die wichtigste Hauterscheinung ist die Melanodermie; die¬
selbe heilt aber, im Gegensatz zu den übrigen, nicht.
M. Chiö- Genua: Der Mechanismus der Gift Wirkung der Blau¬
säure. (Arch. di Antrop. crim., Psich. e Med. legale 1914 Nr. 1.)
Die Blausäure entwickelt im Organismus der höheren Tiere eine
Giftwirkung, die durch die chemischen Reaktionen zu erklären ist,
die die Säure in dem Körper hervorruft, in den sie eingeführt wird
In Gegenwart von Salzen (alkalischen und alkalisch-erdigen) und
von schwachen Säuren (Kohlensäure, Phosphorsäure) bilden sich zu¬
nächst Zyanüre und aus diesen, durch Hydrolyse, Hydrate und KCN.
Dieses wird somit fortwährend aus seinen Salzen regeneriert. In
Gegenwart von grossen Mengen von C02 wandeln sich die Hydrate
sofort in Karbonate und dann in Dikarbonate, mit einer Neigung zur
Wiederherstellung des ursprünglichen Gleichgewichtes. Die Ursachen
der Vergiftung sind in einer Störung des chemischen Gleichgewichtes
in den Körperflüssigkeiten infolge der Entstehung der Zyanide —
Hydrate — Karbonate zu suchen. Die Vergiftung ist eine besonders
starke: infolge der Komplexität der chemischen Umwandlungen, die
im Körper bei der Bildung der verschiedenen erwähnten Salze er¬
folgen; infolge der Rapidität mit der die chemischen Reaktionen ein-
treten; infolge der Irr evertibilität der Reaktion, die sich vollständig
abspielt; infolge der Entziehung von freien Ionen, infolge der Bildung
wenig lösbarer Hydrate und Karbonate; infolge der fortwährenden
Regenerierung des giftigen Agens; infolge der raschen Diffusion des
HCN-Gases; infolge der besonderen Verhältnisse des kolloidalen
Milieus, in welchem das Gift wirkt, nämlich: Bewegung der Flüssig¬
keit, Anwesenheit von Diffusionsmembranen und von halbdurch¬
gängigen Häuten, Ueberschuss an COs.
E. C u r t i - Brescia : Die Moritz-Weiss sehe Reaktion bei
mit dem F o r 1 a n i n i sehen Pneumothorax behandelten Tuberkulose¬
kranken. (Gazzetta internazionale di Medicina e Chirurgia 1914
Nr. 18.)
Bei Patienten, bei denen die Pneumothoraxbehandlung erst seit
wenigen Monaten eingeleitet worden war und der Vernarbungspro-
zess noch nicht sehr vorgeschritten war, bei denen also noch Husten
und Auswurf bestand, und bei Patienten, bei denen trotzdem die Be¬
handlung bereits seit längerer Zeit fortgeführt wurde, noch keine be¬
friedigenden klinischen Resultate erzielt waren, fiel die Moritz-
Weiss sehe Reaktion positiv aus. Bei den Patienten hingegen,
bei denen die Behandlung seit mehreren Monaten eingeleitet worden
war und sich die klinische Heilung näherte (Verschwinden des Aus¬
wurfes, des Hustens und der Rasselgeräusche, subjektive Euphorie),
fiel die Reaktion negativ aus.
Verf. schreibt der Reaktion einen grossen Wert als diagnosti¬
sches Mittel zur Kontrolle der Resultate der Pneumothoraxbehand¬
lung zu.
U. Daretti-Rom: Ueber das Verhalten der Leukozyten im
Blute der vakzinierten Typhuskranken. (Rivista ospedaliera 1914
Nr. 4.)
Untersuchungen an 14 Patienten. Es zeigte sich, dass die Anti¬
typhusvakzine gewöhnlich eine ziemlich starke Leukozytose erzeugte,
die einige Tage dauerte; in den Fällen, wo die Vakzine keine thera-
1578
Nr. 28.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
peutische Wirkung entfaltete, blieb die Leukozytose aus. Danach
scheint die Leukozytose als ein Zeichen der Wirksamkeit der Vak¬
zine gelten zu können.
E. Fenoglietto - Turin : Thorakozentese ohne Aspiration.
(Rivista critica di Clinica Medica 1914 Nr. 9.)
1901 hat der japanische Arzt Kawaflara über die günstigen
Resultate berichtet, die er bei Pleuraergüssen durch Entleerung der
Flüssigkeit ohne Aspiration, d. h. mit freiem Troikart, so dass die
entleerte Flüssigkeit durch Luft ersetzt wurde, erhalten hat. Die Luft
hat er zuerst filtriert, später ohne Filtrierung einströmen lassen. Dieses
Verfahren soll nicht nur keine Uebelstände hervorrufen, sondern so¬
gar die Uebelstände beseitigen, die bei der Thorakozentese mit Aspi¬
ration einzutreten pflegen (Schmerzen [retrosternalel in der Brust;
hartnäckiger Husten, zuweilen mit blutigserösem Auswurf; starke
Atemnot; Aspirierung von Blut usw.).
Im „Umberto I“-Spital in Turin wird seit 6 Jahren die Entleerung
der Pleuritisflüssigkeit nach der Kawaflara sehen Methode aus¬
geführt; die Resultate waren sehr günstige; Fenoglietto be¬
hauptet: dass der Eintritt von Luft in die Pleurahöhle keine üble
Folgen hat; dass die japanische Methode wegen ihrer Einfachheit der
Aspirationsthorakozentese vorzuziehen ist; dass für diese Methode
weder im Alter des Patienten, noch in der Qualität der Flüssigkeit,
noch in der Aetiologie der Krankheit irgendwelche Kontraindikation
sich findet; dass die in die Pleurahöhle eingedrungene Luft die üblen
Folgen der brüsken Dekompression hintanhält, die Entleerung auf
einem Male von bedeutenden Flüssigkeitsmengen gestattet, die Re¬
sorption von Ergüssen befördert und somit den Verlauf der akuten
fieberhaften Pleuritiden bedeutend verkürzt.
R. L e 1 1 i e r i - Neapel: Ueber die Sterilisierung der Haut. (Ri-
forma Medica 1914 Nr. 9.)
Verf. schlägt die Desinfektion der Haut mit Jodwasserstoff
(Acidum jodhydricum) vor, und behauptet, die 2—7 proz. Lösung
leiste in dieser Beziehung ausgezeichnete Dienste. Sie soll keine
Reizwirkung ausiiben, tief in die Haut eindringen, die in den Haut¬
drüsen und Haarkanälchen vorhandenen Keime töten und eine ziem¬
liche Dauerwirkung besitzen.
S. M a g g i o r e - Palermo: Ueber den Blutbefund in den- ver¬
schiedenen Stadien der Kindertuberkulose. (Gazzetta internaz. di
Medicina e Chirurgia 1914 Nr. 18 — 19.)
Schlussfolgerungen:
Es gibt keine für die Kindertuberkulose im allgemeinen noch für
die einzelnen Formen derselben konstante Blutformel; es bestehen
Verschiedenheiten zwischen Fall und Fall
Es gibt Fälle, in denen der Blutbefund ein normaler ist: es
kann eine Verminderung wechselnden Grades des Hämoglobingehaltes
und der Erythrozytenzahl bestehen; schliesslich kann diese Ver¬
minderung (besonders bei Milchkindern) eine äusserst beträchtliche
sein.
Die Leukozyten sind nur ausnahmsweise vermindert; meistens
schwankt ihre Zahl zwischen normalen Grenzen oder sie ist vermehrt.
Die Hyperleukozytose bildet jedoch auch eine Ausnahme. Bei Kin¬
dern in allen Altern bestand stets eine Vermehrung der Uninukleierten
und der Uebergangsformen; diese Vermehrung erfolgt auf Kosten der
Lymphozyten und ausnahmsweise auf Kosten der Multinukleierten.
Die basophilen Zellen waren vermindert oder in normaler Menge
vorhanden; die eosinophilen waren meistens vermindert oder nor-
malzahlig, selten vermehrt.
Abnorme Formen kommen nur selten vor. In den Fällen, wo
eine starke Verminderung des Hämoglobingehaltes und der Erythro¬
zytenzahl vorlag. konnte man Polychromatopsie und Anisozytose und
ausnahmsweise das Auftreten von Myelozyten beobachten.
G. M a 1 a n -Turin: Viskosimetrle der F.xsudate und Transsudate.
(Gazzetta degli ospedali e delle Cliniche 1914 Nr. 5.)
Untersuchungen an ca. 100 Fällen von Pleuritis, Hydrothorax,
Aszites, Hydrozele; für jede Flüssigkeit wurde das spezifische Ge¬
wicht bestimmt, die R i v a 1 1 a sehe Probe ausgeführt und mit dem
Hess sehen Apparat viskosimetriert. Manche Autoren, die ein un¬
günstiges Urteil über diese Untersuchungsniethoden ausgesprochen
haben, haben nicht an den Umstand gedacht, dass man es nicht selten
mit Uebergangsformen vom Transsudat zum Exsudat zu tun hat (so
z. B. in Fällen von einem alten Hydrothorax, bei durch wiederholte
Punktionen oder durch Traumen irritierten Hydrozelen).
Bei der Diffcrentialdiagnose liefert die viskosimetrische Unter¬
suchung die besten, das spezifische Gewicht die am wenigstens be¬
achtbaren Resultate.
P. M a s e n t i - Turin: Das A r n e t h sehe neutrophile Leuko¬
zytenschema bei der Lungentuberkulose. (Riforma Medica 1914
Nr. 12.)
Es gibt keine für die Lungentuberkulose charakteristische
neutrophile Leukozytenformel, ebenso keine für Tuberkulose charak¬
teristische Leukozytenformel im allgemeinen. In den Anfangsstadien
der Lungenschwindsucht erhält man für die Leukozyten mehr oder
minder normale Befunde.
E. Mondolfo - Pisa : Ueber die Anwesenheit von E b e r t h -
sehen Bazillen im Munde Typhuskranker. (Riforma Medica 1914
Nr. 16.)
In der grossen Mehrzahl der Fälle sind im Munde der Typhus-
kranken E b er t h sehe Bazillen nachweisbar, und zwar schon sehr
frühzeitig, d. h. bereits in der ersten Krankheitswoche. Im Munde
sind die Bazillen häufiger als im Blute nachweisbar. Die Unter¬
suchung des Mundes auf Typhusbazillen stellt ein wertvolles dia¬
gnostisches Mittel, besonders während der Anfangsstadien der Krank¬
heit dar.
S. G. Pi ntacu da- Palermo: Ueber die Pathogenese des Hitz-
schlages. (Annali di Clinica Medica 1914 Nr. 1.) 1
Die Erscheinungen der Insolation sind nicht nur auf die hohe
Temperatur des Körpers, sondern auch auf die Müdigkeitsgifte und auf
Alterationen des Stoffwechsels zurückzuführen.
A. Ross i- Parma: Ueber eine Komplementablenkung bei
Fiebernden. (Riforma Medica 1914 Nr. 11.)
Nachprüfungen der Beobachtungen Dietrichs.
Schlussfolgerungen: 1. Bei einem grossen Teil der Fiebernden
kann man durch Jodothyrin die Anwesenheit von Substanzen nach-
weisen, die die Fähigkeit besitzen, das Komplement zu binden: dieser
Nachweis gelingt jedoch auch bei einem Teil der normal temperier¬
ten Menschen. 2. Diese neue Reaktion hat nichts mit der Wasser¬
mann sehen Reaktion zu tun.
B. Santangelo - Rom : Weitere Untersuchungen über die
P o g g i sehen Körperchen. (Gazzetta internaz. di Medicina e Chi¬
rurgia 1914 Nr. 11.)
G. Poggi hat bei schweren Anämien im Blute eine besondere
Art von roten Blutkörperchen nachgewiesen, die sich durch Methylen¬
blau frisch färben lassen. Bei Gesunden sollen sie fehlen. Sie sollen
ein ganz junges, fast embryonales, im wesentlichen pathologisches
Element darstellen, spezifisch für stark anämisches, in vorgeschrit¬
tener Mikrozytämie und Poichilozytose begriffenes Blut, und infolge
einer unvollständigen abnormen Blutbereitung seitens tief veränder¬
ter, erschöpfter hämopoetischer Organe in den Kreislauf übergehen.
Verf. hat nun untersucht, wie sich die Poggi sehen Körperchen
bei Kindern unter verschiedenartigen Verhältnissen (Alter, Verdau- j
ung, Ernährung, sonstige Blutbeschaffenheit) verhalten. Aus den
Ergebnissen von 119 bei 87 Kindern ausgeführten Blutuntersuchungen
zieht er folgende Schlussfolgerungen:
1. Der Befund von P.-Körperchen im Blute der Kinder hat, wenn
nicht das Verhältnis von 6 in einem mikroskopischen Felde übertroffen
wird, keine klinische Bedeutung; findet man höhere Zahlen, voraus¬
gesetzt, dass es sich nicht um Kinder im Alter zwischen 3 und
14 Tagen oder um Kinder im Hungerzustande handelt, so deutet das |
auf einen Krankheitszustand hin. 2. Es genügt nicht, dass sich die
blutbildenden Organe in Uebertätigkeit befinden, um das Auftreten der |
P.-Körperchen zu erklären. Eher ist an eine Störung des Mecha- ■
nismus zu denken, mit welchem die Blutzellen aus ihrer Bildungs- und
Reifungsstätte in den Kreislauf übergehen.
N. Sforza-Rom: Atypische Beschaffenheit der Aszitesflüssig¬
keit bei einer Leberzirrhose. (Rivista ospedaliera 1914 Nr. 4.)
In einem Fall von sich in ganz kurzer Zeit entwickelter Aszites
bot die Flüssigkeit die Charaktere eines Transsudates dar (niedriges
spezifisches Gewicht, Anwesenheit von Lymphozyten), aber der hohe
Gehalt an Eiweiss sprach für ein Exsudat; das ganze Bild sprach für |
einen neoplastischen Prozess. Be: der Autopsie stellte sich heraus
dass es sich um eine gewöhnliche Zirrhose handelte.
T. Soli- Turin: Die Skopomorphinanalgesie in der Geburts¬
hilfe. (Rassegna di Ostetricia e Ginecologia 1913 Nr. 11 — 12.)
Verf. arbeitete mit Skopomorphin Riedel; er verfügt über 176 ;
Beobachtungen (78 Primiparae, 98 Pluriparae); die eingeführte Dosis j
schwankte zwischen 1 und 2 ccm, auf einmal verabreicht oder auf
mehrere Gaben verteilt. Verf. kommt zu folgenden Schlussfolge¬
rungen:
In keinem Falle wurden Nebenerscheinungen beobachtet, aus i
denen man auf eine schädliche Wirkung der angewandten Dosen
hätte schliessen können. Das Mittel entfaltete fast stets eine mehr
oder minder intensive analgetische Wirkung, die oft in direktem
Verhältnis zur Höhe der Dosis stand; nur in seltenen Fällen blieb
diese Wirkung aus. Nur selten trat ein wirklicher Dämmer¬
schlaf ein; in der Mehrzahl der Fälle beobachtete man hingegen eine i
sehr beträchtliche Verminderung der Schmerzen, während die Uterus¬
kontraktionen in bezug auf Dauer und Frequenz normal waren.
Das Mittel bewirkte weder eine Verlängerung der Gesamtdaucr
der Geburt, noch eine Veränderung der Charaktere der normalen
Uteruskontraktionen; die Expulsionsperiode hatte ebenfalls einen nor¬
malen Verlauf. In keinem Fall war eine ungünstige Wirkung auf die
Nachgeburt, das Wochenbett oder die Stillung nachweisbar.
Ein schädlicher Einfluss auf die Neugeborenen wurde in der
Mehrzahl der Fälle nicht beobachtet; nur in 4 Proz. der Fälle be¬
obachtete man einen gewissen Grad von Somnolenz und eine leichte, i
rasch vorübergehende Adynamie.
Das Skopomorphin bewirkte auch keine Vermehrung der Zahl
der Fälle, in denen operativ eingegriffen werden musste. Thera- ;
peutisch brachte das Mittel fast stets eine angenehme Linderung
der Schmerzen herbei und in den Fällen von A- oder Hypodynamie
des Uterus mit irritativem Zustande äusserte es eine beruhigende
Wirkung und wirkte ferner insoweit günstig, als die Uteruskontrak- j
tionen regelmässiger wurden.
M. T r o s s a r e 1 1 o - Turin: Die Intradermoreaktion durch Ex¬
trakt aus Kaninchen-Skrotumsyphilom (Treponemina) bei Lues.
(Gazzetta degli ospedali e delle Cliniche 1914 Nr. 44.)
Von der Tatsache ausgehend, dass die Spirochäten, die man in
den Primärsklerosen des Kaninchens findet, virulenter als die künst¬
lich kultivierten und ebenso virulent wie diejenigen sind, die man in
den menschlichen luetischen Läsionen antrifft, hat Verf. für die Intra-
14. Juli 1914.
MUKNCHKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
dermoreaktion bei Syphilis ein Glyzerinextrakt aus skrotalen Syphi-
lomen von Kaninchen hergestellt, die mit Material von verschiedener
Herstammung inokuliert waren, und hat somit verschiedene Spiro¬
chätenstämme zur Verfügung gehabt.
Mit diesem Extrakt hat er bisher 52 Patienten geimpft, von denen
ein Teil unzweifelhaft nicht syphilitisch war. Bei Nichtluetikern
fiel die Intradcrmoreaktion stets negativ aus; bei Sekundärlues
fiel sie in 40 Proz., bei latenter Lues in 50 Proz., beiTertiärlues und
bei Syphilis maligna in 100 Proz. der Fälle positiv aus. Von den
14 bei Tertiärlues positiv ausgefallenen Reaktionen waren 11 sehr
intensiv, darunter 3 pustulös.
Verf. glaubt die Spezifizität seines Extraktes, das er Trepo-
nemina nennt, behaupten zu können. Dieser Extrakt ist bequem
und leicht herzustellen und bietet angeblich den Vorteil, dass er,
infolge des grossen Gehaltes der Kaninchcnsyphilome an Spirochäten,
wenigstens ebenso wirksam wie der Extrakt aus Spirochätenkul¬
turen ist. K. R «hl- Turin.
Inauguraldissertationen.
Universität Giessen. Mai und Juni 1914.
Angstl Andreas: Die Beeinflussung der Hauttemperatur durch
Hunger.*)
Clement Ernst: Ueber eine neue Methode zur Untersuchung der
Fortleitung des Erregungsvorganges im Herzen.
Dabbert Otto: Ueber Balantidiumkolitis.
Dick Laurenz: Ueber 4 metallische Fremdkörper der Bronchien bei
Kindern.
Fechter Fritz: Untersuchungen über die Haarentwicklung an
Pferdefeten.*)
Kaulen Karl: Ueber einen Fall von Ovarialteratom. Ein Beitrag
zur Frage der Bösartigkeit der Teratome.
Koestlbacher Hermann: Ueber die Wirkung des Sennatins bei
Haustieren.*)
Röckelein Franz: Beiträge über den Einfluss der S hur auf die
Hauttemperatur.*)
Stommel Albert: Erfahrungen mit Tuberkulin Rosenbach bei der
Behandlung der internen Tuberkulose der Kinder.
Thurn Otto: Ueber die Lebensfähigkeit an Objektträgern ange-
trockneter ungefärbter und gefärbter Bakterien.
Weigand Karl: Die Behandlung der Nävi mit Kohlensäureschnee.
Wolf Albert: Ueber Ausscheidung des Jodes im Urin nach Eingabe
von Jodpräparaten (Experimentaluntersuchung). *)
Zach Anton: Die Geisteskranken im Verkehrsrecht des 19. Jahr¬
hunderts.**)
Universität Greifswald. April— Juni 1914.
Stange Otto: Ueber die Kombination von Morphin mit Chloroform
bzw. Aether bei der Inhalationsnarkose des Kaninchens.
Behncke Wilhelm: Ueber Aufbau und Abbau des Bindegewebes.
Dierke Friedrich: Ein Fall von „Aneurysma dissecans“.
Koch Louis: Dermoide des Beckenbindegewebes.
Wen dt Kurt: Untersuchungen über die R i n g e r sehe Lösung als
Ersatzmittel für den Fleischsaft bei der Herstellung von festen
Nährsubstraten, und insbesondere über die antiseptische Wirkung
des Malachitgrüns auf den mit der Ringer sehen Lösung her¬
gestellten Nährböden.
Universität Heidelberg. Mai und Juni 1914.
Stahl Hans: Ueber Uterusrnptur.
Wied hopf Oskar: Die Splanchnoptose und ihre Behandlung.
Förderreuther Max: Ueber H e a d sehe Zonen bei Viszeral¬
erkrankungen.
Gumpertz Friedrich: Erfahrungen mit dem Abderhalden-
schen Dialysierverfahren bei der Tuberkulose.
Adler Erich: Die Leukämie der Säuglinge.
Väth Oskar: Die Heilungsresultate bei den in der Klinik für Nasen-,
Ohren- und Kehlkopfkranke in Heidelberg (Prof. Kümmel) vom
1. Mai 1906 bis 1. Juli 1913 behandelten Fällen von Kieferhöhlen¬
eiterung.
üriinbaum Franz: Ueber die chirurgisch-pathologische Bedeutung
einiger Darmparasiten.
Seebohm Hans: Beiträge zum Prostatakarzinom.
Universität Kiel. April bis Juni 1914.
Allhof Aloys: Die Prognose der Fersenbeinbrüche nebst Studien
über die Struktur und Umgestaltung der Spongiosa bei veränderter
Statik und Dynamik.
Bange Hugo Franz: Ueber Embolie der Pulmonalarterie und ihre
operative Behandlung.
Becker Walther: Zur Symptomatologie der multiplen Sklerose.
Outemeyer Hermann: Zur Lehre von den epileptischen Dämmer¬
zuständen.
Feld mann Hans: Zur Frage der Entwicklung unehelicher Kinder
nn ersten Lebensjahre unter Berücksichtigung des Säuglings¬
fürsorgesystems in Kiel.
*) Ist veterinär-medizinische Dissertation.
**) Juristische Dissertation.
1579
Hansen Carl: Ein Beitrag zur Lehre von den sexuellen Delikten
im Greisenalter auf der Grundlage arteriosklerotischen Schwach¬
sinns.
Heyter Hubert: Kasuistische Beiträge zur Hämophilie.
Kappen Karl: Kasuistischer Beitrag zur Lehre von den Zwangs¬
vorstellungen.
Knoke Adolf: Nagelextension bei komplizierten Knochenbrüchen.
Koesling Gustav: Zur Symptomatologie der Katatonie.
Koltze Ernst: Die Resistenz der roten Blutkörperchen unter dem
Einfluss des Nordseeklimas.
Nit sc he Hermann: Zur Lehre von der traumatischen Epilepsie.
O s t r o p Egon: Ueber Psychosen im Verlaufe von Herz- und Nieren¬
leiden.
Paul mann Otto: Beitrag zur Frage der Abnabelung und der Ver¬
sorgung des Nabelschnurrestes. (Nach dem Material der Kieler
Frauenklinik aus den Jahren 1907—1910.)
Reinberger Otto: Zur Symptomatologie der Paranoia chronica.
Schleiern Martin: Beitrag zur Lehre von der traumatischen Tabes.
Sc breiter Brigitte: Ueber die Einwirkung einiger Kationen auf
das Polarisationsbild des Nerven.
Schultz Erich: Zur Entstehung der Paranoia chronica im Gefolge
des Alkoholismus und ihrer forensischen Bedeutung.
Wer lieh Guido: Ueber Myocarditis syphilitica congenita.
Universität München. Juni 1914.
Hinkel Adolf: Die Fälle von mechanischem Ileus an der Chirur¬
gischen Klinik in München in den Jahren 1900—1910.
Hilbert Georg: Kasuistischer Beitrag zu zwei selteneren Erkran¬
kungen der Macula lutea. (Coloboma Maculae luteae und Loch¬
bildung der Netzhautmitte.)
Loewy Erna geb. Hattendorf: Beitrag zur pathologischen Histologie
der unter dem Bilde der L a n d r y sehen Paralyse verlaufenden
Fälle von Poliomyelitis acuta anterior.
Glickmann Echiel: Ueber Hernia diaphragmatica congenita vera.
Seeliger Wolfgang Hermann: Die Bedeutung der Hypernephrome
für die unfallgerichtliche Begutachtung. Ein Beitrag zur Frage
der Beziehungen zwischen Trauma und Geschwulstbildung.
Kusnezoff ,L: Ueber Osteogenesis imperfecta.
Winterfeld Käthe: Anatomische Beiträge zur Hämophilie.
Skibinski Awrum: Das Körpergewicht von Münchener Schul¬
kindern.
Sauer Willibald: Ein Beitrag zur Kenntnis der Kleinhirnbahnen
beim Menschen. (Mit 3 Abbildungen.)
Aschmann Aron: Ueber die im Jahre 1912 an der Kgl. laryngo-
logischen Poliklinik in München beobachteten Krankheits¬
bewegungen mit besonderer Berücksichtigung der Fremdkörper¬
fälle.
S ilb e r h o 1 z M.: Einfluss der Röntgen-, Radium- und Mesothorium¬
strahlen auf die Fortpflanzung und Fruchtbarkeit.
Keins Maximilian: Ueber neuere Methoden des Tuberkulose¬
nachweises.
Kaznelson Refoil: Klinische Untersuchungen über Asymmetrie des
Schädels bei Neugeborenen.
Universität Rostock. Juni 1914.
Disque Ludwig: Beiträge zur Kenntnis der Bestandteile und Wir¬
kungen des Rhizoms von Podophyllum.
Schmidt Peter: Ueber einseitigen Nystagmus.
Schomann Hans August: Ueber Veränderungen des Hornhaut¬
zentrums bei angeborenen Hornhauttrübungen.
Schrender Albert: Ueber das Verhalten einiger neutraler Sa¬
poninsubstanzen zu isolierten Körperzellen.
Sommerfeld Alfred: Beiträge zur Kenntnis der Wirkung des
Abrins.
Oldenburg Amandus: Ueber nichtspezifische Hemmungen bei der
Wassermann sehen Reaktion.
Georgi Paul: Ein Adamantinom des Unterkiefers.
Fulde Paul: Ueber eine Missbildung am Kopfe des Schafes (Hypo-
gnathus).
Le nneu schloss Otto: Ueber das Angioma arteriale racemosum
des Gehirns.
Fieger Joseph: Ueber die Ausscheidung von Saponinen im Harn
und ihre blutzersetzende Wirkung innerhalb des Organismus.
Paulsen Gustav: Beiträge zur Kenntnis der Pockenwurzel.
Overhoff Emil: Beitrag zur pathologischen Anatomie und Patho¬
logie der Irideremia totalis congenita.
Universität Strassburg. Juni 1914.
Poprawski .1.: Ueber die Förderung der Karzinomdiagnose durch
das Röntgenbild.
Merzbacher J.: Beiträge zur Lehre von der Schwangerschafts¬
niere und der Nephritis in der Schwangerschaft.
Herrenschneider K. : Ueber die Komplikationen der Schwanger¬
schaft durch Myome und Ovarialtumoren.
Gordin E. S.: Plethvsmographische Untersuchungen über die Wir¬
kung thermischer Einflüsse auf das Gefässsvstem des Kindes.
Scheidin E.: Ueber die praktische Anwendung der Anaphylaxie
mit besonderer Berücksichtigung der Unterscheidung von Harnen
verwandter Tierarten.
Weint raub S.: Ueber einen Fall von Embolie der Aorta abdomi¬
nalis.
1580
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
Walther F.: Ueber fieberhafte Aborte mit spezieller Berück¬
sichtigung ihrer Therapie.
Eck G.: Ueber einen Fall von perforiertem Oesophagusdivertikel.
Meyer M. J.: Geschichte der Hyperemesis gravidarum und ihrer
Theorien. , . ,
Nissenboy m B.: Ueber die Wirkungsgrade einiger narkotisch
wirkender (!) Verbindungen auf das isolierte Froschherz.
Hahn Otto: Ein Beitrag zur Kenntnis des Oberflächenpapilloms des
Ovariums.
Müller Rene: Beitrag zur Kenntnis der Vaginalmyome.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Streit zwischen der Ortskrankenkasse für den Kreis Nieder¬
barnim und ihren Aerzten.
Fast um dieselbe Zeit, wo auf dem Aerztetage über die Wir¬
kungen des Berliner Abkommens verhandelt wurde, ist ein Streit, der
durch dieses Abkommen ein vorläufiges Ende gefunden hatte, vor den
Toren Berlins und teilweise in Berlin selbst wieder in ein akutes
Stadium getreten. Ende 1913 hatten zwischen dem Versicherungs¬
amt Niederbarnim und den ärztlichen Organisationen Verhandlungen
stattgefunden, die zu keinem Ergebnis führten, vielmehr mehrere
strittige Fragen offen Hessen. Nach dem Abkommen im Reichsamt
des Innern wurde zur Sicherung einer geordneten Krankenfürsorge
ein vorläufiger Vertrag geschlossen, nach dem ein vierteljährliches
Pauschalhonorar von 80 000 M. an die Aerzte gezahlt werden sollte,
mit der Massgabe, dass der endgültige Vertrag rückwirkende Kraft
vom 1. Januar an haben sollte. Die Kasse machte aber gar keine
Anstalten, einen solchen vorzubereiten, wozu im Laufe eines halben
Jahres genügend Zeit gewesen wäre, sondern lehnte sogar die von
den Aerzten angestrebten Vertragsverhandlungen unter Anzweiflung
ihrer Vertragsfähigkeit ab. Um nun einen Druck auf die Kasse zur
Beschleunigung der Verhandlungen auszuüben — ausgesprochener-
massen nur aus diesem Grunde — , stellte die kassenärztliche Organi¬
sation kurz vor Ablauf des Interimistikums am 27. Juni ein Ultimatum
mit dem Anträge, das Pauschale auf 120 000 M. zu erhöhen. Der An¬
trag wurde abgelehnt und zugleich eine Verlängerung des Interimisti¬
kums um ein weiteres Vierteljahr angeboten. Darin sahen die Aerzte
mit Recht nichts weiter als einen Verschleppungsversuch und er¬
klärten, dass sie vom 6. Juli an die Kassenmitglieder nur noch als
Privatpatienten behandeln würden. Diese Entwicklung der Dinge ist
nicht unerwartet gekommen, es gärte schon lange, und früher oder
später musste es zum offenen Ausbruch der Feindseligkeiten kommen.
Streitigkeiten zwischen Aerzten und Krankenkassen sind heute
keine internen Angelegenheiten mehr. Die Oeffentlichkeit nimmt an
ihnen teil, und jede Partei sucht ihr Verhalten vor der Oeffentlichkeit
zu rechtfertigen, das ist ihr gutes Recht. Die Aerzte erklären ein¬
fach, sie wollten geordnete Vertragsverhältnisse erzielen; da sie das
nicht erreichen konnten, haben sie das bestehende sehr lockere Ver¬
tragsverhältnis nicht verlängern wollen. Die kranken Kassenmitglieder
sind deshalb nicht ohne Hilfe. Die Kasse dagegen erklärt, sie hätte
gar nicht die Möglichkeit gehabt, einen endgültigen Vertragsabschluss
herbeizuführen, denn nach den Bedingungen des Berliner Abkommens
wäre dazu ein Ausschuss nötig, der von den im Aerzteregister ein¬
getragenen Aerzten und von Kassenvertretern zu bilden sei,
für die Konstituierung dieses Ausschusses seien die Vorarbeiten im
Versicherungsamt nahezu beendet. Diese Erklärung ist, wie der
Eingeweihte sofort erkennt, irreführend; denn einmal sind ja bereits bei
anderen Kassen genügend Verträge auch ohne den Ausschuss abge¬
schlossen, und ausserdem hat der Ausschuss nur die Aufgabe, den
Vertrag vorzubereiten, wenn ein solcher zwischen der Kasse und den
Aerzten nicht zustande kommt. Das ist aber von der Kasse gar nicht
versucht worden, una sie kann sich daher bei ihrer Ablehnung jeg¬
licher Verhandlungen auf das Berliner Abkommen in keiner Weise
stützen. Dagegen hat es sehr verstimmt, dass die Kasse die Be¬
stimmungen dieses Abkommens durchbrochen hat, indem sie Nothelfer
anzuwerben versuchte, was ihr bisher allerdings nicht gelungen ist.
Der Streit wird dadurch noch etwas kompliziert, dass er nicht auf
die betreffenden Vorortgemeinden beschränkt ist, sondern dass seine
Fäden sich nach Berlin hineinziehen. Der kassenärztlichen Ver¬
einigung gehören etwa 100 Aerzte an, dazu kommen noch 280 Berliner
Aerzte, die sich aber mit den Niederbarnimer Kollegen solidarisch er¬
klärt haben. Nach einer besonderen Klausel dürfen an Berliner Aerzte
nur solche Versicherte überwiesen werden, die in Berlin ihren
Wohnsitz haben, und das ist eine verhältnismässig geringe Zahl. Für
die Kasse besteht also vorläufig die Notwendigkeit, ihren erkrankten
Mitgliedern in Krankheitsfällen das Honorar für private Behandlung zu
ersetzen und unter Umständen auf eine sachverständige Beurteilung
der Erwerbsunfähigkeit zu verzichten. Auch dieser Streit wird, wie
so viele vor ihm, geschlichtet werden, und der Zentralausschuss soll
bereits die einleitenden Schritte dazu getan haben; es wäre nur zu
wünschen, dass der Friede recht bald wieder hergestellt wird, ehe
hüben und drüben unnötige Kriegskosten entstehen. M. K.
Der Streit ist inzwischen beigelegt worden; s. unter Tages-
geschichtlichd Notizen Red.
Vereins- und Kongressberichte.
XXI. Tagung des Vereins Deutscher Laryngologen
in Kiel, 29. und 30. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr S p i e s s - Frankfurt a. M.
Schriftführer: Herr K a h 1 e r - Freiburg i. Br.
Bericht,
erstattet vom Schriftführer Prof. Dr. Otto Kahler- Freiburg i. Br.
(Schluss.)
22. Herr Katzenstein - Berlin : Ueber eine neue Methode der
Massage des Halses, besonders bei Stimmleiden.
Durch den harten Stimmansatz, der in einer Hyperkinese der
Kehlkopfmuskulatur besteht, wird besonders häufig eine schmerzhafte
Affektion der Berufsredner und Berufssänger, die Neuritis des Rekur-
rens und der Laryngeus superior ausgelöst. Die Behandlung dieser
Affektion besteht hauptsächlich in hydrotherapeutischen Massnahmen,
äusserer Massage, Vibrationsmassage. K. wendet seit fünfviertel
Jahren mit gutem Erfolg die bimanuelle Massage an. 1—2 Finger
kommen in den Mund, die andere Hand macht besonders die Be¬
wegungen der Effleurage, gegen die im Mund befindlichen kontrol-
lierenden Finger. Massiert werden Mundboden, Gaumentonsillen,
Kehlkopf. Schwierig ist nur die Massage des Kehlkopfs, die im
Munde befindlichen 2 Finger werden zunächst auf die linke innere
Seite des Kehlkopfs geführt, die linke Hand macht von der rechten
äusseren Seite des Halses die Gegenbewegungen. Hierauf umge¬
kehrt. Dauer der Massage 2 — 3 Minuten. "
23. Herr F 1 a t a u - Berlin: Plethorische Stimmstörungen und ihre
physiotherapeutische Heilung.
F. beobachtete die Veränderungen der phonischen Funktion an
normalen, die durch mechanische, insbesondere elektrisch-vibra¬
torische Einwirkung auf die phonische Atmung hervorgebracht wer¬
den. Er schildert dann die Möglichkeit und den Nutzen der Ein¬
gliederung dieses Verfahrens in die Methoden der stimmgymnasti¬
schen Behandlung. Von den laryngealen Hilfsmethoden wird die
Heranziehung der Hochfrequenzströme in den von dem Verf. an¬
gegebenen konstruktiven Formen empfohlen, namentlich die von
Siemens & Halske ausgeführte Konstruktion, die den 'I onschwin-
gungen entsprechende sinusförmige Wechselströme als therapeuti¬
sches Agens einführt. Die neue Apparatur wirkt auch sehr glücklich
auf abdominalplethorische Zustände und auf die Erschlaffung der
muskulären Bauchdecken.
24. Herr G u t z m a n n - Berlin: Phonographische und grammo-
phonische Aufnahmeplatten von Stimm- und Sprachstörungen als
Lehrmittel für den laryngologischen Unterricht.
G. führt eine Anzahl von Platten von Stimm- und Sprachstö¬
rungen vor, an denen er zeigt, dass nicht nur die charakteristischen
akustischen Merkmale der betr. Störungen, sondern auch die Wirkung
der Therapie deutlich wiedergegeben werden. Derartige Aufnahmen
sind leicht in einer grosen Anzahl von Kopien herzustellen und sind
daher billig zu verschaffen. Besonders für die durch die zurzeit allzu¬
grosse Bevorzugung der optischen Untersuchungsmethode, vielleicht
etwas vernachlässigte Uebung im Unterscheiden der Stimmstörungen
durch das Gehör, können -sie grosse Dienste leisten.
Diskussion zu den Vorträgen 22—24:
Herr Hopmann- Köln betont die Wichtigkeit der Ausübung und
Ausbildung des Abtastens für die Laryngologie und weist auf die
Notwendigkeit der psychischen Beeinflussung der Phonastheniker hin,
weil diese Leute alle etwas neuropathisch sind.
Herr G o 1 d m a n n - Iglau weist darauf hin, dass auch die chro¬
nische Tonsillitis bei Stimmstörungen in Betracht kommt. Durch
Tonsillektomie hat er Sänger und Schauspieler von ihren Leiden be-
Herr Boenninghaus erinnert an die von ihm bei Phon¬
asthenikern gefundenen Druckunkte des Nervus laryngeus, er hatte
mit Massage gute Erfolge und lässt die Patienten sich selbst
massieren.
Schlusswort: Herren Katzenstein, Flat au, Gutzmann.
25. Herr W i n c k 1 e r - Bremen: Ueber Tonsillenoperationen im
Kindesalter.
Die Tonsillotomie genügt nicht in allen Fällen. Ist das Mandel¬
gewebe klinisch krank, sind auf die kranken Gaumentonsillen All¬
gemeinstörungen zurückzuführen, dann ist die Tonsillektomie ebenso
berechtigt, wie dies bei den gleichen Zuständen beim Erwachsenen
bereits allgemein anerkannt ist. Die physiologische Leistung der
Gaumentonsillen ist noch unklar. Es scheint, dass von den kranken
Tonsillen Eiweissverbindungen in den Blutstrom gelangen, gegen die
das Serum spezifische Fermente bildet. Für die Blutzusammen¬
setzung spielen die Gaumentonsillen keine wesentliche Rolle. Der
Hämoglobingehalt ändert sich nach Tonsillektomie nicht. Man sieht
nach dieser Operation oft eine auffallende Erholung der vorher nicht
recht weiterkommenden Kinder. Bei Kindern mit exsudativer Dia-
these tritt nach Enukleation der Gaumentonsille öfters an gewisser
Stelle eine Hyperplasie des lymphoiden Gewebes ein. Einen Nach¬
teil der Operation im Kindesalter sah W. niemals. Er beobachtete
Patienten 10 und mehr Jahre hindurch nach dem Eingriff. Die grosse
Schwierigkeiten besteht darin, klinisch die chronische Tonsillitis zu er¬
kennen, was bei einer Untersuchung oft unmöglich ist.
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1581
26. Herr S t e i n e r - Prag: Beitrag zur Pathologie der Rachen-
maudeL
Vortragender hat an 61 hyperplastischen kindlichen Mandeln die
feineren histologischen Veränderungen studiert. Für die Entstehung
der Hyperplasie sind nicht immer entzündliche Prozesse verantwort¬
lich zu machen, da solche auch in nichthyperplastischen Mandeln
nachgewiesen werden konnten. Gegen die Genese der Hyperplasie
aus bloss entzündlichen Veränderungen spricht nach Steiner auch
das klinische Krankheitsbild der chronischen Adenoiditis, indem bei
einer grossen Anzahl solcher von wiederholten Entzündungen der
Rachenmandel heimgesuchten Kranken, eine als Hyperplasie zu deu¬
tende Volumenzunahme der Rachenmandel fast gar nicht zu kon¬
statieren war. Für die Adenotomie eignen sich daher nicht nur die
Fälle von reiner Hyperplasie, sondern auch die Fälle von rezi-
dixieiender Adenoiditis, die zu Verkleinerung des Organs geführt
haben.
Diskussion zu Vortrag 25 und 26:
Herr A m e r s b a c h - Freiburg spricht zur physiologischen Be¬
deutung der Tonsillen. Er hat auf der Kahl er sehen Klinik die
Versuche Henkes, der in die Nase injizierten Russ in den Ton¬
sillen nachwies und daher die Tonsillen als Exkretionsorgane be¬
trachtet, nachgeprüft, ist aber nur zu negativen Resultaten gekommen.
Herr F i n d e r - Berlin stimmt Herrn Winckler bei, dass bei
Kindern auch kleine erkrankte Tonsillen radikal zu entfernen sind.
So findet man bei den sog. orthostatischen Individuen durch chro¬
nische Tonsillenerkrankungen im Kindesalter sehr häufig echte chro¬
nische Nephritis.
Herr Hopmann -Köln spricht sich in ähnlichem Sinne aus
Herr Halle-Berlin ist der Ansicht, dass man auch bei lympha¬
tischer Diathese operieren soll, hauptsächlich wegen der Gefahr des
Hinzutretens von Ohrkomplikation.
Herr G ü 1 1 i c h - Charlottenburg meint, man soll nicht von extra¬
kapsulärer Ausschälung sprechen, die Tonsille habe keine Kapsel
Herr S p i e s s - Frankfurt ist für konservative Behandlung, so
länge nicht bewiesen ist, däss die Tonsille wirklich überflüssig ist
Schlusswort: Herr Winckler, Herr Steiner.
27. Herr v. E i c k e n - Giessen: Ein Fremdkörper der Speise¬
röhre mit tödlichem Ausgang.
Unter 18 zum Teil recht schwierigen Extraktionen von Fremd-
korpern aus der Speiseröhre mittelst Oesophagoskopie hatte
v. Eicken einen Todesfall zu verzeichnen. Ein Kind von 15 Mo¬
naten mit einem seit 8 Tagen im obersten Abschnitt der Speiseröhre
steckenden Zehnpfennigstück. Die Extraktion gelang, jedoch Exitus
nach einem Tag. Sektion ergab dekubitale Geschwüre an der Stelle,
v\ o das Geldstück gelegen und einen mit dem Geschwür kommuni¬
zierenden neben der Speiseröhre gelegenen Kanal, in den offenbar
das Oesophagoskop eingedrungen sein musste. Von hier ausgehende
diffuse eitrige Mediastinitis. Eine derartige Verletzung ist zu ver-
hindern, wenn das Kind rechtzeitig zur Oesophagoskopie kommt, da
dann die Speiseröhrenwand noch nicht so hochgradig geschädigt ist.
Diskussion: Herr Möller- Kopenhagen und Herr Güt-
t ich- Charlottenburg haben ähnliche Fälle beobachtet.
Herr K a h 1 e r - Freiburg i. Br. betont die Wichtigkeit der Ver¬
öffentlichung derartiger unglücklicher Zufälle, die Oesophagoskopie
ist entschieden gefährlicher als die Tracheoskopie, weil schon eine
kleine Verletzung zur Mediastinitis führen kann.
Herr M a r s c h i k - Wien empfiehlt bei Verdacht einer beginnen¬
den Mediastinitis, sofort die Mediastinotomie zu machen
Schlusswort: Herr v. E i c k e n - Giessen.
28. Herr M a r s c h i k - Wien: Ueber Gastroskopie und Gastro-
photographie.
Demonstration des an der Klinik C h i a r i in Verwendung stehen¬
den Gastroskops nach Foramitti, sowie eines zystoskopähnlichen
Instrumentes zur Gastroskopie durch die Gastrostomiefistel. Demon-
stration der K a h 1 e r - L e i t e r sehen photographischen Kamera für
uas I haryngoskop, mit welcher auch Magenphotographien gemacht
werden können, sowie Demonstration einiger derartiger Bilder.
29. Herr A. Rethi-Pest: Methode der indirekten Untersuchung
und Operation des Larynx (Distractio laryngis).
Mit einem Instrument, Distraktor genannt, das 2 hintere und eine
vordere Branche hat, und das in den Larynx eingeführt wird, wird I
der Kehlkopf phantomartig unbeweglich fixiert, die Glottis ist ad
maximum geöffnet, die Stimmbänder sind fixiert und angespannt,
die Epiglottis wird nach vorne gedrückt, die Commissura anterior
ist vortrefflich zu sehen und es ist unnötig, die Zunge zu halten.
Endolaryngeale Operationen werden durch das Instrument bedeutend
erleichtert.
30. Herr Pollatschek - Pest: Eine Modifikation der radikalen
Kieferhöhlenoperation.
Durch Abziehen der Wange während der D e n k e r sehen Ope¬
ration entstehen sehr oft sehr starke Schwellungen und Hämatome.
B. führt daher einen der Sturmann sehen Operation ähnlichen
Eingriff in der Apertura piriformis aus, wobei die ganze Höhle gut
zu betrachten ist. Ist die Schleimhaut nicht hochgradig degeneriert,
so ist die Operation so zu vollenden, sonst macht er nach der Voll¬
endung der naso-anthralen Kommunikation einen bukkalen Schnitt
und entfernt die vordere Wand der Kieferhöhle. Diese letzte Phase
der Operation ist in 3 — 4 Minuten fertig und die Zerrung der Weich¬
teile daher eine minimale.
31. Herr Brüggemann - Giessen: Seltene Befunde bei Neben-
höhleneiterungen.
1. Demonstration einer Kieferhöhlen- und Stirnhöhlenschleimhaut
bei Empyem mit verkalkten kapillaren und präkapillaren Gefässen,
2. Bei einem Patienten mit chronischer Nebenhöhleneiterung ergab
die Punktion eine klare, gelbliche, mit zahlreichen Cholesterin-
kristallen durchsetzte Flüssigkeit. Kein Anhaltspunkt für Schleim¬
haut- oder Zahnzyste. Es handelte sich vermutlich primär um eine
hämorrhagische Entzündung der Schleimhaut. 3. Osteoides Gewebe
in einer chronisch entzündeten Stirnhöhlenschleimhaut.
32. Herr M a r s c h i k - Wien: Zur Technik der Stirnhöhlen¬
radikaloperation.
Die K i 1 1 i a n sehe und R i e d 1 sehe Stirnhöhlenoperation wird
an der Klinik C h i a r i jetzt meist in Braun scher Lokalanästhesie
bei Generalanästhesie mit Kuhn scher Intubation ausgeführt. Sämt¬
liche Weichteile, mit Ausnahme der Haut, werden an der Spange
gelassen, die Trochlea wird prinzipiell abgehebelt, der K i 1 1 i a n -
sehe Nasen-Schleimhautlappen wird erhalten; stets äussere Drainage,
um Anschwellung der Nasenschleimhaut zu vermeiden. Bei Ostitis
der Hinterwand, die bei Rezidiven häufig ist, wird die Hinterwand in
grösserem oder geringerem Umfange entfernt. Gut bewährt sich die
von Kahler empfohlene Anwendung der G r ü n w a 1 d sehen sep-
talen Operation bei der K i 1 1 i a n sehen Radikaloperation, ferner der
von M a r s c h i k eingeführte „retrograde Killian“, welcher den Haut¬
schnitt auf der anderen Seite erspart, endlich die Anwendung der
K r ö n 1 e i n sehen Trepanation der lateralen Orbitalwand bei sehr
tiefem Recessus supraorbitalis, um übermässigen Druck oder Ver¬
letzung des Bulbus oder Optikus zu vermeiden. Zur Deckung von
Defekten nach Stirnhöhlenoperationen wird die Plastik mit Rippen¬
knorpel befürwortet.
33. Herr H a 1 1 e - Berlin: Die intranasalen Operationen bei
eitrigen Erkrankungen der Nebenhöhlen.
H. bevorzugt für die Kieferhöhle die von Stur mann und
Canfield angegebene Methode, da bei derselben eine Kommuni¬
kation der Höhle mit dem Munde vermieden wird. Für die Operation
der Stirnhöhle hat er seine 1906 angegebene intranasale Methode
wesentlich verbessert und gefahrlos gemacht. Auf der lateralen
Nasenwand wird ein Schleimhautperiostlappen gebildet und nach
unten geklappt. Der Ansatz der unteren Muschel, der Agger nasi
und die davor gelegenen Teile des aufsteigenden Kieferastes werden
nun mit einem Meissei abgetragen, worauf nicht nur die vordersten
Siebbeinzellen, sondern auch der Eingang ih die Stirnhöhle sofort zu
übersehen ist. Die Stirnhöhlenöffnung kann nun gefahrlos mit einer
Fräse erweitert werden. Der Boden wird abgetragen, kleinere Stirn¬
höhlen sind völlig zu übersehen, auch grössere können mit biegsamen
Löffeln ausgekratzt werden. Die mittlere Muschel bleibt erhalten.
Auch das Siebbein kann, da man die Umbiegungsstelle der Tabula
interna sieht, gefahrloser ausgeräumt werden, als bei der externen
Operation. Für die Keilbeinhöhle schlägt H. vor, die Schleimhaut der
vorderen Wand nach einem Kreuzschnitt abzupräparieren und nach
Entfernung der Wand die Lappen in die Keilbeinhöhle zu klappen.
Die vorgeschlagenen Operationen wurden an 69 Fällen mit bestem
Erfolg ausgeführt.
34. Herr A. R e t h i - Pest: Methode zur intranasalen Eröffnung der
Stirnhöhle.
Vortragender arbeitet mit einer Fräse, die eine Nebenverletzung
ausschliesst. Das Instrument ist walzenförmig und passt in eine
Hülse hinein, die oben in einen bogenförmig gekrümmten Schützer
ausgeht. Die in die natürliche Oeffnung der Stirnhöhle eingeführte
Fräse kann infolge des Schützers nur nach vorne arbeiten und muss
in die Stirnhöhle gelangen.
35. Herr v. E i c k e n - Giessen: Zur Kosmetik nach Stirnhöhlen¬
operationen.
Bei einem wegen rechtsseitiger Stirnhöhleneiterung radikal nach
Riedl operierten Patienten wurde eine Paraffineinspritzung vorge¬
nommen, die von Zeit zu Zeit Abszessbildung im Gefolge hatte, wo¬
durch entstellende Narben entstanden. Bei erneuter Freilegung des
Operationsgebietes wegen einiger bei der ersten Operation nicht ent¬
fernten Stirnhöhlenbuchten wurde das ganze erkrankte Hautgebiet
exzidiert und um die stark entstellende Einsenkung zu beseitigen,
| von der gesunden Seite ein grosser, aus den unter der Haut gelegenen
Weichteilen und Periost bestehender Lappen mit der Basis an der
Nasenwurzel gebildet und herübergeklappt. Darüber eine Haut¬
plastik, Heilung per primam.
36. Herr B r ü g g e m a n n - Giessen: Zur Technik der Spülung
von Nebenhöhlen.
Demonstration eines Kanülenhalters, der sich an den gebräuch¬
lichsten Kanülen nach Anbringung einer kleinen Platte leicht befestigen
lässt und verhütet, dass die Spülflüssigkeit über die Hand des Arztes
fliesst.
37. Herr R i c h t e r - Leipzig: Zur Operationstechnik grosser
Zahnzysten im Oberkiefer.
Die Zyste wird von der Fossa canina freigelegt, die mediale
Zystenwand abgetragen, so dass der Zystenraum von der Ober¬
kieferhöhle nicht mehr getrennt ist. Zwischen letzterer und dem
unteren Nasengang wird eine bohnengrosse Daueröffnung hergestellt,
die Wunde in der Fossa canina wird sogleich vernäht. Die Opera¬
tionsmethode ermöglicht die Beseitigung der Zyste in etwa einer
Woche, während sonst monatelange Tamponaden erforderlich waren.
1582
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
3S. Herr West -Berlin: Ueber die intranasale Behandlung der
Dakryostenose.
Nach polemischen Bemerkungen gegen P o 1 y a k, die darin aus-
klingen, dass sich die Methode des Vortr. wesentlich von der
Polyaks unterscheide — West eröffnet nur den Tränensack — ,
während Polyak Tränensack und Duktus eröffnet, berichtet Vortr.
über seine Erfahrungen. Er hat über 220 intranasale derartige
Operationen ausgeführt. Er teilt vorläufig mit, dass er bakterio¬
logische Untersuchungen nach der intranasalen Eröffnung des Tränen¬
sackes macht, er fand, dass die pathogenen Bakterien gewöhnlich
1 oder 2 Tage nach der Operation vollständig geschwunden waren.
Vorteile der W e s t sehen Operation sind folgende: die physiologische
Funktion des Tränenwegs wird wiederhergestellt, die pathogenen
Bakterien verschwinden, die Tränendrüse wird geschont, Sondenkur
und Hautschnitt wird vermieden.
39. Herr Amersbach - Freiburg i. Br.: Zur Frage der diffusen
Hyperosteosen der Gesichts- und Schädelknochen.
Trotz genauer Untersuchung des gesamten operativ entfernten
Materials eines von A. beobachteten Falles muss die Frage, ob eine
echte Tumorbildung — Osteoidfibrom bzw. Sarkom — oder eine ent¬
zündliche Neubildung — Ostitis fibrosa deformans — vorliegt, un¬
entschieden bleiben. Das unklare Krankheitsbild sollte durch die
Bekanntgabe jedes einzelnen Falles geklärt werden. Wichtig ist
nebst klinischer Beschreibung die röntgenologische Untersuchung des
gesamten Skelettsystems und die histologische Untersuchung, be¬
sonders der Randpartien der Krankheitsherde.
Diskussion zu den Vorträgen 30 — 39:
Herr Ritter- Berlin möchte die Halle sehe Methode nur für
wenige Fälle reserviert wissen, bei den meisten Stirnhöhleneiterungen
kommt man mit den einfacheren konservativen Methoden aus, bei
hochgradigen Schleimhautveränderungen nur mit der äusseren
Operation.
Herr R h e s e - Königsberg meint auch, dass man mit einfachen
Operationsmethoden auskommt; er erhält ebenfalls bei der endo-
nasalen Siebbeinoperation die mittlere Muschel. Nach der West-
schen Operation sah er in 50 Proz. der Fälle Rezidive. Er empfiehlt
mehr die T o t i sehe Methode, und bildet aus der medialen Tränen¬
sackwand einen Lappen, um wieder Verwachsungen zu verhüten.
Herr Gerber- Königsberg hält die äusseren Stirnhöhlen¬
operationen für bei weitem ungefährlicher als die intranasalen.
Herr 0. May er- Wien hat 26 Fälle nach West operiert und
sah auch manchmal Rezidive. Er betont die Wichtigkeit der Nach¬
behandlung.
Herr R u p r e c h t - Bremen und Herr S e y f f a r t h - Hannover
machen technische Bemerkungen zur West sehen Operation.
Herr Kahler- Freiburg i. Br. empfiehlt zur Vermeidung stär¬
kerer Blutungen während der West sehen Operation auch aussen
an dem Proc. naso-frontalis Novokain-Adrenalin zu injizieren und
betont die Wichtigkeit der bakteriologischen Untersuchung. In einem
Fall zeigten sich 3 Wochen nach der Operation wieder Pneumokokken.
Herr N o 1 1 e n i u s - Bremen spricht gegen die in letzter Zeit
von so vielen Seiten empfohlenen komplizierten Instrumente für die
Stirnhöhlenoperation.
Herr Knick- Leipzig spricht sich gegen die S t u r m a n n sehe
Operation der Kieferhöhleneiterung aus.
Herr Halle- Berlin hat 81 Tränensäcke nach der endonasalen
Methode operiert, die Erfolge sind glänzend.
Herr R e i n k i n g - Hamburg empfiehlt auch die von Richter
mitgeteilte Operation der Kieferzysten, die Methode wurde bereits
vor Jahren von Jacques beschrieben.
Schlusswort: Herr Halle, Herr v. Eicken, Herr West.
40. Herr C. H i r s c h - Stuttgart: Aneurysma der Carotis interna.
ln einem Fall von chronischer Mittelohreiferung fand sich ein
Aneurysma der linken Carotis interna, das nach der Paukenhöhle
geplatzt war. Bei der zwecks Aufsuchung der blutenden Stelle vor¬
genommenen Radikaloperation Exitus. Der Kehlkopfeingang war
durch die Blutung in die seitlichen Halsweichteile hochgradig verlegt.
Die Fälle sollten künftighin weniger vom ohrenärztilchen als vom
halsärztlichen Standpunkt betrachtet werden. H. empfiehlt, das Ohr
in Ruhe zu lassen und die Carotis communis in Lokalanästhesie zu
unterbinden.
4L Herr M a r s c h i k - Wien: Demonstrationen:
1 . Verbessertes Salpingoskop nach Gatscher-Marschik-
Leiter, mit dem auch die hintere Epipharynxwand sichtbar ist.
Eine aufgesetzte Spülröhre gestattet Bougierung, Durchblasung und
Durchspülung der Tube.
2. Beleuchtungsvorrichtung an den Spatelhaken zur Schwebe¬
laryngoskopie. _ _ _
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
XXI. Sitzung vom 7. März 1914.
Vorsitzender: Herr G e 1 b k e.
Vor der Tagesordnung:
Herr Max Mann: Demonstration.
Vortr. demonstriert zwei Leichenpräparate, an denen die Lage
der Hypophyse zum Keilbein gut zu ersehen war.
Fall 1 ist durch Geh.-Rat S c h m o r 1 an einem normalen Schädel
gewonnen. Bei Fall 2 ist von Mann die Hirsch sehe Operation
ausgeführt worden.
Freilegung und Abtragung der Keilbeinvorderwand gelang in
Lokalanästhesie am sitzenden Patienten sehr leicht. Die Operation
an der nicht wesentlich vergrösserten Hypophyse wurde auf Spaltung
der Dura und Auslöfflung beschränkt. Es fand sich dabei nichts, was
auf malignen Tumor oder Zyste hingewiesen hätte.
Der Tod erfolgte am 12. Tage post operationem an Meningitis.
Nicht ausgeschlossen ist, dass diese durch Sekundärinfektion von der
Nase her erfolgt ist. Autopsie: normale Hypophyse — auch mikro¬
skopisch (Geh. Rat Schmorl) hochgradiger chronischer Hydro-
cephalus internus.
Dieser hatte durch die vorhandene Akromegalie und leichte
bilaterale temporale Hemianopsie die Hypophysenerkrankung vorge¬
täuscht; auch das Röntgenbild hatte eine Hypophysenerkrankung
wahrscheinlich gemacht.
Tagesordnung:
2. Herr Geipel: Beitrag zur Pathologie der Lungen.
G. demonstriert eine grössere Anzahl lufttrocken gemachter
Lungen, bei deren Herstellung er in weitgehendem Masse von Herrn
Dr. S e y f f a r t h unterstützt worden ist. Zur Untersuchung ge¬
langten solche Lungen, welche keine oder relativ geringe Pleuraver¬
wachsungen aufwiesen, welche ferner frei von Infiltraten waren, um
entstellende Schrumpfungen beim Aufblasen zu umgehen. Hinsicht¬
lich der Pigmentverteilung stimmen die Resultate mit den¬
jenigen von Orsos überein. Entsprechend dem Rippenverlauf und
zwai besonders dem der oberen erscheint die Pleura pigmentarm.
entsprechend den Zwischenrippenräumen pigmenthaltig. Mit zu¬
nehmendem Alter werden die ursprünglich scharfen Konturen ver¬
waschen, wenngleich sich immer noch die Interkostalstreifen und
Rippenstreifen erkennen lassen. Wo Reibungen und Druck auf die
Pleura einwirken, bleibt dieselbe pigmentarm oder wird wieder
pigmentfrei. Hierbei kommen einmal die an das Lungengewebe an-
stossenden üefässe, der knöcherne Thorax, das Herz, das Zwerch¬
fell in der von Orsos geschilderten Form in Betracht. Ausserdem
wird das Freibleiben der Berührungsflächen der Lappen her¬
vorgehoben, so der Unterfläche des Oberlappens und der korre¬
spondierenden Fläche des anstossenden Unterlappens bzw. Mittel¬
lappens. Bei der Besprechung der Interkostalstreifen werden ver¬
schiedene Varianten angeführt, eine solche mit Pigmentierung in
ganzer Länge, eine weitere mit Pigmentierung am hinteren Umfang
(Facies angularis), ferner eine Kombination von hinterer und vorderer
Pigmentierung mit Freibleiben eines seitlichen Mittelstückes. Das
erste Auftreten der Pigmentierung bei jugendlichen Individuen ist
kein gleichmässiges, da die vorderen Abschnitte wie der Mittellappen
frühzeitig vor den anderen Lungenabschnitten befallen werden.
Betreffs der Furchenbildung auf der Lungenoberfläche
lässt sich zeigen, dass dieselbe bei Neugeborenen, Säuglingen, sowie
Kindern beim Aufblasen nicht verschwinden. Am deutlichsten sind
die Furchen im Bereich der obersten drei Rippen vorhanden, be¬
sonders im paravertebralen Bezirk, während im übrigen Verlauf die
Rippeneindrücke seichter werden und eigentlich nur bei der ersten,
weniger deutlich bei der zweiten zu verfolgen sind. Die Entwicklung
der Furchen im paravertebralen Bereich ist zuweilen eine ungleiche,
da sie am rechten Oberlappen in mehreren Beobachtungen deutlicher
ausgeprägt waren wie links. Mitunter kommt es direkt zur Ab¬
setzung eines kleinen paravertebralen Läppchens. Im kindlichen Alter
flachen sich die Furchen ab und werden undeutlich. Doch können sie
sich lange erhalten einmal bis zum 20., ein andermal bis zum
50. Lebensjahr in einer völlig gesunden Lunge. Aus dem medialen
paravertebralen Bezirk rückt die Furchenbildung mit zunehmendem
Alter in den Bereich der Facies angularis.
Bei der Schilderung der Furche für die linke Arteria subclavia
wird die scharfe, meist pigmentierte Firstbildung, in welche die Ober¬
lappen medial auslaufen, erwähnt. Die Aortenfurche kann bei älteren
Individuen sehr tief werden: 2—2,5 cm.. Diese Furchenbildung kann
ein Hilfsmoment für die Entstehung von Emphysem abgeben,
indem über die Ränder der Furchen das Emphysem sich blasig hin¬
wegschiebt, ein Emphysema bullosum sich gleichsam in den Furchen¬
rändern entwickelt. Eine gleiche Beobachtung Hess sich an einer
linken Lunge zeigen, bei welcher das bullöse Emphysem eine kurze
Strecke weit über die durch den linken Nervus phrenicus gebildete
pigmentlose Furche sich hinweglegt. Für Lokalisation der Tuber¬
kulose kommt speziell diese Furche für Aorta und Subklavia nicht in
Betracht.
Bei älteren Individuen ist bemerkenswert der Fettgehalt,
jedenfalls eine Folge degenerativer Vorgänge (Staubknoten etc.).
Neben dieser» mehr diffusen Verfettung wird mitunter lokali¬
sierte Fettge websentwicklung an dem freien Rande spe¬
ziell der Unterlappen und des Mittellappens beobachtet, welche Vz bis
% cm Breite erreichen kann.
G. bespricht weiter die D e f o r m i e r u n g der Lungen. Dieselbe
wird hervorgerufen durch eine Art chronischer defor¬
mierender Entzündung der Pleura. Die Deformierung kann
sich nur entwickeln bei Ausbleiben von Verwachsungen beider Pleura¬
blätter. Befallen werden besonders der rechte Unterlappen und
Mittellappen, dann der linke Unterlappen und anstossender Bezirk
des linken Oberlappens. Von den Unterlappen ist der vordere Ab¬
schnitt am stärksten befallen, während der hintere frei bleibt. Durch
die Deformierung entstehen eigentümlich zitzenartig geformte Ge¬
bilde von einer verdickten Pleura überzogen.
Anderweite Difformitäten werden bei Kyphoskoliose beob¬
achtet und an 5 verschiedenen Lungen demonstriert. Die Anpassung
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1583
der Lunsen an die Form des I horax ist eine derartig vollkommene,
dass man an dem 1 roekenpräparat die entsprechenden Krümmungen
dei Y\ irbelsaule, sowie der Rippen rekonstruieren kann. Als Zeichen
für die Kompression der Lungen von der Spitze nach der Basis zu
kommen Knickungsfurchen vor. Line solche verläuft an
einem Präparat an der Aussenseite der linken Lunge in einer Länge
von 10 cm über den linken überlappen und Mittellappen hinweg und
dringt 1 2 cm in die 1 iefc. Derselben parallel verläuft eine gleiche
6 cm lange Furche nahe dem freien Rande des Unterlappens. Die
" eitere Lol ge ist zuweilen die Bildung eines neuen Lappens und die
teilweise Verschiebung eines tiefer gelegenen Abschnittes der Lunge
über einen oberen. Ein häufiges Vorkommen ist ferner das Ein-
sch lagen des Unterlappens und zwar auf der verengten
Seite, so bei rechtsseitiger Skoliose des rechten Unterlappens. Der
Vorgang ist ein derartiger, dass z. B. der rechte Unterlappen in
seinem hinteren Bezirk vom rechten überlappen abgedrängt wird,
der abgedrängte Ieil zwerchfellwärts eingeschlagen wird und der
frei gewordene Bezirk des Oberlappens direkt der Wirbelsäule an-
IjeKt, da er den Kontakt mit dem Unterlappen verloren hat. Durch
das Einschlagen werden die beiden Hälften einander genähert, können
m-temander verkleben und verwachsen, so dass die beiden Zwerch-
fellhalftcn an einander stossen. Bei diesem Einschlagen kann das
Ligamentum pulmonale eine Rolle spielen. Entsprechend dem ab¬
normen Verlauf der Rippen, der Krümmung der Wirbelsäule ist der
Verlauf der Rippen- und Interkostalstreifen ein anderer, die Furchen¬
bildung eine abweichende, überhaupt die gesamte Pigmentverteilung.
Diskussion: Herr Georg Schmorl: Ich stimme der An¬
gabe des Herrn Vortragenden, dass die pigmentreichen Streifen in
der Lunge den Interkostalräumen entsprechen, völlig bei. Hinsicht¬
lich der Entstehung glaube ich an eine mehr mechanische Ursache-
die Pigmentierung fehlt, weil an den betreffenden Stellen ein stärkerer
Druck besteht und infolgedessen daselbst die Lymphströmung be¬
einträchtigt wird. Wenn ausschliesslich die Respirationstätigkeit ent¬
scheidend wäre, so müssten sich die Streifen nicht nur an der Ober-
tlactie der Lunge finden, sondern auch in die Tiefe des Lungen¬
gewebes hineinreichen. Ich habe allerdings darüber keine ent¬
scheidenden Untersuchungen angestellt, weil sich bei dem Heraus-
nel.men der Lungen aus dem Thorax die Lage der Lungenoberfläche
zur Kura verschiebt. Soviel ich bisher gesehen habe, erfolgt die
Pigmentablagerung in der erwähnten streifigen Form nur an der
Lungenoberfläche
Die Furchenbildung an der Spitze kommt auch bei Kindern vor.
Ich habe früher gesagt, dass diese Furchen sich dadurch von den zu
luberkulose disponierenden Furchen unterscheiden, dass sie sich
ausgleichen lassen Ich hatte damals nicht so gut konserviertes
Material zur Verfügung und bin jetzt eines Besseren belehrt worden.
Ich möchte aber doch die Vermutung aussprechen, ob nicht in jenen
hallen, wo die Lungen eine Furchenbildung aufweisen und eine
Asymetrie der Spitzen erkennen lassen, eine Disposition zur Ver¬
engerung der oberen Thoraxapertur gegeben ist. Die Furche, auf
die ich seinerzeit die Einschränkung der Entwickelung des Bronchial¬
baumes zurückgeführt habe, ist nicht auf die Spitze beschränkt
sondern umgreift die ganze Spitze. Uebrigens habe ich darin nur
ein Moment für die Entstehung der Tuberkulose gefunden, nicht
das einzige, wie man jetzt oft sagt. Die Umklappung des Lungen-
nndes bei Kyphoskoliose kann ich vollkommen bestätigen, möchte
aber darauf hinweisen, dass man sie gelegentlich auch bei Einwirkung
anderer raumbeschränkender Momente in der Thoraxhöhle finden
kann, so bei pleuritischen Ergüssen, wenn keine Verwachsungen vor¬
handen und die unteren Lungenlappen völlig atelektatisch sind. Die
Umklappung kann so weit gehen, dass der Rand verwächst; auch
. Knickung kann man beobachten, wenn die Lunge irgendwo ad-
narent ist.
iieir Geipel: Auch ich messe den Lymphgefässen eine hohe
Bedeutung für die Pigmentablagerung in der Lunge bei. Die Pig¬
mentierung der Lungenoberfläche setzt sich nicht in der gleichen
Mreifenform in die Tiefe hinein fort, sondern sofort unter der Über¬
lache findet man das Pigment regellos zerstreut; die tiefer liegenden
aitien haben mit den oberflächlichen nichts zu tun.
■ i ^ac^ Erledigung der Tagesordnung gelangt noch eine persön-
iche Angelegenheit eines Mitgliedes, betreffend eine in der vor-
etzten Sitzung gefallene Diskussionsbemerkung und deren Aufnahme
ns I rotokoll, zur Besprechung, an der sich die Herren Leibkind
i e I b k e und Seidel beteiligen.
Vissenschaftliche Vereinigung am städt. Krankenhaus
zu Frankfurt a. M.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 19. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr N e i s s e r.
Schriftführer: Herr Braun.
Herr VY a 1 1 h a r d: Demonstrationen von Präparaten eines
Monate alten Dauerresultates bei einem radiumbestrahlten Karzinom.
Vortr. demonstriert farbige Mikrophotogramme und Skizzen,
'.eiche den im nachfolgenden zu beschreibenden Verlauf des Kar-
momrezidivs nach Radiumbestrahlung illustrieren.
Bei der 62 jährigen Patientin E. wurde im Jahre 1912 wegen eines
I lattenepithelkarzinoms, welches, von einem Dermoid des linken
(Hanums ausgehend, sowohl den Uterus, als die Flexura sigmoidca
f ' 1 ,.n “fjte, der Versuch einer Radikaloperation gemacht, und
zwar die abdominale erweiterte Radikaloperation und transperitoneale
M und breite Resektion der Flexura sigmoidea auf der Höhe des Uterus.
ucberall wurde makroskopisch weit im Gesunden operiert. _ Heilung
per primam. Die Patientin konnte mit völlig normaler Darmfunktion
15 läge post op. scheinbar geheilt entlassen werden.
Im Oktober 1913 ein mächtiges Rezidiv im subserösen Raum
gegen die Vagina und das Lumen des Rektums durchbrechend, Bildung
unei Rektovaginalfistel. Das Rezidiv war so gross, dass bequem
nussgrosse Stucke mit dem Finger abgeiöst werden konnten
Nun wurden folgende Eingriffe gemacht:
1. Ein künstlicher After am oberen Ende der Flexura sigmoidea
isn mV of!- k Karzinomrezidivs, von der Vagina her. mit
150 mg Radiumbromid wahrend ca. 18 000 Milligrammstunden.
1 er heutige Befund, 6 Monate nach der Bestrahlung, ist folgender-
Aeussere Genitalien ohne Besonderheiten. Die Vagina blassrosa
Im hinteren Scheidengewölbe eine lineäre Narbe. Die Rektovaginal-
Knt.”/'inSeSCh t°SSen' u V‘-ni der Vagina> noch vom Rektum keinerlei
Kaizinomre.ste nachweisbar. Der subseröse Raum verhält sich bei
RadiTaloperation6 ”aCh ^ gehei,ten rezid>vfrcien abdominalen
Das Allgemeinbefinden der Patientin ist derart, dass sie allen
häuslichen Aufgaben in einem grösseren Betriebe ungestört nach-
kommen kann.
Der künstliche After funktioniert gut. Psychisch ist die Patientin
völlig frisch und lebensfroh.
Herr Kjose: Ueber Kropfentstehung, Kropftypen und Kropf¬
behandlung (mit Demonstrationen und besonderer Berücksichtigung
des Frankfurter Kropfes).
(Der Vortrag wird ausführlich in Bruns Beitr. z. klin. Chirurgie
erscheinen.)
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 7. April 1914.
Vorsitzender: Herr Plate.
Schriftführer : Herr v. Engelbrecht.
Herr Feigl: Hämatinämie bei Vergiftung mit Kalium chloratum.
Elerr Feigl berichet ausführlich über einen Fall, der
suicidii causa 50 g Kalium chloratum eingenommen hatte Im
Blut wurde Methämoglobin, im Urin Hämatin nachgewiesen. Die
spektroskopische Untersuchung des Serums ergab ebenfalls Hämatin
Ferner fanden sich im Serum Urobilinogen und Bilirubin. Während
das Methämoglobin im Blut langsam zurückging, blieb der Hämatin¬
gehalt langer bestehen. Hämatin im Blut wurde bisher bei Kalium-
chloratvergiftungen nicht beobachtet, weil immer nur das Gesamtblut
untersucht wurde, Hämatin aber nur im Serum nachweisbar ist.
Vortr. seht näher auf die 7 echnik der Untersuchung ein, sowie auf
die Schlussfolgerungen, die aus diesem Falle zu ziehen sind.
Diskussion: Herr O. Schümm: Herrn Feigls Be¬
obachtungen über das Auftreten von Hämatin im Blutserum bei der
Vei giftung mit chlorsaurem Kali bilden eine wertvolle Ergänzung zu
unseren Eppendorfer Untersuchungsergebnissen und zeigen, dass die
älteren Angaben über die Einwirkung sogen, methämoglobinbilden-
der Gifte auf den Blutfarbstoff einer Revision bedürfen. Ob man
in derartigem Blut noch weiterhin zur quantitativen Bestimmung des
vermeintlichen Methämoglobins die spektrophotometrische Methode
von Vierordt-Hüfner anwenden kann, erscheint zweifelhaft.
Betreffs der Untersuchung von Serum auf Hämatin bemerke ich,
dass ein Zusatz von Fluornatrium zum Blut nicht zulässig ist Man
fängt das Blut zweckmässig gleich in dem Gefäss auf. in dem es
zentrifugiert wird.
Im Hinblick auf die von Herrn S c h o 1 1 m ü 1 1 e r versuchte
differentialdiagnostische Verwertung positiver Hämatinbefunde bei
fraglicher Extrauteringravidität möchte iqh daran erinnern, dass
H e g 1 e r und ich ausgesprochen positive Befunde von Hämatin
bzw. Methämoglobin wiederholt bei schweren Fällen von Infektion
durch den Bacillus emphysematosus E. Fraenkel erhalten haben:
doch haben wir auch Fälle beobachtet, in denen Hämatin bzw. Met¬
hämoglobin fehlten. — Bei mehreren Fällen von Extrauteringravidität
habe ich gemeinsam mit Herrn 0 e h 1 e c k e r das Serum frei von
Hämatin und Methämoglobin gefunden, während kürzlich Herr Schott
müjler über positive Befunde bei Extrauteringravidität berichten
konnte. Diese Frage bedarf noch weiterer Bearbeitung.
Durch' unsere Untersuchungen scheint mir die Frage nach der
Existenz eines Hämatinikterus wesentlich geklärt zu sein. In
zwei Fällen von ikterischer Verfärbung haben wir trotz sorgfältiger
Untersuchung weder Bilirubin noch Urobilin, sondern in einem Falle
nur Hämatin (in beträchtlicher Menge) und im anderen neben Hämatin
auch Oxyhämoglobin in vermehrter Menge nachweisen können. Bei
dem Fehlen von Bilirubin im Serum erscheint es gerechtfertigt, sie
als Fälle von Hämatin ikterus aufzufassen. In anderen Fällen
haben Herr H e g 1 e r und ich im Serum Bilirubin u n d Hämatin bzw
Methämoglobin und Bilirubin beobachtet.
Herr H e g 1 e r berichtet über einen Fall, der wegen Poly¬
arthritis Maretin erhielt, das einen günstigen Einfluss auf die Be-
1584
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
schwerden hatte, dann aber eine schwere Anämie hervorrief, die
nach Aussetzen des Mittels zurückging. Auch in diesem Falle wurde
Hämatin im Serum nachgewiesen. Vortr. geht dann auf andere Fälle
ein, bei denen Hämatin im Serum nachgewiesen worden ist (Ver-
giftungen, Malaria — besonders wenn Blut im Schüttelfrost ent¬
nommen wird, Infektionen durch den Bac. emphys. E. F r a e n k e 1).
Eingehen auf die Frage eines Hämatinikterus.
Herr Fei gl: Schlusswort.
Herr Hannes: lieber die Insuffizienz der Valvula ileocoecalis.
Tierversuche an Hunden und Katzen mit Fisteln im Duodenum
und im unteren Ileum. Durch Einläufe per rectum kann eine Schliess-
fähigkeit bzw. Schlussunfähigkeit leicht festgestellt werden.
Die physikalischen (Temperatur) und chemischen Eigenschaften
der zu den Einläufen benutzten Flüssigkeiten (Leitungswasser, destil¬
liertes Wasser, physiologische und konzentrierte Kochsalzlösungen,
Zuckerlösungen verschiedener Konzentrationen) sind ohne Einfluss.
Dagegen findet sich beim hungernden Tiere immer eine Insuf¬
fizienz und beim Tier, das gefressen hat, immer eine Schlussfähigkeit
der Klappe. Dieser Schluss der Klappe wird, wie aus den Versuchen
mit Duodenalfisteltieren hervorgeht, nicht durch die einfache mechani¬
sche Füllung von Magen und Dünndarm, sondern durch die Erregung
der psychischen Motilität beim Fressen mit Appetit hervorgerufen.
Wichtigkeit dieses Mechanismus vom allgemein physiologischen
Standpunkte aus und für die Frage der Nähreinläufe und des Kon¬
trasteinlaufes bei der Röntgenuntersuchung.
Diskussion: Herr Lohfeld.; Röntgenologische Beobach¬
tungen von Insuffizienz der Valvula ileocolica sind selten. Druck¬
verhältnisse spielen keine Rolle. .
Herr Haenisch hat einige Male eine Insuffizienz der Valvula
beobachtet, für die er sich keine Erklärung geben konnte. Bei der
Röntgendiagnose kann eine Insuffizienz sehr störend wirken, da
Einzelheiten verdeckt werden. Er will die interessanten Ergebnisse
des Herrn Hannes nachprüfen. ......
Herr B o r n s t e i n fragt Herrn Hannes, ob ihm die Arbeiten
englischer Autoren über die Insuffizienz der Valvula bekannt sind.
Herr He gl er fragt, ob Pharmaka auf die Funktion der Valvula
Einfluss haben. „ , . . ,
Herr Katsch beantwortet diese Frage, indem er auf seine schon
früher publizierten Resultate über den Einfluss von Pharmaka auf
die Schlussfähigkeit der Valvula hinweist.
Herr Cohnheim geht auf die Verschiedenheit der Klappen-
und Innervationsverhältnisse bei Tier und Mensch ein. Die Arbeiten
englischer Autoren sind ihm bekannt, sie behandeln aber die physio¬
logische Schlussfähigkeit der Klappe bei von oben nach unten
sich fortbewegendem Darminhalt.
Herr B o r n s-t e 1 n: Kurze Bemerkungen üb« die antidiabetische
Wirkung des Inulin. ,
Nach kurzen Bemerkungen über die Theorie der Wirkung
des Inulin — Pankreassekretion wird durch dieses Mittel herab¬
gesetzt so dass das Pankreas mehr innersekretorisch wirken
kann — berichtet B. über seine Versuche. Er hat Hunde
durch Hungern und hohe, bis dicht an die letale Dosis gehende
Strychnindosen glykogenfrei gemacht und dann Innulin verfüttert.
In der Leber fand sich dann sehr wenig Glykogen, in der
Muskulatur relativ mehr, während bei Lävuloseverfütterung grosse
Mengen Glykogen in der Leber gefunden wurden. Demonstration von
Tabellen.
Diskussion: Herr C o h n h e i m fragt nach den zeitlichen
Verhältnissen der Verfütterung vor oder nach den Krämpfen, sowie
über die Anordnung des Experimentes.
Herr Bornstein geht näher auf die Versuchsanordnung ein.
Herr C o h n h e i m erhebt Bedenken gegen die Anstellung der
Versuche.
Herr Bornstein (Schlusswort): Das Wesentliche scheint ihm
zu sein, dass nach Inulinverfütterung so wenig Glykogen gebildet
wird.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 26. Mai 1914.
Vorsitzender : Herr Marchand.
Schriftführer: Herr R i e c k e.
Herr Weicksel demonstriert zwei angeborene Herzfehler.
1. Es handelt sich um eine 34 jährige Patientin, die als Kind
immer schwächlich gewesen ist. Eine besondere Kurzatmigkeit hat
ihres Wissens früher nicht bestanden. Kinderkrankheiten hat sie
nicht durchgemacht. Mit 17 Jahren erkrankte sie an Rippenfell¬
entzündung, nach V» Jahre an Influenza und Blinddarmentzündung.
Nach diesen Krankheiten fühlte sie sich sehr schwach und war die
nächsten Jahre ganz arbeitsunfähig. Sie bemerkte seit dieser Zeit
eine allmählich auftretende Kurzatmigkeit. Seit dem 20. Jahre war
Patientin dann mit Unterbrechungen als Verkäuferin tätig. Vor
2% Jahren suchte sie die Poliklinik auf, da in letzter Zeit eine merk¬
liche Verschlimmerung ihrer Beschwerden eingetreten war. Jede
stärkere Bewegung verursachte jetzt Kurzatmigkeit. In letzter Zeit
waren auch öfters Anfälle von Schwindel und Uebelkeit mit vorüber¬
gehender Bewusstlosigkeit aufgetreten. Der damalige Status lautete:
Mittelgrosse, massig genährte Patientin mit geringer Zyanose des
Gesichtes. Herz: Grenzen nach rechts = % Querfinger rechts vom
rechten Sternalrand, Grenzen nach links unten = 9 cm links von
der Mitte des Sternums. Auf die Herzdämpfung links setzt sich eine
reichlich fingerbreite Dämpfung auf, die bis zur II. Rippe reicht. In
diesem Bereich fühlt man nach Bewegung der Patientin ein leises
systolisches Schwirren. Der Spitzenstoss ist im I. Interkostalraum
nicht hebend. Die Auskultation ergibt an der Herzspitze leise, aber
reine Töne. Im II. Interkostalraum links ist der erste Ton gespalten,
dem ein kurzes systolisches Geräusch folgt. Der II. Pulmonalton ist
stark betont im Vergleiche zum II. Aortenton. Der Puls (100 Schlage)
ist gering gefüllt und gespannt, links weniger fühlbar wie rechts.
Blutdruck 102. Sonstige Organe o. B. — Der jetzige Befund hat sich
insofern geändert, als die Herzgrenzen nach rechts und links noch
um je 1 cm nach aussen gerückt sind. Die Auskultation ergibt noch i
den früheren Befund. Urin frei von Eiweiss. Die Beschwerden der
Patientin sind jetzt viel stärker. Besonders hat sie viel unter der
starken Atemnot zu leiden. . . „. ,. ..
2. Die zweite Patientin ist 32 Jahre alt. Sie hatte in der Kindheit
Schariach und Masern. Sie war immer sehr schwächlich und be¬
merkte schon früher beim Turnen zeitweise Herzklopfen und Atemnot.
Seit 4 Jahren traten allmählich Schmerzen iji der linken Seite auf,
die in den linken Arm ausstrahlten. Die Schmerzen und Atemnot
wurden stärker, so dass Patientin vor P/a Jahren die Poliklinik auf¬
suchte. Sie klagte jetzt über viel Herzklopfen, starke Kurzatmigkeit,
Schmerzen im linken Arm, die oft ohne besondere Anstrengung auf¬
traten. Der damalige Status war folgender:
Kleine Patientin, mässig genährt, geringe Zyanose des Gesichts.
Herz- Grenzen nach rechts = P/a Querfinger vom rechten Sternal¬
rand, nach links = 11 cm links von der Mitte des Sternums. Der
Herzdämpfung links sitzt auch hier eine etwa fingerbreite band¬
förmige Dämpfung auf, die bis zur II. Rippe reicht. Der Spitzenstoss
ist im V. Interkostalraum hebend, deutliche epigastrische Pulsation.
Die Auskultation ergibt: An der Herzspitze ein dumpfes systo isches
Geräusch; über der Pulmonalis ist ein deutliches rauhes systolisches .
Geräusch hörbar, das auch im I. Interkostalraum noch zu hören ist.
Der II Pulmonalton ist betont. Aortentöne rein. Kein positiver
Venenpuls; Radialpuls (100 Schläge) schlecht gefüllt und gespannt,
links etwas weniger fühlbar als rechts. Blutdruck 104. Kein Eiweiss
im Urin. — . , . . , „ .. .
Die Röntgenuntersuchung bestätigt nun bei beiden Patienten
die Perkussion der Herzgrenzen, vor allem die Dämpfung links vom
Sternum. Die sagittale Durchleuchtung zeigt dem Herzschatten auf¬
sitzend einen auf dem Bilde rechts vom Sternum sichtbaren systolisch-
dilatatorisch pulsierenden Schatten. Noch deutlicher wird dieser
Schatten, wenn man die Patienten im ersten schrägen Durchmesser
durchleuchtet. In dieser Position 330 0 bildet normalerweise der
Herzschatten ein etwa dreieckiges Feld. Die im Bilde rechtsseitige
Herzgrenze entspricht dem Rande des linken Ventrikels, das etwas
schräg aufsteigende Schattenbild entspricht der Aorta ascendens.
Während nun normalerweise zwischen dem unteren Rande des
Aortenbogens und dem oberen Herzrand ein heller Raum sichtbar ist.
wird derselbe beim offenen Ductus Botalli durch einen bogenförmig
gekrümmten Schattenstreifen eingenommen, der der erweiterten
Pulmonalis angehört. — Auffallend ist, dass die erste Patientin bis
zu ihrem 17. Jahre nie besonders über Herzbeschwerden zu klagen
hatte. Man könnte vielleicht daran denken, dass bei ihren damaligen
schweren Erkrankungen eine Endokarditis mitbestanden hätte und
es wären dabei vor allem die Pulmonalklappen befallen worden, da
hier infolge der verlangsamten Stromgeschwindigkeit des Blutes ein
Locus minoris resistentiae geschaffen wäre; als Folge einer er¬
worbenen Pulmonalstenose. Dann müsste aber das Geräusch über
der Pulmonalis lauter sein und es müsste auch die Hypertrophie nach
rechts stärker sein. Wahrscheinlich ist, dass das Herz durch das
schwere Krankenlager stark geschwächt worden ist und nun der
offene Ductus Botalli erst in Erscheinung getreten ist. Das Elektro¬
kardiogramm spricht mit seiner stark negativen Jp-Zacke für offenen
Duktus. Auch bei der zweiten Patientin haben wir eine negative
Jp-Zacke. Die stärkere Hypertrophie des rechten und linken Ven¬
trikels bei dieser Patientin erklärt sich Verfasser aus einer er¬
worbenen Mitralinsuffizienz, wodurch auch das systolische Geräusch
an der Herzspitze hervorgerufen wird.
Bei beiden Patienten konnte Verfasser mit Herzmitteln nicht viel
bessern, am besten wurde noch Strophanthus mit Valeriana vertragen.
Diese angeborenen Herzfehler von offenem Duktus werden leicht
übersehen. In zweifelhaften Fällen kann einem erst die Röntgen¬
durchleuchtung die Diagnose sichern. Unsere Hauptaufgabe bei
diesen Herzfehlern ist es, die Patienten so frühzeitig wie möglich aul
diese Fehler aufmerksam zu machen und sie vor jeder körperlichen
Ueberanstrengung zu warnen.
Herr Rille: Demonstration: 1. einer papulösen Syphilis (Lichen
syphiliticus); 2. einer kongenitalen Syphilis.
Herr Zweifel: Erfahrungen über Mesothoriumbehandluug.
Nach einleitenden Bemerkungen über die Entdeckung dieses
Metalls und der verschiedenen Strahlen, die es aussendet, wird am
das neue Prinzip verwiesen, welches K r ö n i g zuerst betonte, dass
man bei der Bestrahlung grosse Mengen des Metalls und starke Filter
nehmen müsse, um die „weichen“ Strahlen abzufangen und nur die
„harten“, die weiter in die Tiefe dringen, therapeutisch zu verwenden.
Besser wäre es wohl, statt der an sich nicht verständlichen Ausdrücke
14. Juli 1914.
M U kN CHKNFR MEDIZINI S C H E WOCH ENSCH RI FT.
1585
„weiche“ und „harte“ Strahlen zu setzen „matte“ und „durch¬
dringende“.
Das Mesothorium steht uns durch das dankenswerte Entgegen¬
kommen des Kgl. Kultusministeriums seit Anfang Januar zur Ver¬
fügung. Zum i iltrieren wurden Messingblechröhrclien von 1 und
1/- mm Dicke, zum Abfangen der Sekundärstrahlung ziemlich starke
(jummihülsen verwendet.
Der Bericht wird erstattet durch Vorzeigung von Lumiere-
photographien, die augenscheinlich eine sehr starke Einwirkung des
Mesothorium auf die Karzinomzellen beweisen.
Zur Erprobung war ein Vulvakarzinom besonders geeignet, weil
die bestrahlte Geschwulst dem Auge zugänglich war und hier mit
Leichtigkeit einzelne Teilchen zur mikroskopischen Beobachtung
exzidiert werden konnten.
ln den davon gewonnenen Präparaten sieht man bei den auf¬
einanderfolgenden mikroskopischen Lumierephotographien, wie die
Karzinomzellen untergegangen und allmählich verschwunden sind.
Im letzten Präparat ist nur noch eine einzige Zelle im Schnitt ge¬
troffen und ein ganz ähnliches Bild erhalten worden, wie in der
Publikation von Latzko und Schüller, Figur 5 (W m W 1913
Nr. 39).
Die Wirkung der radioaktiven Substanzen ist in gewissem Sinne
elektiv, denn die Karzinomzellen gehen leichter unter als das Stütz¬
gewebe, wie das aus der Färbbarkeit zu schliessen ist. Doch hat
diese „elektive“ Wirkung ziemlich enge Grenzen, was durch die
Klagen zweier Kranken über fürchterliche Tenes-
m e n im Unterleib mit Abgehen von Gewebsfetzen per anum
; erwiesen wurde. Einmal darauf aufmerksam gemacht, wurden auch
die anderen Kranken danach gefragt und oft Klagen über heftige Leib¬
schmerzen vernommen. Das sind Beobach tungen, diesehr
zur Vorsicht mahnen. Es ist bis jetzt wenig von solchen
' schnürenden Schmerzen berichtet worden, wir finden nur in der
letzten Veröffentlichung von D ö d e r 1 e i n eine dahin gehende An¬
gabe.
■ Ehe ich dazu übergehe, den Eindruck über die eigenen Er-
falu ungen abzugeben, muss ich die Anwendungsweise in unserer
Klinik präzisieren.
Die Strahlenbehandlung ist etwas neues, die Operationen da-
dagegen sind seit Jahrzehtnen bewährt und haben bei der letzten
I Zusammenstellung von A u 1 h o r n für die Leipziger Universitäts-
Frauenklinik eine Dauerheilungsziffer von 51 Proz. der von der
Operation genesenen Kranken ergeben, wobei unter Heilung nur ge¬
bucht w urde, wo die Frauen 5 Jahre und länger rezidivfrei geblieben
waren. Selbst wenn man so rechnet wie D ö d e r 1 e i n (Operative
' Gynäkologie. 3. Aufl., S. 603, 1912), der nur diejenigen, welche von
einer Operation w'eg nach 5 Jahren noch rezidivfrei leben, als Er¬
folg gelten lässt, hatten wir in unserer Klinik noch 44,5 Proz. Dauer¬
heilungen. Es wird dabei auch die primäre Mortalität auf das Ver¬
lustkonto geschrieben.
Aus diesen guten Gründen hielt ich es für geboten, meinen
Kranken stets das sicherste Mittel anzuraten und habe ich daher alle
noch operablen Fälle, bei denen die Kranken zustimmten oder keine
andere Kontraindikation bestand, operiert. Der Bestrahlung wurden
zunächst die inoperablen Karzinome unterzogen. Es gibt jedoch auch
bei dieser Indikationsstellung im Lauf der Zeit immer noch genug
Aniuiigsstadien des Karzinoms, bei denen aus anderen Gründen eine
Operation kontraindiziert ist, so z. B. die Frau mit dem Vulvakarzi-
nom. welches wegen hohen Alters und grosser Hinfälligkeit nicht mehr
operiert werden konnte. Weiter haben wir noch Anfangsstadien zur
Bestrahlung in der Klinik bei einer Frau, welche einen inkompen-
sieiten Herzfehler und Diabetes mellitus hat, eine Gravida im 8 Mo-
nat und ein junges Mädchen von 18 Jahren, bei dem aus anderen
Gründen die Operation unterbleibt.
Niemand kann die überraschend gewaltige Wirkung der Ra¬
dium- und Mesothoriumstrahlen auf die Karzinome leugnen; aber
andererseits ist es noch zu gewagt, bei Karzinomen innerer Organe
von einer Heilung sprechen zu wollen; denn dazu ist die Zeit noch
viel zu kurz. Der Ausdruck „klinische Heilung“ mag von Aerzten
noch richtig eingeschätzt werden als grossartige Besserung, welche
I bei örtlich auf die Portio beschränkten Karzinomen ausnahmsweise
ebenso gut eine Heilung erhoffen lassen kann, wie bei Hautkarzi¬
nomen, aber er erregt bei Laien unfehlbar zu hoch gespannte Hoff¬
nungen. die bis jetzt bei tiefer sitzenden Karzinomen noch in keinem
“alle eingelöst sind.
Ir u ^ 'r haben doch auch bei den operierten Karzinomen nach dem
ueberstehen des Eingriffes nicht von Heilungen vom Karzinom ge¬
sprochen, ehe nicht die Wartezeit von 5 Jahren ohne Rezidiv ver¬
laufen v ar und Heilung nach der oder von der Operation ist mit
der Mesothoriumbehandlung nicht in Parallele zu setzen, weil die
erstere ein schwerer Eingriff, die letztere ungefährlich ist.
wenn rnan solche Bilder sieht, wie das letzte demonstrierte,
wo in dem Präparat des Vulvakarzinoms nur noch eine einzige Kar¬
zinomzeile übriggeblieben ist, so berechtigt dies zwar zu der kühnen
normung, dass auch diese noch verschwinde. Aber nach den Er¬
fahrungen, die man so oft nach Operationen machte, wo an den Rän-
ern des Ausgeschnittenen keine Spur von Karzinom mehr nachzu-
weiscn war und doch Rezidive kamen, oder nach den Enttäuschungen
aei der Lupusbehandlung mit dem Tuberkulin Koch, wo man mikro¬
skopisch überhaupt nichts mehr von krankem Gewebe finden konnte
Und doch alle Fälle wieder rezidivierten, muss man trotz mikroskopi-
a J L H,d ®uch, de™ traben Oedanken Raum geben, dass am Ende
küLt I nei"Ze[nen Zcllcn die ganze Krankheit wieder aufflackern
11 ne. Allein beweisend für die Dauerheilung eines
1h m!imen1St d ,c r klinische Verlauf ii b e r 5 Jahre
n "Daran können alle glänzenden Bilder aus mikro¬
skopischen I raparaten nichts ändern.
x;. ?u dieser kühleren Auffassung veranlassen mich die vielen Ent-
Sn« in2 baufe dcr Jahrc cr|ebt habe, nicht bloss mit
Fnön ’ sanguimscb empfohlenen Mitteln, mit denen sich ausgezeichnete
rachgenossen schwer geirrt hatten, sondern auch bei eigenen Er-
lanlUnrlln.iim Karzinomkranken. Diese Krankheit nimmt oft einen
tfnlf repH°sen Verlauf, auch ausnahmsweise einmal in günstigem
Sinne aber bis jetzt immer nur vorübergehend gut und
mfeh wPiIifrl-mFaifr Schlecibt- Besonders eindrucksvoll sind für
ei' „ Jh“‘gr; £ai llc *R£w£sen' bei denen sich um ein Carcinoma uteri
Frv i mh| 1 L S! r eL1° k ok k e n e ntzünd u ii g entwickelt hatte. Dass durch
Erj sipelstreptokokken Hautkarzinome völlig und auf die Dauer ge-
nicftW.S2S"tvi0-0ft peoba^htet worden. dass man diese Tatsache
cht anfechten kann. Eine bemerkenswerte Erfahrung machte ich
folgender11 v? ei£er Vorbehandlung mit dem scharfen Löffel und näch¬
st -fr, hu; Verfch°rfui?K eine riesige Beckenzellgewebsentzündung ent-
fjte d’ d‘ .f!e,tzt dem Durchbruch des Eiters heilte, aber den
H|®rUn n d chte” biehwuelen und Schwarten zurückliess, so dass an
eine Operatmn nicht mehr zu denken war. Obschon die Frau nach
' £n Inssung aus der Klinik deutliche Symptome von Urämie zeigte,
wurde alles besser und etwa ein Jahr später war der Uterus so ver-
tÜL-ert’+dn^Wenu m*1 nicht die Kranke durch fortlaufende Beobachtung
ha^e> *cb Niemandem geglaubt hätte, dass sie an einem aus-
a Htlrl6 a,!i°r i0k/rZTinu0mxgexlt.tel1 h,aben konnte- Es ging dann über
führtezum Ende ^ trat )edocb das Karzinom wieder auf und
Einen zweiten Fall von auffallender Besserung durch eine
otreptokokkenentzündung beobachtete ich vor 1% Jahren. Da wir
bei der Behandlung mit radioaktiven Metallen eine Verbrennung
setzen und im weiteren Verlauf mit Naturnotwendigkeit eine Ent¬
zündung folgt, so können wir die Fälle von Streptokokkenentzün¬
dungen einigermassen vergleichen. Es gehen bei der bakteriellen und
der physikalischen Erregung der Entzündung die Karzinomzellen unter
und werden resorbiert. Da ist auch der Gedanke schon aufgestellt
und als Hypothese (La hm- Dresden) ausgesprochen worden, dass
dann die Wirkung vielleicht zu erklären sei wie durch die Autolysate.
ber bis jetzt ist durch die Streptokokkenentzündungen noch nie ein
Karzinom des Uterus dauernd geheilt worden, sondern nur Haut¬
karzinome. Ob die Strahlenbehandlung imstande ist, auch in der
1(\‘c, j eg5nj Karzinomnester und Drüsenmetastasen zu zerstören
und dadurch die Krankheit völlig und auf die Dauer zu heilen, wie
das durch die Operationen in einer grossen Prozentzahl zu erreichen
ist, müssen erst die kommenden Jahre beweisen. Doch ist die
Strahlenbehandlung des Karzinoms so wichtig und selbst bei inope¬
rablen Fallen so nützlich, dass sie mit der grössten Energie überall
versucht werden muss. Um durch gemeinsame Arbeit möglichst bald
eine Klärung zu erzielen, ob man auch von ihr Dauerheilungen bei
Karzinomen tiefliegender Organe erhoffen könne, ist es dringend
wünschenswert, dass über alle damit behandelten Kranken in Ab¬
standen eines Jahres Bericht erstattet werde.
Herr Schweitzer: Die bisherigen Erfolge der Mesothorium¬
behandlung beim Gebärmutter- und Scheidenkrebs.
In dei Leipziger Frauenklinik wurden bei der therapeutischen
Beeinflussung des Uterus- und Vaginalkarzinoms durch Mesothorium
vorwiegend die harten y-Strahlen verwendet. Die ^-Strahlen wurden
anfangs durch 2 3 mm dicke Bleifilter, späterhin durch 1 — 1,5 mm
Messing abgefangen. Um die Sekundärstrahlen unschädlich zu
machen, diente ein Ueberzug dicken, bleifreien Gummis. Stets fand
noch eine Umwicklung mit einfacher steriler Gaze statt, die wiederum
von einem Kondomgummi umgeben wurde. So armiert wurde das
Mesothorium in die Vagina gelegt. Wo die Möglichkeit bestand, das
Mesothorium in das Karzinom selbst hineinzubringen, wurde ab¬
wechselnd von iß- + y- und reiner Strahlung Gebrauch gemacht. Die
benachbarten Gewebe, deren Bestrahlung nicht erwünscht erschien,
wurden durch besondere Hartgummi-, Zelluloid- oder auch Metall¬
abdeckungen, ganz nach Lage des Falles, geschützt.
.. Bie verwendete Dosis schwankte zwischen rund 50 und 150 mg
Mesothorium. Die Menge von 50 mg und darunter wurde nur ungern
gelegt wegen der Befürchtung, dass durch diese geringe Dosis eher
die schädliche Reizwirkung hervorgerufen würde.
Die Einwirkung der . genannten Mesothoriummengen wurde nun
je nachdem auf 8 bis höchstens 24 Stunden bemessen und zwar zu
wiederholtem Male unter Einhalten von tagelangen Pausen. 3 der-
nlbge.ir bzungen bildeten in der Regel eine Bestrahlungsserie, deren
Mesothoriumquantität etwa 3—4000 mg-Stunden betrug.
, Zur Absolvierung der I. Serie bedurfte es eines Aufenthaltes in
der Klinik von durchschnittlich 8 Tagen. Die nächsten 3 — 4 Wochen
b.ra^"(e dm Pat. zu Hause zu, um danach zur II. Serie wiederum in
die Klinik aufgenommen zu werden. In dieser Weise absolvierte nun
jede I at. 3, 4 und nach Bedarf auch mehr Serien.
, , Bie, Behandlung ist nicht selten anstrengend für die Kranken,
vvalirend der Bestrahlung kann das Gefühl angenehmer Wärme in
schmerzen Umschlagen. Selten tritt Erbrechen, Fieber und Puls¬
steigerung auf. Nach der Bestrahlung klagen die Kranken häufig
über allgemeine Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit, die sich auch
1586
MUENCHENER MEDIZINISCHE W0CHENSCHR1ET.
Nr. 28.
noch tagelang in das bestrahlungfreie Intervall hinziehen kann. In
wenigen Fällen haben Frauen im Intervall unter starken Tenesmen
mit Abgang von schleimigen Fetzen aus dem Darm zu leiden gehabt,
eine Erscheinung, die regelmässig bald wieder verschwand.
Die Beeinflussung des Karzinoms in günstigem Sinne ist augen¬
scheinlich. So verschwinden die Kardinalsymptome des inoperablen
Uteruskarzinoms: die Jauchung und Blutung, meist schon nach der
ersten Serie, die Schmerzen nach einigen Serien. Dementsprechend
ist in allen Fällen eine zunehmende Besserung des Allgemein¬
befindens zu konstatieren, die sich objektiv in der bisweilen erheb¬
lichen Gewichtszunahme dokumentiert. Fälle von ausgesprochener
Kachexie und schwerer Anämie bedürfen natürlich einer längeren
Erholungszeit.
Die objektive Untersuchung kann eine sukzessive Ver¬
kleinerung der Tumoren, eine Reinigung und Glättung der Knoten,
ein Zurückgehen der Infiltrationen mit gleichzeitiger geringer
Schrumpfung der der Bestrahlung ausgesetzten Teile konstatieren.
Abgesehen von geringer Schorfbildung an der Vaginalschleimhaut in
der Nachbarschaft vom Karzinom wurden Nebenschädigungen nicht
gesehen.
Die mikroskopische Kontrolle durch möglichst tiefgehende Ex¬
zision zeigt ausnahmslos ein fortschreitendes Zerfallen der Krebs¬
herde bis zum Fehlen der Karzinomzcllen. Dass ein Einblick in die
tiefer gelegenen Karzinomherde im Einzelfalle versagt ist, werden
alle mit Mesothorium Arbeitenden bedauern: so behält die Exzision
nur -eine sehr bedingte Bedeutung. Die Tiefenwirkung zu steigern
und sie zu kontrollieren, ist ein sehr berechtigtes Streben. Da die
Beurteilung der Erfolge sich in der Hauptsache auf die fehlenden
Symptome, die Untersuchung (Palpation, Inspektion und Exzision)
gründet, so ist dieselbe nicht leicht.
Das seit Januar dieses Jahres mit Mesothorium behandelte Ma¬
terial umfasst zurzeit 31 Fälle des Uterus- und Scheidenkarzinoms.
ln 2 Fällen, wo der Uterus nach W e r t h e i m nicht im Ge¬
sunden exstirpiert werden konnte, wurden die zurückgelassenen
Karzinomherde bestrahlt. 2 Fälle betrafen Scheidenrezidive nach
Uterusexstirpation. Die bisher genannten Fälle stehen noch in Be¬
handlung. , t
1 begrenztes primäres Scheidenkarzinom ist unter der Behand¬
lung verschwunden.
ln 26 Fällen handelte es sich um Uteruskarzinome mit oder ohne
Beteiligung der Scheide; darunter befanden sich 9 Portiokarzinome,
8 Zervixkarzinome und 9 Kollumkarzinome mit Uebergreifen auf die
Scheide.
22 dieser Fälle waren vollkommen inoperabel und hatten zum
Teil schon seit 1 Jahr Symptome des Karzinoms. Auch die Mehrzahl
dieser Fälle befindet sich noch in Behandlung, so dass ein ab¬
schliessendes Urteil über die primären Erfolge aller dieser Fälle noch
nicht möglich ist. , . . .
Die I. Serie haben hinter sich 10 Fälle; diese sind noch nicht
nachuntersucht.
Die II. Serie haben hinter sich 7 Fälle; gebessert sind 6, 1 Fall
kam an Lungengangrän ad exitum. Leider musste in diesem Fall die
Mcsothoriumbehandlung frühzeitig unterbrochen werden, so dass
das durch die Sektion (Prof. Dr. V e r s e) gewonnene Präparat für die
Frage der zuverlässigen Wirksamkeit des Mesothors und einer mög¬
lichen Dauerheilung leider nicht verwertet werden kann.
Die III. Serie haben hinter sich 3 Frauen, 1 ist gebessert; 2 sind
soweit günstig beeinflusst, dass die Behandlung vorläufig als beendet
betrachtet werden kann.
Nach der IV. Serie befinden sich 6 Frauen, gebessert ist 1; bei
5 Frauen fehlen jetzt die Symptome des Karzinoms vollkommen; die
Untersuchung lässt von Karzinom nichts mehr feststellen, nur atrophi¬
sche Genitalien mit teilweiser Narbenbildung; die Exzision ergibt
oberflächlich das Fehlen von Karzinomzellen; der Allgemeinzustand
ist wesentlich gebessert (Gewichtszunahme).
Durch Gegenüberstellung der Skizzen des Befundes über die
Ausdehnung des Karzinoms vor der Behandlung und des Befundes
nach derselben lässt sich der Bestrahlungseffekt bei den 7 Fällen,
welche mit Vorbehalt als zu Ende behandelt angesehen werden
dürfen, veranschaulichen. Erreicht sind diese Resultate durch Meso¬
thorium allein und zwar mit durchschnittlich 10 600 (bis über 13 000)
Milligrammstunden, einem durchschnittlichen üesamtaufenthalt in der
Klinik von 28 Tagen und einer Gesamtbehandlungsdauer von ca.
4 Monaten.
Wenn man bedenkt, dass es sich fast ausschliesslich um voll¬
kommen inoperable, also aufgegebene Fälle gehandelt hat, so muss
man dieses primäre Resultat der weitgehenden Besserung als einen
Erfolg einschätzen, wie wir ihn durch ein anderes Mittel beim in¬
operablen Uteruskarzinom bisher nicht erreicht haben. Ob diese
günstige Beeinflussung anhält, muss die Zukunft lehren.
Diskussion: Herr Payr spricht zur Indikations¬
stellung der Strahlentherapie für die Chirurgie.
Er begrüsst mit grosser Sympathie den streng kritisch abwägenden,
übereiltem Enthusiasmus abgeneigten Standpunkt Zweifels in der
Frage der Radiotherapie des Krebses mit Beschränkung ihrer Ver¬
wendung auf inoperable Fälle.
Den am letzten Chirurgenkongress zum Ausdruck, gebrachten
Ansichten K r ö n i g s. dass die Ergebnisse der Krebsoperationen so¬
wohl in der Gynäkologie, als in der Chirurgie so schlecht seien,
dass man verpflichtet sei, einmal einen anderen Weg der Behandlung
für alle Geschwülste (also auch die gut operablen) mit der für das
Fernresultat notwendigen Beharrlichkeit zu verfolgen, kann Payr
kein Verständnis entgegenbringen.
1. sind die Resultate der gynäkologischen Krebsoperationen doch
wohl nicht so schlecht, wie K r ö n i g meint.
Wenn Zweifel bei seinem grossen Materiale in 50 Pro z. der
Fälle eine Dauerheilung von 5 jähriger Dauer erzielen konnte, so
ist das als ein schöner und grosser Erfolg zu begrüssen. Man be¬
denke nur, dass den für unsere diagnostischen Fähigkeiten „ope¬
rablen“ Fällen doch schon eine grosse Anzahl tatsächlich inoperabler
zugesellt sind.
2. Der bei der gleichen Gelegenheit von K r ö n i g der chirur¬
gischen Krebsoperation gemachte Vorwurf ganz schlechter
Resultate ist nicht zutreffend!
Die von K r ö n i g als Beleg für seine Behauptung angeführten
spärlichen Zahlen sind durch ganz andere unserer verlässlichsten
Statistiken widerlegt. Es sei beispielsweise nur auf den Lippen-,
den Brust-, den Dickdarm-, den Mastdarmkrebs verwiesen!
Der Brustkrebs gibt in 30, ja in 35 Proz. bis 5 Jahre über¬
schreitende Dauerheilung. H a 1 s t e d u. a. verfügen über noch
wesentlich bessere Resultate. Die Unterschiede zwischen der 3 und
5 jährigen Beobachtungsmethode sind mit etwa 6 — 7 Proz. gefunden
worden. (W. Müller).
Wenn der Brustkrebsknoten zurzeit der Operation kleiner als
pflaumengross, noch nicht mit der Haut verwachsen und die Achsel-
lymphdriisen noch nicht deutlich fühlbar geschwollen sind, ergibt die
Operation in 73 Proz. Dauerheilungen, wenn der Krebsknoten über
pflaumengross, mit der Haut verwachsen und die Achseldrüsen ge¬
schwollen gefunden werden, in 24 Proz. Soll man also beispielsweise
eine Erkrankung, die bei frühzeitiger Diagnose in 73 Proz. durch
Operation dauernd geheilt werden kann, bloss des Prinzipes wegen
nach einer neuen Methode, deren unmittelbare Ergebnisse noch sehr
umstritten sind, über deren fernere Resultate man noch gar nichts
weiss, behandeln?
v. Eiseisberg konnte am letzten Chirurgenkongress in seinen
Mitteilungen über eine 10 jährige Beschäftigung mit der Radium¬
therapie über keinen einzigen Fall von Dauerheilung eines nicht rein
kutanen Karzinoms berichten.
Wenn viele Gynäkologen für ihr Krebsmaterial die universelle
Anwendung der Strahlentherapie für erlaubt halten und verlangen,
so ist das schliesslich ihre Sache; es geht aber nicht an, dieselbe For¬
derung auch für die zum grössten Teil ganz anders gearteten
chirurgischen Krebse zu stellen. Die Krebse des Oeso¬
phagus, der Gallenblase, der Bauchspeicheldrüse, des Magens und des
Darms sind nun einmal der Strahlentherapie nicht in derselben Weise
zugänglich. Auch erfordern gerade die Organe des Magendarm¬
kanals aus zahlreichen Gründen (Perforation, Stenose) viel grössere
Vorsicht in der Anwendung des Verfahrens.
Die offene Verkündigung des Programmes der operationsloscn
Behandlung des Krebses auf Kongressen von seiten hervorragender
Gynäkologen hält Payr angesichts der Tatsache der nicht hint¬
anzuhaltenden Verbreitung solcher Nachrichten in das Laienpublikuin
für bedenklich, da sie bei dem naturgemäss operationsscheucn
Kranken den Entschluss zu einem Eingriff verzögern oder unter¬
drücken. .
Die interessanten Beobachtungen Zweifels über protrahierten
Verlauf des Uteruskrebsps nach Ablauf entzündlich-plastischer Pro¬
zesse erinnern Payr an den wesentlich gutartigeren Verlauf des
innerhalb einer derben Ulcusschwiele des Magens entstandenen Kar-
zinomes.
Der Leipziger chirurgischen Klinik stehen nunmehr für die
Strahlenbehandlung für den Anfang genügende Mengen von Radium
zur Verfügung. '
Herr Payr hält es für seine Pflicht, dieselbe bei allen nicht
mehr radikal operablen Fällen in Anwendung zu bringen,
alle bisher mitgeteilten Erfahrungen zum Wohle der Kranken aus-
zuniitzen und die operierten Fälle prophylaktisch zu bestrahlen.
Herr Verse demonstriert aus dem pathologischen Institut
Präparate von zwei Karzinomfällen, in denen eine ziemlich er¬
giebige Bestrahlung mit Mesothorium intra vitam vorgenommen
worden war. Beim ersten handelte es sich um ein krater¬
förmig ulzeriertes Portiokarzinom, das nach den Angaben des
Herrn Privatdozenten Dr. Schweitzer in der Frauenklinik
während der Monate Januar und Februar 1914 in 2 Serien mit fast
9000 Milligrammstunden bestrahlt worden war. Der ursprünglich
weite, jauchende Krebskrater verkleinerte sich während dieser Zeit
so, dass die Patrone schliesslich nicht mehr bis oben hinauf geschoben
werden konnte. Die Temperatur der anfangs stets fiebernden 40 jälir.
Kranken war nach dem Abschluss der zweiten Serienbehandlung
18 Tage lang ganz normal. Dann traten aber unter erneutem Fieber
Lungenerscheinungen auf, die eine Verlegung nach der medizinischen
Klinik erforderlich machten, wo die Patientin 1 Monat später am
19. IV. starb. Bei der Sektion (L.-Nr. 640/14) fand sich eine totale
Gangrän des linken Unterlappens mit breiter Einschmelzung des
Zwerchfells und kleiner Perforation des subphrenischen gangränösen
Herdes in den Magen. In den Beckenvenen sassen blande Thromben.
An dem konservierten Präparat der Beckenorgane sieht man
den Vaginalkanal nach oben hin sich stark verjüngen; die Schleim¬
haut geht oberhalb der Mitte allmählich über in eine abgeglättete
Ulzerationsfläche, die an der Spitze des engen Trichters in den
14. Juli 1914.
MUFNCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1587
Zervikalkanal hineinreicht. Die Portio vaginalis uteri fehlt voll¬
ständig. Auf einem Sagittalschnitt mitten durch den Uterus erscheinen
in der Vorder- und Hinter wand der Zervix bis walnussgrosse Gc-
schwulstknoten mit kleinen zentralen buchtigen Zerfallshöhlen; die
1 umormassen setzen sich nach hinten bis in das rektouterinc Zell¬
gewebe fort. Das Corpus uteri ist frei.
Histologisch ist in der Vaginalwand von krebsigen Wucherungen
nichts nachweisbar. Die glatte Innenfläche wird in der oberen Hälfte
durch eine dicke, spärlich von Leukozyten durchsetzte Fibrinschicht
gebildet; das Gewebe darunter ist hauptsächlich von Rundzellen
streifig infiltriert. Besonders auffallend ist hier die starke binde¬
gewebige Verdickung und partielle hyaline Umwandlung der Wand
an den kleineren Blutgefässen, während die grösseren weniger ver¬
ändert sind. Das Lumen der erstcrcn ist z. T. ganz verschlossen.
Von unten her schiebt sich über den Rand der hier gereinigten
Ulzerationsfläche ein dünner Epithclbelag. Auch der Zervikalstumpf
ist an seiner der Vagina zugewandten Oberfläche mit Fibrin bedeckt;
auch hier trifft man unter dieser Schicht wieder die verdickten Ge-
fässwände, aber 1 — 2 mm tiefer bereits netzartig angeordnete, strang¬
förmige, frische Karzinomwucherungen. Diese durchziehen das ganze
makroskopisch bereits deutlich sich abgrenzende Gebiet in dichten
Zügen; das Zwischengewebe ist stärker entzündlich infiltriert. In
den zentralen Zerfallshöhlen wird die Oberfläche teilweise direkt von
einer dickeren Karzinomzellschicht bekleidet, also quasi epithelisiert;
andere Stellen werden von Granulationsgewebe gebildet. In der
Nachbarschaft tauchen einzelne kleine Nekroseherdchen hier und da
auf. Die krebsigen Wucherungen selbst erstrecken sich bis in das
Zellgewebe nach dem Rektum hin. Hier findet sich ebenfalls ein
zum Teil noch nicht gereinigter, eitriger Zerfallsherd, dessen Um¬
gebung auch von Karzinomzügen durchsetzt wird, welche in den
grösseren Lymphbahnen weit Vordringen. An seinem Rande bemerkt
man stellenweise reichliche Blutpigmentablagerungen. Die an-
stossendc Rektalschleimhaut erscheint unverändert. Die Drüsen pro¬
duzieren reichlich Schleim; die Solitärfollikel sind intakt.
Die Krebsmassen bestehen z. T. aus schmalen, oft spindel¬
förmigen plattenepithelähnlichen Zellen; z. T. sind die Zellen auch
etwas grösser, mehr polygonal. Eine Verhornung fehlt; Mitosen sind
spärlich. Sehr auffallend ist das ziemlich reichliche Vorkommen
grosser Zellen häufig mit ganz riesigen verklumpten Chromatinballen,
Vakuolenbildungen und partiellen hyalinen Umwandlungen im
Protoplasmaleib.
Vom zweiten Fall stand nur ein Ende April kurz nach dem Tode
durch Herrn Sanitätsrat Dr. B e n e c k e entnommenes Leberstück
zur Verfügung. Es stammte von einem 61 jähr. Potator strenuus, bei
dem sich auf dem Boden einer jahrelang bestehenden Leberzirrhose
seit 1/4 Jahren eine auffallend derbe Knotenbildung am vorderen
Leberrande entwickelt hatte, die zu Faustgrösse anwuchs und als
Karzinom angesprochen wurde. Eine sich immer stärker äussernde
Schmerzhaftigkeit gab Januar und Februar 1914 Anlass zu einer drei¬
maligen Bestrahlung mit Mesothorium von 6- bzw. 4- bzw. 3 ständiger
Dauer. Die Folge war eine gürtelförmige Verbrennung der Haut und
eine deutliche Verkleinerung und Erweichung des Knotens. Das Be¬
finden besserte sich erheblich, so dass man an der Richtigkeit der
vorher gestellten klinischen Diagnose Karzinom zweifelte. An
Uebersichtsschnitten von der post mortem exzidierten grösseren
Leberscheibe aus der Gegend dieses Knotens bemerkt man noch am
Rande durch breitere Bindegewebsstreifen abgetrennte Knoten aus
normalen Lebergewebszellen und in ihnen häufiger einmal zentrale
gallige Nekrosen, das andere Mal Zerstörungen durch ganz ab¬
weichend gebaute epitheliale Wucherungen. Diese beherrschen im
iibiigen das Bild; sie bestehen zum geringeren Teil aus mehr adeno¬
matösen, zum grösseren aus leberzellartig gewucherten polygonalen
Elementen von sehr verschiedener Grösse, die besonders in den
zentralen Partien auffallend reichlich zu riesigen Zellen mit mehreren
Kernen oder enorm grossen Chromatinverklumpungen anschwellen.
In den jüngeren Herden kommen mehrfach Mitosen vor. Diese so
zusammengesetzten Krebsnester liegen in einem breitbalkigen Stroma,
das mehrfach rundliche nekrotische Knoten und fibröse inselartige
Einlagerungen umschliesst, welch letztere offenbar durch Organisation
solcher Nekroseherde entstanden sind. An ihrem Rande sieht man
häufiger Blutpigment, dann aber auch gelegentlich noch besser er¬
haltene Karzinomzellstreifen.
In beiden Fällen treten also die auf die Mesothoriumeinwirkung
zurückzuführenden Tumorschädigungen sehr prägnant hervor: klinisch
in der Rückbildung und Besserung des Allgemeinbefindens, anatomisch
in den Nekrosen bzw. in den aus ihnen hervorgegangenen weiteren
Veränderungen (zystischer Zerfall, narbig fibröse Umwandlung).
Auch die enorme Reichhaltigkeit des Krebsgewebcs an riesigen Zellen
mit grossen unförmigen Chromatinballen an Stelle der Kerne und
sonstigen Degenerationszeichen ist sicherlich auf Rechnung der
Strahlenwirkung zu setzen. Diese Befunde deuten auf schwere intra¬
zelluläre Stoffwechselstörungen hin, die unter Aussetzen der Teilung
zu einer Hyperplasie mit weiterer Degeneration der Zellen führen,
soweit diese nicht direkt mortifiziert wurden, und es ist wohl denkbar,
dass durch Resorption dieses zerfallenden Materials dann weiterhin
eine Autolysatwirkung den Bestrahlungseffekt erheblich steigern kann.
Allem Anschein nach sind auf diese Weise oberflächlich gewucherte
und für die Strahlen leicht erreichbare Krebse zu beseitigen; unsicher
aber ist die Wirkung bei tiefer gelegenen Knoten. Im crstcren Falle
ist durch eine mittlere Dosis, welche zur klinischen Heilung kleinerer
Karzinome fast ausreicht, eine wesentliche Verkleinerung des Tumors
erzielt worden; aber bereits 6 Wochen nach Aussetzen der Bestrah¬
lung ist ein lebhaftes krebsiges Wachstum in den schwer erreichbaren
I eilen nachweisbar, obwohl sich auch hier die Zeichen der Strahlen¬
wirkung finden. Wenn auch die Behandlung zurzeit des Todes noch
nicht abgeschlossen war, so wäre sic weiterhin doch noch erschwert
worden durch die straffe narbige Verengerung des oberen Vaginal-
absclmittes, die eine tiefere Einführung der Patrone nicht mehr ge¬
stattete Die oberflächlichen Vaginalveränderungen sind als direkte
Verbrennungsfolgen aufzufassen. Wie weit die Lungengangrän mit
den in ihren Resten noch aufzuzeigenden eitrigen Schmelzungen in
der Tiefe des Karzinombezirks in Zusammenhang zu bringen ist, kann
anatomisch nicht entschieden werden.
Ob bei den von Herrn Schweitzer demonstrierten, klinisch
als geheilt anzusprechenden Fällen wirklich alles Krebsgewebe be¬
seitigt ist, muss dahingestellt bleiben. Es können sich Krebszellen in
dem narbigen Bindegewebe über ein Jahrzehnt erhalten, um dann
erneut wieder zu proliferieren. Das erhellt eindeutig aus solchen
Fällen, wo in Lymphdriiscn kleine Metastasen so lange latent blieben,
bis sie dann bei irgendeiner Gelegenheitsursache wieder zu wuchern
anfingen 1). Das zeigen auch Fälle, die E x n e r aus der Höchen-
egg sehen Klinik mitgeteilt hat, bei denen einmal nach 9 Jahren das
Rezidiv eines durch Radium anscheinend völlig geheilten Wangen¬
krebses, das andere Mal nach 7 Jahren bei einem ebenfalls als dauernd
geheilt betrachteten Oberlippenkarzinom der Rezidivtumor auftrat.
Die bei früher erscheinenden Rezidiven gelegentlich gemachte Er¬
fahrung, dass sie allen Bestrahlungsversuchenf besonders bei Rönt¬
genbehandlung) trotzen, ist jedenfalls auf eine besondere Strahlen¬
festigkeit dieser quasi durch Auslese übrig gebliebenen Zellen zu
beziehen, eine Resistenz, deren Grad nur dem der umgebenden Ge¬
webe annähernd gleichzukommen braucht.
Aerztlicher Kreisverein Mainz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 24. März 1914.
Herr Hugo Müller: Kasuistische Beiträge zur Salvarsan-
therapie bei Lues des Zirkulationssystems, Tabes und Paralyse.
An der Hand eigener Beobachtungen werden zunächst die schon
vor der Salvarsanzeit oft recht erfolgreichen Behandlungseffekte der
spezifischen Myokarditiden in Erinnerung gebracht. Kombinierte Hg
+ Jodbehandlung haben oft nur versagt, weil die Furcht vor Schä¬
digung des kranken Gefässsystems manchen Therapeuten sehr zum
Nachteile des Patienten von intensiver Merkurialisierung zurückhielt.
Und gerade hier hat nur Jahre hindurch auf das allerenergischste
durchgeführte Behandlung Aussicht auf dauernden Erfolg versprochen
und auch gehalten in vielen Fällen von den nicht so seltenen früh¬
luetischen wie auch bei den späten Myokarditiden. Eigene Wasser¬
mannkontrollen ergaben auch für die Frühfälle zum Unterschied von
den „tertiären“ dauernd erreichte negative Reaktion.
Heute kommt bei Herz- und Gefässlues dazu die Anwendung des
Salvarsans. Das bei Herzaffektion schwerer Form vermehrte Risiko
wird herabgesetzt durch vorsichtigste Dosierung, z. B. Altsalvarsan
0,1—0,25, durch Anwendung von Neosalvarsan und Joha. Um das
Gefässsystem nicht zu belasten, benutzt Vortr. prinzipiell Altsalvarsan
im Verhältnis von 0,4 zu 50 g CINa-Lösung schon seit einem Jahre.
Ein weiteres Herabgehen bei Altsalvarsan wurde vermieden,
nachdem sich einige Male bei sehr weiten Venen ausgedehnte
Thromben entwickelt hatten. Natürlich war ein unbedingter Zu¬
sammenhang nicht nachweisbar.
Trotz dieser Vorsichtsmassregeln wurden zwei akute Kollaps¬
fälle verzeichnet. Die Salvarsantherapie eines schwer Herzkranken
erfordert selbstverständlich die dauernde ärztliche Aufsicht; und wäre
in den eigenen Fällen dieselbe versäumt, so hätte hier vielleicht ein
sehr unglücklicher Ausgang stattgehabt. Das Risiko hat sich aber bei
den zum Teil ganz überraschenden Erfolgen gelohnt. Nur muss den
Angehörigen unbedingt die volle Tragweite des Eingriffs mitgeteilt
werden.
Sämtliche Salvarsancrfolge bei Aneurysma demonstriert Vortr.
durch Vorlegen der Röntgenaufnahmen. Hier sei nur hingewiesen
auf die besonders eklatanten Fälle Nr. 1, 2, 4.
Fall 1: Aortenaneurysma. Schwerste stenokardische Anfälle.
Nach 3 Altsalvarsaninfusionen (Kollaps!) bei objektivem, messbaren
Rückgang volles Wohlbefinden. — Fall 2: Aortenaneurysma,
schwere Insuffizienz, Tachykardie, Stauung etc., Struma, Akromegalie
(ex lue?). Joha 5 X 0,1 — 0,4 (Dr. Busch). Herzdämpfung normal,
Atemnot gebessert. Tachykardie (Basedow) fortbestehend. —
Fall 4: Schlecht durchbluteter Patient, erscheint viel älter, als er
ist. Subnormale Temperatur, angeblich seit Jahren. Aorten¬
aneurysma incip. Nach erster Salvarsaninfusion Normal¬
temperatur.
Auch bei hochgradiger peripherer Arteriosklerose wurde Sal-
varsan in kleinen Dosen (höchstens 0,25) infundiert, unter anderen bei
53 jähriger Patientin nach vorhergegangener Apoplexie bei zugleich
bestehender Herzaffektion. Fühlbare Gefässe kalkhart. Kinderhand¬
grosses Ulcus cruris ohne Varizen. Spezifische Anamnese. Kom-
*) Vgl. Verse: Das Problem der Geschwulstmalignität.
G. Fischer, Jena 1914, S. 34.
1588
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
plettes Versagen der alten Methoden, ein Jahr hindurch angewendet,
während Salvarsan die Ueberhäutung erwirkte.
Vortr. berichtet dann über Ergebnisse der Serieninfusionen bei
Tabes und Paralyse. Die Frühtabes ergab, wie bei anderen
Autoren, ermutigende, zum Teil überraschende Resultate. Bei Para¬
lyse trat dagegen gelegentlich nach scheinbarer Besserung bzw.
langdauernder Remission ein rapides Fortschreiten des Leidens ein.
Doch ist hier die Beobachtungszeit unzureichend und Vortr. in diesen
neurologischen Fragen inkompetent.
Herr Rissom: Zur Frühdiagnose der syphilitischen und meta¬
syphilitischen Erkrankungen des Zentralnervensystems. (Selbst¬
bericht.)
Bei den sog. metasyphilitischen Erkrankungen des Zentralnerven¬
systems, insbesondere Tabes und Paralyse, handelt es sich um eine
chronische Spirochätose des Zentralnervensystems (Demonstration
eines Noguchipräparats der Hirnrinde mit mässig-reichlichen Syphilis-
spirochäten im Parenchym). Man fasst daher die Qesamtheit der
syphilitischen Erkrankungen des Zentralnervensystems am besten als
syphilogene Erkrankungen zusammen. Die sog. metasyphilitischen
Erkrankungen des Zentralnervensystems sind das Endstadium einer
diffusen Infektion dieses Organs, wahrscheinlich ausgehend von den
Meningen. Das Zentralnervensystem, insbesondere die Meningen sind
ähnlich wie die Haut eine Prädilektionsstelle für die syphilitische
Infektion. Durch systematische Untersuchungen ist festgestellt, dass
bei SO Proz. der Syphilitiker im Sekundärstadium Veränderungen im
Liquor cerebrospinalis nachweisbar sind. (Schilderung der Technik
der Liquoruntersuchung: Lymphozytose, Qlobulinreaktion, Wasser¬
mann sehe Probe verfeinert durch das Auswertungsverfahren nach
Hauptmann)
Bei Verdacht einer syphilitischen Erkrankung des Zentralnerven¬
systems ist neben der serologischen Untersuchung des Blutes daher
stets die Lumbalflüssigkeit zu prüfen. Die 4 Reaktionen von Nonne.
Bericht über Liquoruntersuchung bei 29 Fällen. Darunter 18 mit
klinischen Erscheinungen einer syphilogenen Erkrankung des Zentral¬
ervensystems, 11 mit Verdacht der Erkrankung.
WaR.
im Blut
Lympho¬
zytose
Globulin¬
reaktion
Phase I
WaR.
im Liquor
ausgewertet
<u
+
-
+
—
+
—
+
-
Frühes Sekundärstadium
Cephalalgia syph .
3
1
2
3
3
1
2
Spätlatenz (5—12 Jahre) . . .
11
11
—
1
10
1
10
1
10
Lues zerebrospinalis .
5
1
4
5
—
5
—
5
1
Tabes dorsalis (initiale Form)
5
2
3
5
5
—
4
Dementia paralytica .
5
3
2
5
5
—
5
Die Zahl der untersuchten Frühfälle ist zu gering, um verwendbar
zu sein; auch handelt es sich um Fälle, bei denen der Verdacht
meningealer Infektion durch klinische Erscheinungen erweckt war.
Gegenüber den von zahlreichen anderen Autoren festgestellten
80 Proz. Frühinfektionen der Meningen bzw. des Zentralnerven¬
systems fand sich bei 11 Spätluetikern mit positiver WaR. im Blut,
bei denen die Lumbalpunktion zur etwaigen Frühdiagnose einer zere¬
bralen oder spinalen Infektion gemacht wurde, nur einmal ein posi¬
tiver Liquorbefund. In diesem Fall, der somatisch frei war, erweckte
ein mässiger Depressionszustand mit angedeutetem Intelligenzdefekt
den Verdacht inzipienter syphilogener Gehirnerkrankung. Der kura¬
tive Effekt einer eingeleiteten Salvarsankur war günstig. Bei 4 Fällen
von Lues cerebri, 3 Fällen von Tabes incipiens, 2 Fällen von Para¬
lysis progressiva inc. fand sich bei negativer WaR. im Blut, posi¬
tive WaR. im Liquor nebst Lymphozytose und positiver Phase I.
Ein Fall von Tabes hatte negative WaR. im Blut und Liquor, dagegen
positive Phase I und mittlere Lymphozytose.
Es ergibt sich daraus, dass bei Syphilitikern mit normalem
Krankheitsverlauf trotz positiver WaR. im Blut der Liquor meist
spontan in der Spätlatenz zur Norm zurückkehrt. Die syphilitische
Infektion des Zentralnervensystems, die fast in jedem Fall zu Beginn
des Sekundärstadiums eintritt, heilt also trotz unzureichender Be¬
handlung meist spontan wohl durch Bildung von autogenen Abwehr¬
stoffen Auffallend ist, dass bei beginnender Tabes und Paralyse
sowie bei einigen Fällen von Lues cerebri das Leiden sich bei nega¬
tiver WaR. im Blut entwickeln kann. Vielleicht ergibt sich hieraus
ein Fingerzeig zur Erklärung, warum in den einen Fällen die Infektion
des Zentralnervensystems zur Ausheilung kommt, in anderen Fällen
zur chronischen Erkrankung führt. Bekanntlich schliessen sich Tabes
und Paralyse fast ausschliesslich an leicht verlaufende Luesfälle an.
Man kann annehmen, dass bei diesen blanden Infektionen der Körper
nicht genügend zur Bildung von Immunkörpern angereizt wird, so
dass die in die als Prädilektionsstelle der Luesinfektion erkannten
Meningen gelangten Spirochäten ungehindert sich entwickeln und
ihren Vormarsch in das Hirnparenchym bzw. die spinalen Wurzel¬
ganglien antreten können. Als Ursache des Haftenbleibens der Spiro¬
chäten im Zentralnervensystem würde sich demnach eine Verminde¬
rung der Spannung zwischen Infektion und Organismus ergeben, die
einerseits durch eine Abschwächung des Infektionsstoffes (milde In¬
fektion) bedingt sein kann, andererseits durch Vermehrung der natür¬
lichen Schutzstoffe im Organismus verursacht sein kann (Disposition).
Remission und Exazerbation bei Paralyse und Tabes würden sich aus
dem Spiel und Widerspiel zwischen Spirochätenanreicherung im
Zentralnervensystem’ und verspäteter Antikörperbildung erklären.
Die negative Blutreaktion bei den aufgeführten Fällen zeigt an, dass
die Neigung zur Bildung von Reaktionsstoffen auf die Infektion in
diesen Fällen gering ist. Quelle dieser Reaktionsprodukte ist der
Ort der Infektion. Daher das Vorausgehen der positiven WaR. im
Liquor.
Wichtig ist die Untersuchung des Liquor ferner zur Beurteilung
des erzielten Behandlungserfolges. Die aufgeführten Fälle mit posi¬
tivem Liquor wurden sämtlich einer energischen Hg-Salvarsankur
unterworfen. ...
3 SR. negative, L. positive Fälle von Tabes wurden im Liquor
negativ. Die somatischen Ausfallserscheinungen Argyll Robertson,
W e s t p h a I sclies Phänomen blieben unbeeinflusst. Die subjektiven
Beschwerden verschwanden.
3 SR. negative, L. positive Fälle von Lues cerebri wurden klinisch
geheilt und im Liquor negativ.
3 SR. negative, L. positive Fälle von Paralyse zeigten eine V er-
minderung der Reaktionsbreite im Liquor. Einer kam inzwischen
zum Exitus.
Es muss angestrebt werden, durch grundsätzliche Liquorunter¬
suchung bei jedem Spätluetiker eine persistente Infektion des Zentral¬
nervensystems frühzeitig zu erkennen. Negative WaR. im Blut bei
positiver Anamnese begründet keineswegs eine Unterlassung dieser
Untersuchung. Die Behandlung früh erkannter Restinfektionen des
Zentralnervensystems mit Salvarsan bietet Aussicht auf Erfolg.
Diskussion: Herr Herzog berichtet über ausserordentlich
günstige Erfolge bei syphilitischen Herz- und Gefäss-
erkrankungen, insbesondere bei Aortitis und Aneurysma. An
Röntgenbildern wird der sichtbare Erfolg der Salvarsantherapie bei
einem Aneurysma der Aorta ascendens und des Arkus gezeigt: eine
deutliche beträchtliche Verkleinerung des Aneurysmaschattens; gleich¬
zeitig Verschwinden der subjektiven und objektiven kardialen
Störungen. , .. ^
Herr Curschmann freut sich, dass jetzt auch die Dermato¬
logen ganz von der ambulanten Salvarsanbehandlung abgekommen
sind. Bei vorsichtiger Dosierung hat C. niemals Herzschädigungen
nach Salvarsan gesehen, auch nicht bei erkranktem Herz, Aortitis,
Nephritis etc. Dass die 200 ccm Flüssigkeit (intravenös zu¬
geführt) an sich für das Herz eine schädigende Mehrarbeit bedeuten,
ist zu verneinen; dazu ist die Menge zu gering. Selbstverständlich
bedürfen grobe Kompensationsstörungen vor der Salvarsanbehand¬
lung einer Digitalis- oder Strophanthustherapie. C. bestätigt die ver¬
blüffend günstigen Erfolge des Salvarsans bei Aortitis und Aneurysma:
es gelingt völlige Beschwerdefreiheit und temporäre komplette
Arbeitsfähigkeit zu erreichen; Bericht über einschlägige Fälle. Auch
bei peripherer luetischer Arteriitis (intermittierendes Hinken) vor¬
zügliche Erfolge.
Bezüglich der Frage der Metalues des Nervensystems
plädiert C. dringend für die Beibehaltung dieses klinisch und ana¬
tomisch wohlfundierten Begriffs. Die Tabes als parenchymatöse
Spirillose des Rückenmarks etc. zu bezeichnen (vergl. Rissom) ist
ein bedauerlicher Verstoss gegen den anatomischen Begriff der Tabes.
Bei Ausführung der Liquoruntersuchungen bittet C. die Esbach sehe
Reaktion ganz fortzulassen und eventuell durch die Phosphor¬
wolframsäurereaktion (nach Pfeiffer u. a.) zu ersetzen. Auch bei
vorgeschrittener Tabes und Paralyse hat C. übrigens stets Lympho¬
zytose (bisweilen geringen Grades) gefunden. Wenn nun auch die
Liquoruntersuchung bei inzipienten oder unklaren Fällen notwendig
ist und auch von Metaluetikern meist gut vertragen wird, so sollte
man doch die Kranken nicht mit einer permanenten „Liquorkontrolle“
quälen. Es wird heutzutage zweifellos an Luetikern aus Prinzipien¬
reiterei viel zu viel punktiert! Was die Frage einer Tabes non
syphilitica anbetrifft, so widerspricht C. entschieden: es gibt nur
tabes ähnliche Zustände ohne Lues, niemals anatomisch echte
Tabes; die F o u r n i e r - E r b sehe Lehre ist heute gesicherter, als je.
Die Behauptung, dass eine Lues gravis (bezüglich der Haut¬
erkrankung, Rezidive. Gummata etc.) keine Tabes im Gefolge habe,
ist nicht ganz richtig- C berichtet über maligne tertiäre Lues (Knochen,
Leber etc.) mit gleichzeitiger Tabes. Auch bei intestinaler Lues ins¬
besondere der Aorta ist oft (inkomplette) Tabes sehr häufig.
Beim Zustandekommen der Metalues des Nervensystems möchte
C. dem Vortr. gegenüber drei Momente stärker betonen: 1. das endo¬
gene Moment der Disposition (Beispiele von Mitgliedern derselben
Familie mit akquirierter Lues verschiedener Provenienz, die alle Tabes
oder Paralyse bekamen), 2 das exogene Moment der unterstützenden
andersartigen Schädigungen, a) des Aufbrauches (Paralyse der Ge¬
dächtnisarbeiter, z. B. der Schauspieler), b) der toxischen, klimatischen
und traumatischen Einwirkungen und endlich c) die Lehre von der
Syphilis ä virus nerveux (Lues und Tabes der Ehegatten, gehäufte
Tabesfälle bei Masseninfektion aus derselben Quelle, z. B. Soldaten,
Glasbläser). Zum Schluss betont C. seine Freude darüber, dass das
herostratische Bemühen eines nicht qualifizierten Beurteilers in Berlin
nur zu einem energischen Appell f ü r das Salvarsan bei allen Er¬
fahrenen geführt habe und bedauert die parteipolitische Aus¬
schlachtung der Salvarsandiskussion der Tagespresse (sowohl pro als
contra).
Herr Busch berichtet über einen Späterfolg der Salvarsan¬
behandlung bei zerebraler Syphilis: 50 jähriger Flurschütze, Lues vor
mehr als 20 Jahren, wiederholt antiluetisch behandelt, trat am 19. Sep¬
tember 1913 in Behandlung wegen Hemiparese im rechten Bein.
Blutwassermann negativ. Therapie Hg-Schmierkur, welche alsbald
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1589
wegen Stomatitis unterbrochen werden musste, Jod und Salvarsan
intravenös in «tägigen Abständen 0,3, 0,3, 0,4.
Nach 4 Wochen keinerlei Anzeichen von Besserung, so dass
Invalidisierung vorgeschlagen wurde. Patient begab sich auf eigenen
Wunsch zur Erholungs- und Badekur in den Odenwald, ohne danach
w ieder in der Sprechstunde zu erscheinen. Eine zufällige Begegnung
auf der Strasse nach 3 Monaten zeigt Patienten vollkommen wieder¬
hergestellt und dienstfähig. Der Erfolg wird vom Patienten natürlich
allein den Stahlbädern zugeschrieben.
Es kann sich indessen nur um einen verzögerten Salvarsanerfolg
handeln, wobei die relativ geringen Depots zur Heilung genügten
Referent warnt deshalb, wie Dreyfus (M.m.W. 1914 Nr 10) vor
voreiliger Entmutigung bei anfänglich ausbleibender Salvarsan-
wirkung in solchen Fällen.
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 6. Mai 1914.
Herr Klar: Demonstrationen: 1. Fall von beiderseitiger
Arthropathia deformans coxae juvenilis ( Ar thrititis deformans juve¬
nilis Perthes). 17 jähriger Landwirtssohn mit infantilem Körperbau
und kindlichen Genitalien, Schilddrüse nicht paipabel, Aussehen eines
9— -10 jährigen, klagt seit 2 Jahren über zunehmende Beschwerden
beider Hüftgelenke: Bewegungsbehinderung, watschelnder Gang,
leichte Ermüdbarkeit, zeitweise Schmerzen, besonders rechts nach
körperlichen Anstrengungen. Es besteht ziemlich starke Lenden¬
lordose, Behinderung der Abduktion und der Adduktion bei freier
Nexion. Im Durchleuchtungsbild keine Coxa vara, rechts deut-
liehe Abflachung der oberen Kappe des Kopfes des Oberschenkels,
links ausgedehnter Knochenschwund und fast vollständige Zerstörung
des Kopfes (herdweiser Knochenschwund). Die Eröffnung des linken
Hüftgelenks vom Hüter sehen Längsschnitt aus ergab, dass an Stelle
des geschwundenen Knochens ausgedehnte höckerige Knorpel¬
wucherungen getreten sind, die zum Teil entfernt wurden. Beider¬
seits ist der Trochanter major, an dem die Epiphysenlinien offen sind,
hypertrophisch. Pirquet und Wassermann negativ, Trauma ist nicht
erfolgt, Intelligenz stark reduziert. In den Handgelenken fehlt der
Knochenkern des Os pisiforme. Da offenbar auf myxödematischer
Basis das Leiden entstanden ist, wird innerlich Schilddrüse gegeben
und ausserdem mit Heissluftbädern, Massage der Glutäen und der
Hüftgelenke und mit Medikomechanik behandelt, mit offensichtlicher
Besserung der Beweglichkeit und des Ganges, nachdem nach der
Operation 4 Wochen lang links extendiert worden ist.
2. 5 jähriger Junge mit Ostitis fibrosa cystica im linken Ober¬
arm. Die gut pflaumengrosse Zyste wurde entdeckt bei der Durch¬
leuchtungsaufnahme wegen Oberarmbruchs, den sich das Kind durch
ganz leichten Fall auf die linke Schulter zugezogen hatte. 14 Tage
Desault, danach zeigt sich im Durchleuchtungsbild deutliche Kallus-
bildung rings um die Zyste herum; um den Kallus weiter anzuregen,
Weiterbehandlung mit Heissluft und kräftiger Massage; sollte dies
nicht ausreichen, so wäre nach Auskratzung der Zyste Implantation
einer Fibula vorzunehmen. Nachträglich gibt die Mutter an, dass der
1 at. etwa 2 Wochen vor dem Unfall über Schmerzen in der Schulter
beim Anziehen der Kleider geklagt habe.
3. Durchleuchtungsbild des rechten Handgelenks einer 30 jähr.
Frau, bei der nach akutem Gelenkrheumatismus in allen Gelenken
eine Schwellung des rechten Handgelenks zurückgeblieben war;
dieses wurde von anderer Seite mit Einreibungen und Ruhigstellung
2 Monate lang behandelt; in dieser Zeit trat vollständige Ankylose
des Gelenkes in extremer Volarflexion ein, und das Durchleuchtungs-
bild zeigte bei dem Eintritt in die Behandlung des Vortragenden, dass
in der relativ kurzen Zeit vollständige Verschmelzung sämtlicher
Handwurzelknochen untereinander eingetreten ist, so dass es un¬
möglich ist, die einzelnen Knochen voneinander zu unterscheiden-
die Spongiosabälkchen gehen durch sämtliche Knochen hindurch, so
dass das Konglomerat der Handwurzelknochen als ein einziger
Knochen imponiert; ausserdem bestehen mehrere Knochenbrücken
z.wischen dem Radius und der Ulna einerseits und der Handwurzel
andererseits; die Brücken wurden in Narkose durchbrochen, und
noch am Operationstage begann die Nachbehandlung mit Heissluft¬
bädern, Massage und passiv-aktiver Gymnastik, mit der nach 3 Mo¬
naten so viel erreicht wurde, dass die Hand jetzt in Strecksteilung
steht, die Volarflexion aktiv vollkommen frei ist und die Dorsalflexion
passiv um etwa 20°, aktiv unter Schmerzen und Knochenreibe¬
geräuschen um 45 0 möglich ist. Pat., die Falzerin in einer Druckerei
ist, wird in dieser Woche noch ihre Arbeit wieder aufnehmen, aber
noch weiterbehandelt werden müssen. Der Fall lehrt, dass man nicht
jedes „entzündete“ Gelenk ruhigstellen darf.
Herr Baum: Diagnostische Eigentümlichkeiten des Korpus¬
karzinoms des Magen. (Erscheint als Originalartikel in dieser Wo¬
chenschrift.)
Sitzung vom 20. Mai 1914.
Herr v. Stubenrauch: Die deformierende Gelenkentzündung
im Lichte neuerer Forschungen. (Erschienen in Nr. 27 u. 28 der M.m.W.)
Diskussion: Herr Fr. v. Müller und Herr v. Stuben¬
rauch
Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. Juni 1914.
Herr Wessely: Demonstrationen:
a) Befunde bei experimentellem Katarakt.
Auf experimentellem Wege, und zwar durch Injektion geringer
Mengen gallensaurer Salze in den Glaskörper, gelingt es, beim Kanin¬
chen eine langsam fortschreitende Degeneration der Netzhaut und
Aderhaut zu erzeugen, die im ophthalmoskopischen Bilde einschliess¬
lich der aufsteigenden Sehnervenatrophie den beim Menschen zur Be¬
obachtung gelangenden Chorioretinalatrophien sehr ähnelt. So wie
dort kam es auch in den Versuchen zu einer am hinteren Pol der
Linse beginnenden Kataraktbildung, die in einer Reihe von Fällen
total wurde. Die mikroskopischen Präparate ergaben dabei voll¬
ständige Analogien zu den beim subkapsulären Rindenstar in der Linse
auftretenden Veränderungen.
b) Experimentelle isolierte lioruhautanästhesie.
Einmaliges Umfahren des Limbus corneae bei Kaninchen mit
dem Dampfkauter schädigt die zutretenden Trigeminusendigungen
derart, dass eine sich über 2 — 4 Wochen erstreckende vollständige
Hornhautanästhesie entsteht. Eine Keratitis neuroparalytica tritt da¬
bei niemals auf, auch wenn die Tränendrüse gleichzeitig exstirpiert
wird. Das Experiment bestätigt also von neuem, dass zur Entstehung
der neuroparalytischen Entzündung die Schädigung im Nerven weiter
zentralwärts sitzen muss.
c) Physiologische falsche Lokalisation.
Bei abwechselnder Belichtung der Augen durch die geschlossenen
Lidei wird der Lichtschein falsch, nämlich stets temporalwärts, lokali-
smrt, was auf den monokularen Anteil des diffus belichteten Auges
nn Gesichtsfeld zurückzuführen ist. Aehnlich wird auch an geeigneten
stereoskopischen Vorrichtungen die Zunahme der Lichtstärke eines
von der Mehrzahl der Untersuchten an einer temporalen
crhellung des Gesichtsfeldes des zugehörigen Auges erkannt. Dieser
Unterscheidbarkeit rechts- und linksäugiger Eindrücke ist bei einer
Reihe von Simulationsproben Rechnung zu tragen.
d) Form der Augenpulskurve.
Bei der graphischen Registrierung des Augendruckes stellen sich
die einzelnen Pulse für gewöhnlich als einfache wellenförmige Er¬
hebungen ohne katakrote Elevationen dar. Letztere treten indessen
auch am Augenpulse auf, sobald die Karotispulse stark erhöht wer¬
de” (z B. durch Adrenalininjektionen). Auch künstlich erzeugte
AJIorythmien (Pulsus bigeminus und trigeminus) spiegeln sich in der
Augenpulskurve wieder. Obwohl das Auge eine plethysmographische
Kurve schreibt, gibt sich also unter Umständen sogar in der Puls¬
form eine völlige Uebereinstimmung zwischen Augen- und Blutdruck
zu erkennen. Vortr. erörtert im Anschluss hieran von neuem diese
Beziehung und vor allem die von ihm bereits früher dargelegte Be¬
deutung der Blutverschiebung im Organismus für die jeweilige Höhe
des Augendruckes.
** V, * vr v UtUCl UIC uez.ieiiuilgerk „ .ovuvil
und Blutdruckschwankungen beim Menschen.
Vortragender demonstriert das S c h i o t z sehe Tonometer und
beschreibt dessen Anwendung. Sodann berichtet er über seine Be-
obachtungen und kommt zu dem Ergebnis, dass der Augendruck zum
Blutdruck in festem Abhängigkeitsverhältnis steht. Zahlreiche Ver¬
suche wurden angestellt an Frauen vor und nach dem Gebären, sowie
an Patienten, bei denen eine Schwitzkur indiziert war, vor und nach
dem Schwitzen. Nur in einzelnen Fällen ergaben sich geringe Ab¬
weichungen des Augendruckes, die auf vasomotorische Veränderungen
besonders nach der Schwitzkur, zurückzuführen sind.
Herr E. Seifert: Serodiagnostik von Staphylokokkenerkran¬
kungen.
Nach eingehender Schilderung des Prinzips und der Anwendungs-
weise berichtet Vortragender über seine Versuche mit dem Merck-
sehen Lysin. ■ Von 110 Personen hat er folgende Resultate: bei 40 Ge¬
sunden oder an indifferenten inneren Leiden (Asthma, Herzfehler etc)
Erkrankten: negativ; bei 30 an nichteitrigen Erkrankungen Operierten:
negativ; bei 16 nicht durch Staphylokokken hervorgerufenen Eite-
rungen: negativ; bei 24 Staphylokokkeneiterungen: positiv Ferner
fand Vortragender noch einige positive Resultate bei schweren Stö¬
rungen nach Schutzpockenimpfung, wo wahrscheinlich durch die
Impfung eine Staphylokokkeninfektion stattgefunden hatte, und 11 un¬
klare Falle, wo weder durch Anamnese noch Befund eine Staphylo¬
kokkenerkrankung sich hat nachweisen lassen. Knochenaffektionen
alter Leute sind oft auf Staphylokokken zurückzuführen, nicht auf
J uberkulose. Man soll auch andere Knochenerkrankungen, wie Ostitis
fibrosa, ferner Hirnabszesse etc. einer Serodiagnostik auf Staphylo¬
kokken unterziehen Knochenerkrankungen geben stärker positive
Resultate als Weichteilerkrankungen.
Berliner medizinische Gesellschaft
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 8 Juli 1914.
Vor der Tagesordnung:
^err lr.a.-”,d aJ“ demonstriert ein Präparat von Myomatosis uteri
von einer 31 Jähr. Pat., die im 3. Monat schwanger war; die Enuklea¬
tion liess sich bei der Grösse des Tumors, der bis ins Hypochondrium
1590
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
reichte, nicht ausführen. Die Prognose ist gut, von über 30 Fällen ist
Vortr. keiner zugrunde gegangen. Die frühere Ansicht, dass bei
Myomen Konzeption nicht eintritt, ist längst als unrichtig erwiesen.
Tagesordnung:
Herr Fuld: Zur Behandlung der Colitis gravis mittels Spulungen
von der Appendixfistel aus.
Demonstration eines geheilten Falles von blutigem Dickdarm¬
katarrh und eines weitgehend gebesserten Falles mit noch nicht ab¬
geschlossener Behandlung. Die Appendikostomie ist im Gegensatz
zu den chirurgischen Behandlungsmethoden ein unbedeutender Ein¬
griff, der einen durchaus haltbaren Zustand schafft (im Gegensatz
zu den Kotfisteln) und kann im übrigen leicht verschlossen werden.
Der Zweck der Fistel ist, eine erfolgreiche Spülbehandlung zu er¬
möglichen. Als Flüssigkeit bewährte sich ein Kupfersaccharatpräparat
(Beniform). Diese Behandlungsweise muss mindestens viele Monate
lang durchgeführt werden, wenn erforderlich kombiniert mit rektalen
Spülungen und Bougierung bei Neigung zu Stenosen. Die genannte
Behandlungsweise gewährt im Gegensatz zu der üblichen Art der
internen Behandlung eine erhebliche Sicherheit gegen das Eintreten
überraschender Verschlimmerungen mit profusen Abgängen, Beteili¬
gung der tieferen Schichten und Intoxikation, die oft unaufhaltsam
zum Tode führen würden.
Diskussion: Herr Albu: Die Diagnose ist nach Anamnese
und dem typischen rektoskopischen Befund nicht so schwer zu stellen
wie der Vortragende erklärte. Er hat nur 1 Fall von Appendikostomie
gesehen, der nach viermonatlicher Durchspülung gebessert war, dann
die Fistel einging und nach 1 Jahr rezidivierte. Die Durchspülung
von der Fistel könne Schwierigkeiten bereiten.
Herr Katzenstein hat die Fälle des Vortragenden, die
äusserst schwer waren, mitbeobachtet. Die Diagnose lasse sich
nicht allein aus der Anamnese stellen, da diese grosse Aehnlichkeit
mit der des Rektumkarzinoms habe.
Herr Fuld (Schlusswort): Der Fall von Herrn Albu sei nicht
lange genug behandelt; der von ihm vorgestellte sei jetzt 2 Jahre her.
Für aussichtslose Fälle wolle er die Methode nicht angewandt wissen,
da dann eben jedes Verfahren versage.
Herr Eckstein: lieber unbekannte Wirkungen der Röntgen¬
strahlen und ihre therapeutische Verwertung.
Schon seit 1896 ist die schmerzstillende Wirkung der Röntgen¬
strahlen bei Tumoren, dann auch bei Neuralgien, Rheumatismus und
juckenden Hautleiden bekannt. Nach Eckstein tritt diese Eigen¬
schaft auch bei Traumen, Frakturen, Luxationen, Kontusionen hervor.
Die Wirkung tritt augenblicklich ein. Oefters kommt es zum
völligen Verschwinden selbst starker Schmerzen. Die Wirkung soll
Stunden, ja Tage und Wochen anhalten. Es wurden harte oder
mittelharte Röhren, bei 0, 4—2,0 Milliampere, in 15—30 cm Fokus-Haut¬
distanz mit oder ohne Filter 3—7 Minuten lang betrieben.
Auch bei spastischen Zuständen, erhöhter Reflextätigkeit, zeigte
sich eine beruhigende bzw. schmerzstillende Wirkung, so bei gastri¬
scher Krise, bei epileptischen Anfällen.
Diskussion: Herr E r 1 e r.
Herr F. M. Meier: Es gelte bei der Röntgenbestrahlung das
physikalische Gesetz, dass zwischen Bestrahlung und Wirkung eine
Latenzzeit bestehe. Im Gegensatz dazu hat Vortragender sofortige
Wirkung. Ferner wünscht er genauere technische Auskunft.
Herr Eckstein: Schlusswort. W.-E.
Verein für innere Medizin und Kinderkeilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 6. Juli 1914.
Vor der Tagesordnung:
Herr Ewald demonstriert die anatomischen Präparate eines
47 jähr. Mannes, der plötzlich mit Atembeschwerden erkrankt war,
die das Schlucken hinderten. Die Speiseröhre liess die Magensonde
glatt passieren: Es fand sich klinisch kein Befund und der Fall ist
dadurch bemerkenswert, dass die Diagnose röntgenologisch gestellt
weiden konnte. Röntgenologisch war der Aortenschatten verbreitert,
auch im schrägen Durchmesser, zeigte jedoch keine Pulsation und es
wurde daher ein Mediastinaltumor diagnostiziert. Der Tumor war
nur faustgross und sass gerade zwischen Luft- und Speiseröhre. Er
erwies sich mikroskopisch als Lymphosarkom.
Diskussion: Herr Davidsohn: Berichtet über die Sektion
eines gleichen Tumors; jedoch hatten Lymphdrüsenmetastasen be¬
standen, bei deren Exstirpation von erster Seite Karzinom diagnosti¬
ziert worden war (Charitee), während es sich um ein Lymphosarkom
handelte. Die Metastasen zeigten schliesslich grosse Ausdehnung und
drangen ins Knochenmark vor. Herr Kraus fragt nach der Ur¬
sache des Todes, die bei dem kleinen Tumor nicht ersichtlich sei.
Herr Ewald (Schlusswort): Die Todesurasche sei unbekannt.
Der Unterschied gegenüber dem Davidsohn sehen Fall liege darin,
dass keinerlei weitere Veränderungen auf einen Tumor hinwiesen und
die Diagnose nur durch das Röntgenverfahren gestellt werden konnte.
Tagesordnung:
Herr L o e b - Göttingen a. G.: Experimentaluntersuchungen zur
Stoffwechselgenese der Arteriosklerose.
Der Vortragende macht zu seinen Untersuchungen zuerst folgende
Vorbemerkungen: Das Kaninchen leidet selten an spontan-arterio¬
sklerotischen Erkrankungen. Relativ häufig kommen noch Verände¬
rungen in der Media vor. während beim Menschen die Haupt- und
ersten Veränderungen sich in der Intima abspielen; auch bei anderen
Haustieren ist Arteriosklerose selten. Nur bei Schafen soll sie in
Argentinien epidemisch Vorkommen. .
Man hat nun neuerdings vielfach versucht, Arteriosklerose bei
Tieren experimentell zu erzeugen. Bekannt sind die Versuche
j o s u e s, durch Adrenalin experimentelle Arteriosklerose zu er¬
zeugen, jedoch ist die erzeugte Veränderung mit der menschlichen
Arteriosklerose mikroskopisch nicht identisch, wie dies ja schon
a priori nicht zu erwarten ist, weil die Intima des Kaninchens anders
gebaut ist. Jedoch lassen sich der menschlichen Arteriosklerose sehr
ähnliche Veränderungen beim Kaninchen durch Alkohol und ver¬
änderte Ernährung mit Fleisch erzeugen. Die nahe Verwandtschaft
dieser arteriosklerotischen Prozesse mit denen beim Menschen gehen
auch aus der Tatsache hervor, dass die gleichen Einwirkungen beim
Kaninchen Media-, beim Hunde Intimaveränderungen hervorbringen.
Der Vortr. geht nun sehr ausführlich auf die bei der Anstellung der
Versuche notwendigen und von ihm benutzten Kontrollen ein. Um In¬
fektionen auszuschliessen, wurden die Substanzen nur per os einver¬
leibt und immer Parallelversuche mit Tieren gleichen Wurfes ange¬
stellt. Weiter wurde untersucht, ob bei Hunden Spontanarterio-
sklerose vorkommt. Er fand dabei, dass bei 46 Hunden im Alter von
1 — 4 Jahren nie spontane Arteriosklerose vorhanden war, während
sie bei Hunden im Alter von 8 — 16 Jahren oft sich fand. Man hat in
neuerer Zeit über gelungene Versuche berichtet, mit Cholestearin
experimentell Arteriosklerose zu erzeugen. Die Richtigkeit dieser
Versuche ist neuerdings angczweifelt worden, weil zu grosse Dosen
von Cholestearin verwendet wurden und weil die Versuchsanordnung
vor dem Auftreten von Gefässveränderungen zirrhotische Prozesse
in der Leber setzt. Auch Aschoff schreibt infolgedessen dem
Cholestearin nur eine sekundäre Bedeutung beim Zustandekommen
der Arterieosklerose zu.
Der Vortr. prüfte dann auf Grund einer alten Beobachtung die
Wirkung der aliphatischen Aldehyde. Bei der Verfütterung dieser
Stoffe und ihrer Muttersubstanzen, wie z. B. der Milchsäure, wurden
in 14 von 16 Fällen, in 8—42 Tagen beim Kaninchen arteriosklerotische
Veränderungen hervorgerufen. Die Versuchsanordnung war so, dass
z. B. 0,5 g milchsaures Natrium 4 Wochen lang gefüttert wurde,
ferner Brenztraubensäure usw.
Der Autor stellte weiter fest, dass die Natriumsalze der Isobutter-
säure und der Isovaleriansäure Arterienveränderungen erzeugen, aber
nicht die Salze der Normalsäuren. Essigsaures Natrium war in bezug
auf Erzeugung der Arteriosklerose unwirksam, freie Essigsäure kon¬
stant wirksam, Salzsäure dagegen wieder unwirksam.
Es ergeben sich aus den Versuchen gewisse Schlussfolgerungen
für die menschliche Pathologie. Die Milchsäure entsteht bekanntlich
bei der Muskelarbeit und bei allen möglichen Vergiftungen, so dass
ihr auch beim Zustandekommen der menschlichen Arteriosklerose
eine Rolle zugeschrieben werden dürfte.
Auf Grund einer von ihm aufgestellten Arbeitshypothese ernährte
er Hunde einweissarm und führte dann Milchsäure, resp. Kohlehydrate
zu. Bei längerer Durchführung der Versuche erhielt er 9 mal posi¬
tive Resultate (experimentelle Arteriosklerose). Und umgekehrt
wirkte bei Kaninchen, die mit milchsaurem Natrium behandelt wurden,
Zufuhr von 20—30 g Hühnereiweiss oder des Ammoniumions prophy¬
laktisch, d. h. das Zustandekommen der experimentellen Arterio¬
sklerose verhindernd.
Der Vortragende fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen
folgendermassen zusammen:
Es ist also bei zwei Tierarten nahezu konstant gelungen, arterio¬
sklerotische Veränderungen zu erzeugen, die beim Hunde der mensch¬
lichen Arteriosklerose entsprechen. Die Milchsäure ist nur ein Proto¬
typ einer Reihe von wirksamen Substanzen. Vortr. glaubt, dass die
Milchsäure für das Zustandekommen der menschlichen Arteriosklerose
ebenfalls von Wichtigkeit ist.
Diskussion: Herr Bendor hebt die Bedeutung der Tat¬
sache hervor, dass es mit so einfachen Mitteln gelungen sei, eine der
menschlichen Arteriosklerose ähnliche Erkrankung zu erzeugen, wie
die aufgestellten Präparate ergeben, die tatsächlich Intimaverände¬
rungen aufweisen. Gemeinsam mit G. Klemperer hat er eine
Nachuntersuchung im Krankenhaus Moabit eingeleitet.
Herr David sohn weist auf die Schwierigkeit hin, bei Tieren,
die nicht spontan an Arteriosklerose erkranken, solche Veränderungen
zu erzeugen. Bei Vögeln, speziell Papageien, sind arteriosklerotische
Veränderungen häufig, und er empfiehlt diese zur Anstellung solcher
Versuche.
Herr R o t h m a n fragt an, ob an den Hirngefässen arteriosklero¬
tische Veränderungen ebenfalls vorhanden waren und ob Jod die ex¬
perimentelle Arteriosklerose verhinderte.
Herr Loeb antwortet, die Gehirngefässe seien nicht unter-
I sucht, er stelle sie aber gern zur Verfügung und lässt die Frage der
l Jodwirkung offen.
Herr H i s dankt dem Vortragenden für seine ergebnisreichen
Mitteilungen und hebt die Bedeutung der Befunde hervor, durch wohl¬
charakterisierte chemische Stoffe Arteriosklerose zu erzeugen.
Wolff-Eisner.
14. Juli 1914
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1591
Aus ärztlichen Standesvereinen.
40. Deutscher Aerztetag
in München am 26. und 27. Juni 1914.
(Eigener Bericht.)
(Schluss.)
II. Sitzungstag, 27. Juni, Beginn der Sitzung 9'A Uhr.
1. Antrag des Geschäftsausschusses:
„Der 40. Deutsche Aerztetag wolle seinen Geschäftsausschuss
beauftragen, durch das zuständige Kriegsministerium an Aller¬
höchster Stelle vorstellig zu werden, dass die Verordnungen über
die Ehrengerichte der Sanitätsoffiziere (für das Preussische Heer
d. Ver. v. 9. IV, 01 und deren Neudruck v. 15. VII. 10 und die
entsprechenden Verordnungen für Bayern, Sachsen und Württem¬
berg) dahin abgeändert werden, dass für die Sanitätsoffiziere des
Beurlaubtenstandes besondere Ehrengerichte gebildet werden, wie
solche für die Offizierskorps des Beurlaubtcnstandes und die Sa¬
nitätsoffiziere der Landwehrinspektion Berlin bereits bestehen.“
\ o g e 1 - Heppenheim: Der Antrag ist hervorgegangen aus dem
Wunsche, künftig die Stellung der Aerzte des Beurlaubtenstandes
besser zu wahren, um ernste Schädigungen des ärztlichen Standes und
des Heeres zu vermeiden. In kleineren Kreisen wurde die Ange¬
legenheit schon öfter besprochen, in letzter Zeit gaben bestimmte
Vorgänge, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen, noch be¬
sonderen Anlass. Zweck und Wesen der Ehrengerichte sind uns
allen bekannt. Die einschlägigen militärischen Bestimmungen gehen
aut Wilhelm I. zurück, sie sind dann in Preussen und entsprechend
in den Bundesstaaten noch weiter ergänzt worden. Für die aktiven
Offiziere bestehen Ehrengerichte bei jedem Regiment und selbstän¬
digen I ruppenteil, für die Offiziere des Beurlaubtenstandes ein Ehren¬
gericht bei jedem Bezirkskommando, gebildet aus Offizieren des Be¬
urlaubtenstandes. Für die aktiven Sanitätsoffiziere besteht ein Ehren¬
gericht bei jeder Division, und diesem unterstehen auch die Sanitäts-
oifizierc des Beurlaubtenstandes: sie besitzen also im Gegensatz zu
den Offizieren des Beurlaubtenstandes kein eigenes Ehrengericht.
Begründet wird dieses Verhältnis u. a. damit, dass die Aerzte des
Beurlaubtenstandes nicht mehr als notwendig ihren Berufsarbeiten
entzogen werden sollen, dass sie unbedingtes Vertrauen in die Wah¬
rung ihrer Interessen durch die aktiven Kameraden haben können, und
dass durch die gemeinsamen Ehrengerichte eine immer engere Ver¬
bindung der aktiven Sanitätsoffiziere und derjenigen des Beurlaubten¬
standes erstrebt werde. Das wäre alles recht, wenn die Voraus¬
setzungen so glatt wären. Bei Ehrensachen schwerster Art kann
allerdings sicher keine verschiedene Auffassung bestehen. Wenn es
heisst, man wolle die Aerzte des Beurlaubtenstandes nicht unnötig
dem Beruf entziehen, so ist zu bemerken, dass wir Aerzte ja an sich
schon Ehrengerichte haben und diese von den Kollegen reichlich in
Anspruch genommen werden; an erfahrenen Aerzten für die Ehren¬
gerichte würde es auch gewiss nicht fehlen. Das erwartete Näher¬
treten der aktiven und beurlaubten Militärärzte ist von mässiger
Bedeutung. Die aktiven Militärärzte haben ganz andere, dienstliche
Interessen, so dass sich beide Kategorien kaum nähertreten, nament¬
lich nicht in grossen Städten. In den wirtschaftlichen Kämpfen haben
die aktiven Herren sich teilweise in anerkennenswerter Weise auf
unsere Seite gestellt, manchmal war auch das Gegenteil der Fall,
sicher ist in letzter Zeit hierin eine Besserung erfolgt. Für die
aus dem Berufsleben entstandenen Streitfragen haben sich unsere
Standesgerichte im allgemeinen bewährt; da haben die Aerzte das
Recht, sich diejenigen, welche das richtige Mass von Erfahrung haben,
selbst zu wählen. Hier ist nun ein wichtiger Punkt für die Aerzte
des Beurlaubtenstandes zu bedenken: Sie unterstehen dem Ehrenrat
uer aktiven Militärärzte; wenn dieser zu keinem Ausgleich gelangt,
geht die Sache an das Ehrengericht. Viele Streitigkeiten entspringen
dem Berufsleben und z. T. den wirtschaftlichen Verhältnissen; diese
können den aktiven Sanitätsoffizieren nicht geläufig sein und die
Sanitätsoffiziere der Reserve haben keinen Einfluss auf die Wahl
der Ehrengerichte. Die Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes sind
nieist erheblich ältere Leute als die in den Ehrengerichten über sie
urteilenden Herren des aktiven Dienstes. Das ist für dieselben kein
erwünschter Zustand. Zudem besteht gerade bei den Ehrengerichten
d(jr aktiven. Offiziere und Sanitätsoffiziere ein grosser Formalismus.
vVeiter ist ein Nachteil die Grösse des Divisionsbezirkes, noch schwie¬
riger ist die Sache für die Marineärzte des Beurlaubtenstandes, für
welche überhaupt nur die beiden Ehrengerichte in Kiel und Wilhelms¬
haven in Betracht kommen. Wenn auf die Vorschrift verwiesen
wird, dass jeweils erst die Zivilehrengerichte zu hören sind, so be¬
stehen hier erhebliche Lücken, indem in verschiedenen Bundesstaaten
staatliche Ehrengerichte für die Aerzte fehlen und die Amtsärzte an
sich diesen nicht unterstehen. Eine andere Bestimmung sagt, dass in
7?.?. Ehrengericht für Militärärzte des Beurlaubtenstandes auch ein
Militärarzt des Beurlaubtenstandes zuzuziehen ist, das gilt aber nur
Jür die Spruchsitzung, nicht für den Ehrenrat und die Vorverhand-
ungen. Das wesentliche ist aber gerade der Ehrenrat, der die Mög¬
lichkeit hat, manchen schweren Folgen, die aus kleinen Sachen ent-
'telien, vorzubeugen. Schliesslich kommt noch dazu, dass die Sa¬
nitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes sehr wenig unterrichtet werden
über den Dienstgang und alle anderen militärische Dinge, und daher
-mpfinden es namentlich ältere Aerzte peinlich, wegen einer Kleinig¬
keit vor das militärische Ehrengericht mit allen seinen Formalitäten
zu kommen. Die Folge ist, dass viele ihren Abschied nehmen, sobald
es geht, und dass gerade hierdurch dem Heere viele Sanitätsoffiziere
entzogen werden. Aus allen diesen Gründen ergibt sich ohne weiteres
dass eine Verbesserung nur in der Errichtung eines eigenen Ehren-
rates und Ehrengerichtes für die Sanitätsoffiziere des Beurlaubtcn¬
standes bei jeder Division bestehen kann. Für die Errichtung eines
•.-?ngr?ri?htes bei iedem Bezirkskommando wäre die Zahl der Sa¬
nitätsoffiziere zu klein. Bei der Landwehrinspektion in Berlin ist
dies schon durchgeführt. Nähere Vorschläge wollen wir nicht machen.
,.IC pu tlg v\dre cs> von einem Mangel an erfahrenen Aerzten für
oies.^..7' ”r^.nKerichte zu sprechen, es wird sich überall ein geeigneter
Sanitätsoffizier z. D. oder a. D. (diese gehören ja auch zum Be¬
urlaubtenstand im weiteren Sinne) finden lassen. Jedenfalls sind
unsere Vorschläge ein Mittel, um den vorzeitigen Abgang der Sa¬
nitätsoffiziere aus der Armee zu vermeiden.
Der Vorsitzende dankt dem Berichterstatter für seine Aus¬
führungen.
D B art en st e in- Freiburg i. B.: Bei allen Sanitätsoffizieren des
Beurlaubtenstandes werden die Vorschläge mit Genugtuung aufge¬
nommen werden. Es fehlt aber die wichtigste Grundlage für die
Verbesserung: Während die Reserveoffiziere durch die Reserve-
offiziere gewählt werden, geschieht die Wahl zum Reservesanitäts-
ofnzier durch die aktiven Sanitätsoffiziere. Daher müsste es vor
allem durchgesetzt werden, dass auch die Sanitätsoffiziere des Be-
urlaubtenstandes durch ihre Kollegen des Beurlaubtenstandes gewählt
werden.
B a r t e 1 s - Hameln: An der vorliegenden Frage haben alle
Aerzte ein Interesse, denn es handelt sich um die Stellung der
Militärärzte überhaupt. Hier ist zwar manches gebessert worden,
aber immer noch wird ein gewisser Druck auf die Militärärzte ausge-
L iü DuS wiehtigste ist, dass wir die eigene Wahl erreichen und des¬
halb soll der Antrag in dieser Richtung erweitert werden. Ausser¬
dem empfiehlt sich die Errichtung der Ehrengerichte bei den Bezirks¬
kommandos, nicht bei den Divisionen.
D a v i d s o h n - Berlin: Ich kann den Antrag nicht ohne Ein¬
wand lassen, da ich selbst seit Bestehen der Ehrengerichte in
I reussen Mitglied eines solchen und erst seit kurzem aus dem
Militärverhältnis ausgeschieden bin. Wir haben jetzt in Preussen
4 Ehrengerichte: 1. Das bei der Aerztekammer, 2. das für Amtsärzte,
3. das für Dozenten und 4. das für die Sanitätsoffiziere. Es wird
immerhin schwer sein, für die Ehrengerichte der Sanitätsoffiziere des
Beurlaubtenstandes die geeigneten Herren zu finden, wenn man be¬
denkt, welche Konflikte in diesen Stellungen möglich sind. (Redner
erinnert u. a. daran, dass der II. Vorsitzende des Reichsverbandes
zu den führenden Sanitätsoffizieren der Beurlaubtenstandes zählt.)
Wichtig ist die Bestimmung, dass wenn eine Anzeige vorliegt, zu¬
nächst das Ehrengericht der Aerztekammer sein Urteil abgibt. Der
Vergleich mit den Ehrengerichten der Offiziere des Beurlaubten¬
standes ist nicht zutreffend, da unter letzteren eben Angehörige aller
Berufe vertreten sind. Würde künftig nicht mehr zuerst das Ehren¬
gericht der Aerztekammer befragt werden, so würden wir eines
wichtigen Schutzes verlustig gehen. Die Sanitätsoffiziere haben sich
im Kampfe mit den Krankenkassen vorzüglich bewährt und sich keine
Streikbrecher unter ihnen gefunden. (Zurufe.) Ganz vereinzelte
Fälle können dieses Urteil nicht ändern. Wir haben aber auch keine
Gewähr dafür, dass nicht Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes in
den Ehrengerichten eine übergrosse Schneidigkeit zeigen; denn gerade
hier begegnen wir oft einer schlecht angebrachten Schneidigkeit.
Sorgen Sie vor allem dafür, dass wir in allen Staaten ärztliche Ehren¬
gerichte bekommen, welchen die Sachen zur vorherigen Entscheidung
vorgelegt werden.
G u t s c h - Karlsruhe stimmt den Anträgen des Referenten zu;
denn tatsächlich scheidet eine Reihe von Sanitätsoffizieren des Be-
urlaubtenstandes deshalb aus, weil sie den Ehrengerichten der aktiven
Sanitätsoffiziere mit einem Gefühl der Unbefriedigung und Unter¬
sicherheit gegenüberstehen. Wenn wir nicht die Wahl durch die
Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes erreichen, empfiehlt es sich
vielleicht, die Wahl durch die aktiven und beurlaubten Sanitätsoffiziere
gemeinsam vornehmen zu lassen, also wenigstens nicht mehr allein
durch die aktiven Sanitätsoffiziere.
v. Wild-Kassel: Gegenwärtig scheiden tatsächlich viele Aerzte
des Beurlaubtenstandes, und nicht gerade die schlechtesten, möglichst
bald aus dem Militärverhältnis aus wegen der schiefen gesellschaft¬
lichen Stellung; darunter sind manche, die sich im Standesleben
unter den Aerzten eine gewisse Stellung gemacht haben. Vielfach
mögen auch Bedenken bestehen, die Entscheidung in Berufsstreitig¬
keiten in die Hände des militärischen Ehrengerichtes zu legen. Wenn
wir die Sicherheit haben, dass in erster Linie unsere ärztlichen
Ehrengerichte gehört werden, so ist das von grosser Bedeutung. Das
Wichtigste wäre die Wahl zum Sanitätsoffizier durch die Sanitäts¬
offiziere des Beurlaubtenstandes als ein Zeichen, dass unsere Kom¬
petenzen eine Erweiterung erfahren; denn bei den Offizieren besteht
noch allzu sehr die Neigung, alles das hervorzukehren, was sie vor
den Aerzten voraushaben. Im allgemeinen scheint die ganze Frage
doch nicht allzu eilig und noch nicht spruchreif zu sein.
W e i s s - Düsseldorf macht u. a. eine Bemerkung über die „Not¬
helfer“. Früher fand die Militärbehörde nichts besonderes dahinter;
das hat sich erfreulich geändert und es ist ein höherer Militärarzt,
der berufen war, im Ehrengericht ev. über Aerzte des Beurlaubten-
1592
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
Standes zu urteilen, später, als er eine Nothelferstelle annahm, mit
schlichtem Abschied entlassen worden.
Haker- Berlin beantragt den Uebergang zur Tagesordnung.
Da der Berichterstatter darauf verzichtet hat, Beispiele vorzubringen,
fehlt es dem Antrag an der notwendigen Begründung. Es ist über¬
haupt ein Fehler, diese einzelne Frage aus dem grossen Kapitel der
Stellung des Arztes des Beurlaubtenstandes herauszunehmen. Da die
Meinungen so wenig geklärt sind, sollte der Geschäftsausschuss auf
einem kommenden Aerztetag das ganze Thema zusammenfassend be¬
handeln lassen.
Ein Antrag auf Schluss der Debatte wird ange-
n omme n.
Vogel- Heppenheim widerspricht dem Antrag Haker. Wenn
Davidsohn auf die vorherige Einvernahme des ärztlichen Ehren¬
gerichtes hinweist, mit der man bisher gut ausgekommen sei, so
scheiden hierbei die beamteten Aerzte aus. Erst kürzlich spielte
der Fall eines Amtsarztes, der, trotzdem das Disziplinargericht ein
Einschreiten abgelehnt hatte, vor das militärische Ehrengericht ge¬
bracht wurde. Auch bei einem Dozenten kam es vor, dass der Spruch
der Fakultät nichts nützte, und gerade die Dozenten sollten der Armee
möglichst lange erhalten werden. Mit einer verkehrten Schneidigkeit
der Ehrenrichter muss man immer rechnen; die Hauptsache ist immer
der Ehrenrat, nicht das Ehrengericht. Eine geringere Einschätzung
der Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes bezüglich ihrer Eignung
zum Ehrenrichter ist nicht am Platze. Das Wichtigste ist die Er¬
fahrung in kollegialen Dingen und es wird von aktiven Oberstabs¬
und Generalärzten selbst zugegeben, dass sie in Verlegenheit kommen,
wenn sie über diese Dinge urteilen sollen, die sie nicht verstehen.
Gegen die Hereinziehung der Wahl in unsere Beschlüsse möchte ich
mich aus taktischen Gründen aussprechen; ich glaube, dass diese
Sache später von selbst sich regeln wird.
Die Abstimmung ergibt die Ablehnung des Antrages
Haker und die Annahme des Antrages des Geschäfts¬
ausschusses mit den Abänderungen von Bartels;
„Der 40. Deutsche Aerztetag wolle seinen Geschäftsausschuss be¬
auftragen, . . . vorstellig zu werden, dass die Wahl zum Sanitätsoffizier
des Beurlaubtenstandes in Zukunft nicht mehr allein durch die aktiven
Sanitätsoffiziere der betreffenden Division, sondern auch durch die
Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes vollzogen werden, und dass
die Verordnungen über die Ehrengerichte der Sanitätsoffiziere (....)
dahin abgeändert werden, dass für die Sanitätsoffiziere des Be¬
urlaubtenstandes besondere Ehrengerichte bei den einzelnen Be¬
zirkskommandos gebildet werden, wie solche für die Offizierskorps
des Beurlaubtenstandes und die Sanitätsoffiziere der Landwehrinspek¬
tion Berlin bereits bestehen.“
II. Die Wahl des Geschäftsausschusses hatte folgen¬
des Ergebnis:
Es erhielten Stimmen (nach dem Aerztlichen Vereinsblatt): Hart-
m ann- Leipzig 22 991, Winkelmann - Barmen 22 554, D i p p e -
Leipzig 22 463, Mugdan- Berlin 21 980, Pfeiffer- Weimar 21 868,
Vogel- Heppenheim 20 799, Franz- Schleiz 20 775, Sardemann-
Marburg 20 059, Dörfler- Weissenburg 19 996, R e h in - München
18 688, Werner- Quittainen 8957, Munter- Berlin 8687.
Diese 12 Herren sind daher in den Geschäftsausschuss g e -
wählt.
Weiter haben Stimmen erhalten: B o n g a r t z - Karlsruhe 7944,
B o k - Stuttgart 7567, Dyhrenfurth - Breslau 7563, Bessel-
m a n n - München-Gladbach 5964, B r u n k - Bromberg 4214, Hans-
b e r g - Dortmund 3267, Schustehrus - Danzig 2700, Richter-
Zeitz 2283, Fürbringer - Braunschweig 2242, H e n o p - Altona
1733, O p p e n h e i m e r - Strassburg 1214, K o p p e n - Aachen 912.
(Nach dem Aerztetag wurden in den Geschäftsausschuss kooptiert,
wie bisher: Bok, Brunk, Fürbringer, Hansberg, Henop
und Richter, neu : Bongart z, Dyhrenfurth und Schu¬
stehrus.)
Dem wegen beruflicher Ueberlastung ausgeschiedenen Mitglied
des Geschäftsausschusses, Geheimrat Prof. P a r t s c h - Breslau wurde
von dem Vorsitzenden der Dank und die Anerkennung für seine lang¬
jährige Tätigkeit ausgesprochen.
Auf dem Aerztetage sind vertreten 341 Vereine
durch 398 Delegierte mit 25 862 Stimmen.
III. Die Hebammenfrage.
Der Berichterstatter R i s s m a n n - Osnabrück hat folgende
Leitsätze aufgestellt:
1. Es ist für Deutschland auch heute noch zweckmässig, an der
bisherigen Ausdehnung der Berufstätigkeit der Hebammen¬
schwestern festzuhalten und nicht etwa Geburtshelferinnen
auszubilden.
2. Unser nächstes Streben muss dahin gehen, baldigst für die
Hebammenschwestern in jeder Beziehung das zu erreichen, was
Kranken- oder Säuglingsschwestern heutzutage schon gewährt
wird (Vorbildung, Ausbildung, Einkommen, Ruhegehalt usw.).
3. Die Hebammenschulen stehen am besten unter staatlicher Ver¬
waltung und bedürfen eines in jeder Beziehung reichlichen Ma¬
terials. So muss mit der Hebammenschule eine Poliklinik
(Mütter- und Säuglingsberatungsstelle) und eine geburtshilf¬
liche Poliklinik verbunden sein und ihr ein Mütterheim ange¬
gliedert sein. Auf die Heranbildung eines tüchtigen Hebammen¬
lehrerstandes muss viel mehr Gewicht als bisher gelegt
werden.
4. Wir bedürfen dringend eines deutschen Reichsgesetzes für Heb¬
ammen wie einer Mutterschaftsversicherung in Deutschland.
5. Die Aerzte, welche Geburtshilfe treiben, müssen das Heb¬
ammenlehrbuch kennen und zu jeder Geburt und Fehlgeburt
eine Hebammenschwester zuziehen.
6. Es muss für die Praxis — in ähnlicher Weise wie in Baden oder
Mecklenburg — ein engerer Zusammenhang zwischen Heb¬
ammenlehrer und praktischen Aerzten einerseits und den Heb¬
ammenschwestern andererseits geschaffen werden. Die Kreis-
(Amts-)ärzte können allein die Kontrolle der Hebammen in der
Praxis nicht ausführen.
Der Berichterstatter führt zu deren Begründung etwa fol¬
gendes aus: Im allgemeinen empfiehlt es sich nicht, die im Ausland, wie
Norwegen, England, Amerika, bestehenden Verhältnisse nachzuahmen.
Es werden am besten keine vollen „Geburtshelferinnen“ geschaffen,
sondern wir wollen wie bisher Hebammen haben, welche selbständige
Hilfe nur bei normalen Geburten und gewissen Notfällen leisten, im üb¬
rigen aber verständige und wohlausgebildete Helferinnen der Aerzte
sein sollen. Es ergeben sich viele Berührungspunkte der Hebammen
mit den sog. Säuglingsschwestern, welche letztere geneigt sind, sich über
die Hebammen zu erheben. Deshalb empfiehlt sich für diese ein gleich¬
artiger Titel: die „Hebammenschwester“. Es müssen aber auch sonst
möglichst gleiche Verhältnisse geschaffen werden. Die Ueberhebung
der Säuglingsschwester ist sachlich keineswegs berechtigt; denn die
Hebammen haben, während jene nur unter Aufsicht arbeiten, in vielen
Fällen die Behandlung allein durchzuführen. Hier spielt aber die Be¬
teiligung des Adels an dem Schwesternwesen mit, andererseits das
noch verbreitete sittliche Vorurteil gegen alle Geburtsvorgänge.
So erklärt sich auch auf Seiten der jüngeren Hebammen die Nei¬
gung, zu den Säuglingsschwestern überzugehen, was wiederum für
den Hebammenberuf eine Verschlechterung mit sich bringt Als Vor¬
bildung für die Hebammen wäre die Mittelschulbildung zu fordern;
vorläufig aber wird man sich noch mit einer guten Volksschulbildinig
begnügen müssen; bei den Schwestern wird die höhere Töchterschul¬
bildung verlangt. Diese Schulbefähigung zu prüfen dürfte aber kaum
Sache des Kreisarztes sein. Wenn man auf dem Standpunkt jenes
Juristen steht, der von der höheren Schulbildung der Hebammen
nichts wissen will, weil sie dann auch Anspruch auf höhere Ent¬
lohnung hätten, dann kommt man freilich nicht vorwärts. Bei den
Schwestern ist jetzt die Ausbildung eine längere und bessere; in
Preussen ist eine einjährige Ausbildung vorgeschrieben, für Röntgen¬
schwestern werden 2, für die Fürsorgeschwestern 3 Jahre gefordert.
Das Volkswohl und die Gerechtigkeit verlangen für die Hebammen
die gleiche Vorbildung und Ausbildung, aber auch gleiche Gehalts¬
und Pensionsverhältnisse. Geradezu traurig ist der Vergleich der Ein¬
kommensverhältnisse. In Charlottenburg erhält eine Fürsorge¬
schwester 1600 M. Anfangsgehalt, wobei auch für ihre Vertretung ge¬
sorgt wird, in Nürnberg erhält sie 1300 — 2000 M. und hat feste Be¬
amtenstellung. Bei den Hebammen dagegen sind viele Jahresein¬
künfte minimal; bisweilen treffen auf eine Hebamme auch nicht mehr
als 7—8 Geburten im Jahr. Seit langem ist da keine Besserung er¬
reicht worden. In Preussen ist zwar, nachdem der Entwurf eines
Hebammengesetz auf Verlangen der Konservativen zurückgezogen
wurde, ein Erlass des Ministeriums erfolgt, worin den Gemeinden
nahegelegt wird, den Hebammen ein Mindesteinkommen zu garan¬
tieren. Von seiten der Gemeinden geschieht das aber eben nicht.
Ohne Gesetz ist nichts zu machen. Wir verlangen nicht sofort feste
Anstellung der Hebammen, aber doch ein Mindesteinkommen und die
Bezahlung nach einer Gebührenordnung.
Bezüglich der Hebammenschulen herrschen noch vielfach un¬
klare Zustände durch die Zweiteilung in private und staatliche An¬
stalten, weiter sind die Prüfungsverhältnisse, die staatliche Kontrolle
und anderes noch sehr der Regelung bedürftig. Notwendig sind
grössere Zuschüsse, um das nötige Unterrichtsmaterial zu schaffen,
notwendig ist, das fühle ich mich trotz der bei den Aerzten bestehen¬
den Bedenken verpflichtet auszusprechen, auch die Angliederung
einer Poliklinik. Wenn die Poliklinik richtig geführt und nur nach¬
weislich Armen (Ausschluss der Kassenmitglieder) zugänglich ge¬
macht wird, ist sie für die praktischen Aerzte viel weniger bedenk¬
lich, als manche von den Damen der Gesellschaft protegierte Säug¬
lingsfürsorgestelle. Um aber ja keinen Anstoss zu erregen, empfiehlt
es sich wohl, diese Frage durch Vereinbarungen mit dem Geschäfts¬
ausschuss des Aerztevereinsbundes zu regeln. Damit die Hebammen
das Säuglingswesen kennen lernen, empfiehlt sich auch im hohen
Grade die Angliederung von Mütterheimen, die ja auch für die
Mütter und Kinder ungemein segensreich sind. In dieser Richtung
sind uns andere Staaten, wie Ungarn, weit voraus.
ln längeren Ausführungen behandelt Redner auch die Frage der
Hebammenlehrer. Hier besteht ein grosser Missstand in dem man¬
gelnden Nachwuchs, der dadurch hervorgerufen wird, dass dieser
Beruf keine Zukunft bietet. Unzulänglich ist im allgemeinen der
Unterricht durch praktische Aerzte und durch junge Assistenten, die
selbst noch viel zu lernen haben. Für die Hebammenschulen ist eine
selbständige Stellung, also event. die Loslösung von den Universitäts¬
kliniken das zweckmässigste. Die Vereinigung der Hebammenschule
mit einer Frauenklinik ist nur dann möglich, wenn ein sehr grosses
Material vorhanden ist, das für die Studenten und Hebammenschüler-
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDI ZINISCHE W O CH ENSC H R I FT.
1593
innen ausreicht. In diesem Falle soll eine eigene selbständige Ab-
tcilung für die Hebammenschule geschaffen und mit reichem eigenen
Material, I crsonal und eigenen Lehrmitteln ausgestattet werden. Der
gesamte theoretische und praktische Unterricht muss einem Lehrer
übertragen werden, der der Hebammenschule vorstcht und dem das
Personal untersteht.
Schwierigkeiten bereitet auch der Umstand, dass die Hebammen¬
approbation nur je für den betr. Bundesstaat gilt, also die Freizügig¬
keit im Reiche fehlt. Auch bestehen die grössten Verschiedenheiten
bezüglich der Ausbildungsdauer (15 Wochen, 6 Monate, 8 Monate);
für Hebammenschwestern wäre 1 Jahr notwendig. Weiter existiert
e|r,e_ Krosse Zahl von verschiedenen Polizeiverordnungen, wovon
ein Teil gesetzlich sogar ungültig ist. Aus allen diesen Gründen be¬
dürfen wir ein Reichshebammengesetz. Von dem grössten Wert wäre
die Einführung der Mutterschaftsversicherung. Infolge des Lohnaus-
fallcs der mit einer Geburt verbunden ist (ca. 45 M.) fehlt es in der
Familie oft am Notwendigsten, damit leidet die ganze Tätigkeit der
Hebamme und ihre Bezahlung.
Wichtig ist ein näherer Zusammenhang der Hebammen mit den
Aerzten. Diese sollten mit den Verhältnissen der Hebammen und
den in dem Hebammenlehrbuch enthaltenen Dienstvorschriften viel
besser vertraut sein, event. während des praktischen Jahres eine
diesbezügliche Ausbildung erfahren. Oft haben die Hebammen aus
dieser Unkenntnis der Aerzte (Anzeigepflicht) schweren Nachteil.
Das Zusammenarbeiten würde ein viel besseres werden.
Schliesslich wäre auch an den Nachprüfungen manches zu
bessern, namentlich was das Zusammenarbeiten der Hebammenlehrer,
Kreisärzte und praktischen Aerzte betrifft. Sehr gut geordnet sind
die V erhältnisse in Baden, wo die praktischen Aerzte des Bezirks unter
Gewährung von Reise- und Tagegeldern zu den Nachprüfungen ein¬
geladen werden und so ein nützlicher Meinungsaustausch über Er¬
fahrungen und Beschwerden herbeigeführt wird.
Sehr zweckmässig zur Regelung aller Fragen würde es er¬
scheinen, wenn eine Vertretung des Deutschen Aerztevereinsbundes
n- i Vereinigung zur Förderung des Hebammenwesens geschaffen
w urde. Endlich müssen einmal tatsächliche Fortschritte erreicht werden.
..Der Mütter Not ist der Kinder Verderben“, daher müssen beide ge¬
schützt werden, und ein Teil der Besserung der Sterblichkeit von Mut¬
ter und Kind wird auch durch die Besserung des Hebammenwesens
erreicht werden. (Beifall.)
Der V orsitzende dankt dem Redner für seine sehr be¬
lehrenden Ausführungen.
Dyhrenfurth - Breslau äussert Bedenken gegen die „Muss“-
form in dem 5. Leitsatz. Die Zuziehung einer Hebamme zu jeder
Geburt und Fehlgeburt ist zwar wünschenswert, aber in der Praxis,
zumal auf dem Lande, und speziell bei Fehlgeburten nicht durch¬
führbar.
Eranz-Schleiz: Ich habe seit langem besonderes Interesse für
die hebannnenfrage und von Grund aus ati ihrer Besserung gearbeitet.
Gegenwärtig befindet sich tatsächlich ein Reichsgesetz in Vorberei¬
tung und da fragt es sich, was hineinkommen soll. Es ist, wie etwa
in den vorgelegten Thesen, eine gründliche Aenderung der Vorbildung
Fortbildung usw. geplant, aber alles ist umsonst, wenn nicht die
soziale Stellung der Hebammen aufgebessert wird. Eine Frau, die
zugleich laglöhnerarbeit verrichten muss, kann nicht ihre Hände so
halten, wie es für die Hebamme notwendig ist. Ich habe in meinem
Bezirk die Taxen aufgebessert nach grossem Widerstand der Heb¬
ammen selbst, w'eil sie sich nicht getrauten, mehr zu verlangen Ich
habe auch durchgesetzt, dass sie zur Geburt in einem weissen Ge-
wand erscheinen, was gleich einen andern Eindruck macht. Wenn
eine Hebamme, oft nur wegen irgend einer kleinen Infektion, aus-
gesperrt wird, muss sie schadlos gehalten werden und ich habe da
uir sie ein Taggeld von 3 M. erreicht. Ebenso habe ich für eine
Kranken- und Altersversorgung gesorgt. Diese Dinge sollen jetzt
auch von Reichswegen durchgeführt werden. In der 5. These bin
auch ich gegen das „Muss“, halte es aber wirklich auch nicht für
recht und anständig, wenn da und dort die Aerzte selbst 20 Stunden bei
uei I rau auf die Geburt warten. Für die Krankenschwestern und Für¬
sorgepersonen geschieht viel, für die Hebammen ist nie etwas zu
haben. Die Beziehungen der praktischen Geburtshelfer und Amts¬
ärzte zu den Hebammen sind sehr wichtig, ich lade die praktischen
• erzte zu den Nachprüfungen ein. Von diesen Besprechungen haben
alle Beteiligten grossen Nutzen. (Beifall.)
Hirschberg-Lauenburg (Pommern) empfiehlt bei dem
widerstand der Grossgrundbesitzer und Konservativen ein ener¬
gisches Vorgehen. Im 5. Leitsatz soll wegbleiben: „und Fehlgeburt“
Be sselmann- München-Gladbach begrüsst das Erscheinen
eines Reichsgesetzes und verlangt, dass die Aerztekammern zu dem¬
selben gehört werden. Die Aufsicht über die Hebammen durch die
Kreisärzte ist gut, wenn sie so ausgezeichnet gehandhabt wird wie
' Kollegen Franz, das ist aber leider, zumal in den grossen
Städten, nicht immer der Fall.
?.? ? ^ -Düsseldorf: Die Errichtung von Mütterheimen wäre
eine höchst dankenswerte Sache und die Mutterschaftsversicherung
wurde die Krone der sozialen Gesetzgebung bilden: sie soll durch-
niitrbar sein mit einer Beitragserhöhung von 1 Proz. Es müsste aber
durchaus kein Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Müt-
tern gemacht werden, wie es oft noch geschieht. Bezüglich der Poli¬
kliniken empfiehlt sich der Zusatz „für Personen, welche der behörd-
ichcn Armenversorgung unterstehen“. Die Beziehungen der Heb¬
ammen zu den Aerzten würden zum I eil gebessert werden, wenn
mehr der Grundsatz der freien Arztwahl eingehalten würde.
M ug d a n - Berlin: Die Mühlen der Gesetzgebung mahlen in
üiesen Dingen bekanntlich sehr langsam, z. B. auch in der Frage des
Krankenpfleger wesens. Die Leitsätze sind nur zu empfehlen und sie
zeigen, dass wir Aerzte in hygienischen Fragen eifrig mitarbeiten. Die
Hebammenfrage ist davon eine der wichtigsten. Leider ist in die
RVO. eine Mutterschaftsversicherung nicht aufgenommen worden,
aber es werden bei vielen Krankenkassen bereits jetzt die Heb¬
ammenkosten auch bei normalen Geburten übernommen. Die Heb-
ammennot ist in manchen Gebieten Deutschlands eine grosse und so
bleiben z. B. in Ostpreussen immer noch Tausende von Frauen ohne
Hilfe bei der Geburt.
Eiermann - Frankfurt beantragt, der Aerztetag möge seine
Sympathie für die Bestrebungen zur Hebung des Hebammenstandes
erklären und auf Grund des R i s s m a n n sehen Referates die be¬
stimmte Erwartung aussprechen, dass der Entwurf eines Reichs¬
hebammengesetzes vor seiner Veröffentlichung den Aerzten vor¬
gelegt werde.
Ein Antrag auf Schluss der De b a 1 1 e wird angenommen.
Rissmann - Osnabrück ist mit den vorgeschlagenen Aetidc-
rungen der These 5 einverstanden, allerdings richten sich viele Aerzte
nicht nach solchen „Wünschen“. Es besteht oft der Irrtum, dass die
geprüften Wochenbettpflegerinnen etwas von dem Geburtsverlauf
verständen. Wenn bei Fehlgeburten jemand zugezogen wird muss
es die Hebamme, nicht eine Schwester sein. Mit dem Hebammen¬
lehrbuch soll sich jeder Arzt befassen, der mit Hebammen Zusammen¬
arbeiten muss.
Der Vorsitzende erklärt sich einverstanden mit den An-
i egungen, dass der Geschäftsausschuss zur Regelung einzelner Fra¬
gen in Fühlung treten solle mit der Vereinigung zur Förderung- des
Hebammenwesens.
Die Leitsätze 1 — 4 und 6 werden angenommen, wobei in Satz 2
noch die Ausfallsentschädigung bei der Aussperrung genannt und in
Satz 3 entsprechend dem Vorschlag Backs eingefügt werden soll:
eine Poliklinik „für Personen, die der behördlichen
Armenversorgung unterstehe n“.
Leitsatz 5 wird in folgender Fassung angenommen:
Es ist dringend wünschenswert, dass die Aerzte, welche Ge¬
burtshilfe treiben, das Hebammenlehrbuch kennen und zu jeder
Geburt eine Hebammenschwester zuziehen.
Der Antrag Eiermann wird zurückgezogen, von
G o e t z - Leipzig wieder aufgenommen, aber schliesslich a b -
gelehnt.
IV. Anträge Leipzig-Land:
A n t r a g 1 : Der Aerztetag wolle beschliessen, dass durch den
Geschäftsausschuss bzw. durch den Vorstand des LWV, eine Tax-
kommission zu errichten ist, die die vorhandenen ärztlichen Ge¬
bührenordnungen zu überwachen, auf zeitgemässem Stande zu er¬
halten bzw. durch eine gemeinsame Taxe zu ersetzen hat. Die
Kommission soll aus 3 möglichst an einem Orte wohnenden
Aerzten bestehen, die das Re,cht der Zuwahl haben; jedes Jahr hat
die Kommission dem Aerztetag über ihre Tätigkeit Bericht zu er¬
statten.
Antrag 2: Der Aerztetag möge beschliessen: es wird eine
Auskunftsstelle für Aerzte in Geld- und Bankangelegenheiten ent¬
weder durch den Geschäftsausschuss oder durch den Vorstand des
LWV. errichtet, durch die die deutschen Aerzte in allen solchen
Fragen kostenlose sachverständige Auskunft erhalten können.
G o e t z - Leipzig: Im Deutschen Reich haben wir zurzeit 18 ver¬
schiedene Gebührenordnungen, die alle schlecht und nicht zeitgemäss
sind. Da der Antrag auf Schaffung einer einheitlichen Taxe im Reich
abgelehnt und auch bei den einzelnen Staaten eine Revision nicht er¬
reicht worden ist, sind heute die Taxen noch so niedrig, dass oft für
den Arzt eine Dienstmannsentlohnung zustande kommt. Namentlich
sollten wir uns die Bezahlung des 2. Besuches mit 1 M. nicht ge¬
fallen lassen, 1 M. für eine Konsultation mag angehen. Wir müssen
uns selbst helfen und selbst eine Gebührenordnung aufstelien; dass
diese nur eine „private sein wird, schadet nichts; denn auch die
jetzigen Gebührenordnungen sind keineswegs Normen für die
Krankenkassen, sondern werden nur aus Bequemlichkeit dazu benützt.
Eine bindende gesetzliche Gebührenordnung kann es, da das Honorar
der freien Vereinbarung unterliegt, nicht geben: die Gebühren¬
ordnungen sind nur für Streitfälle geschaffen. Am notwendigsten
biduchen wir eine einheitliche Taxe für die Verhandlungen mit den
Kassen; die Einwände dagegen sind nichts anderes als Zeichen eines
schädlichen Kryptopartikularismus. Ich habe selbst eine solche Auf-
Stellung der Taxen versucht, sie hat Beifall gefunden, und es ist
jetzt eine 2. Auflage notwendig geworden. Auf diese Weise kommen
wir vorwärts. Der Geschäftsausschuss hat leider aus unbekannten
und unbegreiflichen Gründen die Herausgabe abgelehnt, doch würde
sicher die Autorität des Aerztevereinsbundes allein schon unserer
privaten Taxordnung einen bedeutenden Wert geben, zumal wenn
sie wirklich bei den Verhandlungen mit den Kassen zugrundegelegt
wird. Für mich persönlich wäre es ja am leichtesten und ange¬
nehmsten, die Sache allein zu machen; ich wdinsche aber Ihre
Mithilfe.
E i e r m a n n - Frankfurt a. M. beantragt die Streichung der
Worte „m öglichst an einem Orte wohnende n“.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1594
Wir stimmen der Tendenz des Antrages zu, wegen der Lückenhaftig¬
keit der Taxen, nicht wegen der Niedrigkeit; das ewige liinaufsetzen
der Mindestsätze führt eigentlich doch zu nichts. Es ist aber nicht
notwendig, dass die Mitglieder der Kommission an einem Orte sind,
denn die Arbeiten haben Zeit und können schriftlich gemacht werden,
es ist auch schädlich, weil möglichst die Verhältnisse im ganzen
Reiche berücksichtigt werden müssen.
Der Antrag 1 wird mit der von Eiermann bean¬
tragten Streichung angenommen.
O o e t z - Leipzig: Den Antrag 2 ziehen wir zurück, weil die
Sache vielleicht noch nicht ganz spruchreif ist. Ich habe die Frage
neulich in einem Artikel im Vereinsblatt besprochen. Durch eine
Stelle desselben haben sich einige Bankiers beleidigt gefühlt. Ich
erkläre gern, dass mir nichts ferner gelegen hat, als solide Bankiers
zu beleidigen.
V. Bericht über die Versicherungskasse der Aerzte Deutschlands.
M u n t e r - Berlin berichtet Günstiges über die Weiterentwick¬
lung der Kasse, welche trotz der wenig günstigen allgemeinen Ver¬
hältnisse im letzten Jahre einen Ucberschuss von 74 000 M. ver¬
zeichnen kann. Es ist zu hoffen, dass die sicheren und kulanten
Grundlagen dieser Kasse von den Aerzten immer mehr anerkannt
werden. Dieselbe ist auch zu allen Auskünften über sonstige Ver¬
sicherungsmöglichkeiten bereit.
S a 1 o m o n - Charlottenburg empfiehlt u. a. den Vereinen die
korporative Versicherung ihrer Mitglieder bei der Versicherungskasse.
VI. Bestätigung der Kommissionen.
Der Vorsitzende empfiehlt die Bestätigung. Die Kom¬
mission für die Unfallversicherung soll beauftragt werden, Verhand¬
lungen wegen einer Erhöhung der Honorare einzuleiten.
Winkelmann - Barmen wünscht als Vorsitzender dieser
Kommission nähere Direktiven.
G o e t z - Leipzig schlägt für das erste Zeugnis 10 M., für das
zweite 7.50 M. vor und verweist- dabei auf die hohen Sätze, welche
englische Versicherungsgesellschaften für die Zeugnisse gewähren
(21 M.).
Winkelmann - Barmen nimmt die Vorschläge gerne an. ln
England sind alle Honorare höher.
Der Vorsitzende; Die Tagesordnung ist erledigt. Ich glaube
hoffe und wünsche, dass wir eine gute Arbeit geleistet haben und
sDreche den Wunsch aus, dass wir auch in der kommenden Zeit des
Friedens förderliche gemeinsame Arbeit leisten werden können.
Namens des Geschäftsausschusses richte ich an die Kollegen die
dringende Bitte um mehr Unterstützung: wir vermissen sehr Ihre,
seien es liebenswürdige, seien es grobe Anregungen.
Wenn wer einen recht guten Gedanken hat. möge er ihn uns
mitteilen, dann kann er auch in unseren Zeitschriften zur Diskussion
gestellt werden.
Zum Schluss habe ich allen zu danken, denen wir die schöne
äussere Form dieses Aerztetages verdanken: Dem Verkehrsmini¬
sterium, dem Magistrat München, den Herausgebern und dem Re¬
dakteur der Münchener medizinischen Wochenschrift, dem Damen¬
komitee, dem Ortskomitee, dem Büro und der Presse, schliesslich
allen für die liebenswürdige Ausdauer. Auf Wiedersehen!
H e ti i u s - Berlin spricht dem Vorsitzenden und dem Büro für
die geschickte Geschäftsleitung den Dank durch ein dreimaliges Hoch
aus.
Schluss Uhr. B e r g e a t.
14. Hauptversammlung des Verbandes der Aerzte Deutsch¬
lands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen
in München am 25. Juni 1914.
(Eigener Bericht.)
Um 9'/i Uhr wird die Sitzung durch den Vorsitzenden des Ver¬
bandes, Dr. Hartmann - Leipzig, mit folgender Ansprache eröffnet:
Es gereicht dem LWV. zur besonderen und höchsten Ehre. S. K. H.
den Prinzen Dr. LudwigFerinand von Bayern als Kollegen und
Verbandsmitglied zu begrüssen. Der Beruf des Arztes erfordert dem
menschlichen Elend und Unglück mit klarem Blick und kühler Ueber-
lcgung, aber auch mit warmem Herzen entgegenzutreten. Wenn ein
Mann von königlichem Geblüt es nicht für gering erachtet, als Arzt
zu wirken, so ist dies eine besondere Bestätigung des alten Homer¬
ischen Wortes vom hohen Werte des Arztes. Hier im LWV. wahren
wir die äusseren Güter und die Freiheit des ärztlichen Berufes. Dass
Ew. K. Hoheit nicht nur unser Mitglied geworden, sondern auch selbst
ei schienen sind, um an unseren Sorgen teilzunehmen, gereicht uns zur
besonderen Freude und Genugtuung. Mit tief gefühltem innigstem
Dank heisse ich Ew. K. Hoheit herzlichst willkommen. (Grosser
Beifall.)
Ich will keine programmatische Rede halten, sondern nur ein
kurzes Geleitwort unseren Verhandlungen geben. Wie zur Zeit der
Pharaonen magere und fette Jahre wechselten, so gibt es bei uns
Zeiten der Ruhe und des Kampfes. Noch nie aber hat eine solche
Erregung unter den deutschen Aerzten geherrscht, wie seit dem
letzten Aerztetag. Erst das Berliner Abkommen hat eine Entspannung
ausgelöst, teilweise aber auch eine fast katastrophale Ernüchterung.
Mancher glaubte die Schicksalsstunde des Leipziger Verbandes ge¬
kommen. Einzelheiten über die Sache werde ich morgen auf dem
Aerztetag zu berichten haben. Sehr viele Kritiker meinten, w'ir hätten
viel zu wenig erreicht Ich gebe zu, dass wir gehofft hatten, mehr
zu erreichen. Wir hatten aber auch Grund gehabt, unsere Position
für viel stärker zu halten, als sic wirklich war. Es zeigten sich schon
baid bedenkliche Zeichen von Disziplinlosigkeit und mancher Verein
drohte aus blasser Furcht umzufallen. So wurde unsere Phalanx
durchlöchert. Wenn in dieser Weise das materielle Moment überwiegt,
muss iede Bewegung ihre Stcsskraft verlieren. Noch schlimmer.
Wir hatten für viele Aerzte Subventionen zu leisten, um ihre Position
zu stärken. Mindestens die Hälfte davon hat uns klar gemacht,
dass sie das nur als ein Geschenk und eine Abschlagszahlung be¬
trachten könnten. Unter den glänzenden Versprechungen, die von
den Kassen geboten wurden, wurden uns gemachte feierliche Zusagen
nicht mehr gehalten. Wir waren nach unserer Uebcrzeugung zu
einer Aenderung der Taktik und Verständigung mit den Kassen ge¬
zwungen.
Noch viele sind jetzt noch nicht damit einverstanden und viele
unserer Führer brauchen starke Nerven, um die Kollegen zusammen¬
zuhalten. Eine Organisation aber, die nur zum Kämpfen da ist,
hat keine Berechtigung. Wir bedürfen der inneren Stärkung. Ver¬
gleichen wir andere Organisationen, z. B. diejenige des Buchdrucker¬
gewerbes. Seit 23 Jahren hat sie keine nennenswerte Arbeitsein¬
stellung mehr gehabt und nunmehr schon 18 Millionen Mark ange¬
sammelt. Wer an der Bedeutung des LWV. zweifelt, der möge doch
auch seiner sonstigen Aufgaben und Einrichtungen gedenken. Sind nicht
unsere Tarifverträge allein die Organisation wert? Dazu die Abkommen
mit der Post, den kaufmännischen Kassen, den Reedereien, die Stellen¬
vermittlung. Sind unsere Aufgaben erschöpft, die inneren Verhält- i
nisse des Standes geregelt? Wie steht cs z. B. mit dem Verhältnis j
der praktischen Aerzte zu den Spezialisten? Sind wirklich alle Aerzte
im Geist der Organisation erzogen? Hat nicht kürzlich erst ein ein¬
flussreicher Arzt im Reichsversicherungsamt es abgelehnt, mit der
ärztlichen Organisation zu verhandeln? Erfüllen wir die Pflicht der
Versorgung notleidender Aerzte? Unter den Nothelfern sind nicht
wenige Aerzte, die einen Anspruch auf die Standesfürsorge hätten. ;
Ebenso schlecht steht es mit der- Fürsorge für die Hinterbliebenen.
Wer die unter ihnen bestehende Erwerbsnot verfolgt, muss zugeben. .
dass noch sehr viel geschehen muss. Schon drohen der Mittelstand
und die Handwerker sich zum Raubbau an der ärztlichen 1 ätigkeit zu
organisieren, ein Wetterleuchten neuer Kämpfe. Ist unser Verhältnis
zu den Berufsgenossenschaften und dem Reichsversicherungsamt ein
ideales und droht uns nicht doch vielleicht auch hier der Kampf? ]
Von dem Berliner Abkommen sind die Knappschafts- und Eisenbahn¬
krankenkassen ausgenommen worden. Ein Blick auf unsere Kavete-
tafeln zeigt, wie sich das rächt und was uns da noch zu tun bleibt.
Das Berliner Abkommen ist keineswegs so fest, dass wir nicht jeder¬
zeit mit der Möglichkeit einer Kündigung desselben rechnen müssten.
Nur dann kann es durchgeführt werden, wenn auf ärztlicher Seite
ein einheitlicher fester Wille besteht. Darum vertrauen wir auf den
lieben Gott und halten unser Pulver trocken. Somit willkommen!
(Starker Beifall.)
I. Jahresbericht des Generalsekretärs.
(Liegt in Druck vor.)
a) M i t g 1 i e d e r b e w e g u n g und Organisation.
Generalsekretär K u h n s - Leipzig: Der Umfang der Geschäfte
geht allein schon aus der Zahl (fast 10 000) der ein- und auslaufenden
Telegramme und Eilbriefe hervor. i
Trotzdem die Mitgliederzahl fast 26 000 erreicht hat, darf die
Werbetätigkeit sich nicht vermindern. Namentlich die Assistenten und
Praktikanten müssen mehr herangezogen werden, durch Errichten
von Assistentenortsgruppen in allen grösseren Städten. Wichtig ist
die Anpassung der Organisation an die neuen Verhältnisse; die
neuen lokalen kassenärztlichen Vereinigungen müssen eine Vertretung
in Leipzig bekommen; am besten werden sie sich zu grösseren
Zweckverbänden zusammenschliessen und diese können ja vielfach
durch eine Art Personalunion mit den Sektionen des LWV. verbunden
werden.
Der Vorsitzende: Selbst für Lob und Tadel unempfänglich,
habe ich auch nie viel Lob ausgesprochen. Wir dürfen aber nicht
vorübergehen an der Statistik, die uns den gewaltigen Umfang der
Geschäfte zeigt, welche unsere drei Generalsekretäre leisten. Sic
arbeiten immer mit grosser Hingabe, im letzten Jahre aber haben sie
fast Uebermenschliches geleistet. Ich spreche den Generalsekretären,
besonders Dr. Kuhns unseren herzlichsten Dank aus. (Beifall.)
b) Stellenvermittlung.
P e y s c r - Charlottenburg: Es besteht die alte Klage, dass es
so wenig gelingt, Aerzte entsprechend unterzubringen. Es ist be¬
schämend, dass vielfach das Verhalten der Kollegen draussen schuld
daran ist; viele glauben allein auf der Welt zu sein und wollen
von dem Zuzug neuer Aerzte nichts wissen. So gibt es z. B. in
einer Stadt einen Arzt, der ein hohes Einkommen versteuert; er ist
für viele Kranke kaum mehr zu sprechen, es wird ein zweiter Arzt
seit Jahren gewünscht; es ist nicht möglich, einen solchen hinzu¬
bringen, so viele Schwierigkeiten werden gemacht und jeder neue
Arzt wird abgeschreckt. Solche Herren sitzen im Fett und wollen
keinen anderen mitessen lassen. Ein zweiter Punkt ist, dass die Kol¬
legen, welche Auskunft geben sollen, oft persönlich interessiert sind.
14. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1595
Es ist daher notwendig, mehrere Auskünfte, ein Referat und Kor¬
referat. einzuholen. Wir brauchen noch viel mehr Selbstdisziplin
und Opferwilligkeit. Ein Kollege weist einen günstigen Vertrag als
Streikbrecher zurück. Kann man ihm das zumuten, wenn ihm nachher
jede Bemühung um Erreichung einer anderen Stellung wegen
des Einspruches der Nachbarkollegen misslingt. Wohin kommen wir,
wenn wir da überall nur auf Egoismus stossen? Eventuell müssen
s< Ichc Fälle publiziert werden.
L e v y - Oraudenz : Nun auch die Kehrseite der Medaille: Es gibt
nicht bloss Leute, die keine Konkurrenz haben wollen, es gibt auch
viele, die in kleinere Städte überhaupt nicht gehen wollen, wenn wir
ihnen nicht von vorneherein ein Einkommen von 10 000 M. garan¬
tieren. Viele wollen nicht die Mühen und Entbehrungen des Arztes
auf sich nehmen. Für ein kleines Städtchen mit bester Praxis war
monatelang kein Arzt zu bekommen. Ein Kollege verlangte 15 000 M
wenn er in ein solches „Nest“ gehen solle. Solche Fälle finden sich
auch besonders in Westpreussen, wo teilweise wirklich eine Aerztc-
not besteht. Es ist an der Zeit, mehr auf die ethische Seite des
Berufes hinzuweisen, damit die jungen Aerzte nicht nur lernen, Geld
zu \ erlangen, sondern auch der Pflichten des Berufes eingedenk zu
sein.
v. Wild-Kassel: Wenn die ortsansässigen Kollegen solchen
unberechtigten Widerstand leisten, müsste man ihnen mit Gewalt klar
machen, dass auf eine freie Stelle jedenfalls ein Kollege hinge¬
setzt wird.
Generalsekretär Dr. W i e b e 1 bestätigt die Erfahrungen
L e v y s. Aber oft sind die Stellen nicht so glänzend, wie sie von
Laien eingeschätzt werden. Auch ist es nicht jedermanns Sache,
wegen der Ostmarkenzulage von etwa 1400 M. von Pontius zu
Pilatus, Bürgermeister, Landrat usw. geschickt zu werden; auch nicht,
sich für Jahre zu verschreiben und bei einem früheren Wegzug die
ganzen Zulagen mit Zinsen zurückzahlen zu müssen. Es sollten die
Zulagen, unabhängig von dem Wohlwollen der Instanzen, unbe¬
scholtenen Aerzte zustehen und es sollte im ganzen mehr sachlich,
weniger bürokratisch verfahren werden. Schwer enttäuscht wird
mancher Arzt, der glaubt, als ein Pionier des Deutschtums zu wirken
wenn die Deutschen selbst oft nicht ihn, sondern den polnischen Arzt
autsuchen.
c) Buchhandlung.
H a k e r - Berlin wünscht, dass in den Aerztlichen Mitteilungen
nicht so sehr der 1 ext durch die eingestreuten Annoncen zerrisssen
werde.
Generalsekretär Dr. Kuhns: Die bestehenden Verträge erlauben
zunächst keine Aenderung.
a) Tarifverträge.
Generalsekretär Dr. W i e b e 1 bespricht besonders die Diffe-
renzen wegen des Vertrages mit der Reichspostverwaltung. Letztere
w ill die Entfernungsgebühren nicht voll bezahlen, wenn der Arzt bei
einer Fahrt mehrere Besuche (auch für andere Kranke) macht und
will bei Benützung der Eisenbahn nur die Sätze der preussischen
Gebührenordnung annehmen. Beides widerspricht dem Wortlaut des
Vertrages. Teilweise haben sich hier die Kollegen sehr töricht be¬
nommen und der Postverwaltung geschrieben, sie schämten sich
selbst, so unbescheiden zu sein und 1.90 M. für den Kilometer zu
berechnen. Solche Herren mäkeln bei uns an allem möglichen herum
und sind nie zufrieden; wenn sie nun vertragsmässig eine ent¬
sprechende Bezahlung erhalten, sind sie von einer ganz falschen Be¬
scheidenheit; viele haben eben bereits ganz den richtigen Massstab
verloren.
S c h e n k e - Flensburg: Wenn die Kilometergebühren vielleicht
etwas hoch sind, so sind die Gebühren für die folgenden Besuche
zu niedrig; dabei will die Post überhaupt keinen Besuch bei einer
neuen Erkrankung mehr als ersten Besuch anerkennen. Auch sonst
bestehen berechtigte Beschwerden.
M u n t e r - Berlin: Bei der Prüfung der kassenärztlichen Liqui¬
dationen müssen wir gerade als Anhänger der freien Arztwahl mit Ge¬
wissenhaftigkeit und Strenge Vorgehen. Es wird von einzelnen Kol-
legen gerade bei der Postkrankenkasse, bei der Liquidation geradezu
>clnndluder getrieben. Bei solchen Missbräuchen müsssen strenge
v treichungen gemacht und die Schädlinge eventuell ausgeschaltet
werden, sonst lässt sich die freie Arztwahl nicht durchführen.
W i n k e 1 m a n n - Barmen: An dem Tarifvertrag mit der Post
kann jeder Arzt Kritik üben, wenn sich aber Aerzte mit dieser
Kritik statt an den Vorstand des LWV. an die Postverwaltung
wenden, dann hört jede Organisation auf.
Schiller - Breslau rügt, dass die Postverwaltung bisweilen in
'licht loyaler Weise an Orten, wo kein Arzt ist, bei fast gleichen
Entfernungen allzu rigoros die Kranken nur an den allernächsten
Arzt weist und zum Verzicht auf spezialärztliche Hilfe zwingt.
L em m e r - Alfelds Die Regelung der Kilometergebühren, die bei
grosser Entfernung etwas hoch erscheinen, und an denen wir ja auch
lieht zu verdienen brauchen, könnte lokalen Abmachungen übertragen
werden. Dagegen sind die Besuchstaxen zu niedrig angesetzt. Es
•■ölten mehr die Mindestgebühren eingehalten und ev. auch über¬
schritten werden; denn gesetzlich gebunden sind wir auch bei den
vruukcnkassen nicht an die Mindestsätze der Gebührenordnung.
M a g e n - Breslau: Bei den nicht mehr entsprechenden Sätzen
Jer Gebührenordnung müssen die Kilometergelder den Landärzten
■ inen gewissen Ausgleich schaffen, sonst wird das Land noch mehr
<on Aerztcn entblösst. Wir sollen doch nicht so töricht sein, darauf
zu verzichten, wo wir von allen Berufen allein mit unserem Ein¬
kommen auf einer Grundlage arbeiten, die 100 Jahre alt ist.
G o e t z - Leipzig: Es ist nicht richtig, dass uns die Regierung
die laxen vorschreibt, sie sind nur für Streitfälle vom Richter zu¬
grunde zu legen. Die Krankenkassen sind längst keine Proletarier¬
kassen mehr. Machen wir uns selbst bessere Taxen! Die Kilomctcr-
r*e u"u"t von 1.90 ist etwas hoch, ich habe sie aber auch in meine
Gebührenordnung aufgenommen und sie dabei auf 2 M. aufgerundet.
(Heiterkeit.) Wenn die Postverwaltung den Vertrag nicht einhält,
können wir sie nur auf Einhaltung des Vertrages gerichtlich ver¬
klagen.
Generalsekretär Dr. Wiebel: Wir würden uns viel leichter
tun, wenn die Kollegen uns nicht oft ins Unrecht setzen und sich
korrekter verhalten würden. Ein Abgehen von den Vertragsbe¬
dingungen können wir der Reichspostverwaltung jedenfalls nicht zu¬
gestehen.
Dtr Vorsitzende stellt das Einverständnis der Versammlung
mit diesem Standpunkte fest.
e) Schutz- und Irutzbündnis, Versicherungs¬
wesen.
Generalsekretär Dr. Kuhns: Der weitere Ausbau des Schutz-
und l rmzbiindnisses, den die Aerztevereine vielfach vernachlässigt
haben, ist durchaus notwendig, ebenso unerlässlich ist die Sammlung
aller Verpflichtungsscheine bei unserer Leipziger Zentrale; ihr Nutzen
geht grösstenteils verloren, wenn sie in den Händen der lokalen Or¬
ganisation verbleiben.
f) Darlehen- und Sterbekasse.
B u c h b i n.d e r - Leipzig: Der Zweck der Kasse ist vorwiegend
ein ethischer, sie soll dem Arzt bei augenblicklicher Schwierigkeit
eine Hilfe gewähren, andererseits bildet sie auch eine gute Anlage
überflüssigen Geldes, indem sie 4 Proz. Zinsen und ein Anrecht auf
Sterbegeld (100 M. für je 500 M. Einlage) bietet. Für die Sicherheit
werden die weitestgehenden Vorkehrungen bei der Gewährung eines
Darlehens getroffen, u. a. auch durch Vereinbarungen mit der Lebens¬
versicherungsgesellschaft, bei welcher der Empfänger des Darlehens
sich versichert. Welche Bedeutung gerade auch das Sterbegeld hat,
beweist eine in einem kleineren Bundesstaat gemachte Aufstellung,
wonach 90 Proz. der Aerzte nicht oder ungenügend für ihren Sterbe¬
fall vorgesorgt haben. Den fortwährenden Gesuchen um Darlehen
können wir nur dann entsprechen, wenn wir mehr Geldmittel er¬
halten. Daher ist eine eifrige Propaganda notwendig.
D a v i d s o h n - Berlin: Es ist verkehrt, wenn einzelne Aerzte-
kammern für ihren Bezirk kleine Darlehen- und Sterbekassen ein-
nchten. Solche Kassen können nur bei grosser Teilnehmerzahl
gedeihen. Bei der Sorglosigkeit der meisten Aerzte hat sich der
LWV. mit Einrichtung dieser Kasse ein grosses Verdienst erworben.
Das Elend in den Kreisen der Aerzte ist viel grösser als man
glaubt.
Mül ler -Hagen bespricht kurz eine von Dr. Ne uh aus ge¬
plante Zwangsversicherung. Mit 5 Proz. der Kasseneinnahmen
könnten die Witwen und Waisen der Aerzte sichergestellt werden
Generalsekretär Dr. Kuhns rät zur Vorsicht, nach einer
Schätzung des Reichsversicherungsamtes wären 9 Proz. erforderlich.
Vorerst mögen die bestehenden Einrichtungen benützt werden.
L e v i - L e d e g a n k - Biedenkopf : Eine Erschwerung bei der
Kasse bildet die 15 jährige Unkündbarkeit der eingelegten Beträge.
H i r s c h f e 1 d - Leipzig: Diese Bestimmung muss als Sicherheit
für ausserordentliche Verhältnisse eingehalten werden: auch jetzt
würde in besonderen Fällen schon eine frühere Rückzahlung zuge¬
standen werden.
g) Streitsachen: Berliner Abkommen usw.
Generalsekretär Dr. Kuhns: Im letzten Jahre ergaben sich 452
neue Streitsachen, z. T. in ganzen grösseren Bezirken, woran über
1000 Krankenkassen beteiligt waren. Schuld daran war auch das
^ cheitern der Verhandlungen mit dem Betriebskrankenkassenverband
sowie die Kampfvorbereitungen der Krankenkassen überhaupt. Be¬
sonders wichtig waren Breslau, wo endlich der Frieden erfolgte
und dabei auf ärztlicher Seite doch Fortschritte gemacht wurden,
und Elbing. (Die einschlägigen Verhältnisse sind im wesentlichen
aus den Verhandlungen des Aerztetages bekannt. Ref.)
v. Wild- Kassel: Das Wichtigste sind allerorten die Vertrags¬
verhandlungen; allen denen, die diese ausserordentlich aufreibenden
Arbeiten geleistet haben, sind wir den grössten Dank schuldig. Das
Berliner Abkommen ist keineswegs wertlos, da wo es von den
Aerzten richtig gehandhabt wird. Die Kassen haben eine Heidenangst
vor ihm und versuchten deshalb bei uns ohne dasselbe zu verhandeln.
Der Druck, den die Regierung zur Durchführung des Abkommens
ausübt, genügt aber nicht, obwohl die Regierung sonst wahrlich nicht
so zaghaft ist und ihren Willen wohl durchzusetzen weiss. Das
gilt besonders für den 5-Pfennigbeitrag der Kassen. Von grossem
\\ ert wäre es, die Erfahrungen der Vertragsverhandlungen zu ver¬
öffentlichen und für die noch schwebenden Abschlüsse nutzbar zu
machen; eine einzige schiedsamtliche Entscheidung kann von grösster
Wichtigkeit sein. Es sollte daher alles Material nach Leipzig ein-
gesandt werden.
S c h n e i d e r - Potsdam: Es ist eine schwierige Sache, gegen¬
über dem Berliner Abkommen einen anderen Standpunkt einnehmen
zu müssen, als er bisher _ vertreten worden ist; cs geschieht dies
aber nicht um die Unzufriedenheit und Verdrossenheit zu steigern,
sondern weil Klarheit notwendig ist. „Der erste Eindruck ist der
15%
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
richtige.“ Wir haben s. Z. mit tiefer Depression Kenntnis von dem
Abkommen genommen, und dieses Gefühl ist noch nicht erloschen.
Wir haben die Befürchtung, in eine Hörigkeit zur Regierung versetzt
zu sein, wie sie nie bestanden hat; wir sind uns selbst untreu ge¬
worden. die Werbekraft der Organisation muss auf diese Weise ab¬
nehmen. . ,
Es ist ein Unterschied in der Organisation eingetreten wie zwi¬
schen Tag und Nacht. Den jetzigen losen Vereinigungen fehlt der
frühere Nachdruck, da sie keine Beschlüsse zu fassen und dem Macht¬
spruch des Schiedsamtes zu folgen haben. Ihr einziges Recht ist die
Prüfung der Rechnungen. Wir werden ja die weitere Entwicklung
sehen. Ein Abschluss mit der Organisation ist nur noch möglich,
wenn die Kassen ihn wünschen; die Kassen werden überhaupt uns
noch alle Errungenschaften wegdisputieren und schliesslich wird die
Auslegung des Zentralausschusses auch noch gegen uns lauten. Es
ist ein geringer Trost, dass der LWV. zwar ausgeschaltet ist beim
Vertragsabschluss, aber wenigstens im Zentralausschuss vertreten ist.
Der Zentralausschuss hat grossenteils nur dekorativen Wert und
keinen Einfluss auf die Verträge. In Potsdam hatten wir früher
keine Schwierigkeiten bezüglich der Organisation, der freien Arzt¬
wahl, auch nicht bezüglich der Gruppenbildung unter den Ver¬
sicherten. Nach dem Berliner Abkommen wurde der Ton bei den
Kassen ein ganz anderer; mit Beschämung mussten wir uns sagen
lassen: „Eure Organisation ist überflüssig“, die Frage der freien
Arztwahl begegnet nunmehr trotz der Einstimmigkeit der Aerzte den
grössten Schwierigkeiten. Es ist auch die Frage, ob Hartmanns
Meinung über den „wichtigen Grund“ für die Aenderung des Arzt¬
systems durchdringen wird. Es ist bei der Begünstigung, welche
die Kassen seitens der Behörden erfahren, sehr zu bezweifeln, ob die
freie Arztwahl durchzusetzen sein wird. Beim Abschluss der Ver¬
träge trat eine teilweise Verschlechterung ein, auch in der Honorar¬
frage wurde nichts erreicht. Dass künftig nicht Verträge mit ein¬
zelnen Aerzten zu schliessen sind, kann einen Fortschritt bedeuten,
ebenso wie die Einrichtung eines Wahlausschusses. Aber in der
Hauptsache, der Honorarfrage, herrschen noch geradezu depri¬
mierende Verhältnisse, wie wir sie noch vor kurzer Zeit aufs schärfste
verurteilt haben. Die Tätigkeit der Schiedsämter erfüllt uns mit
grösster Sorge. Alle unsere Eingaben an das Oberversicherungsamt
wurden abgelehnt und wir haben keinerlei Gewähr für eine un¬
parteiische Handhabung des Abkommens.
Wie kam mit einem Male der Umschlag trotz aller unserer
grossen Siegeszuversicht? Weil unsere Organisation nicht mit der
Zeit fortgeschritten ist. Nirgends waren die Kompetenzen und Funk¬
tionen umschrieben. Wohl hat unsere Zentrale in Leipzig Grosses
geleistet, dabei war aber eine Unsumme überflüssiger Arbeit, eine
Summe von Querelen, welche die Zentrale überhaupt nicht ent¬
scheiden kann. Es muss eine Dezentralisation eintreten;
es müssen besoldete Provinzialsekretariate errichtet werden, da die
Vertrauensmänner unmöglich die Arbeit neben ihrer Praxis leisten
können. Wenn wir Millionen opfern für Leute, die uns am Mark
gesaugt haben, so lassen Sie uns Stellen schaffen, die so besoldet
sind, dass die Sorge ums tägliche Brot wegfällt. An vielen Orten
haben wir keinen Frieden, vielleicht hätten wir ihn, wenn wir den
Krieg nicht gescheut hätten. Die Entwicklung entspricht nicht dem
Sinne der Aerzte. Es muss Klarheit geschaffen werden, wie es
weiter werden soll: sonst haben wir nicht nur eine Schlacht ver¬
loren, sondern das Vertrauen zum Verband. (Beifall und Zischen.)
Den Vorsitz übernimmt der zweite Vorsitzende S t r e f f e r -
Leipzig.
Dyhrenfurth - Breslau stellt den Antrag:
Der jetzige Stand der Durchführung des Ber¬
liner Abkommens rechtfertigt es, die bestehen¬
den Schutz- und Trutzbündnisse aufrecht zu er¬
halten und weiter auszubauen.
L e v y - Graudenz erinnert an die siegesgewisse Stimmung im
Oktober 1913 und die ziemlich schlechte Behandlung, welche Mül¬
ler- Zittau auf der Vertrauensmännerversammlung wegen seiner
abweichenden Haltung erfuhr.
Damals waren einige derselben Meinung, aber es war psycho¬
logisch ein Fehler, sie auszusprechen Später hat sich die Situation
geändert. Der Kampf, gegen die Kassen und Regierung mit unzu¬
reichenden Mitteln geführt, hätte einen unabsehbaren Ausgang ge¬
nommen. Viele Kollegen sind darauf angewiesen, täglich das einzu¬
nehmen, was sie am nächsten Tage ausgeben. Jetzt noch, wo die
Verträge nicht abgeschlossen sind, werden täglich Vorschüsse ver¬
langt. Trotz bester Organisation und trotzdem diese Organisation
bisher alles durchgesetzt hatte, schreckten die Kollegen vor einem,
auch nur dreitägigen Kampf zurück. Da kann man nicht mehr sagen,
wir hätten den Kampf durchhalten können. Wir kennen Hart¬
mann. Von allen Sorten von Tabak ist ihm sicher keine unsympathi¬
scher als die Friedenspfeife! Dass er trotzdem das Abkommen ge¬
schlossen hat, ist eine Tat des von höchstem sittlichen Verantwortlich¬
keitsgefühl durchdrungenen Gewerkschaftsführers. Auch wenn das
Berliner Abkommen voll von unzähligen Fehlern wäre, war es doch
das einzig mögliche.
Ich schwärme nicht für die preussische Regierung; die preussi-
schcn Beamten sind manchmal verbohrt, aber das ist sicher, dass
keiner von ihnen, wenn er im Schiedsamt tätig ist, mit kühler Ueber-
legung den Aerzten Unrecht geben wird, das wird ihnen auch der
verbissenste Preussenfeind nicht nachsagen. Die Aufgabe des LWV.
wird es sein, die bis dahin falsch unterrichteten und verhetzten Be¬
amten aufzuklären und von der Notwendigkeit der Mitarbeit der
lokalen Aerztevertretungen zu überzeugen. Es muss ihnen klar ge¬
macht werden, dass die Verträge sinngemäss zu erfüllen sind, anders
wie cs bisher geschehen ist. Ich kenne einen Landrat, der ist so
glatt, dass ein Aal gegen ihn wie eine Kette von Warzen erscheint
(grosse Heiterkeit); solche Herren müssen einsehen lernen, dass die
Behörden nicht mehr mit den Kassen gegen die Aerzte zu kämpfen
haben, sondern eine der drei zusammenarbeitenden Instanzen zu
bilden haben. Wir wollen deshalb jetzt auch trotz aller Hartnäckig- j
keit keine Pfennigfuchser und nicht habgierig sein, cs handelt sich ;
um etwas viel Höheres, um unsere Gleichberechtigung. Dann wer¬
den die Verhältnisse besser und die freie Arztwahl wird von selbst !
durchdriugcn, wenn wir die Behauptungen von ihrer Undurchführbar-
keit widerlegen. Wir müssen die Verträge loyal erfüllen. Ist denn
nicht die Abschaffung der Nothelfer allein ein Segen? Kommt nicht |
jetzt dadurch unser moralisches Reinlichkeitsbedürfnis erst wieder
zur Geltung? Nun wird der LWV. seiner eigentlichen Bestimmung
gerecht werden und seine Millionen nicht mehr für Halunken, sondern
für Wohlfahrtseinrichtungen verwenden können. Durch das Ber¬
liner Abkommen werden wir aus Kämpfern wieder friedliebende |
Leute, und können die Berechtigung unserer Forderungen nachweisen. j
Berechtigte Forderungen aber werden stets erfüllt werden.
W e r t h e r - Breslau: Das Berliner Abkommen brachte uns diel
schwere Aufgabe, die Aerzte, die wir mit fliegenden Fahnen in den
Kampf geführt hatten, zurückzurufen und Verhandlungen einzuleiten.
Trotzdem eigentlich das bisherige System der fixierten Aerzte beibe¬
halten hätte werden müssen, haben wir doch fast völlige freie Arzt¬
wahl bekommen: 1 Arzt auf 1000 Mitglieder, freie Arztwahl für die
Spezialärzte. Aber die 52 Nothclfer haben wir behalten.^ Erst in
letzter Zeit hat das Oberversicherungsamt sich in dieser Frage auf i
unsere Seite gestellt. T, ...
Hoffm an n- Braunschweig: Ein Teil unserer Kassen wollte
bei uns den 5-Pfennigbeitrag verweigern, die Regierung bestand
aber darauf als einer der Hauptbedingungen, und wir Aerzte werden
die Wahl zum Schiedsamt ablehnen, solange nicht alle Kassen den
Beitrag leisten. Die Aerzte müssen eben den festen Willen haben,
die Kassen zur Einhaltung des Abkommens zu zwingen.
M u n t e r - Berlin verwahrt sich gegen eine Verallgemeinerung
seiner Bemerkungen zur freien Arztwahl, sonst hätte diese nicht in
Berlin volle 20 Jahre bis jetzt bestehen können. Das traurigste ist
Elbing. Die bekannte Zigarrenfirma Löser & Wolf sollte doch;
bei ihrem ärztefeindlichen Verhalten bedenken, dass ihre Zigarren-
sorte „Rara avis“ auch von Aerzten geraucht wird.
S t e r n - Elbing: Nirgends ist alles so gegen die Aerzte ver¬
bunden wie bei uns: das Grosskapital mit uneingeschränkter Macht
und seine Begünstigung durch die Regierung, welche 8 Nothelfer (bei.
den häufigen Beurlaubungen nur 7) als genügend für 20 000 Kassen¬
mitglieder gelten lässt. Auch die Errichtung einer Klinik durch die
Kassen wurde trotz hygienischer Bedenken so sehr begünstigt und
beschleunigt, dass bereits nach 3 Tagen die behördliche Konzession
erteilt wurde. Dagegen wurde von der Errichtung eines Schieds¬
amtes abgesehen, da Elbing „ausserhalb des Berliner Abkommens’
stehe. In Elbing ist vorerst unsere Organisation machtlos, wir hotten
aber, dass durch die Minderwertigkeit der zugezogenen Aerzte die
Sache von selbst zerfallen wird. Jedenfalls wollen wir fest bleiben.
(Beifall.) , , , ......
H a r t m a n n - Leipzig: Ausser Schneider haben alle Redner
dem Berliner Abkommen wenigstens ein gewisses Wohlwollen ge¬
zeigt. Man kann ja sehr verschiedener Meinung sein, und ich wi
selbst als Vater dieses Kind nicht über den Schellkönig loben. Ich
lehne aber entschieden die alleinige Verantwortung ab, auch Dippt
und Mugdan haben daran mitgewirkt. Wir können die Verantwor¬
tung auch sehr wohl tragen. Dass wir eine Schlacht verloren, be
streite ich, ebenso aber auch, dass der LWV. alles Vertrauen unc
jeden Kredit verloren habe. Aber wohl hatten wir das Vertrauen n
unsere Gefolgschaft verloren. Wir waren Ende Dezember nicht im
stände, alle die Deputationen von Vereinen zu empfangen, welche dii
Beteiligung an einem Kampfe ablehnten. Keine dieser Deputationei
liess sich überzeugen, dass sic Unrecht habe. Das Berliner Abi
kommen hat als ein Kompromiss nicht alle unsere Ziele erreicht, abe
auch nach einem siegreichen Kampf hätten wir Konzessionen machei
müssen und den Gegner nicht niederzwingen dürfen.
Aber auch bei den Kassen ist die Beurteilung des Abkommen
eine sehr verschiedene und auch ihren Führern werden Vorwürfe ge
macht. Gegenüber der bekannten Erklärung der 4 Kassenvcrbänd
— welche aber nur von dem Organ des Betriebskrankenkassenver
bandes gebracht worden ist — halte ich meine Auffassung, die vo
Mugdan bestätigt wird, völlig aufrecht und wir werden sie scho
durchzusetzen wissen. Eine Bemerkung Schneiders ist restlo
richtig: Warten wir ab! Jedes so komplizierte Werk braucht Zer
alle Bemängelungen betreffen nicht die Bestimmungen, nur die Aus
führung. Die Schiedsämter werden ihre Entscheidungen nicht aus de
Luft greifen, sondern werden die ärztlichen Vorschläge prüfen müsset
Die neueren Entscheidungen sind zugunsten der Aerzte ausgefallci
Schneiders Beschwerden kann ich wohl verstehen, denn gerad
in seinem Bezirk bestehen ausserordentliche Schwierigkeiten. Ein
kolossale Schwierigkeit liegt in der Haltung des preussischen Har
N- l"1' l9*T _ _ _ _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
delsministcrs. Wir werden mit diesem Ministerium, wie es scheint,
noch viel zu tun bekommen.
Was das Verbleiben der Nothelfer in Breslau betrifft, so kann
man nicht verlangen, dass die Aerzte, die von uns erhalten werden,
irgendwo anders hin versetzt werden. Einen Teil davon müssen
Sie wenigstens behalten. In Leipzig waren seinerzeit 98 Not-
lielfcr von den Leipziger Aerzten zu unterhalten, die Breslauer
werden von den deutschen Aerzten bezahlt. Die Kassen machen die
grössten Schwierigkeiten gegen die Entlassung der Nothelfer. Darum
müssen wir bei den Aerzten Geduld und Opfersinn erwarten.
W e r t h e r - Breslau : Wir wollen dem LWV. keinen Vorwurf
machen; es war schwer genug, die 500 Breslauer Aerzte zusammen¬
zubringen. Aber es wurde uns früher zUgesichert, dass kein Friede
werden sollte, bevor der letzte Nothelfer den Schauplatz seiner
Schande verlassen habe.
S t e r n b e r g - Berlin : Ich gehöre zu der Minorität, die dem
Berliner Abkommen nicht zustimmte, und bin nicht überzeugt, dass
Jas Erreichte im Verhältnis zu den aufgewendeten Mühen steht.
Eine grosse Gefahr ist die Vieldeutigkeit des Abkommens. Es gibt
nun schon 3 Kommentare darüber, die in wichtigen Punkten aus¬
einandergehen. Das kann der Verwaltungsbürokratie nur passen und
wir werden noch überraschende Auslegungen erleben. Jetzt gilt es
nur noch, das Beste aus dem Abkommen herauszuholen. Einen Fort¬
schritt bedeutet, wie sich das jetzt in Berlin zeigt, der Wahlausschuss,
die Solidarität der Aerzte wird im Vertragsausschuss zur Geltung
kommen. Suchen wir möglichst bei den Verhandlungen die Verwal-
ungsbürokratie auszuschalten und lieber durch Zurückstellen einiger
i-'orderungen mit den Kassen in ein gutes Verhältnis zu kommen.
Nachdem ein Antrag auf Schluss der Debatte angenommen, ge-
angt der Antrag D y h r e n f u r t h zur Annahme.
II. Bericht des Verbandskassiers und des Aufsichtsrates.
, Hirsch feld-Leipzig macht an der Hand des gedruckten
<assenberichtes einige Bemerkungen, wobei er die Sektion München
tls diejenige rühmt, welche dem LWV. die grösste moralische und
uaterielle Unterstützung gewährt. Im ganzen werden die finanziellen
Verhältnisse trotz der gegenwärtig erforderlichen starken Leistungen
ds vorzüglich bezeichnet. Die Darlehenskasse hat sich als eine aus¬
gezeichnete Einrichtung bewährt.
Mugdan - Berlin : Der Aufsichtsrat (Mugdan, Pfeiffer,
'ran z) hat die Kassenverhältnisse geprüft und alles in Ordnung
»efunden; er beantragt unter dem Ausdruck der Anerkennung die
■.ntlastung des Kassiers
Die Entlastung wird ohne Diskussion erteilt.
III. Der Bericht über die Witwengabe liegt im Druck vor.
H a r t m a n n - Leipzig: Es ist bedauerlich, dass die Einnahmen
urückgegangen sind, während die Zahl der gut begründeten Gesuche
mmer steigt. Der Plan, eine zentrale Auskunfts- und Fürsorgestelle
iir die Hinterbliebenen zu errichten, musste zunächst infolge des
ödes Wentschers, welcher die Vorarbeiten übernommen hatte,
urückgestellt werden. In ruhigeren Zeiten hoffen wir an dieser nicht
infachen Frage weiterzuarbeiten.
V. Die Aufbringung der Kosten für die ärztlichen Beisitzer in den
Schiedsämtern.
Generalsekretär Dr. Wi eb el; Die Kosten dürften zunächst von
cn Aerztekammern, dann von den lokalen Organisationen aufzu-
ringen sein. Der Vorstand schlägt vor, vorerst da, wo es nötig ist,
ir die Kosten 25 Proz. des Sektionsbeitrages zur Verfügung zu
teilen.
Wird angenommen.
. Die Forderungen der Spezialisten für die kassenärztlichen
Verträge.
Vorsitzender : Der als Referent bestellte Prof. Dr. K u 1 1 n e r hat nach
ingeren Vei handlungen, nachdem er zuerst eine Vertagung der Sache
eantragt hatte, abgeschrieben, da er sich keinen Erfolg versprach
’a ein Ersatz fehlte, die Frage aber einer Behandlung bedarf, schlägt
er Vorstand vor, die Leitsätze M e j e r s vom Jahre 1913 zur Grund¬
ige zu nehmen.
M agen-Breslau: Die Aufgabe des Referenten ist bei der Stimmung
.er I eile nicht leicht für jeden, der kein geriebener Diplomat ist.
ie Niesen Mejers scheinen in befriedigender Weise alles zu
-geln. aber in einem grossen Teile Deutschlands ist nach dem Ur-
ule der Spezialisten so gut wie nichts davon verwirklicht. Man
Ui^t darüber, dass das Verständnis für die Bedürfnisse der Spezial-
rzte bei den ärztlichen Lokalorganisationen kaum grösser sei, als
is v erständnis der Kassen für die Aerzte, und dass der LWV. zu
enig im Sinne jener Thesen auf die Lokalorganisationen einwirke,
as Ueberweisungssystem wird oft auch da von den Aerzten ver-
ngt, wo dies die Kassen nicht tun. Die Art der Uebcrweisung ist
erschieden, in manchen Fällen erträglich, in anderen aber mit dem
■ esen der freien Arztwahl nicht vereinbar. Der Einwand, dass die
ranken selbst nicht urteilsfähig seien, trifft hier so wenig zu wie bei
-r Auswahl der Aerzte überhaupt. Eine Vorschrift z. B„ dass die
ehci Weisung nur für eine einmalige Konsultation gelten soll, ist nicht
chtig. Als Bezahlung wäre die der Einzelleitung nach den Mindest-
itzen das Ideale, man muss aber wohl auch das Pauschale gelten
ssen dort, wo für die Allgemeinheit ein solches festgesetzt ist, es muss
mn aber entsprechend sein, nicht ein Almosen, das für die Spezial¬
ärzte abfällt. Deprimierend ist es, wenn z. B. bestimmt wird, dass
nach den Mindestsätzen zu liquidieren ist, von dem Gesamtpauschale
aber höchstens ein Viertel den Spezialärzten abgetreten werden soll,
so dass unter Umständen nur ein Fünftel der Mindestgebühr erreicht
wird. Wo eine Ueberweisung nur der schweren Fälle besteht, kann
sicher die Bezahlung der Einzelleistung nach der Mindestgebühr er¬
wartet werden; denn sicher verlangen die Fälle der allgemeinen
Praxis keine solchen besonderen Leistungen als diese schweren Fälle
beim Spezialisten.
Für den Spezialarzt ist die Krankenhausfrage von zunehmender,
grösster Bedeutung um so mehr, als die Behandlung aller Stände
(Beispiel des Königs von Schweden) in Krankenhäusern zunimmt. Auf
keinem Gebiet ist die Beurteilung der ärztlichen Leistungen eine so
perverse, und es ist ein wirtschaftlicher Wahnsinn, wenn in Kranken¬
häusern die ärztliche Behandlung überhaupt nicht bewertet wird. -
Vielfach sind bei den Vertragsabschlüssen mit den Kassen die Inter¬
essen der Spezialärzte überhaupt nicht beachtet worden, was man als
eine Pflichtverletzung bezeichnen muss. Dabei standen die Spezial¬
ärzte in allen wirtschaftlichen Kämpfen keineswegs an zweiter Stelle,
sondern sind gerade sie die eifrigsten Organisatoren; darum soll man
sie auch nicht sich selbst überlassen. Die Regelung des Polikliniken¬
unwesens könnte mit der Regelung der Spezialarztfrage am besten
erreicht werden. Was die „Polypragmasie“ der Spezialisten angeht,
so dürfte sie kaum grösser sein, als bei den praktischen Aerzten und
wäre dann eben auch durch scharfe Kontrolle zu bekämpfen Die
Vermehrung der Versicherten durch die RVO. betrifft vielfach ge¬
rade Leute der Privatpraxis, die früher den Spezialarzt gut bezahlten.
Sorgen Sie für ein entsprechendes Einkommen der Spezialisten, so ver¬
mehren Sie das eigene Einkommen; jedenfalls haben die Aerzte bei an¬
ständiger Bezahlung der Spezialärzte nichts für ihre allgemeine Praxis
zu befürchten. Für alle soll das gleiche Recht bestehen! Es ist
Pflicht, bei den noch ausstehenden Vertragsabschlüssen der Bedeutung
der Spezialarztfrage ohne Engherzigkeit Rechnung zu tragen und die
lokalen Spezialarztvereinigungen zu hören.
B 1 o c k - Hannover: Unsere spezialärztliche Vereinigung steht in
enger Verbindung mit der allgemeinen kassenärztlichen Organisation-
beide gehen gemeinsam vor. Die freie Arztwahl ohne Ueberweisung
mit Bezahlung der Einzelleistung wäre schön, aber wir bekommen sie
bei den Zwangskassen nicht. In Wirklichkeit besteht freie Arztwahl
mit Pauschale oder Ueberweisung mit Einzelleistung. Unsere Or¬
ganisation beschloss, die Ueberweisung anzunehmen, das Pauschale
abzulehnen. Es ist nicht verständlich, wie man die Ueberweisung
als „Schmach betrachten kann, wo sie doch auch in der Privatpraxis
Gebrauch ist. Nur soll trotz Ueberweisung dem Patienten selbst die
Wahl des Spezialarztes freigestellt sein. Das erhofften wir in Han¬
nover, das Berliner Abkommen hat aber die Sache gehemmt und
wir haben im Vertragsausschuss nichts erreicht und hoffen nun auf
das Schiedsamt. Nicht wünschenswert ist die Einbeziehung der Spe¬
zialärzte in das allgemeine Pauschale.
Jess-Kiel bespricht die Einschränkungen, welche die all¬
gemeine Praxis durch die Unterfächer der inneren Medizin, vor allem
die Kinderheilkunde (auch die Tuberkulosefürsorge) erleidet. Die
Kinderärzte können sich in den Familien fast nicht auf ihr Fach be¬
schränken. Das einzige Zweckmässige wird sein, dass die prak¬
tischen Aerzte, allerdings nur bei entsprechender Ausbildung, ihrem
Titel auch die Bezeichnung „Kinderarzt“ anfügen.
S c h i 1 1 e r - Breslau: In Breslau besteht eine spezialärztliche
Vereinigung, die mit der allgemeinen Aerzteorganisation zusammen
arbeitete und kämpfte. Wir erreichten freie Snezialarztwahl mit
Ueberweisung; da aber ein Teil der praktischen Aerzte die Kranken
den Polikliniken zuweist, streben wir die völlig freie Arztwahl an.
In der Krankenhausfrage hätte die Zentrale mehr tun sollen. Hier
ist vor allem zu wünschen, dass die Krankenhausärzte sich für ihre
Leistungen zahlen lassen sollen, viele von ihnen arbeiten Jahre lang
so gut wie umsonst und die Steuerzahler tragen die Folgen der niedri¬
gen Verpflegungssätze in den Krankenhäusern. Man sollte einmal das
einschlägige beschämende Material zusammenstellen.
Es liegt ein Antrag vor, den Gegenstand von der Tagesord¬
nung abzusetzen und der nächsten Vertrauensmännerversammlung
vorzulegen.
Schönheime r- Berlin unterstützt die erste Hälfte dieses An¬
trages. Erst sollten sich überhaupt die Spezialärzte überall unter sich
einigen.
Ei er mann- Frankfurt a. M. wünscht keine allzulange Ver¬
schiebung wegen der Vertragsabschlüsse, die Vertrauensmänner
sollen in diesem Herbst die Sache beraten.
Schück- Berlin beantragt Vertagung auf das nächste Jahr.
P e y s e r - Charlottenburg empfiehlt die Behandlung der Frage
auf einem Aerztetag und Ernennung einer vorbereitenden Kom¬
mission.
Angenommen wird der Antrag Schück: Behand¬
lung der Sache 1915 auf dem Aerztetag oder im LWV.
VII. Wahlen.
Der Vorstand und der Aufsichtsrat werden
durch Akklamation wiedcrgewählt.
VIII. Stellungnahme zu den neugegründeten Gewerbe- und Hand¬
werkerkrankenkassen und verwandten Kassenarten.
S t r e f f e r - Leipzig: In Halle hat Dippe über die Mittel¬
standskassen und in Stuttgart Scholl über Schwindelkassen
1598
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
gesprochen, heute wollen wir nur kurz das 1 licma wieder
diskul icren, das uns sicher noch beschäftigen wird, wenn wir einiger-
rnassen wieder Ruhe haben. Lieber die Schwindelkassen liegt beim
LWV. ein grosses Material vor; ihnen gegenüber ist unser Standpunkt
unverrückbar, irgendwelche Betätigung der Aerzte bei diesen ist
ausgeschlossen. Mit dem Verband freier Hilfskassen. von denen viele
in Zuschusskassen verwandelt worden sind, haben mancherlei Verhand¬
lungen stattgehabt und ist z. B. für Leipzig auch ein Vertrag zustande
gekommen. Neugegründet wurden die Handwerker- und Gewerbe-
krankcnkassen und sind unter verschiedenen Namen besonders in
Norddeutschland und Baden solche in der Bildung begriffen. Es soll ein
Verband für das Deutsche Reich entstehen und man wollte schon für
ganz Sachsen einen Vertrag mit den Aerzten schliessen. Wir haben
aber jeden Vertrag abgewiesen, da die betr. Handwerker für sich
selbst einen solchen wollten; dagegen haben wir endlich zugestanden,
probeweise auf ein Jahr die Untersuchungen bezüglich der Aufnahme¬
fähigkeit in die Kasse zu übernehmen mit voller freier Arztwahl auf
diesem (iebiet vertrauensärztlicher Tätigkeit. Das Zeugnis beant¬
wortet auf einem Formular die Frage, ob für die Kasse ein Risiko
besteht, und wird mit 4 M. honoriert, wovon der Bewerber und die
Kasse die Hälfte trägt. Nun soll auch für Beamtenkreise Aehnliches
geschaffen werden. Die Beamten wollen sich gegen Krankheit ver¬
sichern, aber nur in der Weise, dass der Kranke einen Geldbetrag
erhält, sonst aber nicht in das Verhältnis zum Arzt eingegriffen wird.
In diesem Sinne können w'ir wohl einverstanden sein; denn die Siche¬
rung gegen die wirtschaftliche Schädigung durch Krankheit können
wir an sich anerkennen, so lange die Sicherung nicht auf unsere
Kosten geschieht und nicht unsere freie ärztliche Praxis eingeschränkt
wird.
Jeddeloh- Lüneburg berichtet über Versuche von Kassen, un¬
entgeltliche Krankheitsbescheinigungen zu erhalten. Vielleicht wären
solche zu gewähren, wenn die Bezahlung der Aerzterechnungen
garantiert wäre; Antrag; Die reellen Gewerbe- und Hand¬
werkerkassen sind als Unterstützungskassen zu betrachten und ihre
Mitglieder als Privatpatienten zu behandeln. Krankheitsbescheini¬
gungen dürfen auf einem vorgedruckten kurzen Formular unentgelt¬
lich ausgefertigt werden, wenn die Kasse sich dem LWV. verpflichtet,
die statutarische Krankenunterstützung erst nach jedesmaliger Vor¬
lage der bezahlten Arztrechnung anzuweisen.
Generalsekretär Dr. W i eb el widerspricht diesem Antrag. Wir
haben keinen Anlass zur unentgeltlichen Ausfertigung von Zeugnissen;
dagegen mag es jedem Arzt freistehen, gegen eine Gebühr von 2 M.
in freier Form Krankheitsbescheinigungen abzugeben.
Jcss-Kiel: Wir haben in Kiel beschlossen, selbst Formulare
aufzustellen und gegen 2 M. auszufüllen.
Sternberg - Berlin beantragt: Der LWV. .lehnt den Abschluss
von Verträgen über ärztliche Behandlung mit Angehörigen nichtver¬
sicherungspflichtiger Mittelstands-, Gewerbe-, Handwerker- u. dgl.
Kassen im Interesse der Bevölkerung und des ärztlichen Standes ab.
Dieser Antrag wird angenommen; der Antrag
Jeddeloh wird abgelehnt.
IX, Antrag des Landesverbandes Württemberg betr. Regelung von
Grenzfragen.
„Streitigkeiten wegen Abgrenzung der Kassenpraxis zwi¬
schen kassenärztlichen Organisationen benachbarter Bundes¬
staaten bzw. Provinzen sind der Zentrale in Leipzig zur Ent¬
scheidung vorzulegen. Die Zentrale gibt ihren Schiedsspruch aui
Anrufen einer Partei nach Kentnisnahme der Akten ab. Der
Schiedsspruch ist bindend, wenn beide Parteien vorher erklären,
sich ihm unterwerfen zu wollen.
Die Entscheidung kann auch durch eine von der Zentrale ein¬
zusetzende lokale Kommission mit unparteiischem Vorsitzenden
erfolgen.1-
Der Antrag wird nach kurzer Begründung durch Dr. Ros-
ner - Stuttgart ohne Diskussion angenommen.
Mit einem Dankwort des Vorsitzenden wird die Hauptver¬
sammlung um 4V4 Uhr geschlossen. B e r g e a t.
Verschiedenes.
Zur Frage der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in München.
Das Statistische Amt der Stadt München veröffentlichte soeben
die Ergebnisse, welche sich bei der in der Zeit vom 7. Januar bis
einschliesslich 6. Februar 1914 durchgeführten Erhebung über die in
München in ärztlicher Behandlung befindlichen geschlechtskranken
Personen gezeigt haben, ln den Kreisen der Aerzte besteht seit
langer Zeit der Wunsch, eine Vorstellung von dem annähernden Um¬
fang zu gewinnen, welchen die Geschlechtskrankheiten in der Be¬
völkerung Münchens besitzen. Die Entdeckung der Spirochäte, der
Ueberimpfbarkeit der Syphilis auf Tiere, welche die experimentelle
Durchforschung der Syphilis ermöglichte, die Entdeckung der Sero¬
diagnostik, die Einführung des Salvarsans in die Syphilisbehandlung
haben die Erkenntnis gebracht, dass die Bedeutung der Syphilis einen
bisher ungeahnten Umfang in der menschlichen Pathologie einnimmt.
Es ist daher zu verstehen, dass auch die staatlichen Behörden wie
die Allgemeinheit der Therapie venerischer Krankheiten immer mehr
Interesse entgegenbringen. Von der Erwägung ausgehend, dass die
Kenntnis der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in der Be¬
völkerung lebhaft interessieren müsse, hat die Deutsche Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten die von den statistischen
Aemtern der Grossstädte des Reiches geleitete Erhebung unterstützt
und der Aerzteschaft die Mitarbeit bei der Statistik wärmstens ans
Herz gelegt. , . .... . , ..
Die Erhebung wurde in der Weise durchgefuhrt, dass an die
sämtlichen Aerzte der Stadt ein Fragebogen versandt wurde, in den
sie jeden Krankheitsfall während der einmonatlichen Beobachtungs¬
zeit einzutragen hatten. Die Krankheitserscheinungen waren einge¬
teilt in Ulcus molle, Gonorrhöe, Syphilis, sowie deren Folgeerschei¬
nungen. Alle nicht venerischen Genitalaffektionen, wie spitze Kon¬
dylome, Urethritis non gonorrhoica, Herpes genitalis usw. waren nicht
aufzuführen. Mit Rücksicht auf die ausserordentliche Bedeutung von
Tabes und Paralyse waren für diese besondere Spalten als Unter¬
gruppen vorgesehen mit Unterscheidung der alten Fälle und der erst¬
malig Erkrankten. Im Fragebogen war zugleich das Geschlecht, der
Familienstand, der Wohnort der Kranken, sowie der Infektionsort an¬
zugeben. Die in den öffentlichen Krankenanstalten behandelten Fälle
wurden vom Amte direkt erhoben.
Es ist selbstverständlich, dass die Angelegenheit seitens der
Aerzte wie seitens der Behörde streng vertraulich behandelt werden
musste. Aus diesem Grunde wurde die Namensnennung der Aerzte
vermieden, und es erfolgte nur eine Numerierung der Erhebungs¬
bogen, welche einer beim Amte geführten Namenslistc entsprach. Die
Namen der Kranken konnten überhaupt nicht erfahren werden, da
die Aerzte die einzelnen Fälle mittels der sog. Strichelmethode in die
Bogen eintrugen. Dadurch, dass die im Laufe eines Monats die
Sprechstunde besuchenden. Patienten im Erhebungsformulare ver¬
merkt wurden, wobei jeder Patient nur einmal eingetragen werden
durfte, erhielt man die zu Beginn der Beobachtungszeit in ärztlicher
Behandlung befindlichen Personen zuzüglich der im Laufe der vier
Wochen neu hinzugekommenen.
Wie jeder Arzt und jeder Statistiker weiss, konnte die Er¬
hebung natürlich nicht die Gesamtzahl der Kranken erfassen; denn
es gibt Geschlechtskranke, die sich aus Leichtsinn oder Unverstand
der ärztlichen Behandlung entziehen, während andere sich von Kur¬
pfuschern behandeln lassen und daher ebenfalls nicht in der Erhebung
mitinbegriffen sein können. Dazu kommt, dass nicht sämtliche Aerzte
der Stadt die Berichte einsandten. Von den Spezialisten für Haut-
und Geschlechtskrankheiten beteiligten sich mit ganz wenigen Aus¬
nahmen sämtliche an der Erhebung, von der Aerzteschaft insgesamt
waren es an 90 Proz., die ihr Material dem Statistischen Amte zur
Verfügung stellten.
Mit diesen Mängeln aber war bei der vorliegenden Statistik von
vornherein zu rechnen. Gleichwohl dürften die gefundenen Zahlen auf
die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in München schliessen
lassen; vor allem aber gibt die Erhebung interessante Aufschlüsse
über die Grössenordnungen, über die verhältnismässige Verbreitung
der einzelnen Krankheiten.
Es hat sich ergeben, dass in der Zeit vom 7. Januar bis ein¬
schliesslich 6. Februar 1914 in München 3600 Personen sich wegen
Geschlechtskrankheiten von Aerzten behandeln Hessen. Bei einer
Bevölkerungsziffer von rund 640 000 kommen auf 1000 Einwohner
5,62 in ärztlicher Behandlung gestandene Geschlechtskranke. Unter
den 3600 Kranken sind aber nachweislich nur 3052 oder «4,77 Proz. in
München selbst wohnhaft, so dass auf 1000 Einwohner 4,77 in München
wohnhafte Geschlechtskranke treffen, die in ärztlicher Behandlung ge¬
standen haben. Von sämtlichen Kranken Hessen sich 900 = 25 Proz.
in Anstalten behandeln, während 2700 = 75 Proz. in privatärztlicher
Behandlung standen. 2495 Kranke sind männlichen Geschlechtes,
ihnen stehen 1105 weiblichen Geschlechtes gegenüber. Im ganzen
sind 67,89 Proz. aller Kranken ledig, 31,25 Proz. verheiratet, bei
0,86 Proz. war der Familienstand nicht zu ermitteln. Von den Män¬
nern sind 69,85 Proz. ledig, 29,13 Proz. verheiratet, bei 1,02 Proz.
ist der Familienstand unbekannt. Für die Personen weiblichen Ge¬
schlechtes lauten die entsprechenden Zahlen: 63,66 Proz., 36,02 Proz.,
0,32 Proz.
Von sämtlichen Geschlechtskranken Hessen sich 1768 = 49,11
Proz. an Tripper und dessen Komplikationen behandeln; von ihnen
sind 73,06 Proz. männlichen, 36.94 Proz. weiblichen Geschlechtes.
An weichem Schanker waren 50 Personen oder 1,39 Proz. er¬
krankt; hievon sind 82 Proz. männlichen, 18 Proz. weiblichen Ge¬
schlechtes.
An Syphilis aller Art waren 1782 Personen oder 49,50 Proz. er¬
krankt. Hievon sind 64,64 Proz. männlichen, 35,36 Proz. weiblichen
Geschlechtes. Fälle mit frischer Syphilis finden sich 301, mit rezidi¬
vierender Syphilis 1389, mit Erbsyphilis 92; es waren also unter den;
Luetikern 16,64 Proz. an frischer, 77,95 Proz. an rezidivierender und
5,16 Proz. an Erbsyphilis erkrankt. Hievon waren bei frischer Sy¬
philis 65,44 Proz. männlichen, 36,56 Proz. weiblichen, bei rezidivieren¬
der Syphilis 65,51 Proz. männlichen, 34,49 Proz. weiblichen und
schliesslich bei Erbsyphilis je 50 Proz. männlichen und weiblichen tie-
schlechtes.
Bei Tripper, weichem Schanker, frischer Syphilis und Erbsyphilis
machen die ledigen Personen weitaus den grössten Prozentsatz aus,
bei rezidivierender Syphilis dagegen zeigt sich das umgekehrte Ver¬
hältnis. Es sind unter den an rezidivierender Syphilis erkrankten
Personen 45,21 Proz. ledig, 52,99 Proz. verheiratet, bei 1,80 Proz.
ist der Familienstand unbekannt.
14. Juli 1914.
MUFNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1599
Auf Eirund dieser Ziffern kann man sich ein Bild über die Ver¬
breitung der Geschlechtskrankheiten in München verschaffen. Von
Interesse wird es sein, einen Vergleich zwischen den Ergebnissen
Münchens und der anderen Grossstädte anzustellen; noch liefen
wenige Ergebnisse anderer Städte vor. In Nürnberg, Fürth, Königs¬
berg, Breslau und Berlin, deren Ergebnisse bereits veröffentlicht wur¬
den, sind die Verhältniszahlen ungefähr die gleichen wie in München.
I )as statistische Amt in Frankfurt a. M. wird die Ergebnisse sämt¬
licher (irossstadte des Reiches zusammenstellen; dann wird sich
zeigen, welchen Umfang die Geschlechtskrankheiten in Deutschland
gewonnen haben. Die Kenntnis der Verbreitung dieser Krankheiten
wird erst die richtige Handhabe für die Bekämpfung des furchtbaren
Feindes bieten, der die Gesundheit des Volkes untergräbt und die
Kraft der Nation schwächt. 5CI,
Therapeutische Notizen.
Unter den physiologischen Gesichtspunkten, die bei der Be¬
handlung des Magengeschwürs und ähnlicher Zu¬
stande in Betracht kommen, hält H. Januscfike - Wien für
einen der wichtigsten die Berücksichtigung der Entstehung des Ge¬
schwürs.
Wenn man die Entstehung auf die durch Spasmen der Muscularis
mucosae hervorgerufene Ischämie der Magenschleimhaut zurückführt,
so empfiehlt es sich vor allem die motorischen Vagusendigungen aus¬
zuschalten und so den krampferzeugenden Reiz von der Magen¬
muskulatur fernzuhalten. Das wird am besten erreicht durch Atropin.
Jas neben der Beseitigung der Spasmen noch eine hemmende Wirkung
aut die Magensekretion ausiibt. — Führt eine systematische Atropin¬
kur nicht zum Ziele, so handelt es sich entweder um einen Pyloro-
spasmus. der durch Atropindarreichung per Klysma bekämpft werden
kann, oder aber es handelt sich um eine Kontraktion des Sphincter
pylori, der vom Sympathikus aus seine Reize bekommt. Da das
Atropin aber auf den Sympathikus keine Einwirkung besitzt, so ist
n diesen Fällen ein Versuch mit Papaverinum hydrochloricum zu
nachen, das die Erregbarkeit der glatten Muskulatur abstumpft
Diese medikamentöse Behandlung des Ulcus ventriculi ist zu
jntei stützen durch diätetische, physikalische und hygienische Mass-
lahmen. eine möglichst reizlose Kost, in kleinen Mengen verabreicht,
ernhaltung von scharfen Gewürzen und von Alkohol, Vermeidung
dler groben Speisen sind von grösster Wichtigkeit.
Bei sehr überempfindlicher Magenschleimhaut muss man zur
\nasthesie derselben schreiten. Unter den Anästhetika empfiehlt J.
im meisten das Anästhesin und das Novokain. (Ther. Mh. 1914 4 j
Kr. '
I 9 r e ; y f u s und Dr. J. Schürer von der Med. Klinik
les stadt Krankenhauses bzw. dem hygienischen Institut in Frank-
urt a. M. haben einen Fall von postdiphtherischer Poly-
e u r i t i s durch Tonsillektomie mit vollkommenem Erfolg behandelt
ausgehend von der Anschauung, dass Rezidive und Verschlimme-
ungen einer Neuritis Monate nach einer akuten Diphtherie nur durch
rneute (jiftzufuhr von den Tonsillen aus hervorgerufen werden
Jonnen, hielten sie eine kausale Therapie — analog dem Wund-
tarrkrampf — nur in einer Entfernung des Infektionsherdes ge-
eben 3 Monate nach der Infektion fanden sich noch virulente
hphtheriebazillen im Rachenabstrich. 14 Tage nach Entfernung der
onsillen war der Patient völlig beschwerdefrei. Unmittelbar nach
er Operation wie auch später waren in den Rachenabstrichen Diph-
leriebazillen nicht mehr nachweisbar. Um eine lokale Wunddiph-
lerie zu vermeiden, wurden 1 Stunde vor der Operation 2000 I.-E.
erum intramuskulär injiziert, nachdem zur Erzeugung einer Anti-
naphylaxie 24 Stunden vor dem Eingriffe 300 I.-E. subkutan ge-
eben waren. Verfasser empfehlen, auch bei postdiphtherischen
ah m ungen aufden Zustand der Tonsillen und den Bazillengehalt
er Abstriche zu achten und selbst bei negativem Bazillenbefund
ber s° ].r Protrahiertem Verlauf die Tonsillektomie zu erwägen
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 13. Juli 1914.
. — ■ Die internationale Gesellschaft für Chirur-
i e, deren 4. Kongress im April d. J. in New York stattfand, hat be-
.nlossen, den 5. Kongress im Jahre 1917 in Paris abzuhalten. Als
egenstände der Tagesordnung wurden bestimmt: 1. Chirurgie des
erzens und der Gefässe, einschliesslich Thrombosen und Embolien;
luttransfusion. 2. Tumorenbehandlung mit Röntgenstrahlen und Ra-
um. 3 Blutuntersuchungen und biologische Reaktionen bei chirur-
schen Erkrankungen. 4. Frakturen des Unterschenkels und Fuss-
uenks. Ferner: Diagnose und Behandlung des Tetanus.
Im Jahre 1917 findet bekanntlich auch der Internationale
edizinische Kongress in München statt. Da noch die
itionalen chirurgischen Kongresse, wie der deutsche und frän¬
kische Chirurgenkongress dazukommen, so ergibt sich für das
1 ',r oine . Ueberproduktion an chirurgischen Kongressen
a dadurch eine Zersplitterung, die der Sache nur zum
-haden gereichen kann. Dies um so mehr, als die Tagcs-
ordnung des int. Chirurgenkongresses Themata aufweist, die ganz
selbstverständlich auch auf dem int. med. Kongress zur Sprache
kommen müssen, wie die Strahlenbehandlung der Tumoren, die bio-
ogischen Reaktionen u. a.; ja die ganze Tagesordnung dieses Kon-
gresses besteht mit Ausnahme des Punktes 4 aus Fragen, die An¬
gehörige nichtchirurgischer Disziplinen lebhaft interessieren, also für
Untpr HiVcl reH c!,iru,rKischen Kongress besonders geeignet wären.
Unter diesen Umstanden wäre es sehr zu wünschen, dass der int.
Chirurgenkongress um ein Jahr verlegt würde, oder dass er, was viel¬
leicht noch zweckmassiger wäre, für das Jahr 1917 mit dem int. med
w?ir.r£eSSA ,yfeaeinigtvi;und al- Se,ktiün dieses Kongresses abgehalten
JJSL Auf diese Wei?e vYare die Möglichkeit zu einer umfassenden
gemeinsamen Aussprache der Chirurgie mit der inneren Medizin und
demsrhP, S "fien gtfgeben’ AussPrachen, wie sie sich auf unseren
deutschen Naturforscherversammlungen schon so oft als fruchtbrin¬
gend gezeigt haben. Da die internationalen Chirurgenkongresse alle
ö Jahre, die internationalen medizinischen Kongresse alle 4 Jahre
Da wWSe0dafnn?P 3 r •,ahre’1 dass beidc Zusammentreffen.
rilt ld i,i° (Ur-dei1 Chirurgenkongress nicht gross, wenn er
„! d “r.sEm Jah.re auf eine eigene Tagung verzichten würde; wohl
aber konnte die wissenschaftliche Ausbeute durch die gemeinschaft-
h^eit bfldf K?ngresse in cinem Jahre erheblich sein. Uebri-
gens hat auch der internationale Anatomenkongress
bereits beschlossen, seinen Kongress im Jahre 1917 als Sektion des
mt. med. Kongresses abzuhalten.
c- !, Der Aerztestreik in Niederbarnim ist durch das
Eingreifen des Handelsministers rasch beigelegt worden. Am 8 ds
fand im Oberversicherungsamt in Berlin eine längere Verhandlung
statt, in der der Vorsitzende der Kasse, der Landrat des Kreises
Niederbarmm, sich bereit erklärte, das ärztliche Honorar vnn
80 000 M auf 100 000 M. vierteljährlich zu erhöhen. Die bisher ver¬
zögerten Vertragsverhandlungeii zwischen Kasse und Aerzten sollen
unverzüglich aufgenommen werden. (Vergl. den Berliner Brief in
dieser Nummer.) m
.... T Auch im Kreise Oberbarnim, wo Streit zwischen den Aerzten
und den Kassen besteht, ist es in letzter Stunde noch zu einer
vorläufigen Einigung gekommen. Die freie Arztwahl bleibt bestehen.
In den Kreisen Angermiiiide und Templin haben die Aerzte ihre
kassenarzthehe Tätigkeit eingestellt.
— Der Polizeipräsident von Berlin erlässt folgende Warnung
vor Entfettungsmitteln. Seit längerer Zeit werden in der
resse unter der Maske redaktioneller Besprechungen allerlei minder¬
wertige Mittel, besonders Entfettungsmittel, in marktschreierischer
Wtise zum Kaufe angepiesen unter Phantasienamen wie Salrado
Aj^y, Onadal, Resiablätter und Boraniumbeeren. Den Vertrieb dieser
Mittel vor deren Ankauf ich hiermit warne, haben die Firmen The
Salrad0 Co. in Hamburg, C. F. Asche & Co. in Hamburg und die
Deaborngesellschaft in Berlin, Poststr. 12, übernommen.
. Ä ^^3 der bayerischen Abgeordnetenkammer hat in Beantwortung
einer Anfrage der Kriegsminister die Erklärung abgegeben, dass der
Zugang der jungen Militärärzte zum aktiven Dienst in
der bayerischen Armee sich in diesem Jahre bedeutend erhöht hat.
Bis jetzt sei mehr als die doppelte Anzahl von Unterärzten angestellt
worden als im Vorjahre Hiernach dürfe wohl erwartet werden, dass
der langbeklagte Mangel an aktiven Sanitätsoffizieren in absehbarer
Zeit behoben sein wird. ICI
— Gemäss § 7 Abs. 4 der Satzungen hat sich der auf der Haupt¬
versammlung am 25. Juni 1914 in München gewählte Vorstand des
Leipziger Verbandes konstitutiert. Nach Zuwahl weiterer 4 Mit¬
glieder gehören ihm an die Herren DDr. Hartmann S t r e f f e r
Hirschfeld M e j e r, G ö h 1 e r, Prof. Dr. Schwarz, DDr.’
Dumas, Voller t, Klober g, Meischner.
— Dem Arzt Dr Carl Heinrich S t r a t z im Haag, Holland, ist
woTden^^hk) 6n Kultusm,nister das Prädikat Professor verliehen
r. T ”P i ? f c b u 1 ® d e r Chemie. Erste Einführung in die
Chcime für Jedermann von Wilhelm Ostwald ist in 3. Auflage
PreTs M s | S T Friedr- V ieweg&Sohnin Braunschweig,
Preis M 5.50) erschienen O s t w a 1 d ist bekannt nicht nur als
Meister der Sprache, sondern auch als Meister leichtverständlicher
Darstellung; man lese nur seine Geschichte der Elektrochemie. Diese
Eigenschaften kommen auch in seiner „Schule der Chemie“ zur vollen
?v erkl|ren den.^ ausserordentlichen Erfolg, den das Buch
gehabt hat. Dieser Erfolg wird auch der neuen Auflage treu bleiben
zumal diese im Preise abermals ermässigt und durch ein Sachregister
vermehrt wurde.
~ P ? S Peu^scb Ostafrika. In Daressalam wurden in der Zeit
vom . bis 10. Juni 4 neue Pestfälle festgestellt. — Russland. Im
oJ°i^ffAntraCSan Sind tem 0rte Bulanai vom 25. Mai bis 14. Juni
9 lestfalle, dcirunter 7 Erkranl^ungen an Lungenpest, festgestellt
worden — Türkei. In Jaffa wurde am 26. Juni in der Umgebung
der früheren Erkrankungen ein neuer Pestfall ermittelt. In Beirut ist
am 16. Juni ein mchteingeschleppter Pestfall ermittelt worden. —
Ple+n' rc ?en. beiden Wochen vom 13. bis 26. Juni
erkiankten 15 (und starben 9) Personen. — Britisch Ost-
'nd‘enö Vom 24- bis 30. Mai erkrankten 3783 und starben
3324 Personen — Mauritius. Vom 10. April bis 7. Mai 2 Erkran¬
kungen und 1 I odesfall. — Cuba. In Havana ist am 23. und 24. Mai
1600
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 28.
je 1 neuer Todesfall festgestellt worden. Im Verlaufe des gegen¬
wärtigen Pestausbruchs seit dem 22. Februar waren 20 Krankheits¬
fälle, davon 3 mit tödlichem Ausgang zu verzeichnen. Ausserdem
ist 1 Pestfall nach dem im Innern der Insel gelegenen Orte Artemisia
verschleppt worden. — Chile. Im Jahre 1913 sind insgesamt 79 fcr-
Kränkungen und 33 Todesfälle festgestellt worden.
— In der 25. Jahreswoche, vom 21. bis 27. Juni 1914, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Berlin-Lichterfelde mit 26,9, die geringste Rüstringen mit 4,0 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge-
storbenen starb an Scharlach in Berlin-Pankow, Berlin-Reinickendorf,
Qleiwitz, Königshütte, Zabrze, an Masern und Röteln in Buer, Ham¬
born, Ulm, an Unterleibstyphus in Wiesbaden. Vöff. Kais. Cies.A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Der Wirkl. Geh. Obermed.-Rat Prof. Dr. Martin
Kirchner, Direktor der Medizinalabteilung im preussischen Mini¬
sterium des Innern, feierte am 15. Juli seinen 60 Geburtstag.
Frankfurt a. M. Der Ordinarius der Pharmakologie und
medizinischen Chemie Prof. Dr. med. et phil. Alexander E 1 1 i n g e r
in Königsberg hat einen Ruf an die Universität Frankfurt er¬
halten. (hk.)
Giessen. Für Psychiatrie habilitierte sich Dr. jur. et med.
Matthias Heinrich G ö r i n g, Assistenzarzt an der Klinik für psychi¬
sche und nervöse Krankheiten mit einer Probevorlesung über das
Thema: „Die Sittlichkeitsdelikte unter besonderer Berücksichtigung
ihrer Begehung durch Geisteskranke“, (hk.)
H a 1 1 e a. S. Für die Nachfolge des nach Göttingen berufenen
Direktors der Augenklinik, Prof. v. Hippel, sind vorgeschlagen:
1. S c h i e c k - Königsberg und Stock -Jena, 2. Birch-Hirsch-
f e l d - Leipzig, 3. I g e r s h e i m e r - Halle und v. S z i 1 y - Freiburg.
Heidelberg. Der Professor der Physiologie Dr. Albrecht
Kossel wurde zum Geheimen Rat II. Klasse ernannt, der Professor
der pathologischen Anatomie Dr. Paul Ernst und der Professor der
Psychiatrie Dr. Franz N i s s 1 zu Geh. Hofräten. — Geh. Rat Prof.
Dr. Ludolf K r e h 1 erhielt das Kommandeurkreuz 1. Klasse vom
Orden Berthold I. — Der Professor der Zoologie Geh. Rat Dr. Büt-
schli erhielt das Kommandeurkreuz II. Klasse des Ordens vom
Zähringer Löwen; das Ritterkreuz I. Klasse desselben Ordens der
Professor der Augenheilkunde Geh. Hofrat Dr. August Wagen-
m a n n, der Professor der Hygiene Dr. Hermann Kossel und der
Professor der Chirurgie Dr. Max W i 1 m s.
Königsberg i. Pr. Der Privatdozent für Geburtshilfe und
Gynäkologie Dr. Max F e t z e r ist zum Vorstand und ersten Haupt¬
lehrer an der Kgl. Landeshebammenschule in Stuttgart mit dem Titel
eines Direktors ernannt worden; er wird hier Nachfolger des Ober¬
medizinalrats Dr. G. Walcher. (hk.)
Rostock ln der medizinischen Fakultät der Universität
Rostock habilitierte sich der Arzt und Zahnarzt Dr. med. et phil.
Hans Moral, Assistent am zahnärztlichen Institut, für das Fach der
Zahnheilkunde. Habilitationsschrift: „Ueber die Lage des Anästhesie¬
depots“. Antrittsvorlesung: „Ueber Kieferschlauchbehandlung“.
Tübingen. Prof. Dr. Albrecht, Oberarzt der laryngo-
logischen Universitätsklinik zu Berlin, ist als Nachfolger von Prof.
Wagenhäuser auf das Extraordinariat für Ohrenheilkunde be¬
rufen worden.
W ü r z b u r g. Der Privatdozent für Physiologie, Professor
Dr. Ackerma n n hat einen Lehrauftrag für physiologische Chemie
erhalten.
Klausenburg. Der a. o. Professor und Adjunkt Dr. Desider
Vesspremi wurde zum ordentlichen Professor der pathologi¬
schen Anatomie und pathologischen Histologie ernannt, (hk.)
Prag. Dem ausserordentlichen Professor für Geschichte der
Medizin und Epidemiologie an der böhmischen Universität in Prag
Dr. Andreas Schrutz ist der Titel und Charakter eines ordentlichen
Professors verliehen worden, (hk.)
(Todesfälle.)
Dr. Luigi G r i f f i n i, Professor der allgemeinen Pathologie in
Genua.
Dr. E. Schumacher, Privatdozent für Chirurgie in Zürich.
Dr. Joseph F. Hobson, Professor der chirurgischen Klinik an
der Western Reserve-Universität zu Cleveland.
Dr. Emil G r u e n i n g, früher Professor der Augenheilkunde an
New York Polyclinic Medical School und Hospital.
Dr. Brooks F. B e e b e, früher Professor der Geisteskrankheiten
am Medical College of Ohio zu Cincinnati.
Amtliches.
(Bayern.)
Nr. 5010 g 1.
Kgl. Staatsministerium des Innern,
Bekanntmachung
über Reisebeihilfen für A e r z t e im Jahre 1914.
Gesuche um Verleihung von Reisebeihilfen an Aerzte für 1914
sind bis spätestens 15. September 1914 bei der K- Regierung,
Kammer des Innern, des Wohnsitzes einzureichen.
ln dem Gesuche sind Ziel und Zweck der Reise anzugeben. Es
muss belegt sein:
1. mit dem Approbationszeugnisse,
2. mit einem Zeugnis über die Vermögensverhältmsse des Ge-
suchstellers und seiner Eltern,
3. mit einem Leumundszeugnisse. J
Die K. Regierungen legen die Gesuche am 16. September 1914
dem K. Staatsministerium des Innern vor.
Die Reise ist vor Ende des Jahres 1915 anzutreten. Andernfalls
wäre die Einziehung des bewilligten Betrages zu gewärtigen.
M ü nche n, 4. Juli 1914.
1. A.: Ministerialdirektor v. Henle.
Generalkrankenrapport über die K. Bayer. Armee
für den Monat Mai 1914.
Iststärke des Heeres:
85451 Mann, 213 Kadetten, 189 Unteroffiziersvorschüler.
1. Bestand waren
am 30. April 1914:
Iim Lazarett:
im Revier:
in Summa:
lm ganzen sind behandelt:
°/oo der Iststärke:
3. Abgang:
dienstfähig:
°/oo der Erkrankten:
gestorben :
°/oo der Erkrankten:
( dienstunbrauchbar :
ohneVersorgung:
mit „
anderweitig:
in Summa :
4. Bestand
bleiben am
31. Mai 1914:
Mann
Kadetten
Unteroffiz. -
Vorschüler
1716
1
3
1293
13
6
1107
—
—
2400
13
6
41 16
14
9
48,2
65,7
47,6
2619
12
4
636,3
857,1
444,4
1 1
2,7
—
—
30
—
—
23
—
—
1.17
—
—
2820
12
4
1296
2
5
15,2
9,4
26,5
1055
2
5
241
—
—
in Summa:
°/oo der Iststärke:
davon im Lazarett:
davon im Revier:
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten an:
Tuberkulose 3 (davon 1 Lungen-, 1 Becken- und Lungen-, 1 Lungen-
und Hirnhauttuberkulose); Lungenentzündung 2 (davon 1 doppelseitig
nach Kropfoperation); schwerem Brechdurchfall 1; epidemischer
Genickstarre 1; Blutvergiftung 1; Abszess in der Nierenumgebung 1;
eitriger Hirnhautentzündung nach Zellgewebsentzündung in der linken
Augenhöhle 1; Zerreissung der Beckenorgane (Verunglückung) 1.
Ausserdem starben ausserhalb der militärischen Behandlung
5 Mann durch Selbstmord (4 durch Erschiessen, 1 durch Ertränken).
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im
M ol 101a •
1 L !\ l\ OM«
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 25. Jahreswoche vom 21.— 27. Juni 1914.
Bevölkerungszahl 640 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 16 (101), Altersschw. (über 60 Jahre) 6 (7 ), Kindbettfieber 1 (1),
and Folgen der Geburt und Schwangerschaft 1 (— ), Scharlach — (1),
Masern u. Röteln 3 (3), Diphtherie u. Krupp — (— ), Keuchhusten — (2),
Tvphus (ausschl. Paratyphus) — (—), akut. Gelenkrheumatismus — (->,
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) — (2), Starrkrampf 1(1),
Blutvergiftung — (L, Tuberkul. der Lungen l7 (17), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 6 (6), akute allgem. Miliartuberkulose 1 (— ), Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 6 (7), Influenza — (— ), veneri¬
sche Krankh. 1 (2), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfieber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel¬
fieber usw. — (— ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) — (I ), Alkoholis¬
mus _ (_)t Entzünd, u Katarrhe der Atmungsorg. 4 (1), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane 2 (6), organ. Herzleiden 26 (19), Herzschlag, Herz¬
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 1 (— ), Arterienverkalkung
2 (6), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 6 (3), Gehirnschlag 9 (5),
Geisteskranke 1 (— ), Krämpfe d. Kinder 1 (5), sonst. Krankh. d. Nerven¬
systems 3 (4), Atrophie der Kinder 1 (1), Brechdurchfall 2 (— \ Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 10 (9), Blinddarm¬
entzünd. - (2), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 2 (2), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 4 (5), Nierenentzünd. 7 (5),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 3 (2), Krebs 14 (19), sonst.
Neubildungen 5 (5), Krankh. der äuss. Bedeckungen — (2), Krankh, der
Bewegungsorgane — ( — ), Selbstmord 1 (4), Mord, I otschlag, auch
Hinricht. — (— ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 5 (6\
andere benannte Todesursachen 3 (3), Todesursache nicht (genau)
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— ).
Gesamtzahl der Sterbefälle: 171 (175).
') Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heyscstr. 26.
— Druck von E. Mühllhaler’s Buch- und Kunsldruckerei A.Q., München.
Tie Münchener Medizinische Wochenschrift erschetnt wöchentlich
m Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. • Preis der einzelnen
Nummer 80 -f. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
j* 6.—. » Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag
• ft
MÜNCHENER
Zusendnngen sind zu adressieren:
fördie Redaktion Amulfstr.26. Bilrozeit der Redaktion S'/,— t Uhr
Für Abonnement an I. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 2>.
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstra3se t.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 29. 21. Juli 1914. Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der In dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor
Originalien.
Aus der kgl. Universitäts-Frauenklinik Berlin.
Heilung tiefliegender Karzinome durch Röntgenbestrahlung
von der Körperoberfläche aus*).
Von E. Bumm und K. Warnekros.
Unsere Erfahrungen über die Strahlenbehandlung der
Karzinome, die sich nunmehr über 2 Jahre erstrecken, haben
ergeben, dass man ohne Schädigung der benachbarten Gewebe
mit den radioaktiven Körpern nicht tiefer als, 2 bis höchstens
3 cm wirken kann. Handelt es sich um oberflächliche Krebs-
wucherungen, so werden diese prompt, und wie es scheint,
auch dauernd zur Ausheilung gebracht. Haben sich aber in
fortgeschritteneren Fällen bereits Infiltrationen in der Nach¬
barschaft des primären Herdes gebildet, dann kommt es wohl
auch zur Heilung der oberflächlichen Krebswucherungen; unter
der schwieligen Narbe, in der Tiefe der Gewebe wächst aber
das Karzinom weiter und wir sehen die Kranken nach
einem halben oder ganzen Jahr mit geheiltem Primärherd, beim
Kollumkarzinom z. B. mit verwachsenem Scheidengrund,
ohne Ausfluss und Blutung, aber mit neuen Knoten in der Tiefe
wieder. Bei anderen Karzinomen (Rektum, Zunge, Kehlkopf)
ist es ebenso.
Der Versuch, durch Verwendung grösserer Dosen der
radioaktiven Substanzen oder durch Verlängerung der Be¬
strahlungsdauer eine Einwirkung auch auf die tiefer liegenden
I eile der Krebswucherung zu erzielen, hat — uns wenigstens —
keine Erfolge gebracht. Bis in der Tiefe von 3 — 4 cm und
darüber hinaus eine genügende Einwirkung erreicht wird, er¬
leiden die oberflächlichen Gewebspartien, welche innerhalb
der intensiven Strahlungszone liegen, trotz aller Filterung
schwere Schädigungen; es entstehen weit um sich greifende
Nekrosen und die Kranken sind zwar von ihrem Krebs geheilt,
erliegen aber der Mesothorium- oder Radiumverbrennung.
Die Strahlung der radioaktiven Körper wirkt an der Eintritts¬
pforte und in ihrer nächsten Nachbarschaft zu stark, in einiger
Entfernung aber viel zu schwach.
Diese Nachteile fallen bei der Verwendung der Röntgen¬
strahlen weg. Da die Röntgenröhre das Vieltausendfache des
Strahlenquantums der verfügbaren Mengen von radioaktiven
Substanzen liefert, sind wir in der Lage, weiteren Abstand
zu nehmen, die oberflächlichen Gewebsschichten der Zone
der intensiven verbrennenden Strahlung zu entrücken und ohne
die Gefahr stärkerer Gewebsschädigung auch an den tieferen
Teilen eine genügende Einwirkung zu erzielen.
Um Anhaltspunkte für die Beurteilung der Strahlenmenge
zu gewinnen, die von der Röntgenröhre und den radioaktiven
Substanzen in der gewöhnlich verwendeten Dosis geliefert
werden, hat Warnekros eine Reihe vergleichender Ver¬
suche mit Hilfe photochemischcr und elektroskopischer Re¬
aktionen angestellt. Ueber Einzelheiten dieser Versuche wird
an anderer Stelle ausführlicher berichtet werden. Hier sei zur
Darstellung der Unterschiede nur folgendes hevorgehoben :
Die photochemische Prüfung ergab, dass Kienböckstreifen,
welche in das Scheidengewölbe karzinomkranker Frauen ein¬
gelegt und von der vorderen Bauchwand aus bestrahlt wurden,
Jurcli die Strahlung unserer Maximum- und Duraröntgenröhren
hei 22 cm Fokushautdistanz schon nach 10 Minuten so ge¬
*) Nach einem Vortrag in der H u f e 1 a n d ischen Gesellschaft.
Sitzung vom 9 Juli 1914
Nr. 29.
bräunt waren, dass 10 X abgelesen werden konnten, während
bei einer gleich langen Bestrahlung mit 200 mg Mesothorium,
das direkt auf die Bauchhaut gebracht worden war, der Fffekt
am Streifen = Null war. Ebenso nach einer Bestrahlungsdauer
von 1 Stunde. Erst nach einer Applikationsdauer von
11 Stunden, wonach die Hautstelle in der nächsten Zeit eine
Verbrennung 2. Grades aufwies, konnte eine gerade noch wahr¬
nehmbare Verfärbung des Streifens von ca. Ä X abgelesen
werden. Am Phantom lieferte die Röntgenröhre bei einer
Eokusdistanz von 22 cm unter 3 mm Aluminium nach 10 Mi¬
nuten 100 X an der Oberfläche und noch in einer liefe von
30 cm war eine Wirkung nachweisbar. 200 mg Mesothorium,
ebenfalls 22 cm von der Oberfläche des Phantoms angebracht,
ergaben trotz 15 ständiger Bestrahlungsdauer selbst an dem
obersten Streifen, keinen überhaupt messbaren Effekt.
Zu ähnlichen Ergebnissen führten die Versuche, die mit
Hilfe des Wulff sehen Elektroskops und des Iontoquanti-
meters von Szillard vorgenommen wurden, die beide die
Ionisation zur Bestimmung der Strahlenintensität benützen.
Bei den Messungen mit dem Wulff sehen Elektroskop ergab
sich, dass die Strahlung einer Maximumröhre, gemessen unter
3 nun Aluminium, einem Präparat von 100 mg Mesothorium
um das 5000 fache an Quantität überlegen ist, d. h. also, dass
man ein Präparat von 500 g Mesothorium zur Verfügung haben
müsste, um in dem gleichen Abstand wie bei der Röntgen¬
bestrahlung den gleichen Effekt an der Oberfläche zu er¬
zielen. Messungen mit dem Iontoquantimeter, dessen kleine
Ionisierungskammer in die Tiefe der Körperhöhlen eingeführt
werden kann, ergab bei Abstand der Röhren = 22 cm, der
Mesothoriumkapsel = 2 cm von der Oberfläche in 10 cm
Gewebstiefe ein Verhältnis der Röntgen- zur Mesothorium¬
strahlung wie 3,96 : 0,0043 oder wie 921 : 1. Es wären also
921 X 100 mg = 92 g Mesothorium nötig, um in der Tiefe
von 10 cm eine gleiche Strahlungsintensität zu erreichen wie
mit der Röhre.
Diese Messungen werden bestätigt durch eine Reihe
neuer Untersuchungen, welche Priv.-Doz. C e r in a k - Giessen
gemeinsam mit Warnekros in unserer Röntgenabteilung
mit Hilfe des Blättchenelektrometers nach H. W. Schmidt
vorgenommen hat, an. dem mit Sicherheit immer bei Sättigungs¬
strom sowohl die starken Wirkungen der Röhre wie die
schwachen des Mesothoriumpräparates gleich genau abgelesen
werden konnten. Benutzt wurde auf der einen Seite ein
Veifa-Reformapparat für besonders durchdringungsfähige
Strahlen und eine harte Maximumröhre bei einer nach Mög¬
lichkeit immer eingehaltenen Belastung von 4,5 MA„ auf der
anderen Seite 100 mg Mesothorium in 1 mm Messingkapsel,
die nur eine reine y-Strahlung durchlässt. 2 Ionisierungs-
kammern standen zur Verfügung und wurden gleichzeitig be¬
nützt, alle Zahlen sind Mittelwerte aus mindestens 3 Beob¬
achtungen. Mesothorium ergab pro Zentimeter Fleisch eine
Absorption an Strahlung von 9 Proz. bis 5,5 Proz., die Röntgen¬
röhre von 12,8 Proz. bis 8,35 Proz. und bei 50 cm Abstand und
Filtration mit 10 mm Aluminium sogar nur 7,5 Proz. Mit dem
neuen Apparat und der Maximumröhre hatte sich also die
Durchdringungsfähigkeit der Röntgenstrahlen jener der
y-Strahlung des Mesothoriums stark genähert. Noch günstiger
gestalteten sich die Verhältnisse am lebenden Gewebe, wo.
mit Hilfe einer in die Scheide eingeführten Ionenkammer
gemessen, in einer Gewebstiefe von 12 cm (bei 22 cm
Hautabstand der Antikathode, 3 mm Aluminium und 4,5 MA-
Belastung) 71,3 Proz. der Strahlung, in 1 cm also nur
1602
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
5,9-4 Proz. absorbiert wurden. Die Entladungszeiten des
Elektrometers betrugen bei der Röntgenstrahlung in der
angegebenen Anordnung 44,5 Sekunden, bei Mesothorium,
das äusserlich direkt auf die Haut aufgelegt wurde,
3366 Sekunden. Die Intensitäten der beiden Strahlungs-
arten verhalten sich also wie 3366:44,5, d. h. man musste
756mal so viel Mesothorium, also 75g direkt auflegen, um in der
Tiefe von 12 cm in der Zeiteinheit dieselbe Strahlungsintensität
zu erhalten wie bei der in 22 cm Fokusabstand befindlichen
Röntgenröhre.
Man hat zugunsten von Radium und Mesothorium ange¬
nommen, dass zwischen den harten Strahlen der Röntgenröhre
und der radioaktiven Substanzen qualitative Unterschiede be¬
stehen und die y-Strahlen nicht nur durch eine grössere Durch¬
dringungsfähigkeit (Härte), sondern auch durch intensivere
biologische Beeinflussung und sogar spezifisch elektive Wir¬
kung auf die Karzinomzelle ausgezeichnet seien. So richtig es
ist, dass die y-Strahlung eine grössere Härte besitzt, den oben
gegebenen Vergleichszahlen deshalb nur eine relative Be¬
deutung zukommt, so wenig ist jemals bewiesen worden, dass
die Einwirkung der y-Strahlung auf das Karzinomgewebe eine
intensivere sei als die der harten Röntgenstrahlung *). E s
kommt bei der Krebsheilung nur auf die Menge
der Strahlen an, die das krankhafte Gewebe
treffen. Die Wirkung geht n u r gerade so weit,
als eine genügende Strahlungsintensität im
Karzinomgewebe erreicht werden kann. Das
zeigen die klinischen Erfahrungen, wenn man nicht nach dem
Augenblickserfolg, sondern nach dem Befund in Jahresfrist
urteilt, immer wieder.
Es bedarf nach unserer Schätzung bei direkter Röntgen¬
bestrahlung offenliegender Karzinome einer Menge von ca.
3 — 5oo X, um Krebswucherungen von 2 cm Dicke zum Zerfall
und zur Ausheilung zu bringen. Dieselbe Strahlenmenge von
3 — 500 X muss in der Tiefe der Gewebe zur Einwirkung
kommen, wenn dort liegendes Karzinomgewebe zerstört
werden soll. Die praktisch in Frage kommenden Gewebs-
tiefen gehen bis zu etwa 10 cm, so weit wird man bei ge¬
eigneter Anordnung stets selbst an beträchtlich von der
Oberfläche abliegende Karzinome herankommen. In der
Tiefe von 10 cm hat sich bei unseren Versuchen sowohl am
Phantom als an der Lebenden, wo Kienböckstreifen im
Scheidengewölbe von der Bauchhaut aus bestrahlt wurden,
eine Abnahme der Strahlungsintensität von 100 auf 15, d. h.
auf ca 1h der an der Oberfläche gemessenen Strahlenmenge
ergeben. Um in der Tiefe von 10 cm 500 X zu erreichen,
müssen also an der Oberfläche 3500 X gegeben werden, was
ohne schwere Gewebsschädigung natürlich nur mit ausgesucht
harter Strahlung, reichlichem Abstand von der Haut nach
dem Prinzip der homogenen Bestrahlung von E. Dessauer
und durch verschiedene Einfallspforten geschehen kann,
aber wie unsere Erfahrungen beweisen, tatsächlich mög¬
lich ist und dann genau zu denselben Veränderungen an
dem tiefliegenden Karzinomgewebe führt, wie wir sie bei
direkter Bestrahlung oberflächlicher Karzinome stets leicht be¬
obachten können.
Es ist klar, dass die früheren Versuche, Karzinome mit
Röntgenstrahlen zu heilen, nur zu halben Erfolgen führen
konnten, so lange man vorzugsweise mit weichen Strahlen
*) Der Angabe von Bayet von dem refraktären Verhalten ein¬
zelner Karzinome gegenüber Röntgenstrahlen, insonderheit des
Lippenepithelioms, sowie der Bemerkung Wichmanns, dass eine
Beeinflussung des Karzinoms von 2 cm Tiefe schon zu den grössten
Leistungen der Röntgentherapie gehöre, müssen wir auf Grund
unserer Erfahrungen widersprechen. Mit unzulänglicher Apparatur
und ungenügender Dosierung kann man natürlich keine Wirkungen
erzielen. W i r haben andere Erfahrungen als die genannten Autoren
gemacht und erst jüngst bei einem sehr weit ausgebreiteten Lippen¬
epitheliom, das anfangs unter mangelhafter Behandlung und unge¬
nügender Dosierung rapide weiter gewachsen war, bei richtiger
Dosierung (400 — 500 X) und unter Benutzung harter Strahlung einen
glatten Erfolg erzielt. Ebenso widerspricht die Behauptung K e t -
m a n n s, dass Röntgenverbrennungen viel schwerer heilen als
Radium- und Mesothoriumgeschwüre, unserer klinischen Erfahrung.
Gerade das Gegenteil ist richtig, die Mesothorium- und Radium-
geschwüre dauern noch an, wenn die Röntgenexantheme längst ab-
geheiP sind.
arbeitete, und sich der Verbrennungsgefahr halber auf geringe
Dosen beschränken musste. Vor 2 Jahren konnten wir über
einen Fall berichten, in welchem ein inoperables Uterus¬
karzinom durch die für die damalige Zeit enorme Menge von
800 X in einen steinharten Knoten umgewandelt war, der sich
von der Umgebung scharf absetzte und ohne Schwierigkeit
operativ entfernt werden konnte. Die Frau wurde geheilt und
lebt in voller Gesundheit. Es sind dann von Asch off,
K r o e n i g und ü a u s s in dieser Wochenschrift einige Fälle
beschrieben worden, in denen ebenfalls die Zerstörung tief¬
liegenden Karzinomgewebes durch Röntgenstrahlen, allerdings
auf Kosten schwerer Verbrennungen, erreicht worden war.
Die bequemer zu handhabenden radioaktiven Substanzen
haben dann eine Zeitlang die Röntgenbestrahlung in den
Hintergrund gedrängt, wir sind aber bald wieder — veranlasst
durch die sich häufenden Schädigungen nach Mesothorium und
die viel besseren Dauerresultate nach Röntgen — zu diesen
Strahlen zurückgekehrt und haben in ihnen das Mittel kennen
gelernt, welches bei einigermassen in die Tiefe fortgeschrit¬
tenen Karzinomen allein imstande ist, neue Wucherungen zu
verhindern und damit dauernde Heilungen herbeizuführen.
Da alles auf den Nachweis der Tiefenwirkung ankommt,
soll in dem folgenden klinischen Berichte auf die Heilungen
oberflächlicher Karzinome durch direkte Bestrahlung (Vulva,
Urethra, Vagina, Collum uteri, Lippe, Mamma), deren Heilungs¬
dauer z. T. schon anderthalb Jahre zurückliegt und die z. T.
an anderer Stelle veröffentlicht sind, hier nicht näher einge¬
gangen und nur über solche Fälle berichtet werden, wo es sich
zweifellos um eine Wirkung in der Tiefe handelte:
I. Uteruskarzinome.
1. Fr. 11., 31 Jahre. Evertierendes Kollumkarzinom, das breit
auf die vordere Scheidenwand übergegriffen hat. Portiodistanz von
der Bauchhaut durchschnittlich 9 — 14 cm. Die Patientin erhält in 20
aufeinanderfolgenden Tagen, auf 16 Mautfelder der vorderen und
hinteren Bauchwand verteilt, 3700 X. Die bei der rein perkutanen
Bestrahlung klinisch festgestellten Veränderungen an der Portio
waren überraschend gut; schon nach wenigen Tagen hörte die
Blutung und Jauchung auf; im weiteren Verlauf der Behandlung
reinigten sich die Geschwüre, die Wucherungen an der Portio und am
vorderen Scheidengewölbe gingen zurück und die Wundflächen über¬
häuteten sich.
In den während der perkutanen Bestrahlung mehrfach ent¬
nommenen Probeexzisionen fand man in einem hyalin degenerierten
Bindegewebe schwer geschädigte Karzinomzellen mit aufgequollenem
Kern und Zelleib. Da wir aus Sorge um die Maut nicht weiter zu
gehen wagten, in einzelnen Schnitten aber neben den Veränderungen
am Karzinom doch auch noch besser erhaltene Karzinomzellen ge¬
funden wurden, wurde Jn diesem ersten Falle von einer weiteren
indirekten Bestrahlung nur durch die äussere Haut abgesehen, zumal
die bisher erzielte Beeinflussung einwandfrei und überzeugend war.
Die Patientin erhielt in den folgenden 12 Tagen noch 4000 X vaginal,
wonach in den nächsten Probeexzisionen nur noch untergehende
Krebszellen und schliesslich überhaupt kein Karzinom mehr nach¬
gewiesen werden konnte.
Die Haut der Patientin ist nach einem rasch vorübergehenden
oberflächlichen Erythem, obwohl einzelne Hautfelder 350 — 400 X er¬
halten hatten, vollkommen ausgeheilt und hat auch im weiteren Ver¬
laufe der bis jetzt verstrichenen 10 Monate in keiner Weise in
Form einer Spätschädigung reagiert. Ebenso ist der klinische Ver¬
lauf ein ausgezeichneter geblieben. Die Patientin hat an Gewicht
zugenommen und fühlt sich vollkommen gesund.
So beweisend auch hier schon die Tiefenwirkung der
Röntgenstrahlen auf karzinomatöse Neubildungen festgestelit
werden konnte, ist dieser Fall doch nicht bis zur endgültiger
Heilung ausschliesslich perkutan bestrahlt worden; es fehlt
somit der lückenlose Beweis einer genügenden Beeinflussung
tief liegender Karzinome durch die konsequent durchgeführte
Bestrahlung von der Körperoberfläche aus.
Inzwischen hatten wir bei der Bestrahlung von Mamma¬
karzinomen die Erfahrung gemacht, dass die in dem ober
beschriebenen Fall applizierte Strahlenmenge von 400 X pro
Hautfeld und Serie noch nicht die Höchstgrenze darstellt, die
man der äusseren Haut zumuten darf. Bei jauchenden Rezidiv¬
knoten inoperabler Brustdrüsenkarzinome und ebenso bei der
Bestrahlung regionärer Lymphdriisen waren wir allmählich bi"
zu der doppelten Dosis, also bis zu 800 X pro Hautfeld, und
sogar noch mehr in die Höhe gegangen, und konnten auch
jetzt eine relative Unschädlichkeit dieser enormen Strahlen¬
quantität für die äussere Haut feststellen.
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1603
Nach diesen Voruntersuchungen über die Toleranz der
Haut wählten wir 6 ausgedehnte, evertierend gewachsene
Kolluinkarzinome, deren leicht blutende Geschwürsflächen fast
das ganze Scheidengewölbe ausfüllten, und bei denen in
zwei Fällen die Infiltrationen im Parametrium bis zum Becken¬
knochen reichten, zu einer ausschliesslich perkutan durch¬
geführten Bestrahlung aus.
2. Fr. K., 37 Jahre. Faustgrosse, leicht blutende Geschwürs¬
bildung an der Portio, die mit bröckligen Massen bedeckt ist. Para-
metriuin frei. Bei der ziemlich gut genährten Frau betrug die Haut-
oberflächen-Portiodistanz für die verschiedenen Felder 10 — 15 cm.
Bei einer durchschnittlichen täglichen Bestrahlungszeit von 60 — 80 Mi¬
nuten, wobei die einzelnen Hautfelder im Verlauf der Serie 90 bis
120 Minuten bestrahlt wurden, wurde in 3 Wochen das Karzinom
vollkommen zum Verschwinden gebracht. Genauere Messungen der
verbrauchten Dosen nach Kienböck wurden unterlassen, es sind
ca. oOüü a gegeben worden. Fine kli¬
nische Besserung konnte bereits nach acht
lagen festgestellt werden; nach 14 Tagen
war die Geschwulst weit über die Hälfte
verkleinert und am Ende der dritten
Woche hatte sich eine fast normale, nur
noch etwas plumpe Portio mit leichten
Erosionen an den Muttermundslippen zu¬
rückgebildet.
Gleichzeitig ergab die am Ende der
dritten Woche vorgenommene Probe¬
exzision in derb sklerosiertem und hyalin
degeneriertem Bindegewebe an den Kar-
zinomzellen schwerste regressive Verän¬
derungen. Auf Grund dieses günstigen
mikroskopischen Befundes wird die Be¬
strahlung unterbrochen und die inzwi¬
schen gerötete und zum Teil auch schon
blasig abgehobene Haut mit Salbenver¬
bänden behandelt. Die Heilung macht auf¬
fallend rasche Fortschritte, in wenigen
Wochen hat sich die Haut vollkommen
neu epidermisiert. Inzwischen hatte der
weitere Heilungsverlauf an der Portio
auch nach Aussetzung der Bestrahlung zu
einer vollständigen Restitution des pri¬
mären Krankheitsherdes geführt, so dass in der 5. Woche, gerechnet
vom Beginne der ersten Bestrahlung, ein durchaus normal formiertes
Collum uteri palpatorisch und makroskopisch festgestellt werden
konnte. Mikroskopisch wurde jetzt nur noch eine starke Sklerose
und hyaline Degeneration des Bindegewebes, aber überhaupt kein
Karzinom oder Reste desselben gefunden.
3. Frau Gr., 45 Jahre. Gut faustgrosser Tumor, der von der
hinteren Muttermundslippe ausgeht und mit leicht blutenden bröck¬
ligen Massen bedeckt ist. Sehr fettreiche Bauchdecken, so dass die
durchschnittliche Entfernung der Portio bis zur Hautoberfläche 15 cm
unu mehr beträgt. Die Patientin wird mit einer Unterbrechung von
o lagen, die durch eine Angina bedingt war, 5 Wochen hintereinander
bestrahlt und erhält während dieser Zeit insgesamt eine Bestrahlungs¬
dauer von 1380 Zeit-Minuten — 23 Stunden, wobei die einzelnen
beider 100 — 130 Minuten belichtet wurden. Trotz der sehr dicken
Bauchdecken und des starken Fettpolsters am Gesäss und an der
Rückenhaut ist am Ende der fünfwöchentlichen Behandlung die Ge¬
schwulst vollkommen verschwunden; in der Probeexzision aus der
normal formierten hinteren Muttermundslippe werden nur noch ver¬
einzelte untergehende Karzinomzellen in einem hyalin degenerierten
Bindegewebe und Granulationsgewebe gefunden.
4. Fr. S., 41 Jahre. Portio durch ein evertierend wachsendes
Karzinom in eine kleinhandtellergrosse Geschwürsfläche umge¬
wandelt. In 30 aufeinanderfolgenden Tagen erhält die Patientin, eben¬
falls auf 14 Hautfelder verteilt, zwanzig Bestrahlungsstunden. Im
Verlauf der Behandlung schrumpft die kolbige Portio zu einer nor¬
malen Form zusammen; Blutung und Ausfluss hören aut.
Die mikroskopische Untersuchung ergibt eine sehr starke hyaline
und sklerotische Veränderung des Bindegewebes und fast durchweg
die allerschwersten Schädigungen an den Karzinomzellen.
5. Fr. K., 41 Jahre. Abgemagerte, anämisch aussehende Frau.
Portio in eine handtellergrosse, leicht blutende, jauchende Ge¬
schwürsfläche umgewandelt mit bröckeligen Geschwürsmassen be¬
deckt, die auf das vordere und hintere Scheidengewölbe übergreifen.
Uterus nach rechts verzogen und fixiert durch eine steinharte In¬
filtration im rechten Parametrium, die bis zum Beckenknochen reicht.
Bei der rektalen Untersuchung fühlt man auch die Douglasfalten
strangförmig inältriert.
Wegen der ausgedehnten Infiltrationen und des auch am Kollum
weit fortgeschrittenen Karzinoms wird die Bestrahlungsdauer pro
Hautfeld verdoppelt, so dass einzelne Hautfelder im Verlauf der ersten
vierwöchentlichen Serie insgesamt 200 — 240 Minuten bestrahlt
werden.
Der Tiefeneffekt ist ein sehr günstiger. Am Ende der zweiten
Woche hat sich die Geschwürsfläche der Portio vollkommen ge¬
reinigt und um die Hälfte verkleinert. Bei der forzierten Bestrahlung,
die zunächst nur von der Bauchseite erfolgt, findet man in der
vierten Woche eine vollkommene Ueberhäutung der fast normal for¬
mierten Portio und einen so wesentlichen Rückgang der para-
metranen Infiltrationen, dass der vorher fest fixierte Uterus gut be¬
weglich geworden ist. In der letzten Probeexzision waren alle Kar¬
zinomzellen schwer, z. T. bis zum völligen Kernschwund geschädigt.
6. Fr. E., 29 Jahre. Stark anämische, kachektisch aussehende
Frau, die in einem desolatem Zustande in die Behandlung kam.
Portio und Sch eidengewölbe sind in ein grosses, jauchen¬
des Geschwür mithereingezogen; der Zervikalkanal führt in eine tiefe,
kraterförmige Höhle, die mit leicht blutenden und stark jauchenden
Geschwulstmassen bedeckt ist. Beide Parametrien breit bis zum
Beckenknochen infiltriert; starre Infiltration der Douglasfalten. Uterus
unbeweglich.
Auch hier wird von vornherein die übliche Bestrahlungszeit pro
Hautfeld um das Doppelte bis Dreifache erhöht, so dass die Patientin
schon innerhalb der ersten 10 Tage, auf 6 abdominale Hautfelder
verteilt, 3900 X erhält. Die besonders zur Bestrahlung herange¬
zogenen Felder oberhalb der Symphyse bekamen in dieser Zeit
je 1100 X, nach Kienböck berechnet, appliziert.
In der Probeexzision konnte bereits am 4. Tage nach Beginn
der Röntgenbestrahlung eine Beeinflussung der Karzinomzellen nach¬
gewiesen werden. Auch der klinische Heilungsverlauf machte sehr
gute und rasche Fortschritte; obgleich die erste Bestrahlungsserie
schon am 10. Tage unterbrochen werden musste, da sich die Pa¬
tientin sehr elend fühlte und über starkes Erbrechen zu klagen hatte,
war bereits am Ende der zweiten Woche eine vollkommene Reinigung
der üeschwürsflächen und eine Schrumpfung der karzinomatösen
Wucherungen an der Portio und am Scheidengewölbe bis auf ca.
Zweimarkstückgrösse eingetreten. Der Heilungsprozess machte auch
nach Aussetzen der Bestrahlung weiterhin so gute Fortschritte, dass
sich bereits am Ende der dritten Woche eine narbig eingezogene
Portio formiert und die blutende üeschwürsfläche vollkommen über¬
häutet hatte; auch war der anfangs fest zwischen den Infiltrationen
verbackene Uterus bereits etwas beweglicher geworden.
Das inzwischen aufgetretene Hauterythem zeigte trotz der er¬
höhten Dosis keinen ungünstigeren Verlauf als bei den übrigen Fällen;
nachdem sich die Epidermis blasig abgehoben hatte, trat eine rasche
Ueberhäutung der Erosionen ein. Keine Ulcusbildung.
Die am Ende der dritten Woche vorgenommene Probeexzision
ergab in einem stark sklerosierten und hyalin degenerierten Binde¬
gewebe nur noch ganz vereinzelte schwer geschädigte Karzinom¬
zellen.
Da sich inzwischen auch das Allgemeinbefinden der Patientin
wieder gebessert, der Appetit gehoben und auch der lästige Brechreiz
aufgehört hatte, wurde nach einer vierwöchentlichen Pause die Be¬
strahlung, und zwar vom Rücken aus, wieder aufgenommen.
Die vaginale Untersuchung ergibt jetzt an Portio und Scheiden¬
gewölbe einen normalen Genitalbefund; die breiten diffusen Infiltra¬
tionen sind fast ganz verschwunden; man fühlt im Parametrium
beiderseits nur schmale, strangförmige Narbenzüge.
7. Fr. K., 41 Jahre. Portio dick, plump, derb, infiltriert, beide
Lippen mit leicht blutenden Geschwüren bedeckt. Der Zervikalkanal
führt in eine tiefe, jauchende Kraterhöhle, deren Wandungen mit
bröckeligen Geschwulstmassen bedeckt sind.
Die Patientin erhält in 36 Tagen auf 12 abdominale Hautfelder
verteilt 21 Bestrahlungsstunden; schon im Verlaufe der zweiten
Woche ist ein Aufhören der anfangs sehr starken Blutung und ein
Rückgang der Jauchung zu bemerken; in der vierten Woche hat sich
eine vollkommen normale Portio zurückgebildet und der Zervikalkanal
zeigt eine glatte Wandung. Am Ende der 5. Woche findet man eine
Abb. 1. Mikrosp. Befund in der Probeexzision vor der Abb. 2. Mikroskop. Befund am Ende der 5 Woche
Bestrahlung. Kein Karzinom mehr.
r
1604
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2$.
geschrumpfte, normal formierte Portio mit einem geschlossenen
Zervikalkanal ohne Blutung und Jauchung.
In diesem Fall, der noch in Behandlung steht, entspricht
aber vorläufig der mikroskopische Befund noch nicht der
klinisch festgestellten Besserung; in der letzten Probeexzision
sind noch unbeeinflusste Karzinomzellen nachgewiesen
worden. Der Fall zeigt uns, dass man sich zur Beurteilung
eines Erfolges nicht allein auf die klinische Untersuchung ver¬
lassen soll; wir werden auf Grund dieses mikroskopischen
Befundes trotz der klinisch einwandfrei festgestellten Beein¬
flussung des Karzinomherdes an d.er Portio die Bestrahlung
vom Rücken und vom Gesäss aus fortsetzen, und dann aller
Voraussicht nach auch hier den Effekt der genügenden Tiefen¬
wirkung mikroskopisch bestätigt finden.
II. Mammakarzinome.
Behandelt wurden, und zwar nur mit Röntgenstrahlen,
14 Fälle, bei denen es sich 12 mal um Rezidive, und zwar um
sehr ausgedehnte, inoperable Drüsenrezidive handelte. Zwei
Fälle waren nicht operiert worden.
Die durchschnittliche Strahlenmenge betrug pro Hautfeld
300 — 800 X; mit einer einzigen Ausnahme, bei der es unter
der Bestrahlung zu einer miliaren Aussaat von Krebsknoten
über die ganze äussere Haut und schliesslich zum Exitus kam,
wurden sämtliche Fälle geheilt, d. h. die Knoten und diffusen
Infiltrationen vollkommen zum Verschwinden gebracht, was
um so mehr besagen will, als es sich ausschliesslich um in¬
operable, also um unrettbar verlorene Fälle handelte. Ein
zurzeit noch in Behandlung befindlicher Fall mit einem sehr
weit fortgeschrittenem, zum Teil jauchig zerfallenen Karzinom
beider Brustdrüsen zeigt die gleiche Tendenz zur Aussaat, die
anscheinend durch die Bestrahlung beschleunigt wird. Es
empfiehlt sich, in solchen Fällen anfangs den primären Herd
nicht zentral zu bestrahlen, sondern von den Rändern her
allmählich gegen die Geschwulst vorzugehen, und so nach
Möglichkeit einer Progredienz durch Verschleppung von
Karzinomzellen in die Umgebung vorzubeugen.
Von den erwähnten anscheinend geheilten Fällen, bei denen
zum Teil die Beobachtung schon über 1 Jahr zurückliegt, kann
einer ganz besonders als Beispiel einer genügend penetrativen
Wirkung der Röntgenstrahlen herangezogen werden.
Es handelt sich um eine 42 jährige Frau, die uns als inoperabel
von einer hiesigen chirurgischen Klinik zur Strahlenbehandlung über¬
wiesen wurde. Die Patientin kam in einem schwer kachektischen
Zustande mit einer ausgesprochenen Dyspnoe zu uns; die ganze rechte
Brusthälfte war derb infiltriert und angeschwollen, und die rechte
Brustdrüse durch einen kindskopfgrossen, unregelmässig höckerigen,
harten und zum Teil jauchig zerfallenen Tumor vorgewölbt. Die
Lymphdrüsen in der Achselhöhle, sowie unter- und oberhalb der
Klavikula waren stark angeschwollen und fest mit der Unterlage ver¬
wachsen.
Die Untersuchung der Lungen ergab rechts unten sowohl vorn
wie hinten eine doppelhandbreite Dämpfung, und die Punktion der
Pleurahöhle fiel positiv aus
Bei der Patintin, die wegen der starken Atemnot anfangs nur
in sitzender Stellung bestrahlt werden konnte, wurde die ganze rechte
Brusthälfte von vorn, hinten und von der Seite in der intensivsten
Weise bis zur Blasenbildung der einzelnen Hautfelder bestrahlt.
Der Erfolg war subjektiv und objektiv ein überraschend guter.
Im Verlauf von 7 Wochen waren die Geschwulst der Mamma, die
Lymphdrüsen und die Infiltrationen vollkommen zum Verschwinden
gebracht; die Atemnot der Patientin war fast gänzlich behoben und
das Allgemeinbefinden ausgezeichnet.
Als Zeichen einer genügenden Tiefenwirkung, d. h. einer Be¬
einflussung der zweifellos bis in die Pleurahöhle vorgeschrittenen
Neubildung konnte im Verlauf der nächsten Monate eine allmähliche
Abnahme der Lungendämpfung festgestellt werden. Der Allgemein¬
zustand ist ein guter geblieben; die Patientin hat an Gewicht zuge¬
nommen und kommt regelmässig alle 2--3 Wochen zur weiteren pro¬
phylaktischen Bestrahlung.
Auch ein sehr weit fortgeschrittenes und durch seinen Sitz die
Patientin stark belästigendes Sarkomrezidiv nach doppelseitiger
Mammaamputation reagierte prompt auf die Röntgenbestrahlung. Die
Patientin war vor einem Jahr in Russland wegen einer Geschwulst¬
bildung in beiden Brüsten operiert worden (Riesenzellensarkom).
Schon kurze Zeit danach traten Rezidive in den Lymphdrüsen der
Achselhöhle und des Halses auf und im Verlauf der nächsten Monate
bemerkte die Patientin unter allmählich stärker werdender Atemnot
eine Vorwölbung des Brustbeins. Als die Patientin in unsere Be¬
handlung kam, waren die Lymphdrüsen beider Achselhöhlen und zu
beiden Seiten des Halses in sehr grosser Anzahl bis zu Pflaumen¬
grösse angeschwollen und das Brustbein in Form eines fast faust¬
grossen Tumors vorgewölbt. Es bestand eine sehr starke Atemnot,
die die Patientin zwang, stets eine sitzende Stellung einzunehmen;
beide Arme waren ödematös angeschwollen, alle Bewegungen äusserst
schmerzhaft. . . „
Schon am Ende der dritten Woche, nachdem die einzelnen Haut¬
felder durchschnittlich im ganzen je 2 Stunden lang bestrahlt worden
waren, konnte eine wesentliche Verkleinerung des Mediastinaltumors
und ein Zurückgehen und teilweises Verschwinden der Lymphdrüsen
beobachtet werden. Im Verlauf der weiteren vierwöchentlichen Be¬
handlung waren sämtliche Rezidivknoten verschwunden. Die Atem¬
not hatte ganz aufgehört, die Patientin konnte bequem in liegender
Stellung atmen; auch die Arme w'aren wieder abgeschwollen. Nach
dreimonatlichem Aussetzen der Bestrahlung kam die Patientin wieder
in unsere Behandlung; die bei der ersten Serie bestrahlten Partien
w'aren rezidivfrei geblieben; jedoch konnten an der linken Brustseite
zwei neue ca. zehnpfennigstückgrosse Drüsen festgestellt werden, die
allerdings auf eine einmalige energische Bestrahlung verschwanden.
Die Patientin wird noch längere Zeit in Beobachtung bleiben müssen.-
III. Karzinommetastasen und Rezidive in
Lymphdrüsen.
Wenngleich es sich ja auch schon bei den Rezidivfällen
von Mammakarzinomen fast ausschliesslich um Drüsenrezidive
handelte, so soll hier noch kurz über einige Fälle berichtet
werden, bei denen das als Metastase oder Rezidiv aufge¬
tretene Karzinom der Lymphdrüsen bei anderweitigem Sitz
des primären Krankheitsherdes durch Röntgenbestrahlung zum
Verschwinden gebracht werden konnte.
Die bei einer sehr fettreichen Frau nach Urethrakarzinom in
beiden Leistenbeugen auftretenden, über daumendicken Drüsenschwel-
lungen waren nach einer 2X> stündigen Bestrahlungsdauer, die über
10 Tage verteilt wurde, restlos im Laufe der nächsten Wochen ver¬
schwunden.
Unverschieblich mit der Umgebung verwachsene Drüsenpakete
links und rechts am Unterkiefer bei Lippenkarzinom wurden durch
eine 4 bzw. 2Vi stündige Bestrahlungszeit innerhalb von 3 Wochen
vollkommen eingeschmolzen, ebenso Lymphdrüsenrezidive nach
Zungen- und Tonsillarkarzinom.
Ein anscheinend primäres Achselhühlen-Drüsenkarzinom, das uns
mit dieser Diagnose von chirurgischer Seite zugeschickt wurde, und
bei dem in der linken Axilla 2 harte, über pflaumengrosse Drüsen
mit gleichzeitiger Anschwellung der supraklavikulären Drüsen pal-
pabel waren, wurde durch eine insgesamt 8 Stunden dauernde Be¬
strahlungszeit, die entsprechend dein Krankheitsherd auf 3 Haut¬
felder verteilt wurde, in 5 Wochen vollkommen zum Verschwinden
gebracht.
Den gleichen Erfolg erzielten wir bei einem ca. fünfmarkstück¬
grossen Rezidiv in der Bauchnarbe nach Magenkrebsoperation durch
eine 2 Vz stündige Bestrahlung, die in fraktionierten Dosen im Ver¬
lauf von 3 Wochen an 10 Bestrahlungstagen gegeben wurde.
IV. Lungenkarzinom.
Eine weitere eklatante Beeinflussung einer tiefliegenden
Neubildung durch perkutane Röntgenbestrahlung konnte an
einem Bronchialkarzinom der linken Lunge festgestellt werden.
Es handelte sich in diesem Falle um einen 60 jährigen Mann,
der schon seit längerer Zeit wegen Lungenbluten, Husten, Auswurf
und allgemeiner Mattigkeit und Kachexie auf Lungentuberkulose ohne
Erfolg behandelt wurde. Die Beschwerden nahmen allmählich be¬
deutend zu; es stellte sich eine beängstigende Atemnot ein, die
Sprache wurde heiser und schliesslich ganz unverständlich. Seit An¬
fang dieses Jahres bemerkte der Patient eine allmähliche Anschwel¬
lung der ganzen linken Halsseite, die von der Klavikula an bis zum
Unterkiefer reichte. Da bei dem raschen Wachtum dieser Tumoren
der Verdacht auf eine maligne Neubildung nahelag, wurde in der chirur¬
gischen Klinik der Charitee eine Probeexzision aus der Geschwulst¬
masse am Halse gemacht und die Diagnose Karzinom mikroskopisch
bestätigt. Die Röntgenaufnahme der Brust ergab entsprechend einer
perkutorisch nachgewiesenen Dämpfung einen diffusen Schatten im
Bereich der ganzen linken Lunge (s. Abb. 3).
Da auf Grund dieser Befunde ein operativer Eingriff aussichtslos
war, wurde uns der Patient von der chirurgischen Klinik zur Be¬
strahlung überwiesen.
Auch hier wurde wiederum unter Benutzung des ganzen zur
Verfügung stehenden Strahlenkegels die linke Rumpfhälfte von vorn,
hinten und von der Seite und ebenso die Halsgegend von allen Seiten
intensiv bis zum Erythem und darüber hinaus bis zur Blasenbildung
der Haut bestrahlt.
Der Patient erhielt in 6 Wochen 24 Bestrahlungsstunden mit
einer extrem harten Röhre bei möglichst hoher Belastung.
Der prompte, bereits in der zweiten Woche bemerkbare Erfolg
durch Rückgang der Tumoren am Hals und durch eine wesentliche
Behebung der Atemnot Hess dem scheinbar aussichtslosen Fall eine
günstige Prognose stellen. Zu Beginn der 3. Woche waren die faust¬
grossen Geschwulstmassen am Halse vollkommen verschwunden, die
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Abb. 3.
Anfälle von Atemnot ganz behoben und die lispelnde, kaum ver¬
ständliche Sprache klarer und zeitweise ganz normal geworden. Die
Besserung im Allgemeinbefinden machte mit der weiteren Bestrah¬
lung ersichtliche Fortschritte; am Ende der 6 Woche fühlte sich der
Patient vollkommen gesund, und es wurde jetzt als objektive Kon¬
trolle für eine genügende Tiefenwirkung eine zweite Durchleuchtung
der Lunge vorgenommen. Das Bild (s. Abb. 4) zeigt einen voll¬
kommen normalen Lungenbefund; an Stelle der diffusen Schatten¬
bildung der ersten Aufnahme sieht man die klare Zeichnung der
Lungenfelder und der Trachea ohne jeglichen pathologischen Befund;
auch die Schatten an der linken Halsseite, die den Drüsentumoren
entsprachen, sind restlos verschwunden.
V. Ovarialkarzinome.
Die Versuche, inoperable Ovarialkarzinome durch starke
und lange fortgesetzte Bestrahlung zu beeinflussen, haben bis
jetzt zu keinem Erfolg geführt, was bei der Massenhaftigkeit
des Karzinomgewebes, welches gerade in den malignen
Ovarialtumoren gebildet wird, uns bei der gewöhnlich reich¬
lichen und frühzeitigen Metastasierung nicht überraschen
kann. Immerhin sind an 2 Fällen von Ovarialkarzinom, in
welchen die doppelseitigen Tumoren samt dem Uterus exstir-
piert, aber reichliche metastasierende Karzinomknoten am
Bauchfell, Netz und Darm zurückgelassen werden mussten,
bemerkenswerte Resultate erzielt worden.
In dem einen Fall war nach der Operation die Gegend der vor¬
deren Bauchwand bis zur Nabelhöhe innerhalb 7 Monate insgesamt
792 Minuten in vielen Feldern bestrahlt worden. Es entwickelte sich
dann neuerdings Aszites und bei der 2. Operation fand sich bis zur
Nabelhöhe, genau entsprechend der schwarzen Pigmentierung der
iusseren Haut, das Peritoneum und die inneren Organe glatt und ohne
Metastasen, oberhalb der genannten Linie waren zahlreiche Meta¬
stasen im Peritoneum parietale, im Netz und am Darm zu sehen.
Die sofort eingeleitete weitere Bestrahlung mit sehr massigen
Josen hatte keinen Erfolg mehr, es trat wieder Aszites ein und wurde
m Peritoneum noch lebensfrisches Karzinomgewebe gefunden. Auf
-ine erneute intensive Bestrahlung ist zurzeit wieder Besserung ein-
:etreten.
In dem 2. Falle, der im September v. J. zur Operation kam und
iei dem sowohl am Netz wie am Peritoneum und Darm sehr reich-
iche Metastasen zurückgelassen worden waren, ist bei regelmässiger
Bestrahlung während insgesamt 780 Minuten im Laufe von 6 Mona-
en kein Aszites mehr aufgetreten, dann zeigten sich Tumoren in der
.eher und Magengegend, die auch die Applikation intensiver Dosen
>is zur Erythembildung (330 Minuten) wieder verschwanden. Es ist
■ e i n Aszites eingetreten, das Allgemeinbefinden wird aber bei jedem
»ersuch, die Bestrahlung zu widerholen, auf Tage hinaus so ver-
chlechtert, dass zurzeit eine regelmässige weitere Behandlung un-
nöglich ist.
1605
Wir glauben, durch die geschilderten Beobachtungen die
Möglichkeit der gefahrlosen Beeinflussung des Karzinom¬
gewebes durch Röntgenbestrahlung auf die Tiefe von 10 cm
bewiesen zu haben. Damit eröffnen sich Aussichten zur Behand¬
lung der Karzinome der inneren Organe (Darm, Magen, Oeso¬
phagus, Larynx etc.), die bis jetzt nur durch schwere operative
Eingriffe oder gar nicht heilbar waren. Betont muss jedoch
dabei immer wieder werden, dass Erfolge nur durch intensive
Bestrahlung, welche grosse Mengen harter Strahlen von ver¬
schiedenen Einfallpforten auf das krankhafte Gewebe konzen¬
triert, erreicht werden können, und diese Art der Behandlung
eine nicht nur für den Arzt zeitraubende und mühsame, sondern
auch für die Kranken anstrengende und. kostspielige ist. Richtig
durchgeführt ergibt sie bei der flächenhaften Wirkung der
Röntgenstrahlung, welche in dem vollen Umfang des Tubus in
den Körper eingeführt werden kann, eine gewisse Gewähr
dafür, dass mit dem zerstörten Primärtumor auch alle Meta¬
stasen, welche dem Messer leicht entgehen, von den Röntgen¬
strahlen aber notwendig mitgetroffen werden, dem Zerfall an¬
heimfallen. Wenn bei der Bestrahlung von den Bauchdecken
her das Karzinomgewebe der Portio vaginalis zerstört ist,
müssen schon vorher und in viel schwererer Weise die der
Strahlenquelle näherliegenden und deshalb intensiver ge¬
troffenen Metastasen in den breiten Bändern und in den
Drüsen beeinflusst worden sein.
Die heilende Wirkung der Strahlen auf tief sitzende Kar¬
zinome hat natürlich ihre Grenzen. Das haben wir besonders
bei Ovarialkarzinomen mit ausgebreiteten Metastasen an den
Bauchorganen und. bei den disseminierend wachsenden
Mammakarzinomen gesehen. Man kann hier wohl einzelne
Knoten durch die Bestrahlung zerstören, in der Nachbarschaft
treten dafür aber wieder neue auf und die Kranken ertragen
schliesslich die zur Bewältigung so grosser Karzinommassen
nötigen Strahlenmengen nicht mehr. Die Applikation grösserer
Strahlenmengen in der Umgebung des Magens kann zu an¬
dauerndem Erbrechen, am Darm zu schweren Diarrhöen, in
der Nähe des Herzens (bei der Behandlung tiefsitzender Meta¬
stasen bei Mammakarzinom) zu Arrhythmie schwerer Art
führen und die weitere Bestrahlung unmöglich machen. Es
wird Sache der Technik sein, die Schwierigkeiten durch ge¬
eignete Filter und Blenden zu überwinden.
Viel weniger Bedeutung haben die örtlichen Schädigungen
der Haut, welche nach der Einführung von 500 X auftreten.
Hat man ausschliesslich harte Strahlung benutzt, so gelangt
die bis zur blasigen Abhebung der Epidermis vorgeschrittene
Hautreizung in 3 — 4 Wochen wieder zur Abheilung und es
kommt nicht zu langwierigen und tiefgreifenden Nekrosen¬
bildung, wie sie bei der Verbrennung mit weichen Röntgen¬
strahlen früher oft beobachtet worden ist. Durch eine vier¬
wöchentliche lokale Hautentzündung ist aber eine Krebsheilung
nicht zu teuer erkauft.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Wien
Graphische Analyse kutaner Reaktionen.
Von Prof. C. v. Pirquet.
Um entzündliche Vorgänge auf der Haut in vollständiger
Weise biologisch verwerten zu können, ist es notwendig, sie
nicht nur qualitativ, sondern in ihrem quantitativen und zeit¬
lichen Ablaufe zu analysieren. Zu diesem Zwecke ist eine
kurvenmässige Darstellung am meisten geeignet, welche die
Ausdehnung der Reaktion in Millimetern als Ordinate, die Zeit
in Stunden als Abszisse verwendet. Diese Art der Darstellung
habe ich zuerst bei der Schutzpockenimpfung angewendet [l]
und vermochte durch eingehende Analyse der Kurven die Früh-
rcaktion von der beschleunigten und der normalzeitigen Re¬
aktion [l, 2, 6, 7], sowie die dem Bakterienwachstum ent¬
sprechende Papille von der reaktiven Area [2] zu trennen.
Es ist merkwürdig, dass eine an sich so leicht verständ¬
liche 1 echnik nicht mehr Nachahmung und Anwendung ge¬
funden hat. Die Schwierigkeit liegt einerseits in der kon¬
stanten, stundenweisen Beobachtung entzündlicher Reaktionen,
besonders während der Nachtzeit, andererseits in der Zu¬
sammenstellung der einzelnen gemessenen Punkte zu verwert¬
baren Kurven.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
1606
20
2 4 « tülttH 17 21 2i
Ein besonders günstiges Objekt zum Studium von Haut¬
reaktionen ist die kutane Tuberkulinprobe. Ich will hier an
einem Beispiele die Technik der kurvenmässigen Analyse
geben.
Heinrich S.. 4 Jahre alt, wegen tuberkulöser Erkrankung des
Felsenbeines auf der Dachstation der Kinderklinik in Freiluftbehand¬
lung Am 9 Mai erste kutane Tuberkulinreaktion: stark positiv, nach
24 Stunden Durchmesser 25:27 mm. Am 12. Mai quantitativer Ver¬
such mit Tuberkulin und Verdünnungen von Tuberkulin
in Bouillon, am 15. Mai zweiter quantitativer Versuch;
beidemale wurden gleichzeitig 3 andere Kinder unter¬
sucht. Der Versuch Heinrich S. vom 15. Mai wurde als
Beispiel ausgewählt, weil er bei der Analyse die reinsten
Resultate ergab.
Am 15. Mai um 8 Uhr vormittags wird die Tuber¬
kulinimpfung am linken Oberarme in der Weise ausge¬
führt, dass zuerst — vom distalen Ende beginnend —
ein Tropfen einer konzentrierten Nährbouillon aufge¬
tragen wird, dann Verdünnungen 1:1000, 1:100, 1:10
von Tuberkulin in konzentrierter Nährbouillon, schliess¬
lich auf der Schulterhöhe unverdünntes Alttuberkulin.
Hierauf wird mit dem Impfbohrer in derselben +
Reihenfolge in jedem der Tropfen eine Bohrung ausge¬
führt. Nach 10 Minuten werden die Tropfen sorgfältig
mit einem Aethertupfer abgetrocknet, damit das Tuber¬
kulin nicht verkratzt werden kann.
Um 10 Uhr erfolgt die erste Messung. Mit
einem Millimetermass wird der Durchmesser der
Rötung bestimmt: bei runden Effloreszenzen wird
nur ein Durchmesser notiert, bei länglichen der Breiten- und
Längsdurchmesser Ausserdem wird die Schwellung und Rö¬
tung in empirischer Skala aufgezeichnet; die Schwellung über der
Millimeterzahl (als ~ deutlich. — undeutlich, — nicht tastbar), die
Rötung unterhalb der Millimeterzahl (als ^ deutlich, ~ undeutlich,
— nicht gerötet, v bedeutet einen reaktionslosen Kratzeffekt.
Dieselbe Art der Notierung wird um 12, 2, 4, 6, 8 und 10 Uhr
gemacht, also alles in allem 2, 4, 6, 8, 10, 12 und 14 Stunden nach
der Impfung. Am nächsten Tage wird um 1 Uhr nachts, um 5 Uhr
früh, um 8 Uhr vormittags und 4 Uhr nachmittags gemessen (17, 21.
24, 32 Stunden nach der Impfung), am 3. Tage um 8 Uhr vormittags
und 4 Uhr nachmittags (48. 56 Stunden), am 4. Tage um 8 Uhr vor¬
mittags (72 Stunden nach der Impfung).
Die Resultate der Aufzeichnung waren folgende:
nommen werden können. Im vorliegenden Versuche kann die
Höhe der Reaktion verzehnfacht werden, 10 mm für 1 mm
Durchmesser, während für die Zeit 8 cm für 24 Stunden, also
1 cm für 3 Stunden gewählt werden.
Nun soll jede einzelne Reaktion aufgezeichnet werden.
Man nimmt einen Bogen durchsichtigen Schreibmaschinen¬
papiers, legt ihn auf die Skala, markiert 2 Punkte (den Winkel 0
5* Stunden
Abb. 1. Schema zum Einzeichnen der Befunde.
Abb. 2. Tuberkulinverdünnung 1 : 100.
Eingezeichnete Werte.
und die Kreuzungsstelle 20 mm), und macht sich nun daran, mit
Bleistift die Resultate der Messungen einzutragen.
Wir wollen dies mit der dritten Impfstelle 1 : 100 tun.
(Abb. 2.) Das erste Messungsresultat, 6, ist bei der Zeit
2 Stunden, in der Höhe 6 mm einzusetzen. Wie aber mit dem
Ausdrucke der Röte und Exsudation? Sie werden durch
Zahlen ausgedrückt, die an den betreffenden Punkten ein¬
getragen werden.
Die 3 Grade der Rötung und Schwellung lassen 9 Kombina¬
tionen zu: ... 1 2 * *
eine Reaktion ohne Rötung und Schwellung ist überhaupt nicht
sichtbar, ist negativ und wird mit 0 bezeichnet.
15. V.
Vormittag
Nachmittag
- ; —
16. V.
17. V.
18. V.
Zeit 8
10
12
2
4
V 6
8
10
1
5
8
4
8
4
8
Stunden 0
2
4
6
8
10
12
14
17
21
24
32
48
56
72
23: 15
/ _ ^
Tub. 1 : 1
7
V
V
776
1578!
■18X13
19714
207l3
22713
21 : 15
-
18712
20: 16
19712 *
21 : 12
1 : 10
"6
'"3
7
V
7
7
372
574
1(76
1(578
J47l3
v — ✓
!47l2
137 8 * * * *
978
1 : 100
7
7
7
V
I
7
7
372
7
473
977
12j:7
1076
' — ✓
875
1 : 1000
374
7
7
7
V
372
372
7
473
7
7
7
7
V
Bouillon
577
7
7
V
V
473
7
7
372
7
7
V
V
V
Auf den ersten Blick sind die Resultate der Tabelle etwas
verwirrend. Wir können nur so viel ersehen, dass an allen Impf¬
stellen schon nach 2 Stunden eine leichte Reaktion besteht,
die aber dann wieder verschwindet, dass hierauf eine neue
Reaktion einsetzt, die beim konzentrierten Tuberkulin nach
32 Stunden ihren Höhepunkt erreicht. Die Doppelzahlen hier
bedeuten, dass sich in der Reaktion zwei Zonen erkennen
lassen; eine zentrale, stark erhabene, aber wenig getötete Pa¬
pille 18: 12, die von einem intensiv geröteten, aber wenig er¬
habenen Hofe 23:15 umgeben ist. Die Reaktion 1:10 hat
gleichzeitig, die Reaktion 1:100 etwas später ihren Höhepunkt.
Bei den folgenden beiden Impfstellen lässt sich aus der Tabelle
ein Höhepunkt nicht deutlich erkennen.
Um nun die Analyse auszuführen, ist es notwendig, das
Bild jeder einzelnen Reaktion auf einem eigenen
Blatte aufzuzeichnen. Das geschieht in der Weise, dass man
das Schema von millimetrischer Ausdehnung und Zeit auf
einem Bogen mit starken Tintenstrichen aufzeichnet:
Die Grösse dieses Schemas ist so zu wählen, dass die
ganze Länge der Beobachtungszeit und die grösste Höhe der
Reaktion auf einem Bogen Schreibmaschinenpapier aufge- i
~ geringe Rötung, keine Schwellung, ist das erste und geringste
Anzeichen der Reaktion, wird mit 1 bezeichnet.
— geringe Schwellung ohne Rötung, kommt etwas seltener als Be¬
ginn der Reaktion vor = 2.
~ geringe Schwellung und Rötung ist der häufigste Beginn einer Re¬
aktion = 3; häufig kommen schwache Reaktionen überhaupt
nicht über dieses Stadium hinaus.
^ starke Rötung ohne jede Schwellung (= 4), kommt normalerweise
bei der Tuberkulinreaktion nicht vor, wir finden sie vor dem
vollkommenen Verschwinden der Reaktionsfähigkeit im Ver¬
laufe der Masern und der Miliartuberkulose.
— starke Schwellung ohne jede Rötung (= 5/, ist bei der Tuber¬
kulinreaktion ebenfalls pathologisch; sie findet sich gelegentlich
bei schwerer Anämie, dann auch im Verlaufe der Miliartuber¬
kulose.
er geringe Schwellung mit starker Rötung (= 6) findet sich, nicht sehr
häufig, im Verlaufe der Entwicklung, häufiger beim Verschwin¬
den starker Reaktionen, ferner bei der Area.
ec starke Schwellung mit geringer Rötung (= 7 )ist häufig in der
Entwicklung, oft auch als Gipfelpunkt der Reaktion.
C deutliche Schwellung und Rötung (= 8) ist der normale Höhepunkt
der Reaktion.
Hierzu kommt noch die Bezeichnung 9
für eine starke Schwellung, die aber nicht gerötet, sondern gelblich,
bläschenförmig ist; sie stellt das Maximum der Intensität
der Tuberkulinreaktion dar.
1607
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Diese Ziffern (wo Länge und Breite verschieden sind, die
Durchschnittsziffern) werden nun an der Stelle des durch die
Zeit und die Ausdehnung bestimmten Punktes eingesetzt:
In derselben Weise wird nun jede einzelne Reaktion durch¬
geführt. Die Notierungen werden zuerst mit Bleistift gemacht,
dann kontrolliert, hierauf mit Tinte überschrieben. Diese
Massregel hat den Zweck, dass man bei der Kurvenzeichnung
vorläufige, unrichtige Kurven wieder wegradieren kann, ohne
die fixen Daten zu verwischen.
Nun kommt die Kurvenzeichnung. Zuerst werden in alle
Einzelblätter provisorische Kurven eingezeichnet. Bei Fig. 2
z. B. kann man eine Kurve legen, die sich schlangenförmig
durch alle Zahlen windet; der Erfahrene wird nur den letzten
Teil in eine Kurve einbeziehen, weil die ersten 9 Messungen
komplizierte Verhältnise erwarten lassen, die erst durch
aridere Bilder aufzuklären sind.
fehlt sie fast, bei anderen erreicht sie eine Höhe bis zu
10 mm und dauert bis zu 24 Stunden an. Im vorliegenden
Fall ist sie, wie an der Messungstabelle ersichtlich, bei einer
Bohrung nach 4 Stunden, bei drei Bohrungen nach 8, bei einer
nach 10 Stunden verschwunden.
An der Bouillonstelle (Fig. 3) setzt nach 12 Stunden eine
neue Rötung ein, die nach 14 und 17 Stunden auch Exsudation
zeigt und ihren Höhepunkt von 4 mm Durchmesser erreicht.
Dann verschwindet sie allmählich; nach 48 Stunden ist nichts
mehr davon wahrzunehmen.
Das Bild der Tuberkulinverdünnung 1 : 1000 (Fig. 4) zeigt
nun ausser diesen 2 Erhebungen noch einen dritten Buckel:
nach 48 und 56 Stunden ist eine kleine Reaktion vorhanden,
die nach 72 Stunden nicht mehr wahrnehmbar ist. Wir
können sie als die minimale Wirkung des tausendfach ver¬
dünnten Tuberkulins deuten.
Abb. 3. Bouillon ohne Tuberkulin.
Abb. 4. Tuberkitinverdünnung 1:1000.
Abb. 5. Tuberkulinverd innun ' 1 : 100.
Um diesen Schritt zu machen, werden nunmehr alle pro¬
visorischen Kurven auf dasselbe Blatt geworfen. Man nimmt
einen neuen Schreibmaschinenbogen, fixiert die beiden Orien¬
tierungspunkte (0 und 20 mm), legt hierauf das Blatt auf eine
Kurve nach der anderen genau auf die Orientierungspunkte
und zeichnet mit Bleistift die Kurven durch. Dadurch lernt
man die Linien unterscheiden, welche allen Reaktionen ge¬
meinsam sind, und jene, welche von dem typischen Verhält¬
nisse der einzelnen Reaktion (z. B. der Tuberkulinverdünnung)
abhängig sind.
Man nimmt nun das Gruppenbild, legt jede einzelne Kurve
darüber, und vergleicht sie mit der Gesamtheit, wobei man
häufig die provisorischen Kurven zu korrigieren hat.
In der Verdünnung 1 : 100 sehen wir diese Tuberkulin¬
reaktion schon viel deutlicher ausgesprochen. Der Vergleich
mit den anderen Kurven hat ergeben, dass die definitive Kurve
nicht wie die provisorische als eine Schlangenlinie zu zeichnen
war, sondern es haben sich die ersten Messungen als Folgen
von traumatischer und Bouillonreaktion ergeben. Den Fuss-
Punkt der Tuberkulinreaktion können wir in der Verlänge¬
rung der Mesungszahlen von 24 auf 32 Stunden bei
20 Stunden ansetzen, der Höhepunkt ist 10 mm bei
40 Stunden; der Endpunkt fällt ausserhalb der Beob¬
achtungszeit und dürfte ungefähr bei 4% Tagen liegen.
Die Verdünnung 1 : 10 ist gleichfalls nur durch die Analyse
der Bouillonkontrolle verständlich: die Werte von 10 bis
Abb. 6. Tuberkulinverdünming 1 : 10. Abb. 7. Unverdünntes Tuberkulin. Abb. 8. Zusammenfassung der Kurven
Nach dieser Korrektur werden die Kurven wieder zu
.•inem neuen, definitiven Gesamtbilde vereinigt.
Nehmen wir nun die definitiven Kurven des vorliegenden
'alles, indem wir von der Bouillonstelle beginnen, die kein
Tuberkulin enthält.
Wir sehen hier 2 Erhebungen: die erste erreicht ihren
löhepunkt schon nach 2 Stunden, ist nach 8 Stunden ver¬
schwunden. Auf Grundlage früherer Versuche können wir sie
tls traumatische Reaktion ansprechen, als die Rötung, welche
mf jede Verletzung der Epidermis folgt, und hier durch die eir¬
ache Bohrung mit dem meisseiförmigen Impfbohrer bedingt
st. Sie ist individuell sehr verschieden: bei manchen Kindern
14 Stunden gehören noch nicht zur Tuberkulinreaktion; diese
setzt mit einem Fusspunkte von ca. 13 Stunden ein, erreicht
ihren Höhepunkt von 14 mm nach ca. 36 Stunden, der End¬
punkt liegt ungefähr bei 5 Tagen.
Das unverdünnte Tuberkulin endlich gibt eine einheitliche
Kurve: die Bouillonreaktion ist nämlich völlig verdeckt durch
die Tuberkulinreaktion, die schon bei 7 Stunden ihren Fuss-
punkt hat, sehr rasch aufsteigt, und mit ungefähr 48 Stunden
ihren Höhepunkt erreicht. Dann erfogt eine sehr langsame In¬
volution, die erst nach 8 Tagen ihren Endpunkt finden dürfte.
Bpi so starken Reaktionen ist übrigens der Endpunkt kaum zu
bestimmen, weil die aktive Hyperämie und Exsudation sich
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
1608
nicht konzentrisch verkleinern wie bei leichten Reaktionen, son¬
dern eine Pigmentierung hinterlassen, die lange Zeit bestehen
bleibt und von den aktiven entzündlichen Vorgängen zu unter¬
scheiden ist.
Das Gruppenbild (Fig. 8) zeigt die gewonnenen definitiven
Resultate: traumatische und Bouillonreaktion, sowie die vier
Linien der Tuberkulinverdünnungen. Sie entsprechen den
schon früher (S. 170—173) formulierten Gesetzen. Der Anstieg
erfolgt um so rascher, je konzentrierter das Tuberkulin ist: die
maximale Ausdehnung steht in einem quantitativen Verhältnisse
zur Konzentration. Der Endpunkt wird um so früher erreicht,
je weniger Tuberkulin bei der Reaktion tätig war.
Zusammenfassung.
Die bereits in früheren Publikationen (1 — 7) verwendete
Analyse kutaner Reaktionen wird in ihrer allmählich vervoll-
kommneten Technik an einem Beispiele von kutaner Tuber-
kulinreaktion eingehend geschildert.
Die Methode besteht in einer durch mehrere Tage hindurch
ausgeführten Registrierung der kutanen Effekte in bezug auf
Flächenausdehnung, Hyperämie und Exsudation, der Darstel¬
lung in Kurvenblättern auf Grund eines unterlegten Schemas
der zuerst provisorischen, dann definitiven Zusammenfassung
in Kurvenbildern.
Neu ist bei der vorliegenden Darstellung die Ziffern¬
bezeichnung von Exsudation und Hyperämie, die Bestimmung
der Begriffe Fusspunkt, Höhepunkt und Endpunkt der Re¬
aktion.
Lieber die hier gestreifte Frage der traumatischen Reaktion
und der Bouillonreaktion werden weitere Mitteilungen folgen.
Literatur.
1. Die frühzeitige Reaktion bei der Schutzpockenimpfung. W.kl.W.
1906 Nr. 28. — 2. Klinische Studien über Vakzination und vakzinale
Allergie. Wien, Deutike 1907. — 3. Allergie. Erg. d. Inn. Med.
1. 1908. — 4. Quantitative Experiments with the cutaneous Tuber-
culin reaction. Journal of Pharmacology and experimental thera-
peutics 1909. — 5. Allergie. Berlin, Springer 1910. — 6. Die
Doppelreaktion bei der Kuhpockenimpfung. M.m.W. 1911 Nr. 18. —
7. Ueber die verschiedenen Formen der allergischen Reaktion bei der
Revakzination. Zschr. f. Immun.Forsch. 10. 1911.
Klinische und experimentelle Erfahrungen bei Salvarsan-
injektionen in das Zentralnervensystem.
Von W. Weygand t, A. Jakob und V. K a f k a in Hamburg-
Friedrichsberg.
Schon bald nach Einführung des Salvarsans und dem Er¬
satz der subkutanen durch die intravenöse Injektion wurde
angesichts der Misserfolge bei Metasyphilis die Idee nahe¬
gelegt. das Mittel näher an das Zentralnervensystem heran¬
zubringen, durch subdurale, intrazerebrale oder endolumbale
Injektion. Letztere Methode wurde zuerst von Wechsel¬
in a n n und von Marinesco angewandt; ersterer berichtete
über gelegentliche Besserung, letzterer kam zu wenig gün¬
stigen, teilweise bedenklichen Resultaten. Swift und Ellis
haben salvarsanisiertes Serum angewandt mit günstigen Be¬
einflussungen des Liquors; mehrfach gingen Pleozytose und
Globulinreaktion schneller zurück als Wassermann'. Nach Ver¬
suchen mit dieser Methode ging Gennerich Herbst 1913
zur endolumbalen Injektion von Neosalvarsan 4 — 6 ccm einer
Lösung von 0,15:200 Kochsalzlösung über, späterhin zu
4 — 8 ccm einer Lösung von 0,15:300 Kochsalzlösung. Seine
Erfolge bei beginnender Lues cerebri sind unverkennbar,
während er bei Paralyse nur vereinzelt zur Anwendung der
Methode gelangte.
Um so wichtiger erscheint jede Vorsicht zwecks Ver¬
meidung von ungünstigen Wirkungen, als ja irgendwelche mit
einem bestimmten Verfahren erzielten Misserfolge erfahrungs-
gemäss von Fernstehenden vielfach dem Präparat als solchem
zur Last gelegt werden. So wurden auch bei dem Vorkommnis
in Los Angeles Bedenken gegen das Präparat selbst geäussert,
während nach der ganzen Sachlage hiervon keine Rede sein
kann. Aus den uns von Exz. E h r 1 i c h freundlichst vorgelegten
Materialien, insbesondere aus den offiziellen Berichten des
Arztes Dr. C h a r 1 1 o n und des Direktors W h i t m a n n,
sowie aus dem an den obersten Bezirksrichter erstatteten Be¬
richt der Grand Jury geht hervor, dass es sich um 8 an Lues
in vorgeschrittenem Stadium oder an Lues des Zentralnerven¬
systems leidende Patienten handelte, denen am 7. III. 1914
salvarsanisiertes Serum nach einer Methode gegeben wurde,
die eine Kombination der - Methode von Swift und der von
Lorenz darstellen sollte. Am Tage vorher sind jedem 15 ccm
Blut aus der Armvene entzogen worden; je 5 ccm Serum
wurden gemischt mit 1—3 mg Neosalvarsan, das in steriler
Kochsalzlösung frisch gelöst war. Die derart hergestellten
Präparate wurden XA Stunde in ein Wasserbad von
54 °C und darauf 20 Stunden in den Kühlschrank
gebracht. Sodann wurden 3 — 7 ccm Liquor entnommen und
nun durch dieselbe Nadel das wie erwähnt vorbehandelte
salvarsanisierte Serum jedem Patienten, von dem es her¬
rührte, cingeflösst. Binnen einiger Stunden starben 7 Patienten.
Die Aerzte versicherten, dass alle Kautelen der Aseptik an¬
gewandt waren. Sie mögen gewiss bona fide vorgegangen
sein, aber ihre Ansicht, dass man an einen Sprung in der Sal-
varsanampulle denken könne, erscheint in keiner Weise be¬
gründet, vielmehr wird man, wenn man selbst mit Salvarsan
und Neosalvarsan gearbeitet hat und die Literatur überblickt,
Bedenken haben, das Präparat auf 54° zu erhitzen und dann
noch 20 Stunden aufzubewahren. Swift hat ebenfalls auf
diesen Punkt hingewiesen, geht aber doch wohl zu weit, wenn
er warnt, zwecks endolumbaler Anwendung das Salvarsan
ausserhalb des Körpers zu mischen *).
Angesichts dessen, dass die schwere Form der Nerven-
syphilis in Form der Paralyse ganz besondere Vorsicht bei
Anwendung neuer Methoden bedurfte, haben wir unsere Ver¬
suche erst nach Berücksichtigung einer Reihe von Kautelen
aufgenommen. Zunächst haben wir Herrn Oberstabsarzt
Dr. Gennerich um die Freundlichkeit ersucht, uns seine
Methode zu demonstrieren, worauf er in liebenswürdiger und
instruktiver Weise einging. Weiterhin haben wir am Tierver¬
such geprüft, in welcher Weise Salvarsan in grosser oder ge¬
ringer Dosis auf das Zentralnervensystem einwirkt, indem ich
mit Kollegen Jakob bei Affen und Kaninchen endolumbale
und intrazerebrale Injektionen von Salvarsan in verschiedener
Konzentration vornahm, worüber später Jakob referieren
wird. Schliesslich wandten wir die Methode zunächst nur bei
vorgeschrittenen Fällen von Paralyse an, bei denen eine
etwaige ungünstige Beeinflussung immerhin anders zu be¬
urteilen wäre, als bei initialen Fällen; weiterhin aber lag hier
auch die Fehlerquelle der spontanen Remission weniger nahe.
Wir haben bisher 25 Fälle behandelt, mit einer Ausnahme
Männer, im Alter von 30—58 Jahren, durchweg ganz aus¬
geprägte Paralysen, die sich monatelang, manche bereits jahre¬
lang, in voll entwickeltem Stadium befanden. Das Vorläufcr-
stadium reichte bereits eine Reihe von Jahren zurück. Es
waren die verschiedensten Formen vertreten, auch solche mit
zahlreichen Anfällen und initialen Lähmungserscheinungen.
Bei zweien ging Krankenhausbehandlung wegen „Lues cerebri“
mit Entlassung als „geheilt“ kurz voraus.
Wir haben uns streng an die methodischen Vorschriften
Gennerichs gehalten. Obwohl die von v. Schubert
neuerdings angewandte Lösung in Liquor sehr viel für sich
hat und die erwünschte Ausschliessung der Wasserfehler er¬
möglicht, haben wir zunächst eine Serie mit der Original¬
methode durchführen wollen. Besonders streng wurde darauf
gesehen, dass der Patient sich hinterher in horizontaler Körper¬
lage hielt. Im ganzen sind bisher 57 Injektionen vorgenommen
worden. In 9 Fällen wurden je 3 Injektionen gegeben mit
Zwischenpausen von 2 — 4 Wochen.
Welche Schädigungen kommen in Frage?
Bei 3 Patienten ist Erbrechen aufgetreten, bei einigen (3 — 4)
Kopfweh, auch nach wiederholter Injektion, meist nur für wenige
Tage. Bei einem Patienten traten zwischen der 1. und 2. Injektion
Anfälle auf. Ein Fall zeigte solche zwischen der 2. und 3., ein
anderer hatte 2 Tage nach der 2. Injektion 2 Anfälle. Ein Patient, der
früher häufig Anfälle hatte, erlitt 114 Wochen nach der 3. Injektion
wieder mehrere paralytische Anfälle, was nach der ganzen Sachlage
schwerlich auf Rechnung der Injektion gesetzt werden kann. Ein
l) Vergl. auch Edward H. Marsh: The dangers accruing from
1 drugs purchased from peddlers. Medical Times, April 1914.
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1609
anderer, der anfänglich gebessert schien, bot einige Wochen nach
den Injektionen Anfälle und zeigte sich darauf verschlechtert.
Ein Fall hatte, kurz bevor er injiziert werden sollte, mehrere
Anfälle; nach der ersten Injektion traten keine auf, wohl aber wieder
nach der zweiten.
Bei einem hatte die vorher schon vorhandene Ataxie nach der
2. Injektion zugenommen, später wurde sie aber deutlich besser.
Ein Patient zeigte seit der 1. Injektion ausgesprochene Nacken¬
steifigkeit, die aber später wieder vollständig verschwand. Bei einem
anderen traten am läge nach der Injektion Magenbesch’wcrden auf
Einmal wurde die Inkontinenz deutlicher. Ein Fall zeigte nach der
2. Injektion fibrilläre Zuckungen und eine noch mehr verwaschene
Sprache als vorher.
Teinperaturstörungen kamen häufiger vor, meist nicht sofort
auf die Injektion hin, sondern erst am folgenden Tage. In der Regel
erhoben sich die Temperaturen nicht viel über 37—37,5. ln 5 Fällen
blieb bei je 2 Injektionen die Temperatursteigerung aus. In weiteren
5 Fällen war wohl etwas höhere Temperatur nach der 1., nicht aber
nach der 2. Injektion; 2 mal nach den beiden ersten Injektionen, aber
nicht nach der 3.; aber es kam auch 2 mal vor, dass die 2 ersten
Injektionen fieberfrei blieben, während die 3. von Temperatursteige¬
rung gefolgt war; oder nur die 1. blieb frei, die 2. und 3. waren von
Fieber gefolgt, ln 2 Fällen hatte jede der 3 Injektionen Fieber zur
Folge.
Als fieberhafte Temperatur kamen meist einige Zehntelgrad über
38 in Betracht. In 3 Fällen wurden 39 u überschritten, 1 mal wurden
40,5 erreicht, am 19. Tage nach einer 3. Injektion, während tags darauf
die höchste Temperatur nur 37,3 betrug. Üelegentlich kamen noch
nach einigen lagen normale oder subfebrile Temperaturanstiege vor,
so wurden nach einer Injektion zunächst etwas über 37° erreicht!
am 19. Tag 38,2, an den beiden folgenden Tagen 39,2, tags darauf 38, L
am 27. Tage nur 37,6, am 28. und 29. wieder 38,2 und am 38 Tage
wieder 38,3. '
: ^ Ein Fall hatte nach der 1. Injektion 37,8, nach der 2. die gleiche
! emperatur, die dann noch herabging. Am 5. Tag trat Status para-
lyticus auf und am 6. Tag erfolgte der Exitus. Die Sektion ergab
Bronchopneumonie, Myodegeneratio cordis, paralytische Hirn-
atrophie, Gewicht 1280 g. Der Vater des Mannes hatte ebenfalls
an Paralyse gelitten.
Auf den ohne klinische Symptome eingetretenen Liquorbefund
im Sinne einer H e r x h e i m e r sehen Reaktion wird weiter unten
eingegangen werden.
Weiterhin ist zu bemerken, dass bei mehreren Fällen (3) die
wiederholte Lumbalpunktion selbst mehr Schwierigkeiten machte als
vorher. Obwohl unsere Patienten auch sonst nicht selten mehrmals
bunktiert werden, ist diese Erscheinung doch besonders aufgefallen;
-S machte den Eindruck, als hätten sich infolge des Salvarsanreizes
uu das Bindegewebe irgendwelche Verwachsungen gebildet, die bei
Jer ersten Punktion nicht vorhanden waren.
Hinsichtlich einer klinischen Besserung waren die Er wur¬
migen nicht sehr hoch geschraubt, da es eben meist schon vorge¬
schrittene Fälle waren.
3 mal wurde die Sprachstörung besser, bei einem dieser Fälle
mch die Fazialisparese. Gelegentlich erschien das Romberg sehe
.wmptom schwächer.
In mehreren Fällen waren die Angehörigen vom Erfolg entzückt;
mmerhin bestanden in einem dieser Fälle noch Sinnestäuschungen
ind Grössenideen sowie Orientierungsmangel.
Einer erholte sich soweit, dass er wieder im Garten spazieren
:ehen konnte.
Ein anderer erschien weniger gehemmt und wurde lehbafter
Wieder ein anderer konnte sich klarer äussern. 6 Fälle zeigten spä-
Cr e*ne Beruhigung, darunter auch einer, der zunächst bald
iach der Injektion statusartige Erscheinungen dargeboten hatte. Bei
|inem weiteren Fall war die Besserung so weitgehend, dass er aus
,1er Anstalt beurlaubt werden konnte. 2 mal war eine Gewichts-
unahme von 4 bis 6 Pfund in 2 bis 3 Wochen zu beobachten. Bei
■nein konnte bald nach der ersten Injektion von der Sondenfütterung
mstand genommen werden.
' Einer konnte aufstehen, Datum nennen und das Datum von
fingst en berechnen, was er vorher nicht mehr gekonnt hatte. Kör-
erhclie und geistige Erholung war bei einem Patienten zu beobach-
en, der vorher dauernd bettlägerig war und nach der Behandlung
aglich wieder aufstehen konnte. Einer erschien nach der 1. In-
-ktion seinen Angehörigen frischer und gesprächiger, während er
ach der 2. hinfälliger wurde.
1 Keinerlei Veränderungen waren bei 8 von unseren Fällen zu ver-
eichnen.
L In einem privat beobachteten Initialfall trat eine so glänzende
emisston ein, dass Wiederaufnahme der akademischen Berufstätig¬
st erfolgen konnte.
. wäre durchaus verfrüht, wollte man jene kleinen
Schwankungen klinischer Art als beträchtliche Erfolge be¬
zeichnen; spontane Besserungen sind ja bei Paralyse nichts
eltenes. Ebenso wäre es ungerecht, wollte man die er¬
mähnten Verschlechterungen auch ohne weiteres als Folge der
uethode bezeichnen, denn bei den vorgeschrittenen Fällen ist
Nr. 29.
eine fortschreitende Verschlechterung an sich ja der Natur
gemäss. Wenn man gerade den Entwicklungsstand der Fälle
berücksichtigt und sich auch vergegenwärtigt, dass schon im
allgemeinen doch für gewöhnlich nur ein Teil Besserung, die
Mehrheit der Paralytiker jedoch eine stets fortschreitende
Tendenz zur Verschlimmerung aufweist, so ist es immerhin
kein schlechtes Oesamtresultat, dass 3U unserer 25 Fälle doch
nach irgend einer Richtung eine symptomatische Besserung
erkennen lassen.
Besondere Sorgfalt wurde der durch Kafka ausgeführten
Untersuchung des Blutes und der Spinalflüssigkeit der Be¬
handelten geschenkt, so wurde die WaR. in beiden Flüssig¬
keiten nach unten austitriert und gewisse in unserem Labo¬
ratorium übliche Verfeinerungen der Reaktion vorgenommen,
ferner wurde die hämolytische Fähigkeit des Blutserums und
Liquors bestimmt und der Globulin- und Gesamteiweissgehalt
der Spinalflüssigkeit unter Anwendung der neuesten Methoden
untersucht. In der geschilderten Art konnten 64 Spinal¬
flüssigkeiten und 70 Sera bearbeitet werden; von einem be¬
handelten Fall liegen bereits 4, von 8 Fällen 3, von 9 Fällen
2 Untersuchungen vor, in Summa 16 von 18 Fällen. In
9 von diesen Fällen zeigte sich eine Besserung der WaR. im
Blute, in 8 Fällen eine solche im Liquor, und zwar war sie
im Blute 5 mal, im Liquor 6 mal nach der 1. Salvarsan-
injektion deutlich und blieb dann gleich, sonst trat sie erst
nach den späteren Injektionen auf; eine Verschlechte¬
rung des WaR. - Befundes war nur einmal im Blute
nachweisbar. In 3 Fällen war die Besserung der
WaR. imLiquorso weitgehend, dass bei 0,2 negative
Reaktion vorhanden war, im Blutserum war dies nur einmal
der Fall (wobei die Verfeinerungen wie Stern oder Jacobs¬
thals Kältemethode positiv blieben); im allgemeinen schienen
die Besserungen der WaR. im Blute jener im Liquor zu folgen.
Gegenüber diesen Veränderungen waren die der anderen
Reaktionen geringfügiger; in 6 Fällen nahm die Zellmenge
im Kubikmillimeter ab, in 2 Fällen der Gesamteiweissgehalt,
in 3 Fällen der Globulingehalt.
In einem Fall trat nach der 2. Salvarsaninjektion eine
Globulinvermehrung parallel mit einer Zellvermehrung auf, in
einem anderen Falle waren Zellmenge und Gesamteiweiss¬
gehalt nach der 1. Injektion vermindert, nach der 2. vermehrt.
Dies führt uns über zu Fällen, in denen eine Herxhei m er¬
sehe Reaktion in Frage kommt: einmal stiegen nach der I. In¬
jektion Zellmenge, Globulingehalt und Gesamteiweiss ziemlich
bedeutend an, um nach der 2. Injektion wieder zurückzugehen,
in einem anderen Fall wies der Liquor, der vorher den ge¬
wöhnlichen paralytischen Befund geboten hatte, nach der
1. Salvarsaninjektion den einer akuten Meningitis auf (Provo¬
kationserscheinung), ohne dass besondere klinische Symptome
Vorlagen oder die WaR. sich verschlechtert hätte. Ein deut¬
liches Parallelgehen sämtlicher Liquorreaktionen im Sinne
einer Besserung liess sich nur in 3 Fällen (einer davon mit
negativer WaR. in Liquor und Blut) feststellen. DieLuetin-
reaktion war während der Behandlung nie stärker aus¬
gesprochen wir früher.
Es wäre verfrüht, heute schon Folgerungen irgend welcher
Art aus den Befunden zu ziehen, wenn auch die Häufigkeit
des Besserwerdens der WaR., wie man sic sonst bei
der Behandlung der Paralyse nie sah, sehrauffallend ist;
jedenfalls muntern uns die serologischen Befunde zu einem
weiteren Fortschreiten in der gleichen Richtung der Therapie
auf, zumal wir auch erwarten dürfen, dass die Herx-
hefm ersehe Reaktion jenes zweiten Falles gleich der des
anderen nach der 2. Salvarsaninjektion zurückgehen wird.
Es scheinen auch Liquor- und Blutuntersuchungen für die Be¬
stimmung der Grösse des Intervalls und event. auch der Do¬
sierung nicht ohne Bedeutung zu sein.
Unsere experimentelle Versuchsanordnung
hat den Zweck, die therapeutischen Massnahmen
auf eine sichere experimentelle Basis zu
steilen namentlich mit Rücksicht auf die Frage, welche
Schädigungsmöglichkeiten unsere thera¬
peutischen Bestrebungen mit sich führen
können, und nach welcher Richtung hin sich
die event. Gewebsschädigungen entwickeln.
*
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1610
Nr. 29.
Achnliche Untersuchungen über die Einwirkuns von Salvarsan
und Neosalvarsan bei direkter Einführung in das Zentralnervensystem
sind in letzter Zeit bereits von verschiedenen Seiten angestellt wor¬
den und haben zu ganz verschiedenen Resultaten geführt: Camus
(Paris mddical 1910) beobachtete bei Hunden und Kaninchen selbst
nach Injektion kleiner Mengen von Salvarsan (0,0005 pro Kilogramm
Kaninchen) in den Rückenmarkskanal regelmässig den baldigen Tod
der Versuchstiere. Demgegenüber hat Castelli (D.m.W. 1911)
Mengen von 1 — 2 ccm verschiedener Neosalvarsanlösungen 1: 100 bis
1 : 300 Kaninchen intraspinal injiziert und dabei keine nennenswerten
klinischen Folgeerscheinungen gesehen. Wechselmann (D.m.W.
1913) injizierte Hunden und Kaninchen verschieden konzentrierte Sal-
varsanlösungen (in Mengen von 0,5 ccm bei Kaninchen und 1,0 ccm
bei Hunden) direkt ins Gehirn; Lösungen von 0,1:50 und 0,1:100
hatten den Tod der Tiere nach wenigen Tagen zur Folge, während
die Tiere bei einer Konzentration der Lösung von 0,1:200 und 0,1:400
symptomlos blieben. Wechselmann fand anatomisch bei den ge¬
storbenen Versuchstieren ausser starker Blutfüllung der pialen Ge-
fässe keine Veränderungen. Swift und E 1 1 i s (Ref. Neurol. Zbl.
1913) erzielten bei einem Affen durch intraspinale Injektion einer Dosis
von 0,003 Salvarsan eine monatelange Parese der hinteren Extremi¬
täten, und auch wesentlich kleinere Mengen bewirkten noch starke
Liquor-Zellvermehrungen, die erst bei Dosen von 0,0001 geringer
wurden. Bei Neosalvarsan waren die Zellvermehrungen in der Spi¬
nalflüssigkeit weniger ausgesprochen.
Während all diese Experimentatoren den Hauptwert auf die
Beobachtung der klinischen Folgezustände legten und die histo¬
logischen Veränderungen nur wenig oder gar nicht berücksichtigten,
hat Berger (Zschr. f. d. ges. Neurol. 23. 1914. 2/3) erst kürzlich
ausgedehnte anatomische Untersuchungen an Hunden veröffent¬
licht, bei denen er Neosalvarsanlösungen in verschiedenen Konzen¬
trationen und Mengen in den Subduralraum des Gehirns einbrachte;
dabei hat sich ergeben, d.ass Dosen bis herab zu 0.001 sich als tödlich
erwiesen und dass noch Dosen von 0,0005 deutliche lokale Verände¬
rungen (Blutungen an der Injektionsstelle und umschriebene Infiltrate
der Meningen) hervorriefen, die erst bei einer Dosis von 0,0001 N-Sal-
varsan in einer Verdünnung von 1: 10 000 sicher ausblieben. Mikro¬
skopisch fand Berger gewöhnlich weitverbreitete miliare Blu¬
tungen, auch entfernt von der Injektionsstelle, Gewebsnekrosen und
Infiltrate der Meningen, während primäre Gefässwandveränderungen
und Ganglienzelldegenerationen vermisst wurden. Ferner zeigte sich,
dass ausser der Gesamtmenge des eingeführten Neosalvarsans die
Konzentration eine wesentliche. Rolle spielt, und dass bei gleicher
Gesamtmenge der stärkeren Konzentration schwerere lokale Reiz¬
erscheinungen entsprechen.
Bei unseren Experimenten kam es uns vor allem darauf
an, die beim Menschen zunächst einzuschlagenden Wege mög¬
lichst getreu nachzuahmen; wir wählten daher Affen als
Versuchstiere und bevorzugten die intraspinale Injek¬
tion von Neosalvarsan, und zwar gingen wir dabei
von Mengen aus, die den beim Menschen namentlich von
Gennerich empfohlenen entsprechen, ohne sie dem Ge¬
wicht des Tieres proportional zu reduzieren. Denn es lag uns
ja hauptsächlich daran, zu untersuchen, in welcher Art
das eingebrachte Medikament das Nerven¬
gewebe schädigend affizieren kann. So kamen
wir zu folgenden Versuchsanordnungen:
Wir lösten 0,15 Neosalvarsan in 100 ccm 0,4 p r o z.
steriler Kochsalzlösung bei 22° C und injizierten
von dieser frisch bereiteten Lösung (3 mal konzentrierter als
die von uns beim Menschen angewandte) einem Affen durch
Lumbalpunktion unter ganz geringem Druck 3 ccm, zwei
anderen 2 ccm, einem vierten 1 ccm, einem weiteren 0,4 ccm
und einem letzten 0,2 ccm in den Lumbalsack, nachdem
wir vorher die entsprechende Menge Liquor abgelassen hatten.
Klinisch war folgendes bemerkenswerte Resultat fest¬
zustellen
Der Affe (I) mit der höchsten Dose (3 ccm) bleibt ohne
jegliche Symptome; ebenso der eine Affe (II) mit 2 ccm. Affe I
wird nach 13 Tagen, Affe II nach 10 Tagen getötet. Der andere Affe
(III) mit 2 ccm stirbt noch in der darauffolgenden Nacht. Das Tier
(IV) mit 1 ccm ist am nächsten Tag in den hinteren Extremitäten
etwas schwächer und ataktisch, am 2. Tag besteht eine aus¬
gesprochene Lähmung der hinteren und Schwäche der vorderen Ex¬
tremitäten. Die Reflexe sind an den hinteren Extremitäten lebhafter,
deutliche Sensibilitätsstörungen sind nicht festzustellen; auch Blasen¬
störungen bestehen nicht. In diesem Zustand bleibt das Tier auch
in den nächsten Tagen; die hinteren Extremitäten sind völlig ge¬
brauchsunfähig und befinden sich in deutlicher Spannung (Textfig. 1).
Das Tier nimmt allmählich weniger Nahrung zu sich und wird 7 Tage
nach der endolumbalen Injektion getötet.
Der Affe (V) mit 0,4 ccm bekommt nach 2 Tagen eine voll¬
kommene Parese aller Extremitäten und stirbt nach 3 Tagen, des¬
gleichen tritt bei dem Affen (VI) mit 0,2 ccm nach leichten Be¬
wegungsstörungen am 3. Tage der Exitus ein.
Textfig. 1. Atfe IV. 1 ccm N.-S. Sol. 0,15/100 endolumbal mit nachfolgender Paraparese,
namentlich der hinteren Extremitäten (cfr. auch Textfig. 7, 8, 9, 10).
Der postmortal oder vor dem Tode entnommene Liquor, der
bei den meisten Tieren leichte Blutbeimengungen zeigt, bietet deut¬
liche Zellvermehrung (K a f k a). Die Sektion ergibt bei allen Tieren
keinen Befund, ausser bei dem Affen mit 0,4 ccm, wo eine leichte blu¬
tige Verfärbung der lumbosakralen Pia auffällt. Auch die Körper¬
organe sind makro- und mikroskopisch ohne Veränderungen.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des
Zentralnervensystems dieser Tiere ergibt sich, dass
sich bei allen Affen, auch bei denen, die klinisch keine
Erscheinungen geboten haben, histologische Verände¬
rungen finden, die in ihrer charakteristischen Eigenart immer
wiederkehren und sich nur nach In- und Extensität in den ver¬
schiedenen Fällen unterscheiden:
Weisse
Sub¬
stanz
des
Rücken¬
marks
Dura
Neu¬
gebildete
Mem¬
bran,
aus ge¬
wucher¬
tem En¬
dothel u.
Fibro¬
blasten
be¬
stehend
Textfig. 2. Dura-Endothelwucherung bei Affe II. 2 ccm N.-S. Sol. 0,15/100 endolumbal.
Klinisch o. B Getötet nach 10 Tagen. Lutnbalmark.
Textfig. 3. Epineurale Wucherung bei Affe II (cfr. Textfig 2) in den abgehenden Nerven¬
bündeln des Lumbo-sakralmarkes.
1 = Dura. 2 = Nervenbündel 3 = Dura-Endothelwucherung. 4 = Wucherung des
Epineuriums. 5 = Nervenbündel.
4
In allen Fällen zeigt die Dura in den untersten Teilen des
Rückenmarks proliferative Erscheinungen an ihrem inneren Endo¬
thel, das stellenweise stark gewuchert erscheint (cf. Textfig. 2, 3 u. 4)
und neugebildete Membranen, aus Schichten von Fibroblasten be¬
stehend, erkennen lässt (Textfig. 2). Häufig sind die gleichen Wuche-
Juli 1914.
MIJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
21.
1611
rungsvorgängc auch am Epineurium der abKehenden Nerven-
bündcl zu erkennen (Textfig. 3). Derartige Veränderungen sind bei
Affe I, II und IV. auch noch im Brustmark nachzuweisen, während sie
bei den übrigen Tieren auf die kaudalen Partien des Rückenmarks
beschränkt bleiben.
Das Parenchym der austretenden Spinalnerven zeigt
ebenfalls stellenweise hochgradige Degeneration, und zwar nehmen
die geschädigten Partien zumeist die Randzonen der ein¬
zelnen Nervenbündel ein, während das Zentrum normal er-
Textfrg. 4. Nervenbündel der Candaequina mit degenerierten Randpartien (a). Affe I
3 ccm N -S Sol. 0,15/100 endolumbal. Klinisch o. B. Getötet nach 13 Tagen.
1 = Zentralkanal. 2 = Dura-Endothelwucherung. 3 = Gewuchertes Endothel der Dura.
scheint. Textfig. 4 gibt diese Erscheinungen bei Affe I mikrophoto¬
graphisch wieder; die dunkler gefärbten Partien bei a entsprechen
den affizierten und degenerierten Stellen. Textfig. 5 zeigt eine solche
. ’ii? )- ,
/ei
t IN
Textfig. 5. Affe I (cfr. Textfig. 4).
1 = degenerierte Nervenpartie im austretenden Lumbalmarknerven, g = Gefässe mit
gewucherten Endothelien. n = normale Nervenstelle.
veränderte Nervenstelle aus einem Nervenbündel des Lumbalmarkes
(Affe I) bei stärkerer Vergrösserung; die Nervenfasern sind hier
grösstenteils zerfallen, die Schwann sehen Zellen sind stark ge¬
wuchert, und die Entwicklung von Abräumzellen hat bereits be-
Textfig. 6.
Akute Ganglienzelldegeneration
im Sakralmark von Affe VI:
0,2 ccm N.-S. Sol. 0,15/100
endolumbal.
Nach 2 Tagen Exitus.
■fonnen. Die Endothelien der Gefässe (g) sind deutlich vergrössert.
iei verschiedenen Tieren, namentlich bei denen, die mehr als 3 Tage
gelebt haben, sind auch in den peripheren Nervi isciiiadici degenera-
ivve Vorgänge geringeren Grades festzustellen.
Bei 2 Affen (Affe II und V) finden sich auch kleine piale und
'Ubdurale Blutaustritte; im übrigen zeigt die Pia nur sehr geringe
W ucherungserscheinungen. Die Spinalganglien sind mikroskopisch
normal.
Zudem finden sich bei Affe III, IV, V und VI deutliche Paren-
c li yra Veränderungen in der Rückenmarks Substanz
selbst. Sie bestehen vornehmlich in akuten Ganglienzelldegenera¬
tionen (Iextfigur 6, 7), Wucherung der Gefässendothelien und proli-
Textfig. 7. Akut degenerierte Ganglienzellen (ga) und gewucherte Gliazellen (gl) im
Vorderhorn des Brustmarks. Affe IV: 1 ccm N.-S. Sol. 0,15/100 endolumbal mit Parese.
Getötet nach 7 Tagen.
ferativen Gliaveränderungen. Diese Erscheinungen sind bei den
meisten Tieren nicht sehr hochgradig ausgebildet und nur in den
untersten Partien -des Spinalmarks nachzuweisen. Nur bei Affe IV,
der nach endolumbaler Injektion von 1 ccm der Neosalvarsanlösung
0,15/100 die schwersten Störungen längere Zeit bot, zeigen sie sich
Textfig. 8. Degenerierte und gequollene Nervenfasern in der Randzone des Brustmarks.
Affe IV (cfr Textfig. 7).
n = normale Nervenfasern, d = degenerierte und gequollene Nervenfasern.
auch in den verschiedensten Höhen des Rückenmarks und sind auch
noch in der Medulla oblongata und selbst im Gehirn zu beobachten.
In Textfigur 7 sehen wir eine Stelle aus dem Vorderhorn des Brust-
tnarks mit akut veränderten Ganglienzellen (ga) und gewucherten
Textfig. 9.
Herdförmiger
Prozess im Nucleus
gracilis bei Affe IV
(cfr. Textfig. 7).
Gliazellen (gl). Weiterhin sind bei diesem Tiere die Randpartien
der weissen Rückenmarksubstanz im Brustmark von gequollenen und
degenerierten Nervenfasern besetzt (Textfigur 8) und schliesslich
finden sich noch herdförmig begrenzte Stellen in der grauen Substanz
aller Rückenmarkshöhen, die durch starke Gefässendothelwucherung
2*
1612
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
und -sprossung, Qliaproliferationen und Ganglienzelldegenerationen
auffallen. Besonders schwere herdförmige Prozesse solcher Art finden
sich in beiden Nuclei graciles zu beiden Seiten der Raphe im obersten
Halsmark (Texfigur 9). Es sei noch betont, dass nirgends Blutreste
nachweisbar sind, wie sich auch sonst keine hämorrhagischen Pro¬
zesse im Zentralnervensystem selbst feststcllen lassen. In Textfigur 10
Textfig. 10.
Die in Textfig. 9
bezeichnete Stelle bei
stärkerer Vergrösserung.
g = Gefäss mit Endothel¬
wucherung u. Sprossung,
gl' = gewucherte
Gliazellen.
ga = degenerierte
Ganglienzelle.
erkennen wir die Endothel Wucherungen und Sprossungsvorgänge an
den Gefässen (g) und die hochgradigen Gliaproliferationen in einem
Herde des obersten Halsmarkes, den Textfigur 9 in der Gesamtüber-
sicht wiedergibt.
Aus dieser gedrängten Schilderung der
klinischen und anatomischen Ergebnisse bei
endolumbaler Einführung verschiedener
Mengen einer höher konzentrierten Neo-
salvarsanlösung bei Affen ist zu erkennen,
dass derartig konzentrierte Neosalvarsan-
lösungen (0,15:1 00) sowohl in höheren Mengen
(3,2 u n d 1 ccm) als auch in geringen Quantitäten
(0,4 und 0,2 ccm) stark reizend auf das Dura-
endothel, die austretenden Nervenbündel und
die Endothelien der Qefässe und unter Um¬
ständen auch auf das nervöse Parenchym des
Zentralnervensystems selbst einwirken und
hier zu ausgesprochenen degenerativen und proliferativen Vor¬
gängen und herdförmigen Prozessen Veranlassung geben können,
bei denen die Gefässwandverän der ungen am
meisten in die Augen fallen. Die anatomischen Veränderungen
sind gewöhnlich am hochgradigsten in der Umgebung der
Injektionshöhe entwickelt, sind aber auch in höher gelegenen
Partien zu erkennen und finden sich bei einem Tiere besonders
ausgesprochen im obersten Halsmark, im verlängerten Mark
und im Gehirn. Als bemerkenswert mag betont sein, dass die
Affen, denen 3 und 2 ccm der Neosalvarsanlösung endolumbal
injiziert worden waren, zum Teil gar keine klinischen und
weniger hochgradige anatomische Veränderungen aufwiesen
als jene Tiere, denen von dergleichen Lösung wesentlich
geringere Mengen eingeführt wurden. Dies scheint darauf
hinzudeuten, dass auch hier individuelle Ausschei¬
dungsverhältnisse eine Rolle spielen.
Zum Vergleiche mit den bei endolumbaler Einführung des
Neosalvarsans gewonnenen Resultaten haben wir bei 2 Affen
die gleiche Neosalvarsanlösung (0,15 : 100) in Mengen von je
2 ccm subdural und intrazerebral (rechtes Stirn¬
hirn) injiziert:
Der eine dieser Affen (VII) wurde nach 3 Tagen schwächer
und starb an diesem Tage, ohne wesentliche Lähmungserscheinungen
gezeigt zu haben. Bei der Sektion sah man im rechten Frontalhirn
eine kleine Einstichstelle, sonst war makroskopisch kein Befund zu
erheben. Der andere (VIII) bekam am nächsten Tage eine linkseitige
Hemiparese und am darauffolgenden Tage schwere epileptische An¬
fälle, die mit Krämpfen in den linken Extremitäten und im linken
Fazialis einsetzten und schliesslich zu allgemeinen Konvulsionen wur¬
den mit völligem Bewusstseinsverlust, Speichelfluss und Pupillen¬
starre. Die Anfälle wurden in den nächsten Tagen heftiger und
häufiger; sie kamen schliesslich alle 10 Minuten und dauerten un¬
gefähr 2 — 3 Minuten. Auch kurzdauernde Absenzen ohne Krämpfe
konnten deutlich beobachtet werden. Zu der linken Parese ge¬
sellte sich noch am 5. Tage eine Lähmung des rechten oberen Augen¬
lides; die linke Pupille war dauernd grösser als die rechte. 614 Tage
nach der Injektion starb das Tier.
Bei der Sektion ist die Dura zart, stark gespannt, die Pia überall
zart und durchscheinend. Die Gehirnwindungen sind deutlich abge¬
plattet. Eine Einstichstelle ist nicht zu sehen; auch auf Frontal¬
schnitten bemerkt man nichts Besonderes. Die übrigen Körperorgane
sind normal.
Mikroskopisch findet sich im hinteren Teil der rechten
Frontalhirnrinde eine Injektionsstcllc mit Hämorrhagien in der
nächsten Nachbarschaft und den entsprechenden reaktiven Erschei¬
nungen. In der Umgebung dieser Stelle ist die Pia hyperplastisch
verdickt, mit Makrophagen und Körnchenzellen besetzt (Textfigur 1,
Pia); die Rinde ist von Abräumzellen aller Art, von gewucherten
Gliazellen und von zahlreichen Gefässen (g) und neugebildeten Kapil-
Textfig. 11.
Pia
Rinden Veränderung
in der Umgebung der
Injektionsstelle
bei Affe VIII.
2 ccm N.-S. Sol. 0, 15/ICO
subdural und intrazerc-
bral. Krämpfe. Tod
nach 6V» Tagen.
(Mit g sind einige der
zahlreichen Gefässe
bezeichnet.)
In
laren mit stark gewucherten Endothelien eingenommen (Textfigur 11),
während die Ganglienzellen aufs schwerste degeneriert sind. Aber
auch noch in weiterer Entfernung von der Injektionsstelle, fast überall
im Frontal- und Zentralhirn, -auch auf der linken Seite, zeigt die
Rinde schwere Veränderungen, die im wesentlichen nur die Win¬
dungsoberfläche und hier nur die beiden äussersten, der Pia
benachbarten Rindenzonen befallen haben (Textfigur 12).
Linkes Fr.-Hirn Rechtes Fr. -Hirn
Textfig. 12. Rindenveränderungen (Gefässwucherung und Gliaproliferationen) in den
äussersten Zonen entfernt von der Injektionsstelle. Affe VIU (cfr. Textfig. 11).
Die Rindenveränderungen (Textfigur 12) bestehen in hochgra¬
digen Wucherungsvorgängen an den Gefässwandzellen, die zu zahl¬
reichen Gefässneubildungen führen, und starken Gliaproliferationen;
Textfig. 13.
Gefässwucherung und
Gliaproliferation in den
äussersten Rindenzonen
im 1. Temporalhirn.
Rindenarchitektonik ist
erhalten. Affe VIII.
die Pia ist ödematös. Nirgends sind Blutungen oder Reste von älteren
Hämorrhagien nachzuweisen. Die Rindenarchitektonik selbst ist ge¬
wahrt. Gegen das Temporalhirn zu lassen die Veränderungen nach,
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sind aber auch hier noch ganz charakteristisch entwickelt (Textfig. 13).
Auf 1 extfigur 13 erkennt man gut, wie die Veränderungen gegen das
Innere der Rinde zu immer mehr und gleichmässig abnehmen. Ausser
diesen Rindenoberflächenveränderungen, die sich gradatim gegen
das Okziput -sowohl wie jeweils gegen das Marklager zu vermindern,
finden sich weiterhin im ganzen übrigen Gehirn ausserordentlich
schwere Ganglienzelldegenerationen akuter Natur (Textfigur 14) und
noch in die Augen springender, Wucherungsvorgänge an der Glia die
die ganze Rinde mit zahlreichen hellen, sternförmig gewucherten
Textfig. 14.
Gliawucherung (gl)
und Ganglienzell¬
degeneration (dunkle
Py-Zellen) im Parietal¬
hirn. Affe VIII.
plasmatischen Gliazellen (Textfigur 14 [gl]) übersät, Veränderungen,
die wir als sekundär durch die epileptischen Anfälle bedingt, ansehen
möchten. Auch im Rückenmark finden sich ähnliche Erscheinungen,
wenn auch weniger ausgeprägt, desgleichen sind hier Gefässendothel-
wucherungen deutlich. Vereinzelt kann man eine amöboide Glia-
umwandlung im Rückenmark erkennen.
Beim anderen, subdural und intrazerebral injizierten Affen sind
im ganzen ähnliche histologische Erscheinungen festzustelien, nur
enger in die Umgebung der Injektionsstelle lokalisiert und bei weitem
nicht so hochgradig entwickelt.
Wir sehen also auch aus diesen Versuchen, namentlich aus
den Befunden bei Affe VIII, dass höher konzentrierte
Neosalvarsanlösungen, subdural und intra¬
zerebral eingeführt, das Nervengewebe
schwer affizieren und auch hier wie bei den
Rückenmarksversuchen vornehmlich auf die
Getässwandzellen und Gliaelemente reizend
ein wirken; herdförmige Prozesse im Sinne
miliarer Blutungen scheinen dabei keine
wesentliche Rolle zu spielen. Diese Tatsache ver¬
dient hervorgehoben zu werden, einmal gegenüber den von
Berger mitgeteilten Versuchsergebnissen (s. o.), dann aber
auch im Hinblick auf die Gehirnveränderungen bei den so viel
diskutierten Todesfällen nach intravenöser Salvarsaneinver-
leibung, wo gerade die miliaren Hämorrhagien im Vorder¬
gründe stehen. In unseren Versuchen spiegelt sich die reine
Salvarsanwirkung auf das normale Zentralnerven¬
system wieder, und da sie sich in wesentlich anderer Art
zeigt wie dort, scheint uns auch hiermit ein neuer Beweis ge¬
geben für die Richtigkeit der klinisch postulierten und auch
anatomisch begründeten Auffassung, dass- es sich bei
den Salvarsantodesfällen um komplizierte
Wechselwirkungen zwischen Salvarsan und
den zerebralen Spirochätenherden bzw. den
durch sie gesetzten Gewebsveränderungen
handelt. (Cfr. auch Jakob: Ueber Salvarsantodesfälle. Zschr.
f. d. ges. Neur. 19. 2. 1913.)
Schliesslich haben wir noch von einer nieder kon¬
zentrierten (0,15 ; 300) Neosalvarsanlösung einem
Affen 0,6 ccm subdural und intrazerebral und einem anderen
(|,4 ccm endolumbal injiziert. Die Tiere blieben vollkommen
nhne klinische Symptome; sie wurden nach 24 resp. 7 Tagen
getötet. Auch mikroskopisch lassen sich bei
diesen Iieren nicht die geringsten Verände¬
rungen n a c h w e i s e n, abgesehen von den reaktiven
Erscheinungen des zerebralen Einstichkanals, die in ähnlicher
W eise entwickelt sind wie beim Vergleichsaffen, dem wir 1 ccm
physiologischer Kochsalzlösung ins Gehirn einspritzten.
Aus diesen negativen Befunden bei intrazerebraler und
endolumbaler Einverleibung relativ nieder konzen¬
trierter Neosalvarsanlösungen in geringeren I
Mengen ist zu schliessen, dass unter solchen Voraus¬
setzungen das Neosalvarsan nicht schädigend
auf das Nervensystem und seine bindege¬
webigen Hüllen e i n w i r k t.
Wir haben davon abgesehen, in noch weiteren Aus¬
wertungsversuchen eine genaue Toleranz des Zentralnerven¬
systems der Affen gegenüber dem Neosalvarsan nach Kon¬
zentration und Mengen empirisch festzustellen, da die Be¬
dingungen beim Affen doch nicht direkt auf die menschlichen
Verhältnisse übertragen werden können. Immerhin ergeben
sich aus den obigen experimentellen Untersuchungen, die sich
nach ihren anatomischen wie klinischen Folgen in gewissen
Extremen bewegen, prinzipiell wichtige Tatsachen, die bei
unseren therapeutischen Bestrebungen in der mensch¬
lichen Klinik Berücksichtigung verdienen, hier einerseits
zur grössten Vorsicht mahnen, andererseits zu einem hoft-
nungsfrohen Optimismus berechtigen. Es hat sich einmal
gezeigt, dass Neosalvarsanlösungen, direkt
in das Zentralnervensystem in höherer Kon¬
zen 1 1 a t i o n eingeführt, stark reizend und
schädigend auf das Endothel der Dura und der
Gefässe und unter U umständen auch auf das
nei \ öse Parenchym selbst ein wirken können.
Dabei ist zu betonen, dass wir bei unseren Hauptversuchs¬
anordnungen mit relativ grossen Mengen und konzentrierten
Salvarsandosen arbeiteten; die Lösung 0,15:100 ist dreifach
konzentrierter als die beim Menschen gewöhnlich angewandte,
und wenn wir hiervon, wie bei Affe I 3 ccm endolumbal in¬
jizierten, so haben wir beim Tiere an absoluter Salvarsan-
menge um die Hälfte mehr einverleibt, als es üennerich
beim Menschen empfiehlt (6 ccm einer Lösung 0,15 : 300). Pro¬
portional dem Körpergewicht hat das Tier also 30 mal so viel
Salvarsan erhalten wie unsere Patienten. Dennoch bleibt jener
Affe klinisch gesund, zeigt aber histologische Veränderungen
in beschränkter Lokalisation und in geringer Schwere. Es liegt
hier also eine anatomische Schädigung vor, die klinisch ver¬
deckt blieb; diese Beobachtung zeigt, wie peinlich genau man
bei der klinischen Untersuchung der endolumbal behandelten
Kranken vorgehen muss, wie man namentlich stets auf et¬
waige Reiz - oder Ausfallserscheinungen von
seiten des Lumbosakralmarkes zu achten hat.
Auf der anderen Seite lassen aber die Versuche die Mög¬
lichkeit erkennen, Neosalvarsanlösungen bei
genügenderAbstufungderKonzentrationund
Mengen ohne nachweisbare Schädigung in
das Zentralnervensystem, namentlich in den Lum¬
balsack, einzuführen; damit sind vorsichtige endolumbale Be¬
handlungsversuche beim Menschen gerechtfertigt. Zudem
zeigte uns auch die anatomische Ausbreitung der Neosalvarsan-
schädigung — bei Rückenmarkstieren in den verschiedensten
Spinalhöhlen sogar in der Medulla oblongata und im Gehirn
und auch bei Grosshirntieren im Rückenmark — , dass für das
Neosalvarsan günstige Zirkulationsbedingungen
im Zentralnervensystem und seinen Lymphbahnen gegeben
sind, was zu einem gewissen Optimismus bei diesem neuen
Behandlungsversuch der Paralyse und Tabes berechtigen
kann. Wünschen wir, das die menschliche Pathologie unsere
Hoffnungen nicht enttäusche!
Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg
(Direktor: Prof. Dr. W i 1 m s).
Die Behandlung chirurgischer Tuberkulosen mit Enzyto!
(Borcholin).
Von Privatdozent Dr. B. B a i s c h.
Die Behandlung der chirurgischen Tuberkulose hat in dem
letzten Jahrzehnt bedeutende Wandlungen durchgemacht. Von
der Erkenntnis ausgehend, dass die lokale Entfernung eines
tuberkulösen Herdes nicht genüge, um den Körper gesund zu
machen, sondern dass der Organismus im ganzen widerstands¬
fähig gemacht werden müsse, um die Krankheit zu überwinden,
ist man von extrem operativem Vorgehen zu konservativen
Methoden übergegangen. Ich kann die vielerlei Hilfsmittel, die
zur Behandlung der chirurgischen Tuberkulose angegeben
wurden, nicht alle aufführen, möchte hier nur die in ihren
1614
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29. !
Erfolgen bisher einzig dastehende Heliotherapie erwähnen ').
Da ihre wirksame Durchführung immer noch an einzelne
klimatisch begünstigte Orte gebunden ist, die für die grosse
Masse unserer Patienten nicht zugänglich sind, so müssen
wir nach Wegen suchen, durch die wir sie in unserem Klima
unterstützen und teilweise ersetzen können. Als ein wertvolles
Unterstützungsmittel in dieser Richtung hat sich uns die
Röntgenbestrahlung erwiesen, die wir seit nunmehr 5 Jahren
in Anwendung bringen. Ueber die Erfolge damit konnte ich
an verschiedenen Orten berichten 2). Da die Hilfsmittel und
die Technik der Röntgentherapie noch in dauernder Wandlung
sind, werden wir auch bei der Tuberkulosebehandlung noch
Fortschritte erzielen. Bis jetzt ist sie allein noch nicht im¬
stande. in allen Fällen Heilung zu bringen. Das liegt einmal
an der noch nicht genügenden Tiefenwirkung bei den Erkran¬
kungen der grossen Gelenke, 2. aber daran, dass wir die Be¬
strahlungen nicht beliebig lang fortsetzen können, da wir über
eine gewisse Strahlenmenge an einer Körperstelle nicht hinaus¬
gehen dürfen. Es lag daher nahe, auch für die Tuberkulose
eine Verstärkung der Strahlenwirkung durch chemische Imi¬
tation derselben anzustreben, wie es nach Versuchen von
Werner3) bei den Tumoren mit Erfolg ausgeführt wird.
Die experimentellen Untersuchungen Werners hatten er¬
geben, dass mit den durch Röntgenbestrahlung frei werdenden
Spaltungsprodukten des Lezithins die gleichen Wirkungen er¬
zielt werden konnten, wie mit der Bestrahlung selbst, dass es
ferner für den Erfolg gleichgültig war, ob diese Spaltungs¬
produkte durch die Bestrahlung hervorgerufen oder auf che¬
mischen Wege hergestellt waren. Als der wirksame Bestandteil
der Spaltungsprodukte des Lezithins hatte sich dann das Cholin
erwiesen, das aber in seiner reinen Form für eine allgemeinere
Anwendung zu giftig war. Erst als es gelang, das sehr giftige
basische Cholin durch andere Salze zu ersetzen, wurde es all¬
gemeinerem Gebrauch zugänglich. Als ein genügend ungiftiges
Salz- hat sich darnach das borsaure Cholin, das unter dem
Namen E n z y t o 1 4) in den Handel kommt, erwiesen.
Es liegen bereits eine Reihe von experimentellen Arbeiten
vor, die den Nachweis geliefert haben, dass das Enzytol tat¬
sächlich die gleichen biologischen Veränderungen hervor¬
zurufen imstande ist, wie die Röntgenstrahlen. In einer
weiteren Anzahl von Publikationen ist über die erfolgreiche
Anwendung des Enzytols in Kombination mit anderen Me¬
thoden bei malignen Tumoren berichtet. Zur Behandlung der
Tuberkulose musste das Cholin auch noch aus einem weiteren
Grunde als ein geeignetes Mittel angesehen werden. Deycke
und Much 5) hatten schon 1909 nachweisen können, dass
Cholin und Neurin imstande seien, Tuberkelbazillen sowohl in
vitro wie in vivo aufzulösen. Eine Therapie auf diesem Wege
konnte aber erst das ungiftige Cholinum boricum aussichtsreich
erscheinen lassen. Ueber die ersten Versuche von Enzytol zur
Behandlung der Tuberkulose wurde von M e h 1 e r und
Ascher8) berichtet.
Bezüglich der Technik der Einspritzung hielten wir uns an die
Vorschriften, wie sie in Publikationen aus dem Samariterhaus be¬
kannt geworden sind 7). Wir wandten von vornherein nur intra¬
venöse Injektionen in die Armvene an und verzichteten auf subkutane
oder intramuskuläre Einspritzungen, weil es nachgewiesen ist, dass
bei grösseren Mengen starke Entzündungen und Ulzerationen ent¬
stehen können, die mit den Röntgenverbrennungen grösste Aehnlich-
keit haben. Wir konnten selbst feststellen, dass jede subkutane In¬
jektion, sobald die Vene nicht gut getroffen war, schmerzhaft wurde
und event. kleine Infiltrate hinterliess. In solchen Fällen haben wir
dann sofort die Injektion abgebrochen oder an anderer Stelle wieder¬
holt. Als sehr brauchbar zur Injektion erwies sich uns die für Sal-
varsaninjektionen angegebene stumpfwinklig abgebogene Nadel mit
einer kleinen Platte zum Auflegen auf den Arm in Verbindung mit
einer Rekordspritze von 20 ccm Inhalt. 2 sterile Schalen dienen zur
') Rolli er: Die Heliotherapie der chirurgischen Tuberkulose.
Erg. d. Chir. u. Orthop. 7. S. 1. (Literatur!)
*’) B. Bai sch: Röntgentherapie der chirurgischen Tuberkulose.
Erg. d. Chir. u. Orthop. 7. S. 110.
;;) Werner: Zschr. f. Chir. 1904 Nr. 43; Bruns Beitr. z. klin.
Chr. 52. H. 1; M. Kl. 1912 Nr. 28; B.kl.W. 1913 Nr. 10; Zschr. f.
Chernother. 1. 1913; Strahlenther. 1. H. 4.
A) Vereinigte Chem. Werke A.G. Charlottenburg haben die
Fabrikation übernommen.
'") Deycke und Much: M.m.W. 1909 S. 1985.
“) Mehl er und Ascher: M.m.W. 1913 Nr. 14.
7) Rapp: M.m.W. 1914 Nr. 20.
Aufnahme des Enzytols und der physiologischen Kochsalzlösung. Es
wird nun von dem in 10 proz. Stammlösung in den Handel kommenden
Enzytol die gewünschte Menge aufgezogen und dann mit der NaCl-
Lösung bis auf 20 ccm verdünnt. Diese Mischung wird dem Patienten
unter aseptischen Kautelen sehr langsam, event. mit kleinen Pausen
injiziert. Wir beginnen mit einer Mischung von 1 ccm der 10 proz.
Lösung gleich 0,1 g Borcholin auf 20 g NaCl und steigen dann langsam
bis auf 4 ccm Lösung. In der ersten Zeit stiegen wir noch höher
bis zu 8 und 10 ccm Lösung unter entsprechend grösserer Verdünnung, [.
fanden aber, dass durch diese grösseren Dosen das Allgemeinbefinden j
der Patienten gestört wurde und Appetitlosigkeit und ähnliches auf- t
trat, und sind deswegen in der letzten Zeit nicht über 4 ccm Lösung j
hinausgegangen
Was nun die direkten Nebenerscheinungen, die während
der Injektion auftreten, betrifft, so konnten wir diese in der I
gleichen Weise, wie sie von allen bisherigen Untersuchern
beobachtet wurden, feststellen. Schon nach wenigen Kubik- 1
Zentimeter der Einspritzung tritt eine deutliche Hyperämie der j
peripheren Gefässe auf (Rötung des Gesichtes, sichtbare Pul¬
sation der Arterien am Arm), Hitzegefühl, Salivation und stär¬
kere Sekretion der Tränen- und Schweissdriisen, vertiefte, I
eventuell etwas angestrengte Atmung und etwas Schwindel.
Nach wenigen Minuten gehen diese Erscheinungen zurück und j
haben sich bei uns nur vereinzelt bei erregbaren, ängstlichen j
und geschwächten Patienten bis zu stärkerem Schwindel mit I
rasch vorübergehenden Kollapserscheinungen gesteigert. Diese
primäre Reaktion ist der pharmakologische Ausdruck einer [
Reizung des Zentrums der Vasodilatatoren durch das Cholin
und hängt daher von der Konzentration und der Geschwindig¬
keit der Injektion ab, weswegen sich die angeführte langsame, I
schrittweise mit Pausen vorgenommene Injektion empfiehlt.
Auf diese Weise wurden bis jetzt 26 an verschiedenen tuber¬
kulösen Erkrankungen leidende Patienten mit Enzytolinjektion
behandelt. Eine schädigende Wirkung wurde nicht beobachtet,
ausgenommen bei 2 Patienten, über die später noch berichtet j
wird. Von diesen 26 Fällen haben 8 durch den vorzeitigen I
Austritt aus der Klinik zu wenig Injektionen erhalten, bei 2
wurde die Behandlung erst vor zu kurzer Zeit begonnen, um
einen Enderfolg feststellen zu können. Von den übrigen
16 Fällen ist bei 7 die Behandlung beendet, 6 davon wurden
geheilt, einer wesentlich gebessert. Bei 4 wurde die Behand¬
lung abgebrochen, da die zurzeit fortgeschrittene Erkrankung
einen Erfolg nicht mehr erwarten liess. 5 stehen zurzeit noch 1
in Behandlung und weisen deutliche Besserung auf.
Bei den meisten Patienten war gleichzeitig oder vor der
Enzytolbehandlung die Röntgenbestrahlung durchgeführt
worden. Bei der Kombination dieser beiden Methoden handelt
es sich um Anwendung zweier therapeutischer Hilfsmittel mit
analoger Wirkungsweise, d. h. also nicht um eine wahre Sensi¬
bilisierung des Gewebes durch Cholin für die Bestrahlung, wie
das öfters angeführt wird. Trotzdem ist es leicht erklärlich,
dass bei gleichzeitiger Anwendung beider Mittel die
Empfindlichkeit des Gewebes und besonders der Haut für die
Bestrahlung erhöht wird. Die stärkere Durchblutung des
Krankheitsherdes und seiner Umgebung als Reaktion auf die
Injektion bedingt die Erhöhung der Empfindlichkeit, und zwar
haben die Untersuchungen von Werner8) und Ritter und
Allmann9) gleichmässig ergeben, dass die Erythemgrenze
nahezu auf die Hälfte herabgesetzt wird. Es entspricht das
also dem Resultat, das wir erhalten würden, wenn wir zwei i
Röntgenbestrahlungen zu rasch aufeinander folgen liessen, ohne i
die Reaktionspause von ca. 3 Wochen abzuwarten. Für das
Enzytol kennen wir diese Reaktionszeit noch nicht, es emp¬
fiehlt sich daher bei der gleichzeitigen Anwendung von Enzytol
und Bestrahlung dieser erhöhten Empfindlichkeit besondere !
Aufmerksamkeit zu schenken. Hier möchte ich aus unseren
Fällen folgende anführen:
K. A . 52 jähr. Bildhauer. Nach einer Handverstauchung vor
Yi Jahre war dauernde Handschwellung geblieben. Röntgenbild ergab
kariösen Herd im Metakarp. III und IV. Röntgenbestrahlungen ain
4. X., 29. XII. 13 und 28. I. 14 jeweils von 2 Seiten, Filtration durch
2 mm Alum. 5 H. Operation am 18. XII. 13 hatte Tuberkulose er- ;
geben. 19. I 14 Beginn mit Enzytolinjcktionen von 2,0 ccm steigend
bis 10,0 ccm, nach der 7. Injektion Summe = 54 ccm Enzytol, und
10 Tage nach der letzten Bestrahlung starke Anschwellung und ent¬
zündliche Rötung der ganzen Hand, aber keine typische Röntgen-
0 Werner: I. c.
!') Ritter und All mann: Strahlenther. 4. H. 1.
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
dcrmatitis, sondern mehr phlegmonös, wodurch mehrere Inzisionen
notwendig wurden.
Ich möchte daher die gleichzeitige Anwendung von En¬
zytol und Bestrahlung nur da empfehlen, wo es sich um so tief
liegende Herde handelt, dass die Herdreaktion durch das
Cholin nicht gleichzeitig Haut- und Unterhautgewebe mit
einbezieht. Das sind die grossen Gelenke (Knie, Hüfte und
Schulter) und die Wirbelsäule, bei denen auch gewöhnlich die
Tiefenwirkung der Röntgenstrahlen allein unvollkommen ist.
Dagegen sehe ich einen weiteren Vorteil der Kombination
beider Mittel darin, dass wir durch die Cholininjektionen die
Strahlenwirkung fortsetzen können, wenn wir durch die
Röntgenbestrahlung den vollen Erfolg noch nicht erzielt haben,
die Anzahl der Bestrahlungsserien aber schon die Grenze er¬
reicht hat, die wir der Haut ohne dauernde Schädigung zu ver¬
ursachen, zumuten dürfen. Als Beweis führe ich folgenden
Fall an:
A. W., 46 Jahre, Milchhändler. Seit Juli 1913 mit Schwellung
des linken Fusses erkrankt. Seit Oktober 1913 in der Klinik in Be¬
handlung. I ypische Fusstuberkulose des oberen Sprunggelenkes,
zahlreiche Fisteln, die reichlich sezernieren. Vom 15. X. 13 bis
26. II. 14 7 Bestrahlungsserien mit je 3—4 Einfallspforten. 25. III. 14
Haut zeigt bereits teleangiektatische Veränderungen. Fisteln ge¬
bessert, aber noch nicht geschlossen. Da der Haut weitere Be¬
strahlungen nicht zugernutet werden dürfen, Enzytol einspritzungen.
Bis 6. IV. 14 9 Injektionen. Fisteln geschlossen. Allgemeinbefinden
sehr gebessert. Seit Oktober 1913 im ganzen 16 Pfund Gewichts¬
zunahme.
Für einen ebenso grossen Vorteil halte ich es, dass wir
während der Enzytolinjektionen ruhig eine Sonnenbestrahlung
des Krankheitsherdes durchführen können, während die Be¬
sonnung einer röntgenbestrahlten Stelle gefährlich ist, weil da¬
durch leicht Verbrennungen entstehen.
Wir kommen nun zur Wirkung der Enzytoleinspritzungen
selbst. Nach dem raschen Abklingen der primären Reaktion
hinterlässt die Injektion keinerlei Störungen. Insbesondere
sahen wir nie ähnliche Erscheinungen, wie sie als „Röntgen¬
kater“ nach intensiven Bestrahlungen mit Uebelkeit, Er¬
brechen und Mattigkeit aufzutreten pflegen. Das Allgemein¬
befinden wurde im Gegenteil meist bald nach den ersten Ein¬
spritzungen gehoben, was sich in Zunahme des Appetits, Besse¬
rung des subjektiven Befindens und des Aussehens und in Ge¬
wichtszunahme deutlich erkennbar machte. Aehnliche Er¬
scheinungen sind auch für die Röntgenbestrahlung bei Tuber¬
kulösen beobachtet und von I s e 1 i n 10) als Entgiftung des
tuberkulösen Herdes aufgefasst worden. In einzelnen Fällen
sann man ein richtiges Aufblühen des Patienten beobachten.
Neben dieser Allgemeinreaktion geht die lokale oder Herd¬
reaktion einher. Gleich nach den ersten Injektionen macht
-ich eine leichte Zunahme und Sukkulenz der Schwellung be-
nerkbar, bei vorhandenen Wunden oder Fisteln eine deutliche
Vermehrung der Sekretion, die dünnflüssiger und weniger
üterig wird. Im weiteren Verlauf macht die Reaktion dann
Jen allmählich einsetzenden Heilungsvorgängen Platz. Fun-
töse Schwellungen werden kleiner, die Schmerzhaftigkeit bei
Jirektem und indirektem Druck nimmt ab. Durch die zu-
tehmende Straffheit des Gewebes werden die Gelenke fester
ind besser beweglich. In einigen Fällen sahen wir bei tuber¬
kulösen Geschwüren eine richtige Nekrotisierung und Schorf-
üldung eintreten, wie man es sonst nicht bei tuberkulösen
Jlzerationen gewöhnt ist. Nach Abstossung der Schorfe
üldeten sich dann rasch gute Granulationen, die die Wund¬
heiten und Fisteln zur Heilung brachten. Als Beweis hierfür
•ei folgender Fall angeführt:
K. Gr., 16 jähr. Fabrikarbeiter. Schon vor 4 Jahren wegen Fuss-
ubcrkulose operiert, noch 2 malige Wiederholung in den folgenden
ähren. Jetzt wieder starke Schwellung des Fussgelenkes. Zahl-
cichc Fisteln um das Gelenk herum. Aufnahme 21. V. 13 bis
5. XII. 13 8 Bestrahlungsserien mit 3 — 4 Einfallstellen. Fisteln ge-
essert. nicht geheilt. Ab 27. X. 13 Enzytolinjektionen. Bis 26. XI.
>’ Injektionen mit zusammen 70 ccm Enzytol. 9. I. 14 Entlassung mit
äst völlig geheilten Fisteln. Juni 1914 Fisteln völlig geheilt. Patient
ann wieder auftreten, keine Schwellung, keine Schmerzen mehr.
Eine Einwirkung auf andere Organe sahen wir nicht, nur
n einem Fall trat nach der 6. Injektion (40 ccm Enzytol) eine
lämorrhagische Nephritis bei einem Patienten mit multipler
mochen- und Lungentuberkulose auf und mussten daher die
1615
Injektionen abgebrochen werden. Ob der Urin vorher eiweiss¬
frei war, ist nicht sicher. Von anderen Autoren ist eine Wir¬
kung auf die Nieren nicht beobachtet worden und wir selbst
haben keinen weiteren Fall gesehen, obgleich daraufhin genaue
Urinuntersuchungen stattfanden. Weiterhin sahen wir bei
einem sehr elenden Patienten mit ausgedehnter Rippenkaries,
Pleuritis und Lungentuberkulose nach den Injektionen starke
Fiebersteigerungen auftreten, die uns zwangen, die Injektionen
aufzugeben. Wir möchten daher bei zu ausgedehnten Pro¬
zessen eine Anwendung des Enzytols nicht empfehlen.
Einer besonderen Besprechung bedarf noch die Einwirkung
des Enzytols auf das Blut. Die experimentellen Untersuchungs¬
ergebnisse von Werner und Lichtenberg11) über die
Einwirkung des Cholins auf das Blut von Kaninchen bestätigte
sich für das Enzytol beim Menschen vollkommen. Wir haben
bei allen unseren Patienten wiederholte Blutuntersuchungen
gemacht und fanden die bei den Tuberkulösen meist bestehende
massige Leukozytose (von 10 — 13000 Leukozyten) in den ersten
Stunden nach der Injektion gesteigert, häufig um mehrere
Tausend. Dieser Anstieg wird auch von Ritter und All¬
mann angegeben. Darnach setzt eine Abnahme der Leuko¬
zytenzahl ein, die sich allmählich bis zur Norm und unter die¬
selbe fortsetzen kann. Nur bei stark eiternden Formen sahen
wir die Abnahme ausbleiben. Im Blutbilde stellte sich die Zu¬
nahme der Leukozytenzahl als eine Vermehrung der poly¬
nukleären Elemente dar und ebenso war die Abnahme von
einer Verminderung der relativen Werte derselben begleitet,
so dass wir also von einer relativen Lymphozytose sprechen
können. Das normale Verhältnis von 70—75 Proz. poly¬
nukleärer Leukozyten und 20 Proz. mononukleärer Lympho¬
zyten änderte sich im Werte von 55 Proz. polynukleärer
Leukozyten und 35 — 40 Proz. Lymphozyten. In einigen Fällen
sahen wir eine deutliche Zunahme der eosinophilen Zellen auf¬
treten. Die Zahl der roten Blutkörperchen änderte sich nicht
wesentlich und nicht konstant. Hämoglobinbestimmungen sind
von Ritter und A 1 1 m a n n vorgenommen worden und hatten
keine wesentliche Verschiebung der Werte ergeben. Unter¬
suchungen, die an unserer Klinik gemacht wurden, ob das
Enzytol auf die Blutgerinnung einen verzögernden Einfluss
habe, brachten kein Resultat. An diesen Blutveränderungen
ist das Interessante die völlige Uebereinstimmung mit den Be¬
funden bei Röntgen- und Sonnenbestrahlung. Auch nach jeder
Röntgenbestrahlung sehen wir ebenso eine primäre Leuko¬
zytose mit nachfolgender Leukopenie und Lymphozytose auf¬
treten, die sich längere Zeit erhält, nach etwa 3 Wochen aber
zur Norm zurückkehrt. Bei wiederholten Bestrahlungen ist die
Dauer dieser Veränderungen eine längere.
In ganz ähnlicher Weise wird von Stäub li und Rol¬
ler12) die Veränderung des Blutbildes bei der Sonnen¬
bestrahlung angegeben. Auch hier ist die Verminderung der
polynukleären Leukozyten und Vermehrung der Lymphozyten
unter allgemeiner Reduktion der Zahl der weissen Blutkörper¬
chen stets vorhanden.
Stoffwechseluntersuchungen, die von Ritter und A 1 1 -
mann vorgenommen wurden, ergaben, dass eine direkte Ein¬
wirkung des Borcholins nicht vorhanden ist. Im weiteren Ver¬
lauf wird allerdings durch die Beeinflussung des tuberkulösen
Prozesses auch eine Veränderung und Erhöhung des Stoff¬
wechsels eintreten, doch ist darin nicht die primäre Wirkung
des Cholins zu erblicken.
Zusammenfassung: Das Borcholin erscheint durch
die chemische Imitation der Strahlenwirkung und durch eine
mögliche direkte Wirkung auf die Tuberkelbazillen zur Be¬
handlung der Tuberkulose geeignet.
Bei gleichzeitiger Anwendung von Bestrahlung und En¬
zytol ist auf die grössere Empfindlichkeit der Haut durch die
Injektion Rücksicht zu nehmen.
Der grössere Vorteil besteht in der ergänzenden Hilfe der
Einspritzung da, wo der Wirkung der Bestrahlung ein Ziel
gesetzt ist.
Die bisherigen Erfolge ermutigen zu weiteren Versuchen
in dieser Richtung.
a) Werner und Lichtenberg: D.m.W. 1906 Nr. 1.
12) R o 1 1 i e r: 1. c.
,u) I sei in: D.m.W. 1913 Nr. 7.
MUENC11ENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 29.
1616
Aus der chirurgischen Abteilung des evang. Diakonissenhauses
Freiburg i. B.
Lieber Daueranästhesie*).
Von Prof. Q. Hotz.
Die Selbstkritik des Chirurgen steht oft vor der Frage,
warum ist nach einer eingreifenden Operation der Kranke zu¬
grunde gegangen, ohne dass die Sektion einen technischen
Fehler erwiesen hat? Ich möchte absehen von den Fällen,
wo der Tod auf Narkoseschädigung, Blutverlust, Wundinfek¬
tion. Herzdegeneration oder primäre Lungenerkrankung zu be¬
ziehen ist, und hinweisen auf die Fälle, welche ohne be¬
sondere Erscheinungen nicht mehr völlig aus der Narkose er¬
wachen und auf solche Operierte; welche in den Tagen nach
dem Eingriff immer mehr nachgeben, leidensüberdrüssig ge¬
worden sind und schliesslich durch eine akzidentelle Pneu¬
monie erlöst werden. Es sind die Todesfälle, bei welchen wir
uns mit der generellen Erklärung einer Schockwirkung ab-
finden müssen. Der Schock verdirbt so oft den Erfolg und
zieht immer wieder die engen Grenzen, welche der Erfahrene
in der Indikation sorgfältig innehält, je nach seinem Tempera¬
ment und seiner Lebensauffassung, und trotz aller Vorsicht
wird er immer wieder davon überrascht.
Halten wir uns in Erwartung einer exakteren Erklärung
über die Wirkung des Schock an die alte Theorie einer reflek¬
torischen Lähmung des Atem- und Vasomotorenzentrums, wie
sie durch den Golzschen Klopfversuch illustriert wird, oder
folgen wir der neueren Anschauung der englisch-amerikani¬
schen Schule, welche durch C r i 1 e dahin ausgclegt wird, dass
die Schockwirkung eine potentielle Umwandlung in den Zellen
des zentralen Nervensystems erzeugt, welche sich mikro¬
skopisch in Degenerationsformen der Nervenzellen zu erkennen
gibt, so ist in praxi jedenfalls festzuhalten, dass die Schock¬
wirkung vom peripheren Orte der Läsion ausgeht, und durch
die Nervenstämme dem zentralen Organe zugeleitet wird.
Wenn wir diese Leitung und damit die Schockwirkung unter¬
brechen wollen, so kann es theoretisch an drei Stellen ge¬
schehen :
1 . Im Gehirn. Nach der Ansicht C r i 1 e s ist die allge¬
meine Narkose mit Chloroformäther nicht imstande, die schäd¬
liche Wirkung ganz aufzuheben. Zum Beweis führt er an, dass
schmerzhafte oder heftige Eingriffe während einer Narkose
stets Störungen in der Herz- und Atemtätigkeit hervorrufen.
Auch konnte er regelmässig Zellveränderungen im Gehirn
nachweisen. Das Stickstoffoxydul sei dem Chloroformäther
jedoch wesentlich überlegen.
2. ln den grossen Leitungsbahnen, Rücken¬
mark und Nervenstämmen. Wie weit hier die Medullar-
anästhesie eingreifen kann, ist noch nicht sicher festgestellt,
weil vielfach die psychische Erregung mitspielt.
3. Im peripheren Endorgan bzw. in den ersten
Nervenfasern (Lokalanästhesie).
Dem eigentlichen Wundschock ist an die Seite zu stellen
die psychische Erschütterung durch Aufregung und Angst.
Diese Quelle des Schocks lässt sich am besten vermindern
durch die kombinierte Skopolamin-Morphin-Vorbereitung, wie
sie hauptsächlich von der K r o e n i g sehen Schule eingeführt
wurde.
Zur Vermeidung der von der Operationsstelle aus¬
gehenden Schockwirkung ist es zweifellos wich¬
tig, dass man bei der Operation selbst die not¬
wendigen Schädigungen möglichst' ein¬
schränkt (kleine Schnitte bei typischen Operationen). Aus
diesem Grunde auch bevorzugen wir die mediane Laparotomie.
In der Linea alba sind die Verhältnisse zur Eröffnung, zur
Naht- und Wundheilung wesentlich günstiger als bei Durch¬
trennung der einzelnen seitlichen Bauchwandschichten. I n
der Lokalanästhesie haben wir das geeignete
Mittel, um am Orte der Entstehung durch Blo-
kade der sensiblen Nerven die Schockwir¬
kung zu kupieren, ausserdem den Vorteil, eine Inhala¬
tionsnarkose vermeiden zu können. Wenn die Anästhesierung
völlig gelungen ist, fehlt neben dem Schmerz auch jede Beein-
*) Vortrag, gehalten in der Freiburger mediz. Gesellschaft am
19. VI. 14.
flussung der Atem- und Pulsqualität. Der Reflex nach dem
nervösen Zentralorgan ist also unterbrochen. Zur Aus¬
schaltung des Schocks ist es nun wesentlich,
dass nicht nur die Operation im anästhesier¬
ten Gebiete ausgeführt werde, sondern wir
müssen auch versuchen, den späteren Wund-
sch m e r z dauernd fernzuhalten. C r i 1 e ') erwähnt
eine Methode, um Daueranästhesie zu erzeugen, indem er eine
wässerige Lösung von Aproz. salzsaurem Harnstoff mit Chinin
schichtenweise in die Gewebe injiziert.
Das Verfahren einer zweimaligen Gewebsinjektion (erst
Novokain, dann Harnstoffchinin) ist etwas umständlicher und
für die spätere Heilung wohl auch nicht ganz nebensächlich.
Ausserdem erscheint es nicht ganz zweckmässig, das Dauer-
anästhetikum in einer- wässerigen Lösung zu applizieren, weil
die Resorption zu rasch eintritt. Es liess sich jedoch
erwarten, dass auch durch Einstreuen eines
pulverförmigen Anästhetikums eine Dauer¬
anästhesie erzeugt werden könne. Die Vor¬
aussetzung eines geeigneten Präparates ist
U n sc hädlichkeitim Gewebe, langsame Lösung
und Diffusion, wirksame Daueranästhesie und
Sterilität.
Durch freundliche Unterstützung von Herrn Prof. Straub
und durch das Entgegenkommen der Höchster Farb¬
werke bekamen wir Gelegenheit, drei Präparate zu unseren
Versuchen zu verwenden 1 . Orthoform, 2. Novokain-
t a n n a t, 3. A n ä s t h e s i n.
Das Orthoform zeigt wohl eine länger anhaltende An¬
ästhesie, andererseits aber auch in der Wunde die bekannten
zerstörenden Wirkungen auf den Blutfarbstoff, wohl infolge
seiner reduzierenden Eigenschaft. Die Wunde sah aus, wie
mit Tinte übergossen und heilte unter den Erscheinungen einer
Fettgewebsnekrose.
Das für unsere Zwecke besonders hergestellte Novo¬
cain. tannat. führte in drei Fällen zu einer aseptischen Ge-
websnekrose, wahrscheinlich bedingt durch die Gerbsäure¬
komponente und konnte deshalb nicht weiter in Verwendung
kommen. Zudem ist seine Wirkung nicht deutlich anästhe¬
sierend. die Löslichkeit vielleicht zu gering.
Gute Erfolge erzielten wir dann mit An¬
äs t h e s i n. Das weisse Pulver ist in Wasser fast unlöslich;
in Alkohol und Fett kann es gelöst werden. Darauf beruht
wohl auch die Möglichkeit, die Nervenfasern zu beeinflussen.
Das Anästhesin wird in der Menge von ca. A, — 1 g aus einer
einfachen sterilisierten Streubüchse auf die offene Wunde auf-
gepudert, bevor wir die Naht anlegen.
Ueber die Wirkung des Anästhesins in primär geschlos¬
senen Wunden konnte ich keine Angabe finden; über seine An¬
wendung bei Erysipel, Ulcus cruris und hauptsächlich im Ge¬
biet der Laryngologie verweise ich auf die im Braun sehen
Hand b u c h der Lokalanästhesie zitierte Literatur.
Wir basieren unsere Erfahrungen auf folgende Vergleichs¬
versuche.
Bei 10 doppelseitigen, nach Bassin i operierten Leisten¬
hernien wurde zum Teil nach allgemeiner Narkose, zum Teil
nach Lokalanästhesie die offene Wunde der einen Seite mit
Anästhesin bestreut und dann in typischer Weise vernäht,
ebenso wie vorher die anästhesinfreie Hernienwunde. Es
zeigt sich nun, das die mit Anästhesin versehene
Operationsstelle nach der Operation auf¬
fallend wenig schmerzhaft ist, sowohl spon¬
tan, als bei Druck von aussen, und beim Husten
und Pressen. Die starke Herabsetzung der natürlichen
Schmerzhaftigkeit dauert 2—3, oft auch mehrere Tage an,
und verwischt sich dann, weil auch die andere Seite inzwischen
weniger empfindlich geworden ist. Infektion oder Nekrose
haben wir nicht beobachtet. Die Wundheilung ver¬
lief ungestört und fieberfrei. In keinem Falle
wurden sekundär die Zwirnnähte und Ligaturen ausgestossen.
Wir halten die Daueranästhesie bei gewöhnlichen Hernien
keineswegs für notwendig, aber in der Anwendung des An¬
ästhesins bei Doppelhernien glaubten wir ein einwandfreies
Vergleichsmaterial zu finden, welches vollauf die gute Wirkung
!) Revue de Chirurgie 1914 S. 1.
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
des Anästhesins erwiesen hat. Auf Grund dieser Erfahrung
benutzten wir dann das Anästhesin bei grösseren Eingriffen,
welche die Patienten stärker anzugreifen pflegen, bei Magen¬
resektionen, Gallenblasenoperationen und Strumektomien.
In viel höherem Grade als bei der einfachen Bruch¬
operation zeigte sich nun bei diesen Eingriffen die für den
Kranken wohltätige Wirkung der Daueranästhesie. Nach
der Operation fehlt der vom verletzten
Bauchfell ausgehende Schmerz und Brech¬
reiz. Die genähte Wunde ist auf Druck fast unempfindlich.
Durch diese Schmerzlosigkeit sind die Kranken in der Lage,
sich im Bett zu bewegen, aufzurichten, zu pressen und Urin
zu lassen und vor allem wird die Atmung nicht beeinträchtigt.
Die Patienten können sich nach einer Magenresektion am
2. Tage ohne fremde Hilfe aufrichten.
Als Vorteile der Methode führen wir an:
1. Starke Minderung der postoperativen
Schmerzen.
2. Freie Beweglichkeit, Erleichterung der
Atmung.
Daraus resultiert nicht nur eine Annehmlichkeit für den
Kranken, sondern auch ein objektiver Nutzen insofern, als die
psychische .und körperliche Widerstands¬
fähigkeit in geringerem Masse in Anspruch
genommen wird. Dies trat besonders deutlich in
Erscheinung b e i einer Thorakoplastik, bei welcher wir
6 Rippen in einer Gesamtlänge von 125 cm entfernten. Der
Kranke, welcher bereits anderorts in ähnlicher Weise operiert
worden war und die bekannten Qualen einer mehrfachen
Rippenresektion noch in lebhaftester Erinnerung hatte, konnte
nach der mit Anästhesin gemilderten Plastik ohne Mühe atmen
und expektorieren und das Bett verlassen.
Wenn wirderakutenEntstehungdesSchocks
durch die Operation eine protrahierte oder chroni¬
sche Form gegenüberstellen dürfen, welche
hauptsächlich durch die postoperativen Be¬
schwerden bedingt wird, so ist die Dauer¬
anästhesie vorzugsweise geeignet, diese
chronische Schädigung zu bekämpfen und er¬
laubt im postoperativen Stadium von grossen Morphiumdosen
abzusehen. Dadurch werden wiederum die Atmung und die
Darmtätigkeit entlastet.
Für die Anwendung des Anästhesins z. B. bei einer La¬
parotomie mögen noch einige Angaben gestattet sein. Das
Pulver wird nach genauer Blutstillung vor Schluss der Wunde
in geringer Menge auf die vorliegende viszerale Serosa ge¬
bracht. Das Abdomen wird mit Haken weit offen gehalten.
Man orientiert sich nochmals genau über die Lage von Peri¬
tonealrand und Faszien und streue dann das Pulver so ein,
dass die ganze Wunde wie mit einer dünnen Zuckerschichte
bedeckt wird. Das Peritoneum ist gut einzupudern. Darnach
kann die Wunde auch mit weitergreifenden Nähten ohne Drain
geschlossen werden.
Die Verschleierung der Wundränder durch das weisse
Pulver ist der einzige wesentliche Nachteil des Verfahrens.
Eine geringe Blutfarbstoffzersetzung, welche sich in leichten
Suffusionen einige Tage nach der Operation geltend macht,
ist praktisch ohne Belang. Ein Sterilisieren des Präparates
durch Hitze ist nicht möglich, da der Schmelzpunkt bei 90 0
liegt. Die Herstellung des Anästhesins erfolgt durch Um¬
kristallisieren aus Alkohol und Benzol, wodurch eine primäre
Keimfreiheit wahrscheinlich ist. Inwieweit das Anästhesin ent¬
zündungshemmend wirkt, konnten wir nicht feststellen. Eine
Wundeiterung ist bei über 30 Fällen nicht
beobachtet worden. Spiess2) spricht allerdings im
iegensatz zur C o h n h e i m sehen Lehre von der Entzündung
Jcm Schmerz bei Infektionsprozessen eine grosse Bedeutung
hu. Ubi irritatio, ibi affluxus. Der Schmerz bedingt reflek-
orisch Sekretion und Exsudation. Der entzündungshemmende
I “influss anästhesierender Präparate soll darin bestehen, dass
[ he die von dem Krankheitsherd ausgehenden zentripetalen
^eize herabsetzen und damit auch die lokale entzündliche oder
raumatische Reaktion zurückhalten. Inwieweit diese laryngo-
ogischen Anschauungen sich auch auf geschlossene Wunden
') M.m. W. 1906 S. 346.
Nr. 29.
1617
übertragen lassen, bedarf noch genauerer Untersuchung.
Vielleicht bietet uns auch die experimentelle Pharmakologie
die Hand zur Gewinnung weiterer Präparate, welche eine
vollkommenere Lösung des Problems einer lokalen Dauer¬
anästhesie ermöglichen.
Aus der inneren Abteilung des Elisabethkrankenhauses zu
Halle a. S. [Prof. Dr. W i n t e r n i t z *)].
Bewertung des Abd erhal denschen Dialysierverfahrens
zur Diagnose und Differenzialdiagnose maligner Ge¬
schwülste.
Von Max Weinberg.
Gegenüber der Fülle von Arbeiten über die Anwendung
des Dialysierverfahrens bei Gravidität und Geisteskrankheiten
u. a. m. liegen vorläufig nur wenige Arbeiten vor, die sich mit
der Brauchbarkeit der Abderhalden sehen Methode für
die Diagnose und Differentialdiagnose maligner Geschwülste
beschäftigen. Zum Teil liegt dies vielleicht daran, dass es
schwieriger ist, das geeignete klinische Material zu erhalten
- Karzinomträger z. B. verteilen sich, während Schwangere
lind Geisteskranke sich in Spezialanstalten zusammenfinden.
Andererseits ist die Frage der Spezifität hier weitaus kompli¬
zierter, wie ich später zeigen werde, da sie sich bis in histo¬
logische Einzelheiten erstreckt — die Beschaffung des taug¬
lichen Materials weitaus schwieriger — die Methodik womög¬
lich noch subtiler.
Die ersten Untersuchungen über Karzinomsera teilte Ab der-
li a 1 d e n selbst mit. Er fand, dass auch für das Karzinom die Ab¬
wehrfermente streng spezifisch sind — d. h. das Serum von Karzinom-
kranken baute nur Karzinomeiweiss ab, niemals gleichzeitig auch
Plazenta; umgekehrt baute Gravidenserum nur Plazenta ab. In den
späteren Arbeiten tritt dann eben diese Frage mit in den Vorder¬
grund, ob es möglich ist, Karzinom und Gravidität durch die bio¬
logische Methode zu unterscheiden.
Marcus hatte in 5 Fällen von Karzinom jedesmal auch Abbau
von Plazenta. In einer zweiten Reihe von 11 Karzinomsera wurde
7 mal Plazenta nicht angegriffen, 4 mal nur ganz schwach. Von 8
anderen Karzinomsera bauten nur 5 Karzinomsubstrat ab, 3 zeigten
sich refraktär, alle 3 Karzinome des Magendarmkanals. 5 Graviden¬
sera bauten Karzinomeiweiss nicht ab, 2 nur sehr schwach. In allen
Versuchen wurde als Substrat Uteruskarzinom verwendet.
Frank und Heimann hatten bei 6 Karzinomfällen nur einmal
positiven Ausfall der Reaktion — allerdings wurde Karzinom und
Plazenta abgebaut. 30 Uteruskarzinome ergaben alle ein positives
Ergebnis, doch wurde in allen Fällen neben Karzinom auch Plazenta
angegriffen, diese zuweilen sogar noch stärker. 16 Fälle von Kar¬
zinom- bzw. Sarkomsera anderer Organe reagierten auf beide Ei¬
weissarten, sowie Plazenta positiv. In 14 Untersuchungen von Nor¬
malsera fand sich ebenfalls in einem Fall Karzinomabbau, ohne dass
ein Anhaltspunkt dafür vorhanden gewesen wäre. In späteren Unter¬
suchungen nach der verschärften Methode von Abderhalden-
fanden die Verfasser, dass 15 Karzinomsera einzig und allein Kar¬
zinomeiweiss abbauten — immerhin doch auch bei 10 Graviden- und
9 Karzinomsera ein positives Ergebnis für beide Eiweissarten. Zu¬
sammenfassend sprechen sie sich dahin aus, dass die biologische
Methode der Unterscheidung von Gravidität und Karzinom nicht
spezifisch für beide Zustände sei.
Jonas hatte bei 3 Gravidensera Karzinomabbau, ähnliche Re¬
sultate hatte Engelhardt.
Deutsch und Köhler hatten bei 10 Fällen von Karzinom
Karzinomabbau, in 4 Fällen gleichzeitig aber auch mit Plazenta posi¬
tive Reaktion. Von 11 Schwangerensera bauten 5 Plazenta ab.
Ueber ähnliche Resultate berichten v. Winiwarter und Hiess
und Lederer.
H a 1 p e r n, der zusammen mit Gumpertz Untersuchungen
anstellte, fand bei 102 Karzinomsera nur in 30 Fällen Karzinomabbau,
bei 19 Sarkomsera nur in 5 Fällen Sarkomabbau. — Bei 75 Sera von
nicht Karzinomträgern in 9 Fällen Sarkomabbau. Ich möchte gleich
hier einen Hinweis einfiigen, wie derartige Fehldiagnosen, die in der
Literatur gewöhnlich der Methode zur Last gelegt werden, oft sich
erklären lassen. Um nur einen Fall herauszugreifen: Halpern teilt
mit, dass ein Patient mit Phlegmone Drüsenkarzinom abbaute.
Drüsenkarzinom ist aber nie frei von Teilen normaler Drüse; hin¬
wiederum sind bei Phlegmone zumindest die regionären Drüsen be¬
teiligt. Der positive Abbau könnte also auf Drüsenabbau zurück¬
geführt werden. Wiederholung der Untersuchung mit neutralem
Karzinomsubstrat hätte vielleicht Aufklärung gebracht. Ich werde später
auf diese Verhältnisse noch zurückkommen. Nach Halpern wurde
U Für Ueberlassung des chirurgischen Materials bin ich Herrn
Sanitätsrat Dr. A 1 d e h o f f zu Dank verpflichtet. — Die histologischen
Diagnosen verdanke ich Herrn Dr. Kretschmer.
3
1618
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
auch von Karzinomseris Sarkom angegriffen und umgekehrt von
5 Sarkomseris Karzinom abgebaut. In der Verwendung anderer
Organkarzinome, als in dem betreffenden Fall vorlag, ergab sich
kein Unterschied im Ausfall der Reaktion.
v. Gambaroff weist darauf hin, dass maligne Tumoren nur
das spezifische Tumorsubstrat abbauen. Nur ein Fall von Lues II
baute Karzinom ab. Eine Wiederholung des Versuchs mit Nachweis,
dass die Technik in jeder Hinsicht dabei sorgfältig nachgeprüft war,
fehlt. Die Kontrollfälle waren stets negativ. Gambaroff betont,
dass Karzinomserum stets nur Karzinom, niemals aber Sarkomeiweiss
angriff und umgekehrt.
Franz und J a r i s c h hatten bei Fällen von Karzinom der ver¬
schiedensten Organe nie Plazentaabbau, bis auf einen Fall. Es han¬
delte sich um das Serum einer Patientin mit Carcinoma colli uteri,
das Plazenta in dreimaliger Wiederholung abbaute.
Epstein hatte bei 22 Graviden- und 11 Normalsera niemals
Karzinomabbau. 37 Karzinome zeigten mit Karzinomsubstrat positive
Reaktion, 34 davon, gleichzeitig mit Plazenta angesetzt, griffen diese
nicht an. »
Brockmann fand in 25 Fällen von Karzinom stets Karzinom¬
abbau. Ein Fall von Larynxkarzinom (durch Sektion bestätigt) gab
keinen Abbau. 20 Sera von Patienten, die sicher nicht für einen
malignen Tumor in Betracht kamen, griffen Karzinom nicht an.
Ball hatte bei 7 klinisch sicheren Karzinomfällen jedesmal Kar¬
zinomabbau. In 28 zweifelhaften Fällen war die Reaktion mit Kar¬
zinom in 20 positiv, der Ausfall der Reaktion wurde in jedem Falle
durch die Operation bzw. den Verlauf bestätigt. Allerdings bauten
bei 16 Fällen von sicher nicht malignen Tumoren 4 Sera Karzinom
ab, in jedem Falle handelte es sich um Serum von Graviden, das
Uteruskarzinom angriff.
Die bis jetzt vorliegenden Untersuchungen widersprechen
sich. Zum Teil auf der einen Seite Befunde, welche die bio¬
logische Karzinomdiagnose durchaus in Frage stellen, anderer¬
seits wieder ausserordentlich günstige Resultate. Ich arbeitete
daher mit zahlreichen Kontrollen, um etwa unbekannten
Fehlerquellen auf die Spur zu kommen, und benutzte das Ver¬
fahren vor allem im Zusammenhang mit der Klinik und ihren
Untersuchungsergebnissen.
Die Fragestellung war folgende:
1. Wie verhält sich Serum maligner Tumoren zu ent¬
sprechendem Tumorsubstrat und andersartigem, z. B. Kar¬
zinomserum zu Karzinomeiweiss bzw. Sarkomeiweiss?
2. Greift das Serum maligner Tumoren Plazentaeiweiss
an oder verhält es sich ihm gegenüber refraktär?
3. Ist bei Anstellung der Reaktion der histologische Aufbau
des Tumors bei der Wahl des Substrates zu berücksichtigen?
4. Lassen sich der Ausfall der Reaktion und die klinische
Diagnose in Einklang bringen — was leistet die Methode bei
der Differentialdiagnose, und gewinnt sie für die Prognose Be¬
deutung?
Bevor ich meine Versuche selbst mitteile, will ich auf die
Punkte hinweisen, die bei allen Untersuchungen mit dem
Dialysierverfahren unbedingt berücksichtigt werden müssen,
vor allen Dingen aber bei denen, die sich mit der Diagnose
befassen, Punkte, die m. E. die einzige Grundlage für eine
objektive kritische Würdigung aller Arbeiten dieser Art bilden.
Aus einer einfachen zahlenmässigen Mitteilung der Ergebnisse
ist nichts zu schliessen. Eine Mitteilung, die besagt, dass
nur 25 Proz. der Karzinomsera spezifisch abbauten, die da¬
gegen keinerlei Angaben über das in jedem Fall verwendete
Substrat und vieles andere mehr macht, kann in ihrem End¬
ergebnis nicht beurteilt werden.
Stellte sich bei den Untersuchungen zwischen klinischem Befund
und Ausfall der Reaktion eine Differenz heraus, so machte ich zunächst
nicht die Methode, sondern meine Technik verantwortlich, deren
Nachprüfung in den 2 von 3 fraglichen Fällen eine Erklärung gab.
Als Dialysiermembranen wurden die Diffusionshülsen Nr. 579 a
von Schleicher und Schüll in Düren verwendet. Nach Ge¬
brauch wurden die Hülsen, die selbstverständlich sorgfältig geprüft
waren, sorgsam gereinigt und über Nacht in fliessendem Wasser be¬
lassen, darauf 15 Sekunden in kochendes Wasser gehalten 2). Spätestens
alle 4 Wochen wurden die Hülsen nachgeprüft. Tauchte nur ein
Zweifel an der Zuverlässigkeit einer Hülse auf, so wurde sie aus-
gcschaltet. Ich hatte stets 2 Reihen Hülsen, die eine war im Ver¬
such, die andere wurde frisch geprüft aufbewahrt. Je nach 3 bis
4 Wochen wurden die Reihen ausgetauscht. Ergab sich nun ein
zweifelhaftes Resultat, so konnte ich den Versuch sofort ln sicher
geprüften Hülsen wiederholen.
Das Serum wurde mit trockensterilisierter Punktionsnadel aus
der gestauten Vena mediana cubiti entnommen, stets am Morgen bei
;) In der letzten Zeit wurde dies vermieden, um die Durchlässig¬
keit für Peptone nicht zu verändern. *
nüchternem Magen. In ca. 6 — 8 Stunden hatte sich durch Spontan¬
gerinnung bei Zimmertemperatur genügend Serum abgesetzt. Be¬
währt haben sich mir neben Spitzgläschen vor allem die Kristallisier¬
schälchen mit 4 mm Durchmesser. Die Glasgefässe 3), wie überhaupt
alles, was bei der Untersuchung zur Verwendung kam, war trocken
sterilisiert. Das Serum wurde solange zentrifugiert, bis kein Boden¬
satz sich zeigte. In vielen Fällen wurde darnach die Bodenflüssigkeit
noch mikroskopiert. Die geringste Spur von Hämolyse muss zur
Verwerfung des Serums führen. Die strengste Kritik ist dabei un¬
bedingt notwendig. Dies mag folgender Fall zeigen:
Patient mit Verdacht auf Carcinoma ventriculi überwiesen.
Klinisch sicher abzulehnen. Serum tiefgelb, klar, anscheinend ohne
Hämolyse. Nur fällt auf, dass der obere Konus leicht rötlich schimmert.
II. Versuch. Serum (aus 25 ccm
I Versuch Blut) hellgelb, klar, ohne die ge-
(Kontrol'le Frl. Bleich.) rinSste SP“r (Kontrolle
Dr. Ewald.)
Hülse
Serum
Organ
R.
Frl
Bl.
Hülse
Serum
Organ
R.
Dr.
E
1
1 ccm
_
(-
b)
<j
1
1 ccm
_
_
2
1
Adenocarc.ventr.
2
1 »
Adenocarc.ventr.
_
_
3
1 ,,
Plazenta
(-
-)
3
1 „
Plazenta
—
4
1 „
Spindelz. -Sark.
<1
-)
4
1 „
Spindelz.-Sark,
—
5
1
Niere normal
5
1 >.
Niere normal
—
Die grösste Sorgfalt wurde auf die Zubereitung und Prüfung der
Substrate verwendet. Jedes Substrat, das verwendet worden, war
histologisch untersucht. Das Material rührte von Operationen her,
ein Substrat (Lebermetastasen eines Magenkai zinoms) wurde sofort
post mortem entnommen. Benutzt wurde Plattenepithelkarzinom der
Haut, Plattenepithelcarcinom portionis uteri, Adenokarzinom des
Magens und der Mamma. Lebermetastasen eines Adenocarcinomes
ventriculi, Carcinoma adenomatosum scirrhosum ventriculi. Von
Sarkom Fibrosarkom (Spindelzellentypus) und Rundzellensarkom. Ich
hebe hervor, dass jedes Substrat vor Verwendung in den Versuchen
eingestellt war, d. h. Karzinom z. B. wurde mir tauglich gefunden,
wenn es mit Karzinomserum positiv reagierte, gegen ein Schwan¬
geren-, Sarkom- und Normalserum sich aber refraktär verhielt.
Ferner musste es sich in mehreren Versuchen mit sicher nicht Kar¬
zinomsera bewähren.
Ich füge meinem Versuch einen kurzen Abriss der klini¬
schen Untersuchungen 4) bei, wo vorhanden auch den Opera-
tions- bzw. Sektionsbefund und die histologische Diagnose.
Für die Schlussfolgerung meiner Untersuchungen möchte
ich ausdrücklich darauf hinweisen. dass die mit * bezeichneten
Fälle unabhängig von mir gleichzeitig von Fräulein Bleich
untersucht wurden, und dass unsere Ergebnisse in keinem
Fall von einander abwichen.
Das Ergebnis der Untersuchung lag gleichzeitig oder vor
der Operation vor, stets aber vor der histologischen Diagnose.
Carcinoma ventriculi.
I. Fälle, deren Diagnose von vornherein oder im Verlauf der klinischen
Untersuchung eindeutig war.
L Herr G., 49 Jahre, (Empyema pleurae dextr.), Carcinoma
ventriculi.
Vor 4 Wochen fieberhaft erkrankt, heftige Schmerzen in der
rechten Seite.
Reduzierter Ernährungszustand. Fieber. Rechts hinten unten
grosse Dämpfung. Leber 2 Finger unterhalb Rippenbogen, glatt, hart.
Lebergegend empfindlich. 9000 Leukozyten. Urin: Eiweiss negativ.
Zucker negativ. Pirquet negativ. Wassermann negativ. Röntgen¬
bild: freibewegliches Diaphragma, darüber kein Schatten. Verdacht
auf subphrenischen Abszess.
Versuch I.
29. XI. 13.
Hülse
Serum |
Organ
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
_
_
2
1 ,,
Leber
—
_
3
1 1
Plazenta
—
Punktion im 11. Interkostalraum. Bröcklig-eitrige Massen. Aus¬
sehen wird fahler, Druckgefühl im Leibe. Leber etwas vergrössert.
Versuch II.
11. XII. 13.
Hülse
Serum
Organ
R.
1
1 ccm
_
_
2
1 „
Leber
_
3
1 ,,
Plazenta
_
4
1
Adenocarc. ventr.
++
5
1
Spindelzellensarkom
Im Verlauf lässt sich nun auch die klinische Diagnose auf Kar¬
zinom sicher stellen.
Sektion: Adenocarcinoma ventriculi. Lebermetastasen in aus¬
gedehntester Weise, so dass nur noch Inseln normalen Lebergewebes.
3) Die Reagenzgläser waren aus Jenaer Glas.
4) Die Diagnose in Klammern bedeutet die Diagnose, mit welcher
die Patienten dem Krankenhause überwiesen wurden.
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT*.
1619
2. Frau M., 63 Jahre, Carcinoma ventriculi.
Lange magenleidend. Zunahme der Beschwerden seit Oktober
1913. 50 Pfund abgenommen.
Ziemliche Kachexie. Nach Pylorus zu Tumor deutlich fühlbar.
Nicht verschieblich. Röntgenbild positiv. Keine Retention. Anazi¬
dität, Milchsäure negativ. Stuhl: Sanguis positiv
Hülse
Serum
Organ
R.
FrL Bl.
1
1 ccm
_
2
1 ,,
Rundzellensarkom
_
3
1 „
Zylinderz.-Carc. ventr.
-|-
+
4
1 „
Plazenta
5
1 ,,
Gehirn
—
3. Herr 0., 61 Jahre, Carcinoma ventriculi.
Seit Wochen heftige Magenbeschwerden, appetitlos, Erbrechen.
Gewichtsverlust.
Starke Kachexie. Oberhalb Nabel grosser unverschieblicher
harter Tumor, etwas empfindlich. Röntgenbild positiv. Keine Re¬
tention. Anazidität, Milchsäure negativ. Stuhl: Sanguis einmal
positiv. _
Hülse
Serum
Organ
R.
1
1 ccm
_
2
1 „
Plazenta
_
3
1
Adenocarc. ventr.
+
4 .
1 „
Adenocarc. mammae
+
5
1 ,,
Spindelzellensarkom
4. Herr E., 37 Jahre, (Ulcus), Carcinoma ventriculi.
Seit 6 Wochen Magenbeschwerden, selten Erbrechen. Appetitlos.
Starke Gewichtsabnahme.
Hochgradige Kachexie. Grosser Tumor nach Pylorus, hart, un¬
empfindlich, wenig verschieblich. Starke Retention. Anazidität
Milchsäure positiv. Röntgenbild positiv.
Hülse
Serum
Organ
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
_
2
1 ,,
Plazenta
_
3
1 „
Adenocarc. ventr.
_
4
1 „
Lebermetastasen
_
_
5
1 „
Spindelzellensarkom
—
Trotzdem Wiederholung der Reaktion5) keinen Karzinomabbau
ergibt, Festhalten an der Diagnose.
Operation wegen hochgradiger Pylorusstenose. Resectio pylori.
Makroskopisch Karzinom. Mikroskopisch Zylinderzellenkarzinom des
Magens von besonders reiner und hochdifferenzierter Form und
einer ungewöhnlichen Proliferationsintensität.
5. Herr B., 47 Jahre, Carcinoma ventriculi.
Seit einem Jahre magenleidend. Zuletzt Erbrechen. Starke Ab¬
nahme.
Leichte Kachexie. Tumor nach Pylorus zu. Unverschieblich
Starke Retention. Anazidität. Milchsäure positiv.
Hülse
Serum
Organ
R.
Frl. Bl.
1
1,5 ccm
_
(+)
3
1,5 „
Plazenta
+)
3
1.5 „
Lebermetast. Adenocarc.
•Pf
+
4
1.5 „
Rundzellensarkom
5
1,5 „
Thyreoidea
T
Operation: Makroskopisch Karzinom des Magens. Karzinomatöse
Drüsen. Gastroenteroanastomose.
6. Frau Sch., 67 Jahre, Carcinoma ventriculi.
Mehrere Jahre Magenleiden. Oft erbrochen. Einmal schwarze
Massen. Starke Abnahme.
Hochgradige Kachexie. Retention. Anazidität. Milchsäure
positiv, ln der Mittellinie grosser harter Tumor. Nicht verschieblich.
Empfindlich.
I. II.
Hülse
Serum
Organsubstr.
R.
1
1,5 ccm
_
(-
b)
2
1.5 „
Plazenta
-
-
3
1,5 „
Spindelzellensarkom
-
-
4
1,5 „
Lebermet. Adenoc.
++
5
1,5 „
Niere
+ ?
Hülse Serum
Organsubstr.
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
_
_
_
2
1 ,,
Plazenta
_
3
1 ,,
Spindelz. -Sark.
—
4
1 .,
Lebermetast.
+
+
5
1
Niere
7. Herr Br., 64 Jahre, Carcinoma ventriculi, Lues!
Seit ca. 10 Jahren Magenbeschwerden. Vor einem Jahre plötz¬
lich Ikterus. Appetitlos. Gewichtsabnahme.
Mässiger Ernährungszustand. Gelbliche Verfärbung der Haut.
Grosser I umor der Leber. Hart, einzelne Knoten erkennbar. Anazi¬
dität. Retention. Milchsäure positiv.
Hülse
Serum
1
1 ccm
2
1 ,,
3
1 „
4
1 ,,
5
1 „
Organsubstr.
R.
Plazenta
Spindelzellensarkom
—
Lebermetast. Adenocarc.
+
Pankreas
) Eine erneute Untersuchung in letzter Zeit ergab wieder nega¬
tiven Ausfall der Reaktion.
21. IV. 14. Patient kommt in hochgradiger Kachexie zur Auf¬
nahme. Lebertumor, Knoten sehr deutlich.
12. V. 14. Sektion: Lues III. Hepar lobatun.
Die Ab der ha.ldensche Reaktion zeigte Abbau von Leber-
metastasen Da klinisch ein Karzinom anzunehmen war, wurde der
Abbau bedenkenlos auf Karzinom bezogen. Die Sektion ergab
Lues II I» Lues hepatis. Im ersten Augenblick wäre ein Versagen der
Reaktion anzunehmen und doch lässt es sich einwandfrei erklären.
Der Ausfall der Reaktion war wohl spezifisch, nur war er falsch ge¬
deutet worden. Abderhalden weist darauf hin, dass man zur
Diagnose eines Magenkarzinoms Lebermetastasen verwenden soll,
um zu vermeiden, dass eventuell der Abbau von Magenschleimhaut,’
die wohl stets in einem Substrat von Magenkarzinom noch vorhanden
ist, ein falsches Resultat vortäuschte, wenn es sich z. B. um ein
Ulcus handelt. Er hat selbst in dieser Richtung hin Versuche an¬
gestellt. Da in diesem Falle starker Ikterus und wie die Sektion
ergab, vorwiegend die Leber erkrankt war, so ist der Abbau
wohl auf Abbau von Leberzellen zurückzuführen und nicht
aut das Karzinom. Es ergibt sich daraus, dass man zur Diagnose
womöglich neben einem Substrat des betreffenden Organes, in dem
der I umor vermutet wird, ein neutrales Substrat verwendet, d h
von einem Organe herrührend, von dem klinisch keine Erscheinungen
zu beobachten sind. (Vgl. den Fall von H a 1 p e r n und die Fälle von
Marcus.)
8. Frau D., 59 Jahre, Carcinoma ventriculi.
2 Jahre magenleidend, oft erbrochen. Appetitlos. Starker Ge¬
wichtsverlust
Hochgradige Kachexie. Grosser unverschieblicher Tumor.
Anazidität. Starke Retention. Milchsäure positiv. Röntgenbild
positiv.
Hülse
Serum
O rgan
R.
Frl. Bl
1
1 ccm
_
2
1 „
Plazenta
_
3
4
1 „
1 „
Plattenepith.-Karz.
Adenocarc. ventr.
+
5
I „
Lebermet. Adenoc.
+
6
1 „
Spindelzellensarkom
9. Frau W., 72 Jahre, mehrere Jahre magenleidend, starker Ge¬
wichtsverlust, oft erbrochen.
Starke Kachexie, grosser unverschieblicher Tumor, starke Re¬
tention. Anazidität, Milchsäure positiv. Stuhl: Sanguis negativ
Röntgenbild positiv.
Hülse
Serum
Organ
R.
Frl. Bl.
1
1,5 ccm
_
2
1.5 „
Plazenta
_
3
1,5 „
Plattenepithelkarzinom
_
4
1,5 „
Adenocarc. ventr.
-H-
5
1,5 „
Lebermetast. (Zylind.)
++
6
1,5 „
Spindelzellensarkom
10. Frau Sch., 61 Jahre, Carcinoma ventriculi.
In letzter Zeit leichte Magenbeschwerden, appetitlos. Hat etwas
abgenommen
Blasses Aussehen, ziemlich guter Ernährungszustand. Im Epi-
gastrium anscheinend walzenförmiger Tumor. In den letzten 2 Tagen
hochgradige Pylorusstenose, Retention. Milchsäure, Anazidität
Hülsa
Serum
Organ
R.
1
1 ccm
_
2
1 „
Plazenta
_
3
1 „
Lebermetast (Adenoc.)
_
4
1 „
Scirrh. adenom, ventr.
+
■ 5
1 ,,
Sarkom Spindelzellen
6
1 „
Thyreoidea
—
Operation: Resectio pylori. Histologische Diagnose: Carcinoma
adenomat. scirrhos. ventr.
H ^err St;, 54 Jahre, (Neurasthenie, zur Stellung der Diagnose
für einen Tag überwiesen), Carcinoma ventriculi.
Ausser nervösen Beschwerden nur Appetitlosigkeit, sehr schnell
hinfällig geworden.
Blasser Mann von neurasthenischem Habitus. Sehr hinfällig.
Magenuntersuchung und Röntgenaufnahme bei der gesteigerten ner-
vösen Reizbarkeit nicht möglich, nur Durchleuchtung macht Tumor
wahrscheinlich, der anscheinend unterhalb des rechten Rippenbogens
fühlbar.
Hülse
Serum
Organ
R.
1
1,5 ccm
_
2
1,5 „
Plazenta
_
3
1,5 „
Lebermetast. (Adenoc.)
+
4
1,5 „
Adenocarc. mammae
5
1,5 „
Rundzellensarkom
12. Herr B., 59 Jahre, Carcinoma ventriculi, Lebermetastaseil.
Seit 2 Jahren geringe Magenbeschwerden, heftig erst seit
14 Tagen. Magengegend angeschwollen, viel Erbrechen, kann nur
noch Flüssigkeit aufnehmen.
Hohe Kachexie, fahl-ikterischcs Aussehen, grosser Tumor im
Epigastrium, hart, glatt, unverschieblich, sehr empfindlich. Magen-
Lebergrenze nicht abtastbar. Magenuntersuchung unmöglich, da bei
40 cm Hindernis; desgleichen Röntgenaufnahme. Wassermann negativ.
3*
1620
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
Hülse
Serum
Organ
R.
1
1 ccm
_
—
2
1 ,,
Plazenta
—
3
1 ..
Leber
++
4
1 „
Lebermetastase
4+F
5
1
Adenocarc. tnammae
++
Sektion: Diffuse Carcinose hepatis. Primäres Leberkarzinom.
13. Frau D., 64 Jahre, seit einigen Jahren magenleidend, oft er¬
brochen, starke Gewichtsabnahme.
Geringe Retention, Anazidität, Milchsäure positiv, Milchsäure¬
stäbchen. Grosser Tumor unterhalb des linken Rippenbogens fühlbar,
derb, unregelmässig, verschieblich. _
Hülse
Serum
Organ
R
1
1,5 ccm
—
(+)
2
1,5 „
Plazenta
<+)
3
1,5 ,,
Lebermetastase
++
4
1,5 „
Scirrh. adenom.
(+ )
5 1
1,5 „
Fibrosarkom
(4-
14. Frau R., 53 Jahre, lange Jahre magenleidend, starker Ge¬
wichtsverlust, Erbrechen.
Starke Kachexie. Ausgedehnter Aszites. Typischer Magen¬
befund. _ _
Hülse
Serum
Organ
R
1
1 ccm
_
—
2
Plazenta
—
3
Lebermetastase
+
4
Zylinderz.-Carc. ventr.
+
5
* n
Pankreas
—
(Schluss folgt.)
Ueber „passive“ Uebertragung der Fermente von
Geisteskranken auf Kaninchen.
Von Dr. A. Fauser in Stuttgart.
Die Arbeiten von Lampe „Ueber passive Uebertragung
der sogen. Abwehrfermente“ (D.m.W. 1914 Nr. 24) und die von
Abderhalden und Qrigorescu, die Lampe in einem
Nachtrag erwähnt (M.K1. 1914 Nr. 17), haben mich angeregt,
frühere Qedankengänge, die zu keinem sicher beweisenden
Ergebnis geführt hatten, wieder aufzunehmen und die ent¬
sprechenden Verhältnisse bei Geisteskranken zu prüfen.
Ich gebe in folgendem unser Versuchsprotokoll — zunächst
ohne Kommentar — wieder. Selbstverständlich ist die Zahl
meiner Versuche bis jetzt viel zu klein, um die Frage in posi¬
tivem Sinn zu entscheiden; immerhin mögen sie zur Nach¬
prüfung anregen. Auch einige andere Desiderate — so z. B.
die Forderung, das Serum der betreffenden Kaninchen v o r
der Injektion von fermenthaltigem Geisteskrankenserum und
nach der Injektion von nichtferment haltigem Serum
zu prüfen, vielleicht auch manche versuchstechnische An¬
forderungen — lassen sich ja nachholen. Einige Schluss¬
folgerungen, falls die Versuchsergebnisse bestätigt werden
können, hat Lampe in seiner genannten wichtigen Arbeit
bereits angedeutet; vielleicht kann ich später auf dies und
arideres noch näher eingehen. Für heute möchte ich bloss
noch auf eine besonders für das klinische Arbeiten wich¬
tige Konsequenz hinweisen. Wir Kliniker empfinden es häufig
als eine Hemmung, dass wir bei unseren Kranken die Unter¬
suchung auf Fermente nicht so nach allen Richtungen hin aus¬
dehnen können, wie wir es gerne möchten, weil selbstver¬
ständliche Rücksichten auf unsere Kranken (d. h. Gründe der
Blutökonomie) uns sehr früh eine Schranke setzen; sollte es
gelingen, mit einer kleinen Menge Menschenserum alle vor¬
handenen spezifischen Fermente auf Tiere zu übertragen und
sie dann im Blut dieser Tiere jiachzuweisen, so wären uns in
der Menge des disponiblen Blutes auf einmal keine engen
Grenzen mehr gesteckt und wir könnten das Blut der vorbe¬
handelten Tiere und damit indirekt auch das des blutspenden¬
den Menschen auf seinen Gehalt an spezifischen Abwehrfer¬
menten gegenüber zahlreichen Organen prüfen.
Unser Versuchsprotokoll lautet:
Versuchsprotokoll.
Versuch 1. Weibliches Kaninchen erhält am 17. Juni
1914, 12 Uhr mittags eine subkutane Einspritzung von 1,5 ccm Serum
einer weiblichen Dementia-praecox-Kranken, das bei wieder¬
holten Untersuchungen konstant Ferment gegen Ovarien ergeben
hatte. Von 4 Uhr nachmittags bis 12 Uhr mittags des darauffolgen¬
den Tages Karenzzeit. Dann Tötung durch Entbluten.
Eingestelltes Organ
Serum
1 ccm
Reaktion mit 0,2 ccm
Ninhydrin
aktiv allein
negativ
0,5 g Kuhovarien . .
inaktiv
negativ
0,5 g Kuhovarien ... .
aktiv
positiv
nochmals 0, 5 g Kuhovarien
II
positiv
0,07 g Kaninchenovarien .
II
schwach positiv
0,5 g Menschentestikel
»*
negativ
0.5 g Stiertestikel
1 *
negativ
0,5 g Kaninchenniere
negativ
C,5 g Kaninchenleber . .
0,5 g Menschengehirn . .
negativ
II
negativ
Versuch 2. Männliches Kaninchen erhält am 22. Juni
1914, 12 Uhr mittags eine subkutane Einspritzung von 2 ccm Serum
eines männlichen Dementia-praecox-Kranken, das bei der sero¬
logischen Untersuchung Ferment gegen Testikel gezeigt hatte.
Bei Versuch 2, wie bei den folgenden Versuchen (3, 4 und 5)
wurden immer 0,5 g Organ angesetzt,
Eingestelltes Organ
Serum
1 ccm
Reaktion mit 0,2 ccm
Ninhydrin
Stiertestikel .
aktiv allein
inaktiv
negativ
negativ
Stiertestikel . ....
aktiv
positiv
Kaninchen testikel . . .
p o s i 1 1 v
Menschentestikel . . .
11
positiv
Kuhovarien .
negativ
Kaninchenleber . . . .
positiv (!)
Kaninchenniere . ...
1 1
minimal positiv
Menschennebenniere*)
negativ
Menschengehirn ....
II
negativ
') Ein gleichzeitig angesetzter Versuch mit dem Serum eines Addisonkranken ergab
(wie bei einer 5 Tage vorher gemachten Untersuchung) positive Reaktion mit Nebenniere.
Versuch 3. Weibliches Kaninchen mit 2 ccm Serum des¬
selben männlichen Dementia-praecox-Kranken injiziert wie bei
Versuch 2, bei gleicher Behandlung.
Eingestelltes Organ
Serum
1 ccm
Reaktion mit 0,2 ccm
Ninhydrin
aktiv allein
negativ
Kuhovarien .
inaktiv
negativ
Kuhovarien ... .
aktiv
negativ
Kaninchentestikel . .
II
negativ
Stiertestikel . ...
negativ
Menschentestikel . .
negativ
Kaninchenniere .
negativ
Menschenschilddrüse .
negaiiv
Menschengehirn .
negativ
Menschennebenniere .
II
negativ
Versuch 4. Weibliches Kaninchen mit 1,5 ccm Serum
eines männlichen Dementia-praecox-Kranken injiziert, wie bei
den vorangehenden Versuchen. Auch in diesem Falle hatte die sero¬
logische Untersuchung Ferment gegen Testikel gezeigt.
Eingestelltes Organ
Serum
1 ccm
Reaktion mit 0,2 ccm
Ninhydrin
aktiv allein
negativ
Kaninchenovarien
aktiv
negativ
Kuhovarien . .
negativ
Stiertestikel
negativ
Menschentestikel ^ . .
negativ
Kaninchenniere .
minimal positiv (!)
Menschengehirn .
II
negativ
i r ,, .v.
desselben männlichen Dementia-praecox-Kranken wie Versuch 4
injiziert. (Das Serum dieses Kaninchens war etwas hämolytisch!)
Eingestelltes Organ
Serum
1 ccm
Reaktion mit 0,2 ccm
Ninhydrin
Kuhovarien. ...
aktiv allein
aktiv
negativ
negativ
Stiertestikel . .
positiv
Menschentestikel .
positiv
Kaninchenleber .
negativ
Kaninchenniere . .
negativ
Menschenschilddrüse
minimal positiv (!)
Menschennebenniere .
II
negativ
Nachtrag bei der Korrektur:
Wir haben in der Zwischenzeit noch weitere 5 Kaninchen in¬
jiziert:
a) 2 weibliche mit dem gegen Ovar, positiv reagierenden Serum
zweier (verschiedener) weiblicher Dem.-praec.-Kranker. Reaktion
mit Kuh- und Kaninchenovar, positiv, mit Stier- und Menschentest.,
fernerhin mit einer ganzen Reihe anderer Organe (von Menschen und
Kaninchen) negativ.
b) 1 männliches Kaninchen mit dem gegen Ovar, positiv rea¬
gierendem Serum einer weiblichen Dem.-praec.-Kranken. Reaktion
sowohl mit Stier- und Kaninchentest., wie mit Kuhovar., wie mit
verschiedenen anderen Organen negativ.
c) 1 männliches und 1 weibliches Kaninchen je mit einem kein
nachweisbares Ferment enthaltenden Geisteskrankenserum. Reaktion
in beiden Fällen mit männlichen und weiblichen Keimdrüsen und den
anderen daraufhin untersuchten Organen negativ.
Es wurde also in diesen sämtlichen Fällen sowohl die Organ- wie
die Geschlechtsspezifität vollständig gewahrt; Injektion von nicht-
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1621
fcrmenthaltigem Serum führte zu keiner positiven Reaktion. Aus¬
führliches Untersuchungsprotokoll und weitere Erörterungen (nament¬
lich bezüglich Herkunft der Fermente) ev. später!
Aus der Universitäts-Frauenklinik Tübingen
(Direktor: Professor S e 1 1 h e i m).
Die Dauerirrigation der Harnblase und des Nierenbeckens.
Von Prof. Dr. Ernst Holzbach. Assistenzarzt der Klinik.
Dass wir um einen gewissen Prozentsatz von postope¬
rativen Zystitiden nicht herumkommen, hat in der eigenartigen
Störung der Blasenfunktion nach operativen Eingriffen seinen
guten Grund. Eine spontane Miktion lässt sich trotz aller Hilfs¬
mittel, auch der modernen wie etwa der Glyzerininjektion in
die Blase oder von Pituitrineinspritzungen, in vielen Fällen ein¬
fach nicht erzwingen. Und katheterisieren wir erst, dann bringen
wir Keime in die in ihrer Blutversorgung beeinträchtigte, oft
ganz aus ihren Lagern herausgelöste Blase. Damit ist die
Zystitis, selbst wenn man dem Katheterismus prophylaktisch
Spülungen anschliesst. meist in wenigen Tagen fertig.
Auch ohne Katheterismus kommt es, durch Spontanaszen-
sion von Spaltpilzen aus der Harnröhre in die Blase, zur Zystitis
in allen den Fällen, bei denen eine Urinentleerung zwar von
reibst und auch häufig, aber nie vollständig erfolgt. B a i s c h
hat in seiner Arbeit über Zystitis (Hegars Beitr. 1904 Bd. 8)
auf diese Fälle ganz speziell hingewiesen. Den Mechanismus
des Zustandekommens der Störung habe ich gelegentlich
spezieller Untersuchungen über die Funktion des Harnappa¬
rates nach Operationen (Zschr. f. gyn. Urol. 1909 Bd. 1) be¬
schrieben.
Diese „Stagnationszystitiden“ sind nach unserer Erfahrung
oft die allerhartnäckigsten; besonders wenn erst einmal die
Blase durch Nichtbeachtung der Retention überdehnt ist. Und
gerade bei ihnen droht nach unserer Erfahrung aufsteigendc
Infektion, Pyelitis, Paraureteritis etc. Aber gleichgültig,
welcher Provenienz der Blasenkatarrh ist, eine höchst unan¬
genehme Zugabe ist er für Patientin und Arzt unter allen
Umständen. Leider nicht zuletzt deswegen, weil die Therapie
so viel zu wünschen übrig lässt.
Ist die Entzündung erst über das akute Stadium hinaus,
und kommen wir mit konservativen Massnahmen — Ruhe,
Wärme, viel Flüssigkeit, Urotropin etc. — nicht zum Ziele,
dann tritt die Lokalbehandlung in ihr Recht. Die- souveräne
Form derselben ist die Blasenspülung. Es erübrigt sich, auf
das Wann und Wie hier ausführlicher einzugehen. Nur die
Fälle sind mir wichtig, bei denen eine prompte Wirkung der
Blasenwaschungen ausbleibt, und bei denen es zu dem überaus
lästigen Bild der sich über Monate hinziehenden chronischen
Form u. a. mit sekundärer Infektion der oberen Harnwege
kommt.
Die mehrmals täglich auszuführende Blasenspülung ist für
die Patientin eine Qual, für den Arzt, der die Vornahme der
eine gewisse Kritik voraussetzenden Manipulation nicht dem
Pflegepersonal überlassen will, eine Quelle von Unannehm¬
lichkeiten. Man ist nicht immer in der Lage, derartige Fälle
einer septischen Abteilung zuzuführen, auf die sie gehören.
Oft zögert man auch, in der Hoffnung, der Sache doch bald
Herr zu werden. Und so belasten sie dann wochenlang den
Betrieb einer operativen Station.
Solchen Unzuträglichkeiten beugt eine Methode vor, die
ich im letzten Winter ausprobiert habe, und die den Vorzug
hat, wesentlich mehr in der Heilung des Prozesses zu leisten
als unsere sämtlichen bisher gebräuchlichen Verfahren.
Ich kombiniere die Vorteile des Dauer¬
katheterismus, also der absoluten Ruhig¬
stellung der Blase, mit denen einer über
viele Stunden ausgedehnten Irrigation des
kranken Organs.
Der doppelläufige Dauerkatheter, den mir die Firma R ii s c h in
Rommelshausen (Württemberg) herstellt, und der durch alle Spezial¬
geschäfte zu beziehen ist, wird in die Blase cingefiihrt. Das Zu-
f 1 u s s r o h r des Katheters ist doppelt so weit als das ab¬
führende. Es wird mit einem gegen Wärmeabgabe isolierten
Irrigator verbunden, der am Bett selbst aufgehängt ist. Höher¬
und I ieferhängen des Irrigators reguliert den Druck, mit dem die
Spülflüssigkeit, meist 2 proz. Borlösung, eiufliesst. Das enge Aus¬
flussrohr, das durch dünnen Gummischlauch bis in ein unter dem
Bett stehendes Becken verlängert wird, lässt dieSpülfliissig-
keit nicht in dem Tempo abfliessen, in dem sie in
die Blase e i n s t r ö m t. Dadurch füllt sich die Blase. Ihre
Wände entfalten sich; alle Winkel und Buchten werden ausgiebig be¬
rieselt und gesäubert. Sobald die Patientin Druckgefühl wahrnimmt,
die Blase also ganz gefüllt ist,
wird der Irrigator etwas tiefer
gehängt. Der Zufluss stellt sich
dementsprechend ein, und einer
Ueberdehnung wird vorgebeugt.
Sind auf diese Weise etwa 2 bis
2'lt Liter der Desinfektionsflüssig¬
keit im Laufe einer Stunde durch
die Blase durchgeflossen, dann stellt
man den Zufluss ab. DanrU wird
wieder gespült und so entsprechend
den Anforderungen des Falles mit
Dauerirrigation und Ruhigstellung
beliebig oft abgewechselt. Der
Katheter bleibt 10 — 14 Tage liegen. ^
Ihn durch einen neuen zu ersetzen, rr?
ist meist nicht mehr notwendig.
Ob man Gummi- oder Glaskatheter verwendet, scheint mir in
praxi ziemlich gleichgültig zu sein. Kapriziert sich einer auf Glas,
so wird es keinem Glasbläser Schwierigkeiten machen, den Skene-
schen Pferdefuss entsprechend zu modifizieren
Von dem primitiven Versuch einer Dauerirrigation der
Blase berichtet Stoeckel in Veits Handbuch. Zwei an¬
einandergenähte Gummischläuche fungieren dabei als Einfluss-
und Abflussrohr. Ein 12 Liter (!) fassender Irrigator enthält
die Spülflüssigkeit. Stoeckel schreibt, dass zwei Bedenken
gegen die Methode sprechen: 1. lässt sich die Irrigations¬
flüssigkeit schwer auf gleichmässiger Temperatur halten und
2. fliesst sie sofort wieder ab, ohne mit dem grössten Teil der
Blasenwand in Kontakt gekommen zu sein.
Beide Fehler sind hier vermieden. Die Entfaltung der
Blase ist ausgiebig und kann ganz nach Wunsch gesteigert
oder herabgesetzt werden. Man braucht nur den Abfluss —
durch Abstellhahn, Schlauchklemme o. ä. — entsprechend zu
drosseln. Und jede 2 Liter-Thermosflasche mit doppelt durch¬
bohrtem Stöpsel und Luftrohr, umgekehrt aufgehängt, gibt den
gewünschten Dauerirrigator, der die Flüssigkeit stundenlang
auf gleicher Temperatur hält. Teuere Apparate, wie ich
sie zu ähnlichen Zwecken einmal in der M.m.W. 1911, Nr. 21
beschrieben habe, sind dazu gar nicht notwendig.
Die Handhabung ist ausserordentlich sauber und einfach.
Die Krankenschwester füllt zu bestimmten Stunden Spülflüssig¬
keit ein und stellt den Zufluss nach Bedarf ab. Der Arzt
braucht lediglich bei der Visite das richtige Funktionieren der
Vorrichtung zu kontrollieren.
Die Heilungsschancen sind die denkbar günstigsten. Die
Vorteile der Methode liegen auf der Hand.
Das Prinzip dieser Behandlungsart habe ich mir auch zur
Therapie hartnäckiger Pyelitiden nutzbar gemacht. Die
Vorzüge der von Stoeckel inaugurierten Nierenbecken¬
spülungen sind ja bekannt. Doch gibt es auch hier, speziell
unter den Schwangerschaftspyelitiden, Fälle, die nur zögernd
reagieren. In solchen Fällen liess ich einen bis ins Nieren¬
becken vorgeschobenen doppelläufigen Ureterkatheter
- gleichfalls von der Firma R ü s c h hergestellt — 36 Stunden
liegen und 2 mal 12 Stunden lang eine Dauerberieselung des
Eiterreservoirs ausführen. Das Abflussrohr darf hierbei kein
kleineres Lumen haben als das zuführende, da sonst Tenesmen
auftreten. Aus dem gleichen Grunde verbieten sich prolon¬
gierte Spülungen mit dem einläufigen Ureterkatheter: der Ab¬
fluss neben dem Rohr, also durch den Ureter, ist nicht gewähr¬
leistet, und es kommt meist prompt zu heftigen Schmerz¬
äusserungen.
Mit der Bekanntgabe dieses Verfahrens einer dauernden
Berieselung des Nierenbeckens möchte ich zunächst nur zu
Versuchen auffordern. Dagegen kann ich die Z y s t i t i s b e -
handlung durch Dauerirrigation der Blase
mit dem doppelläufigen Verweilkatheter
heute schon bestens empfehlen.
1 622
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
Aus dem Sanatorium Dr. S c h ü t z - Wiesbaden.
Chronische Magen- Darmdyspepsie, Colitis gravis und
Leberzirrhose*).
Von Dr. R. Schütz.
M. H.! Ich habe bereits vor 6 Jahren darauf hin¬
gewiesen [1], dass die chronische Magen-Darmdyspepsie und
die chronischen dyspeptischen Diarrhöen eine gewisse ätio¬
logische Bedeutung besitzen für die Entzündung des Darms.
Bei keinem unter zahlreichen Patienten fehlte die Schleim¬
sekretion auf die Dauer ganz, wenn sie auch bei der Mehrzahl
im allgemeinen massig war, ja zeitweise aussetzte. Diese
wenig ausgedehnten, anscheinend harmlosen Katarrhe er¬
schienen jedoch dadurch bemerkenswert, dass im Schleim
recht häufig Erythro- und Leukozyten, besonders
letztere, in grosser Zahl sich fanden *). Sie zeigen also Nei¬
gung zu tiefergehender Entzündung, selbst Geschwürsbildung,
und wenn sie, wie es scheint, trotzdem meist ausheilen, so
können sie doch in anderen Fällen zu ernsteren Folgezuständen
führen. Deren konnte ich schon damals einige mitteilen: zwei
Fälle schwerer eitriger Kolitis, ein dritter mit hämorrhagischer
Entzündung der Rektumschleimhaut. Ein weiterer Fall betrifft
eines der drei Geschwister, die ich seit jetzt 10 Jahren be¬
obachte [l, 2]; dieses Mädchen erlitt mehrere Jahre nach
dem Krankheitsbeginn eine erhebliche Darmblutung — an¬
scheinend Dünndarmgeschwür — und machte vor nunmehr
3 Jahren, d. h. 7 Jahre, nachdem die Dyspesie zuerst fest¬
gestellt war, im Laufe weniger Monate 3 mal eine fieberhafte
Wanderkrankung des Kolon durch [Colon transversum und
descendens] 2).
Abgesehen von einem im gleichen Jahre (1908) durch
Rosenheim [3] mitgeteilten Falle, den A. Schmidt nach
Rosenheims Angabe als gastrogen auffasste, scheint der
Zusammenhang zwischen Dyspepsie und Colitis gravis kaum
beachtet zu sein; Schmidt selbst spricht in seinem Lehrbuch
vom vorigen Jahre [4] bei der Colitis gravis nur von einer
ausserordentlichen Empfindlichkeit der Dickdarmschleimhaut
gegen die gewöhnlichen katarrherregenden Schädlichkeiten.
Ich kann heute über vier Fälle berichten, in
denen schwere und schwerste Entzündung
der Darm wand als direkte Komplikation
kam.
Mit einigen Worten möchte ich vorher auf einen zweiten der
von Rosenheim damals mitgeteilten Fälle von Colitis gravis [3]
eingehen, den eines 13 Jahre alten Mädchens. Ich habe dieses Kind
bU Jahre vor Rosenheim einige Male in der Sprechstunde ge¬
sehen, zu einer Zeit, da noch keine Colitis gravis, dagegen seit 3 Mo¬
naten dyspeptische Diarrhöen bestanden. Der von uns in jener ersten
Zeit der Krankheit wiederholt gemachte Befund ausgesprochen dys-
peptischer Fäzes spricht dafür, dass die Kolitis auf dem Boden
einer Magen-Dünndarmstörung entstanden ist, deren Prognose mir
von vorneherein zweifelhaft erschien, weil schon damals sich
eiterhaltiger Schleim fand.
Betreffs der Krankengeschichten beschränke ich mich auf
einige wenige Bemerkungen (siehe Schluss der Arbeit!).
Es handelt sich um 2 Frauen von 26 resp. 36 Jahren, einen
28 jährigen Studenten und ein Kind von 1 Jahr. Die Frauen habe ich
je 3 Monate klinisch behandelt, der junge Mann ist von Anfang August
vorigen Jahres bis heute (Juni 1914) in meiner Anstalt. Alle litten
seit Monaten resp. seit Jahren an Diarrhöen und
boten bei ihrer Aufnahme einen ausgesprochen dyspep¬
tischen Fäzesbefund (Muskelgewebe und Fett, 2 zugleich
Stärke, und zwar trat bald mehr die eine, bald mehr die andere
Störung hervor). Bei den beiden Frauen war die Insuffizienz be¬
sonders hochgradig und anhaltend, bei dem jungen Mann verläuft
sie unregelmässiger, ist aber häufig gleichfalls sehr bedeutend
(Ausscheidung grosser makroskopischer Fleischreste, Gärungs-
*) Vortrag, gehalten auf der ersten Tagung über Verdauungs¬
und Stoffwechselkrankheiten, Homburg v. d. H„ April 1914.
*) So habe ich bei einigen Kindern innerhalb kurzer Zeit 15 bis
20 mal Eiter in einzelnen Schleimflöckchen gefunden, die erst bei
sorgfältigem Durchsieben des ganzen Stuhles sichtbar wurden.
2) Auch dafür, dass die chronischen dyspeptischen Diarrhöen auf
dem Wege einer Infektion vom Darm aus weitere schwere Erkran¬
kungen, selbst Sepsis herbeiführen können, habe ich schon damals
Beispiele erbracht und will hier nur bemerken, dass ich vor einigen
Jahren ein Kind behandelt habe, das nach mehrjähriger schwerer
Magendarmdyspepsie an einer Koliinfekticn der Harnwege zugrunde
ging.
Stühle). Die eine Kranke schied 14 Tage nach Beginn un¬
serer Behandlung, während die Temperatur rasch über 39 anstieg,
einige Tage Blut und Eiter in den Stühlen aus, ebenso 6 Wochen
später. Bei der zweiten entwickelte sich unter unseren Augen eine
Kolitis mit hochgradiger Druckempfindlichkeit und Schwellung des
Darmrohrs, oberflächlichen Ulzerationen der Schleimhaut, Abgängen
von Blut und Eiter, Thrombose beider Femoralvenen, starkem Kräfte¬
verfall. Fieber bestand niemals. Unter Diät, Magenausspülungen etc.
heilte die Kolitis im Verlauf vieler Wochen ab, während die Insuffi¬
zienz nach % Jahr fortbestand.
In den Stühlen des Studenten fand sich 4 Wochen nach der Auf¬
nahme zum ersten Male etwas Blut, bald darauf Anhäufungen weisser
Blutkörperchen, sowohl in kleinen Schleimflocken, als in der Fäzes¬
masse selbst. Nach einem weiteren Monat setzte plötzlich unregel¬
mässiges, zum Teil stark remittierendes Fieber ein, das mit kurzen
Pausen bis heute besteht. Mit den Fieberanfällen wurde der Eiter
reichlicher, zeitweise zeigte das Fäzesbild überhaupt nichts ausser
Eiterzellen. Der Leib ist die ganze Zeit über mässig aufgetrieben,
das Kolon niemals ausgesprochen druckempfindlich.
Zeitweilig geringe Leber- und deutliche Milzschwellung, im Urin
oft Gallenfarbstoff und viel Indikan.
Romanoskopischer Befund September und November v. .1. nega¬
tiv, Mitte April Rektumschleimhaut geschwollen und leicht blutend,
keine grösseren Geschwüre.
Der letzte Fall, über den Ihnen zu berichten mir das
liebenswürdige Entgegenkommen der Herren Weintrau d,
W. Koch und Herxheimer ermöglicht, betrifft ein ein¬
jähriges Kind und ist auch insofern von besonderem Inter¬
esse, als er durch eine Leberzirrhose kompliziert wurde.
In der Familie nichts von Tuberkulose und Lues, Eltern und
5 ältere Geschwister gesund, Wassermann und Pirquet (wiederholt)
bei dem kranken Knaben negativ. Dieser, zur richtigen Zeit geboren,
entwickelte sich während der ersten 5 Monate (Muttermilch) gut und
hatte niemals eine Darmstörung, dann wurde er wegen schlechten
Befindens der Mutter abgesetzt und mit Kuhmilch. Haferschleim,
Zwiebacken ernährt.
Bald darauf zunehmende Blässe, Gewichtsabnahme, Erbrechen,
Durchfälle, Temperatursteigerungen. Mit 7M> Monaten Aufnahme in
das hiesige städtische Krankenhaus (Prof. Weintraud); Gewicht
5760 g, starke Anämie, geringe Rachitis, grosse Schwäche. Leber
ca. 3 Ouerfinger unterhalb des Rippenbogens fühlbar, Milz eben pal-
pabel; in den Stühlen zeitweise Schleim und etwas Blut.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhause bald wieder Diar¬
rhöen und Erbrechen, Fieber und Gewichtsabnahme Deshalb
6 Wochen später ins hiesige Paulinenstift aufgenommen (Dr. W.
Koch), Dort entwickelten sich unter anfänglich geringen, später
höheren (über 39°), unregelmässigen Temperaturen ausgedehnte
bronchopneumonische Prozesse; die Leber, anfangs in der Mammillar-
linie 2Vi Ouerfinger unter dem Rippenbogen palpabel, schwoll rasch
erheblich an, so dass sie schon nach 2'A Wochen den Rippenbogen
um 7K bis 8 cm überragte — dazu starke Milzschwellung, Aszites,
Oedeme etc., Exitus.
Die Sektion (Prof. Herxheimer) ergab: Leberzirrhose, Le¬
ber in allen Teilen stark vergrössert, an der Oberfläche grob granu¬
liert; sehr blutreicher Milztumor; Duodenal- und Dünndarmschleim¬
haut blass und geschwollen, viel Schleim, Dickdarmschleimhaut
hyperämisch, zeigt zahlreiche dysenterieartige Geschwüre. Im
Dünn- und Dickdarm Rundzelleninfiltration. Sehr stark vergrösserte
und entzündlich veränderte Mesenterial- und retrogastrale Drüsen. In
Darmwand und Lymphdrüsen keine Bakterien.
Es handelt sich also bei diesen vier Patienten um
schwere Darmentzündung, wie die Entleerung von
Eiter und Blut per rectum beweist. Bei der einen der Frauen,
bei der Blut und Eiter nur ganz vorübergehend auftraten,
wurde romanoskopisch nicht untersucht, dagegen liegt betreffs
des Kindes das Sektionsergebnis vor, bei dem jungen Manne
und der zweiten Frau der romanoskopische Befund, bei letz¬
terer war ausserdem durch die äusserliche Palpation eine
Wandentzündung des ganzen Colon descendens nachweisbar.
Differentialdiagnostisch wurde auf Tuberkulose untersucht
(2., 3., 4. Fall), auch im Tierversuch (3., 4. Fall); es wurde auf
Typhus, Paratyphus, Dysenterie agglutiniert (3., 4. Fall) — alles
mit negativem Ergebnis, ebenso Wassermann negativ (2.,
3. Fall). Zeichen einer Peritonitis bestanden bei keinem der
Kranken, ebensowenig war ein ausserhalb des Darms ge¬
legener Krankheitsherd nachweisbar.
Gemeinsam ist den vier Fällen das Be¬
stehen einer ausgesprochenen Dünndarm¬
dyspepsie. Bei dem Kinde, das ich selbst nicht behandelt
habe, wurden allerdings keine genauen Stuhluntersuchungen
gemacht, jedoch hat nach der Anamnese fraglos eine Dyspepsie
Vorgelegen, ein Nährschaden im Säuglingsalter, an dem ebenso¬
wohl die Kuhmilch, als die Stärkenahrung beteiligt war.
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Und so ist dieser Fall besonders eindrucksvoll: die Ueber-
lastunff der y erdauungsorgane durch unzweckmässige Nahrung
und ic ans jener folgende funktionelle Schädigung des Magen-
Darmkanales fuhrt bei einem bis dahin gesunden Säugling un¬
mittelbar zu einer schweren Wanderkrankung des Darms und
zu Hepatitis.
FäMnVS<$ S1Cier’ d-ass die Dyspepsie in allen
Fallen das Primäre war und der Darment¬
zündung um W o c h en (bei dem Kinde), ja um Mo¬
nate und langer (bei den übigen Kranken) vor¬
an s g 1 n g, ebenso, dass sie bei den beiden
F.r a a ?.n üaC Ld em Aufhören der schweren ent¬
zündlichen Erscheinungen fortbestand.
Gerade diese Beobachtungen sind für
unsere Auffassung ausschlaggebend. Denn der
gleichzeitige Befund einer Dünndarminsuffizienz und einer Co¬
litis gravis beweist nicht ohne weiteres den angenommenen
Zusammenhang. Wie Sie in der Krankengeschichte des jungen
Mannes sehen werden, wurde mit der Entwicklung der Dick-
darmentzundung die Dünndarminsuffizienz noch deutlicher, und
man kann die Möglichkeit nicht von vornherein abweisen, dass
die durch das schwere Dickdarmleiden bedingte Anämie und
Entkräftung ihrerseits die Dünndarminsuffizienz noch gesteigert
habe. (Möglicherweise gehören die von A. Schmidt und
Baumstark [4] beobachteten Fälle zu dieser Kategorie.)
In der Sicherstellung der Aufeinander’-
u/ ^UndP-d,‘,eSes ZusammenhanSes darf der
Wert der Falle gesehen werden.
Bemerkenswert ist die bei zwei Patienten erwiesene
rCk-Ui!!SS -u d e. nz; sie stimrnt mit der oben erwähnten
eobachtung überein, dass mehr oder weniger häufig Eiter
sich im Schleim mancher Dyspepsiekranken findet, die niemals
“-er Darmentzündung erkranken. Derartige leichtere
Kolitisfalle entgehen möglicherweise öfter der Beobachtung.
Wie kommt es nun, dass in manchen Fällen die Dyspepsie
\on so schweren Erkrankungen der Schleimhaut und Darm-
wand gefolgt wird, während so viele Dyspeptiker ihre Magen-
Dunndarmmsuffizienz und selbst starke Diarrhöen viele Jahre
ja Jahrzehnte ohne erhebliche Beeinträchtigung ihres Allge-
KatarrhStkommt?rtragen’ ^ °hne’ daSS 6S ZU einem stationären
wrcD,le Erklärung ist wohl in der Annahme zu finden, dass bei
h, Inn l'edeneu Pe^S0nen eine verschieden grosse, bei manchen
besonders hochgradige Empfindlichkeit der
kehen^esteht6 ' m h 3 U t gegenüber den pichen Schädlich-
Diese Schädlichkeiten müssen in der abnormen Be-
sctiatfenheit und Zusammensetzung des Ma-
gendärminhaltes liegen, und zwar abnorm hinsichtlich
seines mechanischen, noch mehr seines chemischen Zustandes
abnorm infolge einer pathologischen Verdauungs-
i eit, vor allem infolge des Eingreifens einer patho¬
logischen Darmflora.
Ich habe zuerst darauf hingewiesen, dass die Dyspeptiker
-nie gegen die Norm veränderte Darmflora besitzen [5] und
iahe zugleich betont, dass diese zunächst sich nur deshalb
-ntwickelt, weiI.ein abnormer Nährboden wilde Keime auf-
vommen lässt, die normalerweise zugrunde gehen.
ndes ist zu erwarten, dass die Bakterien, die auf dem
Joden einer primären Verdauungsinsuffizienz wachsen, ihrer-
'Oi ts gewisse Wirkungen entfalten können.
Diese betreffen zunächst den Verdauungsvorgang
- abnorme Fäulnis und Gärung (durch deren Produkte
ie dingte Reizung der Darmschleimhaut, anderer¬
em 1 ntoxikationsvorgänge, enterogene Tetanie etc.)
7. abe,r auch Entwicklung virulenter Arten, oder
virulent wer den des eigenen B. coli, schwerere
mtzundungen.
Die bakteriziden Eigenschaften des Dünn-
larms die nach meinen Versuchen [6] als eine Funktion der
>chleimhautepithelien erscheinen, regulieren normalerweise
ias Bakterienwachstum im Darm. Sie können bei Dyspepti-
.ern völlig versagen, wie der von mir mitgeteilte Fall chroni-
chen massenhaften Bakterienwachstums beweist [7], und sind
_ _ _ 1623
herabgesetzt*56 3,160 diesen FalIen mehr oder weniger
Der Dünndarm geniesst auch unter diesen Verhält¬
nissen einen gewissen Schutz durch seine lebhafte Peristaltik
die ihn immer wieder entleert. Und so wird in erster Linie
der Dickdarm betroffen, die Hauptsiedelungsstätte der Darm¬
bakterien.
Na ch alledem käme den Dyspepsien als
modifizierendem Moment des Darminhaltes
und spezie llder Darmfl°rafürdieEntstehung
der Dickdarmentzündungen möglicherweise
eine allgemeinere Bedeutung zu.
Von besonderem Interesse ist die bei dem K i n d e im
ersten Lebensjahr beobachtete Leberzirrhose.
7 ie wissen, dass man heute die Alkoholwirkung in der Aetio-
logie dieser Krankheit anders zu bewerten geneigt ist als
früher, dass man im Alkohol nicht mehr die direkte, sondern
eine indirekte Ursache derselben sieht: er soll die Bildung ge¬
wisser Zersetzungsprodukte im Magen und Darm begünstigen,
die ihrerseits schädigend auf die Leber wirken.
Gerade bei der Leberzirrhose kleiner Kinder spielt der
Alkohol meist eine besonders grosse Rolle. In unserem Fall
ist aber hiervon keine Rede, und so erscheint er in hohem
MalSf rffeignet’ die von Efoppe-Seyler, Poggen-
P o n 1 |8J und auch von anatomischer Seite (Herx-
neimer 19J) betonte enterogene Entstehung der
Leb er Zirrhose zu erweisen.
M H.! Die chronischen Dyspepsien haben eine nicht zu
unterschätzende Bedeutung durch ihre grosse Häufigkeit, durch
die erhebliche Ernährungsstörung und Beschränkung der
Arbeitsfähigkeit und des Lebensgenusses, die sie vielfach ver¬
ursachen, durch die Entwicklungshemmung, die sie bei Beginn
im Kindesalter bedingen können.
Meine heutigen Mitteilungen beweisen, dass diese funktio¬
nellen Verdauungsstörungen, die der Ausdruck einer krank¬
haften Magen-, Pankreas- etc. arbeit sind, zu ernsten Folge¬
krankheiten des Dickdarms führen können, und eine systema¬
tische Stuhluntersuchung (Funktionsprüfung) wird ergeben, ob
der in den beobachteten Fällen erwiesene Zusammenhang
häufiger besteht.
Krankengeschichten.
n Ff.?,? 26 Jahre. Seit 3 Jahren bei der Periode fast stets
Durchfalle, seit einem Jahre ständig. Seit 4 Monaten Sanatoriums¬
behandlung nur vorübergehend geringe Besserung; während dieser
Zeit einmal 14 Tage Blut im Stuhl, täglich 1—3 breiige bis flüssige
Stuhle. Abnahme 5 — 6 kg.
„ri ^b™age,runsr . ^-Frühst. HCl + 26, Q.-A. 65. Pr.-Mitt.
* t i ’ V;. desgleichen: nach 7 Stunden Magen leer. Stühle-
starke Insuffizienz für Muskelgewebe, Fett, Stärke, Störungen wech¬
seln vielfach miteinander. Bindegewebsverdauung gut, Kernprobe
negativ; i. a. wenig oder kein Schleim.
14 Tage nach Eintritt in unsere Anstalt 2 Tage 39,3-39,6, wei-
ter.e E? Tage bis 37,6 (Bettruhe), Stühle enthalten einige Tage Blut
und Eiter, ebenso in geringerem Masse 6 Wochen später (kein
E‘eber>- Keine romanoskopische Untersuchung. Behandlungsdauer
3 Monate : Insuffizienz der Dünndarmverdauung und
Diarrhoen bestehen weiter.
Erl. W., 36 Jahre. Vor 2V4 Jahren Darmbeschwerden, Appen¬
dektomie, Appendix ohne erhebliche Veränderungen, nur geringe
Besserung Nach 1 Jahr wieder starke Durchfälle monatelang, dann
Heilung auf Magenausspülungen und Diät. Seit 4 Monaten wieder
Durchfalle.
Anämie Colon descendens empfindlich, sonst nicht verändert.
Pr. -Frühst HCl + 92, Q.-A. 124. Starke Insuffizienz für Muskel-
gewebe und Fett, anfangs nur geringe Schleimsekretion.
Vom Anfang der 3. Woche ab stärkere Diarrhöen, starke Leib¬
schmerzen, massige Auftreibung und Spannung des Leibes, Colon des¬
cendens und S romanum werden äusserst druckempfindlich, Darm¬
rohr stark verdickt und hart, Schleimhaut des Rektum und S roma-
num stark gerötet, aufgelockert, blutet leicht, kleine oberflächliche
dzerationen Stühle zeigen jetzt kleine Blutbeimengungen, z T
reichhch ScMeim mit zahlreichen Eiterzellen und roten Blutkörper¬
chen. Häufig Magenbeschwerden, öfter Erbrechen; Thrombose bei-
cer Femoralvenen, hochgradige Kräftereduktion, kein Fieber. Unter¬
suchung der Fäzes auf 1 uberkelbazillen (Tierversuch) negativ, ebenso
Agglutination auf Typhus, Paratyphus, Dysenterie,
m * Langsame Besserung (Diät, Magen-, Dickdarmausspülungen etc.),
Blut- und titerbeimengungen verschwinden, Kolon schwillt ab, wird
wieder weich und unempfindlich, Thrombosen heilen ab. Diarrhöen
bessern sich, \ erdauung des Muskelgewebes und Fetts
bleibt mangelhaft.
1624
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Stud. M.. 28 Jahre. Nie sehr kräftig, ass von jeher hastig, oft
unregelmässig, keinerlei Exzesse, keine Infektion. Seit 4 Monaten
Diarrhöen (ohne bekannte Ursache), 7—8 kg abgenommen.
Starke Anämie, Leib weich, nichts Besonderes, Sahli 70 Proz.
Pr.-Friihst. HCl + 38, G.-A. 66. Pr.-Mitt. HCl — 18, Ci.-A. 132, des¬
gleichen: nach 7 Stunden Magen leer. Insuffizienz für Muskelgewebe,
Fett, Stärke (wechselnde Befunde!), Schleim siehe unten.
Im 2. Monat der Behandlung allmählich Besserung. 8—10 Jage
täglich 1—2 gebundene Stühle. Anfangs des 3. Monats plötzlich
Fieber, unregelmässige J'emperaturen mässiger Höhe. z. T. mit Re¬
missionen über 2%°. Von da an bis jetzt (11. Behandlungsmonat),
anfangs mit nur kurzen Unterbrechungen, später seltener erhöhte
Temperatur resp. Fieber, meist mässig, z. T. aber über 39 °.
Mit der ersten Fieberattacke geringe Leber- und deutliche Milz¬
schwellung, erstere vorübergehend, letztere viele Wochen, auch spä¬
ter zeitweise nachweisbar. Im Urin oft Gallenfarbstoff und Indikan
(Fieberperioden!).
Romanoskopischer Befund im 2. Behandlungsmonat (30 cm
Länge) völlig negativ, ebenso im 4. Monat (13 cm in Seitenlage);
9. Monat (10 cm, Seitenlage): mässige Schwellung und Rötung der
Schleimhaut, blutet etwas, keine sicheren Ulzera.
Seit dem Einsetzen des Fiebers weiterer Kräfterückgang, im
5. Behandlungsmonat Abnahme (seit Beginn der Krankheit), im gan¬
zen 22 kg, im folgenden Vierteljahr aber trotz leichter Temperaturen
10,5 kg + und besserer Kräftezustand.
Stühle: seit Beginn des Fiebers fast stets diarrhoisch, dick¬
breiig bis wässerig, meist 3 mal täglich; die Verdauung zeigt starke
Schwankungen, die bald mehr Muskelgewebe, bald Fett und KH be¬
treffen, ausserdem wechseln Zeiten besserer und schlechterer Ver¬
dauung (zeitweilig erhebliche Zunahme!), zeitweise ausgesprochene
Gärungsstühle, zeitweise beim Versuch unhachiertes Fleisch zu geben,
zahlreiche makroskopische Fleischstückchen ausgeschieden.
Schleim war während vieler Wochen anfangs nicht zu finden,
danach nur gelegentlich in Form kleiner, z. T. aus dem Dünndarm
stammender Flöckchen; grössere, aber nie sehr reichliche Mengen
stets feinen Schleims traten erst nach Beginn des Fiebers zeitweise
auf. Einen Monat nach der Aufnahme und ebenso lange vor Ein¬
setzen des Fiebers enthielten die Stühle zum ersten Male Spuren
frischen Bluts (ebenso später, aber im ganzen selten und nie
in erheblicher Menge), bald darauf auch Anhäufungen
weisser Blutkörperchen, sowohl in kleinen Schleimflocken,
als in der Fäzesmasse selbst — ein Befund, der uns die Proermse
von vorneherein vorsichtig stellen liess. Mit den Fieberanfällen
wurde der Eiter reichlicher, sowohl im Schleim, wie als freie, mit
blossem Auge kenntliche Beimengung der Fäzes, in den letzten
6 Wochen dagegen hörte die Ausscheidung fast ganz auf.
Wassermann negativ, ebenso Untersuchung der Fäzes auf
Tuberkelbazillen (Tierversuch, mehrere Serien), sowie Agglutina¬
tionsversuche auf Typhus, Paratyphus, Dysenterie.
Die Operation wurde namentlich in Rücksicht auf die Beteiligung
des Dünndarms von uns, ebenso von Krehl, Weintraud und
A. Schmidt abgelehnt, der sich völlig meiner Auffas¬
sung des ganzen Falles anschloss.
Literatur.
1. R. Schütz: D. Arch. f. klin. M. 94. 1908. R. Schütz:
Ther. Mtshfte. 1909 H. 7. — 2. R. S c h ü t z: Jb. f. Kindhlk. 62 1905. —
3. Rosenheim: D.m.W. 1908 Nr. 7. — 4. A. S c h m i d t: Lehrbuch
der Darmkrankheiten. Wiesbaden 1913. — 5. R. Schütz: Volkmanns
Sml. klin. Vortr. 1901 Nr. 318. — 6. R. S c h ü t z: B.kl.W. 1900; Arch. f.
Verdauungskr. 1901 Nr. 1. R. Schütz: 26. Kongr. f. inn. M. 1909. —
7. R. Schütz: D. Arch. f. klin. M. 53. 1904. — 8. Vergl.: Ewald,
Die Leberkrankheiten, Leipzig 1913. — 9. Schmauss-Herx-
heimer: Lehrbuch der pathologischen Anatomie, Wiesbaden.
Aus der chirurgischen Universitäts-Kinderklinik München
(Professor Dr. W. Herzog).
Die Gaumenspalte und deren operative Behandlung.
Von Dr. med. Richard Drachter, Assistent der Klinik,
Spezialarzt für Chirurgie.
Die Frage der operativen Behandlung der Gaumenspalte
ist im Laufe der letzten Jahre wieder viel diskutiert worden.
Einerseits war es das immer mehr sich geltend machende Be¬
streben erfahrener Chirurgen, die Gaumenspalte in frühem
Alter, ja schon innerhalb der ersten Lebenswochen auf ope¬
rativem Wege (v. Langenbeck sehe Operation) zu be¬
seitigen, welches Anlass gab zu weiteren Erörterungen dieses
Themas, andererseits kam die Frage wieder in Fluss, be¬
sonders durch den Brophy sehen Vorschlag, der dahin geht,
den Verschluss der Gaumenspalte zu bewerkstelligen durch
gegenseitige Annäherung der beiden Oberkieferhälften oder,
besser gesagt, deren Alveolarfortsätze.
Die überaus mannigfachen, bisher gebrauchten Methoden
der operativen Beseitigung der Gaumenspalte lassen sich
Nr. 29.
unter drei verschiedene Operationsprinzipien einordnen: in
das Prinzip der Spaltüberbrückung, das Prin¬
zip der Spaltausfüllung und in das Prinzip des
Aneinanderrückens der Spaltränder.
Bis zum heutigen Tage ist das Prinzip der Spaltüber¬
brückung — das übrigens schon dem ersten Versuche einer
operativen Beseitigung der Gaumenspalte (Krimmer 1824)
zugrunde lag — in der Form des v. Langenbeck sehen
Verfahrens die souveräne Methode geblieben.
Die Spaltausfüllungsmethoden, deren typisches Beispiel
das Einheilen des kleinen Fingers in den Spalt nach v. E i s e 1 s-
b e r g darstellt, sind nur noch in Ausnahmefällen geübt.
Dagegen haben sich namentlich in jüngster Zeit viele
Chirurgen mit dem Prinzip des Aneinanderrückens der Spalt¬
ränder beschäftigt. So haben neben Brophy besonders
Schömaker, Helbing, Codivilla, Murray, Owen,
S e b i 1 e a u. Kärger und Neumann nach diesem Prinzip
operiert. In den Händen der genannten Autoren ist das ur¬
sprüngliche Br o p h y sehe Vorgehen verschiedentlich abge¬
ändert und modifiziert worden.
Wenn die Tatsache, dass bei Gaumenspalten der Ober¬
kiefer abnorm breit ist, auch schon älteren Autoren bekannt
war, so wurde dem Prinzip des Aneinanderrückens der Spalt¬
ränder doch zugrunde gelegt der Brophy sehe Satz: „Dass
bei Gaumenspalten der Oberkiefer ausein¬
andergewichen und um die Spaltbreite zu
breit s e i“.
Wollen wir uns näher mit den Breiteverhältnissen des
Oberkiefers bei Gaumenspalte beschäftigen, so ist es zweck¬
mässig, die durchgehende Form der Gaumenspalte von der
nicht durchgehenden zu unterscheiden. Durchgehend heisst
der eine Teil der Missbildung deshalb, weil in diesen Fällen der
Spalt nicht nur durch das Zäpfchen, den ganzen weichen und
harten Gaumen, sondern auch noch durch den Alveolarfort¬
satz durchgeht. Gerade durch das Vorhandensein der Spalte
im Alveolarfortsatz sind die Fälle durchgehender Spalte weit
in den Vordergrund unseres Interesses gerückt. Von diesen
Fällen durchgehender Spalte ist die weitaus häufigste Form die
einseitig durchgehende Gaumenspalte, diese soll deshalb im
folgenden in erster Linie berücksichtigt werden.
Zwecks genaueren Studiums der anatomischen Verhält¬
nisse der Spaltbildung habe ich zahlreiche Oberkiefermes¬
sungen vorgenommen. Diese wurden ausnahmslos an Kiefer¬
gipsabdrücken von Kindern mit angeborener Gaumenspalte
vorgenommen. Ich betone, dass zu solchen Messungen nur
Kinder herangezogen wurden, bei denen noch keinerlei Ein¬
griffe im Bereich der Spaltbildung vorgenommen worden
waren, dass insbesondere die Operation der Hasenscharte
noch nicht ausgeführt worden sein durfte.
In erster Linie wurden bei diesen Messungen berück¬
sichtigt: Grösster Abstand der Alveolarfort¬
sätze voneinander, Breite der Gaumenplatten,
Neigungswinkel derselben, Spaltbreite und
Spaltform, sowie Verhalten von Vomer und
Zwischenkiefer.
Unter dem „Neigungswinkel“ der Gaumenplatten wurde
der Winkel verstanden, den die Gaumenplatte mit einer durch
den Alveolarfortsatz derselben Seite gedachten vertikalen
Ebene bildet. Dieser Winkel lässt sich am Gipsmodell direkt
mit Hilfe eines Winkelmessers ablesen. Von ganz beson¬
derem Interesse war auch das Studium der
Form der Gesamt spalte, gerade ihm verdanken wir
sowohl theoretisch als auch praktisch wichtige Ergebnisse.
Um die Resultate dieser Messungen verwerten zu können,
mussten zuerst die entsprechenden Normalmasse gesunder
Oberkiefer festgestellt werden. Ich habe zu diesem Zweck
an ca. 150 Gipsabdrücken normaler Säuglingskiefer die uns
hauptsächlich interessierenden Grössenverhältnisse festgestellt,
und zum Vergleich mit den aus den Messungen an Gaumen¬
spaltenkindern erhaltenen Resultaten herangezogen.
Hinsichtlich der grössten gegenseitigen Entfernung der
Alveolarfortsätze ergab sich, dass deren Distanz bei im
ersten Lebensjahre stehenden Kindern mit einseitig durch¬
gehender Gaumenspalte grösser ist, als bei gleichalterigen
Kindern mit normalem Oberkiefer. Der Distanzunter-
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
schied ist ein ziemlich bedeutender, und bc-
trägt bei einer als Normaldistanz der Alveo¬
larfortsätze im ersten Lebensjahre anzu¬
sehen d e n I) u r c h s c h n i t t s e n t f e r n u n g v o n 3,13 cm
0,8 cm.
Die Gaumenplatten dagegen erwiesen sich
als n o r in a 1 breit; sie sind also — wenigstens hinsichtlich
ihrer Breite — an dem Zustandekommen der Spalte ursächlich
nicht beteiligt. Bestätigen aber konnte ich durch meine
Messungen, dass die Gaumenplatten bei einseitig durchgehen¬
der Spalte (dasselbe gilt für die doppelseitig durchgehende
Spalte) steiler stehen, als die Gaumenplatten eines normalen
Kiefers. Der Neigungswinkel der Gaumenplatte der Spaltseite
ist — auf die vertikale Ebene bezogen — gewöhnlich etwas
kleiner, als der der nicht gespaltenen Seite, die Platte der
Spaltseite steht also etwas steiler. Bekanntlich schwankt die
Winkelstellung der Platten auch bei normalen Kiefern inner¬
halb ziemlich weiter Grenzen. Meine Messungen haben als
Schwankungsbreite des Neigungswinkels der Gaumenplatten
bei Säuglingen einen Winkel von durchschnittlich 20 0 ergeben.
Innerhalb derselben Grenze bewegen sich
dieSchwankungen beiSpaltbildung desOber-
kiefers, aber die Schwankungen bewegen sich
bei dieser innerhalb höherer Breiten. Wir können etwa
sagen : „D er Neigungswinkel der Gaumen¬
platten bei Säuglingen mit normalem Ober¬
kiefer schwankt zwischen 45 und 65°, bei
gleichalterigen Kindern mit durchgehender
Gaumenspalte zwischen 35 und 55 °“.
Bevor ich auf die Ergebnisse der Messungen hinsichtlich
der „Spaltbreite“ eingehe, ist es notwendig, den Begriff
„Spalte etwas näher zu definieren. Der im Gaumen vor¬
handene eigentliche „Spalt“ deckt sich bei einseitig durch¬
gehender Gaumenspalte keineswegs mit der „Entfernung der
Gaumenspaltränder von einander“; denn gewöhnlich hat sich
in diesen Fällen der verbreiterte, horizontale Vomer dem
Gaumenplattenrand der einen Seite angelegt, und geht un¬
mittelbar in die Gaumenplatte selbst über; der Vomer ist also
in diesen Fällen wesentlich mitbeteiligt an der Bildung des
Gaumendaches. Auf der anderen Seite dagegen ist die Ver¬
einigung des Vomer mit dem Gaumenplattenrand dieser Seite
nicht zustande gekommen; es besteht ein meist ziemlich
schmaler Spalt zwischen Vomer und Gaumenplattenrand.
Letzteren Spalt bezeichne ich als „relative Spalt-
b reite“; die Entfernung der Gaumenplattenränder vonein¬
ander dagegen als „absolute Spaltbreit e“.
Nur die absolute Spalte ist von praktischer Bedeutung,
und nur sie ist geeignet, uns ein wahres Bild von der Be¬
deutung der Missbildung im einzelnen Falle zu geben.
Die Breite der absoluten Spalte schwankt in den Fällen
einseitig durchgehender Gaumenspalte zwischen 1,0 und
1,7 cm. Die absolute Spaltbreite ist durch¬
schnittlich grösser, als die Vermehrung der
Alveolardistanz. Die aus dem Satz Brophy s: „Bei
Gaumenspalten ist der Oberkiefer auseinandergewichen und
um die Spaltbreite zu breit“ — sich hinsichtlich der Behand¬
lung der Gaumenspalte ergebende, theoretische Schluss¬
folgerung müsste eine parallele gegenseitige Annäherung bei¬
der Oberkieferhälften bis zur Berührung der Gaumenplatten-
ränder fordern, somit eine pathologische Ver¬
schmälerung des Oberkiefers herbeiführen.
Von der grössten Bedeutung für die Kenntnis der Ana¬
tomie der Gaumenspalte ist das Studium der Form
der absoluten Spalte. An dieser Stelle sei nur hervor¬
gehoben, dass die „normale Form“ der absoluten
Spalte die mit parallelen Spalträndern ist.
Parallele Spaltränder im Bereich des harten wie des weichen
Gaumens zeigt sowohl die ursprüngliche Gaumenspalte, als auch
die Gaumenspalte nach vielen Jahren, vorausgesetzt, dass keiner¬
lei Massnahmen getroffen worden sind, die geeignet gewesen
wären, die Spaltform in irgend einer Weise zu beeinflussen.
Mit derselben, ja mit noch grösserer Regelmässigkeit, mit der
ein paralleler Verlauf der Spaltränder beobachtet wird, sehen
wir, dass die Enden des gespaltenen Zäpfchens
nach der Spaltmitte gekehrt sind, und sich
Nr. 29.
162$
häufig — auch bei weiten Spalten — in der
Medianlinie berühren.
Die Stellung des Zwischenkiefers ist bei einseitig durch¬
gehender Spalte ebenfalls eine typische. Der Zwischenkiefer,
der mit dem Alveolarfortsatz der nicht gespaltenen Seite ver¬
einigt ist, ist stets mehr oder weniger nach aussen und vorne,
also vom Alveolarfortsatz der anderen Seite weggedreht.
Allein schon diese typische, abnorme Stellung des Zwischen¬
kiefers muss uns davon abhalten, eine vollkommene An¬
näherung der Spaltränder — vor der Korrektur dieser ab¬
normen Zwischenkieferstellung — durchzuführen.
In engstem Zusammenhang mit der Spalte im Alveolar¬
fortsatz und Gaumen steht die Spaltung der Oberlippe. Diese
soll hier in erster Linie vom praktisch therapeutischen Stand¬
punkt aus betrachtet werden.
Wie eben erwähnt, steht der Zwischenkiefer bei einseitig
durchgehender Spalte regelmässig nach aussen und vorne ge¬
dieht. Von dem Grade dieser abnormen Stellung des
Zwischenkiefers hängt die Breite der Spalte im Bereich des
Alveolai foi tsatzes in erster Linie ab. Es wird also unsere
nächste Aufgabe in der Behandlung der Gaumenspalte sein,
den Zwischenkiefer in die richtige Stellung zu bringen, und
den Spalt im Alveolarfortsatz zu schliessen. Gelingt uns
dies, so haben wir die durchgehende Gaumenspalte in eine
einfache, nicht durchgehende verwandelt, und haben zugleich
die Hauptschwierigkeit in der Korrektur der ganzen Miss¬
bildung überwunden.
Von den verschiedenen Arten, auf welche ein Redresse¬
ment des Zwischenkiefers erreicht werden kann, erwähne ich
beispielsweise das Vorgehen K ä r g e r s, der den Zwischen¬
kiefer auf unblutige Weise redressieren, ihn dem Alveolarfort¬
satz der anderen Seite nähern und ihn in seiner neuen Lage
mittels durch die Alveolarfortsätze gelegter Drähte erhalten
konnte. Eine andere Methode, bei der vor allem eine Schädi¬
gung der Zahnkeime vermieden werden kann, habe ich kürz¬
lich beschrieben ‘); die genannte Methode besteht darin, dass
man aus dem harten Gaumen und dem anschliessenden Teile
des Vomer der nicht gespaltenen Seite ein mit der Basis am
Spalt gelegenes Dreieck ausschneidet und darnach den
Zwischenkiefer in die gewünschte Stellung bringt.
Kein anderes Mittel aber ist so einfach, so
schonend und im Erfolg so sicher in bezug
auf das Redressement des Zwischenkiefers,
wie die einfache Operation der Hasenscharte.
Unter dem Einfluss der vereinigten Oberlippe rückt der Zwi¬
schenkiefer ganz regelmässig im die normale Lage, der Alveolar¬
bogen rundet sich, zugleich wird die Alveolarspalte ge¬
schlossen. Damit wird die durchgehende Gau¬
menspalte in eine nichtdurgehende verwan¬
delt. Der Einfluss der vereinigten Oberlippe auf die Spalte
im Alveolarfortsatz lässt sich in schöner und exakter Weise
an Kiefergipsmodellen demonstrieren, die vor und einige Zeit
nach der Hasenschartenoperation von Kindern mit durch¬
gehender Spaltbildung des Oberkiefers genommen wurden 2).
Wie die Messungen an den xA—% Jahre nach der Ver¬
einigung der Lippenspalte genommenen Gipsabdrücken er¬
geben, findet unter dem Einfluss der vereinigten Oberlippe
auch eine Annäherung der Alveolarfortsätze und eine Ver¬
schmälerung der Spalte, besonders im vorderen Teil des harten
Gaumens statt. Die ursprüngliche Form der
Spalte mit parallelen Spalträndern erfährt
somit unter dem Einfluss der vereinigten
Oberlippe eine charakteristische Verände¬
rung. Die Alveolarspalte ist geschlossen, der Spalt im vor¬
deren Teil des harten Gaumens erheblich verengert; weiter
nach hinten entfernen sich die Spaltränder des harten Gau¬
mens etwas von einander. Die Spalte des harten Gaumens
hat also jetzt die Form eines Dreieckes, dessen Spitze dem
Alveolarfortsatz, dessen Basis der Entfernung der hinteren
Enden des harten Gaumens entspricht. Von Wichtigkeit ist,
dass die Form der Spalte im Bereich des
) Zbl. f. Chir. 1914 Nr. 12. Zur Frage des Verschlusses der
Kieferspalte bei „einseitig durchgehender Gaumenspalte“.
*) D. Zschr. f. Chir. 1914. Die Gaumenspalte und deren operative
Behandlung von Dr. D r a c h t e r.
4
iOZfi
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
weichen Gaumens zunächst noch nicht be¬
einflusst wird: d. h. die Spaltränder des weichen Gau¬
mens verlaufen einander noch parallel, die Zäpfchen stehen
nach innen gerichtet und berühren sich gewöhnlich mit ihren
Enden.
Ein völlig verändertes Bild bietet uns die Spaltbildung
nach einigen Jahren. Die Form der Spalte, die wir jetzt be¬
obachten, ist charakterisiert durch die grosse Breite der
Spalte, besonders in deren rückwärtigem Teil bei geschlosse¬
nem Alveolarbogen.
Der Typus dieses „Stadiums der Spalt¬
bildung“ ist: die Dreiecksform der Gesamt¬
spalte.
Beide Alveolarhälften liegen einander völlig an, oder sind
organisch miteinander verwachsen; die Spaltbreite wird nach
hinten um so grösser, je weiter wir uns von dem Alveolar¬
bogen entfernen, und erreicht ihre grösste Breite zwischen
den hintersten Enden des gespaltenen Zäpfchens. Diese sind
jetzt nicht mehr einander zugekehrt, sondern bilden die Fort¬
setzung der nach hinten immer mehr auseinanderweichenden
Ränder der Spalte des harten und des weichen Gaumens.
Schon bei oberflächlicher Betrachtung dieses Stadiums der
Spaltbildung gewinnt man den Eindruck, als ob die hintersten
Partien beider Oberkieferhälften um den geschlossenen Al¬
veolarfortsatz als punctum fixum nach aussen und von einander
gezogen worden wären.
Diese drei beschriebenen Formen der Spaltbildung sind
überaus charakteristisch und mit grösster Regelmässigkeit zu
beobachten.
Fig. 1 zeigt das I. S t a d i u m der Spaltbildung,
oder das „Stadium der unberührten Gaumen¬
spalt e“. Die Spaltränder sowohl des harten als des weichen
Gaumens verlaufen einander parallel; die beiden Hälften des
Zäpfchens sind einander zuge¬
kehrt. Die Spaltbreite ist in
allen frontalen Ebenen unge¬
fähr dieselbe.
Fig. 2 zeigt das II. Sta¬
dium, ode.r das „Stadium
der optimalen Spalt¬
breite“. DielAlveolarspalte
ist geschlossen; im Bereich
des harten Gaumens zeigt die
Spalte Dreiecksform; im Be¬
reich des weichen Gaumens verlaufen die Spaltränder einander
parallel; die beiden Hälften des Zäpfchens sind einander zu¬
gekehrt. Grösste Spaltbreite am Uebergang vom harten zum
weichen Gaumen.
Fig. 3 zeigt das III. oder das „definitive Sta¬
dium“ der Spaltbildung. Es ist gekennzeichnet durch
die grosse Breite der Spalte besonders in deren rückwärtigem
Teil bei geschlossenem Alveorlarbogen. Typisch für
dieses Stadium ist die jetzt bestehende Drei¬
ecksform der Gesamtspalte. Die grösste Breite der
Spalte ist zwischen den hintersten Enden des gespaltenen
Zäpfchens. Diese sind nicht mehr einander zugekehrt, son¬
dern verlaufen in der Richtung der Spaltränder des harten
und weichen Gaumens.
Das Stadium der optimalen Spaltbreite ist
dann erreicht, wenn beide Kieferspaltränder
einander berühren; während dieses Zeitpunktes be¬
steht auch die geringste Breite der Spalte des harten und
des weichen Gaumens. Vom Schluss der Alveolar¬
spalte ab beginnt die Erweiterung der Spalte
besonders in deren rückwärtigem Teil. Wann
der Verschluss der Alveolarspalte im einzelnen Falle erreicht
wird, hängt in erster Linie von dem Zeitpunkte der Vornahme
der Hasenschartenoperation ab. Wird diese innerhalb der
ersten drei Lebensmonate vorgenommen, so fällt das Stadium
der optimalen Spaltbreite gewöhnlich in die letzten Monate
des ersten, oder in die ersten Monate des zweiten Lebens¬
jahres.
Versuchen wir unter Berücksichtigung der bisherigen Er¬
gebnisse eine kritische Stellungnahme zu den
verschiedenen Operationsprinzipien, so schei¬
Nr. 29.
nen eine gewisse, gegenseitige Annäherung beider Oberkiefer¬
hälften und ein horizontaleres Einstellen des Gaumendaches
diejenigen Massnahmen zu sein, von denen ein anatomisch wie
funktionell den normalen Verhältnissen sich möglichst nähern¬
des Resultat zu erhoffen ist.
Eine parallele gegenseitige Annäherung beider Oberkiefer¬
hälften kann auf blutige oder unblutige Weise erreicht werden.
Von den unblutigen Methoden, die zu diesem Zwecke ange¬
wandt wurden, verdienen am meisten Beachtung die Versuche
der alten (vor v. Langenbeck) Chirurgen, durch perma¬
nenten Druck von aussen auf die Processus zygomatici diese
gegenseitige Annäherung der Oberkieferhälften herbeizuführen.
In neuerer Zeit hat K r e d e 1 ähnliche Versuche unternommen.
In praxi mit Hilfe dieser Methode erreichte Resultate sind
jedoch bisher nicht bekannt geworden.
Die Anwendung orthodontischer Apparate kann nur in
Ausnahmefällen in Betracht kommen. Denn einmal kann bei
Anwendung dieser die Korrektur der Missbildung nicht früh¬
zeitig genug in Angriff genommen werden, würde viel-
mehr stets in das III. Stadium der Spaltbildung
fallen, in welchem die Plastik eines genügend
langen weichen Gaumens sehr erschwert,
nicht selten sogar unmöglich ist; dann aber
kommt bei dieser Methode eine Umbiegung der Alveolar¬
fortsätze nach innen zustande, verbunden mit einer ver¬
mehrten Steilstellung der Gaumenplatten, während die ab¬
solute Spalte selbst nicht, oder wenigstens nicht in ent¬
sprechendem Masse beeinflusst wird.
Unter den Methoden der blutigen gegenseitigen Annähe¬
rung der Spaltränder ist die älteste die D i e f f e n b a c h sehe.
Dieffenbach durchmeisselte die Gaumenplatten nahe dem
Alveolarfortsatz und zog sie mittels Silberdrahtes in der Mitte
zusammen. Wie Lex er berichtet, soll diese Methode be¬
sonders in Frankreich Anhänger gefunden haben.
Unter den neueren, hierhergehörigen Verfahren steht im Vorder¬
gründe die B r o p h y sehe Methode. B r o p h y sucht — ebenso
wie die anderen neueren Autoren — nicht nur die Gaumenplatten,
sondern Alveolarfortsätze mitsamt den Gaumenplatten einander zu
nähern. Das Verfahren soll am besten innerhalb der ersten Lebens-
Xvochen ausgeführt werden. Es besteht darin, dass man die unteren
Oberkieferfortsätze einander gewaltsam, d. h. mittels Daumen- oder
Zangendruck einander soweit nähert, bis die Spaltränder aneinander
gebracht werden können. Aus den B r o p h y sehen Mitteilungen
wird allerdings nicht klar ersichtlich, ob damit die Ränder der abso¬
luten, oder nur die der relativen Spalte aneinander gebracht werden.
Wir haben aber Grund zu der Annahme, dass höchstens der Schluss
der relativen Spalte in der genannten Weise bewerkstelligt werden
kann. Gelingt der Spaltschluss auf diese Weise nicht, so müssen die
Alveolarfortsätze möglichst submukös durchschnitten oder durch-
meisselt und dadurch vom Oberkiefer mehr oder weniger losgetrennt
und so beweglich gemacht werden. Konnten die abgemeisselten Teile
darnach nach der Mitte hin verschoben und die Spaltränder aneinander
gebracht werden, so werden sie jetzt mit Hilfe von Silberdrähten, die
durch die Alveolarfortsätze hindurchgehen, in ihrer neuen Lage er¬
halten. Etwa iVs Jahre später erfolgt die Naht des weichen Gaumens.
ln ähnlicher Weise wie B r o p h y ist K ä r g e r vorgegangen, der
nach Schluss der Kieferspalte durch manuellen Druck die Annäherung
der Oberkieferhälften anstrebt und das so erreichte Resultat eben¬
falls mit Hilfe von durch die Alveolarfortsätze gehenden Drähten zu
fixieren sucht. Eine blutige Mobilisation der unteren Oberkiefer¬
fortsätze nimmt Kärger jedoch prinzipiell nicht vor; auch legt
er auf eine Annäherung beider Seiten bis zum völligen „Spaltvcr-
schluss“ keinen Wert, begnügt sich vielmehr — soweit ich der
K ä r g e rschen Arbeit entnehme — gewöhnlich mit einer gewisssen
Verschmälerung der Spalte. Erst später wird dann der noch be¬
stehende Spalt mit Hilfe des \. L a n g e n b e c k sehen Verfahrens
geschlossen.
Auf zwei andere, von Helbing und Codivilla ge¬
übte Methoden will ich hier nicht näher eingehen, da die
beiden Autoren ihr Verfahren nicht zu einer Normalmethode
in der operativen Behandlung der Gaumenspalte erhoben
haben.
Dagegen muss an dieser Stelle noch kurz auf das von
Schoemaker angegebene Verfahren eingegangen werden.
Für Schoemaker waren hauptsächlich Misserfolge mit der
Br ophy sehen Methode die Veranlassung, den Verschluss der Spalte
auf eine etwas andere Art und Weise als Br ophy es tat, zu ver¬
suchen. Besonders war es Schoemaker, der die Schwächen der
B r o p h y sehen Methode sehr wohl erkannte, darum zu tun, die
Umbiegung der Alveolarfortsätze nach innen und die mit dieser
zusammenhängende Vermehrung der Steilstellung der Gaumenplatten
21. Juli 1914.
JVjUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
fr,“ WerSldeknommen.h ^ VOn 13 r 0 p h V verwendeten Drähte sollten
Schoemaker King so vor, dass er Alveolarfortsätze samt
( ja mnenplatten vom Nasenloch aus mittels Meisseis mobilisierte und
unter hebelnden, dehnenden und drehenden Bewegungen allmählich
aneinander brachte. Dabei sollten die Alveolarfortsätze eher etwas
nach aussen umge legt werden, so dass die Gaumenplatten dadurch in
eine mehr horizontale Stellung kamen. Nach Anfrischung der Spalt-
SÄ? ausgeführt.16 Nah‘' P'as,ik des «**« Q»™» wird
Soweit die B r o p h y sehe Methode die gegenseitige An-
nahrung der „Oberkieferhälften“ auf unblutige Weise herbei-
zuführen sucht, kann diese Annäherung — was auch H e 1 -
hing zugibt — nur dadurch geschehen, dass sich die Alveolar-
i fortsatze zugleich nach innen umlegen. Dadurch wird aber
die Deformität entschieden vermehrt, die Gaumenplatten
stellen .mch steiler, die Annäherung der Gaumenplattenränder,
V 1'-,dlC ^ C1 en&erung der Spalte bleibt weit zurück hinter der
Annäherung der Alveolarfortsätze. Eine vollkommene gegen¬
seitige Annäherung der Gaumenplattenränder wird nach
unseren Erfahrungen auf unblutige Weise überhaupt nicht er¬
reicht.
Kärger, der im Sinne der unblutigen B r o p h y sehen
Methode vorgegangen ist, verzichtet deshalb auch auf ein voll¬
kommenes Aneinanderbringen der Spaltränder und lässt es bei
einer gewissen Annäherung derselben bewenden. Der Ver¬
schluss der Spalte wird später, wie erwähnt, nach dem Ver¬
fahren von v. Langenbeck ausgeführt.
W ird aber eine blutige Mobilisation der
Al veolarf ortsätze vor ge nommen, wie es Bro-
phy für einen Teil der Fälle empfiehlt und wie es bei der
schoemaker sehen Methode geschieht, so gibt allein
schon d er Eingriff als solcher zu den schwer-
.stenBedenken Anlass. Insbesondere ist die Gefahr
ler Blutung eine sehr grosse. Aber auch die Gefahr der In-
ektion der durch die Operation geschaffenen Wundflächen
st bei der Nachbarschaft der Bakterienflora der Mundhöhle
keineswegs zu unterschätzen. Abgesehen davon ist die Zahl
ler Misserfolge bei diesen Methoden eine sehr grosse, und be-
auft sich bei der S c h o e m a k e r sehen Methode in der Hand
,es Autors selbst auf 33 Proz. Ausserdem aber würde im
alle des Gelingens der Operation — wenigstens der Bro-
. y scben - eine pathologische Verschmälerung des Ober-
:efers erfolgen. Ein weiterer, schwer wiegender Nachteil
Beser beiden Methoden besteht aber in der unvermeidlichen
erstörung von Zahnkeimen. Dieser Umstand allein
lüsste schon genügen, uns von der Anwen-
u n g der genannten Methoden abzuhalten.
Das Prinzip der Spaltausfüllung kann auf
irund der durch meine Messungen festgestellten Resultate
icht empfohlen werden, insoferne es die abnorme
erbreiterung des gespaltenen Oberkiefers
nbeeinflusst lässt und die falsche Stellung
es Zwischenkiefers (bei einseitig durchgehender
palte) nicht oder nicht gebührend berück-
ICv, Praktisch kommt dem genannten Prinzip auch
. . mir wenig Bedeutung zu. weil die meisten auf diesem
rmzip ^hissenden Methoden keinen knöchernen „harten
aumen“ herstellen, und somit anatomisch wie funktionell ein
inderwertiges Resultat ergeben müssen.
Unter den Ueberbrückungsverfahren ist das
teste die Methode von Krimmer. Sie besteht in der Ab-
sung der Gaumenplattenüberzüge an den Alveolarrändern
id dem Umklappen derselben um die Spaltränder als Lappen¬
isis. Dieses Verfahren gibt unzulängliche Resultate und ge-
esst nur noch historisches Interesse.
Dagegen findet die L a n e sehe Methode der Spaltüber-
uckung noch Anwendung. L a n e operiert innerhalb des
;sten oder doch der ersten Lebenstage. Er überbriiekt den
•>alt mit grossen Lappen, welche die ganze Bekleidung des
'Veolarfortsatzes und event. sogar Teile der Wangenschleim-
u umfassen, und legt diese ebenfalls um die Spaltränder als
iisis um 180° gedrehten Lappen in eine künstliche Tasche,
tlche im Bereich des harten Gaumen zwischen Schleimhaut-
Iriostbekleidung und knöcherner Gaumenplatte, im Bereich
[s weichen Gaumens zwischen nasaler und bukkaler Schleim-
tut gelegen ist.
_ 1627
erscheint?,n!raiti0n a,m..erstJen Lebenstage oder kurz darnach
t scneint uns als zu früh und als ein zu grosser Eingriff für den
h» ,Stunder].a'te1n Säugling. Technisch ist die L a n e -
sehe Methode ziemlich kompliziert. Sie hat, wie Helbing
hei vorhebt, überdies den grossen Nachteil, dass im Falle des
M.sshngens der Operation „kein anderes Verfahren noch Aus-
fedenfn f den ,Verscbhlss ^ Spalte bietet“. Wir erblicken
jedenfalls in dem von L a n g e n b e c k sehen Verfahren ein
SiCherhei‘ ZUnl ZielC führe"des
Unzweifelhaft ist unter den Ueber-
spHp vU0 f sPeth oden das von Langenbeck-
s c h e Verfahren die Methode der Wahl. Das An¬
wendungsgebiet dieser Methode ist bei sachgemässem Vor-
f,fnh.e,n en oahefU unbeschränktes. Das anatomische wie
friedigendes ReSU at m der Hand d;es Qeübten ist ein sehr be-
w„A^n aUCn die L a ngenbeck sehe Methode kann das,
was man sich von ihr verspricht, nur halten, wenn sie im
richtigen Zeitpunkt ausgeführt wird, d. h. wenn sie nicht erst
im dritten Stadium der Spaltbildung Anwendung findet. Der
gegebene Zeitpunkt für die Operation der
Gaumenspalte nach v. Langenbeck ist das
Stadium der optimalen Spaltbreite.
Wird im Stadium der optimalen Spalt-
o reite nach v. Langenbeck operiert, so stellt
sich unser Vorgehen dar als eine Kombination
von Spaltannaherung und Spaltüberbrückung
mit gle1 ch zeitigem horizontalerem Ein¬
stellen der Gaumenplatten.
Aus dem dermatolog. Stadtkrankenhause II Hannover-Linden.
Linden.
Thigan,
ein neues äusserliches Antigonorrhoikum.
Von Dr. med. Gustav Stümpke, Oberarzt.
Thigan, ein neues äusserliches Antigonorrhoikum, das
seit kurzem von Dr. G. H e n n i g - Berlin in den Handel ge¬
hl acht wird, ist eine chemische Verbindung von Thigenol und
S:,,1™ Laufe V0Tn ca- ll/> Jahren wurden annähernd
4nn Falle in unserem Krankenhause mit ihm behandelt Von
einer Veröffentlichung der Krankengeschichten sehe ich ab, da
damit die Publikation über den Rahmen der beabsichtigten
kurzen Mitteilung hinausgehen würde.
Der Hauptvorzug des Thigans ist der, dass es in der
Konzentration, in der es bei uns gegeben wurde — 1 mg Silber
m 1 ccm — sehr wenig Reizerscheinungen macht. Es wurde
dnhei nicht nur überhaupt bei akuten Gonorrhöen gern und mit
.rfolg angewandt, sondern bewährte sich speziell überall da,
wo der Verlauf der Gonorrhöe an sich schwer (schmerzhafte
Sensationen bei foudroyant verlaufender Anteriorgonorrhöe)
oder wo Komplikationen des Trippers, wie Epididymitis, Pro¬
statitis Zystitis, Spermatozystitis Vorlagen, die eine möglichst
weitgehende Schonung des Urogenitaltraktus erforderten
. n,es^ . *ute Verträglichkeit des Thigans beruht auf
seinem gleichzeitigen Gehalt an Thigenol, das, wie aus seinem
rebrauch in der Dermatologie und Gynäkologie bekannt ist,
eine antiphlogistische und leicht resorbierende Wirksamkeit
entfaltet.
Dass unter dieser antiphlogistischen Wirkung die bakteri¬
zide, gegen die Gonokokken gerichtete nicht leidet, bewiesen
uns die mikroskopischen Präparate, die bei der Mehrzahl der
Kranken, wie sonst auch, w ö c h e n 1 1 i c h e i n m al, bei einer
Reihe besonders ausgewählter Fälle täglich, durchgesehen
wurden. Da zeigte sich, dass beispielsweise in einem Falle
nut intrazellulären Gonokokken im Uretralschleim schon am
4. I age nach Beginn der Injektionen keine Gonokokken mehr
gefunden wurden. Im allgemeinen dauerte es 8 Tage bis
• ochen bis ein Durchschnittsfall regelmässig sich
wiederholende negative Gonokokken befun de
aufwies.
Voraussetzung für diese Befunde war allerdings, dass die
Behandlung absolut streng durchgeführt wurde: 5 mal täglich
1628
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
Injektionen in die Harnröhre, Verweildauer in der Harnröhre
mindestens 10 Minuten, Bettruhe und zweckmässige Diät des
Kranken.
Ambulant behandelte Fälle erforderten natur-
gemäss et was längere Zeit, um das gleiche günstige Re¬
sultat erkennen zu lassen. Doch waren auch liier die Erfolge
im allgemeinen erfreulich. Die bakteriziden Eigenschaften des
Thigans in vitro sind nach der üblichen Methodik von bak¬
teriologischer Seite und zwar von Hern Prof. Frey- Zürich )
festgestellt worden, worüber an anderer Stelle veröffentlicht
werden soll.
Hervorgehoben muss werden, dass das T h i g a n von den
Patienten fast durchweg als milde empfunden
und daher anderen, mehr reizenden Medikamenten vorgezogen
wurde.
Er scheint in der Tat, dass die Kombination der adstrin¬
gierenden mit der bakteriziden Komponente, wie sie im 1 h i -
g a n (Thigenolsilber) vorliegt, sich als zweckmässig erweisen
dürfte.
Man kann aus diesem Grund das T h i g a n auch i m k a -
tarrhalischen Stadium der Gonorrhöe, aller¬
dings in etwas geringerer Konzentration, mit Erfolg zur An¬
wendung bringen.
Selbstverständlich ist, dass natürlich auch Fälle beobachtet
wurden, in denen die Wirkung des Thigans hinter der anderer
bekannter Antigonorrhoica, also z. B. des P r o t a r g o 1 s, des
Hegonons, offenbar zurückblieb. Denen standen solche
gegenüber, wo das vorliegende Silbersalz bei Misserfolgen
anderer erfolgreich in die Bresche springen konnte. Man wird
eben auch bei dem Thigan sich nicht auf ein Medikament für
alle Fälle festlegen können, sondern im gegebenen Falle kom¬
binieren müssen. (Verschiedenheit der üonokokkenstännne
und ihre verschiedene Reaktion auf Silbersalze.) Ueber die
Behandlung der Frauengonorrhöe mit Thigan stehen
mir grössere Erfahrungen nicht zur Verfügung, da mir seiner¬
zeit die diesbezügliche Abteilung des Krankenhauses noch nicht
unterstellt war.
Um den Bedürfnissen der Praxis entgegenzukommen, gibt
die Firma Dr. G. Hennig, Berlin, das Thigan in zwei
Packungen heraus. Der Packung I, die ebenso wie II 200 ccm
des Medikamentes enthält, ist eine Tripperspritze beigegeben,
ebenso ein Messgefäss. Damit die unsaubere Spritze nicht
mit dem Inhalt der Thiganflasche in Berührung kommt, wird
das Thigan nicht aus der Flasche aufgezogen, sondern erst
in der gewünschten Menge in das Messgefäss umgegossen und
von dort aus aspiriert und injiziert.
Meine Erfahrungen möchte ich dahin zusammenfassen,
dass ich das Thigan für ein gutes äusserliches
Antigonorrhoicum halte, glaube, dass es in seiner
Kombination von adstringierenden und bak¬
teriziden Eigenschaften eine Bereicherung
der Gonorrhöetherapie d a r s t e 1 1 1, und möchte es
den Herren Kollegen angelegentlichst zur Nachprüfung emp¬
fehlen. _
Ueber eine neue Vorrichtung zur Vereisung kleinerer
zirkumskripter Hautbezirke mit Aethylchlorid.
Von Dr. Oswald Berneker in Berlin.
Der Kohlensäureschnee hat, namentlich in der Kosmetik, eine
grosse Bedeutung gewonnen. Teils wird er, in Stifte geformt, durch
kürzeres oder länger dauerndes Aufpressen zur Beseitigung von
kleinen Neubildungen als alleiniges Mittel gebraucht, teils dient er,
bei ganz flüchtigem Aufpressen, in dieser Form zur Anästhesierung
für eine Encheirese anderer Art, so z. B. für das Kromayer sehe
Stanzverfahren. Jedoch erfordert die Herstellung von Kohlensäure¬
stiften immerhin eine gewisse Anzahl von Apparaten, die wohl der
Dermatologe in sein Instrumentarium aufnehmen kann, mit der sich
aber der allgemeine Praktiker, wenn er nicht zufällig viel mit Kos¬
metik zu tun hat, wohl nicht gern belastet.
Nun hat bekanntlich der Aethylchloridsoray (ebenso Methyl-
Aethylchlorid usw.) auch die Eigenschaft, eine oberflächliche Ver¬
eisung der Haut und damit eine Anästhesie hervorzubringen. Die
Wirkung muss zwar eine andere sein: Die Kälte entsteht als Ver¬
dunstungskälte, es wird also nicht die tiefe Temperatur erreicht, wie
beim Kohlensäureschnee, auch fehlt die mit dem Kohlensäurestift
mögliche mehr oder minder starke Kompression. Auf der anderen
Seite ist wohl durch das Chlor eine chemische Komponente der Wir¬
kung mit leicht destruierender Tendenz gegeben. Jedenfalls wurden
auch vom Aethylchloridspray manche Resultate berichtet, die an die
Wirkungen des Kohlensäureschnees erinnern. Ich erwähne nur die
Entfernung von Warzen nach vorheriger Abtragung im Hautniveau
und die Beseitigung von spitzen Kondylomen durch alleiniges Ver¬
eisen mit Aethylchlorid.
Der Aethylchloridspray ist an und für sich wohl handlicher und
praktikabler als die Kohiensäurevereisung. Wo es aber auf An¬
wendung an ganz zirkumskripten Hautstellen ankommt, wie in der
Kosmetik, da zeigt sich eine Schwierigkeit, nämlich den Strahl und
damit die Kältewirkung auf eine gewünschte Hautstelle zu dirigieren.
Besonders im Gesicht, in der Nähe der Augen, macht sich dieser
Uebelstand unangenehm bemerkbar.
Vor Jahren schon kam ich auf den Gedanken, hier Abhilfe zu
schaffen, indem ich das Zielen dadurch erleichtern wollte, dass ich
den Strahl mit einem Glastrichter abfing, dessen kleine Oeffnung auf
die zu behandelnde Hautpartie aufgepresst wurde, und um die durch
den Luftabschluss verminderte Verdunstung zu beschleunigen, liess
ich an diesem Trichter eine Glasröhre anbringen, durch die mittels
eines Gummigebläses ein Luftstrom auf den Boden des Trichters ge¬
leitet wurde. Aber diese Vorrichtung bewährte sich nicht. Es gelang
erst der Firma Louis & H. Loewenstein, Berlin N., an die ich mich
wandte, eine Anordnung zu schaffen, die jetzt allen Anforderungen
entspricht.
Der kleine handliche Apparat besteht nunmehr aus einem
metallenen Trichter, der zum Schutz der haltenden Finger gegen die
Kälte mit wärmeisolierendem Material umgeben ist. Durch eine am
Boden des Trichters mündende Röhre wird durch ein Gebläse ein
Luftstrom zugeführt, der aus einer etwas darüber gelegenen spalt¬
förmigen Oeffnung entweichen kann. Um das Herausspritzen und
Rcgurgilieren des Aethylchlorids zu verhindern, ist über der Trichter¬
öffnung eine etwa halbmondförmige Glasplatte angebracht. Endlich
ist am oberen Rande ein Halter für die Aethylchloridtubc befestigt,
so dass der Arzt ohne Assistenz mit beiden Händen das kleine In¬
strumentarium zur Anwendung bringen kann.
Herrn Dr. Winkler, der den Apparat in der Hautabteilung des
Ostkrankenhauses in Berlin erprobt hat, sage ich an dieser Stelle
meinen besten Dank _ __
Eine Büchse für sterile Gaze.
Von Dr. 0. Michael in Leipzig.
Das Modell, dessen einfache Einrichtung durch beigegebene Ab¬
bildung erläutert wird, ist zur Sterilisierung, Aufbewahrung und zum
Transport streifenförmiger Gaze
bestimmt. Es soll, ohne in den
einzelnen Teilen originelles zu
enthalten, diejenigen Eigen¬
schaften kombinieren, deren
Fehlen das Arbeiten mit steriler
Gaze besonders in der chirur¬
gischen und geburtshilflichen
Aussenpraxis erschwert: Gute
Ausnutzung des Raumes so¬
wohl in der Büchse, als auch
in der Verbandtasche, in welcher
diese getragen wird, infolge
ihres rechteckigen Querschnit¬
tes; die flach übereinander-
gelegte Gaze lässt sich leicht
durch den Schlitz des Charnier-
deckels herausziehen. Der nicht
verwendete Teil des angerisse¬
nen Streifens bleibt unberührt,
steril, verwendungsbereit. Die
Büchse wird in verschiedenen
Grössen vom Leipziger Medizi¬
nischen Warenhaus angefertigt,
das auch Gazepackungen mit
verschiedener Imprägnierung
liefert.
Aus der Privat-Frauenklinik von L. und Th. Landau in
Zur operationslosen Behandlung des Scheiden- undj
Gebärmuttervorfalles. U*s
Von Dr. Hans Schindler, Leiter der Poliklinik.
Im Anschluss an die Arbeit von Doldi in Nr. *18 d. Wschu
möchte ich darauf hinweisen, dass das dort angegebene Verfahren
der Rrolapsbehandlung durch Gummibälle bereits im Jahre 1898 voll
dem damaligen Assistenten der Landau sehen Frauenklinik, den*
leider zu früh verstorbenen Dr. Freudenberg, ausführlich publw
ziert worden ist1).
) Leiter des vet.-path. Instituts der Universität.
J) Die ärztliche Praxis 1898 Nr. 19.
iALERIE HERVORRAGENDER ÄRZTE UND NATURFORSCHER.
-
U GO
RONECKER.
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift. Blatt 342, 1414.
Verlag von J. F. LEHMANN in München.
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1629
Wie Frendenberg schon angab, geht das Prinzip unserer
Behandlung auf die Methode von B r e i s k y zurück, der eiförmige
Pessare aus Hartgummi zur Retention von Prolapsen verwandte.
Biese B r e i s k y sehen Pessare wiederum sind auch nur eine Modi¬
fikation der von (iaricl angegebenen Kondompessare.
Angesichts der Tatsache, dass die oben erwähnte Publikation
in einer wenig verbreiteten Zeitschrift erschienen ist, ist es nicht
verwunderlich, dass die Arbeit den Fachkollcgen entgangen ist. Um
so erfreulicher ist es, dass nunmehr wieder die Aufmerksamkeit
weiter ärztlicher Kreise auf dieses Verfahren gelenkt wird, das uns
in der Tat bei der Prolapsbehandlung ausserordentliche Dienste
leistet, und dessen Wert seit mehr als 20 Jahren in der Landau-
sclien Poliklinik von Behandelten und Behandelnden gleichmässig an¬
erkannt wird.
Was die Indikation zur Anwendung dieser Methode betrifft, so
ist zu berücksichtigen, dass wir das Mittel lediglich als Surrogat der
Operation betrachten und es demgemäss nur in den Fällen anwenden,
in denen die Operation verweigert wird oder mit Rücksicht auf den
Allgemeinzustand (Marasmus, Herz- und Lungenerkrankungen etc.)
untunlich erscheint. Ferner wenden wir den Ball in der Regel nur
bei Frauen in der Klimax an.
Hinzufügen möchte ich, dass ich unter den zahlreichen Fällen, die
ich, z. T. viele Jahre, zu beobachten Gelegenheit hatte, nur einige
wenige gesehen habe, in denen der Ball in der Scheide keinen ge¬
nügenden Halt hatte oder der Patientin Beschwerden verursachte.
Besonders die Fälle von Riesenprolaps sind unserer Behandlung stets
zugänglich gewesn, so dass ich noch nie in die Lage kam, einen
Hysterophor zu verwenden. Ulzerationen der Scheide oder sonstige
Schädigungen, abgesehen von leichtem Fluor, habe ich nie gesehen,
auch dann nicht, wenn die Frauen jahrelang ihren Ball trugen, der
natürlich in angemessenen Zwischenräumen gewechselt werden muss.
Die von D o 1 d i angegebene Zange erscheint zweckent¬
sprechend und praktisch. Doch kommt für uns die Anwendung eines
derartigen Instrumentes nur selten in Frage. Wir sind vielmehr
gewohnt, einen Ball, der 6 — 8 Wochen getragen wurde, mit der
Kugelzange zu entfernen, um einige Tage später einen neuen Ball
einzuführen, und zwar deshalb, weil der Weichgummi, auch der
vulkanisierte, rote, sich bei längerem Liegen in der Scheide zersetzt
und für die Luft durchlässig wird, so dass der Ball zusammen¬
klappt und seinen Zw'eck nicht mehr erfüllen kann.
Ueber die Moro-Doganoffsche Reaktion und? über
eine neue Tropfenpflasterreaktion.
Zur Bemerkung von Dozent Dr. N. Blumenau - St. Peters¬
burg (d. Wschr. Nr. 26 S. 1488) von Moro in Heidelberg.
%
Die kurze Bemerkung des Herrn Blumenau gegenüber einem
Referat von Liebe enthält 2 Irrtümer, die hiermit aufgeklärt wer¬
den sollen:
1. Die perkutane Salbenreaktion ist nicht von Doganoff und
m i r vorgeschlagen worden, sondern stammt ausschliesslich von mir.
Die Bezeichnung Moro-Doganoffsche Reaktion ist daher unzu¬
treffend. Der gleiche Irrtum findet sich im Schlossmann sehen
Artikel über Tuberkulose im Handbuch von Pfaundler-Schloss¬
mann und ist vielleicht aus dieser Quelle in die Literatur über¬
gegangen. Zu diesen Missverständnissen kann nur der Umstand ge¬
führt haben, dass ich die erste Mitteilung über die Reaktion im Nach¬
trag zur Korrektur eines mit Doganoff gemeinsam publizierten Ar¬
tikels „Zur Pathogenese gewisser Integumentveränderungen bei Skro¬
fulöse“ (W.kl.W. 1907 Nr. 31) — allerdings ausdrücklich nur in meinem
Namen — veröffentlicht habe.
Da die Reaktion in der Literatur sonst meist nur meinen Namen
führt, so liegt es mir daran, diesen Sachverhalt festzustellen, damit
es nicht den Anschein erweckt, als hätte ich eine Autorschaft, die
von rechtswegen geteilt werden sollte, stillschweigend allein über¬
nommen.
2. Die „Tropfenpflasterreaktion“ ist im Prinzip nicht neu. Ich
habe bereits 1909 in Brauers Beiträgen über eigene Erfahrungen mit
Tuberkulinpflasterreaktionen berichtet, verzichtete jedoch schon da¬
mals auf die Fortführung dieser meiner Versuche, da sich die Re¬
aktionen wegen des bei einzelnen Kindern in unspezifischer Weise
hervortretenden Pflasterreizes als unzuverlässig erwiesen haben.
- #•£==£••• -
Hugo Kronecker f.
Von Prof. Paul Heger in Brüssel.
Die Nachricht von dem Tode Hugo Kronecker s, der
auf der Rückreise von der Tagung der Deutschen Gesellschaft
für Physiologie am 6. Juni einem Schlaganfall erlag, hat seine
zahlreichen Freunde mit tiefer Trauer erfüllt, wenn sie auch
auf ein plötzliches Ende des rastlos Tätigen gefasst sein muss¬
ten. Wohl hatte Kronecker eine aussergewöhnliche
Frische sich bewahrt und hielt trotz seiner 75 Jahre noch
regelmässig seine Vorlesungen an der Universität Bern. Für
seine unverminderte Produktivität zeugten bis zuletzt die Ar¬
beiten seines Laboratoriums sowie die zahlreichen Mittei¬
lungen, in denen er den wissenschaftlichen Gesellschaften der
Schweiz und des Auslandes über ihre Resultate berichtete.
Aber obgleich Kronecker so bis an sein Ende über die
ganze Lebhaftigkeit seines Geistes und seinen durchdringend
kritischen und scharfen Verstand verfügte und seine be¬
wundernswürdige Arbeitskraft behalten hatte, so war doch,
wie sein Berner Freund und Kollege Prof. Sahli in einem
Nekrolog unter dem unmittelbaren Eindruck des Todes sagte,
die unaufhaltsame lebenvernichtende Arbeit der Natur unter
der wenig veränderten Oberfläche schon so weit fortgeschrit¬
ten, dass der leiseste Windhauch seinem Dasein ein Ziel
setzen konnte.
Kronecker war am 27. Januar 1839 in Liegnitz ge¬
boren. Seine Gymnasialstudien vollendete er in seiner Vater¬
stadt und zeigte schon in diesen Jahren Vorliebe für Mathe¬
matik und Naturwissenschaft. Durch seinen viel älteren Bru¬
der, den grossen Mathematiker Leopold Kronecker und
durch dessen medizinische Freunde empfing er in dieser Rich¬
tung entscheidende Jugendeindrücke. Er wandte sich dem
Studium der Medizin in Berlin, Heidelberg und Pisa zu. Durch
diesen längeren Aufenthalt an der Universität Pisa wurde er
schon in jungen Jahren in Italien heimisch, 1863 erwarb
er den Doktorgrad an der Universität Berlin und erhielt 1865
seine Approbation als Arzt. Aber schon in seiner Studenten¬
zeit hatte sich die Liebe zur Physik und Physiologie als die
richtunggebende Kraft seines Lebens erwiesen. Schon in
jungen Semestern hatte er dem seiner Familie befreundeten
Kliniker Traube bei seinen physiologischen Experimenten
assistiert; in Heidelberg wurde er durch H e 1 m h o 1 1 z für die
Physiologie begeistert und auf Anregung von H e 1 m h o 1 1 z
und unter Leitung von dessen damaligem Assistenten Wundt
begann er schon als Heidelberger Student auf dem Gebiete der
Muskelphysiologie selbständig zu arbeiten. Dennoch widmete
er sich nach der Absolvierung seiner medizinischen Studien
nicht unmittelbar der Physiologie, sondern wurde zunächst
Privatassistent in der Klinik T raube s. Bekanntlich war
dieser grosse Kliniker einer der überzeugtesten Anhänger der
Zusammenarbeit von Physiologie und praktischer Medizin,
und seine „Gesammelten Beiträge zur Pathologie und
Physiologie“ sind ein Markstein dieser wissenschaftlichen Rich¬
tung. Kronecker bewahrte aus dieser Zusammenarbeit
Verständnis und Interesse an klinischen Fragestellungen.
Bald aber verliess er das Gebiet der praktischen Medizin,
nachdem er in dem Physiologen Kühne einen Führer und
Freund gefunden hatte, durch dessen täglichen Einfluss er in
Kühnes Laboratorium für immer der Physiologie gewonnen
wurde. Es war die Zeit, in der K ü h ne durch seine hervor¬
ragenden Arbeiten über die Verdauung und über die Chemie
des Eiweisses auf dem Gebiete der physiologischen Chemie
bahnbrechend wirkte.
1868 ging Kronecker nach Leipzig, woselbst Ludwig
seit 2 Jahren als Lehrer der Physiologie tätig war. 187!
wurde er L u d w ig s Assistent. Der Meister erkannte die
glänzenden Fähigkeiten Kronecker s, die Zuverlässigkeit
seines Charakters und seine Arbeitskraft. Aber auch alle, die
in jener Zeit das berühmte Laboratorium Karl Ludwigs
in der „Waisenhausstrasse“ besuchten, sahen in Kronecker
die Seele dieser Arbeitsgemeinschaft. Wir haben hier nicht
von den grossen Verdiensten des Meisters zu sprechen, an den
sich Kronecker angeschlossen hatte; aber so viel lässt
sich sagen; wenn die Schule Karl Ludwigs einen so raschen
Aufschwung nahm, so verdankte sie dies zum Teil auch
Kronecker.
Um 1870 und in den folgenden Jahren war das Leipziger
Laboratorium ein internationales Zentrum der aufstrebenden
Physiologie. Kronecker kam dahin vorbereitet durch
seine vorangegangene Ausbildung unter H e 1 m h o 1 1 z,
Wund t, unter B u n s e n und Kirchhoff und war so
recht geeignet, die weit ausschauenden und vielseitigen Arbeits¬
pläne zu fördern, die Ludwig anregte. Dazu kam. dass
Kronecker französisch, englisch und italienisch mit der
gleichen Leichtigkeit sprach, wie seine Muttersprache und sich
in dem internationalen Kreise der Physiologen völlig heimisch
1630
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
fühlte, die aus allen Teilen der Welt nach Leipzig gekommen
waren, um unter Ludwigs Leitung zu arbeiten. Damals
knüpften sich die Beziehungen Kroneckerszu auswärtigen
Fachgenossen, die das Leben unseres Freundes verschönt haben
und denen er stets treu geblieben ist. Eine Art von wissen¬
schaftlicher Brüderschaft entstand in der Zusammenarbeit des
Leipziger Laboratoriums. Um nur einige Namen derer zu
nennen, die Schüler Ludwigs und gleichzeitig Freunde
Kroneckers wurden, seien von seinen Arbeitsgenossen
erwähnt: Braune, Schwalbe, Hüfner, Gaule,
v. Kries, B o w d i t c h und M i n o t aus Boston, L u c i a n i
und M o s s o aus Italien, H e g e r aus Brüssel, E. v. F 1 e i s c h 1
und S. Basch aus Wien, H o 1 m g r e n aus Upsala, Lauder
B r u n t o n und Y e o aus London, G a s k e 1 1 aus Cambridge,
L c p i n e aus Lyon, Tigersted t, Schäfer, Stirling,
Meitzer, Fano, Sticnon; aber die Liste wäre weit
länger, wenn man sie vervollständigen wollte. Manche sind
Kroneck^r schon im Tode vorangegangen. Es war keiner
unter diesen Physiologen, der nicht einen Teil der herzlichen
Verehrung für Karl Ludwig auch auf Kronecker über¬
trug. Und Kronecker war es, durch dessen Einfluss die
verschiedenen Glieder dieser Physiologenfamilie trotz der
weiten Entfernungen untereinander verbunden blieben. Nach
dem Tode des Meisters hat Kronecker die experimentelle
Tradition dieser Schule fortgesetzt, der die moderne Physio¬
logie so grosse Fortschritte verdankt.
Nachdem sich Kronecker 1872 mit einer Schrift „Ueber
die Ermüdung und Erholung quergestreifter Muskeln“ in
Leipzig habilitiert hatte, wurde er 1875 ausserordentlicher
Professor in Leipzig. 1878 wurde er als Abteilungsvorsteher am
physiologischen Institut der Universität nach Berlin berufen,
um dort in naher Beziehung zu du Bois Reymond seine
Lehrtätigkeit fortzusetzen. 1884 übernahm Kronecker den
Lehrstuhl der Physiologie in Bern, der vorher Valentin, dann
Luchsinger und vorübergehend Grützner anvertraut
war. Kronecker fasste bald den Plan, den Unterricht durch
den Neubau eines Instituts zu vervollkommnen, das allen Be¬
dürfnissen der modernen Wissenschaft genügen sollte. Er
widmete sich völlig dieser Aufgabe und das Verständnis der
Berner Behörden für die Bestrebungen der Wissenschaft er-
möglichste die Durchführung seines liebevoll durchdachten
Bauplanes. Auf Wunsch Kroneckers erhielt das neue In¬
stitut den Namen „Hallerianum“ zur Erinnerung an den grossen
Gelehrten Albrecht v. Haller, dessen Denkmal heute vor
dem Berner Universitätsgebäude steht.
Es mag Kronecker nicht leicht geworden sein, seine
Heimat zu verlassen, die er als guter Deutscher liebte, und der
er auch als freiwilliger Arzt in den Feldzügen 1866 und 1870
gedient hatte; aber das Bewusstsein von der grossen wissen¬
schaftlichen Aufgabe, die er in Bern zu erfüllen hatte, fesselte
ihn an die Schweiz, und von ganzem Herzen hat er auch dem
neuen Vaterlande gedient. Kroneckers Stellung in Bern
war aber besonders dazu geeignet, die internationalen Auf¬
gaben der Physiologie zu fördern. Es konnte keinen bes¬
seren Vertreter solcher Bestrebungen internationalen Zu¬
sammenschlusses geben als Kronecker, dessen persönliche
Liebenswürdigkeit seine wissenschaftlichen Beziehungen aus
der internationalsten Physiologenschule zu eben so vielen
Freundschaften gestaltet hatte. Nach 10 Jahren seiner Tätig¬
keit in Bern vereinigte Kronecker im August 1895 dort die
Physiologen auf dem internationalen Physiologenkongress, den
er selbst mitbegründet hat: denn im Hause von Professor
Kronecker in Bern entschied sich im September 1888 in
einem kleinen Freundeskreise die Begründung dieses inter¬
nationalen Kongresses, der seine erste Tagung in Basel unter
dem Vorsitz von H o 1 m g r e n im Institute Professors
Mieschers im September 1889 abhielt. Mit Michael
F o s t e r zusammen setzte es Kronecker durch, dass diese
Kongresse im wesentlichen den Demonstrationen neuer Experi¬
mente und weniger nur mündlichen Vorträgen dienen.
Noch eine zweite internationale Institution verdankt ihre
Entstehung der Initiative des Berner Professors. Mit dem
Physiologen M a r e y. der die graphischen Methoden der
Physiologie vielfach verbessert und die Kinematographie zu¬
erst auf das Studium der Bewegungsvorgänge angewandt hat,
war Kronecker durch die gleichen wissenschaftlichen
Interessen und durch langjährige Freundschaft verbunden.
So kam es, dass sich Kronecker sehr lebhaft an der Be¬
gründung des „Institut Marey“ in Paris beteilgte, das der
Fortbildung und Kontrolle physiologischer Instrumente und
Methoden gewidmet ist. 1906 wurde Kronecker zum Prä¬
sidenten des Institut Marey gewählt. Mit seinem italienischen
Freunde M o s s o zusammen war Kronecker ferner an der
Schöpfung der internationalen Arbeitsstation auf dem Monte
Rosa beteilgt, wo er auch die Bergkrankheit speziell studierte.
So hat Kronecker wie kein zweiter in der Physiologie
den internationalen Zusammenhang in der Wissenschaft ver¬
körpert — in der Wissenschaft, die keine Grenzen kennt und die
in unseren Augen als der höchste Ausdruck jenes Zusammen¬
gehörigkeitsgefühls aller Gebildeten erscheint, das in der Welt
immer mehr an Geltung gewinnt.
Unter Kroneckers Direktion wurde auch das Hal¬
lerianum wie einst das Laboratorium Ludwigs in Leipzig
ein internationales Zentrum der Arbeit, das von Physiologen
aller Länder gerne aufgesucht wurde. Sie waren sicher, bei
Kronecker die freundlichste Aufnahme und zugleich über¬
aus fruchtbare Anregungen zu finden. Das wissenschaftliche
Arbeitsgebiet Kroneckers und seiner zahlreichen Schüler
umfasst fast alle Gebiete der Physiologie. Dies zeigt am besten
die Liste seiner und seiner Schüler Publikationen, die gegen
250 Nummern aufweist.
Die zuletzt datierte Publikation Kroneckers trägt den
Titel: „Considerations sur la cause du mal de montagne“.
Sie wurde in der Academie Royal de Medicine de Bruxelles in
ihrer Sitzung vom 25. April 1914 mitgeteilt. Sie verfolgt einen
Gedankengang der 1892 mit den Studien Kroneckers über
die Bergkrankheit begonnen hatte. Damals war der Berner
Professor von der Eidgenössischen Regierung vor der Er¬
teilung der Baukonzession an die Jungfraubahn mit einem Gut¬
achten darüber betraut worden, ob durch die rasche Be¬
förderung auf die Höhe von 4000 m Gefahren für die Gesund¬
heit des Menschen entstehen könnten. Sein Gutachten fiel
bekanntlich günstig aus, und die Zukunft hat Kronecker
recht gegeben. Aber gleichzeitig mit der Entscheidung der
Frage vom praktischen Standpunkt aus fasste er sie vom
Standpunkte der Pathogenese der in bedeutenden Höhen ein¬
tretenden Störungen ins Auge und vertiefte sie wissenschaft¬
lich. Seine Studien führten Kronecker zu der Auffassung,
dass die Bergkrankheit ein Syndrom wesentlich mechanischen
Ursprungs sei, da die Lüftverdünnung in der Höhe zur Stauung
in den Lungengefässen, zu Ueberfüllung der Lungenvenen und
zu Lungenödem führen könne. Kronecker erlebte nicht
die Befriedigung, diese Theorie allgemein anerkannt zu sehen,
denn die Mehrzahl der Autoren stellte sich mehr auf die Seite
der von Jourdanel und von Paul Bert vertretenen An¬
schauung, welche die Bergkrankheit auf die Verminderung der
Sauerstoffspannung in bedeutender Höhe zurückführt. Den¬
noch haben die von Kronecker herangezogenen Argumente
ihre Beweiskraft voll behalten, und man kann sagen, dass die
Frage noch heute unentschieden ist: adhuc sub judice lis est.
Es war eine der letzten Freuden, die Kronecker erlebte,
von neuen Tatsachen zu erfahren, welche insbesondere durch
S t r o h 1 - Zürich, durch Heger und durch Dr. Adolf
Rempen - Biel als experimentelle Stützen für seine Theorie
beigebracht wurden. Kronecker betrachtete die Berg¬
krankheit im wesentlichen als „kardiale Dyspnoe“ durch Ueber¬
füllung des Lungenkreislaufes. Wir teilen diese Ansicht völlig
und zweifeln nicht daran, dass ihre experimentelle Begründung,
die Kronecker durch seine Studien inauguriert hat, im
Laufe der Zeit die Theorie bestätigen wird, die er vor 20 Jahren
aufgestellt hat.
Aber es kommt nicht darauf an, wer recht hat und wer
unrecht in solchen wissenschaftlichen Diskussionen: die Mei¬
nungsverschiedenheiten sind nicht das wesentliche, das wesent¬
liche ist die experimentelle Ergriindung der Tatsachen! Und
Kronecker hat nicht einen Tag seines langen Gelehrten¬
lebens geruht, auf dem steinigen Wege der experimentellen
Forschung methodisch weiterzuschreiten. Wenn er auf diesem
Wege Gestrüpp fand, und wenn der Weg auch manchmal
dornenvoll war, er hat sich niemals darum bekümmert! Auch
21. Juli 1914.
1631
MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
in wissenschaftlichen Polemiken, die er ausfechten musste,
behielt er seine natürliche wohlwollende Art und er hat immer
nur die Sache und niemals die Person bekämpft. So kann man
von Kronecker in Wahrheit sagen, dass er nur Freunde
gehabt hat.
Es ist nicht möglich, das Lebenswerk Kroneckers in
diesem Augenblicke näher zu analysieren. Wir werden leichter
dazu imstande sein, wenn wir erst in der Zeiten Lauf den
Abstand gewonnen haben, um die Höhe seiner Leistungen
richtig einschätzen zu können. Ein in jeder Hinsicht bedeut¬
sames Gelehrtenleben ist abgeschlossen. Die Schule Karl
Ludwigs hat in Kronecker einen ihrer hervorragend¬
sten Vertreter verloren.
Freunde Kroneckers, welche das Andenken des Berner
Professors festhalten wollen, haben die Frage aufgeworfen, wie
dies am besten zu geschehen habe. Wir möchten ihnen ant¬
worten: Es erscheint gerecht und wünschenswert, dass in
dem Hallerianum zu Bern, der Schöpfung Kroneckers sein
Denkmal aufgestellt werde, denn er hat nicht bloss den’ Bau
dieses Instituts geleitet, sondern auch geistig den guten Namen
und den Ruhm dieser Anstalt begründet. Der Tribut unserer
Dankbarkeit gebührt ihm als einem Nachfolger Hallers
Wir wünschen deshalb, dass Kroneckers Büste den Vor¬
raum des Instituts oder seinen Hörsaal schmücke. Sie ist von
ausgezeichneter Künstlerhand geschaffen und gibt seine geist¬
vollen und gütigen Züge in 1 reue wieder. Wie in dieser Form
das Andenken Kroneckers in Marmor verkörpert bleiben
wird, so wird es verklärt in der Erinnerung aller derer fort¬
leben, die ihn gekannt haben1).
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Die Ernährung als Krankheitsursache und Heilfaktor1).
Von Prof. Dr. Schittenhelm in Königsberg i. Pr.
Die ausserordentlichen Fortschritte, welche in unserer Zeit auf
allen Gebieten der Naturwissenschaften und der Medizin zu ver¬
zeichnen sind, haben auch auf dem Gebiete der Ernährung zu neuen
Tatsachen und Erkenntnissen geführt. Physiologie und Hygiene be¬
ll111;.1.^, sich, die Fragen der rationellen Volksernährung zu klären, ein
Bedürfnis, das um so dringender wird, je einschneidender volkswirt¬
schaftliche Aenderungen in die sozialen Verhältnisse der grossen
Massen eingreifen. Die eminente praktische Bedeutung dieser Fragen
liegt klar auf der Hand. Auch der Praktiker muss sich mit ihnen ein¬
gehend befassen, nicht nur weil er berufen ist, die Lehren der Er-
nahrungsphysiologie am Kranken durchzuführen und im Einzelfall in
zweckmässiger Weise zu modifizieren, sondern weil er durch seine
enge Berührung mit den breiten Volksmassen auch verpflichtet ist,
trnahrungsschäden nachzugehen, wo es fehlt zu reformieren und mit
seinem Rate die richtigen Bahnen erkennen zu lernen. Wir haben
daher allen Grund, uns aufs eingehendste mit den Streitfragen der
Ernährungslehre zu befassen und uns zu überlegen, welche Rück¬
wirkungen neue Tatsachen und Ansichten auf unser spezielles
Arbeitsgebiet haben werden.
Keine Stätte ist geeigneter, derartigen Ueberlegungen nachzu¬
gehen, wie gerade München. Hier steht die Wiege der modernen
Ernährungslehre. Hier wurde sie durch Liebig, Pettenkofer
und Voit zur Wissenschaft erhoben.
Carl v. Voit hat bekanntlich auf Grund von eingehenden
statistischen Erhebungen und exakten Stoffwechseluntersuchungen,
die die Ernährung mehr nach stofflichen Gesichtspunkten studierten,
Normen geschaffen, nach denen die allgemeine Ernährung sich zu
regeln hat. Er stellte für die Zusammensetzung der Kost eines mitt¬
leren Arbeiters 118 g E i w e i s s, 56 g Fett und 500 g Kohle-
• 'i? * e a^s Mittelmass auf. Ein Nichtarbeitender braucht weniger,
ein Schwerarbeitender mehr, wobei neben den stickstofffreien Kom¬
ponenten auch das Eiweiss nach oben und unten etwas schwankt.
Die Voit sehen Angaben brachten zum erstenmal einen zahlen-
massigen Ausdruck dafür, wie die Zusammensetzung einer Kost be¬
scharten sein^ muss, die allen Anforderungen entspricht. Sie gaben
daium die Grundlage ab für die Aufstellung der Speisezettel für
Massen küchen (Soldatenküchen etc).
Die V o i t sehen Feststellungen wurden erweitert durch die
glanzenden Untersuchungen R u b n e r s, der die energetische
Betrachtung einführte und in zahlreichen mühevollen Unter¬
suchungen die Rolle der Nahrungsmittel als Wärme-
D Mr. le Professeur G o 1 1 1 i e b, de Heidelberg, a eu l’obligeance
de traduire l’article qui precede et il Ta complete en plus d’un point.
Je Ie remercie de cette amicale collaboration. P. H.
’) Nach einem am 20. VI. 14 in München gehaltenem Vortrag.
quelle und Energiespender verfolgte. Er deckte wichtige
Gesetze auf. Das Gesetz der Isodynamie lehrt uns, wie sich
die einzelnen Nahrungsstoffe nach ihrem Kaloriengehalt vertreten
können, wobei dem Eiweiss eine Ausnahmestellung zukommt, die
übrigens auch Voit längst bekannt war, aber nur in qualitativer
nicht in quantitativer Hinsicht. Er zeigte uns ferner, dass nahe
Beziehungen bestehen zwischen der Grösse der
Körperoberfläche und der Grösse des Nahrungs¬
bedarfes und konstatierte die relative Unabhängigkeit desselben
vom Körpergewichte.
Die Feststellungen von Voit und Rubner haben unseren An¬
sichten über die Ernährung feste wissenschaftliche Grundlagen ge¬
geben und wir sind heute gewöhnt, die Zusammensetzung der Nahrung
nach stofflichen und energetischen Gesichtspunkten zu
diktieren. Die Kenntnisse des physiologischen Stoffwechsels wurden
dann auf die Pathologie übertragen, wo sie äusserst fruchtbringend
wirkten. Man ist jetzt noch dauernd bemüht, die Beziehungen
zwischen Ernährung und gewissen Krankheits¬
zuständen zu klären, Es wäre unmöglich, im Rahmen eines
kurzen Vortrages das ganze Gebiet erschöpfend zu behandeln. Ich
muss mich daher auf die Erörterung einiger besonders wichtiger und
neuerdings viel diskutierter Punkte beschränken.
Im Mittelpunkt zahlreicher Erörterungen der letzten Zeit steht
die Frage, welche Rolle spielt das Eiweiss in unserer
Ernährung? Der Grundsatz, dass das Eiweiss unter den orga¬
nischen Nahrungsstoffen eine Ausnahmestellung einnimmt, indem es
stofflich durch keinen anderen Nahrungsstoff ersetzt werden kann,
steht absolut fest. Um so eifriger wird aber die Frage umstritten,
wie hoch der tägliche absolute Eiweissbedarf des
Menschen sich stellt. Man hat mit Recht darauf hingewiesen,
dass zahlreiche Menschen viel zu grosse Mengen
ei weisshaltiger Nahrungsmittel, vor allem Fleisch,
dauernd aufnehmen und dass diese Bevorzugung mancherlei Ge¬
fahren für die Gesundheit mit sich bringt. Dadurch wurde die
Reaktion ausgelöst. Es wird nunmehr von beachtenswerten Seiten
eine starke Einschränkung empfohlen, die zu wesentlich
niedereren täglichen Eiweisswerten führt, als die allgemein anerkannten
Voit sehen und Rubner sehen Normen. Eine Kardinalfrage
ist bei dem ganzen Streit, ob es rationell ist, die seitherigen
Normen für das Nahrungseiweiss erheblich herab¬
zusetzen und sie mehr der Grenze der lebenswichtigen Eiweiss¬
zufuhr, dem physiologischen Eiweissminimum, anzu¬
nähern.
Schon Voit war es bekannt, dass es zahlreiche Personen gibt,
welche mit einer weit geringeren Eiweisszufuhr als 118 g auskommen
können. Er führt Beobachtungen von Flügge an, nach denen
arbeitende Menschen mit 50 — 70 g täglicher Eiweisszufuhr sich
dauernd erhalten haben.
Seither wurden von den verschiedensten Seiten derartige Ver¬
suche angestellt und Stickstoffgleichgewicht mit Eiweissmengen er¬
reicht, die zwischen 30 und 70 g schwankten.
Neuere Untersuchungen gehen direkt darauf aus, die aufge¬
stellten Normen ganz allgemein herabzusetzen.
Viel diskutiert wurden die Versuche von C h i 1 1 e n d e n, der
eine Reihe von Versuchspersonen in viele Monate dauernden Unter¬
suchungen mit einer täglichen Eiweissration von 50 g bis 60 g voll¬
kommen auskommen sah, wobei die Gesamtkalorienmengen eher zu
niedrig als zu hoch gehalten waren.
In jüngster Zeit ist die Frage mit besonderer Energie von dem
dänischen Arzte H i n d h e d e aufgenommen worden und seine Lehren
haben in seinem Vaterlande solches Aufsehen erregt, dass ihm von
der Regierung ein eigenes Institut zur weiteren Erforschung
der Ernährungsfragen eingerichtet wurde. Bekanntlich hat Hind'-
hede mit grösster Konsequenz viele Jahre hindurch sich und
seine Familie mit einer Kost ernährt, die sich namentlich aus
Grütze, Milch, Kartoffeln, Gemüse, Brot mit Mar¬
garine, Zucker und Obst zusammensetzt und ca. die Hälfte
der als normal angesehenen Eiweissmenge, etwa 50 g, enthält. Dabei
hat er selbst sich völlig wohl und äusserst leistungsfähig gefühlt und
seine Kinder haben sich auf das beste entwickelt. Er ist nun weiter
dazu übergegangen, das Eiweissminimum in langen Perioden
an geeigneten Versuchspersonen zu untersuchen, und hat gefunden,
dass das Minimum bei fast ausschliesslicher Er-
n ä hrung mit Kartoffeln oder Brot ungefähr bei demselben
Punkt in der Nähe von 20 g verdaulichen Eiweisses für 3000 Kalorien
liegt. Das Minimum für die Stickstoffausscheidung im Urin liegt in
seinen Versuchen bei 3—3,5 g, „einer Zahl, die sehr wohl mit den
Minimumzahlen übereinstimmt, die andere Autoren für die Stickstoff¬
ausscheidung bei stickstofffreier Kost und bei Fleischkost gefunden
haben. Mit anderen Worten : Kartoffel - und Broteiweiss
scheinen denselben Wert zu haben wie Fleisch-
eiweiss, und die Körpereiweisse Gramm für Gramm
erstatten zu könne n“.
Die zweifellos interessanten und wichtigen Untersuchungen
Hindhedes haben in weiten Kreisen grosses Aufsehen erregt, weil
sie zu beweisen scheinen, dass unsere seitherigen Anschauungen über
den Eiweissbedarf des Körpers von Grund aus zu reformieren sind.
Bindhede selbst zieht diesen Schluss und meint, dass das Kapitel
Ernährung in ungefähr allen Lehr- und Handbüchern von Anfang bis
zu. Ende neu geschrjeben werden müsse. In Dänemark haben sich
1 632
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
Hindhedeküchen aufgetan, die auf Grund seiner Lehren ihre Speise-
zettel aufbauen. Auch bei uns erheben sich Stimmen, welche für die
starke Verminderung der Eiweissnahrung eintreten. So hat unlängst
Decker für den körperlich nicht arbeitenden Menschen eine Herab¬
setzung des Eiweissgehaltes der Kost ganz allgemein auf 60 g vor-
geschlagen und die nötige Kalorienmenge pro Kilo Körpergewicht
auf 20 — 25 berechnet.
Ist es nun richtig, diese weitgehenden prak¬
tischen Konsequenzen aus den vorliegenden Tat-
sachenzuziehen?
R u b n e r hat sich energisch dagegen- gewandt. Er verschliesst
sich keineswegs der Tatsache, die er auch voll anerkennt, dass sich
der Mensch nicht nur mit den sattsam bekannten 118 g Eiweiss
_ Rubner fordert übrigens nur 110g — , sondern auch mit ge¬
ringeren Eiweissmengen, die den sonstigen Eiweissumsatz im Hunger
nicht überschreiten, ernähren kann. Das Problem der Massener-
nährung darf sich aber seiner Ansicht nach auf die niedrigeren
Eiweissmengen nicht festlegen, vielmehr soll man hiefür bei den
bisherigen Normen verharren. Er betont aber, dass er sich stets
gegen einen übermässigen Konsum von Eiweiss und Fleisch, auch in
jüngster Zeit, ausgesprochen habe, da jede einseitige Ernährung in
unserer Kost vermieden werden soll. Rubner versteht darunter
einen Konsum, der über 120 g noch erheblich hinausgeht.
Man muss Rubner durchaus recht geben, wenn er immer
wieder darauf hinweist, dass in der Ernährung auf einem
Stickstoffminimum eine eminente Gefahr liege, indem
jede zu geringe Zufuhr einen relativ enormen Zerfall an Körpereiweiss
zur Folge hat.
Bei der von H i n d h e d e verfochtenen eiweissarmen Kostordnung
soll die geringe Eiweissmenge im wesentlichen in Vegetabilien zuge¬
führt werden. Es ist bekannt und H i n d h e d e selbst gibt dafür in
seinen Versuchen typische Beispiele, dass der Stickstoffgehalt
vegetabilischer Nahrungsmittel je nach dem Jahrgang
und der Gegend ausserordentlich schwanken kann. So
schwankt der Eiweissgehalt der Kartoffeln nach König zwi¬
schen 0,69—3,67 Proz. und Rubner führt für Weizen an, dass
er in südlichen Gegenden proteinreicher ist wie in nördlichen und
sein Eiweissgehalt auf Trockensubstanz berechnet zwischen 11,73
und 19,33 Proz. variiert. Dazu kommt, dass die Ausnutzungswerte
gerade dieser Nahrungsstoffe nach der Zubereitung und der Art des
Essens, sowie dem Zustand des Magendarmkanals sehr verschieden
sind. Auch müsste, da an Ruhe- und Arbeitstagen zwar die gleiche
Eiweissmenge, aber eine verschiedene Kalorienmenge benötigt wer¬
den, die Kost eine verschiedene Zusammensetzung haben. Es müssen
also, wenn man sich an der unteren Grenze des Eiweissbedarfes
hält, bei Zusammenstellung der Kost jeweils eine Reihe von Ueber-
legungen getroffen werden, welche nicht allgemein verlangt werden
können. Dass H i n d h e d e und die von ihm angeführten Personen
mit geringeren Eiweissmengen auskommen, ist ohne weiteres ver¬
ständlich und durchaus richtig. Er ist in der Lage, sorgsame Küche
zu führen, die nötige Zeit zum Essen sich zu nehmen und in der
Nahrungszusammenstellung stets richtige Grenzen einzuhalten. Alle
diese Forderungen können sicherlich von einer grösseren Gruppe
anderer Leute gleichfalls erfüllt werden. So konnte Wiener in
meiner Klinik eine Frau nach H i n d h e d e sehen Prinzipien vornehm¬
lich durch Kartoffelfütterung mehrere Wochen bei einer Stick¬
stoffzufuhr von ca. 3,4 g = 21,25 g Eiweiss, bei 2800 Kalorien
in positiver Stickstoffbilanz ohne Herabsetzung des Körpergewichtes
halten. Die H i n d h e d e sehen Ford-erungen sind aber sicherlich von
der breiten Volksmasse, speziell den niederen Volksschichten, nicht
mit genügender Sicherheit zu erfüllen. Als allgemeine Norm für die
Volksernährung muss daher eine Eiweissmenge gewählt werden,
welche beträchtlich über der Minimumgrenze liegt
und eine Kostzusammensetzung, die garantiert, dass unter keinen
Umständen ein Eiweissdefizit eintritt. Wir werden
gut tun, für die Ernährung des gesunden erwachsenen Menschen vor¬
erst uns nicht weit von den alten erprobten Normen
abwärts zu bewegen und etwa 100 g Eiweiss pro
Tagzufordern.
Für diese Forderung sind noch andere Gründe ins Feld zu fuhren.
Es kommt nämlich nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf
die Qualität des gebotenen Eiweisses an. Es gibt
zweifellos Eiweissstoffe, welche zum Ersatz für Körpereiweiss min¬
derwertig sind. Das bekannteste Beispiel ist der Lei m, der
zwar eiweisssparend wirkt, das Eiweiss aber nicht zu ersetzen ver¬
mag. Tiere, denen Leim als einziges Nahrungseiweiss gereicht wird,
gehen an Eiweisshungcr zugrunde. Man weiss heute, dass diese
Minderwertigkeit mit dem Mangel an Iryptophan und T y r o -
sin zusammenhängt, und Abderhalden konnte zeigen, dass,
wenn man diese Aminosäuren zugibt, auch mit dem Leim das Eiweiss
der Nahrung ersetzt werden kann. Die Analyse zahlreicher tierischer
und pflanzlicher Eiweisskörper hat ergeben, dass deren Zusammen¬
setzung eine ganz verschiedene ist.
Man stellte sich vor, dass ein Eiweissstoff, dessen Zu¬
sammensetzung dem Körpereiweiss, namentlich dem
Bluteiweiss, nahe kommt, besser zum Eiweissersatz taugt, wie Ei¬
weisskörper völlig anderer Zusammensetzungen.
M i c h a u d suchte dafür in einer interessanten Arbeit den Be¬
weis zu erbringen; er fand, dass sich Stickstoffgleichgewicht aus
dem Hungerminimum regelmässig dann erzielen liess, wenn zur
Nahrung arteigenes Eiweiss (beim Hunde Hundemuskulatur, Hunde¬
blutserum, am besten Breigemisch aus Hundeorganen) verwendet
wurde, dass man sich jedoch vom Stickstoffgleichgewicht um so
mehr entfernt, ie artverschiedener das Nahrungseiweiss ist (Pferde¬
fleisch, Kasein): es gelang ihm nie, Stickstoffgleichgewicht herzu¬
stellen wen als Nahrungsstoff körperfremde pflanzliche Eiweissstoffe
(Gliadin. Edestin) in Mengen gleich dem Hungerminimum verfuttert
wurden Ein gemischter Kanibalismus wurde dem¬
nach also die rationellste Kostform bedeuten.
In Versuchen, die ich in Erlangen zusammen mit Franz Frank
an Tier und Mensch anstellte, konnte ich zeigen, dass eine der¬
artige Auffassung nicht richtig ist. Die Arteigenheit
der Ei weisskörper spielt keine besondere Rolle. Es kommt alles
darauf an, dass das zum Ersatz des Kör per eiweis¬
ses zu geführte Nahrungseiweiss von den Verdau-
ungsf er ment en leicht aufspaltbarist und in dem (je-
misch der Verdauungsprodukte, die auch bereits vor¬
verdaut gereicht werden können, sämtliche wichtigen Bau¬
steine der Eiweisse in geeigneten Mengenverhältnissen vorhan¬
den sind. , ,, . , . „ . .
Der normale Organismus ist zweifellos imstande, eine Reihe
von Aminosäuren synthetisch zu bilden Wie intensiv
sich eine derartige Bildung im Einzelfalle gestalten kann, ist noch
nicht zu übersehen. Versuche, welche neuerdings darauf hinaus¬
gingen, zu beweisen, dass der tierische Organismus Eiweiss, wie die
Pflanze, unter Verwendung von Ammoniak und Nitraten syn¬
thetisieren kann, haben eine solche Annahme als irrig erwiesen. Eine
wiederholt beobachtete günstige Beeinflussung der Stickstoffbilanz
liess sich im Sinne einer Verlangsamung des Stickstoffwechsels der
Körperzellen deuten, welche vielleicht als schädigende Wirkung der
zugeführten Stickstoffverbindung aufzufassen ist (Abderhalden).
Wir müssen also damit rechnen, dass der Organismus gewisse
lebenswichtige Körper vor allem einzelne Amino¬
säuren, wie z. B. das T ryptophan, wahrscheinlich auch yro-
sin und Phenylalanin nicht synthetisieren kann. Es mag
sein, dass dieser Ausfall in Krankheitszuständen noch vermehrt be¬
steht und es scheint darum durchaus plausibel, dass es für d e n
Ersatz des Körpcreiweisses nicht ganz gleich¬
gültig ist, welcher Eiweisskörper verfüttert wird. Versuche von
Tho m a s, welche die Minderwertigkeit des Broteiweisses
gegenüber dem Kartoffel- und Fleisch eiweiss erweisen,
sind vielleicht zu kurzfristig angelegt. Immerhin kann man die Re¬
sultate vorerst nicht ohne weiteres umgehen, wenn auch andere
Autoren zu anderen Folgerungen kamen. Man muss damit rechnen,
dass allerhand Unterschiede bestehen. Das scheint mir nach meiner
eigenen Stoffwechselerfahrung sicher zu sein. Das geht aber auch
aus den Differenzen der verschiedenen Untersucher hervor.
Die Verhältnisse werden natürlich viel komplizierter in
Krankheitszuständen.
Ich sehe von den Erkrankungen des I n t e s t i n a 1 1 r a k t u s
völlig ab, in denen die Kost dem Zustand desselben und seiner Ver¬
dauungsfähigkeit angepasst sein muss. Ich kann mich hier nie h t
ausführlicher auf die spezielle Diätetik einlassen, ich will^nur
Lftiä ti rr
dem Fieber, erwähnen. . ,. _ , ...
Wir wissen, dass im Fieber, wie auch bei malignen Geschwül¬
sten und anderen Krankheiten, eine recht erhebliche Eiweiss-
einschmelzung stattfindet. Es besteht immer noch Uneinigkeit
darüber, ob dabei ein toxischer Eiweisszerfall, also eine
direkte Schädigung des Protoplasmas durc h d i e
Krank h.eitsgifte eine Rolle spielt, oder ob der ganze Mehr¬
verbrauch an Eiweiss nur ein weiterer Ausdruck der sattsam be¬
kannten gesteigerten Wärmebildung (und der verminderten Nahrungs¬
aufnahme) also als rein kalorisch bedingt aufzufassen ist. In letz¬
terem Fall müsste man, wie Fr. Müller mit Recht hervorhebt, er¬
warten, dass es beim hochfiebernden Menschen g c -
länge, durch die gleiche Kohlehydratzufuhr den
Eiweissumsatz ebenso tief herabzusetzen, wie
beim Gesunden.
In einer jüngst aus der Müller sehen Klinik erschienenen Ar¬
beit konnte Kocher zeigen, dass diese Forderung in der Tat zumeist
nicht gelingt, dass man also mit einem toxischen E 1 -
weisszerfall nach wie vor rechnen muss. Eine Reihe
anderer Autoren leugnen dagegen völlig auf Grund ihrer Versuche
den toxischen Eiweisszerfall. Ich glaube, dass man nicht generell
bei jedem Fieber und bei jeder Infektion mit einem toxischen Eiweiss¬
zerfall rechnen muss, vielmehr nehme ich an, dass verschiedene
toxische Substanzen und Bakterien wie die Zellen selbst, so auch
den Stoffwechsel verschiedenartig beeinflussen (wofür man übrigens
schon heute einzelne Beweise anführen könnte). Darum scheint es
mir keineswegs gerechtfertigt, das Bestehen eines toxischen Ei¬
weisszerfalls völlig ablehnen zu w'ollen. Ich komme zu dieser An¬
sicht nicht nur durch theoretische Ueberlegungen, sondern aus meinen
Beobachtungen am Krankenbett heraus und auf Grund von zahlreichen
Versuchen, die ich gemeinsam mit Weichardt über den Ein¬
fluss der Anaphylaxie und über die Wirkung parenteral zugeführter
Bakterien und ihrer Toxine auf den Stickstoffhaushalt des Hundes an¬
stellte. Es zeigte sich, dass die Störungen im Eiweissstoffwechsel
unabhängig von der Temperatur sind, und dass einer relativ niederen
und kurzen Temperatursteigerung ein lang anhaltender Zerfall von
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1633
Eiweiss entsprechen kann. Es bestehen in den einzelnen Versuchen
Krosse Schwankungen, man muss daher zur Entscheidung solcher
Fragen immer Reihenversuche anstellen.
Der Umstand, dass unter solchen Verhältnissen der Eiweiss¬
verbrauch ein gesteigerter ist, verlangt unbedingt auch ein grösse¬
res Angebot von Eiweiss in der Nahrung und man wird
also, wie man es ja auch heute schon macht, in einer möglichst
kalorienreichen, die Verdauungsorgane wenig beanspruchenden Kost
relativ reichlich Eiweiss in leicht verdaulicher und gut ausnutzbarer
Form verabreichen. Dabei werden wir das Fleisch meist nicht ent¬
behren können, weil es diese Forderung besonders leicht erfüllt und
auch eine grössere Variation des Speisezettels gestattet, was wieder
zur Hebung des Appetits beiträgt.
Eine wichtige Frage scheint mir noch wenig Berücksichtigung
gefunden zu haben, nämlich die nach dem Werte der Eiweiss-
speicherung. Wir können hier zunächst wiederum R u b n e r
folgen. Nach ihm entspricht die Abnutzungsquote dem zur
Erhaltung des Lebens unbedingt nötigen Minimum, das noch niedriger
ist als das Hungerminimum. Er spricht von Meliorations¬
ei w e i s s, das im Wachstumsalter als lebendes Protoplama an¬
gesetzt wird, das bei Erwachsenen nach grösseren Eiweissverlusten
sich rekonstruiert und den Wiederersatz des verlorenen Protoplasma-
eiweisses bildet. Diese Rekonstruktion, die unter dem regulierenden
Einfluss eines uns bis jetzt nicht näher bekannten Zellbestandteils,
vielleicht des Kernes, steht, macht, nachdem ein Optimum der Er¬
nährung eingetreten ist, halt, ist aber nur durch richtige Arbeits¬
leistung auf den optimalen Wert zu bringen. Weiter gibt es Re¬
serve e i w e i s s, einmal das Uebergangseiweiss, welches
sich ablagert, wenn die Nahrung mehr Eiweiss enthält, als dem Stick¬
stoffminimum entspricht und das sofort zu Verlust geht, sobald die
Eiweisszufuhr auf ein niedereres Niveau eingestellt wird. Daneben
unterscheidet R u b n e r noch das Vorratsei weiss (das zirku¬
lierende Eiweiss V o i t s). Dieses stellt eine Durchgangsstufe des
Nahrungseiweisses dar, von dem ein Teil soweit angesammelt wird,
dass es als selbständige, einige Zeit zurückgehaltene Masse erscheint'.
Es mus vorhanden ein, um bei der zyklischen Nahrungsaufnahme als
AusKleichsfond zu wirken und in Perioden, wo der Eiweissstrom
abschwillt, den Ausgleich zu vermitteln. Im Eiweisshunger geht er
schnell zu Verlust.
Dass wir mit einem solchen Vorratsei weiss rechnen
müssen, geht auch aus den neuesten Feststellungen von Berg her¬
vor, der zeigen konnte, dass sich in den L e b e r z e 1 1 e n gut ge¬
nährter Tiere in reichlicher Menge Tropfen finden, die bei Hun-
gertieren vollkommen fehlen, die durch Eiweissfütterung, nicht
aber durch Kohlehydrat- und Fettfütterung hervorzurufen sind. Diese
Tropfen sind Eiweiss, das sich aber von demjenigen des Protoplasmas
durch sein morphologisches Verhalten unterscheidet. Es handelt sich
also hier um eine im Anschluss an Eiweissfütterung auftretende Ei-
weissspeicherung in der Leber, um Zelleinschlusseiweis s.
Damit ist ein weiterer Beweis erbracht, dass man mit einem
gewissen Eiweissvorrat des Körpers rechnen
muss, der zweifellos zweckmässig ist und dem Ersatz
dient, namentlich in Zeiten, wo der Eiweissbestand des Körpers ge¬
fährdet ist. Es wäre zweifellos wichtig, die Rolle dieses Vorrats¬
ei weisses beim Fieber und anderen eiweisszehrenden Krankheits¬
zuständen vor allem auch im Hinbick auf die Frage des „toxischen
Eiweisszerfalls“ zu kennen. Man muss doch annehmen, dass die ver¬
schiedene Menge von Vorratseiweiss bei den einzelnen Individuen
gegebenenfalls den Eiweissverbrauch resp. die Stickstoffausfuhr ver¬
schieden gestalten kann, namentlich in den ersten Perioden des Ei¬
weisszerfalls. Jedenfalls weisen alle diese Ueberlegungen und Er¬
fahrungen immer wieder darauf hin, dass es sicherlich richtig ist,
wenn man sich in der Eiweissernährung nicht auf das äusserste Mass
beschränkt, solange nicht besondere Indikationen hierfür vorliegen.
Dass eine abundante Eiweisskost unzweckmässig ist,
brauche ich nicht weiter auszuführen. Darüber ist man sich wohl all¬
gemein klar, dass eine einseitige Betonung falsch ist und Schäden
nach sich ziehen kann. Eine gemischte Kost mit reichlich Vege-
tabilien und massigem Eiweissgehalt, der sich etwa zu V3 aus ani¬
malischem, zu -Ix aus vegetabilischem Eiweiss deckt, ist sicher die
rationellste. Dabei kommt man, wie schon R u b n e r und jüngst
K i s s k a 1 1 betonten, auf relativ geringe Fleischmengen. Wenn
man ca. 100 g Eiweiss täglich zuführt, werden kaum 200 g Fleisch
täglich zu gemessen sein.
Worin die zuweilen zweifellos schädliche
Wirkung des Eiweisses in den einzelnen Fällen
besteht, lässt sich heute noch nicht immer sicher
erkennen. Beim Fleisch kommt nicht nur der Eiweissgehalt in
Frage, sondern sein Gehalt an Extraktivstoffen, Purinkörpern und
balzen.
Beim Säugling hat sich die Annahme eines Eiweissschadens nicht
aufrecht erhalten lassen. Man weiss vielmehr, dass die Nährschäden
wohl zum grössten Teil auf die Ueberernährung mit Fett und Kohle¬
hydraten zurückzuführen sind.
f 9as, ^*we'ss. an s*cli steigert zweifellos durch seine spezi-
isch dynamische Wirkung die Verbrennungsprozesse und
damit den Stoffumsatz. Die dadurch hervorgerufene Steigerung
v'' 'J°"wecllsels' die starke Inanspruchnahme der Fermente,
üie Häufung der Zwischen- und Endprodukte mag auf die Dauer
bei manchen schädlich wirken. Vielleicht leidet die Umsetzung
gewisser Stoffwechselschlacken, wie z. B. der Purine, bei Ueber-
ernahrung besonders mit Eiweiss. Aus an meiner Klinik vor-
genommenen Versuchen von Wiener scheint hervorzugehen, dass
eine stickstoffarm ernährte Person nach Zufuhr von Nukleinsäure
weniger Harnsäure ausscheidet und auch weniger Harnsäure im
Blut hat. Es kommt entweder zu einer vollkommeneren Zerstörung
oder zu einer aufbauenden Verwertung der Purine im Stoffwechsel.
Das wäre ein Vorteil. Denn es darf heute als sicher angenommen
werden, dass bei der Gicht die Erhöhung des Blutharnsäurespiegels
der schädliche Faktor ist. Man muss aber alles tun, um diesen
herabzusetzen. Die wirksamste Massnahme ist zweifellos die dau¬
ernde Durchführung einer purinfreien eiweiss¬
armen Kost. Lässt diese sich nicht durchhalten, so dringt man
wenigstens auf Fleischarmut der Kost und legt von Zeit zu Zeit Purin¬
fasttage ein.
, D'e Indikation zu einer ähnlichen Kost besteht, wenn auch ge-
müdert, bei Leuten mit Arteriosklerose, Praesklerose
und bei hypertonischen Zuständen überhaupt. Hier sind die Be¬
ziehungen zwischen Eiweissüberernährung und Krankheit schon viel
dunkler Wenn man sich aber vor Augen hält, dass aus den Amino¬
säuren des Eiweisses äusserst intensiv wirkende Substanzen, die
Amine entstehen, zu denen z. B. auch das blutdrucksteigernde A d -
r e n a 1 i n Beziehungen hat, so kann man vielleicht neben den all¬
gemeinen Wirkungen des gesteigerten Stoffwechsels auch noch spe-
ziellere intermediär sich abspielende Störungen vermuten. Selbst¬
verständlich kommen gerade bei diesen Zuständen häufig auch noch
Nierenfunktionsstörungen vor, die zu einer schädlichen Retention von
Eiweissabkömmlingen führen.
Dass im Darm solche Amine unter dem Einfluss der Fäul-
n i s entstehen, ist seit B r i e g e r s Untersuchungen bekannt,
v. Noorden hat auf die Resorption von Eiweissfäulnisprodukten
Erscheinungen neuritischer Art zurückgeführt, die man zuweilen bei
Ubstipierten findet. Manche schwere Anämien finden vielleicht
lwe*ssgi te i^re Erklärung. Dass Urtikaria und andere Haut-
attektionen, wie das zirkumskripte Quincke sehe Oedem, hart¬
näckige Ekzeme und Aehnliches auf die Wirkung proteinogener Stoffe
zuruckgeführt werden können, ist bekannt. Durch Untersuchungen
von Stahelin, Magnus-Alsleben, Eppinger kennen wir
einige experimentelle Details. Ich selbst habe in ähnlicher Richtung
gearbeitet. Es lässt sich hier noch vieles theoretisieren, namentlich
im Hinblick auf die gastro-intestinalen Autoin toxi-
ka >onen. Aber die Grundlagen sind noch unsicher und der tat¬
sächliche Beweis für viele Hypothesen ist erst noch zu erbringen
ln Fallen von Idiosynkrasie gegen bestimmte Eiweiss-
ar i-’ ji- ry Eiereiweiss, hat roan mit dem Bestehen einer Ueber-
empfindlichkeit zu rechnen. Man nimmt an, dass Teile dieses Nah¬
rungseiweisses mehr oder weniger unzersetzt den Darm passieren
und so den überempfindlichen Organismus schädigen. Vielleicht
kommt man in geeigneten Fällen durch Heranziehung der
Abderhaldenschen Reaktion weiter, von deren
vorzüglicher Brauchbarkeit und richtiger Grund-
'a,?e.jc.humich durch viele Erfahrungen an meiner
Klinik uberzeugt habe.
Die Schädlichkeit grösserer Eiweisszufuhr bei manchen Dia¬
betikern durch die Zuckerbildung aus Eiweiss kann ich als längst
bekannt voraussetzen.
Aues in anem Kann es nicht zweifelhaft sein, dass man bei
zahlreichen Krankheitszuständen mit der Zufuhr
von Eiweiss zurückhaltend sein muss, und durch inten¬
sive Beschränkung, die wenigstens vorübergehend bis zur Eiweiss-
minimumgrenze herabgehen kann (Einlegung von Eiweissfast¬
tagen), gute Heilerfolge erzielt. Man muss aber seiner
Indikation sicher sein, um nicht in grobe Fehler
zu verfallen. So kommt es mir z. B. nicht selten vor.
aass arthri tische Frauen, die an jener Form des chronischen
Gelenkrheumatismus leiden, welcher in der Regel mit allgemeineren
tr op hi sehen Storungen Hand in Hand geht, fälschlicherweise, weil sic
als Gicht aufgefasst werden, auf purinfreie eiweissarme Kost gesetzt
sind. Hier ist sie sicher ganz verfehlt und richtet entschieden durch
Vermehrung der schon bestehenden Unterernährung Schaden an.
Durch zahlreiche neuere Untersuchungen haben die Beziehungen
zwischen Gallensteinleiden und Ernährung eine weit¬
gehende Erklärung erfahren. Aschoff und Bacmeistcr kamen
auf Grund eingehender Studien zu der Ansicht, dass eine vermehrte
Cholesterindiathese die Gallensteinbildung befördern müsse. Es hat
of" 1 nun ergeben, dass bei Fleischfressern der Cholesteringehalt im
Blute hoher ist als bei Herbivoren (Grigaut): damit stehen im
besten Einklang die Untersuchungsresultate von Goodmann und
a°" r?u3iC e.‘ S *5 V die beim Tier reSD- Mensch eine Abhängigkeit
des Cholesteringehaltes der Galle von der Ernährung, einen Anstieg
m eiw.e|ssreicher Kost, ein Absinken bei Kohlehvdratzufuhr ergaben
Man wmd also in der Prophylaxe und Therapie bei Gallensteinleiden
auf die Ernährung in bestimmtem Sinne (Herabsetzung des Chole¬
steringehaltes von Blut und Galle) Rücksicht nehmen.
Kurz erwähnt müssen die Beziehungen zwischen Ernährung
und Geschwülsten werden. In einer kürzlich erschienenen
Abhandlung über das Problem der Geschwulstmalignität berührt
Verse diese Frage, und hebt die Tatsache besonders hervor, dass
der Darmkrebs bei reichlich genährten Leuten häufiger sei und dass
die Ueberernährung besonders die Krebsbildung im Digestionstraktus
1634
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
begünstige; er führt die Metzger als Beispiel an. P. Cohnheim
stellt die Ansicht auf, dass der Magendarmkrebs (vom Ulcuskarzinom
abgesehen), meist kerngesunde Leute von breitem Habitus befalle,
die vorher Steine hätten vertragen können und daher auch ihrem
Verdauungskanal besonders viel zugemutet hätten, während schmale
Leute und Enteroptotische 2— 3 mal weniger Magendarmkarzinome
zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr zeigen, indem sie wegen der
sich bei ihnen leicht einstellenden dyspeptischen Beschwerden Diät¬
fehler sorgfältiger vermeiden. Die breiten Individuen überwinden also
die zur Krebsbildung disponierenden Schädigungen (Ueberernährung
etc.) leichter und vermehren sie andererseits dadurch unverhältnis¬
mässig. Man wird hier an die im Ehrlich sehen Institut von
Morcschi erhobenen interessanten experimentellen Feststellungen
denken müssen, nach denen das Wachstum der Neubildung bei
Hungernden und unterernährten Tieren ein geringeres ist resp. zum
Stillstand kommt. Die Resultate bilden einen Beweis für die Vor¬
stellungen E h r 1 i c h s von der Bedeutung athreptischer
Funktionen für das Tumorwachstum überhaupt. Man
könnte daran denken, dass unter dem Einfluss des Hungerns die
Avidität der Körperzellen zu den Nährstoffen vor allem dem Eiweiss
erheblich steigt und stärker wird (wenigstens vorübergehend), wie
die Avidität der Tumorzellen zu diesen. Die Körperzellen reissen
also alle Nährstoffe an sich, den Tumorzellen bleiben keine mehr übrig
und der Tumor kann daher nicht mehr wachsen. Später kann sich
die Avidität ändern und es können dann die Tumorzellen wieder das
Uebergewicht bekommen. Ehrlich und Moreschi legen aber
das Hauptgewicht auf eine Verarmung an spezifischen Stoffen,
die in keiner quantitativen Beziehung zu den allgemeinen Nahrungs¬
stoffen stehen, aber für das Leben des Organismus grundlegende
Bedeutung haben. Die Tiere gehen zugrunde, wenn der wahsende
Tumor so viel von diesen Stoffen an sich reisst, dass dem Organismus
ungenügende Mengen zur Verfügung bleiben. Es handelt sich hier
um Vorstellungen, wie wir sie bei den Vitaminen wiederfinden werden.
Endlich wurde noch die Empfänglichkeit für Infek¬
tionen speziell für Tuberkulose in ihrer Abhängigkeit zum
Eiweisshaushalt untersucht. Hornemann und Thomas fanden,
dass eiweissreich ernährte Tiere bei weitem weniger empfänglich für
Tuberkulose sind wie eiweissarme ernährte. Auch die Giftempfind¬
lichkeit ganz allgemein scheint von der Ernährungsweise abhängig
«u sein (R e i d Hunt, R e a c h.).
Es liegen also auf diesen Gebieten zahlreiche Probleme, welche
vor. einschneidender Bedeutung für die Lebenshaltung sind, aber in
ihren Einzelheiten noch der weiteren Erforschung harren.
Ich übergehe die Zustände, wo eine Einschränkung der Kohle¬
hydrate und Fettzufuhr indiziert ist, weil ich sie als bekannt voraus¬
setzen kann. Hier ist nicht viel Neues zuzufügen.
Eine grosse Bedeutung hat zweifellos der Salzstoffwech-
s e 1. Wir sind hier erst im Beginn der Erkenntnis, was für Störungen
durch dieses oder jenes Salz hervorgerufen werden können. Wir
kennen gewisse antagonistische Wirkungen der einzelnen
Salze durch die Untersuchungen von Loeb, Melzer und Auer,
Hofmann, Höber u. a. und haben aus ihnen bereits wichtige
therapeutische Gesichtspunkte gelernt. Ich brauche nur z. B. die
neuerdings wieder stark in Aufschwung gekommene und gut fun¬
dierte Kalzium medikation bei gewissen nervösen Störungen, wie
Asthma bronchiale, Tetanie, zu erinnern an die Magnesiumsul¬
fattherapie beim Tetanus und an die Bemühungen H i r t h s,
durch Zufuhr des Natriumions den Hitzschag zu vermeiden.
In den Beziehungen der Salze zu den Lebensvor¬
gängen und ihren Störungen liegt noch ein grosses
Gebiet zu erforschen vor. Inwieweit fehlerhafte Ernährung
und andere Vorgänge als auslösende Krankheitsursache eine Rolle
spielen, wissen wir im Einzelfall nicht genau.
Wir waren gewohnt, als lebenswichtige Stoffe Eiweiss, Fett
und Kohlehydrate, Wasser und Salze anzusehen, und hielten die
Reihe damit für geschlossen. Es hat daher berechtigtes Aufsehen er¬
regt, als es sich herauszustellen schien, dass es ausserdem noch
Substanzen von lebenswichtiger Bedeutung gibt,
deren Existenz wir noch nicht kannten und deren Fehlen in der Nah¬
rung zu Krankheit und Tod führen soll.
Ausgangspunkt für diese Untersuchungen war die in Ostasien
häufig vorkommende Beriberi. Eijkman wies bereits vor län¬
gerer Zeit nach, dass bestimmte Vogelarten, z. B. Hühner, bei
ausschliesslicher Ernährung mit geschältem, poliertem, von seiner
Silberhaut sorgfältig befreitem Reis nach wenigen Tagen appetitlos
werden und unter starker Abmagerung und einem eigenartigen Sym-
ptomenkomplex, den er als P o 1 y n e u r i t i s G a 1 1 i n a r u m be-
zeichnete, zugrunde gehen. Er wies schon darauf hin, dass diese Er¬
krankung der Hühner sehr an die menschliche Berberi erinnere. In
jüngster Zeit sind diese Versuche namentlich von Funk und von
Suzuki und seinen Schülern wieder aufgenommen worden. Es
hat sich gezeigt, dass die Erkrankung ausbleibt, wenn man das Sil¬
berhäutchen des Reises oder Reiskleie mit verfüttert und dass man
auf dieselbe Weise bereits erkrankte Tiere heilen kann.
Funk hat die Stoffe, die dem geschälten Reis fehlen und deren
Zugabe lebensrettend wirkt, Vitamine genannt und die Krank¬
heiten, die auf das Fehlen von Vitaminen zurückzuführen sind, als
Avitaminosen bezeichnet. Zu ihnen gehören ausser Beriberi,
der Skorbut, die Möller-Barlowsche Krankheit der
Kinder, vielleicht auch die P e 1 1 a g r a. Funk spricht von aller¬
hand Beziehungen zu anderen Krankheiten, wie der Rachitis und
den Nährschaden der Kinder. Auch die Wirkung der
Noordcnschen Haferkur führt er auf Vitamine zurück. Er
stellt schliesslich die Annahme eines Wachstumsvitamins auf,
und findet Bemühungen zum Karzinom. Es schliesst sich bei letz¬
terem direkt an die athreptische Theorie E h r 1 i c h s an.
Ueber die Natur des Vitamins weiss man nichts Sicheres.
Funk vermutet, dass sie den Purinbasen resp. den Pyrimidinen
nahestehen. Ich muss hierzu bemerken, dass mir diese Zuteilung
der Körper zur Puringruppe nicht plausibel erscheint, da alles dafür
spricht, dass der tierische Organismus sehr wohl imstande ist, die
Synthese der Purine durchzuführen. Von den japanischen Forschern
wurde die N i k o t i n s ä u r e in der Reiskleie aufgefunden. Man
wird erst weitere Untersuchungen abwarten müssen.
Die Vitamine lassen sich aus zahlreichen Nahrungsmitteln durch
Alkoholextraktion gewinnen. Führt man diese Extraktion
bis zur vollkommenen Erschöpfung aus, so werden die Nahrungsstoffe
völlig entwertet. Zugabe des Extraktes macht sie
wieder vollwertig. So kann man z. B. mit Brot, Kar¬
toffeln, Trockenmilch und anderen Nahrungsstoffen, die in
dieser Weise mit Alkohol extrahiert sind, Tiere nicht mehr am Leben
erhalten. Stepp, der zahlreiche Versuche nach dieser Richtung aus¬
führte, kam zu ähnlichen Resultaten, wie Funk und die anderen.
Allerdings führt er die Entwertung z. T. auf die Wegnahme von Li¬
poiden zurück. Meines Erachtens sind die Lipoide kein notwendi¬
ger Nahrungsbestandteil, weil sie der Organismus offenbar syn¬
thetisch zu bilden vermag. Man kann die Nahrungsmittel auch durch
langes Kochen mit Wasser und durch anhaltendes
Sterilisieren entwerten, indem die Vitamine relativ leicht zer¬
störbar sind.
Wie man sich die Wirkung der fraglichen Körper vorzustellen
hat. ist noch völlig unklar. Man wird zunächst entschieden an die
bereits erwähnten Beobachtungen erinnert, dass gewisse Amino¬
säuren, vom Körper nicht synthetisch gebildet werden können und
dass daher Proteine, denen diese fehlen oder genommen sind, zum
Eiweissersatz untauglich sind. Man könnte sich mit Abderhalden
und Lampe vorstellen, dass durch die energische Vorbehandlung
mit Alkohol und ähnlichem notwendige Bestandteile der Nahrungs¬
mittel zerstört und diese so entwertet werden. Auch bei den Vita¬
minen handelt es sich offenbar um Substanzen, deren Synthese dem
Organismus nicht gelingt und die daher von aussen zugeführt werden
müssen.
Man könnte sich vorstellen, dass unter Umständen die Wirkung
derartiger Substanzen trotz ihrer Zufuhr pathologischerweise gestört
ist. Man könnte ferner annehmen, dass bei ihrem Ausfall in Krank¬
heitszuständen die synthetische Tätigkeit des Organismus irgend¬
welche Störung erleidet, und dass dadurch Ernährungsstörungen be¬
stimmter Art Platz greifen. Vielleicht ist bei der Infektion, beim Kar¬
zinom und ähnlichen Zuständen auch mit derartigen Vorgängen zu
rechnen, die dann zur sogen, toxogenen Stickstoffmehrausfuhr bei¬
tragen könnten. Jedenfalls ist man hier neuen Erscheinungen auf der
Spur, die eine Menge Perspektiven geben und manches Rätsel lösen
können, das uns heute noch beschäftigt. Ob es freilich nötig ist, in
den Vitaminen neue lebenswichtige Nahrungsbestandteile voraus¬
zusetzen, scheint mir zunächst noch nicht sicher bewiesen.
Ich habe Ihnen nur einen kurzen Abriss geben können, nur Streif¬
lichter auf neue wichtige Anschauungen und Befunde. Es Hesse sich
noch vieles anreihen; es ist zweifellos verwunderlich, dass man auf
dem alltäglichen Gebiete der Ernährung immer noch so vieles Neue
findet. Wir Aerzte müssen uns mit diesen Dingen vertraut machen.
Denn nichts ist wichtiger, als eben die alltägliche Ernährung. Es
gilt hier voll und ganz der Spruch, den Leyden einst seinem be¬
rühmten Handbuch der Ernährungstherapie auf den Weg gab: Qui
bene nutrit, bene curat!
Bücheranzeigen und Referate.
L. Brauer, G. S c h r o e d e r, F. Blumenfeld: Handbuch
der Tuberkulose. In 5 Bänden. Unter Mitwirkung von 45 Mitarbei¬
tern. Erster Band. Mit 88 Abbildungen, 10 Kurven und 9 farbigen,
1 Stereoskop- und 8 schwarzen Tafeln. Leipzig, Joh. Ambr. Barth,
1914. 792 Seiten. Preis 35 M
In der Vorrede sagen die Verfasser, das Handbuch stelle die
2. Auflage des von Schroeder und Blumenfeld 1904 heraus¬
gegebenen Handbuchs der Therapie der chronischen Lungenschwind¬
sucht dar. Zu den Kritikern, die von der 1. Auflage sagten, das Buch
sei mehr, als sein Titel verspreche, hat auch der Unterzeichnete ge¬
hört. Es war ein Handbuch der Pathologie vom therapeutischen
Standpunkte aus. ..Der Stoff sei den Autoren unter den Händen ge¬
wachsen“, sagen die Herausgeber. Die vorliegende Ausgabe ist von
vorneherein auf einer sehr breiten Basis angelegt, sie soll die ganze
Lehre von der Tuberkulose umfassen. Gewiss ist es ein eigenartiges
Unternehmen, wenn sich fast ein halbes Hundert von Autoren in das
Gebiet eines einzigen, wenn auch eines enorm wichtigen Krankheits¬
prozesses teilt. Es zeugt von der spezialisierenden Richtung unserer
Zeit. Zunächst liegt in dem 1. Bande eine Reihe von Aufsätzen und
Monographien, teils allgemeiner teils sich speziell auf die Lungen¬
tuberkulose beziehender Natur vor. Predoehl gibt die Ge-
21. Juli 1914.
MUHNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1635
schichte der Tuberkulose in einer relativ kurzen Uebersicht
wieder. Diese weise Beschränkung ist bei dem ungeheueren Umfang
des historischen Materials sehr anzuerkennen. Die patho¬
logische Anatomie der Tuberkulose stammt aus der Feder
des durch seine Studien über die Ursachen der Lungenkrankheiten
rühmlich bekannten holländischen Pathologen Tendeloo, der in
überaus gründlicher und doch nicht zu ausführlicher Weise die viel¬
gestaltigen Formen der 1 uberkulose in allen Organen schildert In
seiner originellen Weise gibt H. Much ein klares Bild der Morpho-
logie und Biologie des Erregers der Tuberkulose, in das er leb¬
hafte Diskussionen mit den Gegnern seiner Entdeckungen und Auf-
fassungen einflicht. Das Gleiche gilt von dem Kapitel desselben
Autors über Immunität. Die Ansteckungswege der Tuber¬
kulose werden von dem bekannten Schüler v. Behrings, Paul
H. R ö m e r, dargestellt, dem wir schon viele erfolgreiche Arbeit auf
Jem Gebiete der I uberkulose verdanken. Die Fragen der Disposition
und individuellen Prophylaxe hätten wohl keinem Besseren anver-
traut werden können, als F. M a r t i u s, dem vorzüglichen Bearbeiter
Jer. yererbungsprobleme in der Medizin. Unter dem Titel „Epidemio-
behandelt G o 1 1 s t e i n die geographische Verbreitung und die
■'tatistik der I uberkulose. Die trotz aller gegenteiligen Behaup¬
te!1 auch für die menschliche Prophylaxe bedeutungsvolle Be-
tampfung der 1 iertuberkulose verdanken wir Dammann in Han-
lover Eine eindrucksvolle Darstellung der Tuberkulose in sozialer
Jeziehung hat Ministerialdirektor Kirchner geliefert. Im spe-
nellen Teile, der sich zunächst mit der Lungentuberkulose
gefasst, ßibt B r e c k e eine sehr ausführliche Beschreibung der
Diagnose, die vielleicht durch eine schärfere und kritischere Hervor-
lebung des Wichtigen noch gewinnen könnte. Dass die klinische
Bedeutung der Tuberkulinreaktionen einem besonderen Autor zuge-
eilt ist, lässt sich zur Not im allgemeinen rechtfertigen und wird
iurch die Art, wie J. Ritter seine Aufgabe gelöst hat, im Spe-
lellen gerechtfertigt. Ueberflüssig erscheint es aber nach der Mei-
~fs Unterzeichneten. dass der klinisch noch so wenig erprobten
uethode der I horakoskopie und Laparoskopie ein besonderes Ka¬
utel in der Bearbeitung seitens ihres Erfinders Jacobaeus zuge-
v lesen worden ist. Die reich illustrierte Schilderung der Ergebnisse
es Rontgenverfahrens bei der Lungentuberkulose ist ein wertvoller
ibschmtt des Buches. Schliesslich ist der Versuch M e i s s e n s, die
limschen Formen der Lungentuberkulose abzugrenzen, sehr be-
chtenswert. So stellen sich in Kürze die einzelnen Beiträge zum
rsten Bande des Handbuches dar. Wie sich aus diesen und den
eiteren, die angekündigt werden, ein wirklich homogenes Ganzes
Drmen wird, das müssen die folgenden Bände zeigen. Jedenfalls
erechtigt der vorliegende Band, an dem die geradezu glänzende
.usstattung und die zum Teil vorzüglichen Abbildungen noch be-
anders hervorgehoben werden müssen, zu der Hoffnung, dass das
e.?a™*e Werk in der Tat ein vollständiges Bild unseres gegen-
artigen Wissens und Könnens auf dem Gebiete der Tuberkulose
eben wird Wenn sich die Herausgeber mit der Hoffnung tragen,
uch dem allgemeinen Praktiker das Material an die Hand zu geben
as die Arbeit eines Jahrhunderts geschaffen hat, so beschleicht den
eferenten ein leiser Zweifel, ob sich viele, beschäftigte Aerzte in
*s ‘ H,!lim ,eines so umfangreichen Werkes zu versenken imstande
nd. W ünschen wollen wir dem Buch von Herzen die weiteste Ver-
'eitung- P e n z o 1 d t.
H. H e r z - Breslau: Die Störungen des Verdauungsapparates als
tilge anderer Erkrankungen. 2. umgearbeitete und vermehrte Auf-
ge. III. I eil: „Die chronischen Infektionskrankheiten in ihren Be-
ehungen zum Verdauungsapparat“. Berlin 1914. Verlag S.Kareer
reis 9 M.
• ^\as bereits bei der Besprechung der akuten Infektionskrank-
iten in ihren Beziehungen zum Verdauungsapparat rühmend hervor-
thoben wurde (Nr 17, Jahrg. 1914, S. 375 d. Wschr.), gilt in gleichem
asse von vorliegendem 3. Abschnitt, der sich mit den chronischen
tektionskrankheiten in ihren Beziehungen zum Verdauungsapparat
dasst. Hier sind es vor allem die gewaltigen Kapitel der Tuber-
Hose und der Syphilis, die uns fast auf jeder Seite auf Grund der
uesten Forschungen eine Ergänzung und Bereicherung unserer bis-
rigen Kenntnisse vermitteln, doch auch die Kapitel der Aktino-
s kose, Lepra und des Rhinoskleroms haben eine Neubearbeitung
d damit zusammenhängend zum Teil wenigstens eine nicht un-
esenthehe Vermehrung erfahren, so dass wir auf Grund des mit
uirem Bienenfleiss aus der einschlägigen Literatur zusammen-
J tragenen Materials uns jederzeit ein deutliches Bild über den gegen-
irtigen Stand der hier berührten Fragen zu schaffen vermögen,
»durch sich vorliegendes Buch in gleicher Weise wertvoll erweist
•i Ti rachkollegen sowohl, wie auch als Nachschlagewerk für
l len Praktiker. A. J o r d a n - München.
E. Haitz: Tafeln zur binokularen Untersuchung des Gesichts-
dzentrunis vermittelst des Stereoskops. Zweite Auflage. Berg-
3 r-H’c ^ iesbaden 1914. Preis 2 M. (Untersuchungsgegenstände
i t. S y d o w, Berlin.)
Zum Nachweis zentraler einseitiger Skotome zwischen 0 und 10°
3en Sich die 1905 in die Untersiichungsmetho.den eingeführten Tafeln
■ wahrt. Binokularer Sehakt ist erforderlich. Die Abweichung von
r normalen Atigenstellung, die dem Untersucher das Stereoskop
verbirgt, macht sich dem Patienten selbst durch Verdoppelung der
gemeinsamen Konturen bcmerklich.
Die zweite Auflage der Tafeln gleicht ganz der ersten, die Ob¬
jekte wurden verbessert. Gilbert.
R. Kolk witz: Pflanzenphysiologie. Versuche und Beobach-
tungen an höheren und niederen Pflanzen einschliesslich Bakteriologie
un“ , ,yd ,ogie mit Planktonkunde. Mit 12 z. T. farbigen Tafeln
c 6 Abladungen im Text. Jena 1914. Verlag von .1. F i s c h e r.
258 Seifen. Preis 9 Mark, geb. 11 Mark.
Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gesetzt, aus dem Gebiet
aer pflanzenbiologischen Experimente eine solche Auswahl von
Uebungsbeispielen herauszustellen, dass durch sie eine möglichst
instruktive Vorführung der wichtigsten pflanzenphysiologischen Er¬
kenntnisdaten gewährt wird, um so womöglich eine durch Phvsio-
!r°S1w *e Systematik der Pflanzen entstehen zu lassen. Wie weit
der Verfasser dieses Ziel erreicht, vermag der Referent als Mediziner
nicht ausreichend zu beurteilen. Eins aber ist sicher. In dem Buche
sind eine ausserordentlich grosse Zahl verhältnismässig einfacher
Versuche beschrieben, die einen tiefen Einblick in die Physiologie
des pflanzlichen Geschehens gewähren und zweifellos auch dem Arzte
der die Botanik lieb behalten hat, durch die Sicherheit ihres Ge-
mgens und durch die überraschende Fülle der Ergebnisse manche
Freude werden bereiten können. Die hier dargebotene Einsicht in
die Grundlagen der pflanzlichen Vorgänge ist sicher geeignet, auch
für den Arzt den Blick für die Zusammengehörigkeit aller Lebens¬
erscheinungen zu weiten. Schade- Kiel.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 127. Bd., 5.-6. Heft.
. . ? °J. c t1 a.r,d: Akute progrediente Enzephalitis, akute zirkum-
skripte Meningitis und Meningoenzephalitis. (Aus der chir. Abteilung
des Diakonissenhauses zu Posen.)
Wie die allerdings erst spärliche Literatur zeigt, gibt es Fälle
MISnebeneu Entzündungen im Gehirn, die akute Enzephalitis, die
Meningoenzephalitis, die Meningitis circumscripta acuta, die durch ziel¬
bewusste Trepanation und Ausschaltung des Erkrankungsherdes zur
Heilung gebracht werden köneen. Fälle akuter traumatischer Enzepha¬
litis von Hahn, v Bergmann, Friedrich etc.; diese hat sowohl
irut als auch ohne Infektion die Tendenz, fortzuschreiten, die Operation
kann Heilung bringen. Für die Meningitis serosa acuta circumscripta
kommen ätiologische Trauma oder Infektion oder beide in Frage im
akuten Stadium liegt immer eine Enzephalitis der Rinde mit vor —
also eine Meningoenzephalitis. Das nach einem gewissen Zeitpunkt
— 48 Stunden — einsetzende Auftreten oder die Zunahme der allge¬
meinen Drucksymptome und der Herderscheinungen und die
Anamnese (Trauma, Intoxikation, Infektion) lässt die Diagnose akute
Enzephalitis, Meningitis, Meningoenzephalitis stellen und zwingt bei
rogredienz zum therapeutischen Handeln. Bei allgemeinen Hirn¬
drucksymptomen mag die Lumbalpunktion versagt werden. Speziell
bei progredienten Herdsymptomen ist die Trepanation über dem
Herde der beste Eingriff. Eigener Fall: 35 jähriger Mann, vor
9 Wochen Schlag über dem Kopf, eine offene Wunde heilte gut, seit
2 l agen Lahmungserscheinungen im linken Arm und Bein, Muskel¬
zuckung, Kopfschmerzen; Trepanation unter der Diagnose: Pro-
grediente Enzephalitis über der rechten motorischen Region; es findet
sich hier ein fünfmarkstückgrosser meningoenzephalitischer Herd;
I amponade, Heilung. Des weiteren teilt B o r c h a r d einen bereits
auf dem Chirurgenkongress 1912 kurz erwähnten Fall mit, in dem sich
Jahre nach einem Trauma über dem linken Stirnhirn eine Menin-
gitis serosa circumscripta chronica entwickelte bei einem Patienten
rmt lues-verdächtiger Anamnese; Trepanation, Spaltung der Dura
nach Abfluss der reichlichen Flüssigkeit Naht der Dura, Heilung.
. V S u b b o t i t s c h: Kriegschirurgische Erfahrungen über trau¬
matische Aneurysmen. (Aus dem serbisch-türkischen und dem ser¬
bisch-bulgarischen Kriege 1912 — 1913.)
An den Operationen beteiligten sich 24 Chirurgen aus verschie-
denen Landern; es wurden legiert: 78 Arterien und 11 Venen, partiell
genaht 15 Arterien und 11 Venen, zirkulär genäht 15 Arterien und
5 Venen Die Art. femoralis wurde 28 mal ligiert und 14 mal genäht
Beginn des Aneurysma gewöhnlich erst nach einigen Tagen oder
Wochen. Vollkommen quere Gefässdurchtrennungen sind bei un¬
komplizierten Gefässverletzungen selten. Das Schwirren (Thrill)
des Aneurysma ist zuweilen weit zentral von der Verletzungsstelle
wahrzunehmen und erschwert die Orientierung über die Stelle der
Ver etzung Beim Aneurysma arterio-venosum fand sich zuweilen
stärkere Dilatation der zentralen Gefässabschnitte. Am besten Operation
in Lokalanästhesie ohne Esmarch (besonders wegen der Kontrolle
des Kollateralkreislaufes). Blutet es nach Abklemmung des zentralen
( jefassstumpfes aus der Arterie genügend, so kann man ruhig die
Ligatur ausfuhren. Wichtig ist, das umgebende Hämatom aus-
zuiaumen. uefässnaht kann nur bei nicht infizierter Wunde gemacht
werden; sie ist nicht ohne Gefahr. Thrombose, Embolie, Nachblutung,
bei gut funktionierendem Kollateralkreislauf ist die Ligatur in der
Kriegschirurgie das einfachste Verfahren. Auffallend ist die Zahl
von Gangrän des Fusses und des Unterschenkels nach Ligatur der
Femoralis unter (4), der Poplitea (2) und der Tibialis post. (2). Aus
der Kasuistik sei erwähnt, dass von 2 Verletzungen der Art. verte-
bialis der eine Patient ungeheilt entlassen wurde, der andere an Ver-
1636
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
blutung starb. Lecco schlägt auf Grund dieser Erfahrungen vor,
wenn bei Verletzung der Vertebralis und Unterbindung des zentralen
Endes die Blutung nicht steht, auch die andere Vertebralis in der
Supraklavikulargrube zu unterbinden, um dadurch den arteriellen
Zirkulus zu unterbrechen, der zu der Blutung aus dem peripheren,
meistens sich retrahierenden Stumpfes der verletzten Seite führt.
Eduard Melchior: Zur Kenntnis der Fremdkörper des Duo¬
denums. (Aus der Breslauer chirurgischen Klinik.)
Eine 24 jährige Krankenpflegerin verschluckte vor 5 Jahren
9 Nähnadeln in einem Nadelbrief; seit einem Monat in der Lenden¬
wirbelsäule Schmerzen, und seit 14 Tagen ununterbrochen in der
rechten Bauchseite. Röntgenaufnahme zeigt etwas rechts von der
Wirbelsäule entsprechend der druckempfindlichen Stelle rechts vom
Nabel in der Höhe des 3. — 2. Lendenwirbels 3 fast senkrecht stehende
Nadeln. Bei der Operation fanden sich nach Mobilisierung des Duo¬
denums und der Flexura coli dextra 2 Nadeln in der Pars descendens
duodeni und konnten nach Längsinzision entfernt werden. 2 weitere
Nadeln in der Pars superior duodeni können durchgespiesst werden.
Uebernähung der kleinen Oeffnung, entlastende retrokolische Gastro-
jejunostomie, Heilung. Eine Orientierung in der Literatur zeigte dem
Verfasser, dass in 23 Fällen Fremdkörper im Duodenum operativ
entfernt wurden. Demnach stellt das Duodenum — im Gegensatz
zu den früheren Anschauungen — eine ausgesprochene Prädilektions¬
stelle für die Arretierung verschluckter Fremdkörper dar. Das Haupt¬
hindernis für die Fremdkörperpassage stellt der Angulus inferior dar.
Perforationen und andere Schädigungen sind wiederholt beschrieben.
Klinisch sind mehrfach Schmerzen rechts vom Nabel mit Ausstrahlung
in Rücken und Schulter beschrieben. Obstruktionserscheinungen
wurden nur ganz ausnahmsweise beschrieben. Fremdkörper im
Röntgenbild, die an der rechten Aussenseite des 2. oder 3. oder auch
noch des 3. — 4. Lendenwirbels gelegen sind, sind mit grösster Wahr¬
scheinlichkeit auf das Duodenum und zwar die Pars descendens zu
beziehen. Da von 17 operierten, meist komplizierten Fällen 6 starben,
ist die frühzeitige Operation, die je nach dem Sitz modifiziert wird,
erforderlich.
Hans And ree: Die Plica diaphragmatica ovarii als Ursache
einer Darminkarzeration. (Aus der chirurgischen Abteilung des
Vereinskrankenhauses zum Roten Kreuz in Bremen.)
Bei der Operation und der späteren Autopsie eines unter den
Erscheinungen einer Appendicitis perforativa erkrankten 13 jährigen
Mädchens fand sich eine Darniinkarzeration durch eine aussergewöhn-
liche, sichelförmige Peritonealfalte, die von der Radix mesenteria zu
den rechten Adnexen verläuft. Die Bauchfellduplikation wird als die
stehen gebliebene Plica diaphragmatica ovarii gedeutet, ein Analogon
der Plica diaphragmatica testis (in den letzten 80 Jahren 6 Fälle in
der Literatur). Ein gleichzeitig aufgefundener Dünndarmpolyp wird
als hyperplastisch-papillomatöses Granulom des Ductus omphalo-
mesentericus bezeichnet.
Arthur W. Meyer und R. Kohlschütter: Ueber echte Er¬
frierungsgangränen im bulgarisch-türkischen Kriege. (Aus dem Kriegs¬
lazarett der deutschen Aerzte in Dedeagatsch.)
Nicht die von W i e t i n g und D r e y e r „als Unterkühlungsgan¬
gränen“, von Welker als „Cholera- und Typhusgangränen“ be-
zeichneten Schädigungen, sondern echte Erfrierungen, wie sie in den
Schützengräben von Adrianopel, Tschataldscha und Galipoli bei ca.
10° vorkamen, sind Gegenstand der Arbeit. Etwa 150 derartige
Kranke wurden von dem Verfasser behandelt. Weitaus die Mehrzahl
der Kranken zeigte Nekrosen der Kutis, der Subkutis, der Sehnen,
Faszien, Muskeln und Knochen: Erfrierungen 1. und 2. Grades wurden
nur ganz wenige beobachtet. Ging an der unteren Extremität die
Hautnekrose bis in die Nähe des Chopart sehen Gelenkes bei ne¬
krotischen Metatarsalknochen, so zeigte sich, dass auch alle Tarsal¬
knochen mit Ausnahme des Talus und eines Teiles des Kalkaneus ne¬
krotisch waren. Nur was bei Einschnitten in das Gewebe selbst
blutete, erhielt sich. Wichtigkeit tiefer Inzision vor der Amputation.
An den Füssen überwog die feuchte Gangrän, die häufig zu ausge¬
dehnten Phlegmonen führte, in einem Fall Tetanus. Die feucht gan¬
gränösen Teile sollen bei deutlich werdender Markierung entfernt
werden. Phlegmonen werden breit geöffnet: trockene gangränöse
Partien werden in der Demarkationslinie abgekniffen, nach Abstossen
der Hautnekrosen wurde in Chloroformrausch die Nachtoilette der
Wunde gemacht. Auch die grössten Wunden an Fusssohle und Ferse
zeigten eine fabelhafte Granulations- und Epithelisierungstendenz
und ermöglichten dabei ein beschwerdefreies Gehen, so dass aus¬
gedehnt konservativ behandelt werden konnte. Bei Sepsisgefahr
(Nekrose des ganzen Fusses) Amputation an der Exartikulation des
Fusses, ohne primäre Naht und mit Eröffnung und Tamponade der
Sehnenscheiden. Ob der Gewebstod in den beobachteten Fällen
durch direkte Erfrierung zustande kommen oder ob es sich um
ischämische Gangrän (March and) handelte, lässt sich nicht ent¬
scheiden. Von der Art der Fussbekleidung waren die Erfrierungen
ganz unabhängig.
Vorschütz: Die Darreichung von Alkalien in der Behandlung
septischer Prozesse. (Aus der Kölner Akademie für praktische Me¬
dizin, chirurgischen Klinik Lindenburg.)
Im Tierexperiment konnte V. nachweisen. dass rizinvergiftete
Kaninchen, denen gleichzeitig Normalsäurelösung eingespritzt war,
am Leben erhalten blieben, wenn die Säure durch ein Alkali neu¬
tralisiert wurde. Pemnach muss die herabgesetzte Alkaleszenz dafür
verantwortlich gemacht werden, dass der septische Organismus nicht
dieselbe Menge Gift binden kann, wie der normale. Es wurden nur.
mit bestem Erfolge Patienten mit septischen Prozessen mit Rücksicht
auf die Herabsetzung der Blutalkaleszenz bei fieberhaften Krank¬
heiten NaHCOa verabreicht. Im ganzen wurden 36 Fälle länger^ Zeit
mit Alkalien behandelt, mit 5 Todesfällen. Die günstige Wirkung der
Alkalien schreibt Vorschütz 1. der Katalyse, 2. der Wasser¬
retention, 3. der starken Urinausscheidung und der Blutdruckerhöhung,
4 der Besserung des Appetits zu. Verfasser empfiehlt die Alkali-
verabrcichung möglichst schon im Beginn der septischen Erkrankung,
ferner bei chronischen Eiterungen und bei der sogen, toxischen
Nephritis (vgl. Aerzte- und Naturforscherversammlung 1912).
Rudolf G ö b e 1 1 und August Poggemann: Ein Beitrag zur
direkten Bluttransfusion. (Aus dem Anscharkrankenhaus und der
chirurgischen Universitätspoliklinik in Kiel.)
Verfasser wandte die direkte Bluttransfusion in 10 Fällen an.
E^ wurde womöglich die arteriovenöse Anastomose durch Gefässnaht
nach Carrel-Stich, nach dem Vorgänge von Enderlen, H o t z
und F 1 ö r c k e n ausgeführt, einmal bei einer Sepsis wurde ein Stück
Kaninchenaorta zum Zweck der Vermeidung der Infektion des
Spenders zwischengeschaltet: für in der Gefässnaht weniger Geübte
konstruierte Göbell eine praktische Prothese, die den wichtigen
Konnex zwischen der Intima der Gefässe herstellt. Die über¬
geflossene Blutmenge wird aus der Zahl der durch die Pulswelle aus-
getriebenen Blutstropfen auf 872 ccm bei einer Transfusionsdauer von
40 Minuten berechnet. Auch Göbell betont die ausgezeichnete
Wirkung bei sekundärer Anämie, die styptische Wirkung bei hämor¬
rhagischer Diathese; auch er fordert womöglich eine Vorprüfung vom
Blut und Serum des Spenders und Empfängers auf Isolysine und
Agglutinine. In 5 Fällen war das Resultat ein sehr günstiges, z. T.
die Wirkung direkt lebensrettend.
Theodor Kocher-Bern: Ein Fall von Magenvolvulus.
Bei der 53 jährigen Patientin, bei der wegen typischer Ulcus-
beschwerden eine Gastroenterostomie in Aussicht genommen war,
entwickelte sich in der Klinik ein Ileus, so dass unter der Diagnose
Volvulus der Flexura sigmoidea operiert wurde. Die Operation
zeigte, dass der Magen um 270 0 im Sinne des Uhrzeigers gedreht
war, dass also ein Magenvolvulus vorlag Nach Retrotorsion zeigte
sich, dass ein exquisiter Sanduhrmagen vorlag (5 cm lange Ulcus-
stenose unterhalb des kardialen Teiles), der pylorische Teil war ge¬
waltig dilatiert und ptotisch, die Pars sup. duodeni so verzogen, dass
sie nach links aufstieg, dabei waren die Dünndärme über dem Stiel
nach der linken Seite verlagert. Die Möglichkeit des Volvulus erklärt
sich einmal durch den Sanduhrmagen, ferner durch die Senkung und
Verschiebung des Pylorus nach abwärts. Da wiederum Störungen
auftraten: nach 5 Wochen 2. Operation. Hierbei zeigte sich, dass
wahrscheinlich infolge von mit dem Ulcus zusammenhängenden
Schrutnpfungsvorgängen die grosse Kurvatur sich der kleinen Kur¬
vatur sehr stark genähert hatte, so dass die Dilatation in Wirklichkeit
nur die vordere Magenwand betraf, dabei war das ganz verkümmerte
grosse Netz nicht mit dem Colon transversum in Verbindung. An¬
legung einer vorderen Gastroenterostomie am tiefsten Punkt des
Pylorusmagens. Später neuerdings Störungen, daher wurde noch in
einer 3. Sitzung eine Gastroplastik im Sinne von Heinke-Miku-
liez zwischen Pylorus und Kardiamagen angelegt. Heilung. Der
Fall ist der 28. reine Magenvolvulus, der 18. operierte in der Literatur,
zugleich der 7. Sanduhrmagen. Es disponieren zum Magenvolvulus:
Ptosis des Magens, Dilatation, momentane Ueberfiillung bei schlaffen
Bauchdecken mit Dehnung der Fixationspunkte nebst querer An¬
näherung ihrer Ränder, hoher Ansatz des Colon transversum, am
Magen freies Netz.
Als Gelegenheitsursachen zur Einleitung des Magenvolvulus
spielen- eine Rolle: der Brechakt, rasche Kontraktion der vorderen
Bauchwand, Stoss auf den Bauch, der Mitwirkung rein passiver
mechanischer Momente misst Kocher eine grosse Bedeutung bei
Einteilung der Fälle von Magenvolvulus mit v. Hab er er in 1. balle
von mesenterioaxialem Volvulus, 2. Fälle von oragnoaxialem Vol¬
vulus mit verschiedenen Unterabteilungen. Heftige anfallsweise
Schmerzen mit rasch auftretender Auftreibung in der Magengegend
und erheblichem Schock ohne intensiver Druckempfindlichkeit, dabei
Unmöglichkeit des Schluckens, fruchtlose Würgebewegungen event.
(abgesehen vom Sanduhrmagen!) keine Entleerung bei Sondenunter¬
suchung. Nach Retrotorsion sollen die abnormen Zustände, die zum
Volvulus führten, möglichst bald beseitigt werden, als Methode der
Gastroenterostomie bei Volvulus wird die Roux sehe Methode
empfohlen.
Vorschütz: Geheilter Fall von Schussverletzung des rechten
Ventrikels. (Aus der Kölner Akademie für praktische Medizin,
chirurgische Klinik Undenburg.)
Revolvcrschussverletzung des rechten Ventrikels, 7Vz Stunden
nach der Verletzung Einlieferung ins Krankenhaus, klinisches Bild
der Herztamponade. Nach Rippenresektion und Pleuraeröffnung stellt
sich der straff vollgeblutete Herzbeutel ein, Spaltung des Perikards-
Naht der Einschussöffnung auf der Vorderfläche, der Ausschuss¬
öffnung auf der Hinteriläche des rechten Ventrikels, Lungenblntung
mit Ueberdruck, luftdichtes Einnähen des Hautmuskellappens, Heilung
Bericht über 3 neuere Fälle in der Literatur.
H. Flörcken - Paderborn.
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1637
Zentralblatt für Chirurgie. 19N. Nr. 27.
Molfelder - Wernigerode a. H.: Heftpflaster verband bei Hasen-
schartenoperationen.
uuch der Hasenschartenoperation 2 fünfmarkstück-
grossc Heftprlasterstreifen auf jede Backe; durch diese Heftpflaster
rührt ei mit einer runden Nadel einen dicken Ramizwirnfaden, der
ii der Hohe des Mundwinkels quer durch den Mund verläuft und so
est ungezogen wird, dass die Oberlippe dauernd entspannt bleibt,
heser \ erband ist leicht anzulegen und gar nicht hinderlich bei der
Nahrungsaufnahme.
A. N a r a t h - Heidelberg: Eine zweckmässige Modifikation des
ieftpflaster verbaudes bei Hasenschartenoperationen
Die Entspannung der Oberlippe, die Hagemann (Nr. 21) etwas
inbco.uem durch den durch die Mundspalte gehenden Heftpflaster-
areiien erreichen will, erzielt Verf. durch seinen „Kreuzverband“ *
•r klebt einen 2—3 cm breiten Leukoplaststreifen an die rechte Wange
iahe dem Unterkieferrande fest, zieht ihn nach oben und links über
he Nasenwurzel und in gleicher Richtung über die linke Stirn und
.isst ihn am linken Scheitelbein enden; der 2. Streifen wird symme-
iisch dazu angelegt; die beiden Streifen kreuzen sich also ent-
prechend der Nasenwurzel. Die beiden „Kreuzstreifen“ heben die
iberhppe und entspannen die unbedeckte Nahtlinie . Damit das Kind
■eim Schreien den Mund nicht zu weit öffnet, legt Verf. noch einen
' " j n kreisförmig an nach Art einer Funda maxillae. Die Arme
es Kindes, die die Wunde nicht berühren dürfen, bindet Verf nicht
;ie Hagemann am Rumpfe fest, sondern steckt sie in Röhren aus
„arton, welche den Armen eine gewisse Bewegungsfreiheit lassen,
ber das Berühren der Oberlippe unmöglich machen. Der Verband
'J etu,as kornPl*z'erter als der von H a g e m a n n, lässt aber
ie Mundspalte frei und braucht nicht gewechselt zu werden.
Eugen J o s e p h - Berlin : Zur Technik der Pyelographie.
Da der W ert der Pyelographie sehr verschieden von den deut-
~ Choren beurteilt wird und die mangelhafte Technik schwere
chauigungen der Niere und sogar 2 Todesfälle zur Folge gehabt hat
eschreibt Verf. eingehend seine Technik der Pyelographie, mit der
r in ca. 100 Fällen keine Nachteile beobachtet hat. Um die Haupt-
ichen herauszugreifen, betont Verf. die Wichtigkeit dünner, den
retur nicht ganz ausfüllende Katheter (Nr. 5) und empfiehlt kleine
Lengen (6—8 cm) frischer lOproz. Kollargollösung durch den Ure-
renkatheter in das Nierenbecken zu injizieren; nach der Einspritzung
■iolgt sofort die Röntgenmomentaufnahme; alsdann wird sogleich
-r Katheter entfernt und der Patient darf aufstehen. Die Pyelo-
aphie soll nur dann ausgeführt werden, wenn der Ureterenkatheter
ch muhelos ms Nierenbecken vorschieben lässt. Nähere Details
nd in der anschaulichen Arbeit selbst nachzulesen.
E. Heim- Oberndorf-Schweinfurt.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. Bd. XXXIII.
Murck J a n s e n - Leyden: Die physiologische Skoliose und ihre
rsache.
Nur 7 Proz. der Wirbelsäulen sind nach J. ganz frei von seit-
hen Ausbiegungen. Die physiologische Skoliose besteht in einer
ikskonvexen Krümmung der lumbodorsalen Grenze, einer rechts-
•nvexen der mittleren Brustwirbelsäule und einer linkskonvexen
urnrnung der zervikodorsalen Partie. Die physiologische Skoliose
charakterisiert 1. durch die Konstanz ihrer Stelle und Richtung
durch das primäre Auftreten der untersten Krümmung und 3. durch
i. hohe Frequenz ihrer Nebenkrümmungen. Bei herabgesetzter
iderstandsfähigkeit der Gewebe entsteht daraus die pathologische
• oliose. Die Ursache der physiologischen Skoliose liegt in der
Mragen Insertion des linken inneren Zwerchfellschenkels. Die
i:htskonvexe Krümmung der mittleren Brustwirbelsäule beruht auf
jier grosseren Längsspannung in der linken Lunge. Die grössere
aft des linken Zwerchfellschenkels ist die Folge der geringeren
hnbarkeit des linken Thoraxinhaltes, welche wiederum durch die
lkslagerung des Herzens bedingt ist, und diese Verlagerung des
trzens endlich ist eine Folge des aufrechten Ganges. Die Arbeit
(•halt einen ausserordentlich interessanten Ueberblick über die Ent¬
fernung der Skoliosenforschung.
H. R ö d e r - Elberfeld: Lieber Gelenksversteifungen durch
l mphkreislaufstörung und deren Behandlung.
Verf. glaubt, dass der lymphatische Rachenring eine Austritts-
Urte für den Lymphkreislauf darstellt und dass hier in der Lymphe
ehaltene Keime ausgeschieden werden. Er hat schöne Erfolge bei
'rsteif ungen rheumatischer Gelenke durch Massage und Saug-
n landlung der Tonsillen. (Siehe M.m.W. 1913 Nr. 26.)
f'Kofmann - Odessa: Muskelverlagerung als Methode der Be¬
rgung der paralytischen Deformität.
Der Tibialis anticus wird z. B. medialwärts verlagert, ohne von
? 'jln Ansatz abgeschnitten zu werden, und in einer Knochenrinnc
ii Malleolus internus befestigt. Nach gleichem Prinzip wird der
w1Uw°^er ^ ensor fasciae zum Ersatz des Quadrizeps verlagert.
H.H o e ft m a n n - Königsberg: Wiederherstellung der Arbeits-
«igkeit durch Prothesen mit kinematographischen Demonstrationen.
Das Prinzip der Prothesen ist eine einfache Lederkappe mit
- -r Düse, in die verschiedene Ansätze für Werkzeuge gesteckt wer-
J können.
E. P u n c k e r - Köln: Der Klauenhohlfuss und verwandte pro-
Issive Deformitäten als Folgeerscheinungen von Spina bifida
} ults* (myelodysplastische Deformitäten).
I rogressive neurogene Fussdeformitäten, deren klinischer Be¬
fund an Poliomyelitis erinnert, Klauenhohlfiisse und Krallenzehenfüssc
mit und ohne Störungen des Nervensystems zeigen häufig den Rönt¬
genbefund einer Spina bifida occulta, in welcher Duncker die Ur¬
sache der Deformität sieht. Die Arbeit ist der erste Teil einer
grösseren Veröffentlichung.
A. Lorenz- Wien: Die zweiarmige Hebellehne.
Die Lehne ist in ihrer Mitte um eine frontale Achse drehbar. Sie
k : pen ..\orte*l> dass die Lendenwirbelsäule unterstützt bleibt, wenn
bei Ermüdung der Oberkörper nach hinten sinkt und das üesäss nach
vorne rutscht.
W Böcker - Berlin: Die Resultate der blutigen Behandlung
der tuberkulösen Hüft- und Kniegelenksdeformitäten.
Eine Reihe von Fällen, bei denen die nach der Ausheilung be¬
stellenden Deformitäten durch parartikuläre Osteotomie beseitigt
wurden.
P. B a d e - Hannover: Ueber die Beziehungen der Arthritis de-
iormans juvenilis zum eingerenkten kongenitalen luxierten Hüft¬
gelenk.
.... Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
M i 1 a t z - Rotterdam: Technische Mitteilungen, Messinstru¬
mente.
G. A x h a u s e n - Berlin: Ueber das Wesen der Arthritis de-
forreans.
... S!ehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
E. B i ber g e i 1 - Berlin: Die Beziehungen der Spina bifida
occulta zum Klauenhohlfuss.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
Nachtragend bemerkt B., dass er den ursächlichen Zusammen¬
hang beider Symptome für erwiesen hält.
May et und Delapchier - Paris: Skoliose und Appendicitis
chronica.
Unter 112 Skoliosen fand sich bei 42 eine chronische Appendi¬
zitis. Die Behandlung der Skoliose war erst nach der Appendektomie
erfolgreich.
Julius Hass- Wien: Die Röntgenbehandlung der Gelenktuber¬
kulose.
Bestrahlungen mit Desensibilisierung durch Anämie und mit
--mm-Aluminiumfilter. Am günstigsten reagierten die synovialen, am
wenigsten die ossären Formen.
M. Labe -Paris: Die Behandlung der Fettleibigkeit mittels
elektrischer Gymnastik.
Die elektrische Massage nach B e r g o n i e führt zu einem Mehr¬
verbrauch an Energie, wie die aktive Gymnastik ohne jede An¬
strengung des Herzens.
Nachrufe auf Georg P r e i s e r t und Bernhard Barden¬
heuer.
F. Brandenberg- Winterthur: Drei seltene Missbildungen.
1. Spaltbildung beider Hände und Füsse, 2. Defekt des Ober¬
armes, 3. doppelseitige Klumphand mit Defekt des Radius Theorie
der Entstehung vererbter Missbildungen. B. glaubt an fehlerhafte
Keimanlage.
S. Peltesohn - Berlin : Transplantation bei Ulnadefekt.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
E. B i b e rg e i 1 - Berlin : Funktioneller Schiefhals bei horizon¬
talem Nystagmus.
Beschreibung eines Patienten, der infolge von erworbenem Ny¬
stagmus einen Schiefhals bekommen hatte. Als Ursache des Nystag¬
mus erwies sich gesteigerter Hirndruck. Auf Grund der günstigen
Erfahrungen Heines schlägt B. bei solchen Fällen wiederholte
Lumbalpunktion vor.
G. P r e i s e r - Hamburg: Die orthopädische Behandlung der
chronischen Arthritiden mit besonderer Berücksichtigung der Statik
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
Karl H i r s c h - Berlin: Ueber angeborenen Schulterblatthoch¬
stand und Thoraxdefekt.
K. Henschen- Zürich: Die zentrale oder intrapelvine Pfannen-
wanderung der Hüfte auf koxitisch arthropatischer Grundlage.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
G u t z e i t - Neidenburg: Ein Fall von angeborener lateraler
Deviation der Grosszehenendphalanx.
M. Böhm -Berlin: Beiträge zur forcierten Korrektur der Sko¬
liose.
Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
Paul E w a I d - Hamburg-Altona: Hüftpfannenbruch und intra¬
pelvine Vorwölbung des Pfannenbodens.
von ^ Fähen. Auch Coxa vara rachitica kann zur
allmählichen Pfannenvorwölbung führen. Ebenso der primäre chro-
nische progressive Gelenkrheumatismus.
August B r ü n i n g - Giessen : Untersuchungen über Rückgratver¬
krümmungen bei der Schuljugend in Oberhessen.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
1638 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ _ Nr. 29.
E. Q. Abbott- Portland: Ueber die Skoliose.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
S. P e 1 1 e s o h n - Berlin: Zur Kenntnis der respiratorischen
Thorax- und Wirbelsäulendeformitäten.
P e 1 1 e s o h n führt eine tiefsitzende Dorsalkyphose bei einem
Asthmatiker auf die übermässige Funktion der Inspirations- und Ex¬
spirationsmuskeln bei dauernder Erschwerung der Atmung zurück.
Karl Springer - Prag: Zur Operation der Madelungdeformität:
Korrektur der Gabelhand durch Osteotomie und Supination.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
A. S t o f f e 1 - Mannheim: Neue Gesichtspunkte auf dem Gebiete
der Sehnenverpflanzung.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
Eugen B i b e r g e i 1 - Berlin: Chondromatosis des Handgelenkes.
Bildung von freien Knorpelkörpern im Handgelenk mit Aus¬
stülpungen der Gelenkkapsel. Nach Entfernung der Körper normale
Funktion .
M. B r a n d e s - Kiel: Die Heilung grösster Tibiadefekte durch
Transplantation.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
E w a 1 d - Altona: Ueber Osteopsathyrosis idiopathica.
Beschreibung eines 22 jährigen Mannes und eines 10 jährigen
Mädchens mit Knochenbrüchigkeit und hochgradigen Verkrümmungen,
infolge sehr zahlreicher Frakturen. Der erste Fall wurde mit Osteo¬
tomien zum Gehen gebracht.
Poncet-Lyon: Aetiologische Formen der chronischen Gelenk¬
entzündungen, tuberkulöser Rheumatismus und seine Behandlung.
Siehe Bericht über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft. Dr. S c h e d e - München.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 26 u. 27. 1914.
A. H i r s c h b e r g - Berlin: Ueber die vikariierende bzw. kom¬
plementäre Menstruation.
Neben der vikariierenden Menstruation, bei der an Stelle
der genitalen eine extragenitale Blutung stattfindet, kommen auch
sogen, komplementäre Menstruationen vor, bei denen beide Formen
der Blutung stattfinden. Einen solchen Fall beschreibt H. bei einer
27 jährigen Frau, die 10 Jahre lang neben der normalen genitalen
Menstruation mammale Blutungen hatte. Letztere dauerten vom 17.
bis zum 27. Lebensjahre, um dann nach der letzten Gravidität plötz¬
lich zu verschwinden. In der Literatur fand H. nur 2 analoge Fälle
von Ziegenspeck beschrieben.
M. F r a e n k e 1 - Charlottenburg: Die Reizwirkungen der Rönt¬
genstrahlen und ihre therapeutische Verwendung. I. Bei Chlorose.
F. hat junge Mädchen mit Chlorose und dysmenorrhoischen Be¬
schwerden durch Röntgenstrahlen günstig beeinflusst. In 5 Fällen
stieg nach wenigen Reizbestrahlungen von 8 Sitzungen zu Vs EO. der
Hämoglobingehalt des Blutes von 48 auf 78 — 80 — 85 Proz.
F. S c h a u t a - Wien: Ueber Radiumbehandlung bei Gebär¬
mutterkrebs.
Sch. berichtet über seine Fälle, die er in 3 Gruppen trennt. Die
1. Gruppe wurde ununterbrochen mit Radium bestrahlt. Von 11 Fällen
entzogen sich 3 der Behandlung, die übrigen 8 starben alle, aber kein
einziger Fall zeigte bei der Sektion mehr lokales Karzinom. Die
2. und 3. Gruppe wurde intermittierend bestrahlt. Von der 2. er¬
schienen 4 (unter 11) als geheilt, von der 3. 7 von 11. Alle diese
Fälle waren von Haus aus inoperabel. Von 22 Pat. konnten also
11 = 50 Proz. durch die Radiumbehandlung als primär geheilt be¬
zeichnet werden.
E. Schwarzenbach - Zürich : Der diagnostische Hinter¬
dammsriff. *
Um zu entscheiden, ob der Kopf mit seinem grössten Umfang den
Beckeneingang bereits passiert hat, also zangengerecht steht, empfiehlt
S. folgenden Handgriff. Die Kreissende liegt auf der linken Seite,
der Geburtshelfer steht hinter ihr. Dann legt er die rechte Hand¬
fläche so auf den untersten Teil des Kreuzbeins, dass die Finger¬
spitzen zwischen Steissbein und After zu liegen kommen. Drückt
man in der Wehenpause dann langsam in die Tiefe nach oben zu, so
fühlt man mit einem kurzen, raschen Druck deutlich den harten Kopf,
wenn er in der Beckenhöhle oder im Ausgang steht.
J a f f e - Hamburg.
Gynäkologische Rundschau. Jahrg. VIII, Heft 9.
Hermann Freund- Strassburg: Konsultationen von Gynä¬
kologen und Internisten bei Schwangeren mit Tuberkulose und mit
Herzstörungen.
Anlehnend an zwei selbstbeobachtete Fälle erörtert der Verf. die
Frage, ob bei der Indikationsstellung des künstlichen Abortes bei
Tuberkulose und Herzfehler der Gynäkologe oder der Internist das
entscheidende Wort zu sprechen habe. Die Anschauungen, welche
darüber auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynä¬
kologie in München (1911) geäussert wurden, waren geteilt, der Verf.
steht auf dem Standpunkte, dass beide gemeinsam den Fall beob¬
achten und behandeln sollen, der Geburtshelfer, welcher sich nur auf
das Urteil des Internisten verlässt, macht sich selbst zur „ausführen¬
den Hand“.
Mitteilung von zwei scheinbar ganz einfach zu entscheidenden
Fällen, bei denen die Mithilfe des Internisten dem Verf. sehr wertvoll
gewesen ist. Im ersten Falle trat eine frische Endokarditis in der
dritten Schwangerschaft ein, die Patientin kam bei spontaner Früh¬
geburt ad exitum; im zweiten Falle ist das bestehende Vitium ver¬
schlimmert und die Kompensation nach der Mitte der Gravidi¬
tät gestört worden; exspektative Behandlung. Zum Schluss Polemik
gegen Fromme und Fellner, deren Statistik Verf. für unhaltbar
erklärt; solange die letztere nicht durch eine einwandfreie ersetzt
ist, muss die Komplikation von Schwangerschaft und Herzfehler für
ernst angesehen werden.
Paul Hüssy- Basel: Ueber die therapeutische Verwendung von
Papaverin in der Gynäkologie. (Aus dem Frauenspital Basel.)
Bericht über 19 Fälle. Verf. hält das Hydrastopon (eine
Kombination von Hydrastinin und Papaverin) für eine wertvolle Be¬
reicherung unsere Arzneischatzes. Zu beachten ist eine in ver¬
einzelten Fällen auftretende Herabsetzung des Blutdruckes. Es ist
ein Spezifikum gegen Schmerzen, die auf krampfartigen Zuständen
der glatten Uterusmuskulatur beruhen, z. B. Dysmenorrhöe, Uterin¬
koliken bei Endometritis, Mittelschmerz.
A. Rieländer - Marburg.
Archiv für Kinderheilkunde. 63. Band, 1. u. 2. Heft.
Hugo Z a g e - Immigrath: Kritische Studie über das mit Azeton-
ämie einhergehende periodische (zyklische, rekurrierende) Erbrechen
im Kindesalter. Versuch einer ätiologischen Erklärung der Krankheit.
5 Ys jähriger Knabe, der einen schweren typischen Anfall von
periodischem Erbrechen durchmachte. Der Fall gibt dem Autor den
Anlass zu einer Zusammenstellung und kritischen Würdigung der ein¬
schlägigen Literatur, besonders der verschiedenen Deutungsweisen
der Krankheit. Seine eigene Ansicht ist die: Ein — vermutlich
psychogener — Reiz kann nur an einem im Sinne von Fliess
„periodischen“ Tage plötzlich destruierend wirken auf den Kohle¬
hydratstoffwechsel des kindlichen Körpers, wobei er gleichzeitig durch
Erregung des Brechzentrums die Brechattacke auslöst.
Bruno L e i c h t e n t r i 1 1 Erfahrungen über die nach dem Ver¬
fahren von Engel hergestellte Eiweissmilch. (Mit 10 Kurven.)
Um die Nachteile der Eiweissmilch — höherer Preis, schwierige
Darstellung, schlechter Geschmack — zu beseitigen und doch ihre
Vorzüge zu erhalten, konstruierte Engel eine Milch, bei der das
Kasein durch Lab zur Gerinnung gebracht und ein Teil der Molke
entfernt wird. Das Rezept ist im Original nachzusehen.
Die Vorzüge der Milch liegen darin, dass man die Molke aus
der Milch entfernen kann, ohne auf den nötigen Kaseinfettgehalt erst
durch nachträglichen Zusatz wieder zu kommen. Gleichzeitig wird
eine so feinflockige Gerinnung erzeugt, wie sie sonst durch me¬
chanische Zerkleinerung kaum zu erreichen ist Die Milch hat unge¬
fähr den Geschmack der unveränderten Milch. Sie wird gut ge¬
nommen und ihre Erfolge sind besonders bei der Dyspepsie ausge¬
zeichnet, wo mit einem Schlage die Stühle sich konsolidieren und
das Fieber schwindet. Die Milch eignet sich ausserordenlich gut zum
Abstillen.
Leonhard V o i g t - Hamburg: Bericht über die im Jahre 1913/14
erschienenen Schriften über die Schutzpockenimpfung.
Hecker- München.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. XIII, 1914. Nr. 2.
Walter Kaupe-Bonn: Thymushypertrophie und Röntgenbe¬
strahlung.
K. warnt vor Röntgenbestrahlung bei dem durch Thymushyper¬
trophie hervorgerufenen Stridor congenitus, einerseits wegen der
grossen Empfindlichkeit der normalen Gewebe der Neugeborenen
gegenüber den Röntgenstrahlen und der raschen Regeneration der
nach Bestrahlung involvierten Thymusmasse, anderseits weil die
meisten Fälle von Stridor congenitus ohne ärztliche Intervention aus¬
heilen.
Bernheim-Karrer: Zur Behandlung der Spasmophilie im
Säuglingsalter.
Nachtrag zur gleichnamigen Arbeit. Auseinandersetzung mit
Lust.
Alex Schackwitz: Wasserstoffionenkonzentrationen im Aus¬
geheberten des Säuglingsmagens. (Aus der Kgl. Universitäts-Kinder¬
klinik und dem Kgl. Physiologischen Institut der Universität zu Kiel.)
Mit der Gaskettenmethode wurden die H-lonenkonzentrationen
von 137 Magenausheberungen von 60 Säuglingen bestimmt. 40 Magen¬
ausheberungen von 20 gesunden Säuglingen, die Frauenmilch er¬
hielten, zeigten 1—2 Stunden nach der Nahrungsaufnahme Werte, die
zwischen pH 2,46 und pH 6,55 schwankten. 48 Magenausheberungen
von 20 gesunden Säuglingen, die künstlich ernährt wurden, zeigten
1—2 Stunden nach der Nahrungsaufnahme Werte, die zwischen
pH 1,82 und 6,72 schwankten. 49 Ausheberungen von 19 erkrankten
Säuglingen, die verschiedene Nahrung erhielten, zeigten 1 — 4 Stunden
nach der Nahrungsaufnahme Werte, die zwischen pH 1,62 und pH 5,40
schwankten. Es konnten also die Ergebnisse der früheren Unter¬
sucher, die konstant Werte um 10~”5 gefunden haben, nicht bestätigt
werden.
M. Masslow: Ueber Veränderungen der Atmungskurven bei
Kindern mit spasmophilen Symptomen unter dem Einfluss von aus-
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
seren Reizen und die Bedeutung dieser Veränderungen für die Dia¬
gnose der latenten Tetanie. (Aus der Kinderklinik der Militär.-Mediz
Akademie zu St. Petersburg. Prof. A. Schkarin.)
Auf Grund seiner experimentellen Untersuchungen nimmt M. an,
dass es eine sehr charakteristische Reaktion seitens der Atmung
aut einen peripheren Reiz bei Kindern mit Neigung zu Krampfzu-
standen gebe. Die Reaktion besteht darin, dass bei der Reizung
Krampfe der Atmungsmuskeln auftreten; diese Krämpfe finden auf
der Atmungskurve ihren Ausdruck in Gestalt deutlich ausgeprägter
Pausen, der Apnoe in der Periode der Inspiration oder Exspiration,
weldie nianclimal in Weinen und darauf in regelmässiges Atmen iiber-
ge.ten. Nach der Dauer der Apnöe können wir ungefähr einen Begriff
über den Grad der Nervenübererregbarkeit beim Kinde bekommen
und anderseits aus der Verkürzung oder aus dem Schwinden dieser
Erscheinung können wir auf Besserung des Ncrvenzustandes schlies-
sen Dieses Respirationssymptom ist beständig und sehr empfindlich.
Im Zusammenhang mit dem Symptom von Erb und anderen Sym-
ptomen der Spasmophilie kommt diesem eine grosse Bedeutung für
die Diagnose der sog. latenten Tetanie zu.
Albert Uffenheimer - München.
1639
Virchows Archiv. Bd. 215, Heft 1.
Todes^ Mühlmann: Beiträge zur Frage nach der Ursache des
Verf. hat in früheren Untersuchungen darzulegen versucht, dass
df. T.od aus Altersschwäche vor allem durch Veränderungen am
^enti a nerv ensystem bedingt sei. Insbesondere kommt seiner Meinung
™ch, das Vaguszentrum in Betracht. In den vorliegenden Arbeiten
werden diese Untersuchungen bei Krankheiten weitergeführt, die sich
ausser auf den Vaguskern und die Vagusfasern auch auf andere
erstrecken und hauptsächlich die Veränderungen der
lpoiden ^ ubstanzen berücksichtigen. Die Einzelheiten lassen sich in
einem kurzen Referat nicht wiedergeben.
i h‘-/ervatf £und de Nesreiros-Rinaldi: Ueber die
lymphoiden Vorstufen der hämoglobinhaltigen Normoblasten und
Mega lob lasten beim Embryo und beim Erwachsenen in normalem und
pathologischem Zustand.
Die Untersuchungen sind an Ausstrichpräparaten gemacht. Auf
hr£r G™.ndlage behandeln die Verfasser die im Titel angegebenen
^genetischen fragen und stellen als Vorstufen der primären wie
ier definitiven Erythrozyten den basophilen Hämozytoblasten auf
lus dem auf der einen Seite der Promegaloblast, auf der anderen
?eite der Proerythroblast hervorgeht.
r,.hAeLde:nbe.rgi r Seitz: Ueber das Vorkommen von
I ubei kelbazillen im Herzblut bei chronischer lokalisierter und latenter
Tuberkulose. (Pathol. Institut in Düsseldorf)
. . JXä?renm bei, chronischer lokalisierter Tuberkulose sich ziem-
ii« ■ uiaUw Tuberkelbazillen im Herzblute nachweisen Hessen, war
wn ei *a|en^ei! Tuberkulose viel seltener. Von einem regelmässigen
iazillenbefund im Blute Tuberkulöser kann nicht die Rede sein Für
uziehen dCr Untersuchungen ist vor allem der Tierversuch heran-
N. blak am u r a: Ueber die Gefässveränderung beim Ulcus
hroincum recti. (Pathol. Institut in Moabit.)
Es wurden 10 Fälle von chronischem Ulcus und 3 von Dysenterie
ntersucht. Insbesondere wird in der Arbeit festgestellt, dass weder
i den V enen noch in den Arterien Gefässveränderungen syphilitischer
«atur gefunden werden konnten.
,J^Bra,!cbe: ,Die Lungenmetastasen bei malignem Chorion-
pitheliom mit besonderer Berücksichtigung eines eigenartigen Falles,
l athol. Institut in Braunschweig.)
In dem untersuchten Falle wurden zahlreiche Geschwulstemboli
i mittleren Arterien festgestellt, die teils regressiv verändert waren,
als durch W anddurchbruch zur Hämorrhagie ins umgebende Lungen-
ewebe führten.
il Spieth: Beitrag zur Askaridenerkrankung mit besonderer
erueksichtigung der Frage der Gift Wirkung. (Pathol. Institut in
remen.)
Im ersten Falle war bei einer 64 jähr. Frau der Dünndarm über
zusammengeballten Würmern kontrahiert. Durch Operation und
nticrnunj? der Askariden wurden die Ileuserscheinungen beseitigt
n 2 Falle, 5 jähr. Mädchen, fanden sich von der Mitte des Jejunum
l stellenweise grosse Würmerkonvolute. Ferner war das ganze
oekum und der Anfangsteil des Colon ascendens mit Würmern er¬
litt. Ein Wurm steckte im Wurmfortsatz. Die Schleimhaut des
armes war stark gerötet Nach der Ansicht des Verf. kann der Tod
Askariden hervorgerufen werden durch Ileus, Perforations-
.‘ntomtis und Intoxikation.
N No wick i: Ueber Harnblasenemphysem. (Pathol. Institut
Lemberg.)
• *1' bl- Schmidt: Zur Kenntnis der physiologischen und patho-
gischen Duraverkalkung. (Pathol. Institut in Bonn.)
ile i ntersuchungen ergaben, dass man schon normalerweise
jm 17 Lebensjahre ab regelmässig Kalk in der Dura antrifft. Die
uren von Männern enthalten mehr Kalk als die von Frauen des
eichen Alters. Der Kalk liegt zuerst in den Zellen der Dura, später
k n -u de?. ,Pa, n des Bindegewebes. Die weiteren Einzelheiten,
• cn über die Kalkablagerungen bei Hirntumoren, müssen in der Ver-
lentlichung nachgelesen werden.
, .?• Guadri: Splenomegalia haemolytica mit interkurrentem
acholischen Ikterus.
Fortsetzung im nächsten Hefte. S c h r i d d e - Dortmund.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 28, 1914.
.G °*d * c beider- Berlin: Ueber atypische Gicht und ver¬
wandte Stoffwechselstorungen. (Vortrag, gehalten in der Berk ined
Lies, am 17. Juni 1914.)
Schluss folgt.
r. Brn,sKt. B t e i n i t z - Berlin: Blutuntersuchungen bei atypischer
t’icht. (Nach einem Vortrag in der Berl. med. Ges. am 17. Juni 1914.)
Cf. pag. 1418 der M.m.W. 1914.
C. Hart: Thymus und Rachitis.
c , ..erJ' 'st der Ansicht, dass es sich bei der Rachitis um eine mit
lc 'w„ a£”u"g def Organismus verbundene Stoffwechselstörung handelt,
üeien Effekt mit abhangt von anderen, verschieden zusammenwirken-
oen Faktoren, wie beispielsweise und nicht zuletzt von der indi-
VKluellen Disposition. Durch die Thymusexstirpation lässt sich auch
bei Deren ein der menschlichen Rachitis ähnliches Knochenleiden
erzeugen, wie es die Folge anderer Stoffwechselstörungen und Schä¬
digungen des Organismus sein kann.
Hermann M a 1 1 i - Bern: Die Beziehungen des Thymus zum Mor-
ous nasedowii.
Sammelreferat. Schluss folgt.
Franz Blumenthal- Berlin: Zur Frage der Verschärfung der
W ass e r man n sehen Reaktion. (Nach einem am 5. März 1914 in
der Ges. d. Chariteeärzte gehaltenen Vortrage.)
, . N?.cll,de!1 Ausführungen des Verfassers besitzen wir zurzeit noch
keine Methode um die Serumdiagnostik der Syphilis zu verschärfen.
S c h r o e d e r - Kortau: Einige technische Neuerungen in der
»ialysiermethode und die Anwendung derselben in der Psychiatrie.
ii Ger ”U^ser|fehIer kann durch Prüfung der Dialysierhülsen mit
,5proz. Seidenpeptonlösung auf ein Minimum beschränkt werden
Die Zubereitung der Organe lässt sich durch ein in besonderer
Art konstruiertes Sieb, sowie durch eine Organzerkleinerungsmaschine
gleichmassiger und schneller erreichen.
Die Methode, die Organstückchen nach erfolgter Spülung vor dem
Kochen mit der nach Abderhalden verdünnten Eisessiglösung
auszuschütteln, ergab gute und richtige Resultate
* •• Die Schwankungen im Ausfall der Reaktionen sind noch so be¬
trächtlich, dass eine ganz sichere Beantwortung psychiatrischer Frage-
stellung bisher nicht erreicht werden konnte. Immerhin bildet die
Methode zur Vervollkommnung und Stützung der klinischen Diagnose
auch jetzt schon ein recht brauchbares Hilfsmittel.
. Dele T r e y s t a d 1 1 - Pest: Röntgenbild der Keilbeinhöhle vom
ppipharynx aus» (Nach einer Demonstration in der laryngo-rhino-
logischen Sektion der K. Aerztegesellschaft in Pest am 25. Novem¬
ber 1913.)
Verf. beschreibt eine Aufnahmemethode der Keilbeinhöhlen vom
Epipharynx aus, die bezüglich der Diagnosenstellung der Keilbein-
hohlenerkrankungen mehr zu leisten vermag als die bisher üblichen
Der Röntgenfilm wird mittels eines besonderen Filmhalters in den
Nasenrachenraum bis zur Rachenwölbung eingeführt. Die Strahlen
sendet man vom Schädeldache vor dem Vertex durch den Schädel.
(J. Heinemann - Berlin: Ein bemerkenswerter Fall von extra-
gemtaler Syphilisinfektion.
Die Infektion erfolgte durch einen fremden Bleistift, den die
Intizierte in den Mund genommen hatte.
Dr. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 27, 1914.
Ph. J ung- Göttingen: Die Behandlung bedrohlicher Blutungen
nach der Geburt.
Klinischer Vortrag.
H. R i t z - Frankfurt a. M. : Ueber Rezidive bei experimenteller
Tryyanosomiasis.
Mäuse, welche auf die Möglichkeit von Rezidiven untersucht
wuraen, bilden bei den verwendeten Trypanosomenstämmen spontan
keine Rezidive; das Verschwinden der Parasiten und damit das Auf-
treten von Antikörpern muss künstlich (mit Neosalvarsan) herbei-
gefuhrt werden. Bei diesen Versuchen stellte sich heraus, dass ein
im Blute auftretender Rezidivstamm nicht nur gegen den eigenen,
sondern auch gegen andere Stämme immunisierend wirken kann; er
kann ferner nach Aufhören der Medikamentwirkung unverändert im
Blute wieder erscheinen. Ein Rezidivstamm kann aus mehreren
immunisatorisch verschiedenen Trypanosomentypen zusammengesetzt
f.f'1}- Im Verlaufe mehrerer Passagen verdrängt der widerstands¬
fähigste Stamm mit der Zeit alle anderen.
F. H i i s c h f e I d - Berlin: Die Erhöhung des Blutzuckers bei
greisen Zuckerkranken.
Vortrag im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde in
Berlin am 16. Marz 1914 (vgl. das Referat der M.m.W.)
G. L epe h n e - Freiburg i. Br.: Experimentelle Untersuchungen
über das „Milzgewebe“ in der Leber. Ein Beitrag zum Hämoglobin-
und Eisenstoffwechsel.
Unter dem „Milzgewebe“ in der Leber sind die K u p f f e r sehen
Sternzellen zu verstehen, welche nach N a u n y n und Minkowski
m f ebr näher Verwandschaft zu den Sinusendothelien, den Retikulum-
und Pulpazellen der Milz stehen. In diesen Milzzellen ist bei normalen
1640
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
Ratten, deren Milz Vioo des Körpergewichts beträgt, mehr oder
weniger Eisen mikrochemisch nachweisbar. Wurde Ratten die Milz
operativ entfernt, so fand sich Eisen in den K u p f f e r sehen Stern¬
zellen, was vorher nicht der Fall ist; ausserdem zeigen diese Zellen
dann auch Phagozytose gegenüber den Erythrozyten, aber erst
später, als das Eisen auf tritt; dieses kann also nicht aus zerstörten
roten Blutkörperchen stammen. Diese Erythrophagozytose ist als
eine Folgeerscheinung einer nach der Milzexstirpation sich einstellen¬
den Hämoglobinämie anzusehen.
S e y f a r t h - Hannover : lieber direkte Laryngoskopie und
T racheobronchoskopie.
An der Hand mehrerer Krankengeschichten wird der grosse
Wert gezeigt, den die direkte endoskopische Untersuchung des
.Larynx, der Trachea und der Bronchien gewonnen hat; bei der
letzteren ist die obere und untere Bronchoskopie zu unterscheiden, je
nachdem der Tubus durch den Larynx oder die Tracheotomiewunde
eingeführt wird. Zumal bei Kindern ist nach der Bronchoskopie das
Auftreten eines subglottischen Oedems zu befürchten; solche Kinder
müssen daher mindestens in den ersten 36 Stunden unter ständiger
Aufsicht bleiben.
A. Bisgaard und A. Korsbjerg - Kopenhagen : Kritische
Bemerkungen zu Abderhaldens Dialysierverfahren.
Auf Grund ihrer Untersuchungen sind die Verff. zu dem Ergebnis
gelangt, dass verschiedene Ninhydrinportionen nur bisweilen in der
gleichen Weise reagieren; sie nehmen daher an, dass unkontrollier¬
bare Zufälligkeiten, Staubteilchen, Unebenheiten u. a. m. auf die
Grösse oder Art der molekularen Partikel, welche die Ninhydrinver-
bindung ausmachen, Einfluss haben und somit die verschiedene
Strahlenabsorption bedingen können. Von einem Falle abgesehen,
konnte mit Hirn keine positive Reaktion erzielt werden; Fälle von
manisch-depressivem Irresein reagierten ebenso kräftig mit Genital¬
drüsen, wie die Fälle von Dementia praecox; es fanden sich also die
F a u s e r sehen Resultate nicht bestätigt.
0. M e 1 i k j a n z - Arosa: Ueber die Anstellung des Ab der -
haldenschen Dialysierverfahrens mit der Koch-
schen T uberkulln-Bazillenemulsion,
Es scheint, dass im Serum sowohl von leicht als von schwer
Tuberkulösen Abwehrfermente vorhanden sind, welche imstande sind,
die Bazillenemulsion abzubauen.
W. Peters-Bonn; Ueber Zwerchfellbrüche.
Kasuistischer Beitrag mit 7 Abbildungen.
Schuttes- Grabowsee: Erfahrungen mit dem Friedmann-
schen Tuberkulosemittel.
Absolut ungünstiges Urteil über das Friedmann sehe Mittel
bei Behandlung der Lungentuberkulose.
Ernst M e i n i c k e - Hellersen : Ueber das Friedmann sehe
Tuberkulosemittel.
Auch dieser Verf. kommt zu dem Schluss: „Das Friedmann-
sche Mittel hat in meinen Fällen durchaus versagt, und ich muss vor
seiner Anwendung um so mehr warnen, als ihm auch direkte Schädi¬
gungen einzelner Kranker zur Last zu legen sind. Das Fried-
m ann sehe Mittel ist nach meinen Erfahrungen ein recht gefährliches
Mittel.“
Franz- Berlin: Eine Transportschiene für Hüftgelenksver¬
letzungen und Oberschenkelfrakturen.
Diese besonders für den Transport im Kriege Verwundeter sehr
geeigneter Schiene besteht aus verzinntem Blech oder lackierter
Pappe mit dorsalem Blechstreifen; sie ist vollkommen starr und reicht
von der Supramalleolargegend bis etwa zum Rippenbogen, so dass
sie, vorn (dorsal) mit einigen Binden genügend fixiert, Knie- und Hüft¬
gelenk völlig ruhig stellt. Ihre Hauptvorteile sind Ersparnis an Zeit,
Assistenz, Verbandmaterial. Unabhängigkeit vom Wasser, Haltbarkeit
auch bei feuchter Witterung und die Möglichkeit sofortigen Ab¬
transportes.
C. H e u s e r- Buenos Aires; Entfernung einer Nadel aus der
Trachea.
Schwierige Extraktion durch das Bronchoskop nach Trache-
otomia inferior. Baum- München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 27. J. Kyrie und K. J. S c h o p p e r - Wien: Ueber auf¬
fällige Befunde bei experimentellen Studien am Nebenhoden.
Versuche an Hunden. Prinzipiell wichtig ist, dass durch Unter¬
bindung des Samenstranges der Hoden nicht atrophisch wird. Trotz
Unterbindung oder Resektion eines Vas deferens findet sich reichlich
Sperma im Hoden und Nebenhoden, allerdings nur, wenn bei dem
Eingriff die Gefässe sorgfältig geschont wurden. Dasselbe scheint bei
der partiellen Resektion des Nebenhodens der Fall zu sein; denn auch
hier kann die Funktion des Hodens erhalten bleiben. In diesem Falle
fand sich der Nebenhoden prall mit Sperma gefüllt, welches nicht nur
in den Kanälchen, sondern auch nach Art von Infiltration ausserhalb
derselben im Bindegewebe angehäuft war. Es ist möglich, dass im
Bereich der Coni vasculosi eine Auswanderung des Spermas statt¬
findet; in einem Fall schien auch ein Uebertritt des Spermas in die
Arterien und Venen des Nebenhodens erfolgt zu sein.
O. W e 1 1 m a n n - Wien; Ueber Fettintoxikation.
Bei weissen Ratten, welche einer forcierten Oelfütterung (Oliven¬
öl, geschmolzene Butter) unterzogen wurden, stellte sich ein deut¬
licher mehrtägiger Vergiftungszustand (Koma, beschleunigte Atmung,
Diarrhöen) ein. Das wichtigste war das Auftreten einer eigentüm¬
lichen Anämie und hämolytischer Erscheinungen. Das Blutbild zeigt
starke Abnahme der Erythrozyten, und parallelgehend Abnahme des
Hämoglobingehaltes, Auftreten von Erythroblasten, Anisozytose und
Polychromasie. Der Färbeindex beträgt 1 oder etwas mehr. Bei
Darreichung grösserer Mengen von Oelsäure war die Wirkung eine
analoge, doch fehlte stets eine deutliche Hämolyse.
J. Novak-Wien: Ueber künstliche Tumoren der Zirbeldrüsen¬
gegend. , „ . ,
N. ist es an zwei Hunden gelungen, mit der von K a r p I u s und
Kreidl (Zschr. f. biol. Techn. u. Meth. 2, 1 S. 14) angegebenen
Methode den Hinterhauptslappen herauszulegen und dadurch die
Gegend des Balkens und der Epiphyse zugänglich zu machen, so dass
eine Paraffininjektion (Schmelzpunkt 38°) gemacht werden konnte.
Bei einem Tier fand sich bei der Sektion nach 2 Monaten das Paraffin
noch an der beabsichtigten Stelle. Somit erscheint die Möglichkeit
exakten Experimentierens mit künstlichen Tumoren in dieser Gegend
als gegeben. „ „ „
R. Steiner- Wien: 4 Fälle von sogen, „weisser Galle .
4 Krankengeschichten. Zusammenstellung: Die Bedingungen für
die Entstehung der „weissen Galle“, besser gesagt des Hydrops des
gesamten Gallensystems sind folgende: Der Choledochusverschluss
entweder durch Geschwulst oder Konkrement muss ein absoluter und
ausreichend langer sein.
Der Druck im Gallenwegsystem muss erhöht sein. Die Sekretion
der Gallenwegschleimhaut kann normal, vermehrt oder auch ver¬
mindert sein. In der Gallenblase müssen hochvirulente Bakterien
fehlen; denn sonst bildet sich ein Empyem.
Kor encan- Wien: Operative Verlagerung der kongenitalen
dystonen Niere.
Krankengeschichten zweier Fälle; Erörterung der Pathologie
auf Grund der bisher vorliegenden 6 operierten Fälle. Die Frage,
ob die Beschwerden bei sonst gesunden dystopischen Nieren durch
die an sich geringe operative Verlagerung behoben werden können,
bejaht Verf. auf Grund seiner beiden, nun seit 5 bzw. 10 Jahren
beschwerdefreien Fälle. Die Verlagerung ist technisch weniger ge¬
fährlich und in ihrer physiologisch-funktionellen Wirkung jedenfalls
der Exstirpation vorzuziehen, selbst wenn die Möglichkeit besteht,
dass bei unvollständigem Erfolg später doch noch zur Exstirpation
gegriffen werden muss.
F. Fi sch 1- Wien: Ueber den Cholesteringehalt des Serums bei
Dermatosen.
Untersuchungen an über 100 Fällen. Es sei kurz hervorgehoben,
dass in der Mehrzahl der Fälle von Urtikaria, Pemphigus, chronischem
Ekzem, Dermatitis herpetiformis, Pruritus senilis und Mykosis fun-
goides der Cholesteringehalt des Serums auffallend hoch war; niedrig
war er bei Erysipel, ulzerierenden Karzinomen, Erythema multiforme,
Herpes zoster, Tuberkuliden, Verbrennungen.
E. Wiener: Das Sanitätswesen in Aegypten.
M. P a p p e n h e i m - Wien: Zur Frage der Herkunft des
luetischen Reaktionskörpers in der Zerebrospinalflüssigkeit.
Bemerkung zur Arbeit von Spät: Prioritätsangelegenheit.
Nr. 28. O. W e 1 1 m a n n - Wien: Untersuchungen über die
klinische Verwertbarkeit der Hämokonien.
Die Untersuchungen erstreckten sich auf über 100 Kranke ver¬
schiedener Art, bei denen die Zahl, die Zeit des Auftretens und die
Verweildauer der Hämokonien in der Blutbahn nach Darreichung
einer Fettmahlzeit (25 g Butter) geprüft wurde. Bei der überwiegen¬
den Zahl der Fälle war 2 Stunden nach der Buttermahlzeit eine reich¬
liche Zahl von Hämokonien im Blut vorhanden. Aoweichend davon
fehlten bei gewissen Fällen die Hämokonien ganz, bei anderen war
ihre Zunahme eine zu geringe, bei anderen war ihr Auftreten ver¬
zögert. Schliesslich war bei manchen Fällen auch die Verweildauer
im Blute verlängert. Als brauchbares Schlussergebnis lässt sich an¬
nehmen, dass die Verzögerung der Hämokonienausscheidung auf eine
Störung der Leberfunktion hinweist. Die mangelhafte oder fehlende
Hätnokonienbildung spricht in erster Linie für ein Hindernis im Ab¬
fluss der Galle. Ihr völliges Ausbleiben nach Fettnahrung ist ein dem
fehlenden Sterkobilin gleichwertiges Zeichen für kompletten Gallen-
verschluss.
G. C. B o 1 1 e n - im Haag: Ueber Wesen und Behandlung der
sogen, „genuinen“ Epilepsie.
Zusammenfassung: Von den als genuine Epilepsie betrachteten
Fällen gehören sehr viele, da sie auf primären Gehirnprozessen ver¬
schiedener Art beruhen, zu der zerebralen (sekundären oder sym¬
ptomatischen) Epilepsie, nur die kleinere Zahl (ca. 35 Proz.) zur
genuinen (idiopathischen oder essentiellen) Epilepsie. Die genuine
Epilepsie ist rein klinisch oft nicht sicher festzustellen. Sie ist eine
chronische Autointoxikation durch Hypofermentation des Intestinal-
traktus und des intermediären Stoffwechsels infolge Hypofunktion der
Schilddrüse und der Epithelkörperchen oder deren nervöser Elemente
(Nervus sympathicus). Durch rektale Eingabe des frischen Press¬
saftes der insuffizienten Organe (Schilddrüse und Nebenschilddrüse),
ist die genuine Epilepsie heilbar oder vielmehr die Erscheinungen der¬
selben lassen sich beseitigen.
H. Neugebauer - Kassa: Beitrag zur Klinik der Vagotonie.
Vortr. behandelt einige Symptome eingehender, vor allem den
Wechsel der Pulszahl, so die Bradykardie (im Liegen, beim Vor-
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHR1F'
1641
wärtsbeuEen, Druck auf den Bulbus), den Pulsus irregularis respi-
ratorius, das Vorkommen von Extrasystolen.
Beschreibung eines Falles von vagotonischem Kardiospasmus,
dei nach Injektion von 0,0005 g Atropin vorübergehend und nach einer
Atropmkur dauernd schwand. Andere Bemerkungen betreffen das
Erbrechen und die Obstipation verbunden mit Leibschmerzen, bis¬
weilen abwechselnd mit Diarrhöen. Bisweilen ist das einzige Zeichen
der Vago ome die Dysmenorrhöe, das verfrühte Einsetzen der mit
starker Blutung und starken Schmerzen verbundenen Menstruation
Hier wie in den vorigen Fällen bildet Atropin die wirksame Therapie.
des Magens 111 g reSdCn: *aslso,ldc die Röntgenuntersuchung
Beschreibung des Instrumentes, welches gestattet, unter dem
Röntgenschirme jede Stelle des Magens auf Bärte, Unebenheit und
Ulzeration zu untersuchen.
w. Gold Schmidt -Wien: Zur Behandlung der Gasphleg¬
monen.
10 Fälle von Gasphlegmonen (Balkankrieg), worunter 4 schwere
kamen unter folgender Behandlung zur Heilung: Breite, beim gc-
rmgsten Verdacht des Fortschreitens erneute Inzisionen; Suspension
lind Ruhigstellung der Extremität, wiederholt am Tage Spülungen mit
* ; u[nna.c, ka”n aucb Fir den Kriegsschauplatz als Regel und
An angsbehatidlung dieses konservative Verfahren empfohlen werden.
n. 1 au 1 - Innsbruck: Kurze Mitteilung zur Kasuistik der Fremd¬
körper in den Luftwegen.
Extraktion „der Stimme“ eines Zinnpfeifchens aus dem Bronchus
, 1 cl??n] la,b.re alten Kind durch Bronchoscopia inferior. Ausser
dem Rontgenbild wurde die Diagnose durch das eigentümliche inspi¬
ratorische Pfeifen erleichtert.
H. P a c h - Pest : Gewerbepathologisches aus Ungarn.
Aus den Jahresberichten der Gewerbeinspektoren für 1910 _ 1912.
Wiener medizinische Wochenschrift.
Nr. 17. L. Fing er- Wien: Zur Vakzinationstherapie des
gonorrhoischen Prozesses.
Geber bl ick Bei flächenhaften gonorrhoischen Erkrankungen ist
die \ akzinetherapie unwirksam, die Wirkung findet nur dort statt
wo die Gonokokken mehr oder weniger abgcsackt sind. Es ist noch
nnJn aufgeklart, warum viele Fälle auf Vakzination eine fieberhafte
Allgemeinreaktion aufweisen, aber nur ein Teil von ihnen einen Heil-
crtolg Am besten lassen sich beeinflussen die Epididymitis, Arthritis
und Adnexerkrankungen.
i a JSr' .J. C z e m a c h - Wien: Noviform, ein brauchbares
Jodoformersatzmittel.
m V,erf' ,!<?bt die gute Verwendbarkeit des Noviforms bei Hals- und
Nasenkrankheiten.
... ^r" \7' B. L i n d e n f e I d - Wien : Kliiiische Erfahrungen mit
Adigan, einem neuen Digitalispräparat.
Das Adigan, namentlich in Verbindung mit Theobromin. purum
wirkte ohne störende Nebenerscheinungen in mehreren Fällen von
schwerem Hydrops günstig, wo andere Digitalispräparate versagten.
iNr. 18. E. Violin: Bemerkungen zur Debatte über
Bcrgonies Verfahren.
V,Kvrer^idigt Bergonies Verfahren gegen die Kritik Gärt¬
lers (Nr. 16) hauptsächlich mit Zitierungen aus den Arbeiten von
u u r i g und R o e m h e 1 d.
a i'u ' bS; C z e r w e n k a - Wien: Kombination von Mamma-
und Uteruskarzinom.
Krankengeschichte eines dieser seltenen (bisher 7) Fälle. Medul-
ares Karzinom der Mamma. Operation bei Freisein der regionären
Mf mP1, rusen. 19 Monate später wurde ein seit kurzem bestehendes
üttruskarzinom (Zylinderzellenkrebs) entfernt, das nach allen Kri-
.enen gleichfalls als ein. primär entstandenes zu bezeichnen ist.
Nr j V Fein- Wien: Die Paraffineinspritzungen bei Sattel-
iasen und bei Ozaena.
r. , F:. Feuchtet über gute Dauererfolge infolge der verbesserten
lechink Das Paraffin wird kalt durch eine mit Zahnradübersetzung
.^ersehene, mit einer Hand zu bedienende Spritze eingebracht. Die
Linspntzung erfolgte unterhalb oder oberhalb (nicht seitlich) der
ersten Stelle der Sattelnase, während die linke Hand durch Druck auf
ie naut das seitliche Ausweichen des injizierten Paraffins verhindert,
ic itig ist die richtige Auswahl der Fälle. Nicht geeignet sind meist
ne durch Geschwüre und Traumen verursachten Difformitäten
Asymmetrie, Fehlen einer regelmässigen Knochenunterlage, Narben-
erwachsungen) Günstig sind in der Regel Sattelnasen, die ange-
icn oder durch Ozaena oder hereditäre Lues entstanden sind.
, Ad bet Ozaena würde durch die Paraffininjektion oft eine
losse Besserung erzielt, indem das Sekret geringer, sowie weniger
, l‘nd klfbng wird »nd sich leichter entfernen lässt. Allerdings
'etc nur die Minderzahl der Fälle diese gute Aussicht, weil in der
.cgel die Dünne und Zerreisslichkeit der Nasenschleimhaut die
a. affine, nspntzung nicht zulässt. Manchmal gelingt es durch die
oi behandlung mit den gebräuchlichen Mitteln die Schleimhaut für
'e runspritzurig geeignet zu machen.
. r* K. Friedjung - Wien: Kritische Beiträge zur Lehre
on der \lasernerkrankung.
ln der Frage der Masern i m m u n i t ä t ist anzunehmen, dass in
cn.eP .Fullen wahrscheinlich eine wirkliche Immunität vorhanden
. Mel öfter handelt es sich um eine temporäre Immunität, so dass
d. eine I erson bei der ersten Infektionsgelegenheit gesund bleibt.
bei der zweiten dann erkrankt. Dabei dürfte oft auch das Maseru¬
virus rem quantitativ zu einer wirksamen Infektion nicht ausrciclien.
ic regelmässige Inkubationszeit von 13 — 14 Tagen (von du
Injektion bis zum Ausbruch des Exanthems) dehnt sich nicht allzu
selten auf längere Zeit, bis zu 21 Tagen aus. Nach eingehender Kritik
der Literatur kommt F. zu dem Schluss, dass wiederholte Masern-
erKrankung und Masernrezidiv noch nicht zweifelsfrei festgestcllt sind
und wenn überhaupt nur ausserordentlich selten Vorkommen.
i u j [9- Lorenz- Wien: Zur operativen Behandlung der
Leberzirrhose.
Krankengeschichten eines Falles von erfolgreicher Operation
nach Lanz und eines Falles von vorläufig erfolgreicher Operation
nach Kumaris.
Nr. 19. L. Mül ler- Wien: Ueber die Behandlung des Ulcus
corneae serpens.
.,. empfiehlt aufs wärmste das ..Peruöl“ (Bals. Peruv. 1 0 Ol
Klein 2,0 misc. exactissime, adde Ol. oliv. 10—20,0; vor dem’ Ge¬
brauch gut umzuschütteln).
i ■ iP^s..Ajge w/rd sehr gut kokainisiert und Adrenalin eingetropft,
ici .ntzundung der Iris wird zwischen Kokain Atropin eingetropft;
Dann wird das Peruöl mit Wattetupfer 2 Minuten lang an die Horn¬
haut gebracht. Bei der Ophthalmoblenorrhöe der Neugeborenen wird
das Kokain weggelassen und nach dem Tuschieren das Oel in den
Bindehautsack gegossen. Sehr gut waren die Erfolge bei Ulcus
corneae serpens, bei septischen traumatischen Geschwüren, bei
jveratitis dendritica und vor allem auch bei den ekzematösen Horn-
bautgeschwuren, und bei der Ophthalmoblenorrhöe.
yi ,. Ge* 20 H. Mautner- Wien: Eine bisher nicht beobachtete
Molimaart bei chronischer Bronchitis.
Chronische Bronchitis bei 10 jährigem Mädchen. Im Sputum ein
den Soorarten verwandter Pilz, den Verf. als Parendomvces pulmo-
nahs Plaut bezeichnet.
Nr. 20 R. T r e n k 1 e r - Laibach: Ueber einen Fall vollkom¬
mener angeborener Penisspaltung (Doppelpenis).
Beschreibung mit Abbildungen. B e r g e a t - München.
Englische Literatur.
(B.
Eine Familie mit zerebellarer Ataxie.
C. A. Sprawson:
M. J., 3. I. 14.)
. Stammbaum einer eurasischen Familie mit 5 kranken Mitgliedern
0 Frau). Auch bei dieser Familie zeigte sich das Phänomen der
sogen. Antizipation, d. h. der Vater erkrankte mit 50, das 1. Kind mit
43, das 2. mit 40, das 3. mit 32 und das 4. mit 28 Jahren. Die zweite
(leneration ist jung und vorderhand noch gesund.
Sir Alfred Pearce Go ul d: Radium und Krebs. (Fig.) (Ibidem.)
Interessante Arbeit über eine Reihe anscheinend geheilter Fälle
Adenokarzinom der Bauchdecken, Periostalsarkom, Hodenkrebs,
Krebs des Nasopharynx), deren Einzelheiten im Original nachzulesen
sind. Radium muss infolge seiner selektiven Wirkung auf Karzinom-
zellen als ein wirkliches Krebsheilmittel bezeichnet werden. Es
gibt allerdings wichtige Einschränkungen, da Radium nicht bei allen
Fallen wirksam oder anwendbar und nicht ungefährlich ist Verf
verspricht sich jedoch von weiteren theoretischen Forschungen über
Krebs und Radium eine vermehrte und erfolgreichere Anwendung als
bisher.
C H. Browning: Die Syphilis und ihr Einfluss auf die Volks¬
gesundheit. (B. M. J„ 10. I. 14.)
Mehr als 3000 Fälle (Patienten und deren Angehörige) wurden
klinisch und serologisch untersucht. H e r e d o s y p h i 1 i s: 331 ambu¬
lante Kinder, darunter 14 Proz. positiv. Geistes defekte und
Epilepsie: 204, 59 Proz. positiv. Herzkrankheiten bei
Kindern: 25, 18 positiv (auch die Mütter): von den 7 negativen
hatten alle Mutter während der Gravidität an akutem Rheuma-
tismus gelitten. Taubheit: 82. 13 positiv. Ozäna: 52 10
(30 Proz.) positiv. Aortenfehler und Aneurysmen: 46
64 Proz. positiv. Nervenkrankheiten: 122, 41 Proz positiv
Augen kranke: Interstitielle Keratitis: 37, 35 positiv; Iritis: 22,
12 positiv: Choroiditis 20, 5 positiv; primäre Optikusatrophie- 5'
alle Positiv. Paroxysmale Hämoglobinurie: 6. alle posh
aV’j ^e)r*^*s und Metrorrhagien: 37, 59 Proz. positiv
Andere gynäkologische Affektionen: 38, 46 Proz. posi-'
t‘v- Prostituierte: 104, alle positiv. Landstreicher:
18 Familien, alle positiv. (Das Material des Verf. stammt aus Glas¬
gow, seine erschreckend hohen positiven Resultate dürften Erstaunen
erwecken. Ref.)
C. MacLawrin: Die Therapie der Leberhydatiden. (Ibidem.)
Nach Ansicht des Verf. ist die sogen. Marsupialisation (Annähen
der Zyste an die Bauchwunde und Tamponade) das einfachste und
sicherste Verfahren, während die völlige Ausschälung der Zysten und
Lebernaht, wie sie von Buckley empfohlen werden, einen technisch
schwierigeren und gefährlicheren Eingriff darstellen und nur aus¬
nahmsweise bei kleinen, oberflächlichen Zysten anwendbar sind. Verf
hat von zahlreichen mit Marsupialisation behandelten unkomplizier¬
ten Fallen keinen einzigen verloren.
P- G-R u d o 1 f: Die epidemische Zervikaladenitis. (Ibidem.)
„ 2 FMIc dieser Krankheit, die wahrscheinlich mit dem von
E. Pfeiffer beschriebenen Driisenficber identisch ist. aus Ontario.
Canada. Bei einem Fall fanden sich Streptokokken im Drüsenabszess.
(Siehe spatere Referate.)
1642
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
A. Philp Mitchell: Lieber die kindliche Infektion mit Tuberkel¬
bazillen des bovinen Typus. (B. M. J., 17. 1. 14.)
Bakteriologische Untersuchung bei 7 2 Lyinphdrüsentubcrkulosen
aus Edinburg, wobei 65 mal der Typus bov. und 7 mal der Typus
hum. gefunden wurden. Es entstehen somit 90 Proz. durch Genuss
tuberkulöser Kuhmilch. Die Verhältnisse sind in Schottland besonders
ungünstig wegen des Mangels moderner Milchgesetze, der Häufig¬
keit der Rindertuberkulose und der Gewohnheit des Volkes, die Milch
nicht zu sterilisieren. Die wichtigste Einbruchspforte sind die Ton¬
sillen, in welchen die Bazillen nachweisbar sind.
R. C o n n e 11 : Der Wert der Ionisationstherapie bei gewissen
venerischen Krankheiten. (Ibidem.)
Verf. erzielte bei Primäraffekten, Sekundär- und Tertiärerschei¬
nungen mit Hg- resp. J-lonen gute Lokalerfolgc. Weniger bewährte
sich die Methode beim Ulcus molle, Bubo und gonorrhoischem Rheu¬
matismus. Technik siehe im Original.
Robert Jardine: Die schnelle Entbindung bei der Eklampsie.
(Ibidem.)
Verf. ist für eine abwartende Behandlung und entleert den Uterus
nur dann künstlich, wenn die Geburt bereits begonnen hat. Zur
Herabsetzung des Blutdruckes und der Pulszahl verwendet er Vera-
trone (Parke, Davis & Co.) mit gutem Erfolg.
George Adami: Die chronische Intestinalstase etc.
Seton S. Pringle: dto.
H. M. W. Gray: dto.
Harold Chapple: Einiges über den Einfluss der chronischen
Darmstase auf die weiblichen Geschlechtsorgane. (B. M. J., 24. I. 14.)
Diese Reihe längerer Vorträge über die L an eschen Theorien
eignen sich nicht zu kurzen Referaten, sollen aber für Interessenten
erwähnt werden. Siehe mehrere frühere Referate.
Sir John Bland Sutton: Die Linitis plastica oder der „Leather-
bottle“-Magen. (Fig.) (B. M. J., 31. I. 14.)
1 Fall dieses seltenen Prozesses bei einer 42 jährigen Frau.
Das Organ war hochgradig geschrumpft und die Wand äusserst hart
und verdickt. Netz und Teile des Querdarms waren mitergriffen,
während der Prozess am Duodenum und der Kardia scharflinig auf¬
hörte. Mikroskopisch lag ein diffuses Karzinom vor. Es gibt aber
ähnliche Fälle von rein entzündlicher Natur. Die pathologischen
Befunde bei dieser Krankheit sind übrigens häufig unklar.
J. 0. Wakeliti Barratt und Warrington Yorke: Die Ent¬
stehungsweise allgemeiner Symptome bei der Hämoglobinämie. (Fig.)
(Ibidem.)
Tierexperimente. Injektion von stromatalosem Hb. wurde gut
vertragen, während Hb-freie Stromata schon in geringen Dosen töd¬
liche Vergiftungen verursachten. Die Ursache der Symptome scheint
teils eine intravaskuläre Ausscheidung von Fibrin, teils eine Ver¬
stopfung der kleinen Gefässe durch die injizierten Stromamassen zu
sein Der mechanischen steht die toxische Hypothese gegenüber, sie
ist aber mit den experimentellen Tatsachen kaum vereinbar.
H. D M o 1 1 e s t o n: Ein Fall von eosinophilem Aszites. (Ibidem.)
Bei dem an Ikterus und Aszites erkrankten Patienten enthielt das
Transsudat 20 und das Blut 12 Proz. Eosinophile. Vor dem Tode ging
ihre Zahl infolge Peritonitis auf 0,5 Proz. zurück. Sektion ergab an¬
statt der vermuteten Hytatideninfektion ein Darmkarzinom. Eosino¬
philie des Blutes wurde bei Karzinom bereits mehrfach beschrieben,
im Aszites gehört sie aber zu den grössten Seltenheiten.
George F. Aldons: Der Wert der Leukozytenzahl bei zweifel¬
haften Appendixfällen. (Ibidem.)
Die Leukozytose ist der beste Gradmesser der Gefahren bei
Fällen mit maskierten klinischen Symptomen. Werte von 15 — 30 000
fordern zum sofortigen Eingreifen auf. Krankengeschichten.
Hamilton Drummond: Ueber die Funktionen des Kolon und
die Bewegungen der Darmeinläufe. (Ibidem.)
Röntgenbeobachtungen zeigten, dass grosse Einläufe (1 Liter)
das Zoekum erreichen und bei Darmlähmung die Ileozoekalklappe
sogar überschreiten können. Antiperistaltische Bewegungen konnten
nicht festgestcllt werden, die Füllung kommt also ausschliesslich durch
den hydrostatischen Druck zustande. Auch kleine Einläufe ver¬
mögen innerhalb mehrerer Stunden im Dickdarm von selbst empor¬
zusteigen. was nach Bond nicht durch Muskelkontraktionen, sondern
durch eine umgekehrte Sekretströmung verursacht wird.
.1. Dodds P r i c e und Leonard Rogers: Der absolute Erfolg der
Segregationsmassnahmen zur Ausrottung des Kala-azar in den Assam-
Theegärten. (B. M. J., 7. II. 14.)
Die Verlegung der Wohnstätten, gewöhnlich nur um ein paar
hundert Meter, führt, falls keine erkrankten Personen mitgenommen
werden, immer und überall zum kompletten Aufhören dieser schreck¬
lichen Erkrankung. Das Virus haftet daher den Häusern und dem
Boden an und wird vielleicht durch Bettwanzen übertragen. Spon¬
tanheilungen dieser häufig für unheilbar gehaltenen Krankheit kommen
sicher, aber selten vor.
H. Lyndhurst Duke: Wilde Tiere als Reservoir der mensch¬
lichen Trypanosomen. (Ibidem.)
Die im Antilopenblut und in wilden Fliegen gefundenen Trypano¬
somen sind miteinander identisch und stellen modifizierte Ab¬
kömmlinge des Tr. gambiense dar, welches die letzte grosse Epidemie
unter der Bevölkerung am Victoria Nyanza verursacht hat. Ob die
Antilopentrypanosomen für den Menschen noch pathogen sind, ist
vorderhand zweifelhaft, da Experimente am Menschen nicht gemacht
werden können.
George Pseutice: Die Schlafkrankheit, die Tsetsefliege und
wilde Tiere. (Ibidem.)
Die wilden Tiere, die infolge der verfehlten Wildschutzgesetze
in den Protektoraten ganz enorm zugenommen haben, sind der Ruin
der Menschen und Haustiere geworden. Ausrottung der wilden Tiere
in der Nachbarschaft menschlicher Siedelungen würde die Seuche
zum Verschwinden bringen.
R. G. Archibald: Die intestinale Schistosomiasis im Sudan.
(Kurven.) (Ibidem.)
Die intestinale Form macht häufig diagnostische Schwierigkeiten,
da der Nachweis der Eier des Schistosomum mansonii in den Fäzes
nicht immer gelingt. Symptome sind: Fieber, Anämie, Milz-, Leber¬
schwellung, Leuko- und Lymphozytose. Eosinophilie fehlt. Darm-
symptome variieren und sind nicht charakteristisch. Das Fieber ent¬
steht wahrscheinlich durch die Absorption der Toxine der Helminthen
und Darmbakterien. Verf. behandelte daher 2 Fälle mit auto¬
genen Vakzinen und erzielte Besserung.
J. J. Arnold: Die Aetiologie der Beriberi. (Ibidem.)
Nach Erfahrungen des Verf. auf St. Helena ist die Reistheorie,
ganz besonders beim Schiffsberiberi, nicht haltbar. Alles weist auf
einen infektiösen Ursprung hin.
J. A. Night in gale: Zeismus oder Pellagra? (Ibidem.)
Verf. hat 1912 in einem Gefängnis in Rhodesia zum ersten Male
eine neue Krankheit gesehen und Zeismus genannt. Die Ursache ist
perikarplose Maisnahrung, während die in Handmühlen ver¬
arbeitete Nahrung (rapoko) prophylaktische und heilende Kraft be¬
sitzt. Die Prognose ist immer gut. Zwischen Zeismus und Pellagra
bestehen grosse klinische Differenzen. Aehnlich sind n u r die In¬
testinalerscheinungen, während die Hautveränderungen ganz ver¬
schieden sind und das Nervensystem beim Z. nie befallen wird. Der
Annahme Sambons entgegen hat Zeismus nichts mit der gewöhn¬
lichen Pellagra zu tun.
W. J. Peu f old und H. Violle: Eine Alcthode zur Erzielung
rascher und letaler Intoxikationen mit Bakterienprodukten. (B. M. J.
14. II. 14.)
Durch intravenöse Injektion destillierten Wassers gelingt es, mit
subletalen Dosen von B. typhosus, V. chol., Prot, vulgaris,
B. pyocyaneus, B. dysenteriae Shiga, B. prodigiosus und Tuberkulin
rasch tödliche Vergiftungen zu erzielen. Das Gleiche gilt von Cholera¬
toxinen, nicht aber von anderen giftigen Substanzen, wie Zyankali
oder Strychnin. Hypertonische Salzlösungen gewähren keinen Schutz.
Die Ursache ist die Lysis der roten Blutkörperchen, da die gleich¬
zeitige Einspritzung von subletalen Choleradosen und geringen Men¬
gen lysierten Blutes zum sofortigen Tode führt.
H. M. W. G r a y und Alex. Mitchell: Eine Serie von Appendi¬
zitisfällen bei Kindern. (B. M. J., 21. II. 14.)
Gesamtzahl der Fälle: 200 (126 akute und 74 chronische). Von
ersteren starben 19 (15 Proz.), von letzteren keiner. Die sofortige Ent¬
fernung des Wurmes wurde nur bei mit der vorderen Bauchwand ver¬
wachsenen Abszessen unterlassen. Die Symptome der letzten 60 Fälle
wurden eingehender studiert. Nur 10 hatten bereits vorher Attacken
durchgemacht. Die klassischen Erscheinungen fehlten fast nie, nach
dem ersten Sturm kam es aber häufig zu trügerischen Besserungen,
die zunehmende Pulsfrequenz schützte jedoch vor Irrtiimcrn. Ein
wertvolles Zeichen war im Zweifel die Aufhebung der Bauchatmung.
Auch die Lage peritonitischer Kinder mit unter den Kopf ge¬
schlagenen Händen scheint typisch zu sein. Dieselbe erleich¬
tert die Fixation der Bauchmuskeln und die Thoraxatmung. Bei
6 Fällen bestand Diarrhöe: alle litten an diffuser, sehr virulenter
Peritonitis und 4 starben (Verwechslung mit einfacher Enteritis).
4 Kranke klagten über schmerzhaften Harndrang, was auf Lokalisation
im Becken (Rektaluntersuchung) hinwies. Zahl der Todesfälle: 9
(durchschnittliche Krankheitsdauer bis zur Operation: 6 Tage). Opera¬
tionen am 1. oder 2. Krankheitstage waren immer erfolgreich. Im
Widerspruch mit den Angaben der Lehrbücher waren frühzeitige
Gangrän des Wurmes und diffuse Peritonitis bei dieser Serie gerade¬
zu viel häufiger als bei Erwachsenen. Lokalisation durch Netz¬
adhärenzen war dementsprechend selten. Im allgemeinen waren die
Operationsbefunde viel schwerer, als die klinischen Symptome er¬
warten Hessen. Dies mahnt zur sorgfältigen Beobachtung und zu¬
rückhaltenden Prognose bei allen zweifelhaften Bauchfällen. Opiate
oder Abführmittel sind zu vermeiden. Die Kranken werden am
besten in halbsitzender Lage gehalten, damit das Exsudat sich aufs
Becken beschränkt. Bei gemachter Diagnose oder auch nur dringen¬
dem Verdacht ist sofort zu operieren.
James Cantlie: Die Stimmgabel und das Stethoskop zur Ab¬
grenzung der Brust- und Baucheingeweide. (Bilder.) (Ibidem.)
Man setzt beide Instrumente gleichzeitig auf das zu unter¬
suchende Organ (Leber, Magen, Milz, Herz etc.) und bewegt dann
die Stimmgabel langsam nach der Peripherie hin. Im Moment des
Grenzüberschreitens werden die Schwingungen plötzlich schwächer
oder ganz unhörbar. Die Methode ist auch zur Feststellung von
Knochenbrüchen geeignet.
S. T. Pruen: Die epidemische Zervikaladenitis mit Herzkompli¬
kationen. (Fig.) (Ibidem.)
Verf. sah im Winter 1912/13 eine Epidemie dieser Affektion.
welche zuerst von K i r k I a n d als Infektionskrankheit sui generis
beschrieben wurde. Charakteristisch sind: Tonsillitis, schmerzhafte
Zervikaldrüsenschwellungen, Fieber, grosse Prostration und ein
Juli 191*4.
MUKNCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
16*43
äusserst protrahierter Verlauf. Die Krankheit bevorzugt Erwachsene
und fuhrt häufig (unter 60 Fallen 14 mal) zu einer schleichend cin-
setzendcn Endokarditis. Achnlichc Epidemien sind in letzter Zeit
in vielen Städten Englands, des Kontinents und in Amerika beobachtet
worden. Die Inkubation scheint 3—4 Tage zu dauern.
Robert Kirkland: Die epidemische Zervikaiadenitis mit Herz¬
komplikationen. (Ibidem.)
10 Proz. der Fälle — ganz besonders diejenigen mit weniger
ausgesprochenen Drüsenschwellungen — entwickelten Merzkompli¬
kationen. Bakteriologisch fanden sich in den Rachenmembranen und
im Blut Streptokokken, nie Diphtheriebazillen. Es handelt sich wahr¬
scheinlich um eine neue Infektionskrankheit.
Arthur Keitli: Anthropologische Studien der Porträts Shake¬
speares und Büros. (Bilder.) (B. M. J„ 28. II. 14.)
Interessante Schädelrekonstruktionen. Shakespeare und Burns
sind die Repräsentanten verschiedener europäischer Rassen. Shake'-
spearc gehört zu den echten Kelten, einem rund köpfigen Volks¬
stamme, der im Bronzezeitalter nach England gekommen ‘ist. Burns
der grosse schottische Dichter, wird fälschlicherweise zu den Kelten
gerechnet, stammt aber von einer langköpfigen Rasse ab, die in
England bereits vor dem Bronzezeitalter und wahrscheinlich vor der
neohthischen Periode ansässig war.
. Ivuiavr t 1 arant: Die pathologischen Befunde der Thyreoidea
bei Krankheiten. (Bilder.) (Ibidem.)
Verf. teilt die verschiedenen Infektionen und Krankheiten in
3 Gruppen ein: 1. in Toxämien ohne Wirkung auf die Thyreoidea:
2. solche mit kolloider oder chronischer Hyperplasie und 3. solche mit
totaler oder akuter Hyperplasie, Einzelheiten müssen im Original
nachgelesen werden.
Harry. Campbell: Die Behandlung der Syphilis des Nerven¬
systems mit intrathekalen Injektionen. (B. M. .1., 14. III. 14.)
Die Ursache der therapeutischen Misserfolge bei der parenchy¬
matösen Eorm (Parasyphilis) ist die Undurchlässigkeit der Kapillaren
des Nervensystems für Antisyphilitika und spirillozide Substanzen,
man versucht daher in letzter Zeit die direkte Einbringung derselben
in den Subarachnoidealraum. Nach dem Verfahren des Verf. erhält
Pahent zunächst 2 intravenöse Neosalvarsaninjektionen (0,9) und Hg
Kunden nach der 2. Injektion werden 4 Unzen Blut entnommen,
das Serum durch 12 Stunden stehen lassen, abgesondert und letzteres
durch Lumbalpunktion eingespritzt. Bei 10 Fällen besserten sich die
nervösen und allgemeinen Beschwerden und die Reaktionsbefunde
m,i er eJe,brosp.inalf!üsslgkeit (Krankengeschichten). Das ratio¬
nellere \ erfahren ist die direkte Einbringung in den Subarachnoidal¬
raum des Gehirns durch Trepanation. Dies wurde in allerletzter
.it bei2 Kranken ohne Zwischenfall gemacht, über die therapeu¬
tischen Resultate kann aber vorderhand wegen Kürze der Zeit nichts
gesagt werden.
I. Johnston Abraham: Die Arsenotherapie der Syphilis mit
besonderer Rücksicht auf das „Galyl“. (Ibidem.)
n ”QW (Tetroxy-diphosphamino-diarsenobenzen, 35,3 Proz. As)
soll nach Mouneyrat nicht gefässerweiternd wirken und weniger
neurotrop sein als Salvarsan. Es werden 3 wöchentliche intravenöse
Injektionen (0,5 in 150,0) gegeben, worauf der Wassermann innerhalb
eines Monats negativ werden soll. Verf. hat eine kleine Versuchs-
menge bei mehreren Fällen (Krankengeschichten) aufgebracht und
fand, dass das Mittel gut vertragen wird und klinisch ebenso schnell
Jv * wie Salvarsan. Ob es diesem überlegen ist, bleibt abzuwarten,
he Arsenotherapie der Syphilis ist immer mit Hg zu kombinieren.
, n L,r>, ‘ Vbi'de: Der Krebs, die öffentlichen Behörden und
Jas Publikum. (B. M. J„ 21. III. 14.)
Es ist die Pflicht der Behörden, das Publikum über die ersten
Anzeichen dieser heimtückischen Krankheit aufzuklären, um so die
rrosse Zahl der inoperablen Fälle zu reduzieren. Zu diesem Zweck
iat die Stadtvertretung in Portsmouth folgende Massregeln ge-
lehmigt: 1. öffentliche Vorträge, 2. kostenlose mikroskopische Unter-
ucliung von Probeexzisionen und 3. die monatliche Veröffentlichung
Hier kurzen Notiz in der lokalen Presse, die in volkstümlicher Weise
'hiie prüde Hinterhältigkeit alles Wissenswerte über die ersten Sym-
»tome und Prädilektionsstellen des Krebses enthält.
• A. MacWilliam und Q. Spencer M e 1 v i n : Die Be-
timmung des systolischen und diastolischen Blutdruckes mit Hilfe
ler auskultatorischen Methode. (Fig.) B. M. J„ 28. III. 14.)
. ^as Instrumentarium ist ähnlich wie beim Riva-Rocci. Anstatt
mes gewöhnlichen binauralen Hörrohres wird ein Phonendoskop über
er Kubitalis befestigt, wodurch die Hände des Beobachters frei blci-
i fUn^cI]st wird bis zum Verschwinden des Radialispulses auf-
eiilaht und dann so viel Luft ausgelassen, bis ein deutliches Geräusch
urbar wird (systolischer Druck). Bei weiterem Entweichen der
.utt wird das Geräusch plötzlich schwächer und undeutlicher
diastolischer Druck). Die Resultate sind nach Angabe der Verff be-
)H inal Renauer’ a,s bei kompIizierteren Methoden. Details siehe im
L R. Murray: Der systolische und diastolische Blutdruck bei
er Aorteninsuffizienz. (Ibidem.)
Der Blutdruck ist bei der Aorteninsuffizienz zum Unterschiede
n gesunden Individuen in der unteren Extremität bedeutend höher
s in der oberen und nimmt in beiden Extremitäten gegen die Peri-
hene hm zu. Näheres siehe im Original.
.fdines A. Raeburn: Subkutane Emetininjektionen bei der
ungentuberkuiose. (Ibidem.)
Die prompteste Wirkung entfaltet das Emetin (0,04 cg) bei
Lungenblutungen. Auch Verminderung des Sputum hat Verf. bei
Bronchitis und Tuberkulose erzielt, allerdings ist dabei das Präparat
mcht absolut verlässlich. Herzschwäche ist eine Kontraindikation.
tu »i , W c 1 1 a n I und Marshall Philip: Die Pest auf Ceylon.
(B. M. .1., 4. IV. 14.)
Die Insel galt bisher als immun, zu Beginn 1914 ist jedoch in
Colombo eine wahrscheinlich aus Indien eingeschleppte Epidemie aus-
gebrochen. Alle 48 Fälle waren mit Ausnahme von 2 bubonischen
r allen septikamischer Natur und verliefen innerhalb 48 Stunden töd-
uch. Die pneumonische Form wurde nicht beobachtet. Ratten er¬
krankten erst während der Epidemie. Auch bei ihnen verlief die
Krankheit durchweg8 septikämisch. Eine Mehrung der bubonischen
ralle durfte mit der allmählichen Abschwächung des Ceylon-Virus
zu erwarten sein.
. . ^,r ^t.Cläir I homson: Dreijährige Sanatoriumserfalirungen
bei der Kehlkopftuberkulose. (B. M. J., 11. IV. 14.)
Unter 693 Lungenkranken fanden sich 25,6’ Proz. Larynxtuberku-
osen (Männer 24, Frauen 28,3 Proz.). Verteilung auf die Turban-Ger-
hardt-Stadmn: I 13,7, II 27,1 und III 40,8 Proz. Frühfälle verlaufen
häufig beschwerdefrei und werden erst bei der Routineuntersuchung
des Larynx entdeckt. Zum Stillstand resp. zur Ausheilung kamen
im Sanatorium -0,7 Proz. Bei der Lokalbehandlung bewährte sich
am besten der Galvanokauter; es kamen 41,6 Proz. der kauterisierten
ralle zur Heilung, ein Resultat, das ausserhalb der Sanatorien nicht
erzielt wird Die Sanatoriumsbehandlung ist somit derzeit die erste
und wertvollste Methode bei der Kehlkopftuberkulose.
,. ii am ?atjac, Y1 ilkinson: Die T.R. -Behandlung, als die essen-
V,®1.1® Merode bei der Durchführung des sogen. „Sanatorium-Benefit“.
(Ibidem.)
Wie Verf. an seinem Material nachzuweisen versucht, sind die
Anschuldigungen, die gegen die T.R.-Ambulatorien erhoben werden
tedsch. Ls kommen fast n u r schwerere und aktive Tuberkulosen
zui Behandlung und nicht, wie die Gegner behaupten, die leichtesten
oder sogar zweifelhafte Fälle, die auch ohne sonderliche Behandlung
wieder gesund geworden wären. Bei der Diagnose schützt die T.R!-
Keaktion, und zwar auch die negative, vor Irrtümern. Neben der
1 uberkulmisierung kommen bei der Therapie nur reichlichere Nahrung
und die allereinfachsten hygienischen Massregeln zur Anwendung
Die Resultate sind trotzdem äusserst gute; selbst von den Bazillen-
spuckern werden alle gebessert und fast 50 Proz. bazillenfrei, was
tur die Umgebung dieser Kranken von enormer Bedeutung ist Der
V erruf des T.R. in England beruht nach Ansicht des Verf. auf der Vor¬
eingenommenheit der medizinischen Autoritäten und auf den viel zu
kleinen Dosen. Den Sanatorien haben die Ambulatorien vieles
voraus, darunter die Billigkeit und die nachhaltenderen Er-
,° ge* Vor der Staat neue Sanatorien baut, sollte man die Resultate
beider Methoden gründlich und objektiv vergleichen. Dass die Am-
bulatorien, wenigstens für die Mehrzahl der Fälle, das bessere Mittel
sind, steht für den Verf. fest.
.1. Mill Reu ton: Ueber die Nierentuberkulose. (Ibidem.)
5 Krankengeschichten. Die Abwesenheit eines Tumors oder von
Schmerzen in der Nierengegend darf nie als Beweis gegen das Vor-
handensein einer Nierenerkrankung angesehen werden. Alle hart¬
näckigen Fälle von Tenesmus und Pyurie müssen zystoskopisch
untersucht werden. Die Veränderungen der Uretcreneinmündung
sind ziemlich typisch und für die erkrankte Seite beweisend; in
manchen Fällen liegen allerdings die beiden Prozesse auf entgegen¬
gesetzten Seiten. Ein zweites, sehr verlässliches Zeichen sind Ver¬
dickungen des Harnleiters per rect. od. vag. Verf. katheterisiert
b e l d e Ureteren nur, wenn die Seite der Erkrankung zweifelhaft ist
sonst aber nur den gesunden. Der Urin der kranken Niere ist häufig
von sehr geringem spezifischem Gewichte. Bei der Nephrektomie
reseziert Verf. nur 2—3 Zoll des Ureter und injiziert in den Stunmf
Acid. carbol. liqu.
. George Jessel: Die Chancen der Heimbehandlung der Phthise.
(Ibidem.)
Verf. beschreibt einen einfachen Plan zur domiziliären Behänd-
ung der staatlich versicherten Kranken. Der Erfolg hängt weit mehr
von der peinlichen Durchführung hygienischer Details, als von Medi¬
kamenten ab. Ein 6 wöchentlicher Sanatoriumsaufenthalt erleichtert
wegen der erzieherischen Wirkung die Arneit des Arztes.
E. Russell und G. Parker: Letaler Fall von Veronal ver-
giftnng.
(B M 7' Ls "iVj"' VerRiftung mit 8g Veronal; Heilung. (Bilder.)
.. . bl? ersten Fall (Dose ca. 3,25 g) liess sich das Medikament im
Urin, im Gehirn und den Därmen mit Hilfe des W i 1 1 c o x sehen
Verfahrens nachweisen. Der zweite Fall ist wegen der grossen Dose
beachtenswert. Die Kranke war 3 lA Tage bewusstlos. Am 2. Tage
trät Lieber auf. Die Behandlung bestand in periodischen NaCl-Ein-
laufen, Katheterisieren, Sauerstoffinhalationen und Strychnininjek-
tionen. Im Urin war das Veronal in kristallinischer Form nachweisbar
(Glas verfahren). Kleine Quantitäten sind mit Hilfe des „gemischten
bchmelzpunktverfahrens“ identifizierbar.
William Bi Iling ton: Die Resultate der Nephropexie. (Ibidem.)
n o r» er * ba^ .blsber 515 Kranke mit einer Operationsmortalität von
0,8 Proz. operiert und etwa 800 Nieren fixiert. Die Resultate waren
ausgezeichnet. Bei 92 Fällen, die erst in jüngster Zeit nachunter¬
sucht wurden, ist die Niere an normaler Stelle fixiert geblieben; nur
1644
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
7 Kranke klagen noch über subjektive Beschwerden, alle übrigen sind
völlig gesund und arbeitsfähig.
H. Morison Üavies: Der therapeutische Wert der in die
Pleuralhöhle eingebrachten Gase etc. (Kurven und Bilder.) (B. M. J.,
25. IV. 14.)
Verf. empfiehlt frühzeitigere Verwendung dieses wert¬
vollen Verfahrens. Am geeignetsten sind: vorwiegend einseitige Er¬
krankungen, Fälle mit persistierenden Temperatursteigerungen, pro¬
fusen Hämorrhagien und Höhlenbildungen in einer Lunge. Röntgen¬
untersuchungen sind von grosser Bedeutung. Komplikationen:
1. Pleurareflex und Gasembolien (häufig tödlich). Zur Vermeidung
dienen: Morphium vor der Injektion, Novokaininiiltration der Brust¬
wand, Beobachtung regelmässiger Manometeroszillationen vor dem
Einlassen des Gases, Einblasen von O v o r N und sofortiges Auf¬
hören, wenn der Druck +10 mm Hg beträgt. 2. Pleuraexsudate
(30 Proz.) und 3. Temperatur- und Pulssteigerungen infolge Auto¬
inokulation. Der Pneumothorax soll durchschnittlich 18 Monate lang
erhalten werden und erfordert anfänglich häufigere Erneuerung als
später. Die Resultate sind auch bei Kombination mit T.R., Sana¬
toriumaufenthalt und graduierter Arbeit gute. Auch bei Bronchi-
e k t a s i e n und der putriden Bronchitis wurden Besse¬
rungen erzielt. — Bei der Aspiration von Pleuraexsudaten verwendet
Verf. gleichzeitige Einblasungen von O. Es gelingt dadurch, das Ex¬
sudat vollständig und schmerzlos zu entfernen; der O wird
leicht resorbiert und fördert dadurch die allmähliche und gefahrlose
Entfaltung der kollabierten Lunge. .
P. A. Hendley: Pituitrin bei der Geburt. (Ibidem.)
60 Fälle. Verf. gibt, wenn der Muttermund für 1 — 2 Finger
offen ist, 0,75 — 1 ccm intraglutäal und wiederholt die Injektion, wenn
sich die Geburt des Kindes über 50 Minuten hinaus verzögert. Er
hält das Mittel für wertvoll auch bei Schock und Kollaps, bei ner¬
vösen Patienten zur Vermeidung von post-partum-Blutungen und von
Urinretention im Wochenbett etc. Eine Kontraindikation sind Ob¬
struktionen der Geburtswege.
B. Blacklock: Ueber die Vermehrung und Infektiosität des
Tr. cruzi in Cimex lectularius. (Ibidem.)
Die Parasiten vermehren sich in der Bettwanze und bleiben
während einer langen Periode (21 Stunden bis 77 Tage) lebens- und
infektionsfähig. Infektion gesunder Mäuse und Meerschweinchen ge¬
lingt gewöhnlich nur durch Inokulation mit dem der Wanze ent¬
nommenen Material und nicht durch den Stich der infizierten Insekten.
Eine hereditäre Transmission von Tr. cruzi in Cimex konnte nicht
festgestellt werden. (Schluss folgt.)
Laryngo-Rhinologie.
Ove Strandberg: Bemerkungen über die Differentialdiagnose
zwischen Tuberkulose und Syphilis der Schleimhäute der oberen Luft¬
wege. (Aus Fi nsens medicinske Lysinstitut in Kopenhagen (Klinik
für Hautkrankheiten!.) (Zeitschrift für Laryngologie, Rhinologie und
ihre Grenzgebiete 7. H. 1.)
An der Hand eigener Fälle und der Literatur versucht St. zu
zeigen, wie schwierig, ja häufig irreführend die erwähnte Diagnose
sein könne und wie wenig man sich im Grunde genommen auf die
verschiedenen Reaktionen und supplierenden Untersuchungen und
zwar besonders auf die histologische verlassen könne, die ihm wegen
des Vertrauens, dessen sie sich jedenfalls in einzelnen Kreisen erfreut,
eine Gefahr zu bergen scheint. Aber auch die sonstigen Aufklärungs¬
mittel sind oft ungenügend; die Anamnese lässt meistens im Stich,
das klinische Bild ist sehr wechselnd und oft gar nicht sicher nach
einer Richtung zu deuten. Die Wassermann sehe Probe ist bei
negativem Ausfall nicht zu werten, bei positivem allerdings behebt sie
sofort jeden Zweifel (nach Ref.s Ansicht auch nicht unbedingt, da sie
nur einen syphilitischen Zustand des Organismus anzeigt, aber nicht
den ausschliesslich syphilitischen Charakter des bestehenden Lokal¬
prozesses, z. B. Mischinfektionen oder andere akquirierte Leiden
bei alter Lues!). Die bakteriologische Untersuchung bietet keine
Sicherheit, von gewöhnlichen Ausstrichpräparaten der Ulzerationen
dürfte man betreffs der Schleimhäute ganz absehen, und der Nach¬
weis den Tuberkelbazillen in Schnitten nach Ziehl-Nielsen er¬
fordert Schnittserien und die nachweisbare Bazillenmenge ist so ge¬
ring, dass man nur durch Zufall solche findet. Ueber die Antiformin¬
methode hat St. keine Erfahrungen. Die Much sehe Farbenmethode
lässt sich wegen zahlreicher anderer Bakterienarten bei Schleim¬
hautpräparaten nicht verwenden, und eben deswegen sterben ge¬
impfte Meerschweinchen an Mischinfektion. Die Tuberkulinreaktion
ist sehr umständlich, aber St. hat über sie keine Erfahrung. Bei
richtiger Durchführung bietet' die Diagnose ex juvantibus immer noch
am ehesten Gewähr.
Oswald Levinstein- Berlin' Die „Entenschnabelnase“ als
Folge der subniukösen Septumresektion. (Ebenda.)
Zu den bekannten Verunstaltungen der Nase — meist patho¬
logischer Natur — wie „Sattelnase“, „Lorgnettennase“, ..Bulldoggen¬
nase“, neuerdings auch „Pincenez- oder Kneifernase“, fügt L. eine
weitere, von ihm zuerst beobachtete, traumatischer Art zu. Wie der
Titel schon sagt, handelt es sich um eine Veränderung der Nasen¬
form, die nach zu ausgedehnter submuköser Septumresektion sich
gebildet hatte. Wider Erwarten war nämlich an den Operations-
Stellen das Septum nicht durchweg knorpelig, sondern verknöchert,
so dass beim Loshebeln mit der Zange nicht das vorgesehene be¬
grenzte Stück, sondern ein erheblich ausgedehnteres sich löste. Das
Skelett der Nase verlor dadurch seinen natürlichen Halt und gegen¬
seitige Stützung, und der Nasenrücken sank in seiner unteren Hälfte
ein, wobei oberhalb der Nasenspitze eine deutliche, den untersten
Teil der Nase in seiner Mitte in der Längsrichtung durchlaufende
Delle zu sehen ist und die seitlichen Partien der Nasenspitze im
Vergleich zu deren Mitte etwas vorstehen. Nicht nur, dass diese
Entstellung — noch dazu bei einem 24 jährigen jungen Mädchen —
höchst unschön wirkte, verursachte sie auch bei Berührung und be¬
sonders beim Schneuzen empfindlichen Schmerz. Dieser sowohl, wie
die Art der Veränderung, erklären sich ohne weiteres aus der
Anatomie des Nasenskelettes. Die Kolleginnen der Patientin hatten
die Veränderung als „Entenschnabelnase“ bezeichnet und dieser Name
kann wegen der treffenden Charakterisierung beibehalten werden.
Also Vorsicht bei der submukösen Septumresektion und bei irgend¬
welchen Widerständen kein gewaltsames Vorgehen, sondern scho¬
nendes Arbeiten mit scharfen Instrumenten.
A. Solowiejczyk und Br. K a r b o w s k i : Zur Kasuistik der
Stirnhöhleneiterungen mit intrakraniellen Komplikationen (latente
Stirnhöhleneiterung, epiduraler Abszess, Osteomyelitis des ganzen
Schädeldaches). (Ebenda.)
Es handelte sich bei einer 21 jährigen Patientin um eine Stirn¬
höhleneiterung — wahrscheinlich chronischer Art — , die ihren Eiter
infolge einer starken Verdickung der Schleimhaut nach der Nase nicht
entleeren konnte. Durch die erkrankte Hinterwand kam eine intra¬
kranielle Komplikation zustande in der Form eines aussergewöhnlich
grossen epiduralen Abszesses. Der Eiter verdrängte stark die Stirn-
iappen und füllte die Hälfte der vorderen Schädelgrube aus. Psy¬
chische Unruhe, heftige Kopfschmerzen, vollständige Schlaflosigkeit,
pyämische Temperatur waren die Symptome der intrakraniellen Eitcr-
ansammlung. Ungefähr drei Wochen nach dem ersten operativen Ein¬
griff wurde eine eitrige Erkrankung der Diploe festgestellt, die in
einigen Monaten auf das ganze Schädeldach sich verbreitete und
endlich zu einer tödlichen Gehirnkomplikation führte. Die Sektion
wurde nicht gestattet, bakteriologisch wurden Streptokokken festge¬
stellt. Die Diploeerkrankung war nicht etwa postoperativ entstanden,
sondern erwies sich als Komplikation der Stirnhöhleneiterung. Psy¬
chische Erscheinungen zeigten sich auch bei einem anderen Fall von
Epiduralabszess. Im allgemeinen sind heutzutage schon die intra¬
kraniellen Komplikationen nach nasalen Nebenhöhleneiterungen bzw.
ihre Möglichkeit zur Genüge bekannt und gewürdigt, immerhin lohnt
sich eine Veröffentlichung eines Falles, wie der obige, wegen der
nicht gerade alltäglichen Grösse und Schwere der Gehirnerkrankung.
Eugen Poliak-Graz: Beiträge zur Kenntnis der Amyloid-
lumoren der Luftwege und der Mundrachenhöhle. (Ebenda.)
Als Merkmale, die relativ häufig den amyloiden Tumoren der
Luftwege zukommen, hebt P. folgende hervor: Multiplizität der er¬
krankten Organe; Multiplizität der amyloiden Intumeszenzen inner¬
halb der einzelnen Organe, besonders des Kehlkopfes; gelbe Färbung,
Transparenz und wachsartiger Glanz der Oberfläche; Fehlen von
Ulzeration, von Drüsenschwellung und von Schmerz. Mitunter kann Ver¬
wechselung mit beginnendem Karzinom möglich sein, wenn ein einziger
lokalisierter Amyloidtumor vorhanden ist, vornehmlich im Kehlkopf:
jedoch ist das Karzinom fast stets auf den Stimmlippen und zwar in
der vorderen Hälfte ansässig, das Amyloid dagegen nicht. Noch
schwieriger kann die Unterscheidung von Sarkom sein, hierbei kann
mit Sicherheit nur die mikroskopische Untersuchung Aufschluss geben.
Die Prognose ist quoad vitam besonders von dem Sitze und der
Grössenentwicklung der Intumeszenzen abhängig; die Lebensgefähr¬
dung erfolgt durch höhergradige Stenosierung, besonders der tieferen
Atemwege. Solange die Affektion den Kehlkopf und die Trachea er¬
greift, lässt sich durch die Tracheotomie eine genügende Luftzufuhr
erzielen und der Erstickungstod vermeiden. Die Behandlung ist meist
chirurgisch, indem die Tumoren mit Doppelkürette, Schlinge, scharfem
Löffel oder Kauter entfernt wurden, teils per vias naturales, teils
mittelst Laryngofissur oder Krikotracheotomie. Auch durch Rönt¬
genbestrahlung sind Erfolge erzielt worden. Schliesslich käme bei
tiefersitzenden Tumoren der Luftwege auch die instrumentelle Ent¬
fernung mit Hilfe der Bronchoskopie in Betracht. m
Irene Markbreiter: Weitere Untersuchungen über die bei
Nasen- und Nasennebenhöhlenkrankheiten vorkommenden Gesichts¬
feldveränderungen. (Aus der Kgl. ungarischen Universitätsklinik für
Nasen- und Kehlkopfkrankheiten in Pest. Direktor Prof. O n o d i.)
(Mschr. f. Ohrhlk. 48. H. 2 ) 1
Ihre früheren Untersuchungen über dieses Thema führt Verf.
fort und kommt zu dem Ergebnis, dass das häufigste Augensymptom
bei Nebenhöhleneiterung die Vergrösserung des blinden Fleckes bildet,
ohne differentialdiagnostische Bedeutung für die Entscheidung zwi¬
schen vorderen und hinteren Nebenhöhlen, es kann aber das Sym¬
ptom in zweifelhaften Fällen und bei latenten Eiterherden neben
dem klinischen und dem Röntgenbefund verwertet werden. In
52 Fällen von Vergrösserung des blinden Fleckes ist die Beteiligung
der einzelnen Nebenhöhlen folgende: 10 Fälle von Eiterung des Sinus
frontalis, 4 von Eiterung sämtlicher Nebenhöhlen, 4 von solcher des
Sinus sphenoidalis, 3 mal Sinus Highmori + Cellulae ethmoidales
anter., 2 mal Sinus frontalis + Cellulae ethmoid. anter., 7 mal die
vorderen Nebenhlilcn. 3 mal Cellulae ethmoidales posterior, 3 mal
Celluloe ethmoidales anter.. 16 mal Sinus maxillaris. In einigen Fällen
beiderseitiger Nebenhöhleneiterung war auch nur einseitige Ver¬
grösserung des blinden Fleckes vorhanden. Bei nichteitrigen Nasen-
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1645
erkrankungcn waren in einem Drittel der Fälle Augenveränderungen
verbanden und zwar Gesichtsfeldeinseliränkung und Vergrösserung
des blinden Fleckes, sowie beides allein.
Klemer v I ö v d 1 g y i - Pest: Die therapeutische Wirkung des
Bacterium coli commune bei Kehlkopftuberkulose. (Ebenda Heft 2
und 3J
I . pinselt Bouillonkulturen vom Bacterium coli commune auf die
tuberkulös erkrankten Stellen des Pharynx. Larynx, Gesichtes (bei
Lupus) etc. und behauptet erhebliche Besserungen, sogar Heilungen
erzielt zu haben, wie sie bei anderen Methoden nie so rasch ein-
treten. Er legt VN ert daraut, dass die Bouillonkulturen frisch bereitet
r'"driZ!?\r aKUMfr,aCh sezüchtetem Bacterium coli; vorzuziehen sei
ue dicht sich bildende, viel Indol entwickelnde Form. Die Milch-
Kultur des Bacterium coli ist nicht so vorteilhaft wie die Bouillon-
fuiltur. Um mögliche hinwurfe vorweg zu nehmen, betont Verf dass
spontane Besserungen und Stillstände seine Erfolge keineswegs vor¬
getauscht haben können, vielmehr die meisten Patienten in einem
. tadium ihrer Krankheit standen, in welchem die spontane Heilung
eme derart seltene ist, dass dieser Fall gar nicht in Betracht kommen
'a i]'. (Erinnert sehr an Friedmanns Heilmittel mit seinen An¬
kündigungen und Misserfolgen. Ref.)
. Karj Kofi er: Die Noviformgaze in der Rhinologie. (Aus der
k biuyersitatsklinik für Kehlkopf- und Nasenkrankheiten in Wien.
Vorstand Hofrat Prof. Dr. 6. C h i a r i.) (Ebenda Heft 3.)
, Die Noviformgaze eignet sich sehr gut zur Nasentamponade, sie
'*S;Ch • mcbj d®r Nase, wirkt stark sekretionsbeschränkend
md adstringierend infolge ihres Wismutgehaltes, ist sterilisierbar,
ceruch- und geschmacklos, sogar desodorierend und wird vom Pa-
lenten besser vertragen als Jodoformgazc. Noviform ist eine che-
msche Verbindung von Wismut und Tetrabrombrenzkatechin. In der
Ja7x's, ''Crwand' te K. stets das Noviform immer nur als lOproz.
jaze zu I amponaden der Nase; er liess sie bis zu 8 Tagen liegen
mLnHS.Sie,dey geringsten Fäulnisgeruch bekam, sie wirkte stärker
ntiseptisch als Jodoformgaze, liess sich immer viel leichter heraus-
Wei s*e.initHder Wunde und Schleimhaut nicht so
erklebt war, sie war beim Herausnehmen jedesmal mit schönem
e‘n,em’ ^la^gem Schleim überzogen und entfaltete eine gute styp-
sche Wirkung bei blutenden Wunden; eine schleimhautschädigende
bachteTwordennanSenehme Nebenwirkung ist von K- niemals be-
•berkfefers. C(Zschr. (“o'hdilk. l0""“"äre 1,65
, JlhriZyStenJm Oberkiefer sind nicht gerade häufig, sie zerfallen
i fo 11 kulare und penodontale Die follikulären Zysten entstehen im
"Schluss an Storungen, welche den Zahnfollikel' betreffen ln der
‘egei v entweder retinierte, im Gebiss fehlende Zähne
oder kümmerlich entwickelt oder zerstreut liegende plättchen-
>rrmge Zahnrudimente, deren Zahl wechselt. Diesen follikulären
^tenr ‘m* CnPuen ^.nne’ bei denen der betroffene Zahn in der Zahn-
i hlfaieh7’ , steh,en die gleicher Art gegenüber, die aus- einer iiber-
ihligen Zahnanlage entstehen. Die periodontalen Zysten entwickeln
^ ',m 4nSch uSS an chronisch-entzündliche Zustände der Zahn-
urzetn hie gehen aus einer Periodontitis an der Wurze'snitze eines
isgebildeten, aber erkrankten Zahnes hervor. Diese periodontalen
ler Wurzelzysten kommen viel öfter vor als die follikulären. C gibt
e Krankengeschichten seiner Fälle von follikulären Zysten bekannt
einem Falle zeigten sich in der Nase Vorwölbungen am Nasen-
)den, in anderen Fallen war die Nase ohne Abweichungen Die
peration wurde in Lokalanästhesie gemacht, einmal mit Halbnar-
mer in1 tot? gelang AuSSchälung de/ Zystenwand, was aber nicht
■hpnh- hi E r c y s t a d t : Der Weber sehe Stimmgabelversuch bei
skh. n M PVemen ?CJ u?,se'- (Aus dcr Kg'- ungarischen Universi-
tsklmik für Nasen- und Kehlkopfkrankheiten in Pest [Direktor; Prof
UnodiJ.) (Ebenda.)
I * J 1 a,? bat im Jabre 1911 ein neues diagnostisches Hilfsmittel zur
Gpyemdiagnose angegeben, das von Fr. nunmehr bestätigt wird
OimmPbel ^lrd in der Medianlinie ein wenig über der Nasen-
jr aufgesetzt; normaler Ohrenbefund vorausgesetzt, wird die
i inrngabel nach derjenigen Seite lateralisiert, wo die kranke Neben-
r Lrrhudenc‘S ' ,Bei beiderseitigen Empyemen wird sie zur
b^rkQrankten , Sf lte lateralisiert Der Praktiker kann auf Grund
.nvpmc T.fabelVAerP,ches ,die Wahrscheinlichkeitsdiagnose eines
tipyems stellen. Auf diese Weise lassen sich z. B. Neuralgien von
;frünUra<gl u P Schmerzen einhergehenden Nebenhöhlenentzün-
l egrsnrh?mJSCheiKen; „Fur .d?n Rhinologen können die Stimmgabel-
.ebe".faI's wichtig sein, so wenn kein Eiter in der
b'h o,U h-u" lst’ dl,e Stimmgabel aber nach einer Seite lateralisiert
J-LL uer1, wo der, Einblick in das Naseninncre durch Septum-
ia t on oder sonstige Veränderungen erschwert ist. Ausserdem ist
i ml a a 1 versuch in prognostischer Hinsicht von Wert, insofern
i ,|pnn,A v*derUn - des Stimmgabelhörens vor und nach einer Kiefer-
frH nliP günstigere Aussichten eröffnet als das Gleichbleiben,
i der AncJtP Eiterentleerung die Stimmgabel im ganzen Kopf oder
SüP.mhP * fte e alie,n gebort, so weist das auf mehr oberflächliche
t' traUcte'terunghin’ wird sie vor- und nachher nur auf der cr-
r ge.h°rt’ so lässt das auf tiefe Schleimhautänderung
Indizierung grosserer Massnahmen schliessen.
n, E Mygind: Hacmatoma laryngis traumaticum. (Aus der
uni en- und Hillsklinik des Kommunehospitals zu Kopenhagen [Chef¬
arzt: I rof. L)r. Holger M y g i n dj.) (Ebenda.)
Das in Betracht kommende Trauma besteht meistens darin, dass
üer Patient mit der Gurgel direkt auf eine scharfe Kante fällt, z B
üie eines I isches oder eines Kastens — zuweilen im Rausch oder beim
epileptischen Anfall. Seltener hat es sich um einen direkten Stock-
ouer Faustschlag, einen Stoss oder einen Erwürgungsversuch ge-
nandelt. Die Symptome waren in den leichtesten Fällen nur etwas
Heiserkeit, in den schwereren gleichzeitig Schmerzen beim Sprechen
und Schlucken, leichtere Grade von Dyspnoe, zuweilen auch Blut-
auswurt. I rotz zeitweilig recht drohenden Aussehens war die
lracheotomie nie notwendig. Charakteristisch ist, dass die Svm-
nf(0tün Jf-Pm ewisset. Zfn z" ibrcr Entwicklung brauchen, so dass sie
oft unmittelbar nach dem Trauma ganz fehlen. Von aussen ist am
Halse mir wenig zu finden, einige Sugillationen, etwas Anschwellung
und Druckschmerz. Bei der Laryngoskopie ist auch keine Solutio
continui zu sehen. Das Iaryngoskopische Bild ist sehr verschieden je
nach der Grosse und Lokalisation des vorhandenen Phänomens;
dieses kann sich auf kleine rotbraune, zuweilen multiple Flecke auf
n i licae ventriculares, Labia vocalis und in den Sinus piriformes
beschranken oder es können sich grosse Ausfüllungen bilden, die von
der ganzen einen Seite des Larynx weit in die andere Seite hinüber¬
ragen. Auch das Iaryngoskopische Bild erfordert eine gewisse Zeit
für seine Entwicklung und verändert sich beständig, unmittelbar nach
dem Trauma kann der Larynx ganz normal aussehen. Die Beliand-
innLbSnrC^ Ahini^U^ h,lgstcl 1 - Eis, Kokain und Adrenalin aussen und
flüssig ZUF Abscbwe ung’ Skarifikationen scheinen nutzlos und iiber-
A, G. r a p i a - Madrid: Die Ainvendung der Lokalanästhesie bei
der Laryngektomie nach der Methode von Gluck. (Annales des
Maladies de lOreille, du Larynx, du Nez et du Pharynx 1914 Nr 2)
i SP0{Bot®^-Barce*0"a: Drei Eälle von Totalexstirpation
(Ebenda Nr°^4S) mit Met lode von 0 1 u c k und Lokalanästhesie.
Beide Arbeiten stammen aus Spanien und zeigen, wie auch in
diesem Lande die Fortschritte der modernen Laryngologie Fuss
assen Beide Autoren geben ihre günstigen Erfahrungen bekannt.
Die Ergebnisse der I otaloperation — bei Karzinom natürlich _ _
waren m jeder Hinsicht durchaus gute, besonders wird lobend her-
yorgehoben, dass die Patienten sich später trotz fehlenden Kehl¬
kopfs in genügender Weise ihrer Umgebung durch Sprache verständ-
hch machen konnten und ohne jede Beschwerde ein unbeeinträchtigtes
Dasein führten. Ebenso werden die bekannten Vorzüge der Lokal-
anasthesie betont, die Ungefährlichkeit, die leichtere Anwendung und
die Möglichkeit ungehinderten Operierens wegen Wegbleiben des
Narkotiseurs und seiner beengenden Handgriffe.
Eugene F e 1 i x - Bukarest: Todesfälle nach iutranasalen Ein-
r hinofogi e löH^r 1]njernationales de laryngologie, d’otologie et de
NVenn auch im allgemeinen die intranasalen Eingriffe gefahrlos
verlaufen, so kommen doch gelegentlich Todesfälle als ihre Folgen
Nähp V‘e cenaaltHl-eu,atUr-WJeist BeisP>ele auf- Es kommen hierbei die
Nahe der Schadelhohle mit den Meningen und die reichen und grossen
Lymphwege der Nase in Betracht, zumal auch die Siebbeingegend
besonders gefährdet ist und daselbst oft blind operiert werden muss,
ist sie doch der Sitz der so häufig vorkommenden Schleimpolvpen.
rUrUt iTanmeidenn^lrA man, T.od®sfällf oder sonstige Komplikationen
icht können. Die A- und Antisepsis im Naseninneren ist unvoll¬
kommen, die Enge und ungenügende Drainage der höheren Nasen-
regionen ist sehr störend. Bei der Tamponade (die Ref. ganz ver-
wirft) sind besondere Vorsichtsmassregeln nötig, sie soll nie zu fest
und me langer als 24 Stunden, höchstens 12—15 Stunden ausgedehnt
werden. Nach infektiösen Krankheiten, wie Influenza, Eruptions-
fitbcrn, sind in der Nasenhöhle sehr viel, stark infektiöse Bakterien
anwesend, man hüte sich, unmittelbar nach solchen Krankheiten intra¬
nasal zu operieren. Max S e n a t o r - Berlin.
Inauguraldissertationen.
Universität Berlin. Juni 1914.
M Vehandlung^111"6™ : D'e Ergebnisse der modernen Syphilis-
V en g e r Gertrud: Versuche über Aufmerksamkeitsstörungen bei
Lhorea minor.
L 6 der1 K«kuIIarfslähmunge^etl0l0Sie’ SymPt0matoloele “nd
M 1 des N,ere"-
S e g e 1 m a n in Abraham : Ueber die Beeinflussung der Wasser-
handlung Cn Keaktl0n durch die kombinierte Hg-Salvarsanbe-
Ll Hm rnr^.rcn^2:-Ef"*IS11*v^n primarem Papillären Adenokarzinom
des Corpus utcri nnt Metastasen am Ovarium.
K Peritoneums." Bcitrag zur Frage der Resorptionsfähigkeit des
M u l 1 e r Karl : Ueber einen Fall von Hydroa vaccinlforme (Bazi n)
SalI°mna°" f1“*: Ein Fall von Luxatio capituli radii ant conien!
mit pathologischen Cubitus valgus.
1646
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
Zimmer mann Hirsch: Zur Kenntnis der Aetiologie und Therapie
der Vereiterung der Kornea bei und nach Masern.
Ostrowski Siegfried: Beobachtungen an Fällen von Exstirpation
des (ianglion Qasseri und der Okzipitalnerven.
Universitäts Bonn. April bis Mai 1914.
Norpoth Adolf: Zur Diagnose des Ulcus duodeni mit besonderer
Berücksichtigung des Oclprobefrtihstücks.
Schwarz Friedrich: Ueber Spontanrupturen des Uterus in der
Gravidität.
Schreiber Hans G.: F.in Beitrag zur Frage des Zusammenhanges
zwischen progressiver Paralyse und Unfall.
Liebelt Paul: Zur Frage der Beziehungen der Hysterie zu den
funktionellen Psychosen.
Connenberg Heinrich: Ein Beitrag zur Kenntnis der Hemiatrophia
faciei progressiva.
Stöcker Fritz: Ueber Spätfolgen nach operativen Geburten mit
besonderer Rücksicht der sozialen Verhältnisse.
Dotzel Edward: Fünf merkwürdige Fälle von Paralyse.
Hochgürtel Jos. Mich.: Die Röntgentherapie der Pseudoleukämie.
Leichtentritt Bruno: Erfahrungen über die nach dem Verfahren
von Engel hergestelite Eiweissmilch.
Port mann Erich: Tuberkulose und Wohnung.
Thier Adolf: Ein kasuistischer Beitrag zur Frage des primären
Appendixkarzinoms.
Rehr Carl: Beiträge zum Schicksal des Zervixstumpfes nach supra¬
vaginaler Amputation wegen Myom.
Rody Carl: Ueber die Inversio uteri post partum und ihre operative
Behandlung.
Juni bis Juli 1914.
Weidemann Otto: Kollateralkreislauf bei Leberzirrhose und Pfort¬
aderthrombose.
Qu ante Josef: Ueber die Resorption von abgebautem Eiweiss vom
Rektum aus.
Kleine Ewald: Bau und Funktion der Flughaut von Draco volans
Linne.
D e p e n t h a 1 Heinrich: Die traumatischen Erkrankungen des Lungen-
und Rippenfells und ihre Unfallbegutachtung an der Bonner medi-
zischen Klinik.
Jansen Egid: Ueber typische Veränderungen im Darm bei akuter
Leukämie.
Scheven Richard v.: Ein Beitrag zur Frage der Erblichkeit der
Tuberkulose.
Hui s gen Edmund: Ueber die Anwendung der Hypophysenextrakte
in der Geburtshilfe unter besonderer Berücksichtigung des Pito-
glandol (Roche).
Peters Wilhelm: Ueber syphilitische Erkrankungen des Herzens
und der Aorta.
Thalmann Valentin : Ein Fall von Sklerodermie mit Raynaud-
schem und Addison schem Symptomenkomplex; Empfindlich¬
keit gegen Fibrolysin.
Schute Richard: Nabelschnurbruch bei Neugeborenen.
Universität Freiburg i. Br. Juni 1914.
Dyckerhoff K. H.: Ueber eigenartige Zystenbildungen in der
Niere.
E r n w e i n Louisa: Beitrag zur Frage der Dauerresultate bei klinisch
behandelten Säuglingen.
Hävers Karl: Experimentelle Untersuchungen über Physiologie und
Pathologie des Cholesterinstoffwechsels mit besonderer Berück¬
sichtigung der Schwangerschaft.
Hermel Hans: Beobachtungen über vasokoristringierende und dik¬
tierende Substanzen.
Offermann Walter: Sind die Oxydasenfermente durch Röntgen -
und Mesothoriumbestrahlung beeinflussbar?
Schmitt Julius: Klinischer Beitrag zur Operation der Hypophysen¬
tumoren.
Stadtmüller Franz: Ein Beitrag zur Kenntnis des Vorkommens
und der Bedeutung hyalinknorpeliger Elemente in der Sklera der
Urodelen.
Stein Georg: Zur Frage des Cholesteringehaltes des Blutes mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Syphilis.
Tuczek Karl: Ueber die Beziehungen der Nebennierenpigmentation
zur Hautfarbe.
W olff Gerhard: Entwicklung der Technik sowie eigene Erfahrungen
über die Abderhalden sehe Schwangerschaftsreaktion mittels
des Dialysierverfahrens.
Universität Halle a. S. Juni 1914.
Biinger Julius: Zur Lehre des sogen. Plasmazytoms.
üi ekler Hans: Latente Herdsymptome in ihrer Bedeutung für die
Epilepsie.
J a e g e r Emil : Ueber Pseudomyxoma peritönei.
Riedel Gustav: Bakteriologischer und pathologisch-anatomischer
Befund bei Peritonitis.
Wiegand Alfred: Ueber Pneumonie im Kindesalter.
Auswärtige Briefe.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Schulen für die berufsmässige Krankenpflege. — Einführung
der freien Arztwahl bei den Familienangehörigen der Arbeiter der
k. k. Tabakregie. — Freie Arztwahl mit Honorierung der Einzel¬
leistungen des Arztes. — Gegen die ärztliche Praxis im Umherziehen
von Ort zu Ort.
Eine Verordnung des Ministers des Innern vom 25. Juni 1914
betrifft die Organisation von Schulen fürdie berufsmässige
Krankenpflege im Anschlüsse an geeignete Krankenanstalten.
Ueber die Errichtung der ersten „Krankenpflegeschule des k. k. Kran¬
kenanstaltenfonds" im allgemeinen Krankenhause haben wir schon
seinerzeit berichtet. Eine zweite Schule, die der Oesterr. Gesell¬
schaft vom Roten Kreuze, wurde mit dem Krankenhause Wieden
verbunden und weitere Krankenpflegeschulen werden im Herbste
mit staatlicher Subvention in mehreren Landeshauptstädten aktiviert
werden. Die besagte Ministerialverordnung umfasst die Bestim¬
mungen über die Ausbildung (Aufnahmsbedingungen, Lchrgegen-
stände, e i n Lehrjahr, ein Probejahr in Kranken- und sonstigen Für-
sorgeanstalten, staatliche Diplomprüfung etc.), sodann — als neue
Bestimmung — die Verleihung einer „Ehrendekoration für diplo¬
mierte Krankenpflegerinnen“, die sich im Kriege und in sonstigen
gefahrvollen Zeiten (Epidemien) der Pflege von Kranken und Ver¬
wundeten für eine bestimmte Zeit zu widmen verpflichten. Die
diplomierte Krankenpflegerin muss der Behörde schriftlich ein „Ge¬
löbnis zur Leistung der Krankenpflege im Kriege und bei Epidemien“
unterbreiten. Die „Ehrendekoration“ besteht aus einer ovalen ver¬
goldeten Bronzeplaque mit kaiserlichem Doppeladler und wird ohne
Band an der rechten Brustseite getragen.
Bei der Auswahl der Lehrgegenstände — heisst es^ im offiziellen
Communique — fanden nicht nur die Bedürfnisse des Spitalsdienstes
sowie der Privatkrankenpflege Berücksichtigung, sondern es wurde
auch dafür Sorge getragen, dass die Schülerinnen für die Mitwirkung
in der sozialen Fürsorge (insbesondere auf dem Gebiete des
Säuglingsschutzes), ferner für die Verwendung im admini¬
strativen Spitalsbetriebe und bei Bekämpfung von In¬
fektionskrankheiten besonders ausgebildet werden. Hie¬
durch erweitern die Krankenpflegeschulen, welche Personen weib¬
lichen und männlichen Geschlechtes zugänglich, jedoch in erster
Linie von Frauen besucht sein werden, das Gebiet beruflicher Be¬
tätigung der Frau. Für das ärztliche Hilfspersonal männlichen
Geschlechtes, das in Oesterreich — ausser in der Irrenpflege — vor¬
wiegend auf dem Gebiete der physikalischen Heilmetho¬
den (namentlich Massage und Wasserbehandlung) verwendet wird,
sind bei den Krankenpflegeschulen eigene mehrmonatige Sonder¬
kurse zur Ausbildung in diesem Teilgebiet in Aussicht genommen.
Die Wirkung der Krankenpflegeschulen auf die im Interesse der
Kranken und des Pflegepersonales notwendige Verbesserung der fach¬
lichen Ausbildung, ferner auch auf den erhöhten Zufluss zum Pflege¬
beruf, kann sich erst nach einigen Jahren geltend machen; inzwischen
sollen Anfängerinnen einige Monate lang in sogen. Einführungs¬
kursen zu Pflegerinnen herangebildet werden (niedere Fachschule),
auch sind Uebergangsbestimmungen für Krankenpflegepersonen ge¬
troffen worden, welche sich dieser staatlichen Diplomprüfung frei¬
willig unterziehen wollen.
Die k. k. Tabakregie hat sich entschlossen, nachdem die bisher
ohnehin schlecht bezahlten Tabakfabrikärzte sich fast einstimmig
weigerten und durch Revers verpflichteten, die ihnen
seitens des Staates gegen eine kleine Gehaltserhöhung angetragene
pauschalierte Behandlung der Familienangehörigen der
Tabakfabrikarbeiter zu übernehmen, diese Behandlung der Gesamt¬
ärzteschaft Oesterreichs (in freier Arztwahl) anzutragen. Sie hat
sich zu diesem Zwecke an den Geschäftsausschuss der österreichi¬
schen Aerztekammern und an den Reichsverband österreichischer
Aerzteorganisationen gewendet und den genannten Körperschaften
folgende Proposition gemacht: In den Fabriken der k. k. Tabak¬
regie sind insgesamt rund 35 468 Arbeiter beschäftigt, denen
40 240 Familienmitglieder entsprechen. Die Arbeiter rekrutieren sich
zu vier Fünftel aus Weibern, ein grosser Teil der Familienangehörigen
sind Kinder, welche nur bis zum vollendeten 16. Lebensjahre in
das Uebereinkommen fallen sollen. Die 30 Tabakfabriken verteilen
sich, mit Ausnahme der Bukowina, auf sämtliche Kronländer, die
meisten Fabriken liegen in Böhmen und Mähren. Die k. k. Tabak¬
regie würde für die Beistellung der ärztlichen Hilfe einen Betrag
von jährlich 150 000 Kronen gewähren, der zum Teil von den
Arbeitern durch Beitragsleistung hercingebracht werden soll. Wei¬
ters würde ein jährlicher Regiebeitrag von 10 000 Kronen und ein¬
maliger Gründungskostenbeitrag von 5000 Kronen geleistet werden.
Geltung soll das Uebereinkommen für alle jene Betriebe haben, die
sich damit einverstanden erklären, und zwar soll es vorläufig auf
3 Jahre abgeschlossen werden.
Diese Anträge der k. k. Tabakregie wurden in einer seitens
der Aerztekammern und ärztlichen Organisationen Oesterreichs be¬
schickten Delegiertenversammlung eingehend beraten.
Den Vorsitz führte der Präsident des üeschäftsausschusses der
österreichischen Aerztekammern, Herr Prof. E. Finger. Man
2t. Juli 1914.
MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
V"ISvtrflchf "aü" lcbhafter Diskussion vorerst einstimmig dahin, dass
d)e X ertreter der Aerzteschaft im Prinzipe für die Einführung der
organisierten freien Arztwahl bei der Familienangehörigenbehandlung
Tnh^rP^ crTS?llaChtißln A>:beiter b> den Betrieben der k. k
I nHi M fit Sl,ld' Sodann beschloss man unter Hinweis, dass bei der
Landbevölkerung die Kinder schon mit 14 Jahren (häufig sogar noch
die Altersgrenze der Kinder als Familien¬
angehörige nicht mit 16, sondern mit 14 Jahren festzulegen. Die
Aerztekammern und Organisationen werden die Direktiven für die
Verhandlungen mit der k. k. I abakregie schriftlich formulieren und
ward (der hnPerhlfSfCchUSSCgin kÜ,rZester Zcit bekannt geben, sodann
wird der üeschaftsausschuss der österreichischen Aerztekammern
dvL^eiHhSV?rbundv Pstlerre|chischer Aerzteorganisationen und der Prä-
f ür 6 m f ^ a'p tS^heghifnn ärztlichen Organisationen autorisiert sein,
ur die Aerzteschaft Oesterreichs mit der Tabakregie in Verhand-
Vm.C h pZcUf Jh e 4 n" U'v ein bezügliches Uebereinkommen abzuschliessen
Dem bestehenden Vereine für freie Arztwahl in Wien wurde sodann
Reh?n%nnUhrUngFUndiVerrechuUng des arztI>chen Dienstes für diese
m5nfncC!!n!!gnVOr\;^a^ni iei?anjSehbT^isen der Tabakarbeiter übertragen,
doch solle der Verein mit den Kammern und Organisationen in den
einzelnen Kronländern in Verbindung treten.
.D'e Vorzü«e des Systems der freien Arztwahl sowohl für die
nnph'CfherTgSPfl ^1?btlg®n Arbeiter und :hre Familienangehörigen als
auch für die praktischen Aerzte selbst sind in dieser Wochenschrift
sJion so oft gewürdigt worden, dass wir es für unnötig halten,
hierüber auch nur ein weiteres Wort zu verlieren. Selbstverständlich
wird die Einführung der freien Arztwahl bei den Angehörigen einer
seh?Sv?el zu?" PnnO 9fsterrei<-h verbreiteten Arbeiterkrankenkasse
sehr viel zur Popularisierung der Institution beitragen. Der intelli-
bestehtArdassererWh-sdh Sehr bald den Bnterschied merken, der darin
besteht, dass er bisher von einem überbürdeten, schlecht bezahlten
nd zuweilen auch noch recht entfernt wohnenden Aerzte — ärztliche
y''f frbltten musste, künftighin aber von einem selbstgewählten
Vertrauensärzte zu welchem er mehr in persönliche Beziehung treten
kann und wird. Der Vertrag zwischen der k. k. Tabakregie und
der Aerzteschaft Oesterreichs wird vorerst nur für 3 Jahre abge-
wSlmkdtrtreentennd S°"’ ^ verIautet’ bereits am L Januar ^15 in
ß. D!e deutsch-tirolische Aerztekammer in Innsbruck veröffentlicht
eben das zwischen ihr und der Landesvertretung deutsch geleiteter
Bezirkskrankenkassen in Tirol und Vorarlberg abgeschlossene Ueber
emkommen. Auch hier soll die ärztliche Hilfe auf Grundlage der
Arztwahl durch die sich hiezu bereit erklärenden Aerzte ge¬
leistet werden. Es ist aber die freie Arztwahl unter Honor i e-
ung der Einzelleitungen des Arztes nach eiüembe-
Ddprilven-tM ° rM V a r 'l geplant So sollen bezahlt werden: Für
L def ^ lslte In^b Untersuchung am Standorte des Arztes 150 Kr
Ent ermmgsgebuhren je nach den örtlichen Verhältnissen im Einver¬
nehmen beider Parteien extra geregelt. Für eine Konsiliarvilite
zjy- Konsiliarius und Ordinarius je 3 Kr. Von jeder Konsiliar visite
st che Kasse zu verständigen. Für jede Ordination mit Untersuchung
7 nh" 'uf!,N.apbj?rdInatl0nen und Nachtvisiten von 8 Uhr abends bis
vpVhrnf[US-IStAdie+dPPpeIte Taxe zu bezahlen. Von diesen Ansätzen
J,p AhJ flu Aerztekammer jenen Bezirkskrankenkassen, bei denen
ic Aerztekosten exklusive Kontrolle nach dem durchschnittlichen
Wrsicherungsstocke pro Mitglied und Jahr 4.50 Kr. überschreiten
i?«0pfw-ne idltS f SatZ, nlcht unter 20 Proz- der Gesamteinnahmen -
lusschhesshch Ersatzkosten zurücksteht) und denen es trotz geord-
leten Gebahrens und trotz der gesetzlich höchstzulässigen Beitrags-
vutUnSuniCht gpIlpgen konnte, den für den Ausgleich der jährlichen
Schwankung unbedingt notwendigen Reservefond anzusammeln einen
ilC£.aSSf bl\Zü 20 Pr0Z' der Aerztekosten. Spezialleistungen
)er v!l?o?er/nbuhrenuTdf- v°n drr Urmässigung ausgeschlossen.
Jer Vertrag soll zunächst für die Jahre 1914 und 1915 gelten er
autt aber immer ein Jahr weiter, wenn er nicht drei Monate 'vor
i TT K Ver ragsjahres gekündigt wird. Weitere Bestimmungen
ueses Uebereinkommens beziehen sich auf die Zulassung der Aerzte
d,‘e vorübergehende oder dauernde Ausschliessung eines Arztes’
ut die Rechnungslegung, das Schiedsgericht etc.
n .o freie Arztwahl und fixe Tarife für Einzelleistungen! Jeden-
a!!s ein Novum Die deutsch-tirolische Aerztekammer und die Tiroler
krap; kenkässen werden wohl bald sehen, ob sich dieser Modus
ahrt oder nicht. Man müsste ein besserer Kenner der dortigen
erhaltnisse sein, um an diesem Uebereinkommen Kritik üben zu
onnen. Warten wir also lieber den Erfolsr ah
1647
onnen. Warten wir also lieber den Erfolg ab
Anlässlich eines speziellen Falles, in welchem ein in einer Stadt
nsassiger Zahnarzt versuchte, gleichzeitig in mehreren politischen
ff ieilMZV^eier- Verwaltungsgebiete zahnärztliche Praxis auszuüben,
at das Ministerium des Innern nachstehende Entscheidung getroffen:
ein Rekurse (des Zahnarztes) wird keine Folge gegeben. Hiefiir
4 nachsteheniJe Erwägung massgebend. Der Rekurrent betreibt die
rzt hche Praxis im Umherziehen von Ort zu Ort unter Anbieten der
rzuicnen Dienste ohne vorangegangene Berufung durch die Partei
zw. unter Verwendung von Agenten behufs Erlangung von Bestel-
i Fn‘ . . !e?e Art der Praxis widerspricht den Bestimmungen der
lotkanzleuieltrete vom 3. November 1808 und vom 24. April 1827,
eiche die Ausübung der ärztlichen Praxis ausdrücklich an die Nie-
rfi t- \S S Ut»n u -aj ^ Urund erfolgter Anmeldung bei der betreffenden
l isc len Behörde und an die vorausgegangene Berufung des Arztes
'nden. Hievon wird die k. k. Statthalterei (Landesregierung) zur
secEeBÄr p0?* Un<! Z*r entspr^chcnden Verständigung der politi-
senen Behörde erster Instanz in Kenntnis gesetzt.
. . * Ministerium beruft sich, wie man sieht, auf Hofkanzlei-
noch n’ KrMfVc[, J00pind mehr Jahren erlassen wurden und seither
oei m Kraft sind. Es ist höchste Zeit, dass die den obersten Be-
orden und gesetzgebenden Körperschaften vorliegende, seinerzeit,
gebil'liete AprVtp11 V?" 3 Cn Aerztekammern durchberatene und
regelt Gesetzeskr-iff0 r ^ 11 u n g: welche alle diese Vorkommnisse
55ti,n«rÜ|.oi2 eskraf , er,ange- Jahrhundert alte Hofdekrete, die noch
S2(. be\Tfei1 man, sie nicht ausdrücklich aufgehoben hat
S S geänderten Anforderungen und Neugestaltungen
unseres Standes keineswegs mehr genügen. Der nächste Aerzte
öfter^ i‘ß *oIItc d|c Forderung nach gesetzlicher Festlegung einer
anrh Aerzteordnung ganz energisch betonen, dann wären
auch solche Mimsterialerlässe überflüssig.
Vereins- und Kongressberichte.
Wissenschaftliche Vereinigung am städt. Krankenhaus
zu Frankfurt a. M.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 9. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr N e i s s e r.
Schriftführer: Herr Braun.
«oxi,,hSdu,?/d\!;chnLN|Sc),aMShC ZUr toptotaiel,,‘'
Die insbesondere von Friedberger vertretene Theorie der
Anaphytae „tam, an, d a s s d i e A „ t i k ö r p e r a I s n r o u o
' ' Fermente fungieren, dass sie aber In und
m f f C b n V e 1 n e g e w i s s e r m a s s e n inaktive F e r
mentform d a r s t e 1 1 e n, zu deren Aktivierung die
Mitwirkung von Komplementen erforderlich ist
Das anaphylaktische Gift entsteht nach Sie ef
uffassung als Folge einer spezifischen Ferment¬
wirkung, ausgeübt durch den Ambozeptorkomnle
m ent k o m p I e x a u f d a s A n t i g e n "n d bt fd e t also] In
e r 1 \ a t des injizierten Ei we iss es. Man bezeichnet
diese Auffassung der Anaphylaxie auch als die Theorie des
Parenteralen chemischen Eiweissabbaues
p i pt konsequenter Durchführung dieser Auffassung gelang es
rr>Fi,e d ]b k r K C !" n£un nacb voraufgogangenen, allerdings nicht hin¬
reichend beweiskräftigen Versuchen von Friedemann durch Zu
sammenwirken der drei bei der aktiven Anaphylaxie beteiligfen
Komponenten, des Eiweissantigens, des Antieiweisskörpers und des
Komplements das anaphylaktische G i f t, das sogen
-MnaphyUtoxin“ auch in vitro darzustellen. Ein in gleicher
Weise wirkendes Gift konnte Friedberger auch durch Digestion
der verschiedensten Bakterien, pathogener, sowie apathogener. sowie
on Serumei weiss mit frischem Meerschweinchenserum erhalten.
nnlwTii6 d‘e 1,atsache verwunderlich erscheinen, dass es
ganz wahllos gelang, aus allen möglichen Bak
e-fn,arten+ u.nd Serumpräzipitaten etc. durch Be¬
handeln mit Meerschweinchenserum das gleich-
w.’ r kfe.n d e Anaphylatox in zu erhalten. Es wurden daher
schon frühzeitig auf Grund solcher Ueberlegungen, z. B. von Friede
a Bedenken dagegen geäussert ob wirklich
du Bakterien oder die anderen benutzten Antigene die Matrix des
Giftes darstellten. Bei der Gleichartigkeit der Erscheinungen lag es
vielmehr nahe die Muttersubstanz des Änfphyla-
toxins in der bei allen Anaphylatoxinbildungs-
versucien gleichbleibenden Komponente, eben
dem Meerschweinchenserum selbst, zu suchen Um
diese Vorstellung verständlich zu machen, dass das Meersclnveinchen-
ts-l™durcb dei? einfachen Kontakt mit Bakterien, Präzipitaten usw.
toxisch wird, haben Ritz und Sachs vor ca. 3 Jahren eine Theorie
entwickelt, die seither als physikalische der chemischen
l fn n16 h deS P^g'^er.3161,1 . Eiweissabbaues gegenübersteht. Man
kann darnach nämlich annehmen, dass das Serum
für die eigene Tierart dann giftig wird, wenn ge¬
wiss e R e g u 1 a ti on s m e ch a n i s m e n wegfallen. Dabei
sind vviederum zwei Möglichkeiten zu unterscheiden; der einfachere
ruft Pn.Ilzip ist Präformiert, der kompliziertere Fall: das
F nset7PntenntnfCF d|?r Ebmmierung antagonistischer Faktoren durch
Einsetzen autolytischer Prozesse im Serum. Der Kern dieser
An a^nkai'fSCh-en Theorie liegt also darin, dass das
THfft PrU»yn Vh° X • n a u s d e m S e r 11 m selbst entsteht.
lnfft diese Jheorie zu, so erscheint die Anaphylaxie als eine Auto-
-‘ a i°n engs,ten Sinne. Trotzdem eine Reihe von Einzel-
tatsachen im Sinne der Theorie von Sachs und Ritz sprachen
so war es doch schwer, das Experimentum crucis für die Richtigkeit
tnv;ni,hmne zu .erbringen, denn augenscheinlich gehört zur Anaphvla-
toxinbildung eine besondere Beschaffenheit des mit dem Meer-
schweinchenserum zu digerierenden Materials, wie sie an erster Stelle
die Bakterien besitzen. Denn Versuche mit anorganischen stickstoff-
AhnCnFUMCnSltkr: wie B' mit Kaolin, Serum giftig zu machen, sind
ohne Erfolg geblieben. Erst in neuerer Zeit gelang es, durch Ver-
1648
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Wendung von Kohlehydratpräparaten unter weitgehendem Ausschluss
von Eiweissstoffen Anaphylatoxin zu erzeugen.
Zunächst zeigte Bordet, dass es gelingt, durch
DigestionvonAgarmitaktivemMeerschweinchen-
serum Anaphylatoxin zu erhalten. W enn Vortragen¬
der auch die Resultate B o r d e t s vollkommen bestätigen konnte,
so wurde doch die Beweiskraft dieser Versuche durch den relativ
erheblichen Stickstoffgehalt des Agars beeinträchtigt.
Bei den Versuchen des Vortr. kam es nun darauf an, Stoffe auf¬
zufinden, welche sich ohne erhebliche Eingriffe in einen differenten
physikalischen Zustand bringen Hessen. Die für diesen Zweck
geeignetsten Präparate fand V o r t r. in der Stärke und dem
Inulin.
Vortr. konnte zunächst zeigen, dass es gelingt,
durch Digerieren von Stärke mit aktivem Meer-
schweinchenserum ein akut wirkendes Anaphyla¬
toxin zu erhalten. Allerdings enthielten auch die benutzten
Stärkepräparate nachweisbare Mengen von Stickstoffsubstanz, jedoch
nur in sehr geringen Mengen, nämlich etwas weniger als 0,2 Proz.
Legt man diesen Wert der Berechnung zugrunde, so ergeben sich als
geringste Ei weissmengen, die zur Bildung einer tödlichen
üiftdosis ausreichten, Vio Millionstel Gramm Ei¬
weis s. Es müsste also durch den Abbau dieser Eiweissspuren nach
der chemischen Theorie noch eine tödliche Giftmenge entstehen.
Bei den Anaphylatoxinbildungsversuchen mit Stärke hatte es
sich nun weiterhin gezeigt, dass die Stärke in Kl ei st er form ein
erheblich besserer Anaphylatoxinbildner ist als in Suspension;
doch konnte man hierfür zunächst eine bessere Aufschliessung von
Eiweissbeimengungen bei der Verkleisterung verantwortlich machen.
Es schien daher angebracht, bei weiteren Versuchen weniger
Gewicht auf die völlige Stickstofffreiheit der zur Anaphylatoxinbildung
verwandten Präparate zu legen, als vielmehr noch andere Substanzen
heranzuziehen, die sich analog der Stärkesuspension und dem Stärke¬
kleister in einen differenten physikalischen Zustand, sei es als Sus¬
pension oder Gallerte, sei es als Lösung bringen Hessen. Zu diesen
Versuchen hat Vortr. das Inulin benutzt, das in kaltem Wasser
fast vollständig unlöslich ist und sich daher zu einer homogenen sehr
feinen Suspension aufschwemmen lässt, sich beim Erwärmen auf 70°
dagegen ohne Verkleisterung vollkommen löst. Das Inulin er¬
füllt also das Postulat, sich ohne besondere ther¬
mische oder chemische Eingriffe in einen diffe¬
renten physikalischen Zustand bringen zu lassen,
in befriedigender Weise, ln bezug auf Eiweissfreiheit bedeutet es
allerdings keinen Fortschritt, denn das hauptsächlich benutzte Inulin-
präparat Kahlbaum besass einen Gehalt von 0,6644 Proz. Stick¬
stoffsubstanz.
Bei den mit Inulin als Suspension und Lösung
parallel ausgeführten Anaphylatoxinbildungs¬
versuchen konnte Vortr. nun zeigen, dass nur die
Suspension, nicht aber die Lösung befähigt war, das zur
Digestion benutzte Meerschweinchenserum giftig
z u m ache n. Diese Tatsache erscheint mit der chemischen Theorie
kaum vereinbar. Vom Standpunkt der physikalischen Theorie aus
sind aber die Versuche einer einwandfreien Deutung zugängig, da die
Suspension weit besser als die Lösung befähigt ist, als Adsorbens zu
wiikcn. Es dokumentiert sich also bei diesen Versuchen die
Anaphylatoxinbildung als eine Funktion des
p hysikalischen Zu Standes, in demsichdasSubstrat
befindet.
Die Inulinversuche lassen nun ausserdem die von dem Vortr.
schon bei der Anaphylatoxinbildung durch Stärke aufgefundenen
Differenzen zwischen der Suspensions- und der Kleisterform in ge¬
steigerter Beweiskraft erscheinen. Denn wenn dem physi¬
kalischen Zustand eine so markante Bedeutung zukommt, wie sie
die Inulinversuche zeigen, so kann man annehmen, dass der Sus¬
pensionszustand nicht die optimalen Bedingungen für die Anaphyla-
toxinentstehung darstellt, sondern wird annehmen dürfen, dass bei
der kolloidalen Lösung, wie sie der Stärkekleister darstellt, mit der
Vergrösserung der Oberflächen auch die physikalischen Kräfte, welche
hier eine Rolle spielen, zunehmen, und so erklärt es sich wohl zwang¬
los, dass von der Stärke in Kleisterform erheblich geringere Mengen
zur Giftbildung ausreichen als von der Stärkesuspension. Beim Inulin
fehlt aber der gelatinöse Zustand, hier Hess sich nur eine Suspension
und eine reine Lösung benutzen. Es dürften also Inulinlösungen
einerseits, Stärkekleister andererseits als Extreme erscheinen, von
denen das eine die ungünstigsten, das andere die besten Bedingungen
für die Anaphylatoxinentstehung gewährt.
Vortr fasst zum Schluss seine Versuche mit Stärke und Inulin
kurz dahin zusammen, dass sie die Abhängigkeit der
Anaphylatoxinbildung von physikalischen Momenten i m
Sinne der physikalischen Theorie von Sachs und
Ritz in eklatanter Weise zeigen.
Diskussion: Herr Sachs: Die Versuche, über die Herr
Nathan berichtet hat, dürften in der Tat die Bedeutung des physi¬
kalischen Zustandes für die Anaphylatoxinbildung in sehr eklatanter
Weise dartun. Eine physikalische Theorie der Anaphylaxie steht
nun keineswegs mit der Antikörpertheorie in Widerspruch. Die
essentielle Rolle der Antikörper bei der aktiven und passiven
Anaphylaxie ist ja ausser Zweifel. Die physikalische Theorie nimmt
nur an, dass in letzter Instanz physikalische Einflüsse für die
Nr. 29.
Anaphylatoxinbildung erforderlich sind. Die geeigneten physikalischen
Zustandsänderungen können aber primär vorhanden sein, wie das bei
den Reagenzglasversuchen mit Stärke und Inulin der Fall ist, oder
erst sekundär durch Antikörperwirkung entstehen, wie es bei der
typischen durch Immunisierungsvorgänge erworbenen Anaphylaxie
die Regel ist. Unsere Auffassung unterscheidet sich also von der¬
jenigen Friedbergers hauptsächlich darin, dass wir dem Anti¬
körper nicht die funktionelle Rolle eines das Antigen abbauenden
proteolytischen Ferments zusprechen, dass wir vielmehr in dem Anti¬
körper nur das Werkzeug sehen, dessen Gebrauch schliesslich zu
einer physikalischen Zustandsänderung führen kann. Unsere Auf¬
fassung lässt daher die Möglichkeit offen, dass auch auf anderer Weise
als durch Antikörperwirkung derartige physikalische Alterationen in
vivo entstehen Sie betrachtet die immunisatorisch erzeugte
Anaphylaxie, wenn ich so sagen darf, als die Folge einer Neben¬
wirkung der Antikörperreaktion, nicht aber als den eigentlichen Aus¬
druck der Antikörperwirkung. Die physikalische Theorie scheidet
daher Immunität und Anaphylaxie, obwohl beide Erscheinungsformen
in den Antikörperreaktionen primär die gleiche Ursache haben können.
Herr N e i s s e r weist auf seine Diskussionsbemerkungen auf der
Kür.igsbcrger Naturforscherversammlung hin und betont die Wichtig¬
keit der Nathan sehen Versuche.
Herr Schürer: Ueber Messung und Bedeutung des Diphtherie¬
antitoxins im menschlichen Blute.
(Der Vortrag wird in der Zschr. f. Hyg. ausführlich erscheinen )
Diskussion: Herr N e i s s e r.
Verein Freiburger Aerzte.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 15. Mai 1914.
Herr Rominger: Das A b d e r h a 1 d e n sehe Dialysierver-
faliren.
Dem Ab d er h al d e n sehen Dialysier verfahren liegt die Vor¬
stellung zugrunde, dass der tierische Organismus bei einer Invasion
von körper-, blutplasma- oder zellfremden Stoffen Fermente bildet,
die eigens auf die betr. Stoffe eingestellt, also spezifisch sind und diese
durch Abbau beiseite schaffen. Abderhalden nennt diese Fer-
mente deshalb Abwehrfermente. Es gelang ihm zu zeigen, dass
während der ganzen Schwangerschaft Abwehrfermente kreisen, die
imstande sind, Plazentaeiweiss abzubauen und er schuf so eine Sero¬
diagnostik der Schwangerschaft. Aufbauend auf dieser Grundlage
nimmt nun Abderhalen an, dass bei Störung der Tätigkeit irgend
eines Organs von diesem Stoffe aus den Zellen entlassen werden, die
noch nicht genügend „plasmaeigen“ gemacht worden sind und noch
Züge erkennen lassen, die für die betr. Zellarten charakteristisch sind.
Analog den Verhältnissen bei der Schwangerschaft werden nun nach
Abderhaldens Ansicht wie gegen das Plazentaeiweiss gegen
diese ja ebenfalls „plasmafremden Stoffe spezifische Abwehrfermente
mobil gemacht. Es handelt sich nun darum, diese Abwehrfermente
im Serum nachzuweisen. Man legt hiezu dem betr. Serum — ge-
wissermassen anfragend — verschiedene Organsubstrate vor. Aus
dem Abbau eines dieser Organe kann man direkt auf das Vor¬
handensein von gegen das betr. Organeiweiss gerichteten Abwehr¬
fermente und indirekt auf eine irgendwie nicht normale Tätigkeit
der Zellen dieses Organs, also auf eine Dysfunktion, schliessen. So
modifiziert dient das Dialysierverfahren zur Serodiagnostik der Organ¬
funktionen.
Demonstrationen: 1. Hülsenprüfung. 2. Herstellung und Auf¬
bewahrung der Organsubstrate. 3. Ninhydrinreaktion. 4. Versuchs¬
protokolle.
Schluss: Hinweis auf die zahlreichen Fehlerquellen bei Aus¬
führung der Versuche.
Diskussion: Herr Noeggerath, Herr H a h n, Schluss¬
wort des Vortr
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr Hermann K o s s e 1.
Schriftführer: Herr Carl Franke.
Herr Antoni: Demonstration eines Falles von Pemphigus
vegetans bei einer 21 jährigen Kranken.
Im Sommer 1913 zeigten sich plötzlich auf Brust und Armen
der Patientin rote erhobene linscngrosse Flecke. Aus diesen ent¬
standen Blasen- und Eiterpusteln, die heftig schmerzten. Ende August
1913 öfters blutiger Stuhl. Oktober 1913 reichliche Blasenbildung Im
Mund. Gleichzeitig stärkere Blasenbildung mit trübwässerigem In¬
halt an beiden Beinen. Spontane Eröffnung der Blasen mit anschlies¬
sender Geschwürsbildung. Stellenweise kam es zur Abheilung der
Blasen. Das Allgemeinbefinden besserte sich, so dass die Kranke
Mitte Januar 1914 wieder aufstehen konnte.
Februar 1914. Plötzliche Verschlechterung des Allgemeinbe¬
findens. Geschwüre an den Beinen und am After, die stark sezer-
nierten und heftig schmerzten. Reichlich blutiger Stuhl. Aufnahme
in die Klinik.
21. Juli 1914.
MUENCH ENER MEDIZINISCHE WQC MENSCH KM ET.
IP ^ Aus dem Aufnahmestatus: Sehr blasses anämisches
Mädchen. Starker Milztumor. Blut: Hämoglobin 45 Proz
Leukozyten 11000. Eosinophile 5 Proz.
Stuhl dünnflüssig, fötid, viel Blut und Schleim.
Auf der Schleimhaut der Lippen und Wangen zahlreiche unregel¬
mässige \\ eisse Narben. Am linken Unterschenkel 3 handtellergrosse
Herde vom typischen Charakter eines Pemphigus vegetans. Ein
gleicher Herd am rechten Unterschenkel von 20 cm Länge und 10 cm
Breite. Am After 2 gleiche Herde von Handtellergrössc, ebenso auf
dem Rücken in der Eossa rhomboidea ein Eiinfinarkstcükgrosser Herd.
Alle Herde haben den typischen Charakter des Pemphigus vegetans
mit wucherndem Grunde und starkem Eötor. Am Oberschenkel sieht
man vereinzelt die Reste von Blasen.
Ausstriche aus den Geschwüren ergaben Gram- +, Gram
T~ tabch en, Staphylokokken und einen besonders dicken Gram
+ Diplokokkus.
Auf eine intravenöse Seruminfusion von 20 ccm trat sofortige
Besserung ein mit Nachlassen der Schmerzen und Eintrocknen der
Wunden. Lokal wurden Kochsalz- und Wasserstoffsuperoxyd-
umschlage angewandt, ausserdem Einpinselungen mit Arg nitric
3 weitere Seruminfusionen im Verlauf von 35 Tagen führten
w eitergehcnde Besserung herbei. Die Wunden granulierten und
kamen zur Ausheilung. Keine Schmerzen mehr. Allgemeinbefinden
gut. Gewichtszunahme.
14. IV. Alle Wunden, bis auf das grosse Geschwür am rechten
Bein, sind vollständig vernarbt.
Am 17. IV. plötzliche Verschlechterung des Allgemeinbefindens
unter 1 emperaturanstieg. In den schon zugeheilten Geschwüren sind
neue wuchernde Ulzerationen aufgetreten, die heftig schmerzen.
Gleichzeitig wieder starker Fötor. Erneute Seruminfusion. Keine
wesenhehe Besserung der Wunden, wohl des Allgemeinbefindens,
ln den Blutausstrichen, die zur Zeit des neuen Schubs untersucht
riU*u?”a fandeP s'cb eigenartige Gebilde, die sich nicht restlos als
Blutblattchen deuten lassen (Protozoen?). Die Ulzerationen wurden
trotz der Serumeinspritzung grösser. Uebergang zur Salvarsan-
therapie.
Grosser Effekt. Eintrocknen der Wunden. Nachlassen der
Schmerzen. Nach 2 weitere Salvarsaneinspritzungen kamen die
Wunden völlig zur Heilung. Patientin zurzeit symptomfrei.
Herr W i e d h o p f: Anatomische Demonstration eines Falles von
Hirssch sprungscher Krankheit. (Erscheint unter den Ori-
ginalien dieser Wochenschrift.)
Herr Dresel: Zur Aetiologie und klinischen Diagnose der
xktmomykose.
1. Die Aktinomykose des Menschen und des Rindes beruht auf
nfektion mit einem anaeroben Trichomyzeten (Aktinomyzes Wolff-
Israel).
2. In manchen Fällen besteht eine Mischinfektion mit einer
lerogenen Streptothrixart („Aktinomyzesgruppe Boström“).
3. Ausser der echten Aktinomykose gibt es klinisch der Aktino-
nikose ähnlich verlaufende Erkrankungen, bei denen im sezernierten
piter ausschliesslich aerobe Streptotricheen gefunden werden. In
liesen Fällen können drusenähnliche, makroskopisch sichtbare Körn¬
dien Vorkommen, die aus Knäueln verfilzter Streptothrixfäden be¬
gehen.
4 Andrerseits können in frischen Fällen von echter Aktinomykose,
lescnders bei frühzeitiger eitriger Einschmelzung des Gewebes
irusen im sezernierten Eiter völlig fehlen.
5. Die Frage, ob es sich in einem gegebenen Falle um echte
Vktinomykose, um Streptothrichose oder um eine Mischinfektion
’Cider handelt, kann nur durch die bakteriologische Untersuchung und
erobes Kulturverfahren mit Sicherheit entschieden werden.
An der Hand von Lichtbildern wurde dann eingehend die Mor-
'hologie des anaeroben Aktinomyzes Wol ff- Israel und der
lUfoau der Drusen beschrieben.
Herr Pol: Die verschiedenen Formen der Brachyphalangie,
lypo- und Hyperphalangie und ihre Deutung *).
Wie die Hypophalangie des Daumens als ein „Zeugnis für seine
ergangenheit“, seiner Dreigliedrigkeit in der Phylogenese aufgefasst
ird, so ist ebenfalls nach P f i t z n e r eine Hypophalangie der kleinen
enc als ein Hinweis auf die künftige Stammesentwicklung zu be-
achten. Der Vorläufer dieser schliesslich resultierenden Hypo-
halangie ist die Brachyphalangie und zwar die der Mittelphalanx:
Ie. " rachymesophalangi e. Die bei vielen Menschen deut-
che I endenz zur Bildung eines plumpen Typus der Zehenmittel-
naianx zeigt in ganz gesetzmässiger Weise eine graduelle Abnahme
on der fibularen nach der tibialen Seite hin; sie findet bei jedem
cnschen bereits ihren Ausdruck in einer vom Typus der anderen
'■a langen ebenfalls in parallel abgestufter Weise abweichenden Art
er Gssifikation der knorpeligen Epiphysen. Das reduzierte Bildungs-
aterial der Mittelphalanx geht schliesslich unter gleichzeitiger Um-
'imung in dem der Endphalanx auf: an Stelle von zwei distalen
egmenten wird bereits in der chondrogenen Periode nur eines an-
) Die hier wiedergegebenen Ausführungen sind die Schluss-
l gerungen aus vergleichenden Untersuchungen der in der Literatur
edergelegten klinischen und anatomischen Befunde und Skiagramme
nerseits, eigener Beobachtungen in der Heidelberger chirurgischen
mik und Frauenklinik andererseits. Ihre Wiedergabe in extenso er-
Igt spater.
gelegt es liegt die Assimilationshypophalangie vor.
Assimilationshypophalangie und Brachymesophalangie sind nur ver-
sc nedene Grade bzw. Stadien desselben Reduktionsvorganges. An
acr kleinen Zehe kommt die Biphalangie bei 38 Proz. der Menschen
vor, sie ist eine prospektive Varietät, der Typus der Kleinzehe in der
/.womit. Wir können daher von einer phylogenetischen
Hypophalangie sprechen.
Die innerhalb unserer Spezies weit verbreitete Brachy- und
Hypophalangie der Zehen kann in höherem Grade gleichzeitig zu¬
sammen mit analogen beidseitigen und symmetrischen Form-
bildungen an den Nngern innerhalb bestimmter Familien Vor¬
kommen Die damit als Missbildungen auftretenden Abweichungen
vom I ypus werden nach der Mendel sehen Prävalenzregel vererbt,
eine zweite Gesetzmässigkeit bei dieser familiären Brachy-
m S U 1J,^i A -s s * m ' * a * * 0 n s b y P 0 P b a I a n K ' e spricht sich in
hier Morphologie aus: Auch an der Hand zeigt sich: 1. der Reduk-
lonspiozess in den zwei eben in der Bezeichnung genannten Graden,
in jedem in verschiedenen Abstufungen, 2. eine ganz gesetzmässige
U spositionsskala der einzelnen Strahlen für diese Missbildung; sie
lautet in der Reihenfolge vom Maximum zum Minimum: V, II IV IIP
diese Skala gibt auch hier zugleich die Grade wieder, in der’ das
Verhalten der Epiphyse von der Norm abweicht. Auch ohne dass
erbliche Beziehungen nachgewiesen wurden, fand sich diese Bracliy-
und Hypophalangie an der Hand und zwar meist auch beidseitig und
symmetrisch, ein oder zwei oder mehr Finger betreffend.
, . HDasHzeit'IC,hei All.ftreten der Verknöcherung — in der Norm wie
bei der Brachydaktylie — ist abhängig von dem Grade der Knorpel¬
wucherung der betr. Segmente. Aus dem ersteren lässt sich auf letz¬
tere schliessen. Physiologisch zeigt sich in den verschiedenen Fingern
und Zehen ein zeitlich verschiedener Beginn der Ossifikation
SPemVierSoiednn,e D^PosUion der Segmente zur Brachyphalangie
st,eht v ,Para!le*e: L bei den Segmenten innerhalb eines Finger-
oder Zehenstrahles End-, Mittel- und Grundphalanx) zu dem
verschiedenen _ Auftreten der ersten (Dipahysen-) Ossifikation,
2. innerhalb jeder Reihe homologer Segmente der verschiedenen
Stiahlen (z. B. Mittelphalangen des 2., 3. Fingers usw.) zu der Ver¬
schiedenheit des Zeitpunktes der Epiphysenknöcherung. Je später
die normale Ossifikation bei einem Segment erfolgt, um so grösser
ist seine Disposition zur Brachyphalangie. Eine allgemeine Hem¬
mung der Knorpel Wucherung muss die physiologisch bestehende Diffe¬
renz unter den Fingern und ihren Segmenten ins Pathologische
ot tigern.
,, 5auS e'ae solche Hemmung der Knorpelwucherung ihren tieferen
Grund bereits in einer abnormen Anlage hat, geht daraus her-
vorg,dass bei der Assimilationshypophalangie nur ein Segment
an Stelle von zwei typischen angelegt wird. Diese formale Genese
wie die Erblichkeitsverhältnisse lassen die familiäre Brachy- und
Assimilationshypophalangie als endogen erkennen, auf eine erb¬
liche Keimesvariation zurückführen. Die scheinbar oder wirklich
autogen auftretenden formal analogen Brachytaktylien sind gerade
wegen dieser Analogie ebenfalls auf Keimesvariation zurückzuführen-
sie wird um so atypischer sein, je weniger eine Fixierung durch
Heredität in Betracht kommt.
brl Gegensatz zu diesen fast ausschliesslich beiderseitigen
Brachydaktylien kommt diese einseitig zusammen mit Syn-
d a k t y 1 i e vor, wobei in einem grossen Prozentsatz der Fälle gleich¬
zeitig ein Brustmuskel-, auch ein Rippendefekt der
gleichen Seite festgestellt wurde. Die Syndaktylie betrifft
mger II 1V-—V, fibularwärts an Ausdehnung in proximo-distaler
Richtung abnehmend, seltener ist auch der Daumen in die Syndaktylie
mit einbezogen. Bei einfacher geringer Schwimmhautbildung, wobei
die Finger in transversaler Richtung noch frei beweglich sind, scheint
nur Brachymesophalangie vorzukommen, bei hochgradiger Syndak-
tv ■ ,enS^e!s Assimilätionshypophalängie neben Brachymesophalangie.
Die Brachydaktylie folgt dabei nicht der Dispositionsskala der fami¬
liären, vielmehr sind Daumen und Kleinfinger (!) am wenigsten be-
am starkstei? die drci Finger dazwischen, meist Zeige- und
Mittelfinger. Dass die am schnellsten wachsenden, damit die längsten
Finger am meisten beteiligt sind, dass die Affektion einseitig und zu¬
sammen mit gleichseitiger Brustwandmissbildung auftritt, dass Erb-
Iichkeit in keinem Fall nachgewiesen werden konnte, lässt hier an
eine äussere mechanische Entstehungsursache
denken, insbesondere da ein Druck der unteren Gesichtshälfte auf
Brust und gleichzeitig obere Extremität bei engem Amnion die
sy n gen e t i sc h e n Missbildungen hier einheitlich erklären
wurde. Auf der anderen Seite ist hervorzuheben, dass auch hier ein
ganz typisches Bild vorliegt, dass dabei Anomalien auftreten können,
die sicher endogener Natur sind : abnorme akzessorische
fc p i p h ysen Ossifikationen am Metakarpus und an
den G run dphalangen. Wenn also auch äussere Ursachen eine
,.° H, spielen sollten, so erklären sie doch wohl nicht ausschliesslich
die Befunde.
Die eben erwähnte Paradoxie, dass bei der Brachydaktylie auf
der einen peite Ossifikationshemmungen an den Epiphysen charak¬
teristisch sind, auf der anderen Seite die Epiphysenossifikation eine
Zunahme event. erfährt, erreicht ihren Gipfel in der mit Brachymeso-
p hat angie kombinierten, am 2. oder am 3. Finger lokalisierten Hyper-
phalangie. Im Gegensatz zur ab und zu erscheinenden palin-
genetischen Hyperphalangie des Daumens und der transitorischen bei
jedem Menschen in der Fetalperiodc auftretenden Hyperphalangie des
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
1650
2. — 4. Fingers, wo stets an Stelle der End phalanx zwei Segmente
auftreten, beruht hier die Hyperphalangie auf einem Selbständig- und
Qrösserwerden der proximalen Epiphyse der G r u n d phalanx, auf
einer sekundären Phalangenbildung, an die sich eine
sekundäre Epiphysenbildung anschliessen kann, Verhältnisse, wie wir
sie in ausgedehnterem Masse bei den Zetazeen in der Norm finden.
Die vergleichende Anatomie der Wassersäuger überhaupt ergibt eben¬
so wie die Befunde bei der menschlichen Brachydaktylie, dass doppelte
Epiphysen am Metakarpus, an den Grundphalangen und sekundäre
Phalangenbildung Stadien desselben Prozesses sind. Obgleich wir
diese Hyperphalangie bei niederen Säugetieren finden, dürfen wir sie
nicht als atavistische, als palingenetische bezeichnen: denn diese Bil¬
dungen sind bei ihnen mit dem Uebergang zum Wasserleben ver¬
bundene sekundäre Erwerbungen, mit der sie sich von der Haupt¬
richtung der Stammesentwicklung entfernt haben. Da die über¬
zähligen Segmente keine echten Phalangen sind, sprechen wir daher
von einer Pseudohyperphalangie. Eine latente Pseudo-
hyperphalangie ist am Zeigefinger durch einen radialen Vorsprung
der Basis der Grundphalanx charakterisiert, Uebergänge (rudimentäre
H.) führen von hier zur manifesten. Mit der proximalen Mehrbildung
können sich stärkere Reduktionserscheinungen durch Verschmelzung
der verkürzten Mittelphalanx mit der primären Grundphalanxdiaphyse
geltend machen, so dass die Tetraphalangie larviert wird; diese Tri-
phalangie unterscheidet sich natürlich wesentlich von der normalen.
Trotz der Verschiedenheit der Lokalisation gegenüber der familiären
Brachy- und Hypophalangie spricht die Beidseitigkeit neben der üb¬
rigen Morphologie und die Vererbung auch hier für eine Entstehung
aus inneren Ursachen.
Von der Assimilationshypophalangie unterscheidet sich eine
andere Form der Hypophalangie vor allem dadurch, dass der Nagel
fehlt, der bei jener immer vorhanden, dass das distale Segment in
einem Teil der Fälle ohne Verbreiterung analog einer Tuberositas
unguicularis und an der Haut mit einer grubigen Einziehung endet.
Die Annahme einer amniogenen Missbildung läge hier sehr nahe, wenn
nicht auch diese eigentliche Hypophalangie symme¬
trisch und hereditär und in Verbindung mit Assimilationshypo-
phalangic vorkäme. Andere beidseitige Phalangendcfektc an beiden
Händen erweisen durch eine mehr oder weniger grosse Atypie
und die Kombination mit Schniirringen am Unterschenkel sicher ihre
amniogene Natur. Endlich kommen Synostosen von Phalangen
vor, ohne dass die Länge und Form so verändert wird, wie bei der
Assimilation, sie bevorzugen das proximale Interphalangealgelenk,
wir bezeichnen sie als Symphalangien. Auch sie kommen ausge¬
sprochen familiär vor. Endlich ist die Kombination ganz verschie¬
dener Formen von Phalangenverkürzung und -Verschmelzung an der¬
selben Hand und eine verschiedene Kombination derselben bei ver¬
schiedenen Gliedern einer Familie hervorzuheben. Gerade daraus
kann für die einzelnen Komponenten auf eine Entstehung aus inneren
Ursachen geschlossen werden.
Die Brachydaktylie, die im wesentlichen durch Verkürzung
einzelner oder mehrerer Strahlen im Metakarpus oder Meta¬
tarsus bedingt ist, zeigt ebenfalls zum Teil symmetrische und zum
Teil auch typische Lokalisation; charakteristisch ist eine Brachymeta-
karpic I mit Pseudohyperphalangie II, III kombiniert. Die Brachy-
metakarpie — z. B. die häufigste am 4. Strahl lokalisierte — kann
bei gestreckter Hand übersehen werden; wird die Hand zur Faust
geballt, so erscheint eine Lücke in der Linie der Kapitula des Meta¬
karpus. Das charakteristische Fehlen einer Epiphysenfuge bedeutet
höchst wahrscheinlich keine prämature Synostose einer echten Epi¬
physe mit der Diaphyse, sondern eine primär abnorme Verknöcherung
der Epiphyse in Form einer Pseudoepiphyse, d. h. einer von der Dia¬
physe ausgehenden Ossifikation. Auch für die Brachyphalangia meta-
carpi et metatarsi gilt hinsichtlich formaler und kausaler Genese das
für die Brachyphalangie im engeren Sinne gesagte; auch sie setzt
höchst wahrscheinlich im intrauterinen Leben ein, sie wird allerdings
erst deutlich mit zunehmendem Wachstum.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 11. Juni 1914.
Herr Berneaud: Sympathische Ophthalmie und Pseudotuber¬
kulose.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Entstehungsweise, das
klinische Bild, die pathologische Anatomie und die E 1 s c h n i g sehe
Theorie der sympathischen Ophthalmie stellt Vortr. einen Fall von
sympathischer Ophthalmie vor, wo es 4 Monate nach einer Exentera¬
tion trotzdem zum Ausbruch einer einwandfreien sympathischen Oph¬
thalmie gekommen war. Der Stumpf des exenterierten Auges, der
sofort nach der Aufnahme entfernt wurde, zeigte diffuse Infiltration,
besonders um die Gefässe herum. In der Sklera und im Optikus
waren zahlreiche grössere Infiltrate. In dem Skleralstumpf war
Pigmentanhäufung in flächenhafter Ausbreitung, das wahrscheinlich
aus Teilen der Uvea entstammte.
An der Hand eines Falles, wo das klinische Bild an Tuberkulose
erinnerte, bespricht Berneaud die Diagnosenstellung der sym¬
pathischen Ophthalmie. Vor allen Dingen muss eine genaue und
sorgfältige Körperuntersuchung jedes andere ätiologische Moment
ausschliessen. besonders Tuberkulose und Lues.
Die Therapie ist in den meisten Fällen machtlos, empfohlen wird
eine Inunktionskur, doch ist bei den Fällen, die in den letzten
7 Jahren an der Kieler Kgl. Augenklinik beobachtet wurden, ein Erfolg
nicht zu verzeichnen gewesen. Auch Salizyl in hohen Dosen hatte
auf den Krankheitsprozess keine günstige Wirkung, im Gegenteil
konnte bei einem Falle, wo zweifellos Idiosynkrasie vorlag. eine
schwere Nephritis beobachtet werden. Tuberkulin und Salvarsan
hatten nur dann einen Erfolg, wenn gleichzeitig eine Temperatur¬
erhöhung auftrat.
Demonstration von Irisbildern (sympathische Ophthalmie, Tuber¬
kulose).
Herr Behr: Zur Frühdiagnose der tabischen Sehnervenatrophie.
Die Dunkeladaptation des Auges wird nach der v. Kries-
schen Theorie als eine isolierte Funktion des Stäbchenapparates der
Netzhaut und insbesondere des in seinen Endgliedern enthaltenen
Sehpurpurs angesprochen. Durch physiologische Untersuchungen
konnte Behr es bereits vor längerer Zeit wahrscheinlich machen,
dass die Produktion und Regeneration des Sehpurpurs nach Art einer
Drüsenstätigkeit unter dem regulierenden Einfluss eines höheren, in
den primären optischen Ganglien gelegenen Zentrums erfolgt. In
der basalen optischen Bahn verlaufen also neben den zentripetalen
visuellen (Zapfen- und Stäbchenfasern) und pupillomotorischen auch
zentrifugale sekretorische Bahnen. Diese verschiedenen Faser¬
systeme besitzen nun eine verschiedene Widerstandsfähigkeit gegen
Schädlichkeiten, die auf den Optikusstamm bzw. die basale optische
Leitungsbahn einwirken, je nach der Art derselben. Die der
Dunkeladaptation dienenden Fasern werden viel leichter durch ent-
ziindlich-degenerative Prozesse in ihrer Leitung beeinträchtigt, als
die beiden anderen, umgekehrt zeigen die letzteren eine geringere
Widerstandsfähigkeit gegen rein mechanische Schädigungen als die
Stäbchenfasern. So kann die Sehschärfe im atrophischen Stadium
einer Stauungspapille oder bei einer traumatisch bedingten deszen¬
dierenden Atrophie hochgradig herabgesetzt sein und auch im Ge¬
sichtsfeld grössere Defekte bestehen, ohne dass die Dunkeladaptation
eine stärkere Schädigung aufweist, ia diese kann sogar völlig normal
sein. Das umgekehrte Verhalten, dass die Dunkeladaptation elektiv
geschädigt ist, findet sich im Frühstadium der tabischen Sehnerven¬
atrophie. Und zwar handelt es sich hier um einen durchaus typischen
und regelmässigen Befund, der bereits zu einer Zeit zu erheben ist,
in welcher Gesichtsfeld und zentrale Sehschärfe keine Spur einer
Störung darbieten und nur eine leichte atrophische Verfärbung der
Sehnervenpapille auf das beginnende Leiden hinweist. An drei Fällen
konnte Behr nun auch eine derartige, in ihrer Art wohl charakteri¬
sierte Adaptationsstörung bereits vor der Ausbildung einer ophthal¬
moskopisch erkennbaren atrophischen Papillenvprfärbung als aller¬
erstes Zeichen eines sich im Sehnerven entwickelnden degenera-
tiven Prozesses beobachten. In allen drei Fällen bildete sich im
Verlauf von einigen Monaten bis zu 2 Jahren langsam eine deutliche
Atrophie an der Papille aus, wodurch der Zusammenhang zwischen
der Adaptationsstörung und dem spezifisch tabischen Prozess im
Nervenstamm bewiesen wurde. Bei einem der 3 Patienten hat sich
inzwischen auf dem einen Auge auch eine unregelmässig konzen¬
trische Gesichtsfeldeinengung und eine leichte Herabsetzung der zen¬
tralen Sehschärfe herausgebildet. Diese Beobachtungen lehren, dass
die Störung der Dunkeladaptation nicht nur ein konstantes Svmptom
der tabischen Sehnervenatrophie ist, vielmehr stellt diese das
erste, leicht nachweisbare Symptom dieses Leidens dar. das
den übrigen objektiven und subjektiven Symptomen u. U. um Jahre
vorausgehen kann.
Herr Heine berichtet unter Vorstellung von 6 Patienten über
die diagnostische Bedeutung einseitiger Neuritis optici bzw. Optikus¬
atrophie.
Von 46 im Laufe von 7 Jahren unter 50 000 Augenkranken beob¬
achteten Fällen erklärten sich mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit
durch multiple Sklerose 15 = 35 Proz., ätiologisch dunkel blieben 12
= 25 Proz., Lues 6 = 12 Proz., „Rheuma“ 4 = 8 Proz., Tuber¬
kulose 4 = 8 Proz., Nebenhöhlenerkrankungep und orbitale Pro¬
zesse 3 = 6 Proz. .Trauma ? 2 = 4 Proz.
Auch wenn man alle ätiologisch dunklen Fälle zur multiplen
Sklerose hinzurechnet, würden sich doch erst 60 Proz. für diese
ergeben, was gegenüber den Fleischer sehen Zahlen erheblich
zurückbleibt. Gewiss ist es berechtigt, möglichst lange Beobach¬
tungszeiten zu verlangen, sah doch Fleischer noch 14 Jahre nach
dem Auftreten der okularen Symptome die multiple Sklerose mani¬
fest werden. Auch Heine sah einen Fall, in dem sich die multiple
Sklerose 10 Jahre nach einer (doppelseitigen) Neuritis optici intra-
okularis herausstellte. Je länger man die Patienten mit Neuritis
optici retrobulbaris oder intraokularis (besonders einseitiger) im
Auge behält, je sicherer die anderen genannten Ursachen auszu-
schliessen sind, je sorgfältiger man neurologisch untersucht, um so
höher steigt die Prozentzahl der multiplen Sklerose; bis zu welcher
Höhe ist vorläufig noch diskutabel, vermutlich jedenfalls über 50.
Auch von den doppelseitigen Sehnervenentzündungen erklärt sich ein
gewisser Prozentsatz durch multiple Sklerose, doch stehen hier
wesentlich andere Momente ätiologisch im Vordergründe: in erster
Linie Intoxikationen (besonders Tabak und Alkohol), Heredität
(Leber- und Behr sehe Formen), Lues, Diabetes u. a.
Diskussion: Herren Lubarsch, Heine, Lüthje.
21. Juli 1914.
Herr Hescheler: Katarakt und Tetanie.
Im Anschluss an das Vorgehen von Trieb enstein und F i -
scher in Rostock untersuchte H. 50 Fälle von seniler und prä¬
seniler Katarakt auf das Vorhandensein von Tetanie. Während
rriebenstein und Fischer in 88,2 Proz. ihrer Fälle sichere
Erscheinungen der latenten Tetanie fanden, konnte er in nur 2 Proz.
Tetanie konstatieren.
Bei seinen Untersuchungen befolgte H. genau die Vorschriften,
\\ ie sie früher von Hesse und P hl e p s in Graz angegeben und von
l'riebenstein und Fischer ergänzt worden sind.
Herr Wittlg: Fall von Ophthalmoplegie.
Herr W i 1 1 i g stellt einen Fall von Ophthalmoplegie vor,
bei dem am 6. Mai folgender Befund bestand: rechts Paralyse des
Okulomotorius (äussere Augenmuskeln), des Abduzens, des ersten
Trigeminusastes, der Sympathikusfasern des Dilatator und Parese des
Trochlearis (Iejchte Raddrehung möglich, Stellung des Bulbus genau
geradeaus) S — 6/ßo, sichelförmiger Ausfall des Gesichtsfeldes unten.
Miosis, Pupille starr für Licht und Konvergenz, Pupillenunruhe an¬
gedeutet. Reaktion auf Atropin, Eserin, Adrenalin +, auf Kokain — .
Die mit Adrenalin erweiterte Pupille reagierte schwach auf Kon¬
vergenz. Leichter Schatten im Röntgenbild im Bereiche der oberen
Begrenzung der Fissura orbitalis superior. Wassermann — . Neben¬
höhlen und Lumbalpunktion ohne Besonderheiten. Fundus: geringe
venöse Stase.
Linkes Auge o. B.
Heutiger Befund: Gesichtsfeld normal, Sehschärfe e/s. Sensibilität
im ersten Trigeminusast wieder gering vorhanden. Okulomotorius
(äussere Augenmuskeln) nicht mehr völlig gelähmt. Lichtreaktion
angedeutet: sonst wie oben.
W- demonstriert den Fall wegen des Zusammentreffens von
Miosis und Licht- und Konvergenzstarre bei Lähmung des Sym¬
pathikus. Er hält die Miosis für bedingt durch einen vom Trigeminus
aus ausgelösten Reflexkrampf des Sphinkter, im Sinne des West-
p h a 1 - P i 1 1 z sehen Phänomens, ausgelöst durch dieselbe Schä-
Jigung, die zentrifugal den ersten Trigeminusast lähmte. Die Fazialis-
■componente des Reflexes war infolge der veränderten Augenmuskel¬
verhältnisse nicht deutlich, jedoch sprach der rechte Fazialis leichter
auf den elektrischen Strom an, als der linke. Dass der Sphinkter
'O energisch auf die Trigeminusreizung reagierte, erklärt W. daraus,
lass die Sphinkterkontraktion als Mitbewegung mit der Orbikularis-
\ontraktion nach W e s t p h a I und Piltz aufzufassen ist und dass
lach Ab eis dort (Med. Klin. 1908 Nr. 9 S. 4) die Kontraktion
häretischer Muskeln am leichtesten durch Mitbewegung ausgelöst
•vird. Dieser Reflexkrampf des Sphinkter hat die Licht- und Kon-
/ergenzreaktion latent, innerhalb der Pupillenunruhe liegend, gemacht.
9ie Richtigkeit dieser Annahme wird dadurch wahrscheinlich ge¬
nacht, dass etwa gleichzeitig mit der wiederkehrenden Empfindung
m ersten Trigeminusast die Konvergenz- und Lichtreaktion sich
:um ersten Male wieder spurweise zeigte. Vorbehaltlich des mög-
ichen Uebersehens eines Falles in der Literatur glaubt W„ dass
leshalb noch nicht auf die Möglichkeit des Kaschierens der Licht- und
<onvergenzreaktion durch einen vom Trigeminus aus ausgelösten
;phinkterkrampf hingewiesen worden ist, weil ein solch elektives
Zusammentreffen von Paralyse des Sympathikus, Parese des Okulo-
notorius in entsprechendem Grade und Trigeminusschädigung selten
ind deshalb der Demonstration wert ist.
Herr Wychgram demonstriert Gullstrands reflexloses
)phthalmoskop und die neuen optischen Korrektionssysteme.
Aerztlicher Kreisverein Mainz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 31. März 1914.
Herr F. Krayer: Ueber die eitrigen Erkrankungen der Harn-
vege im Säuglings- und Kindesalter.
Kinder werden von eitrigen Infektionen der Harnwege zehnmal
o oft befallen als Erwachsene. Die höchste Ziffer stellt das erste
.ebensjahr im II. und III. Quartal, viermal so oft erkranken Mädchen
ls Knaben, die rechte Seite wird bevorzugt.
Sitz der Erkrankung kann sein Blase, Nierenbecken und Niere,
'eist kommen fliessende Uebergänge vor mit Vorherrschen des einen
der anderen Abschnittes, woraus sich dann die Schwere der Krank-
eit ergibt.
Der gelegentliche Sektionsbefund bietet sehr wenig, Rötung und
•chwellung der Schleimhaut, auch Blutungen und kleine Geschwür-
hen, selten grosse Geschwüre und Beläge; an der erkrankten Niere
ahlreiche kleine Abszesschen in der Rinde, von denen aus weisse
tieiten die Rinde durchziehen.
Erreger ist in der weitaus überwiegenden Mehrzahl das Bac-
-num coli.
Prädisponierend sind Ernährungsstörungen, die Kräfteverfall und
urch das Darniederliegen der Harnabsonderung Stauung in den Harn-
egen bringen, dann konstitutionelle Schwäche. Natürliche Er-
ährung bietet keinen besonderen Schutz, Obstipation begünstigt die
ntstehung der Erkrankung, ebenso Unsauberkeit.
Von den Infektionswegen dürfte die direkte Ueberwanderung am
emgsten Vorkommen, für die urogene, hämatogene und lymphogene
ntstehung sprechen gewichtige Gründe und experimentelle Nach¬
weise.
1651
Im klinischen Bild treten die Symptome von seiten des Harn¬
apparates beim ganz jungen Kind in den Hintergrund. Die Allgemein¬
erscheinungen können im Symptomenkomplex der bestehender,
Krankheit untergehen, herrschen auch bei primärer Erkrankung vor.
Das Kind erkrankt mit hohem Fieber, Erregung, Erbrechen event.
Krämpfen, die Atmung ist beschleunigt, das Gesicht lebhaft gerötet,
nach einigen Tagen gelblichblass bekommt es einen ängstlichen Aus¬
druck, dazu gesellt sich eine allgemeine Empfindlichkeit. Das Bild
gleicht einer Meningitis epidemica oder Pneumonie. In der zweiten
Woche starker Kräfteverfall, trockene Schleimhäute, Heiserkeit,
Wimmern, dabei hartnäckige Verweigerung der Nahrungs- und
Flüssigkeitsaufnahme, Fieber remittierend, das Bild des toxischen
Sommerkatarrhs im Endstadium oder der tuberkulösen Meningitis.
Darmstörungen finden sich während der ganzen Erkrankungsdauer.
Aeltere Kinder erkranken nicht wesentlich anders, ihre grössere
Widerstandskraft lässt die Symptome milder erscheinen, hier kommen
auch Blasenbeschwerden vor.
Von vornherein chronisch verlaufende Fälle sind nicht selten, es
wird über Müdigkeit, Mattigkeit und Kreuzschmerzen geklagt, die
Ursache bleibt lange verborgen.
Spontanheilungen zählen zu den Ausnahmen, Säuglinge erliegen
leicht, Mortalität ca. 20 Proz. Eine rechtzeitig und gut eingeleitete
Therapie ist aussichtsreich. Eine Erkrankung der unteren Harnwege
heilt in ca. 3 Wochen aus, bei vorwiegender Erkrankung des Nieren¬
beckens ist der Verlauf langwieriger, auf Rezidive muss man sich
gefasst machen, pyelitische Attacken, deren Entstehung sich durch
blindsackartige Erweiterung des Nierenbeckens und Stauung erklären
lassen. Eine Beteiligung der Nieren verschlechtert die Prognose
wesentlich, wiewohl Reparationsvorgänge nachgewiesen sind.
Die Diagnose steht und fällt mit dem Nachweis von Eiter im
Urin. Die Harnuntersuchung soll stets stattfinden, wo Befund einer
Krankheit in schwerem Missverhältnis zum Verlauf und den Allge¬
meinsymptomen stehen. Der eiterhaltige Urin ist meist sauer, enthält
wenig Eiweiss, zersetzt sich rasch. Sediment ist weisslich, massig,
enthält Eiterkörperchen in Ballen und Schollen zusammenliegend, da¬
zwischen kurze, lebhaft bewegliche Stäbchen, Zylinder und ver¬
mehrtes Eiweiss sprechen für Mitbeteiligung der Niere.
Die grösste Schwierigkeit in der Therapie macht die Ernährung
der Kinder, die event. unter Zwang mit der Schlundsonde oder rektal
zu erfolgen hat. Innerlich ist das souveräne Mittel Urotropin und die
verwandten Präparate Borovertin, Helmitol, Hippol, ferner Salol, alle
in nicht zu kleinen Dosen (im ersten Lebensjahr bis zu 1,5 g).
Wechseln ist notwendig, die Lokaltherapie, Blasenspülung, Ureteren-
katheterismus (nicht vor Ablauf des dritten Lebensjahres ausführbar),
Operation bei sicherer einseitiger Erkrankung tritt zurück. Von Er¬
folgen der Vakzination ist noch wenig berichtet.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. März 1914.
Vorsitzender: Herr Müller.
Schriftführer : Herr Scheidemandel.
Herr Regensburger: Ueber Milzbrand.
Patientin, Arbeiterin in einer Pinselfabrik, erkrankte unter
typischen Erscheinungen. Karbunkel an der Stirne. In dessen Um¬
gebung auf gerötetem, infiltriertem Grund zahlreiche kleine Bläschen.
In deren serösen Inhalt zahlreiche Ketten von Milzbrandbazillen
sichtbar. Die Züchtung der Milzbrandbazillcn gelang weder auf
künstlichen Nährböden (Agar, Gelatine, Bouillon) noch im Tier¬
versuch. und zwar weder aus Pustelinhalt noch aus dem Venenblut
der Patientin. Es war also lokal eine Abtötung der eingedrungenen
Erreger erfolgt und der Körper hatte rasch genug Schutzstoffe gegen
die Allgemeininfektion bilden können, die sich ausser dem Fieber
lediglich in einem Milztumor äusserte. Die Therapie derartiger Fälle
ist am zweckmässigsten eine absolut konservative, da chirurgisches
Vorgehen durch Eröffnung zahlreicher Blut- und Lymphbahnen zu
einer Weiterverbreitung des Erregers, zu einer Ueberschwemmung
des Organismus mit Milzbrandbazillen führen kann. In unserem Falle
wurde der Karbunkel lediglich mit einer schützenden trockenen
Kompresse bedeckt. Die Heilung erfolgte nach dem Ueberstehen
einer dazugekommenen Angina follicularis sehr rasch. Für Fälle mit
allgemeiner, schwerer Infektion (Lungenmilzbrand) empfiehlt sich ein
Versuch mit den von Sobernheim und Sclavo angegebenen
Seris.
Herr Epstein: Ueber eosinophile Zellen im Gonorrhöeeiter.
(Mit Demonstration.)
Sitzung vom 19. März 1914.
Vorsitzender: Herr Müller.
Schriftführer: Herr F ii r t e r.
Herr 1 h o r cl : Pathologisch-anatomische Demonstrationen.
Herr Port berichtet über einen Fall von Osteom des Schulter¬
blattes.
Das Mädchen von 16 Jahren kam wegen einer Skoliose in Be¬
handlung. Es bestand eine geringe Ausbiegung des Dorsalteiles der
Wirbelsäule nach links, eine entsprechende Lendenkrümmung fehlte.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1652
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29.
Die rechte Schulter war beträchtlich breiter als links, die Muskulatur
aber deutlich atrophisch. In Vorbeugehaltung zeigte sich rechts eine
tiefe seitliche Einsenkung der Rippen. Erst beim Betasten des
Schulterblattes fand sich ein undeutlich abgrenzbarer Tumor in der
Achselhöhle von ungefähr Apfelgrösse. Er sass zwischen der Unter¬
fläche der Skapula und der Rippen und war äusserlich nicht sichtbar.
Bewegungen des Armes zeigten, dass er der Unterfläche der Skapula
angehörte. Das Mädchen hatte noch 2 weitere Osteome, eines an
der rechten Klavikula und eines an einer Rippe der anderen Seite.
Diese beiden Tumoren hatte sie von Kindheit an, das Osteom in der
Achselhöhle wurde erst bei der Untersuchung entdeckt. Der Vater
leidet gleichfalls an multiplen Osteomen, Mutter und Bruder sind
gesund.
Die Operation geschah von der Achselhöhle aus. Nach Frei¬
legung des Schulterblattrandes und Beiseiteziehen des M. latissimus
dorsi wurde Periost und Musculus subscapularis abgehoben. Die
Geschwulst sass an einem nur 2 cm dicken Stiel und konnte leicht
mit dem Meissei abgetragen werden. Der zum Latissimus führende
Nervenast kam zu Gesicht, konnte aber geschont werden. Die
Operation war fast unblutig, es war nicht eine einzige Unterbindung
notwendig. Nach der Operation war die Haltung wesentlich besser,
die Beweglichkeit des rechten Armes viel freier.
Herr Alexander: Gliom der Netzhaut.
5 Wochen altes Kind; bisher stets gesund. Seit 8 Tagen wird
ein gelber Reflex aus dem rechten Auge wahrgenommen. Das linke
Auge ist normal. Vortr. bespricht die Differentialdiagnose zwischen
Gliom der Netzhaut und dem sog. Pseudogliom. Der
Fall soll noch weiter beobachtet werden.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 14. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr Kraus.
Schriftführer: Herr Wilhelm V o i t.
Herr Kraft demonstriert einen Patienten mit Heterochromie
und gibt ein kurzes Referat über diesen Zustand
Herr Burkhardt:
I. Ueber Melanom.
Kritisches Referat über den gegenwärtigen Stand der Melanom¬
frage.
II. Ueber Meckel sches Divertikel.
Besprechung der Entwicklungsgeschichte, pathologischen Ana¬
tomie und klinischen Erscheinungen des Meckel sehen Divertikels.
Sodann Bericht über 8 in den letzten Jahren an der chirurgischen
Abteilung des Nürnberger Krankenhauses zur Operation gekommene
Fälle von Meckelschem Divertikel.
1. M., 30 J. Eingeklemmter Leistenbruch. Bruchinhalt: Abge¬
schnürtes Meckel sches Divertikel. Abtragung. Heilung.
2. M., 46 J. Ileus. Operation: Karzinose des Peritoneums und ein
den Darm abschnürendes, 7 cm langes Meckel sches Divertikel.
Resektion des Divertikels. Heilung. Später Tod an Karzinose.
3. M., 36 J. Jauchige Peritonitis. Operation: Ein 25 cm langes
M e c k e 1 sches Divertikel umschnürt eine ca. VA m lange Dünndarm¬
schlinge ringförmig am Mesenterium. Darm total gangränös. Resek¬
tion des Darmes und Divertikels. Tod nach 24 Stunden an Peritonitis.
4. W., 15 J. Perforationsperitonitis. Operation. Eine 60 cm
lange Dünndarmschlinge an der Basis von einem strangartig oblite-
rierten Meckel sehen Divertikel fest umschnürt. Darm gangränös.
Jauchiges Exsudat. Resektion des Darmes und Divertikels. Heilung.
5. M., 23 J. Diverticulitis gangraenosa. Operation: In der
Bauchhöhle jauchiges Exsudat. Ein ca. 6 cm langes Meckel sches
Divertikel total gangränös. Tod an Peritonitis.
6. M., 16 J. Ileus und Peritonitis. Operation: Ca. 50 cm lange,
blaurot verfärbte Ileumschlinge von einem gangränösen Meckel-,
sehen Divertikel umschnürt. Diffuses trübseröses Exsudat; fibrinöse
Beläge. Exstirpation des Divertikels. Heilung.
7. M., 36 J. Ileus, Peritonitis. Operation: In der Bauchhöhle
stinkendes sanguinolentes Exsudat. Umschnürung der untersten, ca.
1 m langen Dünndarmschlinge durch 3 — 4 cm dicken Strang, der sich
als Meckel sches Divertikel erweist. Dann total gangränös und
perforiert. Resektion des Darmes und Divertikels. Tod am 9. Tage
an Pneumonie.
8. W., 24 J. Chronischer Ileus. Operation: Bauchfelltuberkulose.
Haupthcrd an der Ursprungsstelle eines M e c k e 1 sehen Divertikels,
den Darm stenosierend. Resektion. Heilung. Später Tod an allge¬
meiner Tuberkulose.
In keinem der 8 Fälle war die Diagnose des Meckel sehen
Divertikels als Krankheitsursache von der Operation gestellt worden.
Herr Wilhelm Voit: Ueber Entfettung mittels elektrischer
Ströme (Bergonieapoarat).
V. geht zuerst auf die Konstruktion des Apparates ein. Bei An¬
wendung des Apparates ist eine genaue Auswahl unter den zu be¬
handelnden Menschen zu treffen; die von einzelnen Autoren gemelde¬
ten Misserfolge sind wohl zum grössten Teil auf ungenügende Aus¬
wahl zurückzuführen. Nur fette Menschen sind wirklich geeignet.
Menschen, die nur deshalb dick erscheinen, weil sie in ihrem Körper¬
bau plump sind, aber doch nicht viel Fett haben, müssen natürlich
schlechte Resultate abgeben ; viel kommt auch auf die richtige Be¬
dienung des Apparates an, die einige Uebung erfordert. V. hat bei
richtig fettsüchtigen Patienten sehr gute Resultate erreicht, die durch
die Diät allein nicht erreicht worden wären. Besonders bewährt hat
sich V. der Apparat bei der Behandlung solcher Pat., denen ihr Fett
fast jede körperliche Bewegung unmöglich machte. Mehrfach wur¬
den Patienten behandelt, die zu Beginn der Kur nur ganz kleine
Strecken und diese nur mit starken Atembeschwerden zurücklegen
konnten. Nach wenig Wochen war die Atemnot verschwunden,
1 — lJ4stündige Spaziergänge waren ohne Beschwerden möglich. Ein
besonderer Vorteil ist die günstige Beeinflussung der Blutzirkulation
und die Kräftigung der gesamten Muskulatur.
Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 13. Juli 1914.
Herr S c h 1 i e p demonstrierte einen durch Operation geheilten
Fall von Blasenspalte. Die alte Lappcnplastik aus der Bauchhaut hat
man völlig aufgeben müssen, es entstanden stets Fisteln und Kon¬
kremente in der Blase. Bei der direkten Vereinigung der Spaltränder
entsteht ein sehr enges Blasenkavum, fast stets treten Nahtinsuffi¬
zienzen auf, Kontinenz wird meist nicht erreicht. Auch wenn man
nach Trendelenburg den Symphyscnspalt schliesst, werden die
Erfolge nicht viel besser. Das Sonnenburg sehe Verfahren der
Exstirpation der ektopischen Blase mit Einpflanzen der Ureteren in
den oberen Teil des Urethraspaltes verzichtete zwar von vornherein
auf Kontinenz, es wurde aber dadurch möglich, auf bequeme Art ein
Urinal zu befestigen. Das Einnähen des Trigonumteiles der Blase
mitsamt den Uretermündungen in das Rektum zeigt hohe Mortalität
wegen des komplizierten Eingriffs, immer besteht die grosse Gefahr
der aszendierenden Pyelonephritis. Vortr. demonstriert ein
1)4 jähriges Kind, dem er vor einem Jahre eine Blasenspalte operativ
geschlossen hatte. Es bestand eine etwa zehnpfennigstückgrosse
Oeffnung, trichterförmig, die Ureterenmtindungen waren nicht sicht¬
bar, Symphyse und Sphinkter waren gespalten, beiderseits Leisten¬
hernie. Die Spaltränder wurden Umschnitten, wobei oberhalb der
Blasenschleimhaut zur besseren Uebersicht ein Stück der Rektus-
scheide durchtrennt wurde, es folgte die Einstülpungsnaht der Blase
und die Vereinigung der Rektusscheide. Im unteren Wundwinkel
bildete sich eine kleine Fistel, die sich bald spontan schloss. Der
Dauererfolg war auffallend gut. Die Blase hält völlig dicht, fasst
ca. 50 ccm. Konkremente haben sich nicht gebildet, wie die zysto-
skopische Untersuchung ergab.
Herr Holländer sprach an der Hand einer reichhaltigen
Sammlung von Modellen über die Geschichte der chirurgischen Säge.
Herr A. Israel berichtete über seine gemeinsam mit Herrn
A. Herzberg angestellten Versuche zur Blutgerinnung in Körper¬
höhlen, insbesondere in Gelenken. Die Flüssigkeit, die man bei der
Punktion des Hämarthros genu erhält, gerinnt auch im Reagenzglas
nicht, sie erweist sich bei chemischer Untersuchung als Serum.
Dieses Serum bildet sich durch den gewöhnlichen Gerinnungsvorgang,
nur kann es sich nicht so klar wie sonst abscheiden, weil das Blut
im Gelenk hin und her bewegt wird. Wenn man im Tierversuch in
einem mit Blut gefüllten Gelenk durch Hirudin die Gerinnung ver¬
hindert, so erfolgt eine äusserst schnelle Resorption. Dies würde
wohl auch beim Menschen der Fall sein, wenn nicht Gerinnung
einträte.
ln der Diskussion bestätigte Herr Katzenstein die Fest¬
stellungen des Vortr. In Gelenkhöhlen tritt sehr wohl eine Gerinnung
ein, er hat mehrfach in operativ eröffneten Blutgelenken Koagula
gefunden. Bei serösen Ergüssen, die keine Neigung zur Resorption
zeigten, fanden sich die Wand des Hohlraums und die Kapillaren in
der Umgebung mit Fibringerinnseln erfüllt. Dies gibt einen Hinweis
darauf, dass Gerinnungsvorgänge die Aufsaugung von Ergüssen ver¬
zögern. Auch müsse man in diesem Sinne die alte Beobachtung
deuten, dass Peritonitiden ohne Fibrinausscheidung eine so schlechte
Prognose bieten. Bei diesen findet eben die Toxinresorption sehr
rasch statt Grabowski.
Wissenschaftl. Gesellschaft deutscher Aerzte in Böhmen.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 22. Mai 1914.
Herr Schl off er: Demonstrationen.
Herr Friedei Pick: Zur Kenntnis der Trachealstenosen.
P. bespricht zunächst die Bougierungsmethoden und grossen
Schwierigkeiten, die sich oft einer definitiven Dekanülierung der Fälle
mit Kehlkopf- und Trachealstenose entgegenstellen, bespricht sodann
einen Fall von Stenose durch Perichondritis nach Knochenschlucken,
bei welchem durch Bougierung und Fibrolysin beträchtliche Erweite¬
rung des stark verengten Larynx erzielt wurde, so dass Pat. ent¬
lassen und ihm eine grosse S c h r ö 1 1 e r sehe Bougie mitgegeben
wurde. Als er jetzt, nach 2 Jahren wiederkam, war die Stenose
eher wieder enger und es stellte sich heraus, dass der Mann zuhause
immer nur den Oesophagus bougiert hatte. Deswegen wird für diesen
Fall die Laryngostomie ins Auge gefasst. P. betont, dass die Stenosen
nach Fremdkörperverletzungen noch bessere Prognose geben als die
21. Juli 1914.
MUENCHE NER ME I ) I Z I NISCHE Wo CHENSCHRIFT.
1652
;ius anderer Ursache und bespricht Fälle von Postikuslähmung ohne
erkennbare Ursache, bei welchen dauernd die Kanüle getragen werden
muss. Demonstration zweier weiterer Fälle von interessanten Tra¬
chealstenosen.
Herr D e d e k I n d: Demonstration. R o t k y - Prag.
Sitzung vom 5. Juni 1914.
Herr Grosser demonstriert Abgüsse prähistorischer Schädel.
Herr Elschnig bespricht 2 Fälle von totaler Keratoplastik.
Im ersten Falle handelte es sicli um eine Horn haut narbe
mit Iris ein heilung und F'istelbildung. Implantation eines
durchgreifenden Hornhautscheibchens von einem wegen . Verletzung
enukleierten Auge. Der eingepflanztc Lappen wurde trübe, beginnt
aber in den Randpartien sich wieder aufzuhellen. Der Zweck der
Operation ist vollständig erfüllt.
Zweiter Fall : I otale Keratoplastik bei dichter Nar¬
benbildung durch Keratitis parenchymatös a. Trotz
monatelanger Behandlung dichte Hornhauttrübung mit Finger auf 1 m
U.- 51- l3 Keratoplastik wie im vorhergehenden Fall. Es bestand eine
ilächenförmige vordere Synechie der Iris, welche bei der Trepanation
Narbe gelöst wurde. Der implantierte Lappen heilte ein, das
Sehvermögen besserte sich langsam und beträgt jetzt, obwohl ein
kleiner zentraler Kapselstar besteht, die Hälfte der normalen Sch-
schärfe. Da seit der Operation fast 7 Monate vergangen sind und
der implantierte Lappen vollständig normale Sensibilität besitzt,
kann das Resultat als dauernd angesehen werden. Es ist dies unter
11 Fällen, in denen E 1 s c h n i g totale Keratoplastik ausgeführt, der
einzige Fall von Dauerheilung und überhaupt in der Lite¬
ratur der zweite Fall einer gelungenen totalen
<eratoplastik.
Seit 2 Jahren lässt E. das gegenseitige Verhalten des Blutes der
meiden zur Operation verwendeten Fälle im Sinne von A g g 1 u t i -
lation und Hämolyse untersuchen. In dem vorgestellten Falle
lestand gegenseitig keine Agglutination.
Herr Elschnig: Refraktometrische Untersuchungen über sym-
)athische Reizübertragung.
E. hat gemeinsam mit Löwenstein die noch offene Frage der
sympathischen Reizübertragung in der Weise studiert, dass er an
vamnehen, Affen und Hunden nach akuter oder chronischer Reizung
les einen Auges innerhalb von 1 Stunde bis 14 Tagen das Kammer-
vasser des zweiten Auges mit dem P u 1 f r i c h sehen Refraktometer
intersucht hat. Die Versuche haben gezeigt, dass weder sofort noch
•Päter eine Veränderung des im normalen Auge vollkommen konstan-
en Brechungsindex des zweiten Kammerwassers, welche durch jede
eränderung der chemischen Zusammensetzung desselben zufolge einer
ceizwirkung eintreten müsste, sich eingestellt hat. Auch die Resti-
ution des „zweiten“ Kammerwassers ist bei Reizung des einen Auges
m zweiten nicht verzögert. Es existiert also eine sympathische
(eizübertragung nicht.
Herr Löwenstein: a) Die Beeinflussung des Kammerwassers
on der Blutbahn.
i V. bespricht seine gemeinsam mit Dr. K u b i k vorgenommenen
etraktometrischen Untersuchungen. Normales Kaninchen- oder Men-
chenserum intravenös gegeben, wirkt nicht auf den Brechungsindex
es Kaninchenkammerwassers ein. Auch bei intravenöser Applikation
on Diabetiker und Komaserum zeigte das Kammerwasser in Serien-
ntersuchungen normalen Brechungsindex. Bei den letztgenannten
^ersuchen kam es zu auffallenden subkonjunktivalen punktförmigen
lämorrhagien. Nach Vorderkammerpunktion füllte sich die Vorder¬
ammer mit flüssigem hellroten Blut ohne Irisverletzung. Auch bei
itravenöser Injektion von 20 ccm 10 proz. Dextroselösung ergab die
efraktometrische Untersuchung des Kammerwassers normalen Be¬
rnd. Hingegen fand sich nach intravenöser Applikation von NaCl
ine ausgesprochene Steigerung des Brechungsindex, die im ersten
alle höhergradig war als im zweiten; der Verlauf der Kurve ist im
anzen ähnlich. Zum Schlüsse werden die Erklärungsmöglichkeiten
leser Erscheinungen besprochen und die Bedeutung des Salzstoff-
echsels des Blutes für den Flüssigkeitsaustausch des Auges erwähnt
b) Ohrknorpelplastik nach Büchinger-Müller.
Besprechung von 5 Fällen, von denen bei zweien die volle Dicke
es Helix verwendet wurde, um sowohl Haut als Bindehautseite des
euen Lides zu bilden. Vorzüglicher kosmetischer Effekt, volle
chlusssuffizienz.
c) Dakryozystorhinostoniie nach Toti. Bericht über 35 neue,
ich I oti operierte Fälle, in denen in 61 Proz. spontane Tränen-
ifuhr vorhanden war. In keinem Falle bestand nach der Operation
piphora, alle waren von den Tränenröhrchen glatt durchspiilbar.
s wurde vom Verf. ein zu diesem Zwecke angefertigter Kron-
epan verwendet, der die Operation sehr erleichtert. Die von VV c t
id Poliak empfohlene intranasale Resektion des Tränenbeins und
-r nasalen Wand des Tränensackes hat mit Ausnahme der unsicht-
iren Narbe keine Vorzüge. Bei exakter Naht ist aber eine solche
mm aufzufinden. Demgegenüber steht als Nachteil der schwierige
ugang zum Operationsfeld und die damit in Zusammenhang stehende
otwendigkeit eingreifender Voroperationen. Unmöglichkeit der weit-
is schonenderen I repananwendung zur Knochenresektion. Der
auptnachteil aber liegt darin, dass wir hier nicht wie bei der T o t i -
hen die Siebbeinzellen freigelegt haben, deren Erkrankung häufig
e Ursache der Tränensackaffektionen ist. R o t k y - Prag.
Aus den französischen medizinischen Gesellschaften.
Acaderaie des Sciences.
Sitzungen vom 30. März und 6. April 1914.
Wirkung der Höhenlagen auf den Gehalt des Blutes an Sauerstoff
und Kohlensäure.
. R-o«» ^ a y e 11 x und Paul C h e v a 1 1 i e r haben zuerst in Paris,
c M ■ m.. u morunix in dem von V a 1 1 o t erbauten Laboratorium und
' c i lesslich auf dem Montblanc im Observatorium von M o s s o
an sich selbst und an Kaninchen Stoffwechseluntersuchungen von
längerer Dauer angestellt und kamen zu folgenden Resultaten: Die
Höhenlage bewirkt, dass sowohl Sauerstoff- wie Kohlensäuregehalt
des Blutes zunimmt und zwar letzterer in höherem Grade. Nach den
speziell im Zustande der Bergkrankheit ausgeführten Dosierungen
scheint dieselbe nicht in beträchtlichem Masse den Kohlensäuregehalt
zu verändern, sondern dieser Krankheitszustand ist von einer be¬
deutenden Abnahme des Sauerstoffs im venösen Blute begleitet,
lissot und Hallion hatten übrigens schon gelegentlich eines
Baiionaufstieges beim Hunde festgestellt, dass Sauerstoff- und Kohlen-
sauremengen mit der Höhe zunehmen.
Zur Uebertragung des Typhus exanthematicus durch Flöhe, Läuse usw.
Edm. S e r g e n t, H. F o I e y und Ch. V i a 1 a 1 1 e haben in Algier
diesbezügliche Versuche an sich selbst und solchen, die sich frei-
willig dazu erb°ten, ferner an Affen vorgenommen und kamen zu
ähnlichen Ergebnissen, wie früher N i c o 1 1 e, C. Comte und
, :. 0 n s e > 1- Demnach kann der einfache Stich von ausgewachsenen
Lausen auf den Menschen den Typhus exanthematicus übertragen
Lause, die von einem auf diese Weise infizierten Menschen ent¬
nommen sind, übertragen wiederum die Krankheit auf den Affen ent-
\\ oder auf subkutanem oder peritonealem Wege; den Uebergang auf
einen anderen Affen kann man durch Impfung von dem erstinfizierten
Afien aus bewerkstelligen. Die Infektion ist bei der Laus eine here¬
ditäre: die Nissen (Lauseier), welche von infizierten Läusen stammen,
können die Krankheit übertragen.
Academie de medecine.
Sitzungen vom 7. und 14. April 1914.
Zur Behandlung des Asthmas mittelst intra-tracheo-bronchialer
Injektionen.
Bourgeois versuchte zu diesen Injektionen das Gomenolöl.
eine wässerige Lösung von Adrenalin-Kokain, von Novokain-
Adrenalin usw., und es bewährte sich letztere am besten — Die
ohgen Injektionen wirken reizend und heftige Krämpfe hervorrufend,
die Injektionen von Kokain können wegen der Giftigkeit des Medi-
Raments gefährlich sein. Wenn die Injektion der wässerigen Novo-
kain-Adrenalin-Lösung im Augenblick eines akuten Anfalles ausge-
tuhrt wird, so zeigt sich die Besserung bereits nach 10—15 Minuten,
der Kranke legt sich nieder und schläft dann meist vor Ermüdung ein
Der reichliche Auswurf, der zuweilen der Injektion folgt, bildet wahr¬
scheinlich eines der Hauptsymptome der Erleichterung. Die Injektion
ist zugleich anästhesierend und anämisierend, vermag daher einer-
seits Husten und Krampf zu stillen, andererseits Schwellung der
Schleimhaut und Kongestion zu beseitigen und dadurch die Ex¬
pektoration zu begünstigen. Welches auch die Art der Wirkung sei,
so bildet die Novokain-Adrenalin-Injektion ein sehr gutes, vielleicht
das beste Mittel gegen die Asthmaanfälle, wie B. an 3 Kranken
ei fahren hat, welche ohne Erfolg wiederholte Morphiuminjektionen
erhalten hatten.
Netter berichtet über einen Fall akuter diffuser Mye¬
litis, der durch intralumbale Injektionen von
Serum eines mit Kinderlähmung behaftet ge¬
wesenen Individuums geheilt wurde. Die Menge des
wahrend 9 Tage injizierten Serums betrug 65 ccm, die Heilung er¬
folgte rasch und blieb in vollständigem Grade bestehen.
L e t u 1 1 e, B e r g e r o n und A. L e p i n e führten dieWasser-
m a n n sehe Reaktion bei 346 Tuberkulösen aus und fanden
sie 64 mal positiv, 8 mal zweifelhaft. Von diesen 64 Fällen ergaben
nur 10 genaue Anhaltspunkte und sichere Zeichen früherer Syphilis.
Bei den tuberkulösen Syphilitikern scheinen die bazillären Verände¬
rungen etwas mehr generalisiert zu esin. Die Prognose der Tuber¬
kulose wird durch eine vorhergehende Syphilis verschlimmert.
Societe medicale des hopitaux.
Sitzung vom 1. Mai 1914.
Behandlung der Vulvovaginitis kleiner Kinder mit Antigonokokken¬
lymphe.
Comby und Frl. Condat haben mit der Lymphe von
Nicolle 15 Mädchen, die mit akuter gonorrhoischer Vulvovaginitis
behaftet waren, ausserdem 1 Fall von gonorrhoischer Peritonitis,
1 von purulenter Augenentzündung und 1 von Urethritis bei einem
kleinen Knaben erfolgreich behandelt. Nach 5—10, im Durchschnitt
2 3 mal wöchentlich wiederholten Injektionen (von 1 — 1,5 ccm in
2 ccm künstlichen Serums gelöster Lymphe) wurde Heilung der Vulvo¬
vaginitis beobachtet. Die Injektion wird in die Gefässmuskulatur ge¬
macht, sehr gut vertragen und ruft keinen oder nur geringen, lokalen
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1654
Schmerz, zuweilen leichte fieberhafte Reaktion, vorübergehend oder
ausnahmsweise 24 Stunden anhaltend, hervor. Die Ungeiährlichkeit
der Methode kann jedenfalls nur zur Fortsetzung der Versuche er¬
mutigen.
Chantemesse hat die Antigonokokkenlymphe versucht und
war sehr befriedigt über ihre gute W irkung. besonders beim blennor-
rhagischen Rheumatismus.
Siredey hat zwar ebenfalls gute Resultate, aber nicht regel¬
mässig gehabt" und mochte sich bezüglich der Wirkung beim Ausfluss
etwas reserviert aussprechen.
Sitzung vom 14. Mai 1914.
G u i s e z berichtet über 3 neue Fälle von Lungengangrän,
welche mit intrabronchialen Injektionen behandelt
worden sind. Er verfügt nun zusammen mit Richez über 11 Fälle,
wovon 4 doppelseitige, bei welchen durch diese Methode vollständige
Heilung eingetreten ist. Es handelt sich also, wie es scheint, um eine
wirklich spezifische Behandlungsart, welche bis jetzt einen, stets
schweren, chirurgischen Eingriff erheischte.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Münchener Aerzteverein für freie Arztwahl.
Ausserordentliche Mitgliederversammlung vom
9? J uli 1914.
Die Sitzung ist im wesentlichen der Ratifikation der zwischen
dem Verein unü den Kassen geschlossenen Verträge gewidmet, ln
Erledigung des Einlaufs wird Dr. v. Wilmann in Planegg mit Be¬
jahung der Bedürtnisfrage die Karenzzeit erlassen, seinem nacn Mün¬
chen verzogenen Vorgänger Dr. Getto die in Planegg verbrachte
Zeit auf die Karenzzeit angerechnet. — Auf Anfrage eines Mitglieds
teilt der Geschäftsführer mit, dass der Verein dem Rentamt keine
Angaben über die Kasseneinkommen der Aerzte macht; doch stellt
sich in der Diskussion heraus, dass das Rentamt wahrscheinlich aurch
die Kassenverwaltungen genaue Aufstellungen hierüber erhält. — Den
Ismia-Zählerwerken, die ihre Angestellten bei der ÜKrK. versichert,
trotzdem aber einen eigenen Vertrauensarzt angestellt haben, so dass
die Kranken von 2 Vertrauensärzten kontrolliert werden, wird die
Unzulässigkeit dieser Einrichtung mitgeteilt werden.
Herr Schneider berichtet über den Vertragsabschluss mit
den Krankenkassen. Wesentliche Verbesserungen gegenüber den im
Dezember gemachten Vorschlägen konnten gemäss der Lage nach
dem Berliner Abkommen beim Vertragsabschluss nicht erzielt wer¬
den. 8 Betriebs- und Innungskrankenkassen bezahlen die Minimal¬
sätze der bayer. üeb.-O., 25 die Sätze der Geb.-O. des Vereins
und 1 M. für die Konsultation, 1.50 M. für den Besuch. Nur mit
der Betriebskrankenkasse der inneren Staatsbauverwaltung bestehen
heute noch Vertragsschwierigkeiten. Der Sanitätsverband hat erst im
März in die geforderte Festsetzung der Einkommensgrenze auf
2400 M. eingewilligt.
Einige kleine Verbesserungen konnten auch im Vertrage mit der
OKrK. erzielt werden: Die Regelung der Privatbehandlung von
Kassenpatienten durch Verbot von Aufzahlungen und ausnahmsweiser
Zulassung der Privatbehandlung nach Unterzeichnung eines verein¬
barten Reverses seitens der Kranken; die Einführung eines Ausweises
der Kranken über ihre Kassenzugehörigkeit; die Festsetzung des
Verpflegungssatzes von 3 M. für die Privatheilanstalten; die Be¬
seitigung des Koalitionszwanges der Aerzte, die Einführung von Ord¬
nungsstrafen als Mittelding zwischen Verweis und Suspension, die
Uebernahme der Kosten für pathologische und bakteriologische Unter¬
suchungen durch die Kassen.
Der reiche Beifall bezeugte das dankbare Einverständnis der Mit¬
gliedschaft mit diesen Erfolgen.
Die durch die neuen Verträge nötigen Satzungsände¬
rungen werden einstimmig genehmigt. Sie betreffen den Einigungs¬
ausschuss, der alle gemeinsamen Angelegenheiten auf Wunsch einer
der beiden Vertragsparteien zu besprechen, Beschwerden aller Art,
von Aerzten gegen Kassenmitglieder — oder Verwaltung, sowie von
diesen gegen Aerzte erhobenen, zu erledigen und eine gütliche Bei¬
legung .solcher Streitigkeiten herbeizuführen hat. Ferner betreffen
sie den Schiedsausschuss, der unter dem Vorsitz eines Juristen end¬
gültig über nicht im Einigungsausschuss erledigte Streitigkeiten ent¬
scheidet und schliesslich die Kontrollkommissionen, die z. T. ver¬
stärkt werden.
Ueber die Poliklinikenfrage, die durch ein Schreiben der
OKrK. wieder zur Diskussion kommt, berichtet Herr Arthur M u e 1 -
ler. Der Verein befindet sich nach den neuen Verträgen in einer
sehr günstigen Lage, da ohne seine Genehmigung die Kassen keine
Sonderverträge mit Polikliniken abschliessen dürfen. Er empfiehlt,
der Kasse zu erlauben, geringe Leistungen für Aufwand von Ma¬
terialien, wie es die Regierung wünscht, den Polikliniken zur Ver¬
fügung zu stellen. Dieser massvolle Vorschlag findet nach einer
Debatte, an der sich die Herren Strähuber, Lukas, Hecht
beteiligen, die Zustimmung der Anwesenden. Doch soll er entspre¬
chend einem Anträge des Herrn Hecht vor der endgültigen Er¬
ledigung auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt werden.
Schliesslich wird noch folgender Antrag Hecht dem Sinne
nach einstimmig angenommen:
Die Versammlung beauftragt die Vorstandschaft des Aerzte-
vereins für freie Arztwahl, zunächst bei der Ortskrankenkasse dahin
vorstellig zu werden, dass bei arbeitsfähigen Kranken, die kein Kran¬
kengeld beziehen. ein Arztwechsel — sowohl für häusliche, wie für
Sprechstundenbehandlung — bei der gleichen Krankheit ebenso, wie
cs bisher schon bei erwerbsunfähigen Patienten Gepflogenheit war,
nur nach vorher eingeholter Zustimmung der Kasse statthaft ist.“
Die Diskussion, an der sich die Herren Schneider, Lukas.
D o 1 1 m a n n, H ö f 1 nt a y r, A. M u e 1 1 e r beteiligen, führt eine Fülle
grotesker Beispiele über die Ausbeutung der Kassen und der Aerzte
durch Patienten, die in der gleichen Krankheit einen Arzt nach dein
andern konsultieren, ebenso aber auch die organisatorischen Schwie¬
rigkeiten der vorgeschlagenen Regelung zutage.
Koebner - München.
Einigungsausschuss.
§ 31.
1. Der Einigungsausschuss hat den Zweck:
a) alle gemeinsamen Angelegenheiten auf Wunsch einer der
beiden Vertragsparteien zu besprechen;
b) Beschwerden aber Art, die von Aerzten gegen Kassenmu-
glieder oder die Verwaltung der Krankenkassen oder von
diesen gegen Aerzte erhoben werden, zu erledigen;
c) eine gütliche Beilegung von Streitigkeiten, die aus dem \ er-
tragsverhältnis entstehen, herbeizuführen.
2. Der Einigungsausschuss setzt sich zusammen aus 3 Mitglieder!
des Münchener Aerztevereins für freie Arztwahl und 3 Vertretern der
betr. Krankenkasse und den Geschäftsführern beider Teile. Die Mit¬
glieder des Ausschusses werden alljährlich von der Mitgliederver¬
sammlung gewählt; in gleicher Zahl sind Ersatzleute zu wählen.
Den Vorsitz in den Ausschusssitzungen führt abwechselnd von
Fall zu Fall ein Arzt oder ein Vertreter der Kasse. Das erstemal ent¬
scheidet das Los.
3. Dem Einigungsausschuss steht das Recht zu, Ordnungsstrafe
von 10—500 M. zu verhängen. Verweis auszusprechen und auf Sus¬
pension auf die Dauer von 3 Monaten bis zu einem Jahr, ferner auf
Ausschluss zu erkennen.
4. Der Einigungsausschuss ist nur beschlussfähig, wenn er voll¬
zählig ist. Die Beschlüsse werden mit einfacher Stimmenmehrheit
gefasst. Dem Vorsitzenden kommt ein Stichentscheid nicht zu. Be;
Stimmengleichheit ist die Beschwerde von dem Schiedsausschuss zu
erledigen. Die Geschäftsführer beider Teile sind nicht stimm¬
berechtigt.
5. Das Protokoll ist doppelt auszufertigen und von den sämt¬
lichen Beteiligten zu unterzeichnen.
Schriftliche Kundgebungen des Ausschusses (Briefe) sind von
einem dazu bevollmächtigten Mitgliede des Vereins und der betr.
Kasse zu unterzeichnen.
b. Gegen den Beschluss des Einigungsausschusses ist binnen
14 Tagen vom Tage der Zustellung des Beschlusses ab gerechnet
Berufung zum Schiedsausschuss zulässig.
Die Berufung ist schriftlich beim Vorsitzenden des Schiedsaus-
schusses einzureichen.
Von aer Berufung ist beiden Parteien Mitteilung zu machen.
Schiedsausschuss.
§ 32.
1. Kommt eine gütliche Einigung nicht zustande, so bildet der
Einigungsausschuss den Schiedsausschuss. y,
2. Der Vorsitz in diesem Schiedsausschuss ist einem mit der Be¬
fähigung zum Richteramte oder zum höheren Verwaltungsdienste aus¬
gestatteten Juristen zu übertragen, der auch stimmberechtigt ist.
Einigen sich die Parteien nicht auf den Vorsitzenden, so ist das
städtische Versicherungsamt zu ersuchen, einen solchen zu ernennen
Der Schiedsausschuss entscheidet mit Stimmenmehrheit endgült -
unter Ausschluss des Rechtsweges. Die Geschäftsführer beider Teile
sind nicht stimmberechtigt.
3. Die Grundlagen zur Entscheidung beschafft sich der Vor¬
sitzende bzw. der Schiedsausschuss nach freiem Ermessen.
4. Die etwaigen Kosten w erden von beiden Parteien zu gleiche:
Teilen getragen. #•
5. Ueber die Verhandlungen des Schiedsausschusses ist ein Proto¬
koll aufzunehmen, das besonders die Entscheidungsgründe genauester^
wiedergibt und vom Vorsitzenden zu unterzeichnen ist. Das Proto¬
koll muss den beiden Parteien baldmöglichst zugeleitet werden.
1. Honorarkontrollkommission.
§ 35.
Die Honorarkontrollkommission besteht aus 24 Mitgliedern, und
zwrnr aus 12 praktischen Aerzten und 12 Spezialärzten (ein Internist-
ein Chirurg, ein Gynäkologe, ein Augenarzt, ein Vertreter de:
Laryngologie, ein Otologe, ein Magendarmspezialarzt, ein Dermau-
loge, ein Nervenarzt, ein Orthopäde und zwei Röntgenologen).
4. Arzneimittelkommission betr.:
21. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1655
2. Arzneimittelko mm issio n.
§ 36.
Abs. 1. Die Arzneimittelkommission besteht aus 15 Mitgliedern:
einem 1. und 2. Vorsitzenden, einem 1. und 2. Schriftführer und 11 Bei¬
sitzern. Der Vorsitzende wird von der Mitgliederversammlung ge¬
wühlt auf Vorschlag der Kommission.
Abs. 3. Die Arzneimittelkommission wählt jährlich 5 Aerzte aus
ihrer Mitte, welche die von den Apothekern den Kassen vorgelegten
Verordnungen prüfen und den einzelnen Kollegen mitteilen, inwiefern
ökonomischer verordnet werden kann.
5. Krankenkontrollkommission betr.:
3. Krankenkontrollkommission.
§ 37.
Abs. 3. Der behandelnde Arzt erhält Mitteilung über die Ent¬
scheidung der Krankenkontrollkommission.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Das Lrystyptikum „Roche“ stellt eine Kombination von
nydrastinum syntheticum, Hydrastisextrakt und Sekakornin dar.
Max F e I d m a n n - Charlottenburg hat damit sehr gute Erfahrungen
bei Blutungen aller Art gemacht Er empfiehlt es als ein durchaus
zuverlässiges Mittel, das sich gegenüber dem Hydrastisextrakt noch
durch seine Billigkeit auszeichnet. (Ther. Mh. 1914, 4.) Kr.
Die gute Wirkung des C o d e o n a 1 K n o 1 1 bei gastrischen
Krisen der Tabiker veranlasst mich, kurz auf dieses Präparat hin-
zuw eisen, weil wir gegen die sehr heftigen Schmerzen ausser Mor-
P .F^^^ktionen nicht viel wirksame Medikamente besitzen. In
auflallender Weise haben Dosen von 1—2 mal täglich je 3 Stück von
den tertigen labletten ä 0,17 die Schmerzen sehr bald beseitigt, so
dass man dann weit seltener zum Morphium zu greifen braucht.
Uodeonal ist ein sog. Kombinationspräparat ä la Biirgi von
Codein und Natr. Diäthylbarbitur. Die Komponenten sollen eine
potenzierte W irkung besitzen, weil die kombinierten Narkotika zu
chemisch nicht verwandten Gruppen gehören. Diese vermehrt be¬
ruhigende Wirkung habe ich auch festgestellt bei Potatoren mit
grosser Unruhe, denen ich wie oben auch 2 mal täglich je 3 Tabletten
verordnet. Ferner habe ich noch bei hartnäckiger Schlaflosigkeit,
bei welcher andere Schlafmittel nicht mehr reagierten, von dem
immerhin als harmlos bezeichneten Codeonal günstige Erfolge erzielt,
wenn 1 mal am Abend 3 Tabletten eingenommen wurden. Eine weit
höhere Dosis von Natr. Diäthylbarbitur., als die in dem Codeonal
enthaltene, hatte vorher keine Wirkung. Das Mittel wird gut ver¬
tragen und besitzt keine störenden Neben- und Nachwirkungen.
Dr. U m b r e i t - Charlottenburg.
Für eine konstitutionell individualisierende
abestherapie tritt Richard Stern- Wien ein. Nach seinen
Beobachtungen weisen 85 Proz. aller Tabiker eine abnorme und
krankhafte Konstitution auf, und zwar fand er in 50 Proz. der
Fälle einen asthenischen Habitus, und in 35 Proz. der Fälle wiesen
die Patienten einen abnormen Breitwuchs und beträchtlichen Adi¬
positas auf. Nur der Rest — 15 Proz. — der untersuchten Tabesfälle
trugen nichts von Asthenikertum oder Breitwuchs an sich. Stern
kommt daher zu dem Schluss, dass konstitutionelle Krankheiten im
allgemeinen einen fast unerlässlichen Bestandteil der tabischen Er¬
krankung bilden und definiert die Tabes als spinale Lues bei
Konstitutionskrankheit, vor allem bei asthenischer Kon¬
stitution.
Für die Therapie der Tabes wünscht er eine möglichste Be¬
rücksichtigung der Konstitution des Kranken. Er warnt vor einer zu
energischen Jodtherapie bei asthenischen Tabikern, da bei jedem
Astheniker mit der Möglichkeit eines wenn auch latenten Thyreoi-
hsmus gerechnet werden muss, und das Jod in diesen Fällen grossen
schaden anrichten kann. (Ther. Mh. 1914 H. 6.) Kr.
Die Punktion eines grossen Herzbeutelergusses
Rücken aus, wie es H. Curschmann bereits im Jahre
90/ für geeignete Fälle empfohlen hat, beschreibt 0. M o o g - Frank-
urt. Bei den grossen perikardialen Ergüssen sammelt sich die
lauptmenge der Flüssigkeit im hinteren linken Perikardialraum an
. oennt sich nach der hinteren Thoraxwand zu aus. Dadurch
vird die Lunge teils komprimiert, teils nach oben und medianwärts
erdrangt, so dass der Herzbeutel der hinteren Brustwand direkt an-
, jegt. Bei Vornahme dieses Verfahrens ist nur immer zu bedenken,
ass man unter Umständen einen Pneumothorax setzen kann. (Ther.
>lh. 1914 H. 6.) j<r
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
er heutigen Nummer liegt das 342. Blatt der Galerie bei: Hugo
J on eck er. (Siehe den Nekrolog hiezu auf S. 1629 d. Nr.)
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 20. Juli 1914.
Wie uns mitgeteilt wird, soll die Sitzung der bayer. Aerzte-
vmmnern vom Herbst 1914 ausfallen. Es ist beabsichtigt im Frühjahr
1915 eine gesetzliche Standes- und Ehrengerichtsordnung von den
Kammern beraten zu lassen, und zwar wahrscheinlich in einer ge-
m einsamen Sitzung der sämtlichen 8 Kammern. Vorher sollen die
Bezirksvereine und ständigen Ausschüsse Zeit haben, den fertig¬
gestellten Entwurf zu beraten.
~ Man schreibt uns aus Wien: Das Unterrichtsministerium hat
im Einvernehmen mit der Wiener medizinischen Fakultät eine Be-
schrankung der Zahl der in den ersten Jahrgang neu aufzunehmenden
Mediziner eintreten lassen. Für das Studienjahr 1914/15 wurde die
.l1* ~;®r zur Immatrikulation zuzulassenden Studierenden der Medizin
mit 400 festgesetzt. Von den zur Inskription sich meldenden Medi¬
zinern werden jene aus Niederösterreich und aus denjenigen Kron-
landern, in welchen eine Universität mit einer medizinischen Fakultät
ment besteht, sowie die aus Bosnien und der Herzegowina in erster
Linie inskribiert. Studierende aus den übrigen Kronländern, dann
Ausländer können erst nach den Vorgenannten, bis die genannte üe-
sammtzahl von 400 erreicht ist, aufgenommen werden. Studierende
anderer Fakultäten können sich für die Uebungen im Seziersaale nicht
inskribieren Die Verfügung gilt vorläufig nur für das nächste Stu¬
dienjahr Der massenhafte Andrang von Medizinern (in Wien wurden
im Vorjahre 630 ordentliche Hörer der Medizin neu immatrikuliert, in
allen 5 Jahrgangen gab es 2818 Mediziner, darunter 184 Frauen), dann
der Umstand, dass es trotz des Neubaues von 2 Seziersälen sowohl in
der Anatoime als insbesonders in der Histologie an Räumlichkeiten
fehlte da die Sezierübungen gleichzeitig von den Hörern des I. und
I. Jahrganges besucht werden und das neue histologische Institut im
Bau begriffen ist, endlich deshalb, weil es Leichenmangel gab (im
Vorjahr wurden der Anatomie nur 114 Leichen zur Verfügung ge¬
stellt aus diesen Gründen erschien dem Professorenkollegium und
dem Unterrichtsministerium die zeitweilige Einführung eines Numerus
clausus angezeigt. Das Wiener medizinische Professorenkollegium
hatte gleichzeitig eine Verteuerung des Studiums in Vorschlag ge¬
bracht; davon ist aber bisher noch nichts verlautbart worden Hin¬
gegen melden die politischen Blätter vom selben Tage, dass das
Marinemimsterium vier neue Dreadnoughts bauen lässt, welche in
den nächsten Jahren fertiggestellt werden. Ein Kommentar erscheint
uns überflüssig!
«j a n
ton um für unbemittelte weibliche Lungen¬
kranke in Unterfranken eröffnet. Die Anstalt liegt am
Rande des Spessart, ist modern eingerichtet und bietet
6) Kianken I latz; neben den grösseren Abteilungen sind 8 ein¬
bettige und 6 zweibettige Zimmer vorhanden. Leitender Arzt ist
m * ^n- V n\ fruI?erer Assistenzarzt der Heilstätte Hohwald bei
Neustadt l. S. Aus Anlass der Eröffnung der Anstalt wurde dem Geh.
Kommerzienrat H. S t ü r t z, Universitätsbuchdruckereibesitzer, die
Wurde eines Ehrendoktors der medizinischen Fakultät verliehen
n T D,er £Jeubau der Deutschen Heilstätte in Davos, „das
Deutsche Haus in Agra“ wird am 1. September d. J. dem
Betrieb ubergeben. Die neue Anstalt wird weiteren hundert minder¬
bemittelten und bedürftigen deutschen Lungenkranken Aufnahme ge¬
wahren können. Leider reichen die hier und die 138 in Davos zur
Vei fugung stehenden Betten fiir den Bedarf bei weitem nicht aus;
das Jahr 1913 brachte 1065 Anfragen von minderbemittelten deutschen
Lungenkranken der gebildeten Stände! Die Anstalten sind voll¬
ständig aus freiwilligen Beiträgen errichtet und auf die Hilfsbereit¬
schaft der deutschen Landsleute angewiesen.
— Nach einer Entscheidung des Kgl. Kammergerichtes in Berlin
ist die Bezeichnung „Emser Karamellen“, „E m s e r
Pastillen“ eine Herkunftsbezeichnung und darf nur für solche
Produkte gebraucht werden, die aus den Königlichen Betrieben zu
Bad Ems herstammen.
, — Zu. der tagesgeschichtlichen Notiz über den 40. Deutschen
Aerztetag in München in Nr. 27 d. Wschr. ist zu ergänzen, dass die
an dem Sanatorium „Dr. Wiggers Kur heim“ in Partenkirchen
tätigen Aerzte Dr. E i o h 1 e r, Dr. L y d t i n, Dr. Meyer und
Dr. S e i g e Mitbesitzer der Anstalt sind.
— ■ Die Kgl- medizinische Akademie in Turin hat soeben den
Wettbewerb für die 13. Preisverteilung „Riberi“
über 20 000 L. eröffnet, für wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiete
der medizinischen Disziplinen im allgemeinen. Interessenten wollen
sich bis zum 31. Dezember 1916 melden. Wegen der Wettbewerbs-
bedingungen wolle man sich an das „Sekretariat der Akademie der
Medizin, 18, via Po, Turin“ wenden.
— Der Jahresbericht des deutschen Kranken¬
hauses in Neapel für das Verwaltungsjahr 1913/14 zeigt eine
2?»™® dfr Besi,chsziffer der Anstalt, die von 281 Kranken mit
5443 Pflegetagen auf 356 mit 6501 Pflegetagen stieg. Die Einnahmen
stiegen nicht m gleichem Masse, da 11 Proz. der Kranken gratis,
52 Proz. in der III. Klasse verpflegt wurden. 60 Proz. der Pa¬
tienten waren Deutsche. In der Poliklinik wurden 1131 Gratiskonsul¬
tationen erteilt, 229 mehr als im Vorjahre.
~ Bine Zeitschrift „D i a“ wird den Aerzten mit der Zumutung
ins naus geschickt, sie in ihrem Wartezimmer aufzulegen, , da sie
ganz den Anforderungen des Leipziger wirtschaftlichen Verbandes
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. >9.
1 656
entspreche“. Wir sprechen von einer Zumutung, da nicht nur davon
die Rede ist. „dass die Zeitschrift eine Menge von Ratschlägen bringe,
die über das ärztliche Gebiet hinausgehen“, sondern sogar Ankündi¬
gungen der Frau Dr. Fischer-Dückelmann (die zu ihren
übrigen Qualitäten auch noch Förderin des Zentralverbandes für Pari¬
tät der Heilmethoden ist), des Diabetes-Bauer usw. bringt.
Dieser Hinweis wird genügen, um dem Geschäftsunternehmen die
richtige Würdigung bei den Aerzten zu verschaffen!
— Die zweite internationale Konferenz für Schul-
u n d Volksbäder findet vom 7.— 10. August d. J. in Brüssel statt.
— Die Retroflexionsoperationen werden den im Sep¬
tember 1915 in New York tagenden VII. Internationalen
Kongress für Geburtshilfe und Gynäkologie beschäf¬
tigen. Ein Bericht über die Spätresultate der verschiedenen Opera¬
tionsmethoden (Ref. : van de V e 1 d e - Haarlem) wird die Grund¬
lage für die Diskussion bilden. Zur Erhaltung eines grossen statisti¬
schen Materiales ist die Mitarbeit vieler Operateure durchaus not¬
wendig. Eine Kommission, bestehend aus den Herren: A. Martin-
Berlin, E. Schauta- Wien, J.LFaure- Paris, L. Pcstalozza-
Rom, Dm. de Ott-St. Petersburg, J. Riddle G o f f e - NewYork,
H. Spencer- London, Th. H. van de Velde- Haarlem, vom
VI. Kongress (Berlin 1912) ernannt, hat die Eachkollegen aller Länder
um diese Mitwirkung nachgesucht und schon zahlreiche Zusagen er¬
halten. Die Kommission bittet diejenigen Operateure, die sich noch
nicht zur Teilnahme an der Untersuchung gemeldet haben, aufs Dring¬
lichste, sich noch zur Mitarbeit zu entschlossen, und dieses dem Re¬
ferenten (Adresse: Vrouwenkliniek Haarlem) mitzuteilen, der zu jeder
gewünschten Auskunft gerne bereit ist.
Der erste Internationale Kongress für Se¬
xualforschung findet in Berlin vom 31. Oktober bis zum 4. No¬
vember d. .1. statt. Weit über 1(30 Vorträge sind schon jetzt ange¬
meldet. Fast alle Kulturländer werden durch ihre ersten Sexual¬
forscher vertreten sein. Von Vortragenden seien folgende genannt:
August v. Wassermann, Stanley H a 1 1 - Worcester, Julius
Wolf; S t e i n a c h - Wien wird seine Forschungen über die Be¬
einflussung der Geschlechtscharaktere durch Austausch der Pubertäts¬
drüsen mitteilen und durch Demonstrationen erläutern. Es seien
fei ner genannt :Straussv. Tomen, Seeberg, Min gazzini-
Rom, D e s s o i r, M i c h e 1 s - Basel, G o 1 d s c h e i d - Wien, Mit-
terinaier - Giessen, Rene Worms- Paris, Edward Carpenter-
England, Finger- Halle, v. Liebermann - Pest, Klumker-
Frankfurt, Leppmann, S t e 1 1 h e i m - Tübingen, R u h 1 a n d -
Würzburg, V e i t - Halle, M e n g e - Heidelberg, Ziemann, Bro-
man - Lund, Havelock E 1 1 i s - London, Flournoy - Genf, U r s i n -
Finnland, S e r g i - Rom, G i n i - Padua, R o b e r t y - Petersburg,
T a 1 m e y - New York. Teilnehmerkarten zum Preise von 10 M. sind
für Nichtmitglieder der Internationalen Gesellschaft für Sexual¬
forschung Wochentags von 8 — 1 Uhr im Kongressbureau (Sanitätsrat
Dr. Mol 1, Kurfürstendamm 45) zu erhalten. Hier werden auch alle
sonstigen Anfragen mündlich oder schriftlich erledigt.
— Der nächste psychiatrische Fortbildungskurs an
der psychiatrischen Klinik in München findet vom 15. Februar bis
6. März 1915 statt. Näheres siehe Umschlag dieser Nummer S. 7.
— Cholera. Straits Settlements. In Singapore vom 26. April
bis 30. Mai 112 Erkrankungen und 72 Todesfälle. — Hongkong. Vom
17. Mai bis 6. Juni 1 Erkrankung und 1 Todesfall.
— Pest. Deutsch Ostafrika. In Muansa sind, zufolge nachträg¬
licher Mitteilung, in der Zeit vom 21. bis 26. Februar 3 Polizeiaskaris
an der Pest gestorben. Vom 11. bis 27. März wurden unter den dort
ansässigen Indern 3 Pestfälle festgestellt, davon 2 mit tödlichem
Ausgang; ferner ist am 18. März eine mit der Rattenvertilgung be¬
schäftigt gewesene Person der Pest erlegen. — Russland. Im Gouv.
Astrachan starben in der Siedelung Arschanskoje Tebe (Kalmücken-
Steppe) vom 31. Mai bis 5. Juni 5 Personen. In dem Orte Bulanai
sind seit Ende Mai im ganzen 10 pestverdächtige Erkrankungen mit
9 Todesfällen festgestellt worden. — Britisch Ostindien. Vom 31. Mai
bis 6. Juni erkrankten 3586 und starben 2271 Personen. — Nieder¬
ländisch Indien. Vom 3. bis 16. Juni wurden 620 Erkrankungen (und
555 Todesfälle gemeldet. — Hongkong. Vom 17. Mai bis 6. Juni
422 Erkrankungen (davon 251 in der Stadt Viktoria) und 361 Todes¬
fälle. — Senegal. Laut Mitteilung vom 15. Mai sind in Dakar unter
den Eingeborenen 12 Pestfälle festgestellt worden. — Venezuela. In
Miranda laut nachträglicher Meldung am 16. April 1 Todesfall. —
Ecuador, ln Guayaquil vom 1. bis 30. April 2 Erkrankungen. —
Havaii. In Honakaa am 11. Juni 1 Erkrankung und 1 Todesfall.
— In der 26. Jahreswoche, vom 28. Juni bis 4. Juli 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Eimvohner die grösste Sterblich¬
keit Jena mit 29,1, die geringste Berlin-Friedenau mit 3,3 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Königshütte, an Masern und Röteln in Ulm, an
Unterleibstyphus in Wiesbaden. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Frankfurt a. M. Nach einer Zusammenstellung der Strass¬
burger Post werden an der neuen Universität folgende Lehrkräfte
wirken: Innere Medizin: Schwenkenbecher; Chirurgie:
Rehn; Frauenkrankheiten: Walthard; Dermatologie: Herx-
heimer; Ohrenkrankheiten: Voss; Kinderkrankheiten: v. Met¬
ten heim er; Augenkrankheiten: Schnaudigel; Kehlkopfleiden:
Spiess; physikalische Therapie: Strassburger; Pharmako¬
logie; Ehrlich; Pathologie: Fischer; Psychiatrie: Sioli und
als Extraordinarius ; R a e c k e ; Neurologie : E d i n g e r ; physi¬
kalische Physiologie: Bet he (bisher Kiel); chemische Physiologie:
Ein b den; normale Anatomie: Göppert (bisher Marburg);
Hygiene: Neisser: klinische Neurologie: Knoblauch; experi¬
mentelle Therapie: Sachs; epxperimentelle Pathologie: Apolant;
Orthopädie: Lu dl off (bisher Breslau). Ausserdem sind noch zwei
Extraordinariate für gerichtliche Medizin und Pharmakologie und
zwei Lehraufträge für Zahnheilkunde vorgesehen. Die soziale Medi¬
zin wird bereits durch einen Privatdozenten (Ewald) gelehrt.
Halle a. S. Die medizinische Fakultät hat dem Direktor der
Universitätsohrenklinik in Jena, Prof. Dr. Wittmaak, die goldene
Schwartzemedaille verliehen. Die Medaille wird alle 5 Jahre
an den Verfasser der hervorragendsten in diesen fünf Jahren er¬
schienenen Arbeit auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde vergeben. —
Als Nachfolger für den nach Güttingen berufenen Direktor der Augen¬
klinik Prof. Dr. Eugen v. Hippel werden die Professoren Wolfgang
Stock in Jena und Franz Schirek in Königsberg von der Fakul¬
tät vorgeschlagcn.
.1 e n a. Als Nachfolger Prof. Gärtners auf dem Lehrstuhl
der Hygiene ist unico loco der Geh. Obermedizinalrat Dr. Abel,
Vortragender Rat in der Medizinalabteilung des Ministeriums des In¬
nern in Berlin vorgeschlagen.
Strassburg. Im Hörsaal des pathologisch-anatomischen In¬
stitutes wurde die Büste Friedrich von Recklinghausens ent¬
hüllt.
Tübingen. Privatdozent Prof. Dr. Walter Alb recht in
Berlin wurde zum ausserordentlichen Professor und Direktor der
Klinik für Nasen-, Ohren- und Kehlkopfkrankheiten als Nachfolger
Prof. Wagen häusers berufen.
Graz. Die Privatdozenten DDr. R. Hesse (Augenheilkunde)
und R. P o 1 1 a n d (Dermatologie und Syphiligraphie) erhielten den
Professortitel.
Grenada. Dr. A. Lecha-Marzo wurde zum Professor
der gerichtlichen Medizin ernannt.
Innsbruck. Zum Rektor der Universität für das Studien¬
jahr 1914/15 wurde der Professor der Anatomie, Dr. Rudolf Fick,
gewählt.
Kopenhagen. Dr. A. V. Lendorf wurde zum a. o. Pro¬
fessor der Chirurgie ernannt.
R o in. Als Privatdozenten habilitierten sich Dr. O. O d d i für
externe Pathologie, Dr. Massei V i 1 1 o (Oto-Rhino-Laryngologie).
(Todesfälle.)
In Berlin starb im 72. Lebensjahre der ausserordentliche Pro¬
fessor der Geburtshilfe und Gynäkologie, Geh. Medizinalrat Dr. Hein¬
rich Fasbender.
In Halle a. S. starb im Alter von 82 Jahren der Marine-General¬
arzt a. D. Dr. Edmund Metzner, früher Leibarzt Kaiser Friedrichs.
(Berichtigung.) In dem Bericht über die Sitzung der
pädiatrischen Sektion der Gesellschaft für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde vom 25. Juni 1914 in Nr. 27, S. 1535 d. Wschr. ist
als Vortragender über „Papaverin gegen Pertussis“ irr¬
tümlich Dr. F. R e a c h statt Dr. S. Beer genannt. B. gab nicht
Papaverin, hydrochlor. Roche 0,3: 1000,0, sondern 0,3: 100,0 Aqua.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 26. Jahreswoche vom 28. Juni bis 4. Juli 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 14 (16 ‘), Altersschw. (über 60 Jahre) 4 (6), Kindbettfieber 2(1),
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft — (1), Scharlach — (— ),
Masern u. Röteln 2 (3), Diphtherie u. Krupp — ( — ), Keuchhusten — (— ),
Typhus (ausschl. Paratyphus) — ( — ), akut. Gelenkrheumatismus — (— \
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) 2 ( — ), Starrkrampf — (1),
Blutvergiftung 2 ( — ), Tuberkul. der Lungen 19 (17), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 4 (6), akute allgem. Miliartuberkulose — (1), Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 7 (6), Influenza — ( — ), veneri¬
sche Krankh. 1 (1), and. übertragbare Krankh. : Pocken, Fleckfieber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpiizkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel¬
fieber usw. — ( — ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) 3 (— ), Alkoholis¬
mus — (— ), Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 2 (4), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane 9 (2), organ. Herzleiden 19 (26), Herzschlag, Herz-
lähinung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 4 (1), Arterienverkalkung
5 (2), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 2 (6), Gehirnschlag 5 (9),
Geisteskrank!). 1 (1), Krämpfe d. Kinder 2 (1), sonst. Krankh. d. Nerven¬
systems 2 (3), Atrophie der Kinder 4 (1), Brechdurchfall 2 (2), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 8 (10), Blinddarm-
entzünd. 4 ( — ), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 3 (2), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 6 (4), Nierenentzünd. 2 (7).
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 2 (3), Krebs 16 (14), sonst.
Neubildungen 4 (5), Krankh. der äuss. Bedeckungen 2 (— ), Krankh. der
Bewegungsorgane 2 (— ), Selbstmord 1 (1), Mord, Totschlag, auch
Hinricht. — ( — ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 4 (5),
andere benannte Todesursachen 3 (3), Todesursache nicht (genau)
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— ).
Gesamtzahl der Sterbefälle: 174 (171).
J) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von ]. P Lehmann in München S.W. 2. Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Die Münchener Medizinische Wochenschrift erscheint wöchentlich
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Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 30. 28. Juli 1914.
Originalien.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Erlangen (Vorstand: Prof.
L. S e i t z).
Ueber die biologische Funktion des Corpus luteum, seine
chemischen Bestandteile und deren therapeutische Ver¬
wendung bei Unregelmässigkeiten der Menstruation.
Von L. Seitz, H. Wintz und L. Fingerhut.
Das Corpus luteum, vor nicht allzulanger Zeit noch als
eine besonders geartete Narbe ohne jede biologische Be¬
deutung angesehen, ist in neuerer Zeit als ein hochwichtiges
rgan erkannt worden. Es ist vor allem das Verdienst von
Auf L doSen Forlschritt herbeigeführt zu haben.
Auf dem (jedanken Borns fussend versuchte er durch Tier¬
experimente und klinische Beobachtungen die Lehre zu be¬
gründen, dass das Corpus luteum es ist, das beim Weibe die
Menstruation auslost. Genaue histologische Studien der ver¬
schiedenen Phasen der Corpus-luteum-Entwicklung durch
?°Mer ■ T, Und C Ru^2)- R- Schröder3) und
J. Miller ) haben so gut wie sichergestellt, dass nicht, wie
™an f'uh.f.[ meinte, die Menstruation mit dem Platzen des
reifen Follikels einsetzt, also Ovulation und Menstruation zeit¬
lich zusammenfallen, sondern dass die Ovulation im Intervall
stattflnript H^gefahrn 1° Tage ,X0r Eintritt der Menstruation
stattfindet, dass sich dann ein Corpus luteum bildet und dass
W6nn d^ gulbe Körper se'ne volle Reife und sein
Blutestad.um erremht hat, durch das vom Corpus luteum ab-
gesonderte Hormon die Menstruation ausgelöst wird.
. M)t dieser Lehre ist die bisher überragende Bedeutung
^er E‘r^l upg’ der Ovulation, zwar nicht ganz beseitigt, aber
Joch bedeutend in den Hintergrund getreten und an seine Stelle
st das Corpus luteum in den Mittelpunkt der zyklischen Vor¬
gänge an den Genitalien gerückt. Der frühere Satz- Ohne
Jvulation keine Menstruation, muss jetzt heissen: Ohne Ovu-
feine MSrnSS‘,UteUm_Bild“"g U"d °hne Corp,,s Iuteum
Wenn die bisher vorgebrachten Anschauungen nunmehr
!'s wissenschaftlich hinreichend gesichert angesehen werden
mnnen, stossen wir aber sofort auf Schwierigkeiten, wenn wir
Pimn derMFrage beschäftigen, wie denn, durch
'CfenvMe(Chanismus- durch welche che-
n senen Kratte sich dieser merkwürdige, 4 wöchentlich
ich wiederholende, zyklische Vorgang vollzieht. Es hat nicht
i?ninaicSnChe£ gefehIt’ durch chemische Untersuchungen und
arefin FinmX nenm^ente daS,Dunkel zu lüften und einen
>• h i Fn\lck ia die verwickelten Verhältnisse zu erhalten.
S d 1]tedoch noch nicht gelungen, brauchbare und ein¬
stige Resultate zu erzielen.
Die Schwierigkeit liegt in den bisherigen Arbeitsmethoden.
•mhlPn°rnn’ nC Sldl b,fher mit dem biologisch-chemischen
roh lern der Ovanalfunkt.on und Menstruation beschäftigt
olilm laFei! mJ! Pr.esssaften oder mit wässerigen oder alko-
ohschen Extrakten des gesamten Eierstockes oder des Corpus
TT u 7 gearbeFet. Am schwierigsten zu beurteilen
.t die Wirkung der Presssäfte. Wir wissen nicht, was sie
nthahen, sie sind ein Mixtum compositum unbekannter
yn. V^n^s f 1591 " 68' I9°3' S‘ 438: 91‘ 19ia S- 705 und Zbl- f-
•) toh.SQGy„.1Im.%-.f:sArfh- '' °yn' ,0°- s- 1 ,,n<l 20'
n Arch. f. Oyn. 101. 1914. S. 568.
Nr 30.
Körper; von einer exakten, für die Beurteilung der Wirkungs¬
weise unentbehrlichen Dosierung kann keine Rede sein; wir
müssen mit der Möglichkeit anaphylaktischer Erscheinungen
» autolytische Vorgänge in den eiweisshaltigen Säften
r d Fau.ch bei vorsichtigster Handhabung nicht zu vermeiden.
S^ahnusse der A'itolyse und der parenteralen Eiweissver-
g,! ' gr haften auch den wässerigen Extrakten an. Die
alkoholischen Extrakte verursachen bei der Einspritzung
-dunerzen und führen leicht zu Abszessbildung. Neben der
Verschiedenheit der Extrakt- und Presssäftewirkung komm!
noch eine weitere Verschiedenheit hinzu. Der eine Autor hat
™ ;^p X akt de,s ganzen 0vars’ ein anderer mit dem
cxtiakt des Corpus luteum, ein dritter mit dem Extrakt nur
der Lierstocksubstanz ohne Corpus luteum gearbeitet. Bei
dieser Verschiedenheit der Versuchsanordnung und bei der
Verschiedenheit des verwendeten Materials ist es nicht ver¬
wunderlich, dass die Resultate der Autoren vielfach vonein¬
ander abweichen und sich teilweise direkt widersprechen.
• * * Uas ^einzige positive Resultat der mannigfaltigen Versuche
ist däs, dass es teils durch Verfütterung von Ovarialpräparaten,
teils durch Einspritzung von Extrakten gelungen ist, im Tier¬
experiment eine Hyperämie und Vergrösserung des Uterus
edwejse auch Blutungsaustritte an den Genitalien zu erzeugen
, A d 1 e l Uschner undG r igoresc u'J),S c h i c k e 1 e7)
scovesco Asciiner*)]. Adler und Schickele
konnten auch beim Menschen in 2 bzw. in einem Falle von
Amenorrhoe durch Verabreichung von Eierstocksubstanz und
Corpus luteum eine Menstruation auslösen. In der Mehrzahl
der Kranken freilich konnte Adler trotz reichlicher Gaben
von Ovarin keine Blutung herbeiführen.
Das sind Befunde, die alle Beachtung verdienen und die
kaum anders zu deuten sind, als dass im Ovar Substanzen ent-
halten sind, die einen besonderen Einfluss auf den Blutfüllungs¬
und Ernährungszustand des Uterus ausüben. Mehr lässt sich
bisher nicht sagen. Wir wissen nicht, ob die Substanzen aus
dem Ovar oder aus dem Corpus luteum oder aus dem Uterus
“ - T^11 ^Cht’ weIcher Art die wirksamen
Korpei sind Ja bei den Presssäften ist nicht einmal auszu-
schliessen, dass es sich um die Wirkung des eingespritzten
aitfiemden Eiweisses handelt.
Nur H e r r m a n n D hat es bisher versucht, den wirk¬
samen Körper chemisch schärfer zu fassen. Er hat auf dem
Gynakologenkongress in Halle (1913) berichtet, dass es ihm
(ohne nähere Angabe über die Herstellung) gelungen ist, aus
dem Corpus luteum einen Körper zu isolieren, „ein ungesättigtes
azetonloshches Pentaminphosphatid (N . b : P . *), ein Phos-
phatid, wie es bisher in keinem Organ und bei keiner Tier
sPez>es nachgewiesen worden ist“. Im Tierexperiment er¬
zeugte der Körper eine bedeutende Schwellung, Hyperämie
und Vergrösserung der Uterushörner. Ueber Erfahrungen am
Menschen hat der Autor bisher nicht berichtet. In einem Vor-
f"der W.i.ener Naturforscherversammlung [September
pfe,r llber weitere Tierversuche berichtet, die die
früheren Erfahrungen im allgemeinen bestätigen, aber doch
auch vielfach negative Resultate ergaben. Ueber die Sub-
5) Arch. f. Qyn. 95. 1911. S. 391.
_) Arch. f. Gyn. 94. H. 3.
' Arch. f. Gyn. 97. 1912. S. 408.
) Arch. f. Qyn. 99. 1913. S. 534.
1913. II S Iss!11”86” dCr Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie 15.
f. Gyn IN9ai3UNnS42CS 1563 Aerzteversammlung zu Wien 1913. Zbl.
1
1658
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
stanz selbst und über Erfahrungen beim Menschen hat der
Autor auch in diesem Vortrage nichts mitgeteilt.
Als wir uns vor SU Jahren an die Bearbeitung der Frage
machten, war uns nach dem vorher Ausgeführten klar, dass
die treibenden Kräfte der menstruellen Vorgänge im Corpus
luteum selbst zu suchen sind und dass die Ovarialsub-
stanz entweder gar nicht oder höchstens nebensächlich in Be¬
tracht kommt.
Schon die mikroskopische Betrachtung des Corpus luteum
zeigt, dass seine Zellen eine grosse Menge fettähnlicher Sub¬
stanzen enthalten, die bei Osmiumanwendung und auch
bei den gewöhnlichen Färbemethoden durch den gelben Farb¬
stoff, das Lutein, leicht erkenntlich sind. Dieser gelbliche fett¬
ähnliche Stoff ist wenigstens in dieser Form dem Corpus
luteum eigentümlich und muss für seine Funktion eine Be¬
deutung haben. Denn es wäre absurd, anzunehmen, dass der
Organismus eine solche Menge so typisch aussehender Lipoide
ohne bestimmten Zweck produziert.
Bei der Suche nach diesen Stoffen legten wir das Haupt¬
gewicht darauf, in erster Linie alle vorerwähnten Fehler¬
quellen auszuSchalten und möglichst mit von unnötigen und
schädlichen Beimengungen befreiten Stoffen zu arbeiten. In
2. Linie kam es uns auf eine exakte und gleichmässige
Dosierung an. Denn nur so lassen sich in ihrer biologischen
Wirkungsweise bisher unbekannte Stoffe am lebenden Objekt
einwandfrei prüfen. Als letzte Forderung musste das Präparat
zur Injektion geeignet, reizlos an der Injektionsstelle und halt¬
bar sein. Die Injektion bevorzugen wir deshalb vor der
oralen Verabreichung, weil nur unter Umgehung des Magen¬
darmkanals solch labile Stoffe möglichst rein in die Blutbahn
kommen.
Das geeignete Rohmaterial bildet das Kuhovar. Hier ist
das Corpus luteum durch eine feste bindegewebige Schicht
gegen das übrige Ovarium abgegrenzt und lässt sich ohne
Mühe als ganzes ausschälen. Um jegliche Zersetzung des Roh¬
materials zu vermeiden, wurde das Corpus luteum sofort nach
der Schlachtung der Tiere von einem angelernten Schlacht¬
hofaufseher in bereitgestellten Alkohol in dunklen Flaschen
aufgehoben11). Wenn eine genügende Menge Corpora lutea
gesammelt war, wurden sie maschinell zerkleinert und durch
Extraktion mit Alkohol, Chloroform, Aether und Azeton die
Lipoide des Corpus luteum fraktioniert dargestellt. Nach
Abdampfung der Extraktionsflüssigkeit wurden die Restrück¬
stände der einzelnen Lipoidgruppen auf ihre charakteristische
Lösungsmöglichkeit untersucht. Es wurden die alkohol-,
Chloroform- und azetonlöslichen bzw. unlöslichen Bestandteile
getrennt, ebenso auch das Cholesterin für sich nach Wind¬
aus bestimmt; schliesslich, um ein injektionsfertiges Präparat
zu gewinnen, wurde als Lösungsmittel fettes Oel benützt. Die
einzelnen Lipoidgruppen wurden experimentell in ihrer öligen
Lösung untersucht und schliesslich fanden wir nach mehrfacher
Reinigung als wirksamste Komponente ein Lipoid, das in
Alkohol unlöslich ist, in Aether und Azeton löslich und kein
Choelsterin mehr enthält und das wir als L u t e o 1 i p o i d be¬
zeichnen.
Wir studierten zuerst die biologischen Eigenschaften des
Luteolipoids in ihrer Einwirkung auf den Tierkörper und
konnten feststellen, wie wir bereits an anderer Stelle 12) be¬
richteten, dass beim Kaninchen durch Einspritzung von Luteo-
lipoid eine Verkürzung der Gerinnungszeit des Blutes eintritt,
also das Blut rascher als sonst gerinnt. Spritzt man das Luteo-
lipoid beim nichtkastrierten Tiere ein, so findet eine Beschleuni¬
gung der Blutgerinnung weit über die Norm hinaus statt; bei
kastrierten Tieren, bei denen infolge des Verlustes des Eier¬
stocks die Gerinnungszeit, wie auch L. Adler gefunden hat,
verlangsamt ist, stellt sich nach der Einspritzung des Luteo¬
lipoids wieder normale Gerinnungszeit ein. Wir sind also auf
chemisch-biologischem Wege im Experiment imstande, die
Veränderung in der Blutgerinnung, die durch den Verlust des
Ovars eingetreten ist, künstlich durch subkutane Einverleibung
11) Wir sind der Schlachthausdirektion in Nürnberg und nament¬
lich Herrn Bezirkstierarzt Dr. Karl in Bamberg für ihr liebens¬
würdiges Entgegenkommen zu grösstem Danke verpflichtet.
12) Sitzung der Bayerischen Gesellschaft für Gynäkologie, Ja¬
nuar 1914.
des Luteolipoids aufzuheben. Da dieser Stoff ein regelmässiger
Bestandteil des Corpus luteum ist, liegt es nahe, anzunehmen,
dass das Corpus luteum im wesentlichen auch beim Weibe
die Veränderung in der Blutgerinnung, die zwichen kastrierten
und nicht kastrierten Frauen besteht, bewirkt. Im Blutbild
tritt nie eine Veränderung, weder Leukozytose, noch Leuko¬
penie ein. An den Genitalien konnten wir bei langdauernder
Injektion eine Hyperämie mässigen Grades ohne Vergrösse-
rung des Uterus erzielen, die jedoch lange nicht die Stärke
erreichte, wie sie frühere Autoren bei ihren Extrakten und
Presssäften beobachteten. Wohl aber gelang es uns, mit einem
zweiten von uns aus dem Corpus luteum isolierten Stoff, von
dem wir später noch sprechen werden, diese Erscheinungen
der Hyperämie und Vergrösserung des Uterus in einem viel
ausgesprochenerem Masse und mit stets gleicher Regelmässig¬
keit hervorzurufen.
Als wir uns von der völligen Ungefährlichkeit des Mittels
hinreichend überzeugt hatten, wendeten wir es nach voraus¬
gegangener Injektion am eigenen Körper in ausgedehntem
Masse bei Frauen an. Wir haben das Präparat nunmehr in
über 200 Fällen angewendet, davon haben wir 50 seit
% Jahren dauernd in Beobachtung und Kontrolle. Eine Ver¬
änderung in der Blutgerinnung Hess sich beim Menschen in
den von uns angewendeten Dosen, die nur einen geringen Teil
der im Tierexperiment verabreichten Mengen umfassten, nicht
nachweisen. Erst nach dreiwöchentlichem Gebrauch sahen
wir in einem Falle von Kastration, bei der sowohl eine Ver¬
langsamung der Blutgerinnungszeit als auch ein erhöhter Blut¬
druck bestand, die Blutgerinnung und den Blutdruck zur Norm
zurückkehren. Das Blutbild erfuhr niemals eine Veränderung.
Dagegen fiel eine Wirkung des subkutan eingespritzten
Luteolipoids gleich bei den ersten Anwendungen bei men¬
struierenden Frauen deutlich auf, das ist die blutungs-
he mm ende Wirkung des eingespritzten Prä¬
parats während der Menstruation. Es zeigte sich
aber alsbald, dass nicht alle menstruierenden Frauen in gleicher
Weise prompt auf das Präparat reagierten und wir waren vor
die Aufgabe gestellt, festzustellen, bei welchen die Einspritzung
Erfolg hat und bei welchen sie versagt.
Wir möchten zuerst diejenige Gruppe von Frauen nennen,
bei denen das Lipoid in seiner Wirkung versagt. Hierher ge¬
hören alle Kranke, die Blutungen haben, die mit der
Menstruation nichts zu tun haben. Also Schwan¬
gerschaftsblutungen, Karzinomblutungen, Blutungen aus Po¬
lypen etc. Die Wirkungslosigkeit des Extraktes bei diesen
Blutungen ist ohne weiteres verständlich, da es sich um etwas
prinzipiell von der Menstruation Verschiedenes handelt.
Eine 2. Gruppe, in der das Lipoid versagt, sind Frauen
mit entzündlich enVorgängen im Beckenperitoneum
mit Erkrankung der Adnexe, namentlich Pyosalpingen. Vor
allem gilt dies, solange die Entzündungen noch akuten oder
subakuten Charakter tragen. Dagegen haben wir bei entzünd¬
lichen Erscheinungen, die völlig zur Ruhe gekommen sind,
eine deutliche Einwirkung beobachten können.
Im Gegensatz zu diesen negativen Fällen ist das Luteo-
lipoid nach unseren Erfahrungen stets dann wirksam,
wenn Menorrhagien ohne organische Ver¬
änderungen vorhanden sind, also alle jene Fälle,
die man bisher unter die funktionellen Störungen
zu rubrizieren pflegte. Bei der gynäkologischen Untersuchung
findet man normales Genitale oder leicht hypoplastische
Zustände.
Die Hauptdomäne der Luteolipoidtherapie sind die
Pubertätsblutungen, die nicht selten durch ihre Un-
stillbarkeit Arzt und Patientin zur Verzweiflung bringen und
sogar gelegentlich die Exstirpation des Uterus notwendig
machen. Nach unseren bisherigen Erfahrungen ist zu hoffen,
dass es mit dem Luteolipoid gelingt, die jugendlichen
Patientinnen vor diesem verstümmelnden Eingriff in Zukunft
zu bewahren 12*).
Im Maiheftc der Therap. Monatshefte (191j^S. 347) berichtet
Landsberg aus der Veit sehen Klinik, dasF er bei 7 Fällen
von Pubertätsblutungen und bei 1 klimakterischen Blutung mit einem
aus dem Corp. lut. verum von Hoffmann-L. a Roche her¬
gestellten Präparat, Veroglandol genannt, gute Erfolge erzielt hat.
?8. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1659
Wir haben bisher 10 solch jugendliche Kranke behandelt,
iei denen früher durch Ausschabung und durch andere Mass-
lahmen vergeblich die Blutung zu stillen versucht wurde. Der
ausführliche Bericht über die Einzelheiten der Fälle soll ebenso
.vie alle übrigen Belege demnächst im Arch. f. Gyn. gebracht
erden. Hier seien nur ein paar typische Krankengeschichten
uit Blutungskurven als Beweis angeführt (Fall 1—3).
'abeUe) * * ^ ’ ^ Jahre (s. auch Kurve 1 der beiliegenden
Menarche mit 13 Vi Jahren, Menses unregelmässig, alle 3 bis
‘ oc ! ,n.’.. r? der letzten Zeit stärkere Blutungen, im Februar eine
tarke ^tägige Blutung; schwächliche Konstitution, leicht ver-
rosserte Schilddrüse, Hb 88 Proz., Polymorphe 55 Proz., Lympho-
vten 35 Proz^ Mononukleare 4 Proz., Uebergangszellen 2 Proz.,
lastzellen 1 I roz., Eosinophile 3 Proz., Uterus anteflektiert,, gut
ntwickelt, Adnexe frei.
Am 17. März ganz starke Blutung mit Abgang von Koageln
ommt mit den Litern in die Klinik, es wird eine Ausschabung zur
h.11““* ^er bedrohlichen Blutung vorgeschlagen, jedoch strikte ab-
elehnt, daher Injektion von 2 mal 4 ccm Luteolipoid im Laufe des
ages, abends Blutung bis auf geringe Spuren verschwunden
vurvej, reist wieder nach Hause, dort besteht noch 2 Tage lang
Blutabgang, dann völliges Sistieren. In der Zwischenzeit
erkt Patientin von Zeit zu Zeit am Hemde Spuren von Blut.
Nach 5 Wochen erneute starke Blutung, kommt am Ende des
I ages in die Klinik und lässt sich aufnehmen. Nach Injektion von
c<=m ' wird die Blutung gering, dauert in verminderter Form (Kurve)
,ch 3...jage |n weshalb auch an diesen Tagen und am Tage nach
■m völligen Sistieren Luteolipoid eingespritzt wird. Die Einspritz¬
igen über die Periode hinaus werden in der Absicht fortgesetzt
n auch die kleinen intermenstruellen Blutabgänge zu beseitigen'
as auch gelang. s ’
Fall 2. J.-Nr. 424. Frl. G„ 14 Jahre alt.
Regel: Patientin leidet alle 14 Tage an sehr starken Blutungen.
e Blutungen bestehen nunmehr seit einem Jahr, kehren genau alle
Tage wieder und dauern 8 Tage. Patientin war mehrfach in Be-
n ung ' typticin und Styptol, sowie Sekalepräparate per os und
r inject, hatten keinen Erfolg.
Befund. Portio sieht nach hinten, Corp. ut. anteflektiert, nicht
rgrossert, auch nicht zu klein.
Regel: 9 IV Beginn einer mässig starken Blutung
10. IV. Starke Blutung.
11. IV. Sehr starke Blutung.
12. IV. Starke Blutung.
13. IV. Etwas geringer werdende Blutung.
14. IV. Mässig starke Blutung.
- 15- IV. Geringer werdende Blutung, hört im Laufe des
ges auf.
Regel 28. IV. Mässig starke Blutung. 6 Uhr abends 1 Amp
Lteolipoad.
r. 29- Geringer werdende Blutung. 8 Uhr morgens 1 Amp.
1 teolipoid. 6 Uhr abends: Blutung wird im Laufe des Tages ge-
£>cr.
39- !.Y- 8 Vhr m°rgens 1 Amp. Luteolipoid. 12 Uhr 1 Amp
- eolipoid 6 Uhr abends 1 Amp. Luteolipoid. Die Blutung wird im
- lfe des Iages immer geringer.
\ 8 Hhr 1 ^mP- Luteolipoid. Die Blutung hört ganz auf
18 V. Massig starke Blutung. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid.
' ihr 1 Amp. Luteolipoid.
o y.' 9,efit!ge.r Awerdende Blutung. 8 Uhr morgens 1 Amp.
. eobpoid. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. 6 Uhr abends 1 Amp. Luteo-
Geringe Blutung. 8 Uhr morgens 1 Amp. Luteolipoid.
• Jhr 1 Amp. Luteolipoid. 2 Uhr mittags: die Blutung hört ganz auf.
Fall 3. J.-Nr. 866. Frl. Gr. H., 16 Jahre alt.
i a :uMe^arche 12 Jahren. Anfänglich immer regelmässig,
4 Wochen, 8— 10 Tage dauernd. Seit einem Jahre wiederholt sich
Regel alle 14 Jage, dauert 7 — 8 Tage, an den ersten 2 Tagen be-
eders grosse Schmerzen.
Befund: Nullipara deflorata. Mm. virginell. Corp. uteri ante-
< iert, nicht vergrössert, beweglich, Adnexe vollkommen frei.
Rege!: I X. Beginn einer ziemlich starken Blutung.
2. x. Sehr starke Blutung, starke Schmerzen.
3. X. Blutung nimmt noch zu.
4. X. Sehr starke Blutung.
5. X. Blutung wird etwas geringer.
6. X. Blutung nimmt weiter ab.
7. X. Blutung hört gegen Abend auf.
Rege!: 24 X. Beginn einer mässig starken Blutung
25. X. Sehr starke Blutung.
26. X. Sehr starke Blutung.
27. X. Blutung hält weiter an.
28. X. Starke Blutung.
29. X. Blutung wird etwas geringer,
fcehör*' Blutung Iässt weiter nach und hat am Abend vollständig
Regel: 10. XI. Beginn einer mässig starken Blutung.
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1*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 30.
1660
11. XI. Massig starke Blutung.
12 XI 8 Uhr morgens 1 Amp. Luteohpoid. 12 Uhr 1 Amp.
Luteolipoid. Die Blutung wird bedeutend geringer und die Schmer¬
zen haben vollständig nachgelassen.
13 XI. Blutung hat gegen Morgen ganz aulgehort.
Regel: 1. XII. Beginn einer geringen Blutung.
2. XII. Die Blutung steigt noch etwas an.
3. XII. Am Morgen massig starke Blutung. 8 Uhr 1 Amp Luteo¬
lipoid. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Nach den Injektionen ist die Blu¬
tung geringer geworden, es sind keine Schmerzen vorhanden.
4. XII. 8 Uhr morgens 1 Amp. Luteolipoid. Geringe Blutung.
4 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Am Abend ist die Blutung vorüber.
Regel: 17. XII. Es beginnt eine geringe Blutung.
18. XII. Die Blutung wird kleiner und hört am
19. XII. morgens ganz auf.
Der Zwischenraum der letzten 3 Perioden ist entschieden grosser
geworden, die Stärke der Blutung hat sich vermindert, die Schmer¬
zen sind vollständig verschwunden.
Regel: 2. I. Geringe Blutung, keine Schmerzen.
3. I. Die Blutung steigt noch etwas.
4. 1. Mässig starke Blutung, die sich im Laufe des Tages ver¬
mindert und am Morgen des
5. I. gänzlich aufgehört hat.
Regel: 24. 1. Es tritt eine mässige Blutung ein.
25. I. Die Blutung nimmt zu. Mittags starke Blutung.
26. I. Morgens starke Blutung. 8 Uhr 1 Amp. Luteolipoid.
12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Die Blutung lässt nach.
27 I. Morgens geringe Blutung 10 Uhr 1 Amp. Luteolipoid.
4 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Gegen Abend ganz geringe Blutung.
28 I. Morgens: die Blutung klingt langsam aus.
Es wird 6 Tage vor der nächsten Regel mit Injektion von Luteo¬
lipoid begonnen, und zwar an 2 I agen, einmal 3 und einmal 2 Amp.,
um zu sehen, ob die kommende Periode dadurch zu beeinflussen sei,
in bezug auf Dauer und Stärke.
21. II. Tritt eine geringe Blutung ein.
22. II. Blutung nimmt zu.
23 II. Mässig starke Blutung. 5 Uhr abends 1 Amp. Luteo¬
lipoid. 7 Uhr abends 1 Amp. Luteolipoid. Die Blutung nimmt lang¬
sam ab.
24. II. Geringe Blutung.
25. II. Die Blutung nimmt weiter ab.
26. II. Morgens hat die Blutung gänzlich aufgehört.
14. III. 3 Amp. Luteolipoid.
20. III. Eintritt einer mässig starken Blutung.
21. III. Mässige Blutung.
23. III. Die Blutung nimmt ab. 10 Uhr, 12 Uhr, 4 Uhr je 1 Amp.
Luteolipoid.
24. III. Morgens hört die Blutung gänzlich auf.
Regel: 24. IV. Geringe Blutung.
25. IV. Mässige Blutung.
26. IV. Etaws stärker werdende Blutung.
27. IV. Ziemlich starke Blutung. 8 Uhr 1 Amp. Luteolipoid.
10 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Im Laufe des
Nachmittags und Abends nimmt die Blutung bedeutend ab.
28. IV. Früh mässig starke Blutung. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid.
4 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Die Blutung lässt weiter nach.
PO tv nie Blutung versiegt im Laufe des Tages vollständig.
Verstärkte Blutungen ohne nachweisbare
organische Erkrankungen (bisher 26 Beobachtungen)
kommen ausser der Entwicklungszeit auch noch im spä¬
teren Leben vor. Manchmal kann man klein-zystisch ver-
grösserte Ovarien nachweisen. Häufiger ist gar nichts an den
Genitalien zu finden. Auch hier haben wir mit den Luteolipoid-
einspritzungen recht günstige Erfolge erzielt und zum Belege
seien folgende Krankengeschichten angeführt (Fall 4 — 8).
Fall 4. J.-Nr. 307. Frau Fr., Il.-para. Uterus von gewöhn¬
licher Grösse, Psychasthenie, kräftiger Körperbau, Hb. 90 Proz.
Periode alle 4 Wochen, früher 5 Tage dauernd, nunmehr 7 Tage,
sehr stark, Abgang von Klumpen, ärztlich beobachtet, hat nach der
letzten Periode 5 K> Pfund abgenommen. Eine bewegliche Retroflexio
uteri wurde von anderer Seite durch Alexander-Adams kor¬
rigiert, ohne jeden Erfolg.
Am 9. 11. Einspritzung von 4 ccm Luteolipoid am 1. Tage der
starken Menstruation (Kurve) in der Klinik, darauf beträchtliche Ver¬
minderung der Blutung, die unter Fortsetzung der Einspritzungen,
am 2. Tage 4, am 3. Tage 2 ccm. bereits am 3. Tage völlig verschwin¬
det. Auch die unangenehmen Rückenschmerzen während und nament¬
lich nach der Periode blieben aus. Pat. ist entzückt.
Am 7. III. Eintritt der Menses, alsbald wenige Stunden nach Ein¬
setzen der Blutung ambulatorisch Einspritzung von 4 ccm mit dem
Erfolg, dass die Blutung nur mehr gering vorhanden war und am
3. Tage ganz verschwand.
Bei den nächsten Menses (6. IV.) keine Einspritzung, die Blutung
ist geringer als früher, verschwindet mit 3 Tagen, Rückenschmerzen
nach den Menses. Die verminderte Blutung ist auf Grund mehrerer
ähnlicher Erfahrungen noch als eine Folge der früheren Luteolipoid-
verabreichung aufzufassen. Bei den nächsten 2 Perioden (4. V. und
26. V.) werden ambulatorisch wieder 4 ccm gleich wenige Stunden
nach Einsetzen der Blutung mit gleichem Erfolg auf die Blutung
gegeben.
Fall 5. J.-Nr. 107. Frl. PL, 31 Jahre alt.
Regel- Menarche mit 14 Jahren, immer regelmassig. 7—8 läge
dauernd, die ersten 4-5 Tage sehr stark. Starke Kreuzschmerzen.
Befund: 1 Partus, Mm. quergespalten, Corp. uteri anteflektiert.
nicht vergrössert. . _.
Regel- 13. 1. Starke Schmerzen, massige Blutung.
14. I. Sehr starke Blutung, starke Schmerzen.
15. I. Sehr starke Blutung.
16. I. Sehr starke Blutung.
17. I. Mässig starke Blutung.
18. I. Mässig starke Blutung.
19. I. Aufhören der Blutung.
?2 II Starke Schmerzen. 1 Amp. Luteolipoid. (versuch, ob
durch Injektion des Präparates vor der Periode diese beeinflusst
wird.) , T .,
23. II. Starke Schmerzen. 1 Amp. Luteolipoid.
24. 11. Keine Schmerzen mehr.
25 11. Keine Schmerzen mehr.
26. II. 2 Uhr mittags mässige Blutung, keine Schmerzen.
27. 11. Starke Blutung, keine Schmerzen.
28. II. Sehr starke Blutung.
1. 111. Mässig starke Blutung.
2. 111. Geringer werdende Blutung.
3. 111. Die Blutung hört auf. .....
Durch die Einspritzung von 2 Ampullen Luteolipoid bereits
3 Tage vor der Menstruation wurden also sowohl die Stärke und
Dauer der Blutung als auch die Schmerzen günstig beeinflusst.
Fall 6. J.-Nr. 982. Frl. G., 24 Jahre alt.
Regel: 1. Regel mit 16 Jahren, seit dem 22. Jahre alle 3 Wochen,
8 Tage dauernd, sehr starker Blutverlust, blutet bei der Aufnahme
seit 3 Monaten ununterbrochen, in den letzten
14 Tagen sehr stark.
Befund: Nullipara deflorata, Uterus anteflektiert, nicht ver¬
grössert, beweglich. Adnexe anscheinend frei.
10. XII. Mittelstarke Blutung.
11. XII. Starke Blutung.
12. XII. Morgens starke Blutung. 8 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Die
Blutung lässt im Laufe des Tages nach. 8 Uhr abends 1 Amp. Luteo¬
lipoid.
13. XII. Morgens keine Blutung mehr.
1. I. Einsetzen einer mittelstarken Blutung mit nach unten
ziehenden Kreuzschmerzen.
2. I. 6 Uhr starke Blutung. 8 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Die
Kreuzschmerzen hören auf. Versiegen der Blutung im Laufe des
Tages. Abends mässige Blutung.
3. I. 6 Uhr geringe Blutung. 8 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. hast
gänzliches Aufhören der Blutung im Laufe des Tages.
4. I. Ganz geringe Blutung.
5. I. Morgens keine Blutung mehr.
6. I. Morgens einstündige Blutung.
18. I. Mässig starke Blutung mit starken Kreuzschmerzen.
19. I. Blutung etwas stärker, Schmerzen bestehen fort.
20. I. Starke Blutung. 10 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Blutung
lässt nach 2 Stunden nach, Schmerzen hören auf.
21. I. 8 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Blutung hört auf.
24. I. Einstündige Blutung. 1 Amp. Luteolipoid.
25. I. Geringe Blutung.
26. I. Morgens stärkere Blutung. 10 Uhr 1 Amp. L.uteolipoid.
Abends mässige Blutung.
27. I. Mässige Blutung im Lauf des ganzen Tages. 10 Uhr
1 Amp. Luteolipoid. 4 Uhr 1 Amp. Luteolipoid.
28. I. Geringe Blutung.
29. I. Aufhören der Blutung.
18 II. Einsetzen einer mässig starken Blutung mit geringen
Kreuzschmerzen
19. II. Morgens etwas stärkere Blutung. 10 Uhr 1 Amp. Luteo¬
lipoid. Mässige Blutung im Laufe des Tages.
20. II. Geringe Blutung. 10 Uhr morgens 1 Amp. Luteolipoid.
6 Uhr morgens 1 Amp. Luteolipoid.
21. II. Aufhören im Laufe des Tages.
Fall 7. J.-Nr. 855. Frau Fi., 27 Jahre alt.
Regel: 1. Regel mit 16 Jahren, regelmässig alle 4 Wochen.
4 Tage dauernd; seit % Jahr nicht mehr regelmässig, 10 — 20 Tage
dauernd, manchmal nur mit 8 oder 14 Tagen Zwischenraum.
2 Abrasionen brachten keine Aenderung.
Befund: Multipara, Uterus anteflektiert, beweglich, nicht ver¬
grössert, Adnexe sicher vollständig frei und auch nicht druckemp¬
findlich.
Regel: 14. X. Beginn einer mässig starken Blutung.
15. X. Starke Blutung.
16. X. Sehr starke Blutung.
17. X. Sehr starke Blutung.
18. X. Sehr starke Blutung.
19. X. Starke Blutung.
20. X. Mässig starke Blutung.
21. X. Starke Blutung.
28. Juli 1914
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCH ENSCH R I ET.
22. X. Starke Blutung.
23. X. Starke Blutung.
24. X. Starke Blutung.
25. X. Massig starke Blutung. 12 Uhr 1 Arnp. Luteolipoid,
i Uhr I Amp. Luteolipoid. Die Blutung nimmt langsam ab.
26. X. Die Blutung nimmt weiter ab.
26. X. Nachts hat die Blutung gänzlich aufgehört.
Regel. 21. XI. Massig starke Blutung, ziehende Schmerzen.
22. XI. Zunehmende Blutung, 3 Amp. Lipamin versuchsweise.
23. XI. Starke Blutung, die Schmerzen sind aber vollständig
erschwunden. 1 Amp. Luteolipoid.
24. XI. Früh geringe Blutung. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Die
Hutung hat am Abend ganz aufgehört.
25. XI. Gegen Mittag mässige Blutung. 2 Uhr 1 Amp Luteo-
ipoid. Sofortiges Abfallen der Blutung.
26. XI. Geringe Blutung.
27. XI. 8 Uhr früh 1 Amp. Luteolipoid.
27. XI. Versiegen der Blutung.
Regel: 1 rotzdem die Frau ihrer Beschäftigung nachgeht, tritt
icht mehr wie früher eine vorzeitige Blutung auf, sondern die Re<*el
teilt sich nach 28 I agen ein, und zwar schmerzlos.
17. XII. Mittelstarke Blutung.
18. XII. Starke Blutung. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. 2 Uhr
Amp. Luteolipoid. Abends: Geringerwerden der Blutung
19. XII. Mässige Blutung.
20. XII. Vormittags 2 Amp. Luteolipoid. Versiegen der Blutung.
Fall 8. J.-Nr. 89. Frau Str., 28 Jahre alt.
Regel: 1. Regel mit 13 Jahren, regelmässig alle Wochen, in den
tzten Jahren 8 — 10 Tage dauernd und anfangs sehr stark — dabei
Junerzen im Kreuz und in den Seiten nach unten ziehend
Regel vom 20. XII. bis 30. I.
Uterus nicht vergrössert, beweglich, geringe Inflammation der
igamenta sacro-uterina.
21. I. Regel, gegen Abend starke Blutung. 12 Uhr versuchs¬
eise 1 Ampulle Lipamin. 4 Uhr 1 Ampulle Lipamin. 6 Uhr 1 Am-
ille Lipamin. 8 Uhr die Schmerzen haben ziemlich nachgelassen
tarke Blutung).
22. I. 6 Uhr morgens starke Blutung. 8 Uhr 1 Ampulle Luteo-
ioid. 12 Uhr 1 Ampulle Luteolipoid. 4 Uhr es besteht nur noch
ringe Blutung.
23. I. Geringe Blutung.
24. I. morgens: keine Blutung mehr.
Nach unseren Erfahrungen bei den Pubertätsblutungen
ld Menorrhagien ohne organische Veränderungen erstreckt
-h in vielen Fällen die W irkung über die jeweilige
e r i o d e hinaus. Es ist uns wiederholt vorgekommen, dass
mentlich bei öfters wiederholten Einspritzungen die früher
starken Menses ohne spätere Einspritzung die gewöhnliche
ärke annahmen und die früher zu häufigen Blutungen wieder
s regelmässige Intervall von 4 Wochen einhielten (z. B.
irve 7). Man muss daraus schliessen, dass das Luteolipoid
• tweder einen den Eierstock tonisierenden Einfluss hat, so
iss dieser seine Funktion besser erfüllen kann, oder dass die
loffe länger im Organismus zurückgehalten werden und
' rksam bleiben; Analogien für letztere Annahme hat man in
(r Tatsache, dass die Ausfallserscheinungen meist erst 4 bis
(Wochen nach der Kastration eintreten und in der längeren
1 chwirkung von Oophorintabletten bei Ausfallserscheinungen
r ch Kastration.
Etwas anders verhalten sich die klimakterischen
: “tungen (15 Beobachtungen). Sie reagieren auf die sub-
'tane Einspritzung des Luteolipoids öfters nicht und wir
•issten dann die bisher gebräuchliche Therapie durchführen,
'ch unseren bisherigen Erfahrungen verhalten sich die Fälle
it verkürzter Blutgerinnungszeit refraktär, dagegen reagieren
nacn mit verlangsamter Blutgerinnungszeit meist prompt
i die Einspritzung.
Will man bei nicht organisch bedingten Menorrhagien Er-
• ■te mit dem Luteolipoid erzielen, so muss man eine he¬
mmte Anwendungsweise beobachten. Am wirksamsten ist
L Luteolipoid dann, wenn man es bereits vor Ein-
itt der Periode möglichst 1 — 2 Tage vorher
n s p r it z t (s. a. Kurve 5). Die Stoffe verrhögen hier
mbar noch am besten ihre blutungshemmende Wirkung zu
talten. Auch am ersten Tage der Blutung ist die Wirkung
s gute, am zweiten und in den späteren Tagen schwächt
i die Wirkung entschieden schon ab und man muss grössere
'ngen verabreichen, um zum Ziele zu kommen. Die ge¬
ldliche Dosis, die wir eingespritzt haben, ist 2 ccm in der
he und die gleiche Menge abends. Manchmal haben wir
• h die doppelte Dosis injiziert. Diese Dosen sind in den
* hstfolgenden lagen bis zur Wirkung zu wiederholen.
1661
Bei der Injektion sind einige, für den Erfolg wichtige Momente
zu beachten: Es ist zweckmässig, die Ampulle vor der Einspritzung in
warmes Wasser zu legen, um die Lipoide auf Körperwärme zu
bringen. Zum Einziehen braucht man eine weitkalibrige Kanüle, weil
sich sonst die ölige Flüssigkeit nicht einziehen lässt. Die Spritze
uart nicht in Alkohol aufbewahrt und desinfiziert sein, weil sonst eine
rallung der aktiven Substanzen cintritt. Man gebraucht am besten
eine trocken sterilisierte Spritze oder spritzt die im Alkohol gelegene
spntze vor dem Gebrauch noch mit Aether, in dem der Stoff löslich
ist, gründlich durch. Die Injektionen werden in die Glutäalgegend
gemacht, man kann jedoch aber auch jede andere Körperstelle wählen,
da die Injektionen völlig schmerzlos sind und Infiltrationen ausbleiben.
Lue Losung hält sich nach unseren Erfahrungen dauernd.
Wenn man sich fragt, wodurch die blutstillende Wirkung
des Luteolipoids zustande kommt, so ist es naheliegend, eine
Wirkung ähnlich dem des Sekale oder des Hydrastis durch
Einwirkung auf die glatte Muskulatur der Gebärmutter anzu¬
nehmen. Diese Art der Wirkung können wir auf Grund
unserer klinischen und tierexperimentellen Erfahrungen aus-
schliessen. Am durch Laparotomie freigelegten Tieruterus
sahen wir nach der Injektion nie Kontraktionen auftreten.
Auch am feinsten Reagens auf dergleichen Stoffe, am kreissen¬
den Uterus, fielen die Injektionsversuche völlig negativ aus,
die Wehen wurden nicht verstärkt. Einen ganz klaren Ein¬
blick in die Art der Wirkung des Luteolipoids konnten wir
bisher nicht bekommen. Die blutgerinnungsbeschleunigende
Wirkung des Luteolipoids spielt sicherlich keine wesentliche
Rolle. Wir möchten das gegenüber jenen Autoren besonders
betonen, die auf Veränderungen in der Blutgerinnung und im
Blutdruck bei den Injektionsversuchen so grossen Wert legen.
Wir konnten bei den beim Menschen angewendeten gewöhn¬
lichen Dosen keine Veränderung in der Blutgerinnungszeit fest¬
stellen und mit den gewöhnlichen Messmethoden keine Schwan¬
kungen im Blutdruck beobachten. Wir vermuten, dass es sich
um eine beschleunigte Rückbildung der kleinen Uterusgefässe,
parallelgehend der verlangsamten physiologischen, handelt.
Fall 9. J.-Nr. 414. Frau Tr., 40 Jahre alt. Myome.
Regel: 1. Regel mit 15 Jahren, regelmässig alle 4 Wochen, Dauer
o — 4 Tage.
Befund: Portio normal, Uterus anteflektiert, beweglich. Uterus
zeigt an der Vorderfläche 2 walnussgrosse Prominenzen.
Regel: 3. V. Geringe Blutung.
4. V. Mässig starke Blutung.
5. V. Mässig starke Blutung.
6. V. Mässig starke Blutung.
7. V. Mässig starke Blutung.
8. V. 7 Uhr morgens 2 ccm Luteolipoid. Blutung wird be¬
deutend stärker. 12 Uhr 2 ccm Luteolipoid. Blutung wird bedeutend
stärker.
9. V. Mässig starke Blutung. 10 Uhr 2 ccm Luteolipoid. Blu¬
tung wird wiederum stärker.
10. V. Mässig starke Blutung. 8 Uhr 2 ccm Luteolipoid. Blu¬
tung wird stärker.
11. V. Mässig starke Blutung.
12. V. Die Blutung wird geringer.
13. V. Blutung hört im Laufe des Tages auf.
(Schluss folgt.)
Aus dem Laboratorium der medizin. Klinik zu Freiburg i. Br.
(Prof. Dr. d e 1 a C a m p).
lieber Fettsäuren und Blutgerinnung,
zugleich eine chemische Erklärung des Gerinnungsvorganges.
Von Privatdozent Dr. B. Stüber und Medizinalpraktikant
R. Hei m.
Schon in einer früheren Arbeit, die den Einfluss der Lipoide
auf die Phagozytose zum Gegenstand hatte, wurde von dem
einen von uns (Stüber) auf die gerinnungsbeschleunigende
Wirkung der Cholesterinester hingewiesen. Kurz vorher
waren die Arbeiten von Zack erschienen, die die Bedeutung
der Phosphatide für den Ablauf des Gerinnungsprozesses klar
erkennen Hessen. Zack zeigte weiter, dass das Cholesterin
selbst unwirksam ist. Es war im Hinblick auf diese Unter¬
suchungen eigentlich zwingend, die Brücke zwischen diffe-
i enter chemischer Konstitution und gleicher biologischer Wir¬
kung, zwischen Cholesterinestern und Phosphatiden in dem
beiden gemeinsamen Fettsäureradikal zu erblicken.
Nachdem diesbezügliche Voruntersuchungen zu einem
positiven Ergebnis geführt hatten, hat in meinem Aufträge
1662
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
Heim diese Frage ausführlich bearbeitet. Wir werden bald
an anderer Stelle auf die Resultate dieser Arbeit unter Zu¬
grundlage unserer sämtlichen Protokolle in extenso ein-
gehen, ebenso auf die Untersuchungen meiner weiteren Mit¬
arbeiter Winter, Partsch und Schilling, die am
lipoidfreien Plasma, am Hirudin- und Peptonblut ausgeführt
wurden. Unsere heutigen Mitteilungen sollen nur ganz kurz
im Sinne einer vorläufigen Mitteilung einen Ueberblick über
unsere Ergebnisse liefern, da die Zusammenstellung unserer
gesamten Versuche in ihren Details noch einige Zeit bean¬
spruchen dürfte.
Der Einfluss der höheren Fettsäuren und der
Lipase auf die Blutgerinnung.
Wir verwandten die Oelsäure, Palmitinsäure und Stearin¬
säure, rcsp. die entsprechenden Triglyzeride in 1 proz. Emul¬
sionen. Auf die keineswegs leichte Darstellung der erwähnten
Emulsionen gehen wir an anderer Stelle genauer ein. Als
lipolytisches Ferment gebrauchten wir die Steapsinsolution
Grübler. Die Versuche wurden am Pferdeoxalatplasma
ausgeführt. Die Fettsäui;eemulsionen wurden in steigenden
Mengen von 0,05—1,0 ccm zu je 2 ccm Plasma zugefügt,
ausserdem je 3—5 Tropfen einer 5 proz. Kalziumchloridlösung.
Bei den Fermentversuchen wurden 3, resp. 10 Tropfen,
Steapsinsolution verwandt. Als Vergleichskontrolle diente uns
eine nach den Angaben von Morawitz dargestellte Pferde-
leberthrombokinase.
Wir können hier der Kürze halber nicht näher auf unsere
zahlreichen Versuche eingehen. Wir geben deshalb im folgen¬
den nur ein Beispiel einer solchen Versuchsreihe und möchten
bemerken, dass auch die übrigen Versuche genau dieselben
Resultate lieferten.
Tabelle 1.
- -
1 Gerinnsel-
Klumpig-
vollständige
Oxalatplasma 2,0 ccm
| bildung
werden
Gerinnung
0,5 ccm Thrombokinase .
„ ,, inaktiviert .
„ „ neutralisiert .
„ ,, neutral und inaktiviert .
„ Tristearin .
,, „ neutral . . .
,, NaCl-Kontrolle .... .
Steapsin 3 Tropfen .
,, neutral 3 Tropfen .
,, inaktiviert 3 Tropfen .
überall 3 Tropfen 5 proz. CaCU.
2’
3’
8’
4’
14’
3'/,’
5Va’
150’
1’
r
150’
Es erhellt aus dieser Tabelle ohne weiteres der starke,
gerinnungsbeschleunigende Einfluss der aktiven Thrombo¬
kinase, der beinahe ebenso starke des Tristearins und der weit
stärkere des Steapsins. Wir möchten hier gleich bemerken,
gerade im Hinblick auf die Z a c k sehen Versuche, dass beim
Steapsin die Wirkung von der Menge desselben abhängig ist.
Durch vermehrten Zusatz kann sein beschleunigender Einfluss
aufgehoben werden. Auf die aus Tabelle I ersichtlichen Ver¬
suchseinzelheiten werden wir in unserer ausführlichen Publi¬
kation näher eingehen, hier würde es uns zu weit führen und
es dürfte genügen, noch darauf hinzuweisen, dass auch die
Versuche mit freien Fettsäuren in derselben Weise verliefen.
Der Einfluss verschiedener Fermente auf die
Blutgerinnung.
Es war naheliegend, nach dem positiven Ausfall der
Steapsinversuche noch weitere Fermente in den Bereich
unserer Untersuchungen zu ziehen. Um quantitative Ver¬
gleiche zu erhalten, gingen wir dabei von Organtrockenprä¬
paraten aus. Anstelle der Steapsinsolution verwandten wir
das Steapsinum siccum Grübler. Als Thrombokinase ge¬
brauchten wir feingepulverte Pferdeleber. Weiterhin prüften
wir die Wirkung von Trypsin (Merck) und Pepsinum puriss.
solubile (Witte). Von sämtlichen Präparaten stellten wir uns
1 proz. Lösungen resp. Emulsionen in physiologischer Koch¬
salzlösung dar. Die Versuchsresultate ergeben sich aus Ta¬
belle 2.
Um fernerhin den Einfluss der in den Fermentpräparaten
oft in beträchtlicher Menge enthaltenen Fette festzustellen,
wurden erstere einer 36stündigen Aetherextraktion unterzogen
und Rückstand und Extrakt getrennt geprüft. Der Anteil des
aktiven Fermentes wurde durch Vergleich mit der Wirkung
des inaktiven festgestellt. Der Säurewert der einzelnen Lö¬
sungen wurde durch Titration mit ^ NaOH eruiert und ferner
mit entsprechend neutralisierten Lösungen weitere Versuche
angestellt. Die Resultate einer solchen Versuchsreihe finden
sich ebenfalls in Tabelle 2.
Tabelle 2.
Pferdeoxalatplasma 2,0 ccm
1 Tag alt
2 Tage alt
3 Tage alt
Bemerkungen
Steapsin 1 Proz .
Trypsin 1 „ .
Pepsin 1 ,, .
Thrombokinase . . .
++
Minuten
18
13
10
6
H — 1-
Minuten
15
33
11
11
++
Minuten
30
23
10
6
wenig gelöst
mässig gelöst
völlig gelöst
mässig gelöst
Steapsin 1 Proz .
Trypsin 1 „ ......
Pepsin 1 ,, .
Thrombokinase .
Steapsinsolution .
—
C*
. o;
M—
c
CJ
30
25
15
22
15
11
15
33
26
16
22
1
Trypsfn' } zuKe'1°r‘Ses + Lipoid ....
Pepsin 1 in zehnfacher Verdünnung
Thrombokinase I mit NaCl
15
30
7
11
Fettgeh. ln lg
0,06 g
0,16 g
0,08 g
0,30 g
Steapsinlipoid
Trypsinlipoid
Pepsinlipoid
Thrombokinaselip.
in 1 Prom .
11
11
11
11
nach 7
Min. klumpig
Steapsin
JryP?in inaktiviert .
Pepsin
Thrombokinase )
Steapsinsolution . .
30
28
19
29
55
Fettspaltungs¬
vermögen
1
3
0
4
11
|- = vollständige Gerinnung.
Von den Ausgangslösungen zeigte sich das Steapsin, da
in der physiologischen Kochsalzlösung nahezu ungelöst, wenig,
oder besser gar nicht wirksam, wie a priori zu erwarten war.
Dasselbe gilt von dem ebenfalls nur wenig gelösten Trypsin.
Die Thrombokinase dagegen zeigte auch in der wenig gelösten
Form einen ausgesprochenen Einfluss, was zweifelsohne auf
den hohen Gehalt derselben an Fettsäuren resp. Triglyzeriden
bezogen werden muss. Das völlig gelöste Pepsin wirkt ent¬
weder wie einfacher Kochsalzzusatz oder gering beschleuni¬
gend. Wir konnten feststellen, dass letztere Wirkung nur auf
der in dem Präparat enthaltenen Salzsäure beruht. Das zum
Vergleich herangezogene Tristearin wirkte ebenso rasch wie
Thrombokinase, das gelöste Steapsin, Steapsinsolution (Grüb¬
ler). sogar in dreifach geringerer Menge viel rascher. Dass
diese intensive Wirkung des in - Glyzerin gelösten Steapsins
nicht auf ersteres zu beziehen ist, zeigten uns Kontrollversuche
mit reinem Glyzerin, in denen die Gerinnung sogar verzögert
wurde. Es handelt sich also um eine alleinige Wirkung des
fettspaltenden Fermentes, wie auch die negativen Versuche
mit inaktiviertem Ferment weiterhin beweisen.
Entzog man den genannten Organpulvern ihren Fettgehalt
durch 36 stiindige Aetherextraktion, so verzögerte sich überall
der Eintritt der Gerinnung, am auffallendsten bei der Thrombo¬
kinase, gar nicht beim gelösten Steapsin, das auch keine äther¬
löslichen Bestandteile enthielt. Bei erneutem Zusatz dieses
Aetherextraktes zu den Lösungen der entfetteten Organpulver
stellte sich die alte Wirksamkeit wieder her, ja, die aktiven
Fermentlösungen konnten, wie aus anderen Versuchen hervor¬
ging, durch ihren Aetherextrakt völlig ersetzt werden.
Untersucht man nicht nur die Quantität, sondern auch die
qualitative Wirksamkeit der Aetherextrakte der einzelnen
Organpulver, so zeigten sie sich alle gleich stark wirksam,
ausgenommen die Thrombokinase, die sich nicht nur durch die
absolute Menge ihres Fettgehaltes, sondern auch durch den
spezifischen Einfluss ihres Fettes auf die Gerinnung den an¬
deren überlegen zeigte, und das Plasma schon nach 7 Minuten
zum klumpigwerden brachte, während die anderen noch keine
Wirkung erkennen Hessen.
Was die fermentative Kraft der einzelnen Ferment¬
lösungen anlangt, so interessierte natürlich vor allem das Feti-
spaltungsvermögen, das wir nach Volhard-Stade und
mittelst des stalagmometrischen Verfahrens prüften. Die Re¬
sultate waren folgende: das Pepsin zeigte keinerlei Fähigkeit
Fett zu spalten, dagegen erwies sich die Lipase des ver¬
wendeten Plasmas als intensiv wirksam, was die Wirkung des
28. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
rristearinzusatzes in unseren Versuchen gut erklärt. Die
1 rypsin-Steapsin- und I hrombokinaselösungen zeigten sich
: ebenfalls stark wirksam. Auf die genaueren Resultate wollen
wir hier nicht näher eingehen. Wir können sie kurz dahin
formulieren:
Es besteht eine direkte Proportionalität
zwischen lipolytischem Vermögen und Ge¬
rinnungsbeschleunigung.
Am auffendsten ist diese Proportionalität bei der Thrombo-
kinase und der Steapsinsolution.
Eine Neutralisierung der Fermentlösung mit £ NaOH
hatte mit Ausnahme des Steapsins eine Verzögerung der Ge¬
rinnung zur Folge.
Diese Versuche drängten uns zur Prüfung der ganz all¬
gemeinen Fragestellung:
Wie wirkt der Säuregrad überhaupt auf den Ablauf des
Gerinnungsprozesses?
Zu diesem Zwecke wählten wir die schwächste, für den
Organismus aber wichtigste Säure, die Kohlensäure. Wir
I gingen in der Weise vor, dass wir das Gerinnungssubstrat,
aas Vollblut oder Plasma, mit bekannten Konzentrationen von
.^P2 sättigten. Der tatsächliche CO*-Gehalt war aus der
Dissoziationskurve leicht berechenbar. Diese Versuchsreihe
2 [gab- abgesehen von dem auffallenden Einfluss der Säure im
ulgemeinen, der weiter unten erörtert werden soll, die Tat-
-ache, dass die Fermentwirkung durch eine CO=-Konzentration
he der physiologischen naheliegt, also ca. 10 Proz. (venöses
lut), eine Begünstigung erfährt, 'was besonders bei der
Thrombokinase ersichtlich war. Es zeigte sich weiter, dass
une extreme Konzentration, ca. 34 Proz. CO*, die Wirkung
ler Fermente enorm verzögern kann, bei der Thrombokinase
elativ am wenigsten, dagegen ist die Trypsin- und Steapsin-
virkung am stärksten beeinträchtigt. Der ganze Prozess ist
eversibel, denn nach dem Abdunsten der CO* im Verlauf
nehrerer Stunden ging die Gerinnung überall vor sich
vahrend ein Zusatz von Mineralsäure, der dem Säuregrad
iner 34 proz CO* entspricht, eine völlige Einbusse der Ge-
mnungsfahigkeit des Blutes durch Hämolyse hervorrief. Was
en Einfluss der CO* im allgemeinen angeht, so erscheint das
rgebms des obigen Versuches als einfache Folge der Wirkung
on Saure auf den physikalisch-chemischen Zustand des Ei-
eisses. Ist die Säure in Ueberschuss vorhanden (34 Proz.
O*), so erfährt das Eiweiss eine mächtige Erhöhung seiner
ekt rischen Ladung und wird ungerinnbar. Kommt man aber
urch Zufugen einer geringen Zahl von H-Ionen, wie dies z B
urch Sättigung mit ca. 10 Proz. CO* des alkalisch reagieren-
en Blutes möglich ist, in die Nähe des iso-elektrischen
unktes, so wird das Plasma sich einem instabilen Zustande
rhern, d. h. es wird schliesslich koagulieren.
Der überraschende Einfluss, den einerseits die fettspalten-
.n Fermente, die Fettsäuren resp. Triglyzeride und anderer¬
es die CO* auf die Gerinnung des Plasmas und des Blutes
:sassen, veranlasste uns, die Wirkung der Fettsäuren im
eitesten Sinne auf die Blutgerinnung systematisch zu ver-
Igen.
ie Wirkung der einzelnen Glieder der homo¬
genen Fettsäurereihe auf Plasma und Ery¬
throzyten.
Mir stellten zu diesem Zweck 1 proz. Lösungen und Emui¬
onen der verschiedensten Fettsäuren in physiologischer
Dcnsalzlösung dar und setzten sie in der gleichen Weise wie
"her dem Oxalatplasma oder einer 5 proz. Blutkörperchen-
• tschwemmung zu.
1. Fettsäuren und Plasma.
Beim Vergleich der Gerinnungszeiten beim Zusatz der
Eizeinen Säuren liess sich eine ausgesprochene Gesetz-
r issigkeit erkennen, indem die gerinnungsbeschleu-
rgende Wirkung der Fettsäuren mit der
»engenden Kohlenstoffatomzahl im Molekül
I r ^ ä u r e zunimmt, also entsprechend einer homo-
’.enen Reihe, wie sie F ü h n e r für die Hämolyse durch
eohol, Vandevelde für Plasmolyse und J. Loeb für
Entwicklung von Seeigeleiern nachgewiesen haben.
1663
Bei den untersten Gliedern unserer homologen Reihe
rnhP1 W'r ,ein.. Ausbleiben der Gerinnung, es sind dies die
relativ stark dissoziierten Säuren, Ameisensäure und Essig-
£i/e'MStie/erLeihLn dem Plasma eine dauernde Ungerinnbar-
Rcit Mit der abnehmenden Dissoziation der Fettsäuren in der
aufsteigenden Reihe stellt sich eine gerinnungsbeschleunigende
Wirkung ein die in der Palmitin- und Stearinsäure ihren Höhe¬
punkt erreicht.
Nach den Arbeiten von P a u 1 i, M i c h a e 1 i s und deren
Mitarbeiter durfte die Deutung dieser Befunde nicht schwierig
sein Die niederen, stark dissoziierten Fettsäuren stempeln
durch ihren Ueberschuss an H-Ionen das Plasma, dessen Reak¬
tion m der Norm nach der alkalischen Seite neigt, zum Säure-
eiweiss, das als solches elektrisch geladen und damit ungerinn-
our ist Die hochmolekularen Fettsäuren aber, z. B. Stearin¬
saure, können infolge ihrer geringen Dissoziation nur wenig
-Ionen zur Verfügung stellen, doch nach dem Massenwir-
umgsgesetz können sie dieselben aus dem undissoziierten
Molekül immer wieder abspalten, bis alle Aminogruppen des
Eiweisses abgesättigt, d. h. bis der iso-elektrische Punkt er¬
reicht ist und die Koagulation eintritt.
Aber selbst von diesen minimal dissoziierten hochmole¬
kularen Sauren genügt ein geringer Ueberschuss, um die Er¬
reichung des iso-elektrischen Punktes zu erschweren, wie wir
m zahlreichen Versuchen gefunden haben.
Dass gerade diese hochmolekularen Fettsäuren infolge
dieser Eigenschäften eine ausgesprochene Neigung zur Bildung
elektrisch-neutraler Komplexe haben, wissen wir durch die
Untersuchungen von Pauli. Ebenso ist es bekannt, dass
Kalziumverbindungen dieselbe Eigenschaft besitzen. Somit
wird bei dem Zusammenbringen von hochmolekularen Fett¬
säuren Eiweiss und Kalk, welch letzterer ja eine ausge¬
sprochene Affinität zu Fettsäuren besitzt, sich leicht ein Opti¬
mum einstellen zur Bildung neutraler Komplexe, d. h. zur
Koagulation, in unserem Falle zur Blutgerinnung. Tatsächlich
gelang es uns auch, durch die Kombination von Fibrinogen
oder Albumin mit Fettsäuren und Kalksalzen eine Koagulation
selbst aus verdünnten Eiweisslösungen zu erzeugen, worüber
spater berichtet werden soll.
Tabelle 3.
Pferdeoxalatplasma
2,0 ccm
Oerinnungszeit
in Minuten
Eintritt der
Hämolyse
in Minuten
Rinderblutkörperchen
5 proz. Aufschwemmung
2,0 ccm
Orad der Hämolyse
Ameisensäure
Essigsäure .
Propionsäure
Isobuttersäure .
Isovaleriansäure
Kapronsäure . .
Oelsäure ....
Palmitinsäure
Stearinsäure .
Milchsäure
-Oxybuttersäure
-Aminoessigsäure
Tyrosin .
Leucin .
Cholin .
Blausäure . ...
_
1
—
25
35
25
20
60
10
60
10
(3) 25
4
1
i
45
8
10
60
10
_
25
_
45
—
• —
_
10
60
e | 10
120 |
Methämoglobinbildung
Keine Sedimentierung,
Methämoglobinbildung
^-+ ^Methämoglobinbildung
rubinrot, komplett
2. Fettsäuren und Hämolyse.
Dieselben Säuren Hessen wir zum Vergleich auf isolierte
a ^ [ i o r p e r c h e n (5 proz. Kochsalzaufschwemmung) einwirken.
Auch hier offenbarte sich wieder eine gesetzmässige Abhängig¬
keit der Wirkung der Säure von ihrer Konstitution und ihrem
Platz in der homologen Reihe. Ebenso zeigte sich hier deut¬
lich jener doppelte Effekt im Ablauf der Hämolyse, wie ihn
A [ r h ® a * u s ^r verschiedene Konzentrationen einer und der¬
selben Säure gefunden hat. Bei den niedrigsten Gliedern der
Reihe, den stärksten Säuren, z. B. Ameisensäure, überwiegt
die agglutinierende Wirkung über die hämolytische, bis die
letztere in der aufsteigenden Säurereihe mit abnehmender
Säurestärke ihren Höhepunkt erreicht, und eine vollkommene
Hämolyse in schöner rubinroter Farbe herbeiführt, ln unserer
Reihe liegt dieser Säuregrad bei ca. 0,03 ccm rjJ H*SOi und
entspricht dem der Oelsäure, der Blausäure und der kolloidalen
Kieselsäure. Unterhalb dieses Säuregrades tritt in Ueberein-
1664
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
Stimmung mit den Befunden von Arrhenius auch die hämo¬
lytische Wiksamkeit der Fettsäuren zurück, d. h. sie ver¬
schwindet bei den am stärksten die Blutgerinnung beschleu¬
nigenden Säuren, der Palmitin- und Stearinsäure.
Zum Schlüsse möchten wir kurz unsere Resultate dahin
Tabelle I a.
-I—
Dialyse
Dialyse
iZ
2
Diagnose
Optik
Io
O;
CO
Serum
+
Plazenta
iZ
z
Diagnose
Serum
1,0
Serum
T
Plazenta
zusammenfassen:
1. Den stärksten Einfluss auf die Blutgerinnung hat das¬
jenige Ferment, das das stärkste Fettspaltungsvermögen be¬
sitzt. In unserem Falle die Steapsinsolution.
2. Die Wirksamkeit des Lebersaftes oder der Thrombo-
kinase entfällt zum grössten Teil auf die beigemengten äther-
extrahierbaren Substanzen. Letztere entfalten allein die
gleiche Wirkung auf die Blutgerinnung wie der volle
Organsaft.
3. Chemisch reines Tristearin und Stearinsäure sind im¬
stande, nahezu die gleiche Wirkung wie Thrombokinase her¬
vorzurufen.
4. Die Wirksamkeit der Fettsäuren auf die Blutgerinnung
lässt sich in eine homologe Reihe einfügen, in der sie mit stei¬
gender Kohlenstoffatomzahl im Molekül zunimmt.
Wir wrerden in unserer ausführlichen Arbeit ferner dartun,
dass die Ungerinnbarkeit des Hirudin und Peptonblutes auf
Grund unserer Versuche wohl erklärbar ist. Wir werden
ferner genau darlegen, dass lipolytisches Ferment
und Fettsäuren gleichbedeutend sind der
Morawitzschen Thrombokinase resp. dem
Thrombogen, so dass die erste Phase des Gerinnungspro¬
zesses einer Kalkfettseifenbildung, die zweite Phase
dem Komplex Kalkfettseifefibrinogen entspräche,
wobei als Katalysator das lipolytische Ferment zu
d e n k en wäre. Wir werden ferner zeigen können, dass
letzteres (Blutlipase) unter dem Einfluss ganz bestimmter
Drüsen mit innerer Sekretion steht und wir hoffen ausserdem
durch genaue Fibrinanalysen, mit denen wir zur Zeit beginnen,
eine weitere Stütze für unsere Anschauung bringen zu können.
Aus der Frauenklinik der Kgl. Charitee (Geheimrat Franz)
und dem tierphysiologischen Institut der landwirtschaftlichen
Hochschule (Geheimrat Z u n t z) zu Berlin.
Weitere Erfahrungen mit der Abderhaldenschen
Reaktion allein und im Vergleich mit der Antitrypsin¬
methode.
Von Prof. Dr. R. Freu n d und Dr. C. Brah m.
Im vergangenen Jahre ') haben wir über unsere Resultate
berichtet, die wir bei Schwangeren und Nichtschwangeren mit
beiden von Abderhalden vorgeschlagenen Methoden
(Optik und Dialyse) erhielten Es deckte sich der klinische Be¬
fund mit dem optischen Untersuchungsergebnis unter 134 Fällen
97 mal = 72,4 Proz., und mit dem Ergebnis der 99 mal ange¬
wendeten Dialyse 66 mal = 66,7 Proz. Bei der gleichzeitigen
Ausführung beider Verfahren zeigten 31 Fälle keine Ueber-
einstimmung. Auch in unseren weiteren Arbeiten 2) liess sich
für die Optik ein besseres Resultat als 75 Proz. und für die
Dialyse 71 Proz.3) Uebereinstimtnung bei 233 Fällen nicht er¬
zielen.
Da in der Folgezeit dasDialysierverfahren immer
mehr als die für die Praxis geeignetere Methode empfohlen
wurde, haben wir bei unseren letzten Untersuchungen vorzugs¬
weise diese Methode angewandt, um so mehr, als ihre mittler¬
weile bekannt gegebenen Verschärfungen ein günstigeres Er¬
gebnis erwarten liessen. Diese Untersuchungen beziehen sich
auf 150 Fällu, darunter 114 Fälle von normaler und patho¬
logischer Gravidität aus verschiedenen Monaten und 36 nor¬
male und pathologische Fälle von Nichtgraviden und Männern.
Drei mit der optischen Methode allein untersuchte nichtgravide
Fälle abgerechnet, gestaltet sich das Ergebnis der übrig¬
bleibenden 147 mittels des Dialysierverfahrens untersuchten
Fälle folgendermassen :
‘) M.m.W. 1913 Nr. 13 S. 685.
-’) Verhandlg. d. D. Ges. f. Gyn. 15. S. 273.-
3) B.kl.W. 1913 Nr. 43 (Sitz.-Ber. d. Berl. med. Ges. v. 23. Juli
1913).
1
Adnextumor .
2
Eklamsie MX..
3
Schwang.-Dermat.M.VIIl
4 |
Adnexiumor (Fieber)
5
Zervixkarzinom (Fieber)
6
Adnextumor (Fieber)
7
Peritonitisgon. (Fieber)
8
Adnextumor (Fieber)
9
Pneumonie (Fieber) .
10
Cystitis (Fieber) . . .
11
12
Pneumonie (Fieber) .
13
Magenkarzinom (Fieber)
14
Oastr. Fieber . .
15
Malaria -|- Lues männl.
16
Oravid. ...
17
Dement, praecox männl.
18
Katatonie männl. .
19
Oravid.
20
Dement praecox männl.
21
Oravid. M I ...
22
Paranoia männl.
23
Dement, praecox männl.
24
Puerpera v. 6 Wochen
25
26
Oravid. . . . . .
27
Carcin. periton. . . •
28
Orav. extrauterin.?
29
Oravid ? . .
30
Eklampsie M VIII . .
31
„ „ x
32
Kreissende M. X.
33
Oravid. M. X
34
„ VU .
35
„ „ II . . .
36
„ X . . . .
37
„ X
38
Eklampsie M. X . . . .
39
Oravid. M. VIII . .
40
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43
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58
58
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69
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71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
Hl
82
83
84
85
86
Eklampsie M. IX . .
„ M. X retropl. Blut
„ „ X Armvene
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Oravid. M. X
Eklampsie M. X
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Tabelle I b.
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
Diagnose
Dialyse I _■
E
3 =.
4-43
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<z> cu
Diagnose
Dialyse
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a
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Adnextumor ? .
Myom
Lues männl. .
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„ M. IV
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Eklampsie M. X
Gravid. ? . .
„ M. II .
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„ „ III
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Gonorrhoe weibl.
Oravid. M. II
II
Dermatose 3 Mon. postp
Oravid. M. II .
„ II
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0,5
0,9
0,6
0,5
0,6
0,5
0,5
0,5
0,5
0,6
0,6
0,7
0,5
119 Oravid. M. III
120 Adnextumor
121 Eklampsie M. X
122 Oravid. M. II .
123 „ „ II (Tbc.)
124 Endometritis . .
125 Adnextumor . . .
126 Oravid. M. II
127 „ „ IV . .
128 Eklampsie M. X
129 „ „ VIII
130 „ „ X
131 Nephrit, gravid. M. X
132 Eklampsie M X
133 Oravid. M. II . . .
134 Oravida ? .
135 „ ? ....
136 Gonorrhoe weibl. . .
137 Gravida ?
138 Eklampsie M. VII
139 Puerpera vom 6. Tag
140
141 Oravida ? ...
142 Eklampsie M. X . . .
143 „ „ VIII .
144 Oravid M. II . .
145 Oravida ? .
146 Eklampsie M. VIII
147 Adnextumor ....
148 Eklampsie M X
149 „ „ X .
150, Drohende Eklamps M.X
= tt
■tt
Elf»
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(+)
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m
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- +
(+)
0,5
0,6
0,9
0,6
0.5
0,6
0,6
0,9
1,0
0,8
1,1
1.2
0,5
0,5
0,7
0,7
0,8
0,5
0,8
Oft
0,5
0,6
0,9
0.6
0,8
Bei den 114 Fällen von Gravidität versagte die
Methode 20 mal; bringen wir 11 diagnostisch nicht sicher¬
gestellte Fälle in Abzug, so bleiben 103 Fälle mit 19 = 18,4 Proz.
Versager. Weit ungünstiger ist das Resultat bei den
33 Nichtgraviden (darunter 10 Männer); hier liess uns die Me¬
thode 18 mal im Stich; bei Abzug eines diagnostisch nicht
sichergestellten Falles, also unter 32 Fällen 17 = 53,1 Proz.
Versager (vgl. Tabelle 1 a und Ib). Es deckte sich dem¬
nach der klinische Befund mit dem Ausfall der
Reaktion unter 135 Fällen 99 m a 1 = 73,3 Proz.
0= 26,7 Proz. Versager). Eine nennenswerte Ver¬
besserung konnten wir mithin auch nach
durchgehender Innehaltung der versqhärf-
ten Vorschriften hinsichtlich des Dialysier¬
verfahrens nicht verzeichnen.
38- Juli 1914. _ MUENCttENER
Mit dieser, unsere jüngsten Resultate
wiedergebenden dritten Publikation beab¬
sichtigen wir, lediglich auf die Unzuver¬
lässigkeit und die daraus zu folgernde dia¬
gnostische Untauglichkeit der Dialysier-
ni e t h o d e in ihrer jetzigen Form h i n w e i s e n. Es
liegt nahe, damit gleichzeitig die Frage der Spezifität abzu- .
lehnen, wie es tatsächlich eine grosse Reihe von Autoren be¬
reits getan haben. Uns erscheint es verfrüht, schon heute
darüber zu diskutieren oder gar ein abschliessendes Urteil ab¬
zugeben im Hinblick auf die Unzulänglichkeit der Methodik
(Hülsen, Ungleichheit der Substrate), wie besonders auf die
noch ganz ungenügende Kenntnis der Reaktion bei den ver¬
schiedenen physiologischen und pathologischen Prozessen.
Solange die Methode nach diesen beiden Gesichtspunkten
hin krankt, ist es klar, dass eindeutige Resultate nicht zu er¬
warten sind. So erklären sich unsere auch mit den ver¬
schärften Vorschriften erzielten 73,3 Proz., ein Resultat, das,
wie A b d e r h a 1 d e n uns schreibt, darum besonders wertvoll
für ihn sein würde, weil wir am längsten mit seinen Methoden
arbeiteten.
Es mag der Enthusiasmus der Anfangsperiode als Ent¬
schuldigungsgrund dienen, dass zahlreiche Autoren bald nach
Bekanntwerden der Methode, als noch mit Kondoms, Biuret
und unsauberen Fingern hantiert wurde, als man von 50 Proz.
Hülsendefekten und verschärfter Organkontrolle nichts wusste,
auf Grund ihrer wenigen, aber desto glänzenderen Resultate
die sichere serologische Schwangerschaftsdiagnose bereits als
erwiesen erachteten. Es mag ferner für diesen Enthusiasmus
als bezeichnend angeführt werden, wenn ein Redakteur sich
für die Aufnahme eines die Methode ablehnenden Aufsatzes in
einei langen Fussnotenerklärung entschuldigen zu müssen
glaubte4). Wenn aber noch die jüngste Zeit nach Abflauen
des Begeisterungsturmes eine so grosse Divergenz der Unter¬
suchungsergebnisse hervorbringt, so kann man diese Erschei¬
nung nur dadurch erklären, dass viele Forscher nach wie vor
ihre Versager lieber ohne weiteres wenn auch noch so uner¬
klärlichen Fehlern der Technik als der Methode selbst zur
Last legen "). Nach ihnen bleibt die Statistik durch diese
Versager unbeeinflusst, um so mehr, wenn die wiederholte Prü¬
fung den Ausfall der Reaktion bei dem einen oder anderen
nicht stimmenden Versuch ändert; eine Nachkontrolle der
primär stimmenden Versuche unterbleibt, obschon auch diese
crfahrungsgemäss bisweilen gegenteilig ausfällt. Diese be¬
queme Art der Forschung fördert wenig; andere Erklärungs-
möghchkeiten, wie z. B. zeitlich verschiedener Fermentgehalt
des Serums bleiben dabei unberücksichtigt. An Belegen hierfür
rehlt es in der einschlägigen Literatur — und die will gelesen
sein! — nicht.
So glaubt Freymuth0) in allen seinen klinisch nicht
nit der Reaktion übereinstimmenden Fällen entweder einen
echnischen Fehler oder eine unbekannte Organstörung an-
lehmen zu dürfen. Stresemann und Heimann7) haben
leuerdings auch mit verschärfter Methodik, die sie „streng und
tewissenhaft“ befolgten, Plazentarabbau bei sicher Nicht-
craviden gesehen, trösten sich aber mit dem Gedanken, dass
’Olche Versager, „eben wegen der so subtilen Technik“ immer
orkommen können und „auf Versuchsfehler zurückgeführt
verden müssen“. D e c i o 8) vermisste besonders bei patho-
ogischer, aber auch einmal bei normaler Gravidität Abbau von
äazentargewebe; das Serum Gravider verdaute ferner nicht
mr Plazentareiweiss, sondern auch fötale Gewebe (Nieren,
duskel, Leber), während andererseits das Serum normaler
'der kranker Frauen, wenn auch selten, mit Plazenta positiv
e^?.'er^e Befunde, die den Autor nicht abhalten, von Spe-
ifität der Seroreaktion zu reden. Gelegentlich einer Aeusse-
ung über die Unzuverlässigkeit der Hülsen bezeichnet
v b d e r h a 1 d e n ") selbst seine Methode als kein ideales Ver-
) D.m.W. 1914 Nr. 7 S. 316 (Michaelis und v. Lager-
larck).
hiezu auch L- Eränkel: Mschr. f. Geb. u. Gyn. 39.
'14. o. 686.
B) M.m.W. 1914 Nr. 17 S. 916
7) Mschr. f. Geb. u. Gyn. 39. 1914. S. 685—89.
) Gyn. Rdsch. 1913 12. S. 436.
*) M.m.W. 1914 S. 233 und 237.
Nr. 30.
i WOCHENSCHRIFT.
fahren; er sagt jedoch in der gleichen Arbeit gegenüber
O e 1 1 e r und Stephan: „Das Dialysierverfahrcn, welches im
Prinzip so primitiv und einfach als nur möglich ist, hat keine
Fehler. Die Fehlerquellen liegen in der Technik.“ Schliesslich
sei noch auf die Arbeit von Meyer-Betz, Ryhiner und
Schweissheimer lü) hingewiesen, in der sie auf Grund
beträchtlicher Fehldiagnosen bei der Graviditäts- wie Karzi¬
nomreaktion auf der einen Seite zugeben, dass diese Versager
den Wert der Methode einschränken und gegen eine strenge
Spezifität sprechen, auf der anderen Seite wiederum die Dia¬
lyse für klinisch brauchbar halten.
Diese Beispiele zeigen zur Genüge, dass
Versager keinem Untersucher erspart blei¬
ben, dass die geschilderte Differenz der
Untersuchungsergebnisse also lediglich auf
einer verschiedenartigen Auslegung dieser
Fehldiagnosen beruht.
Auch in den meisten Anworten auf die jüngst an die
deutschen Frauenkliniken ergangene Rundfrage11) kommt das
Zugeständnis von Versagern in verschiedener Form zum Aus¬
druck. Krömer erwähnt 2 Proz. Versager und schreibt: „In
dei Regel stimmt die Diagnose.“ Auch bei Opitz heisst es:
„Ergebnisse fast regelmässig den klinischen Tatsachen ent¬
sprechend.“ v. Herff-Hüssy berichten: Versager hatten
wir kaum einige.“ Veit, der früher in der Abderhalden-
schen Reaktion das beste differentialdiagnostische Mittel zur
Entscheidung zwischen Extrauterinschwangerschaft und Adnex¬
tumor begrüsste, spricht jetzt vom „guten Willen“, über den
der geübte Untersucher verfügen müsse, um „so gut wie regel¬
mässig gute Ergebnisse“ zu erzielen; bei Nichtgraviden sah er
(A sehn er) 5 Proz. Fehldiagnosen, bei Graviden reagierte
ein Fall negativ. M e n g e hat 7 Proz. Versager bei 130 Fällen;
er erachtet den positiven Ausfall der Reaktion als keinen
sicheren Beweis für bestehende Gravidität, während um¬
gekehrt G u g g i s b e r g, den die Methode bei Extrauterin¬
gravidität im Stiche liess, den negativen Ausfall für nicht be¬
weisend gegen eine ektopische Schwangerschaft hält. Seil-
heim-Mayer haben 4 Proz. Versager bei sicher Graviden
und 19,7 Proz. bei Nichtgraviden. Stöckel-Behne er¬
hielten mit der verbesserten Technik ebensowenig eindeutige
Resultate wie bei der zuerst geübten; unter den letzten
60 Fällen 35 Proz. Versager. Die Erfahrungen der Bumm-
schen Klinik (Schäfer), die auf Grund ihrer 28 Versager bei
Gravidität und 48 Proz. Plazentarabbau bei Nichtgraviden
(also insgesamt 25,5 Proz. Versager) den differentialdiagnosti¬
schen Wert der Methode und ihre Spezifität bezweifelt,
stimmen demnach mit den unserigen (insgesamt 26,7 Proz. Ver¬
sager) überein. Sieht man von den Polanoschen Angaben ab,
die leider zu unbestimmt sind, um verwertet werden zu können,
so bleiben nur 5 Kliniken (Leipzig, Königsberg, Marburg, Jena
und Pest) mit vollkommen eindeutigen Ergebnissen übrig.
Unter den Leipziger Fällen [Lichtenstein 12)] befinden
sich allerdings unserer Meinung nach zunächst zwei Versager:
Ein Fall von Abort ergab negativen, ein zweiter von Myom
nebst Korpuspolyp positiven Ausfall der Dialyse. Die Begrün¬
dung dieser Dissonanz zwischen Klinik und Reaktion führt L.
im ersten Falle darauf zurück, dass das Ei dem Aussehen nach
3—4 Wochen keinen Stoffwechsel mehr unterhalten hätte,
während im zweiten der Polyp, der wegen seiner mikro¬
skopisch gefundenen Deziduazellen als Plazentarpolyp ange¬
sprochen wurde, noch nach 3 Monaten im Stoffaustausch mit
dem mütterlichen Blute gestanden hätte. Da mikroskopisch
keine Zotten nachgewiesen, ist die Diagnose „Plazentarpolyp“
anfechtbar,^ ausserdem nicht einzusehen, warum im ersten
Falle der Stoffwechsel bei der mikroskopisch völlig intakten
Plazenta trotz des etwas ramponierten Fötus nach 3 — 4 Wochen
erloschen sein soll, bei dem sogen. Plazentarpolyp jedoch nach
3 Monaten noch nicht. Schliesslich dürfte auch der von
Zweifel13) angeführte Fall einer negativen Reaktion bei
einem klinisch sehr zweifelhaften Tumor als Versager gelten,
denn das einzige Symptom, der Wachstumsstillstand der Ge-
lü) M.m.W. 1914 Nr. 22 S. 1211.
") Med. Klin. 1914 Nr. 11 u. 12.
'-) M.m.W. 1913 Nr. 26 S. 1427.
13) Med. Klin. 1914 Nr. 11 S. 453.
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
- - -
schwulst während 3 Monaten spricht noch lange nicht gegen
das Bestehen einer Extrauteringravidität. Was schliesslich die
Jenenser Klinik anlangt, so muss es auffallen dass ihre Re¬
sultate, die noch vor Jahresfrist so fehlerhaft waren, dass sie
von Abderhalden”) selbst als durchweg untauglich hin¬
gestellt wurden [vgl. die Tragikkomödie H e n k e 1 ,J) - L i n -
d i g ,B) - A b d e r h a 1 d e n 17), jetzt ausnahmslos vollkommen
eindeutig ausfallen (Tschudnowsky ls), Henkel 1B). Es
ist anzunehmen, dass mit zunehmender Erfahrungen auch diese
wenigen Anstalten zu Versagern gelangen werden.
Es genügt wohl, neben den bisher angeführten Arbeiten,
die mit wenigen Ausnahmen die Verlässlichkeit der Methode
mehr oder weniger beanstanden, auf die grosse Anzahl der¬
jenigen hinzuweisen, die bekanntermassen in viel ausge¬
sprochener Form gegen Theorie und Praxis der Methode
Stellung nehmen (H e i 1 n e r und Petri, O e 1 1 e r und Ste¬
phan, Singer, D e e t j e n und Fränkel, Kämmerer-
Clauss-Dietrich, Elatow, Lichtenstein und
Hage, Fränkel, Lange, Czepai, Ebeler, Deutsch
und Köhler, Parssamow, Michaelis, Werner und
von Winiwarter u. a.
Abderhalden20) verlangt, eine absolut eindeutige
Graviditätsdiagnose als Befähigungsnachweis für die Beherr¬
schung der Technik, ohne die eine Ausdehnung der Methode
auf die weit schwierigeren pathologischen Gebiete vollkommen
fruchtlos wäre. Die in der Literatur bisher niedergelegten, nichts
weniger als eindeutigen Erfahrungen mit der serologischen
Graviditätsdiagnose lehren aber, dass wir von diesem Ziel noch
recht weit entfernt sind. Es muss deshalb die erst kürzlich
wieder aufgestellte Behauptung, „wer keine zuverlässigen Re¬
sultate mit den Methoden von Abderhalden bekommt —
beherrscht die Technik derselben unvollkommen 21)“, Be¬
fremden erregen. Wir hätten nicht übel Lust, den Sinn dieses
Satzes ebenso übertrieben ins Gegenteil umzukehren. Denn
je länger man mit der Methode arbeitet, um so mehr muss
man zu der Ueberzeugung kommen, dass die Unsicherheit der
Methode weniger durch eine fehlerhafte Technik als vielmehr
durch andere wohl vermutete, aber bisher noch nicht aufge¬
klärte Faktoren21*) bedingt wird.
In der Absicht, zunächst durch weitere Verbesserungen
die Resultate eindeutiger zu gestalten, sind eine Reihe von
Massnahmen empfohlen und bereits ausgeführt worden. So
z. B. das Kontrollverfahren durch Doppelbestimmungen von
O e 1 1 e r und Stephan, der Paraffinkochapparat für Serien¬
untersuchungen von denselben Autoren und seine Modifikation
von Abderhalden, das Enteiweissungsverfahren von
Michaelis und das von F 1 a t o w zwecks Eliminierung der
Hülsen, die Vordialyse von Schlimpert-Issel, die Mikro¬
stickstoffbestimmung, ferner die Verbesserungen in der Organ¬
herstellung und Hülsenprüfung von Lange, die Grützner-
sche Karminfärbungsmethode der Substrate, die Ultrafiltration
u. a. m.
Hiervon sind von uns die Vordialyse in 12 Fällen,
ferner das Enteiweissungsverfahren nach Mi¬
chaelis in 8 Fällen angewendet worden 22).
Die Vordialyse stellt bekanntlich ein Verfahren dar,
welches darauf hinausläuft, den Gehalt des Serums an nin-
hydrinreagierenden Stoffen derartig herabzusetzen, dass die
Kontrolle damit negativ ausfällt. Wir gingen dabei so vor,
dass wir den Versuch in der üblichen Weise ansetzten und
nach 16, spätestens 24 Stunden die aussen wieder gründlich
abgespülten Hülsen in neue mit 20 ccm Wasser gefüllte Kölb¬
chen brachten, in denen sich dann die Hauptreaktion vollzog.
«) M.m.W. 1913 Nr 8 S. 411.
15) Arch. f. Gyn. 99. H. 1 und M.m.W. 1913 Nr. 8 S. 413.
■6) M.m.W. 1913 Nr. 6 S. 288 u. Nr. 13 S. 702.
17) M.m.W. 1913 Nr. 8 S. 411 s. auch Freund und Br ahm:
M.m.W. 1913 Nr. 13 S. 689.
18) M.m.W. 1913 Nr. 41 S. 2283 (Tschudnowsky).
,9) M.K1. 1914 Nr. 12.
20) M.m.W. 1913 Nr. 50 S. 2774.
21 ) M.m.W. 1913 S. 2283.
21*) vgl. hiezu die sehr lesenswerte Arbeit von C. Lange:
Biochem. Zschr. 1914 61. S. 193.
22) Vergleichende Versuche zwischen Ninhydrinprobe und Mikro-
kjeldal sowie dem F 1 a t o w sehen Enteiweissungsverfahren sind im
Gange und soll darüber später von uns berichtet werden.
Mit dem ersten wie mit dem zweiten Dialysat wurde die Nin-
hydrinreaktion ausgeführt, über deren Ausfall 'Tabelle II
orientiert.
Tabelle 11.
Nr.
Diagnose
Nichtvord alysiertes
„ , „ Serum -t-
Serum 1,0 P|a2enla
Vordialysiertes
Serum 1,0
Serum
Plazenta
Eklampsie M. X . .
Gravid. M. 11 . . .
” ” IS ;
” ’! ii ! . .
” ’’ ii . . .
»i i» * ■ *
Eklampsie M. X . .
Endometritis . . .
Adnextumor . . .
Gravid. M. I — 11 . .
Eklampsie MX..
Nephr. gravid. M. X
Stä
(f>
(-U
(+)
(--)
(T)
T
+
(.+.)
$
(+)
(--)
(--)
(+)
<--)
(--)
(+)
ti) ■
(+>
Die Veränderungen des Reaktionsausfalles zugunsten der
klinischen Diagnose in den Fällen 1, 4, 7, 8, 9 ist bemerkens¬
wert, wohingegen in Fall 2 und 3 die Methode nach wie vor
versagte. Die übrigen von vornherein stimmenden Fälle 5, 6,
10, 11, 12 sind nur angeführt, um die fast durchweg deutlich
die Reaktionsintensität abschwächende Wirkung der Vor¬
dialyse zu demonstrieren. Danach halten wir die
Vordialyse besonders in solchen Fällen für
angezeigt, in denen das Serum allein mit nin-
hydrinreagierenden Stoffen stark angerei¬
chert ist, wie z. B. häufig bei Eklampsie, ferner auch bei
kachektischen Zuständen im Gefolge von Phthise und Karzinom.
Neuerdings empfiehlt auch Abderhalden23) warm die
Vordialyse. Eine Durchsicht seiner Resultate zeigt ebenfalls
den Nutzen dieses Verfahrens, das indessen auch ihm in
einigen Fällen (vgl. Fall 23 und 26) Misserfolge brachte.
Danach entspricht seine Behauptung24), „wendet man die Vor¬
dialyse an, dann entfällt jede Möglichkeit einer Täuschung“,
nicht den Tatsachen.
Gute Resultate lieferte uns auch das Michaelissche
Enteiweissungsverfahren, wenn auch meistens die
Reaktion an Stärke einbüsste. Die Behauptung, dass
ein Teil der Abbaustufen durch das Koagu¬
lationsverfahren mit niedergerissen wird
und sich so der Reaktion entzieht, konnten
wir an der Hand von Kontrollversuchen be¬
stätigen. Fügt man nämlich zu dem Serum bestimmte
Peptonmengen hinzu, so ergibt sich bei gleichzeitiger Prüfung
durch Dialyse und Enteiweissung ein deutlicher Unterschied
der Reaktionsstärke. Noch deutlicher tritt diese Tatsache in
Erscheinung, wenn der Versuch folgendermassen angestellt
wird: Man bereitet sich aus 1 ccm einer 1 proz. Peptonlösung
und 20 ccm HaO eine Standardfärbung mit Ninhydrin. Setzt
man jetzt die gleiche Menge Pepton zu 1 ccm Serum hinzu und
enteiweisst dann, so müsste man bei der Ninhydrinprobe zum
mindesten dieselbe Farbenintensität wie die Standardfärbung
erhalten. Dahinzielende Untersuchungen ergaben jedoch viel¬
fach eine deutliche Verminderung des Farbentones.
Schliesslich wurden die Versuche Plauts25) einer Nach¬
prüfung unterzogen, in denen er zeigen konnte, dass derselbe
Reaktionseffokt bei der Dialyse auch unter ausschliesslicher
Anwendung anorganischer Substrate (Kieselgur,
Baryumsulfat, Talkum, Kaolin) ausgelöst werden konnte.
Plaut glaubt, diese Erscheinung auf Adsorptionsvorgänge
zurückführen zu dürfen, wodurch eine Vermehrung der nin-
hydrinreagierenden Stoffe im Dialysat verursacht wird. Der¬
selbe Vorgang soll sich auch bei der Dialyse mit organischen
Substanzen abspielen, so dass seiner Meinung nach die An¬
nahme eines Fermentabbaues überflüssig wird. Berner29)
ist dieser Behauptung auf Grund von 23 Fällen, in denen er
mit anorganischen Substanzen stets negative Resultate er¬
zielte, entgegengetreten, und vermutet, dass die positiven
Reaktionen Plauts durch fehlerhafte Hülsen bedingt wurden.
DemgegenüberkonntenwirbeiunserenUnter-
suchungen, in denen wir die von Plaut angegebene
23) M.m.W. 1914 Nr. 16 S. 862.
21) Abwehrfermente 4. Aufl. 1914 S. 152.
25) M.m.W. 1914 Nf. 5 S. 238.
20) M.m.W. 1914 Nr. 15 S. 825.
' e -Vf MO*
28. Juli 1014.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Technik befolgten, unter 58 Fällen 40 mal die Plaut-
schen Befunde bestätigen. Aus den beigefügten
Protokollen (s. Tab. III) ist der Ausfall der einzelnen Reak-
tionen ersichtlich; als Versager gelten hier, wie stets, auch
solche Falle, in denen die Kontrolle mit Serum allein stärker
oder nur ebenso stark wie der Hauptversuch reagierte.
166?
Tabelle III.
2
Diagnose
Serum 1,0
Serum 1,0 Serum 1,0 Serum 1,0
„ + + Kiesel- -|-liaryum-
Kaolin 0,05 [ gur 0,05 I sulfat0,05
1 I
i |
3 I
4
5
6
7
8
Eklampsie M. VIII .
„ „ „ X .
Phthis. pulm. männl.
Serum 1,0
-f- Talkum
0.05
m
W-)
(+)
Oravid. M. X . ’! .
„ X ... .
Trächtige Kuh .
Oravid. M. VII .. .
„ II . .
„ X . . .
.. »X ...
Eklampsie MX..
Oravid. M. X ....
„ „ X . . .
„ „X
.. » VII
Eklampsie M. X Fetus
Oravid. M. III . .
Eklampsie M. X . . .
Oravid. M. X ...
Eklampsie M. X . .
Oravid. M. X .
,, „ X . . . .
„ X . .
„ X . . .
X . . . .
Eklampsie M. X . .
„ VIII .
„ .. X .
Oravid. M. X
.. „ VIII . . ,
„ „ X . . . .
X
5
tt
X
6
tt
X .
7
III
8
9
Eklampsie M. X
Oravid. M. III
• •
3
it
X .
I
tt
X . .
i
tt
X .
1
tt
IV .
1
tt
IX .
)
tt
III .
J
VIII .
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Trotz dieser Untersuchungsergebnisse, die auf den ersten
indruck die Ablehnung einer spezifischen Reaktion berechtigt
rscheinen lassen, halten wir es, wie eingangs erwähnt, für
erfrüht, schon heute in die Diskussion dieser Frage einzu-
eten; um so mehr, als erst in letzter Zeit dahingehende
ntersuchungen speziellerer Natur (Verdeckung spezifischer
irch unspezifische Fermente von Frank-Rosenthal¬
iber s t e i n “), andererseits die Dialysatiiberimpfungen von
bderhalden und Grigorescu28) in Angriff genommen
orden sind.
Ganz anders steht es mit der praktischen Seite
er Frage. Wenn Abderhalden kürzlich zu der immer
hwieriger sich gestaltenden Methodik neben der Ninhydrin-
obe auch die Mikrostickstoffbestimmung des Dialysates
rdert, da „nur die Uebereinstimmung der Ergebnisse beider
ethoden zurzeit ein bestimmtes Urteil gestattet“29), so ver-
1 rt das Verfahren durch solche Komplizierungen begreiflicher¬
weise mehr und mehr an praktischem Wert. Es ist unter
lesen Umständen .erklärlich, wenn man in dem Bestreben,
M serologische Forschung der Praxis nutzbar zu machen,
‘-Ser Methode zunächst den Rücken kehrt und sich neuer-
ngs eifriger als bisher einem anderen serologischen Ver-
firen, der Antitrypsin methode, zuwendet.
27) M.m.W. 1913 Nr. 29 S. 1594
“) M.m.W. 1914 Nr. 14 S. 767.
u.
M.m.W. 1914 Nr. 14 S. 766.
1914 Nr
V
:iflr
16
864.
Diese durch die Arbeiten E. R o s e n t h a 1 s 30) speziell für
das jehiet der Geburtshilfe und Gynäkologie ausgearbeitete
von r u Id-Gross angegebene Methode hat sich schon auf
verschiedenen Gebieten der Medizin in zahlreichen Unter¬
suchungen bewährt und gipfelt in dem Nachweis des anti-
tryptischen Serumtiters, der bekanntlich bei Gravidität und in
alien übrigen mit Eiweisszerfall einhergehenden Zuständen
. lieber, Karzinom, Tuberkulose, Nephritis, Basedow und
einige gyn. Erkrankungen) gegen die Norm erhöht ist.
1 1 ^upeurt Franz 31), der erst jüngst an der Hand von 223
Untersuchungen normaler und kranker Schwangeren die Anti-
i psil?met^ocIe erneut einer Prüfung unterzogen hat, kommt
deshalb zu dem Schluss, dass ein positiver Ausfall der Reak¬
tion lediglich einen gesteigerten Eiweissumsatz anzeigt, der als
Schwangerschaftsdiagnostikum verwertet werden kann, wenn
sich klinisch andere Quellen des Eiweisszerfalles ausschliessen
lassen. Eine negative Reaktion beweise dagegen stets gegen
Schwangerschaft.
„ Zum Vergleich der beiden Methoden ist in letzter Zeit die
F u 1 d - R ose n t h a 1 sehe Methode gleichzeitig mit der Dia-
lyse von FI e imann-Chotzen32) angewendet worden.
Unter 50 Fällen von Schwangerschaft hatten sie drei Ver¬
sager, bei 66 Nichtgraviden kein Fehlresultat, wenn diejenigen
Anomalien, die mit Erhöhung des antitryptischen Titers einher¬
gehen, ausgeschaltet werden konnten.
Wir haben gemeinsam mit A d a c h i die Antitrypsin¬
methode und Dialyse in 64 Fällen vergleichs-
weise ausgeführt. Hinsichtlich der Technik verweisen wir
auf die Arbeiten von Adachi33) bzw. R o s e n t h a 1 3Q. Zur
Feststellung des Resultats bemerken wir, dass nach Üeber-
einkunft mit E. Rosenthal die Reaktion als positiv anzu¬
sprechen ist, wenn die Hemmungswirkung des fraglichen Serums
mindestens um 0,5 ccm Trypsin über der komplett lösenden
Irypsindosis liegt. Beträgt also, wie in der Regel, die kom¬
plett lösende Trypsindosis 0,4 ccm, so gilt erst eine Hemmung
von 0,9 ccm Trypsin (d. h. 0,4 4- 0,5) als positiv. In
diesem Falle spricht man von einem Serum¬
titer von 0,5 ccm T r y p s i n.
Unter unseren 64 Fällen — 48 Gravide und 16 Nicht-
gra viele — konnten wir feststellen, dass unter den ersteren
die Dialyse 8 mal, die Antitrypsinmethode 3 mal oder nach
Eliminierung von 9 klinisch unsicheren und nicht nachunter¬
suchten Fällen die Dialyse 7 mal, die andere Methode nur ein¬
mal versagte. Bei den 16 nichtgraviden Fällen gab die
Dialyse 10 mal, die Antitrypsinmethode 7 mal unrichtigen Be¬
scheid (vgl. Tab. I b).
Das Resultat ist demnach hüben wie drüben nicht glän¬
zend. Immerhin ist das Ueberwiegen der besseren Re-
sultateaufSeitederantitryptischenMethode
auch angesichts der beschränkten Anzahl der Fälle beachtens¬
wert und fordert zu weiteren vergleichenden Prüfungen auf.
Die Antitrypsinmethode, welche keinen Anspruch auf Spezi¬
fität erhebt, hat gegenüber den A b d e r h a 1 d e n sehen Ver¬
fahren den Vorzug der technisch weitaus bequemeren Hand-
habung, der kürzeren Zeitdauer, der Billigkeit und leichteren
Resultatpr iifung. Dass auch andere Prozesse mit Eiweisszer¬
fall erhöhte Hemmung zeigen, kann nicht als Nachteil gelten,
da gerade die Kenntnis des Reaktionsausfalles bei den ver¬
schiedenen Anomalien der Beurteilung des serologischen Re¬
sultates zugute kommt, ein Vorteil, der mangels systematischer
Bearbeitung den Abderhalden sehen Methoden noch
abgeht.
In Anbetracht dieser unverkennbaren Vorzüge wird im
Verhältnis zur aufgewendeten Mühe und Zeit derjenige, der
sich durchaus serologisch betätigen zu müssen glaubt, bei der
Arbeit mit dem Antitrypsinverfahren grössere Befriedigung
finden als mit den Abderhalden sehen Methoden.
30) Zschr. f. klin. Med. 72. 1911. S. 505.
31) Arch. f. Qyn. 102. S. 579.
3S) Mschr. f. Qeb. u. Gyn. 39. 1914. S. 768.
• ^ u- Gyn. 76. H. 2. — Adachi hat die Anti¬
trypsinmethode alleiii im ganzen in 103 Fällen nachgeprüft
34) 1. c.
2*
1668
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Giessen (Direktor: Professor
Dr. E. O p i t z).
Zur Substratfrage bei der Anwendung des Abder-
hal den sehen Dialysierverfahrens.
Von Dr. Paul L i n d i g, Assistent der Klinik.
In einer früheren Veröffentlichung habe ich auf die Schwie¬
rigkeiten hingewiesen, die bei der Darstellung der dem Abbau
zu unterwerfenden Substrate sich in den Weg stellten. Trotz
Berücksichtigung aller für die Zubereitung der Organe damals
gültigen Vorschriften gelang es mir nicht, ein dauernd halt¬
bares Abbaumaterial herzustellen. Wir wissen heute, dass
neben anderen Momenten (Kalk- und Eisengehalt des
Wassers etc.) der durch die Herstellungsweise bedingte Blut¬
gehalt der Organe vor allem Schuld an diesem Mangel war.
Ob alle Erklärungsmöglichkeiten für die wechselnde Haltbar¬
keit aus diesen eben angeführten Gründen herzuleiten sind,
werde ich in anderem Zusammenhang noch erörtern.
Jedenfalls hat die ganze Art der Zubereitung des koagu¬
lierten Eiweisses manche Wandlung erfahren, ein Ausdruck
für die Verbesserungsfähigkeit der früher üblichen Methode.
Eine vergleichende Gegenüberstellung der früheren Arbeiten
Abderhaldens und der Vorschrift, die er in der 4. Auflage
seiner Abwehrfermente für die Organbereitung gibt, dürfte das
klar veranschaulichen. Die Art und Dauer des Auswaschens,
mit einem Wort die Blutfreimachung des Gewebes, die
Trennung der für den Abbau erwünschten und unerwünschten
Gewebsarten, die Form der Aufbewahrung haben sich wesent¬
lich geändert. Verwandte man z. B. früher grosse Organ¬
würfel, die erst vor dem Versuch selbst zerkleinert wurden,
so ist es jetzt eine streng zu befolgende Forderung, das Sub¬
strat in der Beschaffenheit aufzubewahren, wie man es der
Dialyse unterwirft. So haben Erfolge und Misserfolge, gute
und schlechte Erfahrungen sowohl Abderhaldens selbst
wie einer grossen Anzahl derer, die sich mit diesen Fragen
beschäftigten, im Laufe der letzten 1K> Jahre und vor allem in
der neuesten Zeit bis in die feinsten Einzelheiten den Begriff
des einwandfreien Abbaumaterials festgelegt. Den Begriff
haben wir also; dass seine Verwirklichung noch nicht völlig
gelungen ist, hängt mit der anatomischen Struktur des Eiweiss¬
materials zusammen. Aber auch innerhalb dieser Grenzen, die
durch die nur bedingte histologische Isolierfähigkeit gezogen
sind, stösst die Darstellung eines fehlerlosen Substrates noch
auf manche Schwierigkeiten. Ich verweise dabei auf be¬
merkenswerte Versuche, die Lahm [7] zum Nachweis des
Blutgehaltes in den Organen anstellte.
Es fragt sich nun weiter, ob ein unter Berücksichtigung
aller Vorschriften zubereitetes Substrat auch dauernd haltbar
ist, oder ob es noch andere Gründe für die nicht seltene Un¬
beständigkeit des unter Toluol aufbewahrten Materials gibt.
Ich glaube letzteres bejahen zu dürfen. Ein Organ, das wir
Abderhalden zur Prüfung vorlegten und von ihm als ein¬
wandfrei bezeichnet wurde, gab 8 Tage später bei regelrechter
Aufbewahrung in seinem Kochwasser eine positive Ninhydrin-
reaktion. Für diese Erscheinung finden sich in der neueren
Literatur zahlreiche Belege. 0 e 1 1 e r und Stephan [l] be¬
zeichnen die Haltbarkeit der Organe schwieriger als ihre Her¬
stellung. Nach ihren Erfahrungen können dialysable Eiweiss¬
körper selbst bei gut behandelten Organen ins Kochwasser
übergehen. Nur durch eine grosse Reihe von Kontrollen ver¬
mögen sie die mehr oder weniger grosse Unzuverlässigkeit
des bei der Dialyse verwandten Materials zu überwinden.
Wenn übrigens diese Autoren den vor Juni 1913 erschienenen
Arbeiten nur historisches Interesse zuschreiben, so erscheint
das trotz der erfreulichen Kritik, die ihre Arbeiten in grossem
Masse auszeichnet, etwas zu weit gegangen. Erkennen sie
doch selbst an, dass sie nur durch grosse Vergleichsreihen die
auf das unsichere Verhalten des Materials beruhenden Fehler¬
quellen zu umgehen suchen. Mit unzuverlässigen Mitteln als
solchen haben wir auch heute noch zu kämpfen. Sie allein
können also nicht das Kriterium für die Wertlosigkeit der vor
dem genannten Termin mitgeteilten Versuche bilden. Die Not¬
wendigkeit, die nicht sichere Verlässlichkeit der Substrate
durch ausreichende Kontrollen zu paralysieren, erkenne ich in
vollem Umfange an. Ich habe in der eingangs zitierten Arbeit
auch darauf hingewiesen, dass ich fast durchweg durch Kon¬
trollen mit inaktiviertem Serum mir darüber Klarheit zu ver¬
schaffen suchte, ob positive Resultate entweder auf Ferment¬
wirkung zu beziehen seien oder aber auf Summationserschei¬
nungen bzw. auf Vorgänge, die in der Veränderlichkeit des
Substrates während der Bebrütung mit Serum ihre Ursache
haben könnten.
Weiter haben auch M. F r ä n k e 1 [2], K ä m m erer |3J
und D e t j e n und F r ä n k e 1 [4] beobachtet, dass die Organe
nach längerer Aufbewahrung Stoffe an das Kochwasser ab¬
geben. Lange [5] sieht in der Abgabe von nicht kolloidalen
Eiweisskörpern an das Kochwasser eine nachteilige Wirkung
des vielen Auskochens.
Es scheint nach alledem sehr viel dafür zu sprechen, dass
die Form der Aufbewahrung als solche, d. h. die Suspension in
einem flüssigen Medium, einen Einfluss auf die Veränderlich¬
keit des Organs ausübt. Ich bin aber weit davon entfernt zu
behaupten, dass es bei der heutigen Methode der Substrat¬
bereitung überhaupt unmöglich ist, ein haltbares Organ zu be¬
kommen. Im Gegensatz zu der vorhin erwähnten Beob¬
achtung, die ein an und für sich durchaus einwandfreies und
im Versuch sehr brauchbares Organpräparat betraf, hatten wir
sogar sehr häufig Gelegenheit, mit Material zu arbeiten, das
nach wochenlangem Aufbewahren weder im darüberstehenden
Wasser noch nach der Entnahme aus dem Standgefäss im
ersten Kochwasser eine positive Ninhydrinreaktion zeigte. Es
ist jedoch hervorzuheben, dass wir für ein derartiges Verhalten
keine Garantien besitzen, solange die Gewebsstücke unter
Wasser aufgehoben werden. Ich halte daher bei dem jetzt
gebräuchlichen Substrat vor allen Dingen den Umstand, dass
es feucht aufbewahrt wird, für verbesserungsbedürftig und
auch verbesserungsfähig. Ein unbestreitbarer Nachteil liegt
ferner darin, dass das Material infolge seines Feuchtigkeits¬
gehaltes nicht genau wägbar ist, und selbst wenn das möglich
wäre, in gleichen Gewichtsteilen nicht dieselbe Menge abbau¬
fähigen Eiweisses enthält. So ist ein Arbeiten mit kongruenten
Komponenten von vornherein verhindert. Auf die einzelnen
Punkte komme ich später noch zu sprechen.
Ich will zuerst die Modifikation in der Organdarstellung
beschreiben, die meines Erachtens einen Fortschritt in der
beschriebenen Richtung bedeutet. Als ich seiner Zeit
über Versuche mit Trockenplazenta berich¬
tete, die die eben erwähnten Nachteile des
feuchten Organeiweisses vermeiden sollte,
erwiderte Abderhalden [6], dass er es für aus¬
geschlossenhielt, derartige Organe einwand¬
frei aufzubewahren. Sie müssten ja Bak¬
terien beherbergen und wären gewiss schwer
abbaubar. Wenn damals das Präparat einer verschärften
Prüfung nicht standhielt, so lag das sicherlich an der früher
üblichen Vorbereitung, die keine Gewähr bot für ausreichende
Blutfreiheit. Diesen Mangel konnte erst die Anwendung der
nachträglich eingeführten, genaueren Prüfungsvorschriften
aufdecken. Dass man wirklich bei entsprechen¬
der Zubereitung und Aufbewahrung in der
Trockenplazenta ein brauchbares Material
bekommen kann, hat jetzt Abderhalden in der
4. Auflage seiner Abwehrfermente selbst an¬
erkannt. Er schreibt dort: „Wir haben auch Versuche an¬
gestellt, um die Darstellung der Organe zu vereinfachen und
vor allem abzukürzen. Studien mit unter beson¬
deren Kautelen bei 37° getrockneten und ge¬
pulverten Organen ergaben gute Resultate,
doch besteht die Gefahr, dass sie leicht infi¬
ziert werden. Auf jeden Fall müssen so vorbereitete
Organe auch vor dem Gebrauch geprüft werden. Das Aus¬
kochen hat zudem den Vorteil, dass das Gewebe aufgelockert
und dadurch der Fermentwirkung zugänglicher gemacht wird."
Mittlerweile habe auch ich Gelegenheit ge¬
habt, die Brauchbarkeit der Trockenplazenta
von neuem zu prüfen. Die Darstellung ist folgende:
Die Plazenta wird von der Vene aus durchspült. Als Spülflüssig¬
keit verwendet man am besten abwechselnd Kochsalzlösung und
Wasser. Bei der weiteren Bearbeitung folgen wir dann genau den
Vorschriften, die Abderhalden gegeben, bis wir ein einwand¬
freies Organ in feinster Verteilung haben, dessen Kochwasser mit
28. Juli 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1669
der üblichen Ninhydrinprobe negativ reagiert. Nach unserer Er¬
fahrung lassen sich die bindegewebigen Bestandteile am besten da-
durch entfernen, dass man die durchspiilten Organe in kleine Stücke
zerteilt und mit einem I istill durch ein Sieb drückt. Dann werden die
zelligen Bestandteile durchgedrückt, die Bindegewebsfetzen und Ge¬
bisse bleiben zurück. Man kann diese Isolation auch durch Abschaben
jfr Ko!' ,edonen erreichen, wie F 1 a t o w [8] es beschreibt. Nur ist
dieses Verfahren etwas mühsamer. Bevor mit dem Kochen begonnen
vvlrw-?m iu- SIC^. ^'9 spektroskopische Prüfung des Waschwassers
aut Hämoglobin. Die Art der 1 rockcnbereitung des Organs gestaltet
sidi tolgendermassen: Die schon in feiner Verteilung befindliche Sub¬
stratmasse wird im Wärmschrank bei 85° 24 Stunden lang gedörrt
Dann werden die nunmehr vollständig ausgetrockneten harten Klümp¬
chen in einem sterilen Mörser zu feinstem Pulver verrieben. Dieses
wird zur \ or sicht nochmals 5 Minuten gekocht, und das Kochwasser
wie üblich geprüft. Nach Abfiltrieren des Koch wassers wird der auf
deni Filter befindliche Organrückstand wiederum im Wärmeschrank
ei 85 getrocknet, darauf füllt man das Pulver sofort in sterilisierte
Flaschen und versehliesst sie mit einem in Toluol getauchten Stöpsel.
- o zubereitetes Pulver hat sich bei uns innerhalb der Zeit, in der
es gebraucht wurde, nicht verändert. Eine 4 Wochen nach der Zu¬
bereitung vorgenommene Ninhydrinprobe des Kochwassers ergab eine
negative Reaktion Anstatt der Aufbewahrung in einem mit Toluol¬
dampfen erfu Iten Fläschchen kann man auch so verfahren, dass man
das_ ( irganpulver m einem Exsikkator unverschlossen neben einem
Gefass mit Toluol aufbewahrt.
Einen Vorzug dieses Substrates erblicke ich in der
Unveränderlichkeit des Pulvers. Die Anschauung
Abderhaldens, dass die Infektionsgefahr bei
Trockenpräparaten besonders gross sei,
steht mit der Erfahrungstatsache im Wider-
, Spruch, dass trockene Nährböden die ungün¬
stigsten Bedingungen für das Wachstum von
Bakterien bieten. Darum spielen bei geeigneter Auf¬
bewahrung auch während der Versuchsdauer autolytische und
bakterielle Einflüsse keine Rolle, da das Material, in keiner
Richtung erschlossen, dem Versuch unterworfen wird. Wie
wir uns überhaupt gegen derartige Beeinflussung des End¬
resultates schützen können, soll noch bei Erwähnung der in¬
aktiven Kontrollen aus Trockenorgan gezeigt werden. Wir
brauchen daher eine Abgabe nicht kolloider Stoffe während
des Versuches an das Serum nicht so sehr zu fürchten; denn
lässt sich auch bei der jetzt gebräuchlichen Darstellungs¬
methode das gleiche unter Umständen erreichen, so sind doch
aus den eben erwähnten Gründen die Aussichten für die Un¬
veränderlichkeit der Trockenorgane während der Versuchs¬
dauer sicherlich grösser. Auch das Arbeiten mit diesen Sub-
straten ist viel einfacher, sowohl was die Entnahme aus der
Masche als das Einfüllen in die Dialysierhiilsen angeht.
! Von nicht zu unterschätzendem Wert scheint mir auch die
Homogenität und Wägbarkeit des Pulvers zu sein. Das immer
mehr hervortretende Verlangen, auch bei der Dialysier-
methode mit messbaren Grössen zu arbeiten, ist zweifellos
berechtigt. Da man neben dem angenommenen spezifischen
Abbau auch noch mit anderen Fermentwirkungen zu rechnen
nat, sind diese Punkte besonders zu unterstreichen. Ich kann
mich daher der Forderung Flatows [8] vollkommen an-
schliessen, genau gemessene Substratmengen zu verwenden.
-S ist aber klar, dass das Abwiegen einer feuchten Masse
(einen Anspruch auf Genauigkeit erheben kann. Die Möglich¬
keit, mit genauen Substratmengen zu arbeiten, bietet nur ein
rockenes Organpulver. Denn selbst, wenn es gelänge, ein
euchtes Material in quantitativ annähernd gleiche Teile zu
i ringen, ist damit noch lange nicht gesagt, dass diese Mengen
listologisch sich gleichen. Auch das ist nur bei einem Pulver
n feinster Zerkleinerung möglich, das die Unterlage für ein
vollständiges Durcheinandermischen dieser kleinsten Par¬
ikelchen bietet. Nur so kann man die Gewissheit haben, dass
n gemessenen gleichen Teilen auch gleiche Mengen abbau-
ähigen Substrates vorhanden sind. Es wächst auch die Zu¬
verlässigkeit der Kontrolle bei Verwendung von trockenen
Jrganen. Geht nämlich unser Bestreben dahin, bei der Kon-
1 olle mit inaktiviertem Serum die gleichen Bedingungen zu
aben wie im Versuch: aktives Serum + Organ, so müssten
uch sämtliche Faktoren gleich und nur in dem einen Fall die
ermentwirkung ausgeschaltet sein. Nur dann dürfen wir an-
ehmen, dass Differenzen in der Reaktion auf Ausschaltung
-rmentativer Vorgänge beruhen. Das lässt sich auf Grund
er vorangegangenen Darlegung mit feuchter Plazenta nicht
erreichen. Wir kommen so der Aussicht immer näher, dass
man durch das Arbeiten mit quantitativen Werten sichere
Schlüsse aus dem Reaktionsunterschied bzw. der Reaktions¬
stärke ziehen kann.
Beim Serum ist die Verwendung gleicher Mengen ja von
jener gefordert. Die neuerdings zur Geltung kommende An¬
schauung, dass die im Serum enthaltenen abbauenden Körper
jii ll.rem Aufbau ein Analogon zu dem uns aus der Immunitäts-
lelire bekannten Begriff der Ambozeptoren-Komplementverbin-
[ nng nieten, ermöglicht es auch, dieses fermentative Gebilde
bis zu einem Punkte quantitativ zu fassen, in dem man nach
vorausgegangener Inaktivierung das reaktivierende Serum in
gleichen Mengen zusetzt. Diese Modifikation betont Haupt-
m a n n L9J in einer jüngst erschienenen Arbeit in eingehender
Weise. Der wunde Punkt der Methode bliebe dann noch die
nicht wegzuleugnende Veränderlichkeit der Dialysierschläuche
n der Hinsicht scheinen Versuche mit Schilfschläuchen ange¬
bracht, die nach K o n r a d i [ID] undurchlässig für Eiweiss sein
sollen. Es fragt sich nur, ob ihre Durchlässigkeit für die Ab¬
bauprodukte gleichmässig ist. Es ist möglich, dass das Her¬
stellungsverfahren und die Art der Aufbewahrung von Trocken-
organen noch vervollkommnet werden kann. Allerdings
durften sich diese Verbesserungen auf technische Faktoren be¬
ziehen, denn im methodischen Sinne einwandfrei ist das von
mir hergestellte Präparat. Vor allem hat die Abbaufähigkeit
bei dem Trocknungsprozess nicht gelitten. Ich habe ein fabrik-
massig dai gestelltes Präparat in einigen Versuchen mitlaufen
assen. Irgend welche Vorzüge gegenüber den von mir zu-
bereiteten trockenen Organen, wie sie sich jeder selbst her¬
steilen kann, habe ich nicht gesehen, dagegen wurde es durch¬
weg schwächer abgebaut. In der Handhabung einfacher
konnte man sich ja z. B. ein Organ denken, das, in ab¬
gewogenen Mengen sterilisiert, in luftdichten Phiolen aufbe¬
wahrt wird, die erst vor dem Versuch geöffnet werden. Bei
Herstellung der Trockenpräparate in grösserem Umfange
event. unter Verwendung von Tierorganen, besteht die Mög¬
lichkeit, dass eine Reihe von Untersuchern mit dem gleichen
bubstiat arbeiten können. Ich habe dann weiter darüber Ver¬
gleichsversuche angestellt, welches Quantum als Optimum
bezüglich der Abbaufähigkeit anzusehen ist. Dabei stellte sich
heraus, dass dieser Wert zwischen 0,1 und 0,2 g liegt. Es er¬
gab sich ferner, dass bei fallenden Dosen bis 0,01 g auch diese
Mengen noch deutlich abgebaut wurden, allerdings, wie zu er-
\v arten, bedeutend schwächer als 0,1 g. Dagegen war zuerst
auffallend, dass bei ansteigenden Dosen über 0,5 g die Reak¬
tionsstärke wieder abnahm. Sieht man aber, wie bei Zugabe
des Serums zu 1 g Organpulver das Serum in die Sqbstrat-
masse hineingesogen wird, so findet man ohne weiteres die
Erklärung für diese Erscheinung. Es handelt sich also nur um
eine rem mechanische Hemmung. Mit einer Diffusion von
stickstoffhaltigen Produkten in das wasserhaltige Organ,
worauf A b d e r h a 1 d e n [11] aufmerksam macht, braucht man
beim Arbeiten mit Organpulver nicht zu rechnen. Bei einer
Serumsubstratemulsion im Verhältnis 1 : 1 wird ein Teil des
Substratpulvers von dem Serum überhaupt nicht durchtränkt.
Es empfiehlt sich, mit Rücksicht auf die Reaktionsstärke so¬
wohl wie auf das eben skizzierte Verhältnis vom Abbau¬
material die Menge 0,1 g zu verwenden.
H... bequem ist die Einfüllung des Organpulvers in die
Hülsen, ein Prozess, der sich bei Anwendung von feuchtem
Material immer etwas umständlich und zeitraubend gestaltet
Ich schütte die unter Einhaltung aseptischer Kautelen ab¬
gewogenen Pulvermengen in einen sterilisierten Trichter,
durch dessen Rohr sie auf den Boden der Hülse fallen. Es ist
so unmöglich, dass an der Wand der Hülse Partikelchen haften
bleiben, ein Umstand, der die Zuverlässigkeit der Methode
z\y eifellos erhöht. Aus diesem Grunde ist auch der von
Melikjanz 112] verwandte, pilzförmige Aufsatz auf das
...U1 . ier. lbchen zu empfehlen, der gleichzeitig die Aussen-
£e&en den Brutschrankraum abschliesst. Ist diese
Abdichtung auch keine vollkommene, so verhindert sie doch
m Kombination mit dem I richterdeckeichen eine nennenswerte
Eindichtung der Flüssigkeitsmengen. Eine Verunreinigung der
Hülsenwände würde noch besser vermieden werden, wenn
dabei der konische Ansatz mehr spitz zuliefe. Denn durch die
1670
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
alleinige Entfaltung des oberen Teiles der Hülsen lässt es sich
nicht umgehen, dass Wandteile der unteren Hälfte in das
Hülsenlumen hineinragen. Bei Verwendung von T rockensub¬
stanz hat sich jedoch ein einfacher 1 richter, der bei Einfüllung
desselben Organs beliebig oft verwendet werden kann, sehr
gut bewährt, vorausgesetzt, dass das Serum erst nachher ein¬
gegeben wird. Verschliesst man dann die Kölbchen mit einer
Glasplatte, so erreicht man das Gewollte vollständig, nur mit
noch einfacheren Mitteln.
Manche in jüngster Zeit geübte Verfahren, die eiweiss¬
spaltende Fermentwirkung auf anderem Wege festzustellen,
erhalten durch Anwendung von gepulvertem Material eine ge¬
sicherte Grundlage. So weist Abderhalden in seinen
Abwehrfermenten, S. 360, selbst auf den Wert von einheit¬
lichem Substrat bei der von Papendieck [13] angewandten
Beobachtung des Abbaues mittels der Dunkelfeldbeleuchtung
hin. Er betont än gleicher Stelle, wie man das Nephelometer
als Abbauindikator heranziehen kann, wenn mit derartigem,
fein verteilten Substrat gearbeitet wird. Und noch in einem
Punkt scheint mir eine Anwendungsmöglichkeit des Organ¬
pulvers gegeben. Genau so, wie es möglich ist, sich durch
Vergleichanalyse des Stickstoffgehaltes im Dialysat einen Ein¬
blick in die Abbauvorgänge zu verschaffen, könnte man dies
durch Nachweis des Stickstoffverlustes im Organ erreichen.
Unter der Voraussetzung, dass eine vollständige physikalische
Trennung zwischen Serum und Organpulver nach ausreichen¬
der Bebrütung gelingt, dürfte dieses Verfahren aus nahe¬
liegenden Gründen (Ausschaltung der Hülsenfehler etc.) noch
eindeutiger sein. Finden wir eine Abnahme im Stickstoff¬
gehalt des Substrates, so wissen wir, dass ein Abbau statt¬
gefunden hat. Die Homogenität des Organpulvers lässt der¬
artige Messungen zu. Die dem Abbau zu unterwerfende
Menge kann zur Stickstoffbestimmung vor dem Versuch nicht
gebraucht werden. Da aber in einer bestimmten Menge des
in feinster Verteilung befindlichen Substrates der N-Gehalt
überall gleich sein muss, kann man die Bestimmung desselben
vor und nach dem Versuch an verschiedenen Substrat¬
portionen ausführen. Sie brauchen nur das gleiche Gewicht
zu haben. Vergleichsversuche mit Normalserum und Substrat
sind selbstverständlich dabei erforderlich. Dann ist zu er¬
warten, dass der Stickstoffwert des ,dem fermenthaltigen
Serum (z. B. Gravidenserum) ausgesetzten Substrates ver¬
mindert ist, im Vergleich zu dem Stickstoffgehalt der gleichen,
unbeeinflussten Substratmenge und dem N-Gehalt, der im
Organpulver nach Einwirkung von normalem Serum nachzu¬
weisen ist. Allerdings ist dies eine theoretische Ueberlegung,
deren Durchführbarkeit von Momenten abhängig ist, deren
Einfluss erst durch Versuchsreihen festgestellt werden kann.
Dass ich derartige Möglichkeiten überhaupt erwähne,
hängt mit dem immer stärker hervortretenden Streben nach
Vereinfachung des Verfahrens durch Beseitigung der Hülsen
zusammen. Liegt nämlich die Qualität des Organs, dessen
Brauchbarkeit fast durchweg von der Darstellungsweise und
der Art der Aufbewahrung abhängt, durchaus im Macht¬
bereiche des Untersuchers, so ist und bleibt die ganz unbe¬
einflussbare, wechselnde Beschaffenheit der Hülsen ein Mangel,
dessen Beseitigung auf jeden Fall wünschenswert ist. Darauf
hat unter anderen Röhmann [14] in sehr zutreffenden
Aeusserungen hingewiesen. Man wird also nie bei Beginn
eines Versuches mit Bestimmtheit sagen können, die Hülsen
sind zuverlässig und kommen als Fehlerquellen nicht in
Betracht.
Es werden sich aber nur die Fehlerquellen, die einiger-
massen konstant sind und deren Wirkung uns bekannt ist,
durch subtiles Arbeiten umgehen resp. bei Beurteilung der Re¬
sultate in Rechnung bringen lassen. Aus dieser Erkenntnis
heraus habe ich einzelne Punkte, die angeblich zur Ninhydrin-
reaktion führen könnten und damit positive Resultate Vor¬
täuschen sollten, geprüft und mich überzeugt, dass sie diese
Einwirkung nicht haben. Wäscht man die Hände in wenig
sterilem, destillierten Wasser und kocht diese Flüssigkeit, so
wird die Reaktion ebenso negativ bleiben, als wenn wir in eip
Reagenzglas mit 3 ccm Wasser etwas Speichel hineinfliessen
lassen und dann mit Ninhydrin prüfen. Es ist deshalb nicht
statthaft, Resultate, die sich nicht in Einklang bringen lassen,
auf derartige Einflüsse zurückzuführen. Diese Forderung ist
besonders beachtenswert, weil die Ansicht Rohm an ns [14]
sicher zu Recht besteht, dass manche Untersucher mit den
Resultaten sich begnügten, wenn sie nach ihren Erwartungen
ausfielen, aber nach methodischen Fehlern suchten und diese
auch fanden, wenn es nicht der Fall war.
Auf eine Frage möchte ich hier noch zurückkommen, die
ich bereits in meiner früheren Publikation eingehend erwähnt
und zu erklären versucht habe. Es wird nämlich manchem
Untersucher schon aufgefallen sein, dass das Dialysat: inakti¬
viertes Serum + Organ negativ, das Dialysat: Serum für sich
aber schwach positiv reagiert. Ich habe damals aus Ver¬
suchen, die ich zur Klärung dieser Erscheinung anstellte, den
Schluss gezogen, dass im fermenthaltigen Serum schon allein
ein Abbau von im Serum vorhandenen Eiweisskörpern statt¬
finden kann. Abderhalden [15] hat bei gleicher Versuchs¬
anordnung mit der optischen Methode eine Aenderung des
Drehungswinkels im aktiven Serum nicht beobachten können,
er schliesst infolgedessen derartige Einflüsse aus. Findet man
nun aber, dass bei Dialyse z. B. eines Schwangerenserums im
Brutschrank das Dialysat häufig positiv reagiert, während die
Blaufärbung ausbleibt, wenn bei dem gleichen Versuch das¬
selbe Serum in inaktivem Zustand verwandt wird; sieht man
ferner, dass das gleiche vorgekühlte Serum bei Aufenthalt im
Eisschrank ein negatives reagierendes Dialysat ergibt, dann
ist zweifellos die Deutung berechtigt, dass die Ausschaltung
der Fermentwirkung als solcher zu diesen ungleichen Resul¬
taten führt. Ich habe dieses Verhalten wieder und wieder
beobachten können und finde auch in der neueren Literatur die
von mir dafür gegebene Erklärung häufig wiederkehren. Hin¬
weise auf derartige Deutungsmöglichkeiten enthält die Arbeit
von Plaut [16]. Bei Tumorträgern fiel Oeller und
S t e p h a n [17] dasselbe auf. Ihre Versuche Hessen in vielen
Fällen auf einen Abbau von im Serum kreisenden arteigenen,
aber blutfremden Eiweisskörpern schliessen. Hauptmanr.
[18] hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, an
ca. 100 Seris der Ursache für den positiven Ausfall der Serum¬
kontrolle nachzuspüren. Seine Ansicht deckt sich mit der
meinigen und führt zur konsequenten Forderung, inaktiviertes
-f- reaktivierendes Serum als weitere Kontrolle anzusetzen.
Ein weiteres Eingehen auf diese interessanten Fragen fällt
nicht mehr in den Rahmen dieser Abhandlung. Meine Absicht
war es vor allem, die Vorzüge des gepulverten Trocken-
materials gegenüber den feuchten Organen an einigen Bei¬
spielen zu erläutern und damit zur Nachprüfung und ausge¬
dehnteren Anwendung dieses Abbausubstrates anzuregen.
Literatur.
1. H. Oeller und R. Stephan: Klinische Studien mit dem
Dialysierverfahren nach Abderhalden. M.m.W. 1914 H. 1. —
2. M. Frankel: Sitzungsbericht der biologischen Abteilung des
ärztlichen Vereins in Hamburg vom 16. Dez. 1913. — 3. H. Käm¬
merer, M. Clausz und K. Dieterich: Ueber das A b d e r -
haldensche Dialysierverfahren. M.m.W. 1914 H. 11. —
4. H. D e e t j e n und E. F r ä n k e 1: Untersuchung über die Ninhydrin-
reaktion des Glukosamins und über Fehlerquellen bei der Ausführung
von Abderhaldens Dialysierverfahren. M.m.W. 1914 H. 9. —
5. C. Lange: Untersuchung über das A b d e r h a 1 d e n sehe Dia-
lysierverfahreu. B.kl.W. 1914 Nr. 17. — 6. E. Abderhalden:
Serumfermentwirkung. M.m.W. 1914 H. 8. — 7. W. Lahm: Zur
Frage der A b d e r h a 1 d e n sehen Fermentreaktion. M.m.W. 1914
H. 23. — 8. L. Flatow: Zur Frage der sogen. Abwehrfermente.
M.m.W. 1914 H. 21. — 9. A. Hauptmann: Das Wesen der Abwehr¬
fermente bei der Abderhalden sehen Reaktion. M.m.W. 1914
H. 21. — 10. Conradi: Sitzungsbericht der Gesellschaft für Natur-
und Heilkunde zu Dresden vom 7. Februar 1914. — 11. E. Abder¬
halden und A. Fodor: Weitere Untersuchungen über das Auf¬
treten blutfremder proteolytischer Fermente im Blute Schwangerer.
Untersuchung des Dialysates mittels Ninhydrin und gleichzeitiger
Feststellung eines Stickstoffgehaltes mittels Mikroanalyse. M.m.W.
1914 H. 14. — 12. O. Melikjanz: Beitrag zur Technik des Ab¬
derhalden sehen Dialysierverfahrens. M.m.W. 1914 H. 23. —
13. Papendieck, zitiert nach Abderhalden, Abwehrfermente.
4. Auflage, S. 359. — 14. Röhmann: Sitzungsbericht der Gynäko¬
logischen Gesellschaft zu Breslau vom 17. Februar 1914. — 15. E. Ab¬
derhalden: Weitere Beobachtungen über die spezifische Wirkung
der sogen. Abwehrfermente. M.m.W. 1914 H. 8. — 16. F. Plaut:
Ueber Adsorptionserscheinungen bei dem Abderhalden sehen
Dialysierverfahren. M.m.W. 1914 H. 5. — 17. H. Oeller und
R. Stephan: Klinische Studien mit dem Dialysierverfahren nach
Abderhalden. M.m.W. 1914 H. 11. — 18. A. Hauptmann:
28. Juli 1914.
MULNCHENER MEDIZINISCHE WQCHENS CHRIFT
W,!fVÄ"rr bCl d'r Abderha.de „sehen
Nachtrag.
Ausgehend von anderen Fragestellungen und im Hinblick
aut das noch nicht geklärte spezifische oder nichtspezifische
V erhalten der Serumfermente habe ich in letzter Zeit Kasein als
Abbausubstrat gewählt. Ich sehe mich schon jetzt veranlasst,
über meme Versuchsergebnisse kurz zu berichten, da augen¬
blicklich gerade Flato w (M.m.W. 1914 Nr. 27) seine Abbau¬
versuche mit Kasein mitteilt. Ich kann bestätigen, dass sowohl
Graviden- wie Wochnerinnenserum Kasein in wechselnder
Weise abbaut. Auch Nabelschnurserum verhält sich nicht an-
der?>- Icnh, verwandte abweichend von der Flato w sehen
Methode ,1g Kasein in Substanz. Für Vergleichsbestim-
nnmgen halte ich aber schon infolge der durch die Dialysier-
schlauche gegebenen Ungenauigkeit das polarimetrische Ver¬
fahren für geeigneter als die Dialyse. Dafür spricht ausserdem
noch ein anderer Grund: denn die fermentative Energie eines
Serums ist ein Wert, der sich neben der Quantität und Qualität
der resultierenden Abbauprodukte auch in der Schnelligkeit und
dem W echsel der Wirkung ausdrückt. Man bekommt dann an¬
statt eines proteolytischen Index eine proteo-
! > t ! s c h e K u r v e. Auf Einzelheiten und Begründung dieser
eben skizzierten Punkte werde ich an anderer Stelle weiter
eingehen.
Mitteilung aus dem medizinisch-chemischen Universitäts¬
laboratorium zu Freiburg i. Br.
Jeher kolorimetrische Bestimmungsmethoden: Die Be¬
stimmung des Zuckers im Blute.
Von W. A u t e n r i e t h und W i 1 h e 1 m M o n t i g n y.
[9. Mitteilung *).]
•i ^UCD?r bndet sich bekanntlich als physiologischer Bestand-
eü im Blute des Menschen vor, und zwar ist dieser Zucker
lach den Untersuchungsergebnissen verschiedener Forscher
, r a u b e n z u c k e r -). Der Gehalt des Menschenblutes an
.ucker soll als Mittel 1 Prom. betragen. Wenn der Zucker-
.ehak des Blutes mehr als 3 Prom. beträgt, soll Zucker in
en Harn ubergehen und demnach eine Glykosurie auftreten
. Bernard )]. Nach L. Mohr4) soll dies zwar meist
utreffen, aber nicht regelmässig der Fall sein. Der Zucker-
ehalt des Blutes ist in erster Linie von der Beschaffenheit
er Nahrung abhängig und zwar in dem Sinne, dass nach Auf¬
ahme grosserer Mengen von Zucker oder Dextrin der Gehalt
es Blutes an Zucker mehr oder weniger stark vermehrt wird.
,. er. bei allen Tierarten sind die Verhältnisse in dieser
Ansicht die gleichen, denn während z. B. beim Kaninchen der
uckergehalt des Blutes innerhalb recht weiter Grenzen
.hwankt scheint er bei Hunden, selbst unter verschiedenen
ebensbedmgungen, ziemlich konstant zu sein [O p p 1 e r und
,°na )J. Ueber die Abhängigkeit des Zuckergehaltes des
lenschenblutes von der Ernährungsweise des betreffenden
idividuums liegt eine ganze Reihe von Angaben vor, die sich
ier zum Teil widersprechen. Diese Widersprüche sind wohl
im grossen Teil darauf zurückzuführen, dass die verschie-
men Experimentatoren nach verschiedenen Methoden ge¬
beitete haben und zwar auch nach solchen, die eine hin-
lchend genaue quantitative Bestimmung kleinster Mengen
in 1 raubenzucker nicht immer ermöglichen. Wie wir schon
lederholt darauf hingewiesen haben, eignen sich für die quan-
auve Bestimmung solch kleinster Substanzmengen in erster
nie die kolorimetrischen Bestimmungsmethoden.
W . A u t e n r i e t h und A. I esdorpf6) haben vor einiger
it eine solche Methode für die Bestimmung des Harnzuckers
) Ueber die Einwirkung des Serums Nichtgravider besitze ich
-n keine ausreichenden Erfahrungen.
\r l Mitteilung über kolorimetrische Bestimmungsmethoden
. Autenrieth und A. Funk). M.m.W. 1914 Nr. 9 S. 457.
1 \ ergl. v. Mering: Arch. f. Physiol. 1877.
1 Lecons sur le diabete.
) Zschr. f., exper. Path u. Ther, 4
‘) Biocherm Zschr, 13.
) M.m.W. 1910 Nr. 3 u. 4 und 1911 Nr. 17
_ 1671
beschrieben; diese Methode besteht im wesentlichen darin, dass
die nach dem Kochen mit dem betreffenden verdünnten Zucker-
harn noch vorhandene Farbstärke einer blauen Bangschen
osung auf kolorimetrischem Wege ermittelt wird; die Ab-
tahme der barbstärke der Bangschen Lösung ist nämlich
Zacker2ehalt ein^f Lösung proportional. Mit Hilfe dieser
iiothndfokann eine Menge von O’01-0’04 g Traubenzucker,
inetrkr e‘?eS veJdünnten Harns enthalten ist, kolon-
metrisch bestimmt werden. Diese, für den Zuckerharn aus¬
gearbeitete Methode konnte nicht ohne weiteres auf das Blut
quanSvoWRrdfn’ da 6S S‘uh ia bei diesem um die exakte
? erheblich kleinerer Zuckermengen
fr h 'r ^ haben daher unsere kolorimetrische Methode
1 n cn immU?g soIcb kleinster Zuckermengen umarbeiten
y,,fufn’ S° dass. der ia 2~5 g Menschenblut sich vorfindende
ucker noch mit genügender Genauigkeit kolorimetrisch be-
T, Mothnd RanJ‘ dCr VOtl UnS fÜr BIllt m0difi-
zierten Methode und unter Anwendung der Authenrieth-
ivonigsberger sehen Kolorimeters können wir jetzt Zucker-
ZTr? T +°’.5~4’5 mg Traubenzucker bestimmen. Wenn
man das B luteiweiss mittels V«» n-Essigsäure in der Siede¬
hitze ausfallt, genügen für eine einzelne Zuckerbestimmung in
der Regel schon 2,5 g Blut. Bei einem zuckerreicheren Blute
wie bei DiabetiTerblut kommt man mit noch kleineren Blut-
mengen aus. Forschbach und Severin7) haben die
Autenrieth-T esdorpf sehe Methode der Harnzucker¬
bestimmung schon früher für die Bestimmung des Blutzuckers
umgearbeitet und dieselbe ihrer Versuchsanordnung angepasst.
In einigen wesentlichen Punkten haben wir anders gearbeitet"
eine andere Enteiweissungsmethode angewandt und die Zucker¬
bestimmungen ausschliesslich mit dem oben erwähnten Kolori¬
meter ausgeführt.
Die Enteiweissung des Blutes muss vor der kalori-
rifSln 6n Bes.t™mung des Zuckers und zwar mit der grössten
borgfalt ausgefuhrt werden, wenn richtige Zuckerwerte er-
halten werden sollen. Wir haben verschiedene von den Me¬
thoden, die zur Ausfällung des Bluteiweisses empfohlen werden
vergleichsweise ausprobiert. — Die sonst elegante Methode der
Ausfällung des Bluteiweisses mittels Monokalium-
phosphat (KHsPOQ können wir nicht empfehlen, weil
wii nach derselben stets zu niedrige Zuckerwerte erhalten
haben; insbesondere ergibt sie weniger Zucker als die von
uns angewandte „Essigsäuremethode“; es wurde immer ein
zu niedriger Druckwert erhalten, gleichgültig, o-b das Blut
direkt oder nach vorausgegangener Hämolyse mit Wasser,
der kochend heissen Monokaliumphosphatlösung zugesetzt und
das entstandene Eiweiss-Hämatinkoagulum gründlich mit
heissem Wasser ausgewaschen wurde. Bei einem derartigen
Versuche wurden in 3 g einer Blutprobe, nach Ausfällung des
Eiweisses rmt Monokaliumphosphat, 0,82 mg Zucker gefunden
und nach Zusatz von 3 mg reinen Traubenzuckers zu 3 g des
gleichen Blutes 1,68 mg; statt der zugesetzten 3 mg wurden
somit nur L68-— 0,82 = 0,86 mg Traubenzucker wieder ge¬
funden. — Obgleich bei der Ausfällung des Blutes mit Mono-
kaliumphosphat ein tadellos klares, eiweissfreies Filtrat er¬
halten wird kann diese Methode für die Bestimmung des
Zuckers im Blute nicht in Betracht kommen.
Auch eine vollständige Ausfällung des ‘ Eiweisses und
Hamatins durch Eingiessen des Blutes in siedendem
Alkohol, mit oder ohne Zusatz von Essigsäure, eine Me¬
thode, wie sie von verschiedenen Seiten empfohlen wurde, ge¬
lingt nach unseren Versuchsergebnissen meist nicht denn
fast immer wurde ein durch Hämatin stark braun gefärbtes
Fdtiat erhalten. Es ist auch schon längst bekannt, dass
Harbn m AIkoho1’ der eine Spur Säure oder Alkalikarbonat
enthalt, in nicht unwesentlicher Menge löslich ist.
Auch die Enteiweissungsmethode des Blutes mittelst
dialysierten Eisenoxydhydrats — Ferrum oxy-
datum dialysatum Merck — nach L. Michaelis und P.
v o n a ) nach der Forschbach und Severin (1. c.) ge¬
rn beitet haben, dürfte im Vergleiche mit der Essigsäuremethode
keinerlei Vorteile bieten; sie ist im Gegenteil recht zeitraubend,
1911 NrZb16 f‘ d' SeS' PhysioL u- Path‘ T Stoffwechsels. N. F. Vf.
8) Biochem. Zschr. 7. 329; 8. 356 (1908).
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
1672
indem das Absaugen von selbst nur der Hälfte (25 ccm) des
ausserordentlich voluminösen, gallertigen Blut-Eisenoxj d-
gemisches (50 ccm) eine halbe Stunde und mehr Zeit bean¬
sprucht. Das hierbei erhaltene abgesaugte Filtrat ist zudem
für die kolorimetrische Bestimmung des Zuckers nicht direkt
zu gebrauchen, da es beim Kochen mit der blauen Bang sehen
Lösung ein grün gefärbtes Gemisch liefert, wodurch die Ein- ;
Stellung desselben im Kolorimeter auf gleiche Farbstärke sehr
erschwert, wenn überhaupt möglich ist.
Endlich hat diese Methode im Vergleiche zu der von uns
angewandten Methode den Nachteil, dass der Zucker, selbst
wenn das Absaugen des halben Blut-Eisenoxydgemisches ge¬
lingen sollte, immer nur von der Hälfte des in Arbeit
genommenen Blutes bestimmt wird. Bei einem zucker-
ärmeren Blute oder in den Fällen, in welchen 2 oder höchstens
3 ccm Blut zur Verfügung stehen, wie dies bei Säuglingsblut
wohl immer der Fall sein dürfte, ist es aber durchaus wün¬
schenswert, dass der Zucker von der ganzen^ in Arbeit ge¬
nommenen Blutprobe bestimmt wird. — Die Enteiweissungs-
methode nach R o n a und Michaelis hat uns übt igens die
gleichen Zuckerwerte geliefert wie die Essigsäuremethode.
Gly kose im Blute. In dem frisch gelassenen Blute
nimmt der Zuckergehalt, wie schon CI. Bernard gezeigt hat,
mehr oder weniger rasch ab, und zwar soll diese, Glykolyse
genannte Blutzuckerabnahme, auch bei vollständiger Abwesen¬
heit von Mikroorganismen stattfinden, somit durch ein lösliches,
glykolytisch wirkendes Enzym bedingt sein. Hieraus folgt,
dass eine Zuckerbestimmung sofort nach der B 1 u . t e n t -
nah m e ausgeführt werden muss, wenn man einen richtigen
Zuckerwert erhalten will. Falls eine sofortige Untersuchung
nicht möglich ist, stelle man die Blutprobe in den Eisschrank,
um die Glykolyse des Zuckers zu verhindern.
Ausführung der Zuckerbestimmung im
Blute.
a) Die Enteiweissung des Blutes. Man bringt
25 ccm annähernd 1/ioo normale Essigsäure9) in einen 250 ccm
fassenden Erlenmeyerkolben aus Jenaerglas, erhitzt zum
Sieden, lässt 2,5 g der betreffenden Blutprobe allmählich zu-
fliesseu, spült das Gefäss, in welchem das Blut abgewogen
wurde. 2— -3 mal jeweils mit kleinen Mengen ‘/wo n-Essigsäure
gut aus, bringt auch diese Spülflüssigkeit in den „Erlenmeyer ,
erhitzt nochmals unter vorsichtigem Umschwenken gerade bis
zum Aufkochen und filtriert das noch heisse Gemisch sofort
durch ein flaches Filter in eine Porzellanschale ab. Das Ei-
weiss-Hämatinkoagulum spült man 2 — 3 mal mit je 10 20 ccm
heissem Wasser aus und lässt auch dieses Filtrat in die Por¬
zellanschale abfliessen. Sollte das Filtrat durch kolloidal ge¬
löste Stoffe trübe sein, wie dies nur zu oft der Fall ist, so
giesse man es in den „Erlenmeyer“ zurück, füge A 1 K
Chlornatrium hinzu, koche nochmals unter Umschütteln auf
und filtriere kochend heiss ab. Die jetzt ablaufende Flüssigkeit
ist fast immer klar und farblos. Man kann auch in
der Weise arbeiten, dass man die Vioo n-Essigsäure, die zum
Ausfällen des Blutes dient, von vornherein mit etwa A S
Chlornatrium versetzt. — Man verdampft schliesslich das er¬
haltene Filtrat samt dem Waschwasser auf einem Wasser¬
bade zur Trockene, indem man gegen Ende der Verdampfung
nochmals 5 ccm der Vioo n-Essigsäure hinzufügt, durchrührt
den trockenen Rückstand zur Entfernung von stets noch vor¬
handenem Eiweiss, Hämatin und anderer Stoffe wie Harn¬
säur e, welche die Bang sehe Lösung ebenfalls redu¬
ziert, mit ca. 10 ccm kochendem reinen Alkohol, giesst
auch diesen Auszug durch das gleiche Filter und dampft
das gesammelte alkoholische Filtrat auf einem Wasser¬
bade zur Trockene ein. Bei richtigem Arbeiten er¬
hält man ein klares, farbloses alkoholisches Filtrat,
das beim Eindampfen einen nahezu weissen Rück¬
stand mit einem gelblich oder bräunlich gefärbten Saume
liefert; dieser Rückstand enthält den sämtlichen, in der Blut¬
probe enthalten gewesenen Traubenzucker; er eignet sich vor-
9) Eine Essigsäure, die im Liter 0,6 g C2H1O2 enthält. Man ver¬
dünne 10 ccm ’/i n-Essigsäure (mit 60 g C2H4O2 im Liter) mit 'Wasser
auf 1 Liter = Vioo n-Essigsäure.
ziiglich für die kolorimetrische Bestimmung dieses Zuckers mit
Hilfe der B a n g sehen Lösung 10).
b) Die kolorimetrische Bestimmung des
Blutzuckers. Man misst 20 ccm Wasser ab, löst den er¬
haltenen Trockenrückstand, der den Traubenzucker enthält, all¬
mählich, also unter Nachspülen der Porzellanschale, in dieser
Menge Wassers auf und bringt diese Lösung sowie 5 ccm
Bangsche Lösung, 2 g reinstes Kaliumrhodamd und
2,5 g reinstes Kaliumkarbonat in einen 150 ccm fassenden
Erlenmeyerkolben aus Jenaer Glas, so dass also das Gesamt¬
gemisch etwas mehr als 25 ccm beträgt. Nun erhitzt man.
diese Lösung auf einem Drahtnetze zum lebhaften Sieden,
kocht es 3 _ 4 Minuten (aber nicht länger), kühlt alsdann unter
der Wasserleitung rasch ab, giesst die noch mehr oder weniger
blau gefärbte Lösung unter Nachspülen mit Rhodankalium¬
lösung in ein 25 ccm Messkölbchen ab und verdünnt schliess¬
lich mit Rhodankaliumlösung bis zur Marke. Nach dem Um¬
schütteln bringt man eine Probe der blauen Lösung in den
Glastrog des Kolorimeters, stellt in der üblichen Weise durch
Verschieben des geeichten Glaskeils auf gleiche Faibstärke ein I
und liest den zugehörigen Skalenteil am Kolorimeter ab. Die
Menge Traubenzucker, welche diesem, bei gleicher Farbstärke
abgelesenen Skalenteile entspricht, erfährt man aus der Eich¬
ungskurve des Vergleichskeils. Sollte die blaue Lösung, die .
kolorimetrisch untersucht werden soll, nicht vollkommen klar
sein, wie es manchmal vorkommt, so schüttele man sie mit j
Filtrierpapierschnitzel und filtriere sie durch ein trockenes 3
Filterchen ab. In allen derartigen Fällen haben wir auf diese
Weise eine völlige Klärung der blauen Lösung erreicht, so
dass mit grosser Sicherheit auf gleiche Farbstärke eingestellt
werden konnte. Bei einiger Uebung beansprucht eine einzelne
Bestimmung des Zuckers im Blute etwa VA Stunden, ein¬
schliesslich des Eindampfens der in Frage kommenden Filtrate.
Falls es die vorhandene Blutmenge gestattet, empfiehlt es
sich immer, zwei Blutproben gleichzeitig anzusetzen, so dass
eine Kontrollbestimmung ausgeführt werden kann.
B.ereitung der Bangsche n Lösung. Die blaue B a n g-
sche Lösung muss mit der grössten Sorgfalt nach der folgenden, mi
Wesentlichen von Bang gegebenen Vorschrift hergestellt werden,
nur unter genauer Berücksichtigung der gegebenen Losungs¬
und Temperaturangaben wird eine Lösung von gleichem Wirkungs¬
wert erhalten. Wir geben die Vorschrift für die Herstellung von
2 Liter unverdünnter Bang scher Lösung, wie sie auch für die
Bestimmung des Harnzuckers gebraucht wird. Man löst in einem
Zweilitermesskolben 100 g fein zerriebenes Kaliumbikarbonat in
1200 ccm Wasser, fügt 400 g reinstes Kaliumrhodamd und 50U g
reinstes Kaliumkarbonat hinzu und erwärmt das ganze auf ein c rn
Wasserbade auf höchstens 40°. falls das Erwärmen zur voll¬
ständigen Lösung der Salze überhaupt nötig sein sollte. Dann kunlt
man auf 30° ab und lässt eine in der Wärme zwar bereitete, aber
auf 15° wieder abgekühlte Lösung von 25 g reinem kristalli¬
siertem Kupfersulfat (CuSO« + 5H20) in 150 ccm Wasser unter Um¬
schwenken und ganz allmählich zufliessen. so dass eine stärkere
Kohlensäureentwicklung nicht eintritt. Schliesslich füllt man mit
kaltem Wasser bis zur Marke (2 Liter) auf. Nach 2 tägigem
Stehen wird von dem geringen Niederschlag, der sich wohl immer
bildet, abfiltriert. Die so bereitete Bang sehe Lösung zeigt eine
ziemlich konstant bleibende Selbstreduktion und ist längere Zeit,
wenigstens 1 Jahr lang, unverändert haltbar, wie Herr Funk die
Freundlichkeit hatte, uns mitzuteilen.
Die Eichung des Vergleichskeils und die Kon¬
struktion der Blutzuckerkurve.
Der für die quantitativen Blutzuckerbestimmungen mit Hilfe des
Autenrieth-Koenigsberger sehen Kolorimeters notwendige
Vergleichskeil ist mit einer künstlichen Farblösung gefüllt, die mit
der verdünnten B a n g sehen Lösung durchaus optisch gleichwertig
und zudem haltbar und lichtbeständig ist. Dieser Vergleichskeil wird
mit einer 0,05 proz. wässerigen Lösung von reinem Traubenzucker,
der vor dem Abwägen bei 110—115° auszutrocknen ist, in der
üblichen Weise geeicht. Eine solch verdünnte Traubenzuckerlösunt
muss immer frisch bereitet werden, da sie nicht längere Zeit
haltbar ist, worauf auch Forsch baqh und Severin hinge¬
wiesen haben. Beim Aufbewahren in einer wohl verschlossener
Flasche im Eisschranke verändert sie ihren Traubenzuckergehalt im
Verlaufe einiger Tage so gut wie nicht. — Man verwende
ferner eine Bangsche Lösung, die mindestens 8 Tage lang ge¬
standen hatte, weil nur eine derartige Lösung bei 3 Minuten langem
1C) Ueber die Bereitung dieser Lösung vergl. die späteren An¬
gaben.
28. Juli 1914.
— -tr jie
«KtÄr»2ÄS:
Ä Sr Men V«Sc hÄeKF
s= H Tie“ "«ÄiWü
wechselnde, aber genau abzumessende Mengen der 0 05 nroz
Traubenzuckerlosung, nämlich 1— oc™ a„c In« o- proz<
fliessen und jedesmal noch soviel Wasser dass die TVaifh^n**6!,2“’
lösuns auf »ccm verdünn, ist. Nun fo« ma“ 2 e r elnätes Zdan'
kal.um und 25 g reinstes Kaüumkarbonat hinzu, die beide au einer
Handwage abgewogen werden, erhitzt dann auf enem Draht
netze zum lebhaften Kochen und hält 3, höchstens 4 Minuten
fang im Sieden. Man kühlt jetzt unter der WaSeitune sofort
rasch auf Zimmertemperatur ab brinet Hie nnoh ^ S so.ort
blau gefärbte Lösung, unter wiederholtem Nacispülerl teV ErflT
KhV„k ^
Se'Ä
sSärenr“m1;;,ae'il,:enZ“Ckerk0nZen,ra',<-"“ die
0,05 proz. Traubenzuckerlösung: 2 4=;
Zugesetztes Wasser: is’ ifi’ ,c’
Gehalt an Traubenzucker: l’ 2 2 5
Gleiche Farbenstärke b. Skalenteil: 23,’ 36,’ 42,’
muenchener medizinische Wochenschrift.
6, 8, 9 ccm.
14, 12, 11 ccm.
4, 4,5 mg.
3, . ...
48, 62, 69.
Durch Einträgen der in Arbeit genommenen Trauben-
gShomFngKnt‘nLMllligrammen auf die A^isse und der für
gleiche Farbstarke ermittelten Skalenteile auf die Ordinate
• eines Koordinatensystems lässt sich dann die unten aufge¬
nommene Traubenzuckerkurve für Blut, sie sei kurz Blut¬
zuckerkurve genannt, in der üblichen Weise kon
struieren. vvcise Kon-
Unser Vergleichskeil umfasst somit ein Messbereich für
ir riif.S ah mg raubenzucker und zwar liegt das Optimum
r die Ablesung zwischen den Skalenteilen 25 bis 35, was
ner Zuckermenge von 1 — 4,5 mg entspricht.
f V1 * g k e ‘ 1 Um die Genauigkeit und auch Zuver-
ssigke.t der von uns befolgten Methode kennen zu lernen
_be" ' wir,vo5 Schlachthaus- und von Menschenblut zunächst
e normale Zuckermenge wiederholt bestimmt, alsdann vor
1W,e'SSUngJkleine Mengen von Traubenzucker zu-
St,u"d.von. d‘esen Blutproben wiederum den Zucker-
-halt kolorimetnsch ermittelt. Bei unseren ersten Unter-
Schlachthausblut haben wir für eine einzelne
Jckerbestimmung jeweils 10 g Blut verarbeitet, die erhaltene
ickerlosung mit 10 ccm Bangscher Lösung unter Zu-
■ Ag KallumrBodanid und 5 g Kaliumkarbonat ge-
' L°cSang schliesslich nicht auf 25, sondern auf
• ccm aufgefullt. Selbstverständlich mussten wir den für diese
Stimmungen von uns benutzten Keil in gleicher Weise eichen,
I’° . die Ermittelung eines jeden Punktes in der Eichungs-
jrve jeweds 10 ccm Bang sehe Lösung abmessen, die
p ^eichte Kaile mit der Blutzuckerkurve können von
■ »i U - Cie” hreiburg bezogen werden.
iofehlen k°nnen Büretten mit s c h e 1 1 b a c h schem Streifen
Nr. 30.
oben angegebene Menge der beiden Kaliumsalze
und schliesslich auf 50 ccm verdünnen.
1673
zusetzen
do.
do.
do.
do.
Schlachthausblut II
do.
do.
Kaninchenblut
do.
b;
Verarbeitetes Blut
Ge¬
wicht
Zusatz
von
Trauben¬
zucker
Gleiche
Farbstarke
bei
Gefundener
Blutzucker
in
Fehler
Skalenteil
m I Oewichts-
1 Prozenten
10 g
10 g
10 g
10 g
10 g
10 g
10 g
10 g
10 g
10 g
2,4 mg
2,0 mg
2,8 mg
2,4 mg
utentweissung
23
22
36
35
37
47.5
48.5
61
25.5
25,5
1.9
1,8
4.1
3.9
4.2
5.8
5.9
7.9
2.5
2.5
0,019
0,018
0,041
0,039
0,042
0,058
0,059
0,079
0,025
0,025
— 0,1 mg
— 0,1 mg
— 0,4 mg
— 0,4 mg
Schlachthausblut 11
do.
do.
do.
8 g
5,6 g
5,6 g
5 g
mit dialysiertem
h y d r a t 1S).
Eisenoxyd-
5,6 mg
5,6 mg
43,5
65
64
49
5,2
8,5
8,4
2,97
0,060
0,152
0,150
0,0594
— 0,2 mg
— 0,3 mg
n h n h Enteiwei,ssunS des Blutes mitMonokalium-
P h o s p h a t zu n ! e ei r i g e Zuckerwerte liefert zeigen die
folgenden Versuche, bei welchen die drei Enteiweissunvf
derselben BlubtDnrohander ^ ,'mmer gleichzeit'g bei ein und
q er seinen Blutprobe angewandt werden. Bei der Ausfüllung
des Blutes mit d i a I y s i e r t e m E i s e n o x y d h y dra
Wasse0rbad^^rST lagU1,geSaUJgte Filtrat auf dem
wasserbade zur Trockene verdampft und alsdann der Rück¬
stand in der für die Essigsäuremethode angegebenen Weise
“sr "urdfeit ist meist ■** ^
Die im Folgenden aufgenommenen vergleichenden Ver
Stiche wurden jeweils mit 5 g frischem Schlachthausblut aus
SÜSÄ-Ä4" erhitzt “nd dÄ
E n t e i w e i s s u n g mit
Gleiclie Farbstarke
T , bei Skalenteil:
I. Versuch 36
II. Versuch 37
III. Versuch 36
1/ioo
Enteiweissung
I. Versuch
II. Versuch
m i t
n-E ssigsäure.
Blutzucker, gefunden:
„mK Gewichtsprozente
2,0 5 0,041
2,08 0,042
2,U5 0,041
dialysiertem Eisenoxyhydrat.
^ _ 2-08 0,042
37,5 2,20 0,044
I VerluclT 6 * S S U " S £ L* M ° n 0 k a 1 ‘ u m p h 0 s P h a t.
i. versuch 23,5 1,05 0 021
IL VerSUch 23 LOl 0,0202
• Bn, e,iner weiteren Versuchsreihe wurde der Zuckergehalt
eines Blutes sowohl vor als nach Zusatz einer geringen Menge
aubenzucker kolorimetnsch bestimmt. Auch bei diesen Ver¬
suchen wurde unter Anwendung von Monokaliumphosphat als
Enteiweissungsm.ttel erheblich weniger Zucker ge
fanden als der betreffenden Blutprobe zugesetzt wurde
a) Vor dem Zusatze von Traubenzucker
= Skalenteil 29
ten 21 Sfclüe^
b) Nach Zusatz von 4mg Traubenzucker.
- 4E9mg1Sina3U1rreRflutMUnS:t 51?ich? Earbstäl ke bei Skalenteil 73
wiedwgefunnden^aU ^mg^Fehferr— ^5 mg ^jj|®Q^rau^enzuc^er
teil 50^ S in° 3 \ ^uV; Ä Ä
w.ederge fanden statt der zugesetzten 4 mg Fehler: - l!« i Ä
W eichen Einfluss eine zuckerreichere Nahrung
wie Honig — auf den Zuckergehalt des Blutes ausübt, zeigen
die folgenden Versuchsergebnisse: ’ gen
. . ^ Die Ergebnisse dieser Versuche zeigen öä«« nio Fm,
eiweissung des Blutes mit Ferrum oxydatum dialysaturri dieglei"
mcetnhodeCkerWerte liCfert wie die Essig^äure-
3
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1674
1. Eine Stunde nach dem üblichen Frühstück wurde der
Zuckergehalt des Blutes von Herrn Ek. zu 0,05 Proz. be¬
stimmt; als Herr Ek. mit dem Frühstück noch 100 g Honig
aufgenommen hatte, stieg der Zuckergehalt des Blutes aut
0,066 Proz. , .
2. Umgekehrt wurde der Zuckergehalt des Blutes des
Herrn Dr. E., nach Aufnahme von 100 g Honig etwa 1 Stunde
vor der Blutentnahme, zu 0,079 Proz. ermittelt und der Zucker¬
gehalt fiel auf 0,0568 Proz.. als der Honig bei der sonst gleichen
Ernährungsweise weggelassen wurde.
Herrn Dr. med. Erne gebührt unser Dank für die Vor¬
nahme der Entnahme des Blutes, das für die Bestimmungen
erforderlich war.
Blut des Herrn M., nicht zuckerkrank 26 Jahre alt. Ab¬
gewogen; 2,5 g Blut. Gleiche Farbstärke bei Skalenteil 29 — 1,5 mg
oder 0,06 Proz. Zucker.
Blut einer zuckerkranken Frau. Herrn Dr. med.
W i n g 1 e r - Freiburg sind wir zu grossem Danke verpflichtet, dass er
uns das Blut einer zuckerkranken Patientin, mit 6,2 Proz. Zucker im
Harn, für eine Zuckerbestimmung überlassen hat. Eine kolori-
metrische Bestimmung dieses Blutes hat einen Zuckergehalt von
0,2 Proz. (genau 0,190 Proz.) ergeben. Eine Kontrollbestimmung mit
der gleichen Blutmenge von 2,5 g lieferte den gleichen Zuckerwert.
Säuglingsblut. Von vier verschiedenen Proben Säuglings¬
blut haben wir nach unserer kolorimetrischen Methode den Zucker¬
gehalt bestimmt. Für die gütige Zusendung dieser vier Blutproben
danken wir Fräulein Dr. med. Lief mann (Säuglingsheim Dresden)
auch an dieser Stelle recht herzlich. Für jede einzelne Zuckerbestim¬
mung wurden 2,5 g Blut abgewogen und jeweils eine Kontrollbe¬
stimmung angesetzt. Es wurden die folgenden Werte erhalten:
I. Blutprobe: a) 0,036, bt 0,038 Proz. Zucker,
II. „ a) 0,033, b) 0,032
III. „ a) 0,029, bi 0,028 „
IV. „ a) 0,039, b) 0,038 „
Nach diesen Befunden scheint der Zuckergehalt des Säuglings¬
blutes nicht allzugrossen Schwankungen unterworfen zu sein; ferner
dürfte der Zuckergehalt desselben, prozentual ausgedrückt, etwa um
die Hälfte geringer sein als im Blute des erwachsenen Menschen
Zusammenfassung:
1. Mit Hilfe einer verdünnten Bang sehen Lösung und
unter Anwendung des Autenrieth-Koenigsberger-
schen Kolorimeters lässt sich der Zucker schon von 2,5 g
Menschenblut mit hinreichender Genauigkeit kolorimetrisch
bestimmen. Falls die zur Verfügung stehende Blutmenge aus¬
reicht, setze man gleichzeitig eine Kontrollbestimmung an. Bei
richtigem Arbeiten beträgt die Differenz in den Zuckerwerten,
die bei den einzelnen Bestimmungen von ein und derselben
Blutprobe erhalten werden, 0,2, höchstens 0,3 mg Trauben¬
zucker. Man verarbeite das frisch aufgesammelte Blut sofort,
da der Zuckergehalt des Blutes beim Aufbewahren mehr oder
weniger rasch abnimmt. Glykolyse im Blute.
2. Die Enteiweissung des Blutes geschieht am
zweckmässigsten durch Eingiessen desselben in eine kochend
heisse annähernd 1/ioo normale Essigsäure; häufig ist ein Zu¬
satz von Chlornatrium erforderlich, um der Bildung kolloidaler
Lösungen vorzubeugen, denn nur dann wird ein klares Filtrat
erhalten.
Die Ausfällung des Blutes mit Monokaliumphosphat können
wir nicht empfehlen, wenn es sich um die Bestimmung des
Zuckers im Blute handelt.
3. Den Zuckergehalt des Blutes vom erwachsenen ge¬
sunden Menschen haben wir zu 0,05 bis 0,07 Proz. gefunden.
4. Das Blut eines Diabetikers mit 6,2 Proz. Zucker im
Harn hat 0,2 Proz. Zucker enthalten.
5. Zuckerreichere Nahrung wie Honig erhöht den
Zuckergehalt des Blutes nicht unwesentlich.
6. Im Blute des gesunden und gut genährten Säuglings
scheint der Zuckergehalt ziemlich konstant zu sein, denn bei
4 verschiedenen Proben schwankte der Gehalt nur zwischen
0,029 bis 0,036 Proz. Zucker.
7. Um besser vergleichbare Blutzucker¬
werte zu erhalten, wird es sich empfehlen, das Blut nach
einer bestimmten Anzahl von Stunden nach Einnahme einer
Probemahlzeit von bestimmter Zusammensetzung zu ent¬
nehmen und dessen Zuckergehalt sofort zu bestimmen.
Zur Stimmgabel-Stethoskop-Methode *).
Von Priv.-Doz. Olpp in Tübingen.
In der neuesten Auflage der Realenzyklopädie der ge¬
samten Heilkunde (erschienen 1911) sagt Herr Sticker in
der Abhandlung über Perkussion unter anderem: „Die bisher
gebräuchlichen Mittel und Methoden der mittelbaren und un¬
mittelbaren Perkussion haben in den letzten Jahren neue Er¬
gebnisse nicht geliefert . . . Fragt man sich, ob neue Ergeb¬
nisse überhaupt noch zu erwarten sind, so wird ein Arzt, der
nicht in eine Ueberspannung seiner Methoden und nicht in
einseitigen Gebrauch seiner diagnostischen Mittel verfällt,
kaum viel zu wünschen übrig haben“.
Es ist auffallend, wie lange die Forschung in den letzten
Jahrzehnten brauchte, um wieder einen positiven Schritt nach
dieser Richtung hin vorwärts zu tun. Die Stäbchenplessimeter¬
perkussion von H e u b n e r und Leichtenstern hat sich
zwar für manche Zwecke für brauchbar erwiesen, aber die
Friktionsmethode nach B i a n c h i und B a z z i, ausgeübt mit
Zeigefinger und Phonendoskop, der Borstenpinsel von Shmith,
das Wasserleitungsgeräusch von Pal, das geriefte, runde
Stäbchen von Reichmann usw. haben es stets mit Ge¬
räuschen oder Nebengeräuschen, nie mit Tönen in akustischem
Sinn zu tun. Es ist merkwürdig, dass die „Ueberschwenglich-
keit des Erfindungsgeistes“ bei einem Konglomerat von
Klängen, d. h. Geräuschen stecken geblieben ist und den reinen
Ton nicht in Verbindung mit der Auskultation zur Abgrenzung
der Körperorgane in Anwendung gebracht hat. Um einen
bakteriologischen Vergleich heranzuziehen, hat man stets mit
Bakteriengemischen, nicht mit Reinkulturen gearbeitet. Aller¬
dings hat H. Baas bei seiner Phonometrie die gewöhnliche
Orchesterstimmgabel angewandt und angegeben, dass ihr Ton.
wo lufthaltige Teile beim Aufsetzen nahe sind, lauter
wird, wo luftleere darunter liegen, dagegen in rascher
Weise verklingt. Er hat aber nicht das Stethoskop zu Hilfe
genommen. Uns liegt daran, 2 aneinander grenzende, aber
luftleere Organe mit Hilfe der Stimmgabel voneinander
abzugrenzen. Das Verdienst, die Stimmgabel auskultatorisch
zur Bestimmung der Organgrenzen in der Praxis zu ver¬
werten, gebührt dem englischen Tropenforscher Cantlie1).
Es handelt sich dabei um einen ganz anderen Gedankengang,
als bei der Phonometrie von Baas. Als ich Cant lies
Stimmgabel-Stethoskop-Methode auf der Tagung der Deut¬
schen Tropenmedizinischen Gesellschaft in Berlin (7. — 9. April
1914) demonstrierte, überzeugte sich auch der oben angeführte
Herr Sticker von der Brauchbarkeit des Phänomens und
bemerkte in der Diskussion: „Wenn die Methode die Organ¬
grenzen allseitig so deutlich zur Wahrnehmung bringt, wie ich
mich eben bei der Lungen-Leber-Grenze überzeugt habe, so ist
sie als eine wirkliche Bereicherung unserer Kenntnisse zu
bezeichnen“.
Cantlie demonstrierte die von ihm seit mehreren Jahren
geübte Methode im August 1913 einigen Tropenärzten bei Ge¬
legenheit des XVII. Internationalen Medizinischen Kongresses
und veröffentlichte sie im Januar dieses Jahres. Deutschen
Klinikern ist die Entdeckung daher noch nicht genügend
bekannt.
Das Prinzip der Methode beruht darauf, dass ein Körper¬
organ, auf das eine schwingende Stimmgabel aufgesetzt wird,
mitschwingt und die Stärke des Tones durch das gleichzeitig
auf dasselbe Organ aufgesetzte Stethoskop wahrgenommen
werden kann. Sobald die Stimmgabel die Grenzen des Or¬
gans überschreitet, klingt der Ton wie aus weiter Ferne
kommend oder er verschwindet ganz, kehrt aber sofort zurück,
wenn man die immer noch schwingende Stimmgabel auf das
betreffende Organ zurückführt. Cantlie fand Gis (410) der
Stimmgabel als die geeignetste Tonhöhe. Die Basis der
Stimmgabel sollte nicht abgeplattet, eher etwas pointiert sein.
*) Vortrag, gehalten am 11. Mai 1914 im Medizinisch-Natur¬
wissenschaftlichen Verein Tübingen.
0 Cantlie: The use of the tunning-fork in diagnosing tue
outlines of solid and hollow viseera of the ehest and abdomen
and of certain pathological conditions. The Journal of Tropical Me-
dicine and Hygiene, 1914, Nr. 2, S. 17 — 20.
28. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCH R I FT.
Ich habe mir nun die von C a n 1 1 i e angegebene Stimmgabel ■)
kommen lassen, finde sie aber in der Praxis für etwas zu
unhandlich und ziehe die kleinere Stimmgabel mit zweige¬
strichenem L (L ), also eine 1 erz höher, auch aus dem Grunde
vor. veil man dann gleichzeitig mit der Stimmgabel den Blau¬
stift zur Markierung der Organgrenzen in der Hand halten und
so Zeit sparen kann, während C a n 1 1 i e immer erst die
schwere Stimmgabel aus der Hand legt und dann mit dem
Blaustift den Punkt aufzeichnet, den er mit dem Zeigefinger
der dcis Stethoskop haltenden Hand vorher festhielt
Der an die Stimmgabel anmontierte Hammer ist unnötig;
denn man kann die Stimmgabel an irgendeinem Gegenstand
anschlagen, wenn nichts
anderes vorhanden ist,
am Stiefelabsatz. Man
setzt sie dann leicht,
aber fest, auf die Haut.
Sehr treffend und gut
beobachtet ist nun die
Beobachtung von
C a n 1 1 i e, dass die
Töne, welche beim
Aufsetzen des Stetho-
Fi£. 1 Stimmgabel und Stethoskop auf der Leber Skops auf die Haut
Die Abbildungen sindj« Onglnalarbeit Cantli es über irgend einem der
genannten Organe ge¬
hört werden, von der Basis der Stimmgabel auszugehen
scheinen, wenn diese auf dem gleichen Organ sich befindet.
Wenn aber die Stimmgabel die Grenzen des Organs über¬
schreitet, auf dem das Stethoskop steht, wird der Ton nicht
nur leiser, sondern er scheint von dem freien Ende der Stimm¬
gabel her zu ertönen, nicht von der Basis. Bei einiger Uebung
macht sich diese Eigentümlichkeit dem Untersucher mehr be¬
merkbar und ist ein ausgezeichnetes Hilfsmittel für die dia¬
gnostische Verwertung des an und für sich recht relafiven Be¬
griffes einer laut oder leise schwingenden Stimmgabel.
Die praktische Anwendung dieser Stimmgabel-Stethoskop-
Methode geschieht z. B. auf der Leber auf folgende Weise:
Das doppelte Stethoskop wird etwa 1 Zoll hinter der rechten
Mamillarlinie auf den Rippenknorbel der 7. oder 8. Rippe auf¬
gesetzt. Die angeschlagene Stimmgabel wird nun in der Para¬
sternallinie von der 3. Rippe beginnend abwärts geführt, indem
1675
. 2. S = Stethoskop.
Kieme Ringe bedeuten leisen Ton
Punkte „ lauten „
Fig. 3.
sie immer wieder von der Haut abgehoben und in kurzer Ent-
ernung davon wieder aufgesetzt, also nicht auf der Haut
weiter geschleift wird. Wenn man von der Lunge her anfängt,
Jie Stimmgabel aufzusetzen, so ist der Ton, den man hört,
»venn die Stimmgabel sich noch auf der Lunge selbst befindet,
:art und wie von ferne klingend; in dem Augenblick aber, wo
he Stimmgabel die Leber erreicht, hört man den Ton laut und
:r bleibt auch laut, solange die Stimmgabel bei ihrer Abwärts-
Bei Messrs. Mayer and Meitzers, 75 Great Portland
treet, London W.
| Wanderung sich über der Leber befindet. Sobald man aber
| den unteren Leberrand mit der Stimmgabel überschreitet also
andere Abdominalorgane unter ihr sich befinden, verklingt der
I on plötzlich zu einem Summen aus weiter Ferne.
Der Grad des angewandten Druckes ist für verschiedene
diagnostische Zwecke verschieden. Auf der Brust braucht die
Stimmgabel nur zart auf die Haut aufgesetzt zu werden. Wenn
es sich aber wie bei korpulenten Patienten oder bei der Aus¬
dehnung der Bauchhöhle durch Darmgase oder durch Flüssig¬
keiten darum handelt, die untere Lebergrenze genau festzu-
Fig. 4.
Fig. 5.
stellen, so muss die Stimmgabel zeitweise ziemlich tief einge¬
druckt werden, damit die Baucheingeweide oder die Flüssig¬
keiten, die sich zwischen Abdominalwand und Leber befinden
beiseite gedrückt werden können.
Der obere und untere Leberrand kann schnell und genau
kontrolliert werden, wenn man die Stimmgabel im Zickzack
über die vorher markierte Lebergrenze führt. Auch die rela¬
tive Grösse der beiden Leberlappen kommt auf diese Weise
gut zur Anschauung.
•• jy^nchmal ist es durch Palpation und Perkussion nicht
möglich, die linke Lebergrenze festzustellen, z. B. wenn die
Lunge
Pleura¬
exsudat
Fig. 6.
Fig. 7.
Milz gleichzeitig so vergrössert ist, dass sie die Leber berührt.
I )ie Stimmgabel-Stethoskop-Methode klärt diese Verhältnisse
sofort auf; denn wenn das Stethoskop auf der Leber steht und
die Stimmgabel auf der Milz, so ist ihr Ton völlig unhörbar
und umgekehrt.
Ebenso kann ein Pleuraexsudat mit der Stimmgabel-
Stethoskop-Methode sofort nach der Leber hin abgegrenzt
werden. Man hört die Stimmgabel nur über der Leber, wenn
das Stethoskop gleichzeitig über ihr steht. Wenn die Stimm¬
gabel dagegen auf dem Exsudat oder der Lunge und das
Stethoskop auf der Leber steht, hört man den Ton entweder
nur ganz schwach oder gar nicht. Das ist von grosser Wicli-
3*
1676
Nr. 30.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tigkeit für die klinische Diagnose; denn man kann weder durch
Perkussion, noch durch Palpation oder durch Auskultation
feststellen, ob die Dämpfung bzw. Abschwächung des At¬
mungsgeräusches durch einen pleuritischen Erguss, einen
Leberabszess oder durch eine durch Abdominaltumoren nach
oben verdrängte Leber bedingt ist.
Die Methode findet nach C a n 1 1 i e auch ihre Anwendung
bei Hohlorganen, wie Magen und Blinddarm. Die Schwierig¬
keiten. die sich manchmal einstellen, wenn man entscheiden
will, ob das augenblicklich gefühlte, volle und bewegliche
Zoekum oder Kolon nicht vielleicht eine herabgesunkene
Wanderniere ist, können mit dieser Methode sofort behoben
werden. Ebenso kann der Verlauf des Dickdarms vom
Zoekum bis zur Medianlinie noch verfolgt werden.
Die Ausdehnung eines graviden Uterus, einer Ovarial-
zyste, eines Uterusfibroms, einer ausgedehnten Gallenblase
kann durch die Stimmgabel-Stethoskop-Methode festgestellt
werden. Ebenso ist die Methode anwendbar bei Frakturen,
wenn man die Knochen der gesunden Seite mit den fraktu-
rierten vergleicht. Besonders angenehm ist dies bei Rippen¬
frakturen. Bei diesen muss man das Stethoskop möglichst
nahe an der Wirbelsäule auf die Rippen aufsetzen und die
Stimmgabel möglichst weit vorn auf der Brustseite.
Weniger günstig scheinen mir die Resultate bei der Be¬
stimmung der Herzgrenzen zu sein, da meines Erachtens
Sternum und Rippen zu stark mitschwingen. Es gelang mir
nur, nach oben und unten die absolute Herzdämpfung abzu¬
grenzen. Cantlie will aber auch beim Herzen cito et tuto
günstige Resultate erzielt haben.
Ebenso will er die Tonhöhe bei Fettleber von der Tonhöhe
einer zirrhotischen Leber gut unterscheiden können. Dieser
Gedanke berührt sich wieder mit der Phonometrie von Baas.
Mir fehlen darüber noch weitere Erfahrungen; auch Cantlie
hat noch nicht genügend Material gesammelt, um die für be¬
stimmte Organerkrankungen spezifischen Tonstärken schon in
ein wissenschaftlich einwandfreies Schema bringen zu können.
Zur Vermeidung von Fehlerquellen, die durch die Respi¬
ration und die durch sie bedingte Organverschiebung ent¬
stehen könnten, pflege ich die Untersuchung bei stillstehender
Atmung, am besten in der verlängerten Atempause nach der
Exspiration vorzunehmen.
Bemerken möchte ich noch, dass Cantlie seine Methode
mit Röntgenstrahlen kontrolliert und bestätigt gefunden
haben will.
Fragen wir nun nach der wissenschaftlichen Erklärung
des Phänomens, so ist zunächst zu sagen, dass die Schwin¬
gungen der angeschlagenen Stimmgabel sich auf das von ihr
berührte Körperorgan in derselben Tonhöhe fortpflanzen, wie
ich mich von dem hiesigen Physiker habe belehren lassen.
Dieselben Schwingungen werden durch das auf das Organ auf¬
gesetzte Stethoskop laut und deutlich gehört, weil das Organ
wie ein Resonanzboden wirkt. Ueberschreitet aber die Stimm¬
gabel die Grenzen dieses Organs, so werden die Schwingungen
tatsächlich von dem freien Ende der Stimmgabel direkt durch
die Luft an das Ohr getragen, also ohne einen verstärkenden
Resonanzboden. Obwohl sie also einen näheren Weg zurück¬
legen, klingen sie aus diesem Grunde tatsächlich wie aus weiter
Ferne kommend. Man kann das an zwei nebeneinander ge¬
legten Schweinsblasen studieren, die mit einem weichen Leder
überdeckt sind. (Demonstration des Versuchs.) Die Organe
schwingen nur insoweit mit, als sie der Bauch- bzw. Brustwand
anliegen oder an dieselbe angedrückt werden.
Es wäre interessant, die Schwingungen des im Stethoskop
fortgeleiteten Stimmgabeltones durch die empfindliche Gas¬
flamme aufzuzeichnen und mit den Schwingungen der Stimm¬
gabel zu vergleichen, ein Gegenstand, der einer Doktorarbeit
wert wäre.
Um einen Vergleich von S t i c k e r zu gebrauchen und
auf unseren Fall anzuwenden, so wird das Klavier, das mir
aus einem verschlossenen Raum her leise tönt, lauter, wenn
ich die Türe öffne und ebenso wenn der Spieler stärker an¬
schlägt. Ich unterscheide aber ganz deutlich, ob das eine oder
das andere geschieht. Bei der Stimmgabel-Stethoskop-Methode
wird das Instrument von dem Untersucher gleichlaut ange¬
schlagen, einerlei, ob er es dann erst auf das auskultierte
Organ oder erst auf ein Nachbarorgan aufsetzen will. Das
Aufsetzen der Stimmgabel auf das auskultierte Organ wirkt
wie das Oeffnen der Türe des Klavierzimmers. Der Ton wird
sogar auch dann deutlicher gehört, wenn die Stimmgabel erst
auf ein Nachbarorgan und dann auf das auskultierte Organ ge¬
setzt wird, d. h. wenn die Stimmgabel schon einige Zeit ge¬
klungen hat oder, um in unserem Bilde zu bleiben, wenn der
Klavierspieler leiser angeschlagen hat.
Man könnte nun einwenden, dass die anatomische Struktur
des Brustkorbes den Schall beeinflusst. In der Tat klingt der
Ton der Stimmgabel auf den Rippen etwas stärker, als wenn
sie auf den Interkostalraum aufgesetzt wird. Die Brustwand
als ganzes ist aber nicht ausschlaggebend, da die physikali¬
schen Eigenschaften des Schalles massgebend sind.
Interessant wäre es, wenn ausser den inneren Medizinern
und Chirurgen auch die Gynäkologen die Methode nachprüfen
wollten. Ich könnte mir denken, dass ein Uterustumor von
einem Beckentumor mit Hilfe der Stimmgabel auch dann noch
gut abgegrenzt werden kann, wenn andere Methoden ver¬
sagen. Einen weiteren Vorteil bietet die Stimmgabel bei der
Auskultation der eigenen Körperorgane, wovon sich jeder
Kenner überzeugen kann, der ein doppeltes Stethoskop be¬
nutzt. Sie hat ausserdem den Vorzug der Billigkeit, denn eine
C2-Stimmgabel ist für 1 M. und ein binaurikuläres Stethoskop
für 3.50 M. zu erhalten.
Versuche mit dem Ni coli eschen Gonokokkenvakzin
(Dmegon).
Von Dr. Hugo Müller in Mainz und Dr. Ernst Bender
in Wiesbaden.
Nach der Entdeckung des Gonokokkus hat N e i s s e r eine
zielbewusste Gonorrhöetherapie auf die örtliche Anwendung
der Silbersalze begründet. Von anorganischen zu den ver¬
schiedensten organischen Verbindungen übergehend, hat diese
Behandlungsart in ihren verschiedensten Anwendungsformen
Erfolge gezeitigt, mit denen der Praktiker bis zu einem ge¬
wissen Grade zufrieden sein könnte. Der Prozentsatz unge-
heilter oder scheinbar unheilbarer Fälle sank von Jahr zu Jahr.
Doch blieb eine bestimmte Zahl immer rezidivierender Gonor¬
rhöen, die weder durch neuere und neueste Silbersalze, noch
durch Adstringentien, weder mit Hilfe der verschiedensten
Balsamika, durch mechanische Behandlung, noch durch Ruhe
oder öfteren Wechsel der Therapie zur Heilung zu bringen war.
— Wir wissen, dass die Misserfolge darauf zurückzuführen
sind, dass unsere Heilmittel nicht an die Stellen gelangen, wo
sich Gonokokken abgekapselt festsetzen, und so jeder Zeit neue
Rückfälle oder scheinbare Neuinfektionen verursachen können.
Die häufigsten Schlupfwinkel für die Gonokokken sind die
Prostata, die Nebenhoden und die verschiedenen Infiltrate i n,
u m und neben der Harnröhre. Für diese Krankheitsformen
bedeutet die im Jahre 1909 inaugurierte aktive Immuni¬
sierung bei gonorrhoischen Prozessen einen ungeheuren
Fortschritt. Das Ideal dieser Therapie, für jeden Fall seine
Autovakzine herzustellen, ist dem Praktiker unmöglich, aber
auch für die Kliniker nur in vereinzelten Fällen erreichbar.
Die seither meist verwandten polyvalenten Vakzinen — wie
das Arthigon und Gonargin (über andere fehlt uns die persön¬
liche Erfahrung) — leisten in der Tat bei vielen Fällen von
Komplikationen und Metastasen der Gonorrhöe recht Er-
spriessliches. Leider aber bleiben uns immer noch eine Zahl
solcher Erkrankungen, wo uns diese Vakzinen auch bei lan«
fortgesetzter und intravenöser Anwendung im Stiche lassen.
— Wir haben deshalb das Nicollesche „a toxische
Gonokokkenvakzin“ Dmegon in Fällen, wo Arthigon
und Gonargin versagt hatte, und in anderen, in denen wir die
gerühmte „Ungiftigkeit“ prüfen wollten, versucht. — Wenn
das Resultat auch nicht ein solches ist, dass wir in dem neuen
Präparat nunmehr das Mittel der Wahl zu haben glauben, so
ist es doch angezeigt, unsere Resultate zu veröffentlichen, um
eine Nachprüfung an grösserem Materiale und vor einem
grösseren Forum zu veranlassen. — Es wurden im ganzen
18 Gonorrhöekranke und eine Arthritis non gonorrhoica mit
Dmegon behandelt. Jene umfassen: 5 Versuche, akute
28. Juli 19I-L
MUENCHENER MEI )IZ1N1SC 1J E WOCH ENSCH R I ET.
11 11 k o m p I i z i e r t e erste Gonorrhöen zu heilen oder
zu beeinflussen.
Dünn folgende Komplikationen bzw. Metastasen:
6 Fälle gonorrhoischer Prostatitis bzw. Prostataabszess
2 halle gonorrhoischer Epididymitis.
2 Fälle echter gonorrhoischer Arthritiden.
1 Fall Gonorrhöe mit Beteiligung der Pars posterior (ohne
Erkrankung der Prostata).
I Fall von Spermatozystitis + Pyelitis (?)
I Fall gonorrhoischer Pyelitis + Nephritis.
■ , G,',e ,lctzten Fälle bieten besonderes Interesse und seien
deshalb kurz geschildert:
Fall 1. Landwirt, 27 Jahre.
Subakute Gonorrhoe ant. posterior + Gk., Prostataabszess
i r Gk.. ausserdem Gram-positive Kokken.
M Scit 7 Monaten in spezialistischer Behandlung, Spülungen,
assage, I mthermie. Zwei Serien von Arthigoninjektionen ä 4 g.
]!L breLfYon* Gonargininjektionen, dabei 5 mal 250 Millionen
Keime. , tets starke allgemeine und lokale Reaktion — ohne jede
Wirkung. Vom 3.— 9. März 4 Dmegon intramuskulär. Lokal keine
2™cfTerdfn’, kem,e, . Temperatursteigerung. Nach 2. Injektion
Irostuta stark verkleinert, Ek.— Gk.; Sekretion hat aufgehört, in
"IT nk'iTGk' S5it 9 März ständig überwacht, trotz
provokatorischer Dehnung und Prostatamassage rezidivfreie Heilung
Fall 2. Offizier, 32 Jahre.
Gonorrhoische Prostatitis seit 7 Jahren. '
Letztes Jahr konsequent spezialistisch behandelt, darunter
eArthigonimekt'onen erfolglos. 28. II. Massiges Urethralsekret Ek ,
Ep.-Gk„ Strictura urethrae, Prostata + Gk., Ek. Urin I. II. III. trübe.
Ilierapie: Spulungen mit Permanganat. Massage. Vom 2 III _ 16 III
6 Dmegonmjelitionen. Nach dritter, Sekret sehr spärlich; Prostata
dann. dauernd gonokokkenfrei; Strikturbehandlung. Seit
23. III Therapie ausgesetzt, fortgesetzt kontrolliert. Besonders zu
bemerken dass die ursprünglich höckerige Prostata jetzt eine gleich-
mässige Konsistenz und keine Knoten mehr zeigt.
Fall 3. Kaufmann, 39 Jahre.
Gonorrhoea subacuta; Prostatitis (+ Gk.), Epididymitis seit
6 Monaten bestehend. 8 Arthigoninjektionen erzielen einen Erfolg auf
I iostata und Epididymitis. Dagegen Urethralsekret + Gk. Urin
trübe I. II. III trotz Ruhe und Spülungen. Vom 9. III.— 23. III.
ail >Fle1Äon*njeIU1Rr,®51 mit der Wirkung völliger Heilung. Trotz
Gk und Ek6' Kohabltationen und Redens dauernd seither frei von
Fall 4. 32 jähriger Zahntechniker.
Tmi!l0n°TTh0e -Urd..Pr?statAtis ^ Gk>) bestehen seit über 2 Jahren.
1 rotz aller speziahstischen Vorbehandlung Gonokokken immer wieder
er. chienen, aus Prostata stammend. Zuletzt 6 Arthigon- (wovon 2 intra¬
venös) und 4 Gonargininjektionen erfolglos. Vom 14.— 22. III 5 Dmegon
bei gleichzeitigen Argentaminspülungen. Seit 18. III. andauernd frei
von Gonokokken, bei ständiger Ueberwachung trotz Provokationen.
Fall 5. 28 jähriger Reisender.
i/ GonoHrrb?e P°st- +> Prostatitis acuta. Infektion vor
4 Jahr. Heftige Strangurie. Urin I. II. III. trübe. Vor den Injektionen
' läge Bettruhe ohne wesentliche subjektive oder objektive Besse-
, nieKöninjektionen. Nach 2 Injektionen Strangurie ver-
ichwunden, Urin in III. Portion klarer, nach 3. Injektion dauernd klar,
m Hrostatasekret lassen sich nunmehr keine Gonokokken mehr nach
1677
klar; 3 Dmegon abends 38,2°. 20. III. kein Sekret, Fäden Ek -Gk •
schicclencr Provokationen. ‘3leibt °hne öel,andlun£ ces“"d- <"><* ™ :
Fall 9. 24 jähriger Offizier.
weisbar4 erklank?" an!‘ V0\L + Gk': Prostata nicht nach-
eisnar erkrankt. Seit 3 Monaten Arthritis gonorrhoica genu et
Urethra^nlrhf36' "V 1 Dmte>n: d“bei lokale BeEdtaTde
sch veliur vo an‘erbrochfn- 20- '•!. 2. Dmegon. 21. III. Celenk-
scinvellungen sehr zuruckgegangen. 22. III. und 24 III je eine
therapie mit mL Jele"k-e schmerzlos beweglich, so dass eine Uebungs-
geheift aher Ä*?* %n^et werden kann. Gonorrhöe noch nicht
,v’ nl, In'etzter Zeit Gk. nicht mehr gefunden. (Nachtrag: seit
12 ' V' Gonorrhoe auch anscheinend geheilt, noch in Beobachtung.)
Fall 10. 40jährige Patientin.
ArthHHr°rrh0e\U!'et,irae an«eblich seit 6 Wochen. Seit 4 Wochen
A?9 VI T°nh0’Ca manus dextr. (Ankylose). Ohne Behandlung,
o™ f'i-M U Gmegon (Dr. P u p p e 1 - Mainz). Am folgenden Tag
Beweglichkeit sehr gebessert. 14., 17. und 20. IV. je eine DmevoS
Fip]die 9Intaalmuskulatur. Minimale örtliche Beschwerden kein
Flexi6orn0<unrdS°Fxtfms'AIlg^me'nerSCk?iniinsen' Der VergIeich zwischen
r(u£‘°n and Extension des gesunden linken und seither kranken
ifnhoteS Handgelenks ergibt am 20. IV.: Flexion links 120° rechts
130 », Extension links 100», rechts 143». Die Bewegung is( also nur
noch in geringem Masse beschränkt. (Gez. Dr. Puppe 1.)
Fall 11. 27 jähriger Koch.
Subakute Gonorrhoea ant. +, posterior +. Urin I II III trübe
”'CS -achwaisbar krank. Lokale Therap e ausge 2,
Re T; • D™egg\ b Stunden später, während Patient zu
Ordination eRlei F!,eber b-IS 39\2 ’’ schmerzen im linken Nebenhoden,
urüination. Bleiwasserpriessmtz; Ruhe. 16. IV. Schwellung nicht zn
beL0ertmSchJS7eratUr 38’2 i abends* ,7‘ IV- Allgemeinbefinden ge-'
befseH;. Schwellung unverändert. 2. Dmegon. 18. IV Schwellung
wesentlich geringer, fast nicht mehr empfindlich. Urin in beiden
Keh!L°n cf v a+-’ Sekrel~ Qk' 19- W. 3. Dmegon. 21. IV. 4. Dmegon
ne'H Sekretlon mehr’ in Filamenten andauernd nur Ek — Gk
didymUfühXaf"2 geri"ReS CtWa erbsengrosses Infiltrat in der Epi-'
E a 1 1_ 12. 23 jähriger Techniker.
Vor 5 Monaten erste Gonorrhöe begonnen, letzt anterior nnrl
posterior und leichte Prostatitis. 17. III. ernstliches Krankheitsgefühl
^bn-eruenrbeiderSe-tS m Nierengegend. Urin I. II. III. trübe. Mikro¬
skopisch Gram-positive und negative Kokken. Im Zentrifugat-
probe" 6 Ansfai?r' Der fl,ltriarte Urin ergibt reichlich Eiweiss bei Koch-
? naC1 Essigsäure und Ferrocyankali sehr stark.
deflKw ffAPl!SvaUTeH Gründen Verlegung nach der Hautabteilung
gesc üchte kt Krankenhauses. Der folgende Auszug der Kranken-
geschichte st von dem dirigierenden Arzt Herrn Dr. Epstein
gutigst uberlassen: 23. III. 2. Dmegon, abends 37,6°. 25. III. 3. Dme¬
gon, abends 3J,8 27. III. 4. Dmegon abends 36,8°. 30. III 5 Dme¬
gon abends 36,5 “ Vom 26. III. bis 1. IV. werden Protargolinjektionen
menJ6 Pi ÜeV0rgemf] ht In de" ersten Tagen Sekret und Urinsedi¬
ment Ek. + Gk.; dann nur Ek. — Gk. Urin anfangs in beiden
Porfonen trübe, am 25. III. 2. klarer; 27. III. ganz klar. Kein Eiweiss
mehr im Urm. Prostata normal. (Gez. Dr. E p s t e i n.) Seitdem bis
15. IV. dauernd kontrolliert und gesund geblieben.
.ve,sen Ueberraschend schnelle Resorption der Prostataschwellung
sämtliche Urmportionen verbleiben klar. Sekret der Ant. leicht
>chleimig, aber ! Gk., so dass Lokalbehandlung notwendig wird.
F a 1 1 6. 42 jähriger Kaufmann.
Seit ca. 12 Jahren Gonorrhöe. Epididymitis dpi. vor 10 Jahren,
zoosperm le, Urethralstriktur vor 5 Jahren konstatiert. Wegen
ikuten Prostatarezidivs vor 7 Monaten (Ek. + Gk.) 8 Arthigon-
uckuonen ?>bne Erfolg. Vom 5. — 15. III. 5 Dmegoninjektionen kom-
miert mit I ermanganatspülungen, Dilatationen und Massagen Gk
n l rostatasekret verschwunden; nach vorausgegangener Dilatation
ber wieder im Anteriorsekret aufgetreten. Seit ca. 3 Wochen Ek.— Gk
ach Spülungen mit Argentamin.
Fall 7. 26 jähriger Lehrer.
~uta iS0? HnfmS MrZ' 1L *U\Ant- + Qk>; ’S- HI. Epididymitis
"a UrT E U. III. trübe. 1. Dmegon, abends 40,1°, enorme Pro-
t ahon (tlurch Fieber?); 21. III. kein Sekret mehr, Urin klar:
.hmerzfren Schwellung im Rückgang. 2. Dmegon, abends 39,7°;
x H! Qeschwulst im Rückgang, Urin I. II. III. klar, Ek.-Gk. 3. Dme-
’ anen^s 38,8 Seit 17. III. lokale Behandlung; unter ständiger
entrolle dauernd geheilt.
Falls. 32 jähriger Kaufmann.
\or 9 Jahren erste Gonorrhöe; jetzige seit 7 Wochen; — Gk.,
aKe*nL EbM’dvmitis sinistra aufgetreten. Ruhe, Bleiwasser-
icssnitz. Abendtemperatur 39°. Ausstrahlende Schmerzen. 14. III.
Dmegon; Abendtemperatur 38,5° (6 Stunden post injectionem)
'• V.V AllKcmembefinden gebessert, keine Schmerzen, abends 37,7°.
• II. -. Dmegon, Schwellung bis auf geringes Infiltrat zurück-
langen, abends 37,8°. 18. III. beschwerdefrei, Gk. ??, Urin I. u. II.
F a 1 1 13. 42 jähriger Kaufmann.
T „miStiarrei Pupi!Ien- minime Patellarreflexe, WaR. Blut negativ,
Lumbalpunktion verweigert. Vor 2 Jahren akute Nephritis.
Seit 1900 Ehegonorrhöe. Aus Angst vor der Behand-
lung nie längere Therapie. Jede Untersuchung ergab + Gk in
Prostata und m Samenbläschen. Am 26. III. 14 Ant.-Sckret + Gk
H-nnTIj' Ik 1 •,tr!lbne: Prostatitis, Spermatozystitis Ek. ++ Gk. Vom
/6. 111— 2. IV 4 Dmegoninjektionen, Urin etwas klarer. Am 2. IV.
erste Lokalbehandlung, forcierte Janetspülung mit Argentum 0,1 -400 0
£evf4nH Vt?|ark-te lTU^.g L IL IIf : k]?-gt über Schmerzen in Nieren-
Urfn entleerT^ ^eise Retention, mit Katheter 50 ccm trüber, neutraler
Urin entleert. Ek. + Gk.; ausserdem Bakterien von Kolitypus
Rechtes Samenblaschen starker geschwollen. Stuhlverhaltung, keine
Shangurie. Ordination: 2 mal täglich Diday und Urotropin 5 g p. d.
L'n wl 10ch i9,meK011-, Wahrend der letzten Injektionen Trübung
ÄftWihe la6ha M"rU?geganKen’ IL und IIL Portionen nur noch
leicht trübe Samenblaschen weniger geschwollen, Befinden sehr ge¬
bessert. Ab 7 IV. keine Lokalbehandlung. Es bedurfte bis zur völligen
k,arungdes Urins 10 Dmegoninjektionen. In Summa erfolgte 12 malige
Vakzination. Aus p. post., Prostata, Samenblase gelingt cs keine Gk
mehr zu entdecken. In Anterior noch am 26. IV. + Gk. Kom¬
plikationen sind sämtlich verschwunden entsprechend palpatorischem
Reaktion zu? Folg“) '"W'1"*™ allgemeine, starke
F'all 14. 19 jähriger Fahnenjunker.
Gonorrhoea subacuta anterior posterior.
folsr.Midp^ NpSn|h BcbandlunK’ da nach einem Typhus mit nach¬
folgender Nephritis jetzt noch gelegentlich Albuminurie auftritt. Um
I oieranz von Niere auf Dmegon zu prüfen, am 12. III. eine Injektion
Dmegon. Höchsttemperatur 38,8°; grosse Prostration, geringe
*) Anmerkung bei der Korrektur. Wenige Argen¬
tumspulungen erzielten nunmehr volle Heilung.
Nr. 30.
Schmerzen im Bein. Da Urin II. und III. klar war so ist Ejweissprobe
leicht vorzunehmen. Es erfolgt 24 ständige leichte- RetÄ
Foi meiemente. Da diese Symptome wahrend dauernder Bettruhe
auftraten, schien es bei der Disposition des Patienten ratsam, von
weiterem Dmegon Abstand zu nehmen. Hier sei erinnert an Fall 13,
wo vorjährige akute Nephritis bestanden hatte und Dmegon kein
Albumen auslöste; ferner an Fall 12, wo eine spezifische Nieren-
Schädigung unter Dmegon prompt heilte. ... ...
Im Anschluss sei über einen Fall nicht gonorrhoischer Arthritis
mit Dmegoninjektionen berichtet.
Fall 15. 33 jähriger Offizier. . , ... „
Vor 8 Jahren erste Gonorrhöe + Epididymitis. Ein Jahr spater
zweite Infektion (?) Manöver, Gonarthritis. Vor o Jahren nach
Erkältung (Uebungsritt) Monarthritis (grosse Zehe), Prostatamassage
ohne Schädigung ertragen. Vor 3 Jahren Erkaltung nach Uebungs¬
ritt einmalige Prostatamassage. Vorher Urin I. II. klar, Filamente Ek.,
Ep., Diplokokkenstäbchen. Danach schwere, mehrere Monate dauernde
Polyarthritis. Seit einem Jahre Ischias, hnkcs Fussgelenk erkrankt
und Muskelrheumatismus. Urin I. II. klar, in Faden Ek., Ep., D p
kokken und Stäbchen. Ein Versuch mit 3 Dmegoninjektionen hatte
keinerlei Effekt.
Wir haben dann weitere 4 Fälle akuter Gonorrhoe und
zwar vorher unbehandelte 1. Infektionen mit Dmegon injiziert.
Anfangs schien es, als ob das makroskopische Aussehen und
die Menge der Sekretion beeinflusst würde. Auf die Dauer
wurde aber weder eine Beseitigung der Gonokokken, noch
eine Abkürzung des Verlaufes erzielt, es wurden hier pro Fall
nicht mehr als 6 Dosen injiziert.
Betrachten wir unsere 18 Fälle kritisch, so hat das Dmegon
mit den bisher bekannten Gonokokkenvakzinen gemeinsam,
zunächst das auffällige Versagen bei der ohne Komplikation
verlaufenden Gonorrhöe des Mannes. Dann hat es im Fall ll
(subakute Posteriorgonorrhöe) das Auftreten einer Epididymitis
nicht zu hindern vermocht, vielleicht sogar diese provoziert
— allerdings auch deren ungewöhnlich rasche Heilung be¬
wirkt. Auch diese unerfreuliche Nebenwirkung ist von an¬
deren Vakzinen bekannt.
Dem stehen jedoch unleugbare Vorzüge gegenüber: 1. Wir
haben in vielen Fällen mit 4—6 Injektionen Komplikationen und
Metastasen geheilt, in denen jegliche Therapie, meist auch die
seither üblichen Vakzinen vollkommen versagt hatten. -. ln
den meisten Fällen wurden diese erfreulichen Resultate er¬
zielt ohne so hohe Temperaturen, örtliche, und Allgemein¬
beschwerden mit hinnehmen zu müssen, wie wir es seither
gewohnt waren.
Wie erklären sich diese Differenzen? Für die erste Frage
schiene es am naheliegendsten anzunehmen, dass zufällig im
Dmegon im Gegensatz zu den vorher angewendeten Vakzinen
für den betreffenden Fall die identischen Gonokokkenstamme
vorhanden gewesen sind. Das ist durchaus möglich, aber ein¬
facher, und gleichzeitig die zweite Frage erklärend, erscheinen
die Erwägungen, welche für N i c o 1 1 e bei Herstellung seiner
Vakzine massgebend waren. Das Dmegon ist nach ganz
anderen Prinzipien als unsere üblichen Vakzinen hergestellt
bzw. zusammengesetzt. Daher können auch andere Resultate
erwartet werden.
Nicol 1 es Augenmerk war darauf gerichtet, eine mög¬
lichst „atoxische“ und doch wirksame Vakzine zu gewinnen.
Nachdem er sich von der Undurchführbarkeit der Besredka-
methode gegenüber der Gonorrhöe überzeugt hatte, schlug er
folgenden Weg ein
Um die Gonokokken morphologisch möglichst unverändert zu
erhalten und sie vor Autolyse zu bewahren, wurden sie in Fluor¬
kaliumlösungen (7,0:1000,0) emulgiert. — Lebende Gonokokken oder
solche, die durch Aether oder Hitze abgetötet waren, verursachten
eine heftige Reaktion. Diese Giftwirkung konnte N i c o 1 1 e dadurch
mildern, dass er die Gonokokken auf Nährböden züchtete, denen er
langsam Pepton und Serum entzog. Dann wandte Nicolle seine
Aufmerksamkeit dem bekannten Gram-positiven, dem Gonokokkus
morphologisch und oft auch in der Lagerung gleichen Diplokokkus zu.
Dieser wächst zum Unterschied vom Gonokokkus auch auf serum¬
freiem Nährboden unter Bildung eines Orangefarbstoffes. Auf den
Menschen übertragen verursacht er keinerlei Reaktion. Sein Vakzin
aber soll nach N i c o 1 1 e die gleiche Heilwirkung auf Gonorrhöe
haben, wie die echte Gonokokkenvakzine. Damit wurde trotz seiner
tinktoriellen Verschiedenheit eine Verwandtschaft mit dem Gono-
kokkus gemutmasst. Diese Erwägungen brachten N i c o 1 1 e auf den
Gedanken, der Vakzine den Gram-positiven Kokkus hinzuzufugen.
Dieser Kokkus, den er Synokokkus nennt, soll das Vakzin
atoxisch gestalten.
Ueber die Herstellungstechnik gibt er folgendes an: Auf einen
Nährboden von 100 Bouillon 0,4 Harnstoff, 2,0 Glykose , 0,05 Phosphor-
saU rcn Ammoniak, 1,0 Kochsalz, 1,5 Agar fügt man (und zwar au
ie 5 ccm dieses Nährbodens) Va ccm Kaninchenserum, und dies impft
man mit e Sem echten Gonokokkenstamm, der auf eineni allmählich
Smärm?" gemachten Nährboden gezüchtet . st Der Synokokkus
wird auf demselben, aber serumfreien, Nährboden gezüchtet, Naui
24 Stunden werden die Kulturen in der früher erwähnten Fluor¬
kaliumlösung emulgiert, gewaschen, ,zer!^lf^giehrk ^ ^Syno-
isoliert zu erhalten. Dann werden sie im Verhältnis von y syno
kekken auf 1 Gonokokkus gemischt und titriert auf 500 Millionen
Kokken Sro Kubikzentimeter. - 48 Stunden Eisschrank genügen, um
die Vitalität der Kokken zu zerstören.
Ohne die Einzelheiten der N i c o 1 1 e sehen Ausführungen
nachprüfen zu können, fanden wir bei wiederholter Prüfung
des Präparates stets färbbare Gram-positive und Gram¬
negative Kokken. Auch fiel es uns bei einzelnen Kranken aut,
dass sich im Sekret neben echten Gonokokken auch Gram¬
positive in aussergewöhnlicher Menge fanden. Gerade die^e
Fälle aber waren es auch, die besonders überraschend gute
Resultate boten (Fall 1, Fall 12). ,
Für eine spezifische Vakzinwirkung und die Notwendigkeit
direkter Einstellung auf den jeweiligen Krankheitserreger
spricht auch Fall 13. Hier hatte Urotropin völlig versagt.
Dmegon-Impfung führte Besserung herbei. Komplette Klärung
erfolgte aber erst bei Kombination weiterer Dmegon-Ein-
spritzungen mit Urotropin. Mikroskopie zeigte hier neben
Gonokokken Bakterien vom Kolitypus. ..
Ergäben unsere Resultate keine besonderen Vorzüge vor
den bisher üblichen Gonokokkenvakzinen, dann wurde der für
deutsche Verhältnisse relativ hohe Preis (5 M. pro dosi) als
erschwerend für die Einführung anzusehen sein ). Aber
Patienten, die von der allgemeinen und örtlichen Reaktion
nach Arthigon und Gonargin (allerdings in höheren Dosen)
schwer mitgenommen waren, ertrugen das Dmegon ungleich
besser Das Präparat kommt in einer gleichbleibenden Do¬
sierung zur Anwendung. (Prof. Nicolle warnte in brief¬
licher Form vor Steigerung der Dosis.)
Dennoch kann diese Vakzine im strengen Sinne des Wortes
nicht als atoxisch gelten. Der Autor will zweifellos nur
diese Bezeichnung im Vergleich zu den übrigen Vakzinen an¬
gewendet wissen. Wirklich hoheTemperaturen zeigten
nur die Epididymitiden. Hier aber ergab sich auch der er¬
freuliche Erfolg sofort in anschliessender Ausheilung der Ure¬
thralgonorrhöe ohne örtliche Behandlung.
Allgemein reaktion wurde, wie aus den Kranken¬
geschichten hervorgeht, bei mehreren Patienten, im Einzelfall
zum Teil wiederholt, festgestellt.
OertlicheDruckempfindlichkeitan Stelle der
Einspritzung, wie auch das bekannte „Lahmheitsgefühl im
Bein zeigte sich mehrfach, aber ganz entschieden weniger
ausgesprochen, als bei früheren Präparaten.
Herdreaktionen waren öfter festzustellen — Bren¬
nen, leichte Schmerzhaftigkeit — vielleicht gehört hierher die
nach der Injektion beobachtete Epididymitis.
Fassen wir unsere Beobachtungen zusammen, so kann
Dmegon dringend empfohlen werden:
1. Bei Komplikationen und Metastasen der Gonorrhoe, in
denen unsere anderen Vakzinen versagt haben; ganz besonders,
2. wenn neben echten Gonokokken Gram-positive Diplo¬
kokken von gleichem Typus auftreten.
3. Bei Fällen, in welchen starke allgemeine und örtliche
Reaktionen sich verbieten. Doch gewährt Dmegon hier keine
absolute Sicherheit.
Soweit reichen unsere bisherigen Beobachtungen. Eine
volle Bewertung der Nicolle sehen Vakzine wird sich erst
an Hand eines grösseren Materiales ergeben.
Anmerkung bei der Korrektur. Seit Abschluss der
Arbeit wurden noch 15 Fälle gonorrhoischer Komplikationen bzw.
Metastasen behandelt. Diese wurden in fast allen Fällen günstig be¬
einflusst. Jedoch erschien die Wirkung auf die Gonokokken der
Urethra noch unverlässiger als in den oben ausführlich besprochenen
Fällen. Eingehende Würdigung dieser Beobachtungen behalten wir
uns bis zur Sammlung weiterer Erfahrungen vor.
*) Die ersten 50 Injektionsdosen stellte in dankenswerter Weise
die Fabrik Poulenc freres, Paris, kostenlos zur Verfügung
28. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aus dem städtischen Krankenhaus Augsburg.
Zur operativen Behandlung der Herzschüsse.
Von Dr. Theodor Müller, Sekundärarzt.
In den nunmehr bald 20 Jahren, die es eine Chirurgie des
Herzens gibt, ist erst ungefähr ein halbes Hundert von opera¬
tiv angegriffenen. Schussverletzungen des Herzens bekannt
geworden; es darf daher als gerechtfertigt erscheinen, jeden
einzelnen neuen Fall ausführlich zu betrachten. Die Kranken¬
geschichte eines jungen Mannes, den ich im August vorigen
Jahres zu operieren Gelegenheit hatte, ist folgende:
Am 10. August 1913, nachmittags kurz vor 5 Uhr, wurde der
15 Jahre alte Kaufmannslehrling Hubert K. in das Augsburger Kran¬
kenhaus verbracht. Fr hatte sich ungefähr % Stunden vorher mit
einem kleinen 1 erzerol einen Schuss in die Herzgegend beigebracht.
Nach der lat begab er sich noch eine Treppe höher und erzählte dort,
dass er sich geschossen habe; bald darauf wurde ihm schwindelig
und man brachte ihn sogleich ins Krankenhaus. Der mittelgrosse,
kräftig gebaute junge Mann war sehr blass, Lippen und Wangen leicht
zyanotisch. Die Haut war kühl, mit kaltem Schweiss bedeckt. Ra¬
dialpuls war nicht zu fühlen, an den Karotiden fühlte man einen sehr
beschleunigten, regelmässigen, schwachen Puls. Ueber dem Herzen
hörte man nichts, keine Töne, kein Geräusch, die Herzdämpfung war
sehr deutlich ausgeprägt, Schenkelschall darbietend, aber nicht ver-
grössert. Am linken Sternalrand, dicht am Ansatz des 5. Rippen¬
knorpels war die 5 mm im Durchmesser haltende, kreisrunde Ein¬
schussöffnung zu sehen, aus der es augenblicklich nicht blutete. Da
eine Verletzung des Herzens nahezu sicher war, wurde sofort zur
Operation geschritten.
Vorsichtige Aethertropfnarkose, Jodtinkturdesinfektion. Senk¬
rechter Schnitt am linken Sternalrand vom 3. bis 5. Rippenknorpel.
Stumpfwinkelig am unteren Ende dieses Schnittes wird ein finger¬
langer Schnitt auf der 5. Rippe geführt und diese 2J4 cm lateral von
deren Sternalrand durchgekniffen. Schnitt im Interkostalraum und
Aufklappen dieses nach Kocher umschnittenen Lappens, Ligatur der
Mammaria interna. Ablösung des M. triangularis am Sternum und
stumpfes Abschieben der unverletzten Pleura nach lateral. Es zeigt
sich, dass der Schuss hart am linken Sternalrand das Brustbein am
Ansatz des 5. Rippenknorpels durchbohrt hat; deshalb wird der Rip¬
penknorpel aus dem Sternalgelenk ausgelöst. Nunmehr liegt der prall
gefüllte, dunkelschwarz durchschimmernde Perikardialsack vor; dicht
am Sternalrand ist ein Loch im Perikard, aus dem nun ein dünner
Strahl schwarzen Blutes springt. Eröffnung des Perikards und Aus¬
räumung der Blutkoagula. Das Herz schlägt unregelmässig. Die Re¬
vision der Vorderwand ergibt im rechten Ventrikel, je 1 cm von der
inken Kammer resp. dem rechten Vorhof entfernt, die Einschuss-
iffnung, die augenblicklich nicht blutet und mit einem Gerinnsel be¬
leckt ist. An der Rückwand des emporgehobenen Herzens ist keine
Verletzung zu finden. Naht mit 3 Katgut-Knopfnähten, die Schlag-
tolge des Herzens ändert sich während der Naht nicht wesentlich,
;s zuckt ebenso unregelmässig wie vorher. Bei Anlegen der 2. Naht
olutet es aus dem Einstich ziemlich heftig, die Blutung steht durch
-ine senkrecht darauf geführte Umstechungsnaht. Während der Ab¬
buchung des Herzens und dem starken Seitwärtsziehen der Pleura ist
liese eingerissen. Die linke Lunge sinkt zurück, ist nicht verletzt,
ler Pleuraraum leer. Die Lunge wird mit 3 Katgutnähten an die
larietale Pleura angeheftet, das Perikard und der Pleuraschlitz mit
(atguteinzelnähten geschlossen und der Lappen zurückgeklappt,
lautnaht ohne jede Drainage.
Infusion subkutan 500 ccm Kochsalz. Nach dem Eingriff guter,
cräftiger Puls, auch an den Radiales zu fühlen.
Am nächsten Tag leidliches Wohlbefinden; mässige Atrnungs-
lehinderung durch den Pneumothorax. Puls 120, kräftig und regel-
nässig, Temp. 38,5. Keine Zyanose.
Die ersten 10 Tage blieb das Befinden bei wechselnder Tempera-
ur stets gutem, massig beschleunigtem Puls gut. Einmal wurde am
lerzen ein synchron mit der Diastole hörbares, schabendes Geräusch
lemcrkt, das am nächsten Tage verschwunden war; der Pneumo-
horax bildete sich verhältnismässig rasch zurück.
Am 25. VIII. trat hohes Fieber ein, am Herzen wurden die Töne
ut gehört, kein perikardiales Reiben, keine Veränderung der Herz-
ampfung kam, die linke Lunge zeigte vesikuläres Atmen über den
beren Partien, ein Erguss war nicht nachzuweisen. Dieser Befund
'3x am nächsten Tag auch aufzunehmen; an der Stelle des Ein-
chusses war die Haut ein wenig gerötet und druckempfindlich.
Am 27. VIII. stieg das Fieber bis 40°, aus der ehemaligen Schuss-
■ unde, die schon verklebt erschien, entleerte sich missfarbenes, trübes
■ekret, dessen Menge bei leichtem Druck auf die Umgebung zunahm,
hese sezernierende Fistel wurde gespalten, desgleichen einige Gänge,
Ie von ihr aus in das umgebende Gewebe liefen, so dass eine stern-
Kmige Wunde entstand. Im Zentrum dieser Wunde war in der
icfe eine Oeffnung zu sehen, in der der vorsichtig sondierende Klein-
nger die Pulsation des Herzens fühlte. Ein Gummidrain wurde ein-
elegt und die Inzisionswunde locker tamponiert.
.. Die Temperatur fiel auf diesen Eingriff hin und blieb bei gutem
'ohlbefinden des Patienten ein paar Tage in normalen Grenzen.
Am 31. VIII. nachmittags trat heftiges Stechen rechts hinten
unten ein, Schüttelfrost und Fieber, in -den nächsten Tagen entwickelte
sich eine Pneumonie im rechten Unterlappen. Die Wunde an der Ein¬
schussöffnung sezernierte mässig während der ganzen Zeit, Beschwer¬
den seitens des Herzens traten nicht ein.
In der ersten Hälfte des September fiel die Temperatur lytisch
ab, vom 15. IX. an war der Patient fieberfrei, ab 20. IX. konnte auch
die Drainage an der Wunde in der Brustwand weggelassen werden,
der Patient konnte aufstehen.
In der Folgezeit kam es noch am lateralen Ende des unteren
Lappenschnittes zu einem Fadenabszess, eine Katgutligatur stiess
sich ab, Mitte Oktober bekam dann der. Patient noch eine follikuläre
Angina, die er rasch überstand und am 25. X. konnte er endlich ge¬
heilt entlassen werden.
Das kleine Projektil konnte man am Röntgenschirm nur im schrä¬
gen Durchmesser bei einer bestimmten Stellung des Patienten sehen,
ca. 2 Finger oberhalb des Zwerchfellschattens.
Eine Nachuntersuchung an Weihnachten ergab, dass der Patient
sich dauernd wohl und beschwerdefrei fühlte, kein Herzklopfen, keine
Herzbeklemmung wurde beobachtet. Die linke Lunge atmete allent¬
halben gut vesikulär, die Herzdämpfung war nicht verbreitert, aber
in toto um 1 Querfinger nach rechts gerückt. Auch jetzt noch, ein
halbes Jahr nach der Entlassung, geht der junge Mann in vollem
Wohlbefinden seinem Berufe nach, der ihm allerdings — er ist Kauf¬
mann — schwere körperliche Arbeit nicht bringt.
B i r c h e r hat kürzlich in Langenbecks Archiv die
Frage aufgeworfen, ob die Herzchirurgie eine radikale oder
konservative sein müsse. Er teilt 2 Fälle mit, bei denen durch
konservatives Verfahren Heilung einer unzweifelhaften Herz¬
verletzung eintrat. Er warnt vor der aktiven Therapie für alle
Herzverletzungen und verlangt Indikationsstellung für jeden
einzelnen Fall. Es ist eine bekannte Tatsache, dass das klein-
kalibrige Geschoss, das seine Wunde ohne Sprengwirkung
setzt, nicht unbedingt tödlich wirken muss; Man teuf f eis
Beobachtungen im mandschurischen Krieg beweisen das zur
Genüge. Man kann sich, wie B i r c h e r auseinandersetzt, gut
vorstellen, dass ein derartiges Geschoss, auf den eben in
Systole befindlichen Herzmuskel auftreffend, einen so feinen
Kanal bildet und so geringe Läsion setzt, dass es nicht zu dem
gefährlichsten Folgezustand einer nicht sofort tödlichen Herz¬
wunde, der Herztamponade, kommt. Andererseits weiss man,
dass Spontanheilung jedoch gerade bei Schusswunden selten
ist und dass überdies Spontanheilungen oft nur Scheinheilungen
sind, wie Ewalds Fall, der 4 Wochen nach einer solchen
Heilung plötzlich an Herzdruck und innerer Blutung starb,
beweist; Simon berichtet sogar über einen Spättod nach
einer 4 Jahre zurückliegenden Herzverletzung. Ausserdem
können bekanntlich schwere Verletzungen nahezu symptomlos
verlaufen. Beispiele sind wiederum in Simons Arbeit ‘zu
finden, und wir werden später von einer solchen Beobachtung
berichten. Aktives Vorgehen ist daher bis auf wenige Aus¬
nahmen wohl als Regel zu betrachten auch bei Verletzten,
die nicht sofort mit schweren alarmierenden Symptomen in
unsere Behandlung kommen. In der Indikation zu schleunigem
Eingriff bei Zeichen der Herztamponade herrscht allgemeine
Uebereinstimmung. Die Erscheinungen dieses Herzdruckes
müssen nicht immer vollzählig sein: kleiner Puls, präkardiale
Angst, Abschwächung oder sonstige Veränderung der Herz¬
töne, Schweissausbruch werden fast stets gefunden, nicht kon¬
stant dagegen ist Verbreiterung der Herzdämpfung. In den
Fällen mit Durchbohrung des Herzbeutels und Eröffnung der
Pleura ist dies ja sehr einfach mit dem Abfluss des vom Herzen
strömenden Blutes durch die Kommunikationsöffnung zwischen
Perikard und Pleura zu erklären; die zweite Abflussmöglich¬
keit des angesammelten Blutes gibt die Einschussöffnung selbst.
In diesen beiden Fällen droht dann die andere grosse Gefahr:
die Verblutung in den Pleuraraum oder nach aussen.
In unserem Fall gaben die Erscheinungen der Herztampo¬
nade den Anlass zur Operation1, die Blutung nach aussen war
gering und stand bei der Einlieferung ins Krankenhaus ganz.
Verbreiterung der Herzdämpfung fehlte zwar, doch war die
Dämpfung außergewöhnlich intensiv, Herztöne waren über¬
haupt nicht zu hören, der Puls klein, nur an den Karotiden
fühlbar, kalter Schweiss stand auf dem ängstlichen Antlitz und
bedeckte den ganzen Körper. Eine entlastende Eröffnung des
Perikards war also dringend nötig. Dass das Herz selbst ver¬
wundet war, war sehr zu vermuten; der Einschuss an dem
Knorpelansatz der V. Rippe musste, genügende Durchschlags¬
kraft vorausgesetzt, den rechten Ventrikel getroffen haben. In
1680
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
dem Schema von I s e 1 i n deckt dieser Punkt des Thorax¬
skelettes genau den rechten Ventrikel.
Die Nähe des Einschusses am linken Sternalrand und die
Tatsache, dass eine Schussverletzung vorlag, hat uns veran¬
lasst, die benachbarten Rippenknorpel zu durchschneiden und
die Lappenmethode zu wählen. In den neueren Veröffent¬
lichungen wird für die meisten Fälle der einfache Zwischen¬
rippenschnitt, eine ausgiebige Erweiterung der primären Wunde
nach der Quere, empfohlen. Zeidler, der über eine Reihe
von 31 Herzoperationen verfügt, verwirft alle osteoplastischen
und Lappenmethoden als unmotiviert, besonders in Fällen, in
denen die Verletzung des Herzens selbst nicht einmal absolut
sicher feststeht. Er gibt jedoch die Anlegung eines Hilfs¬
schnittes am linken Sternalrand zu, eventuell mit Rippen¬
resektion. Er scheut sich nicht 2 — 3, im Notfälle auch 4 Rippen
zu resezieren, um eine weite Wunde zu bekommen. Er hält
es sogar nicht für ausgeschlossen, dass das Erhalten der
knöchernen Brustwand gar nicht von Vorteil ist und dass
schon deshalb die Resektion einiger Rippen wünschenswert
sein kann; die Herztätigkeit, die schon durch perikardiale Ver¬
wachsungen gestört wäre, könne durch die Starrheit der Brust¬
wand noch weiter geschädigt werden. Die Bildung eines
Lappens ist ja ohne Zweifel zeitraubender; wenn das Blut
in dickem Strahl aus der Brustwunde spritzt, ist sicher ein
rasch geführter Interkostalschnitt mit Auseinanderziehen der
Wunde am geeignetsten, um sich rasch Zugang zu verschaffen;
steht jedoch die Blutung bei Beginn der Operation, wie bei
unserem Fall, und fehlen jegliche Zeichen einer Lungen- und
Pleuraverletzung, ist eine Freilegung des Herzens mit einer
der Lappenmethoden, die mehr wie der Interkostalsch.nitt auf
die Pleura Rücksicht nehmen, wohl erlaubt. Die Uebersicht
über, das Operationsgebiet und die Beherrschung der Blutung
ist nach Iselins und Simons Erfahrung von dem W ilms-
schen Interkostalschnitt aus ausgezeichnet. Mehr und mehr
wird in der neueren Zeit der Herzchirurgie das Sternum mit¬
angegriffen zur Freilegung des Herzens. W i 1 m s gebraucht
dessen einfache quere Durchtrennung bei Verletzung der Herz¬
basis und des rechten Ventrikels, Friedrich eröffnet das
Mediastinum von einer „Sternothorakotomia transversa” aus.
Schon bei einigen der zahlreichen älteren Methoden war die
Durchschneidung des Sternums verlangt, so bei Ry di gier,
Pagen Stecher, W ehr und Marion, doch war hier bei
all diesen Verfahren die Durchschneidung des Brustbeins nur
ein Teil der Bildung eines Lappens. Seit Wilms Vorgehen
scheint die Lappenmethode allmähiig verlassen zu werden und
ein einfacher Querschnitt, je nach Bedarf nach links bis zur
Axillarlinie, nach rechts quer durch das Sternum geführt als
Zugang zum Operationsgebiet benützt zu werden.
Wieder einen anderen Weg zeigt neuerdings Rehn; er
macht einen Schnitt parallel dem Rippenbogen, sucht die
Hinterfläche des Sternums zu erreichen, spaltet dieses der
Länge nach, unter Beiseiteschieben beider Pleurasäcke, so
hoch hinauf als nötig; eventuell wird am oberen Ende dieses
Längsschnittes ein einkerbender Querschnitt aufgesetzt. R e h n
rühmt die ausgezeichnete Uebersicht durch diese Schnitt¬
führung. Erst kürzlich wurden auf seiner Abteilung 3 Fälle
von penetrierender Herzverletzung in dieser Weise operiert,
darunter 2 Herzschussverletzungen (rechter Ventrikel) mit
glücklichem Ausgang.
Die Herznaht bei unseren Patienten wurde mit Katgut ge¬
macht. Es geht aus der Literatur hervor, dass zwar die An¬
wendung der Seidennaht etwas überwiegt, gutes Katgut jedoch
auch ohne jeden Nachteil verwendet wird.
Auch die Frage, ob Herzbeutel und gegebenenfalls Pleura
drainiert werden soll, ist nicht einstimmig gelöst. Borchard,
der eine der ersten grösseren Statistiken veröffentlichte, plä¬
diert 1906 für Naht und für Anwendung der Drainage nur bei
infektionsverdächtigen Fällen. Zwei Jahre später trat S a 1 o -
moni ebenfalls in grösserer Statistik für Drainage (Zigaretten¬
drain) ein. Rehn schlägt vor, Perikard und Pleura zu
schliessen; ihm folgten die meisten neuen Autoren, von denen
Zeidler, Simon und I s e 1 i n in ausführlichen Berichten
den Schluss der Wunde empfehlen; zu den Anhängern der
Drainage zählt B i r c h e r, der durch Einlegen eines Drains bei
der Wundversorgung rechtzeitig genug auf eine gefährliche
Nachblutung aufmerksam gemacht wurde. Er betont ausser
dieser Gefahr auch die grosse Infektionsmoghchkeit bei der
Verletzung, die dann Drainage nötig mache; allerdings gelte
dies mehr für Stich- und Schnittverletzungen. Wir hatten, da
die Blutung momentan stand, genügend Zeit zu aseptischer
Vorbereitung der Operation und trugen kein Bedenken, die
Wunden zu schliessen. Ohne Infektion ging es aber trotz¬
dem nicht ab; es war nur ein Glück, dass diese sich nicht im
Perikard, sondern in den bedeckenden Weichteilen entlang dem
Schusskanal etablierte. Es kam so nur zu einer wenig aus¬
gedehnten phlegmonösen Entzündung in dessen Umgebung, die
durch kleine, sternförmige Inzisionen bekämpft werden konnte.
Die eröffnet gewesene Pleura blieb frei; der Pneumothorax
resorbierte sich auffallend rasch.
Doch blieb unserem Kranken das Schicksal der meisten
Herzverletzten nicht erspart; glatte Heilung ohne Komplikation
ist sehr selten; Simon berechnet in seiner Sammelstatistik |
der Herzschusswunden nur 2 innerhalb 14 Jagen glatt geheilte
Fälle von 41 Beobachtungen! Alle anderen zeigten Komplika- ,
tionen seitens der Pleura, des Perikards und der Lungen.
In unserem Falle trat die Lungenentzündung sehr spät, erst
3 Wochen nach der Verletzung auf und zwar auf der gesunden
rechten Seite. Bei Ausbruch der Erkrankung mit Fieber und
Schüttelfrost und in den ersten folgenden Tagen bestand ziem¬
liche Atemnot; das ist sehr erklärlich, denn der pneumonische
rechte Unterlappen war von der Atmung ausgeschaltet und die
linke Lunge entfaltete sich infolge des Pneumothorax doch
noch nicht ganz in normaler Weise.
Die Prognose operierter Herzschüsse ist im allgemeinen
nicht schlecht; man findet meist Zahlen wie 45—55 Proz. Todes¬
fälle. Seit Simons Arbeit (1912), welche alle bis dahin be¬
kannt gewordenen Operationen bei Herzschüssen, 41 mitl
18 Heilungen, umfasst, konnte ich ausser unserer Be¬
obachtung bis heute noch 9 Fälle mit 8 Heilungen finden
(S jöra 11, Schlöffe r, Tedesco, Lucas, Häcker ITI.
Burkhard, Ach, Betke [2 Fälle]). Von diesen 51 mir bekannt
gewordenen Fällen sind 27, also 53 Proz., geheilt. Diese in An¬
betracht der schweren Verletzung günstige Zahl mag z. T.
dadurch bedingt sein, dass, wie Zeidler betont, vorzugs¬
weise geheilte Fälle veröffentlicht werden; man wird jedoch
sagen dürfen, dass nach der heutigen Erfahrung von den Herz¬
schussverletzten, die noch rechtzeitig zur Operation kommen
die Hälfte gerettet werden kann.
Anschliessend sei noch ganz kurz über eine zweite Herz¬
verletzung referiert, die 4 Wochen vor der anderen im Kranken¬
haus hier zur Beobachtung kam und sowohl als gute lllustra
tion zur anfänglichen scheinbaren Gutartigkeit einer schwerer
Herzverletzung dient, als auch wegen der Seltenheit der Aetio
logie interessant ist.
Ein 10 jähriges Mädchen wollte ein Glasdach überspringen
sprang zu kurz, brach durch und stürzte noch ca. 1 Stockwerk tie
hinab. Es trug durch die Glasplatten einige kleine Schnittwundet
am Kinn, am Gesäss, am rechten Unterarm und in der Herzgegen'
davon. Es begab sich noch selbst hinauf ins Haus und sprach de
sehr erschrockenen Mutter noch Trost zu, es sei ihr gar nicht
Schlimmes passiert. Eine Stunde später fühlte es sich nicht gan
wohl, der kurzen, nur 'A cm langen Ritzwunde in der Gegend des c
linken Interkostalraums wurde keine Bedeutung beigelegt. Erst wei
tere 2 Stunden später kam das Kind wegen zunehmender Verschhm
merung in das Krankenhaus. Man fand bei dem hochgradig anänu
sehen Kind eine kleine, ziemlich heftig blutende Stichwunde ir.
3. linken Interkostalraum, die Herzdämpfung war verschwunden, di
föne gut zu hören, der Puls unfühlbar; der Herzschlag sehr beschlei
nigt, 140 Schläge. Links hinten unten war Dämpfung bis zum Skapi
larwinkel herauf. '
Das Kind wurde rasch somnolent, ohne Narkose wurde durch di
Wunde ein Interkostalschnitt geführt und senkrecht darauf am lii
ken Brustbeinrand ein zweiter; der Ansatz der 3. und 4. Rippe wuri
vom Sternum abgelöst. Die linke Pleura war eröffnet, die Lun?
kollabiert, im Pleuraraum reichlich Blut. Der Herzbeutel zeigte eil
2 cm lange, quere Schnittwunde; er wurde eröffnet und nun zeig
sich, dass ein spitzer Glassplitter den linken Ventrikel durch eil
1 cm lange Wunde eröffnet hatte. Das Herz schlug nur noch schwac
Die Ventrikelwunde wurde durch Seidennaht unter fortwährende
heftigster Blutung verschlossen; die Blutung stand. Das Herz begai
nach der Naht wieder stärker zu schlagen. Die Perikardialwunc
wurde vernäht; die Lunge mit ein paar Katgutnähten entfaltet, d
Pleura auch verschlossen; es folgte Naht der Hautwunde. Kochsal
infusionen 800 ccm. Der Puls des ausgebluteten Kindes war nie
: mehr fühlbar geworden, 2 Yt Stunden nach der Operation starb d
28. Juli 1914.
muenchener medizinische wochenschrif
Kind. Die Sektion zeigte Anämie aller Organe. In der Wand des
linken Ventrikels, nahe dem 'Sulcus coronarius, zwischen Scheide¬
wand und Seitenkante sitzt die gut verschlossene Stichwunde Sic
führt schräg nach rechts innen unten durch die Herzwand, die Wunde
im Endokard sitzt zwischen der Wand und dem Papillarmuskel an
dessen Basis. Die 3. Rippe zeigt an ihrer unteren Kante eine Schnitt¬
wunde, der (ilassplitter hatte sie angeschnitten, war abgeglitten und
ins Herz gedrungen.
Verletzung des Herzens durch einen Glassplitter habe ich
noch einmal in der Literatur gefunden : Wennerström hat
eine Kranke mit Erfolg operiert, die sich in selbstmörderischer
Absicht einen scharfen Glassplitter in den linken III. Interkostal-
raum stiess und die linke Herzkammer traf.
Fälle, wie die vorgetragenen, dürften geeignet sein, zu
aktivem Vorgehen möglichst bald nach der Verletzung zu ver¬
anlassen, auch bei zunächst harmlos aussehenden Wunden in
der Herzgegend.
Literatur.
Ein Verzeichnis der einschlägigen Literatur bis 1912 ist der
Arbeit Simons „Schussverletzungen des Herzens“, D. Zsch. f. Chir.
115. H. 3. u. 4, angereiht. Von neueren Veröffentlichungen kamen
in Betracht: Zeidler: Zur Frage der traumatischen Herzchirurgie.
Bruns Beitr. 89. 2. u. 3. H. — Sjörall: Schussverletzungen des
Herzens. Hygiea 1911 Nr. 9. — Schlöffe r: Schusswunden des
Herzens. Ref. D.m.W. 12. Nr. 32. — Tedesco: Geheilte Schuss¬
verletzung des Herzens. W.kl.W. 1912 Nr. 49. — L u c a s: Zur Herz¬
chirurgie. D.m.W. 13. Nr. 4. — Häcker: Herzverletzungen. Bruns’
Beitr. 86. 1 H. — Burkhard: Herzverletzung. Demonstration, Ref.
B. kl.W. 1913 Nr. 23. — Ach: Schussverletzung des Herzens. De¬
monstration, Ref. B.kl.W. 1914 Nr. 7. — B e t k e: 2 Herzschussver¬
letzungen. Demonstration, Ref. M.m.W. 1914 Nr. 16.
Zwei Auroplastiken.
Von Dr. Ernst Eitner in Wien.
Der Ersatz grösserer Anteile des Ohres gehört bekanntlich
zu den schwierigeren Problemen der plastischen Chirurgie.
Wenn auch die neu zu schaffenden Gebilde nicht sehr umfang¬
reich sind, so ist doch einerseits diese Partie des Schädels
keine sehr geeignete Gegend für Plastiken, andererseits sind
die zu bildenden Formen recht kompliziert, wenn das Resultat
halbwegs befriedigen soll. Was die Technik dieser Operationen
anbelangt, finden wir fast bei jedem Autor andere Methoden,
die sich untereinander ganz wesentlich unterscheiden, ein Be¬
weis, dass es eine allgemein befriedigende Lösung dieses Pro-
blemes bis heute noch nicht gibt. Es empfiehlt sich daher, die Er¬
fahrungen an den einzelnen Fällen zu publizieren, damit sie in
anderen Fällen wieder von Nutzen sein können. Aus diesem
Grunde mögen die beiden folgenden Berichte der Veröffent¬
lichung übergeben werden.
Fig. 1.
Patient H. F., ein 29 jähriger Hilfsbeamter, fand sich im Sommer
nu e'n- 8 Jahre vorher war ihm durch einen Pferdebiss die ganze
Ohrmuschel des linken Ohres verloren gegangen. Wie aus der Ab¬
bildung ersichtlich ist, fehlten ihm das ganze äussere Ohr der linken
Nr. 30.
Seite bis auf einen Teil des Läppchens und den Tragus. Der Patient,
aer durch Jahre hindurch seinen Defekt mit einer Prothese zu decken
Sr,!V'”te die Plastische Bildung eines wenigstens halbwegs
ohrahnhehen Gebildes.
i Zunächst wurde am 23. VIII. 13 eine Voroperation vorgenommen,
in Narkose wurde ein bogenförmiger Schnitt ungefähr entsprechend
uer Kontur einer Ohrmuschel um die offene Mündung des Gehörganges
herum angelegt, ein zweiter zentraler, kleinerer Schnitt umgrenzt
ein sichelförmiges Hautstück, welches entfernt wird. Die untere
pitze dieser Sichel trifft mit dem Ende des äusseren Randes des
noch vorhandenen Läppchens zusammen. Nun wurde aus der Rück-
serte des anderen Ohres ein ebenfalls sichelförmiger Hautknorpel-
streifen herausgeschnitten, ähnlich wie man dies beim Anlegen ab¬
stehender Ohren exzidiert. Dieser Streifen kann in ziemlich umfang¬
reichen Dimensionen gehalten werden, ohne dass die Gestalt oder
Grosse des Ohres verändert wird. Es braucht bloss eine ca. 1 cm
"E, ,?• Pfucke am oberen und unteren Rand belassen werden, ebenso
soll die Haut der Vorderfläche des Ohres nicht verletzt werden, was
bei einiger Geschicklichkeit beim Abziehen des Knorpels leicht zu
flachen ist. Dieses Stück wurde nun auf den sichelförmigen Aus-
d,er anderen Seite transplantiert. Innerhalb 3 Wochen erfolgte
vollständige Einholung. Der Zweck dieser Uebertragung war, ein
" Pd^ater.al für die zu bildende Ohrmuschel zu schaffen.
... Nächster Eingriff am 2. X. 13. Das transplantierte Hautknorpel¬
stuck wird von seinem oberen Rand her abgelöst und bleibt nur an
Sfineäh»,rn£er®n Ro,d mit ?‘n,em schmalen Saum hängen, so dass es
nun ähnlich einer Ohrmuschel vom Schädel absteht. Dann wurde an
der Halsnackengrenze ein ca. 4%. cm breiter und 12 cm langer verti¬
kaler, gestielter Lappen aus der Haut präpariert, dessen Stiel etwas
hinter und unter dem erhaltenen Läppchen inserierte. Der Hautlappen
wurde hinaufgeschlagen und die Rückseite des Hautknorpelstückes
damit gedeckt, wobei der äussere Lappenrand derart umgeschlagen
wurde, dass er einen die neue Ohrmuschel erheblich vergrössernden
Wulst bildete. Es wurde ferner versucht, durch einige Nähte den
Lappen derart einzustülpen, dass er sich sowohl an die letztere, als
auch an die Schadelwand anlegte. Der Defekt am Hals wurde durch
Zusammenziehen der Haut geschlossen.
.Überx?.f!a"Zt,e LaPPen Bt von gutem Aussehen.
Nur die letzterwähnten Nahte haben sich infolge Schwellung der
Haut durchgeschmtten und dadurch ihren Zweck nur unvollkommen
erfüllt. Es wird ebenfalls in Narkose der Lappen von seinem Stiel
getrennt und in einer den durchgeschnittenen Ligaturen entsprechen-
den Langslm16 in zwei Hälften geschnitten, von denen nun die mediale
mit der Exzisionswunde an der Seitenwand des Schädels, die laterale
mit der Rückseite der neuen Ohrmuschel zu exakter Deckung ge-
bracht wird. Der untere Teil der letzteren wird zusammengefaltet
und mit dem angefrischten Rand des erhaltenen Ohrläppchens in Ver¬
bindung gebracht. Die Wunde unter dem Lappenstiel wird ebenfalls
durch Zusammenziehen geschlossen.
.. ^ie definitive Anheilung beider Lappenteile erfolgte glatt in
weiteren 14 Tagen. Ebenso verheilt die Exzisionswunde an der Ur¬
sprungsstelle des Lappens ohne Störung.
Ein Anlass zu einer Nachkorrektur am 6. XII. 13 ergab sich aus
folgenden Umstanden: 1. Hatte sich die Verbindung zwischen dem
Ohrläppchen und der neuen Ohrmuschel nicht in der gewünschten
Weise hergestellt, sondern es war dort eine Einziehung entstanden.
Beide I eile wurden noch einmal getrennt und frisch vereinigt. 2. Der
zweite Schnitt der ersten Operation war
in seinem obersten Anteil etwas zu hoch
geraten, so dass er die Haargrenze um
etwa 2 mm überschritt. Die Folge davon
war, dass nun an der Innenfläche der
Ohrmuschel ein dünner Streifen Haar¬
wuchs zum Vorschein kam. Die ent¬
sprechende Hautstelle musste exzidiert
werden.
Das Resultat dieser plastischen Ope¬
ration muss als ein recht gutes bezeichnet
werden, da es gelungen ist, ein aus Haut,
Knorpel und Haut bestehendes Gebilde
herzustellen, das einer natürlichen Ohr¬
muschel genügend ähnlich sieht, um seinen
Zweck zu erfüllen. Allerdings würde ich
in einem nächsten Fall einige Details an
der Technik ändern, wodurch sich der kos¬
metische Effekt einer solchen Operation
noch besser gestalten dürfte. Zunächst
würde ich die Spitze des zuerst exzi-
dierten sichelförmigen Streifen tiefer, nahe
vor die Gehörgangöffnung, legen, dann
würde es sich empfehlen, das Mittelstück
der Sichel bedeutend stärker zu krümmen.
In diesem Fall wird es auch leichter sein,
mit dem unteren Rand derselben ausser¬
halb der Haargrenze zu bleiben, was von
n . . . Wichtigkeit ist, denn die später am un-
rechten Ort spriessenden Haarbüschel wirken, wie im vorliegenden
rall, ungemein störend und zwingen event. zu Nachkorrekturen, die
den schon erreichten kosmetischen Effekt wieder beeinträchtigen.
Ausserdem würde ich in Voraussicht der zu erwartenden Schrumpfung
4
Fig. 2.
Nr. 30.
1682
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
des neu geschaffenen Gebildes dasselbe im ganzen noch etwas grosser
anlegen. Der aus dem gesunden Ohr exzidierte Hautknorpelstreifen
hätte noch grösser, oder wenigstens breiter sein können, ohne dass
die äussere Gestalt und Grösse des gesunden Ohres dadurch irgend\\ ic
beeinträchtigt worden wäre. Besonders zu empfehlen wäre es aber,
den den Helix ersetzenden Hautwulst möglichst breit zu machen, da er
verhältnismässig am meisten der Schrumpfung unterliegt. Man er¬
hält dadurch zwar ein momentan zu grosses
Ohr, das sich aber mit der Zeit auf die
richtigen Dimensionen einstellen dürfte.
Andere Methoden, die sich auch der
Uebertragung von Teilen aus dem anderen
Ohr zur Bildung eines Stützgerüstes be¬
dienen, wurden von verschiedenen Seiten
angegeben (Körte, L e x e r etc.), doch
wurde überall ein Stück aus der ganzen
Dicke des gesunden Ohres exzidiert, was
immer eine Deformierung oder mindestens
sehr merkliche Verkleinerung desselben zur
Folge hat. Bei der Entnahme eines Haut¬
knorpelstückes aus der Rückseite des Ohres
bleibt seine Gestalt und Grösse vollständig
unverändert, es wird nur eine engere An¬
legung an den Schädel bewirkt, die absolut
nicht stört. Das Transplantat, das auf diese
Weise gewonnen werden kann, ist jeden¬
falls grösser als bei den anderen Methoden.
Auch die Verwendung von Halshaut für die
weitere Bildung der Plastik erscheint mir
dankbarer als die der benachbarten Schä¬
del- oder Wangenhaut, denn dort lässt sich
leichter reichliches Material gewinnen, der
Defekt kann ohne weiteres durch Zu¬
sammenziehen geschlossen werden, seine
Lage macht die Narbe verhältnismässig un¬
auffällig, und schliesslich trägt der Lappen
keine Haare. Das neugebildete Ohr steht
fast im selben Umfang vom Schädel ab, wie ein normales; im
vorliegenden Fall wurde es durch die nachträgliche Exzision des
behaarten Hautstückes sogar etwas zu stark abgezogen. Eine merk¬
liche Beeinträchtigung des Resultates durch Schrumpfung ist bis
jetzt, obwohl nun schon über 6 Monate seit der Operation ver¬
flossen sind, nicht eingetreten.
muschelstiitzknorpel vorhanden war. Die Komplikation lag hier nur
in der starren Narbenhaut, die das Ohr teilweise überzog und weit
im Umkreis umgab. Läppchenplastiken stossen nn allgemeinen auf
keine Schwierigkeiten. Das Material ist leicht aus der näheren Um-
gebung zu beziehen. Sie sollen aber infolge der allzugrossen Neigung
dieser Lappen zur Schrumpfung keine grosse Beständigkeit haben.
Ich habe meinen Fall, da die Patientin nicht aus Wien stammt, nur
Fig 3.
Fig. 4.
ca. 4 Wochen nach der Operation beobachten können, habe aber vor
kurzem die schriftliche Nachricht erhalten, dass sich das Resultat bis¬
her nicht verändert hat. Ich glaube auch, dass die Prognose für
diesen Fall günstiger zu stellen ist, da der Lappen nicht aus normaler
Haut, sondern aus einer ziemlich dicken, ohnehin bereits ge¬
schrumpften Narbenhaut besteht.
Der 2. Fall betrifft eine 26 jährige Frau, die 3 Jahre früher durch
ein Vitriolattentat ausgebreitete Verätzungen der linken Gesiphts-
hälfte, des Halses, der Brust etc. erlitten hatte. Sie kam im Sep¬
tember 13 zur Operation. Gewünscht wurde die möglichste Ver¬
kleinerung der Aetznarben im Gesicht und am Hals und vor allem
eine plastische Korrektur des stark verstümmelten Ohres.
Wir fanden bei der Patientin die Haut einer ungefähr hand¬
breiten, von der Schläfenhaargrenze über das Ohr, die Karotis- und
Submaxillargegend bis unter das Kinn hinziehenden Zone in eine
derbe, von zahlreichen Strahlen durchzogene Narbe verwandelt, die
sowohl durch ihre blasse Färbung als auch durch ihre unregel¬
mässige Oberfläche recht entstellend wirkte. Die stärkste Ver¬
änderung zeigte aber das Ohr selbst, das nicht nur sein Läppchen
vollständig verloren hatte, sondern auch durch Narbenschrumpfung
stark verkleinert und bis zu nahezu rechtwinkeligen Abstehen nach
vorne verzogen schien. Die Innenfläche der Ohrmuschel war ganz
verschrumpft, der Helix übermässig stark eingerollt, die übrigen
Falten ganz verstrichen, dagegen war die Haut der Rückseite fast
unversehrt.
Beim ersten Eingriff am 14. IX. 13 wurde zunächst in Nar¬
kose ein drei Finger breiter, nach unten spitz zulaufender
Streifen, der die stärksten Einziehungen und Stränge enthielt, von der
Gegend des Gehörganges bis gegen das Kinn mit Ausnahme seines
oberen Ansatzes exzidiert. Der oberste Anteil desselben wurde zur
Bildung eines neuen Läppchens verwendet, das übrige abgetragen.
Die Exzissionswunde liess sich gerade noch durch Zusammenziehen
schliessen.
Zweiter Eingriff am 28. IX. unter Lokalanästhesie. Zu¬
nächst an der Rückseite des Ohres vom oberen Ansatz bis zum
Beginn des neugebildeten Läppchens, um die Insertionslinie des Ohres
ein spindelförmiges Hautstück ebenso wie beim Anlegen abstehender
Ohren exzidiert. Dann wird der Knorpel in der Insertionslinie bis
auf die Haut der Vorderfläche durchtrennt. Das Ohr liess sich nun
leicht wieder bis fast auf die normale Grösse entfalten. Schliesslich
wurde noch ein neuer Antihelix dadurch gebildet, dass nach Ablösung
der Haut an der Rückseite ein zum Helix paralleler Schnitt in ent¬
sprechender Länge und Entfernung durch den Knorpel ohne Ver¬
letzung der Vorderflächenhaut angelegt wird. Durch Aufstellen der
Schnittränder nach vorne und Fixieren in dieser Stellung entstand
die gewünschte Vorwölbung. Durch Hoch- und Rückwärtsziehen und
Anheften an den Schädel wurde die Ohrmuschel wieder in normaler
Grösse und Form erhalten. Die Heilung erfolgte ohne Störung.
Das Endresultat war ein Ohr, das sich von einem normalen nur
durch sein stärkeres Anliegen am Schädel, was bekanntlich nicht im
geringsten stört, unterscheidet. Im ganzen war diese Plastik wesent¬
lich einfacher, als im vorigen Fall, da ja hier das Wichtigste, der Ohr-
Aus der akademischen Kinderklinik zu Köln (Geh. Med. -Rat
Prof. Dr. S i e g e r t).
Erfahrungen mit Tricalcolmilch beim kranken Säugling.
Von Dr. W e i h, Assistent an der Klinik.
Einer der wichtigsten Fortschritte der letzten Zeit auf dem
Gebiet der Behandlung ernährungsgestörter Säuglinge stellt
wohl ohne Zweifel die von Finkeistein angegebene Ei¬
weissmilch dar, deren wesentliches Merkmal der sehr hohe
Gehalt an Eiweiss und an Kalk, im Gegensatz zu einem relativ
geringen Fettgehalt bei fast fehlendem Milchzucker ist.
Bald zeigte es sich, wie zuerst Aschenheim darlegte,
dass es möglich sei, diese Eiweissmilch durch Milchmischungen
zu ersetzen, denen ein Kalziumsalz beigefügt wird. Zuerst war
es S t ö 1 z n e r, der sein Larosan, ein Kaseinkalzium mit einem
Kalkgehalt von 2,5 Proz. Kalk, welches der Milchwasser¬
mischung nach bestimmten Vorschriften zugesetzt wird, auf
Grund dieser Erwägung empfahl.
Betrachten wir die Zusammensetzung eines 1 Eiweiss¬
milch und eines 1 Larosanmilch, in der von S t ö 1 z n e r ange¬
gebenen Mischung, so ergibt sich:
Larosanmilch
(yt 1 Vollmilch -j-
20 g Larosan)
Eiweissmilch
Eiweiss . .
. | 34,5
30
Fett
17,5
25
Zucker . . . .
22,5
15
p,o6 ...
. . 1,32
1,35
Cao
1,36
1,44
Kalorien . . . .
386
405
Es liegen über die Wirkung des Larosans seitens der ver¬
schiedensten Autoren derartige Berichte vor, dass an seiner
Brauchbarkeit nicht zu zweifeln ist.
Die chemische Fabrik Dr. W. Wolff & Co., Elberfeld,
bringt nun unter dem Namen: Tricalcol-Eiweissmilch ein Prä¬
parat in den Handel, welches es ermöglicht, auf einfachste
Weise eine im übrigen der F i n k e 1 s t e i n sehen Eiweissmilch
ähnliche Milchmischung herzustellen, welche jedoch einen
doppelt so hohen Kalk- und Phosphorsäuregehalt besitzt.
28. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1683
Das I ricalcol ist ein weisses, amorphes, fast indifferentes
Pulver, das etwa 20 Proz. Trikalziumphosphat und 10,5 Proz.
Stickstoff enthält.
Wie die Untersuchungen von Zuckmeyer (Bonn-
Poppelsdorf) gezeigt haben, wurde das kolloidalen Charakter
tragende 1 rikalziumphosphateiweiss in abgebundenen Darm¬
schlingen von Kaninchen gut resorbiert, während das gewöhn¬
liche Kalkphosphat nicht aufgenommen wurde. Auch Ver¬
suche an einem Hunde mit Vellafistel ergaben für die Resor¬
ption des I ricalcols günstige Resultate im Gegensatz zu dem
gewöhnlichen Kalkphosphat. Wie Zuckmeyer nachwies,
ergaben verdünnte Lösungen höhere Resorptionswerte als
konzentrierte.
Ebenso zeigte sich bei vergleichenden Resorptionsver¬
suchen mit Milch und milchähnlich gemachter Lösung des
kolloidalen Kalkpräparates, dass Milchkalk weniger gut vom
Darm resorbiert wird als der Kalk des Präparates. Der an-
gestellte Stoffwechselversuch ergab eine Aufnahme von 69 bis
76 Proz. des im Tricalcol vorhandenen Kalkphosphates. Die
in kalkfreien Perioden negative Kalkbilanz wurde während der
Darreichung des Tricalcols positiv.
Die Herstellung der Tricalcoleiweissmilch erfolgt, ähnlich
wie die der Larosanmilch, mit Milchwassermischung. Setzt
man I Liter Halbmilch 30 g Tricalcol hinzu, so erhält man, mit
der Eiweiss- und Larosanmilch verglichen, folgende Ver¬
gleichstabelle:
Tricalcolmilch
(14 I Vollmilch
30 g Tricalcol)
Larosanmilch
(V, 1 Vollmilch -f-
20 g Larosan)
Eiweissmilch
Eiweiss .
36,0
34,5
30
Fett ....
17,5
17,5
25
Zucker . . .
22,5
22,5
15
p.o5 .
3,92
1,32
1,35
Cäo
4,16
1,36
1,44
Kalorien .......
392
386
405
Die Indikationen des Tricalcols beruhen neben der Be¬
handlung ernährungsgestörter Säuglinge, gemäss seinem hohen
Kalk- und Phosphorgehalt, auf dessen hohe Bedeutung auch
v. O y, in der B.kl.W. 1914 Nr. 1 besonders hinweist, in der
Behandlung der Rachitis und Spasmophilie.
Obgleich man bei Rachitis die Kalktherapie teilweise ver¬
lassen hat, da man das Kalkdefizit des Organismus nicht auf
ungenügende Kalkzufuhr, sondern auf die mangelhafte Fähig¬
keit der leimgebenden Substanzen, Kalksalze zu inkorporieren
(v. Pfaundler, Heubner) zurückführte, so zeigen doch
die neueren Untersuchungen von Schabad die Wichtigkeit
der Zulage von Kalksalzen, da dann, allerdings bei gleich¬
zeitiger Verabreichung von Phosphorlebertran, der Kalkansatz
besonders gross ist, während bei rachitischen Kindern Kalk in
gegen die Norm verminderter Menge retiniert, oder solcher gar
vom Organismus abgegeben wird.
Wie Schabad zeigte, besteht bei florider Rachitis er¬
höhte Phosphorsäureausscheidung neben erhöhter Kalkaus¬
scheidung. Während nun bei Darreichung der verschiedenen
Kalziumsalze (Calcium lacticum, Calcium aceticum, Calcium
chloratum) dem Organismus ein grosser Teil der für den Auf¬
bau so notwendigen Phosphorsäure entzogen wird, findet bei
der Darreichung des Tricalcols, gemäss den physiologischen
Untersuchungen, eine Assimilation der Phosphorsäure statt, so
dass also der hohe Phosphorsäuregehalt des obengenannten
Präparates als entschieden günstig anzusehen ist, wie auch
v. O y darlegt.
Nachprüfungen durch Schloss ergaben die Richtigkeit
dieser Beobachtung, so dass er den Ausspruch tut: eine den
Ansatz des Kalkes und der Phosphorsäure in gleicher Weise
begünstigende Wirkung wird erst durch Phosphorlebertran mit
einer Phosphor kalk medikation erzielt, und zwar sicher
durch eine organische Verbindung, "besonders durch ein kalk¬
haltiges Eiweisspräparat.
Auch auf dem Gebiete der Spasmophilie hat man sich
bemüht, da es bisher nicht gelungen war, am Nervensystem
charakteristische Veränderungen zu finden, durch das Studium
des Stoffwechsels tiefer in das Wesen des Leidens einzu¬
dringen, und in der Tat hat man auch Anomalien im Kalkstoff¬
wechsel aufgedeckt. Quest hat gezeigt, dass das Hirn spas-
mophiler Kinder kalkärmer ist als das normaler Säuglinge, und
im Stoffwechselversuch zeigen spasmophile Kinder eine nega¬
tive Kalkbilanz (v. C z y b u 1 s k i, S c h a b a d). So wird denn
auch übereinstimmend über die günstige Einwirkung der Kalk¬
salze bei Spasmophilie berichtet, besonders hat das Calcium
bromatum in der letzten Zeit Eingang gefunden.
Ueber die Einwirkung des Tricalcols im Bereich dieser
Indikationen liegen schon günstige Berichte vor. So be¬
richtet v. Oy in der B.kl.W. über Versuche, die er an 19
rachitischen Kindern und bei 2 mit konstitutionellem Ekzem be¬
hafteten mit 1 ricalcol gemacht hat. Er berichtet günstige Er¬
folge, sowohl bei den Rachitikern, als in Bezug auf die Ab¬
heilung des Ekzems.
Auch in der hiesigen Klinik wurden mit Tricalcol Versuche
in sehr grosser Anzahl angestellt, und zwar gemäss den schon
vorher erwähnten Indikationen, bei ernährungsgestörten,
rachitischen und spasmophilen Kindern. Es handelt sich stets
um Kinder im ersten Lebensjahr, teilweise in den ersten
Lebensmonaten.
Bei ernährungsgestörten Kindern geschah die Darreichung
in einer der Eiweissmilch analogen Weise. Nach Verabfolgung
von Oleum Ricini und einer 6-, höchstens 12stündigen Thee-
diät, begannen wir mit 2 — 300 Tricalcolmilch mit einem 2 proz.
Soxhletzusatz. Im Laufe von 7 — 10 Tagen stiegen wir, bei
etwa 2 tägiger Steigerung, bis 150—200 g pro Kilo bei ent¬
sprechender Erhöhung des Soxhletszuckergehaltes, event.
unter Beifügung eines 2. Kohlehydrates in Gestalt von Gries
oder Mehl.
Die Erfolge waren zweifellos günstig bei Kindern, welche
mit akuter Dyspepsie zur Behandlung gelangten. Die vorher
sauren Stühle wurden nach 2—3 Tagen alkalisch, es traten
Seifenstühle und sodann normale Stühle auf. Bei entsprechen¬
der Kaloriendarreichung zeigte sich etwa nach einer Woche
Zunahme des Gewichtes. Die Darreichung geschah etwa 5
bis 6 Wochen, dann wurden die Kinder mit einem Male auf die
ihrem Alter entsprechende Nahrung abgesetzt bei unge¬
störtem gutem Fortgang. Dieser Verlauf erfolgte sowohl bei
Säuglingen in den ersten Lebensmonaten als auch bei Kindern
im zweiten Lebenshalbjahre.
Weniger gut waren die Erfolge zu nennen bei schwerer
gestörten Kindern, im Zustande der Dekomposition nach
Finkeistein. Hier zeigte sich in einem Falle ein völliges
Versagen der Tricalcolmilch. Das Kind kam am 4. Tage zum
Exitus. Das Tricalcol wurde teilweise erbrochen, die Stühle
blieben dyspeptisch. Auch in einigen anderen Fällen trat eine
derartige Verschlechterung des Zustandes ein, dass wir uns
genötigt sahen, zu der Verabreichung von Frauenmilch über¬
zugehen. Es handelte sich allerdings stets um sehr schwer
geschädigte Kinder in den ersten 4 Lebensmonaten.
Günstig waren die Erfolge bei Spasmophilie. Auch hier
begannen wir bei entsprechender Theediät mit kleinen Dosen
der Tricalcolmilch, da wir bei sofortiger Darreichung grösserer
Mengen öfters Erbrechen oder doch Speien auftreten sahen.
Früher bestehende Krämpfe wiederholten sich nicht, das
vorher stark positive Fazialisphänomen wurde schon nach
einigen Tagen negativ. Der Laryngospasmus verlor sich bald.
Bei derartigen Kindern wurde allerdings nebenbei auch Phos¬
phorlebertran gegeben. Leider konnten wir über die ent¬
lassenen Kinder später nichts erfahren, so dass uns über die
Dauer der Heilung und etwaige Rezidive nichts bekannt ist.
Vergesellschaftet waren die spasmophilen Erscheinungen
stets mit schwerer Rachitis: Epiphysenauftreibung, Rosen¬
kranz, Kraniotabes, starken profusen Schweissen.
Auch ich kann mich dem günstigen Urteil v. OyS an-
schliessen, indem ich stets bei Krainotabes eine wohl schnellere
Konsolidierung der Hinterhauptknochen sah als sie sonst statt¬
findet. Auch die profusen Schweissausbrüche Hessen nach,
der allgemeine Zustand hob sich. Inwieweit dem Tricalcol
eine spezifische Wirkung zuzuschreiben ist, mit Sicherheit
festzustellen, unterliegt naturgemäss den grössten Schwierig¬
keiten, da auch die übrigen Heilfaktoren, Phosphorlebertran,
Verabfolgung von Gemüse und Obst etc. in Tätigkeit traten.
Ebenso sah ich einen Fall von trockenem disseminiertem
Ekzem, das hartnäckig jeder Behandlung trotzte und auch bei
knapper Darreichung von Frauenmilch unverändert blieb,
4*
1684
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
völlig abheilen bei ausschliesslicher Darreichung von 1 ricalcol-
milch. ein Erfolg, der sich an sich jedoch nicht unterschied von ,
solchen, wie wir sie in ähnlichen Fällen bei \ erabfolgung von
Eiweiss- und Larosanmilch sahen.
Von einem günstigen Erfolge des 1 ricalcols möchte ich
noch berichten bei einem schweren Mehlnährschaden. Das
Kind zeigte bei Darreichung von Frauenmilch stets schlechte
zerfahrene Stühle. Gewichtszunahme war nach der Reparation
trotz Beigabe von Buttermilch nur mit Remissionen zu er¬
zielen. Bei alleiniger Verabfolgung von Tricalcolmilch nahm
das Kind innerhalb von 5 Wochen 1 kg zu. Es konnte ohne
jede Schwierigkeit abgestillt werden bei ungestörter Zu¬
nahme. „
So ergibt sich: die Tricalcolmilch leistet zweifellos gün¬
stiges bei der Behandlung der Spasmophilie, Rachitis, der Mit¬
behandlung lymphatischer Ekzeme, sowie bei akuten Er¬
nährungsstörungen und ist wohl mit dem Larosan oder Ei¬
weissmilch auf eine Stufe zu stellen. Bei der Behandlung
schwer geschädigter Kinder, besonders in den ersten Lebens-
monaten, versagt es teilweise, wie ja jene auch, und kann die
eigentliche Heilnahrung des Säuglings, die Frauenmilch, nicht
ersetzen.
Hinderlich bei Anwendung in grösseren Anstalten ist der
relativ hohe Preis, der das doppelte des Larosans beträgt und
denjenigen der, wie das ja in grösseren Betrieben üblich ist,
selbst hergestellten Eiweissmilch bei weitem übertrifft.
Literatur.
v. Oy: B.kl.W. 1914 Nr. 1. — Heubner: Aerztl. Fortb. 1912
S 197. — Sch ab ad: Jb. f. Kindhlk. Bd. 74, H. 5. — Schloss:
D.m.W. 1913 Nr. 31. — Zuck m ay er: Arch. f. d. ges. Phys. 1912, 148.
Erythema infectiosum.
Von Dr. August H e i s 1 e r, Höhen-Luftkurort Königsfeld
(bad. Schwarzwald).
Da das Erythema infectiosum als selbständige Krankheit
neben Scharlach, Masern. Röteln und der Dukes sehen oder
vierten Krankheit in der Praxis noch recht wenig bekannt ist,
und es doch bisweilen zur Verwechslung mit einer anderen
Erkrankung Veranlassung geben kann, so ist es wohl erlaubt,
kurz über eine kleine Epidemie von 25 Fällen zu berichten, die
ich dieses Frühjahr hier zu beobachten Gelegenheit hatte.
Selbst grosse Handbücher der inneren Medizin erwähnen die
Krankheit überhaupt noch nicht.
Meist ganz ohne Vorboten und ohne nennenswerte Störung
des Allgemeinbefindens tritt als erstes Krankheitszeichen im
Gesicht auf beiden Wangen ein makulo-papulöses Erythem
auf, das gerade hier sehr zur Konfluenz neigt und dem Gesichte
ein eigenartig geschwollenes, gedunsenes Aussehen gibt. Die
Farbe ist bläulich-rötlich, livide, die geschwollene Partie fühlt
sich leicht infiltriert an. Von da wandert meist schon am
ersten Tage der Ausschlag auf die Streckseiten der Oberarme
sowie auf Nacken und Schulterblätter fort, doch war dort der
Ausschlag meist viel kleinfleckiger, mehr spitz erhalten, nicht
zur Konfluenz neigend. Eine eigentliche Ringbildung nach
Art des Erythema annulare, gyratum, marginatum, figuratum,
wie sie von anderer Seite beobachtet wurde, war in meinen
sämtlichen Fällen nur angedeutet. Am 2.-3. Tage folgten dann
wieder als stärker befallene Stellen die Gesässgegend, sowie
die Aussenseite der Oberschenkel. In mehreren Fällen war
der ganze Ausschlag jedoch so flüchtig, dass er bereits ab¬
blasste, bevor es zu dem zweiten Schub an der unteren Extre¬
mität kam. Der Ausschlag ist enorm flüchtig und kann einem
unter den Augen verschwinden, um kurze Zeit nachher wieder
in der alten Stärke zu erscheinen. Reibt man eine von dem
Ausschlag befallene Hautpartie, so wird die Stelle für mehrere
Minuten ganz blass, ohne Erythem, während sich um dieselbe
ein breiter Hof bildet, in welchem das Erythem besonders leb¬
haft auftritt, aber auch jetzt keine Konfluenz zeigt, sondern
jedes Fleckchen gesondert nachweisbar bleibt.
Ein Zusammenhang des Erythema infectiosum mit einer
anderen Infektionskrankheit war in unserem Falle auszu-
schliessen, da seit Monaten kein derartiger Erkrankungsfall
vorlag und die kleine Epidemie zuerst in einem Internat
(Knabenerziehungsanstalt) mitten im Semester zum Ausbruch
kam. Die Inkubationsdauer wird zwischen 5—14 1 agen
angegeben. In mehreren unserer Fälle können wir eine In¬
kubation von genau 7 Tagen beobachten. Mein jüngster I
Patient war ein halbjähriges Kind, der älteste ein 16 jähriger
Junge.
Der Verlauf der Epidemie zeigte sehr schön den
Weg der Ansteckung von Kind zu Kind. Auf den ersten Fall
folgte ein Junge, der mit dem ersten in der gleichen Schul¬
klasse zusammen war, dann der Nachbar zu diesem im Schlaf¬
saal und schliesslich ein Junge, der auf der Krankenstube mit
dem dritten zusammen war. Obgleich später die Erkrankung
_ wohl durch den Konfirmandenunterricht — auch auf das
Mädchenpensionat Übergriff, war die Zahl der erkrankten
Mädchen viel geringer als die der Jungen. Auch die Ueber-
tragung in den Ort selbst war klar zu verfolgen, indem die
Erkrankungen hier fast 3 Wochen später auftraten und aus¬
schliesslich in Familien, die ihre Kinder zum täglichen Schul¬
unterricht in die Internate sandten.
Dass im ganzen nur relativ wenig Kinder erkrankten, ob¬
gleich wir am Schlüsse keine Vorsichtsmassregeln mehr trafen,
spricht doch für eine nicht sehr grosse Infektiosität.
Auffallend war ausserdem, dass die ersten Fälle weitaus die
heftigsten Erscheinungen boten und dass ein deutliches Ab¬
flauen zu beobachten war, indem die letzten Erkrankungsfälle
oft nur ein eintägiges Erythem aufwiesen.
Prodrome, die auf eine Störung des Allgemeinbefindens
hinweisen, werden nur selten beobachtet, dagegen wurde ich
mehrmals zu Kindern gerufen, wegen plötzlich einsetzender,
ziemlich starker Drüsenschwellungen am Kiefer- I
Winkel, unter dem Ohr, sowie im Nacken bis zum Hinterkopf.
Bei all diesen Patienten trat dann 1—2 Tage später das Ery¬
them auf. Die oft bis zu Mandelgrösse geschwollenen Drüsen
— der Hals blieb meist frei — waren schmerzhaft und ziemlich
derb, bildeten sich aber im Verlauf weniger Tage wieder
vollkommen zurück.
Fieber bestand fast bei allen meinen Patienten, doch
meist nicht über 37,8, nur beim ersten Patienten betrug die
Temperatur gleich zu Beginn 38,6, dazu bestand eine deutliche
Rötung der Mandeln, sowie ein grobfleckiges, tief dunkelrotes
Exanthem des harten Gaumens, so dass ich zuerst an
Scharlach dachte. Bei mehreren Patienten sah ich später¬
hin noch Exantheme, die zum Teil zu Blutaustritten in die
Schleimhaut führten, bisweilen war der harte Gaumen deutlich
marmoriert.
Besonders die geschwollenen Partien im Gesicht zeigten
mehrmals deutliche Schuppung, am Körper dagegen fehlte
eine solche vollkommen. Vereinzelte Fälle zeigten nach der
Abheilung des Ausschlages eine deutliche Pigmentierung.
Der Urin enthielt etwa in der Hälfte der Fälle I n d i k a n,
doch konnte ich keinen Zusammenhang feststellen, dass gerade
Patienten mit starkem Erythem Indikan, besonders aufge¬
wiesen hätten. Sonst war der Urin stets ganz normal.
Bei einem Patienten trat im Anschluss an das Erythema
infectiosum eine leichte Stimmbandparese auf, die bis
heute (8 Wochen später!) noch nicht ganz behoben ist.
Milzschwellung habe ich nie beobachtet.
Zusammenfassung: Um sich vor unliebsamen Fehl¬
diagnosen — die bei stürmischem Auftreten des Erythems mit
Fieber, Exanthem, sowie Drüsenschwellung durchaus möglich
sinc] — Zu schützen, muss der Praktiker das Krankheitsbild
wenigstens kennen. Hat man das Krankheitsbild erst einmal
gesehen, so ist der Ausdruck des gedunsenen Gesichtes sowie
das häufige Uebergreifen der erhabenen, roten Flecken auf
Lippen und Kinn, wenn auch hier meist in Form kleiner, nicht
zur Konfluenz neigender Effloreszenzen so typisch, das man
nicht leicht fehlgehen wird. Auch die Flüchtigkeit des Aus¬
schlages sowie die Drüsenschwellung nach dem Okziput zu
— ein ganz regelmässiges Frühsymptom — werden differential¬
diagnostisch weiterhelfen. Das Auftreten von Indikan ist zu
wechselnd, um als diagnostisches Hilfsmittel wesentlich in Be¬
tracht zu kommen.
28. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Pflasterverband zur schnellen Epithelisierung granu¬
lierender Flächen.
Von M. Borchardt in Berlin.
i u der M.m.W. 1914 empfiehlt Vogel zur schnellen
UenerliaiUuiiK granulierender Flächen die Anwendung eines Pflaster-
yerbandes, wie er ihn bei Schede anwenden sah. Es scheint
in ut.r lat, dass dieses ausgezeichnete Mittel wenig bekannt ist. Ich
selbst verwende es seit mehr als 1U Jahren und habe es seinerzeit bei
Ernst v. Hergmann kennen und schätzen gelernt: es ist auch
nach meinen Erfahrungen — darin stimme ich Vogel vollkommen
bpj ~ - *n geeigneten Eällen allen anderen Mitteln weit überlegen: tor-
?|d® Ulcera cruris z. B., die trotz Anwendung der verschiedensten
Mittel und Verbände in monatelanger Behandlung nicht zur Heilung
zu bringen sind, überhäuten sich bisweilen unter Pflasterverbänden
In erstaunlich kurzer Zeit. Dem aseptisch geschulten Chirurgen ist
es vielleicht zunächst ein peinliches Gefühl, das Pflaster direkt auf die
unde zu kleben und ich selbst habe mich erst schwer zu diesem
Verfahren entschhessen können, aber ich bereue es nicht. Wir kle-
pen etwa 2— 3 cm breite Pflasterstreifen dachziegelförmig unter ziem-
hch beträchtlichem Zug quer über die Granulationsfläche, so dass
die streifen die Wundränder beiderseits um einige Zentimeter über¬
ragen. ho wird die ganze Fläche von oben bis unten bedeckt, über
das ganze ein aseptischer Verband gelegt und das Bein von unten
bis oben unter gleichmässigem Druck mit einer Schlauchbinde ein¬
gewickelt. Selbst diese Einwicklung ist nicht immer notwendig. Wir
iahen in letzter Zeit das Pflaster vorher sterilisiert und auch einige
Maie mit gleich gutem Erfolg das perforierte Beiersdorf sehe
Pflaster angewendet. Auf die Art des Pflasters kommt es, wie V o -
gel richtig bemerkt, nicht an, es muss nur reizlos sein; die Streifen
müssen glatt und unter genügendem Druck angelegt werden Wir lassen
den Verband, wenn irgend möglich, 8 Tage liegen, nehmen ihn sehr
m .S1Cm • ujld ,erneuern ihn* wenn nötig, ein zweites und drittes
Ma! Man wird über den Erfolg häufig erstaunt sein. Ich habe mir
drl!ri^rknngL.im,merr>S0 XorgesteIIt’ dass durch den gleichmässigen
starken Druck die Granulationen glatt komprimiert werden und so
Jem prohferierenden Epithel gewissermassen der Weg geebnet wird
Jb noch andere Momente daneben eine Rolle spielen, wie Vogel'
nemt, vermag ich nicht zu entscheiden. Nach meiner Erfahrung hat
Vogel Recht, wenn er die Pflasterverbände weit über die zahl¬
eichen in letzter Zeit empfohlenen epithelbefördernden Mittel auch
iber die Scharlachsalbe stellt.
Aus der
zu
inneren Abteilung des Elisabethkrankenhauses
Halle'a. S. (Prof. Dr. Winternitz).
Jewertung des Abderhalden sehen Dialysierverfahrens
ur Diagnose und DifFerenzialdiagnose maligner Ge¬
schwülste.
Von Max Weinberg.
(Schluss.)
1. Fälle, die klinisch zweifelhaft, nach dem Ausfall der Reaktion sich
nicht als Karzinom erweisen.
15. Herr A., 54 Jahre, (Ulcus ventriculi), Cholelithiasis.
, . LanP>e Jahre magenleidend. Aufstossen, selten Erbrechen. Im
tum soll Blut gewesen sein. Seit August 20 Pfund abgenommen,
'eprumerter Gemütszustand
» r i?.mIiu,h gUJer Ernährungzustand. Kein Tumor fühlbar, Gegend
tr Gallenblase leicht empfindlich. Bei Aufblähung des Magens kein
inner. Motorische Funktion gut; nach Probefrühstück Anazidität,
ereinzeUe Milchsaurestäbchen, keine Milchsäure. Nach Probe-
ahlzeit freie Salzsäure.
I. Versuch.
ilse
Serum
Organsubstr.
R.
1
1 ccm
( )
2 1
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Plazenta
3
1 ,,
Leber
(+)
4
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Lebermetastase
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1 i»
Zylinderz.-Carc.
ventr.
<+)
II. Versuch nach 3 Tagen.
Hülse Serum Organsubstr. R.
1 ccm
1
1 ..
1 „
1 ..
Plazenta
Leber
Lebermetast.
Zylinderz.-
Carc.
Frl. Bl.
Probelaparotomie unterbleibt. Bis heute völliges Wohlbefinden,
"ere^ *^err ^ Jahre. (Carcinoma pylori), Stenosis pylori ex
Seit 10 Jahren magenleidend. Magenblutung. Viel Erbrechen,
rlust 6 3 tCr Mahlzeiten’ nie schwarze Massen. Starker Gewichts-
Kachexie. Bei Palpation Magensteifung. Am Pylorus grosser
mor, etwas verschieblich. Hochgradige Retention.' Freie Salz-
ure positiv, Milchsäure negativ.
Operation : Entzündlicher Ulcustumor, nirgends Drüsen, üastro-
teroanastomose.
Glatte Heilung, Patient nimmt in 3 Wochen 14 Pfund zu.
1 6(85
Hülse
Serum
Organsubstr.
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
. _
2
Plazenta
3
»>
Lebermetastase
+
4
1 ,
Adenocarc. mammae
5
' „
Pankreas
jj- Herr M., 62 Jahre, Carcinoma intestini?
Magen kein I umor fühlbar, keine Retention, freie Salzsäure
positiv. Stuhl: Blut positiv. Urin: Eiweiss und Zucker negativ,
Indikan stark positiv. Blutbild: Sekundäre Anämie.
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
_
2 1
1 „
Plazenta
_
3
1 „
Lebermetastase
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4
'
Adenocarc. ventr.
_
5
1 „
Spindelzellensarkom
—
j i uiz.u„in i .xpiorativiaparotomie. Die Abtastung des gi
Abdomens ergibt keinen Befund. Glatter Heilungsverlauf,
befinden.
Wohl-
ulcerlf Fr3U N’’ 59 Ja,,re’ (Carcil,oma ventriculi), Stenosis pylori ex
Mit 28 Jahren Blutbrechen, seit 4 — 5 Jahren wieder Magen¬
beschwerden. Erbrechen, starke Gewichtsabnahme
Schlechter Ernährungszustand. Links supraklavikulär einzelne
harte Drusen. Im Epigastrium starker, kaum verschieblicher Tumor
^b.ni Retent)on- TIFreie Salzsäure positiv. Keine Milchsäure.
Stuhl. Blut positiv. Urin: Eiweiss und Zucker und Indikan negativ
I- II.
Serum
Organsubstrat
R. Hülse
Serum
Organsubstrat 1 R.
1 ccm
1 „
1
1
1 „
1 „
Plazenta
Adenocarc. ventr.
Adenocarc. mammae
Spindelzellensarkom
Pankreas
— 1
2
— 3
4
~
1 ccm
1 „
1 „
1 ,,
Plazenta
Adenocarc. ventr.
Scirrh. adenom.
II 1 1
1
2
3
4
5
6
Operation: Resectio pylori. Gastroenteroanastomose.
Mikroskopisch: 2 Stellen, die den ganzen Tumor betreffen: Ulcus
chronicum ventriculi, keinerlei Anhaltspunkte für primäre oder sekun-
clare Karzinomentwicklung.
19 Herr Sch., 55 Jahre, (Carcinoma ventriculi), Gastritis chronica
Lange Jahre magenleidend. Selten Erbrechen. Gewichtsverlust
Massiger Ernährungszustand. Epigastrium empfindlich, kein
I umor. Keine Retention. Keine Milchsäure. Freie Salzsäure positiv
Rontgenbild negtiv.
I- II.
Hülse
Serum
j Organsubstrat
R.
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
—
—
1
1 ccm
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Plazenta
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Plazenta
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Adenocarc. ventr.
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1 „
Adenoc mamm.
_
4
1 >>
Leber
—
4
• ..
Adenoc. ventr.
5
1
Rundzellen
(+)
’ 5
I „
Rundzellensark.
-
20. Herr Bl., 61 Jahre, sekundäre Karzinomentwicklung (?), Ulcus
chronicum ventriculi.
V°r 6 Jahren Gastroenteroanastomose wegen Magengeschwür.
Damals einige Drüsen im kleinen Netz. In den letzten 2 Jahren
heftige Magenbeschwerden. Erbrechen. Gewichtsverlust. Geringe
Retention. Freie Salzsäure positiv. Keine Milchsäure
I- II.
Hülse |Serum| Organsubstrat j R. | Frl. Bl
1 ccm — —
1 ,, Plazenta —
I „ Adenoc. ventr. (-)-)
1 „ j Adenoc. mamm, —
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| Frl. Bl. Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
— 1
1 ccm
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2
1 „
Adenocarc. ventr.
(+)
3
1
Adenocarc. mamm
Herr V.,, 64 Jahre’ (Carcinoma ventriculi). Gastritis chronica.
Seit 8 Wochen Magenbeschwerden. Erbrechen. Wenig abce-
nommen.
Guter Ernährungszustand. Kein Tumor. Freie Salzsäure positiv
Keine Retention. Röntgenbild negativ.
I- II.
Hülse
Serum
Organsubstrat R. (ir)-
r>l.
Hülse
Serum
Organsubslrat
R.
Dr.
Ewald
1
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. ! (T) (T)
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2
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Adenoc. mamm.
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1
Lebermetastase -f ? |
4
1 „
Lebermetastase
5
1 »
Niere | (^-) |
5
1 ..
Niere
—
22 Frau B., 49 Jahre, (Carcinoma ventriculi), Cholelithiasis.
ncttige Magenbeschwerden. Appetitlos. Erbrechen.
i u Ke‘n ,norG . Ffeie Salzsäure herabgesetzt. Keine Retention.
Lebergegend empfindlich.
1686
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
Nr. 30.
Hülse
Serum
Organsubstrat
R. Frl Bl.
1
1 ccm
—
2
1 „
Plazenta
3
1 ”
Leber
- -
4
1 ”
Lebermetastasen
—
5
i
Adenocarc. ventr. |
rroDeiaparoiuimc umwuiwüi.
Schmerzen in der Gallenblasengegend.
23. Herr R., 61 Jahre, (Carcinoma hepatis), Leberabszess.
Seit längerer Zeit Schmerzen in der Lebergegend. Appetit
schlecht. Hat abgenommen. Nie Ikterus.
Reduzierter Ernährungszustand. Leber vergrossert. Empfind¬
lich. Konsistenz derb. Oberfläche glatt. _ _
29 Herr M., 54 Jahre, Carcinoma vesicae.
Seit einiger Zeit Blut im Urin. Schmerzen in der Blasengegend.
Qer" Uri „?TSowt”enhmErythrozyten, Tumorzellen (histoloe. an-
scheinend von «utartiEem Tumor).
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
—
—
—
2
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1 »
1 ,,
Plazenta
Adenocarc. ventr.
+
4
1 „
Lebermetastase
+
5
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Rundzellensarkom
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1 ccm
1 ,,
1 ,,
1 ,,
1
Plazenta
Leber
Lebermetastasen
Adenoc. mammae
Nach 3 Monaten Eröffnung eines Leberabszesses.
Wohlbefinden.
Carcinoma mammae.
Heilung und
Zylinderzellenkrebs der Harnblase.
Exstirpation des Tumors.
Histologische Diagnose:
Malignes Papillom.
30 Herr E., 71 Jahre, Carcinoma vesicae. ... ,
Seit kurzem Blut im Urin. Leukozyten, Erythrozyten, Alb. +.
Zystoskopie: Breitbasiger ulzerierender Tumor.
Hülse Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
Hülse Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1 1 ccm
2 1 ,,
3 1 „
4 1 „
5 1 „
Plazenta
Adenoc. mammae
Adenocarc. ventr.
Spindelzellensarkom
I++1 1
+
I. Vor der
Operation:
Radikaloperation mit Entfernung der Achseldrüsen.
Mikroskop.: Adenocarcinoma mammae. _ _
II. 5 Wochen nach
der Operation :
Hülse
Serum Organsubstrat * R.
1 ccm
1 „
1 ..
Plazenta
Adenoc. mammae
+
Nach 10 Wochen Hautmetastasen. , u A ..
Sektion am 10. V. 14: Ausgedehnte Metastasen der Haut. Meta¬
stasen der Mamma rechts, sowie in der Pleura und Leber.
25. Frau L., 61 Jahre, lokales Rezidiv nach Mammaamputation.
Vor 7 Jahren operiert. Von Zeit zu Zeit kleine lokale Rezidive,
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
—
—
-
2
1 t,
Plazenta
—
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4
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Adenocarc. mammae
Lebermetastasen
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5
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Spindelzellensarkom
—
1 ccm
1 „
1 ,.
1 ..
1 „
Plazenta
Lebermetastase
Niere
Spindelzellensarkom
+
4-
Operation: Exstirpation.
Histolog.: Carcinoma solidum vesicae.
Carcinoma recti.
31. Frau B., 52 Jahre, Rezidiv eines Rektumkarzinoms.
Vor 2 Jahren wegen Rektumkarzinom operiert. Elender Zustand.
Durchfälle.
Hübe
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
—
—
1 ,,
Plazenta
—
3
1 »
Adenocarc. ventr.
+
1 „
Gehirn
—
5
1 >.
Adenocarc. recti
+
32 Herr E., 59 Jahre, Carcinoma recti (Darmkatarrh).
Seit Vk Jahren wegen Stuhlbeschwerden beim Arzt. In den
letzten Wochen heftige Schmerzen, Drängen nach unten ohne Stuhl¬
abgang- Ocfters Blut. Digital harter Tumor fühlbar. Rektoskopie.
26. Frau Pf., 47 Jahre, Carcinoma mammae.
Operation: Amputatio mammae, Drüsenausräumung.
Hülse
Serum
Substrat
R.
1
1 ccm
—
—
2
1 ,,
Plazenta
—
3
1
Adenocarc. mammae
+
4
1
Plattenep.-Ca. der Haut
—
5
1
Rundzellensarkom
—
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
—
—
2
1 ,,
Plazenta
—
3
1 „
Leber
—
4
i
Lebermetast. (Zylind.)
+
27. Frau B., 53 Jahre, Carcinoma mammae.
Operation: Amputatio mammae, Drüsenausräumung.
Mikrosk.: Adenocarcinoma mammae.
Hülse
Serum
Substrat
R.
1
1 ccm
—
—
2
1
Plazenta
—
3
1
Adenocarc. mammae
+
Carcinoma vesicae.
28. Frau H., 61 Jahre.
In den letzten 2 Jahren Gewichtsabnahme. Seit Sommer 1913
Schmerzen im linken Bein.
Kachexie. Auftreibung der linken Tibia, die sehr schmerzhaft.
Operation: Exstirpation des Tumors. Histolog.: Adenocarc. recti.
Carcinoma oesophagei.
33 Herr D. (Magenleiden, Neurasthenie), Carcinoma oesoph.
Seit kurzer Zeit Magenbeschwerden. Gibt nebensächlich an,
dass er oft nach oben aufsteigendes Brennen habe, besonders hinter
dem Brustbein. Tumor nicht fühlbar. Magenuntersuchung: Normale
Funktion. _ _ _ _ _
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
1 ccm
1
1 ..
1
1
Plazenta
Plattenepit.Carc.port.ut. +T
Lebermetast. (Adenoc.) (+)
Spindelzellensarkom —
Während des Krankenhausaufenthaltes rasch zunehmende Ste¬
nose der Speiseröhre. Im Röntgenbild Tumor nachweisbar.
34. Herr G., 67 Jahre, Carcinoma oesophag.?
Schmerzen beim Schlucken fester Speisen. Gefühl, als ob etwas
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
—
—
—
2
1 „
Plazenta
—
3
1 ,,
Rundzellensarkom
—
4
1 „
| Spindelzellensarkom
—
—
5
1 ,,
Adenocarc. ventr.
++
+
Auskratzung des Knochenherdes. Histololog. : Endotheliom
des Knochens. Keine histogenetischen Beziehungen zu den Knochen¬
elementen. Ausgang von den Endothelien der Lymphbahn. Meta¬
statische Neubildung. Unterdes ergibt die Urinuntersuchung Blut,
Eiter und Tumorzellen.
Zystoskopie: Breitbasiger ulzerierender Tumor.
#) Die Wiederholung nach 3 Monaten ergibt wiederum negativen
Ausfall.
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl
1
1 ccm
—
—
2
1 „
Plazenta
—
3
l
Plattenepithelkarzinom
—
—
4
1
| Lebermetast. Adenoc.
LJ IC . . . ”
Bis heute Wohlbefinden.
Karzinom der Haut.
35. Herr N., 60 Jahre, ulzerierendes Kankroid des linker. Hand¬
rückens.
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
—
—
2
1 „
Plattenep. der Haut
+
3
1 ..
Zylinderzellenkarzinom
—
Exstirpation. Histolog.: Plattenepithelkarzinom der Haut.
28. Juli 1914.
MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIF’
1687
Carcinoma uteri.
•y. Frau M.. 38 Jahre. Rezidiv eines Uteruskarzinoms.
• , V u, Totalexstirpation wegen Uteruskarzinom. Jetzt
\v'äliS!^hWord.!n: J"] , BnteB?ib’ Druckgefühl. Schmerzen beim
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl
1
1 ccm
2
1
Plazenta
3
1 „
Adenoc. ventr.
J-
+
4
1 „
Adenoc. mammae
t
5
I „
Thyroidea
6
1 „
Spindelzelleukarzinom
—
Mi u7. J?hre (Carcinoma uteri), Endometritis chronica.
Sekretion Wochen unregelmässige Blutungen. Leichte fötide
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
2
1
Plazenta
3
1 »
Adenoc. Lebermet.ast.
4
1
Adenoc. uteri
—
m i Aucnoc. uteri _
Kürette: Histologisch: chronische Endometritisveränderungen.
38. Frau H., 46 Jahre.
Hülse |
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
2 1
1 „
Plazenta
3
j ..
Adenocarc. mammae
4
Adenoc. uieri
—
Kürette: Histolog.: chronische endometritische Veränderung
Struma maligna.
39. Frau T., 53 Jahre.
ÄSE ,d‘e d“> verwachsen
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
_
2
1 „
Plazenta
3
1 ,,
Thyreoidea
+-H-
4
1 ft
Adenoc. vent.
UV
4-
5
1 „
Rundzellensarkom
6
1
Spindelzellensarkom
—
neduliare solidum). UdUgnd oarcinomatosa Ware.
Teratom.
JnterVhSg aos7seJraTumoQre‘l“ühhLa!S °b ^ ^ ^ WaChse' bel
leich£enderEnt”itu™St0l°g- Tera'°m mit n,ali*l,er- dem Karzinom
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
_
2
1
Plazenta
3
1 „
Ovarium
4
1
Adenoc. mammae
■t
5
1
Lebermetastase
+
Sarkome.
\wHiei/r iMn 37 iahf.e> Sarkom der Inguinaldrüsen. Rezidive,
»kales Rezidiv^" Exstirpatlon von Inguinaldrüsensarkom. Zurzeit
Hülse
Serum
Organsubstrat
R. | Frl. Bl.
1
1 ccm
2
1 „
Plazenta
3
1
Zylinderzellenkarzinom
4
•1
Rundzellensarkom
-|~f- +
5
1
Spindelzellensarkom
+ ? 1
r lokales Rezidiv, das operiert wird. Die Re-
finn KiaiUf ' IVCZ.IU1V, uas operiert wir«
■non bleibt vor und nach jeder Operation stets positiv
^ektion. Allgemeine Sarkomatose.
42.;) Fräulein H„ 17 Jahre.
^epnx einP Geschwulst seitlich des Kniegelenkes
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
1 „
Plazenta
3
1 „
Rundzellensarkom
+
4
1
Spindelzellensarkom
5
1 ,,
Niere
—
Histolog. Diagnose:
ndzellensarkom.
In der einen Wand Sarkomentwicklung.
) Patientin wurde 6 und 12 Wochen nach der Operation unter-
L ' n:>.eine Anz®lcben e>nes Rezidivs oder Metastasenbildung,
me Drusen. A.-R. beide Male negativ.
43. Herr P., 42 Jahre.
Hi« l>atient_ wird an einer kleinen Geschwulst in der Lebergegend
KwSse™i!t%peS.beS,eh' “nd 'n de” le,Z,en *»»«»' «w«
Hülse
Serum
Organsubstrat j R.
1
1 ccm
2
1 „
Plazenta —
3
1
Zylinderzellenkarzinom —
4
1
Spindelzellensarkom -j-
5
1 „
Rundzellensarkom
Exstirpation: Histolog. kirschgrosse Geschwulst: Leiomyosarkom.
44. Herr W., 56 Jahre.
„rnSc«e^«aru 1913. aa. der Radialseite des linken Ellenbogen nuss-
grosse Geschwulst, die seit Januar gewachsen ist. Auf Unterlage
Drüsen6^'65 ICh' Röntgenbild; Knochen ohne Veränderung. Keine
zellen XStlrPatl°n: HistoIog- Fibrosarkom des Oberarmes. Spindel-
November 1913 Rezidiv.
Hülse ]
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
__
2
1 „
Plazenta
3
1
Zylinderzellenkarzinom
_
4
Fibrosarkom Spindelz.
++
+
1 »
Pankreas
6
1
Rundzellensarkom
—
Hohe
Malignst Pati°n: Sp‘ndelzelIensarkom. Starke Anaplasie.
Rea^ffS^oJ^nn?^ tf0tZ BestrahlunS- Amputatio humeri.
i\ e a k t i o n noch positiv.
Histolog.: Kein Uebergreifen auf den Knochen,
anuar 1914: die Reaktion bleibt positiv. April 1914 -
Lungenmetastasen. Exitus. pni iy14'
12. XII. 1913.
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
Plazenta
2
3
1 „
1 „
Spindelzellens.
+
+
21. I. 1914.
Hülse Serum
Organsubstrat
R.
1 1 ccm
_
J } ”
Spindelzellensarkom
+
Plazenta
45. Frau I., 64 Jahre, Sarcoma colli.
, ,.rosse Geschwulst an linker Halsseite. Im letzten halben Jahre
schnell gewachsen. Sehr hart. Haut verschieblich, mit der Unter-
mastoIdeusaChSen' ReiCht V°m M' sternocIeidomast. bis zum Proc.
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1
1 ccm
-
2
1 ,,
Plazenta
3
4
1
1 „
Rundzellensarkom
Fibrosarkom Spindelz.
+ ?
5
1
Lebermetast.-Karzinom
^Asurpauon. mstoiog. Diagnose: Zell- und bindegewebsreiches
Rundzellensarkom. Die fragliche Reaktion bei Hülse 4 ist vielleicht
auf Bindegewebsabbau zurückzuführen.
46. Herr R„ 45 Jahre, Sarcoma testis.
operim-t26^'^ V°r e'nem dabre wegen Geschwulst an der Schläfe
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
2
X „
Plazenta
3
1 ,,
Rundzellensarkom
+
4
1 „
Zylinderzellenkarzinom
5
1 „
Hoden
—
Exstirpatio testis. Histolog.: Rundzellensarcoma testis
I )1P k’pak'tmti A \A/ n ^
Hülse 1
Serum
Grgansubstrat
R.
i |
1 ccm
_
2
1 „
Rundzellensarkom
+
3 1
1 ..
Plazenta
Sektion: Sarcomatose intestini et peritonei.
47. Frau P., 63 Jahre, Tumor orbitae.
Im nasalen Winkel des rechten Auges rundliche Geschwulst, mit
wfrl a‘w v^rvvachsen. Besteht etwas länger als ein Jahr. In den
letzten Y\ ochen kaum merklich gewachsen.
Hülse
Serum
Organsubstrat
R.
1
1 ccm
2
1 ,,
Plazenta
3
1 „
Rundzellensarkom
4
1 „
Spindelzellensarkom
5
1 ,,
Zylinderzellenkarzinom
—
SarkonHiarakte' ' Bls^°*og'D|aSnose: Hamartom ohne ausgesprochenen
1688
M1JENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
ÄÄ ftÄ" 1- W- haibcn
Jahre etwas gewachsen.
Hülse | Serum
Organsubstrat
R.
Frl. Bl.
1 ccm
1
1
Rundzellensarkom ! —
3 j Spindelzellensarkom | — I
befinden. _ _ —
28 Falten •) vanKa^inom hatte Id, also in 26 Abbau von
L; nta rsuchung6' Karzinomei weiss verschiedener Herkunlt nicht
u ps handelte sich um ein reines Zylinderzellenkarzinom d
bnaen - Oder sofern" sich solche bildeten, wurden s.< = so fort
Absorbiert. Vielleicht auch, dass der Körper überhaupt mch
* V, io „rar Fermente zu bilden, wodurch sich erklären
IS e dass dei TumSr s ch in kurzer Zei, zu ausserordentlicher
Orfsse entwickeln konnte. Die vorgeschrittene Kachele ,st
■-?"-*«! 1 ^ Xechnlk'also^o^lT^ücht'berücksiclitigt werden
können, die aber nach ihrer Erforschung für die Anschauung
des Tumorwachstums und der Metastasenbildung von^gioss
Bedeutung werden können. Dass ein Fal
KarZinomabbau zeigte, habe ich bereits zu erklären versucht.
Für die Technik der Methode ergibt sich gerade aus diesem
Falle wie auch Fall 12 und 39 zeigen, die Notwendigkeit,
ausser dem Geschwulstsubstrat des ergriffenen Organs da
Tumorsubstrat eines Organes zu verwenden, das sicher nicht
beteiligt ist gewissermassen em neutrales Sub. tra
•mch Fall 7 12, 20). Andernfalls wäre bei diagnostischen
Untersuchungen z. B. eines Magenkarzinoms notwendig, neben
Karzinomsubstrat des Magens noch Magenschleimhaut z
fverp-l Fall 5 9). Ich verfahre prinzipiell bei allen
diagnostischen Untersuchungen auf Grund meiner Erfahrungen
derar? dass ich neben Tumorsubstrat des beteiligten und
eines neutralen Organes stets die normalen Organe mitprufe.
In 12 zweifelhaften Fällen blieb die Reaktion mit Karzmom-
eiwetes negativ, die Operation bzw. Sektion oder der Verlauf
bestätigte den Ausfall der Reaktion. Qarknmeiweiss
ln 6 Sarkomfällen zeigte das Serum mit Sarkomeiweiss
Dositiven Ausfall — 2 Fälle, in denen die Reaktion negativ war,
würfen durch .die histologische Untersuchung nicht als
Sarkome. sjcl|er nicht f0r maligne Tumoren in Be
tracht kamen, wurde niemals Karzinom- oder Sarkomabbau
beobachtet — 3 Gravidensera darunter bauten nur Plazenta ab.
Entgegen anderen Mitteilungen fand sich, dass Karzinom-
bzw. Sarkomserum nur entsprechendes Tumor Substrat ab-
baut'e also Karzinomserum nur Karzinomeiweiss und nie
Sarkomeiweiss und umgekehrt. Es zeigte sich dabei, dass es
für den Ausfall der Reaktion weniger in Betracht kommt, von
welchem Organ der Tumor stammt, wenn nur die Art des
histologischen Aufbaues übereinstimmt. Die Spezifität ist für
die einzelne Tumorart eine sehr weitgehende, sogar m histo¬
logische Einzelheiten derart, dass, wie ich beobachten konnte,
das Serum eines Plattenepithelkarzmoms nicht mit Zyhnder-
zeflenkarzinom reagiert und umgekehrt und
scheint es sich für das Sarkom zu verhalten, n 2 Fallen rea¬
gierte Spindelzellensarkom nicht auf Rundzellensarkom und
auch umgekehrt. Doch sind meine Fälle noch zu wenig an der
Zahl um diese Frage bestimmt zu entscheiden. Um auf ein
Karzinom zu prüfen, wäre also zunächst notwendig, Karzinom¬
substrat verschiedener Zellart zu verwenden, um Fehldia¬
gnosen auszuschliessen und ebenso beim Sarkom.
Sicher ist wie ich in meinen Untersuchungen fand, dass
Karzinom und Gravidität durch die biologische Methode sich
' m Pin7 Reihe weiterer Untersuchungen, deren Ergebnisse mit
den obigen gut übereinstimmen, soll später noch veröffentlicht werden.
trennen lassen. In keinem Fall griff Karzinom- bzw Sarkom-
Serum Plazenta an, hinwiederum reagierten die 3 Qraviden-
scra. die zu untersuchen mir möglich war, mit Karzinom vie
Sarkom negativ (und zwar mit Adenokarzinom des Magens I
"nd ich versuchte, da ich chirurgisches Material zur Verfügung
hatte naehzuprüfen, wie die Reaktion nach Operation bzw.
nach' Radikaloperation sich verhielt ln den wentgen Falle*
die ich bis jetzt nachprüfen konnte (Fall -4, -.5, 31, 3b, 41, ,44
sowie Fall 46) blieb die Reaktion stets positiv — - in jedem Fall
wurde die Reaktion durch das Auftreten von Metastasen be¬
stätigt oder zeigte bereits bestehende Metastasen an (vergl.
Es erübrigt sicli noch, die klinische Verwertbarkeit des
Dialysierverfahrens zu betrachten. In den klinisch sicheren
Fällen stimmte der Ausfall der Reaktion bis auf 2 über ein. ln
den zweifelhaften Fällen trug sie dazu bei, die Differential-
diagnose zu entscheiden. Dringend möchte ich aber darauf
h n weisen, dass niemals der Ausfall der Reaktion als solcher
die Diagnose — über die klinischen Erscheinungen hinweg -
bedingen darf. Es werden wohl immer wieder Falle auftreten,
wo die Reaktion noch im Stiche lässt oder falsch gedeutet
wird (Fall 4 und Fall 7). Andererseits wieder vermag die
Reaktion in manchen Fällen den Weg : zu s tagen . wo klinisch
eine Diagnose noch nicht eindeutig möglich ist (ball 1). ALo
nur im Verein mit den klinischen Erscheinungen, zusammen mit
der klinischen Untersuchung am Krankenbett wird die A b de r-
h a 1 d e n sehe Reaktion - in sorgfältigster Abwägung des Für
und Wider — ein wertvoller Faktor sein. Vorausgesetzt ein¬
wandfreie Substrate und sorgsamste Technik — dre strengste
Selbstkritik der eigenen Untersuchung als Bedingung
die Methode einwandfreie Resultate liefern. In diesem Sinne
benutzt und ausgebaut, wird die Reaktion der Klinik : voraus¬
sichtlich den grössten Dienst zu leisten vermögen. Die Früh¬
diagnose maligner Geschwülste.
Literatur.
1 Abderhalden: Die optische Methode und das Dialysier-
verfahmi Handb. d. biol. Krebsmeth 5. - 2. Ders: Ab wehr-
fpi mente des tierischen Organismus. III. Aufl. Vgl. dort Literatur.
il'Ters.: MmW. 1912 Nr. 36 - 4 Br oc :k«. "n: Lance
iQio c i _ 5 Deutsch und Köhler. W.Kl.vv.
V«H E p sU: r Fr an*
jadrisch:mW.kl.W. 1912 Nr. 39 9 v. 0 a.m b a r :
1012 Nr 30 _ 10. Halpern: Mitt. Grenzgeb. 27. 1913. H. .
1 Hless und Lederer: M.m.W. 1913 Nr. 41. - 12 J o n as.
nrnW 1913 Nr 23. — 13. Markus: B.kl.W. 1913 Nr. 1L
14 Weiss: D.m.W. 1914 Nr. 2 — 15. v. w. ‘ n* ^ aJ t e r:
1913 Nr. 41 S. 2306. — 16. Wolfsohn: Arch. f. klm. Chir. 102.
1913. H. 7.
Der Nachteil der dauernd steigenden Anlage- und
Betriebskosten von Sanatorien *).
Von Sanitätsrat Dr. Carl Schütze in Bad Kosen.
Meine Aufgabe war, einen Bericht zu geben über die über¬
triebenen Heileinrichtungen in Sanatorien. Es sind nun 2 Jahre,
H. mich mit dieser Angelegenheit beschäftige. In dieser Zeit hat scj
mir soviel Material aufgedrängt dass ich bei ^■d|e"aJJSe!bea5Se-
der Aufschrift nicht stehen bleiben konnte, sondern üieseioe unu
dfngt erweitern musste, wenn Jas Referat einen nutzbnngenden Wert
lr, hen sollte Die Aufschrift lautet nunmehr. „Der Nacht ^ i
dauernd steigenden Anlage- und Betriebskosten von Sanätonen . |
Nach dem Bericht von Behl a in den medizinisch-statistischen^
Nachrichten vom Jahre 1912 befinden sich in Preussen al'ein Ain,
stalten im Besitz von Privatpersonen. Unter 3120 he
allgemeinen sind das mithin 28 Proz., sicherlich eine ganz : erheb! c
Anzahl Wir brauchen nur die Annoncen unserer Fachblatter
auch der politischen Blätter, der Wochen- und Monatsschnft«
yiisehen um die stets wachsende Zunahme der nrricmung
Sanatorien und Privatheilanstalten festzustellen. Bei der ungeheur
Vermehrung der Bevölkerung würde eine solche Zahl von Sanator
und das Anwachsen derselben nicht so sehr ins Gewicht fallt ü
man nicht andererseits bemerken müsste, dass auch eine n|cht g
Anzahl von Sanatorien und Privatheilanstalten wieder zum V (I
*) Nach einem Vortrage, gehalten auf der Jahresversammlum
des Verbandes deutscher ärztlicher Heilanstaltsbesitzer und 4
Hamburg im März 1914.
28. Juli 1914.
MUKNCHFNFR MEDIZINISCHE W0CHENSCHRIF1
1689
ausgeboten werden, oder sonst eingehen aus irgendwelchen Gründen
oder gar durch Zahlungsunfähigkeit in Konkurs geraten. Da es mir
sehr daran lag, etwas genaueres über Verkauf, Eingehen und Konkurs
von .. anatoricn zu erfahren, habe ich mich an das Kgl. preussische
statistische Amt zu Berlin gewandt, konnte aber hier leider nichts
erfahren, da dieses Amt darüber keine Register führt.
Es ist verwunderlich, dass neben dem Auftauchen zahlreicher
neuer Privatheilanstalten doch eine grosse Anzahl derselben wieder
eingehen und verschwinden. Wir können an dieser Tatsache nicht
gleichgültig vorübergehen, da sie nicht nur in die Verhältnisse der
einzelnen Besitzer tief einschneidet, sondern auch eine nicht zu unter¬
schätzende national-ökonomische Bedeutung hat.
In den letzten Jahren ist auf allen Gebieten Mandel, Gewerbe,
Industrie ein gewisser Stillstand oder sagen wir, verlangsamter Fort-
schritt eingetreten, deren Gründe wohl zumeist in politischen Ver-
h.iltnissen zu suchen sind. Grosse und kleine Kurorte empfinden diese
Verhältnisse in gleicher Weise. Wenn auch die Heilbestrebungen des
kurarzthehen Standes im allgemeinen der ideellen Seite noch nicht
entbehren, so müssen wir uns doch klar machen, dass kostspielige
Einrichtungen sich auch rentieren sollen, d. h., dass Privatanstalten
verdienen wollen und mit materiellem Ueberschuss arbeiten müssen.
In dieser Zwangslage ist denn nun auch ein gewisser Konkurrenz¬
kampf entstanden, der sich schon in der Art der Ankündigungen doku¬
mentiert. Wir finden Redewendungen wie: ..neuzeitliche und muster-
gultige Einrichtungen für Kur und Unterkunft“; — und „in herrlicher
\\ 2 Id gegen d gelegene, mit allem Komfort der Neuzeit eingerichtete
und klinisch geleitete Kuranstalt“. Andere Sanatorien zählen ihre
Heileinrichtungen noch namentlich auf. Warum geschieht das? Die
Besitzer müssen ringen und kämpfen, um ihre kostspieligen Institute
rentabel zu machen!
Fragen wir uns nach den Gründen der teuren Anlagen, so er¬
fahren wir zunächst, dass der Bauplatz schon eine erhebliche Summe
verschlungen hat. Nach § 2 der preussischen Vorschriften verlangt
die Behörde mindestens 100 qm für das Krankenbett. Diese Forderung
kann im Einzelfalle vielleicht schon zu Schwierigkeiten führen, vor
allen Dingen dadurch, dass ein genügend grosser Bauplatz an einer
in jeder Hinsicht geeigneten Stelle zu finden ist. Der Staat verlangt
eine solche Fläche nach unseren modernen Anschauungen der Hygiene
unserer Krankenanstalten, namentlich hinsichtlich der freien und
ruhigen Lage derselben und der Möglichkeit reichlichster Licht- und
Luftzufuhrung. Weiter verlangt der Staat Anlage von 2 Treppen für
jedes mehr als 30 Betten umfassende Stockwerk. Die Mindestbreite
der Muren und Gänge soll 1,8 m und die der Haupttreppen 1,3 m be¬
tragen. Gänge, an denen Krankenräume liegen, sind einseitig anzu¬
legen und an der gegenüberliegenden Seite dürfen sich nur Neben-
raume (Anrichteküche, Bade-, Aborträume usw.) bis zur Hälfte des
Ganges befinden. Für das Bett verlangt der Staat 40 cbm bei 10 qm
Bodenflache. Jedes Geschoss soll einen sog. Tagesraum besitzen
von mindestens 2 qm Bodenfläche für jeden Kranken, und dann soll
das Institut auch noch Absonderungsräume haben für Patienten die an
ansteckenden Krankheiten leiden. Nebenbei sollen Privatkranken-
anst alten und Sanatorien auch noch einen Leichenraum und einen Des-
infektionsraum besitzen. Gewiss sind alle diese Bestimmungen vom
>Kienischen Standpunkte aus durchaus berechtigt, aber sie gehen
doch zum Teil zu weit und verursachen beim Bau ganz erhebliche
Mehrkosten. Was sollen unsere Sanatorien mit Leichenhallen und
Desinfektionsraumen anfangen? Diese kämen doch nur da in Frage.
w°i.dle,~uana,torien völlig frei und weit entfernt von menschlichen
Wohnstätten liegen. Heutzutage hat jede Stadt und jedes Dorf seine
Leichenhalle auf dem Friedhof, und der Desinfektionsraum würde nur
i r solche Anstalten in Betracht kommen, die Patienten mit anstecken¬
den Krankheiten aufnehmen.
Diese staatlichen Forderungen sind sicherlich häufig unbequem
und verursachen wohl auch ganz erhebliche Mehrkosten, zumal nach
Jen Bestimmungen von 1911 nicht mehr wie bei denen von 1895 Dis¬
pense erteilt werden können. Aber sie sind durchaus keine hervor-
agende Ursache der Verteuerung unserer Sanatorien, und ich glaube
ucht. dass wir einen- scharfen Kampf zu führen haben gegenüber
i -T ,Wu.e BlirKe.rmei'ster T h o d e - Stettin sich ausdrückt — „über
Jas Ziel hinausschiessenden Anforderungen des Staates“. Der Grund
ler Verteuerung liegt zunächst in der Aeusserlichkeit, in der Ar-
mitektur des Baues. Es ist ein verständliches Streben, dem Hause
tussen und innen ein gefälliges Ansehen zu verleihen, damit der aus
.einer oft weitgelegenen Heimat eilende, sehnsüchtig Genesung
uchende Kranke sofort bei seinem Betreten des Grundstückes einen
vmpathischen Eindruck empfange. Die grossen Fortschritte unserer
Jaukunst und der hocherfreuliche Aufschwung unserer deutschen
vrchitektur, der seit 20 Jahren namentlich auch in unseren öffentlichen
\f Teü~Und In der volllg veränderten Ausführung unserer modernen
o n lauser seinen Ausdruck findet, sind naturgemäss an unseren
'anaiorien nicht spurlos vorübergegangen und haben dazu geführt,
. ^ 5U e *?ei der Errichtung fast jedes Sanatoriums das natürliche
nnHpr Cn dlcrvortritt, nicht nur etwas wirklich Zweckmässiges,
• ,n auc 1 eBvas wal'rhaft Schönes, das der Umgebung zur Zierde
ie/5JVu, schaffen. Gewiss ist es ein löbliches Bestreben, dem
cnonneitsideal grossere Summen zu opfern, aber der Bauher soll
ie vergasen, dass, selbst wenn ihm unerschöpfliche Geldquellen zur
lr3un* s*e"en\.e,r do?h hinterher den Wunsch hat, das hinein-
, ,e Kapital möchte sich gut verzinsen. Ich kenne eine grössere
am Sanatorien, die inmitten herrlicher Naturschönheiten liegen
und dabei noch den Eindruck von Palästen machen; und fragt man
nach der Verzinsung, dann zuckt der Besitzer die Achseln und er¬
widert mit vertrauensseligem Lächeln: „Die nächsten Jahre wird sich
alles noch gut entwickeln.“ Aber die nächsten Jahre entwickelt sich
gar nichts weiter, als dass ein solcher Palast aus einer Hand in die
andere geht, bis er schliesslich unter den Händen einer G. m. b. H.
ausgeschlachtet wird. Meist beschuldigt der Bauherr den Archi¬
tekten, er habe ihm zu kostspielige Vorschläge gemacht, oder er habe
seinen Kostenanschlag nicht innegehalten, aber diese Entschuldigungen
smd nicht stichhaltig: der Bauherr muss selbst kalkulieren oder un¬
parteiische Sachverständige zu Rate ziehen. Er muss wissen, wie
noch sich die Bausumme belaufen darf, damit er bei mässiger Ver¬
zinsung sein Unternehmen halten kann. Die vornehmste und schönste
Architektur, sowohl innen als aussen, bleibt :mmer die einfache. Und
nachher muss man einsehen, dass viele Tausende hätten hier zweck¬
massig gespart werden können.
Was die Architektur, der gesamte Bau noch nicht verschlungen
hat, wird nun verbraucht bei der Einrichtung der Wohn- und Wirt-
schattsraume. Es herrscht auch hier überall das Bestreben, die denk¬
bar schönste Eleganz hervorzukehren mit allem nur möglichen Raf-
Seidene Vorhänge, kostbare Möbel, die elegantesten Betten,
™le'!de reppiche usw. Ich brauche all das Bekannte nicht in
eingehender Weise auszuführen; aber vergessen denn unsere Sana-
orien, dass sie Heilanstalten sein sollen? Ich bin weit davon ent¬
fernt, zu verlangen, dass wir in den Urzustand eines Priessnitz
oder eines Kneipp zurückkehren sollen; aber dieses Ueberbieten,
dieses Streben nach unnötigem Luxus ist ungesund. Hier wäre das
verlangen nach Abrüstung unbedingt gerechtfertigt, denn bei diesem
Konkurrenzkampf geht der einzelne wirtschaftlich zugrunde
Auch auf die therapeutischen Einrichtungen erstreckt sich dieses
verlangen nach grösstem Luxus; und doch werden auch diese Ein¬
leitungen meistenteils als Reklame benutzt. Wir wissen ganz genau
dass unsere Behandlungsmethoden immer höher und höher geschraubt
sind, so dass sie fast schon den Eindruck einer theatralischen De¬
koration machen. Alle die glänzend aussehenden Apparate für elek¬
trische Behandlung, für Massage usw. stechen dem Patienten in die
Augen, sie imponieren ihm. Aber helfen sie ihm auch? Es vergeht
kaum ein Jahr, wo nicht neue Apparate konstruiert werden, und die
alten sehr teuren Einrichtungen sind dadurch wertlos geworden. Ueber-
assen wir doch den staatlichen Kliniken, teure und kostspielige Appa¬
rate auszuprobieren. Der Staat mag sie kaufen, kann sie kaufen und
soll sie kaufen. Erst wenn die Kliniken den unzweifelhaft hohen
therapeutischen Wert erkannt haben, dann mögen sich die Sanatorien,
die dazu imstande sind, dieselben anschaffen. Bis heute kennen wir
noch nicht die physiologische Wirkung der Diathermie. Wir haben
durchaus noch keine Kenntnis von der physiologischen Wirkung der
^lMqRUenzströme; und nun gar erst noch der Bergoniesche
Btuhl! Ls smd eine ganze Anzahl Sanatorien, die sich ihres kost¬
spieligen Besitzes rühmen; und wie geteilt sind heute noch die An¬
sichten über seine erfolgreiche Wirkung. Wiederholt können wir in
der Literatur finden, dass er nicht mehr leistet als früher die diäte-
t'schen Entfettungskuren. Die Sanatorien haben wahrlich zunächst
nicht die Verpflichtung unsere Technik und Industrie auf die Strümpfe
zu bringen. Ihr Bestreben soll dahin gehen, den sich ihr anvertrauen¬
den Kranken Heilung von ihrem Leiden zu schaffen und dazu bedarf
es nicht eines Museums glänzender Prachtapparate, dazu bedarf es
eines richtigen Arztes, einer Persönlichkeit, die es versteht, mit dem
menschlichen Organismus und seinen Imponderabilien zu rechnen
Der Arzt repräsentiert drei Viertel seiner Einrichtung, für die dann
nur das bescheidene Mass von einem Viertel übrig bleibt. Das eine
Viertel soll dann immer noch einen freundlichen, gefälligen Eindruck
machen, so dass auch hier der Patient sehen muss, dass die vortreff-
hche Persönlichkeit des Arztes auch eine zweckmässige Einrichtung
sein Eigen nennt. Wie viel Tausende könnten da wieder gespart
weraen!
Ganz anders denke ich über die diagnostischen Hilfsmittel. Unser
alter Kollege Celsus sagt: „Qui bene diagnoscit, bene medebitur “
Nach diesem Grpndsatz müssen auch wir handeln. Bewährte Appa¬
rate zur Feststellung des Krankheitszustandes brauchen wir not¬
wendig. Mögen diese uns zur Reklame nützen, sie werden uns sicher
auch beistehen unseren Kranken zu helfen. Ein Röntgenapoarat,
em Elektrokardiograph, Blutdruckmesser, Pulsmesser, vortreffliche
Mikroskope meinetwegen auch Brutschränke u. dgl. m.. alles was
zur Feststellung einer Diagnose dient, mag ein gutes Sanatorium be¬
sitzen. Dann werden wir schon von selbst einsehen, dass die kost-
spiehgen therapeutischen Einrichtungen auf ein geringes Mass zuriiek-
gefuhrt werden können.
, Za de" Beile'nrichtungen gehört ganz besonders auch die Küche,
ci. n. die Diät. Auch hierin wird ein Luxus getrieben, der nach
meinen eigenen Erfahrungen weit über die Grenze des Zweckmässi¬
gen hinausgeht. Unsere Sanatorien sind keine Grands Hotels, die in
der ausgesuchtesten Weise ihren Gästen die denkbar exotischen
Leckerbjssen vorsetzen sollen; und meines Erachtens ist es für den
ärztlichen Leiter eines Sanatoriums kein besonders hervorragendes
Bob- We£- uein,e Patienten itin einen vorzüglichen Hotelwirt nennen.
An der Küche kann und soll gespart werden, ohne dass der Patient
das zu bemerken braucht. Einfache, gute und kräftige Mahlzeiten
fordern die Gesundheit mehr und besser, als eine Anzahl von Gängen,
nach deren Einnahme sich der Patient meist fühlt wie ein geprellter
Frosch und kaum Lust hat, seine Bewegungskuren zu unternehmen.
1690
MtJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
Nr. 30.
ict ia nicht zu leugnen, dass die Krankendiät sehr verteuert wor¬
den ist durch die Verteuerung der Lebensmittel im allgemeinen. Aber
wie dem auch sei, eine erhebliche Sparsamkeit kann in zweckmassiger
Form auf diesem Gebiete eintreten. ...
Die Verteuerung unserer Sanatorien und die Ursache ihrer man¬
gelhaften Rentabilität ist demnach begründet - wenn wir die hygie¬
nischen Forderungen des Staates ausser acht lassen — in aen Nosxen
des S«Ä‘. Her Architektur und Ausschmuckunü des Qe-
u:;„Hf*s Baumaterial innere Ausstattung, in der Zahl una aus
Ä der Krankenräume und Nebengelasse, in der übertriebenen
kostspieligen Einrichtung mit Heilapparaten und schliesslich auch m
der unzweckmässigen und kostspieligen Verpflegung. Im allgemeinen
fa, sich niemand*,,, n diese Angelegenheiten in “IVfselne
Besitzer selbst Wenn er pekuniär zugrunde geht, so ist das seine
und nicht unsere Sache; das ist wohl richtig. Aber eine Frage von
tief einschneidender sozialer- Bedeutung, resultiert dennoch aus den
vorstehenden Darlegungen. Kostspielige Sanatorien erfordern eine
kostspielige Verwaltung. Wer tragt diese Kosten? Der Kranke,
def oft sein Letztes ausgibt, um Hilfe in seinem Elend zu finden.
Wir müssen abrüsten, damit die Forderungen
steigen wir müssen abrüsten, damit wir auch der grossen Masse
des Mittelstandes es ermöglichen, mit geringeren Kosten und ohne
Angst und Sorgen um die Zukunft ihre Gesundheit wieder zu er¬
langen Die Errichtung von Mittelstandssanatorien ist eine soziale
Notwendigkeit, denn wir können es nicht verlangen, dass Beamte
und wissenschaftlich gebildete Leute längere zu-
Wünsche und Anschauungen auf ganz anderem Boden stehen, zu
sammenwohnen. Es handelt sich bei diesem Gedanken ^He^beff ühren
uni gesellschaftlichen Hochmut, sondern nur um da^^YnbT1e'*“hrlleant
eines gewissen sozialen Ausgleiches. Der Minister des Innern hat
unter dem 20 November vorigen Jahres einen Erlass herausgegeben,
hl den! e? besonders von den Gemeinden wünscht, dass sie nicht wie
bisher danach streben, möglichst kostspielige Krankenhäuser anzu¬
legen, sondern dass sie mehr Wert legen sollen auf zweckmässige
und praktische Einrichtungen, die dem Kranken nützlicher sind a s
alle glänzenden Aeusserlichkeiten. Dieser Erlass ebenso wie di
dazugehörige Schrift des Geheimrat K r o h n e sollten den Besitzern
und Leitern von Sanatorien dringend ans Herz gelegt werden Der
Arzt soll mit seiner Persönlichkeit und mit seiner Tüchtigkeit der
erste therapeutische Faktor sein und nicht die zwecklos blendende
Umgebung. Denn nur so werden wir der grossen Masse unseres
deutschen Volkes, nämlich dem Mittelstände, den grössten Nutzen
bringen; für die arbeitende Klasse wird schon in ausreichendem
Masse gesorgt! _
Bücheranzeigen und Referate.
I F Henderson: Die Umwelt des Lebens. Eine physi¬
kalisch-chemische Untersuchung über die Eignung des Anorganischen
für die Bedürfnisse des Organischen Aus dem Englischen übersetzt
von R. Bernstein. Wiesbaden. Verlag von J. F. Bergmann.
1914. 170 Seiten. Prei 5 Mark
Bekanntlich ist das organische Leben vor allem an die . toffe
Wasser und Kohlensäure gebunden. Der Verfasser sucht nun die
Frage zu beantworten: War es Zufall, dass gerade diese Stoffe zu
Trägern des Lebens geworden sind, oder sind es ganz besondere
für das Leben günstige Eigenschaften durch die sich diese Stoffe
aus dem Kreise aller anderen herausheben. Zur Beantwortung dieser
Frage werden zunächst aus dem Begriff des Lebens die allgemeinsten
und wichtigsten Eigentümlichkeiten herausgestellt:
1. die Kompliziertheit, ..
2. eine auf Regulation beruhende weitgehende Beständigkeit,
3. die Befähigung zum Stoffwechsel, d. h. zum Austausch \on
Materie und Energie mit der Aussenwelt. . , ,
Der Verfasser bringt nun auf der Grundlage eines reichen che¬
mischen und physikochemischen Materials den Nachweis, dass unter
allen aus der Chemie bekannten Elementen und Verbindungen das
Wasser und die Kohlensäure zur Ermöglichung der obengenannten
Haupteigenschaften des Lebens die bei weitem günstigsten sind.
Nur einige Beispiele zur Charakterisierung der Gedankenrichtung des
Verfassers seien hier genannt. Die Gleichmässigkeit der Temperatur
ist ein wichtiger Faktor für die Erhaltung des Lebens. Die Tem¬
peratur wird nun umso gleichmässiger sein, je hoher die spezifische
Wärme desjenigen Stoffes ist, der durch seine Masse die Erdober¬
fläche beherrscht. Die spezifische Wärme des Wassers aber stellt
unter allen spezifischen Wärmen bekannter Stoffe nahezu ein Maxi¬
mum dar, so dass auch die Eignung des Wassers in dieser Beziehung
für das Leben nahezu maximal ist, Für den Stoffwechsel ist eine
hohe und möglichst vielartige Lösefähigkeit der Körpersafte sowie
bei Wassertieren auch des umspülenden Wassers für die Erhaltung
des Lebens günstig. Unter allen bekannten Flüssigkeiten ist das
Wasser das beste Lösungsmittel, so dass auch nach dieser Richtung
die Eignung des Wassers maximal ist. Ferner ist die Verbrennungs-
wärme des Wasserstoffs höher als die aller anderen Substanzen,
so dass dem Körper beim Abbau von Wasserstoffverbindungen eine
maximale Menge von Energie zufliesst. Solche und ähnliche Ge¬
danken finden sich in grosser Zahl in streng wissenschaftlicher Dar¬
stellung vor Es wird der Nachweis geliefert, dass durch die Kom¬
bination der verschiedensten Eigenschaften des Wassers, der Kohlen¬
säure und der Kohlenstoffverbindungen ein Milieu geschaffen ist, welches
lin eiSeartiees Ganzes darstellt, wie es aus sonst bekannten Stoffen
e n einzigartiges u«u Kombination sich nachbilden
!’.!ch — Kombination von Wasser und Kohlensäure mit
cferS E r de** ebenso* ab er auch 'sonst auf den Körpern des Weltalls beim
Entstehen gemässigter Temperaturen überall die vorherrschende ist,
so ergibt sich dw Schluss, dass schon in der anorganischen Natur
des Weltalls eine Auswahl bezüglich Art und Mengenverhältnis der
Materie gegeben ist, welche der Entstehung und Erhaltung des
tVhPnl nrnimal günstig ist, dass daher der gesamte Entwicklungs¬
prozess des Weltalls in seinem innersten Wesen „biozentrische An¬
lagen aufweist. Der Aufbau dieses Gedankens ist in grosser Partei
i M i v i / QpihQtkritik in strenger Weise gehandhabt. So ist
SÄ denen die oben entwickelten
Grundgedanken des Verfassers Interesse zu erwecken vermögen, aufs
Aneelegenste zur Lektüre und zum Studium empfohlen sei Den
U?eJ wirf eine recke Ernte neuer und auch d«|t,sch wer, voller
Ideen belohnen-
fi Büchner: Angewandte lonenlehre für Studierende, Che-
mlker? Biologen? Aerzte u. a. München 1912. Verlag von J. F. L e h -
m a rchofilheMat an'dteer Stelle Ober die medizinisch^ Be-
tätieunedes Herausgebers der Jugend“. O.H i r t h. berichtet, der seine
ÄnsSSnnngen in etaem Buche: „Der elektro-chem Ische Betrieb der
Organismen die Salzlösung als Elektrogenet und der elektrolytische
Kreislauf eine Programmschrift für Naturforscher und Aerzte -
sammengefasst hat. Hier handelt es sich um die Arbeit eines Berufs-
Se s der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, die in dem Hirth-
sehen Buche angezogenen physikochemischen Prozesse vom „ an -
nSP des Chemikers aus näher entwickeln und in ihren Grund¬
tatsachen zu beschreiben. Was das Buch an rein Physikochemischem
enthält, darf als eine nicht ungeschickte Zusammenste lung gelten.
Soweit aber der Verfasser unter dem Einfluss der H i r t li senen Ar
beiten ins Gebiet der Biologie und Medizin übergreift, muss .für die
Ausführungen ein gleiches Urteil platzgreifen wie über die G. Hir t h-
fche SchHft selber. Es sind Ideen eines Dilettanten, die nicht An¬
spruch erheben können, von dem wissenschaftlich denkenden Arz
ernst genommen zu werden. °
Ueber die Beziehung der Röntgenbilder des menschlichen Magens
zu seinem anatomischen Bau. Beiträge zur Anatomie und Physiologie
des Magens von Gösta F o r s s e 11, Vorstand dg Röntgenabteilung
des Kgl. Karolinischen Instituts in Stockholm. Mit 125 Figuren im
Text und 102 Abbildungen auf 17 Tafeln. Erganzungsband d
FortÄe »«I dem Gebiete Her Röntgenstrahlen Herauegeben
Prof. Dr. Albers-Schonberg. Verlag. Lukas Orale <x
S ' * *Das Buchb entsprang der von F o r s s e 1 1 empfundenen Not¬
wendigkeit, die anatomischen Beschreibungen des menschlichen
Magens mit Rücksicht auf die am Lebenden erhobenen rontgen-
anatomischen Magenbefunde einer kritischen Neubearbeitung z
un t er wejf engsten Abteilung des Werkes wird die Literatur über die
anatomische Magengestalt besprochen und eine Übersicht der
Forschungsresultate über die Beziehung der Rontgenbilder des
Magens zum anatomischen Magenbau gegeben. n , •
Der zweite Teil des Werkes beschäftigt sich mit der anatomi¬
schen und röntgenologischen Magennomenklatur. Zürn Ausgleich be¬
stehender Gegensätze in der Bezeichnung der verschiedenen Magen¬
teile schlägt der Verfasser neue Bezeichnungen vor.
Der dritte Teil des Buches bringt eigene Untersuchungen des
Verfassers über die anatomische Architektur des menschlichen Mage
und über die Beziehung der anatomischen und röntgenologischen
Magenformen zum Bau der Magenwand. Muskelpraparate von Tier-
und Leichenmägen — schlaffen, künstlich zur Kontraktion gebrachten
und in situ gehärteten — , Röntgenuntersuchungen an 12 magen-
gesunden Perfonen und röntgenkinematographische Arbeiten anderer
ergaben dem Verfasser die tatsächlichen Grundlagen seiner Aus-
f uhr ungen eiche Textfiguren und gute Tafelbilder erläutern das Vor-
SCtraF oTs s e 1 1 s Arbeit ist gründlich; enthält Belehrendes und An¬
regendes in Menge, allerdings auch — wie gute Bücher von Eigenar
meist — zum Widerspruch Reizendes. Von den Reform vor schlagen
Forssells zur Nomenklatur möchte ich als wenig glücklich kriti¬
sieren die Bezeichnung: „Canalis egestorius“ für den pylorusnahen
1 früher Antrum bezeichneten - Magenteil. Das Bild der regio
pvlorica des Magens als „Kanal“ ist ein komponiertes Zustandsbild,
gewonnen aus den rite übereinandergepausten Einzelphasen-
bildern eines Magenkinematogramms. In Wirklichkeit ersehe
dieser Magenteil in keiner Phase seiner Tätigkeit als Kanal, abgesehen
etwa von einem sehr kurzen, an Ringmuskulatur besonders starke*
pvlorusnächsten Anteil. Dieser kleine Magenteil ist aber mit der
Bezeichnung Ausführungskanal von F o r s s e 1 1 nicht gemeint, l
mit dem alten Antrum pylori nicht identisch und kann als solcnes
auch für die alte Nomenklatur nicht gerettet werden.
Funktionell dient die regio pylorica nicht nur der Speisenausiunr.
sondern auch der Speisenmischung.
28. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1691
... n * atsache des Nichtbestehens eines „Sphincter antri“ im
früheren Sinne sind Röntgenphysiologie und Röntgen- und deskriptive
Anatomie einig. E o r s s c 1 1 sieht im Sphinkter also mit Recht nur
eine pyloruswärts ablaufende Ringwelle.
Für jeden Forscher, der sich auf dem Gebiete der Magen-
anotomie und Magenbewegung betätigt, wird der Weg zu weiteren
Fortschritten über F o r s s e 1 1 s Werk führen.
K a e s 1 1 e - München.
Dr. Gunnard Nilson: Sjökrigets Kirurgie — - Die Chirurgie des
Seekrieges. Karlskrona 1913. 45b S. Preis Kr. 7.50. (Schwedisch.)
Die Disziplin der Seekriegschirurgie ist verhältnissmässig jung,
da moderne Panzerflotten nicht früher als im japanisch-chinesischen
Kriege 1894 95 sich mit einander massen. Von diesem Kriege an,
von dem spanisch-amerikanischen und vor allem vom letzten russisch-
japanischen liegen indessen reichliche Erfahrungen, hauptsächlich von
japanischer Seite vor, die mit der navalen Zeitschriftenliteratur und
ähnlichen l nfallverletzungen im Frieden oder im Landkriege zu¬
sammengestellt eine zusammenfassende Arbeit über die Chirurgie des
Seekrieges ermöglichen.
Eine solche liegt in Ni Iso ns obenerwähntem Buche vor,
welches auf Kosten der schwedischen Regierung gedruckt, die vom
Veriasser beim letzten marineärztlichen Fortbildungskursus in Stock¬
holm gehaltenen chirurgischen Vorlesungen enthält. Das Thema ist
in drei Teilen behandelt.
1. Die Verhältnisse an Bord während des Krieges und während
eines Seegefechtes.
2. Die allgemeine Chirurgie des Seekrieges, mit Darstellung des
allgemeinen Charakters der verschiedenen Verwundungen und Ka-
pitein über Erfrieren und Ertrinken, Anwendung des aseptischen Prin-
zipes bei der Wundbehandlung sowie seekriegschirurgische Statistik.
3. Die spezielle Chirurgie des Seekrieges, nach den verschiedenen
Körperregionen wie üblich aufgestellt.
Da die sehr gründliche und wohl geschriebene Arbeit N i 1 s o n s
eine Lücke der bisherigen Literatur ausfüllt, wäre zu wünschen, dass
bald eine deutsche Auflage des Buches veranstaltet würde.
H. C. Jacobaeus.
K i s s k a 1 1 und Hartmann: Praktikum der Bakteriologie und
Protozoologie. Erster Teil, Bakteriologie von K. K i s s k a 1 1, o. ö.
Professor der Hygiene an der Universität Königsberg. 3. Auflage
112 Seiten. G. Fischer, Jena. Geb. 3 M.
Ein Praktikum, das innerhalb kurzer Zeit seine 3. Auflage er¬
fährt, beweist damit am besten, dass es den Bedürfnissen des bak¬
teriologischen Praktikanten entspricht. Der Autor hat daher mit
vollem Recht an der bisherigen Einrichtung des Lehrganges fest¬
gehalten. Die einzelnen Kapitel wurden den Fortschritten der Wissen¬
schaft entsprechend umgearbeitet und zur praktischen Uebung ge¬
eignete Gebiete, besonders aus der Immunitätslehre (z. ß/ Ana¬
phylaxie und Präzipitine) neu aufgenommen. Es muss besonders
hervorgehoben werden, dass es der Verfasser dank seinen Er-
tahrungen auf dem Gebiete des bakteriologisch-serologischen Unter-
richts vorzüglich verstanden hat, nur solche Uebungen aufzunehmen,
die ein Anfänger bei dem nötigen Eifer mit Sicherheit bewältigen
kann und dass das Arbeitspensum auf die einzelnen Tage so verteilt
und so genau vorgeschrieben ist, dass jede abstossende Ueberlastung,
aber auch jeder Mangel an Arbeitsmaterial vermieden wird.
Küster- Lichterfelde.
L. Hermann und O. W e i s s - Königsberg i. Pr.: Jahres¬
bericht über die Fortschritte der animalischen Physiologie. XXI. Band-
Bericht über das Jahr 1912. 263 Seiten. Verlag von F. E n k e, Stutt¬
gart 1913. Preis 13 M.
Wie schon angekündigt, erscheint der Hermann-Weiss sehe
lahresbericht über die Fortschritte der Physiologie mit diesem Bande
verkürzt als Jahresbericht nur über die Fortschritte der animalischen
hysiologie. Alles, was schon in dem „Jahresbericht über die Fort¬
schritte der Tierchemie oder physiologischen und pathologischen
-hemie, begründet von R. M a 1 y, herausgegeben von R. A n -
Ireasch und K. Spiro“ Berücksichtigung findet, wird nicht mehr
eferiert, wodurch Umfang und Preis des Berichtes um die Hälfte
lerabgesetzt werden konnten.
Referenten über einzelne Kapitel sind ausser den Herausgebern
he Herren M. G i 1 d e m e i s t e r - Strassburg i. E„ A. Leonto-
vi tsch- Moskau, E. M a n g o 1 d - Freiburg i. B., A. Sch wart z-
itrassburg i. E. und F. Verzär - Pest.
Der Jahresbericht, der an dieser Stelle schon öfter als Weg-
veiser in die physiologische Literatur warm empfohlen werden
vonnte, tritt mit diesem Bande in sein fünftes Jahrzehnt ein; ein
jeneralregister über die letzten 10 Bände wird in Aussicht gestellt.
K. B ü r k e r - Tübingen.
Gewerbehygienische Uebersicht.
Von Dr. Frz. K o e 1 s c h, Kgl. Landesgewerbearzt in München.
.der umfassendsten sozialhygienischen Erhebungen, die in
stzter Zeit von amtlicher Seite aus in Angriff genommen wurde, ist
ue Untersuchung über die Frauen - und Kinderarbeit in
e,n „.reinigten Staaten von Nordamerika. Die in
‘Ger Hinsicht sehr interessanten Ergebnisse, von denen bisher
| 19 Bande vorliegen, hat W. Abelsdorff im Arch. f. soz. Hyg. 9.
ylf,2.: zusammengefasst. Interessenten seien auf diese Arbeit
nachdrücklich verwiesen, nachdem der umfangreiche Stoff eine Be-
sprechung an dieser Stelle nicht zulässt.
•lin Zbl-J- Qewerbehyg. 5. 1914 veröffentlicht Rambousek
weitere Erfahrungen über Gewerbekrankheiten
1 n lj 0 u m e n- Das Material bezieht sich auf rund 1 Million Kranken¬
kassenmitglieder, von denen im Jahre 1911 53,09 Proz. erkrankt
waren; die Mortalität betrug 0,8 Proz. Ca. 200 Erkrankungen waren
als spezifische Gewerbekrankheiten zu bezeichnen, darunter 109 Blei¬
vergiftungen, 21 Vergiftungen durch Kohlenoxyd, 17 durch Schwefel-
t 2 durch Schwefelwasserstoff. Phosphornekrose kam in
4 Fallen vor. Sonstige Vergiftungen waren auf nitrose Gase, Am¬
moniak, Fluorwasserstoff, Anilin, Benzin zurückzuführen. Von Milz¬
brandinfektionen kamen 3 zur Kenntnis in der Bürstenindustrie, von
Gsteomyelitis der Perlmutterdrechsler 2 Fälle. — Verf. bespricht so¬
dann kurz einige interessante Fabrikationsmethoden, so die Her¬
stellung von Zyanalkalien, das Imprägnieren von Holz mit Sublimat,
das Beizen von Möbeln mit Quecksilberbijodat.
Der § 547 RVO., welcher die Möglichkeit gibt, bestimmte Be-
i utskrankheiten den Unfällen gleichzustellen, hat eine ziemlich aus¬
gedehnte Diskussion ausgelöst. Vgl. hiezu F. Curschmann:
Aerzt liehe Unterscheidungsmerkmale zwischen
Unfall und Berufskrankheit in der Vrtljschr. f. gerichtl. M
a. Folge, 47. Suppl. (ref. in Nr. 18 S. 1007 d. Wschr.). — E. Frank-
Die Einbeziehung bestimmter gewerblicher Be¬
rufskrankheiten in die staatliche Unfallversiche-
intü xr S «i11 ä s ® § 547 RVO. in der Aerztl. Sachverständigenztg.
1914 Nr. 27. — Dr. jur. Osten: Die geplante Ausdehnung
der Unfallversicherung auf gewerbliche Berufs¬
krankheiten. Hannover 1914. Im Wesentlichen kommen alle
drei genannten Autoren zu dem Schlüsse, dass eine Anerkennung be¬
stimmter Berufskrankheiten als Unfall zunächst sehr grosse dia¬
gnostische Schwierigkeiten bietet, welche in Hinblick auf die im Aus-
and nach dieser Richtung gemachten Erfahrungen eher zur Ab¬
lehnung des § 547 drängen, jedenfalls aber ein sehr langsames Vor¬
gehen erfordern. Eine strikte Ablehnung fordert Osten unter dem
Gesichtspunkte des Arbeitgebers aus finanziellen, sozialethischen und
politischen Motiven. Demgegenüber bemerkt Frank nach Erörte-
rung der einschlägigen Auslandsgesetzgebung, dass für Deutschland
vorläufig zwar eine Dringlichkeit nicht vorliegt, dass es vielmehr
hauptsächlich medizinische Schwierigkeiten sind, die augenblicklich
noch der erfolgreichen Durchführung des § 547 im Wege stehen;
diese Schwierigkeiten sind zunächst in der mangelhaften gewerbe¬
hygienischen Schulung begründet; weiterhin ist erforderlich die ver¬
mehrte Einstellung hauptamtlicher Gewerbeärzte, die Durchführung
der Anzeigepflicht für bestimmte Gewerbekrankheiten, schliesslich die
Vertiefung der gewerbehygienischen Forschung.
Zum Kapitel Luftdruckschädigung liegen 2 Veröffent¬
lichungen vor; zunächst sei auf den sehr instruktiven Aufsatz von
A. Bornstein verwiesen: Physiologie und Pathologie
des Lebens in verdichteter Luft, B.kl.W. 1914, ref. in
Nr. 22 S. 1241 dieser Wschr. — Die Einflüsse der verdünnten Luft
erörtern A. I.oewy und J. Placzek in der B.kl.W. Nr. 22: Die
Wirkung der Höhe auf das Seelenleben des Luft¬
fahrers, ref. in Nr. 23 S. 1299 dieser Wschr.
Das Kapitel Lichtkrankheiten und Lichtschutz der
Augen wird von Gross in der D. militärärztl. Zschr. 1914 H. 4
erörtert. Neben den bekannten BlendungserscheinungeH durch die
natürlichen Lichtquellen finden wir besonders bei den modernen
künstlichen Beleuchtungsarten akute und chronische Augen¬
reizungen. Die ersteren Formen treten hauptsächlich bei den Ar-
heitern der Elektrizitätsbranche auf und sind vorzugsweise im vor-
deren Augenabschnitt lokalisiert; ihre Prognose ist günstig. Bedenk¬
licher sind die chronischen Formen, die sowohl durch leuchtende als
besonders durch nichtleuchtende (ultraviolette) Strahlen hervor¬
gerufen werden; letztere erzeugen Entzündungen des äusseren Auges,
Farbensinnstörungen, Verminderung der Dunkeladaption, die leuchten¬
den Strahlen vermögen u. U. schwere Symptome (Sehnervenentzün¬
dung, Chorioretinitis u. a.) zu veranlassen. Den besten Schutz ge¬
währen solche Schutzgläser, welche die schädlichen Strahlen mög¬
lichst absorbieren; als sehr wirksam hat sich das Euphosglas
bewährt.
Zur Frage der beruflichen Gehörschädigungen liegen drei neuere
Arbeiten vor: F. Rohrer: Ueber professionelle Schwer¬
hörigkeit der Eisenbahner, Mschr. f. Ohrhlk. 1913 S. 1075.
E. Müller: Ueber Schwerhörigkeit beim Bahn-
p e rso n a I, Wiirtt. Med. Korr.Bl. 84. S. 1—4. — O. Mauthner:
Gehörorgan und Beruf. Würzburger Abhandlungen 14. 8. 1914.
Von den infektiösen Gerwerbekrankheiten wäre zunächst
wiederum des Milzbrands zu gedenken. Nach den amtlichen Mel-
düngen wurden im Jahre 1913 in England 70 Fälle (mit 7 Todes¬
fällen) beobachtet, die höchste Zahl seit einer längeren Reihe von
Jahren. Sie verteilten sich auf Bearbeitung von Wolle mit 43, von
Rosshaaren mit 5, Fellen, Häuten und Pelzen mit 19, verschiedene
andere Beschäftigungen mit 3 Fällen. Die relativ hohe Erkrankungs¬
ziffer erklärt sich daraus, dass vorwiegend ausländisches Material
verarbeitet wird. — Vgl. hiezu die in der letzten Uebersicht (Nr. 20)
gegebene Deutsche Milzbrandstatistik! — Die Uebertragung kann
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
gegebenenfalls auch durch Fliegen und Stechmücken erfolgen: vgl.
hiezu die Arbeiten von Heyn in der Zsch. f. Medizinalbeamte 1914
Nr. 11: Fliegen als Krankheitsüberträger — und von
A. Sch u borg und W. Böing in den Arb. Kais. Ges.A. 47. 1914.
ref. in Nr. 25 S. 1412 dieser Wschr.: Ueber die U eher t Ta¬
gung von Krankheiten durch einheimische ste¬
chende Insekten. — Bezüglich der Pathologie des inne¬
ren Milzbrands vgl. das Ref. in Nr. 15 S. 844 dieser Wschr.
betr. Demonstration von E. R eye -Hamburg — bezügl. der Thera¬
pie den Aufsatz von L. Buberl: Zur Salvarsanbehand-
lung des Milzbrandkarbunkels in Nr. 24 S. 1340 dieser
Wschr.
Neue Arbeiten liegen wiederum zur Frage der Milzbrand -
Prophylaxe in der Gerberei vor. G. A b t veröffentlicht in den
Annales de l’Institut Pasteur 28. 1914 S. 149 seine Untersuch¬
ungen über die Sterilisation von Milzbrandsporen.
Er überprüfte zunächst die verschiedenen Methoden der Häute- und
Felldesinfektion. Die Schattenfroh-Gegenbauer-Rei-
c hei sehe Methode erwies sich besonders günstig bei Verwendung
einer 2 proz. Salzsäure bei 15—20° C innerhalb 48 Stunden oder einer
1 proz. Salzsäure bei 40° C für 6 Stunden, je mit 10 Proz. Kochsalz¬
zusatz. Jedoch stellt Verf. die Brauchbarkeit der so behandelten
Felle in Frage. Mittels Chlor lassen sich Meerschweinchenhäute
wohl sterilisieren, fraglich bleibt diese Methode jedoch für derbere
Häute. Das Verfahren nach Seymour- Jones ist mit Verwen¬
dung von Ameisensäure 2/1000 und Sublimat nicht über 1: 5000 be¬
friedigend; allerdings muss man sich hierbei damit begnügen, die
Sporen nicht abzutöten, sondern nur abzuschwächen. Voraussetzung
ist hierbei ferner, dass durch Behandlung der Häute mit Schwefel¬
präparaten keine Neutralisation des Sublimats herbeigeführt wird. - —
Vgl. hiezu die umfassenden Untersuchungen von E. Hailer: Die
Abtötung von Milzbrandsooren an Häuten und
Fellen durch Salzsäure-Kochsalzlösungen. Arb.
Kais. Ges.A. 47. 1914. S. 69. Ref. in Nr. 22 S. 1239 der M.m.W. -
sowie die Versuche von L. Lange über die Wirkung einer
lproz. Cyllinlösung auf die Milzbrandsporen in den
Arb. Kais. Ges.A. 45. 1913. H. 1. Letzterer Autor stellte fest, dass
das in England von den Behörden zugelassene 1 proz. Cyllin (r= Hoch¬
ofenteerprodukt) keine Abtötung, sondern lediglich eine Entwicklungs¬
hemmung der Milzbrandsooren bedingt, daher nicht als Ersatz der
Dampfdesinfektion gelten kann.
Auch von S e v c i k wurden die verschiedenen Desinfektions¬
methoden nachgeprüft : Experimentelle Beiträge zur
Frage der Desinfektion m i 1 z b r a n d s p o r e n h a 1 1 i g e r
Häute und Felle. Zschr. f. Infekt.Krkh. d. Haustiere 13. S. 322
u. 439. Verf. gelangt zu nachstehenden Schlussfolgerungen: 1. Das
Seymour-Jones sehe Sterilisierungsverfahren (0,02 proz. Subli¬
mat mit 1 Proz. einer 90 proz. Ameisensäurelösung) ist in der emp¬
fohlenen Konzentration von 0,02 Proz. Sublimat keine verlässliche
Methode zur Desinfektion von getrockneten, milzbrandsnorenhaltigen
Schaffellen und Grosstierhäuten: jedoch vermag sie bei lOfacher
Konzentrationserhöhung des Sublimats und 48 stündiger Einwirkung
die meisten Häute und Felle zu desinfizieren: allerdings ist sie bei be¬
sonders dicken Rindshäuten selbst in dieser Konzentration noch nicht
absolut sicher. 2. Das S c h a 1 1 e n f r o h sehe Verfahren (2 Proz
HCl und 10 Proz. NaCl) vermag wohl dünne Felle (Kaninchen etc)
zu sterilisieren, ist jedoch nicht imstande, Rinderhäute und nicht ent¬
fettete Schaffelle verlässlich zu desinfizieren. Im allgemeinen würde
die letztere Methode wegen ihrer Billigkeit und Ungefährlichkeit
wohl den Vorzug verdienen.
Holtzmann: Bleichung und Desinfektion v o n
Haaren und Borsten. Zbl. f. Gew.Hyg. 1914 H. 7. machte die
Beobachtung, dass die durch die deutschen Schutzverordnungen vor¬
geschriebenen Desinfektionsmethoden (% ständiges Kochen mit 2 nroz.
Kaliumpermanganat und folgendes Bleichen mit 3 — 4 proz. schwefliger
Säure) in der Praxis fast nie streng durchgeführt werden, dass viel¬
mehr weit schwächere Lösungen, niedrigere Temperaturen, dagegen
längeres Verweilen in den Lösungen üblich ist. Seine Nachunter¬
suchungen ergaben, dass die Methoden der Praxis tatsächlich die
Milzbrandsporen abtöten, dass daher die Aufsichtsorgane vom Stand¬
punkte des Arbeiterschutzes aus gegen die in der Praxis üblichen,
allerdings den Vorschriften nicht wörtlich entsprechenden Desinfek¬
tionsmethoden nicht einzuschreiten brauchen.
Ueber die Häufigkeit der wichtigeren gewerblichen Ver¬
giftungen liegen neuere Zahlen (für 1913) aus England vor. Dort
kamen auf Grund der bestehenden ärztlichen Anzeigepflicht zur amt¬
lichen Kenntnis: Bleivergiftungen in Fabriken etc. 535, im Hand¬
werk 291 mit insges. 27 Todesfällen; Vergiftungen durch Queck¬
silber 14, durch Arsen 6, durch Phosphor 0. Die Gesamt¬
zahl dieser Vergiftungen betrug demnach 846 Fälle gegen 864 im
Vorjahre. — Vgl. hiezu die deutschen Zahlen in der letzten Ueber-
sicht (in Nr. 20 dieser Wschr.).
Zur Frage der gewerblichen Bleivergiftung liegt eine neue Arbeit
aus dem K. k. arbeitsstatistischen Amt des Oesterreichischen Arbeits¬
ministeriums vor, welche die Erhebungen in der kera¬
mischen Glas- und Emailindustrie umfasst. Wien, Alfr.
Holder, 1913. Die Untersuchungen erstreckten sich auf insgesamt
143 Betriebe mit ca. 18 500 Arbeitern. In der keramischen
Industrie werden bekanntlich den Glasuren Bleiglätte, Mennige
oder Bleiweiss als Flussmittel zugegeben (bis zu 70 Proz.);
wirklich bleifreie Glasuren sind äusserst selten. Für die Ver-
giftungsgefahr ist es wichtig, ob das Blei nur einfach beige¬
mengt (ungefrittet) oder ob es vor der Verwendung mit den übri¬
gen Glasurbestandteilen, d. i. Silikaten, zusammengeschmolzen, „ge-
f rittet“, ist: im letzteren Falle löst es sich im Magensafte viel schwerer
und kann als relativ ungefährlicher gelten. Gefährdet sind hiebei
die mit Herstellung und Verwendung der Glasur und Einträgen der
rohglasierten Waren beschäftigten Arbeiter. In der Glasindustrie
werden Bleiverbindungen, meist Minium, ebenfalls als Flussmittel,
dann zur Erhöhung des Glanzes, der Weichheit und Schleifbarkeit
dem Glasversatz beigemengt. Hiebei sind besonders die sogen.
Schmelzer, welche die Rohmaterialien zusammenmischen, gefährdet.
Natürlich sind bei der Veredelung von Kcramprodukten auch die
Maler infolge Verwendung bleihaltiger Farben gefährdet. hn
1. Abschnitte der vorliegenden Erhebungen finden wir die blei¬
gefährlichen Arbeitsverrichtungen in den einzelnen Industrie¬
gruppen, die hygienischen Massnahmen im allgemeinen so¬
wie die Ergebnisse der ärztlichen Untersuchung. Hierbei
fanden sich in den sogen. Kerambetrieben bei 30—50 Proz. der ge¬
fährdeten Arbeiter Bleisymptome vor, in den Glasurfabriken
70,5 Proz., in den Porzellanmalereien 2,8 Proz. In Glashütten wurden
bei Glasmachern 43,8 Proz., bei Glasmalern 53.8 Proz. Bleisymptome
festgestellt: die Emailindustrie verwandte fast nur bleifreie Emaile.
Die Ergebnisse der Lokalerhebungen, die im 2. Abschnitte wieder¬
gegeben werden, zeigen besonders bei den Klein- und Mittelbetrieben
noch ausserordentlich primitive Arbeitsräume und Betriebseinrich¬
tungen, mangelhafte Waschgelegenheit (etwa bei der Hälfte gar
keine): die Grossbetriebe sind wohl etwas besser eingerichtet, ent¬
sprechen aber auch nicht in jeder Beziehung. Aerztliche Unter¬
suchungen sind nur in ganz vereinzelten Betrieben eingeführt: häufi¬
ger findet ein Arbeitswechsel statt, indem periodisch die gefährdeten
Arbeiter mit bleifreien Arbeiten beschäftigt werden. Zahlreiche Ab¬
bildungen zeigen die Vorgefundenen Verhältnisse. Der 3. Teil ent¬
hält die bisher zur Bekämpfung der Bleigefahr im Auslande erlassenen
Verordnungen sowie die internationalen Bestrebungen auf diesem
Gebiete. — Vgl. hiezu auch die Leitsätze zur Verhütung
der Bleivergiftung in der keramischen Industrie
von K. H a u c k, Zschr. f. Gew.Hyg. 1914 H. 3 u. 4 S. 31.
Bekanntlich bildet neben dem Bleiweiss auch die Blei¬
mennige eine häufige Vergiftungsgelegenheit, meist bei Verwen¬
dung als Rostschutzanstrich bei Eisenkonstruktionen aller Art,
Brücken, Waggons, Lokomotiven, Schiffen u. dgl. Das Blei hat eben
die Eigenschaft, mehr als andere Substanzen, wie Zinkweiss, Eisen¬
mennige etc., mit dem Leinöl zu verseifen und einen gegen Witte¬
rungseinflüsse sehr widerstandsfähigen Schutz zu bilden. Wie Hans
T a u s s in einem Aufsatz des Zbl. f. Gew.Hyg. 1914 H. 3: Die Ver¬
wendung von bleifreien Rostschutzmitteln in
Oesterreich mitteilt, beträgt der österreichische Konsum an Men¬
nige jährlich etwa 3 500 000 kg, wovon die Hälfte auf die Glashütten,
etwa 800 000 auf Anstrich entfallen dürfte. Meist erhalten die Eisen¬
konstruktionen bis zu 4 Anstriche, davon 2 sicher mit Mennige. Als
Ersatzmittel kommen Eisenoxvd, dann Zink-. Manganoxyde u. dgl.
in Betracht. Neuerdings haben sich diese Ersatzfarben in Oester¬
reich ziemlich gut eingebürgert, nur für den Grundanstrich von Eisen¬
konstruktionen im Freien wird noch regelmässige Mennige verwendet,
da die Ersatzmittel im allgemeinen bzgl. Deckkraft und Haltbarkeit
zurückstehen. — Eine eigenartige Quelle der gewerblichen Bleiintoxi¬
kation schildern Holtzmann und E. v. Skramlik aus der
Pforzheimer Bijouterieindustrie: Tul aarbeit und Bileiver-
giftung. Vgl. das Ref. in Nr. 22 (S. 1242) d. Wschr. — Eine
weitere einschlägige Studie veröffentlicht S c h u 1 t z e in der D.
Vrtlischr. f. Gsdhtspfl. 46. J. 1914 H. 2: Zur Kenntnis und Sta¬
tistik der Erkrankungen in den Bleihütten in den
letzten 10 Jahren.
Zur Frage der ärztlichen Ueberwachung und Be¬
gutachtung der Arbeiter in Bleibetrieben veröffent¬
licht Rambo u sek im Zbl. f. Gew.Hyg. 1914 H. 3 eine Abhandlung,
die sich vorwiegend auf die Bleiweiss- und Bleifarbenfabriken er¬
strecken soll. Eine Frühdiagnose kann bei der Bleivergiftung
nur auf Grund von Erfahrung und zusammenfassender Betrachtung
eines Symptomenkomplexes erfolgen zumal eindeutige spe¬
zifische Symptome nicht vorhanden sind. Die ärztliche Ueberwachung
hat sich auf nachstehende Punkte zu erstrecken: 1. Fernhaltung von
Untauglichen, für die Vergiftung Disponierten, insbesondere auch der
weiblichen und jugendlichen Arbeiter; 2. regelmässige ärztliche Unter¬
suchungen; 3. einem völligen Arbeitsausschluss der sog. Bleiträger,
d. h. derjenigen Arbeiter, bei denen der Ausbruch von Krankheits¬
erscheinungen in Kürze zu erwarten steht, kann Verf. aus rechtlichen
und wirtschaftlichen Bedenken nicht zustimmen. Hingegen fordert
Verf. die sofortige Krankmeldung auch nur leicht erkrankter Arbeiter
durch den Ueberwachungsarzt. Ev. soll ein Bleiträger innerhalb des
Betriebes mit bleifreien Arbeiten bei vollem Lohn bis zum Ablauf uer
Gefahr weiterbeschäftigt werden. Mit der ärztlichen Ueberwachung
sollen am zweckmässigsten solche Aerzte betraut werden, welche die
Arbeitsbedingungen und die Arbeiter selbst genau kennen, also für
grössere Betriebe sog. Fabrikärzte, da fernstehende Aerzte und Amts¬
ärzte die einzelnen lokalen und technischen Verhältnisse zu wenig
kennen bzw. mit anderen Arbieten zu sehr belastet sind. — Vcrgl.
hiezu die Entgegnung in Nr. 6 genannter Zschr. von Teleky,
28. Juli 19M.
MüF-NCHFNFR MEDIZINISCHE WOCH ENSCHR1FT
welcher gegen wesentliche Funkte der R a in b o u s e k sehen Publi¬
kation energisch und mit Recht Stellung nimmt.
Die Symptomatologie bzw. vielfach schwierige Diagnostik des
chronischen Saturnismus behandelt weiterhin 0. Nägel P Be -
trage zur Kenntnis der Bleivergiftung mit beson-
d L ce.r B e r u c k s 1 c h 1 1 g u n g d e S W e r t e s d e r S y m p t o m e“
im Schweiz. Korr Bl. 43. 1913. Nr. 46. Oft genügt bei disponierten
I ci soiien eine unglaublich geringe Menge und eine äusserst kurze Zeit,
um eine Intoxikation zu erzeugen, während bei anderen jahrelange inten-
sive Berührung keine Vergiftung erzeugt. Es kann jedoch dadurch zu
einer Aufspeicherung des Bleis kommen, so dass geringfügige Schä¬
digungen die Vergiftungserscheinungen auslösen, selbst dann, wenn
sicher jede Berührung mit Blei längere Zeit ausgeschlossen war
Auf Grund von 200 beobachteten Fällen kommt Vcrf. zur nachstehen-
den urdigung der Einzelsymptome: Verstopfung ist am häufigsten
vorhanden (90 Proz.) sie fehlt nur bei den Spätformen (metasatmnine
Intoxikationen, wie chronische Nephritis, Arteriosklerose etc.); ebenso
häutig sind Ko iken. Zu den wichtigsten Befunden gehört der Blei-
'St auch deur, feinschlägige Fingertremor, während
Blutdrucksteigerung und Blei im Urin inkonstant sind. Der Blut¬
befund — basophile Granula — fehlt gelegentlich, hat aber u. U als
einziges objektives Symptom grosse Bedeutung. Sehr häufig ist näm¬
lich nicht die bekannte Trias Saum, Tremor, Blutbefund vorhanden
dief r Symptome; von 140 leichteren Fällen zeigten
schweren nur X y!nP 9mhi gIeiphzeitig’ von 36 schweren und mittel-
rgsss^Ä wen,ger als 50 'eich,eren Fäiim war
Das gleiche Thema erörtert auch J. S c h ö n f e I d in der Zschr
angw. Chern. Jahrg. 27 Nr. 24: W e r t u n d Bedeutung der
u" ersuchung b ei Bl ei v e r gi f t u n g für die deut-
sche Bleiindustrie. An Hand von ungefähr 1000 Unter¬
suchungenkommt Verf zu dem Schlüsse, dass die Blutuntersuchung
auf basophile (iranula die Diagnose „Bleivergiftung“ mit einer an
Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ermöglicht, während die
anderen Symptome, das Bleikolorit und die Hämatoporphyrinurie hie-
moht genügen. Besonderes Augenmerk schenkt Verf. den sog. ge-
sunden Bleitragern, bei denen ausser Granulationen und Herab-
setzung des Hamoglobingehaltes andere Beschwerden nicht bestehen
Jedenfalls sind periodische ärztliche Untersuchungen durch einen un-
hip-LanKI<geJ!i Arzi erforderlich; letzterem muss es überlassen
bleiben, gutachtlich ev. den Arbeitsausschluss eines Bleiarbeiters zu
beantragen Tatsächlich Bleikranke mit komplizierenden Erkran-
fwhnRfp°- Cn -ten Beruf .wechseln, ev. mit staatlicher Subvention.
‘fn ua-,ld Gewordene sollen als Unfallkranke ent-
whadigt werden Verf. halt schliesslich die Blutuntersuchung für sehr
zum Entlarven der Bleisimulanten und Bleineurastheniker,
Jie erfahrungsgemass die Krankenkassen nicht selten belasten
Zur Frage der Chromatschädigungen vgl. die Arbeit' von
i W^ser im Arch. f. Hyg. 82. 1914. H. 3 u. 4: Experimen-
eile u n d kritische Untersuchungen über die chro-
w 3 i3 , ni'5 KTn D ä,m pfe der Chromatfabriken. Ref. in
VI mW. 1914 Nr. 25 S. 1411. U e b e r Vergiftung durch s a 1 -
V/-1 h« aM Sa- oe berichtet E. Harnack in der V.Schr
914 Nr 22 S 1240 °' 19H H' 2; VgL d3S kurze Ref’ in ^
Die Frage einer Spät - und Nachwirkung nach einer
om 1 1 n v e r gif ‘ u ji g wurde von Flor et im Zbl. f. Gew.Hyg
91,4’ • 5a f UMCht ICh uerörtert Ein Arbeiter erkrankte plötzlich an
nd Rpnn ’ Magentschmerzen und Erbrechen, Zyanose, Herzschwäche
. d wohl mfolge Einatmung von Anilindämpfen. Pat.
\ 3/ i u b 14 ,rag(:n anscheinend wieder völlig hergestellt. Nach
chwtbi h£nnerkrankute. derseIbe mit Magendarmstörungen, Herz-
nSdph fKollapserscheinungen). Es handelte sich nun, zu ent-
atini in 7,« dlCSe ZnWeite ,?rbranl5™g mit der früheren Anilinintoxi-
ation in Zusammenhang stunde. Nach Ansicht des Verfassers ist ein
unactlger- ursaohbcher Zusammenhang nicht anzunehmen. Erfah-
ungsgemass erfolgt die Heilung einer akuten Anilinvergiftung stets
ach wenigen Stunden oder Tagen, längstens nach 2—3 Wochen
r/r d'I !/ kR n S a" S‘nd bisher n°ch nie beobachtet
orden. Besonders im vorliegenden Falle war eine solche nicht
nzuerkennen, da die Vergiftung leicht war und Pat. sich fast X Jahre1
- abgesehen von 2 kleinen Unpässlichkeiten — völlig wohl fühlte
eh°rndanrfS Ah arbeit.sfähiS war. Die zweite Erkrankung dürfte viel¬
ehr auf Altersabnutzung (50 Jahre alt), Arteriosklerose, Alkoholis-
Sehen abgewteen. R dem"ach mit seinen R™te"a"-
Neuartige Vergiftungen wurden in der Flugzeug-
d u s tr le beobächtet infolge Verwendung eines tetrachlor-
,hLn"aP' lge»? „LMCkes zum Imprägnieren von Flugzeugtrag-
19u‘ sEmeJ. M,tteilung von Jungfer im Zbl. f. Gew.Hyg.
. , ; • --- 1S1 zu entnehmen, dass von den damit beschäftigten
Arbeitern 4 erkrankten, 1 starb. Die Erkrankungen begannen mit
mherZ’ Appetitlosigkeit, Magenbeschwerden, Gelbsucht. Die
S ei;Kab ei"en Gehalt von 60 Proz. Tetrachloräthan.
•rwPdnH^td, sphweren Gase abgesaugt und nur luftige Arbeitsräume
Trnfmio * wurden, auch der Zusatz von Tetrachloräthan auf 40 Proz.
ipHPr !i WU*rdeü er^ankLten weiterhin noch 10 Arbeiter, von denen
, . iner s arb- Als charakteristischer Befund ergab sich leichte
?e,und Druckempfindlichkeit der Leber und der Milz,
matogener Ikterus, verminderter Hämoglobingehalt (70). Daraufhin
_ _ _ 1693
GewerhS,fS{!)Vendung deraurtiger Imprägnierungsmittel seitens der
Gtvv erbeaufsichtsorganc verboten werden, zumal in anderen Be¬
trieben weniger giftige Lacke mit Erfolg verwendet werden. — Ueber
A A e , t m i? er ^ ,a r k 0 s f.z u ,s t ä n d e nach gewerblicher
1914b Nr 1? s ^79 1 0 r m e t h y 1 berichtet H. ü e r b i s in M.m.W.
c„.t Pnige ,leu.ere Arbeiten betreffen wiederum die Phytonoseir so
Med ^i^^ ?!e Veröffentlichungen von L. Rost in’der
re W VpnH' 3-5: Ueb er Er krankungen durch haut-
vi'pcc« 9 I ^nz e n und die Entgegnung darauf von F. Kann-
g 1 e s s e r m der Oesterr. Aerzte-Ztg. 1914 Nr. 5. UeberPhyto-
iiosen, ferner auf die Arbeit von Rost: Zur Kenntnis der
lautreizenden Wirkung der Becherprimel (Primula
1914C°Nr.'C2a2 S.“ U39. ^ ^ ^ 47‘ ls ü/m m W
1 p k V 7Shi d®r G e W e r b 1 i c h e n Ar g y r i e wurde von L. T e -
Ieky im Zbl. f Gew.Hyg. 1914 Nr. 4 behandelt. Die Ursache
ÄrasSbeF fn'A" von salpetersaurem oder von rnefaU
samt 1 S „ 1 t l . 'b ,,"“r (jegend sollen gegenwärlig Inge-
samt noch ca. 10 Arbeiter mit gewerblicher totaler Silberimpräg-
nierung leben, von denen Verfasser selbst 5 beobachtete Dort im
schäftig‘trSe tlhWa f°° Arbeiter in der Glasperlindustrie ’ be-
® ' Silberperlen werden durch Einsaugen einer 1 proz
eefäht wTrH°MnH’ 3US dvi durC1h Mnchzuckerzusatz das Silber aus¬
gefallt wird, in die sog. Klautsche, d. h. Stäbe von noch aneinander
hangenden Perlen, hergeslellt. Dieses EinsLgen wurde frXr bei
anchen Perlarten auch jetzt noch, mit dem Munde vorgenommen
veSluckt wir'd Sf u1nve,rmeidlich, dass gelegentlich Silberlösung
verschluckt wird, die Folge hievon ist die mehr oder minder intensive
Graufarbung des ganzen Körpers, besonders der oberen Körperhälfte
wahrend unterhalb des Nabels nur mehr eine minimale Verfärbung
sichtbär ist. Bei Kälte und Aerger wird das Kolorit dunkler bei ev
findennkUFüreidieeÄhIi'a VÖlUg normales Allgemeinbe¬
finden. Für die Ablagerung des Silbers in der Haut ist die Licht-
wnkung von Bedeutung; für die starke Verfärbung der Mundschleim¬
haut durfte auch die direkte Imbibition anzusprechen sein. Die Gin¬
giva zeigt hiebei keinen charakteristischen Saum. — Eine Art von
lokaler gewerblicher Argyrie beobachtete Verf. ausse-dem bei Ar
bei er„ emes Qo'd- und Silberscheideanstalt,- dort “efgten einige Ar-'
h!! rS Äe, °rad Veua[bllng der Augenbindehaut infolge Einlagerung-
bzw. Imbibition durch feinste Höllensteinstaubteilchen. — Vgl. hiezu
auch den Aufsatz desselben Autors über einen Fall von hoch-
N^Js's ei773SeWerbliCher Argyriie in der W.kl.W. 1913
Ur sachen der Hauterkrankungen im
J,“, d F üaC k 7 6 u C l sprechen sich Z e 1 1 n e r, H e i n r i c h und
Wolf in der Zschr. f. Hyg. 75. S. 69 aus wie folgt: Als Ursache
wurde das Ausspulen der Formen ermittelt, wozu Terpentin und
dessen Ersatzmittel, Benzin, Laugen, Petroleum, Kienöl u a ver-
Wardun; °ie hieduph erzeugten Hauterkrankungen an den
Händen und Unterarmen stellen sich als Rötung und Schwellung der
Haut mit Blasenbildung, Abschilferungen, Rissen u. dgl. dar Nach
den Versuchen der Verf. dürfte das Paraffinöl das beste Waschmittel
sein, ihm reihen sich Petroleum und Terpentinöl an; vor der Ver¬
wendung von Benzin und Kienöl ist zu warnen. Laugen sollen nur
sowe.t verwendet werden, als sie zur Reinigung der Formen wirk¬
lich unentbehrlich sind.
Ueber dif Krankheiten der Petroleumarbeiter ver¬
breitet sich W. Hanauer in der Zschr. f. Versichergsm. 1914 H. 4.
!p verschiedenen Destillationsprodukte des Rohöls durch Behandlung
Sauren oder. Laugen, Waschen und Entwässern, ev. wiederholte
Destillätion gereinigt Bei diesen Vorrichtungen können Schädigungen
durch giftige Gase, Verätzungen u. dgl. erfolgen. Die flüchtigen Kohlen¬
wasserstoffe erzeugen eingeatmet einen rauschähnlichen Zustand: die
Arbeiter schreien, taumeln und verfallen in einen tiefen Schlaf ohne
Erinnerung an das Vorhergegangene. In schweren Fällen tritt Be¬
wusstlosigkeit mit Blaufärbung des Gesichtes, Pupillenverengerung,
stär rem Blick ein. Pneumonien sind als Nachkrankheiten nicht selten.
Die hochsiedenden Oele rufen Hautentzündung hervor, besonders
Kpc n-f*BÜSOndAeru s^er werden die mit den Petroleumrückständen
beschäftigten Arbeiter befallen. Die Petroleumtanks dürfen keines¬
wegs eher bestiegen werden, als bis sie durch Einleiten von Press¬
luft, Dampf bzw. Sauerstoff vollständig durchlüftet sind. Besondere
Beachtung verdient die persönliche Reinlichkeit. Die Behandlung mit
Sauren und Laugen darf nur in abgedichteten Gefässen erfolgen In
Deutschland scheinen die Gesundheitsverhältnisse der Petroleum¬
arbeiter relat*v günstig zu sein; nach (früheren) amtlichen Erhebungen
waren von 1380 Arbeitern nur 9 an Vergiftung, 34 an Akne erkrankt
Neuerdings wurden auch krebsartige Geschwülste bei den Raffinierern
beobachtet, die an den verschiedensten Körperstellen lokalisiert sind,
me beginnen mit einer kleinen warzigen Wucherung, die später in der
Mitte eine harte hornige Erhebung von etwa Stecknadelkopfgrösse
7prgfl,i|indAf1CThr allmahhch verbreitert. Meist folgt bald geschwüriger
Zerfall. Als Ursache werden sowohl mechanische und thermische als
auch insbesondere chemische Reize durch die scharfen, mit Säuren
und Laugen vermischten Rückstände angesprochen. Die Verhütung
besteht in peinlichster Reinlichkeit.
pcc ^chliesslich sei auch an dieser Stelle auf die äusserst inter-
essanten Ausführungen von A. Dworetzky in Nr. 23 S. 1306 dieser
Wschr. . Rätselhafte Massenvergiftungen in russi-
1694
MUENÜHENER MEDIZINISCHE WOÜHENSCHRlf 1.
Nr. 30.
srhen Fabriken, verwiesen, welche einen Einblick in die Ar¬
beiterpsyche gewähren und zur Wertung ähnlicher, auch bei unseren
deutschen AHteitern gelegentlich auftretender Massensuggestionen
wertvolle Fingerzeige geben.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 115. Bd., H. 3 u. 4.
H Herrn ei: Beobachtungen über vasokonstringierende und
dilatierende Substanzen. (Versuche an isolierten Organen.) (Aus der
med Poliklinik in Freiburg i. Br.) (Mit 12 Kurven und 1 Figur.)
Hirundinblut, das schon mehrfach ein Gefässsystem passierte,
wirkt bei Durchblutung einer ruhenden Extremität vasodilatierend,
frisches Hirundinblut vasokonstringierend. Am *chll|e "^*5
Herzen beobachtet man ein entgegengesetztes Verhalten. Es lasst
sich zeigen, dass dieses differente Verhalten weder mit dem Adre-
nalin noch mit dem Sauerstoffgehalt des Blutes in Zusammenhang
steht. Der isolierte tätige Herzmuskel bildet wahrscheinlich Sub¬
stanzen die den Gefässtonus der Kranzarterien steigern und die
Herztätigkeit schädigen. Zufuhr frischen Blutes wirkt vasodilatierend.
P. v. Monakow: Beitrag zur Kenntnis der Nephropathien.
II Teil 7 Fälle mit Kochsalzretention (Hypochlorurische Nephro¬
pathien). "(Aus der II. med. Klinik zu München.)
In 9 Fällen, die ein mehr oder weniger starkes Oedem zeigten,
fand sich eine schlechte NaCl-Ausscheidung und eine gute N-Elimi-
nation. Auf NaCl-Zulage nahm die Unnmenge erheblich ab, das
Körpergewicht stieg an und der Eiweissgehalt des Urins nahm zu,
ein Zeichen, dass eben NaCl zurückgehalten wurde, und dass dei
Körper zur Erhaltung der Isotonie auch Wasser zuruckhalt. Die
Oedembildung ist jedoch nicht ausschliesslich Folge der NaCl-
Retention, sondern es ist hier auch eine Mitwirkung extrarenaler
Faktoren im Spiele, eine Störung peripherer Gefässe, wenigstens bei
schweren, sichtbaren Oedemen. Fehlt eine periphere Gefassstorung,
so tritt an die Stelle der interzellulären NaU-Retention eine intra¬
zelluläre Retention, die Oedeme können schwinden, trotzdem bleibt
das retinierte NaCl im Körper. ,
Die Ausscheidung von Jod oder Milchzucker war in den ein¬
zelnen Fällen gestört, doch in bezug auf die Dauer sehr verschieden,
ebenso reagierten die einzelnen Fälle auf Theocin sehr verschieden,
ohne dass hiefür ein Grund angegeben werden kann. In manchen
Fällen von hydropathäscher Nephropathie, wenn alle Diuretika ver¬
sagen, ist ein Versuch mit innerlicher Darreichung von Harnstoff
empfehlenswert. .
K Hävers: Experimentelle Untersuchungen über die Ihysio-
logie und Pathologie des Cholesterinstoffwechsels mit besonderer
Berücksichtigung der Schwangerschaft. (Aus der med. Universitäts¬
klinik Freiburg i. Br.) (Mit 4 Kurven.) .
Auf starke Nahrungszufuhr, Eiweissdiät und Fettkost erfolgt eine
Anreicherung der Galle mit Cholesterin. Bei beschrankter Nahrungs¬
aufnahme, im Fieberzustand und in der Gravidität tritt eine Chole¬
sterinverarmung der Galle ein. Nach beendigter Gravidität wird
kurz nach dem Wurfe (Hund) die Galle rapid mit Cholesterin über¬
schüttet, die Hauptrolle spielt dabei das freie Cholesterin. Dieses
steigt in der Galle besonders beträchtlich bei Eiweissdiat und nach
beendigter Gravidität infolge des Wurfs verringert sich aber ziem¬
lich stark beim Fieber. Während der Gravidität vollzieht sich eine
mit dieser fortschreitende Aufspeicherung von Cholesterin im Blute,
die am Ende der Gravidität ihren Höhepunkt erreicht, entsprechend
veiarmt die Galle an dieser Substanz. Die Hypercholesterinamie in
der Gravidität ist ein Retentionsvorgang, der zu einer Speicherung
des Cholesterins in verschiedenen Depots im Körper fuhrt, damit der
mütterliche Organismus seinen mit der zunehmenden Gravidität immer
mehr sich steigernden Aufgaben entsprechen kann.
E Edens und W. v. Förster: Zur Diagnose der Herzbeutel¬
verwachsungen. (Aus der II. med. Klinik in München.) (Mit
allgemein gültiges Zeichen für die Erkennung von Herzbeutel¬
verwachsungen gibt es nicht, da die verschiedene Lokalisation der
Verwachsungen zu verschiedenen Erscheinungen fuhren muss.. Auen
eine ausgedehnte Obliteratio pericardii braucht keinen sicheren
Röntgenbefund, keinen negativen Herzstoss, keine Veränderung des
lugularispulses und Oesophagokardiogrammes, auch keinen Pulsus
paradoxus zu geben. Zum Schlüsse werden einige, auf Herzbeute -
Verwachsung verdächtige, aber nicht obligate Zeichen angeführt (auf¬
fallende Kleinheit des Jugularispulses und des Oesophagokardio-
erumms Fehlen des Vorhofspulses im Oesophagus etc.).
K. Emden und J. Rotschild: Ueber das Chlorom und seine
Beziehungen zur Myeloblastenleukämie. (Aus dem Sencken-
b er gischen pathologisch-anatomischen Institut zu Frankfurt a. M.)
Bei einem 5 jährigen Knaben führte ein Chlorom unter dem kli¬
nischen Bilde fortschreitender Lähmungen und dem Blutbilde einer
Myeloblastenleukämie binnen J2 Wochen zum Tode. Das anatomische
Bild entsprach dem eines diffus infiltrierenden malignen Tumors, ohne
dass sich ein primärer Herd fand. Die Tumoren bestanden fast aus¬
schliesslich aus Myeloblasten, weshalb das Chlorom als Myeloblasten¬
tumor zu bezeichnen ist.
I Löwy Ueber refraktrometrische Bestimmungen von Blut¬
seren und Transsudaten. (Aus der med. Universitätsklinik R.
v. J a k s c h, Prag.)
Die Refraktometrie ist eine einfache und sichere Methode, um
Veränderungen dS Blutserums unter dem Einflüsse verschiedener
l'i iten und vielleicht auch von Medikamenten festzustellen. So ubt
/ B vegetarische Kost wahrscheinlich durch Beeintlussung der Diu¬
rese und durch ihre Eiweissarmut einen Einfluss auf die Refraktion
des Blutserums aus. Bei Aszites resp. Hydrothoraxflussigkeit sowie
bei Oedemen ist die optische Dichte gleich der optischen Dichte des
enteiMeiL?nndau:S Zur Morphologie der Sekretion und Resorption in
den Nieren. (Aus dem pathol. Institut der Universität Freiburg l. Br.)
<M%eT“r“ntoT5W<l«V Harnkanälchen dienen der Sekretion
die übrigen Abschnitte des Tubuluslabyrinthes der Resorption. Bei
akuter, gelber Leberatrophie bestellt die Möglichkeit einer differenten
färberi'schen Darstellung der beiden Harnkanälchensysteme, indem
die Epithelien des sezernierenden Teiles vorwiegend Neutralfette,
die Zellen der resorbierenden Abschnitte neben anderen Lipoiden
auch Fettsäuren enthalten. Neben der degenerat.v^n Nierenve feüung
muss auch die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, dass die -
Speicherung der morphologische Ausdruck einer bei gewissen Zu¬
ständen auftretenden Fettausscheidung durch die Nieren ist
A J a r i s ch: Zur pathologischen Anatomie des Pulsus irregu
laris perpetuus. (Aus dem Laboratorium der II. med. Klinik in Berlin.) .
<M t De^Verf' bespricht zunächst die Krankengeschichte sowie den
Herzautopsiebefund von 8 eigenen Beobachtungen stellt dann die in
der Gesamtliteratur niedergelegten weiteren 45 Falle zusammen und
kSnmtl? dem Schluss, dass der anatomische Befund keine für den
Pulsus irregularis perpetuus charakteristische Veränderung aufweist.
Gemeinsam sind diesen Herzen lediglich Zeichen, welche auf eine Er¬
schwerung der Funktion der Vorhöfe, speziell des rechten schliessen
lassen Die verschiedenen Theorien zur Erklärung des Pulsus lrre-
gulaiis lassen sich nicht in befriedigender Weise mit dem anatomi¬
schen Befunde in Einklang bringen, eine einheitliche Aetiologie ^
den Pulsus irregularis perpetuus gibt es nich^ wenn auch wohl e
Ursache in einer sukzessiven Erschöpfung des Sinusknotens zu er
blicken ^Long und H G. Wells: Ueber die Purinenzyme der
pneumonischen Lunge. (Aus dem pathol. Laboratorium der Um-
VerS Di'e 'pneumonische Lunee,, kann ihre Nukleinsäure abbauen unä
sie völlig zu Xanthin und Hypoxanthin desamidisieren, aber sie kann
diese Purine auch unter günstigen Versuchsbedingungen nicht zu I
Harnsäure oxydieren. ^ ^ Harnsä„regcll „ des Blutes als
Krankheitssymptom. (Aus der II. tned. Universitätsklinik .zu Manche»!
Erhöhter Harnsäurewert findet sich im Blute bei schwere
Nierenschädigungen, verbunden mit Hypertonie, bei denen ausser an¬
deren Harnbestandteilen auch die Harnsäure retmiert wird bei
Urämie Hessen sich die höchsten Harnsaurewerte im Blute nacli-
weisen Bei Gichtkranken liegt eine eigentlich krankheitsspezifische
Vermehrung vor, auch bei allen Zuständen, die mit vermehrtem Zeh-
iSm einhergelien. (z. B. Leukämie Pneumome Kamnom. Fteber)
finden sich erhöhte Harnsäurewerte des Blutes. Ein erhöhter Harn
säurewert des Blutes lässt chronische Arthritiden n'cht gichtischer
Natur, sowie die Arthropathie deformans von gichtischen Gelenktr-
krankungen trennen, manchmal auch eine Gichtniere von einer e n-
faüicn Nephrit^ r d t; Bemerkungen zur Arbeit von H e d i n g er und
Schleyer: Ueber die Prüfung der Nierentät.gkeit dufch Pob-
mahlzeit, dieses Archiv Bd. 114. S. 120. (Aus der med. Klinik zu
KonLsb ^^kiiläre Hyposthenurie ist ein Zeichen leichterer Tubulus-
erkrankung und nicht, wie S c h 1 e y e r meint, ein Symptom vasku¬
lärer Nierenschädigung.
Besprechungen. Bamberger-K
Beiträge zur Klinik der Infektionskrankheiten und zur
Immunitätsforschung. (Brauer, Schottmuller, Much.
Festschrift, dem Eppendorfer Krankenhaus zur Feier seines
25 jährigen L3estehens gewidmet.
Much- Adam-Eppendorf: Ueber Beziehungen zwischen Ei-
weiss und Lipoidantikörpern und über humerale und zellulare Ke
aktionswmse.^, spezi{ische Lipoidantikörper zu erzeugen, verliefet
negativ, wenn die Lipoidextrakte unrein waren, d. h. noch wasser
lösliche’ Endprodukte vom Eiweiss enthielten. Zellen, denen derarüK
as s im i h erb a re Substanzen angeboten werden, verhalten sich normal
Dagegen verursacht dasjenige Substrat die meisten Antikörper, ü
noch am meisten gespalten werden muss. Reine Lipoidextrak
konnten nur aus Eiereiweiss dargestellt werden.
E. L e s c h k e - Berlin: Ueberempfindlichkeit, Fieber und Stoti
Wechsel. • "
Bericht über Versuche zum Studium der aktiv und passiv ai.
aphvlaktischen Temperaturveränderungen und über das AnapHWi
toxinfieber. Erörterung der Frage über die Einheitlichkeit des anaph
laktischen Giftes; ob Pepton, Histamin, ob Endotoxin? Dfs hiebt
bei Infektionskrankheiten ist im wesentlichen als anaphylaktiscne
Symptom anzusehen. Die Beeinflussung des Stoffwechsels durc
28. Juli 1914.
parenterale Eiweisszufuhr; artfremdes Eivveiss wird parenteral abge-
baut, arteigenes nicht. Der Eiweissstoffwechsel bei der Ueberemp-
findlichkeit; das anaphylaktische Gift scheint primär den Eiweissstoff¬
wechsel, ebenso wie den gesamten Stoffumsatz einzuschränken. Die
Bedeutung anaphylaktischer Vorgänge für das Infektionsfieber beim
Menschen.
S. Starke- Breslau: Plasmastudien I.
Studie über die verschiedenartige Wirkung der humoralen und
leukozytaren Bakteriozidine (Plattenverfahren — Opsoninreaktion)
über die Absättigung der bakteriziden Plasmastoffe. Ueber die Ver¬
änderungen des Blutplasmas durch Chloroform.
B. Mann es- Eppendorf: Plasmastudien il.
\ ersuche über die Eigenschaften des Fibrinogen bzw. des Fi¬
brinogenplasmas vom Pferde- und Menschenplasma gegenüber
Streptokokken und Typhusbazillen.
M. F r a e n k e 1 - Eppendorf: Dialysierverfahren und Wasser¬
marinreaktion.
Experimentelle Prüfung der Beziehungen der Gewebszerfalls¬
produkte, wie sie bei dem Abderhalden sehen Dialysierverfahren
entstehen zur \\ assermann sehen Reaktion. Bestätigung der An¬
nahme, dass die WaR. Ausdruck eines Gewebszerfalles ist.
A. A d a m - Eppendorf : Versuche zur Umstimmung eines Körpers
als Mittel zur Behandlung von Bazillenträgern.
Bei Meerschweinchen gelingt es durch vorherige Injektion von
Bacillus-mesentericus-ähnlichen (giftfreien) Stäbchen relative Immuni¬
sierung gegen verschiedene pathogene Keime zu erreichen.
M a h 1 o - Eppendorf : Eiweissabbauprodukte und Wasser¬
mann sehe Reaktion.
Versuche über Veränderungen des negativen Serums durch Zu¬
satz von Eiweissabbauprodukten; auffallende Uebereinstimmung von
positiver WaR. und positiver Ninhydrinreaktion (79 Proz.).
0. H a u s - Eppendorf : Ueber die Wirkung alkohol- und äther¬
löslicher Pflanzenauszüge auf Bakterien.
Versuche über die Einwirkung von Stachelbeer-, Zwiebel- und
Knoblauchzwiebelextrakten auf die verschiedenen pathogenen Keime.
Embden und M u c h - Eppendorf : Untersuchungen über Ver¬
bindungen der Wassermann sehen Reaktion.
Zusammenfassung der Aufsätze von Adam und M a h 1 o und
\ r a,n k e '• Die Erhöhung des Aminosäurespiegels im Blute ist ein
durch die WaR. nachzuweisendes Symptom einer syphilogenen Stoff¬
wechselstörung.
K. H a r a - Eppendorf: Untersuchungen über das Wesen der Kom¬
plementbindungsreaktion des Serums von Tumorkranken.
Erweiterte Nachprüfung der Versuche Romingers; die ver¬
schiedenen Komplementbindungsreaktionen können imitiert werden,
wenn man Normalserum mit gewissen Substanzen versetzt (Maltose-
Phenophthalein).
Ii. P a g e n s t e c h e r - Wiesbaden : Ueber Kataraktoperationen
mit besonderer Berücksichtigung der Prophylaxe der postoperativen
infektiösen Entzündung.
Kritischer Bericht über 1282 Starextraktionen mit besonderer Be¬
rücksichtigung der postoperativen Infektionen. Prophylaktisch sehr
wichtig sind gründliche Desinfektion des Konjunktivalsackes, nament¬
lich der oberen Uebergangsfalte, Durchspritzen des Tränenkanals.
Bildung eines Konjunktivallappens beim Schnitt.
E. H a r m s e n - Hamburg: Akute Blutungen infolge von Schar¬
lachnekrosen u. a. tödliche Blutung aus dem Ohr.
2 Fälle von tödlicher hämorrhagischer Diathese; 2 Fälle von
Arrosion der Karotis; 1 Fall von Arrosion des Bulbus der Vena
jugularis vom Mittelohr aus.
Noretsch-Hamburg: Welche Rolle spielt die Schule bei der
Entstehung von Scharlachepidemien und welche Massregeln ergeben
sich daraus für die öffentliche Gesundheitspflege?
Zusammenstellung von Beobachtungen über obige Frage. Hy¬
gienische Vorschläge zur Verhütung.
W. Meinshausen: Die Abstossung der Diphtheriemembranen.
vergleichende kritische Studie über die Abstossung der Diph¬
theriemembranen, an grossem Material beobachtet. Das Heilserum
hat auf die Lösung dieser Membranen keinen Einfluss.
L. B r a u e r - Eppendorf: Klinische Beobachtungen bei Typhus
exanthematicus.
Eingehendster klinischer Bericht über 5 Fälle; bakteriologisch,
serologisch, Farbenphotographien.
E. W i 1 b r a n d - Eppendorf : Ein Fall von reiner Strongyloides-
stercoralis-Infektion mit tödlichem Ausgang.
Klinische und mikroskopisch-anatomische Schilderung; Mikro-
Photogramme.
G. G e i g e r - Karlsruhe: Die Phenol-Serumbehandlung pyogener
t rozesse in der Gynäkologie und ihre experimentelle Grundlage.
I Taktischer Versuch an 5 Fällen mit günstigem Erfolg; experi-
■nentelle Beantwortung der Fragen: Ist das nicht vorbehandelte
•'crum das wirksame Prinzip, wirkt das zugesetzte Phenol schon auf
ne Keime, sind in dem nicht vorbehandelten Serum Fermente?
H. S c h o 1 1 m ü 1 1 e r - Eppendorf : Zur Bedeutung der bakterio-
ogischen Blutuntersuchung bei otogener Sepsis.
In Anschluss an die klinische Schilderung zweier Fälle wird dar-
ietan, dass systematisch ausgeführte bakteriologische Blutunter-
'uchungen (Anaerobier) bei otogener Sepsis die klinische Beobach-
ung wertvoll unterstützen.
1695
H. Schottmüller-Eppendorf: Beitrag zur Pathologie und
Diagnose der Pylephlebitis.
Klinischer Bericht zweier Fälle im Anschluss an Appendizitis.
Wichtig sind die bakteriologischen Blutuntersuchungen; hohe Leuko¬
zytenzahl, Ikterus, dekubitale Hautveränderungen.
H. Schottmüller und W. B a r f u r t h : Die Bakterizidle des
Menschenblutes Streptokokken gegenüber als Gradmesser ihrer Viru¬
lenz.
Prüfung dieser Frage an 110 Fällen; der Reagenzglasversuch, der
im allgemeinen mit der Pathogenität übereinstimmt, darf jedoch nur
relativ bewertet werden; Ursachen der Bakterizidie (Leukozyten-,
Erythrozyten, Sauerstoffgehalt, Wassergehalt des Blutes).
E. P o e n s g e n - Eppendorf : Die Behandlung schwerer Schar¬
lachfälle mit Salvarsan bzw. Neosalvarsan.
, . i5 Eälle; teilweise Besserungi teilweise ohne Einfluss, Salvarsan
kein Spezifikum gegen Scharlach.
W. Barfurth - Hamburg: Ueber den Keimgehalt von Föten bei
Abort und Frühgeburt.
Bakteriologische Prüfung an 100 Fällen. — Nachweis der wich¬
tigen Rolle der Plazenta.
P. I h e o d o r - Eppendorf : Bakteriologische Blutuntersuchungen
nach Curettagen.
Bei der Curettage fieberhafter Aborte (60 Fälle) in 15 Proz. Bak-
^riäniie; bei digitaler Ausräumung in 77 Proz.; Salpingitis nur in
lo,3 Pr°z. der Falle; Parametritis oder Sepsis nicht beobachtet.
S c h o 1 1 m ü 1 1 e r - Eppendorf : Staphylomykose der Luftwege
und Lunge im Kiiidesalter.
Eingehender klinischer und anatomischer Bericht über 4 Fälle-
bakteriologische Untersuchung. Bei entstehendem Lungenabszess
bzw. Empyem (1 Fall mit doppelseitigem Empyem) hat sich das P e r -
t h e s sehe Aspirationsverfahren glänzend bewährt.
K. B i n g o 1 d - Eppendorf : Das klinische Bild der Puerperal-
infektionen durch Bacillus phlegmones emphysematosae (E. F r ä n -
k e 1).
130 Fälle, genau klinisch-bakteriologisch dargestellt. Lokale In¬
fektion des Uterus, Uebertritt in die Lymphbahnen oder in Venen-
“jroi?b<rn: Entstehung von spezifischer Peritonitis. Die eigenartige
Missfärbung der Haut bei Gasbazilleninfektion durch sekundäre
Nierenschädigung. Blutbild. Hans v. B o m h a r d - München.
Archiv für klinische Chirurgie. Band 101. Heft 3. 1913.
A. Salomon: Beiträge zur Pathologie und Klinik der Mamma¬
karzinome. (Kgl. Chirurg. Universitätsklinik in Berlin — Geh Rat
Prof. Dr. B i e r.)
Für die Statistik wurden 200 Fälle der B i e r sehen Klinik ver¬
wertet. 218 Mammaamputationen dieser Klinik ergaben nur eine
Mortalität von 0,92 Proz. Das Wachstum des Brustdrüsenkrebses
erfolgt entsprechend den Anschauungen R i b b e r t s aus eigenen
Mitteln nicht durch Umwandlung der angrenzenden normalen Drüsen-
}.. e\ praktisch wichtig ist die Unterscheidung zwischen knoten¬
förmig infiltrierendem, diffus infiltrierendem oder mehr oder weniger
appositionellem Wachstum unter Bildung einer Art Kapsel. Unter
den knotenförmig infiltrierenden Krebsen unterscheidet Verf. das
Carcinoma solidum, medulläre, cysticum, adenomatosum, gelatinosum
und den Pagetkrebs, unter den diffus infiltrierenden das Carcinoma
solidum diffusum und das Carcinoma medulläre. Hinzu kommt dann
die 3. Gruppe der mehr oder weniger abgekapselten, in der Brustdrüse
verschieblichen Krebse. Neben der Ausbreitung in den Binde¬
gewebs- und Lymphspalten findet sich bei den soliden Krebsen etwa
m der Hälfte der Fälle Einbruch und Wachstum in die Milchgänge
Bei den grossalveolaren weichen Krebsen erfolgt das Wachstum fast
ausschliesslich innerhalb der Milchgänge und des Drüsenparenchyms
Auci.1 d,ei n. infiltrierenden Krebsen kommt nicht selten Einbruch
in die Milchgänge vor. Röntgenphotographien exzidierter Mamma-
praparate gaben dem Verf. demonstrable Uebersichtsbilder über Aus¬
breitung und Form der Krebse. Durch diese Bilder im Verein mit
histologischer Untersuchung der verdächtigen Randpartien ergibt sich
die Notwendigkeit, mindestens drei Fingerbreiten entfernt von der
peripher fühlbaren Grenze des Tumors zu exzidieren. Während die
grossalveolären Krebse in etwa 40 Proz. Heilung geben, können die
klemalveolären weichen Formen durch die Operation nicht geheilt
werden. Dagegen geben die Adenokarzinome, die etwa 9 Proz. der
Ki ebse ausmachen, eine sehr günstige Prognose. Sehr ungünstig ist
die Prognose der infiltrierenden Krebse. Isolierte Krebszysten
kommen in 3 Proz. der Fälle meist bei jugendlichen Personen vor.
Meist ist bei ihnen blutig-seröser Ausfluss aus der Warze vorhanden.
10 15 Proz. der zur Beobachtung kommenden Krebse sind in der
Brustdrüse noch zu verschieben. Diese Beweglichkeit kann bei
Fehlen von Achseldrüsen in fast der Hälfte der Fälle so gross sein,
dass klinisch die Differentialdiagnose, ob Fibroadenom, Mastitis
chronica oder Karzinom vorliegt, klinisch nicht zu stellen ist. Durch
die Radikaloperation wurden 33,5 Proz. Heilungen unter Zugrunde¬
legung dreijähriger Rezidivfreiheit erzielt.
H. v. Haber er: Zur Radikaloperation des Ulcus pepticuni
jejuni postoperativum. (Chirurg. Klinik in Innsbruck.)
Mitteilung dreier vom Verf. operierter Fälle, wo das Ulcus nach
der hinteren Gastroenterostomie aufgetreten und in der abführenden
Schlinge genau gegenüber der Gastroenterostomie hart am Mesen-
terialansatze gefunden wurde. Grosser Wert wird auf die Nach-
MUENCHENER MEDIZINISCHE: WOCHENSCHRIFT.
1696
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
Nr. 30
behandlung gelegt. Vom ersten Tag nach der Operation wurde nach
der Nahrungsaufnahme Natrium bicarbonicum gegeben,
jektiven Erscheinungen der Uebersäuerung wngen so vollständig
zurück Da die Patienten, die ein postoperatives Ulcus pepticum
jejuni bekommen, meist eine lange Ulcusanamnese haben, disponiert
vielleicht ein lange bestehendes Magenulcus zur Entstehung eines
späteren postoperativen Ulcus pepticum jejuni. Möglicherweise ge¬
lingt es also durch frühe Radikaloperation des Ulcus ventncuh den
Prozentsatz dieser postoperativen Komplikation herabzudrucken.
V. Schmieden: Zur operativen Behandlung der schweren
Obstipation. (Chirurg. Klinik in Berlin — Geh. Rat Bier.)
Bei einem 39 jährigen früh gealterten Manne, der seit der Jugend
an starker Obstipation litt, wurde durch den Röntgenschirm eine sehr
lange Flexura sigmoidea nachgewiesen und dadurch eine wesentliche
Besserung der Darmentleerung erzielt, dass je eine Anastomose
zwischen Flexurscheitel und Querkolon und zwischen den beiden
Fusspunktcn der Flexurschenkel her gestellt wurde.
N. W. K o p y 1 o w - Saratow: Ueber Splenektomie bei Malaria-
affektion der Milz. ,
Bericht über 13 Splenektomien der Malariamilz aus der Gegend
von Baku am russischen Kaukasus. 3 Patienten starben. Die Exstir¬
pation der Milz ist bei Malaria indiziert bei Milzruptur und Stiel¬
torsion. bei vergrösserter beweglicher Milz (Wandermilz) und bei
vergrösserter schmerzhafter unbeweglicher Milz, wo die medikamen¬
töse Behandlung keine merklichen Resultate gibt. Kontramdiziert ist
die Operation bei starker Kachexie mit Hydrämie und bedeutender
Herabsetzung des Hämoglobingehaltes (unter 40 Proz.), bei starker
atrophischer Zirrhose, bei schlechtem Allgemeinbetinden mit Erkran¬
kungen der Verdauungs- und Urogenitalorgane sowie bei sehr umfang¬
reichen Verwachsungen besonders mit dem Magen und dem Dia¬
phragma. Die Mortalität der Allgemeinstatistik betragt 23 Proz.
G o 1 d m a n n - Freiburg i. B. : Experimentelle Untersuchungen
über die Funktion des Plex. chorioid. und der Hirnhäute.
Bei der Untersuchung des fötalen Nervensystems ergab sich,
dass die Plexuszelle (Plex. chorioid.) die einzige im Nervensystem
ist in der intrazellulär Glykogen nachweisbar ist. Von hier aus wird
das Glykogen in Gestalt von Tropien und Kugeln in die \ entrike -
tlüssigkeit sezerniert und gelangt von hier aus in die ^ ubarachnoidal-
räume und allgemein ins Nervensystem. Die Plexuszelle versieht
also eine sekretorische Funktion. Bei intravenöser Zuführung von
Trvpanblaulösung treten bei Kaninchen keine Vergittungserschei-
nungen auf, dagegen färbten sich die Plexuszellen lebhaft blau, bei
intralumbaler Einspritzung einer viel kleineren Dosis gingen die 1 lere
rasch unter Konvulsionen zugrunde, da sich das Gift rasch bis zur
Hirnbasis ausbreitet. Weitere Versuche ergaben, dass direkte
anatomische Verbindungen zwischen dem Subarachnoidalraum und
den Ganglienzellen bestehen. Ferner schliesst Verf. aus seinen » er¬
suchen dass ein Teil der Zerebrospinalflüssigkeit durch die tiefen
Lymphgefässe des Halses abströmt. In den Hirnhäuten, besonders
in den l.eptomeningen, konnte er ferner Zellen nachweisen, die vitalen
Farbstoff in ihren Protoplasmagranulis ablagern (Pyrrolzellen).
Bei experimentell im Gehirn erzeugten Blutungen, Entzündungsherden
und Wunden fanden sich diese Zellen in ausserordentlich grossen
Mengen, zum Teil mit den Zerfallsprodukten der degenerierten
Hirnmasse beladen, an dem artifiziell erzeugten Läsionsherd.
R. Mühsam- Berlin: Die Gehirn-, Rückenmark- und Nerven¬
verletzungen im Deutschen roten Kreuzlazarett in Belgrad.
U. a. Mitteilung von zwei Fällen von Schussverletzung des
Rückenmarkes, wo dieses nur gestreift, bzw. wo eine Blutung ein¬
getreten ist (Rückenmarkskontusion bzw. Hämatomyelie). Bei den
meisten Nervenverletzungen wurde ein Rückgang der Erscheinungen
beobachtet; wahrscheinlich hat es sich in diesen Fällen um partielle
Durchspiessungen oder um Kontusionen gehandelt. Bei derartigen
Veiletzungen ist daher für die ersten Wochen ein konservatives Ver¬
fahren angezeigt. . ^ A .
E Streissler - Graz: Ueber bogenförmige Osteotomie.
Verf. hat diese Operation mit gutem Erfolg am Pankreas bei
Madelung scher Deformität, am Oberschenkelhals bei einer Coxa
vara rachitica und am Femur bei einem hochgradigen Genu valgum
staticum ausgeführt. Der Bogenschnitt empfiehlt sich, weil er unter
möglichst geringer Verkürzung Knochen spart, w'eil der Kontakt der
Knochenflächen erhalten bleibt, weil sich durch den elastischen Zug
der Weichteile die Knochenflächen in der richtigen Stellung auto¬
matisch fixieren und weil endlich die bajonettförmige Stellung der
lineären Osteotomie vermieden wird.
Ri edel- Jena: Ueber angeborene Harnröhrenverengerungen.
Von 19 angeborenen Harnröhrenstrikturen lagen 5 vorne am
Orificium externum und gleichzeitig am Damme, 7 nur hinten in der
Pars bulbosa; 5 begannen vor dem Skrotum, w'aren dort ganz zirkum¬
skript oder setzten sich als lang gestreckte enge Striktur bis zum
Damm fort. 2 mal war die ganze Harnröhre bis zur Pars mem-
branacea hin verengt. 8 mal war die Urethra vor oder hinter der
Striktur zerstört. Die vordere Zerstörung war vielleicht auf die
Sondierung, die hintere auf stagnierende Sekrete zurückzuführen.
Meist wird das Leiden erst in späteren Lebensjahren bemerkbar, wenn
die angeborenen Strikturen durch Schrumpfungsprozesse enger ge¬
worden sind. Die Prognose des Leidens ist ungünstig, weil chirur¬
gische Hilfe oft erst spät nachgesucht wird.
G P e r t h e s - Tübingen: Ueber Osteochondritis deformans
juvenilis.
Die Erkrankung beginnt im Alfer zwischen 5 und 10 J^W
mi ist nur in einer Hüfte. Charakteristisch ist »lei hinkende "au*,
positives Trendelenburg sches Phänomen. Herv or treten des
Trochanters der erkrankten Seite, starke heschrankimg der Ab-
duktion bei völlig freier Flexion. Im Röntgenbild findet steh eint
Abfachung der oberen Femurepiphyse und eine Deformation ce>
Koofes. ni Beginn der Erkrankung sind im Innern der tp.plnse eins
herdweise .Auflockerung oder völlige Defekte der Knochensubstanz
nachweisbar. Die hauptsächlichste Rolle bet der 1 [un>*NJj
Abduktionshemmung spielt ein bpasmus der Add ukt ru .
einigen Monaten, manchmal auch erst nach 1- - Jahren wird die Be¬
weglichkeit wieder freier Auch der Gang wird besser. Das Tr er ¬
de len b u r g sehe Phänomen schwindet. Der Prozess kommt nact
jahrelangem Bestehen mit einer beträchtlichen Deformation des Femur¬
kopfes, iedcch ohne nennenswerte Verkürzung der Extremität zur
Ausheilung. Eine geringe Abduktionshemmung bleibt dauernd Er¬
flehen. Ein autoptischer Befund ergab im Femurkopf die Anwesen¬
heit grosser mit dem Gelenkknorpel durch schmale Brucken zu¬
sammenhängenden Knorpelinseln und eine \ erbretterung des mit Fen-
mark gefüllten Markinnern der Spongiosa auf Kosten der Knochrn-
bälkchen. Der Gelenkknorpel bleibt bei der Erkrankung intakt. Mn
der eigentlichen Arthritis deformans oder Tuberkulose im Femurhab
hat die Erkrankung nichts zu tun. Für die Therapie hat sich d»
Korrektur der Adduktionsstellung durch allmähliche Extension oot
Redressement in Narkose bewährt. L Ti. .
A. Wittek-Graz: Zur operativen Behandlung der Tibia-
pseudarthrose. knapp unter dem Kniegelenk gelegenen Tibiapseud-
arthrose wurde Heilung dadurch erzielt, dass ein im Uuerschnm
rhomboedrisch gestalteter 10 cm langer Tibiaspahn ins obere Fr---
ment eingebolzt und unten in eine besonders gemeisselte Stufe seitl c,
eingeke^ibw.urde.her Zürich: Beiträge zur operativen Behandlunt
dCr wfitfdhang^von 4 ohne Erfolg operierten Fällen. Die Differentia-
diagnose zwischen Lungenembolie und einigen anderen mit plötzlichen
Kollaps einhergehenden Affektionen kann sehr schwierig se.r
Namentlich ist bei Herzkranken die Diagnose Lungenembolie nur mn
grösster Vorsicht, nur wenn alles, auch die äusseren Umstande dazu
stimmen, zu stellen. Verf. unterscheidet 3 Todesarten der Lungen¬
embolie. die häufigste durch Herzinsuffizienz, eine zweite dura
rascheste Unterbrechung des ganzen kleinen Kreislaufes nebs:
akutester Ueberdehnung des rechten Herzens und schwerster Er-
nähi ungsstörung des Herzmuskels und eine dritte seltene dur«
Schockw irkung (Reizung zentripetaler Fasern des vegetativen Nerven¬
systems). Bei den rapid verlaufenden Fällen ist man zu der l ren-
d e 1 e n b u r g sehen Operation verpflichtet, bei den protrahiert'
dazu berechtigt.
L. Wrede-Jena: Ueber direkte Herzmassage.
Empfehlung der direkten Herzmassage.
M M Krjukow: Zur Technik der Nahtanlegung bei Gastro¬
stomie nach Witzei. (Üouvernements-Landschaftskrankenhaus m
Die Uebernähung des auf dem Magen liegenden Drainrohres so^
mit Knopfnähten geschehen, die gleichzeitig Aponeurose, Peritoneum
und Magenwand fassen. L ä w e n - Leipzig.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 28.
Lothar D r e y e r - Breslau: Zur Freilegung des Brustabschnittes
der Speiseröhre. , . . .
Verf. kommt auf Grund von Tierexperimenten zu der Ansiv^-
dass ®/io vom Brustabschnitt der Speiseröhre besser von rechts zur
von links zugänglich sind; beim Eingehen von der rechten bene
aus liegt die Speiseröhre fast völig frei vor, nur zieht als einziges
Gefäss von Bedeutung die Vena azygos über sie hinweg, doch lai».
sich dieses Gefäss leicht vom Oesophagus isolieren. Allerdings sine
zur genügenden Freilegung des Oesophagus ausgedehnte Rippenrest;-
tionen nötig, die zu Atemstörungen auf der operierten Seite führe-
können. Um dieser Gefahr vorzubeugen, stellt Verf. die Kontinuiu'
einiger in der Mitte liegender Rippen durch Platten aus Aluminiur
her, die über der klaffenden Stelle der Rippen durch Naht fixier:
werden. 2 Skizzen veranschaulichen die anatomischen Verhältnis«
und die Lage der Aluminiumplatten.
Ernst Jeger, Helmut Joseph und Friedrich Schober-
Breslau: Das endgültige Resultat einer Aortenplastik aus der Karom
desselben Tieres. . ,
Den 3 Verff. ist es geglückt, ein Stück der Aorta abdominalis
durch ein neugebildetes Blutgefäss zu ersetzen, das durch eine Pla¬
stische Operation aus der Karotis des gleichen I ieres gewonnen war-
dieses wurde dann an Stelle des resezierten Stückes der Aorta ab-
domin. durch beiderseitige End-zu-End-Naht implantiert. Das end¬
gültige Resultat bei einem so operierten Hund ist ausführlich be¬
schrieben, vor allem ist der mikroskopische Befund in extenso mn-
geteilt. Besonders sei hervorgehoben, dass nirgends sich die ge¬
ringste Spur eines rezenten Thrombus findet; alle Nahtstellen sm-
zwar noch erkennbar, aber von normalem Endothel überzogen u bq
zeigen mikroskopisch die typische trichterförmige Einziehung, die
Ausfüllung dieses Trichters durch einen kernarmen Gefüsskallus tu*
die Verdickung der Intima. Nähere Einzelheiten sind durch Selb«-
28. Juli 1914.
MUENCHKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ntudium der interessanten Arbeit am besten zu erfahren. (Mit 1 Ab¬
bildung.)
Arthur W a g n c r - Lübeck : Zum Nachweis okkulter Blutungen in
len Fäzes.
Verf. führt den Nachweis von Blut in den Fäzes mittels der von
hm ausgearbeiteten Objektträgerbenzidinmethode: Er bringt eine
Messerspitze Benzidin in ein Reagenzglas, giesst 2 ccm Eisessig
arüber und fügt zuletzt 20 I ropfen einer 3 proz. Wasserstoffsuper-
xydlösung dazu. Dann streicht er mit einem Holzstab etwas Fäzes
uf emen Objektträger und gibt dazu die Benzidineisessigwasserstoff-
jperoxydlösung: sofort entsteht bei Anwesenheit von Blut schöne
ilaufärbung. Diese Methode ist leicht und rasch auszuführen: die
le-rstellung eines Aetherextraktes oder einer Massenaufschwemmung
illt weg; dabei ist sie sehr empfindlich und lässt s!ch sauber aus-
ihren, selbst sofort in der Sprechstunde.
E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Archiv für Orthopädie. Mechanotherapie und Unfall-
hirurgie. Band XIII, 2. Heft.
Bruno K ü n n e - Berlin: Paralytische und spastische Hüit-
uxationen.
V erf. kommt auf Grund seiner Untersuchungen an dem gerade an
chweren Fällen reichen Material des Berliner Krüppelheims zu dem
'chlusse, dass Hiiftveränderungen im Sinne der Luxation bei stärkerer
.ähmung der Hüftmuskulatur viel häufiger als früher angenommen
eien. Lnter 48 Fällen schwerer Lähmungen der verschiedensten
vrt waren 32 mit Veränderungen des Hüftgelenks. Bei der Entstehung
'estimmt weniger die Zugwirkung der erhaltenen resp. spastisch
ontrahierten Muskulatur die Art der Verrenkung als mechanische
Momente (Lagerung, Schwere etc.). Die Beckenveränderungen
onr.en bei längerem Bestehen sehr denen bei angeborener Hüft-
uxation ähnlich werden.
rr. D u n c k e r - Köln: Lungenhernie bei Spondylitis tuberculosa.
Beschreibung eines Falles von Lungenhernie, die durch eine
rippenlücke infolge Karies prolabiert war. Da eine derartige Er-
cheinung mit einem Senkungsabszess verwechselt werden könnte,
t der Fall differentialdiagnostisch von Wichtigkeit.
Scholder-W e i t h - Lausanne: Eine Untersuchung über lor-
otische Albuminurie in den Schulen Lausannes.
Die beiden Verfasser haben 1254 Schulkinder (1068 Knaben und
'8 Mädchen) im Alter von 11 bis 14 Jahren unter allen Kautelen
versucht. 51 schieden davon aus, da sie bereits bei der Vorunter-
ichung Eiweissausscheidung im Urin zeigten. Bei den übrigen fand
ch in 17,37 Proz. (bei Knaben in 15.66, bei Mädchen in 22.43 Proz.)
Ibumen im Urin, wenn sie zu einer Haltung veranlasst wurden, die
i einer Lordose der Lendenwirbelsäule führte. Die grössere Pro-
-ntzahl der Mädchen führen die Verff. auf die beweglichere Wirbel-
:u!e des weiblichen Geschlechts und auf ihre grössere Genauigkeit
ei der Anstellung der Versuche zurück. Meist war nur eine Spur
Eiweiss nachzuweisen, der Gehalt an Albumen verlor sich in
'len Fällen wieder vollständig. Dass die Lordose und nicht die
frechte Haltung die Eiweissausscheidung bewirkt, geht daraus her-
>r. dass die Erscheinung auch beim Liegen in lordotischer Haltung
lftritt Es ist deshalb der Ausdruck lordotische Albuminurie und
cht orthostatische die richtige Bezeichnung. An der Leiche konnten
e V erf. feststellen, dass durch die Lordose eine Kompression der
ena cava inf. zustande kommt, so dass eine Stauung in der Niere
intritt.
Karl C r a m e r - Köln: Beitrag zur Verbiegung der Wirbelsäule
i Syringomyelie im kindlichen Alter.
Beschreibung dreier Fälle von Syringomylie bei jugendlichen
dividuen mit starker Kyphoskoliose. An den Wirbeln waren keine
nochenwucherungen nachzuweisen, es handelt sich mehr um eine
arenzierung der Knochensubstanz, wie sich in einem Falle auch
-i der Sektion nachweisen Hess.
Fritz H e i 1 i g t a g - Hamburg: Zur Frage der Rissiraktur des
tlkaneus.
H sah in einem Falle eine Absprengung des oberen Teiles des
-Tsenbeinkörpers, die er aber nicht als Rissfraktur, sondern als
aetschungsbruch auffasst. Ein Versuch, die Fragmente blutig zu ]
reinigen, misslang. Erst die Exstirpation des oberen Fragmentes '
gab einen guten funktionellen Erfolg.
Ottendorff - Hamburg-Altona.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 28, 1914
Herrn. F r e u n d - Strassburg: Eine neue .Methode der Ovario-
nie.
Fr.s Bestreben geht dahin, auch bei grösseren Neubildungen
'te normalen ovulierenden Stromas vom Ovarium rasch aufzu-
cen und zu erhalten. Er erreicht dies durch mediane Tumorspal-
g und sorgfältige Durchmusterung der Wandung nach gesundem
ariaistroma. das zurückgelassen wird. Vorbedingungen sind Ge-
:echtsreiie der Frau und Gutartigkeit der Tumoren. Bei den
tuen, wo sich die Methode durchführen liess. blieb die Menstrua-
n erhalten und die Ausfallserscheinungen fielen fort. Rezidive
ten nicht häufiger auf. als nach Ovariotomien überhaupt.
W. K o I d e - Magdeburg: Leber Chorea gravidarum.
Bericht über einen Fall von Chorea gravidarum bei einer
•ihrigen Il.-para am Ende der Schwangerschaft, der durch Einleiten
1697
der künstlichen Frühgeburt zur Heilung kam. Nach 4 Tagen waren
die Zuckungen verschwenden. Mutter und Kind blieben gesund.
P. P e r a z z i - Vercelli: Zur Unterscheidung der mütterlichen
und fötalen Blutflecken.
K hat mit der Neu mann sehen Reaktion günstige Erfahrungen
gemacht. Noch bei 40 Tage alten Flecken Hessen sich die Unter¬
schiede zwischen Mutter- und Kinderblut genau nachweisen. P.
empfiehlt, zuerst das Reingewicht des auf der Leinwand getrockneten
Blutes festzustellen und dann erst die Reaktion vo. 'zunehmen.
J a f f e - Hamburg.
Gynäkologische Rundschau, Jahrgang VIII, Heft 10.
VV ladislaus F a 1 g o w s k i - Posen: Ueber die konservative Ten¬
denz bei der Operation des Uterusmyoms. (Aus der F a 1 g o w s k i ■
sehen Frauenklinik zu Posen.)
Verf. hebt die Vorzüge der operativen Therapie der Ul.rus-
myome gegenüber der Röntgentherapie hervor. Bericht über 78
selbst operierte Fälle, von denen kein einziger gestorben ist; 41 mal
wurde laparotomiert, 37 mal vaginal operiert. Verf. tritt für ein mög-
hchst konservatives Operieren ein, bestehend in der Entfernung ledig¬
lich der Myomknoten unter Erhaltung von möglichst viel normalem
Uterusgewebe. Für eine sehr gute Methode hält der Verf. die
t o t a 1 e k e i 1 f ö r m i g e M y o m e k t o m i e. Ist es nicht möglich,
einen grösseren Teil des Corpus uteri zu erhalten, so kommt die
„mtrakorporeale Amputation“, welche Verf. in 9 Fällen,
zum Teil mit Erhaltung der menstruellen Funktion, ausführte, in
Frage. Die Sorge, dass in dem zurückgebliebenen Uterusstumpfe sich
später ein Karzinom ausbilden kann, ist nach Ansicht des Verf. wegen
der Seltenheit des Vorkommnisses unbegründet. Verf. vermag nicht
einzusehen, warum die Operationsfähigkeit der Myome zugunsten der
stets so überaus radikal wirkenden Röntgenbehandlung eine Ein¬
schränkung erfahren sollte.
Franz Anton Simon-Köln a. Rh.: Eventration in Kombination
mit verschiedenen anderen Missbildungen. (Aus der Prov.-Heb-
ammen-Lehranstalt zu Köln-Lindenthal.) (Mit 3 Figuren.)
Beschreibung eines selbstbeobachteten Falles: die Missbildung
stammt von einer 19 jährigen I.-para, wurde in Steisslage tot ge-
boren, weiblich, 44 cm. 2560 g. Die Frucht zeigt ausser einer voll¬
ständigen Eventration die mannigfaltigsten Missbildungen, so links¬
seitigen Spaltfuss mit 2 Zehen, Fehlen des rechten Beines, Skoliose
der Wirbelsäule, Fehlen einer Nabelarterie, rechtsseitige Hvdro-
nephrose mit Ureterverschluss, Fehlen der rechten Adnexe, Spina
bifida.
Besprechung der verschiedenen über die Genese der Eventration
aufgestellten Theorien: bisher ist in der Literatur noch keine er¬
schöpfende und befriedigende Erklärung für die Entstehung der Bauch¬
spalte gegeben worden. A. Rieländer - Marburg.
Vir c ho ws Archiv. Band 215, Heft 2.
G. Quadri: Splenomegalia haemolytica mit interkurrentem
acholischen Ikterus.
Klinische Beschreibung eines Falles.
M. Kusunoki: Zur Aetiologie der Lymphomatosis granulo¬
matosa. (Pathol. Institut in Göttingen.)
In den untersuchten 16 Fällen gelang es stets, nicht säurefeste
Gram-positive, granulierte Stäbchen nachzuweisen. Die Stäbchen
scheinen mit dem Tuberkelbazillus nicht identisch zu sein.
P. Prym: Ueber das Endotheliom der Dura. (Pathol. Institut
in Bonn.)
Durch die Mallorvfärbung kann man auch in Wucherungen von
Duraendotheliomen, die karzinomähnlich sind, zwischen den einzelnen
Zellen feine Fäserchen nachweisen. Damit ist bewiesen, dass die
Zellen keine Epithelien. sondern bindegewebiger Natur sind.
B. Hada: Zur Kenntnis der Melanome. (Pathol. Institut in
Berlin.)
24 jähr. Mann. Melanosarkom am Hinterkopf mit zahlreichen
Metastasen in Haut. Knochen und inneren Organen. Betrachtungen
über die Pigmentbildung.
H. Kovvitz: Intrakranielle Blutungen und Pachymeningitis
haemorrhagica chronica interna bei Neugeborenen und Säuglingen.
Bei 3,9 Proz.. aller Kinder im Alter von 8 Tagen bis 2 Jahren
findet sich eine hämorrhagische Pachymeningitis. die aus subduralen
Blutungen bei der Geburt hervorgeht. Diese Kinder erliegen im
Kindesalter teils der Pachymeningitis. teils anderen Erkrankungen,
denen solche Kinder nur geringere Widerstandskraft entgegenzusetzen
vermögen. Die im höheren Alter auftretende Pachymeningitis hat mit
der kindlichen nichts zu tun.
Th. Fahr: Diabetesstudien.
Den Inseln im Pankreas kommt eine Selbständigkeit im Sinne
der Inseltheorie nicht zu. Sie können sich aus dem Drüsenparenchym
neubilden. Aus seinen Versuchen an Hunden, bei denen die Ver¬
kleinerung des Pankreas nach und nach vorgenommen, und die Aus¬
führungsgänge nie unterbunden wurden, schliesst F.. dass die Inseln
mit der Regulierung des Zuckerstoffwechsels in irgendeiner Be¬
ziehung stehen, und dass der Körper Störungen irn Zuckerstoffwechsel
durch Neubildung von Inseln zu kompensieren suche. Ausser den
Versuchsergebnissen werden weiter die Untersuchungen von 26
Diabetesfällen mitgeteilt, aus denen sich ergibt, dass Parenchym und
Inseln bei der Regulierung des Zuckerstoffwechsels in Frage kommen.
1698
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
J. Homo w ski: Zwei Todesfälle infolge von Nebennieren¬
insuffizienz. (Pathol. Institut in Lemberg.)
.1 Hornowski: Untersuchungen über Atherosklerosls.
Die Arbeit enthält Untersuchungsergebnisse über die Athero¬
sklerose der Arteria pulmonalis, über Atherosklerose beim Pferde und
beim Rinde, Veränderungen in Arterien von Kaninchen, hervorgerufen
durch Transplantation von Nebennieren.
J. Kyrie und K. Schopper: Untersuchungen über den tin-
fluss des Alkohols auf Leber und Hoden des Kaninchens. (I athol.
Institut in Wien.) _ , . , , „ . ,
Fortsetzung im nächsten Hefte. Schridde - Dortmund.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 29, 1914.
P. R o h m e r - Marburg: Ueber die Diphtherieschutzimpfung
von Säuglingen nach v. Behring.
Der Verf. konnte durch seine Untersuchungen den Nachweis
führen, dass es auch beim Säugling möglich ist. eine wirksame
Diphtherieschutzimpfung mit dem v. Behring sehen Mittel vor¬
zunehmen. . .
S. J. M e 1 1 z e r - New York: Ueber eine Methode zur experi¬
mentellen Erzeugung von Pneumonie und über einige mit dieser
Methode erzielte Ergebnisse. .
Die blosse Anwesenheit von Mikroorganismen auf einer Uber¬
fläche des Körpers, gleichviel ob im Innern oder auf dem Aeusseren
desselben, genügt meist nicht eine Infektion hervorzurufen. Erst
wenn sie allseitig von Geweben umgeben oder in einen Kanal oder
Sack eingeschlossen sind, fangen sie an, sich zu vermehren und die
Umgebung zu invadieren. Hierauf basierend hat der Verf. bei seinen
Tierversuchen eine Reihe von Bronchien total verstopft und in ge¬
schlossene Kanäle verwandelt und es gelang ihm hierdurch prompt,
experimentelle Pneumonie zu erzeugen.
Th. G ü m b e 1 - Bernau (Mark): Zur Behandlung der spastischen
Lähmungen mit der Foerster sehen Operation. (V ortrag, ge¬
halten in der Berl. orthopäd. Ges. am 5. Januar 1914.)
Die Resektion der hinteren Rückenmarkswurzeln hat die auf sie
gesetzten Erwartungen nicht erfüllt Schienen die Früherfolge schon
günstig, so war doch das endgültige Resultat nicht gut. Mit der
bisher geübten orthopädischen Behandlung werden unter Umständen
befriedigendere Erfolge erzielt. Als unbedingte Gegenanzeigen gegen
die Ausführung der Wurzelresektion sind heute folgende Krankheits¬
zustände zu bezeichnen: Idiotie, Athetose, Epilepsie, Luxatio coxae
und stärkere Spasmen der Arme.
Faulhab er- Wiirzburg: Zur Frage des Sechsstundenrestes
bei pylorusfernem Ulcus ventriculi.
Der Haudek sehe Satz vom pylorospastischen Sechsstunden¬
rest bei pylorusfernem Ulcus ist heute nicht mehr aufrecht zu er-
halten. , I7, ,. i
Die normale Motilität ist bei pylorusfernem Ulcus die Regel,
und es bedarf also, um die Häufigkeit einer normalen Entleerung bei
pankreaspenetrierendem Ulcus zu erklären, der Glässner-
Kreuzfuchs sehen Hypothese nicht.
Diese letztere Auffassung, soweit sie die normale Entleerung bei
pankreaspenetrierendem Ulcus aus einer Schädigung des Pankreas¬
gewebes mit konsekutiver Hypersekretion desselben und Herab¬
setzung des Pylorusschlussreflexes erklärt, ist überdies mit den Tat¬
sachen nicht vereinbar.
W. Scheff er- Berlin: Einige Gesichtspunkte für die Be¬
urteilung von Kohlensäurebädern.
Die beschriebenen Untersuchungen zeigen die Grundlagen für
die Methodik des Vergleichs gewisser Eigenschaften der moussieren¬
den Bäder. Die Zucker sehen Bäder weisen eine besonders zweck¬
mässige Art der COu-Entwicklung auf.
Goldscheider - Berlin : Ueber atypische Gicht und ver¬
wandte Stoff wechselstörungen. (Vortrag, gehalten in der Berl. med.
Ges. am 17. Juni 1914.) (Schluss.)
Cf. pag. 1418 der M.m.W. 1914.
Hermann Matti-Bern: Die Beziehungen des Thymus zum
Morbus Basedowii. (Schluss.)
Sammelreferat. Dr. G r a s s m a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 28, 1914.
Hugo Ribbert-Bonn: Ueber den Bau der in die Pulmonal-
artcrie embolisierten Thromben.
Die mikroskopische Untersuchung von Thromben, welche durch
Embolie in die Lungenarterie verschleppt wurden, hat ergeben, dass
diese Art Thromben im wesentlichen aus einem Fibringerüst, bis¬
weilen aus einem förmlichen Fibrinmantel besteht, in welche Ery¬
throzyten in mehr oder weniger grosser Masse eingeschlossen sind,
während die Beteiligung der Blutplättchen vollkommen in den Hinter¬
grund getreten ist. Dadurch unterscheiden sich also die grossen, zur
tödlichen Embolie Veranlassung gebenden Thromben scharf von den
häufigen, nur an ganz umschriebener Stelle der Gefässwand sich ab¬
scheidenden kleinen Thromben. Wohl findet primär stets die Bildung
eines Plättchenthrombus statt, aber bei den rasch sich vergrössernden
Thromben kommt es sekundär zu einer reichlichen Fibrinausscheidung,
die auf eine fehlerhafte Zusammensetzung des Blutes zurückgeführt
werden muss. Mittel, welche diese zu beseitigen vermögen, werden
darum auch die Gefahr der Embolie verringern, wenn nicht aufheben.
Ed. Mosbach er und Fr. P o r t - Göttingen: Beitrag zur An¬
wendbarkeit des Abderhalden sehen Dlalyslerverfahrens.
Unter sorgfältiger Beobachtung der notwendigen Kautelen haben
die Verfasser bei Plazentaabbauversuchen folgende Erfahrungen ge¬
macht- Von 50 Graviden war die Reaktion in 70 Proz. ~r, m
20 Proz - in 10 Proz. +; von 25 Nichtgraviden war das Ergebnis
in 28 Proz ’+ in 28 Proz7-, in 44 Proz. ±; bei 25 Männern war der
Ausfall in 56 Proz. +, in 36 Proz. in 8 Proz. ±. Diese auffallenden
ganz und gar nicht spezifischen Ergebnisse werden auf die Unzuver¬
lässigkeit der Dialysierhülsen sowie auf die Unmöglichkeit zuruck-
geführt eine Plazenta zu bekommen, die nur vom Schwangerenserum,
nicht aber auch vom Normalserum abgebaut wird.
B. Issatschenko-St. Petersburg : Ueber die Spezih/itat
der gegen Pflanzenehveiss gerichteten proteolytischen Fermente.
Auch die parenterale Einverleibung von Pflanzeneiweissen
(Flachs- Weizen-, Nuss- und Hafereiweiss) vermag im tierischen
Organismus die Bildung spezifischer Abwehrfermente hervorzurufen.
Auf dieser Grundlage ist also auch eine serodiagnostische Diffe-
renzierung von Pflanzeneiweissen denkbar.
Johannessohn und Schaechtl - Berlin-Oberschoneweide.
Klinischer Beitrag zur Strophanthusfrage. c.
Das aus dem Gratussamen hergestellte kristallisierte g-btro-
phanthin, welches neuerdings unter dem Namen Purostrophan
in Form von Tabletten zu Vz— 1 mg oder in Ampullen (1 mg in physio¬
logischer NaCl-Lösung) käuflich ist, kommt in seiner Wirkung auf das
Herz der Digitalis gleich; dieser ist es noch überlegen, da es den
Blutdruck nicht erheblich steigert, stark diuretisch wirkt und der
Kumulation fast gänzlich entbehrt; in bezug auf letztere ist Vorsicht
nur bei vorheriger längerer Digitaliskur notwendig.
Albert P 1 e h n - Berlin: Ein Beitrag zur Kenntnis der akut hämo¬
lytischen Malaria (Schwarzwasserfieber). .
Vortrag im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde in
Berlin am 4. Mai 1914, vgl. das Referat der M.m.W.
P. W. S i e g e 1 - Freiburg i. Br.: Die paravertebrale Leitungs-
anästhesie.
Als neue Begründung zur Ausführung der lokalen und ins¬
besondere auch der Leitungsanästhesie darf die C r i 1 e sehe Beob¬
achtung gelten, nach welcher jeder Schmerz, auch wenn er, weil in
Narkose ausgelöst, dem Individuum nicht zum Bewusstsein kommt,
morphologische Veränderungen in den Hirnzellen hervorzurufen im¬
stande ist. Diese Wirkung fällt bei Unterbrechung der sensiblen
Leitung fort. Da sich nach Crile aber morphologische Hirn¬
zellenveränderungen auch als Aeusserungen einer psychischen Schock¬
wirkung (Angst, Schreck u. ä.) einstellen, so erscheint es zweck¬
mässig, die einfache Lokal- und Leitungsanästhesie mit dem Dämmer¬
schlaf zu verbinden. Verf. hat 150 chirurgische und gynäkologische
Operationen in paravertebraler bzw. parasakraler Leitungsanästhesie
oder mit einer Kombination beider Verfahren durchgeführt, wobei er
nur selten und dann in sehr geringem Masse genötigt war, ein
Inhalationsanästhetikum darauf zu geben; er verwendete Novokain
grundsätzlich nur in % proz. Lösung. Kontraindikationen wurden bis¬
lang noch nicht herausgefunden; postoperative Pneumonien fanden
sich in 1,4 Proz.
Ed. Kahn und Osw. Seemann- Bonn: Schlechte Erfahrungen
bei chirurgischer Tuberkulose mit dem Friedmann sehen Mittel.
„Bei den meisten Kranken wurde das Krankheitsbild nach den
Einspritzungen verschlechtert, ob post hoc oder propter hoc, ",ar
nicht immer klar. Es kann keine Rede davon sein, dass das r r l ed-
m an n sehe Mittel die Tuberkulose heilt.“
Richard D r a c h t e r - München : Erfahrungen mit dem Fried-
mann sehen Heilmittel bei chirurgischer Tuberkulose.
Vortrag, gehalten in der Münch. Ges. für Kinderheilkunde am
19. Juni 1914, vgl. das Referat der M.m.W.
Alfred G i r a r d e t - Essen (Ruhr): Doppelte Perforation eines
Tuberkelknotens in die Aorta und die Bifurkation der Trachea.
Ein am Perikard zwischen Aorta und Pulmonalis gelegener er¬
weichter Tuberkelknoten hatte zunächst die Aorta ascendens pet^
federt und eine miliare Aussaat von Tuberkelbazillen herbeigefuhrt.
Das auf diese Weise entstandene Aneurysma spurium (extramurales
Hämatom, B e n d a) seinerseits war in die Trachea unmittelbar über
der Bifurkation perforiert, was die Veranlassung zu einer tödlichen
Blutung war. .... a
T r a 1 1 e r o - Berlin: Zur Frühdiagnose des Magenkrebses und
zur Differentialdiagnose der Achylien mit besonderer Berücksichtigung
der quantitativen Eiweissbestimmung und der Fermentabscheidungen
im Mageninhalt. , „
Es wurde eine grössere Reihe sicherer Fälle von Magenkarzinom.
Gastritis anacida, Gastritis atrophicans, nervöser Achylie und Hetero-
chylie (im achylischen Stadium) untersucht, mit dem Ergebnis, dass
einerseits selbst hohe Eiweiss- und Salzsäuredefizitwerke für die
Frühdiagnose des Magenkarzinoms keine Bedeutung besitzen, dass
andererseits niedrige, normale Eiweisswerte nicht gegen Karzinom
sprechen. Differentialdiagnostisch für maligne Achylie sind hohe Ei-
weisswerte bei niedrigen Pepsin- und Labwerten anwendbar. Ner¬
vöse Achylien sind vornehmlich durch eine grosse Inkonstanz in der
Fertnentabscheidung ausgezeichnet. „
H u i s m a n s - Köln: Eine einfache Methode, die „Herzspitze
für die Messung des Längsdurchmessers des Herzens sichtbar jifi
machen.
28. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIF
1699
Um im Rontgenbildc die Herzspitze, die häufig mit dem Magen-
schatten zusanimenfällt, deutlich abgrenzen zu können, wird emp-
johlen, die zur Untersuchung bestimmte Person zuvor 5 Stunden
fasten zu lassen, nötigenfalls ihr auch den Magen auszuspülen.
K. K aufmann- Schömberg: Zur Virulenz des Fricdmann-
sehen luberkulosemittels.
E'.n Meerschweinchen wurde mit 0,2 ccm einer frischen Ampulle 1
des rriedmann-Mittels geimpft; I od nach 20 Tagen an makroskopisch
wie mikroskopisch sicherer I uberkulose. Mit dem Milzbrei dieses
ieres wurde ein weiteres infiziert; Sektion nach 36 Tagen: schwere
I uberkulose des Bauchfells, der Leber, Milz, Lunge und der Drüsen
3 Meerschweinchen, mit Organbrei des zweiten Tieres infiziert, ver¬
enden ebenfalls an schwerer Tuberkulose.
Robert C o h n - Berlin-Wilmersdorf: Pituglandol bei Placenta
praevia.
Auf Grund eines glücklich verlaufenen Falles empfiehlt Vcrf.
bei nicht unmittelbar lebensgefährlichen Blutungen wegen Placenta
praevia auch in der Eröffnungsperiode zu versuchen, durch Injektion
unes Hypophysenextraktes vermöge der kräftigeren Wehentätigkeit
em schnelles Tietertreten des Kopfes und damit eine Tamponade der
blutenden Stellen zu erzielen.
W. Münch-Frankfurt a. M.: Heilung eines Falles von Chorioi-
uitis disseminata durch intravenöse Tuberkuproseeinspritzungen.
Das hier mit gutem Erfolge verwendete Mittel ist eine 1 prorn
wässerige Lösung von Cuprum formicicum mit einem Zusatz von
einigen ropfen Acidum formicicum pur., die in sterilisierten Am¬
pullen zu 1,1 ccm verkauft wird. Die Einspritzungen werden in
Zwischenräumen von 3 — 5 Tagen intravenös gemacht; die Dosis ist
ccm allmählich steigend bis zu 10 ccm. Bei nahezu 2000 Injektionen
konnte bisher keinerlei schädigende Nebenwirkung festgestellt werden
Doch treten meist Temperatursteigerungen ein. B a u m - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nrc ?9' .L.\ A.r?4 und W- Kerl- Wien: Weitere Mitteilungen
über Spirochätenbefunde bei Kaninchen. (Vorgetragen in der
k. k. Gesellschaft der Aerzte. Siehe Bericht S. 1535.)
P. S z e 1 - Wien: Ueber alimentäre Galaktosurie bei Morbus
Hasedowii.
7 DV erf- iaiJd unter 23 Fällen Basedow scher Krankheit bei 20 =
V ,P™Z- Galaktosurie und davon bei 18 = 78 Proz. nach 30 g
lalaktose eine Ausscheidung von über 0,4 g oft bis zu sehr beträcht-
ichen Werten (Maximum 3 g). Dagegen fand sich nur in 54,5 Proz.
extrosurie. Die Galaktosurie und Dextrosurie kommen demnach
lauhg zugleich bei einem Falle vor, es besteht aber auch häufig
lalaktosurie allein, Dextrosurie ohne Galaktosurie wurde dagegen
n keinem der halle beobachtet. Bezüglich der Ursache der alimen-
aren Galaktosurie spricht eine ziemliche Wahrscheinlichkeit für die
leteiligung der Leber.
J. S a p h i e r - Wien: Ueber Abortivbehandlung der Lues.
S. konnte von 208 abortiv behandelten Fällen 46 nachuntersuchen
35 davon stammen aus den Jahren 1913 und 1914). Von 35 einmal
sehandelten zeigen 30, von 11 mehrmals Behandelten 8 keine klini-
chen Erscheinungen und negative W a s s e r m a n n sehe Reaktion,
on den 11 aus den Jahren 1910/12 stammenden Fällen besteht bei 9
leser gute Erfolg. Die Kur bestand durchschnittlich in 3—4 Neo-
alvarsaninjektionen (Gesamtdosis 2,5 g) und Quecksilbereinreibungen
der Injektionen von Hydrarg. salicyl. Von 9 Patienten, wo die
klerose exzidiert wurde, sind 8 frei von Erscheinungen.
I h. Barsony - Pest: Beiträge zur Diagnose des postoperativen
;junalen und Anastomosenulcus.
Die diagnostischen Erörterungen lassen sich hier nicht in Kürze
uedergeben. An der Hand von 4 Fällen von postoperativem jeju-
aiem und 2 Fallen von Anastomosengeschwür betont B. vor allem
ie Gleichartigkeit der Anamnese des Jejunalgeschwürs mit der des
. pischen Duodenalgeschwüres und die Analogie zwischen dem
nastomosengeschwiir und Pylorusgeschwür.
WelemVnsky“0 e r " Wien: Schwere Phthisen unter Tuberkulomuzin
Krankengeschichte eines scheinbar aussichtslos malignen pro-
edienten Falles, bei welchem eine objektiv und subjektiv voll-
MCSSerUug er/ieIt wurde- Neberi allgemeinen thera-
-utiscl en Massnahmen (u. a. Sonnenbäder, auch einige Röntgen-
-strahlungen) wurden innerhalb 33 Tagen 10 Injektionen von Tuber-
Hiol,Z,ri7ai^eisend von bis 0,024 gegeben. Gewichtszunahme
dieser Zeit von 47,6 auf 55 kg.
^ f i a,n z * Sülzhayn: Vergleiche zwischen den Resul-
n des A b d e r h a 1 d e n sehen Dialysier Verfahrens mit Tier- und
fciischenlunge.
KrZ? das, dahin, dass durch Menschenserum
:irio.r ,i Sk C!5 Gerinngen (Kaninchen, Ziege, Meerschweinchen)
«l„cä\U yUurd<in ,als die Menschenlunge. Weiter fand sich,
iss menschliche tuberkulöse Lungen fast ausnahmslos vom Serum
r ‘ . ungentuberkulose Erkrankten abgebaut wurden, von den
E aUüSen Jed0(ih nur etwa 70 Proz- Der Abbau der tuber-
,0A\etnandder n.°.rVia,Ien funge wurde auch durch das Serum eines
Asthma bronchiale Leidenden bewirkt.
ilästina und'sjrien RelSebrief ei"eS Schiffsarztes aus Aegypten,
Wiener medizinische Wochenschrift.
Nr. 21. W. F a 1 1 a und S t e i n b e r g: Ueber eine neue Kohle¬
hydratkur (gemischte Amylazeenkur) bei Diabetes mellitus.
Ueberblick über die Theorie, Technik und Erfahrungen bei der
v. IN o ° r d e n sehen Haferkur und bei der von Blum angegebenen
Weizenmehlkur. Die Versuche der Verfasser zeigen, dass solche
Kohlehydratkuren nicht nur mit einer Kohlehydratart wirksam
aurchzufuhren sind, sondern eine ebenso günstige Wirkung auf die
uiykosurie und Ketonurie auch bei gleichzeitiger Verwendung ver¬
schiedener Amylazeen erreicht werden kann. (Tabellen.) Man kann
diese ausschliesslich in Suppenform oder auch in Back- und Teig-
waren venibreichen, auch Gemüse kann beigefügt werden, nur muss
animalisches Eiweiss völlig ausgeschlossen werden. Die Technik ist
uti allgemeinen dieselbe wie bei der Hafermehlkur. Wie bei dieser
sind jucht alle Formen des Diabetes zur Behandlung geeignet. Die
grösste Empfindlichkeit gegen (animalisches) Eiweiss pflegen die
jugendlichen Fälle zu haben.
Nr. 22. G. Singer- Wien: Aetiologisches in der Rheuinatis-
musfrage.
, a maC^ £inerrL Geberblick über die einschlägigen pathologischen
und klinischen Erscheinungen formuliert S. neuerdings seine Auf¬
lassung dahin, dass die akute Polyarthritis auf einer Infektion mit
den verschiedensten Erregern beruht; der Haupttypus, der akute
Gelenkrheumatismus wird durch eine Infektion mit pyogenen Kokken,
besonders Streptokokken hervorgerufen und ist der grossen Krank¬
heitsgruppe der Pyämie zuzurechnen.
., • Eiseisberg - Wien: Die Behandlung chronischer
eitriger Mittelohrentzündungen mit Acidum lacticum.
D , Wie durcb mehrere Krankengeschichten gezeigt wird, ist die
Behandlung mittels einer mit gleichen Teilen Wassers verdünnten
Milchsäurelösung imstande, in zahlreichen Fällen von
Mittelohreiterung die Heilung beträchtlich abzukürzen. Insbesondere
ist das Verfahren ein guter Notbehelf bei polypösen Wucherungen
wo ein radikalerer Eingriff nicht angezeigt erscheint.
B e r g e a t - München.
Englische Literatur.
(Schluss.)
Sir A 1 m r o t h, E. Wright u. a.: Die prophylaktischen In¬
okulationen gegen Pneumokokkeninfektionen und ihre Resultate
(Lancet 3. und 10. I. 14.)
Lange Arbeit über die unter den eingeborenen Arbeitern der
airikanischen Strandminen herrschende Pneumonie. Schlusssätze-
Das Blut der Eingeborenen unterscheidet sich von demjenigen der
Europäer durch seine geringere phagozytische und bakterizide Kraft
gegen Pneumokokken und durch die schwächere Immunitätsreaktion.
Diese Rasseneigentümlichkeit und das enge Zusammenleben in den
Lagern erklären die Häufigkeit der Pneumonie. Andere Momente,
wie z. B. Lokalität, spielen keine Rolle. Gegenmassregeln: 1. Früh¬
en ag n o s e, I s o 1 i e r u n g, Desinfektion etc. — alle prak¬
tisch nur schwer oder gar nicht ausführbar. 2. Ausschaltung
der Einflüsse, welche die natürliche Resistenz¬
kraft herabsetzen, ein Punkt von untergeordneter Be¬
deutung und zum Teil überhaupt unmöglich, da es sich doch um
permanente Rasseneigentümlichkeit handelt. 3. Künstliche
, f,eig e J. u n g der R e s i s t e n z k r a f t. Die Verfasser emp-
Sn»r,ieDProph,yIntische Inokulation aller Rekruten mit
10 u Ml1 • Pneumokokken und Wiederholung der gleichen Dose
nach 4 Monaten. Therapeutische Inokulationen in grossem Stile
sind vorderhand nicht ratsam, die immerhin ermutigenden Resultate
der berecht'sen aber zu weiteren Versuchen mit Dosen
von 500 Millionen.
Marcel Lab b e und Ambroise Bonchage: Die Glykosurie bei
Affektionen der Leber und der hepatische Diabetes. (Lancet, 3. I. 14.)
Verf. unterscheiden: 1. Die Glykosurie bei Zirrhose, Leberstau-
ung, -krebs; 2. bei Leberanschoppung bei übermässigem Fleisch-
genuss ; 3. den „Diabete sans denutrition“ und 4. die hepato-pankrea-
tische Zirrhose mit schwerem Diabetes. Es finden sich somit alle
Uebergange von der alimentären Glykosurie bis zum Diabetes. Die
Prognose des hepatischen Diabetes ist keine ungünstige. Die Therapie
besteht in laktovegetarischer Diät und einer Vichy-, Brides- oder
Karlsbader Kur.
Nathan Raw: Der tuberkulöse Rheumatismus. (Ibidem.)
Akuter polyartikulärer Rheumatismus der Hand- und Finger-
gelenke bei 19 jähriger Patientin mit Halsdrüsentuberkulose. Aspira-
tionsflussigkeit und Drüseneiter ergaben im Tierexperiment Perlsucht-
bazillen. T.-R.-Behandlung führte zur Besserung. Es handelt sich
bei diesen seltenen Fällen fast immer um Infektionen mit dem Tvdus
bovinus.
A. Dingwall Fordyce und E. W. Scott Carmichael-
Nasopharynx- und Drüsentuberkulose bei Kindern. (Ibidem.)
Im ersten Lebensjahr erkranken» und zwar ausschliesslich
bei künstlich ernährten Kindern, der Nasopharynx, die
lube und das Mittelohr. Später wird eine Drüsengruppe am hinteren
Biventerbauch, die ihre Lymphe vom Nasopharynx her bezieht be-
vorzugt. Die Einbruchspforte sind die Tonsillen, die bei diesen Fällen
häufig chronisch-tuberkulöse Veränderungen aufweisen. Der Prozess
fuhrt zur Schrumpfung und geht nie in Verkäsung oder Ulzeration
über. Anfalle von akuten Peritonsillitiden sind häufig und geben zur
1700
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
Verwechslung mit septischen Entzündungen Anlass. Die Invasion der
Halsdrüsen erfolgt schubweise. Später kommt es zu akuten Pert-
adenitiden und Abszessen. Die Prophylaxe ist eine Frage der Er¬
nährung (Muttermilch, Sterilisation der Kuhmilch, spater mehr ani¬
malische Nahrung, Mundpflege). Der Behandlungsplan der Verfasser
ist folgender: bei akuter Periadenitis Ruhe und Umschläge Nachher
Entfernung der Tonsillen und Adenoide. Zweimonatlicher Land-Oder
Seeaufenthalt. T.R. nur dann, wenn Klimawechsel nicht durchführbar
ist. Bei Neigung zu Ausbreitung der Infektion und wiederholten
°eriadenitisattacken ist die Operation indiziert. „
Leighton Davies: Die moderne Behandlung der Tranengangs-
obstruktion. (Ibidem.) , .
Verf. empfiehlt die T o t i sehe Operation (Herstellung einer
direkten Kommunikation zwischen Tränensack und Nase) als die
beste Methode zur Behandlung dieser hartnäckigen Aftektion.
10 Fälle
Henry Frascrund A. T. S t a n t o n: Unpolierter Reis und die
Verhütung des Beriberi. (Fig.) (Lancet, 10. I. 14.)
Verfasser fordern die Herstellung einer Reissorte, bei der Hülse
und Perikarp, nicht aber die subperika r p a 1 e Sch i c h t,
entfernt sind, und die ein Minimum von 0,4 Proz. P-’Or, enthalt. Vor¬
derhand ist dieselbe wegen Mangels an Nachfrage schwer erhältlich;
es wäre daher Aufgabe der Regierung, diesen Industriezweig durch
ausschliessliche Verwendung dieser Sorte in Gefängnissen etc. anzu-
jaornen. Eine Art von unpoliertem Reis (parboiled rice) ist zwar
vom sanitären Standpunkte aus einwandfrei, aber so unappetitlich und
schlechtschmeckend, dass sie von der Bevölkerung gemieden wird.
Casimir Funk: Wachstumsstadien: Der Einfluss der Diät aut
normales Wachstum und maligne Geschwülste. (Fig.) (Ibidem 1
Hühner, die mit rotem, unpoliertem Reis gefüttert wurden, blieben
im Wachstum beträchtlich zurück, ohne an Beriberi zu erkranken.
Inokulation mit einem sehr virulenten Hühnersarkom ergab bei den¬
selben kleinere und langsamer wachsende Tumoren, als bei den Kon-
trolltieren, auch fehlten die sonst so häufigen Metastasen. Es is
somit die Möglichkeit geboten, durch eine vitaminhaltige und des¬
wegen ungefährliche Nahrung das Wachstum normaler Organe und
maligner Tumoren zu beeinflussen.
Edred M. Corner: Eine einfache und erfolgreiche Methode zum
Verschluss perforierter Magen- und Duodenalgeschwüre. (big.)
(Ibidenü yerfa)lren> das ejnfacher und schneller ausführbar ist, als
die Naht, besteht in der Tamponade der Perforation durch ein mit
Gaze umwickeltes Gummirohr, das zur Bauchwunde herausragt.
Fistelbildung ist nicht zu befürchten.
William Gordon: Der Wert der Herzsymptome beim Krebs.
(Lancet IT. I. 14.) . .
Die Verkleinerung der Herzdämpfung in Rückenlage ist im
Zweifel von grossem Werte. Unter 50 Fällen hat Verf. nur 3 oder
6 Proz. Fehldiagnosen erlebt. Siehe auch frühere Ref. .
R J Willi an: Der Wismuth-Ureterenkatheter, Kollargol-
lösungen und Bariumsulfatsuspensionen bei der Diagnose von Krank-
heilen des Harnapparates. (Bilder and 1 Tafel.) (Lancet, 24 I. 14.)
Zur sterilen Einführung des Katheters verwendet Verf. eine
Hülse, die auf das Zystoskop aufgeschraubt wird. Er hat bisher zahl¬
reiche Kollargolfüllungen gemacht und nie irgendwelche Schädigungen
der Niere erlebt. Die Gefahr einer Ueberfüllung und sogar Ruptur
des Nierenbeckens besteht eigentlich nur bei der Narkose. \ ert.
operiert daher, wenn möglich, immer ohne eine solche, weil der
Kranke selbst am besten beurteilen kann, wenn genug injiziert ist.
Zu Radiogrammen der Blase verwendet er, weil Kollargol zu teuer
ist. eine Emulsion von 2 Teilen Bariumsulfat in 10 Teilen Ol. amygd.
dulc. Die Einführung von Silberdraht oder wismuth-impragnierten
Bougies in den Ureter steht weit hinter der Kollargolmethode zuruck.
Gustav Mann: Der Proteinstoffwechsel während des Hungerns
und nach Darreichung von Milchproteinen. (Bilder.) (Ibidem.)
Das praktische Resultat dieser theoretischen Arbeit ist, dass zur
schnellen Wiederherstellung des Zellprotoplasmas nach Hunger¬
perioden oder zehrenden Krankheiten ein purinloses, leicht verdau¬
liches Albumin nötig ist. Die idealste Nahrung ist in dieser Hinsicht
Hip Milch
W. D’Este Emery: Die Pathologie der Syphilis mit beson¬
derer Hinsicht auf ihre Behandlung. (Ibidem.)
Interessante zusammenfassende Arbeit. Verf. glaubt, dass die
bisherige Ansicht von der Unheilbarkeit der Parasyphilis nicht mehr
haltbar ist. Er hat 3 Fälle von Paralyse resp. Tabes nach Switt-
E 1 1 i s behandelt und ganz überraschende Besserungen erzielt. Dass
das Salvarsanserum infolge seines Antikörpergehaltes wirkt durtte
unrichtig sein, wahrscheinlich enthält es Spuren von Salvarsan.
Uebriges im Original nachzulesen.
Thomas Hördes: Die Vakzinotherapie vom Standpunkt des
Internisten aus. (Lancet, 31. I. 14.)
Trotz der zahlreichen Misserfolge ist der grosse Wert der Me¬
thode nicht in Abrede zu stellen. Leider ist sie bei Aerzten und auch
Patienten zur Modesache geworden und wird daher aufs Geratewohl
bei allen möglichen und unmöglichen Affektionen angewendet. Vor¬
bedingung ist aber das Zusammenarbeiten des Klinikers und Bakterio¬
logen! Es genügt nicht, einen Mikroorganismus zu isolieren und
dann den Kranken damit zu behandlen, es muss vorerst bewiesen
werden dass der betreffende Keim auch wirklich der pathogene Er¬
reger der vorliegenden Läsion ist. Andere Fehler sind: nachlässige
Fntnahme des Materials für die bakteriologische Untersuchung, falsche
Dosierung ungünstiges Verhalten des Kranken unmittelbar nach der
Einspritzung (Mangel an Ruhe, Erkältungen Menstruation) und Ver¬
nachlässigung anderer Heilmethoden. Zur objektiven Beurteilung der
Methode sind eigentlich nur die autogenen Vakzinen verwertbar; bei
Stockvakzinen sind die Fehlerquellen naturgemäss viel zahlreicher,
während die Phylakogene keinen Anspruch auf eine wissenschaftliche
Basis machen können. , . /%1 ,
A J. Bruce Leckie: Die perkutane T.-R.-Reaktion (M o r o):
400 Q^cle,^eg{^tate ginc] höchst unverlässlich. Von 96 Tuberkulosen
reagierten nur 33, von 304 nichttuberkulösen Kranken 3« und von
9 zweifelhaften Fällen 4 positiv. Am schlechtesten verhielten sich
Lungentuberkulosen; von 43 Fällen versagten nicht weniger als 34.
Die v. Pirquet sehe Probe gab zwar zahlreichere positive Re¬
sultate bei tuberkulösen Kranken, dafür aber auch zahlreichere falsche
bei gesunden Individuen. Beide Reaktionen stehen somit der Oph¬
thalmoreaktion an Verlässlichkeit sehr nach.
Hugh Lett: Die gegenwärtige Stellung der akuten Appendizitis
und ihrer Komplikationen. (Ibidem.)
2 Serien von je 1000 Fällen werden verglichen: I. S. 1900—1904,
II S 1912 _ 1913. Die Gesamtmortalität ist infolge der Frühopera¬
tionen von 17,2 auf 3,2 Proz., diejenige der akuten Fälle von 26,4 auf
4,3 Proz. zurückgegangen. Am besten war die Operationsprognose
am 1. Tage und wurde dann immer schlechter. Von den am 10. läge
und später operierten Kranken starben nur wenige, weil sich der
Prozess bis dahin bei den meisten lokalisiert hatte. Diesen Um¬
stand zugunsten prinzipieller Spätoperationen ins Feld zu fuhren,
wäre natürlich falsch. Auch die Zahl der Komplikationen ist zuruck-
gegangen und zwar von 22,9 auf 11,9 Proz. Nur die - ekundar-
abszesse waren bei der zweiten Serie sogar häufiger als früher, weil
neuerdings wenig oder gar nicht drainiert wird. Andere Komplika¬
tionen waren: Subphrenische Eiterungen, Darmfisteln, Femoralyetien-
thrombosen. Lungenkomplikationen, Darmverschluss, Pyelophlebitis,
Melaena, Parotitis und Hämaturie. J , .
H. D. Roll es ton: Die Vakzinen vom Standpunkte des Inter¬
nisten aus. (Lancet, 7. II. 14.) . . .
Verf verhält sich abwartend. Die Resultate sind bisher infolge
mangelhafter Technik und laxer Indikationsstellung _won seite der
Optimisten sehr unsicher gewesen; Vakzinen sind nur in Lallen ange¬
zeigt wo andere Methoden nicht existieren oder nicht geholfen haben.
Bishop Har man: Eine Operation zur Verbesserung des kos¬
metischen Effektes künstlicher Augen. (Bilder.) (Ibidem.)
Der kosmetische Erfolg hängt hauptsächlich von der Grosse utW
Form der Lidspalte ab und ist bei „kleinäugigen“ Individuen besser
als bei „grossäugigen“. Verf. verkleinert daher bei letzteren die
Lidspalte durch eine Tarsorrhaphie, die im Original genau beschrieben
VirdSir John Bland-Sutton: Die Behandlung der Frakturen des
Malleolus externus. (Bilder.) (Ibidem.) . ,
Die Erfolge der konservativen Therapie sind unbefriedigend,
weil das Gelenk impliziert ist, daher der Kallus störend wirkt und
ausserdem das Fragment nur schwer in guter Stellung gehalten wer¬
den kann. Verf. hat daher den Malleolus mehrfach mit gutem Erfolge
exzidiert. Aehnlich verfährt er auch bei anderen Gelenkfrakturen, m
der Operation muss 5 — 7 Tage gewartet werden, bis die Blutung aus
dem Knochen steht. , . . „
Charles Russ: Eine neue Methode zur Behandlung der ciiro-
nischen Kolizystitis und anderer Infektionen. (Fig.) (Lancet, 14 II. W
Verf. hat früher die experimentelle Beobachtung gemacht, dass
pathogene Bakterien bei Elektrolyse in NaCl sich am positiven Pol
ansammeln und getötet werden. Er hat nun diese Tatsache thera¬
peutisch bei Ulcus cruris, Koliinfektionen und Gonorrhöe mit gün¬
stigem Erfolge angewendet. Technik siehe im Original.
G. W. Spencer: Der Ductus thyreoglossus. (Lancet, 21. 11. hj
Zungenthyreoiden dürfen, weil sie sehr häufig kompensatorischer
Natur sind, rieht operativ entfernt werden. Zysten des D. thyreo¬
glossus, die bis zum Foramen caecum hinaufreichen, können nur nach
Resektion eines Teiles des Zungenbeines radikal exzidiert werden.
Inkomplete Operationen hinterlassen äusserst hartnäckige bistei-
gänge. . , „
Theodore Shennan: Die pathologische Anatomie der mensen-
lichen Tuberkulose. (Lancet, 28. II. und 7. III. 14.) X]
Schlusssätze: Die Maximummortalität fällt in Schottland zwiscye,
das 25. und 35., in England zwischen das 35. und 45. Lebensjahr. Dm
Einteilung aller Todesfälle ohne Rücksicht auf ihre Ursache nach
Geschlecht und Altersklasse ergibt bei Frauen die höchste I uber-
kulosesterblichkeit im Alter von 15—20 Jahren (52.69 Proz.) und bei
Männern im Alter von 20—25 Jahren (Schottland). Die Bevölkerungs¬
zahl und Densität der Städte scheint keine Rolle zu spielen. HyPer_
sensitivität auf Grund einer primären Infektion ist häufig die Ursache
für das Haften einer späteren Infektion, die entweder von einem
alten Herd im Körper oder von aussen herstammt. Die Infektion der
Lungen und regionären Drüsen ist meistens eine aerogene. _ ran
direktes Uebergreifen des Prozesses von den Halsdrüsen aut die
Lunge kommt nicht vor. Die rechte Lunge erkrankt öfter als die
linke. Bei Kindern ist Lungentuberkulose am häufigsten die Lome
einer Bronchialdrüsenerkrankung. Die Ursachen für die Lokalisation
der Krankheit innerhalb der Lunge sind unbekannt. In keinem Lande
der Welt ist der Typ. bovin, bei Kindern so häufig, wie in Schott-
28. Juli 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE W0CHENSCHR1E'
170
land. Ucberhaupt wechselt das Verhältnis der zwei Typen zueinander
von Land zu Land.
11 P. I airlic: Lin Vergleich der Wirkungen des Chloroform
und Aether auf den Blutdruck. (Lancet, 28. 11. 14.)
. . Chloroform führt zum Sinken des Blutdruckes (Minimumverlust
bei tiefer Narkose 10 mm Hg). Schock veranlasst ein weiteres Ab¬
fallen, der Druck erreicht aber nach Aufhören der beiden Faktoren
.seine normalen Werte sehr rasch wieder. Die Wirkung des
t-m ■ r iIS*i g5rin* und unregelmässig, beim Hinzutreten von Schock
lallt jedoch der Druck schnell und beträchtlich und erholt sich nach
der Narkose n ur sehr langsa m. Der Umstand, dass sich der
Druck in der k ritischenZeit beim Chloroform schneller wieder¬
herstellt als beim Aether, gibt dem erstcren den Vorzug bei langen
Operationen mit schwerer Schockwirkung. Bei kurzen Eingriffen mit
wenig Schock ist dagegen Aether besser.
Carl H. Browning: Die Technik der Wassermannreaktion etc.
(Lancet, 14. III. 14.)
Verf. verwendet ein Lezithinantigen, dem Cholesterin zugesetzt
lsb Ec :z teres erhöht den Antigenwert des Lezithins und führt nicht,
wie Flu eie und Embleton dies behaupten (siehe anderes Re¬
terat), zu falschen Resultaten.
P. W. B a s s e t - S m i t h : Die Agglutination von M. melitensis
iurch normale Kuhmilch. (Ibidem.)
. VeA b?,statigt zwar die Beobachtung Kennedys, dass Lon-
Joner Kuhmilch manchmal imstande ist, den M. melitensis zu agglu-
tmieren, findet aber, dass die Reaktion pichtspezifischer Natur , und
Jurch einfache Vorsichtsmassregeln leicht vermeidbar ist.
A. Rendle Short: Die Blutveränderungen bei der Entstehung
ies chirurgischen Schocks. (Ibidem.)
Obgleich ein Absinken des Blutdruckes zu den häufigsten Svm-
Jtomen gehört, ist es falsch, die Ursache des Schocks in einer
) ri m a r e n Erschöpfung des Vasomotorzentrums zu suchen. Schock
.xistiert oft bei guter Herzkraft und kontrahierten peripheren Ar¬
enen. Nach Ansicht des Verf. ist der Vorgang folgender: Die nozi-
'.eptiven Impulse erreichen das Gehirn und inhibieren gewisse Kerne
n der Nahe des 4 Ventrikels und im Kleinhirn, welche kontinuierliche
mpulse zur Erhaltung des Muskeltonus nach der Peripherie senden
)ie unmittelbare Folge ist eine Erschlaffung der Muskulatur und ein
allen des Blutdruckes. Der Tod wird verursacht durch Akkumu-
ation des Blutes in den grossen Venen und ungenügende Füllung des
lerzens. \ om Gesichtspunkte dieser Theorie aus müssen die mo-
lerne Diagnose und Therapie des Schocks als unzulänglich bezeichnet
' erden. Am meisten Aussicht auf Erfolg haben Umwicklungen der
Jvtremitaten und des Körpers mit elastischen Binden und Füllung der
lauchhohle mit NaCl-Lösung. C r i 1 e s Anoziassoziation bedeutet
inen grosen Fortschritt in prophylaktischer Richtung.
1 in 14 )A d a m s 0 n: Die Natur des Ulcus rodens. (Fig.) (Lancet,
Das U r. muss vom wahren Hautkrebs streng unterschieden wer-
en und gehört in bezug auf Lokalisation und Bau zu den gutartigen
aevoiden Geschwülsten, wie das Adenoma sebaceum und das Epi-
lelioma adenoides cysticum (B r o o k e). Es entsteht durch Prolifera-
lon von embryonalen Zellresten in der Basalschicht der Epidermis
nd stellt einen verspäteten und vergeblichen Versuch des Organis-
ius dar, neue Haarfollikel und Talgdrüsen zu bilden.
Robert McCarrison: Die Aetiologie des endemischen Kreti-
ismus, kongenitalen Kropfes und der kongenitalen Parathyreoid-
rkrankung. (Fig.) (Ibidem.)
Auf Grund früherer Untersuchungen kam Verf. zum Schlüsse,
ass die Ursache der Erkrankung im Intestinaltrakte zu suchen sei
urch Lutterung von Ratten mit den Fäkalien oder Darmbakterien-
ulturen kropfkranker Menschen gelang ihm die experimentelle Er-
eugung von Kröpfen. Von der Nachkommenschaft dieser Tiere wur-
en 4,i Proz als Kretins, 63 Proz. mit kongenitalen Strumen und
' . Parathyreoidveränderungen geboren. Es ist somit nach
nsicht des Verf. erwiesen, dass Kretinismus etc. durch den Ueber-
itt von Toxinen aus dem Darm der Mutter auf dem Embryo entsteht.
C. Mansell Moullin: Die Biologie der Tumoren. (Ibidem.)
Der Hypothese des Verf. zufolge beruht die Tumorbildung auf
3r in allen Zellen des Körpers noch schlummernden Fähigkeit zur
sexuellen Fortpflanzung. Solange die für die normalen Funktionen
)tigen chemischen Reaktionen ungestört ablaufen, bleibt diese Kraft
tent und wird erst dann frei, wenn ein störendes Element (Arsen-
ebs, Blasenkrebs bei Anilinarbeitern, Lungengeschwülste in Kobalt-
.‘rgwerken, Paraffinkrebs etc.) hinzu oder ein normalerweise nötiges
Fortfall kommt.
. )V- Crofton: Einige Ursachen der Misserfolge bei der
akzinetherapie. (Lancet, 4. IV. 14.)
* VRer/-,ist v®m Wert der Methode überzeugt und zitiert ausgezeich-
■te Erfolge bei chronischen Staphylokokken- und Streptokokken-
tektionen, Pyorrhoea alveolaris, Puerperalfieber, Typhus etc. Ur-
ichen des Misslingens sind : 1. Mangelhafte Reaktion von
- 1 1 e n des Kranken bei fulminanten Infektionen, hohem Alter,
labetes, Nephritis, Kachexie etc. erfordert eine vorsichtige Do-
" , n?; Inkorrekte bakteriologische Diagnose
nd Verwendung von Stockvakzinen. Bei Mischinfek-
JP?n1!st es besser, die Vakzine von der Originalplatte und nicht von
iDkulturen herzustellen; es bleibt dadurch die Toxizität der Mikro-
•n ungeschwächt erhalten und ihr numerisches Verhalten zueinander
ungestört. 3. Schwierigkeiten bei der Dosierung. Es
werden häufig zu kleine Dosen gegeben. Verf. fängt zwar mit kleinen
P°oen u-n’ crhoht aber selbc allmählich, besonders bei chronischen
Lallen bis zu 6000, 8000 oder sogar 30 000 Millionen. 4. Schlechte
i n t e r v a 1 1 i e r u n g. Eine neue Injektion darf erst nach Abklingen
per Reaktion folgen. Zu lange Intervalle sind besser als zu kurze;
je grosser die Dose, desto länger muss gewartet werden. Zur Ab-
schwachung starker Reaktionserscheinungen erhalten die Kranken
a!n Iage •iaJch der Vakzination 1 ccm der S z e n d e f f y sehen Jod-
Menthol-Radiummixtur.
. . 9„J,ordan: Geber die Röntgendiagnose der Lungentuber¬
kulose. (Ibidem.)
Eine Röntgendiagnose kann am frühesten erst im Stadium der
penbronchialen Infiltration gestellt werden. Typisch
Slad verwaschene Streifen („mottling“), die vom vergrösserten Wur¬
zelschatten in radiärer Richtung ausstrahlen. Die Lungenspitze wird
erst spater ergriffen. Das peribronchitische Stadium macht keine
typischen physikalischen Symptome, die Frühdiagnose ist daher nur
dur?.. Röntgenuntersuchungen möglich. Andere, wenn auch weniger
verlasshche Zeichen sind Verminderung der Zwerchfellsexkursionen
und Kleinheit des Herzschattens.
i • E™~st E- 1 y u m> Armstrong Rees, Mildred P o w e 1 1 und
Lissant Uox: Verbesserte Methoden zur Standardisierung von Bak¬
terienvakzinen in Blutzählkammern. (Bilder.) (Ibidem )
Nötig sind eine Zählkammer von 0,02 mm Tiefe, 0,18 mm dicke
Deckgläser (Carl Zeiss) und zur Färbung und Verdünnung eine
schwache Karbol-Thioninlösung. Die Methode ist einfacher und viel
genauer als die W r i g h t sehe.
Francis LI. Thiele und Dennis Embleton: Eine Methode, um
die Genauigkeit und Empfindlichkeit der Wassermannreaktion zu er¬
höhen. (Ibidem.)
Verfasser verwenden ein durch Autolyse und Extraktion aus
lierorganen gewonnenes cholesterinfreies Phosphatid, bei wel¬
chem der an ti komplementäre und hämolytische
Faktor ganz ausgeschaltet sind, und grosse Mengen
Serums. Der Antigenwert syphilitischer Lebern hängt nicht vom
Spirochatengehalt ab, sondern vom Grad der Autolyse, welchen das
ürgan durchgemacht hat. Cholesterin ist ungeeignet, da es auch bei
normalen Sera positive Resultate geben kann. Details der Me¬
thode siehe im Original.
(Ibidem3/011 Howard: Der theraPeutische Wert der Kartoffel.
.Verf- verwendet das flüssige Extrakt äusserlich bei Synovitis,
Gicht, Rheumatismus etc. und rühmt seine hervorragend schmerz¬
stillende und aufsaugende Wirkung.
Ed. Mapother und Th. B e a t o n : Die intraspinale Behandlung
der Dementia paralytica nach S w i f t - E 1 1 i s. (Lancet, 18 IV 14 )
4 Falle, mit Salvarsanserum behandelt und 5 Monate lang be¬
obachtet. Es wurden nur geringfügige Besserungen, wie sie ja auch
sonst Vorkommen, konstatiert. Gegen den Erfolg der Behandlung
spricht jedenfalls die unveränderte Intensität der Wassermannreaktion
in Blut und Liquor. Auch die anderwätrs veröffentlichten Fälle
sprechen für den Misserfolg des Verfahrens.
D. Chalmers Watson: Die Darmtoxämie etc. (Röntgentafel.)
(Lancet, 25. IV. 14.)
o ..Verf. unterscheidet 3 Formen: 1. die neurasthenische Gruppe,
2. die Arthritis deformans und 3. die dyspeptische Gruppe. Die Kot-
Stauung kann im unteren Ileuin, Zoekum und Colon asc. oder Rektum
gelegen sein. Auch das Duodenum beteiligt sich sekundär. Die innere
Behandlung ist nur im Frühstadium aussichtsvoll, bei ihrem Versagen
geben die von L a n e empfohlenen Operationen (Kurzschluss, partielle
und totale Kolektomie) in geübten Händen und nach gründlicher Rönt¬
genuntersuchung gute Resultate. Ihr bleibender Wert steht aber
gegenwärtig noch auf der Probe.
(IbidemS)Ph E Adams: Das Drainrohr in der Bauchchirurgie.
Das Drainieren der n i c h t infizierten Bauchhöhle ist illusorisch,
a sich das Rohr rasch mit Fibrin überzieht und undurchgängig wird.
Dagegen ist Drainage der Bauchdecken häufiger nötig, da diese weni¬
ger bakterienwiderstandsfähig sind, als das Bauchfell. Versuche
zeigten, dass ein bei Peritonitis eingelegtes Rohr zur Bakterienaus¬
wanderung aus dem Darm und Sekundärinfektion führen kann.
Andrew Bai f o ur: Wilde Affen als Reservoir des Virus des gel¬
ben Fiebers. (Ibidem.)
Unter den Eingeborenen West-Indiens ist der Glaube verbreitet,
dass einer Epidemie regelmässig das Absterben zahlreicher Affen in
den Urwäldern voraufgehe Verf. ist daher auf den Gedanken ge-
kommen, dass diese Tiere (red howler monkeys) möglicherweise das
Reservoir des Virus bilden und fordert zum Studium dieser Frage auf.
John Ireeman: Die Vakzination gegen Heufieber. (Ibidem)
84 Kranke wurden in den letzten 3 Jahren mit Phleum-pratensc-
Pr°Phylaktisch geimpft, und zwar die überwiegende Mehrzahl
mit völligem Erfolg. Die aktive Immunität iiberdauernt die Behand-
lung um mindestens 1 Jahr. Kranke mit hereditärer Tendenz und
schweren konstitutionellen Symptomen und Asthma reagieren besser
als solche ohne diese.
MN ciL Akute Todesfälle bei Säuglingen und Kindern
mit Status lymphaticus. (Tafeln.) (Ed. Med. J„ Januar 1914 )
Die Untersuchung einer Reihe von 2-4 monatlichen, anscheinend
1702
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3Ö.
gesunden Kindern, die plötzlich tot im Bett aufgefunden worden waren,
ergab mit grosser Regelmässigkeit akute Bronchopneumonien und
Hyperplasie des thymo-lymphatischen Systems und d®r ^remdea
Die Todesursache war somit eine fulminante Bronchitis und
Bronchopneumonie bei Status lymphaticus. Völlig identisch waren
die Befunde bei der in englischen Industrieschule
demien fulminanter Lungenentzündungen bei lö—ibjahrigen Knaben
Auch andere Infektionen (Scharlach, Diphtherie) scheinen bei Status
lymphaticus einen rapiden Verlauf zu nehmen. Es muss somit ein
ursächlicher Zusammenhang vorliegen.
Claude Ker: Die Isolations- und Quarantäneperiode bei einigen
kontagiösen Krankheiten. (Ibidem.) Apr «a„t
Verf stellt beim Scharlach die Infektiosität der Haut
schuppen in Abrede. Die Kontagiosität ist nämlich bereits vor Beginn
der Abschuppung vorhanden und kann diese lang überdauern,^
kninzidiert gewöhnlich mit den Veränderungen der Nasen-, Rachen
und Ohrschleimhäute. Die übliche Zeit von 6 Wochen kann daher bei
unkomplizierten Fällen sehr abgekürzt werden Als Quarantäne für
Kontakte genügen 5 — 6 Tage (Maximum der Inkubationszeit). Bei
Diphtherie kranken ist der bakteriologische Befund ausschlag¬
gebend. Kontakte sind, wenn 2 bakteriologische Untersuchungen
negativ ausfielen, zu entlassen (3 — 4 Tage). Die Kontagiositat . der
M a sern ist sehr kurzlebig, 14 tägige Isolierung genügt Ouarantane-
periode : 15 Tage. Der Keuchhusten ist n u r im katarrhalischen
Prodromalstadium kontagiös, eine strikte Isolierung auf der Hohe
der ffil BefaTe^kf'luberkunn. das Ra,,ona,e seiner An-
Wendung eto M^J.^ Lid den L vivo entstehenden Tuberkulo-
toxinen bestehen wichtige physikalisch-chemische
die Basis der T.R.-Therapie zu gelten haben. Die 2 Hauptbedingungen
geringere Giftigkeit und leichtere Zerstörbarkeit des Moleküls
durch die Zellen - sind beim Präparat des Verf. erfüllt. Versuche
mit Meerschweinchen bewiesen, dass es tatsächlich imstande ist, die
antituberkulösen diastatischen Funktionen der , tlcnnders
zuregen. Beim Menschen wirkt es entfiebernd, fuhrt ganz besonders
bei Knochenprozessen und intrafokaler Anwendung zur Vernarbu g
und ist somit tatsächlich ein spezifisches Heilmittel. Die Misserfolge
der T.R.-Therapie sind nach Ansicht des Verf. darauf zuruckzufuhren,
dass man durch grosse und häufige Dosen eine aktive Immunität er¬
zeugen will, was unmöglich und schädlich ist. Das T.R. muss viel
mehr als ein Heilmittel sens. strict betrachtet werden. Notig
sind: ausserordentlich kleine Dosen (Optimumdosen), vorsichtiges
Steigen und Vermeidung von Reaktionen. Je früher die I.K.-
Behandlung beginnt, desto grössere Aussicht hat sie. Kontraindika¬
tionen bilden akute Tuberkulosen und Fälle mit erschöpfter Resistenz-
lrlftWilliam Robertson: Die Isolierung beim Scharlach. (Ed.
M ^Unkomplizierte Fälle bleiben durchschnittlich nur 30—35 Tage
im Krankenhaus. Eine Vermehrung der neuen Fälle („return-cases )
ist nicht eingetreten. Fälle mit Nasen-, Rachen- und Ohrkomplika¬
tionen verbleiben natürlich länger. Das Mil ne sehe Verfahren
(Rachenpinselungen mit Acid. carbol. und Einreibung der Haut mit
Ol Eucalypt.), durch welches Komplikationen und Neuansteckungen
vermieden und die Dauer der Isolierung abgekürzt werden sollen,
erwies sich bei der H e i m b e h a n d 1 u n g einer grossen Zahl von
Scharlachfällen in Leith als äusserst wertvoll.
A. Philp Mitchell: Die Milchfrage in Edinburg. (Ed. M. J.,
AP” Die Milchproben aus 201 Läden der Stadt enthielten 41 mal
(20 Proz ) Tuberkelbazillen. Die grosse Häufigkeit boviner Infek¬
tionen bei Kindern kann daher kaum wundernehmen. Die bisherige
tierärztliche Inspektion ist unzulänglich, zumal bei der rein klinischen
Untersuchung der Kühe viele Fälle übersehen werden. Zum Ziele
kann nur die gründliche bakteriologische Untersuchung der Milch
durch das Tierexperirnent führen, die für das ganze Königreich gesetz¬
lich vorgeschrieben werden sollte. Ein weiterer Umstand, der, ob-
gleich von untergeordneter Bedeutung, unter den heutigen Verhält¬
nissen doch schwer ins Gewicht fällt, ist das Vorurteil der Bevöl¬
kerung Schottlands gegen das Sterilisieren der Milch.
Charles M’N e i 1: Die Skrofulöse oder die Hypersensitivitat gegen
die Infektion mit Tuberkulose: ihre Beziehungen zum Status lym¬
phaticus. (Ibidem.) , , . . , ...
Schlussfolgerungen: Es handelt sich bei der Skrofulöse nicht
bloss um eine Abart der Tuberkulose, sondern um eine abnorme
Konstitution oder Diathese des Körpers, welche zu einer Hypersensi-
tivität gegen verschiedene Infektionserreger, am häufigsten
Tuberkelbazillen, führt. Diese Diathese ist mit dem Status lymphati¬
cus identisch. P-
Inauguraldissertationen.
Universität Jena. Juni 1914.
Axt Georg: Statistische Zusammenstellung über die Häufigkeit des
Astigmatismus.
Bergmann Ernst: Dauerresultate nach der Alexander-1
Adams sehen Operation. a
Krünitz K. H. W.: Entzündliche Adnexerkrankungen und ihre Be¬
handlung in 511 Fällen.
Kötter Karl: Untersuchungen über die Ausscheidung des Salvarsans
im Urin bei verschiedenen Arten intravenöser Injektion.
Behrend Alfred: Ein Fall von Prolaps des kreissenden Uterus
durch eine Bauchdeckenhcrnie nebst Aulzählung ähnlicher Falle.
Kor tu in Wilhelm: Die Bedeutung der Schwangerschaft und der
Geburt für die Entstehung und den Verlauf der multiplen ^ klerose.
Universität Würzburg. Juni 1914.
Ga reis Fritz: Ueber multiple schmerzhafte Lipome mit besonderer
Rrriirksichtieung etwaiger Beziehung zur Iuberkulose.
Jaenicke Bernhard: Ueber Veränderungen des Blutes nach intra-
‘ venösen und intramuskulären Salvarsamnjektionen.
Neumann Jacques: Venenpuls und Trikuspidalinsuffizienz.
Auswärtige Briefe.
Brief aus Strassburg.
(Eigener Bericht.)
Neubau der Krankenanstalten. — Säugllngsfürsorge.
Im Monat Mai d. J. sind im Bürgerspital dahier die Arbeiten
der zweiten Bauperiode erledigt und die nichtklinische medizinische
und chirurgische Abteilung sowie die für Hydrotherapie, Heilgymnastik
und die Röntgenabteilung ihrer Bestimmung ubergeben worden D e
Gesamtkosten einschliesslich aller Nebenanlagen belaufen sich i auf
etwa 3 Millionen Mark, die chirurgische hat Raum für 240, die med -
zinische für 200 Betten. Die Abteilungen sind Korridorbauten mit
einem Pavillon für die chirurgische Abteilung als Ergänzung für an¬
steckende Krankheiten. Die Geschlechter sind flugeiweise getrennt
Untersuchungs- und Aufnahmeräume sowie die Laboratorien sind als
neutrale Gruppen dazwischengeschoben. Für die Kranken sind aus¬
gedehnte Liegehallen direkt an die Gänge angeschlossen und ausser¬
dem noch besondere frei in die Gärten gestellte Liegeplätze ur
Sonnen- und Luftbehandlung zur Verfügung gestellt. Für die medi¬
zinische Abteilung ist eine eigene Diätküche eingenchtet, die einen
Teil der Kranken mit Speisen versorgen soll Die Operationssale
können ganz unter Dampf gesetzt und so auf das gründlichste des¬
infiziert werden. Ausserdem ist ein besonderer Unterdruckraum von
Interesse, der es ermöglicht, bei Brustkorboperationen in der einen
Hälfte einen leichten Unterdrück zu erzielen trotz fortgesetzter Zu¬
führung frischer Luft. In der Abteilung für physikalische Therapie
enthält das Badehaus im Erdgeschoss einen grossen Badesaal mi
den verschiedensten Apparaten für therapeutische Behandlung und
den sonstigen zu verabreichenden Bädern, im Obergeschoss befinden
sich die Inhalationsräume sowie die für Heissluftbehandlung, im
Erdgeschoss des Röntgenhauses befinden sich Wohnungen für Arzt
und Hausmeister, im Obergeschoss die Räume für Untersuchung un
Behandlung, die auch ein Radiuminhalatorium in sich begreifen, nacn-
dem von Staat und Gemeinde ein gewisser Vorrat von Radium er¬
worben worden ist, welcher den Kranken nutzbar gemacht werden
soll Ueber beiden Häusern sind grosse Sonnenbadterrassen ange¬
legt Als Chefärzte der neuen Abteilungen wirken für die medi¬
zinische Prof. Dr. Cahn, für die chirurgische Professor Dr. Stolz,
nachdem der seitherige Dirigent Dr. B ö c k e 1 zurückgetreten ist
und für Bade- und Röntgenabteilung Privatdozent Dr. Die 1 1 e in.
Zu erbauen sind jetzt noch die Gebäude für die Ohren- und die
für die Hautklinik, deren Pläne fertiggestellt sind. Zahlenmässig wird
nach seiner Vollendung das neue Spital mit den alten Gebäuden zu¬
sammen voraussichtlich alle deutschen allgemeinen Krankenhäuser
übertreffen und in seinen Einrichtungen den besten gleichkommen.
Zu gleicher Zeit wurde die neue Säuglingsheilstatt emit
dem Mütter heim eingeweiht. Diese liegt auf dem ehemaligen
Festungsgelände vor dem Spitaltor in nächster Nähe bei den neuen
Spitalbauten auf einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Bau¬
platz. An einen dreistöckigen Hauptbau sind zwei niedrigere Seiten¬
flügel angeschlossen. Im Nordflügel befindet sich ein grosser Warte-
und Vortragssaal für die städtische Ziehkinderfürsorge. Die Raume
liegen alle so, dass die Ambulanz ein abgeschlossenes Ganzes bildet.
Im Hauptgebäude und dem Südflügel liegen zu ebener Erde Aerzte-
zimmer, Geschäftszimmer, Speisesaal nebst dem Aufnahmebad und
der Beobachtungsstation. Im ersten Stocke befindet sich das Mutter¬
heim und die eigentliche Heilstätte mit der Abteilung für kranke
Kinder und dem Raum für die Frühgeborenen und einer breiten, nach
Süden offenen Terrasse. Der zweite Stock dient dem Kinderheim,
d. h. den Rekonvaleszenten und Pflegekindern, während im Dach¬
geschoss die Schwesternzimmer und die für das Dienstpersonal so¬
wie die Wäschereianlagen untergebracht sind. Im Keller befinden
sich die Kochküche, Vorratsräume sowie die Milchküchenanlage
Zur Heizung dient eine Warmwasserheizung, die im Frühge-
borenenraum und im Operationszimmer durch eine Dampfheizung
für kalte Tage im Sommer ergänzt wird. Als Lichtquelle dient der
elektrische Strom. Die Kinderzimmer, mit Ausnahme von 4 Einzel¬
zimmern, sind durch Glaswände von den Korridoren getrennt, m
der Anstalt, deren Baukosten sich auf etwa 230 000 Mark belaufen,
können 60 Kinder und 12 Mütter Aufnahme finden.
Fragt man nun überhaupt nach den seitherigen Erfolgen der
Säuglings- und Mütterfürsorge, die in Strassburg im Jahre 1900 ein¬
gesetzt hat, so muss in erster Linie hervorgehoben- werden, dass
28. Juli 1914.
Strassburgs Säuglingssterblichkeit 1900-1913 bei den ehelichen Kin-
dtrn von 22,9 I roz. auf 12 I roz., bei den unehelichen von 30,5 Proz.
aut 12,5 Proz. gesunken ist. Man darf wohl als ziemlich sicher
annehmen, dass für diese auffallend günstigen Zahlen auch noch
andere nunde mit im Spiele sind als die seitherigen Fürsorgemass¬
nahmen; in erster Lime wohl die soziale Hebung der Arbeiterschaft
insgesamt und nicht zu heisse Sommermonate in den meisten Jahren
der Beobachtungsperiode. Prof. Dr. Würt z. der Leiter der seit-
herigen und der neuen Heilstätte vertritt die Ansicht, dass in erster
Reihe die ärztliche Kontrolle der Ziehkinder noch früher einsetzen
müsse, um das S .Ilgeschaft zu beaufsichtigen und die regelmässige
Fürsorge auch auf die Kinder verheirateter Eltern auszudehnen, ins¬
besondere auf die Kinder derjenigen Arbeiter, deren soziale Lage
6io "°i!* ^'fS soII.u/n so leichter sich erreichen lassen, nach¬
dem durch die Reichsversicherungsordnung das „Stillgeld“ eingeführt
ist. Line weitere Forderung würde darin bestehen, die Säuglings-
,nH Se,len5 ' Vf*6« fÜr Kindcr auszubauen, welche den Eltern
M ärztliche Berater bis zum Beginn des Schulbesuches
\ erschafft. Mit dem Letzteren setzt dann die schulärztliche Tätigkeit
ein und so wurde unsere heranwachsende Jugend bis zur Schul¬
entlassung ärztlich überwacht werden. Es sind dies Vorschläge, die
im ersten Augenblicke etwas weitgehend erscheinen, aber doch eine
eingehendere Würdigung verdienen angesichts der ganzen Jugend¬
bewegung, wie sie die neueste Zeit hervorgerufen hat.
A „ch^r,!ieJr ,Stras?h"T* , ir!s Auge zu fassen ein weiterer
Ausbau der Milchkuche mit Rücksicht darauf, dass die Milchver¬
haltnisse in der Stadt namentlich für Kinder und Leidende mancherlei
zu wünschen übrig lassen und ihre Verbesserung Hindernissen be
segnet, die zu beseitigen schwer fallen wird, auf die aber nicht
naher eingegangen werden soll. Eine Verbesserung wird wohl da- I
Stint F-reiiCht w.erde,n, können, dass man in verschiedenen Teilen der
^tadt Filialen einrichtet, welche eine einwandfreie Kindermilch zu
massigen Preisen verabfolgt. Schliesslich hat die Anstalt ™en Zu¬
sammenschluss aller in anderen Städten des Reichslandes bestehenden
Bestrebungen für Sauglingsfürsorge ins Auge gefasst und will eine
2.rf?n"1Sa !?n fur das ga.nze Land schaffen und dadurch die Hoffnungen
erfüllen, die man von ihrer bisherigen Tätigkeit erwartet. W.
MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
_ _ _ 1703
orh-ian™ ain " z.weifelt an dem praktischen Wert der vor-
finsätS ist M Arhle't uS‘e ei,n-fitis’ da das Probefrühstück zu
einseitig ist. „Arbeitskurven erhalt man damit nicht.
nnrhctE Ehrmann empfiehlt das Alkoholprobefrühstück. Auch
veree/ellsdiXf. i$‘ Mypersekre«°" nlpht mit Hyper-
Herr Mosse bestätigt das letztere.
Herr Skalier: Schlusswort. \ys
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 22. Juli 1914.
•iente>I,0rn1i1eLTfgeS?!'dnun.g demonstriert Herr Frank einen Pa-
Äfiw Äzle' d,e slch lm Anschlnss an e,n
Tagesordnung:
■vinkHger Ky^ho^el ' C * ° W ' SitUS der Thoraxeingeweide bei spitz-
)arie?ten0ThnraIi0n -ein%mit Eormalin-Alkohol gehärteten und prä-
n iS! aTh? d nes Menschen mit fast spitzwinkliger Kyphose
n Hohe des 7. Brustwirbels. Man sieht besonders, wie die Lungen
hre Konfiguration der Thoraxform anpassen, und wie dte fast
ei n?hh ,iiehgende linkeEunge mit ihrer Spitze in die Konkavitä
ch £' dtelÄKfr °BaS 1er? 1* '»■»«trophisch und krümmt
cS der •• * des Brastbeins hinein. Das Rückenmark passt
lenrap ^ochen.krummung ohne wesentliche Störung an. Die Sinus
H5he erhal,en'' s,e werdM "ich*
:ÄÄÄr* El" ne“r Apparat
'hneller WH^SSrte^FParaL ^ d?zu geeignet, in einfacher und
orS t lZUh e“eü' °b überhauPt eme Refraktionsanomalie
chXnHprn i d as besonders wertvoll bei der Untersuchung von
, ldern, eine Tatsache, welche Borchard an praktischen
ntersuchungen erhärten konnte. P en
ekretiorIskurtean!ler: ^ Untersuchung des Magens mittels
Ät" undUhteihf 1Sa°ind v mÜ Tantalkapsel wird in den Magen ein-
aienUfr ocb- -b *a s 7e-weiIsonde Iiegen- Alle 5 Minuten wird
r Sänrl^I UF-d, tltnert' Durch fortlaufendes Registrieren
^krotinn iF gCn ,erhaIt man Kurven, welche den Ablauf der
inne* FlüssiSSf” iaSS?n-’ kA'S Problrfrühstück dient eine homogene
" ® Massigkeit. 5 g Liebigs Extrakt in 200 g Wasser Die Be-
Ä^^agenm°tilität wird durch Titration nach Zusatz von
thaieinlösung ermöglicht. Auch über die Menge der fort-
ufenden Schleimproduktion erhält man ein gutes Urteil Demon-
ssf e?nlanreicheru ”S.ekretionskurven“, aus denen u. a. hervorgeht,
Md zu »hmbnucht düTChaUS nicht mit »yperaztdität Hand in
H?rrt/,uld we!st darauf hin, dass es, schon
ageninhalt 7,, <fpdpn Luftblasen, schwer sein dürfte, homogenen
Ssslus^ demWDanrS‘ Wird d,e Beurteilung auch durch
f GninH^cifna G ! -üterstreicht die Bedeutung der Sekretionskurven
urund seiner früher gewonnenen experimentellen Stützen.
Verein für innere Medizin und Kinderkeilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 13. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr A. B a g i n s k y.
Vor der Tagesordnung:
Herr Paderstein: Dermoidzyste der Konjunktiva.
Winkel slt ri? PpS recbten Auges nabe dem äderen
S1tzt ein Gebilde, das wie eine Duplikatur der
Stzen aber^äuüve Dermoide df Conjunktiva sind nicht selten,
ptzen aber häufiger im inneren Augenwinkel. Der Tumor enthält
t und hat eine kutisartige Kapsel. Er ist gutartig, wächst langsam
aber nicht über die Hornhaut und bedingt keine Sehstörung * Ent¬
fernung geschieht nur aus kosmetischen Rücksichten.
Tagesordnung:
hyppphe;iäreneSymp:tomDee„m0"S'ra,i0" V°n »^roKPhalusfällen ml.
in i?ezuvHymThyF^!°rSCJUngu hat Ueindeutige Resultate ergeben
in bezug auf Fettwuchs bei hypophysenlosen Tieren und
wergwuchs. Freilich sind verschiedene Krankheitsbilder be¬
schrieben worden, z B. die hypophysäre Adipositas bei Tumor der
hinteren Schadelgrube und der Vierhügelgegend, bei Hydrocephalus
an^dfp (^fningltls s^rosa)- Umber hat die allgemeine Fettsucht
aiUJ Erkrankung der Hypophyse bezogen; weniger häufig wurde
-ie bei chronischem Hydrozephalus beschrieben.
Ein kleiner Knabe mit L i 1 1 1 e scher Starre ist eine Zangen¬
geburt, er hat Hydrozephalus von Jugend auf; das Leiden ver
sch Ser nidh S wurde grösser, Kopfschmerzen und Gang
c hl echt er. Deutliche Spasmen der Adduktoren und der Beine
de? SeUaSlca Fettsucht PöntSenbild zeigt Vergrösserung
mii ?eirpweite^u^e !?at einen Scbädelumfang von 59 cm. Er kann
f™1, 3 Jabr?n nicbt laufen, spricht und hat deutliche Fettsucht, die
früher starker war. Der Balkenstich war erfolglos. Hier ist die
Sella turcica nicht verändert.
i3Hi»Her ap,Pu der Hypophyse gilt in solchen Fällen als
Ä, Streit besteht, ob der Hinterlappen oder die Pars intermedia
das Sekret liefert, welches den Zucker verbrennt oder der Fettsucht
dFlSHwaiibeitet' Man kann auch vermuten, dass die Schädigung
ebi ReknieiaPPnLS J°r d °h ?eht; gerade Hydrozephalus bfete^
l "°neis.p' , fD h-? ikret deI Pars mtermedia zieht durch den Hinter-
lappen ms Infundibulum und von da in den Liquor cerebrospinalis-
durch den Hydrozephalus wird das Infundibulum abgeknickt und die
Massen gelangen nicht in den Liquor oder bei Verschluss des Foramen
Magendie nicht in den Körper. Hier braucht die Sella turcica nicht
vergrößert, die Hypophyse nicht deutlich geschädigt zu sein. Der
Bmstg1^appen scheinf durch die anatomische Lage sehr geschützt
Ein Zwerg hatte hypophysäre Symptome, Fettsucht, wenig Be-
RpV.rUr!n’ erbobt^.n Bruck des Liquors. Wassermann positiv; nach
de? SfhR ^Urdl dnr Zustand beAs„ser- Für Hydrozephalus spricht
der erhöhte Druck, dagegen die Möglichkeit einer gummösen Er-
kränkung der Hypophyse. Kongenitale Lues führt leicht zu Hydro¬
zephalus. Der Blutzuckergehalt betrug auch hier 0 12
4‘ iTst,ein 9 jähriger Knabe; er erkrankte nach Fall auf den
Kopf vor 3 Jahren. Erhebliche Ataxie; breitbeiniger Gang Schwan¬
ken beim Umdrehen, deutliche Fazialisschwäche, Nystagmus, Abdu-
zens- und Okulomotoriusparese, Sehnervenatrophie, spastische Er
scheinungen an den Beinen, besonders links. Fussklonus, Babinski
Achillesreflexe gesteigert. Wassermann negativ, Pirquet positiv
Das Kind ist klein rhachitisch, mässiger Fettbauch. Zu denken St an
r i e d r e i c h sehe Krankheit. Hier kann Gross- und Kleinhirn er-
ty30^ h -an‘r Dagegen spricht der Zwergwuchs, auch die Fettsucht
D e Schadeiimpressionen sind sehr stark, die Nähte offen. Gegen
rT°aren MCr S,chade böhle spricht die 3 jährige Dauer des Leidens
und der Mangel an Kopfschmerzen. Stauungserscheinungen fehlen
trrUkTäSendere^enSUdeneHenHd ^h^i aucbdi^ hypophysären Symptome
erklären, ebenso den Hydrozephalus. Vielleicht besteht ein kleiner
rumor, der den Aquaduktus komprimiert und Hydrozephalus bedingt.
„ , Za betonen ist die Häufigkeit der Exazerbationen des chronischen
^yhtrShalUS;K °er ,.Balkenstich bringt keinen Vorteil. Die Wirkung
geht bald vorüber; die Ableitung bleibt nur 2—3 Monat offen Der
SSSlS? AM,°ZeSS ubleibt- , Heilung des Hydrozephalus verlangt
dauernden Abfluss. Payr leitet ihn in die V. jugularis ab andere
Vortr ^a rh eltef3 7k ins P^ncum; aber die Eingriffe sind erhebüch
vortr. arbeitet zurzeit an diesem Problem.
•n ■ • i S u U- ' 0 n-: Berr A- B a g i n s k y sah schweren Diabetes
msipidus bei Gummi der Hypophyse. ^laueics
1704
MIJENCHENEK MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
Nr. 30.
H<>rr P p r i 1 7 (Schlusswort) sah bei Kranken nie Diabetes
insiDidtis dagegen bei Versuchstieren. Bei Hydrozephalus bestehen
Diabetes imipidus ist aber eme Re.zerschet-
'^DUkus'sfon zum Vortrae des Herrn Stier: Abgrenzung und
fTÄÄ-Äwnnsd.: Ist es möglich, den Be-
griff Hdes neuropathischen Kindes mit d%d%fPds^^
.... verauicken? Hauptpunkt ist der Begriff der Uepererreg
b irkcit Herabsetzung der Reizschwelle auf allen Gebieten sensibler-
„nsnrischer Art Schon auf schwache oder mittelstarke Reize er-
Ä g&Ä bei LÄ
Be chte" ewTa. ist 'anzunehmen!1^ das^ °dfc 'tfc^n^e Reflexerreg-
U'irtfpit in Zusammenhang mit der neuropathischen Storung steht. I
sind ^ pathologisch, nicht anslösbar, Perseveratton
vm Pathologischen Gewohnheiten, Daumenlutschen Ohnmacht bei
Anblick von Blut, Krämpfe bei Uebererregbarkeit, hässliche Ang -
wohnheitem t abgrenzbar; dazu gehören nicht Triebstörungen,
Schmutzfressen, Scheu, Wutanfälle, Gewitterfurcht, das ist psycho¬
pathisch. Abzugrenzen sind ferner Störungen der Intelligen .
" Herr Peritz: Zu den neuropathischen Kindern gehören die spas-
moDhilen selbst bei älteren fällt oft die elektrische Erregbarkeit auf,
sie sind meist schlank, die Muskulatur schlaff; idiomuskularer Wulst
bei Beklopfen die Haut ist kühl. Die Kinder frieren viel, Hände und
Eüsse sind kalt, Arterien starr (hypertonische Wandspannung). Sie
zeigen Uebergang zur Epilepsie, Zwangsideen, Tik, körperlich ner-
föse Zeichen Kopfschmerzen, Unruhe, Aufgeregtheit und sehr
häufig Asthma nervosurn, das vielleicht Aequivalent früherer Glottis
krämpfc ist. Das ist erblich. Diese Kinder neigen auch zu Migräne.
Das Blutbild ist abnorm; es enthält Leukoblasten (Pappenheim),
1 vmDhozvten des Knochenmarks, Reizungszellen.
3 Herr Stier (Schlusswort) sieht nur ältere Kinder, spasmoplnle
Säuglinge "gar nicht. Zuweilen kommen Kombinationen vor, z. B.
Psychopathen mit geringem Triebleben, die nicht essen, immer Furc t
haben hitellektuell frühreif, mit Sorgen in die Zukunft sehen, Sonst
ist die Trennung durchführbar. Kopfschmerzen gehören zur Hydro¬
zephalie. Aber auch übermüdete, faselige, überanstrengte Neuro-
Pllth Eüf'uebergang zqr Epilepsie ist nicht zu finden.
Herr Falk: Zur Therapie des Tetanus neonatorum,
ln den Tropen ist Tetanus neonatorum noch ziemlich
häufig hier selten. Im Kaiser-Friedrich-Kinderkrankenhaus sah ei
3 Fälle in 4 Monaten. Die Aussicht auf Heilung ist sehr gering.
Er behandelte sie nach dem Vorschläge der Amerikaner mit sub¬
kutanen Magnesium sülfur. -Injektionen; 2 Fälle sind d^chgekommen
der dritte steht am Ende der Behandlungszeit. Meitzer emptani
zuerst Magnesium; es lähmt Muskeln und Sensibilität; Bewusstlosig¬
keit und Atemlähmung können folgen. Die tödliche Wirkung lasst
sich bei subkutaner Injektion durch Injektion von
nufheben Bei Tetanus der Erwachsenen wurde es mit Erfolg mtra-
himbsüund subkutan angewandt; im zweiten Falle war die Mortali¬
tät ü Proz. Diese Injektionen bewirken keine Atem ahmung. (Es
folgen die 3 Krankengeschichten.) Magnesium wirkt krampfhemend,
n^Beide^wlrlfen^abe^beEspasmophilie krampfhemmend. Wahr-
scheinlich sind die Angriffspunkte des Kalziums verschieden. Be
Spasmophilie erfolgt der Angriff zentral Bei Tetanus sind die An¬
sichten sehr uneinig. Auffallend ist, dass die Wirkung des Magne¬
siums bei dem ersten Falle, der keine starke Reflexerregbarkeit
zeigte besser war. Meitzer empfiehlt eine Kombination von
Aether mit Magnesia zur Narkose, weil es zentral wirke; er nimm
bei Depressionen eine Störung des Verhältnisses der Mengen van
Magnesium und Kalzium an; er machte Tiere kalziumarm und erzielte
hier mit kleinen Mengen Magnesia Wirkungen, für die er sonst grosse
brauchte. Vielleicht ist die Kombination von Chloral mit Magne-
^Vortr injizierte nur, wenn die Magnesiumwirkung zu Ende war,
d h. neue’ Krämpfe kamen; zu warnen ist vor zu hohem Fieber, weil
dieses wohl den Ausscheidungsmodus stört. Hohe Magnesiumgaben
empfehlen sich nicht im Privathause. Solche Falle sind früher durch¬
weg gestorben. Die Konzentration der Magnesiainjektionen betrug
5 _ g _ 25 Proz. Im 3. Fall, der leichter war, genügten kleine Mengen
vonkommen, ss ion; Herr Fink eist ein: Die Prognose des Teta¬
nus hängt von der Dauer der Inkubation ab. Die Falle mit langer
Inkubationszeit sind günstiger. Seine Fälle sind glatt geheilt; Magne-
sium benützte er nicht. Letzteres erzielte keine Verkürzung des
Verlaufes. Der wichtigste Vorteil ist die Ausschaltung der gefahr-
liehen plötzlichen Stösse. Seine Todesfälle erfolgten im Anfall, auch
wenn es schon besser ging. Die Prognose bessert sich jedenfalls
durch dieses Mittel. Natürlich muss man Superinfektionen (Pneu¬
monien) und Inanition in Rechnung setzen.
Herr Czerny bezweifelt, dass der Tetanus neonatorum eine
Infektionskrankheit ist. Daraus erklärt sich auch der Heilerfolg. Es
ist eine Krankheit der Neugeborenen, die in extremer Neigung zu
Muskelzuckungen besteht. Die geheilten Fälle müssen länger als bis¬
her in Beobachtung bleiben.
Herr Falk hat nicht auf Bazillen gefahndet.
Herr A. B a g i n s k y sah einen Fall, bei dem er Kitasatobaz.llen
nachwies. Der I etanus ist infektiös. Tetanus Aber der
Herr Finkei stein; Nicht jeder Fall ist 1 etanus aoer aer
echte Tetanus ist infektiös; dafür spricht die Häufigkeit in den der
Hygiene entbehrenden Tropen und die klinische Uebere.nst.mmung
mit' dem Tetanus der Erwachsenen. , , . ,
Sr eiern v: Auch In neuerer Zeit, wo der Nabel ttut be-
handelt f wird, kommt die Krankheit in den Tropen oft vor. Der
Bazillus ist bei Erwachsenen leicht fcstzustellen.
Herr Fa k: Die Kinder hatten keine schweren Darmerschei¬
nungen schleimiger Stuhl kam 2-3 mal täglich vor. Nur dieKalzium-
einsprit’zungen setzten Reizerscheinungen, einmal folgte eine Haut-
nckrose bei 25 proz. Lösung. Den 10 proz. Injektionen folgten me
Nekrosen Wichtig ist die Verhütung des Hungerns durch diese
TheraDie! Die Fütterung muss alle Viertelstunden versucht werden.
Auf der Höhe der Magnesiawirkung trinken die Kinder schlecht, Mel¬
leicht infolge einer Schlucklähmung. Krämpfe entstehen, wenn man
zu spät füttert. _ _ _
Verein Freiburger Aerzte.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. Juni 1914.
Herr Langer und Taege: Theoretische Gesichtspunkte zur
Bewert^ ^2^ ist aucjj heute noch gewissen Unsicherheiten, die sich
aus der Technik ergeben müssen, ausgesetzt, deren Kenntnis für den
Praktiker von grossem Wert ist, wenn er die t-rgeLmisse der sero¬
logischen Untersuchung sinngemäss verwerten will. Difterenzen in
der Technik der einzelnen Untersucher, wie die Anwendung von
Extrakten verschiedenster Herkunft und Bereitung können Unter¬
schiede in den Resultaten erklären. Berührung mit Watte, über¬
mässig langes Aufheben der Sera namentlich bei bakterieller Verun¬
reinigung können zu unspezifischen Hemmungen fuhren. Ein Schwan¬
ken des serologischen Befundes bei ein und demselben Patienten er¬
klärt sich durch die Erscheinung der paradoxen Sera, bachgema.se
Blutentnahme vorausgesetzt, kann der positive Befund als beweisend
angesehen werden, wobei allerdings immer berücksichtigt werden
soll, dass die kleine Reihe von nicht syphilitischen Erkrankungen
mit positivem Wassermann durch gelegentliche Befunde erweitert
werden kann, so sind die Verhältnisse etwa bei Bleivergiftung,
Angina Vincenti noch nicht einwandfrei geklärt. Aus diesem Qjailde
kann der Serologe noch nicht der offenen Mitarbeit des I rakfikers
Quantitative Bestimmungen sind im allgemeinen deshalb zweck¬
los, weil kein Parallelismus zur Schwere der Erkrankung besteht,
sie können höchstens im Einzelfalle als Sinnbild des therapeutischen
Effektes verwertet werden. • , . , „
Herr Taege besprach die Gründe für die verschiedene Beurteilung
des gleichen Serums durch verschiedene Untersucher und ist der Mei¬
nung, dass einheitliche Resultate erst erreich werden konnten, wenn
die biologische Untersuchungsart durch die chemische ersetzt werde
Er ist überzeugt, dass in unseren Breiten positiver Was^mann ein¬
deutig Syphilis bedeute, führt aber einen Fall eigener Praxis an. .in
dem völlig syphilisfreier Patient positives Serum batte das allerdings
nach 6 Wochen wieder negativ war. Negativen Blutbefund sieht er
nur dann als Gesundheitszeichen an wenn dieser sich konstant, bv
häufigen Untersuchungen, über 2 Jahre erhalt. Es gäbe aber seltc
Fälle von isolierten Syphiliseruptionen, die trotzdem negativ reagier¬
ten. Eine Lokaldiagnose bedeute der Wassermannbefund niemals,
sei aber immer eine wichtige Unterstützung der klinischen Unter¬
suchung. Zum Schluss lässt er sich aus über das prozentuak Auf¬
treten der positiven Reaktion in den einzelnen Stadien der bypniHs.
Angefeindet wurde die Untersuchung von vielen; vermissen mochte
sie niemand.
Diskussion: Herr Hauptmann: Die quantitative Au«
führung der W a s s e r m a n n sehen Reaktion hat doch entgegen den
Ausführungen von Herrn Langer, für die Spinalflussigk
schieden ihre Berechtigung. Der Liquor verhalt sich eben ander
als das Serum, von dem grössere Mengen nicht anwendbar sind, «
sie Eigenhemmung bewirken; für den Liquor hat H. ja über v
gewiesen, und vielfache Nachuntersucher haben das bestätigt, das-
eine Steigerung der Mengen angängig ist, und dass sie in
den Fällen notwendig ist, wo in den üblichen Mengen (0,2 ccm; zu
wenig syphilitische Antikörper vorhanden waren, um eine posinu
Wassermannreaktion zu erzielen. Da unspezifische Hemmungen
Vorkommen, kann jetzt auch der negative Ausfall der Reaktion de
Spinalflüssigkeit im Sinne eines Ausschlusses eines syphilogene
Zerebrospinalleidens verwendet werden, was vor Anwendung a
„Auswertungsverfahrens“ nicht möglich war. Vorsicht ist nur d
Tabes geboten, wo die Reaktion selbst bei Verwendung der 5tacr
Menge negativ ausfallen kann. Sehr wertvoll ist die Anwendum
der Methode zur Diagnose inzipienter Fälle von Paralyse und tut
cerebrospinalis. , , .... „
Eine einzige Kombination bedingt die Möglichkeit eines pos
tiven Ausfalles der Liquorreaktion, ohne dass eine syphilogene zeri
28. Juli 1914.
MDhNcHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
brospinalerkrankung vorliegt: das ist die Meningitis (tuberculosa oder
epidemica) bei einem Syphilitiker: in solchen Fällen können infolge
Jer erhöhten ermeabilität der Meningealgefässe Antikörper aus dem
Blute in den Liquor übertreten.
H. nimmt Gelegenheit, die praktischen Aerzte auf den Wert der
Liquoruntersuchung bei frischer und sekundärer Lues aufmerksam
zu machen. Auch ohne signifikante Symptome seitens des Zentral¬
ere ensvstems kann hier der Liquor hochgradig verändert sein, was
unbedingt auf ein Ergriffensein des Gehirns resp. des Rückenmarks
nnweist. Die spezifische Behandlung muss so lange fortgesetzt
\ erden, bis auch der Liquor wieder normal geworden ist, was erst
,icl später einzutreten braucht, als das Verschwinden der Haut- und
"crileimliauterscheimingen. Man riskiert bei ungenügender Behand¬
lung, - pirochaten im Zentralnervensystem zurückzulassen, die mög-
ichcrweise dann die Veranlassung werden zum Auftreten späterer
:chtsyphihtischer oder der sogen, metasyphilitischen Prozesse.
705
biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 21. April 1914.
Vorsitzender: Herr Plate.
Schriftführer: Herr y. Engelbrecht.
Herr Delbanco zeigt 1. ein 14jähr. Mädchen mit der seltenen
Ufektion der Pili annulati (Ringelhaare). Für die Haarveränderung
nden Slcj3 in. Per Literatur die Bezeichnungen: Intermittierendes Er-
rauen, Canitie annelee, Leukotrichia annularis, Trichinosis ver-
icolor. 1 ie blonden Kopfhaare erscheinen bei auffallendem Lichte
rau, die einzelnen Haare feingekörnt. Es handelt sich um ein in
estimmten Abständen wiederkehrendes Auftreten von Luft in der
larksubstanz. An den lufthaltigen Stellen wird eine Verdickung des
aares vorgetäuscht, welches in seiner ganzen Länge den gleichen
iCKendurchmesser hat. Die Affektion verläuft symptomlos, ist einer
herapie nicht zugangig. D. demonstriert eine Abbildung aus U n n a s
iternationalem Atlas seltener Hautkrankheiten von Unnas Fall,
elcher mit einer Leukonychie vergesellschaftet war. Die Literatur
ndet sich in Josephs ,, Haarkrankheiten“ zusammengestellt
2 Zeigt er einen 19 jährigen Menschen mit einer Anzahl von aus-
eilenden Herden der Alopecia areata. Pat. war wegen bedrohlichen
s, es m Eppendorf operiert worden. Ein Talma mit nachfolgender
alvarsan-Hg-Kur hat ihn bedeutend gebessert. Bei der Operation
ar .j!ie Leber derb und grobhöckerig befunden worden. Unter der
rezitischen Therapie waren die bis dahin einer Beeinflussung nicht
rgangigen, seit langem bestehenden Herde schnei! der Heilung ent¬
egengebracht worden. Analog einer früheren Beobachtung ausge-
■ Alopecia-areata-Herde bei hereditärer Lues (Dermat Wschr
109) nimmt D. auch in diesem Falle einen Zusammenhang der
yphilis mit der Haaraffektion an und damit ihre trophoneu-
otl.s.?he bzw. nervöse Grundlage. Die Anhänger der
irasitaren Theorie müssen ihrerseits annehmen, dass die zufällige
omplikation so hartnäckig sei, weil sie auf geschwächtem Terrain
3. berichtet er über einen höchst instruktiven Fall von Tricho-
lomame bei einem 16 jähr. Mädchen. Das keinerlei hysterische
iichen auf weisende, ernste und arbeitsame Mädchen verlor wieder-
)" samtliche Zilien und Augenwimpern über Nacht Die
atientin sah in ihren wimper- und zilienfreien Zeiten, während
elcher eine ganze Anzahl von Aerzten konsultiert wurden, sehr
itstellt aus D. selbst, der von dem Verdacht einer artifiziellen
-tiadigung zuruckgekommen war, konsultierte Felix Pinkus in
,m- welchem auf Grund sorgfältiger Studien der Haare und Fol-
•elmundungen der Nachweis der traumatischen Aetiologie gelang
Patientm ist jetzt im bleibenden Besitze ihres Haarschmuckes,
mallend bleibt, dass Patientin die Abkapming der Haare an den
istrittsonnungen ohne Verletzungen der Haut gelang.
Diskussion: Herr Plaut bemerkt, dass differentialdiagnos-
cn kaum Verwechslungen Vorkommen können, da alle anderen
urabnormitaten wie Pili laqueati, Aplasia pilorum moniliformis,
lUiomycosis palmellina und Trichorrhexis nodosa Knotenbildung
er unebene Konturen erkennen lassen, während bei der vorliegen-
n Affektion die Ränder der Hare absolut gerade und glatt er-
oeinen. Das fleckweise Ergrauen ist äusserst selten, was schon
raus hervorgeht, dass von den wenigen Publikationen, die darüber
■stieren, mehrere über denselben Fall gemacht wurden und zwar
naaren, die in der Anatomie in Greifswald aufgehoben werden.
' . er kurzen Besprechung der praktisch am wichtigsten Trichor-
-xis nodosa macht P. darauf aufmerksam, dass in der Literatur
•nrtach behauptet wäre, dass sich dieselbe Affektion, Zersplitte-
^VOrgf,nge lu.cb in toten Haaren, besonders Rasierpinseln, ab-
een sollen. Die Ansicht besteht zu Recht. Plaut demonstriert
h° ,PinseI und ein mikroskopisches Präparat davon, das ab-
ui aen Bildern entspricht, die man gewohnt ist, bei trichorrhek-
-nen Schnurrbarthaaren zu sehen.
t ^ a * bemerkt zu der von Delbanco erwähnten Alopccie
iiaire, dass sie seinen Erfahrungen nach eine bedeutende Rolle in
• Cp-n ie ^er Area Celsi spiele. Er führt mehrere hierher ge-
ige falle an und macht besonders darauf aufmerksam, dass auch
ischinen zur Korrektur der Stellung der Zähne bei Kindern Ver-
anlassunji zu zirkumskripten Kahlheiten der Kopfhaut geben können
Fällen^0 nev twe!llger Herausnahme der Haarwuchs in manchen
rauen schnell wieder vollständig wird.
lollvlarn H 3 " s ! " K demonstriert ein Blutpräparat mit zahlreichen
w S , ’i nCS nCI e'nem FaM von Perniziöser Anämie ge-
3 " ^ ^er Pat. hatte s‘ch anfangs bei Behandlung mit
Salzsaureptpsin und Natr. cacodylicum etwas gebessert und an Ge-
wesentlirher,f-men ’obwohl, der Hämoglobingehalt des Blutes nie
A usstrich nrf r-? fCn Wf U,nd nur Kanz vereinzelte Erythroblasten in
d Mn t Befunden wurden. Da der Zustand sich nach
gemacht DnnSn ? verschlechterte, wurde die Milzexstirpation
Lmn nn r ilezf Cme Ausschwemmung enorm zahlreicher
zei f i fenden ^leKaIob,asten ein und neben vielen pyknotischen und
oder /n mph Kerncn traten massenhaft Jollykörper auf, die einzeln
\ m einem roten Blutkörper lagen. Dieser Befund
stimmt gut überein mit den jüngst von D e c a s t e I 1 o beschriebenen
erreiSra EffCkM T£rd? dur.ch die Milzexstirpation nicht
sub finem ^e‘terer Medikation mit Natr. cacodylicum und einer
war der Fvftnc a“\ vorgenommenen direkten Bluttransfusion
war der Exitus letalis nicht zu vermeiden.
Veriinf SHkusS‘0nJ Herr Römer berichtet über den weiteren
yories elHen VF"ii'hm Im Aerztlichen Verein vor einigen Monaten
E?nfr HeShJ ef Mllzexst>rpation bei perniziöser Anämie,
andere dhpfindPt 4 Mo.nate !lach der Operation gestorben, der
Frufeube ndet S1C-h z,urzeit w°hl und bietet das typische Bild der
Erkrankung in weitgehendem Remissionsstadium. Hinsichtlich der
SngUdnegrenffi?ed- Mdz,exsti.rPati°u wurde ein ganz auffallender Rück-
garig der für die Erkrankung charakteristischen Allgemeinsymptome
^seUn?neheev; F^°r eX HTinfälli^keit) festgestellt &ne
wesen liehe Vermehrung der roten Blutkörperchen trat in dem tödlich
IehrJaheeHedetn FHa VTChn ein-ebenso stieg die Hämoglobinmenge nicht
ohiekfiS 7endf, G1^Ichw,(?hl war die subjektive Besserung und die
objektive Zunahme der allgemeinen Frische sehr deutlich. Auch in
diesen Fallen traten im Blute sehr grosse Mengen von kernhaltigen
roten und von Jollykorperchen auf, dagegen war bemerkenswert die
geringe Veränderung in der Zahl der übrigen myelogenen Zellen. R.
st daher geneigt an2imehmen, dass die Milzexstirpation in erster
V’n‘e n^t einen Plastischen Reiz auf das Knochenmark ausübt, son-
rneWdn H d‘eSD die , Fah '5keit verliert, die jugendlichen Zellen zu-
ruckzuhalten. Bezüglich der Jollykorperchen weist R. darauf hin.
dass ihre Deutung als Kernreste nicht gesichert ist. In Anbetracht
der günstigen Wirkung der Milzexstirpation auf das Allgemeinbefinden
der Kranken ist die Operation bei der perniziösen Anämie im Rezidiv
zu empfehlen.
f: ”^B°nrn,Ste,in bemerkt- dass der Milz ein Einfluss auf den
- genstoffwechsel zukommt. Durch die Milzexstirpation wird die
Eisenausfuhr gesteigert, weil ein Eisendepot ausgeschaltet wird.
Herr Han sing: Schlusswort.
Herr Dettlefsen zeigt ein Pleuraendotheliom mit Metastasen
nn Femur, das klinisch diagnostische Schwierigkeiten geboten hat
ns tand sich keine Verdrängung von Trachea oder Herz, kein
hämorrhagisches, sondern hellgelbliches Exsudat ohne Tumorzellen
und kein Sputum. Die Metastasen, welche das ganze Knochenmark
FrLnlnen FeTr o!r^?,e,tzten’ traten auf dem Röntgenbild nicht in
Erscheinung, das Blutbild war nicht verändert.
Herr Fahr demonstriert einen Fall von Hirschsprung-
scher Krankheit bei einem Erwachsenen, einem alten Mann von
Jahren. Es bestand ausgesprochenes Megasigmoideum, S romanum
und oberer Teil des Rektums waren enorm erweitert (Breite des
aufgeschnittenen S romanum 23 cm), die Muskularis war sehr stark
hypertrophisch. Tod an Peritonitis infolge perforiertem Dehmmgs-
geschwur. Anamnestisch war angegeben, dass der Pat. oft 5—8 Tage
keinen Stuhlgang hatte. Wegen starker Abmagerung des Pat. war
fi hltSeC a-ZUD”CrSt 3n *Cm Karzino/m der Flexur gedacht worden, doch
führte die Röntgenuntersuchung (Dr. H a e n i s c h) schon klinisch auf
die richtige Diagnose.
An der Hand des Falles werden die beiden Formen der Hirsch-
sprungschen Krankheit (angeborene und erworbene) besprochen
und die Chancen einer chirurgischen Therapie kurz erörtert.
ce„- * ' U a-S ' c n ' berr S i m m o n d s hat vor kurzem zwei Kinder
hen Üe ^Erscheinungen der H i r s c h s p r u n g sehen Krank-
hed geboten hatten Bei einem derselben fand sich keine Erklärung
für die Darmveranderung. bei dem anderen — einem 1)4 jährigen
Knaben — eine stenosierende Geschwulst am Sigma, die sich mikro-
skopisch als tuberkulöser Natur erwies. Bei älteren Individuen hat
er ebenfalls mehrmals ein Megasigma angetroffen. Eines derselben
zeigte dabei . chleimhautnekrosen, die beiden anderen waren infolge
orsion des Megasigmoideum an Ileus zugrunde KCgan&cti.
Herr Schmidt (a. G.): Ueber entgifteten Kaffee.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 18. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr Strohe.
Schriftführer: Herr Eug. Hopmann.
Herr Grimm demonstriert 4 Kinder mit B a r I o w scher Er¬
krankung.
1706
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
Herr Frangenheim zeigt 3 Kinder, die wegen a“sser®r
Tuberkulosen an der Klinik von Roll1 er (Eeys,n’ Schweiz) be¬
handelt und geheilt worden sind. Die Kinder hab®" b * '
heblich zugenommen. Allgemeinbefinden ausgezeichnet. Dauer
der Behandlung 1 Vs — 2 Jahre.
1. Mit 21 Fisteln nach Leysin geschickt, die zum Teil durci
spontane Perforation von tuberkulösen Abs z e s s e n
entstanden, zum Teil nach Resektionen zuruckgebheb« enn7S'
Die Fisteln: beide Ellbogen, beide Fuss-, beide Handgelenke «"d zahl¬
reiche Fingergclenke sind geheilt und vernarbt, ein Ellbogengelenk
ist versteift, beide Talokruralgelcnke und der rechte Zeigefinger
zeigen infolge vorhergegangener Resektionen Schlottergelenke.
2 Kerato - Conjunctivitis tubcrculosa, Jo c h -
bein-, Fusswurzeltuberkulose. Dass Fussgelenk ist be-
v eglich ge p e n t u b e r k u 1 o s e, Hauttuberkulose a m
Rücken und Tuberkulosebeider Fussgelenk e, ein russ-
gelenk in Spitzfussstellung ankylosiert.
Herr Hoppe: Demonstration eines ungewöhnlich schweren
Falles von frischem, follikulärem Trachom bei einem 13 jähr. Schüler.
Der ganze Bindehautsack beider Augen bildet Reihen von Wülsten
mit dicht aneinander gedrängten Trachomfol hkeln. Die Bindehaut des
Oberlidknorpels zeigt zahlreiche flache Follikel. Ansteckungsquelle
nicht sicher ermittelt. Hygienische Verhältnisse der Familie an¬
scheinend gut. Eltern und alle 5 Geschwister völlig augengesund,
in der Schulklasse sollen mehrere Kinder augenkrank sein und täglich
behandelt 3 h e n hält einen Vortrag über Wirbelsäulenverletzung.
Sitzung vom 25. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr Strohe.
Schriftführer: Herr Schickendantz.
Herr Hochhaus demonstrierte: 1. ein mikroskopisches Prä¬
parat von dem Blute eines Falles von Bleivergiftung, in dem sich die
sog. basophilen Granulationen in vielen roten Blutkörperchen nach-
weisen Hessen; dann von demselben Kranken ein Praparat vom
Zahnfleischsaum, welcher in den Papillen sehr schon starke Blei¬
anhäufung zeigte.
2. besprach er einen Fall von Typhus, der in der Rekonvaleszenz
eine embolische Pneumonie akquirierte, wobei sich in dem blutigen
Sputum massenhaft Typhusbazillen nachweisen Hessen; diese Er¬
scheinung dauerte mehrere Wochen, bis die Lungenaffektion ganz
ausgeheilt war.
3. hielt er einen Vortrag über Polyneuritis, in dem er die ver¬
schiedenen Formen und die verschiedene Aetiologie derselben aus¬
führlich darlegte und durch Demonstration zahlreicher einschlägiger
schwererer und leichterer Krankheitsfälle erläuterte; besonders wies
er hin auf die häufig vorkommenden, leichteren Formen der Alkohol-
neuritis, welche sich meistens nur durch Schmerzen m den Beinen,
besonders in den Unterschenkeln, durch Wadenkrämpfe, IDruck-
empfindlichkeit der Nerven der unteren Extremität und der Waden-
muskulatur, sowie durch leichte Schwäche der Beine äussern. Die¬
selben werden meist als Rheumatismus angesehen und demgemäss
behandelt; die richtige Diagnose, besonders auch die Aetiologie muss
ausser durch die obengenannten Symptome noch durch anderweitige
Zeichen des Alkoholismus gestellt werden.
Herr Beltz: Die Pneumokoniose im Röntgenbilde.
Das Röntgenbild der Lunge ist im allgemeinen nur im Verein
mit den übrigen Untersuchungsergebnissen mit Nutzen zu verwerten,
ln ätiologischer Hinsicht bringt es uns nur sehr selten voran. Dass
auch rein anatomische Rückschlüsse durchaus nicht so leicht und
sicher gezogen werden können, wie man a priori vermuten möchte,
zeigt am besten der langjährige Streit um das anatomische Substrat
der Lungenzeichnung Der Ansicht von Schut, dass wir von einem
absolut normalen Lungenröntgenogramm wohl nur äusserst selten
reden können, dürften sich die meisten Kliniker anschliessen. Die
mit der ständig zunehmenden Verbesserung der Technik immer sub¬
tilere Einzelheiten zeigende Röntgenplatte musste zu diagnostischen
Spitzfindigkeiten führen und es ist nur auf Grund grösserer Erfahrung
möglich, die Grenze zwischen noch normalem und pathologischem
Befund ’im Röntgenbilde zu ziehen. Krankheitszustände, bei denen
dem Röntgenverfahren die absolute diagnostische Ueberlegenheit
zuerkannt werden muss, gibt es daher nur wenige. Hier ist zunächst
zu nennen die Miliartuberkulose, die, wie nunmehr zahlreiche Beob¬
achtungen gezeigt haben, eine überaus charakteristische Röntgen¬
platte gibt schon zu einer Zeit, wo nicht nur ein physikalischer Befund
über den Lungen noch vermisst wird, sondern auch die bekannten
Allgcmeinsymptome, die hochgradige Zyanose und Dyspnoe, noch
fehlen. Die ersten von Miliartuberkulosen gewonnenen Röntgenbilder
wiesen eine netzartige, marmorierte Zeichnung auf. Bei der heute
auf Bruchteile einer Sekunde reduzierten Expositionszeit zeigt die
Platte der Miliartuberkulose eine feine Tüpfelung und wir müssen
diese feinen Schattentüpfel als den Absorptionseffekt der einzelnen
Tuberkel betrachten. Bei der Demonstration derartiger Bilder auf
dem Röntgenkongress vor 3 Jahren machte einer der Diskussions¬
redner (Wolf f) darauf aufmerksam, dass das Bild der Miliartuber¬
kulose verwechselt werden könne mit dem Röntgenbefund eines
anderen Zustandes, nämlich mit der Steinhauerlunge. Auf diese
Aehnlichkeit hätte schon die Erfahrung am Sektionstisch hmweisen
können wo früher die kleinen, derben Knötchen der Ste.nhauerlunge
häufig mit miliaren Tuberkeln verwechselt worden sind. Der Vortr
gibt sodann einen kurzen Ucberblick über die Pathogenese und Klm.k
der Pneumokoniosen.
Die demonstrierten Röntgenbilder stammen von Kranken, die
zum Teil der Klinik zur Beurteilung ihrer Erwerbsfahigkeit über¬
wiesen waren. Es handelte sich um Leute die in ihrem Beruf der
Gefahr der Staubinhalation in besonderem Masse ausgesetzt waren,
meist um Bergleute, die allerdings zum Teil schon lange, bis zu
10 Jahren, nicht mehr unter Tag tätig waren. Die Beschwerden der
Kranken wraren in allen Fällen die gleichen und bezogen sich auf
mehr oder weniger erhebliche Atemnot mit geringem Husten und
meist spärlichem Auswurf, der einige Male eine grau-schwarzhche
Verfärbung aufwies. In allen Fällen war der klinische Befund über
den Lungen ein ausserordentlich dürftiger: neben einem dem Alter
entsprechenden Emphysem — es handelte sich durchweg um Männer
in den 50 er Jahren — wurde die Lunge meist v0Hig n°rmal gefrmden.
nur einige Male ein leichter, diffuser Katarrh festgestellt. Das
Röntgenbild zeigte nun in allen Fällen eine mehr oder weniger
gleichartige Veränderung, die mit der für die Miliartuberkulose be¬
kannten eine grosse Aehnlichkeit hat. Auch hier sind beide Lungen¬
felder übersät mit kleinen Stecknadelkopf- bis reiskorngrossen
Schattenherdchen, die hauptsächlich die Flügelfelder und das obere
Dreieck, bei vorgeschritteneren Fällen auch das untere Dreieck, ein-
nchrnen. dagegen in auffallendem Gegensatz zur Miliartuberkulose das
Spitzenfeld stets frei lassen (ich folge hier der von Schut m seiner
sehr lesenswerten Arbeit über „die Lungentuberkulose im Rontgen-
bild“*) vorgeschlagenen Bezeichnung der einzelnen Lungenbezirke, die
mir zur gegenseitigen schnellen Verständigung als ausserordentlich I
zweckdienlich erscheint). I
Als weiteres differentialdiagnostisches Merkmal gegen Miliar-
tuberkulöse ist hervorzuheben, dass die einzelnen Schattentupfei in
ihrer Grösse variieren, wie das besonders auf Fernbildern (1/a— Zm
Fokusplattenabstand) mit ihrer schärferen Projektion deutlich wird.
Die Eisenstaublunge zeigt eine grössere Schattemntensitat der meist
sehr kleinen Tüpfel, als die Kohlenstaublunge mit ihren meist gros¬
seren und unregelmässiger begrenzten Schattenherdchen. Verwech¬
selt werden könnte das Röntgenbild der Staubinhalationslunge mit
einer ausgesprochenen peribronchitischen I uberkulose im Anfangs¬
stadium (Demonstration eines entsprechenden Bildes). Bemerkens¬
wert ist die auffallend seltene Komplikation der Kohlenstaublunge mit
Tuberkulose, worauf erst kürzlich Lubarsch ) aufmerksam machte.
Ganz anders verhalten sich hier die übrigen Staubarten, die meist
zu einer Disposition für Tuberkulose führen. Wahrscheinlich ist dieses
verschiedene Verhalten dem Tuberkelpilz gegenüber von der Häufig¬
keit und Intensität des begleitenden Katarrhs abhängig. (Eine aus¬
führliche Mitteilung mit Röntgenbildern erfolgt in den Fortschr. a. d.
Geb. d Röntgenstr.).
Diskussion: Herr K 1 e w i t z : Ich glaube, dass im allge¬
meinen eine Unterscheidung zwischen Pneumokokkiose und Miliar¬
tuberkulose möglich ist. Die einzelnen Flecken bei Pneumokoniose
sind grösser und zackiger als bei der Miliartuberkulose. Ich erlaube
mir eine Lungenplatte eines im Kohlenbergbau beschäftigt gewesenen
Steigers zu zeigen, die einer Beobachtung aus der letzten Zeit ent¬
stammt (Demonstration); bei oberflächlicher Betrachtung wäre eine
Verwechslung mit Miliartuberkulose wohl möglich, bei genauerem
Hinsehen sieht man aber doch, dass die einzelnen Schattenflecken
grösser und zackiger wie bei Miliartuberkulose sind. Auffallend isi
der geringe Hilusschatten; indurierte Drüsen sind nicht nachweisbar.
Ob die konfluierenden Herde tuberkulöser Natur sind oder broncho-
pneumonisch. dürfte kaum mit Sicherheit zu entscheiden sein; im vor¬
liegenden Falle sprach anamnestisch manches für eine Komplikation
mit Tuberkulose. Der klinische Befund war auffallend gering; durch
die physikalische Untersuchung Hess sich die Diagnose nicht stellen.
_ ich glaube nicht, dass auf den Platten von Miliartuberkulose tat¬
sächlich die einzelnen Knötchen dargestellt wurden, es handelt sich
meiner Ansicht nach um eine Summationswirkung mehrerer in der
Strahlenrichtung getroffener Knötchen. Für diese Annahme scheint
mir auch der eine von A c h e 1 i s (M.m.W. 1910 Nr. 36) veröffentlichte
Fall zu sprechen, bei dem röntgenologisch die Diagnose Miliartuber¬
kulose gestellt werden konnte, autoptisch aber erst durch die mikro¬
skopische Untersuchung die Diagnose bestätigt werden konnte; das
Röntgenbild kam hier wohl sicher durch Summationswirkung
mehrerer feinster, nur mikroskopisch nachweisbarer Knötchen zu¬
stande.
Was die Hilusschatten anbelangt, so kann ich auf Grund unseres
Materiales bestätigen, dass die Entscheidung, ob noch normal oder
schon pathologisch, oft schwierig ist; das liegt zum Teil auch daran,
dass wir völlig normale Röntgenbilder der Lungen nur selten zu ue-
sicht bekommen.
*) Brauers Beiträge zur Klinik der Tuberkulose 24 S. 145.
•*) Virch. Arch. 213. H. 2 u. 3.
28. Juli 1914.
MUKNCHENKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHKIP
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Marchand.
Schriftführer: Herr R i c c k e.
Diskussion über jMesothoriuinbehandlung.
jj .Ufr, Lj 1 1 a u e r demonstriert 2 Uteri krebskranker Frauen,
die ^ Radium resp Mesothorium behandelt worden sind; im Er¬
gebnis der der Strahlenbehandlung vorausgeschickten Abschabungen
™d^f Man tP1u.che Krebsbilder festgestellt, während in den
nach 8 wöchiger Bestrahlung exstirpierten Gebärmüttern nichts kar-
zinomatoses mehr zu finden war (Prof. K o c k e 1).
. . P'e Kranken, welche der Strahlenbehandlung zufallen, sind 1. die-
jenigen, welche sich nicht gerne operieren lassen wollen; 2. diejenigen,
\\e tlic wir nicht operieren wollen (multiple Karzinome, schwerkranke
Individuen); 3. diejenigen, welche wir nicht operieren können; 4 die-
{“«"• fWC Ch? oper'ert sipd und durch die y-Strahlen vor Rezidiven
bewahrt werden sollen. Ob Krebsfälle, die der Operation noch zu-
gangig sind, künftighin mit Radium bestrahlt oder operiert werden
sollen, ist schwer zu entscheiden. Wenngleich im Vergleich zu früher
die Erfolge der Operation vorzüglich sind — Zweifel hat bei
-nepU«kanin0mv ^ervix und Portio) nur noch 4 Proz. Mortalität und
aO 1 roz. Dauerheilung — , so darf doch nicht verkannt werden, dass,
weil nur ca. 5U Proz. der Uteruskrebse operabel sind, die absolute
SÄr 2°P PTOuZ- ,beträgt: das ist ein schlechtes Schluss!
ergebms. Will man herausbekommen, ob bei Mesothoriumbehandlung
das Gesamtheilungsprozent ein besseres ist, als bei der Operation
was nach unseren bisherigen Erfahrungen zu hoffen ist, so darf man
^CrhnHiChL^aulltP"nnUuen,.m2Perable FalIe anzugreifen, sondern muss
gerade solche Falle bestrahlen, die nach unserer Erfahrung bei
operativer Behandlung die besten Resultate ergeben. Wer vorsichtig
tastend vorgehen will, L i 1 1 a u e r gehört selbst zu diesen Opera¬
teuren, die von der einen Partei gewissenhaft, von der anderen be¬
quem genannt werden, der mag vorläufig seine gut operablen Fälle
weiter mit dem Messer angreifen, solchen Männern jedoch wie
B u t “i. 1,° d,C r J e 1 n ur|d K r ö n i g, die, auf dem höchsten Gipfel
T/pChnik stf.hend’ S'ch als überzeugte Anhänger des Mesothoriums
von der operativen Krebsbehandlung gänzlich abgewandt haben, ge¬
bührt unsere Anerkennung.
, Berr Reineke betont, dass die Frage, ob operable Karzinome
noch operiert oder nur bestrahlt werden sollen, vom chirurgischen
?K?U"kt a,US anders, z,u beurteilen sind, als von dem des Gynä¬
kologen, weil die Verhältnisse bei den meisten chirurgischen Kar¬
zinomen weniger günstig liegen. Viele der dem Chirurgen in die
Irl !?6" 6" Karzinome z. B. die der Mamma und des Magen-
arh Hpr SrwbeP- ZWai: durchschnittlich schlechtere Heilungsresultate
lach der Operation als das Uteruskarzinom, und das müsste uns
'm,nt Cr veraflassen> die ausschliessliche Strahlenbehandlung mit
grosser Begeisterung aufzugreifen, andererseits fehlt es aber noch
ast ganz an Beweisen dafür, dass operable Karzinome der genannten
ningen sind* ^ Bestrahlung mit Sicherheit zum Verschwinden zu
rii Be/v,fSifherate ^eg fü,r, chirurgische Fälle ist heute die Operation
iJ acilfo,sender Bestrahlung. Besonders hervorzuheben ist, dass
i 'VeaBes r,?h lung sebr enersisch sein muss und ebenso
lurchgefuhrt werden soll, als ob das Karzinom noch vorhanden wäre-
onst bekommt man trotzdem Rezidive. ’
ler S^,lei nKek5.besp7cbt da"n noch die Frage der Reizwirkung
eht\iio !n«3Uber -rief in,leiZter /eit so v,el gesprochen wird. Er
ebt d e auffällige Tatsache hervor, dass es experimentell auch an
en günstigsten Objekten (Pflanzen) sehr schwer ist eine Reiz
?1.! demonstrieren. Untersuchungen an einer Reihe von
tianzen können leicht eine Reizwirkung Vortäuschen, während es
Jicrhl "2 Schwankungen des Längenwachstums innerhalb physio-
:’g‘^be Bweit,e. handelt. Einwandfreie Reizwirkungen haben nur
M ° 'is..c h. S t o k 1 a s a u. a. gesehen, während die Unter!
!2ü?a8n " v°n .K ormcke und eigene Versuche fast ganz negativ
i.sgefalien sind. An tierischen Objekten (Askarideneiern) hat nur
rnL3HUSDBar- ,0W deutliche Reizwirkungen bekommen. Die
rage der Reizwirkung scheint also doch nicht so einfach zu liegen
ls es meistens hingestellt wird.
Herr Heineke demonstriert dann noch eine 20 jährige Frau
ntsteS SeiH3Tu Jahren bestehenden, nach einem kleinen Stoss
ntstandenen Hautkarzinom an der Schläfe.
B-T,hies; Hy Die Frage, ob die Mesothorium- und
r nr iS ra den eine elektive Wirkung auf die Tumorzcllen haben,
Pr^h n*,chS entscbieden. Zu diesem Kapitel möchte ich Ihnen
■ilpn n demonstrieren und kurz die Krankengeschichten mit-
' uUas trstf Praparat stammt von einer 58 jährigen Patientin,
irere Kinder geboren hat. Wegen eines inoperablen Uterus-
irzinoms war sie von anderer Seite vor 6—8 Wochen dreimal mit
lesothorium bestrahlt worden. Dabei stellten sich in der rechten
. unc überhaupt im Abdomen starke Schmerzen ein, die wohl
V g jachliessen. aber bis zum Beginn dieses Monats nicht gc-
waren. Die Pat'entin wurde so matt, dass sie fast immer
f flm ■?. pi ei? mussje- Am 3. VI. kam sie zu mir, mit folgendem
Es bestanden starke Oedeme an beiden Extremitäten,
1707
weniger am übrigen Körper, doch auch im Gesicht und am Thorax
Mnskepi!n!!1nSR:CSPrPChines 0udem vorbanden. Starke Anämie. Starke
Muskelspannung in der rechten Seite, wie bei einer Appendizitis, in
Hm JrfJv W^r ei”o jcigige Resistenz zu fühlen und namentlich an der
Hinterseite d£s Abdomens Druckempfindlichkeit. Im Urin war kein
fmss,Swen!v T®mpe[.a^ur war normal. Der Uterus war doppelfaust-
g beweglich, doch Iiess sich die Rektumschleimhaut gegen
l J nlVTCln bf' Die Blasc£ zeigte nur ^ringes Oedem am
S S, p Dreteren waren frei. Rechts vom Uterus fühlte
rorlitön p b Pes.istenz’ die der Beckenwand anlag und die von dem
weigerte auBvärtS ging' Da die Patientin sich
Tumor ö’ir L frühere Behandlung zurückzukehren und da ich den
sehnHf fu^operabel hielt, entschloss ich mich zur Operation. Längs-
siVh i!nrtQ,Tne" Verwachsungen im Abdomen. Der Uterus zeigte
die mefstkd7rht£nnmCrHUndpenlhielt viele haselnussgrosse Metastasen,
d e meist dicht unter dem Peritoneum sassen und zum Teil ineinander
a£?rgIpge? un.d grössere Karzinomknoten bildeten. Die Blase liess
^ S abprapanefea und be>de Ureteren waren nicht in den Tumor
aHUCh pas- Pektum liess sieh ablösen. Rechts vom Uterus
dir?/ n!h df3S Pent9neum Parietale stark vor, es war stark ver-
d!skklnn ag ei1!^ ?-°£SSer Abszess- der nach aufwärts hinter
as Colon äscendens und hinter die rechte Niere bis unter die Leber
Asd Sion 'def CAh SPätCr bC- £er Eröffnung des Abszesses erwies.
Ä0? del Abszesses mit feiner Kanüle, aber dabei spritzte die
e F] iuss’gke't direkt neben der Nadel heraus in die zwar gut ab¬
gedeckte Beckenhohle. Der Eiter wurde entleert, er enthielt viele
grosse nekrotische Fetzen; die Höhle wurde mit Argentum nitricum-
Losung ausgespult, ebenso das kleine Becken. Der rechte Ureter
v5d'ef medial und über diesem Abszess. Der Uterus wurde möglichst
rasch exshrpiert und auf radikale Entfernung der Parametrien und
dei Parasalpinx wegen der Eiterung kein Wert gelegt Der
Becken5 Dl.°,ftormgaze drainiert, ebenso die Wundhöhle im
Becken. Die Abszesso ffnung und das ganze Wundbett wurde extra-
N!ht0n!nllSRrt’ dadurch, dass das Colon sigmoideum mit doppelter
Naht nach B um m mit Blasenperitoneum und Peritoneum parietale
ubernaht wurde. Schluss der Bauchhöhle. Ohne dass s?ch eine
klinisch nachweisbare Peritonitis entwickeln konnte, ging die
Patientin rapid an Streptokokkensepsis am zweiten Tage zugrunde.
Der Ausstrich aus dem Eiter ergab eine Reinkultur von Streptokokken.
lvwJ?taS Praparat zeigf viele bemerkenswerte Befunde: Zunächst die
Metastasen des Zervixkarzinoms im Uterus selbst. Die Schleimhaut
S£2Z ynvera'ldert. Die Zervix ist breit und hier zeigt
s llf tdf-^lrk“nS der Strahlen, da makroskopisch auf der
Schleimhaut kein Karzinom mehr zu erkennen ist, während die ganze
Zeivix stärk verdickt und verändert ist. Die Bestrahlung hat auf
die hoher gelegenen Teile des Uterus gar keinen Einfluss gehabt, ist
also zwecklos gewesen. Die Mesothoriumstrahlen dringen nicht bis
in die tieferen Teile des Uterus ein.
cf Perne.r ist von einer rein elektiven Wirkung der Mesothorium-
strah en nicht zu sprechen, da der grosse Abszess eine Folge der Be¬
strahlung ist. Appendix, Niere, Ureteren, Leber zeigten sich nicht ver-
Ana Und d!e.bei der Bestrahlung aufgetretenen starken Schmerzen
w Abdomen wiesen auf eine Phlegmone der hinteren Bauchwand hin.
Wahrscheinlich ist irgend ein kleiner Zerfallsherd im rechten Para-
metrium von den in der Umgebung des Karzinoms befindlichen
Streptokokken infiziert worden und von dort hat sich eine retroperi-
toneale Phlegmone und daran dieser Abszess gebildet.
,. Das zweite Präparat E. stammt von einer 33 jährigen Patientin,
die ich im August vorigen Jahres operiert habe. Die Patientin war
12 mal von anderer Seite mit Röntgenstrahlen wegen eines vermeint¬
lichen Myoms bestrahlt worden. Sie zeigte aber so starke Schmerzen
im Becken, dass sie sich operieren lassen wollte. Da ich den faust-
grossen rumor, der sich hinter und über dem Uterus befand nicht
für em Myom, sondern für eine entzündlich-eitrige Geschwulst hielt,
clytrotomierte ich. Es entleerte sich etwa 200 ccm Eiter. Einige Tage
spater schloss ich die Laparotomie an, da der Tumor noch nicht ge¬
schwunden war. Es fand sich dies Dünndarmkarzinom im unteren
Teil des Heum. Darmresektion. Naht End zu End. Entleerung nach
aufa’ £-fPjas. Karzinom war fast zirkulär entwickelt und nur ein
etwa bleistif tdicker Kanal war noch frei. Mikroskopisch zeigte der
umor keine Degenerationserscheinungen. (Demonstration des Prä¬
parates.) \A enn ich nun noch einige Worte über meine eigenen Er¬
fahrungen mit Mesothorium sagen darf, so kann ich hier einen Fall
referieren, in dem ein kleinfaustgrosses Rezidiv am Becken zum
Schwinden kam. Das Mesothorium wurde hier in den Tumor direkt
eingefuhrt. Ischias und Oedeme an dem rechten Bein gingen zurück
ond ,dl.l.vorher absolut bettlägerige Patientin konnte wieder ihrer
Beschäftigung nachgehen. Wie weit hier eine Dauerheilung vor¬
handen ist, muss die Zeit lehren.
\\ ir übersehen das Ausbrütungsgebiet der Genitalkarzinome
ohne einen operativen Eingriff nicht. Die Mesothoriumstrahlen
dringen aber nur bis in eine gewisse Tiefe, also kann die Strahlen¬
behandlung nur für ganz gewisse Fälle reserviert bleiben. Alle
operablen Falle müssen operiert werden, wenn nicht unsere Resultate
sich verschlechtern sollen. Ob nicht die Röntgenbestrahlung, die eine
bessere Dosierung der Strahlen, ferner eine grössere Tiefenwirkung
und eine sichere Direktion der Strahlen möglich macht, ein weiteres
Anwendungsgebiet wie die Mesothoriumstrahlen haben wird, muss
die Zukunft zeigen.
1708
muenchener medizinische Wochenschrift.
Nr. 30.
Herr Payr demonstriert das Präparat einer frischen Unter¬
schenkelamputation. Es handelt sich um einen hall von naut-
sarkom am Fusse bei einem 64 jährigen Mann.
Der Fall ist dadurch interessant und wissenswert, dass er durch
eine unter besonders günstigen Verhältnissen durchgefuhrte 4 mona -
liehe Röntgentherapie zunächst völlig geheilt erschien Der
Kranke hatte sich in seine Wohnung einen Rontgenapparat einbauen
lassen und war der Tumor durch 4 Monate täglich bestrahlt worden.
Die Haut hatte keine Schädigungen aufgewiesen und war die Ge-
schwujst so zurückgegangen, dass die Erkrankung von den behandeln¬
den Aerzten für geheilt angesehen wurde. ...
Plötzlich aber bildeten sich neue Geschwülste, zeigten rapides
Wachstum, liessen keine Beeinflussung durch die Röntgenstrahlen
mehr erkennen; der Tumor begann an der Oberfläche rasch zu zer-
fallen, in die Tiefe zu wachsen und zeigte sich in den Kruraldrusen
eine gleichfalls sehr rasch wachsende Metastase.
Deshalb wurde von Herrn Payr dem Kranken die Ausräumung
der Drüsen und die Amputation des Unterschenkels empfohlen und
durchgeführt. Der Drüsentumor in der Leiste war in seinem Zentrum
bereits erweicht, Hess sich aber noch von den Gefässen losen und
anscheinend im Gesunden entfernen. Das Präparat zeigt das Ein¬
dringen der Geschwulstmassen in die Muskulatur und zwischen die
Fusswurzelknochen. Histologisch erwies sich der Tumor als Rund¬
zellensarkom. Der Fall beweist auf das deutlichste, dass für die Be¬
urteilung der Dauerhaftigkeit des Erfolges bei der Strahlentherapie
der bösartigen Neoplasmen die grösste Vorsicht geboten ist.
Herr Payr verweist ferner darauf, dass bei der Einschätzung
der durch operative Eingriffe bei malignen Tumoren gewonnenen
Verhältniszahlen von Dauerresultaten das jewei¬
lige klinische Stadium der Erkrankung von grosser
Bedeutung ist. , . „ . . , r
So ist es doch höchst bemerkenswert, dass bei Krebs der
weiblichen Brustdrüse 73—78 Proz. Dauerheilungen durch die
Operation erzielt werden, wenn der Tumor noch nicht über pflaumen¬
gross, weder mit Haut noch Pektoralmuskel verwachsen und noch
keine fühlbaren Achseldrüsenmetastasen bedingt hat. Diese sehr hohe
Prozentzahl sinkt auf 22—24 Proz.. wenn die Geschwulst Pflaumen¬
grösse überschritten, nach einer der beiden genannten Richtungen
fixiert und von fühlbaren Axillardrüsenschwellungen begleitet ist.
Allerdings gestatten nur wenige Karzinome eine so genaue Fest¬
stellung, ihrer topographischen Nachbarbeziehungen wie gerade das
Mammakarzinom. Aber die gegebenen Zahlen beweisen doch, dass
die Erfolge der chirurgischen Therapie nicht so schlecht sind, wie
sie von den Anhängern der obligaten Radiotherapie geschildert
werden. . ,. ^
Herr Zweifel (Schlusswort): Die Erörterung m dieser Ge¬
sellschaft hat in einer rückhaltlosen Anerkennung der ausserordent¬
lichen Wirkung des Mesothoriums, als auch in der Auffassung, dass
man heute noch nicht von der Heilbarkeit des Krebses durch Meso¬
thorium sprechen könne, eine erfreuliche Uebereinstimmung gebracht.
Ich war bemüht, durch beweisende Präparate und die davon ge¬
wonnenen Lumierephotographien Ihnen Tatsachen vor die Augen zu
führen, die Dokumentenwert besitzen. Das eine Bild von dein Vulva-
karzinom mit der einzig noch übrig gebliebenen Karzinomzelle gibt
ebenso viel der Hoffnung Raum, dass dieser letzte Rest auch noch
verschwinden und dann die Krankheit geheilt sein könne, als der
Befürchtung, dass am Ende aus diesem Rest doch die böse Krankheit
wieder erwachen und schliesslich zum tödlichen Ende führen könne.
Darüber kann allein die Zeit entscheiden: denn viel beweisender als
alle mikroskopischen Bilder sind die klinischen Erfahrungen, welcher
Satz, der von mir wiederholt lind doppelt unterstrichen wurde, die
logische Folgerung ergibt, dass wir eine Heilbarkeit des Krebses
durch die Strahlentherapie nicht annehmen können, ehe nicht eine
grössere Zahl unzweifelhafter Fälle 5 Jahre und mehr von Rezidiven
verschont geblieben sind.
Wenn wir nun die Hoffnung auf das höchste Ziel dieser Behand¬
lung, nämlich auf Dauerheilungen vom Krebs, noch mehrere Jahre
still im Busen bewahren und in Geduld abwarten müssen, wie die
Zeit entscheidet, so ist so viel schon sicher, dass die Wirkung auf
die inoperablen Fälle hervorragend nützlich ist, gegen Blutungen und
den Fötor mehr hilft, als die bisher angewandten Mittel und klinisch
Besserungen erzielt, welche somatisch und besonders psychisch auf
die Kranken segensreich wirken. Das zeigen uns die Bilder und Be¬
schreibungen von Dr. Schweitzer. Dass wir nur von Besserungen
sprechen und das Wort „klinische Heilung“ nicht gebrauchen, habe
ich im Vortrag schon damit begründet, dass wir uns von der Be¬
lebung überschwänglicher Hoffnungen fern halten wollen, die, wenn
das Zünglein der Wage sinkt, auch wieder bei den Laien um der Ent¬
täuschung willen masslos herbe Urteile zur Folge haben.
Sehr interessant waren die Bemerkungen von Herrn Kollegen
Payr über die Dauerheilungen beim Mammakarzinom, je nach dem
Stadium, in dem der Krebs zur Operation gelangte. Dazu möchte ich
bemerken, dass bei den Gynäkologen weder im allgemeinen und noch
bei der Statistik von A u 1 h o r n aus meiner Klinik im besonderen
eine solche Unterscheidung von Anfangsfällen oder weiter fort¬
geschrittenen Stadien gemacht wurde, wie dies in der Zusammen¬
stellung von S t e i n t h a 1 geschah, und daks speziell in der Statistik
von Aulhorn mit der Dauerheilungsziffer von 51 Proz. alle Portio-
lind Zervixkarzinome von den Anfängen bis zu den schwersten Fällen
zusammengerechnet wurden. Gerade unter den von mir operierten
Frauen waren einige dauernd geheilt, bei dener .die Opera ton so
überaus schwer verlief, dass sie zeitweise undurchfuhrbar schien und
am Schluss nur einen Schimmer von Hoffnung auf Dauerheilung übrig
liess. Das ermutigte mich, grundsätzlich mit dem Aufwand aller Kraft
zu operieren, was nur irgendwie zu operieren möglich war: denn die
hoffnungslos erschienenen Fälle waren schliesslich innerlich die dank¬
barsten geworden. , . „ ,
Die Korpuskarzinome ergaben eine viel bessere Prognose oder
eine Dauerheilungsziffer von 75—77 Proz. Dass unsere I raparate
richtig beurteilt wurden und wir mit unseren Grundsätzen der mikro¬
skopischen Diagnose Recht hatten, beweisen die 23— 25 Proz. Rezidive. .
Nie habe ich die besseren Ergebnisse, welche die Gynäkologen
beim Gebärmutterkrebs erzielten, welche besser waren und noch
sind als die der Chirurgen beim Mammakarzinom, anders er¬
klärt als durch die anatomische Beschaffenheit des Lyinphgefass-
netzes, das offenbar in der Mamma viel rascher zur Verschleppung
des Karzinoms führt, bei der Gebärmutter das Leiden langer lokal
bleiben lässt. Das stimmt auch mit der Erfahrung uberein dass die
Karzinome der Gebärmutter bei junge n F r a u e n, bei denen der
Lvmphstrom lebhafter ist, viel rascher zu Metastasen fuhren, als bei
älteren, und dass die jugendlichen Personen unserer Praxis, welche
das Unglück hatten vom Uteruskarzinom heimgesucht zu werden,
insbesondere alle Frauen von 26, 27 und 28 Jahren, wenn sie selbst
im Anfangsstadium operiert waren, ausnahmslos spater rezidiv
wurden und schliesslich daran starben.
Herr Schweitzer (Schlusswort): Da die kurz bemessene
Zeit ein Eingehen auf die verschiedenen in der Diskussion angeregten
Fragen nicht gestattet, beschränkt sich Sch. darauf, die klinische Seite
und die Behandlung des Falles zu besprechen, welcher an Lungen¬
gangrän ad exiturn kam: , n
29 jährige Frau. Weit fortgeschrittenes Portiokarzinom. Das
Kollum war in einen 2 Finger breiten Krater verwandelt mit starker
Jauchung und Zerfall; auch das angrenzende Scheidengewolbe war
ulzeriert. Uterus sass mauerfest zwischen derben Infiltrationen.
Hochgradige Kachexie (32 kg Körpergewicht), Fieber bis 39,5 . ent¬
setzliche Schmerzen. . .
Es handelte sich also um einen vollkommen inoperablen, aul¬
gegebenen Fall, der nun der Mesothoriumbestrahlung unterworfen
wurde. Einlegen der radioaktiven Substanz anfangs in den Krater,
später, als dies wegen der Schrumpfung nicht mehr möglich war,
in die Scheide. „ , , , .. . . ,
Filterung: 3 mm Blei, 1,5 mm Silber und 1 mm Aluminium ab¬
wechselnd. Die Gesamtmenge in den 2 verabfolgten Serien betrug:
8969 Milligrammstunden Mesothorium.
Solange die Behandlung dauerte, konnte eine deutliche Besserung
des lokalen Befundes konstatiert werden: Verkleinerung und Glatten
des Kraters, Aufhören der Jauchung und Blutung. Sogar im Al gemein¬
befinden etwas Besserung: geringe Gewichtszunahme, 18 tägige
Fieberlosigkeit, so dass Pat. ausser Bett sein konnte. Besserung der
Schmerzen. Dann aber ziemlich plötzliches Auftreten von Lungen-
erscheinungen, weshalb die Verlegung nach St. Jakob erfolgte. op.
starb sie 6 Wochen nach der letzten Bestrahlung an Lungengangran.
An dem bei der Sektion herausgenommenen Uterus konnte nun
Prof. Verse als Effekt der Bestrahlung Zerfall und Untergang von
Karzinomherden zeigen, leider aber auch eine Nachwucherung
frischer Karzinomzellen. Diese letztere Erscheinung war ermöglicht
durch die frühzeitige Unterbrechung der Strahlentherapie (nur
2 Serien, 6 Wochen lang kein Mesothorium). Die Behandlung war
nicht als abgeschlossen betrachtet worden. Dieser Fall darf deshalb
nicht als geeignet angesehen werden, dem Mesothorium seine
Leistungsfähigkeit abzusprechen. Die als Nebenbefund gezeigte ober¬
flächliche Schorfbildung in der Scheide kann durch die neuerdings
gebräuchlichen Zelluloid-Metallabdeckungen vermieden werden, ist
aber ziemlich belanglos. .......
Schweitzer fasst sein Urteil über die Mesothoriumtherapie
auf Grund seiner Erfahrungen dahin zusammen: _
Das Mesothorium bedeutet einen grossen Gewinn in der vordem
so unfruchtbaren Behandlung des inoperablen Uterus- und Scheiden¬
karzinoms. Durch die weitgehende Besserung wirkt es zum mindesten
das Leben verlängernd.
Zur Nachbehandlung nach der Krebsoperation ist dem Meso¬
thorium ferner ein noch dankbareres Arbeitsfeld eingeräumt. Sicher
kann auf diesem Wege die Dauerheilung nur gebessert werden.
Herr Milner: Beiträge zur operativen Behandlung inoperabler
Karzinomkranker. , . , , , ,,ip
Vortr. steht mit auf dem Standpunkt, dass wir heute noch die
radikal operabel scheinenden malignen Tumoren operieren sollet«.
Dieser Standpunkt wird sich auch vielen aufmerksamen Besuchern
de^ Chirurgen- und Röntgenkongresses ergeben haben. Es ist von
diesem Standpunkt aus zu bedauern, dass unsere erfolgreichen Be¬
mühungen der letzten Jahre, die Karzinomkranken früher zur Ope¬
ration zu bekommen, teilweise durchkreuzt worden sind durch die
übertrieben ungünstigen und unberechtigten Zahlen über die absolute
Heilung chirurgisch behandelter Karzinome, wie sie von der rreiburge
und Münchener Schule gern verkündet werden. Was man durch
rechtzeitige Operation der Karzinome erreichen kann, ist auch m
Aerztekreisen längst noch nicht genug bekannt und wir müssen Zahlen
wie: 30 Proz. Dauerheilung beim Magenkarzinom, 40 Proz. beim
Rektumkarzinom (wie ich vor ungefähr W» Jahren hier ausgefunr
habe), 50 Proz. über 5 Jahre beim Uteruskarzinom, 75 Proz. beim
28. Juli 1914.
MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1709
bringen'1'8 opcr‘crtcn Mammakarzinom immer wieder in Erinnerung
. („as ians KjKen d'® Strahlenbehandlung operabler Karzinome
°V t ,C,r ^ iLTfZCiI,<Jc«1 vorlai,bgen Erfolge einzelner Strahlentherapeuten
ncJi zurückhaltend macht, ist, abgesehen von Mitteilungen über
5 «chstumsbeschleunigung durch Bestrahlung, ungewöhnlich reiche
Metastasierung nach Bestrahlung, häufig refraktäres Verhalten der
Tumoren und Erschwerung der Operation nach vergeblicher Be-
Tumnren’ iJ^rS dpS Strcbe!1 ,der Röntgenologen, auch operable
rumoren m Behandlung zu bekommen, weil die Behandlung in-
JE??,1!1" Fa"0 Endes nur Entaschungen bieten werde”.
(M u I e r - Immenstadt.) Das spricht jedenfalls nicht für Vertrauen
l1' wcsc": tlldie. Überlegenheit der Strahlen über das Messer
Besonders aber mochte ich darauf hinweisen, dass wir Chirurgen
noch weniger als i die Gynäkologen bei der Strahlenbehandlung unserer
Karzinome die M.tbestrahlung anderer Organe ausschalten können"
besonders bei den abdominellen Karzinomen, den Magendarmkanal
Prahlen1 Ä'S ?* S?hle!mhaut , d£S Rektums gegen Mesothorium¬
strahlen stets ist, beweist der nach Zweifels Erfahrung ohne Blei-
uph'' ^ HpKCMTiaSSIS: ,e.m.tlTtende Tenesmus. Experimentell ist Schä¬
digung der Magenschleimhaut, die in Atrophie ausging, von Franzosen
nachgewiesen an Kranken haben Bumm, Mackenrodt u a
Durchfalle nach Bestrahlung beobachtet. Besonders interessant ist
e nemeFanh,/,nfah?n H^n.dly an d«r B u m m sehen Klinik, dass in
uSi h TV ' m nat:h Aussetzen der Behandlung durch Strahlen
unstillbare Diarrhoen eingetreten sind.
manp-Ut bedenkt’ wie langsam, über Jahre hinaus fort-
schmteml, die Rontgenveranderungen der Haut sich entwickeln und
nicht selten die Disposition zu schliesslicher Karzinombildung hervor-
r Uten so wird man vor den kolossalen Dosen, die nach dem Vorgänge
du Bumm sehen und Freiburger Klinik auf die Schleimhaut des
Da«eaurrhm&%71: n®" müssen- ,einen gewissen Respekt bekommen.
L hi n ?3 “ )e"e spat„en Schädigungen machen können,
i besonders durch Beobachtungen von Iselin, der
noch 1 Vi Jahre nach filtrierter Röntgenbestrahlung plötzlich Haut-
ulzeration hat auftreten sehen. Ueber die theoretische Gefahr, dass
sich nach den modernen Tiefendosen im Laufe von Jahren Magen-
und Darmatrophien und Karzinome entwickeln können, können wir
uns also meines fcrachtens nicht einfach hinwegsetzen.
Diese Erwägungen berechtigen übrigens wohl zu der Frage ob
nicht in dem eben von Geheimrat Payr demonstrierten Fall an dem
“5 hlnH?6? .,rasche'? Wachstum des tiefen Sarkoms nach vorüber-
hS» ti Heilung der Hautsarkome eine übertriebene Röntgen¬
bestrahlung von seiten des Patienten mit schuld sein könnte. Es
mid auch einige Fälle von Röntgensarkomen mitgeteilt.
Eines grossen Fortschrittes können wir uns alle heute schon er-
reuen: wir können Operation und Bestrahlung in geeigneten Fällen
kombinieren, wie das ja schon von Vielen in verschiedenen Formen
^le",WOrden 1Su Sobat noch Heidenhain auf dem letzten
i ntgenkongress über 2 Fälle bewusst unvollkommen operierter und
'achtraglich ohne Filter bestrahlter äusserer Karzinome berichtet, die
rnlmpi^o geh?. * gebll€?be nsind- Der Einwand gegen diese unvoll-
(ommenen Operationen, dass sie das Wachstum des Tumors be¬
schleunigen konnten wird durch Erfahrung z. B. an den Magen-
arzinomen der Breslauer Klinik, die von B o r m a n n mikroskopisch
mtersucht worden sind, nicht bestätigt: die zahlreichen siche? im
vranken operierten Fälle sind nicht rascher rezidiviert als die am
•tagen im Gesunden operierten und bekanntlich ist mit gutem Grund
.eraten worden, in vielen Fällen nicht radikal operabler Magern
arzinome lieber eine palliative Resektion als eine Gastroenterostomie
u machen. Einzelne Falle, die scheinbar für Wachstumsbeschleu-
igung durch unvollkommene Operation sprechen, lassen sich un-
ezwungen anders erklären. Viel häufiger aber sind jedenfalls die
alle in denen gar kein Grund gefunden werden kann für Annahme
perativer Wachstumsbeschleunigung, z. B. die in normaler oder
ogar nuch auffallend langer Zeit auftretenden lokalen Rezidive
,n„ Tf. • Kombination von Operation und Röntgenbestrah-
‘ k erichtet Vortr. zunächst über einen Fall von hochsitzendem
esophaguskarzinom :
1913 Gastrostomie wegen absoluter Stenose des Oesophagus
nter dem Kehlkopf mit rechtsseitiger Rekurrenslähmung. Danach
oerraschend gute Erholung, besonders seitdem alle Speisen gekaut
r ü dann vom I atienten in den Magen getrichtert wurden. Allmählich
ach Rekurrenslähmung links.
Ende Dezember 1913 hochgradiger Stridor mit reichlichem, teit-
eise blutigem Auswurf, also Durchbruch des Karzinoms in die oberen
ittwege. Die notwendige Tracheotomie hätte den Patienten nicht
>r baldigen Exitus durch Aspiration bewahrt. Darum 2. Januar 1914
xstirpation des Larynx und oberen Teiles des Oesophagus mit
l rachealrmgen: hohe Tracheotomie, lange Spiralkaiiiile, 2 recht-
Kige seitliche Hautlappen, Durchtrennung beider Sternokleidomastoi-
,i, um die Anlegung der Haut an die zu erwartenden Karzinomreste
i beschleumgen. Mediane Durchschneidung der Thyreoidea, die
nten beiderseits vom Karzinom durchwachsen war, Abpräparierung
r gesunden Reste, die nun am Stiel der oberen Schilddrüsengefässe
nr gut beweglich waren und später höher oben durch Naht fixiert
raen, um bei der vorausgesehenen Bestrahlung des Karzinomrestes
n Oesophagus nicht mitbestrahlt und geschädigt zu werden,
eitere < peratmn überraschend leicht, obgleich das Karzinom tief
aif Halswirbel cingewachsen war, aus denen es sich fast glatt
siumpt auslosen liess; Dura danach vorne anscheinend aui mein ei e
Zentimeter freiliegend. Oesophagus und Trachea möglichst tief diuch-
sclmitten, letztere an der Haut vorn fixiert. Mit infolge Versäumung
einer Kokanusierung der Schleimhaut des Pharynx vor der oberen
Abschlussnaht letztere undicht; putride Eiterung, dann Fistel zwischen
-h,lund u,nd Wunde, die sich nach ungefähr 6 Wochen von selbst
u/- k?'.- , d nacb Operation Röntgenbestrahlung, besonders der
Wirbelsaulengegend, unter Bleiabdeckung der 2 Thyreoideareste.
mV.t, CZ^t lv gcrade in. letzteren, ziemlich rasch wachsend, ausserdem
cichtes Myxödem. Die Abdeckung schien notwendig, weniger zur
Erhaltung der I hyreoidea als zum Schutz der Parathyreoideae, weil
letztere durch Fütterung anscheinend nicht wie erstere ersetzt werden
Können. — Diagnose Karzinom mikroskopisch bestätigt.
Vortr. hebt ausdrücklich hervor die relative Leichtigkeit der viel
zu seitem aiisgefuhrten Operation des hochsitzenden Oesophagus¬
karzinoms. Nach einer neueren Arbeit von H o f f in a n n sind ausser
" unbestimmten Zahl von Fällen Glucks nur ungefähr 7 Fälle
V gleichzeitiger Exstirpation des oberen Teiles des Oesophagus
und Larynx und der 1 racliea mitgeteilt. Die ganze Operation wurde
"anC,1i der Methode von B r a u n durch Injektion an
bmim l k Halswirbel usw. ausgeführt, ohne Morphium- und Skopo-
lamanvorbereitung; wahrend der Operation 2 cg Morphin Vortr
weiSt auf das nachträgliche Bedenken der Gefahr doppelseitiger
beobachte ab"Jungl"11’ die schoa von Braun erwähnt, aber nicht
beobachtet ist. Trotzdem erscheint bei der beiderseitigen tiefen
okalanasthesie Vorsicht am Platze und womöglich Vermeidung
zumal der beiderseitigen Injektion an der 4. (und 5.) Zervikalwurzel
für den Phrenikus. Bei alten Leuten mit starrem Thorax ist be¬
sondere Vorsicht nötig!
, ..1V? I' Falle kombinierter Behandlung handelte es sich um un¬
erträgliche Interkostalneuralgien infolge von Pleurakarzinom un-
efrpJ+riFnt, Slt,zes 2/\ JahLe nach Mammaamputation. Morphium
infnwl aadere, halfen nicht’ rascher Kräfteverfall
nhni FrfnW NI 0Sllk®lt- -UVd Schmerzen; kurze Röntgenbestrahlung
ohne Erfolg Novokaininjektion paravertebral in die Interkostalnerven
gaiJfl u1nwirksam- Versuch, durch künstlichen Pneumothorax auf eine
rcHhkale Thoraxwandresektion vorzubereiten, musste wegen
schlechten Pulses der zur Eile drängte, aufgegeben werden. Darum
3. Februar m Lokalanästhesie, später mit Narkose, Durchschneidung
und Resektion des 4. — 12. Interkostalnerven links neben der Wirbel¬
säule. In den oberen Interkostalräumen Freilegung des Gefäss- und
Nervenstranges leicht, Trennung des Nerven von den Gefässen aber
unmöglich wegen Feinheit der Stränge und wegen venöser Blutung-
daium weiter unten Resektion des ganzen Bündels von Gefässen und
Nerven. In den 3 untersten Interkostalräumen wegen Enge (Schrump¬
fung nach früherer Exsudatentleerung) sichere Freilegung unmöglich,
darum Resektion der 9.— 12. Rippe. Hartnäckige Blutung aus einer
an der rascia endothoracica abgerissenen Arterie, nur durch Tam-
ponade stillbar. Von hier ausgehend später bei der wegen Schwäche
mcht früh genug zu verbindenden Patienten Infektion der Pleura mit
nachträglichem Empyem, 14 Tage später operiert und geheilt Die
unerträglichen Neuralgien nach der Operation bis heute ver¬
schwunden; mässige abdominelle Schmerzanfälle durch Bauch¬
massage anscheinend gut beeinflussbar.
Kritik der bisher nur sehr selten und in dieser Ausdehnung und
zu diesem Zwecke wohl noch nicht ausgeführten Operation: über¬
flüssig ist die Lähmung der Bauchmuskeln, die bei Bronchitis gefähr-
lich werden konnte; ungenügend ist die mangelnde Sicherheit gegen
Rezidive dieser peripheren Nervenresektion gegen Neuralgien
Die Operation von Franke: allmähliche Ausdrehung der Inter¬
kostalnerven mit den Intervertebralganglien ist von Franke und
L er ich e bei Tabes mit befriedigendem Erfolge ausgeführt von
Franke sind in einer Sitzung 8 Nerven mit 7 Ganglien extrahiert,
aber von rechts und links. Von einer Seite etwa den 4. — 12. Nerven
so ausdrehen zu wollen, wäre zu gewagt wegen schwerer Schädigung
des Splanchmkus, der möglicherweise nicht nur motorischen, sondern
auch trophischen Einfluss auf den Magendarmkanal hat. Eine be-
fnedigende Losung dieser Schwierigkeit ist gegeben durch die Mög¬
lichkeit nachträglicher radikaler Heilung des Karzinoms durch Be¬
strahlung.
Vortragender erwähnt, dass Neuralgien bei inoperablem Karzinom
unter Umstanden durch Injektion in die Nerven wesentlich gebessert
werden können. Er selbst hat einen Fall von Stumme mitbeob¬
achtet, wo ungeheure Neuralgien im Ischiadikus, ausgehend vom
grossen Rektumkarzinom, wiederholt für Wochen beseitigt werden
konnten durch Injektion von 10 ccm. 1 proz. Kokainlösung in den
Ischiadikus peripher vom Karzinom! Aehnliche Erfahrungen von
selbe"60 mbge^eib be' in°PerabIem Uteruskarzinom oder Rezidiv des-
\\ enn bei Thorakalneuralgien unbestimmten Ursprungs und bei
unsicherem Sitz der Karzinommetastasen (Wirbelsäule natürlich aus¬
geschlossen.) die Durchschneidung der Interkostalnerven ungenügende
erfolge gaben, kommt nachträgliche Durchschneidung auch des Phre¬
nikus in Betracht.
Heu Payr erläutert an der Hand von Röntgenbildern ein Ver-
Lmien zur „Verkürzung der Ulna bei Behandlung schlecht geheilter
Kadmsfrakturen und Radiuspseudoarthrosen“.
Die Verkürzung des Radius beim Stauchungsbruch an der unteren
Epiphyse ist die Hauptursache der radialen Adduktionsstellung. In
rjllcn hochgradiger Deformität kann man sich veranlasst sehen, den
1710
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
Radius durch schiefe Osteostomie und nachfolgende Naht zu ver-
langern. anderen p;inen> besonders bei Pseudoarthrosenbildung mit
grösserem Defekt ist die Verkürzung der Ulna gelegentlich zur Be¬
hebung der Deformität wegen irreparabler Verkürzung der Weich¬
teile nicht zu umgehen. , . , . . . .
In einem Falle von ausgedehntem Radiusdefekt im Laufe einer
schlecht geheilten Fraktur mit mehrfachen vergeblichen Naht¬
versuchen wurde das fehlende Stück der Speiche durch Autotrans¬
plantation des Darmbeinkammes ersetzt, die Ulna nach folgendem
Verfahren verkürzt: , „ . . ,,
Durchsägung mit G i g 1 i scher Drahtsäge 2 cm oberhalb des
Proc. styloideus. Erweiterung der Markhöhle des peripheren Stückes
der Elle' mittelst Kugelfräse, Verjüngung des zentralen, entsprechend
der Lichtung der zylindrischen Bohrung im epiphysären Anteil. Die
Verjüngung wird mit einem schmälen Bildhäuermeissei äusgeführt,
erstreckt sich auf ungefähr 2 cm und schliesst mit einem scharfen
Rand gegen das übrige Diaphyse ab.
Es erfolgt nun durch Einschieben des diaphysaren Ulnaanteiles
in den epiphysären eine Art S e 1 b s t b o 1 z u n g, die den Vorteil hat,
keinerlei Knochennaht zu beanspruchen, ausserordentlich festhält,
ideale Achsenrichtung garantiert und der Unannehmlichkeit einer
Deformierungsgefahr aus dem Wege geht. Die Heilungsbedingungen
sind bei diesem Vorgehen die denkbar günstigsten.
Die Röntgenbilder lassen nur an einer schmalen Rille die Stelle
der erfolgten Bolzung erkennen.
des greifbar aufsitzenden Tumors an der rechten Uretermündung und
Verschorfung des Wundbettes bestand, hat Pat. nie mehr geblutet
und erfreut sich bei einer Gewichtszunahme von über 20 Pfund der
besten Gesundheit. ' . . .
Wegen der häufigen malignen Degeneration kommt es darauf an.
jedes Papillom möglichst frühzeitig zu entfernen.
Die endovesikale Behandlung, insbesondere die Elektrokoagu¬
lator. — in geeigneten Fällen am besten kombiniert mit der vorherigen
Schleimhautabtragung — ist wegen der Einfachheit und Ungefährhch-
keit für den Patienten, vor allem auch wegen des Fehlens der bei
Sectio alta häufig vorkommenden Papillomaussaat dieser weit
Ul Lf Ausgebildete Karzinome sind natürlich nach allgemein chirur¬
gischen Gesetzen zu behandeln. Was die Elektrokoagulation bei
eben beginnendem, histologisch festgestelltem Karzinom zu leisten
vermag bleibt abzuwarten. Ein Urteil der Schlingenbehandlung liegt
in der Möglichkeit, den Tumor auch an seinem Stiel histologisch zu
untersuchen, wenn ein negativer Karzinombefund natürlich auch nicht
in allen Fällen streng beweisend ist.
Sitzung vom 16. April 1914.
Vorsitzender: Herr Müller.
Schriftführer : Herr Scheidemandel.
Herr Thorei: Pathologisch-anatomische Demonstrationen.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. April 1914.
Vorsitzender: Herr Müller.
Schriftführer: Herr Fürter.
Herr J. Müller: Ueber Erfolge der Strahlenbehandlung bei
Karzinomen der inneren Organe.
Der Vortr. berichtet über seine Erfahrungen bei der Behandlung
innerer Karzinome mittelst Mesothorium und Röntgenbestrahlung.
Es standen 20 mg Mesothorium zur Verfügung. Trotz der kleinen
Menge wurden bei einer Reihe von inoperablen Mastdarm- und
Uteruskarzinomen auffällige Rückbildungen beobachtet, die bei ein¬
zelnen einer wenigstens vorläufigen klinischen Heilung gleichkamen.
Auch bei Magenkarzinomen wurden Versuche mit inten¬
siver Röntgenbehandlung gemacht, ln mehreren Fällen wurde Still¬
stand und vorübergehende Besserung erzielt, die über jenes Mass
hinausging, das man sonst bei der Schonungsbehandlung vorge¬
schrittener Magenkarzinome zu sehen gewohnt ist. Am auffälligsten
war der Erfolg bei einer 48 jährigen Frau, die seit November 1912 an
Magenbeschwerden litt und am 3. VI. 13 in äusserst elendem, ab-
gemagerten Zustand in das Krankenhaus aufgenommen wurde. Man
fühlte unter dem linken Hypochondrium durch die dünnen Bauch¬
decken mit grösster Deutlichkeit einen harten, knolligen, über faust¬
grossen, kaum verschieblichen Tumor, der nach dem Röntgenbild die
Mitte des Magens einnahm und eine ausgeprägte Sanduhrform ver-
anlasste. Es bestand Achylie, der Stuhl zeigte okkulte Blutungen.
Durch die monatelang fortgesetzte Röntgenbehandlung in Ver¬
bindung mit intravenösen Thorium-X-Einspritzungen wurde eine fort¬
schreitende Besserung des Allgemeinbefindens erzielt, die jetzt ein
Jahr lang anhält und mit der zugleich eine Verkleinerung des Tumors
eintrat. Von diesem ist nur noch eine mässige, diffuse Resistenz zu
fühlen. Auch das Röntgenbild zeigt eine Verminderung der Sanduhr-
einschnürung. Der Appetit ist gewachsen; das Erbrechen hat völlig
aufgehört: im Stuhl ist okkultes Blut nicht mehr nachzuweisen: das
Körpergewicht ist von 33 kg auf 43 kg gestiegen; die schwere Kachexie
ist gewichen. „ ...
Dieser nicht zu bezweifelnde Erfolg der Strahlentherapie bei
einem weit vorgeschrittenen Magenkarzinom muss zu weiteren Ver¬
suchen auffordern und rechtfertigt, auch frühere Stadien des Magen¬
krebses der Röntgenbehandlung zu unterziehen. Für letztere un¬
geeignet sind alle Fälle, die stärkere Stenosen am Magen und Darm
verursachen Diese sind so bald als möglich dem Chirurgen zuzu¬
führen. _ .
Zum Schluss wird noch ein Kranker mit grossem Osteosarkom
des Oberkiefers vorgestellt, bei dem durch Röntgenbestrahlung eben¬
falls eine deutliche Verkleinerung der Geschwulst erzielt wurde.
Herr Goldenberg: Ueber endovesikale Behandlung von
Blasentumoren.
Kurze Besprechung der Diagnose, gleichzeitiger Bericht über
eine Reihe zystoskopisch festgestellter und später teils mit Sectio
alta, teils mit Schlinge und Elektrokoagulation behandelter Tumoren.
Epidiaskopische Demonstration der dazugehörigen mikroskopischer
Präparate (Frau Dr. R o d 1 e r). Zum Teil handelt es sich um einfach
gutartiges Papillom, in einem anderen Fall um beginnende karzinoma-
töse Umwandlung (Proliferation und Uretaplasie) des Epithels, Ein¬
bruch in ein Lvmphgefäss, in wieder einem anderen um ausge¬
sprochene sekundäre Karzinomentwicklung bei einem Pat., bei dem
vor ca. 10 Jahren von anderer einwandfreier Seite zystoskopisch an
derselben Stelle ein gestieltes Papillom festgestellt worden war. Seit
der 3 Ms Jahre zurückliegenden Operation, die nur in Umschneidung
Wissenschaftl. Gesellschaft deutscher Aerzte In Böhmen.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 19. Juni 1914.
Herr Grosser demonstriert den von J. Johns ton im April
1914 (Anatomical Record, Vol. 8) für den Menschen beschriebenen
neuen Hirnnerven, den Nervus terminalis. Der Nerv entspringt an
der Hirnbasis hinter dem Trigonum olfactorium und verläuft durch
die weichen Hirnhäute medial vom I ractus olfactorius zur Lamina
cribrosa. Seine periphere Ausbreitung ist für den Menschen noch
nicht festgestellt; beim Kaninchen (Huber und G u i 1 d, Anat.
Record, Vol. 7, 1913) verbreitert er sich am Septum zum Jacob -
s o n sehen Organ vor, resp. über demselben. In der Nasenschleiin-
haut und im intrakraniellen Teil enthält der Nerv bipolare Ganglien¬
zellen vom Charakter sympathischer Zellen; die Fasern sind grössten¬
teils aber nicht ausschliesslich marklos. Der Nerv ist also seinem
Ursprung und Verlauf nach ein echter Hirnnerv, seinem Bau nach ein
Teil des Sympathikus. Vielleicht vermag er die Fl i e s s sehen Zonen
der Nasenschleimhaut zu erklären. Der Nerv findet sich anscheinend
bei allen Wirbeltieren, auch bei den Wassersäugetieren, denen der
Olfaktorius vollständig fehlt und ist eigentlich niemals viel starker
als bei den Säugetieren. — Eine moderne Klassifikation der Hirn¬
nerven überhaupt muss den Nervus opticus und den N. olfactorius der
älteren Anatomie streichen. Der Optikus ist ein Hirnteil wie der
Tractus opticus, da die Retina als verlagerter Hirnlappen aufzufassen
ist. Auch Bulbus und Tractus olfactorius sind Teile eines rudimentär
gewordenen Hirnlappens, nur die Fila olfactoria sind periphere
Nerven. Die Vagusgruppe ist als einheitlicher Nerv aufzufassen, zu¬
mindest ist der Akzessorius als selbständiger Nerv zu streichen. Da¬
für sind der N. terminalis und der N. intermedius mit dem Ganglion
geniculi und der Chorda tympani als periphere Verzweigung neu
unter die Hirnnerven aufzunehmen.
Herr E. J. Kraus stellt einen Fall von Grawitztumor vor,
der klinisch unter dem Bilde einer Polyneuritis verlief. Es handelte
sich um ein 25 jähr. Mädchen von der Klinik des Hofrat v. J a k s c h.
— Die Sektion des gutgenährten Weibes ergab einen zum Teil ver¬
kalkten Grawitztumor der rechten Niere mit mächtiger Metastasen¬
bildung im Knochensystem (Schädel, Wirbelsäule, Becken, Rippen
etc.), daneben Metastasen in der Leber, den Lungen sowie der
Scheide. Ausser diesen gewaltigen Veränderungen ergab die Sektion
einen mässigen Grad von Status lymphaticus und hypoplasticus. Die
ausgedehnten Zerstörungen des Knochensystems dürften die poly-
neuritischen Erscheinungen vorgetäuscht haben. (Das Zentralnerven¬
system war frei von krankhaften Veränderungen.)
Herr Roman: Ein Fall von klinisch typischer lymphatischer
Leukämie mit starker, diffuser, flacher Infiltration der Pleura und
des Perikards und mit lymphosarkomähnlicher Infiltration der Musku¬
latur und ein Fall von Lymphogranulomatose der Lymphknoten ober¬
halb des Zwerchfells, besonders der mediastinalen, der ebenfalls
diffuse flache Infiltration zeigte. Milz und Leber waren dabei nicht
beteiligt.
Herr H. Pribram: Beeinflussung des anämischen Blutbildes
durch Infektionen.
Eine 39 jähr. Frau wurde wegen langdauernder Genitalblutungen
(Metritis, Endometritis, Salpingo-Oophoritis) supravaginal amputiert.
Nachher Pneumonie und Pneumokokkenabszess der Laparotomie¬
gegend Blutbild: Schwerste Anämie (Anisozytose, Poikilozytose.
Polychromatophilie, Norrnoblasten, Mitosen) und Vorstufen der mye-
loiden Reihe in grosser Zahl: Myelozyten. Myeloblasten, Plasmazellen
und Reizungsformen. Das Blutbild war das einer myeloiden Leu¬
kämie mit Anämie. In kurzer Zeit vollständige Heilung, die bereits
y2 Jahr andauert. Derartige, in diesem Fall durch die Schädigung
des hämatopoetischen Apparates durch die posthämorrhagische
28. Juli 191 -L
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
171
Anämie und die dazukommenden Infektionen entstandene Blutverän-
Jerungen dürften bei disponierten Individuen persistent bleiben können
und damit den Beginn einer Leukämie darstellen. Rotky-Prag.
Verschiedenes.
Nach einer Uebersicht über die in Preussen im Jahre 1913
lekannt gewordenen Bissverletzungen durch tolle oder
Jer "Tollwut verdächtige Tiere (Min.Bl. f. Medizinal-
uigelegenheiten 1914 Nr. 29) wurden im Jahre 1913 247 solche Ver-
etzungen amtlich gemeldet (gegen 240 im Jahre 1912). 159 Verletzte
- 64,3 Proz.) waren männlichen, 88 (= 35,7 Proz.) weiblichen
lescnleclites. Die Zahl der Bissverletzungen war wie gewöhnlich
? f1 er wärmeren Jahreszeit höher als im Winter und Herbst
03.9:44,1 Proz.). Am stärksten betroffen waren die Provinzen Ost-
ireussen mit 92 (45) und Schlesien mit 86 (129) Fällen; es folgen
osen und Brandenburg mit je 19, Rheinprovinz und Westpreussen
]1. je I.3, 1 Fall, Hessen-Nassau und Sachsen blieben
rei. Die 247 Verletzungen wurden von 119 Tieren (113 Hunden, je
Katzen, Pferden, Kühen) zugefügt, von denen 88 als sicher wut-
ra?n j-n verdächt>g. 14 als sicher nicht wutkrank erkannt wurden;
1 iT, , war die Untersuchung des Tieres nicht möglich. Von
en -4 1 Verletzten wurden 240 ( — 97,6 Proz.) der Schutzimpfung nach
a s t e u r unterzogen, davon 137 im Institut Robert Koch in Berlin
d3 nn Hj^gienischen Institut in Breslau. Hievon erkrankten und
iii — \roz-> von den 7 nicht schutzgeimpften Personen
rkrankte und starb 1.
Therapeutische Notizen.
lieber die Behandlung bei gleichzeitiger Erkran-
u n g a n Q i c h t u n d D i a b e t e s gibt Karl v.Noorden- Frank-
irt a. M. wichtige Ratschläge. Während in der Praxis das Haupt-
igenmerk meist auf das schmerzhafte Leiden, die Gicht, gerichtet
ird, wil Noorden vor allen Dingen die Glykosurie und die
' bekämpft haben, da die in den Kombinationsfällen
>n Gicht und Diabetes sehr häufig auftretenden unangenehmen Kom-
lkationen mehr von der Hyperglykämie als von der Urikämie ab-
ingen.
ln allen leichten Fällen kommt man mit einer antidiabetischen
-ir, in die von Zeit zu Zeit eine purinfreie Periode eingeschaltet
ird, gut zum Ziel. Nur in den Fällen, wo beide Krankheitsformen
ark entwickelt sind, wechselt man am besten alle 2 Wochen die
astordnung: 2 Wochen antidiabetische Kost mit beschränkter
euschzufuhr wechseln mit 2 Wochen fleischloser Kost mit etwa
—100 g täglicher Kohlehydratzufuhr. (Ther. Mh. 1914 H. 5.) Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 27. Juli 1914.
— Vorläufige Einigung zwischen Aerzten und
ussen in Überbarnim. Im Ministerium für Handel und Ge-
;rbe fand unter dem Vorsitz des Ministerialdirektors v. Meyer en
le Verhandlung zwischen den Bevollmächtigten der Krankenkassen
r Kreise Angermiinde und reinplin und des Aerztevereins für Ober-
rnim und die Uckermark zur Beilegung der Streitigkeiten zwischen
ankenkassen und Aerzten statt. An der Verhandlung nahmen teil
rtreter der beteiligten Ministerien, des Regierungspräsidenten in
tsdam, Vertreter der Versicherungsämter, die Aerztekammer und
-einziger verband. Die Besprechung führte zu dem erfreulichen
gebnis, dass sich die Aerzte bereit erklärten, vom 22. ds. Mts. ab
ärztliche Behandlung der Mitglieder der beteiligten Kranken-
^sen b!s zum Abschluss endgültiger Verträge wieder aufzunehmen,
m Abschluss dieser endgültigen Verträge sollen die Bestimmungen
; Berliner Abkommens zugrunde gelegt werden.
— Die neuen Vorschriften für die ärztliche Leichenschau
i Feuerbestattung im Königreich Sachsen sind nun
issen worden. Die ärztliche Schau menschlicher Leichen, die der
lerbestattung übergeben werden sollen, ist von einem beamteten
'te, der an der Behandlung des Verstorbenen nicht beteiligt ge-
sen ist, und von dem behandelnden Arzte vorzunehmen. Als be-
u lm Sinne des Gesetzes über die Feuerbestattung vom
viai 1906 gelten die Bezirksärzte (Kreisärzte) und die sächsischen
■.tultsbezirksarzte innerhalb und ausserhalb ihrer Bezirke, sowie
medizinischen Räte der Kreishauptmannschaften. Als „zweiter“
uteter Arzt kann auch jeder Arzt berufen werden, der bei dem
at, einem Bezirksverband oder einer Gemeinde in Eidespflicht
. Bei der Besichtigung haben die Aerzte den Hauptzweck der
-nensxhau — Aufdeckung strafbarer Handlungen, durch die der
herbeigeführt sein kann — zu beachten.
Fntsprechend dem von dem Internationalen Komitee für die
\ngo-KhnioIogenkongresse gefassten Beschluss wird der nächste
. r, R a 1 10nale Laryngo-Rhinologenkongress im
rhi„ 5 V0,m 9~12; September in Hamburg in unmittelbarem
i s? aR den ebenfalls in Hamburg stattfindenden Internationalen
I ® hkongress tagen. Aus Gründen der Zweckmässigkeit ist be-
en worden, beide Kongresse gemeinsam am Sonntag, den I
5. - eptember, zu eröffnen. Vorträge und Demonstrationen sind bis
zum l. Mai 1915 bei dem Generalsekretär G. Finder, Berlin W
Augsburgerstr. 38 anzumelden. Als Themata für die Referate sind
seitens des Internationalen Komitees bestimmt worden; 1. Patho-
genese und Aetiologie der Ozaena. 2. Pathogenese und Behandlung
des Heuschnupfens. 3. Der Krebs des Kehlkopfes, seine Diagnose und
m .iü i unK; , [.nd'kationen und Anwendungsweise der physikalischen
Methoden für die Behandlung der Kehlkopftuberkulose. 5. Die Er-
Krankungen der Nase und ihrer Nebenhöhlen im Kindesalter. Mit
em Kongress soll eine Ausstellung von anatomischen und patho¬
logisch-anatomischen Präparaten, von Lehrmitteln und Röntgen¬
bildern verbunden werden.
~ I11 der Gemeinsamen Iagung der Gesellschaft
e u t s c h e r N e r v e n ä r z t e (8. Jahresversammlung) und der
c C h ,w.e 1 z e r 1 sehen Neurologischen Gesellschaft am
f- 6- September 1914 inBern sind folgende Vorträge angemeldet
von den Herren: 1. L. Asher - Bern: Experimentelle Differenzierung
von erregenden und hemmenden nervösen Mechanismen. 2. S
Erben- Wien : Ueber spastische Phänomene. 3. O. Foerster-
Breslau: Ueber die spezifische Behandlung der Tabes dorsalis.
' . ■ -Kar plus und Kr ei dl -Wien: Ueber Sympathikuszentren
und -bahnen im Zentralnervensystem. 5. M. Nonne- Hamburg •
Anatomische Demonstration zum Kapitel der Cachexia hypophysi-
pnva. 6. A. S ae n g e r - Hamburg: Ueber akute doppelseitige Er-
GrdsSter fvSCeht°enbor"- Heidelberg: Tetaniesymptome im
Greisenalter. 8. G. S t ein e r - Strassburg: Das Zentralnervensystem
bei der Spirillose des Huhns. 9. G. S t i e f 1 e r - Linz: Ueber die
therapeutische Wirkung von Schlafmitteln bei Epilepsie. 10. A
Stof fei- Mannheim: Neues über die Ischias und die Behandlung
des Leidens. 11. 0. V e r a g u t h - Zürich: Tierexperimentelle Unter¬
suchungen über den psychogalvanischen Reflex. 12. Fr. Wohl-
w 1 1 1 - Hamburg: Pathologisch-anatomische Befunde im Zentral¬
nervensystem der Syphilitiker (nach gemeinsam mit Prof. E Fraen-
k e 1 - Hamburg ausgeführten Untersuchungen). 13. Z a n i e t o w s k i-
Krakau: Die Fortschritte der elektrodiagnostischen Methoden mit
besonderer Berücksichtigung eigener Versuche (Demonstrations¬
vortrag).
v,. ~7,Der 9- 1VeAtret/£rtag des Verbandes Deutscher
K 1 1 n i k e r s c h a f t e n (Berlin, Bonn, Breslau, Erlangen, Freiburg
Giessen, Göttingen, Greifswald, Halle, Heidelberg, Jena, Kiel, Königs-
^r- Leipzig Marburg, München, Rostock, Strassburg, Tübingen,
Wurzburg) nndet am 31. Juli und 1. August in L e i p z i g statt.
r. ^In d?r Zel^. v°m ,19— 3L Oktober 1914 wird in München ein
Fortbildungskurs für Bezirksärzte über Hygiene, gerichtliche Medizin
™d gerichtliche Psychiatrie abgehalten. Zu dem Kurse werden
3w Bezirksarzte zugelassen, und zwar aus jedem Kreise 4. Den Teil-
nehmern wird für die Dauer des Kurses und der Reise ein ausser¬
ordentlicher Urlaub gewährt. Ferner erhalten sie Tagegelder und
Ersatz der Reisekosten nach den verordnungsmässigen Vorschriften.
Die Gesuche um Zulassung sind bei den K. Regierungen, Kammern des
Innern, bis 1. September einzureichen. Näheres über Zeiteinteilung
und Lehrplan s. Bayer. Staatsztg. Nr. 170, 2. Blatt.
ir + Bj11 neologischer Kurszyklus in Karlsbad.
Unter Forderung des Internationalen Komitees für das ärztliche
Eoitbildungswesen findet in Karlsbad in der Zeit vom 27. September
b,ls 3- Oktober ein Kurszyklus über Balneologie und Balneotherapie
statt. Dm I eilnahme an dem Kurszyklus ist unentgeltlich, nur wird
eine Einschreibgebühr von 10 Kronen erhoben. Alles Nähere ergibt
der der heutigen Nummer beiliegende Prospekt.
~ jder FrauenkHnik zu Dresden sollen die nächsten
£nornV? VduilgTska Tle, für Aerzte in der Zeit vom 5. bis
30. Oktober d. J. abgehalten werden.
— Der Bundesrat hat den Regierungs- und Geheimen Medizinal-
n1 uhl Pr' £?anuel Rot.h m Potsdam und den Marinegeneralarzt
Dr Wilhelm U t h e m a 11 in in Kiel zu Mitgliedern des Reichsgesund¬
heitsrates gewählt, (hk.)
. ~ Or; Karl Kolb, Assistenzarzt an der Heidelberger chirur¬
gischen Klinik, ist zum Direktor des städtischen Krankenhauses in
bchwenmngen a. Neckar berufen worden, (hk.)
• t/- .Ch,°'f ra> Russland. Laut Mitteilung vom 10. Juli wurden
nn Kreise Letitschew (Gouv. Podolien) 2 Todesfälle festgestellt; das
Gouvernement ist für cholerabedroht erklärt worden.
•7nPeTStk Türke.i- In Beirut wurde am 6. Juli 1* neuer Pestfall
f-M?1! ? K In ,f3assra s!nd Im Mai 4 Erkrankungen (darunter 2 Todes¬
fälle) festgestellt worden, im Juni 2 (2) und vom 1. bis 9. Juli 7 (3).
ein ^rkischer Dampfer aus Bassra mit
1 Pestfall an Bord em. — Aegypten. Vom 27. Juni bis 10. Juli er¬
krankten 15 (und starben 6) Personen, davon in Port Said 5 (3) in
Alexandrien 7 (2) und in Etsa 3 (1). — Britisch Ostindien. Vom
7. bis 13. Juni erkrankten 1473 und starben 1310 Personen. — Nieder-
i^Rdi?c!? lRdi,ei?- Vom 17- bis Juni wurden 485 Erkrankungen (und
512 Todesfälle) gemeldet. — Hongkong. Vom 7. bis 13. Juni 81 Erkran¬
kungen (davon 46 in der Stadt Viktoria) und 70 Todesfälle. —
Zanzibar. Laut Mitteilung vom 12. Juni sind in der Stadt Zanzibar
3 Erkrankungen, darunter 1 mit tödlichem Ausgang, festgestellt
worden. — Vereinigte Staaten von Amerika. In New Orleans ist am
28. Juni ein schwedischer Seemann an Pest gestorben. Unter den
wegen Ansteckungsverdachts abgesonderten Insassen des Logier¬
hauses, in welchem der Verstorbene gewohnt hatte, ist am gleichen
1712
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
Tage ein zweiter Fcstfall bakteriologisch festgestellt worden.
Peru Im Krankenhause von Trujillo befanden sich am 19. Mai 5 Pes -
kranke. ^ ^ Jahreswoche> vom 5. bis 11. Juli 1914. hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Bromberg mit 24.7. die geringste Berlin-Friedenau mit 3.3 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Gladbeck, Gleiwitz, Konigshutte,
an Masern und Röteln in Ulm, an Keuchhusten in i Berlin-Reinicken-
d()r{ Voft. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.) . .. , .
Berlin. Das 50 j ä h r i g e Dozentenjubilaum beging
am 20 luli der Berliner Anatom Geh. Obermedizinalrat Prot.
Dr Wilhelm Waldeyer, Mitglied des Herrenhauses, Mitglied und
beständiger Sekretär der preussischen Akademie der Wissen¬
schaften (hk.) — Als Privatdozenten habilitierten sich Dr. plul. et med.
Otto W a r b u r g, früher Privatdozent in Heidelberg, mit einer Probe¬
vorlesung über die Rolle des Eisens im Mechanismus der Sauerstoft-
atmung. Stabsarzt Dr Friedrich Lotz, Assistent an der chirurgischen
Klinik der Charitee, mit einer Vorlesung über den Infektionsmodus
bei Kriegsschussverletzungen, Dr. Kurt W arnekro s, Assistent an
da Universitäts-Frauenklinik, mit einem Beitrag zur Prognose des
Puerperalfiebers. , . ... , ,
Düsseldorf. Der Direktor des biochemischen Institutes der
Akademie für praktische Medizin Prof. Dr. Johannes M ü 11 er erhielt
einen Ruf an das Medico-Chirurgical College in Philadelphia.
Frankfurt. Der Privatdozent für Zahnheilkunde an der
Strassburger Universität Oberstabsarzt Dr. Otto L o o s hat einen
Ruf als ausserordentlicher Professor nach Frankfurt erhalten, (hk.;
Giessen. Der Assistent am hygienischen Institut Dr. Otto
H ii n t e in ii 1 1 e r habilitierte sich mit einer Probevorlesung über
moderne Seuchenbekämpfung als Privatdozent für Hygiene.
Heidelberg. Der Professor der Orthopädie Dr. Oscar
V u 1 p i u s wurde zum korrespondierenden Mitglied der Kgl. Akademie
der Medizin und Chirurgie in Barcelona ernannt.
Jena. Geh Obermedizinalrat Dr. Rudolf Abel in Berlin hat
den Ruf als Nachfolger von Prof. Dr. Gärtner als Direktor des
Hygienischen Instituts der Universität Jena angenommen.
München. Zum Rector magnificus der Universität für das
kommende Studienjahr 1914/15 wurde Geheimrat Dr. Friedrich
v. M ii 1 1 e r, Professor der inneren Medizin und Direktor des Stadt.
Krankenhauses 1. I gewählt. ..
Strassburg. Ehemalige Assistenten, Schüler, ärztliche und
akademische Kollegen des emeritierten Professors Dr. _ Wilhelm
Alexander Freund haben zur Ehrung des Achtzigjährigen eine
Summe von 8000 M. gesammelt, welche mit dem Einverständnis des
Jubilars der Universität übergeben worden sind und deren Zinsen
zur Unterstützung wissenschaftlicher Arbeiten auf dem Forschungs¬
gebiet Freunds unter der Verwaltung der medizinischen Fakultät
dienen sollen, (hk.)
Paris. Dr. C o u v e 1 a i r e wurde zum Professor der geburts¬
hilflichen Klinik ernannt. D
Prag. Der a. o. Professor der internen Medizin an der Prager
deutschen Universität Regierungsrat Dr. Theodor Petr in a ist in
den Ruhestand getreten. Aus diesem Anlass erhielt er den I itel eines
Hofrates (hk.) — An der deutschen Universität wurde als Privat¬
dozent zugelassen: Dr. Richard Imhofer für Laryngologie. (hk
Wien. Als Privatdozenten wurden zugelassen: Dr. Rudolt
Ritter Aberle von Horstenegg für orthopädische Chirurgie
und Dr. Isidor Fischer für Geschichte der Medizin, (hk.)
(Todesfälle.)
Dr. Otto G. Ramsa y, Professor der Geburtshilfe und Gynä¬
kologie an der Yale-Universität zu New Haven.
Dr. Joseph W. Gleitsmann, früher Professor der Rhino-
I aryngölogie an New York Polyclinic Medical School and Hospital.
In Dublin starb der Professor der Anatomie und Physiologie
Sir Christophcr John Nixon.
Korrespondenz.
Bemerkung zur Mikrostickstoffbestimmung in den Dialysaten und in
enteiweissten Sernmproben zur Feststellung der Abwehrferment¬
wirkung.
Von Emil Abderhalden in Halle a. S.
Beitrag zur Kupferbehandlung der Lungentuberkulose.
Von C. M o e w e s und K. J a u e r.
Auf Wunsch der Farbenfabriken vorm. F riedr. B a y e r & Co
teilen wir zu unserer Publikation in Nr. 26 d. Wschr. mit, dass die
von uns zu Injektionszwecken angewandte Kupfersalzlosung nicht
identisch sein soll mit den von der Firma „Lecutyl genannten Kupfer¬
präparaten. _ _
Wir erhalten folgende Zuschrift zu M. N i k i t i n s Aufsat;
Ueber den Einfluss der Schutzimpfungen Kegen Lyssa au
den Verlauf der Anfälle bei Epilepsie“ (M.m.W. Nr. 28)
M N i k i t i n scheint entgangen zu sein, dass schon vor un
gefähr 20 Jahren in Paris aus dem Pasteurschen Institu
aus der Feder eines bekannten Neurologen, dessen Nam
mir jetzt nicht ins Gedächtnis kommen will, eine Arbeit erschien
die dasselbe Thema behandelte. Auch dort wurde die Beobachtun:
gemacht, dass nach einer antirabischen Kur bei einem Epileptike
die Anfälle abnahmen resp. verschwanden. Angeregt durch dies
Beobachtung haben wir damals in Dr. G o 1 d f 1 a m s Poliklinik dure
das hiesige musterhafte Institut (Dr. Palmir s n i) bei einigen Epi
lcotikern eine systematische Impfung durchfuhren lassen — olin
irgendwelchen Erfolg. Auch in Paris hat die Methode spater keine
Nachklang mehr gefunden. Es scheint doch, dass nur der Schot
des Hundebisses die Epilepsie beeinflusst hat. Diese historische Rt
miniszenz scheint mir insofern interessant, als sie vielleicht eine neu
I xssaära“ in der Behandlung der Epilepsie verhüten wird, wie e
sich init dem Crotalin, wo ein analoger Vorgang wahrscheinlich stab
gefunden hat, abspielt. Dr. L. B y c h o w s k - Warschau.
Amtliches.
(Bayern.)
Nr. 5008 f. 2.
Bekanntmachung
über die Prüfung für den ärztlichen Staatsdiens
Kgl. Staatsministerium des Innern.
Aerzte, welche die Approbation bereits seit 2 Jahren besitze
können zur Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst nach der Ve
Ordnung vom 7. November 1908 (GVB1. S. 72) jederzeit zugelass.
werden. _ - I
Die nächste praktische und mündliche Prüfung findet im Juli 19
statt. 9j
Zulassungsgesuche sind mit den vorgeschriebenen Belegen (Ve
Ordnung (§ 2) beim Kgl. Stciätsministcrium des Innern cinzurcichc
München, 21. Juli 1914
Ministerialdirektor von H e n 1 e.
Uebersicht der Sterbefälle in München
Es ist Seite 301 der 4. Auflage der „Abwehrfermente“ eine ge¬
meinsam mit F o d o r ausprobierte, der F o 1 i n sehen Methode
ähnliche Bestimmung kleiner Stickstoffmengen angegeben worden.
Es ist nachzutragen, dass es auf alle Fälle ratsam ist, zum Schlüsse
das Kölbchen, aus dem das Ammoniak übergetrieben wird, zu er¬
hitzen Ferner ist es besser, nur Rohrverbindungen zu wählen,
welche gerade sind und keine kugeligen Auftreibungen besitzen.
Man kann an eine Säugpumpe eine ganze Reihe von Apparaten an-
schliessen und so in kurzer Zeit viele Bestimmungen durchfuhren.
Die ganze Apparatur wird am besten aus Jenaerglas angefertigt.
Die Methode hat sich in zahlreichen Versuchen ausgezeichnet
bewährt. _
während der 27. Jahreswoche vom 5. bis 11. Juli 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildung
fehler 10 (141), Altersschw. (über 60 Jahre) 3(4), Kindbettfieber — l.
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft 1 (—1, Scharlach — (-,
Masern u. Röteln — (2), Diphtherie u. Krupp — (—), Keuchhusten—!-.
Typhus .ausschl. Paratyphus) —(—), akut. Gelenkrheumatismus — ( .
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundsw,
Trichinenkrankh. - (-), Rose lErysipel) - (2), Starrkrampf - h
Blutvergiftung 1 (2 , Tuberkul. der Lungen 17 (19), Tuberkul. and.U.
(auch Skrofulöse) 5 (4), akute allgem. Miliartuberkulose — (— ), Lung-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 4 (7), Influenza — (— ), veno
sehe Krankh. 1 (1), and. übertragbare Krankh.: Pocken, FleckfieL
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, \v ecti; ■
fieber usw. — (— ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) 6 (3), Alkoho-
mus _ (_) Entzünd, u Katarrhe der Atmungsorg. 1 (2), sonst. Kran
d. Atmungsorgane 6 (9), organ. Herzleiden 16 (19), Herzschlag, ne
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 8 (4), Arterienverkalkn
1 (5), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 2 (2), Gehirnschlag M
Geisteskrankh. — (1), Krämpfe d. Kinder 2 (2), sonst. Krankh. d. Nerv
Systems 5 (2), Atrophie der Kinder 1 (4), Brechdurchfall — (2), Mag
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 8 (8), Blindda
entzünd. 2 (4), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse
Milz 4 (3), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 3 (6), Nierenentzünd. 4
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 2 (2), Krebs 14 (16), so
Neubildungen 3 (4), Krankh. der äuss. Bedeckungen — (2), Krankn.
Bewegungsorgane — (2), Selbstmord 6 (1), Mord, Totschlag, a
Hinricht. 2 (— ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 3
andere benannte Todesursachen 2 (3), Todesursache nicht (gei
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — ( — ;•
Gesamtzahl der Sterbefälle: 154 (174).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwo^
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
D,> Münchener Medizinische Wochen»chrift erscheint wöchentlich
™ Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. . Preis der einzelnen « <r
MÜNCHENER
Zusendnngen sind zu adressieren:
Fördie Redaktion Amulfstr.26. Bürozeit der Redaktion -t Uhr
Für Abonnement an I p i »h».«»«*. »/ — i — . . - '
Für Inserate
nent an I. F. Lehmann’s Verlag, Paul licysestrasse 25
und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 2.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
Originalien.
Aus der Technischen Hochschule zu Charlottenburg.
Physikalisch-chemische Untersuchungen von Blutseris.
Von Prof. Dr. J. Traub e.
Untersuchungen von Blut und Blutseris können in sero¬
logischer, in chemischer und in physikalisch -
chemischer Richtung erfolgen. Die grossen Erfolge der
nach den ersten beiden Richtungen herbeigeführten zahl¬
reichen Arbeiten sind bekannt. Auch nach physikalisch-chemi¬
scher Richtung sind Einzelerfolge erzielt worden, namentlich
durch Berücksichtigung derjenigen Methoden, welche die
Ieuchenzahl von Stoffen im Blute zu ermitteln gestatten (Ge-
frier punkt, elektrisches Leitvermögen und elektromotorische
Kräfte), indessen hier ist doch nur erst ein Anfang gemacht
worden und ich hoffe, dass die vorliegende Arbeit, welche aus¬
führlicher in dem nächsten Hefte der von mir herausgegebenen
Intern. Zschr. f. phys.-chem. Biol. erscheint, zeigen wird, dass
iur die klinische Medizin in diagnostischer Be¬
ziehung gerade nach dieser Richtung erhebliche Ausbeuten
zu erwarten sind.
Es wurden in dieser bereits vor einem Jahre be¬
endeten Arbeit mehrere hundert tierischer und
",f.chJll^her Sera untersucht1) und zwar bestimmte ich
mit Hüte des Viskos tagonom et er s: a) die R e i b u n g s-
konstante und die Konstante der Oberflächen¬
spannung, ferner nach neueren Methoden die A 1 k a 1 i n i -
tat und die Azidität der Sera, sowie den Gehalt an
oberflächenaktiven Säuren (Fettsäuren und Gallen¬
sauren).
oncrpIp”i1ViskoSt,aionometer2) ist elne einfache, von 0—500 kalibrierte
SnRi«f ’MWte ahe am Untfereun Ende mit einer Abtropffläche ver-
h a ? ‘st , M‘t diesem einfachen Apparat bestimmt man inner-
K n nc fVrfl Mj n u Vf U dlrf ^ e 1 b u ii g s k o n s t a n t e und die
Konstante der Oberflächenspannung. Der Apparat ist
sehl-n^3 agmTeternin meAhrfacher Hinsicht überlegen. Ganz abge-
mitbestlmmV tSS tAPParat Sieichzeitig die Reibungskonstante
für iüp u erford?rt derselbe eine wesentlich geringere Zeit
um dhfiH ^ VhUI^S U1]d es genugt ejn halbes Kubikzentimeter Serum,
um beide Konstanten festzustellen3).
Huf Rpbungskonstante wird bestimmt, indem man zweckmässig
™ iche rrrmieiKbai.re « SeJkuill?enuhr d>e Ausflusszeit vom Teil-
apiuh rT''°v Uif-fie betreffende Flüssigkeit sowie für Wasser fest-
als M-^SHPVerha mS ‘d u’6 SOgen' sPezifische Zähigkeit, welche
J?Pihn u inneren Reibung angesehen werden darf. Da die
üt bmehrPr5r 7 °n TemPPratur beeinflusst wird, so bestimmt man
kann Sn„ ^ mH Tlf1’16."1061'3»)'6» die Ausflusszeit für Wasser und
Derat.m rpH HlIfe. d'eser Werte leicht auf eine bestimmte Tem-
A„ a Kp dAZierT In der vorliegenden Arbeit wurden einfach unter
zeifen CangegebenUSSZeit fUr WaSSCr Ür 20° die betreffenden Ausfluss-
~n h}p,aS- u‘e konstante der Oberflächenspannung betrifft,
fesizStPi!? "Pob danut begnügen dürfen, die Anzahl Skalenstriche
ustellen. welche ]e 1 Tropfen der Flüssigkeit und 1 Wassertropfen
itz v^iH,erWeoe lst. v<» kurzem in dieser Wochenschrift ein Auf-
5taGvmnnilfrrn s c h erschienen, in welchem derselbe mittels
nmh m ■ o'rs die Oberflächenspannung einer Reihe von Seris sowie
esS-pSS1fgkei lt,-?e,mesien hat Er hat insbesondere Abweichungen
sigcsteut für fötales Serum sowie das Serum von Epileptikern.
> I raube: Biochem. Zschr. 42. 500. 1912.
, n n ’ n ,einer Mitteilung über Kapillarimeter, Viskosta-
ler IntPrf I F uUn t s t a I a gm o m e t c r, welche demnächst in
nein» ,, ü,' ^sc“r- f- Phys.-chem. Biologie erscheinen wird, werde ich
talnn pm fenrErfthrungcn über die Apparate mitteilen. Das Visko-
iurch an« tCr iZU beziehen durch C. Gerhardt in Bonn) ist da-
mrch allen anderen Apparaten überlegen
Nr 31.
entsprechen Dieses Verhältnis stimmt annähernd überein mit dem
Verhältnis der S teighöhen im kapillaren Rohre. Man muss Sorg™
Hnpr daSS die. Abtropfääche gut gereinigt ist (von Zeit zu Zeit mit
f "f, fheissfen Losung von Kaliumbichromat und Schwefelsäure und
“‘ad. S u ° r, erfolgender Nachspülung mit Wasser). Das früher
on mir beschriebene Spiegelstativ ist nicht erforderlich. Es wird
o verfahren, dass man anstatt den fallenden Tropfen beim Ablesen
Hp ndF-m obeEen Ied d?r Skala im Spiegel zu beobachten, einfach
dei,E>nger oder einen Gummifinger unter die Abtropfflächc hält- man
zahlt dann mehrere Tropfen und bestimmt die zugehörige Anzahl
^ kalenstnche. Nach jedem Versuche taucht man die Abtropffläche in
Wasser Der Apparat ist stets sorgfältig zu reinigen und achtzi-
geben, dass keine Unterbrechung des Flüssigkeitsfadens durch Luft¬
blasen (infolge schlechter Reinigung) stattfindet.
k** ® Methode der Alkalibestimmung beruht auf einem
AiRain .^ri,nzip uud ist überaus einfach. Verdünnte Lösungen von
^htnldSantnGr-lei Chinincblorhydrat etc. haben eine nur wenig ver¬
schiedene Oberflächenspannung von Wasser. So ergab ein Stalagmo
ineter welches für Wasser die Tropfenzahl 49,9 b!i 18 " zeigte ™r
ine 0,2 proz. Losung von Chininchlorhydrat die Tropfenzahl 50 3
0 02«e normatbneiVZU, ;0HCn?, dieSer Chininsalzlösung nur "o, 2 ccm einer
0,025 normalen Kalihydratlosung, so stieg die Tropfenzahl infolge
llüung freien Chinins auf 56,2, bei Zusatz von 0,2 ccm einer 0 038
normalen Kal, todratlösung auf 57,5, einer 0,47 normalen Lösung aut
59,55 und einer 0,57 normalen Lösung auf 61,25.
U i e s e einfache Methode ist geeignet, für
die Untersuchung mannigfacher Körper-
flussigkeiten wertvolle Dienste zu leisten da
sie nicht wie die Indikatormethoden von der
eobachtung der Färbungen abhängig ist.
Amf ganz entsprechendem Prinzip beruht eine Methode der
Azidttätsbestimmung, die ich gemeinsam mit Herrn
Dr. bomogyi ausgebildet habe4).
Wenn man eine Lösung von Natriumisovalerianat mit einer
stärkeren Säure versetzt, so wird die stark kapillar-
a uu,V u Valer*ansäure die Oberflächenspannung des Wassers
erheblich vermindern, und man erhält so eine empfindliche
Methode zum Nachweis der Säuren im Serum und anderen
Korpersaften. Natürlich werden nach dieser Methode Säuren
welche schwächet sind als Valeriansäure, ebenso wenig
angezeigt, wie nach der Chininmethode Basen, welche nicht
starker sind als die sehr schwache Base Chinin. Die Aziditäts¬
methode wurde in der Weise ausgeführt, dass 5 ccm einer
wassengen Lösung von 2 proz. Natriumisovalerianat mit
0,2 ccm Serum versetzt und alsdann die Tropfendifferenzen
viskostagonometrisch oder stalagmometrisch bestimmt wurden.
In Eigänzuiig dieser Methode wurden die schwachen
kapillaraktiven Säuren im Serum in der Weise bestimmt, dass
man das verdünnte Serum mit gewissen Mengen einer kapillar-
inaktiven stärkeren Säure versetzte und am Stalagmometer
oder \ iskostagnometer die Tropfendifferenz feststellte. Es
wuide so verfahren, dass man je 1 ccm Serum mit 9 ccm
Wasser und 4 ccm Vioo Normalschwefelsäure versetzte.
dieser Methoden wurde nun zunächst eine grössere
Anzahl T i er sera untersucht. Auf die Tabellen der ausführ¬
lichen Arbeit verweisend, mögen hier die folgenden Angaben
genügen: s
In einem Vikostagonometer, in welchem die Ausflusszeit
Jur Wasser vom I eilstrich 0—500 112 Sekunden bei 21° be¬
trug, wurden für 7 Meerschweinchensera die folgenden Aus¬
flusszeiten gefunden: 153, 142, 152,2, 150, 152, 153 und 150.
Man ei sieht aus dieser Uebereinstimmung, dass die Eiweiss-
gei mnung beim Uebergang von Plasma im Serum anscheinend
4) Vergl die im nächsten Hefte der Intern. Zsch.r f. phys.-chem.
Biologie erscheinende Mitteilung von Traube und Somogyi.
1
1714
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
derart gleichmässig verläuft, dass die Bestimmung der Rei¬
hungskonstante von Seris zu vergleichbaren Ergebnissen führt.
Es mag genügen, wenn hier folgendes von meinen Ergeb¬
nissen an Tierseris mitgeteilt wird.
Das komplementhaltige Meerschweinchenserum
hat im Vergleich zu allen anderen untersuchten Säugetierseris
(Maus, Ratte, Kaninchen, Hund, Hammel, Ziege, Rind, Pferd,
Mensch) die geringste Reibung 150, die geringste
Alkalität und die geringste Menge kapillar-
aktiver Säuren — eine I atsache, die neben vielen
anderen dafür spricht, dass die komplementären
Eigenschaften dieses Serums auf physikalische
Ursachen zurückzuführen sind. Ferner haben eine geringe
Reibung das Froschser u m sowie das Taubenserum.
Auf das Meerschweinchen folgt in bezug auf die Reibung
das Kaninchen mit 159, die weisse Maus mit 164, die Ratte
mit 172, dann folgen die grösseren Tiere. Beim Menschen
schwanken im normalen Zustande die Reibungen etwa zwi¬
schen den Grenzen 180 und 210 (Wasser 112). Die geringste
Oberflächenspannung von den untersuchten Säugetierseris hat
die weisse Maus mit 89,7 (Wasser 121), die weisse Ratte folgt
mit 96; die Oberflächenspannungen der grösseren Säugetiere
schwanken innerhalb enger Grenzen von etwa 99—103. Die
Oberflächenspannung des Serums des normalen Menschen liegt
etwa zwischen denselben Grenzen. Das Serum des Frosches
und der Vögel (Huhn und Taube) hat eine geringere Ober¬
flächenspannung.
In bezug auf die Alkalität ergab sich das interessante
Resultat, dass die Vogelsera eine wesentlich
grössere Alkalität haben als die Säugetier-
s e r a und dass andererseits diejenige des Frosches sehr
gering ist.
Die Aziditätsbestimmungen von Tierseris sind
noch nicht genügend weit durchgeführt, um dieselben zurzeit
schon zu besprechen 5).
Eine Untersuchung von Magensaft und Pankreas¬
saft vomH u n d e°) führte zu dem Ergebnis, dass der M a g e n-
s a f t eine geringe Azidität, aber keine Alkalität,
dagegen der Pankreassaftkeine Azidität, wohl aber
erhebliche Alkalität zeigte, die indessen geringer war als
diejenige des Serums. (Vergl. die ausführlichere Abhandlung.)
Die Untersuchung der Oberflächenspannung einer
grösseren Anzahl von Seris gesunder und kranker Pferde er¬
gab, dass namentlich bei Brustseuche eine Abweichung von
der Norm stattfand.
Es sind alsdann mehrere 100 menschliche Sera (mit weni¬
gen Ausnahmen hämoglobinfrei) untersucht worden. Die Sera
verdanke ich zum Teil der K r a u s sehen Klinik, zum Teil bin
ich dafür dankbar Herrn Dr. H. Hirschfeld in der Krebs¬
station, Herrn Dr. Mühsam, Dr. R o s e n b e r g und einigen
anderen Herren. Nicht immer war die Diagnose zuverlässig.
Auch war es mir als Nichtmediziner nicht möglich, den ein¬
zelnen Fall genau zu verfolgen. Die Untersuchung soll daher
nur als eine vorläufige angesehen werden. Trotzdem
dürfte sie zeigen, dass hier bei systematischem Vor¬
gehen wertvolle diagnostische Resultate zu er¬
warten sind.
Betrachten wir zunächst die A 1 k a 1 i b e s t i m m u n g, so
wollen wir zunächst unsere Meinung dahin aussprechen, dass
ein Serum sich unzweifelhaft wie eine stark
alkalische, andererseits aber auch wie eine
starksaure Flüssigkeit verhält. Die oft geäusserte
gegenteilige Ansicht, dass das Serum „neutral“ sei, ist nicht
richtig. Wie ein einzelnes Kolloid beispielsweise Eiweiss
amphoter ist, d. h. je nachdem sauer oder alkalisch sich
verhalten kann, so kann auch ein Milieu wie das
Serum sich ebensowohl alkalisch wie ande¬
rerseits sauer verhalten.
Die Chininmethode (10 ccm 0,2 proz. Chininchlorhydrat¬
lösung zu 0,2 ccm Serum) zeigt zunächst in Uebereinstimmung
5) Mittlerweile ist eine diesbezügliche vorläufige Mitteilung von
Traube und Somogyi beendet; vergl. das nächste Heft der
Intern. Zschr. f. phys.-chem. Biologie
") Ich verdanke diese Säfte Herrn Prof. Wohlgemut.
mit älteren Indikatormethoden, dass das normale Serum sich
wie eine 0,05—0,06 Normallösung von Kalihydrat verhält.
Bei kachektischen Zuständen (Karzinom, per¬
niziöse Anämie, schwere Tuberkulose, schwerer Basedow,
Pneumonie und Leberzirrhose, zuweilen Urämie, 1 abes, Mi¬
tralfehler etc.), überall da, wo die Kohlensäure
durch Zerfallsprodukte von Eiweiss ver¬
drängt wird, nimmt die Alkalität stark ab. In
manchen Fällen von Karzinom etc. geht dieselbe bis auf I
3/ioo einer normalen Alkalilösung herunter. Die Untersuchung
wurde mit einem Stalagmometer ausgeführt (Tropfenzahl für
Wasser 49,9 und für 0,2 proz. Chininchlorhydratlösung 50,7).
Bei normalen Seris, auch denen von Syphilitikern, schwankte
die Tropfenzahl des Systems Chininchlorhydrat + Serum fast
immer zwischen den Grenzen 59 und 61,5; bei 24 Karzinoin-
seris ging niemals die Iropfenzahl bis 60 herauf. Nur in
6 Fällen war die Zahl grösser als 59, in allen anderen Fällen
war sie geringer und ging bis auf 55,5 herunter. 2 Fälle von
Pneumonie ergaben 56,2 und 56,0. Ein Fall von schwerem
Basedow, Tuberkulose und Urämie ergab die 'I ropfenzahlen
57,3 bzw. 57,0 bzw. 56,2 usw. Bei schwerem Diabetes erhielt
ich nur deshalb keine genügend grossen Tropfendifferenzen,
weil bei den beiden Fällen, die ich untersuchte, wie sich nach¬
träglich herausstellte, die betreffenden beiden Patienten grosse
Mengen von Natriumkarbonat eingenommen hatten.
Diejenigen Sera, welche nach meinen
Untersuchungen eine zu geringe Alkalität er¬
gaben, sind nun dieselben, welche eine posi¬
tive Meiostagminreaktion zur Folge haben,
wie Karzinom, perniziöseAnämie, T uberkulose,
Diabetes, Pneumonie etc., und ich bin der Ansicht,
dass die Meiostagminreaktion von Ascoli und
I z a r namentlich wie sie jetzt mit künstlichen Antigenen aus¬
geführt wird, lediglich den Grad der Alkalität
und der Kachexie der Sera misst.
Wenn man minimale Mengen von Rizinsäure und Linol¬
säure mit verdünnten Seris auf 50 0 erwärmt, so liegt es nahe,
dass ein Unterschied der Alkalität der Sera einen Einfluss auf
die Oberflächenspannung ausübt (vgl. meine ausführlichere
Mitteilung). . , , . ,
Die Versuche über die Azidität menschlicher
Sera sind gleichfalls noch im Gange. Die Ergebnisse sollen
für eine spätere Mitteilung aufgespart werden. Auch hier zei¬
gen sich grosse Unterschiede, die möglicherweise klinisch ver¬
wertbar sind.
Was nun die Konstanten der Reibung betrifft, so wurder
in 153 von etwa 200 Fällen Ausflusszeiten von 180—210 Sek
(Wasser = 112) festgestellt. Anormal grosse Reibungen er
gaben sich namentlich bei Gegenwart von Galle im Serun
(Leberzirrhose 243, 270; Ikterus 240) und in gewissen
aber keineswegs allen Fällen von Herz- und Gefäss
erkrankungen (Apoplexie 273, Arteriös klerost
275, Aortenerweiterung 228; in mehreren Fällen vor
Gelenkrheumatismus 218, 220, 220, 225 etc.). Auel
in einzelnen Fällen von schwerem Basedow, Tuber
kulose und Pleuritis wurden grössere Reibungen 21
bzw. 225 bzw. 223 gefunden. Zu geringe Reibungen wohl in
folge von Verwässerung des Blutes beobachtete ich in man
chen Fällen von Anämie und Chlorose (perniziös'
Anämie 167, 168, schwere Anämie 170, Chlo
rose 170).
In bezug auf die Werte der Oberflächenspannung ergäbe
sich auch mancherlei bemerkenswerte Resultate, doch mus
hier auf die ausführlichen Tabellen hingewiesen werden, eben
so in bezug auf die Ergebnisse der Bestimmungen der kapillar
aktiven Säuren. Es scheint, dass bei Urämie eine Vermehrun
derartiger Säuren stattfindet.
Wie schon erwähnt wurde, befand sich unter dem mir zu
Verfügung stehenden Material von Seris eine ganze Anzah
bei denen die Diagnose als unsicher bezeichnet werden konnh
In einer Reihe von Fällen, die ich leider im einzelne
klinisch nicht verfolgen konnte, ergab sich aus meinem Zahler
material, dass hier Fehldiagnosen vorliegen dürften.
Wenn z. B. bei einem Falle von „Herzneurose“ eine Re
bung von 237 festgestellt wurde, so durfte angenommen we
*■ All*list l9M- _ muencHener medizinische Wochenschrift
len. dass es sich hier gewiss nicht um eine einfache Neurose
landelt.
Bei einem lediglich als „Kehlkopfkatarrh“ bezeichneten
-alle wurde die enorme Reibung von 241 festgestellt; bei einem
ds „normal bezeichneten Balle die Reibung 224; bei einem
all von „Gravidität 4 die Reibung 226, gleichzeitig war die
Iberflächenspannung und Alkalität durchaus anormal. In allen
olchen Fällen dürfte eine mangelhafte Diagnose vorliegen
uch wenn andererseits 3 Sera als „normal“ bezeichnet wur-
!en, trotz der geringen Reibungen von 164, 170 und 173.
\\ ie bereits erwähnt wurde, handelt es sich bei dieser
vrbeit nur um eine vorläufige einleitende Mitteilung,
' eiche bestimmt ist, die Brauchbarkeit der hier geschilderten
infachen physikalisch-chemischen Methoden für die klinische
ledizin zu erweisen. In Anbetracht der grossen
.infach heit der Ausführung dieser Methoden
- selbst der praktische Arzt könnte dieselben vielfach aus-
ihren — sollte die Einführung in den Labor a-
orien der Krankenhäuser nicht unterbleiben
s ist mir unzweifelhaft, dass die Diagnose in man-
hen Fällen erleichtert wird.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br.
Ueber die biologische Reichweite der Radium-,
Mesothorium- und Röntgenstrahlen.
Von B. K r ö n i g.
In der Literatur und den Kongressberichten der letzten
eit findet sich immer wieder die Behauptung, dass es er-
iesen sei, dass die biologische Reichweite der Radium- und
lesothoriumstrahlen nicht über eine Gewebstiefe von 2 _ 3 cm
nausginge. Es werden daraufhin schon die schwerwiegend¬
en Schlussfolgerungen gezogen, indem z. B. vor kurzem be-
auptet wurde, dass die Anwendung der Radium- und Meso-
loriumstrahlen für die Behandlung von Karzinomen, die tiefer
ie 3 cm in das Gewebe dringen, von vornherein aussichtslos
u. Für solche Karzinome kämen nur die Röntgenstrahlen
Betracht.
Wir haben schon in einem Artikel der Deutschen medi-
nischen Wochenschrift darauf aufmerksam gemacht, dass
eses in einem gewissen Widerspruch steht zu den physikali-
hen Anschauungen von der überwiegenden Penetrations-
nigkeit der Mesothorium- und Radiumstrahlen gegenüber den
ontgenstrahlen. Dort schon brachten wir einen Fall von
ulvakarzinom, bei welchem wir aus 16 cm Luftdistanz die
eitgeher.dsten Rückbildungen des Karzinoms durch Professor
schoff histologisch festgestellt sahen. Da hier der Ein-
and gemacht ist, dass in diesem Falle die Gammastrahlen
ir die Luft, aber nicht das Gewebe durchdrungen hätten, so
ochten wir einige weitere Fälle anführen, aus denen nach
iserer Ueberzeugung einwandfrei hervorgeht, dass wir auch
irch 10 cm Gewebe mit Radium- und Mesothoriumstrahlen
n Karzinom beeinflussen, und zwar elektiv in der Weise, dass
ts darüber gelegene, durchstrahlte Gewebe keine wesent-
hen Veränderungen aufweist.
Zunächst spricht bis zu einem gewissen Grade für eine
osse Tiefenwirkung der Mesothorium- und Radium-y-
rahlen die Beobachtung, dass bei tiefliegenden und tief-
enenden Karzinomen wir bisher die besten Dauerresultate
it der Radium- und Mesothoriumbehandlung erreicht haben,
ährend unter der Röntgenbehandlung, die wir ja viel früher
ie die Mesothoriumbehandlung in grossen Dosen beim Kar-
10m anwendeten, doch häufig später das Karzinom wieder
s der Tiefe herauswuchern sahen. Es ist möglich, dass wir
mals die Dosis vielleicht nicht hoch genug gewählt hatten,
-gleich wir schon Dosen anwendeten, die heute kaum Über¬
tritten werden; es ist auch möglich, dass vielleicht die ange-
wr ^°ntgenstrahlen etwas weniger penetrant waren als
- die heute zur Verfügung stehenden Apparate hervorbringen,
gleich unsere bisherigen physikalischen Untersuchungen
um eine Besserung der Penetrationsfähigkeit der Strahlen
modernen Apparate aufweisen bei der von uns ange¬
endeten Filterung. Immerhin möchten wir doch auch an
-Ser Stelle als auffälligen Befund folgendes registriert haben: I
Von den Karzinomen, die heute alle länger als 1 Jahr, viele
übet 2 Jahre, 1 Karzinomfall bis zu 3 Jahren, rezidivfrei sind,
finden sich überwiegend die Karzinome, welche mit Radium-
und Mesothoriumstrahlen behandelt wurden. Es sind 24 Fälle,
die diese Rezidivfreiheit alle über 1 Jahr, viele über 2 Jahre.’
aufweisen, und was wir für die biologische Tiefenwirkung der
Kadium- und Mesothoriumstrahlen an dieser Stelle besonders
hervorheben möchten, ist, dass unter diesen 24 Fällen sich
Mammakarzinome befinden, deren fühlbarer Tumor allein über
3 cm 1 iefe aufwies, und dass sich darunter ein Zungenkarzinom
befindet, welches wir durch den Kiefer hindurch bestrahlten,
wo also auch die Distanz weit über 3 cm betrug, da das Kar¬
zinom weit hinten im Zungengrunde sass. Auch dieser Fall
ist jetzt über VA Jahre rezidivfrei. Immerhin konnte all diesen
Fallen entgegengehalten werden, dass die Distanz nicht genau
berechnet sei. Deswegen sind wir dazu übergegangen, mit
Mesothorium- und Radiumstrahlen bei 6 cm fiautdistanz Portio-
und Scheidenkai zinome durch die vordere Bauchwand hin-
durch zu bestrahlen. Wenn auch diese Fälle, da sie kurz zu-
i iickliegen, noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden
können, so möchten wir doch betonen, dass in einem Falle
eine grosse Blumenkohlgeschwulst vollständig verschwunden
ist, und dass an anderen Karzinomen bei wiederholten Ex¬
zisionen von Prof. As ch off die weitgehendsten Rtickbil-
dungsvoi gönge, Verhornung der Zellen, wie jetzt genügend be¬
kannt ist, konstatiert wurden.
Anfangs haben wir, um die Impulsdosis genau an Ort und
Stelle festzulegen, von einer Stelle der vorderen Bauchwand
aus, nachdem die Haut hier umgeklappt war, durch die frei¬
gelegte Stelle hindurch bestrahlt; in den anderen Fällen haben
wir uns der üblichen Vielfelderbestrahlung bedient. Bei diesen
Fällen war also die Reichweite der Mesothorium- und Radium¬
strahlen 6 cm Hautdistanz plus ca. 8— 10 cm Gewebsdistanz.
Ebenso haben wir bei einem Pharynxkarzinom von den Seiten
aus durch die ganze Halswand hindurch bestrahlt, und wie die
Messung feststellte, damit auch ein Gewebe von gut 8 cm
durchdrungen. Auch hier zeigte sich eine weitgehende
Schrumpfung des Iumors mit Rückbildungsvorgängen.
All die mikroskopischen und makroskopischen Beweise, welche
Bumm und Warnekros in dieser Wochenschrift für die Tiefen¬
wirkung der Röntgenstrahlen gefordert haben, sind also bei uns auch
für die Mesothorium- und Radiumstrahlen erbracht. Wir leugnen
nicht, dass auch unseren Fällen die gleichen Schwächen- der Beweis¬
kraft anhaften, wie den von Bumm und Warnekros in dieser
Wochenschrift publizierten Fällen der Tiefenwirkung bei Röntgen¬
strahlen, weil sie alle zu kurz beobachtet sind. Nur schien es mir
wichtig, schon an dieser Stelle hervorzuheben, dass die Annahme von
Bumm, dass die I^öntgcnstrcililcn eine grössere Tiefenwirkung zeigen
wie die Radium- und Mesothoriumstrahlen, unseren klinischen Beob¬
achtungen widerspricht. Auch möchte ich nicht verfehlen zu er
wähnen, dass die Aeusserungen von Bumm, dass wir zwar schon vor
mehreren Jahren eine weitgehende Zerstörung der Karzinome durch
Röntgenstrahlen, z. B. bei Magen-, Alamma- und Zervixkarzinomen
erreicht hätten, aber nur „auf Kosten schwerster Verbrennung“, nicht
zu Recht besteht. Nur in einem Falle haben wir eine stärkere
Nekrose des Gewebes gehabt, bei offenbarer Ueberdosierung Viel¬
mehr haben wir schon damals in der Arbeit gerade umgekehrt ge¬
zeigt, speziell in dem Falle von Magenkarzinom, wie ausserordentlich
elektiv die Wirkung der Röntgenstrahlen auch bei tiefliegenden Kar¬
zinomen ist. Diese elektive Wirkung zeigt sich allerdings auch
wiederum in gleicher Weise bei den harten Mesothorium- und Ra¬
diumstrahlen.
Um nicht missverstanden zu sein, möchte ich deswegen
keineswegs behaupten, dass Radium- und Mesothoriumstrahlcn
besser zur Behandlung der tiefliegenden Karzinome sind als
Röntgenstrahlen; dieses umso weniger, da ich der Ansicht bin,
dass die Wirkung der Radium-, Mesothorium- und Röntgen¬
strahlen keineswegs allein von der grösseren oder geringeren
Penetrationsfähigkeit der Strahlung abhängig ist, dass vielmehr
die Röntgenstrahlen mit den Radium- und Mcsothoriumstrahlen
keineswegs, wie es heute so oft geschieht, biologisch gleich¬
wertig sind. Gewiss kann es bei oberflächlicher Beobachtung
scheinen, als ob die Röntgen- und Radiumstrahlen eine analoge
biologische Wirkung hätten; beide bringen Amenorrhoe her¬
vor, beide vernichten Karzinom, dennoch aber drängen uns
unsere Beobachtungen gerade bei Myomen und bei Karzi¬
nomen dazu, die biologische Wertigkeit doch in vielen Punkten
als different anzusprechen. Auch dieses ist a priori aus Ana¬
logieschlüssen wahrscheinlich, denn ebenso wie die biologische
1*
1716
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Wirkung des roten Lichtes von der biologischen Wirkung
des viel kurzwelligeren ultravioletten Lichtes sich unter¬
scheidet, ebenso ist anzunehmen, dass sich auch die Röntgen¬
strahlen von den Gammastrahlen des Radiums und Meso¬
thoriums biologisch trennen; umsomehr, da die Differenz in der
Wellenlänge zwischen Röntgenstrahlen einerseits und Gamma¬
strahlen des Radiums und Mesothoriums andererseits unver¬
hältnismässig viel grösser ist als die zwischen rotem und
ultraviolettem Licht. . , , .. .
Diese Anschauung von der biologischen Differenz drangt
sich uns auf Grund unserer Beobachtungen direkt auf.
Nachdem wir jetzt seit 3 Jahren oberflächliche und tief¬
liegende Karzinome abwechselnd und nebeneinander mit hohen
Radium- und sehr hohen Röntgendosen behandelt haben, sind
wir wie Werner und die französischen Autoren zu der
Ueberzeugung gekommen, dass sich verschiedene Karzinome
gegen Radium- und Röntgenstrahlen ganz verschieden ver¬
halten. Es gibt radiumsensible und röntgensensible, es gibt
radiumfeste und röntgenfeste Karzinome. Oft genug haben
wir gesehen, dass Karzinome auf höchste Röntgendosen nicht
ansprachen und dann auf relativ geringe Radiumdosen zurück¬
gingen, und umgekehrt. ... , .
Wie röntgenfest z. B. Karzinome sein können, dafür folgen¬
des experimentelle Beispiel:
Ein oberflächlich gelegener Hautknoten eines Mamma¬
karzinoms wurde mit 10cm Fleisch bedeckt. Auf die Obei-
fläche des Fleisches wurden in einer Sitzung unter 3 mm Alu¬
minium 3000 X appliziert, also eine Menge, die man der Haut
über einem 10 cm tief liegenden Karzinom kaum zumuten kann.
Dennoch zeigte das Karzinom nach mehrfacher Probeexzision
mikroskopisch nie die Spur einer Rückbildung.
Wir würden es für die weitere Entwicklung der Karzinom¬
therapie sehr bedauerlich erachten, wenn man schon jetzt auf
Grund relativ weniger, kurz beobachteter Fälle sagen wollte:
die Radiumbehandlung hat sich überlebt, nur die Röntgenbe¬
handlung kommt noch in Betracht.
Aus der Kgl. II. Gynäkologischen Universitätsklinik München
(Vorstand: Prof. Dr. Amann).
Wandlungen in der Krebsbehandlung mit Röntgenstrahlen *).
Von Prof. Dr. J. A. Amann.
Wir stehen gegenwärtig wieder vor einem neuen Ab¬
schnitt in der Entwicklung der Strahlentherapie.
Sofort nach Entdeckung der Röntgenstrahlen hat man aus¬
gedehnte Versuche mit denselben bei Karzinomen jeglicher Art
durchgeführt — die Resultate waren schlecht — die Schädi¬
gungen gross. ,. ~ .
Einen bedeutenden Fortschritt brachte erst die Durch¬
führung der von D e s s a u e r begründeten T i e f e n b e -
strahlungs- bzw. Ho mögen best rahlungsmethode.
Vor ca. 1 Jahr erregten nun besonderes Aufsehen die
ungeahnten Wirkungen der Radium- und Mesothoriumstrahlen
(Krönig, Dö der lein, Bumm). Da diese vorher nie
gesehene Wirkung sich nur auf einen kleinen Umkreis des
Gewebes erstreckte, wurde immer mehr der Wunsch rege,
die Röntgenstrahlen noch mehr den wirksamen Komponenten
der Radium- und Mesothoriumstrahlen ähnlich zu gestalten.
An der Bumm sehen Klinik hat nun vor einigen Monaten
W a r n e k r o s auf dem Prinzip der homogenen Bestrahlung
basierend, zum ersten Male derartig hohe Dosen von harten
Strahlen verwendet, wie sie vorher niemals angewandt
worden waren. Während früher nur bis 25 X (in extremen
Fällen bis 40) auf ein Hautfeld und nur in grossen zeitlichen
Abständen verabreicht wurden, hat Warnekros 100 und
mehr X täglich auf das gleiche Hautfeld ange¬
wandt, und was besonders staunenerregend war, ohne
bleibende Hautschädigung. Dies konnte nur durch
ein besonderes Strahlengemisch ermöglicht sein,
denn mit den früheren Apparaten erfolgten schon bei viel ge¬
ringeren Strahlendosen schwere Verbrennungen. Die Wir¬
kung dieser grossen Dosen abnorm harter, sogen, ultrapene-
<) Vortrag, gehalten auf dem bayerischen Chirurgentag in
München am 11. Juli 1914.
frierender Strahlen auf maligne Neubildungen war nun eine
ganz in die Augen springende. Warnekros-Bumm und
auch Z i n s s e r in der F ranz sehen Klinik konnten in einer
Reihe von Fällen Kollumkarzinome des Uterus nur durch
Bestrahlung vom Bauch und vom Rücken aus
zum Verschwinden bringen. Sie konnten sowohl klinisch als
histologisch nachweisen, dass diese vom Bauch aus applizierten
Strahlen ohne gleichzeitige Inangriffnahme von unten, genau
dieselbe Wirkung auf das Karzinom ausübten, wie es das j
Radium und Mesothorium aus unmittelbarer Nähe tut. Es ist
dies wohl der beste Beweis für die Tiefenwirkung dieser
Strahlen. Unsere Erfahrungen, die wir ebenfalls mit dem
Reformapparat und den Maximumröhren in dieser Richtung
gemacht haben, entsprechen auch ganz den Beobachtungen
von B u m m und Franz. •
An meiner Klinik wurde die Strahlenbehandlung bei |
52 Uteruskarzinomen mit Röntgen-, Radium- und Meso- '
thoriumstrahlen durchgeführt. (Röntgenintensivbestrahlung
ventral und dorsal, häufig mehrere Tage hintereinander das :
gleiche Feld mit 60—100 X und darüber, ohne jegliche Haut¬
schädigung, vaginale Bestrahlung mit Mesothorium und
Radium.) Hievon waren 31 inoperable Kollumkarzinome,
16 Rezidive nach Radikaloperationen und 6 Bestrahlungen ;
nach Totalexstirpationen, welche bei bereits infiltrierten Para¬
metrien ausgeführt worden waren.
Bei den 31 inoperablen Kollumkarzinomen ist zu bemerken, dass
das Material in meiner Abteilung in dieser Beziehung ein ganz be¬
sonders ungünstiges ist, da eine Auswahl bei der Aufnahme nicht
% Jahre mit einem inoperablen jauchenden Zervixkarzinom auf der
stiidt. gynäkologischen Abteilung aufgenommen und dort dauernd,
event. bis zum Exitus, behandelt werden muss; es liegen daher der¬
artige Fälle oft monate- ja jahrelang auf der Abteilung.
Von diesen 31 als gänzlich verloren anzusehenden Fällen
sind „klinisch“ geheilt 5 = 16,12 Proz., klinisch fast geheilt 4
12,9 Proz., also zusammen 29 Proz.
Es sei hier z. B. eine 60 jährige Patientin erwähnt, welche bereits
■% Jahre mit einem inoperablem jauchendem Zervixkarzinom auf der
Abteilung lag und allen möglichen Behandlungsmethoden vergeblich
unterzogen worden war. Schon 2Vs Wochen nach Röntgen- und
Radiumbehandlung ist der Karzinomkrater völlig ausgeheilt. Die
Infiltrationen sind fast verschwunden; es ist keine Blutung, kein
Ausfluss mehr vorhanden. Der Uterus ist klein und ziemlich be¬
weglich geworden. Innerhalb 6 Wochen hat die Pat. 13 Pfund zu¬
genommen, ist wieder arbeitsfähig geworden und ist seit fast
% Jahren wieder in Stellung, ln ganz analoger Weise liegen die
Verhältnise in den anderen als „klinisch“ geheilt angeführten Fallen.
Ferner wurden von den erwähnten 31 inoperablen Karzinorn-
fäilen wesentlich gebessert 7, symptomatisch ge¬
bessert 7, zu kurz in Behandlung sind 2 und gestorben sind 6.
Von den 16 Rezidiven nach Radikaloperation
konnte nur 1 Fall als „klinisch geheilt“ bezeichnet werden, 2 Fälle
als klinisch fast geheilt, 1 Fall wurde wesentlich gebessert, 4 nicht
oder nur vorübergehend gebessert und 8 sind gestorben.
In manchen dieser Fälle konnte die Strahlenbehandlung aus
äusseren Gründen nicht oft genug durchgeführt werden; in der Mehr¬
zahl der Fälle war der Zustand schon bei der Einlieferung ein der¬
artig desolater, dass man von vorneherein von der Behandlung nichts
mehr erwarten konnte. Trotzdem finden sich unter den Gestorbenen
2 Fälle, die besonderes Interesse beanspruchen: bei einer Patientin
hatte ich vor ca. 3 Jahren eine ausgedehnte Radikaloperation ge¬
macht; ein Jahr später zeigte sich ein Rezidiv im Beckenbinde-
gewebe, das ich wieder in ausgedehntester Weise mit nochmaliger
Freilegung der Ureteren operierte. Vor V* Jahren trat wieder ein
faustgrosses Rezidiv im Beckenbindegewebe ein. Durch fortgesetzte
Intensivbestrahlung gelang es nun, das Rezidiv vollkommen zum
Verschwinden zu bringen (Patientin bekam 1318 X). Die vorher be¬
standenen intensiven Ischiasbeschwerden und die durch Nerven-
kompression bedingte Kontraktur des rechten Fusses waren nicht
mehr vorhanden und die Patientin hatte zugenommen. Nachdem wir
längere Zeit von der Patientin nichts mehr gehört hatten, wurde uns
mitgeteilt, dass sie vor kurzem plötzlich gestorben sei. Leider wurde
keine Sektion ausgeführt; Unterleibsbeschwerden waren keine mehr
aufgetreten.
Im zweiten Falle trat nach Intensivbestrahlung und Meso¬
thoriumeinlage eine Einschmelzung eines grossen Rezidives ein, das
in die Vagina durchbrach; gegen ärztliche Verordnung tritt Patientin
aus der Klinik aus und wird 22 Tage später völlig ausgeblutet, mori¬
bund in die Klinik gebracht. Die Sektion ergibt: Verblutungstou
durch Arosion der Arteria uterina; die mikroskopische Untersuchung
der makroskopisch typisch-karzinomatös aussehenden Zerfallshöhlen¬
wand und der Umgebung derselben ergibt nirgends Karzinom.
In den 6 Fällen, in denen ausgedehnte karzinomatöse
Infiltrate der Parametrien bei der Totalexstir¬
pation zurückgelassen werden mussten, brachte die Intensiv¬
bestrahlung rasch völliges Verschwinden derselben.
4. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ausserdem sei hier ein Fall von primärem welschnussgrossem
U r e 1 r aJ k a r z i n o m erwähnt. Die Patientin konnte nur tropfen-
weise im Stehen Urin entleeren, ein Katheterismus war unmöglich;
Jurch reine Röntgenbestrahlung (670 X) konnte in einem Monat der
I umor bis auf eine minimale Resistenz völlig beseitigt werden; die
Urinentleerung ist jetzt normal, der Katheterismus mit dickem
Katheter leicht möglich.
Von den Bestrahlungen, die wir bei Tuberkulose aus-
r'iihrten, will ich einen Fall erwähnen, in dem eine seit Jahren ver¬
geblich behandelte Fistel nach ganz kurzer Bestrahlung sich
Jauernd schloss.
Dass die vom Reformapparat gelieferte Strahlung jetzt
•ichon sehr nahe an die Radium-Mesothorium-y-Strahlung
terankommt, geht aus folgendem hervor:
Der. Absorptionskoeffizient der Radium- und
Vlesothorium-y-Strahlung beträgt nach der üblichen physi¬
kalischen Ausdrucksweise, die von Rutherford stammt,
U. Bei der gewöhnlichen X-Strahlung liegt er zwischen
) und 2; beim Reformapparat beträgt er 0,3.
Die neueste Errungenschaft auf diesem Gebiete
.teilt aber die Konstruktion von Apparaten dar, welche
Strahlen liefern, deren Absorptionskoeffi-
ient 0,1 beträgt — also gleich dem Absorptions-
oeffizienten der Mesothorium-Radium-y-Strahlung ist.
Vergleichmessungen, welche an der Bu mm sehen Klinik
rom Physiker der Universität Giessen Czermak iono-
netrisch in der Vagina, also 10 cm unter der Bauchdecke aus-
eführt wurden, haben ergeben, dass die Strahlenintensität bei
entraler Bestrahlung in der Vagina einer Bestrahlung mit
00 g (!) Mesothorium (also im Werte von 100 Millionen Mark)
us gleicher Entfernung entspricht. (Diese Messungen wurden
n einem Reformapparate ausgeführt, beim neuen sogen,
’adiumapparat liegen die Verhältnisse bezüglich der Tiefen¬
wirkung noch günstiger.)
Auf diese Weise erklärt sich sehr gut die schon erwähnte
atsache, dass fortgeschrittene Kollumkarzinome durch ven-
-ale und dorsale Bestrahlung allein geheilt wurden (mikro-
kopisch nachgewiesen). Dabei wird natürlich das ganze Qe-
;et der karzinomatösen Vorposten in den umgebenden Drüsen
II d Geweben von den Strahlen auf ihrem Wege in die Tiefe
etroffen. Niemals wäre es, auch mit den ausgedehntesten
perativen Massnahmen, möglich, in einer derartigen Weise
egen alle erkrankten Teile vorzugehen.
Erst vor einigen Tagen hat mir W a r n e k r o s auf meine
nfrage mitgeteilt, dass in der B u m m sehen Klinik die Erfolge
e gleich günstigen geblieben sind und dass gerade bei bef¬
ugenden Karzinomen nur durch Röntgenbestrahlung ein Er-
'lg zu erreichen war; Radium und Mesothorium wird nur als
kale Unterstützung angesehen. In vielen Fällen wird iiber-
mpt nur perkutan (ventral und dorsal) bestrahlt. Er teilte
ich mit, dass er in letzter Zeit auch ein Lippenkarzinom, ein
ezidiv nach Oberkieferkarzinomoperation und vor allem ein
hr ausgedehntes Lungenkarzinom vollständig geheilt hat, wie
e verschiedenen Röntgenaufnahmen ergeben haben. Gleich
instige Erfolge hat mir aus der Franz sehen Klinik
insser und auch Pankow, welcher auf das einzelne
autfeld bis zu 140 X ohne bleibende Hautschädigung appli-
erte, mitgeteilt.
Ein charakteristischer biologischer Beweis, dass es sich
er um andere Strahlengruppen handelt als die früher ver¬
endeten, von denen man infolgedessen auch andere Wir-
ngen erwarten darf, ist dadurch gegeben, dass auch in den
dien, in denen man die Bestrahlung gewaltsam bis zu einer
?rbrennung zweiten und sogar dritten Grades, steigert, die
rbrennung innerhalb weniger Wochen glatt verheilt,
ährend die früheren, schweren Röntgenverbrennungen be-
nntlich eine ausserordentlich schlechte Heilungstendenz
igten und auch viel schmerzhafter waren. Diese anfangs
-• bezweifelte Erscheinung steht heute zweifellos fest
v a r n e k r o s, Bumm),
Von Darmstrikt u re n, wie sie bei Radium und Meso-
»riutn beobachtet werden, ist bei Anwendung dieser Röntgen-
cnsivbestrahlung niemals etwas beobachtet worden.
Somit haben wir es mit einem etwas anderen Heilmittel
; früher zu tun, das einerseits viel ungefährlicher ist, von
m der Körper weit grössere Dosen gefahrlos verträgt und
i dessen Beurteilung frühere Fehlschläge und frühere Spät-
1717
Schädigungen (I s e 1 i n) keineswegs verwertet werden können
— andererseits aber auf die Krebszelle, wie es scheint, elek-
tiver einwirkt.
Vielfach wird von den früheren Misserfolgen der Röntgen¬
therapie beim Karzinom gesprochen. Nunmehr handelt es sich
aber um ein neues Moment, nämlich um die Erzeugung anderer
Strahlenarten unter bestimmten physikalischen und tech¬
nischen Voraussetzungen und somit um neue Möglichkeiten der
Krebstherapie.
Ein erheblicher Teil der Misserfolge bei der Karzinom¬
therapie mit Röntgenstrahlen alter Art und auch mit Radium-
und Mesothoriumstrahlen, beruht auf der Verabreichung von
Reiz dosen; diese kommen zustande bei gewöhnlichen
X-Strahlen durch zu grosse Absorption in den Bedeckungs¬
schichten, wobei die liefe zu kleine, d. h. Reizdosen erhält:
bei Radium- oder Mesothoriumanwendung, welches wegen der
geringen Strahlenmenge fast in unmittelbarem Kontakt mit der
Oberfläche gebracht werden muss, ist die Tiefenwirkung sehr
beschränkt (d. h. Reizdose vom 3. Zentimeter ab). Will man in
einem der beiden Fälle die Reizdosis in der Tiefe vermeiden,
so muss man stärker bestrahlen, was eben zu den bekannten
Nekrosen an der Einfallsstelle der Strahlen führt.
Krönig hat im Prinzip daher ganz recht, wenn er
ungewöhnliche Radium- und Mesothoriummengen: 800 bis
1000 mg in Form der sogen. Radiumkanone aus grösserer Ent¬
fernung einwirken lässt; er wendet damit das Prinzip der
Homogenstrahlungslehre auf das Radium an — nur wären für
die richtige Durchführung der Homogenbestrahlung noch viel
grössere Mengen nötig, die wegen des Preises nicht zu be¬
schaffen sind — in den radiumähnlichen X-Strahlen scheint da¬
gegen diese Möglichkeit in unbeschränktem Masse gegeben.
Die verschiedene Beurteilung, die die Röntgenintensiv¬
bestrahlung erfährt, bedarf einer Erklärung.
Diese Erklärung ist zweifellos in der durchaus ver¬
schiedenen Art der vom einzelnen verwendeten Röntgen-
stiahlen zu suchen; ebenso wie die verschiedenen unserem
Auge gleich intensiv erscheinenden Lichtwellen ganz ver¬
schiedene chemische und biologische Wirksamkeit entfalten,
sind die von einzelnen Apparaten und Röhren erzeugten
Strahlen untereinander etwas ganz verschiedenes — die
gleiche Röhre liefert unter verschiedenen Betriebsbedingungen
ganz verschiedene Strahlenspektra und damit verschiedene
biologische Wirkung.
Für die weitere Entwicklung der Dinge ist demnach das
Postulatzu stellen, dass vor Anwendung einer
Apparatur zur Intensivbestrahlung die Er¬
zeugbarke it dieser kritischen Strahlen¬
gruppe physikalisch einwandfrei sicherge-
stellt wird. Dies ist eine ziemlich mühsame, aber un¬
erlässliche physikalische Vorarbeit, die mit Hilfe der elek-
troskopischen Methoden durchführbar ist1). Erst
wenn auf diesem Wege jeder Einzelne die Strahlenart kennt,
und angeben kann, mit der er seine Erfolge oder Nichterfolge
erzielt hat. lassen sich die Resultate richtig bewerten. Erst
weitere Resultate, wie sie bisher bei Bum m und Franz und
auch an meiner Klinik erzielt wurden, und diese Versuche
können wohl nur an grösseren Kliniken mit physikalischer
Unterstützung gemacht werden, geben später die Berechtigung
zur Aufrollung der allgemeinen Frage, ob und in welchen
Fällen die Operation oder die Strahlentherapie den Vorzug ver¬
dient.
Jedenfalls, möchte ich nach den oben erwähnten im Ver¬
hältnis aussergewöhnlich günstigen Ergebnissen bei ganz aus¬
sichtslosen inoperablen Karzinomen die Bestrahlung operabler
Fälle als zum mindesten erlaubt bezeichnen.
) Wie mir von physikalischer Seite mitgeteilt wird, ist die
Funkcnlänge, die neuerdings wieder als Mass bei der Dosierung er¬
wähnt wurde, hierfür nicht verwertbar. Sie ist, wie schon länger
bekannt, nicht einmal ein Mass der Spannung — denn gleiche Funken¬
längen entstehen bei ganz verschiedenen Spannungen — , geschweige
denn ein Mass der Strahlenart, deren Spektrum viel zu kompliziert
ist, als dass die Funkenlänge einen Schluss zuliesse. Messen kann
man nur an der X-Strahlung selbst, denn sie — nicht Neben¬
umstände : — , wie Funkenbildung, Stromstärke etc. sind das bio¬
logisch Wirkende. — Geeignet ist nur eine genaue Methode und dafür
steht augenblicklich nur das Elektroskop zur Verfügung.
1718
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
Mitteilungen aus dem Pathologisch-chemischen Institut der
Universität Amsterdam (Direktor: Prot. Dr. P. Ruitinga).
Der kolloidale Stickstoff des Harns und seine Bedeutung
für die klinische Karzinomdiagnostik.
Von
Dr. P. L. J. de B 1 o e m e, S. P. S w a r t und A. J. L. T e r w e n.
(Erste Mitteilung.)
Bei der von uns vorgenommenen Nachprüfung des S a 1 -
kowski-Kojo sehen Verfahrens *) zur Bestimmung des
sogen, kolloidalen Harnstickstoffs hat sich herausgestellt, dass,
wenn wir das direkte Zinksulfatverfahren verwendeten, von
uns für den kolloidalen Harnstickstoff in normalen Harnen weit
höhere Zahlen als von K o j o gefunden wurden. So wurde von
Kojo-Nx 100
uns das Verhältnis '
TN
für 20 normale Harne fest¬
gestellt auf resp.: 2,4, 2,15, 2,3, 3,1, 1,63, 1,95, 2,82, 1,73, 1,75,
1,74, 2,26, 3,15, 2,67, 2,85, 2,39, 2,13, 2,44, 2,11, 2,0, 1,88. Also
in 13 von 20 Fällen mehr als 2 Proz. Aus den Werten im
3. resp. 4. Fall erweist sich die beträchtliche Schwankung der
Werte beim selben Individuum wie auch seinerzeit von
M e i d n e r 2) betont wurde. ^
In den Harnen von 8 Lungenleidenden O ubercul. pulmon.)
in verschiedenen Stadien fanden wir Werte von 1,5 bis
2,7 Proz. ln einem Falle akuter Phosphorvergiftung mit le¬
talem Ausgang wurde ein Wert von 5,42 Proz. ermittelt. Wei¬
ter ergaben 2 Fälle von Unterernährung und Dyspepsia ner¬
vosa 3,7 resp. 1,53 Proz. In je einem Fall von chronischer
Obstipation fanden wir 3,8 Proz., von chronischen Diarrhöen
bei Achylia gastrica 1,3 Proz., von chronischem Ikterus ohne
Operationsbefund 1,03 Proz.; von benigner Pylorusstenose
1,55 Proz.; von Ulcera cruris nebst Anämie und zweifelhaftem
Magenkarzinom 2,4 Proz.;, von Carcinoma ventriculi sofort
nach einer schweren Hämatemesis 3,05, eine Woche nachher
2,43 Proz.; von Adenocarcinoma ventriculi mit Metastasen 1,5
resp. 2,1 Proz.; von Carcinoma coli 2,6 Proz. und in einem Fall
von Adenocarcinoma recti, welches einige 1 age nach der Be¬
stimmung in die Blase hineinperforierte, 7,6 Proz. Beachtens¬
wert ist jedenfalls der hohe Wert für die akute Phosphorver¬
giftung, war doch Salkowskis erster Fall eine akute gelbe
Leberatrophie bei einer Schwangeren (mit 28,1 Proz.).
Nachdem K a s h i w a b a r a “) den Anteil der Harnsäure
am Kojo-N nach einer besonderen Methode bestimmt hatte,
wurden von uns Bestimmungen im gleichen Sinne ausgeführt.
Wie der parallel bestimmte N der ganzen Zinkfällung
(Kojo-N) wurde auch dieser Harnsäure-N (HN) in Prozenten
des Total-N (TN) ausgedrückt.
Beim Anfang unserer diesbezüglichen Untersuchungen war
die Kritik, welche E. S a 1 k o w s k i 4) zu seiner eigenen Arbeit
in den Chariteannalen geliefert hat, noch, nicht erschienen.
Fall
1. Echinococcus hepatis . .
do. 7 Tage später
2. Hyperplasia hepatis ...
3. Lues hepatis .
4. Oraviditas II. Monat .
5. dicht . . .
do. am 1. Tage einer diagn
Atophankur ....
6. Coma diabeticum mit letalem
Ausgang . . . .
7. Carcinoma laryngis . . .
8. Carcinoma nasi .
-N x 100
TN
HN X 100
(Kojo-N— HN) x 100
TN
TN
3,63
1,22
2,41
3,01
1,37
1,64
2,21
1,08
1,13
2,13
0,97
1,16
2,65
1,12
1,53
4,08
2,06
2,02
5,61
3,77
1,84
1,65
0,59
1,06
2,51
1,15
1,36
2,66
1,43
1,23
Wert bei Gicht, auch nach Abzug
trat der Harnsäurebestimmung nach Kashiwabara. Kojo-N
minus (HN 4- PN) wurde ZnN (der eigentliche Zinkstickstoff)
genannt. _
>) Ko jo: Zsch. f. phys. Chem. 73. S. 416.
-) Meidner: Zsch. f. Krebsforsch. 1911 11. S. 408.
a) Kashiwabora: Zsch. f phys. Chem. 84. S. 223.
«) Salkowski: Charitee Ann. 1913 37. S. 239.
Pribram und L o e w y : Zsch. f. klin. M. 77. S. 284.
")
Fall
g!
vH |
X
2 H
oj
’O-!
*
1. Echinococcus hepatis . . ...
2. dicht, nach einer Atophankur
3. Tbc. pulmon., tbc. laiyng., periarticul.
Abszesse, Ulcera crur. . . .
4. Obstipatio alvi chron. . . .
do nach wenigen Tagen
5. Tumor malignus pharyng. et laryng.
6. Carcinoma oesophagi . • .
do. nach 7 Tagen
7. Carcinoma pylori (Probelaparotomie)
8. Carcinoma ventriculi .
do. später wiederholt
8|
8
8
i|2
Y 2
vH
x
2
X 2
xif
Ä,H
21
7.
H
Z
c;
X
-
N i
N
3,01
3.5
2,69
2,22
2,52
3,56
1,11
1,2
2,66
2,17
3.35
1,37
1,2
1,3
0.8?
0,91
1,21
2,1
0,53
0,34
1,47
1,37
1,57
0,08
0,05
0,32
0,2
0,17
0,26
0,14
0,11
0,18
0,17
0.36
1,56
2,25
52.1
64.2
1,07
1,11
1,14
1,2
0,44
0,75
1,01
0,63
1,42
39.8
50,0
45,2
33,7
30,6
62.5
37.9
28.6
42.1
Der geringe Wert beistehender Zahlen für die klinische
Diagnostik des Karzinoms springt sofort ins Auge. Im 7. Fall
finden wir einen mittleren, im 6. und 8. Full eher einen niedri-
geren ZnN. , . 7.
Der Meinung Thars und Beneslawskis') entgegen
ist im Zinkniederschlag ausserhalb Harnsäure und Purinbasen
sicher noch ein grosser Prozentsatz anderer N-haltiger Ver¬
bindungen enthalten.
Als Salkowski in den Charitee-Annalen (Dez.
1913) seine Erfahrungen über die Zusammensetzung des Kojo-
niederschlages bekannt gegeben hatte, bestimmten wir in
3 neuen Fällen wieder TN, Kojo-N, HN, PN, ZnN, neber
welchen Werten wir auch den Zink-N nach den zwei vor
Salkowski beschriebenen Verfahren vermittelten (ZnN S!
und ZnNSII). In Prozenten des TN fanden wir _ I
Fall
1. Normal .
2. Karzinom d. Zungenbasis
3. Carcin. intestin. occ. ? .
8
8
©
©
o
©
X
©
©
X
2
X
2
X
2
X
2
X
Z
2
—
H
H
z
C-
Z
e
N
H
C f)
Z
c
f—
c r
ZI
c i
N
N1
liz
XI o
•7 , 0
Nl
2,95
1,3
0,13
1,52
1,85
3,13
1,45
0,30
1,38
1,39
2,67
1,34
0,14
1,19
1,06
1,77
1.25
51,5
46,7
40,3
der Harnsäure. Die niedrige Zahl beim Koma diabeticum ist
in Uebereinstimmung mit den Befunden P r i b r a m s und
Loewyss), nach welchen in den schwersten Diabetesfällen
eine Abnahme des Blei-N zu erwarten ist.
In einer weiteren Reihe von Fällen bestimmten wir neben¬
einander TN. Kojo-N, HN nach Kashiwabara und den
Purinbasen-N (PN) nach Krüger und Schmid6) im Fil-
Der normale Harn hatte also nach allen drei Methoden dei
höchsten Zink-N. Von einem erhöhten Wert beim Karzinon
ist auch hier nichts zu spüren.
Der Kojoniederschlag enthält also ausse
Harnsäure und Purinbasen noch andere NI
haltige Substanzen, deren N schwankt zwi
sehen 0,4 und 2,25 Proz. des Gesamt-N. D i e h o h e
Werte decken sich aber in unseren Fälle
durchaus nicht mit den Karzinomen; dies
zeigen vielmehr mittlere Zahlen.
Unsere Ergebnisse waren also wenig er
mutigend. Das ursprüngliche Kojoverfahre
ist, wie zweifellos aus unseren Unterst!
chungenhervorgegangenist, für die klinisch
Karzinomdiagnostik nicht wohl verwendbar
Wäre jedoch nachzuweisen, dass unter de
Bestandteilen des Kojoniederschlag es ein
Substanz sich befinde, welche qualitativ ode
quantitativ für den Krebs charakteristisc
ist, sowäre daraufeineMethodefür dieKrebs
diagnose zu gründen. An erster Stelle habe
wir dazu den adialysablen Anteil, also de
kolloidalen Harnstickstoff im engeren Sinn
bestimmt.
Zur Technik bemerken wir folgendes: Den gewaschenen Koj>
niederschlag von 100 ccm Harn spritzten wir mit Aqua dest. in eint.
Kolben und brachten ihn durch vorsichtigen Zusatz von 30 Pro
Essigsäure zur Lösung. Ein Ueberschuss an Säure ist zu ver™®!d!
Das Gesamtvolum war jetzt etwa 100 ccm. In 7 Schläuchen (579 Sei
und Sch.) wurden diese während 48 Stunden gegen strömendes V. assi
dialysiert. Die Schläuche waren vorher mittels Seidenpepton- res
Kaseinlösung (nach dem von uns, Swart und T e r w e n 7 8)|. aiiü
gebenen Verfahren) geprüft. Sie wurden mit Gummistöpseln ui
<*) Krüger-Schmid: Zsch. f. phys. Chem. 1905 45.
7 ) Thars und Beneslawski: Bioch. Zsch. 52. S. 435.
“) Swart und T e r w e n: M.m.W. 1914 S. 603.
4. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1719
Bindfaden fest verschlossen in dazu geeigneten kleinen Töpfen zu
7 zusammengestellt, das Wasser strömte am Boden ein. Der Gc-
samfmlialt wurde nach 48 Stunden ausgegossen, die Hülsen nachge¬
spult. der Inhalt eingeengt (auf dem Wasserbade) und der N nach
Kjcldahl bestimmt. Man darf die Harnsäure nicht zuvor ent-
femen, denn bei der dazu notwendigen Einengung mit HCl könnten
die kolloidalen Substanzen zersetzt werden.
Zu dieser Prüfung sei hier noch bemerkt, dass wir, um einer
etwaigen Alkalischädigung der Hülsen vorzubeugen, den Sodazusatz
zum Kasein etwas karger bemessen als ursprünglich von uns beschrie¬
ben worden ist. Wir verwenden jetzt 8,8 ccm ~ NaaCO» für 5 g
Kasein und erhalten so eine lackmusneutrale Lösung
Fall
Kojo-N x 100
TN~
Adial-N xlOO
TN
Adial-N x 100
Kojo-N
1. Oesunde Versuchsperson
2. do. ....
8. do ....
4. Perniziöse Anämie .
5 Carcinoma laryngis .
6. do.
7 Carcinoma nasi ...
8. Carcinoma ventriculi . . . .
2,87
2.85
2,13
2,38
2,51
2,51
2,66
3.85
0,16
0,12
0,10
0,18
0,63
0,97
0,58
0,36
5,57
5,10
4,69
7,56
21,11
38,64
21,80
10,74
Wahrend also der Kojo-N nichts auffälliges darbietet,
erfährt sein adialysabler Anteil eine deutliche Vermehrung
beim Karzinom.
Aus der Freiburger Universitäts-Kinderklinik.
Zur Kenntnis der Nierenerkrankung im Kindesalter.
II. Mitteilung.
Klinische und funktionelle Untersuchungen *).
Von Prof. C. T. Noeggerath und Dr. H. Z o n d e k.
Für die folgenden Untersuchungen war die Fragestel¬
lung massgebend: Ermöglicht die gemeinsame klinische
Beobachtung und funktionelle Prüfung auch im Kindes¬
alter eine befriedigendereEinteilung derNierenerkrankungen als
die bisherige und gibt sie darüber hinaus für die Therapie
sowie fürdieErkennungdesEintrittsderHeilung
gesichertere Hinweise?
Methodik Auf eine dem Alter entsprechende und sich
der Toleranz des Einzelfalles anpassende Standardkost wurde
Kochsalz und E i w e i s s superponiert.
Für die Standardkost eines Falles folge ein Beispiel:
Karl H., 10 Jahre alt. Gewicht: 28,8 kg.
9. in. u
Milch .
Zucker . . .
Ungesalzenes Brot
Ungesalzene Butter
Kartoffel .
Qelbrüben ....
Aepfel .
Thee ...
Kaffee .
Wasser .
Zitronensaft .
Summa
Menge
NaCl
Eiweiss
Wasser
Kalorien
500
0,8
16,0
437
335
50
0,05
0,15
1
190
50
0,09
2,7
20
126
10
0,01
0,06
1
76
100
0,045
1,5
75
88
80
0,12
5,36
69
197
80
—
0,24
68
41
250
—
_
250
100
—
—
100
400
—
—
400
_
15
0,006
0,03
15
6
h hingegen
1,121
1,6
26,04
3,2
1061
1436
670)
Das Superponieren erfolgte anfangs so, dass teils mit der
Menge der schon gegebenen Nahrungsmittel gestiegen wurde,
teils neue beigefügt wurden. Bald aber gestalteten sich die
Versuche durchsichtiger: einer gegebenen Standard-
Kost wurde Kochsalz und Plasmon, abwech¬
selnd oder gemeinsam zugegeben. Anfangs gaben
wir sehr grosse Kochsalzmengen (bis zu 15 g Gesamt¬
menge). Bald zeigte es sich aber, dass man mit wesentlich
kleineren Dosen (1 — 3 bis höchstens 5 g pro die) ebenso klare
Resultate erhält, ohne sie mit gelegentlichen akuten Verschlim¬
merungen oder doch offensichtlichen Verlängerungen der Re¬
konvaleszenz bezahlen zu müssen. Das Plasmon (67,4 Proz.
tiweiss, 0,2 Proz. Kochsalz, keine Extraktivstoffe) gaben wir
in Tagesdosen bis zu 100 g in die warmen Speisen verrührt.
Aehnliche einfache Versuchsbedingungen waren vorher
unseres Wissens bei Kindern noch nicht angewandt worden.
Im Prinzip Aehnliches ist ja für Erwachsene durch S t r a u s s1),
Gekürzt vorgetragen auf der vereinigten Tagung der siid-
w esf deutschen Kinderärzte und Münchener Ges. f. Kindhlk. Stutt¬
gart^ 7. Juni 1914.
) D. Strauss: Chronische Nierenentzündungen etc. Berlin 1902.
sowie kürzlich aus der v. Müller sehen -’) und der K r e h 1 -
sehen ) Klinik publiziert worden.
Im einzelnen wurde also in wochenlangcn täglichen Ver¬
suchen die Tageseinfuhr des Kochsalzes, des Stickstoffes und
des Wassers mit der Tagesausfuhr durch die Nieren ver¬
glichen. Dazu kamen zu geeigneten Zeiten Untersuchung des
Reststickstoffes und des Kochsalzes im Blute. Die Einfuhr
wurde nicht analysiert, sondern nach dem sehr bequemen
abellenbuch von Schall und H e i s 1 e r 4) berechnet. Bei
en relativ grossen Ausschlägen, die hier in Betracht kommen,
zeigte sich dies Verfahren als durchaus genügend und exakt.
Ausfuhr und Blutgehalt wurden in üblicher Weise bestimmt
(Näheres in der ausführlichen Publikation der Protokolle durch
Z o n d e k.)
+ teriaI umfasste 6 im Spiel- und Schulalter
stehende Kinder. 3 von ihnen litten an akuten postinfektiösen
amorrhagischen, eines an einer postdiphtherischen Nephro-
pathie, ein weiteres an einer Hen och sehen Purpura ab-
t ominalis, die mit einer nach dem Typ der Pädonephritis ver¬
laufenden Nierenerkrankung kompliziert war. Eine echte
orthotische Albuminurie schloss den Kreis. Dazu kamen Kon-
trollversuche an Nierengesunden.
. . Die wesentlichsten Ergebnisse sollen an der Hand
einiger dieser Fälle mitgeteilt werden.
, I- Die durchsiehtigsteu Verhältnisse bot der 10 jährige Franz S.,
dessen hartnackige Purpura abdominalis, wie erwähnt, mit einer
Niei enerkrankung vom Typ der Pädonephritis einherlief. Das Ergeb-
^LCier/Unf t’0nSPrufungI zeigte eine vaskuläre Hypostenurie im
ar-i?-rrS sIf;me1r Mitarbeiter: Die Niere hatte ihre
Konzentrationsfähigkeit für Kochsalz verloren; wird daher die Koch-
niiZcbf laVist,ung, ges^ tegert, so muss die lösende Urinflut ansteigen.
Dies fuhrt naturgemass zur Fixation des spezifischen Gewichtes des
r0SSeudn T,Urinmengen hatten ungefähr dasselbe spe¬
zifische Gewicht Die Toleranz für Kochsalz und Eiweiss war relativ
we"'g ves,torn hier verweisen wir für die Einzelheiten auf die
Dass die hier beobachteten Störungen vaskulärer
Natur sind, ist in Anbetracht der sonst bestehenden Purpura
verständlich. Uebrigens zeigte das Blut des Patienten — wie
häufig — eine sehr schnelle Gerinnung in vitro. Doch miss¬
lang uns der Versuch, eine grössere Durchlässigkeit der Ge-
fässe durch Ansaugen mittels einer B i e r sehen Saugglocke
zu demonstrieren, was in einem anderen Falle leicht zu zeigen
war. Die Nieren heilten vollständig unter allmählich steigender
1 oieranz für Kochsalz und Eiweiss und der Konzentrations¬
fähigkeit.
Ein weiterer Schluss über diesen Fall hinaus auf die All¬
gemeinheit der unter dem Bilde derPädonephritiden vereinigten
Nierenveränderungen erscheint im Hinbilck auf seine beson-
cere Stellung als Teilerscheinung einer Purpura unzulässig.
Es folgen nun, Fälle, bei denen bei oberflächlicherer Be¬
trachtung der Einteilung in die S c h I a y e r sehen oder die
durch Strauss, Widal und seine Mitarbeiter ge¬
schaffenen Gruppen möglich schien. Eine nähere Betrachtung
der zum Teil recht lang durchgeführten täglichen Unter¬
suchungen zeigt aber, dass auch hier v. Noordens5) Wort
vom geradezu bizarren Verhalten der Nieren¬
fun k t i o n zu Recht besteht. Ein gewisses Interesse scheinen
uns aber diese Fälle deshalb zu bieten, weil sie für einen Teil
dieser Unstimmigkeiten die Erklärung brachten.
II. L. H., 10 Jahre alt. Klinisch: Postdiphtherische Nephrose,
r un ktionen deckte sich zu manchen Zeiten das Krankheitsbild
mit der tubuiaren Hypostenurie, die Schlayer durch mangel¬
hafte Kochsalzausscheidung bei erhaltener Konzentrationsfähigkeit
des Urins definiert. Hierzu aus einem der Versuchsabschnitte ein
Beispiel m 2 dreitägig zusammengestellten Perioden
Tabelle 1.
Datum
Absolute Einfuhr
Ausfuhr in Proz. der Einfuhr
NaCl
NaCl
H,0
20.-22. III.
4.- 6. IV.
9,0
9,7
55,5
73,0
51,7
67,0
*). v. Monakow: D. Arch. f. klin. M. 115. 1914.
r» a u r te r „Vnd Sieb eck: Untersuchungen an Nierenkranken.
D. Arch. f. klin. Med. 114. S. 497 ff.
2 Schall-Heisier; Nahrungsmitteltabelle. Würzburg 1914.
) v. N 0 0 r d e n: Handb. d. Path. d. Stoffwechsels. (Abschnitt:
„Nierenerkrankungen“.)
1720
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
Diese Tabelel zeigt beim Vergleich ihrer 3. und 4. Spalte
die gute Konzentrationsfähigkeit des Urins dadurch, dass der
Prozentsatz Ausfuhr zu Einfuhr für Kochsalz und Wasser sich
befriedigend deckt. Sie zeigt aber auch bei Betrachtung der
2. und 3. Längsspalte und beim Vergleich der oberen und
unteren Versuchsreihe, wie bei nicht einmal sehr hochgradiger
Aenderung der Kochsalzeinfuhr die Ausfuhr des Salzes pro¬
zentual ganz unerwartete Sprünge macht. Diese Verhältnisse
werden noch deutlich durch die nächste Zusammenstellung
dreier dreitägiger Perioden bei jeweils gleicher Kochsalzeinfuhr
illustriert.
Tabelle 2.
Datum
Kochsalz
Einfuhr
Ausfuhr
7.— 9. IV.
6,9 g
8,6 g
10.— 12. IV.
6,9 g
4,8 g
13.- 15. IV.
6,9 g
2,7 g
Hier ist also bei einer ziemlich geringen Belastung (p r o
d i e 2,3 g NaCl), die aber in allen Versuchen gleich bleibt,
die Ausfuhr einmal sogar grösser, dann kleiner, um schliesslich
sehr stark zu sinken.
Ein Licht in diese Verhältnisse wirft die im folgenden
nach rechts um die Stickstoffeinfuhr verbreiterte Zusammen¬
stellung derselben Versuchsreihe:
Tabelle 3.
Kochsalz
Stickstoff
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhr
6,9
8,6
15,4
6,9
4,8
16,6
6,9
2,7
19,6
Sie zeigt beim Vergleich der beiden letzten Längsspalten
dass die Salzausscheidung sinkt, wenn die Ei¬
weissbelastung steigt. Dieses gesetzmässige Ver¬
halten haben wir nicht nur in diesem sondern auch in anderen
Fällen mehrfach bestätigt gefunden. Doch sei gleich hier dar¬
auf hingewiesen, dass es nicht jedes Auftreten bizarrer Aus¬
scheidung erklärt.
Diese Beeinflussbarkeit der Kochsalzausscheidung durch
die N-Zufuhr kann soweit gehen, dass die Mehrzufuhr von E i -
w e i s s (also nicht von Kochsalz) sogar zum Auftreten von
Oedemen führt. Das konnten wir gerade bei diesem Kinde
beobachten. Es handelte sich dabei nicht nur um das Auf¬
treten einer Gewichtszunahme (v. Pirquet), der Präödeme
der Franzosen (W i d a 1), sondern um echte, klinisch palpable
Hautödeme.
Diese Abhängigkeit der Kochsalz-Wasserretention von
der Eiweisszufuhr wurde in klarer Weise dadurch be¬
wiesen, dass wir diese Oedeme und den Gewichtsanstieg
dadurch wieder zum Schwinden brachten, dass nicht etwa die
Kochsalzeinfuhr, sondern die Eiweissbelastung (von 85 g auf
45 bis 30 g pro die, also) auf etwa die Hälfte herabgesetzt
wurde.
Praktisch wichtig erscheint es uns, dass diese Versuche
im Beginne der Rekonvaleszenz, und zwar zu einer Zeit vor-
genommen wurden, als der Urin weder Eiweiss
noch Sediment mehr aufwies.
111. Bei dem 3V2 jährigen K. W. hatte sich an eine eitrige
Mastoiditis, die operiert werden musste, eine akute hämor¬
rhagische Nephritis angeschlossen. Während ihres Blüte¬
stadiums funktionell untersucht, zeigte sie das Bild der azotäm-
ischcn Nephrose im Sinne W i d a 1 s; d. h. 'der Stickstoff wird
von der Niere zurückgehalten, die das Kochsalz dagegen gut passieren
lässt. So betrug beispielsweise der Reststickstoff im Blut 0,15 Proz.
gegen 0,10 Proz. in der Norm. (Die Zahlen beziehen sich nicht auf
Serum, für das sich die bisher gefundenen Werte für Rest-N auf 0,5
bis 0.6 Proz. belaufen, sondern auf enteiweisstes Gesamtbild, dessen
Bearbeitung geringere Blutquanta erfordert.) Ferner wurden beispiels¬
weise von 10 g bzw. 12,7 g Tages-N 6,9 bzw. 8,4 ausgeschieden.
Dabei ist die Kochsalzzufuhr selbst bei hoher Belastung wenigstens
scheinbar ungestört, wie die folgende Tabelle lehrt.
Tabelle 4.
Kochsalz
Tägliche Einfuhr
Ausfuhr
a) 2.3 g
2,3 g
b) 2,8 g
2.8 g
c) 8,1 g (!)
8,1 g
Datum
Kochsalz
Stickstoff
Tägliche Einfuhr | Ausfuhr
Einfuhr
a) 16. III.
b) 17. IH.
2,3 g
2,8 g
2,3 g
2,8 g
12.2 g
12.2 g
c) 18. III
8,1 g
8,1 g
8,4 g
d) 19. III.
81, g
4,8 g! | 12,7 g
Aber auch bei dieser von den bisherigen so verschiedenen
Nierenerkrankung zeigt sich der Einfluss der Eiweissbelastung
auf die kochsalzbewältigende Leistung der Niere wieder ganz
evident:
Tabelle 5.
Querreihe a und b zeigen, wie bei einer ziemlich starken
Stickstoffbelastung (12,2 g pro die) mittlere Kochsalzmengen
(2,3— 2,8 g) glatt die Niere passieren. Selbst wenn man wesent¬
lich höhere Kochsalzmengen (8,1 g) hindurchbringen will, so
geht das auch, wie Reihe c beweist. Hier mussten wir aber
die Eiweissbelastung von 12,2 g N auf 8,5 g N herab¬
setzen! Steigerten wir sie dann wieder auf etwa denselben
Wert (12,7 g N pro die) so wurden von den 8,1 g Kochsalz nur
mehr noch 4,8 g durchgelassen, wie Querreihe c und d zeigen.
Auch in diesem Falle gab es Perioden, in denen die Ab¬
hängigkeit der Kochsalzausfuhr von der Eiweissbelastung der
Niere nicht zu Recht besteht.
Bei den zurzeit allerdings erst vereinzelten Unter¬
suchungen Nierengesunder und den häufigeren Beobachtungen
an nierenrekonvaleszenten Kindern haben wir diese Ver¬
schlechterung des Kochsalzwechsels der Niere durch erhöhte
Eiweissbelastung bisher noch nie gefunden. Ihr Ver¬
schwinden in der Rekonvaleszenz ist uns ein
Signal vollständiger Heilung geworden.
Schliesslich noch ein Fall, der das umgekehrte Verhalten
zeigte, nämlich Beeinflussung der Eiweissausscheidung durch
die Kochsalzeinfuhr.
Bei dem 8jährigen H K. zeigte sich eine akute hämorrhagische
Nepritis als seltene Komplikation einer Pneumonie. Funktionell unter¬
sucht war es eine Mischform zwischen der S c h 1 a y e r sehen vas¬
kulären und tubulären Hypostenurie. Nach W i d a 1 betrachtet
wäre es eine Mischform zwischen A z o t ä m i e und Chlorurämie.
Hierbei konnten wir also folgendes beobachten. In 4 Blut¬
untersuchungen betrug der Reststickstoff 3 mal 0,4 bis
0,38 Proz., war also etwa 4 fach normal. Es ist das der höchste
bisher von uns gefundene Wert. Urämische Erscheinungen
waren nicht nachzuweisen. (In einem Fall von Urämie fanden
sich 0,3 Proz. Rest-N im Gesamtblut.) Die Untersuchungen
zeigten folgende Reihenfolge: _
5. II
9 II | 28. II. 2. III. 12. III |Später mehrmals
0,14 Proz.
0,1 Proz.
0,4 Proz. ! 0,19 Proz. | 0,38 Proz. | 0,38 Proz.
Die Herabdrückung des Rest-N im Blut am 9. II. gelang
uns durch Heruntergehen mit der Kochsalzbelastung vom 6. 11.
bis 9. II. j
Nachdem wir durch Vermehrung der NaCl-Einfuhr den
Reststickstoff wieder erhöht hatten, wie die beiden Blutuntersu¬
chungen am 23. II. und 2. III, zeigten, wurden dann hieraus für die
Therapie die nötigen Schlüsse gezogen; d. h. dieser Fall verlor
unter salzarmer Diät seine verminderte Toleranz für Eiweiss;
sein Reststickstoff sank über 0,14 Proz. auf den Normalwert
von 0,1 Proz. Das Kind wurde völlig gesund entlassen.
Welche praktischen Schlüsse lassen sich aus
diesem und unseren übrigen Beobachtungen ziehen? Natürlich
ist das vorliegende Material zu klein, um etwa eine Einteilung
der Nierenerkrankungen im Kindesalter jetzt schon zu er¬
lauben. Auch ist es durch die Purpura haemorrhagica und
postpneumonischen Nephrose wohl mit Ausnahmefällen über¬
lastet. Doch ist mit Sicherheit aus der erfolgreichen Therapie
zu hoffen, dass weitere vergleichende Untersuchungen
zwischen klinischen und funktionellen Beobachtungen mit der
Zeit zu befriedigenden Resultaten führen werden. Bis dahin
bleibt allerdings nichts anders übrig, als jeden Fall einzeln
funktionell durchzuprüfen. Hierbei empfiehlt sich die hier
angewandte Methode: Darreichung einer dem Alter und der
Toleranz des Kindes angepassten Standartkost mit
steigender und wechselnder Belastung durch
Kochsalz und Plasmon bei Beachtung der oben be¬
schriebenen gegenseitigen Beeinflussung des Kochsalz- und
4. August 1914.
Stickstoffwechesls der Nieren. Das kann auch der praktische
Arzt ausfuhren, wenn ihm nur ein geeignetes Laboratorium die
notwendigen chemischen Untersuchungen abnimmt. Allerdings
muss man bei der Auswahl der Standartkost jeglichen Schema-
tismus vermeiden, schon gar bekanntlich den der ausschliess-
jchen Milchdiät. Denn die notwendige Milchmenge kann an
Kochsalz oder Eiweiss oder gar an beiden wesentlich mehr
enthalten, a*s im Linzelfall toleriert wird. Wir verweisen hier
•u auf die in Seite 1719 mitgeteilte Standartkost und die ihr
regenubergesteHten Zahlen für 1 Liter Milch, der in diesem
alle das kalorische Bedürfnis des Kindes nicht gedeckt hätte,
iclegenthch muss man mit vollkommener Intoleranz für Ei-
.veiss und Kochsalz rechnen. Dann kann man v.Noordens
i|r Erwachsene gegebenem Rate folgend zur alleinigen Er-
lahrung mit Zucker schreiten.
, SOi^a^e ic.b ,fTinen' derartigen 3 jährigen, schwer urämi-
. ehern Kmde mit Nieren, deren Zustand zwischen der akuten
md chronischen hämorrhagischen Nephrose lag (Fettaus-
cheidung.) 9 läge langausschliesslich Zucker ge-
.eben. Es bekam anfangs Trauben- und dann seines Wider¬
willens wegen Rübenzucker und zwar täglich 250 g als Him-
»eersyrup. Die Stühle blieben gut. Kalorisch war diese
Ehrung bei einem Körpergewichte von 13,7—11,6 kg an sich
ewiss zureichend. Als auch der Rübenzucker nicht mehr
uiommen wurde, wurde es 16 Tage lang ausschliesslich mit
er kochsalz- und eiweissarmen Frauenmilch ernährt, die des
esseren Geschmackes wegen mit ein wenig Haferschleim ver-
etzt worden war. Der so zubereiteten Ammenmilch kann
ian sich auch sonst jenseits des Säuglingsalters erfolg-
Kh bedienen. Nebenher wurde natürlich Venaesektion,
lgitalispraparate, Diuretika und ausgiebiges Schwitzen auf
em elektrischen Warmekissen angewandt. Unter dieser
nergischen Kur sank das Körpergewicht rapid. Oedeme und
r,ami.e. schwanden Der Urin stieg von 150 g im Tag inner-
alb 11 Tagen auf einen Liter. Das Kind wurde nicht nur
\h.ei t, sondern es machte 1 lA Monate nach der funktionell be-
ruiten Heilung eine schwere Otitis media purulenta durch
me dass sich dabei auch in der funktionellen Prüfung irgend
ne Beemtrachtigung der Nieren hätte nachweisen lassen
ach allem sehen wir jetzt schon in der Toleranz
rutung der Nieren auch im Kindesalter ein
uv er lässiges Mittel zur Feststellung ihres
inktion eilen Zustandes, zur Auffindung und
on trolle des Heilplanes und zur Bestimmung
e_SJ: ‘ a yrx ttesderendgü!tigen Heilung. Analog
r für die Gesundung ernahrungsgestörter Säuglinge geltenden
egeln erklären wir ein nierenkrankes Kind dann für gesund
enn eS die in der Kost seiner Altersstufe
ithaltene Kochsalz- und Eiweissmenge ge-
e 1 n s a m a n s t a n d s 1 ° s toleriert; nicht genügt
’e.r der NachweisderEiweiss-undSediment-
e Hielt des Urins. Denn dies kann vor der voll-
mmenen 1 oleranzwiederherstellung der Fall sein. Wir
nen in einiger Zeit eine noch schärfere Definition durch ge¬
ziertere Feststellung der Toleranzgrenze gesunder Kinder
nen zu können.
So betrachtet, ist nach Untersuchung allerdings erst eines
lies von echter (d. h. sedimentfreier) orthotischer
b u m i n u r i e auch hierbei die Niere funktionell gestört
- zeigte periodisch eine deutliche Schwächung ihrer
■leranz gegen Eiweiss und Kochsalz und die oben ge¬
loderte Beeinträchtigung der Kochsalzausfuhr durch er¬
nte tiweissbelastung.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
dem
medizinisch-pathologischen Institut der Universität
Bologna (Direktor: Prof. A. Rovighi).
eber die Hyperleukozytose durch Kälteeinwirkunq.
D . Von
1 £ h i , Professor für , R. Secchi, Privatdozent
Innere Medizin. und Assistenzarzt.
Rovighi hat schon im Jahre 1892 darauf hingewiesen,
vS allgemeine oder lokale Applikationen von Kälte auf die
rperoberflache eine deutliche peripherische Hyperleuko-
°se bewirken. Diese interessante Erscheinung wurde so-
Nr. 3|.
_ _ _ _ 1721
gleich durch zahlreiche Untersuchungen von Winternitz
ühPrSd!f rfChÜlern bestätigt und von M u r r i in seiner Arbeit
unci die „Uorosi invernale“ erwähnt.
A,uf Cirund dieser neuen Erkenntnisse sind später viele
kahscher e^cl?ienen ube,r den Einfluss verschiedener physi-
nic b 6 . ^ irknng.en auf die Blutkörperchenzahl: so konnte
c widrige Veränderungen der Blutzusammensetzung er-
kennen, welche vom Licht, vom Luftdruck, von den Röntgen-
. trahlen usw. abhängig sind. Es scheint aber, dass die Iiyper-
snm£p>t0Se durch Kälteapplikation eine ganz besondere Wirk-
Beafbe tunTh n3! S1naUr'Ir1 heute einen Qe£enstand häufiger
W i nt e r n i ^ ' ?16 Untersuchungen von R o v i g h i und
QraPit^ / • wurden. v°u vielen anderen Autoren, wie
Gr/witz, L o w y, F r i e d 1 ä n d e r, Strasser Becker
und ganz neuerlich von R i c h e t und W i d a 1 wiederholt
iese Untersucher sind indes zu so verschiedenen Meinungen
über die Art und die Ursache der Schwankungen in de? ßfut
bXPCPPPtahvek|f0lfC V°h KältC #elangt’ dass dieses Thema
öisher nicht geklart erscheint. Es ist aber die zuerst von
es sich8 bei depHvneiMpnUng allgemein angenommen, dass
aLoPum Znn.L YnPe ? fyt°Se durch Käite nicht um eine
apsomte Zunahme der Leukozytenzahl, sondern um eine An¬
häufung der weissen Blutkörperchen in den Kapillaren der
Gefäßen 6handPp m n VerminderunK derselben in den inneren
uetassen handelt. Dagegen ist die Frage noch nicht ent¬
schieden, ob die Verteilung der Leukozyten in der Blutbahn
auch unter physiologischen Verhältnissen nicht gleich sei Aus
den Untersuchungen von Qoldscheider und Jacob geht
7 v ten r'enth a /P* HauftkaPdlarb|ut eine grössere Zahl von Leitko-
zj ten enthalten ist, als in dem Blut der inneren Organe
Schwenkenbecher und Siegel fanden dagegen Sei
gebieten m den verschiedenen Gefäss-
dnrrn ia glauben, dass es unmöglich ist, diese Frage
durch das Tierexperiment zu entscheiden, da der phvsio-
Iogische Zustand der Tiere bei diesen Versuchen ohne Zweifel
bedeutend verändert ist. Wir glauben aber wegen der grossen
Leichtigkeit, mit welcher die Leukozytenzahl sich bei allen
kleinen Schwankungen des Blutdruckes oder der vasomotori
dl?6 weSn Rbltk^en ve'ändert’ dass keine gleiche Verteilung
u/o ^eissan Blutkörperchen in der Blutbahn vorhanden ist
a^. dle Ursache der Hyperleukozytose durch Kälte betrifft
so sind verschiedene Hypothesen aufgestellt worden. Ro-
vig tu meinte schon in seiner ersten Arbeit, dass sich das
Kaliber der Hautgefässe durch die Kälteeinwirkung" verändere"
die Beweglichkeit der Leukozyten abnehme, der Lymphstrom
von den Kapillaren zu den Geweben sich verlangsame, und
eine Ansammlung der weissen Blutkörperchen in dem' ent¬
sprechenden Gefässgebiete bewirkt werde.
v... ^ \ n 1 e.r n 1.1 z und andere glauben dagegen, dass die
Kalte eine günstige Modifikation der allgemeinen Zirkulation
nämlich eine Steigerung des Blutdruckes und des Gefässtonus
bewirkt, und hierdurch aus den inneren Organen, in welchen
P°,rtSrWei5- Stasen und Anhäufungen von Blutkörperchen
stättf nden, die stagnierenden Leukozyten dem allgemeinen
Kreislauf zugefuhrt werden. s
Siccardi sah bei seinen Untersuchungen nach Kälteein¬
wirkung jüngere Formen von roten Blutkörperchen ins Blut
PoP ^ ’nUnd £r, meintP daSS die Kälte eine Reizwirkung auf
das Knochenmark mit folgendem vermehrten Bau von Blut¬
zellen bewirkt. 1
Wir haben neuere Untersuchungen angestellt, um etwas
neues zur Klärung dieser Frage beizutragen. Eine kurze Zu
fSdes * “”* d£r ReSultate aus diesen Versuchen ergdbt
1. Bei Meerschweinchen erzeugt die massige Körper-
abkuhlung last konstant eine peripherische Hyperleukozytose
mit bedeutendem Vorzug der vielkernigen Zellen. Gleichzeitig
ti itt im Zentralblut (Herz) eine Verminderung der Leukozyten
ein besonders der vielkernigen Zellen. Die in kalter Luft ge¬
haltenen Tiere weisen eine peripherische und dauernde Hyper¬
leukozytose auf.
2. Die übermässige Körperabkühlung bewirkt dagegen eine
Verminderung der Leukozytenzahl.
3 Bei Kaninchen fanden sich ähnliche Blutveränderungen
wie bei den Meerschweinchen. Weiter konnten wir konsta-
2
\122
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31
tieren, dass bei stark abgekühlten und leukopenischen Tieren j
die Hyperleukozytose gleichzeitig mit dem Verschwunden der l
Kollapserscheinungen und mit der Zunahme der Puls- und
Atmungsfrequenz wieder eintritt. Man kann also eine Hj-per-
leukozytose durch massige Kälte, eine Leukopenie durch starke
Erkältung und endlich wieder eine Hyperleukozytose durch
Wiederherstellung des Pulses und der Atmung konstatieren.
4. In einer anderen Reihe von Untersuchungen bei Tieren
und Menschen fanden wir, dass bei den Kälteapplikationen auf
einen Teil der Körperoberfläche eine lokale Hyperleukozytose
bewirkt wird, aber nicht so konstant, wie bei allgemeinen
Kälteeinwirkungen, ,
5. Ein interessanter Teil diesr Untersuchungen besteht
darin, dass wir einige physikalische Veränderungen in dem
Bau der vielkernigen Zellen beobachten konnten, besonders
nach dauernden Kälteapplikationen. In zahlreichen gefärbten
Blutpräparaten sahen wir, dass die vielkernigen Leukozyten
eine gewisse Verminderung der Zahl und der Klarheit der
protoplasmatischen Körnungen, eine grössere Ungleichheit in
ihrer Form und in ihrem Durchmesser, endlich eine grösseie
Kernfragmentierung zeigten.
Auf Grund dieser Beobachtungen glauben wir, dass die
obgenannten Strukturveränderungen der Leukozyten nicht nur
eine Herabsetzung der Beweglichkeit, worauf von Cohn¬
heim und Heidenhain schon hingewiesen wurde, sondern
eine Steigerung der Viskosität derselben anzeigen können, so
dass sich diese langsamer und klebriger gewordenen weissen
Blutkörperchen in den Kapillaren ansammeln, wo zwei für die
Stasis- und Reibungserscheinungen günstige Bedingungen zu¬
treffen, nämlich niedriger Blutdruck und Kleinheit der Blut¬
gefässe.
Diese Hypothese ist von zwei Reihen von Untersuchungen
unterstützt. Erstens konnten Determann, Adami, Sic¬
ca r d i, Vinaj beobachten, dass die kalten Duschen und
Bäder die Blutviskosität erhöhen; zweitens konnten Professor
H o 1 g r e e n von Stockholm und sein Schüler G u 1 1 b r i n g
auf Grund zahlreicher Untersuchungen neuerlich zeigen, dass
die Blutviskosität von der Prozentzahl der vielkernigen Zellen
abhängig ist. Aus unseren Untersuchungen geht nun hervor,
dass die Hyperleukozytose durch die Kälte genau aus einer
Polynukleose besteht.
Eine ähnliche Erscheinung kann man bei Muskelarbeit be¬
obachten: leichte Arbeit bewirkt Mononukleose und Viskosi¬
tätsherabsetzung, dauernde und ermüdende Arbeit erzeugt
Polynukleose und Viskositätszunahme. Ausserdem können sich
die Viskositätssteigerung und Hyperleukozytose auf das Ka¬
pillargebiet des ermüdenden Körperteils beschränken', während
im übrigen Blut keine Veränderung eintritt. Endlich wollen
wir an eine andere von Holgreen und Gullbring ge¬
fundene Tatsache erinnern, nämlich dass die Blutviskosität
nicht von der Gesamtzahl der vielkernigen Zellen, sondern von
der Prozentzahl derselben im Verhältnis zu den einkernigen
Zellen abhängig ist, so dass man eine normale Blutviskosität
mit deutlicher Hyperleukozytose finden kann, wenn das Ver¬
hältnis dqr viel- zu den einkernigen Zellen unverändert ist,
während man umgekehrt eine Zunahme der Viskosität mit
gleichzeitiger normaler Leukozytenzahl finden kann, wenn
relative Polynukleose vorhanden ist. Dies scheint anzuzeigen,
dass die Blutviskosität nicht von der Quantität, sondern viel¬
mehr von der Qualität der vielkernigen Zellen oder von ge¬
wissen Veränderungen derselben abhängig ist. Diese Be¬
obachtungen stimmen mit der von uns aufgestellten Hypothese
über die Hyperleukozytose durch Kälte überein. Damit wollen
wir nicht bestreiten, dass die Kaltwasserkur einen günstigen
Einfluss auf den Organismus ausübt; wir glauben sogar, dass
dieselbe eine bedeutende Verbesserung in der Funktion des
Nervensystems, in dem inneren Stoffwechsel und damit in der
allgemeinen Gesundheit bewirkt. Wir glauben aber nicht fehl
zu gehen, wenn wir annehmen, dass die raschen und vorüber¬
gehenden Veränderungen der Leukozytenzahl durch Kälteein¬
wirkungen nicht auf eine Neubildung der Blutkörperchen,
sondern auf eine ganz lokale Wirkung der Kälte, und zwar,
wenigstens zum grossen Teil, auf eine Zunahme der Viskosität
der Leukozyten zurückzuführen sind.
Die Diathermie in der Augenheilkunde ’).
Von F. Best in Dresden.
ln letzter Zeit sind verschiedene Arbeiten erschienen, die
sich mit der Anwendbarkeit der Diathermie für die Behand¬
lung von Augenkrankheiten beschäftigen. Da ich die Dia¬
thermie seit 1911 in geeigneten Fällen zu Rate ziehe, auch
glaube, dass die Versuche damit zu einem gewissen Abschluss
gekommen sind, darf ich vielleicht über meine Erfahrungen
berichten unter gleichzeitiger Berücksichtigung der vor¬
handenen Literatur.
Eine kurze physikalische V o rbemerkung für
den mit dem Wesen der Diathermie = Thermopenetration nicht
vertrauten Leser möge zunächst folgen. Wenn man einen gal¬
vanischen oder faradischen elektrischen Strom durch den
Körper schickt, so trifft er hier auf einen Widerstand, der je
nach dem Gewebe etwas verschieden ist. Bei Ueberwindung
des Widerstandes entwickelt sich natürlich Wärme, die wir bei
den schwachen Strömen, welche für gewöhnlich angewendet
werden, nicht verspüren. Wenn es aber gelingt, grössere I
Strommengen zuzuführen, so entsteht an Qrt und Stelle des
Gewebswiderstandes merkliche Wärme. Nun wissen wir seit j
langem, dass die Haut einen verhältnismässig grossen Wider¬
stand bietet; sie wird also sich auch am stärksten elektrisch
erwärmen und event. am ehesten verbrennen. Am Auge wird
man von vorneherein annehmen können, dass die Hornhaut und
Sklera sich stärker erwärmen als das Augeninnere, von dem
man einen ähnlichen Widerstand erwarten wird, wie von
physiologischer Kochsalzlösung.
Der Weg, grössere Strommengen durch den Körper zu
leiten, ist mit dem Wechselstrom gegeben, wenn wir die Rich¬
tung des Stromes so schnell ändern, dass der einzelne Stroni-
stoss keine Zeit hat, in den Geweben des Körpers eine Ver¬
schiebung der kleinsten Teilchen und damit eine Reizung her¬
vorzurufen, indem der folgende Stromstoss in entgegen¬
gesetzter Richtung den Impuls des ersten wieder aufhebt. Man
kann nämlich mit Nernst annehmen, dass die Reizwirkung
des elektrischen Stromes durch Transport elektrisch geladener
Teilchen (Ionen) und damit verbundene Konzentrationsände¬
rung in den Zellen hervorgebracht wird. Den zu einer physio¬
logischen Wirkungslosigkeit notwendigen enorm schnellen
Wechsel in der Richtung des Stromes erreicht man durch
Zwischenschaltung einer Funkenstrecke — wie bekannt wech¬
selt im elektrischen Funken trotz seiner kurzen Dauer die Ent¬
ladungsrichtung vielmals hin und her. Während die Strom¬
stärke gewöhnlicher Ströme bei Anwendung mittelgrosser
Elektroden nicht über wenig Milli ampere hinausgeht, können
bei „hochfrequenten“ Wechselströmen 1 Ampere und mehr den
Körper passieren, je nach Grösse der angewendeten Elek¬
troden. Die Diathermieströme haben niedere Spannung bei
hoher Frequenz des Wechsels.
Wenn wir nun zu der Anwendung am Auge über¬
gehen, so lagen zu der Zeit, als ich mit meinen Versucher,
begann, nur Tierexperimente von Krückmann-) vor
welche nicht sehr ermutigend ausgefallen- waren.
Krückmann fand bei Thermopenetration toter Augen
dass Hornhaut und Lederhaut bereits Gerinnungen und Ver¬
brennungen erfahren hatten, wenn die Temperatur des Augen
innern die normale Blutwärme erreichte. Trotzdem hielt icfl
Versuche am Menschen — zunächst Selbstversuch — fü»
berechtigt und aussichtsreich, da die Erwärmung des Körper¬
inneren überall den gleichen Schwierigkeiten begegnet, wie wi
sie am Auge finden. Wenn man nämlich innere Orgam
thermopenetrieren will, so wird man immer eher die Haut in
folge ihres hohen Widerstandes verbrennen, ehe im Innere!
nennenswerte Wärme entsteht; vor allem, wenn man schnei
vorgeht. Braucht man dagegen schwache Ströme durch lang
Zeit, so dass die Haut Zeit hat, an das zirkulierende Blut uni
die Aussenwelt Wärme abzugeben, so wird man eine besser'
Erwärmung innerer Organe erreichen. Ausserdem war mi
‘) Nach einem Vortrag in der Ges. für Natur- u. Heilk. zu Dre^
den am 2. XI. 12, mit neueren Zusätzen. ;
2) Krückmann: Einige Bemerkungen über rheumatische tr
krankungen und Wärmewirkungen am vorderen Augenabschnit
Ber. über d. .47. Vers. d. ophth. Oes., Heidelberg 1911, S. 16.
4. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
bekannt, dass auch der Schädel gefahrlos therrnopenetriert
werden kann. Tatsächlich stellte sich in den zuerst Herbst
1911 vorgenommenen Selbstversuchen heraus, dass sich mit
Diathermie am Auge recht hübsche Wärmewirkungen erzielen
lassen, ohne Gefahr fürs Auge und ohne unangenehme sub¬
jektive Empfindungen. Wer Diathermie anwenden will, der
sollte sich zunächst am eigenen Auge einüben.
Die Folgen der Diathermie am normalen
Auge sind zunächst Hyperämie der Bindehaut und Iris.
Die Rötung des Auges schwindet nach wenigen Minuten, kann
aber auch etwas länger anhalten. Die Pupille ist oft leicht er¬
weitert, für kurze Zeit. Im Augenhintergrund sind im allge¬
meinen keine Veränderungen zu sehen, auch keine wesentliche
Hyperämie der Sehnervenpapillen. Der Druck des Auges ist
meist leicht herabgesetzt, was aber wohl eine Wirkung des
Verbandes bzw. Elektrodendrucks ist. Clausnitzer3)
fand ebenfalls Konjunktival- und Irishyperämie, Erweiterung
und Entrundung der Pupille mit merklich träger Reaktion, Ver¬
minderung des Augendruckes, der aber auch oft gar nicht be¬
einflusst wurde; einmal war der Druck von 15 auf 6 mm ge¬
sunken. Q u r i n fand ausser Injektion der konjunktivalen und
episkleralen Gefässe eine stärkere kapilläre Hyperämie der
Papillen 4).
Die Wärm e, welche teils im Auge und in den Lidern,
teils in den Orbitalknochen empfunden wird, ist durchaus an¬
genehm — vorausgesetzt, dass die Stromstärke nicht unnötig
gesteigert wird. In keinem Fall ist eine Verbrennung der
Kornea oder der inneren Teile zu fürchten; ich habe anfangs,
ehe ich die Technik genügend beherrschte, mehrfach Ver¬
brennungen der Lid- und Nackenhaut gesetzt, die übrigens nie
tiefer gingen, aber nie Verbrennungen am Auge gesehen. Dazu
kann es auch bei einem normal fühlenden Patienten nie
kommen, die vorher entstehenden Brandwunden der Lidhaut
würden energische Abwehrbewegungen hervorrufen.
.Irgend welche andere andere Empfindungen am
Auge oder im Kopf entstehen nicht, insbesondere kein fara-
disches Nebengefühl, wenn der Apparat gut funktioniert, was
von älteren Konstruktionen nicht gilt. Interessant ist, dass
auch keine Lichtempfindung im Auge entsteht. Durch diese
Beobachtung werden diejenigen Theorien des Sehens hinfällig,
welche eine Reizung der Sehnervenendigungen durch Um¬
setzung des Lichtes in Wärme annehmen, ebenso wird die
unmittelbare Beteiligung elektrischer Ströme bei den termi¬
nalen Sehprozessen unwahrscheinlich.
Der Grad der Wärmewirkung ist in einer Reihe
von Veröffentlichungen genauer bestimmt worden. Die nor¬
male Temperatur der Bindehaut ist nicht unerheblich niedriger
als die Blutwärme, auch die Vorderkammer ist um 5 — 6° kälter
als der Körper. Es gelingt nun nach Hertel5 *) durch
warme Ueberschläge die Temperatur des Konjunkti-
valsacks beim Meerschweinchen auf 40,5 0 C zu bringen. Mit
Diathermie erreicht man mehr. Zahn8), der zuerst Ver¬
suche am Menschen veröffentlichte, erwärmte die Konjunktiva
auf 40—42°, beim Kaninchen den Glaskörper auf 40,7°, die Or¬
bita auf 40,2°. Bei 45° trat Trübung der Kornea ein, während
die tieferen Teile noch normal blieben. Wald mann7)
fand, dass das menschliche Auge eine Erwärmung des Kon-
junktivalsacks auf 42 0 gut vertrug. 0 u r i n 8) bezeichnet als
die höchste von ihm gemessene Konjunktivalsacktemperatur
43,6°. Um sich von der Erwärmung der Orbita eine Vor¬
stellung zu machen, benutzte er einäugige Versuchspersonen,
denen er in die leere Augenhöhle ein frisch enukleiertes Tier¬
auge einlegte; auf diese Weise fand er in der Orbita eine um
1—2 0 höhere Temperatur als im Bindehautsack 9 *). Mit e 1 e k -
3) Clausnitz: Der Einfluss der Diathermie auf den intra¬
okularen Druck. Klin. Mbl. f. Aughlk. 1912, Juni, S. 755.
*) Qurin: Ueber Diathermie am Auge. Zschr. f. Aughlk., Fe-
’ruar 1914 S. 136 und M.m.W. 1914 S. 1120.
8) Hertel: Ueber die Wirkung von kalten und warmen Ueber-
chlägen auf die Temperatur des Auges. Arch. f. Ophth. 49.
s) Zahn: Ueber die Anwendung der Diathermie am Auge. Klin.
Mbl. f. Aughlk., April 1912, S. 371.
7) Waldmann: Arch. f. Aughlk. 76. 1914. H. 1.
8) Our in: Ueber Diathermie am Auge. Zschr. f. Aughlk., Fe¬
bruar 1914, S. 136.
“) Bei diesen Versuchen bedingt der hohe Widerstand der Kon-
1723
frischen Thermophoren erreichte O u r i n dagegen
z.vvar 40,6° im Bindehautsack, aber in allen Versuchen unter
38" in der Orbita, ein Zeichen, wie viel tiefer die Diathermie
eindringt.
Alle diese Messungen sind mit Quecksilberthermometern
erfolgt, die in den Bindchautsack eingelegt wurden und geben
infolgedessen nicht die eigentliche Gewebstemperatur bei Dia¬
thermie wieder. Dies haben Kriickmann und T c 1 e m a n n
durch folgenden Versuch schlagend bewiesen. Sie leiteten
einen Strom von 2 Ampere durch ein Tierauge und massen
dabei an der Augenwand mit Thermometer 75 °, obwohl die
Sklera bereits anfing zu verkohlen, also sicher weit heisser
war. Deshalb wurde von Krückmann und Tele-
mann ln), denen wir die exakteste wissenschaftliche Unter¬
suchung der Grundlagen der Diathermie verdanken, die Tem¬
peratur der Gewebe^ thermoelektrisch bestimmt. Im
I ierversuch ist das Einstechen einer thermoelektrischen Nadel
in die Hornhaut oder in den Glaskörper natürlich möglich, und
die obere Grenze, bis zu der die Hornhaut ohne Schädigung er¬
wärmt werden kann, wurde auf diese Weise in Uebereinstim-
mung mit früheren Autoren zu 45 0 bestimmt. Dagegen ver¬
bietet sich das Verfahren beim Menschen von selbst. K. und
I. konnten aber auch die Temperatur der menschlichen Horn¬
haut bei Thermopenetration messen, indem sie eine flüssige
Elektrode verwandten, eine Glaskammer, welche sie mit
einer Mischung von 12,5 Teilen physiologischer Kochsalz¬
lösung + 100 Teile destillierten Wassers füllten. Diese Mi¬
schung hat den gleichen Widerstand wie die Hornhaut und er¬
wärmt sich bei elektrischer Wärmezufuhr in gleicher Weise;
zu beachten ist nur, dass bei Aufhören der Erwärmung die
Abkühlung ungleich erfolgt. Bei Tieren gelang es den Autoren,
die Hornhaut unter Temperaturkontrolle längere Zeit auf
43—45° zu erhitzen, und sie hoffen, dass dies auch beim
Menschen gefahrlos möglich sein wird. — Während es leicht
ist, eine Temperatur von 40 — 42° zu erreichen, ist ein Höher¬
gehen eben sehr erschwert. Dies liegt grossenteils daran, dass
die Lider infolge ihres hohen Widerstandes zu stark erhitzt
werden, ehe die Hornhaut und erst recht das innere Auge sich
erwärmen. K. und T. glauben, dass bei Anwendung grösserer
Elektroden die grösste Menge des Stromes um das Auge
herumgeht, was von Bucky11) bestritten wird.
Für die Beurteilung dieser Verhältnisse ist die Kenntnis
der elektrischen Widerstände der Gewebe wichtig.
Nach K. und T. verhält sich der Widerstand der Kornea :
Sklera : Augeninneres wie 3,1: 2,8:1, in Bestätigung früherer
Untersuchungen von Hertel, Tor n ton- u. a. Knochen,
Sehnen, demnächst Haut haben sehr hohen Widerstand,
Muskeln, Nerven einen geringen, ganz besonders niedrigen
Fett. Es ist also wohl anzunehmen, dass ein grosser Teil des
Stromes um das Auge herumgeht, wenn die Elektrode grösser
als das Auge ist. Andrerseits wird die Orbita zwar stark
durchströmt, aber wenig erwärmt werden. Dasselbe gilt,
wenn der Stromeintritt in die Hornhaut erzwungen wird, vom
Glaskörper. Bucky empfiehlt, um den Glaskörper stärker
zu erwärmen, hohe Stromstärken zu verwenden, aber nur kurz
mit Unterbrechungen, während deren die am stärksten erhitzte
Sklera ihre Wärme an den Glaskörper abgeben kann. In¬
dessen halte ich das wegen der Verbrennungsgefahr für un¬
günstig, auch zeigen die Kurven von Krückmann, dass man
mit langdauernder Anwendung schwacher Ströme dasselbe er¬
zielen kann. In jedem Fall ist ja die Wärmeabfuhr aus dem
Glaskörper wegen der fehlenden Blutzirkulation geringer als
in Aderhaut und Orbita, während die Sklera als stärkst er¬
wärmtes Gewebe durch Leitung allmählich Wärme verliert.
Je länger man thermometriert, um so mehr gleichen sich
Unterschiede zwischen benachbarten Geweben durch Wärme¬
leitung aus; starke Ströme kann man aber nur kurze Zeit ein¬
wirken lassen, da sie nicht lange ertragen werden.
junktiva die hohe Temperatur in der Augenhöhle; auf normale Ver¬
hältnisse sind sie nicht direkt anwendbar.
10) Krückmann und Telemann: Untersuchungen über die
natürlichen und künstlichen Temperaturverhältnisse am Auge mit
Hilfe der Thermopenetration. Arch. f. Ophth. 86. H. 3 S. 397.
u) B if c k y : Diskussionsbemerk, z. d. Vortrag v. Krückmann.
Klin. Mbl. f. Aughlk., Januar 1914, S. 155 und Zschr. f. Aughlk., März
1914, S. 272.
2*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ob hochfrequente Wechselströme ausser Wärmeentwick¬
lung noch andere physikalisch-chemische Wirkungen im
Körper haben können, scheint fraglich; es wird übrigens nicht
angenommen. Indirekt, d. h. ebenfalls im Grunde durch
Wärme bedingt, sind solche vorhanden. Wir verdanken
Sattler die Feststellung, dass nach Diathermie eine E i -
Weissvermehrung im Kammerwasser und Uebertritt
von Antikörpern in dasselbe stattfindet '-). Auch hierin ist die
Diathermie den warmen Ueberschlägen überlegen ebenso wie
in bezug auf die Temperaturerhöhung selbst. Normales
Kammerwasser enthält nur '/«<> Froz. Eiweiss, nach warmen
Ueberschlägen auf die rasierte Lidhaut des Kaninchens Wo bis
XA Proz. (W e s s e 1 y) bzw. nach lA stündlichen Ueberschlägen
von 55° % Proz. (Sattler), dagegen nach % ständiger
Thermopenetration 1 Proz. (Sattler). Ausserdem steigt
bei Immuntieren der Antikörpergehalt des Kammer¬
wassers bis zu einer Höhe, die der des Blutes nahekommt.
Längere Diathermie mit ganz geringen Strömen bewirkt stär¬
kere Eiweissvermehrung als kürzere mit stärkeren Strömen.
Von weiteren indirekten Wirkungen möchte ich noch er¬
wähnen, dass die Pupillenerweiterung und Akkommodations¬
lähmung nach Homatropin und Kokain rascher zurückgeht,
wenn man unmittelbar nach Einträuflung thermopenetriert; ist
die Vergiftung schon eine Zeitlang zurückliegend, so ist Dia¬
thermie, wie es scheint, wirkungslos.
Ehe wir uns mit den Erfolgen bei Augenerkrankungen be¬
schäftigen, möchte ich noch einiges über die T e c h n i k der
Anwendung anführen. Ich habe als bestes Verfahren folgendes
ausprobiert.
Die Augenelektrode soll nicht zu gross gewählt werden, höchstens
3 cm Durchmesser. Das geschlossene Lid wird mit einem dicken, mit
Wasser oder Kochsalzlösung getränkten Wattebausch bedeckt, der mit
einem Bindenstreif fixiert wird. Die andere Elektrode kommt entweder
auf den Nacken und wird dann ebenfalls dick mit feuchter Watte unter¬
polstert, die gleich mit dem Augenverband aufgebunden wird; oder
man verwendet eine Sitzelektrode. Will man den vorderen Augen¬
abschnitt oder die Lider beeinflussen, so ist die Sitzelektrode das be¬
quemste. Bei Thermopenetration Auge— Nacken kann man dagegen
annehmen, dass der Strom grösstenteils durch Augeninneres und
Orbita geht, was bei der anderen Anordnung nicht wahrscheinlich
ist w). Die Elektrode am Auge kann während der Stromwirkung
ruhig entfernt werden, ohne Verbrennungsgefahr; sie muss aber
vorher der feuchten Watte aufliegen, darf nicht mit dem Rande die
Haut des Gesichtes berühren. Will man besonders tief wirken, so
kann man die Watte mehrfach mit kaltem Wasser, besser mit
Salzlösung, erneut tränken. Die Stromstärke richtet sich nach
der Elektrodengrösse. Je kleiner die Elektrode, um so konzen¬
trierter ist die Stromwirkung auf die Eintrittsstelle, um so grösser
die Verbrennungsgefahr. Bei kleiner Elektrode kann man im
Beginn bis zu 0,2 Ampere gehen, nachher ist 0,1 Ampere und
darunter genügend. Man richte sich in der Stromstärke durch¬
aus nach den Angaben des Patienten über seine Hitzeempfindung.
Eine Messung der Temperatur mit Quecksilberthermometer ist
unnötig, da sie, wie Krückmann gezeigt hat, eine Ver¬
brennung nicht ausschliessen kann. Ausserdem ist die Wärme¬
empfindlichkeit individuell sehr verschieden, und man muss auf diese
Verschiedenheit Rücksicht nehmen. Uebrigens kann man den Patien¬
ten etwas durch Befühlen der Augenelektrode kontrollieren. Die
Dauer der Thermopenetration soll mindestens 15—20 Minuten be¬
tragen. Als Diathermieapparate standen mir dank der Liebens¬
würdigkeit der hiesigen Herren Kollegen v. Einsiedel und Fi¬
scher solche von Reiniger, Gebbert & Schall, sowie von
Koch & Sterzei zur Verfügung. Da indessen in der Augenheil¬
kunde nur schwache Ströme nötig sind, so sind kleinere — und billigere
— Apparate ebenso gut. Weiser14) hat vor kurzem einen solchen
für Zwecke der Ohrenheilkunde konstruiert, der sich auch für unsere
Zwecke vorzüglich eignet.
Die von mir zitierten Autoren weichen in Einzelheiten der
Apparatur und Ausführung mehrfach ab. Zunächst sind besondere
Elektroden konstruiert worden. Qurin hat, um Assistenz zu sparen,
eine Elektrode angegeben, die am Kopf befestigt wird. Bucky15)
hat ein Irrigationsgefäss konstruiert, das gleichzeitig als Elektrode
13) Sattler: Experimentelles zur Diathermie. Ber. über d.
38. Vers, der Ophth. Ges., Heidelberg 1912, S. 379.
13) Krückmann hat in einem Teil seiner Versuche beide Elek¬
troden auf die Lider aufgesetzt, die eine Elektrode ringförmig von der
andern umschlossen. Hierbei dringen natürlich nur ganz schwache
Stromschleifen tiefer ein, fast der ganze Strom bleibt oberflächlich.
14) Weiser: Ein neuer Apparat zur Diathermiebehandlung von
Ohrenkrankheiten. M.m.W. 1913 S. 2521. Ich habt den Weis er¬
sehen Apparat allerdings nur kurze Zeit ausprobieren können.
15) Bucky: Kombinierte Augenelektrode und Augenirrigations-
gefäss. M.m.W. 1913 S. 186.
ausgebildet ist und auf den Orbitalrand aufgesetzt wird. Ebenso ver¬
wenden Krückmann und Telemann eine „Glaskammerelek¬
trode“, die aber der Hornhaut anliegt, was für die praktische An¬
wendung eine gewisse Erschwerung bedeutet, aber andererseits eine
Konzentrierung der Stromdichte auf das Auge ermöglicht. Wald¬
mann verwendet ebenfalls feuchte Watte. Ein besonderes Thermo¬
meter ist von Qurin angegeben. Will man unbedingt die Tempera¬
tur messen, so ist die einzige Möglichkeit die Anwendung von Irriga-
tionsgefässen mit Flüssigkeit gleichen Widerstandes wie die Horn¬
haut nach dem Vorschlag von Krückmann.
Und nun zu den Resultaten der klinischen
Diathermiebehandlung am Auge. Ich habe dann
thermopenetriert, wenn warme Ueberschläge am Platze waren,
und auch, wenn rheumatische Prozesse in tieferen Teilen Vor¬
lagen, an die warme Ueberschläge nicht heranreichen, oder
wenn man sich eine Heilwirkung von Hyperämie versprechen
konnte. Den warmen Ueberschlägen halte ich die Diathermie
für überlegen bei Herpes corneae, bei Episkleritis und sklero-
sierender Keratitis, bei Iritis, Zyklitis, ferner halte ich ihre
Anwendung von Nutzen bei Neuralgien, bei Neuritis optica
retrobulbaris, bei Augenmuskellähmungen. Kontraindiziert ist
die Diathermie 1. bei Anästhesie der Lidhaut, auch trotz Tem¬
peraturmessung würden dabei noch Bedenken bestehen, 2. bei
intraokularen Gefässveränderungen, Arteriosklerose (Glau¬
kom). Vor übertriebenen Hoffnungen ist zu warnen, anderer¬
seits ist die Diathermie wegen ihrer Annehmlichkeit und Un¬
gefährlichkeit durchaus eine Methode der Praxis elegans. Viel¬
leicht gelingt es, wärmeempfindliche Bakterien mit Schonung
des lebenden Gewebes abzutöten. Auf eine Blennorrhoe des
Erwachsenen habe ich vergeblich gewartet; bei Blennorrhoe
der Neugeborenen ist Thermopenetration wegen der Unmög¬
lichkeit, ihre Gefühle auszudrücken, vorläufig zu gewagt. Auch
würde ich hierbei wie beim Ulcus corneae eher glauben, dass
wir mit der Wärme Schutzkräfte des Organismus wecken,
als dass die Bakterien der Hitze selbst erliegen. Schaden
habe ich nie von der Diathermie gesehen; einmal kam es
kurz nach ihr zu einer Blutung in die Vorderkammer, aber
von dem Momente auch zur entscheidenden Besserung der
Erkrankung. Es handelte sich um eine gichtisch-rheumatische
Iritis, eine von den Formen, die sehr rasch zu stärkster In¬
jektion, lebhafter Lichtscheu und Schmerzen, starker Trübung
des Kammerwassers, leicht lösbaren Synechien und oft zu
Drucksteigerung führen, bei denen an und für sich Blutungen
öfters spontan Vorkommen; die aber auch ohne Diathermie
meist restlos trotz des stürmischen Beginns heilen.
Die Indikationen, welche von anderen Autoren angeführt
werden, sind ungefähr dieselben [Qurin, Wald mann,
M a 1 d u t i s 18)]. Qurin gibt an, dass bei Kornealaffektionen
die Diathermie nicht so überlegen sei, wie besonders bei Iritis
gichtisch-rheumatischen Ursprungs und Episkleritis; er be¬
richtet über einen sehr guten Erfolg bei einem Patienten mit
Optikusatrophie und herdförmiger Myelitis. Im Anschluss
daran sei kurz erwähnt, dass ich bei tabischer Optikusatrophie
keinen Vorteil von dem Verfahren sah, aber auch nicht abraten
kann von einem Versuch damit. Glaukom ist nach Qurin
Kontraindikation, Clausnitzer rät wegen der Druck¬
erhöhung von der Diathermie überhaupt ab. W a 1 d m a n n
lobt die Diathermie bei Frühjahrskatarrh und bei parenchyma¬
töser Keratitis, ausser anderen schon erwähnten Erkrankungen.
Es geht wohl aus meinen Ausführungen hervor, dass wir
die Diathermie oft dann anwenden können, wenn andere Ver¬
fahren vergeblich versucht wurden; sicher ist, dass sie mehr
leistet als Wärme in anderer Form.
Diagnostische Eigentümlichkeiten der Karzinome des
Magenkörpers.
Von Dr. Heinrich L. Baum, Spezialarzt für Chirurgie in
München.
Wenn vom Magenkarzinom die Rede ist, so denkt man
dabei ohne weiteres fast automatisch an das Pyloruskarzinom.
Es ist dies die Folge davon, dass die Krebse des Magenaus¬
ganges weitaus die häufigsten sind (die grosse, 1000 in der
eigenen Anstalt operierte Magenkarzinome umfassende Sta-
1B) Maldutis: Petersburger Ophthalmol. Ges., Sitzung vom
14. III. 13.
4. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
1725
tistik W. M a y o s nennt 75 Proz.), ferner dass sie dem
Patienten wie dem vor eine Diagnose gestellten Arzte ich
mochte fast sagen am greifbarsten zum Bewusstsein kommen
und endlich, dass sie einer radikalen chirurgischen Behandlung
noch am ehesten zugänglich sind.
So beziehen sich denn auch die meisten Veröffentlichungen
diagnostischer wie therapeutischer Art mehr oder weniger aus-
schhesshch auf das Karzinom des Pylorus und seiner unmittel¬
baren Nachbarschaft und es liiesse Eulen nach Athen tragen
\v oll te ich an dieser Stelle näher darauf eingehen.
Indessen ist es augenscheinlich, dass das Karzinom des
Magenkorpers gar nicht eine so seltene Erscheinung ist als
dass Uir uns für die rechtzeitige Diagnose mit einem „ignora-
bimus und damit für den operativen Eingriff mit hoffnungs¬
loser Resignation genügen dürften.
Es ist also nicht bloss ein reiner Zufall gewesen, der mir
hintereinander innerhalb wenig mehr als eines Vierteljahres
4 Männer im Alter von 53 bis 64 Jahren mit der Diagnose
Korpuskarzinom auf den Operationstisch legte. Alle 4 wurden
s°f.°rt von den jeweils zu Rate gezogenen Aerzten in
3 Fallen mit absoluter Sicherheit, in 1 Falle, der uns noch be¬
sonders zu beschäftigen haben wird, mit Wahrscheinlichkeit
als Karzinom erkannt. Alle wurden nurzurBestätigung
der klinischen Diagnose dem Röntgenologen (Herrn Siel-
m a n n) überwiesen und alsdann mir zugeführt
Welches waren die Symptome?
Die klinischen Erscheinungen boten bei den 4 Kranken
im grossen und ganzen das nämliche Bild. Magenbeschwerden,
uie sich in Form von Schmerzen und gelegentlich auch
saurem Aufstossen unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme
ausserten, ebenso wie Völlegefühl, waren 7 Wochen bis
' '* Jal,lrc vorher angeblich zum ersten Male bemerkt worden
Erbrechen hatte in keinem der Fälle stattgefunden. Die Er¬
scheinung, welche die Kranken bestimmt hatte, den Arzt auf-
zusuchen, war die auffällige Abmagerung. Die ob-
iektive Untersuchung hatte folgende Ergebnisse:
/a! ’ (U zugewiesen durch Herrn Dr. K a s 1 1.) Druck-
mpfindlichkeit unterhalb des Schwertfortsatzes, kein Tumor fühl-
’ar, Magen leer, HCl negativ, Milchsäure negativ, Blut positiv
■ \3> 1 2 ,(R- zugewiesen durch Herrn Dr. Albert L o e b) bot
me Abweichung insofern, als sich die Erscheinung der sogen,
iirh'z/su ^tention ergab d- h. es kamen bei der Magenspülung
ach :4 Stunden noch die Kerne von Preisselbeeren zum Vorschein
,n 7iLaV „ JP- zu/ewiesen durch Herrn Dr. Albert L o e b) war der
les Ünkl Pinnp deutlichen, etwa hühnereigrossen Tumor unterhalb
[Ln 2 ?,‘P-Ptnb0ge"S fuh'en hess. Die übrigen Erscheinungen
Setention gleichen wie m den vorhergehenden Fällen: keinerlei
Fall 4 (W„ zugewiesen durch Herrn Dr. Fries) zeigte eben-
■tlls neben rapider, innerhalb von 7 Wochen aufgetretener Ab-
’eSte!? Salzsäuremangel, eine nur sehr undeutliche
eipcrnntu ,unterha!b des linken Rippenbogens; Magen leer, trotz
äS“ Hut” „SIS WaSSeriSe" Erbrechens. Untersuchen* auf
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass bei allen
Kranken sich die Diagnose Korpuskarzinom des Magens
rundete auf subjektive Beschwerden von seiten des Magens,
tarke Abmagerung, Salzsäuremangel bei vollkommen fehlen-
cr Retention, Nachweis einer okkulten Blutung (mit Aus¬
ahme des Falles 4).
• ii fd‘eser ^ia^nose konnte natürlich die abgesehen von
all 3 fehlende Tastbarkeit eines Tumors (bei Mayo in
3 Proz., bei Hart er t sogar in 47 Proz. der Fälle) ebenso
•emg etwas ändern, als der stets negative Ausfall der Milch-
aurereaktion, die bekanntlich durchaus von dem Vorhanden¬
em einer Retention abhängig ist.
Obwohl also die Sachlage vollständig klar zu sein schien,
uruen, dem allgemein vertretenen chirurgischen Grundsatz
Mägen sämtlicher 4 Patienten mit Röntgenstrahlen
,wohl l,mter dem Leuchtschirm untersucht, als auch photo-
raphiert. Wir erhielten ohne Ausnahme eine vollkommene
estätigung der klinischen Diagnose: Carcinoma
trporis ventriculi, wie aus den beigegebenen Diapositiven
rsichthch ist.
Fall 1 zeigt einen in der oberen Hälfte quer er¬
eiferten, in der unteren Hälfte verengten Magen, also bereits
gewisse Annäherung an die Feldflaschenform, wie sie beim
rzmomatösen Schrumpfmagen gesehen wird. Der Magen steht
1 och und ist kaum beweglich. Von der grossen Kurvatur gehen mehr
geVief llnsqhneidende Schattenaussparungen aus; Pylorus,
K'fr7innmUra!tUr’ bundus„ scheinen intakt; daher Röntgendiagnose:
rabeT d gr0SSen Kurvatur’ möglicherweise inope-
nehmpnHprtl0nfbaefUnn ?rosser’ die ganze hintere Magenwand ein¬
nehmender, mit dem Pankreas ausgedehnt verwachsener, den Pylorus
frei lassender, die grosse Kurvatur von hinten her krallenartig um-
JorkT^ l Um°r nfbs- Metastasen in der Leber. Da keine Retention
so kam ,auJch eine Gastroenterostomie nicht in Betracht. Der
Bauch wurde wieder geschlossen.
der ICrnn irf>f " iJctZt’ m h’ etwa 1 Monate nach der Operation, sieht
cter Kranke, dessen Magen noch immer durchgängig ist, mit einem
über kindskopfgrossen Tumor des linken Leberlappens, schwerem
h .Mpn ‘ch V, > huktion erfordernden Aszites, Oedemen an
beiden Unterschenkeln und am Genital seinem baldigen Ende entgegen
MaeenwanH* nnH ,Karz'nom deE liinfcren Abbildung 2. R. Karzinom des ganzen
Sen”"d u"d der ßrossen Kurvatur; Magenkörpers, von der kleinen Kurvatur
P Wo r u s'vö'i]I?Cf r e i*-" f , i * o" H hT ,Pa"kreasi ausgehend und nur an der grossen Kurvatur
L- vol,,g frei , ausgedehnte Leber- und einen fingerbreiten Streifen freilaisend ■
Drusenmetastasen. - Probelaparotomie. Pylorus eben noch frei. - Probelaparotomie^
roo-Pima * 2' Mags and ,quer gedehnter Magen, verwaschene, un-
! HZaCiige Zeichnung in der Pylorusgegend, Schattenaus¬
sparung an der kleinen Kurvatur mit Andeutung von Zapfenbildung
nknSSp-KtUrVai-Ur gIatt; Magen hochstehend, ganz wenig beweglich;
Annbm °ntgendiag.n0SeÄ kunSöses Karzinom der kleinen Kurvatur mit
Annäherung an den Pylorus, sicher nicht resezierbar
Operationsbefund: Bei noch freiem Pylorus zeigte sich der
Sk-o b!S nahM an d,e Emmündungsstelle der Speiseröhre in eine
einzige starre Masse umgewandelt, in der nur entlang der grossen
Kiirvatm- em fingerbreiter, weicherer Sfreifen zu fühle,, war Aus-
gehend von der kleinen Kurvatur war der Magen sowohl auf seiner
frhrsae„re\W‘t a“ der birl,e,e,, Fläche dicht mit pilzarSen
erbsen- bis haselnussgrossen glasig aussehenden Wucherungen, die
bis in die Mitte zwischen beiden Kurvaturen hereinreichten Ein
grosser unbeweglicher Drüsentumor lag der hinteren Bauchwand an
ääVe'rscM„s*adre?eBa^!Slen0Ch Z“ d“>"™ auch
Verlauf: Dieser Kranke ist jetzt, ein halbes Jahr nach der Ope-
nrh'p-'+’p bv vors£ht'gfr Diät soweit beschwerdefrei, dass er wieder
arbeiten kann Er hat sogar nach Mitteilung des behandelnden Arztes
(Herr Dr. Albert L o e b) 4 Pfund zugenommen, er klagt nur neuer¬
dings über b>chmerzen im Rücken und erschwerte Gehfähigkeit so
dass an die Möglichkeit einer Wirbelmetastase gedacht werden muss.
Der ursprüngliche Tumor ist mittlerweile fülhbar geworden.
• < 3 1 d3; Gr°sser, in beiden Richtungen gedehnter Magen mit
intaktem Pylorus. Etwas unterhalb der Mitte der grossen Kurvatur
Abbildung 3. D. Karzinom der grossen
Kurvatur mit geringen Drüsemnetastaseii,
nicht verwachsen, nahe an den Pylorus
herangehend. - Reaktion (Kocher) von
Vs des Magens.
Abbildung 4. W. Leichte Perigastritis,
Tetanus des präpylorischen Teiles mit
Achylia gastrica. — Probelaparotomie
wegen Karzinomverdacht.
findet sich eine breite, sektorenförmige Aussparung des Magen¬
schattens, die eine leichte wellige Begrenzung zeigt und deren Spitze
1726
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
an der kleinen Kurvatur eine scharf-winklige '
Also Andeutung von Sanduhrform. Eine von der Mitte der -schatten
•uissmrunsr nach unten ziehende Wismutbahn dürfte der obersten
von der Flexura duodenojejunalis herabziehenden Dünndarmschlinge
entsprechen und recht eiic Perforation ins Colon traMvws™ be¬
zeichnen, da für eine solche alle klinischen Symptome fehlten. Der
Magen ist mit dem fühlbaren Tumor gut verschieblich, also Röntg -
diagnose: Karzinom der grossen Kurvatur mit aller Wahr
schein lichkeit noch resezierbsr. ,
Operationsbefund: Nach Eröffnung der Bauchhöhle lasst sich der
von der grossen Kurvatur ausgegangene frauenfaustgrosse Tumor
samt dem Magen mit einem Griff vor die Bauchwunde vorlagern, da
nur einige wenige Drüsenmetastasen in nächster Nahe des Magens
gefühlt werden, so wird die Resektion gemacht, die •/. des Magens
samt dem Pylorus entfernt. Die Vereinigung des Duodenalstumpfes
mit dem Magenrest erfolgt nach der Koch ersehen Methode und
funktionierte vom ersten Tage ab ohne jede Störung.
Fall 4. Sehr stark längs- und namentlich in der Mitte auch
quergedehnter Magen, der eben in der Mitte der grossen Kurvatur
eine sackartige Ausbuchtung erkennen lässt. Aboralwarts von dieser
beginnt unmittelbar eine sowohl an der kleinen wie an der grossen
Kurvatur bemerkbare, durchaus unscharf begrenzte beträchtliche
Einengung des Magenschattens, mit aufgehobener Peristaltik in
diesem Bezirk. Der Pylorus zeigt normale Verhältnisse, was rorm
und Beweglichkeit anlangt. Letztere erscheint, wenn man die rasche
Füllung der Dünndarmschlingen in Betracht zieht, eher etwas ver¬
mehrt. Demgemäss Röntgendiagnose, ringförmiges medulläres
Karzinom des aboralen Korpusabschnittes, wahrscheinlich
noch resezierbar. , ,.
Operationsbefund: Eine grosse Ueberraschung. Nirgends di
Spur eines Tumors oder auch nur einer Verdickung der Magenwand.
Die einzig nachweisbaren pathologischen Veränderungen waren etwas
stärker injizierte Gefässe desSerosaiiberzuges, der hier und da milchige
Trübungen erkennen lässt, und spärliche schleierdünne Adhäsionen
des Magens mit der Umgebung. Alles in allem also nur eine geringe
Perigastritis. Da keine Retention und keine Hyperchlorhydrie, viel¬
mehr HCl-Mangel vorlag, war auch eine Gastroenterostomie in keiner
Weise angezeigt. , ..
Verlauf: Nach einer gründlichen Salzsaurekur unter zeitweiliger
Dareingabe von Atropin hat sich der Patient wieder glänzend erholt
und ist vollkommen arbeitsfähig.
Es ist eine alte Tatsache, dass wir gerade aus den Fehlern,
die wir begangen haben, besonders viel lernen können. Fragen
wir nach den Gründen, welche in diesem letzten Falle die
eklatante Fehldiagnose veranlasst haben, so kommen wir ganz
allgemein zur Erörterung der Möglichkeit, ob wir mit unseren
heutigen Hilfsmitteln, die Röntgenstrahlen eingeschlossen,
überhaupt imstande sind, ein Magenkarzinom, insbesondere
ein solches des Magenkörpers, mit Bestimmtheit zu er¬
kennen.
Lassen wir in aller Kürze die der Magenkarzinomdiagnose
dienenden Erscheinungen Revue passieren.
1. Die Anamnese gibt nur vage Anhaltspunkte, zumal
beim Korpuskarzinom.
2. Der Tumor, der von manchen Autoren neuerdings
wieder besonders in den Vordergrund gerückt wird, ist nur in
63—67 Proz. der Fälle fühlbar. Bei Korpuskarzinom gar nur
in 53,1 Proz. (M a y o und Harte rt).
3. Die mechanische Störung der Magenentleerung
ist wohl beim Pyloruskarzinom ein sehr auffallendes und kon¬
stantes Symptom, kommt aber beim Korpuskarzinom so gut
wie gar nicht in Betracht, höchstens, dass einmal die kleine
Retention vorhanden ist (M a d s e n).
4. Der H C 1 - M a n g e 1 ist nicht völlig konstant. H a y e m
iand ihn nur in 80 Proz. der Fälle *).
5. Das Vorhandensein von Milchsäure und
:benso der Boas-Oppler sehen Bazillen kommt aus-
,chliesslich nur beim Vorhandensein von Retentionen vor und
,ehlt daher beim Korpuskarzinom.
6. Das Röntgenbild kann im negativen wie im posi-
dven Sinne eine Täuschung veranlassen, d. h. es ist einmal
unter Umständen nicht imstande, uns das Vorhandensein eines
Magenkarzinoms zu enthüllen. Aus diesem Grunde hat es auch
die Hoffnung, die man auf seine Herbeiziehung für die Früh¬
diagnose des Magenkarzinoms gesetzt hat, nicht erfüllen
können. Darüber sind sich wohl die meisten Chirurgen und
Röntgenologen einig. Das Röntgenbild kann aber auch ein
Magenkarzinom Vortäuschen, wo ein soiches nicht Vorhände n
ist Dafür ist ein Beweis der oben beschriebene Fall 4 (W.),
ebenso wie der auf dem diesjährigen Wiesbadener Kongress
für innere Medizin von B o r g b j a e r g - Kopenhagen mit¬
geteilte Fall, bei dem auf Grund des Röntgenbildes sogar eure
Resektion des Magens gemacht wurde, wo sich indessen auch
mikroskopisch nur das Vorhandensein einer schweren Gastrt-
l'S "'Hann diesen Fällen ein Tetanus des Antrum pyloricum,
wobei das pylorische Ende unscharf gezeichnet ist j.
Schwär z) die falsche Diagnose Karzinom stellen lassen,
so kann dazu auch eine stark geblähte Flexura lienahs durch
Schattenaussparungen an der grossen Kurvatur \ eranlassung
geben (Hartert). .
Das Vorhandensein der sogen. Intermediarsclncht im
oberen Teil des Wismutschattens, die von Schlesinger als
charakteristisch für Hyperazidität angesehen wird, konnte m
keinem der 4 völlig anaziden Fälle vermisst werden. Der
Schmieden sehe Satz, dass das Fehlen der Intermediar-
schicht geeignet ist, den Verdacht eines Karzinoms zu stutzen,
muss jedenfalls dahin ergänzt werden, dass ihre Gegenwart
kein Grund ist, ein Karzinom auszuschliessen, auch dort, wo
keine Milchsäure vorhanden ist.
7 Was die Gastroskopie anlangt, so bin ich weder
durch eigene Erfahrung, noch durch Veröffentlichungen in der
Literatur in die Lage gekommen, mir ein Urteil darüber zu
bilden, wie weit die perorale Gastroskopie heute schon fällig
ist, der Diagnose des Magenkarzinoms zu Hilfe zu kommen.
Mayo hält sie als für den praktischen Gebrauch noch nicht
geeignet.
Ueberblicken wir die uns zur Verfügung stehenden dia¬
gnostischen Hilfsmittel, so kommt für das Korpuskarzinom
neben der Anamnese, die uns lediglich den Weg weist, fast
in Betracht: der Salzsäuremangel, in etwa mehr
nur
*) Erst kürzlich hatte ich wieder Gelegenheit, ein Magen-
karzinom zu resezieren, bei dem eine ausgesprochene Hyperchlor¬
hydrie bestanden hatte; die mikroskopische Untersuchung durch
Herrn Prof. Oberndorfer bestätigte die klinische Karzinom¬
diagnose.
1114 1 111 \~hcawa*«.. “ —
als der Hälfte der Fälle die Fühlbarkeit eines 1 u mors, die
bekanntlich nicht von vornherein gegen eine Operabilität •
spricht, und das Röntgenbild.
Das Röntgenbild, gleichgültig, ob man es nur mit dei
Durchleuchtung (Wiener Schule) oder mit der Photographie
(Deutschland) gewinnt, feiert seine grössten Triumphe auch
wieder nur beim Pyloruskarzinom. Hier finden sich die be¬
kannten und immer wieder veröffentlichten Bilder des Pylorus-
defektes, des Pyloruszapfens, des Pylorussporns usw., Bilder,
die selten einer Missdeutung unterliegen werden. Ganz anders
beim Korpuskarzinom, wo das augenfällige Moment der
Retention der Kontrastmasse über viele Stunden hinaus in
Wegfall kommt. Beim Korpuskarzinom, bei dem die franzö¬
sischen Röntgenologen (Beclere) nur zwei bestimmte Formen
unterscheiden, den Estomac lacunaire und den Petit estomac
sind die Erscheinungen lange nicht von so grosser Bestimmt¬
heit, und wir finden nur in geeigneten Fallen an der grosser
oder kleinen Kurvatur oder auch an beiden unregelmässige
Schattenaussparungen oder eine allgemeine Einengung des
Magenschattens. Ist letzterer auch im Verein mit den
klinischen Bilde kaum falsch zu deuten, so geben die unregel¬
mässigen Schattenaussparungen, wie wir gesehen haben, docl
gelegentlich Veranlassung zu einer ungerechtfertigten Kar-
zinomdiagnose, da sie eben auch bei anderen Erkrankungei
des Magens zur Beobachtung gelangen können. In unserem
Falle W. musste infolge der rapiden Abmagerung, die inner
halb von 7 Wochen angeblich über 20 Pfund betragen hatte
auf Grund des Salzsäuremangels und des im präpylorischei
Teile des Magenschattens deutliche zackig begrenzte Ein
engung zeigenden Röntgenbildes unbedingt die Diagnose an
Karzinom des Magenkörpers gestellt werden. Wie die Vcr
hältnisse lagen, konnte unmöglich angenommen werden, das'
es sich lediglich um eine Achylia gastrica handeln könnte, da
wie neuere Veröffentlichungen (Röntgenkongress 1914) er
kennen lassen, zum Tetanus des Antrum pyloricum mit un
scharfer Zeichnung führen kann.
Wenn bei dieser Gelegenheit ganz allgemein ein paar Be
merkungen über die Verwertbarkeit des Röntgenbildes hinzu
gefügt werden dürfen, so muss gesagt werden, dass in diese
10 Jahren, die verflossen sind, seitdem Rieder durch Ein
4. August 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1727
führung der Kontrastmahlzeit überhaupt erst eine Diagnose
der Magendarmerkrankungen mittels der Röntgenstrahlen er¬
möglicht hat, sich mehr und mehr die Erkenntnis durchbrach,
dass von einer eigentlichen Frühdiagnose des Magenkarzinoms
mittels der Röntgenstrahlen leider nicht die Rede sein kann.
Es liegt das daran, dass eben das Röntgenbild nur eine Sil¬
houette darstellt.
Es hat nun vielfach die Neigung bestanden, und besteht
auch heute noch, bei der Röntgenuntersuchung neben der
allgemeinen und lokalen Diagnose bereits die Frage der
Operabilität zu beantworten. Es mag in einigen extremen
Fällen angängig sein, auf Grund des Röntgenbildes zu ent¬
scheiden: Hier ist jeder operative Eingriff ausgeschlossen,
Hände davon! Aber mehr, gewissermassen die Indikation für
den vorzunehmenden operativen Eingriff herauslesen wollen:
hier werde ich die Resektion des Pylorusteiles, hier die des
Mittelstückes, hier die Gastroenterostomie machen, das ist
doch wohl nur ganz ausnahmsweise möglich. So sehr ich die
Röntgenuntersuchung des Magens schätze, die man wohl all¬
zu optimistisch auch eine Autopsia in vivo genannt hat, und
so ungern ich sie vor einer allfälligen Operation vermisse, so
halte ich doch an dem Standpunkte fest, den übrigens auch
Mayo teilt, dass die letzte Entscheidung, ob und
wie weit ein karzinomatös erkrankter Magen noch einem
operativen Eingriffe zugänglich ist, immer nur mit Hilfe
der Probelaparotomie zu treffen ist und ich
Gaube, dass eine Probelaparotomie zu viel vor dem ärztlichen
Gewissen und im Interesse des Patienten leichter wiegt, als
ein zu wenig. Freilich soll sie nicht in extremis vorgenommen
werden, denn dann, aber auch n u r dann, ist sie ebenso sinn-
wie nutzlos. Dass sie immer häufiger rechtzeitig vor-
genommen werde, d. h. mit der Möglichkeit, die Radikal-
iperation anschliessen zu können, dazu sollte das Röntgenver-
ahren ein gutes Teil beitragen.
Es scheint nun aber, als wenn die neueste Forschung uns
. or der Probelaparotomie noch zur Pflicht macht, als letztes
Mittel, einem versteckten Karzinom auf die Spur zu kommen,
Ge Serodiagnostik zu Hilfe zu nehmen. Es sind im Laufe der
-eit bekanntlich schon eine grosse Anzahl derartiger Reak-
ionen in den Dienst dieser Frage gestellt worden, und 10 und
nehr verschiedene Verfahren sprechen nicht nur für das grosse
yissenschaftliche Interesse, sondern auch für die praktische
Notwendigkeit, aber vielleicht auch für die noch nicht ge-
liigende Zuverlässigkeit dieser ganzen diagnostischen Rich-
ung. In aller Kürze erwähnt seien hier die Brieger-
' r e b i n g sehe Antitrypsinreaktion, um deren Ausgestaltung
ich besonders Mandelbaum verdient gemacht hat; die
ilyzyltryptophanreaktion (Neubauer - Fischer); der
Nachweis von Heterolysinen im Magensaft nach Grafe-
’ömer und nach Kelling; die Wassermann sehe und
'reund-Kamine r sehe Reaktion u. v. a.; alle diese sero-
üignostischen Methoden zeigten sich schliesslich doch in ihren
Resultaten als zu wenig konstant, um wirklich einmal zur Ent-
cheidung herangezogen werden zu können. Anders lag schon
ie Sache bei der v. D u n g e r n sehen Komplementbindung, bei
er geübte Untersucher in etwa 90 Proz. der sicheren Kar-
inomfälle positive Resultate erzielen konnten (H a 1 p e r n).
eichter ausführbar und doch ebenso zuverlässig scheint die
■ s c o 1 i sehe Meiostagminreaktion zu sein, die in neuester Zeit
e sonders dadurch an Terrain gewonnen hat, dass an Stelle der
tbilen Organextrakte synthetische Antigenc gesetzt wurden.
'ie jüngsten Mitteilungen aus dem Heidelberger Institute für
rebsforschung (R o o s e n und Blumenthal) äussern sich
her die Meiostagminreaktion, welche gegenwärtig am zweck¬
nissigsten mit einem alkoholischen Linolrizinolsäuregemisch
!s Antigen angestellt wird, in dem Sinne, dass sie, obwohl
ner absoluten Spezifizität entbehrend, doch für die Praxis
nigermassen brauchbare Resultate liefert, da sie in 96,8 Proz.
er sicheren Karzinomfälle positiv ausfällt.
Wie es nur natürlich ist, hat sich die Serodiagnostik der
eschwiilste und besonders die der Karzinome alsbald auch
er Abderhalden sehen Reaktion für ihre Zwecke be¬
richtigt. Bis jetzt allerdings noch mit sehr widersprochen¬
en Ergebnissen. Indessen soll die merkwürdige Beobachtung
>n \\ e i s s aus der Tübinger Medizinischen und Nervenklinik
nicht unerwähnt bleiben, dass der Organismus des magen¬
karzinomkranken Menschen im Gegensatz zum magen¬
gesunden Menschen nicht imstande ist, Abbaufermente gegen
parenteral einverleibte Substanz von anatomisch normaler
Magenschleimhaut zu produzieren.
Wenn diese Beobachtung, die sich bis jetzt nur auf
d Untersuchungen gründet, sich in der Folge auch in einer
grösseren Anzahl von Reaktionen bestätigt finden sollte, so
müsste das natürlich einen ungemein grossen Gewinn für die
Diagnostik des Magenkarzinoms bedeuten. Indessen will es
mii scheinen, als ob diese Beobachtung zu schön wäre, um
sich als zuverlässig zu bewähren. Wertvoller ist die Mit¬
teilung L a m p e s, wohl des erfolgreichsten Vorkämpfers der
Abderhaldenreaktion für die Karzinomdiagnose, dass bereits in
einer grösseren Anzahl von Fällen, wo der Ausfall der Reaktion
im Gegensatz zu der klinischen Diagnose für Karzinom sprach,
dci nachfolgende autoptische Befund der Serumreaktion
Recht gab.
Selbstverständlich wird weder der Magendarmspezialist
noch der Chirurg ausserhalb eines klinischen Laboratoriums
Zeit, Gelegenheit und die unbedingt erforderliche Uebung
haben, um selber Serodiagnostik betreiben zu können. Aber
weder dieser Umstand noch die Tatsache, dass gelegentlich
auch nicht karzinomatöse Erkrankungen (bei der Meiostagmin¬
reaktion kommt besonders Gravidität in Betracht) einen posi¬
tiven Ausfall der Reaktion bedingen, sollte kurzweg auf die
Heranziehung dieses diagnostischen Hilfsmittels verzichten
lassen. Und wie wir uns bei zweifelhaften Syphilisfällen ge¬
wöhnt haben, in einem eigens dafür eingerichteten Institut die
Wassermannreaktion anstellen zu lassen, so sollten wir diese
nicht mehr ungewöhnliche Methode der Arbeitsteilung auch
auf die Serodiagnostik des Magenkarzinoms anwenden, was
für den Kranken ebensowohl wie für den behandelnden Arzt
von allergrösstem Nutzen sein müsste.
Wir haben gesehen, dass gerade die Symptome des Korpus¬
karzinoms an Deutlichkeit viel zu wünschen übrig lassen, dass
wir letzten Endes immer nur auf eine Wahrscheinlichkeits¬
diagnose angewiesen sind. Das sollte uns veranlassen, mit
allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln — und dazu ge¬
hört neuestens auch die Serodiagnostik — hinter das Geheimnis
des Latenzstadiums des Magenkarzinoms zu kommen, in dem
bekanntlich nach Boas das Hauptmoment seiner Malignität
begründet liegt. Je mehr Wahrscheinlichkeiten sich alsdann
auf die Diagnose Korpuskarzinom des Magens vereinigen,
einen desto höheren Grad von Gewissheit werden wir in der
Erkennung des jeweils vorliegenden Krankheitsprozesses er¬
langen, bevor wir den Leib öffnen.
Es muss zugegeben werden, dass auch dann, wenn klini¬
sche Untersuchung, Röntgenverfahren und Serodiagnose bis
zur äussersten Leistungsfähigkeit durchgebildet sein werden,
es immer noch Fälle geben wird, bei denen wir genötigt sein
werden, zur Sicherstellung der Diagnose eine Probe¬
laparotomie zu machen.
Das Bewusstsein, alle anderen diagnostischen Hilfsmittel
vorher erschöpft zu haben, wird die in rein diagnostischer Ab¬
sicht unternommene Operation in einem weniger unbefrie¬
digenden Lichte erscheinen lassen. Und darum muss heute
mehr d e n n j e, auch wo noch keine Motilitätsstörungen vor¬
liegen, die frühzeitige Ausführung der Probelaparotomie ver¬
langt werden. Sie bietet in Lokalanästhesie vorge-
nommen, nur ein geringes Risiko, das die Mayo sehe Statistik,
unter Einbeziehung der schon sehr heruntergekommenen
Kranken, auf 1,6 Proz. Mortalität berechnet, wobei der Eingriff
selbst an dem tödlichen Ausgange niemals direkte Schuld
trug.
Vorstehende Ausführungen beabsichtigen, an der Hand
von 3 Fällen von Magenkörperkarzinom und einer im gleichen
Sinne sich äussernden, auf den klinischen Befund und das
Röntgenbild aufgebauten Fehldiagnose zu zeigen, wie das
Karzinom des Magenkörpers vor allen anderen Magen¬
karzinomen ein diagnostisches Problem darstellt, dessen Lö¬
sung wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, und
wenn es eben nicht anders geht, mit dem Messer in der Hand,
nachgehen müssen. Vergessen wir doch nicht, dass das
Karzinom wie es in ungezählten Fällen sich erwiesen hat, unter
1728
MUENCHENER MEDIZINISCHE W0CHENSCHR1ET.
Nr. 31.
einer intakt erscheinenden Schleimhaut schon weit gewuchert
sein kann. Allein aus diesem Grunde dürfen wir uns von
einem uncharakteristischen Röntgenbilde nicht von dem durch
klinische Momente geweckten Verdacht auf ein Magen¬
karzinom abbringen lassen. Dasselbe gilt von der jedenfalls
zu befragenden Serumreaktion. Gewissheit gibt allein die
Probelaparotomie und diese besitzt für den Kranken nur dann
einen Wert, wenn sie nicht zu spät für die Möglichkeit der
Radikaloperation ausgeführt wird. Auch hier muss es heissen:
„Inopi beneficium bis dat qui dat celeriter.“
Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik (Direktor: Professor
Dr. W i 1 m s).
Die Resektion des Duodenums mit der Papille wegen
Karzinoms.
Von Prof. Dr. G g. H i r s c h e 1, I. Assistenten der Klinik.
Die Resektion des Duodenums wegen Karzinoms der Pa¬
pille. bei der auch Teile des Choledochus und des Pankreas mit
seinem Ausfiihrgange mitentfernt werden müssen, ist eine
seltene Operation. Einmal ist dieses Karzinom nicht gerade
häufig, und dann entschliesst man sich zu dem grossen Ein¬
griffe nicht leicht, da es sich meist um sehr schwache Patienten
handelt, die eine grössere Operation nicht überstehen. Ausser¬
dem bietet die Operation mancherlei Schwierigkeiten, da Teile
des Choledochus und des Pankreas mit seinem Ausführgange
miter.tfernt werden müssen und da deren Versorgung meist
nicht einfach ist.
Vor 1 XA Jahren hatte ich Gelegenheit bei einer Patientin
eine solche ausgedehnte Resektion vorzunehmen, bei der die
Versorgung der Stümpfe der Ausführungsgänge Schwierig¬
keiten bereitete und wobei ich mich mit der Bildung eines
künstlichen Choledochus mittels eines Drainrohres behalf nach
der Methode, wie sie W i 1 m s und Brewer bei undurch¬
lässigem Choledochus infolge von eingekeilten Steinen, Narben¬
stenosen oder versehentlichen Choledochusresektionen nach
Gallensteinoperation etc. empfohlen haben. Die Operation ge¬
staltete sich dadurch verhältnismässig einfach und konnte
rasch ausgeführt werden. Die Patientin erholte sich sehr gut
und starb nach etwa 1 Jahre wahrscheinlich an Rezidiv; eine
sichere Todesursache konnte nicht festgestellt werden, da eine
Sektion nicht vorgenommen wurde.
Die Krankengeschichte ist kurz folgende:
Die 47 jährige Patientin aus Bruchsal hatte vor 2 Jahren eine
vorübergehende leichte Gelbsucht. Schmerzen bestanden nicht. Es
trat Genesung ein, bis vor 2 Monaten die Gelbsucht rezidivierte; auch
jetzt waren keine Schmerzen vorhanden. Eine hochgradige Gewichts¬
abnahme wurde bemerkbar.
Die stark ikterische Patientin war sehr mager und schwach. Die
Temperatur betrug 39°. Die Diagnose lautete: Verschluss des Chole¬
dochus und Cholangitis.
Die Operation ergab eine hühnereigrosse, mit Eiter und Steinen
gefüllte Gallenblase, deren Wandung stark entzündlich verändert war.
Nach Inzision des Choledochus entleerte sich gestaute Galle mit Eiter
untermischt. Ein Stein war nicht zu fühlen, dagegen an der Papille
ein walnussgrosser weicher Tumor, der den Choledochus völlig ver¬
schloss. ln Anbetracht des noch verhältnismässig guten Zustandes
der Patientin und des noch kleinen zirkumskripten Tumors wurde die
Resektion vorgenommen. Das leicht mobilisierbare Duodenum wurde,
soweit es vom Tumor eingenommen war, in seiner ganzen Zirkum-
ferenz reseziert. Dabei fielen noch fort ein grösseres Stück des
Choledochus und ein etwa 2 cm langes Stück des Pankreaskopfes mit
seinem Ausführungsgange. Der Papillentumor war mit dem Pankreas
fest verwachsen und griff auf dieses über, ln Abbildung 1 ist das
resezierte Stück eingezeichnet. Der Tumor war ein weiches, leicht
zerfallendes Adenokarzinom.
Die Vereinigung des Duodenums bot wegen seiner guten Be¬
weglichkeit keine Schwierigkeiten. Der Pankreasstumpf mit seinem
Ausführungsgange liess sich in dasselbe ringsherum gut einnähen.
Grössere Schwierigkeiten bereitete das Heranbringen des Chole-
dochusstumpfes an das Duodenum, da letzteres durch die Pan¬
kreasimplantation nach der anderen Seite gezogen wurde. Es blieb
deshalb nichts anderes übrig, als einen künstlichen Choledochus her¬
zustellen, falls man nicht die Galle ganz nach aussen ableiten wollte.
Durch ein mehrere Zentimeter langes Gummidrain, das an beiden
Enden mit einer kleinen seitlichen Oeffnung versehen war, wurde das
fehlende Stück Choledochus ersetzt. Sowohl im Choledochusstumpfe
als auch im Duodenum wurde es möglichst dicht eingenäht und in
seiner Lage fixiert. Die schwer veränderte Gallenblase wurde am
Zystikus abgetragen (Abb. 2).
Abb. 1. Abb. 2. Die Vereinigung der Organe
„ -n nach Exstirpation des Tumors.
a = Karzinom der Papille. a _ künstlicher Choledochus
b, c, d, e — reseziertes Stuck. aus oUmmidrain.
Durch die Vereinigung der Duodenalstümpfe und das Einnähen
des Pankreas, sowie des künstlichen Choledochus war der Duodenal¬
kanal sehr verengt worden, so dass der Mageninhalt nicht mehr hin¬
durchgeleitet werden konnte. Aus diesem Grunde und zum Schutze
der Naht wurde zum Schlüsse der Operation eine Gastroenterostomie
angeschlossen.
Das Wundbett der Duodenalresektion wurde gut abtamponiert
und drainiert, damit der eventuell entweichende Pankreassaft abge¬
leitet werden konnte. Die ganze Operation dauerte etwas über eine
Stunde, so dass die Schädigung der Patientin durch die Narkose
nicht sehr hochgradig war. Am 5. oder 6. Tage nach der Operation
trat für mehrere Tage eine geringe Gallen- und Pankreassekretion
auf, die allmählich wieder verschwand, so dass sich die Wunde
schliessen konnte. 3 Wochen nach der Operation wurde die Pa¬
tientin in gutem Zustande entlassen; die Wunde war geschlossen,
der Ikterus war verschwunden, der Stuhl war normal gefärbt, Be¬
schwerden bestanden nicht.
Das Wohlbefinden hielt auch in der nächsten Zeit an und die
Patientin nahm rasch zu.
Nach etwa 1 Jahre erhielt ich die Nachricht von dem Tode der
Patientin, die Ursache desselben war nicht zu eruieren, auch war
eine Sektion leider nicht vorgenommen worden. Ueber das Ver¬
bleiben des Gummidrains wurde mir nichts bekannt.
Eine übersichtliche Zusammenstellung der bisher veröffent¬
lichten exstirpierten Papillenkarzinomfälle findet sich in einer
Arbeit von Kausch (Bruns Beitr. 78. 1912). Er sammelte
die Fälle und fand im ganzen 10, welche die Radikaloperation
überlebten. Von diesen 10 Fällen wurde 8 mal nur die Papille
mit Umgebung entfernt, nicht aber ein Stück Duodenum re¬
seziert. Eine zirkuläre Resektion des Duodenum fand er nur
in 2 Fällen. Kausch selbst operierte einen von diesen, der
nach % Jahren starb.
Von den Fällen, bei welchen nur die Papille exzidiert
wurde, ist ein Fall von Dauerheilung bekannt, die übrigen star¬
ben in den ersten Monaten und Jahren. Die Resultate sind also
bisher nicht günstig.
Wegen der Grösse des Eingriffes empfiehlt Kausch, die
Operation zweizeitig auszuführen, und zwar so, dass in der
ersten Sitzung die Gallenweg-Darmverbindung (Cholezyst-
enterostomie und Enteroanastomose) und die Abbindung des
Choledochus vorgenommen wird, in der zweiten Sitzung aber
der Tumor radikal entfernt wird durch quere Resektion des
Duodenum mit eventueller Pankreasresektion. Es folgt eine
Gastroenterostomie und der Pylorusverschluss.
Hiergegen ist folgendes einzuwenden. Die Gallenblase ist
natürlich nur dann zu einer Anastomose zu verwerten, wenn
sie sich in einem einigermassen normalen Zustande befindet.
In unserem Falle war dies wegen der schweren entzündlichen
Veränderungen nicht möglich und es fiel deshalb die immerhin
einige Zeit in Anspruch nehmende und die Operation kompli¬
zierende Cholezystenterostomie und Enteroanastomose, wie
sie Kausch beschreibt, weg.
Die Verbindung des Choledochusstumpfes mit dem Duo¬
denum machte in meinem Falle allerdings Schwierigkeiten, die
eben nur durch Bildung eines künstlichen Choledochus be¬
hoben werden konnten. Die Operation vereinfachte sich hier¬
durch ganz wesentlich und es konnte in der gleichen Sitzung
die Gastroenterostomie angeschlossen werden, während der
Pylorus nicht abgeschlossen zu werden brauchte.
4. August 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1729
Aus der med. Klinik der kgl. Universität Würzburg.
Sanduhrmagen bei nicht tiefgreifendem Ulcus ventriculi
Von Wilhelm Nonnenbruch.
Die Beziehungen zwischen Ulcus ventriculi und Sanduhr¬
magen sind vor allem durch F a u 1 h a b er aufgedeckt und
eingehend beschrieben worden. In seiner 1910 erschienenen
Arbeit L 1 J über die Röntgendiagnostik des tiefgreifenden
(kallösen) Ulcus ventriculi hat er bereits alle wesentlichen
Punkte niedergelegt, ln der letzten grösseren Arbeit über die
Röntgendiagnostik der Magenkrankheiten [2] wurden diese
Punkte weiter ausgeführt. Faulhaber kommt zu dem Re¬
sultat, dass das tiefgreifende Ulcus dreierlei Sanduhrformen
bedingen kann:
1. rein organische, durch die Ulcusschrumpfung oder be¬
gleitende perigastritische Prozesse oder beides bedingt;
2. rein funktionelle, durch lokale tetanische Muskelkon¬
traktion infolge des Ulcus;
3. Mischformen, welche neben (oft geringer) organischer
Verengerung in der Hauptsache der erwähnten tetanischen
Kontraktion ihre Entstehung verdanken.
Er fügt dann noch hinzu, dass alle diese Formen röntgeno¬
logisch persistierende Sanduhrmägen sind. F a u 1 h a b e r hat
auch die röntgenologische Differentialdiagnose zwischen or¬
ganischem und spastischem Sanduhrmagen gegeben, die sich
aus dem Füllungsmechanismus des Pylorusabschnittes ergibt.
Wenn sich dieser sofort beim Essen vollständig füllt, so liegt
die zweite oder dritte Form vor, auf Grund derer man ruhig
Ulcus annehmen kann.
Die Befunde von solch persistierendem Sanduhrmagen
sind in grösseren Laboratorien keine Seltenheit mehr. Sie
finden sich meist vereint mit einer Ulcusnische, auf die zuerst
und unabhängig voneinander Haudek [3J und Faul-
haber [lj hingewiesen haben. Dadurch resultieren dann die
bekannten Bilder von Sanduhrrflagen mit Nische, wobei die
eingezogene grosse Kurvatur pfeilförmig auf die Nische hin¬
weist. Diese Fälle sind im allgemeinen Sache chirurgischer
Behandlung. Durch interne Therapie können sie gebessert
werden, der Spasmus kann sich lösen und die Beschwerden
können oft bedeutend gelindert werden. Schlesinger [4]
beschreibt solche Fälle, wo unter rein konservativer Therapie
der zu der organischen Stenose tretende Spasmus gelöst
wurde und Gerhardt [5] zeigte einen Fall, der nach
typischer Leubekur beschwerdefrei war. Aber zu einer Aus¬
heilung des als Nische erscheinenden Geschwürs ist es meines
Wissens noch nie gekommen.
Als Gegenstück zum persistierenden Sanduhrmagen wurde
der spastische oder intermittierende oder auch Pseudosand¬
uhrmagen unterschieden. Als Ausdruck einer besonders tiefen
Peristaltik kann man häufig solche intermittierende Sanduhr-
bilder bei Nervösen entstehen sehen, wobei die Peristaltik bald
da bald dort durchschneidet. Mehr lokalisiert ist die spastische
Sanduhrform, die man beim oberflächlichen Ulcus beobachtet.
So wie das tiefgreifende Ulcus der kleinen Kurvatur häufig zur
spastischen — Sanduhrform bedingenden — Kontraktion der
Ringmuskulatur führt, kann auch das oberflächliche Ulcus einen
solchen Reiz ausüben und man sieht dann bei und nach der
Füllung an einer bestimmten Stelle, die wohl dem Ulcus ent¬
spricht, eine mehr weniger durchgehende und mehr weniger
lang fixierte spastische Einschnürung entstehen. Es kann da¬
bei zu den ausgesprochensten Sanduhrformen kommen mit
völliger Trennung der beiden Magenteile. In der Regel sind
diese Befunde von nur sehr vorübergehender Dauer und man
kann das Kommen und Gehen dieses Zustandes während der
Schirmbeobachtung verfolgen. Dass aber ein aller Wahr¬
scheinlichkeit nach nur oberflächliches Ulcus zuweilen auch zu
i öntgenologisch persistierender Sanduhrform führen kann,
sollen folgende zwei Fälle aus unserer Beobachtung beweisen.
Der erste Fall betrifft ein 48 jähriges Fräulein, das seit 3 Jahren
j Mgen*3esc^werc^en die periodisch mit Zwischenräumen von 2 bis
’ Monaten auftreten und dann meist 5 — 6 Wochen da sind. Erbrochen
Ia) sie nie. Die Schmerzen kommen nach dem Essen und sind
zeitweise so heftig, dass sie sich hinlegen muss. Dauer Yi Stunde.
Jer Stuhlgang ist verzögert. Eintritt ins Spital am 14. IV. 13.
Me klagt zurzeit mehr über Schwäche und Rückenschmerzen als über
en Magen. Probefrühstück: fr. HCl 5, Ges.-Az. 55, mikroskopisch
Nr. 31.
Erythrozyten. Am 18., 22. und 28. IV. 13 wurde eine Röntgenunter¬
suchung vorgenommen, die jedesmal das gleiche Resultat ergab näm¬
lich eine während der ganzen Schirmbeobachtung und bei den Kon¬
trollen immer an der gleichen Stelle vorhandene Einziehung der
grossen Kurvatur, die zu typischer Sanduhrform des Magens führte
Eine Nische konnte auch auf den jedesmal gemachten Radiogrammcn
nicht nachgewiesen werden (Abb. 1). Es handelte sich demnach um
einen persistierenden Sanduhr¬
magen, als dessen Ursache mit
grosser Wahrscheinlichkeit ein
Ulcus an der kleinen Kurvatur
angenommen werden konnte.
Unter einer entsprechenden
mehrwöchigen Spitalbehandlung
besserte sich der Zustand der
Patientin wesentlich und am
16. Mai 1913. wurde sie be¬
schwerdefrei entlassen. Am
I 18. Juni 1914 konnten wir eine @
Nachuntersuchung vornehmen.
Die Patientin war sehr schwer
dazu zu bewegen gewesen,
denn sie fühlte sich vollkommen
gesund und vertrug alle Spei-
sen. Die Magenuntersuchung Abb. u
ergab ein ungehindertes rasches
Durchtreten des Kontrastbreis auf den kaudalen Pol und keine Spur
von Sanduhrmagen mehr. Tiefstand des Pylorus und der kleinen
Kurvatur. Atonie.
Ein zweiter ähnlicher Fall kam vor kurzem zur Beobachtung.
Erl. L., 20 Jahre, hatte früher niemals Magenbeschwerden. Drei
Wochen vor Spitaleintritt (28. IV. 14) bekam sie plötzlich am Abend
nach dem Essen heftige Schmerzen in der Magengrube. Erbrochen
\vurde nicht. Seit dieser Zeit traten mit grosser Regelmässigkeit
A Stunde nach dem Essen Schmerzen in der Magengrube und im
Rucken auf, die 2 Stunden andauerten. Stuhlgang obstipiert, in den
letzten 14 Tagen immer schwarz. Oefter Schwindelanfälle. Danach
war ein Ulcus wahrscheinlich. Die Röntgenuntersuchung ergab, dass
der aufgenommene Baryumbrei sich dicht unter dem Zwerchfell an¬
sammelte und dass sich erst nach K — 14 Minute auch unten in der
Nabelgegend ein von dem ersten vollkommen getrennter Schatten aus¬
bildete, an dem man Peristaltik beobachten konnte. Während der
zunehmenden Füllung blieb dieser Befund konstant. Eine Nische
konnte an der Einziehungsstelle nicht entdeckt werden. Auf der
20 Minuten später gemachten Aufnahme zeigte sich der gleiche bei der
Durchleuchtung erhobene Befund (Abb. 2). Es handelte sich um das
typische Bild eines Sanduhrmagens. 6 Stunden p. c. war noch ein
kleiner Rest in dem kaudalen Teil vorhanden. Wir nahmen demnach
zusammen mit dem klinischen Befund ein Ulcus ventriculi mit Sitz an
der kleinen Kurvatur an, das zu dieser röntgenologisch persistieren¬
den Sanduhrform geführt hatte und verordneten eine typische Leube-
sche Ulcuskur. Aus therapeutischen Gründen wurde bei der sensiblen
Patientin eine abermalige Breifüllung in den nächsten Tagen ver¬
mieden. Erst bei der nach 5 Wochen erfolgenden Entlassung wurde
die Patientin einer Kontrolluntersuchung unterzogen. Sie war unter¬
dessen bei der 3. Leubekost angelangt, die sie ohne Beschwerden
vertrug. Es zeigte sich keine Spur von Sanduhrmagen mehr. Der
Brei sammelte sich in dem unteren Magenteil an und wurde von
einer hohen Saftschicht überlagert, die bis zu der normalen Magen¬
blase reichte. Die Entleerung ging diesesmal prompt vonstatten.
Dies sind also zwei Fälle von röntgenologisch persi¬
stierenden Sanduhrmägen, die bei einem sicherlich nicht als
tiefgreifend anzunehmenden Magenulcus bestanden haben und
mit der Besserung des Ulcus verschwunden sind. Demnach
gehören sie unter Nr. 2 der von Faulhaber aufgeführten
Sanduhrformen, die rein funktioneller Natur sind, durch
tetanische Muskelkontraktion entstanden. Beim tiefgreifenden
Magengeschwür sind solche Beobachtungen etwas häufiges,
wenn sie auch hinter den Beobachtungen der unter Nr. 3 an¬
geführten Mischformen zurückstehen. Beim oberflächlichen
Ulcus sind sie aber etwas seltenes. Für die Prognose ist es
wichtig, sie zu kennen, denn während die häufigen Befunde
von persistierendem Sanduhrmagen in Gesellschaft eines tief¬
greifenden Ulcus Sache chirurgischer Behandlung sind (Faul-
h a b e r s Ulcus chirurgicum), sind diese Fälle einer internen
Behandlung wert, unter deren Einfluss alle Symptome und Be¬
schwerden zurückgehen können.
Literatur.
1. F a u 1 h a b e r: M.m.W. 1910 Nr. 40. — 2. F a u 1 h a b e r: Die
Röntgendiagnostik der Magenkrankheiten. Halle a. S. bei Carl M a r -
hold, 1914. — 3. Haudek: M.m.W. 1910 Nr. 30. — 4 Schle¬
singer: Grenzgebiete 1911. — 5. G e r h a r d t: Würzburger Aerzte-
abend 23. I. 12 (M.m.W. 1912 Nr. 17).
3
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aus dem städtischen Krankenhaus zu Radolfzell
(Chefarzt: Dr. O 1 1 o M a d e r).
lieber einen Fall von Aneurysma der Aorta abdominalis
mit Heilungstendenz.
Von Med.-Prakt. Udo Stengel e.
Aneurysmen der Aorta abdominalis sind bekanntlich sehr selten.
Nach Crisp UJ nehmen sie bezüglich der Häufigkeit die 4. Stelle
ein. Nur vereinzelte Fälle von Selbstheilung sind bekannt und meist
sieht man sie bei kleinen Arterien, Wichtig für die Selbstheilung ist
der Sitz des Aneurysmas. Steht es durch einen engen Hals mit dem
Arterienrohr in Verbindung, dann ist die Prognose für eine Spontan¬
heilung in dem Sinne eher gegeben, dass der Aneurysmasack durch
Thrombenbildung ausgefüllt, das Gerinnsel organisiert wird und
Bindege webspeubildung stattfindet, mit anderen Worten, dass „durch
einen chronischen Entzündungsprozess eine Schrumpfung des
Aneurysmas herbeigeführt wird“ l2j. Solche Fälle sind von Oliver
und S. F r e n c h |3J publiziert worden, ferner hat Arn. Chaplin 14J
einen Fall mitgeteilt, bei dem es sich um einen 35jähr. Mann handelte,
der an einem Aneurysma des Aortenbogens litt, das in die Luftwege
rupturierte und so den Exitus herbeiführte, obwohl der Aileurysma-
sack wie die Obduktion ergab, mit geschichtetem Blutgerinnsel ganz
ausgefüllt war, d. h. einen Heilungsvorgang dokumentierte. Ueber
einen weiteren Fall von spontaner Ausfüllung eines Aneurysmasackes
und zwar der Aorta abdominalis berichtet noch früher McKellar
1 5] von einem zuletzt an Dysenterie zugrunde gegangenen Mann.
Wenn ich auch nur ein kleines Literaturmaterial zur Verfügung hatte,
so bewies dieses mir doch die Seltenheit der spontanen Aneurysma¬
heilung und veranlasste mich zu einem kasuistischen Beitrag. Mit¬
bestimmend war ferner die grosse Schwierigkeit der Diagnose.
Es handelte sich um eine 43 jährige Frau, die als Kind angeblich
stets gesund gewesen war. Viermal hatte sie normal geboren. Die
Kinder leben und sind gesund. Vor 4 Jahren ein Abortus, wobei
der Uterus ausgeräumt wurde. Damals hatte Patientin einen
Ikterus, seitdem ist sie nie krank gewesen. Der Mann lebt, ist
gesund. Von Lues ist nichts zu eruieren. Am 10. Mai 1914 stand die
Frau wie gewöhnlich um 6 Uhr auf, verrichtete wie sonst ihre Ar¬
beiten im Haushalt und fühlte sich vollkommen wohl. Gegen K*10 Uhr
klagte sie über Schwindelgefühl, das jedoch nur von kurzer Dauer
war. Um 1412 Uhr mittags traten ganz plötzlich heftige Schmerzen
vornehmlich in der rechten Bauchgegend auf. Patientin legte sich zu
Bett und verlangte sofort ärztliche Hilfe. Wir fanden sie in folgen¬
dem Zustand: Gesicht und Extremitäten wachsfarben, Puls kaum
fühlbar, unregelmässige Herzaktion (keine Geräusche), Temperatur
normal; Erbrechen, teilweise Benommenheit, Klagen über starke
Schmerzen im Leib, besonders in der Gegend der Leber. Das Ab¬
domen war bretthart, aufgetrieben, nicht zu palpieren, eine Dämpfung
von der Linea alba ausgehend, dicht über dem Nabel sich nach rechts
verbreitend undeutlich zu perkutieren. Einige Minuten dauerte der
kolikartige Anfall, setzte dann für wenige Sekunden aus, um sofort
wieder mit erneuter Heftigkeit zu beginnen. Eine Palpation des
Abdomens war schlechterdings unmöglich. Der Puls, der kleiner und
kleiner wurde, nötigte zu Kampferinjektionen, die starken Schmerzen
zur Injektion von Pantopon. Die Anfälle, abwechselnd mit sekunden¬
dauernden Pausen Hessen nicht nach. Während der Attacken war
der Leib anzusehen wie der einer Kreissenden, besser kann ich das
Bild nicht beschreiben, wenn ich die kolikartigen Anfälle mit Wehen
und die kurzen Intervalle mit Wehenpausen vergleichen darf. Dia¬
gnostisch kam für uns in erster Linie eine Gallensteinkolik mit Per¬
foration der Gallenblase in Betracht. Dafür sprach in erster Linie
die Lokalisation des Schmerzes in der Lebergegend und die kolik¬
artigen Anfälle, das Erbrechen sowie der Ikterus aus der Anamnese
(vor 4 Jahren). Auch eine perforierte Appendizitis wurde in Er¬
wägung gezogen, hatten wir doch erst einige Wochen vorher eine
solche, die ohne vorausgegangene Symptome plötzlich aufgetreten
war, gesehen. Zum dritten dachten wir an ein rupturiertes Aneu¬
rysma. Letzteres wurde jedoch, da die Patientin keinerlei Be¬
schwerden während der ganzen letzten Jahre gehabt hatte, die etwa
ein Aneurysma hätten vermuten lassen, wieder in den Hintergrund
gestellt. Es trat eine sofortige Operation in Frage und zwar mit
grösster Wahrscheinlichkeit eine Operation der Gallenblase. Zu
einem Eingriff kam es jedoch nicht mehr, da 1 Vi Stunden nach dem
Einsetzen der ersten Attacke der Exitus eintrat.
Die Hinterbliebenen gestatteten eine kurze Bauchsektion im
Hause, die 24 Stunden post mortem vorgenommen wurde: auffallend
war bei der Inspektion des Bauchsitus ein kolossal aufgetriebenes
Colon ascendens und Colon transversum. Die Gedärme wurden aus
der rechten Hälfte des Abdomens gedrängt und es zeigte sich eine
Blutmenge von reichlich VA Liter in der freien Bauchhöhle. Des
weiteren sah man ein grosses retroperitoneales Hämatom, das sich
fast über die ganzen Lendenwirbel erstreckte und in die rechte Seite
der Bauchhöhle ragte. Unter dem Hämatom lag auf dem 2. — 4. Len¬
denwirbel ein zweifaustgrosser, fluktuierender Tumor, der nach rechts
eine für den Daumen durchgängige Perforation zeigte und sich als
Aneurysma der Aorta abdominalis dokumentierte. Der Aneurysma¬
sack hatte die Form einer Halbkugel, war also nicht durch einen
schmalen Hals mit der Aorta in Verbindung, sondern sass mit seinem
ganzen Durchmesser auf der Arterie. Das Aneurysma wurde in toto
exstirpiert und aufgeschnitten. Das Innere des zweifaustgrossen
Sackes war bekleidet mit einer zweifingerdicken Masse, die sich als
zum grössten Teile organisierte Thromben erwies. Eine ganze Hälfte
war mit festem Bindegewebe durchsetzt und Hess sich von der
Intima schwer ablösen. Ein anderer Teil war lockere lhromben-
inasse, von dem Innern der Arterie leicht abzuschälen. Etwa M- cm
dick erwies sich das Gerinnsel an der Rupturstelle und hier war auch
die eigentliche Arterienwand papierdünn Der Rest der Aneurysma¬
höhle stand in gar keinem Verhältnis zur Grösse des Aneurysmas.
Die Höhle war bis auf einen kleinen Durchmesser mit organisierten
und nichtorganisierten Thromben ausgefüllt. Es handelte sich dem-
nach um einen spontanen Heilungsprozess eines Aneurysmas der
Aorta abdominalis und zwar um einen Fall der deshalb als selten
zu erkennen ist, weil erstens das Aneurysma breit mit der Aorta
in Verbindung stand und zweitens, weil es bei seiner enormen
Grösse fast völlig durch geschichtete Thromben- und Bindegewebs-
massen ausgefüllt war. Bemerkenswert ist der Fall ausserdem noth
dadurch, dass der Patientin durch das Aneurysma keinerlei Be¬
schwerden bis zum Zeitpunkt der Ruptur erwachsen waren und die
Ruptur selbst durch ihre kolikartigen Begleiterscheinungen ganz das
Bild einer Gallensteinkolik mit Perforation der Gallenblase vor¬
täuschte.
Literatur.
1. Handbuch der prakt. Chirurgie. 4. Aufl. 3. 1913. S. 108. —
2. Bäumler Ch.t Penzoldt-Stintzings Hb. d. ges. Ther. 3. 4. Aufl.
S 428 _ 3. French Herb. S.: Spontan, eure of aort. aneurysm.
Lancet 10. Juli 1908. — 4. A. Chaplin: Brit. med. Journ. 1894.
Vol. 1. S. 78. — 5. McKellar: A case of abdomin.aneurysm.
Lancet 1882. Vol. II. S. 262.
Aus dein Sanatorium Hoppegarten bei Berlin (Dr. Leu-
buscher und Dr. Wagne r).
Weiterer Beitrag zur Luminalbehandlung der Epilepsie.
Von Dr. H. Qrabi, Anstaltsarzt.
Im Anschluss an die bemerkenswerte Arbeit des Medizinalrat
Fuchs in der M.m.W. 1914 Nr. 16 möchte ich über die Anwendung
des Luminals bei einem Epileptiker unseres Sanatoriums berichten,
weil dieser Fall eine nicht unwesentliche Ergänzung zu der bisherigen
Kasuistik und besonders zu den von Fuchs beschriebenen Fällen
bildet. , . , D
Uns wurde das Luminal (damals noch mit der chemischen Be-
zeichung) im März 1912 von der Elberfelder Farbenfabrik zur Ver¬
fügung gestellt. Es ist zuerst nur symptomatisch gegen Erregungs¬
zustände und Schlaflosigkeit, und zwar sowohl bei Epileptikern, wie
auch bei anderen Psychosen gereicht worden.
Durch die Arbeiten von Hauptmann, M.m.W. 1912 Nr. 35,
und die Bemerkung des Prof. F r i e d 1 ä n d e r - Hohemark wurden
wir zuerst auf die Bedeutung, welche Luminal auf die Herabsetzung
der Krampfanfälle bei Epileptikern haben könnte, aufmerksam ge¬
macht. Wir begannen bald mit einer systematischen Darreichung
von Luminal bei Krampfkranken.
Während wir zuerst bei Erregungszuständen schwerer Art das
Luminal bis hinauf zu 0,8 gaben, gewissermassen als Ersatzmittel für
Hyoszin, versuchten wir es dann mit geringeren Dosen als regelmässige
Medikation bei einem Teil unserer Epileptiker einzuführen. Wir
haben bei einer grossen Anzahl von Fällen, und zwar mit regel¬
mässig fortgesetzten kleinen Dosen von 0,2 bis 0,3 pro die durch diese
Therapie unzweifelhaft gute Erfolge erzielt.
Die meisten Fälle, die wir anführen könnten, würden einen
weiteren gleichartigen Beitrag zu den bisher von anderen Autoren
beschriebenen bieten. Es würde die Absicht dieser Arbeit über¬
schreiten, wenn wir diese Fälle einzeln anführen würden. Die Be¬
handlungsdauer betrug meistens 4—5 Monate, dann wurde entweder
aus Gründen anderer Art die Luminalbehandlung eingestellt, resp. die
Patienten als wesentlich gebessert entlassen.
Allerdings ist es uns nur gelungen, eine erhebliche Besserung
in der Zahl und Stärke der Krampfanfälle und besonders im psychi¬
schen Befinden zu erzielen, bisher konnten wir jedoch noch kein voll¬
kommenes Ausbleiben der Anfälle beobachten.
Ein Kranker, der mit Luminal behandelt wurde, ist dauernd in
unserem Sanatorium. Ich gebe in folgendem einen Auszug aus seiner
Krankengeschichte:
Patient O., 1874 geboren, Kaufmann, erkrankte im 17. Lebensjahr
an schwerer Nierenentzündung. Darauf stellte sich ein epileptischer
Anfall ein. Nach einer Pause von mehreren Monaten wiederholten
sich die Krampfanfälle und seitdem bildete sich ein geistiger Ver¬
fall aus. Patient wurde ziemlich schwachsinnig, zeitweise zeigten sich
starke Erregungszustände. Körperlich sind an Krankhaftem vor¬
handen: eine leichte Arterienverhärtung und dauernd Spuren von Ei-
weiss im Urin. Seit November 1910 befindet sich der Kranke hier
in Behandlung.
In der ersten Zeit war Patient höchst unlenksam, stand in
dauerndem Konflikt mit seinem Pfleger, den er sogar einmal mit
einem Messer bedrohte. Kleinere Tätlichkeiten gegen das Pfleger¬
personal waren an der Tagesordnung. Er zerstörte mitunter Einrich-
4. August 1914.
MUENCHeNeR medizinische WOCHENSCHRIFT.
tungsgegenstände und beschuldigte nachher in alberner Weise seine
Umgebung, dies getan zu haben.
Krampfanfalle traten sehr zahlreich, meist recht schwerer Art
auf, Patient war nachher stark benommen. Im März 1911 erkrankte
0. an leichter Bronchitis, lin Anschluss daran zeigte sich Vermehrung
des Eiweisses iin Urin bis auf 9 prom. Die Benommenheit war jetzt
besonders stark, in freieren Seiten war er sehr deprimiert. Bei reiner
Milchdiät und Schwitzprozeduren besserte sich der Zustand wieder
Dann traten von neuem zahlreiche Anfälle auf, sein Verhalten wurde
beinahe noch unleidlicher wie vorher. Besonders von August bis
Oktober 1911 waren fast dauernd hochgradige Erregungszustände
vorhanden. Ende Oktober traten auch wieder bedrohliche Erschei¬
nungen von seiten der Nieren auf. Im Sommer 1912 wurde bereits
zeitweise Luminal gegeben. Vorübergehend besserte sich der psy¬
chische Zustand, um dann beim Aussetzen des Luminals im August
wieder starken Erregungen und Streitsucht Platz zu machen.
Patient war bis dahin nur mit grossen Mengen Stein sehen
Brom-Baldriansalzes behandelt worden. Von November 1912 an
* urde mit der systematischen Luminalbehandlung begonnen und
zwar erhielt Patient morgens 0,1 und abends 0,2. Die Brommenge
wurde bedeutend herabgesetzt, doch haben wir dieselbe noch nicht
ganz aufgegeben. Mitte Oktober 1911 vorübergehend Herzschwäche!
Seit Beginn der Luminalbehandlung haben die Anfälle besonders
an Stärke sehr nachgelassen, es gab auch Zeiten, wo wochenlang
keine Anfälle auftraten. Abgesehen davon ist aber in dem Verhalten
des Kranken ein ganz ausserordentlicher Umschwung zu bemerken
Aus dem überaus reizbaren, häufig aggressiven Kranken ist ein ruhi¬
ger, freundlicher Mann geworden, der fast niemals mehr Konflikte
Tut seinem Pfleger hat und sich ärztlichen Anordnungen ohne wei-
eres fügt. Der Schwachsinn hat sich nicht wesentlich verändert,
loch tritt jetzt nicht selten seine natürliche Gutmütigkeit und leichter
lumor zutage. Er hat Neigung, sich zu beschäftigen, spielt Karten
egt Geduldspiele zusammen und macht zahlreiche Spaziergänge in
lie Umgebung.
Es wurde versucht, Ende April 1913 das Luminal auszusetzen,
vorauf prompt eine wesentliche Verschlechterung des Befindens ein¬
rat. Im Mai wurde Luminal wieder gegeben und wieder zeigte
•ich eine erhebliche Besserung des ganzen Zustandes. In letzter
-eit traten allerdings die Krampfanfälle wieder etwas häufiger auf,
och sind sie lange nicht so schwer wie früher und hinterlassen nicht
•ie starke Benommenheit wie ehedem.
Irgendwelche körperlichen Beeinträchtigungen sind während der
.anzen Behandlungszeit bei dem nierenkranken Patienten niemals
utgetreten. Die Menge des ausgeschiedenen Eiweisses hat sich nicht
ermehrt. Nebenerscheinungen bei grösserer Einzelgabe, wie sie
ruher von mehreren Autoren, L o e w e, Patschke u. a., als
:kzeme, Schwindel, Koordinationsstörungen etc. angeführt sind ’wur-
en nicht beobachtet.
Wenn ich diesen Fall veröffentliche, so geschieht es deswegen,
• eil ich glaube, dass noch nie solange unausgesetzt Luminal gegeben
1 jtient,0,- hat vor 2 Jahren zuerst häufig und seit lVz Jahren
auernd täglich 0,3 Luminal erhalten. Das körperliche Befinden ist,
otzdem Patient an einer Nierenerkrankung leidet, recht gut ge-
esen und hat sich, da die ungünstigen psychischen Einflüsse weg-
cien, sogar gebessert. Im Verhalten ist ein enormer Umschwung
ingetreten, so dass der Kranke, der sich eine Last und anderen eine
ete Beunruhigung war, jetzt ein ganz erträgliches Leben zu führen
Es erscheint daher möglich, in geeigneten Fällen die Luminal-
enandlung bei Epileptikern zu einer dauernden zu machen
Wenn es nach der Mehrzahl der Beobachtungen, besonders der
tzten Veröffentlichungen von Fuchs als wahrscheinlich gelten
uss, dass man im Luminal ein Spezifikum für manche Form der Epi-
psie gefunden habe, so muss es natürlich von grosser Wichtigkeit
an, festzustellen, wie lange es möglich ist, dieses Mittel, welches in
was grosseren Dosen schon keineswegs unbedenklich ist, unaus-
-“setzt hintereinander zu geben.
Ich glaube, dass der oben beschriebene Fall ein Beitrag zur Be-
teilung dieser Frage sein könnte.
„Pharmakotechnisches“ zu Tampospuman.
Von Dr. Paul Trendelenburg in Freiburg i. B.
Als eines der letzten Erzeugnisse der chemisch-pharma-
utischen Industrie wird seit kurzem das Tampospu m a n,
n „pharmakotechnisch neues, energisches Hämostatikum mit
ei Wirkungskomponenten zur lokalen Behandlung genitaler
utungen angeboten. Die Fabrikanten des Tampospumans
.uitpoMwerk, München) haben eine ganze Reihe hämo-
atischer Körper „nach dem Gesetz der potenzierten Wirkung
ie.in^lc^er£erp'ht> das heisst: jeder einzelne wirkt für sich
utstillend, zeigt aber von den übrigen verschiedene chemische
stammung, so dass nach dem ebenerwähnten Gesetz die
irkungsresultante nicht in der Summe der einzelnen Wir-
ingswerte, sondern in deren potenzierter Form erscheint.“
Da das von wissenschaftlicher Seite bekanntlich noch
keineswegs allgemein akzeptierte „Gesetz der potenzierten
Wirkung“, auf Grund dessen das vorliegende Präparat kom¬
biniert wurde, in Zukunft wohl noch häufig in den Dienst
der bekannten Bestrebungen der Industrie, den Arzt an ge¬
brauchsfertig gelieferte Medikamentmischungen zu gewöhnen,
gestellt werden dürfte, ist es vielleicht angebracht, kurz auf
das Resultat der Anwendung des „Gesetzes“ auf das von der
rirma in Angriff genommene Problem hinzuweisen.
J" von der Firma angegebenen Zusammensetzung der
labletten: Suprarenin. hydrochlor. (1: 1000) 2 Proz., Stypticin 1 Proz.,
rerripyrm 1,5 Proz., Chininsulfat 2,5 Proz., Liq. ferr. sesquichlorat.
0,5 I roz , Pyrazolon. phenyldimethyl. 10 Proz., Acid. tart. et Natr.
bicarb. (1 -\- 2), Corp. tablett. ad 2,0 sind mindestens 2 Punkte zu
beanstanden.
a u ySerinnendes Hämostyptikum gab die Firma nach ihren
Angaben E i s e n c h 1 o r i d hinzu. Da aber in den Tabletten Anti-
pyrin (Pyrazolon. phenyldimethyl.) enthalten ist, bindet sich in
wässeriger Lösung das Eisenchlorid natürlich sofort zu Ferripyrin
und es kann als solches nicht mehr Träger der beabsichtigten Wir¬
kung sein, sondern es vermehrt lediglich die schon vorhandenen
L5 Proz. Ferripyrin. (Es müsste denn ein Ueberschuss zugesetzt,
und alles Antipyrm in Ferripyrin übergeführt sein. Das ist aber
nicht der Fall, denn ein Tropfen Eisenchlorid, den man in Tampo¬
spumanlösung hineingibt, zeigt durch Auftreten der typischen Farb¬
reaktion sofort die weitere Bildung von Ferripyrin an.)
2. Die Tatsache, dass Eisenchlorid nicht im Ueberschuss zu¬
gegeben wurde, hätte für die Hersteller von Vorteil sein können
Durch die unbeabsichtigte Bindung des Eisenchlorids an Antipyrin
konnte wohl möglicherweise die oxydative Wirkung des Eisenchlorids
auf Adrenalin — neutrale Adrenalinlösungen werden bekannt-
lieh durch Spuren von Eisenchlorid nahezu momentan zersetzt _
verhindert worden sein. Aber das sich bildende Ferripyrin zählt zu
den dissoziierbaren Eisenverbindungen und bewirkt infolgedessen
ebenfalls eine ausserordentlich rasch vor sich gehende Adrenalinzer¬
setzung. So kann sich die Adrenalinwirkung zur Eisenchloridwirkung
weder hinzupotenzieren, noch hinzuaddieren, sondern der Prozess
wird ein rein subtraktiver: der Eisenchlorid- (Ferripyrin-) Zusatz ver¬
nichtet das Adrenalin — ganz abgesehen davon, dass das Gesetz“
nur für Wirkungen am gleichen Element aufgestellt wurde, liier aber
eine an den Blutgefässen angreifende Wirkung mit einer an der
Blutflüssigkeit angreifenden kombiniert wurde.
Ein Versuch überzeugt leicht von der adrenalinzerstörenden
Eigenschaft der Tampospumaneisenverbindung. Gibt man zu einer
neutralisierten oder schwach alkalischen TamposDumanlösung etwas
Adrenalin, so erkennt man dessen rasche Zersetzung an der sofortigen
Abb. 1. Blutdruck vom Kaninchen, mit Quecksilbermanometer geschrieben. Zeit = Sekund.
Oberste Linie:
Intravenöse Injektion von V560 mg
Adrenalin: Drucksleigerung
mit nachfolgender Senkung
Mittlere Linie:
Injektion von % ccm einer Tarn-
p o s p u m an lösung, 1 Tabl. ad
5 ccm (= V, o der Tabl.), lg Min.
nach der Lösung. — In % ccm
sollten ebenfalls »/* 60 mg Adrenalin
enthalten sein ! KeineWirkuug
3. Linie:
Wiederholung der Injektion von
Vjsomg Adrenalin : volle Wirkung.
Abb. 2. Wirkung des „Tampospumans“ auf die Blutgefässe des Frosches.
/• 2//.
/-* 5M
T~Sr(r-.5o)
1. Kurve: Die Oefässe isolierter Froschbeine werden durch die Injektion von y~ ccm
einer Adrenalinlösung 1:2 Millionen stark verengert
2. Kurve: Auch die A d r e n a 1 i n I ö s u n g 1:5 Millionen ist in der gleichen
Menge noch deutlich wirksam.
3. Kurve: 1 Tablette Tampospuman wird in 50 ccm gelöst, von dem Filtrat wird
A ccm eingespntzt : keine konstriktorische Wirkung auf die Frosch-
gefas se, obgleich in der Tampospumanlösung von 50 ccm 0,04 mg Adrenalin enthalten
sein soll, somit die Adrenalinkonzentration 1:1 250000 in der Lösung zu er¬
warten war, und eine noch stärkere Wirkung, als sie in Kurve 1 erzielt ist, auftreten sollte.
Im Oegenteil, die Tampospumanlösung wirkte schwach erweiternd.
(Unter jeder Kurve ist die Zeit in Minuten geschrieben.)
Verfärbung. Und dass die im Tampospumanrezept enthaltenen
Adrenalinmengen keine Wirkung mehr äussern, ist aus der Abbil¬
dung 1, auf der jede Steigerung des Blutdruckes des Versuchstieres
nach 1 ampospumaninjektion vermisst wird, wätirend die berechnete
Adrenalinmenge deutlichen Effekt auslöst, und aus der Abbildung 2,
auf der Tampospumanlösungen keine Verengerung der Blutgefässe
3*
1732
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
der Froschbeine und keine Verringerung der ausmessenden Tropien-
zahl bewirken, während Adrenalin in schwächerer Konzentration,
als sie in der angewandten Tampospumanlosung enthalten se
müsste wirksam ist, zu erkennen. . ,
So reduziert sich die Zahl der wirksamen Körper um _ eines der
besten Hämostyptika und die erhoffte Potenzierung durfte sich ‘ '«folge
ungenügender Berücksichtigung der chemischen Eigenschaften d r
Substanzen nicht realisieren lassen.
„Bei Verordnung dieses neuen Präparates, das die vor¬
läufige Laboratoriumsbezeichnung „Inhibin“ trug .... sollte
nicht übersehen werden, dass durch allzu freie Potenzierungs¬
experimente die trefflichen Wirkungen der Einzelkomponenten
stark „inhibiert“ werden können.
Ein neues Hilfsmittel zum geschmackfreien Einnehmen
unangenehm schmeckender Arzneien (Tropfen).
Von Dr. H. N e r 1 i n g e r, Mannheim.
Die Gelatinekapsel allein steht uns bisher zur Verfügung, wenn
unsere Kranken einen flüssigen Arzneikörper einnehmen sollen, ohne
dabei durch den Geschmack und Geruch einen Widerwillen gegen
das Arzneimittel zu empfinden. Die Gelatinekapsel ist aber als Fertig-
fabrikat an bestimmte Gaben und Zusammenstellungen von Arznei¬
mitteln gebunden und eignet sich für wasserhaltige Arzneimittel über¬
haupt nicht. Es fehlte dem Arzte bisher ein Hilfsmittel, durch das
er jederzeit dem Kranken auf einfache Weise in geschmackfreier
Form Tropfen geben lassen konnte, die wegen ihres objektiv
schlechten Geschmackes entweder gar nicht oder nur mit grossem
Widerstreben eingenommen wurden. Ebenso ging es bei Kranken,
die bei längerem Gebrauche eines an und für sich nicht schlecht
schmeckenden Mittels (z. B. Sol. ars. Fowleri) einen unuberwind¬
baren Widerwillen dagegen bekamen.
Auf mancherlei Art haben sich Aerzte und Kranke in solchen
Fällen zu helfen gesucht; durch Aufträufeln der Arznei auf Zucker
oder Mehl und Einpackung des Ganzen in eine Oblate, durch Spulen
und Gurgeln mit besonders zu diesem Zwecke angegebenen Losungen.
Alle diese Verfahren sind umständlich in der Anwendung und un¬
sicher im Erfolge. ,
Zurichtungen von Oblaten, in denen seit vielen Jahren meine
Kranken unangenehm schmeckende Tropfen leicht und ohne Unbehagen
nehmen, haben nach vielen Versuchen zur Herstellung der zweck¬
mässigen und handlichen Tropfenoblatenkapseln Veran-
laSSUüfe T^opfenkapsel besteht aus der Bodenkapsel S und der Deck-
kapsel D Der die Tropfen aufsaugende Kern der Bodenkapsel ist
Kapsei u. h hergestellt aus einer An-
yfeüÜöwnut-
zahl sternförmig gelochter
Oblatenblüttchen von
grosser Porosität.
Der Kranke selbst
oder der Pfleger füllt die
Tropfen in die Kapsel, die mit dem Deckel geschlossen und in
Wasser alsbald geschluckt wird.
Als Norm gilt für die Bodenkapsel, dass sie 1 ccm destilliertes
Wasser aufsaugt, welches der Kern 3 — 4 Minuten lang hält, ohne dass
es den Boden der Kapsel durchdringt.
Die Grösse der Kapsel entspricht also der Anzahl Tropfen, die
am häufigsten (15—20) verordnet wird. Abgesehen von der Kon¬
sistenz und chemischen Zusammensetzung des Heilmittels liefern die
verschiedenen Tropfenzähler des Handels für dieselbe Flüssigkeit
sehr verschieden grosse Tropfen. Es gibt 1 ropfengläser, die von
wässerigen Lösungen so grosse Tropfen geben, dass schon 10 bis
12 Tropfen 1 ccm oder 1 g ausmachen. Bei Gebrauch solcher lropien-
gläser werden in der Regel grössere Gaben der Arzneimittel einge¬
nommen, als bei der Verordnung beabsichtigt ist. Die Beigabe von
graduierten Pipetten. Glasbügeln zu stark wirkenden Arzneien ist
zur Sicherung einer exakten Dosierung durchaus berechtigt. Zur Be¬
stimmung der Mengen von flüssigen Arzneimitteln und Lösungen,
welche für den Gebrauch der Tropfenkapseln in Betracht kommen,
wurde der Normaltropfenzähler von Kunz-Krause verwendet,
der jeweils gleich grosse Tropfen gibt, von Aq. dest. bei 15 C
20 auf 1 ccm = 1 g. Mit diesem Normaltropfenzähler eingefüllt, halt
die Kapsel sehr gut 20 Tropfen von wässerigen Lösungen, alkoholi¬
schen und ätherischen Tinkturen, von Fluidextrakten und Dialysaten,
von Oelen im Charakter des Santalöls und von den Vasogenen.
Die Tropfenkapseln sind also verwendbar für alle Arzneikörper,
die als Tropfen in wirksamen Gaben eingenommen werden können.
Rein wässerige Lösungen werden durch die starke Quellung
der Oblatenmasse langsam aufgesogen, schneller Lösungen in aro¬
matischen Wässern (Aq. amygdal. amar.), fast momentan alle stark
alkohol- oder ätherbaltigen Arzneien; die letzteren und die Oele
werden ohne Quellung durch Verdrängung der Luft in den Hohl-
räurren der Oblatenmasse festgehalten. Die Tropfen sind entspre¬
chend der Schnelligkeit, mit der sie der Kern aufsaugt, aufzutraufeln,
dabei darf die Kapsel nicht überladen werden.
Durch die Quellung der Aussenhaut der Kapsel im Wasser und
durch die die Kapsel umgebende Wasserschicht wird beim Schlucken
das Durchdringen des Geschmackes und des Geruches des Arznei¬
mittels verhindert. Viele Menschen schlucken die weiche Masse
einer Oblatenkapsel leichter als eine Gelatinekapsel.
Die sich leicht und ohne Rückstand lösende Oblatenkapsel macht
keinerlei Magenbeschwerden. Die Oblatenmasse (0,4 g) hüllt bei
ihrer Auflösung die Arzneikörper ein und mildert ihre direkte \\ irkung
auf die Magenschleimhaut. Die Tropfenkapsel erleichtert und ermög¬
licht die Anwendung vieler wertvoller Arzneimittel, die wegen ihres
Geschmackes und anderer Unannehmlichkeiten beim Einnehmen von
den Kranken abgelehnt werden. Kranke, die Tct. Strophanti, Strychni,
Hvdrastis- und Digitalispräparate, Bitterstoffe, Validol, Oxaphor und
Oele etc. in Tropfenkapseln genommen haben, nehmen diese Arzneien
in Wasser oder anderen Flüssigkeiten ebenso ungern wie z. B. ein
Chininpulver ohne Oblatenhüllung. . , _ , , ,
Die vielseitige und leichte Verwendbarkeit der Tropfenkapsel
ist ein grosser Vorteil gegenüber den Fertigfabrikaten Sie ge¬
stattet die individuelle ärztliche Verordnung und die Verwendung
stets frischer und dadurch voll wirksamer Arzneimittel.
Die Tropfenkapseln werden von der Oblatenfabrik Johann
Schmidt, Nürnberg, aus feinsten Mehlen und Wasser unter Beob¬
achtung aller hygienischen Grundsätze ausschliesslich mit Hilfe von
Maschinen hergestellt und in den Apotheken zum Verkauf gebracht
mit der Bezeichnung: „Guttamyl“ (Gutta amylum) Iropfen-
Oblatenkapseln. __ _ _
Aus der inneren Abteilung des Elisabethkrankenhauses Halle a.S.
(Oberarzt Prof. Dr. W i n t e r n i t z).
Zur Technik des Abderhalden sehen Dialysierverfahrens
Von Dr. Max Weinberg.
In den Vorschriften zur Ausführung des Dialysierverfahrens er¬
hebt Abderhalden die Forderung: Vor jedem Versuche wird,
unmittelbar vor der Anstellung des Versuches, das Organ geprutt.
Man kocht am besten im Reagenzglase und zwar 5 Minuten lang.
Man erhitzt zunächst mitten in der Flamme zum Kochen, dann ent¬
fernt man das Reagenzglas aus ihr und sucht über ihr jene Nelle
aus, an der das Wasser gerade noch im Kochen gehalten wird.
Jeder, der sich mit der Methode beschäftigt hat und mit vielen
Kontrollen zu arbeiten gewohnt ist, wird gerade diese Vorschrift als
mühevoll und zeitraubend erkannt haben. Es ist recht anstrengend,
das Reagenzglas ca. 5 Minuten in bestimmter Höhe ruhig über uei
Flamme zu halten — und dies nicht einmal, nein viele Male hinter¬
einander Will man nun z. B. mit 6 Kontrollorganen arbeiten, so be¬
deutet dies neben der Mühe — angenommen, dass nur zwei Organe
beim ersten Kochen nicht sofort ninhydrinfrei sind — noch einen
Zeitaufwand von ca. 1 Stunde, der um so unangenehmer ist, als der
Untersucher vom Kochen vollkommen in Anspruch genommen ist. j
Ich habe daher einen kleinen Kochapparat konstruiert, der über
diese Nachteile hinweghelfen soll. Der Apparat ermöglicht zunächst
6 Kontrollorgane auf einmal auszukochen. Dabei ist er so eingerichtet,
dass die Reagenzgläser in ihren Haltern verschiebbar in jeder be-j
liebigen Höhe festgehalten werden können. Hat man also zuin
Kochen erhitzt, so schiebt man die Reagenzgläser in die Höhe und
lässt sie ruhig weiterkochen. Um ein zu starkes Eindampfen zu ver¬
meiden, ermöglichen Gelenke eine Schrägstellung. Der ganze Apparat
wird auf einem Drahtasbestteller über die Bunsenflamme auf einen
Dieifuss aufgesetzt. Daher wird die Gefahr des Anbrennens au:--
geschaltet infolge doppelter Regulation durch die Verschieblichkeit der
Gläser und Veränderung der Flammengrösse, und gleichzeitig gleich-
massiges Kochen gewährleistet. Der Apparat erspart also Muhe und
recht viel Zeit, um so mehr, als der Untersucher während des Kochern-
die übrigen Vorbereitungen für das Dialysierverfahren ausführet)
kann. Der Apparat ist von der Firma Rud. Schöps, Halle, Geist¬
strasse zu beziehen.
4. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1 733
Heilung tiefliegender Karzinome durch Röntgenbestrahlung
von der Körperoberfläche aus.
Bemerkungen zu der Arbeit von Bumm und Warnckros
in dieser Wochenschrift 1914 Nr. 29.
Von I)r. Gott wald Schwarz, Privatdozent für medi¬
zinische Radiologie in Wien.
Nachdem Holzknecht und Kienböck in den Jahren 1900
bis 19(U die Grundlagen der Röntgenstrahlendosimetrie geschaffen
hatten, konstruierten Sabouraud und Noire 1904 ihr Radio¬
meter X, welches bis auf den heutigen Tag noch immer als das
einfachste und beste aller Röntgendosierungs-
mittel bezeichnet werden muss. Das Prinzip der Sa¬
bouraud und N o i r 6 sehen Verfahrens ist ja bekannt. Barium¬
platinzyanid, das normalerweise eine grünliche Farbe besitzt, ver-
farbt sich unter dem Einfluss der Bestrahlung mehr und mehr und
nimmt allmählich gnen orangegelben Ton an. Sabouraud und
Noire haben experimentell eine bestimmte Nuance, die sogen,
leinte B ermittelt, welche das in halber Fokushautdistanz mit-
bestrahlte I latinzyanbariurnplättchen aufweist, wenn eine Röntgen-
Strahlenmenge verabreicht wurde, die auf der Haut nicht mehr als
ein leichtes Erythem und Haarausfall erzeugt. Das zur Erzielung
der Teinte B nötige Röntgenquantum stellte die Maximaldosis für
die Haut dar. Ueberschreitungen der Maximaldosis nach S. und U.
führten, wie wir (als Röntgenologen) Aelteren wohl erfahren haben, je
nach dem Grade der Ueberschreitung zu mehr minder heftigen
Dermatitiden, Ulzerationen auf Grund von Nekrosen, schliesslich
schweren narbigen Veränderungen mit Prädisposition zu karzi-
nomatöser Entartung.
Das im Jahre 1907 publizierte Kienböck sehe Quantimeter
misst den chemischen Effekt der Röntgenmenge mittels der Schwär¬
zung von Bromsilberpapierstreifen die nach der Bestrahlung unter
bestimmten Kautelen entwickelt werden. Kienböck gibt an, dass
10 X (X nennt er die Schwärzungseinheit) identisch sind mit der
naxunaldosis Teinte B nach Sabouraud-Noire.
In den letzten Jahren hat sich allmählich die von Perthes
gegründete Filtertechnik immer mehr entwickelt. Man verwendet
mie Röntgenstrahlung, welche, bevor sie auf die Haut des Patienten
mfti ifft, durch ein 3 mm dickes Aluminiumblech hindurchzutretcn
iat und auf diese Weise ihrer weicheren (absorptionsfähigeren) Kom¬
ponenten beraubt wird. Bei Anwendung derartig gefilterter
■'trahlen hat sich nun die interessante Tatsache ergeben, dass die
. i n fa c li e T einte B nach S. N. nicht mehr Erythem und Haar-
lusfall bewirkt, sondern dass erst ein Mehrfaches derselben
:u diesen Wirkungen auf der Haut führt, welche uns Einhalt ge-
>ieten.
Wieviel solche Teinte B-Dosen dürfen wir nun bei 3 mm Alu-
mnum gefilterter Strahlung der Haut zumuten?
Die allgemeine Erfahrung lautete bisher dahin, dass man höch-
tens _auf drei Teinte B-Dosen pro Hautstelle (das ist 15 H.
ier Holzknecht sehen Skala zum Sabouraud, das wären 30 X
er Kienböck sehen Methode) steigen darf. Dabei kann schon
rythem, Pigmentation, ja sogar Exkoriation auftreten.
In ihrer neuesten Veröffentlichung geben aber Bumm und
V arnekros an, dass sie pro Hautstelle 500 X, das wären
0 leinte B-Dosen, ja sogar 800 X, das wären 80 Teinte B-Dosen
pphziert hätten.
Diese Zahlen sind so enorm, dass sie für den Röntgen-
pezialisten, der die Folgen der Ueberdosierung kennt, geradezu be-
ngstigend klingen. Sollte es wirklich möglich sein, dass die tnensch-
che Haut, die einst bei relativ geringen Ueberschreitungen der
laximaldosis mit einer argen Dermatitis und Geschwüren reagierte,
unmehr das 50, ia 80 fache dieser ehemaligen Maximaldosis ohne
diwerwiegende Konsequenzen vertrüge? Es ist ja richtig, wir
' frieren jetzt die Strahlen, doch vergesse man nicht, so
auz unriltriert wurden Röntgenstrahlen auch seinerzeit nicht ver¬
endet, da man ja unfiltrierte Röntgenstrahlen gar nicht erzeugen
ann. Allzeit mussten und müssen sie erst die Glaswand der Röhre
issieren und werden durch diese bis zu einem gewissen Grade
:hon filtriert.
Zwei Möglichkeiten bestehen: Entweder die durch 3 mm Alu-
i n i u m filtrierte Röntgenstrahlung ist etwas prinzipiell ganz
ideres als die nicht durch Aluminium filtrierte Strahlung — oder aber
t von B u m m und W arnekros angegebenen Zahlen beruhen auf
retuhrenden Messungen. Was die erste Annahme anlangt, so wäre
igendes zu sagen: Günstige Wirkungen der Röntgenstrahlen auf
umoren sind nicht erst in der Filterperiode, sondern nahezu seit
.n ersten Anfängen der Röntgentherapie in grösster Anzahl
-'kannt. Seit der Anwendung der Filter und anderer techni-
ner Behelfe haben sich die Erfolge der Röntgentherapie nur im
nne besserer Tiefenwirkung, also quantitativ, nicht aber qualitativ
uandert.
Ohne hier über die von B u m m und Warnckros behauptete
Ölung tiefliegender Krebse diskutieren zu wollen, möchte ich nur
merken, dass I umorwirkung und Hautwirkung in gleicher Weise
olog^che Effekte auf menschliche Zellen sind, die wir schon aus
r ^orfllterPFio.dt kennen. Es ist sicher, dass durch die Filterung
s Missverhältnis zwischen hautschädigender und tumorschädigen¬
der Dosis verringert wird. Aber eine Hypothese, derzufolgc die
Rontgenstrahlen jetzt so gut wie keine Wirkung mehr auf die
Haut, dagegen aber eine vollkommene Zerstörungs-
Wirkung auf den viel tiefer liegenden Tumor entfalten
sollten, birgt einen inneren Widerspruch, so dass die zweite von uns
aufgezählte Möglichkeit vorderhand die wahrscheinlichere ist.
Nämlich: Die von Bumm und W arnekros angegebenen
Kienböckmessungen entsprechen den wirklich applizierten Dosen
nicht- Die Kienböck sehe Methode hat — abgesehen von den
Fehlerquellen der Entwicklung noch die endogene
Fehlerquelle der verschiedenen Empfindlichkeit des Bromsilbers, je
nach dem Grade der „Reifung“ der Emulsion, ein Faktor, dessen
Überwachung bei der Fabrikation ganz unkontrollierbaren Um-
standen und Personen unterworfen ist. Am letzten Röntgenkongresse
Berlin hat Levi-Dorn mitgeteilt, dass die Kienböckstreifchen bis¬
weilen 10 mal mehr anzeigten als demselben Röntgenstrahlenquantum
nach ja bouraud und Noire entsprach. Grossmann erklärte,
das mit einer für Silber charakteristischen weichen Fluoreszenz¬
sekundärstrahlung, die bei einem bestimmten Penetrationsgrade der
I rimärstrahlung in hohem Masse auftrete und eine sehr starke
Schwärzung des Kienböckstreifchens hervorrufe.
Wie man sieht, ist derzeit die ganze dosimetrische Frage, ins¬
besondere die Kienböckmessung einer gründlichen Revision be¬
dürftig. Ueber meine eigenen dosimetrischen Untersuchungen nach
einer neuen Modifikation meiner Kalomelmethode (1907) werde ich
später berichten. Vorläufig möchte ich nur empfehlen, sich auf die
B u m m- War n e k r osschen Zahlen so lange nicht zu stützen, bis
diese Autoren uns folgende Frage beantwortet haben: „Kann man
tatsächlich auf eine und dieselbe Haut stelle eine
Röntgenstrahlenmenge von 50 ja 80 Teinte B-Dosen
nach Sabouraud-Noire (= 250 resp. 400 Einheiten der
Holzknechtskala) applizieren?
Wenn ja, wann kann diese Dosis wiederholt
werden?“
Aus dem Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten Hamburg
(Direktor: Prof. Dr. N o c h t).
Zur Frage: Emetinbehandlung der Lamblienruhr.
Erwiderung auf die Mitteilung Dr. Assmys zu meiner Arbeit
in Nr. 5 dieser Wochenschrift.
Von Martin Mayer.
Herr Dr. Assmy - Chungking hat unter obigem Titel in Nr. 25
dieser Wochenschrift einen Fall beschrieben, auf Grund dessen er der
Ansicht ist, „dass der Mayer sehe Fall für eine spezifische Wirkung
des Emetins auf Lamblia nicht beweisend ist“. Er hat mir sein
Manuskript liebenswürdigerweise eingesandt, das mich zu einer kur¬
zen Erwiderung nötigt.
Der von mir geschilderte Fall ist mit dem Assmv sehen klinisch
überhaupt nicht in Parallele zu setzen. Die Tatsache, dass ein Pa¬
tient, der seit 3 Wochen — trotz Diät, zuletzt unter Bettruhe — täg¬
lich zahlreiche blutigschleimige Durchfälle mit dem Aufnahmebefund
von Lamblien und Spirochäten hatte, bereits durch die erste Emetin¬
dosis klinisch geheilt wurde, geht aus meiner Schilderung klar her¬
vor. Diese klinische Wirkung war mir dabei die Hauptsache, wie
auch aus meiner Zusammenfassung ersichtlich ist; aber auch eine un¬
mittelbare Wirkung auf die Lamblien liess sich mikroskopisch fest¬
stellen, und zwar nicht allein durch ihr Verschwinden, sondern durch
ihm vorhergehendes Auftreten massenhafter Zerfallsformen.
Dass Lamblien auch bei anderen Darmaffektionen angereichert
werden können, habe ich eingangs erwähnt, aber die Frage ihrer
eigenen Pathogenität ausführlich erörtert. Auch wir sehen sie häufig
in unserer Krankenabteilung als Nebenbefund bei Diarrhöe und Amö¬
benruhr; bei letzterer können sie auch, wie W erner jüngst ver¬
öffentlichte. von Emetin unbeeinflusst bleiben. Ich habe mich aber
jeder Verallgemeinerung von meinem Fall aus auf solche enthalten.
Ist nun der Assmy sehe Fall überhaupt als irgendeine „Ruhr“
anzusehen? Ein „angeblich schwer fieberhaft erkrankter“ Mann,
der bei der Aufnahme sehr elend und „subikterrsch“, aber fieberfrei
ist, zeigt trotz flüssiger Diät nach 3 Tagen plötzlich blutig-
sch leimige Durchfälle mit Lamblia intestinalis und Unmengen
Spirochäten, und zwar nur an einem einzigen Tage: soäterhin sind
nur dünnflüssige Stühle ohne Blut verzeichnet; aber 8 Tage nach der
Aufnahme tritt ein Rekurrensanfall ein. Der subikterische Zustand,
die Schwäche und die Angaben bei der Aufnahme lassen es mir als
sicher erscheinen, dass bereits ein solcher (vielleicht auch mehrere)
vorher erfolgt war. (Die Pause entspricht bei China-Rekurrens be¬
obachteter Dauer iHill, Journ. of trop. Med. 1904 S. 35l). Die nur
an einem Tage auftretenden blutigschleimigen Durchfälle können sehr
vvohl durch das Rückfallfieber bedingt gewesen sein, das bekanntlich
häufig Darmblutungen verursacht. Ich will dabei nicht behaupten,
dass etwa die im Stuhl gefundenen Spirochäten Rekurrensspirochäten
gewesen seien, um so weniger als ich selber vom Vorkommen echter
Spirochätendysenterien überzeugt bin.
1734
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Erlangen (Vorstand: Prof.
L. S e i t z).
lieber die biologische Funktion des Corpus luteum, seine
chemischen Bestandteile und deren therapeutische Ver¬
wendung bei Unregelmässigkeiten der Menstruation.
Von L. Seitz, H. Wintz und L. Fingerhut.
(Schluss.)
Ein ganz merkwürdiges Verhalten zeigen die Myome.
Bei ihnen wird die Blutung bei der Injektion des Luteo-
lipoids nicht nur nicht gehemmt, sondern fast regel¬
mäs s i g sogar noch verstärkt. Unter -4 Befr¬
achtungen führen wir zum Belege hier 1 Blutungskurve (9) von
Myomkranken an. Dieses refraktäre Verhalten des Myoms
gegen das Luteolipoid wird nur dann verständlich, wenn man
annimmt, dass die Funktion der Ovarien und des Corpus
luteum bei den Myomen verändert ist, dass also eine Dys¬
funktion der Ovarien besteht. Diese Ansicht hat bereits vor
3 Jahren der eine von uns [Seitz13)] auf Grund klinischer
Erfahrungen in aller Schärfe ausgesprochen und in neuerer
Zeit hat die Ansicht durch die Untersuchungen von A. M a y e r
und Schneider14) und Aschner15) mittels des Abder¬
halden sehen Dialysierverfahrens eine neue Stütze erhalten.
Neben der blutstillenden Wirkung bei nicht organisch be¬
dingten Menorrhagien hat das Luteolipoid auch noch e'ne
Wirkung auf die Schmerzhaftigkeit der. Men¬
struation. Viele Frauen gaben uns mit aller Bestimmtheit
an, dass die Periode weniger unangenehm und schmerzhaft
gewesen sei als früher und hoben rühmend den günstigen Ein¬
fluss der Einspritzung auf die Schmerzen und das Allgemein¬
befinden hervor. Auch der Umstand, dass die gespritzten
Frauen immer wieder gerne von auswärts zu den monatlichen
Einspritzungen kommen, legt Zeugnis dafür ab, dass sie sich
infolge der Einspritzungen wohler befinden.
Im Verlaufe der Untersuchungen ist es uns ferner ge¬
lungen, aus dem Corpus luteum noch einen 2. Körper zu
isolieren, der in die Reihe der Lipoproteide
und zwar zu den Lezithalb uminen gehört und den
wir mit dem Namen Lipamin bezeichnen wollen. Er ist in
Wasser klar löslich, gehört nicht mehr zu den hochmole¬
kularen Eiweisskörpern und gibt daher keine Antikörperreak¬
tion. Dieser Umstand ist besonders wichtig, da man bei der
Einspritzung beim Menschen keine anaphylaktischen Erschei¬
nungen zu befürchten braucht und wir auch niemals trotz
wochenlanger Anwendung solche beobachtet haben. In der
letzten Zeit haben wir aus dem Lipamin einen kristallinischen
Bestandteil abgetrennt, der klar in Wasser löslich ähnliche
Eigenschaften wie das Gesamtpräparat hat. Doch können wir
darüber mangels genügender Erfahrungen noch nichts Ab¬
schliessendes sagen. . ...
Auch das Lipamin wurde zuerst im Tierexpenment geprüft
und als völlig ungefährlich erkannt. Es bewirkt beim Kanin¬
chen eine Verlangsamung der Blutgerinnung, bei intravenöser
Einspritzung grösserer Dosen eine geringe Steigerung der
Temperatur um 1 °, die vielleicht mit dem Wassergehalt der
Lösung zusammenhängt. Besonders interessant ist eine Wir¬
kung. Es stellt sich bei mehrtägigen Einspritzungen eine
starke Hyperämie und Sukkulenz der Genitalien ein; setzt man
die Einspritzung längere Zeit fort, so erfahren Uterus und
Ovarien ein vermehrtes Wachstum. Auch stellt
sich frühzeitiger als bei den Kontrolltieren die Brunst ein. Die
beigegebene Photographie (Fig. 1) zeigt den Unterschied in
der Grösse der Genitalien der gleichalterigen, gespritzten und
nicht gespritzten Kaninchen. Uterus und Ovarien der ge¬
spritzten Tiere sind wesentlich grösser. Die 2. Photographie
(Fig. 2) zeigt die nämlichen Unterschiede bei kastrierten gleich-
alterigen Tieren. Adler, Schickei e, Isco\esco ),
13) M.m.W. 1911.
*») M.m.W. 1914.
“) Arch f. Qyn. 102. 1914. S. 446. J f A .
J5*) I s c o v e s c o ist es neuerdings (Rev. de Qynecol. et de
chir. abdom. T. 22, Nr. 3, März 1914) gelungen, ein in Oel lösliches
Lipoid herzustellen, das im Tierexperiment den Uterus zu erhöhtem
Wachstum anregt, und das beim Menschen einige Male angewendet
bei Amenorrhoe, bei Hypofunktion der Ovarien, bei Beschwerden in
der Menopause und im Senium günstig gewirkt hat.
Aschner haben mit ihren Extrakten und Presssaften ähn¬
liche und gleiche Erscheinungen hervorzurufen vermocht und
es scheint demnach, dass es uns gelungen ist, in dem Lipamin
einen aktiven Stoff aus dem Corpus luteum darzustellcn, der
das Wachstum des Uterus und der Ovarien anregt und die
menstruelle Hyperämie und Umwandlung der Uterusschleim-
Fig. 1. Oleichalterige Tiere desselben Wurfs.
Mi» I in.min cresnritzt. Rechts: Nicht gespritzt.
Diese Erfahrungen im Tierexperiment veranlassten uns,
das Lipamin bei Amenorrhoe ohne nachweisbare
Genitalerkrankung oder bei Amenorrhoe mit
nur geringem Genitalbefund anzuwenden,
können das Resultat unserer Erfahrungen dahin zusammen-
fassen, dass es bei den 14 hintereinander zugegangenen Fallen,
bei denen wir es genügend lange angewendet
haben, ausnahmslos gelang, eine Menstruation
herbeizuführen und meistüber längere Zeitzu
Fig. 2. Gleichalterige Tiere desselben Wurfs, beide kastriert.
Links: Nicht gespritzt. Rechts: Mit Lipamin gespritzt.
erhalten (Fälle 10—14). Darunter ist eine Amenorrhoe
von 3 jährigem Bestand und ein Fall, der vorher 1 Jahr lang
mit grossen Mengen von verschiedenen Eierstocksubstanzen
(Oophorin, Luteintabletten) ohne Erfolg gefüttert worden war.
Ob sich bei den von uns beim Menschen angewendeten Dosen
auch eine Hypertrophie des Uterus erzeugen lässt, konnten
wir bisher noch nicht einwandfrei feststellen. Nach den Er¬
fahrungen im Tierexperiment lässt sich dies vermuten und es
wäre berechtigt, bei einer Hypoplasie der Genitalien mit einer
lang ausgedehnten Injektion mit grösseren Dosen einen ver¬
such zu machen.
Fall 10. J.-Nr. 38. Med. Klin. 14 Frl. Di. Bertha, 27 Jahre
alt (s. auch Kurve 10 der Tabelle).
Regel: Menarche mit 13 Jahren, schwach, alle 4 Wochen, mu
16 Jahren sistiert die Regel 1 Jahr, 17—19 Jahre regelmässig, setir
schwache Regel, im 19. Jahre wiederum Aussetzen der Regel.
Vom 20. Jahre aber viermonatlich sehr starke Regel, die niciu
unter 4 Tage dauern. Dieser Zustand, bei dem Patientin sehr anämiscn
4. August 1914.
wurde dauert6 bis zum 23. Lebensjahre. In der ersten Hälfte des
*4. Lebensjahres war die Blutung; unregelmässig, kehrte in Inter¬
vallen von 14 Tagen und 3 — 4 Wochen wieder, uni dann schliesslich
ganz aufzuhoren.
Patientin hat nunmehr seit 3 Jahren überhaupt keine
Blutung mehr gehabt.
^ie empfand anfänglich keine Beschwerden, nur im letzten halben
Jahre traten zeitweise Wallungen auf, jedoch von geringerer Stärke.
.. 1 a- u Sr\ e,.ne sckwächliche Person, Uterus hypoplastisch, nur
daumendick, Ovarien sehr klein, also starke Hypoplasie der Geni¬
talien.
Vom 21. 26. II täglich 2 Ampullen Lipamin, im ganzen 11 Am¬
pullen.
Die Wallungen haben aufgehört.
28. II. 1 Ampulle Lipamin.
21. III. 2 Ampullen Lipamin.
3. III. 1 Ampulle Lipamin.
4—7. III. Täglich 2 Ampullen Lipamin.
9. III. 2 Ampullen Lipamin.
13. III. 2 Ampullen Lipamin.
14. III. Eintritt einer geringen Blutung. Nachts wird die Blu¬
tung etwas stärker.
,i5- .J}1- Biutung versiegt im Laufe des Tages vollständig.
16. III. 2 Ampullen Lipamin.
17. III. 2 Ampullen Lipamin.
20. III. 2 Ampullen Lipamin.
Es wird nunmehr nach einer Pause von 3 Wochen ein neuer
Injektionsturnus von 20 Ampullen vorgenommen. Es gelang jedoch
nicht, eine weitere Blutung auszulösen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
17.35
8. IV. 3 Amp. Lipamin.
9. IV. 2 Amp. Lipamin.
10. IV. Morgens 2 Amp. Lipamin.
U- IX- Mittags tritt eine mässig starke Blutung auf.
12. IV. Starke Blutung.
13. IV. Blutung hält in derselben Stärke an.
14. IV. Starke Blutung.
15. IV. Starke Blutung.
IX- Morgens 1 Amp. Luteolipoid. Blutung nimmt etwas ab
, , „ ■ . Morgens 1 Amp. Luteolipoid. Blutung wird geringer
und hört im Laufe des Tages ganz auf.
Regel: 14. V Nachts Beginn einer mässig starken Blutung.
15. V. Blutung nimmt etwas ab.
17. V. Blutung nimmt weiter ab.
18. V. Geringe Blutung.
1^- M. Morgens hört die Blutung vollständig auf.
Diese Regel war spontan ohne jede Injektion eingetreten.
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Kurve 12 Zu Fall 12.
Kurve 13. Zu Fall 13.
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Kurve 10. Zu Fall 10.
Kurve 11. Zu Fall II.
Fall 11. M. K. Frau B„ 26 Jahre alt.
fiaUö ° n 2 <«• HI- «) Partus. Normales Wochenbett ohne
Fieber das Kind wurde 8 Tage gestillt. Seit dem Partus, d. h. s e i t
- Jahren, keine Regel mehr.
Die früheren Regeln waren immer regelmässig. Keine Schmer-
bhjten°rhanden’ DUr während der Zeit der PeSel manchmal Nasen-
l ■ l0nder if rste? Zeit nach dem Ausbleiben der Regel hatte Patientin
4rhmPBeSChwerden’ -nUr zu.weilen glaubte sie, nach unten ziehende
„chmerzen zu verspüren, als wolle eine Regel eintreten.
In der letzten Zeit traten starke Blutwallungen auf. Patientin
^erspurte grosse Hitze im Kopf und Schwitzen an den Händen so¬
wie Kreuzschmerzen.
2. II.
3. II.
4. II.
5. II.
6. II.
7. II.
8. II.
9. II.
10. II.
11. II.
12. II.
19. II.
20. II.
21. II.
22. II.
23. II.
24. II.
25. II.
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin
2 Amp. Lipamin.
2 Amp. Lipamin.
1 Amp. Lipamin.
1 Amp. Lipamin. Nachts Beginn einer geringen Blutung.
Massig starke Blutung.
Blutung wird stärker.
Mässig starke Blutung.
Mässig starke Blutung.
« t vT a 1 ' 1 X • J’‘Nr‘ 917 • Frau N-> 30 Jahre, Bauersfrau, seit
8 Jahren verheiratet, kinderlos.
A„fti+Re5eI ow17 Jah£en* regelmässig. Seit 5 Jahren seltenes
Auftreten der Blutung Zirka alle A Jahr eine Blutung (2 Tage).
Letzte Periode Juni 1912, also seit VA Jahren keine Men-
UltünhJ ° n m 6 h T- Da ihr VOr 1 Jahre das rechte 0var wegen
zystischer Degeneration ganz entfernt und das linke wegen der
gleichen Veränderung teilweise reseziert ist, hat sie nur noch zirka
Fiersf,ocksuhstanz. Uterus normal gross, frei beweglich,
ehandelt seit mehr als A Jahr mit verschiedenen Ovarial-
praparaten, zuerst mit Luteintabletten 3 mal täglich 1 Stück
innte<ü ,3maJ nS lchu 2 StÜck ’im ganzen 200 Tabletten, ferner
100 Stuck Oophor in, ohne jeden Erfolg.
Nach Injektion von 10 Ampullen von Lipamin Regelblutung
Bauer: 1 XII. Mässig starke Blutung. 2. XII. Mässig starke
B utung. 3. XII. Massig starke Blutung. 4. XII. Mässig starke
Blutung nach Injektion 1 Ampulle Luteolipoid Aufhören der Blutung
gegen 10 Uhr abends.
Fall 14. J.-Nr. 177. M., 21 Jahre alt, ledig.
-,11p iw1- , Menarclle mit 16 Jahren, regelmässig am Monatsanfang
aüe 4 Wochen, von 3—4 Tagen Dauer und nicht stark. Dieser Typus
b?sl.and bis Juni 1913, im Juli anfänglich gewöhnliche Menses, dann
14 tägige Wiederholung einer 4 Tage dauernden ziemlich starken
Blutung. Dieser Zustand währt über August bis Anfang September
Hat. war deshalb in der Klinik, wird konservativ mit Sitzbäder und
Thermophor behandelt.
sei SSS
-
Blutung wird etwas geringer und hört im Laufe des
ages ganz auf.
Regel: Ohne Injektion.
19. III. Beginn einer mässigen Blutung.
Blutung dauert in derselben Stärke an.
Mässig starke Blutung.
Blutung nimmt etwas ab.
Blutung wird geringer und hört im Laufe des Tages voll-
20. III
21. III.
22. III.
23. III.
andig auf.
Fal' 12- M. K. 1913. J.-Nr. 96. Maria H., 26 Jahre alt.
j mit 15 Jahren, immer regelmässig, 4—5 Tage
rnd, mit 20 Jahren 1 Partus. Nach der Geburt war die Periode
nmer regelmässig alle 4 Wochen. Seit 2 Jahren trat die
egel nicht mehr ein, ohne dass Patientin eine besondere Er-
ra?Jcung angeben konnte. Patientin klagt über Kopfweh und
arke Blutwallungen.
3- IV. 1 Amp. Lipamin.
4. IV. 2 Amp. Lipamin.
5. IV. 2 Amp. Lipamin.
6. IV. 3 Amp. Lipamin.
7. IV. 2 Amp. Lipamin.
Kurve 14. Zu Fall 14.
Befund: Nullipara deflorata. Portio virginell. Uterus anteflek-
Xj- Tcat ver£rössert, beweglich, Adnexe vollständig frei, keine
Verdickungen, rechts angeblich empfindlicher als links. Pat. verlässt
am 4. XI. die Klinik. Am 11. X. war eine bis zum 16. X. dauernde
Regel von massiger Stärke aufgetreten.
Am 2. Februar kommt Pat. in die Poliklinik mit der Angabe,
dass sie stärk unter Hitzewallungen nach dem Kopfe zu leiden habe
Die Wallungen träten fast alle halben Stunden auf. Auch habe sie
seit Anfane; Oktober, also seit 4 Monaten keine Regel mehr gehabt.
,. Befund: Vagina mittelweit, Mm. virginell, Corp. uteri anteflek-
tiert, klein, leicht beweglich, Adnexe vollkommen frei, ohne jede
Schmerzempfindlichkeit. Gravidität auszuschliessen.
M. wird nunmehr behandelt mit Lipamin, täglich 2 mal 2 ccm.
Nachdem im ganzen in 7 Tagen 14 Ampullen injiziert waren, hat
die Regel angefangen. Die Hitzewallungen haben bereits nach 4 In¬
jektionen sistiert. Vor Eintritt der Regel leicht ziehende Schmerzen.
15. II. Mässig starke Blutung, im Laufe des nachmittags stärker
werdend. Während der Revel wird nur an den ersten beiden Tagen
noch je 2 Amp. Lipamin infiziert.
16. II. Mässig starke Blutung.
17. II. Blutung dauert weiter an.
18. II. Da die Regel nunmehr aufhören soll, wird mit Injektion
1 Amp. Luteolipoid begonnen. Sofortiges Nachlassen der Blutung.
,9- B. Morgens 8 Uhr nochmals eine Amp. Luteolipoid. Bis
Mittag hat die Blutung vollständig aufgehört.
Die oben beschriebenen lästigen Wallungen haben nunmehr voll¬
ständig aufgehört. In den nun folgenden 4 Wochen nach der vom
1736
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
14. bis 19. stattgefundenen Regel wird keine Injektion vorgenommen,
da beobachtet werden soll, ob die nun folgende Regel spontan Auftritt.
Am 31. III. ist noch keine Blutung eingetreten, wohl aber haben
sich die Wallungen wieder eingestellt. M. wünscht daher eine neue
Injektionsbehandlung. Es werden injiziert in der Zeit vom 31. I .
bis 11. IV. 25 Amp. Lipamin. Nach Injektion von 5 Amp. haben die
Wallungen wieder vollständig aufgehört. Am 12. IV. morgens Beginn
einer massig starken Blutung. 1 Amp. Lipamin.
13. IV. Blutung nimmt etwas zu. 3 Amp. Lipamin.
14. IV. Massig starke Blutung. 3 Amp. Lipamin.
15. IV. Blutung nimmt ab.
16. IV. Massig starke Blutung.
17. IV. Blutung wird geringer.
18 IV Morgens hat die Blutung vollständig aufgehort.
Nachdem 4 Wochen nach der letzten durch die Injektion hervor¬
gerufenen Blutung keine Menses aufgetreten sind, stellt sich Pat. am
16 V wieder vor. Sie hat seit 2 Tagen, also am Tage der zu er¬
wartenden Regel, wieder stärker unter Wallungen zu leiden und
wünscht einen neuen Injektionsturnus.
21. V. 1 Amp. Lipamin.
22. V. 3 Amp. Lipamin.
23. V. 3 Amp. Lipamin.
24. V. 3 Amp. Lipamin.
25. V. 3 Amp. Lipamin.
26. V. 2 Amp. Lipamin. .
26. V. Morgens tritt eine mässig starke Blutung ein, die am
27. V. zunimmt.
28. V. Starke Blutung.
29 V Morgens starke Blutung. Pat. wünscht zu Pfingsten
Schluss der Regel, deshalb 10 Uhr Injektion von 1 Amp. Luteolipoid.
Versiegen der Blutung.
30. V. Geringe Blutung. Abends Schluss der Regel.
Da es nach unseren Erfahrungen bei Amenorrhoe regel¬
mässig gelang, eine richtige Menstruation auszulösen, so war
der Versuch interessant, ob es auch bei regelmässigen Menses
gelingt, den Typus der Menstruation zu ändern. Wir haben
bei einer regelmässig menstruierenden Patientin mit deren aus¬
drücklichen Erlaubnis die Injektionen so vorgenommen, dass
wir sofort nach einer Regel die Einspritzungen ausführten mit
dem Erfolg, dass die Menses bereits nach 15 Tagen sich in
leicht verstärkter Weise einstellten (Kurve 16). Auch bei
Frauen mit geringen Menses trat nach Einspritzung in der Zeit
zwischen 2 Regeln eine Verstärkung der nachfolgenden
Blutung auf Kurve 15). Dagegen konnten wir ganz regel¬
mässig die zunächst auffallende Beobachtung machen, dass
das Präparat während der Menses einverleibt
auf die Stärke der Blutung völlig wirkungs¬
los war (s. auch Kurve 8).
Fall 15. J.-Nr. 331. Frau N., 31 Jahre alt. Oligomenorrhoe
(Myxödem [?]). _ ,.
Regel: Menarche mit 12 Jahren, immer regelmassig, Dauer 2 bis
3 Tage, geringer Blutverlust.
Befund: Portio zeigt einen kleinen Riss, Uterus anteflektiert,
nicht vergrössert, beweglich, Adnexe frei.
Regel: 29. III. Geringe Blutung.
30. III. 8 Uhr morgens 1 Ampulle Lipamin. 4 Uhr 1 Ampulle
Lipamin. Mässige Blutung. , .
31. III. Geringe Blutung. 8 Uhr morgens 1 Ampulle Lipamin.
Blutung wird noch geringer. 4 Uhr 1 Ampulle Lipamin.
1. IV. Blutung hört morgens auf. 8 Uhr 1 Ampulle Lipamin.
12 Uhr 1 Ampulle Lipamin. Injektion des Präparates zeigt keinen
Einfluss auf die Blutung.
Nach dem Aufhören der Blutung werden die Injektionen fort¬
gesetzt, und zwar 10 Tage lang, so dass insgesamt 24 Ampullen von
Lipamin injiziert werden.
Regel: 26. IV. Diese Regel zeigt deutlich eine Beeinflussung
durch die Injektionen, da die Blutung länger andauert und auch
stärker ist als die vorhergehenden.
27. IV. Mässig starke Blutung.
28. IV. Mässig starke Blutung.
29. IV. Stärkere Blutung.
30. IV. Mässige Blutung.
1. V. Blutung hört im Laufe des Tages auf.
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Kurve 15. Zu Fall 15.
Kurve 16. Zu Fall 16.
Fall 16. J.-Nr. 357. Frl. K. 18 Jahre alt.
Regel: Menarche mit 16 Jahren, Periode immer regelmässig,
3 _ 4 Tage dauernd, mässiger Blutverlust.
Befund: Nullipara deflorata, kleiner anteflektierter Uterus, Lüf¬
tung nicht schmerzhaft, Adnexe vollständig frei. Beide Ovarien gut
zu tasten i , j
Regel trat bei Patientin immer Ende Monats auf, es soll nun der
Versuch gemacht werden, ob durch Injektion vo n Lipamin
eine Regel ausserhalb der gewöhnlichen Zeit
hervorzu rufen sei. .. . , . „. .
Regel: 27. 111. Nachts Beginn einer massig starken Blutung.
28 III. Tagsüber mässig starke Blutung.
29. III. Mässig starke Blutung.
30. III. Blutung wird geringer und hört gegen Abend vollstän¬
dig auf. Diese Regel war ganz rgeelmässig und den seit Jahren
vorausgegangenen an Dauer und Stärke ganz gleich.
9 Tage nach der Regel wird mit Injektionen begonnen, und
zwar vom 9. IV. bis 14. IV. 12 Amp. Lipamin.
Am 14. IV. Beginn einer mässig starken Blutung.
15. IV. Mässig starke Blutung.
16. IV. Mässig starke Blutung.
17. IV. Mässige Blutung. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. 4 Uhr
1 Amp. Luteolipoid. , , ...
18. IV. 8 Uhr morgens 1 Amp. Luteolipoid. Blutung hat seit dem
Morgen bedeutend nachgelassen. 12 Uhr 1 Amp. Luteolipoid. Am
Abend hat die Blutung vollständig aufgehört.
Wir spritzen es gewöhnlich in der Weise ein, dass wir
jeden Tag eine Ampulle zu 2 ccm (kein Aether, weil sonst
Fällung eintritt!) unter die Haut spritzen und setzen die Injek¬
tion bis zum Eintritt der Blutung fort. Die notwendigen Dosen
sind verschieden, in der Mehrzahl der Fälle waren 18 bis
24 Ampullen erforderlich. Manchmal setzte die Blutung schon
nach wenigen Tagen, manchmal aber erst nach 4 Wochen und
mehr ein. Das frühere oder spätere Eintreten der Blutung
hängt wohl von dem jeweiligen Entwicklungsgrad des heran¬
reifenden Follikels ab. Man muss annehmen, dass in den
Ovarien amenorrhoischer Frauen die Ovulation nicht völlig
stille steht, dass wohl von Zeit zu Zeit Follikel reifen, dass
aber bei den meist genitalinfantilen Personen der Reiz von
Ovulation und Corpus-luteum-Bildung nicht ausreicht, um am
Uterus die Gefäss- und Schleimhautveränderungen herbeizu¬
führen, die die Menstruation zur Folge haben. Das künstlich
einverleibte Lipamin erzeugt diesen Impuls und bewirkt,
wenn wieder ein Follikel heranreift, und das Corpus luteum
sich gebildet hat, den Eintritt der Blutung. Nach dieser unserer
Auffassung bewirkt das Lipamin nicht an sich schon eine
Uterusblutung, sondern ist erst auf dem Wege über Ovulation-
und Corpus-luteum-Bildung wirksam. Das Lipamin ist nicht
mehr wirksam, wenn die Funktion des Ovars bereits völlig
erloschen ist. Dass es sich bei der Genitalblutung wirklich
um eine Menstruation und nicht um eine einfache
Blutung infolge Hyperämie gehandelt hat, beweisen die in
3 Fällen mit der Kürette entfernten Schleimhautteile, deren
mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Schleimhaut alle
typischen Zeichen eines prämenstruellen und menstruellen
Fnrlnmptrimn1; aufwies.
Nach diesen bei Amenorrhoe gemachten Erfahrungen er¬
scheint es berechtigt, anzunehmen, dass das Lipamin ein
spezifischer, im Corpus luteum vorkommen¬
der Stoff ist, der die Menstruation auslöst.
Wir wissen freilich, dass die Menstruation durch verschiedene
endo- und exogene Faktoren leicht zu beeinflussen ist. So
sehen wir bei Luftwechsel, bei Aenderung der Lebensweise
Amenorrhoe oder gelegentlich auch vermehrte Menses auf-
treten. Konstitutionelle Erkrankungen, Störungen der inneren
Sekretion, Erkrankungen der Nieren, des Herzens, Infektions¬
erkrankungen beeinflussen bekanntlich sehr weitgehend die
Menses und zwar sowohl im Sinne einer Verstärkung als auch
im Sinne einer Verminderung oder völligen Verschwindens,
ohne dass wir immer imstande wären, eine bestimmte Wand¬
lung im Körperhaushalt für die Erscheinung verantwortlich
zu machen. Es sind fraglos die menstruationsregulierenden
Mechanismen bei der Frau vielfach ausserordentlich fein ein¬
gestellt. Auch Medikamente vermögen die Menstruation zu
beeinflussen. So kennt man den günstigen Einfluss des Eisens
bei Chlorotischen auf die Menstruation schon längst. Ganz
merkwürdig ist die Mitteilung von Fromme 16), dem es ge¬
lang, 5 mal unter 12 Amenorrhoen durch Verabreichen von
Pituitrin wieder die Menstruation herbeizuführen. Diese Er¬
fahrungen zeigen, dass es verschiedene Mittel gibt, gelegent¬
lich die Menstruation auszulösen. Wir kennen ein analoges
10) Fromme: Zbl. f. Gyn. 1912 Nr. 41 S. 1366.
4. August 1914.
M UENCHENER MEDIZINISCH E WOCHENSCHRIFT
Verhalten bei der Brustdrüsenhypertrophie und bei der Milch¬
sekretion. Nach den bisherigen Erfahrungen gelingt es sowohl
durch Einverleibung von Ovariahubstanz als von Plazenta¬
saften, als auch von fötaler Körpersubstanz eine gewisse
Hypertrophie der Brustdrüsen und Absonderung von Kolostrum
hcrbeizufuhren. Aehnlich ist es mit den aus dem Tierkörper
isolierten Substanzen, die auf den Uterus kontraktionserregend
wirken. - c h i c k e 1 e 1 ' ) konnte abgesehen von Adrenalin und
1 ltuitrin eine Einwirkung auf den Uterus und Wehenerregung
nid \ erstäi kung bei den verschiedensten Körpersäften fest-
>tellen. \\enn man alle diese Tatsachen beherzigt, so möchte
tian leicht geneigt sein, eine spezifische Organwirkung des
-jpamins abzulehnen. Es lehrt aber gerade das Verhalten des
ituitrins, dass es trotz der verschiedenen Organprodukten
jemeinschaftlichen Eigenschaften doch wieder Hormone gibt
iie ganz speziell auf ein Organ eingestellt sind. Kein anderes
Jrganextrakt oder Hormon verstärkt in so typischer Weise
he Wehen wie das Pituitrin. Nach unseren Erfahrungen
unimt auch das Lipamin unter den Emmenagogen eine ähn-
lch spezmsche Stellung ein, wie das Pituitrin unter den wehen-
rregenden Mitteln.
Ob es gegen das Lipamin refraktäre Amenorrhoen gibt
\ issen wir noch nicht. Uns scheint es nicht ganz ausge-
c blossen, da die Menstruation wohl im wesentlichen aber doch
icht ausschliesslich, wie auch H a 1 b a n 1S) betont, von der
Jvulation und Corpus-luteum-Funktion abhängig ist, sondern 1
uch noch andere Drüsen mit innerer Sekretion, wie Hypo-
hyse, Schilddrüse eine wichtige Rolle spielen. Wenn eine
menorrhoe z. B. primär auf einer Hypo- oder Hyperthyreose
erulit, so kann man sich vorstellen, dass auch das Lipamin
■cht genügend wirksam ist. Erst vor kurzem hat Sehrt10)
araut hingewiesen, dass es möglich ist, bei leicht myxöma-
isen Zuständen durch Verabreichung von Schilddrüsensub-
anz die verstärkte Blutung zu vermindern.
Wir haben das Luteolipoid auch bei einigen Fällen von
usfallsei scheinungen nach Kastration an-
e\v endet, doch war hier der Erfolg nicht sehr in die Augen
wringend, jedenfalls denen nicht überlegen, die man auch nach
ophorin- und Luteintablettenverabreichung zu sehen gewöhnt
t. In einem Falle von Ausfallserscheinungen, in dem die
^wohnlichen Eierstockspräparate versagt hatten, brachte die
ehrwöchentlich fortgesetzte Einspritzung von Luteolipoid
erschwmden der Beschwerden, die seit X Jahr nicht wieder-
ikehrt sind.
. BerI|er haben wir unsere Corpus-Iuteum-Präparate auch
i reinen Dysmenorrhöen, d. h. ungewöhnlich
nmerzhaften Menstruationen ohne nachweisbare Erkrankung
r uenitahen angewendet. Man unterscheidet vielfach zwei
rappen von Dysmenorrhöen. Die eine, in denen die Blutung
’rmal stark oder leicht verstärkt ist, und die zweite, bei der
e Blutung zu gering ist. Wir versuchten bei den Fällen mit
■rstarkter Blutung das Luteolipoid und haben, wie bereits
wahnt, bei Einspritzung vor und während der Menses recht
te Resultate erzielt. Bei den Fällen mit Oligomenorrhoe
rsuchten wir das Lipamin. Viele Kranke gaben Besserung
, doch muss man, da man bei der Beurteilung einzig und
em aut die Angaben der Patientin angewiesen ist und sugge-
ve Einflüsse nicht ausgeschlossen werden können, mit
nem Urteile sehr zurückhaltend sein.
Nach den von uns am Menschen gemachten Erfahrungen
oen die beiden bisher isolierten Substanzen, das Luteo-
PO!d und das Lipamin antagonistische Wir-
ngen. Das erstere hemmt, das letztere bewirkt die Men-
uation. Beide Substanzen kommen normalerweise im
rpus luteum vor. Diese Tatsache legt den Gedanken nahe,
?s beide Substanzen im Corpus luteum zu verschiedenen
■ten in verschiedenen Quantitäten vorhanden sind. Im
t^^ojOrPus luteum hat das Lipamin die Oberhand und es
t die Blutung ein. In der späteren Zeit des Corpus
-um ist das Luteolipoid in grösserer Menge vorhanden, die
nstruation kommt dadurch zum Stillstand.
Diese zunächst theoretische Deduktion suchten wir auf
17.37
« i und • d> Deutschen Gesellschaft f. Gynäkologie 1913.
i» Ha „,a n: ZhI i- Gvn- 1911. Nr. 46. S. 1585.
) M.m.W. 1913 Nr. 18 S. 961 u. 1914.
Nr. 31.
1 ?r,e*-Ta- SaC 1 ic,lkeiten hin zu Prüfen. Wenn die Annahme
richtig ist, so mussten sich im jurgen Corpus luteum mehr
Lipamin im älteren Corpus luteum mehr Luteolipoid nach-
weisen lassen. Zum Nachweise der Substanzen kann man sich
öes histo-chemischen Weges und der quantitativ chemischen
Methode bedienen.
i °CL ^^to-chemische Nachweis musste sich mangels an¬
derer Methoden im wesentlichea auf die Feststellung des
Lipoids beschränken. Es liegen über diese Frage Unter¬
suchungen von J. M i 1 1 e r 20) und Robert Meyer1’1) vor, die
fanden, dass das Corpus luteum erst auf dem Höhestadium
S-h die srösste Menge von lipoiden' Stoffen
enthalt. Wir können auf Grund unseres Materials diese Beob¬
achtungen bestätigen, möchten aber doch bemerken, dass
weder die früheren Untersuchungen, noch auch unsere eigenen
weder in farberisch-technischer, noch in quantitativer Richtung
hinreichend sind um die Frage nach allen Seiten hin zu klären,
ur soviel ist sicher, am meisten Lipoide finden sich im Corpus
ilUnV™ Stadlum dcr höchsten Entwicklung. Wenn der
gelbe Körper zu degenerieren anfängt, so stellt sich, wie
J. Mille r zuerst einwandfrei gezeigt hat, Neutralfett ein, dem
eine Funktion nicht mehr zukommt.
Die chemisch-quantitativen Untersuchungen ergaben über¬
einstimmend, dass sich aus dem Corpus luteum im Frühstadium
eine grossere Menge von Lipamin gewinnen lässt und dass die
aus jungen Corpora lutea bereiteten Präparate bei der Be-
handlung Amenorrhöischer wirksamer waren. Umgekehrt
enthalt im Blütestadium das Corpus luteum eine sehr grosse
Menge von Lipoiden, während dagegen die Ausbeute an Lipa¬
min gering ist.
Auf Grund dieser Befunde ist es berechtigt anzunehmen,
aass m der ersten Zeit nach dem Follikelsprung lipaminartige
bubstanzen von dem Corpus luteum abgesondert und ins Blut
geschickt werden und dass sie an Organen, zu denen sie eine
besondere Affinität haben, an der Schleimhaut des Uterus zur
irkung kommen, die prämenstruellen Umwandlungen der
-chleimhaut, die Erweiterung der Kapillaren und schliesslich
den Blutaustritt bewirken. Mit dem Blütestadium des Corpus
luteums gewinnen allmählich die lipoiden Substanzen mit ihren
blutungshemmenden Tendenzen das Uebergewicht und die
Blutung kommt schliesslich unter ihrem Einfluss und durch
ihr Dominieren zum Stillstand. Die Menstruation ist dann
regelmassig, wenn Lipaminsubstanzen und Luteolipoide zeit¬
lich richtig aufeinanderfolgen und in der richtigen Quantität
abgesondert werden. Die Blutung ist zu wenig, wenn zu
wenig Lipamin abgesondert wird oder die Luteolipoidbildung
zu energisch von vornherein einsetzt. Die Blutung ist umge¬
kehrt zu stark, wenn das Lipamin zu reichlich gebildet und die
Luteolipoide in zu geringen Mengen abgesondert werden
Durch das richtige Gleichgewicht der beiden Hormone des
Corpus luteum kommt die normale Menstruation zustande,
i E,t ^scheint auf den ersten Blick paradox, dass ein und
chisselbe Organ zwei so differente in einem antagonistischen
Verhältnis stehende Produkte hervorbringen soll. Und doch
konnten wir eine andere Erklärung für die Erscheinung nicht
finden. Man darf bei der Deutung der Corpus-luteum-Funktion
das eine nicht vergessen: Das Corpus luteum unterscheidet
sich von allen übrigen Organen urd auch von allen übrigen
Drusen mit innerer Sekretion grundsätzlich, es ist ein nur für
die Fortpflanzung vorhandenes Gebilde, das sich gerade aus
dieser Bestimmung heraus in regelmässigen Intervallen bildet
und wieder verschwindet. Der Vorgang, der sich bei den
übrigen Oiganen im Laufe eines ganzen Lebens abspielt, ist
hier zusammengedrärgt auf einen engen Zeitraum von
1 W?cien und d>eser rasche Wechsel macht auch eine rasche
endei ung der physiologischen Funktion und der chemisch
\\ irk samen Kräfte notwendig. Wir glauben übrigens nicht
dass der chemisch-kausale Zusammenhang zwischen Ovu-
Dtion, Corpus-luteum-Bildung und Menstruation hiemit defi¬
nitiv gelöst ist. Das Problem liegt voraussichtlich weit ver¬
wickelter. Es scheint uns aber doch, dass wir mit der Auf¬
findung des blutungsfördernden Lipamins und des blutungs-
f. Gvn! S- 26311 10L 1914 S- 568 “"d ZW-
n) Arch. f. Gyn. 93. 1911. S. 354.
4
1738
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
hemmenden Luteolipoids im Corpus luteum wichtige, vielleicht
die wichtigsten Faktoren in der Regulation der menstruellen
Vorgänge gefunden haben.
Zusammenfassung.
Die Menstruation hängt von der Funktion des Corpus
luteum ab. ^ o
Das Corpus luteum enthält 2 Körper. Der eine ist das
Luteolipoid, das blutungshennnende Eigenschaften hat und sub¬
kutan vor und während der Menses einverleibt die Blutung
vermindert und abkürzt.
Der 2 Körper ist das Lipamin, ein Lipoproteid und zwar
ein Lezithalbumin. Es bewirkt im Tierexperiment ein be¬
schleunigtes Wachstum der Genitalien, beim Weibe lasst sich
durch subkutane Einspritzung bei Amenorrhöischen die Men¬
struation herbeiführen.
Das Luteolipoid und das Lipamin sind Antagonisten und
regulieren den Ablauf der Menstruation.
Therapeutisch wirkt das Luteolipoid vorzüglich bei Puber¬
tätsblutungen und bei Menorrhagien ohne organische Grund¬
lage. Bei klimakterischen Blutungen wirkt es nur, wenn die
Blutungsgerinnung verlangsamt ist. Wirkungslos ist die In¬
jektion bei Blutungen auf entzündlicher Grundlage. Bei
Myomen tritt sogar eher eine vorübergehende Verstärkung
der Blutung ein. Bei Dysmenorrhöen, die mit stärkeren Blu¬
tungen einhergehen, hat das Luteolipoid günstige Einwirkung
auf die Schmerzen. . . , .
Das Lipamin vermag, genügend lange angewendet, bei
Amenorrhöischen die Menstruation herbeizuführen. Es ist be¬
rechtigt, den Versuch zu machen, die Hypoplasie der Geni¬
talien durch länger dauernde Einspritzung des Lipamins zu
beheben. Es scheint, dass bei Dysmenorrhöen mit zu geringer
Blutung das Lipamin, vor der Periode eingespritzt, die
Schmerzen zu lindern und zu beseitigen vermag.
- -rffi
Die neue bayerische Schulordnung.
Von Hofrat Dr. Craemer.
Die auch von uns Aerzten mit vielen Hoffnungen erwartete neue
Schulordnung ist nunmehr erschienen und wird mit dem neuen -criu -
jahre 1914/15 in Kraft treten. „ , , . .
Es kann nicht meine Aufgabe sein, die ganze Schulordnung nacn
allen Richtungen einer Kritik zu unterwerfen, das ist von Seite der
Schulmänner und der Eltern bereits in der Tagespresse geschehen,
mir kommt es nur darauf an. diejenigen Punkte herauszugreifen, die
uns Acrzte besonders interessieren und nachzuweisen, inwieweit die
Wünsche und Tendenzen, die wir Aerzte gestellt haben, verwirklicht
worden sind. Ich denke dabei in erster Linie an die vom Aerzt-
lichen Verein selbst gestellte Forderung des biologischen Unterrichtes
durch das ganze Gymnasium, insbesondere an die Forderungen una
Wünsche, die die Schulkommission in ihren Leitsätzen zur Reform des
Gymnasiums ausgesprochen hat. „ . . ,
Wir müssen dankbarst anerkennen, dass der Herr Kultusminister
auch uns Aerzten Gelegenheit gegeben hat, bei der Beratung des
Entwurfes der neuen Schulordnung im Obersten Schulrat unsere
Wünsche vertreten zu dürfen, so ist es gelungen, noch manches
durchzusetzen, was sonst vielleicht anders geworden wäre.
Unsere Forderung, es sollte in § 2 (Zweck der höheren Lehr-
anstatt) die körperliche Ausbildung besonders hervorgehoben werden,
ist leider nicht verwirklicht worden. Die Auffassung, dass sich das
gewissermassen von selbst versteht, ist ja für uns Aerzte richtig, nicht
aber von vornherein für die Schule, denn auch jetzt noch sind
wir in der harmonischen Ausbildung des Körpers und Geistes, von
der man im Gymnasium so viel spricht, trotz mancher dankenswerten
Besserung noch recht weit entfernt. Ganz erfreulich ist es und wird
dankbarst anerkannt, dass unser Wunsch, es möge die Gesamt¬
leistung in körperlicher Tüchtigkeit in zweifelhaften Fallen bei der
Entscheidung des Vorrückens mitberücksichtigt und besonders gute
Leistungen angerechnet werden, tatsächlich erfüllt worden ist. In An¬
merkung 86 heists es: „Hervorragend gute Leistungen in den Wahl¬
fächern, dann insbesondere gute Leistungen im Turnen sollen
bei der allgemeinen Beurteilung der Schüler berücksichtigt werden;
auch kann eine bezügliche Bemerkung in das Jahreszeugnis aufge-
nommen werden.“ _ , .
Unsere Hauptforderung bestand nach einem Beschlüsse des Aerzt-
lichen Vereins vom 17. November 1909 im biologischen Unterricht
durch das ganze Gymnasium. Die Schulkommission verlangte neben
praktischem Naturkundeunterricht durch das ganze Gymnasium, hy¬
gienischen Unterricht, Ausbildung der Mittelschullehrer in Schul¬
hygiene, Vermehrung der neuen Sprachen1) und staatsbürgerlichen
i) Das bcisst Vermehrung der Stunden und bessere Ausbildung
in den neueren Sprachen.
Unterricht Ausgehend von der Erwägung, dass eine allgemeine
Bildung — und die soll doch im Gymnasium vermittelt werden —
ohne gründliche naturwissenschaftliche Kenntnisse nicht mehr gedacht
werden kann, dass in allen Bundesstaaten und in Oesterreich diese
Forderung des durchgehenden Naturkundeunterrichtes langst erfüllt
ist dass somit die bayerischen Abiturienten, die Medizin studieren
wollen' den aus anderen Bundesstaaten hervorgegangenen gegenüber
sehr im Hintertreffen sind, dass weiter der hohe geistige Bildungs-
wert der Naturwissenschaften, die am ehesten geeignet sind. Idealis¬
mus zu heben, für höhere Begriffe zu begeistern und auch das
religiöse Empfinden zu vertiefen, auch am Gymnasium nicht langer
mehr ignoriert werden darf, haben wir im Aerztlichen Verein und in I
der Schulkommission in langen Beratungen diese geradezu vordring¬
liche Forderung aufgestellt. Während in den anderen Bundesstaaten
mindestens in den ersten 6 Klassen Naturkunde in je 2 Wochenstunden !
von Fachlehrern gegeben und in den 3 oberen Klassen 1 hysik und j
zum Teil auch Chemie und Biologie gelehrt wird, hatten wir in Bayern
bisher nur in den ersten 5 Klassen je 1 Stunde wöchentlich und
dazu nicht von Fachlehrern. Man kann sich also wohl die absolute i
Unzulänglichkeit dieses Unterrichtes vorstellen, der auch bei den
Schülern eben wegen seiner Unzulänglichkeit keinerlei Begeisterung
und nur wenig Interesse erwecken konnte. Das Kultusministerium
kam unseren Wünschen insofern entgegen, als in dem Entwurf zur
neuen Schulordnung für die ersten 6 Klassen je 2 Stunden Naturkundc-
unterricht von Fachlehrern gegeben, vorgesehen, in den oberen
Klassen je 2 Stunden Physik angesetzt waren. Wenn man das auch
nur eine Abschlagszahlung nennen konnte, so musste man immerhin
die gegen früher bedeutende Verbesserung anerkennen, umsomehr, als
jetzt für die 5. Klasse ein chemischer Vorkurs eingerichtet ist. Leider
ist es nun in der Kammer gelungen, die 2 Stunden in der 6. Klasse
zu streichen und so entbehrt also die 6. Klasse ganz allein jedenj
derartigen Unterricht. Die Motivierung der betreffenden Abgeord-
neten (zu starke Belastung der 6. Klasse) ist eine so nichtssagende,
dass man nicht verstehen kann, warum dem Verlangen stattgegeben
wurde. Durch die Streichung dieser zwei Stunden ist Bayern be¬
züglich des Naturkundeunterrichtes schlechter gestellt wie fast alle
Bundesstaaten und Oesterreich und es muss unsere Aufgabe sein,
alles daranzusetzen, um unsere Forderung: biologischer Unterricht
durch das ganze Gymnasium, durchzusetzen. Wenn nur wenigstens
der biologische Unterricht in der obersten Klasse als Wahlfach zu-
gelassen wäre, so könnte man ja vorläufig zufrieden sein, aber das
ist auch ausgeschlossen. ........
Dass ein biologischer Unterricht durch die ganze Mittelschule
möglich ist, geht daraus hervor, dass unsere bayerische Uberreal¬
schule diesen biologischen Unterricht in geradezu vorbildlicher
Weise in ihrem Programm hat. Es ist also erst recht unerfindlich
warum man diese ausgezeichnete Bildungsmöglichkeit dem Gym¬
nasium versagt. Die Folgen werden ja sicher nicht ausbleibcn unc,
die Flucht aus dem humanistischen Gymnasium jedes Jahr grössei
werden. , ,
Begrüssenswert ist es im hohen Masse, dass die Versuche irn
Aufstellung von Schulärzten an den Mittelschulen fortgesetzt werter
sollen, der günstige Einfluss der Schulärzte wird sich bald so eviden
heraussteilen, dass die Schulärzte an allen Mittelschulen aufgestel.
werden müssen. Auch die Einsetzung eines Elternbeirates könne)
wir Aerzte nur begrüssen; das fremde Auge ist für jede Institutioi
von grösstem Werte. Unsere Bemühung, die Maximalarbeitszeit fui
häusliche Aufgaben streng zu begrenzen und vor allem durch Um
fragen von seite der Lehrer festzustellen, ob diese Zeit nicht über
schritten wird, sind nur zum Teil von Erfolg gewesen. Wir müssei
stets daran festhaltcn, dass das Arbeiten der jungen Leute nach den
Abendessen Gift für sie ist; der junge Mensch muss geistig ausgeruh
ins Bett kommen, wenn der Schlaf wirklich erquickend sein soll, au
die Schlafzeit allein kommt es durchaus nicht an Hoffentlich wir«
diese Frage durch besondere Ausführungsbestimmungen des Mun
steriums in unserem Sinne geregelt.
Die Bemerkung in § 17 Abs. 5: Die Sonn- und Feiertage sin«
von Uebungsaufgaben tunlichst frei zu halten, muss unseren Pru
test hervorrufen. Hätte man dieses Kautschukwort t u n 1 i c h s t men
weglassen können? Was kann man damit nicht alles entschuldigen
Die Disziplinarsatzungen bringen eine Reihe von Verbesserungei
die zum grössten Teile unserer Mitarbeit zu verdanken sind. L)i
älteren Schüler werden nicht mehr wie Schulkinder behandelt, da
Rauchen wird nicht mehr verboten, sondern aus hygienischen Gründe
widerraten, ebenso der Genuss geistiger Getränke, Arreststrafen we>
den in den obersten Klassen nicht mehr erteilt etc. Die den L>ssz
plinarsatzungen angefügten Gesundheitsregeln sind sehr begrüssem
wert, auch daran haben wir einen grossen Anteil.
In Summa kann man sagen, die neue Schulordnung bringt man«,
begrüssenswertes Neues, moderner Geist ist da und dort zu spüre
viel Veraltetes ist noch geblieben. Da wir eine Neubelasturg d(
Schüler unter keinen Umständen gutheissen können, so müssen em
Reduktionen an den alten Sprachen etc. eintreten, damit genügend ze
für den biologischen Unterricht und die Durchführung aller sonstig
Forderungen gewonnen werden kann. Unser Bestreben muss <
sein, den Reformgymnasien die Wege zu ebnen, alles daranzusetze
dass nicht bloss das realistische Reformgymnasium, sondern auch ai
humanistische endlich auch in Bayern zur Einführung kommt. Dam
allein wird die Möglichkeit geschaffen, alle Forderungen, die u.
moderne Leben gebieterisch stellt, in die Tat umzusetzen.
4. August 1914.
MUFNCHHNER MEDIZINISCHE: WOCHENSCHRIFT
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Fortschritte in der Pathologie und Therapie der
Pankreaserkrankungen.
Von Prof. Dr. Adolf Schmidt in Halle.
i * kV Es js* e'.n Zeichen der Zeit, dass wir die Fortschritte der
letzten . a i re auf praktisch-medizinischem (iebiete zum nicht geringen
I eile der Initiative der Chirurgen verdanken, die im Vertrauen auf
*hr.f Vflj),che5t'v,^elte Technik auch bei nicht völlig klarem Krank-
heitsbilde den hin griff wagten und dabei auf unerwartete Befunde
stiessen die zum Ausgangspunkt anatomischer, klinischer und ex¬
perimenteller Untersuchungen wurden.
Wenn ein bis dahin gesunder oder höchstens gelegentlich mit un¬
bestimmten Verdauungsstörungen behafteter Mensch plötzlich unter
nettigsten Koliken, Erbrechen und schweren Kollapserscheinungen er-
krankt, wenn Stuhl und Winde nicht abgehen, die Überbauchgegend
sich auftreibt und druckschmerzhaft wird, so liegt der Gedanke an
einen hochsitzenden Darmverschluss oder an eine Perforation des
Magens nahe, und die Laparotomie ist berechtigt. Wenn dann der
Operateur in der Bauchhöhle neben etwas blutigseröser Flüssigkeit
Jie charakteristischen weissgelben, vornehmlich in der Umgebung des
Duodenums lokalisierten, manchmal aber auch über das ganze Peri-
oneum zerstreuten Flecken, die Fettgewebsnekrosen, erblickt, wenn
-r durch das Lig. gastrocolicum eingehend die Wand der prall
gespannten Bursa omentalis eröffnet und dort inmitten eines trüben
larnorrhagjschen Exsudates das mehr oder weniger vollständig
lekrotische 1 ankreas vorfir.det, so ist es nur natürlich, dass er den
Jrsachen dieses eigenartigen Zustandes nachforscht. Er erinnert sich,
lass er schon häutiger bei Gelegenheit von Gallensteinoperationen den
xopt des ankreas verhärtet und mit kleinen Fettgewebsnekrosen
lurchsetzt gesehen hat, und indem er jetzt die Gallenblase kontrol-
lert. findet er auch diesesmal Steine darin oder eine Entzündung Er
iraimert den Gholedochus, wenn der Zustand des Patienten es er-
aubt ebenso wie er vorher einen breiten Tampon aus der Bursa
»mentalis nach aussen geleitet hat.
Wir nehmen an, dass der Patient durchkommt — die neueren Sta-
ishken ergeben etwa 40 — 50 Proz. Heilungen bei der Frühoperation
- und dass (jelegenheit gegeben ist, die Stuhlgänge, welche er in der
,ekonvaleszenz absetzt, genauer zu untersuchen. Da zeigt sich
ann dass sie, _ sobald der Kranke feste Speisen zu nehmen anfängt
ehr fettreich sind und bei der Ausbreitung kleine unverdaute Fleisch¬
este enthalten. Bei vorsichtiger Kost verschwindet das, aber viel-
-ncht kommt er spater, nachdem er längst aus der Behandlung des
i imfgen entlassen ist, wegen häufiger Verdauungsbeschwerden die
ls chronischer Darmkatarrh gedeutet wurden, in die Behandlung
ines Spezialisten für Verdauungskrankheiten, und dieser konstatiert,
Ti wesentlichen auf Grund eingehender Stuhluntersuchungen eine
'ironische Pankreatitis.
Wie ich es hier an einem Beispiel zu schildern versucht habe,
4 ungetahr der Entwicklungsgang unserer Kenntnisse der sog Pan-
reasnekrose oder Pankreashämorrhagie der gewesen,
er heute bis zu einem gewissen Abschluss gelangt ist.
Zwei Fragen sind es vornehmlich, denen sich das Interesse der
orscher zugewandt hat, nämlich: wie kommt eine so plötz-
c h e Nekrose mit Autolyse des Bauchspeichel¬
rusengewebes zustande und wie sind die schweren
llgemeinerscheinungen zu erklären, die oft schon
in er halb weniger Tage zum Tode führen?
Dass Zirkulationsstörungen, die von den Pathologen zuerst be-
:huidV zu werden pflegen, Nekrosen im Gefolge haben können, ist
erstandheh; bei der Mehrzahl der Fälle lassen sie sich aber nicht
ich weisen. Von dem Gedanken ausgehend, dass Sekretstauung über-
I leicht zu Schädigungen im Stauungsgebiet führt, und bestärkt durch
e praktische Erfahrung, dass der Ausbruch des Leidens sich oft
lmittelbar an eine reichliche Mahlzeit anschliesst, haben dann
ser- Eppinger und andere Forscher durch künstliche Unter-
ndung der Ausführungsgänge auf der Höhe der Verdauung die Ne-
•ose im I ierexperiment zu erzeugen versucht; aber sie mussten sich
'erzeugen, dass bei sorgfältiger Methodik der erwartete Erfolg aus-
1 ., dass vielmehr auf diesem Wege — vorausgesetzt, dass durch
eignete Massregeln eine Sprengung des Verschlusses verhütet
4rde — nur eine langsame Atrophie der Drüse mit bindegewebiger
duration bewirkt wird (L o m b r o s o, Zunz und Mayer,
i a t tl. Es muss noch ewas anderes hinzukommen, das unter
nstanden auch ohne Stauung wirksam werden kann, und das ist ein
;ens, welches die Fermente des Pankreassaftes, speziell das protco-
tisclie Irypsinogen, bereits innerhalb der Drüse aktiviert. Sorg-
tige Untersuchungen, namentlich chirurgischer Autoren, haben ge-
, ,.ss dieses Agens die Enterokinase sein kann, oder der
louena Inhalt, in welchem sie anwesend ist, dass es aber auch Bak-
ien oder Bakterienfermente sein können (P o I y a), ja dass wahr-
leinhch auch Zellfermente, die im Pankreas aus irgend einem an-
ren Grunde frei werden, die Rolle dieses Agens übernehmen können
a t e s). Insofern die Galle nicht bloss die Pankreaslipase akti-
rV,s®ndern auch die Wirkung des (bereits aktivierten) Trypsins
leoiich zu steigern vermag, kann sie ebenfalls zum Zustandekommen
1739
der Nekrose beitragen; wahrscheinlich wird sie aber in erster Linie
uem 1 ankreassekret als Bakterienträgerin gefährlich. Unter dem
pntluss des innerhalb der Drüse aktivierten Sekretes findet — zumal
,\C1 gleichzeitiger Stauung — eine teilweise Selbstverdauung statt und
cne freiwerdenden Zellfermente steigern die nekrotisierende Wirkung
nÜf, eH-g erf0ulgen durch Bl'Utstase und Andauung der Gefässwände
protuse Hamorrhagien, welche das Zerstörungswerk vollenden helfen
,. bow^lt !st alles verständlich. Es fragt sicli nur, wie gelangen
ie verschiedenen Agentien, die beim Tierexperiment gewöhnlich in
uen Ausfuhrungsgang eingespritzt wurden, unter natürlichen Be-
vPr^i'uCn bC!im M,4n?.chcn in die Drüse? Ein den Ductus choledochus
verschhessender Gallenstein kann wohl zur Sekretstauung in der
nfrh ldrusc,fu liren; tritt er hindurch, so kann er vielleicht
auch die Mündung der V a t e r sehen Papille erweitern; es mag auch
w^irhÜ101611’ -duSS gCr Nebenausfuhrungsgang, der Ductus Santorini,
fnn flcbs<rhon die Duodenal wand weniger schräg durchbohrt
s der Ductus Wirsungianus, eine abnorm weite Mündung hat, aber
das alles sind doch gewiss nur Ausnahmefälle. Viel verständlicher
erscheint es, dass von der so häufig bei den verschiedenen Affek-
dPr -Qa 6nW,ege ilnfifierten üalIe aus eine Ueberwanderung
der Bakterien in das Pankreassekret stattfindet. Tatsächlich hat
raiT/m n im Experiment, eine derartige Ueberwanderung von
der Gallenblase aus erzeugen können, vorausgesetzt, dass der Abfluss
des Pankreassaftes aufgehoben war, und Deaver, Arnsperger
u. a. haben uns die Kommunikation der Lymphbahncn der Gallenwege
und der Bauchspeicheldrüse kennen gelehrt, die leicht verständlich
n,?prren’ uTs Tan Sicn ^riJn.nert' dass in 65 Proz- der Fälle der
1 uctus choledochus vollständig vom Pankreaskopf umwachsen ist
Lebrigens ist nicht einzusehen, warum nicht die Bakterien aus dem
Duodenalinhalt ebensogut in die Pankreasgänge wie in die Gallen¬
wege, wo sie so häufig gefunden werden, gelangen können
Wir sehen also, dass wir am ungezwungensten zum Verständnis
der Nekrose kommen, wenn wir mit P o 1 y a die Darmbakterien als
das gefährliche aktivierende Agens, als die eigentlichen Provokatoren
dfrr Krankhed ansehen und damit stimmt es auch, dass nächst der
Lholehthiasis andere Affektionen des Duodenums, welche mit Zer¬
setzung oder Stase des Inhaltes einhergehen, wie das Ulcus duodeni,
Abknickungen und Verwachsungen, selbst Erweiterungen des Zwölf¬
fingerdarmes als Ausgangsleiden in Betracht kommen. Diese Auf¬
fassung wird auch dadurch nicht über den Haufen geworfen, dass wie
sich gezeigt hat, in dem nekrotischen Pankreasgewebe anfangs keine
s arkere Baktenenansiedelung gefunden wird; die Bakterien spielen
eben zunächst nur die Rolle der Aktivatoren des Trypsins, erst in
späteren Stadien siedeln sie sich von neuem in der Zerfallsmasse
an, und dann wird aus der Nekrose ein Abszess.
Die 2. oben aufgeworfene Frage, wie die schweren A1I-
gem ein er sch ei nun gen zu erklären sind, ist dadurch
aktuell geworden, dass es v. Bergmann und Gulecke gelang
einerseits die Erscheinungen experimentell durch Einbringen von
Pankreasgewebe in die Bauchhöhle von Tieren zu reproduzieren
andererseits den Ausbruch derselben durch Vorbehandlung der Tiere
mit trj psin hintanzuhalten resp. ihre Intensität herabzumindern. Die
Autoren schlossen daraus auf eine spezifische Giftwirkung die sie
anfangs dem Trypsin zuschrieben. Diese Auffassung liess sich aller¬
dings nicht halten, nachdem durch F e r m i, K i r c h h e i m u. a nach¬
gewiesen war. dass das reine Trypsin nicht giftig wirkt. Ebenso-
wenig kann das von Wohlgemuth im Pankreassaft gefundene
Hämolysin oder die Lipase, an die Hess denkt, verantwortlich ge¬
macht werden. Entweder stimmen die klinischen Erscheinungen nicht
dazu (Hämolysin) oder es lässt sich die Antikörperbildung nicht er¬
klären (Lipasewirkung).
Eine genaue Analyse der klinischen Symptome der Pankreas¬
vergiftung führte L a 1 1 e s zu der Ueberzeugung, dass sie dem
anaphylaktischen Schock sehr nahe verwandt sind. Dazu stimmt es,
dass das Extrakt der frischen Drüse verhältnismässig wenig toxisch
™ im Vergleich mit den Extrakten von autolysierten Drüsen.
Müller und I incus bestätigten diese Erfahrung und erweiterten
sie dahin, dass schon bei Reizung der Drüse intra vitam Stoffe aus
ihr in das Sekret übergehen, welche ihm toxische Eigenschaften
verleihen. Noch mehr ist das natürlich bei der Nekrose des Paren¬
chyms der Fall. Offenbar beruht die Schutzwirktmg, welche v. B e r g-
mann und Gulecke erzielten, mehr auf allgemeiner Resistenz¬
erhöhung gegen derartige Zerfallsprodukte als auf spezifischer Anti-
toxinbddung.
Warum gerade die Zerfallsprodukte der Bauchspeicheldrüse so
giftig wirken, bleibt allerdings zunächst unverständlich. Es mag aber
daran erinnert werden, dass wir ein Analogon dafür in dem Toxin
haben, welches, nach den. systematischen Untersuchungen von Davis
und von Whipple, Stone und Bernheim in abgebundenen
Duodenalschlingen sich bildet, und gegen das ebenfalls bis zu einem
gewissen Grade Immunität durch Vorbehandlung erreicht werden
kann. Da die Schleimhaut dieses Abschnittes Enterokinase und wohl
meist auch etwas Irypsin enthält, so begreifen wir die Aehnlichkeit
der bei 1 ankreasnekrose auftretenden schweren Allgemeinsvmptome
mit hochsitzendem Ileus.
Nicht j e d er nekrotische Vorgang im Pankreas
fuhrt zur völligen Zerstörung der Drüse. Es gibt
auch partielle Nekrosen und selbst mikroskopische Nekroseherde mit
kapillaren Hamorrhagien. Es ist deshalb auch nicht notwendig, dass
in jedem Falle operiert werden muss. Massvolle Chirurgen, wie
4*
Nr. 31.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Körte, v. Haberer u. a. stehen auf dem Standpunkte, dass bei
weniger schweren Allgemeinsymptomcn, wenn am 4. oder 5. läge
der Puls noch kräftig und langsam ist, abgewartet werden kann.
Später kann allerdings wegen Abszessbildung noch ein Eingritt not¬
wendig werden Die eben genannten mikroskopischen Nekrosen be¬
wirken eine reaktive Entzündung im Drüsengewebe, die, wenn die
Herde resorbiert sind, sklerotische Mecke hinterlassen. Obwohl sich
nur selten Gelegenheit gibt, das anatomische Bild dieser
akuten Pankreatitis zu studieren, kann doch kein Zweifel da¬
rüber sein, dass sie in inniger Beziehung zur schweren Nekrose steht,
deren abortive Eorm sie repräsentiert und deren Vorläufer sie oft
genug bildet. Die Erage, welche klinischen Symptome sie hervorrutt
_ gegenwärtig die wichtigste Frage der Pankreaspathologie will
ich zunächst übergehen, um erst über die uns besser bekannte chro¬
nische Pankreatitis zu sprechen.
Ich deutete schon an, dass ein Teil der spontan oder nach
operativem Eingriff in Genesung ausgehenden Fälle von Pankreas¬
nekrose später Zeichen der chronischen Pankreatitis resp. der Pan¬
kreassklerose oder Pankreasatrophie, wie der Zustand
auch genannt wird, aufweisen. Diese bilden aber nur einen kleinen
Prozentsatz. Meist entwickelt sich die Krankheit schleichend aus
rezidivierenden akuten Entzündungen, die — klinisch mehr oder
weniger latent — Erkrankungen der Gallenwege und des Duodenums
begleiten Weiterhin können Gallen- und Pankreassteinc, das Kar¬
zinom der Papille und andere Tumoren, indem sie mechanisch den
Sekretabfluss aufheben, zur chronischen Induration führen. Auch
Eues, Alkoholismus chronicus, Arteriosklerose, Pankreaszysten und
endlich eine Reihe von Infektionskrankheiten figurieren unter den Ur¬
sachen. ln anatomischer Hinsicht ist bemerkenswert, dass in man¬
chen Fällen, namentlich in den durch Sekretstauung entstandenen, die
Langerhans sehen Inseln nicht in demselben Masse atrophieren,
wie das azinöse Gewebe. Auf die Bedeutung dieser Erscheinung
für die Frage des Pankreasdiabetes komme ich noch zurück.
Die klinischen Symptome der chronischen Pankreatitis
sind sehr wechselvoll, entsprechend der verschiedenen Entstehungs¬
weise und dem Stadium der Entwicklung des anatomischen Prozesses.
Es sei hier gleich betont, dass, wenn auch der Fortbestand des
Lebens mit dem völligen Zugrundegehen der Bauchspeicheldrüse un¬
vereinbar ist, doch keineswegs alle Fälle progredient verlaufen, viel¬
mehr einen stationären Zustand repräsentieren, der einer geeigneten
Therapie dankbare Angriffspunkte bietet.
Die subjektiven Beschwerden beziehen sich meist auf
Verdauungsbeschwerden uncharakteristischer Art: Spannung und
Schmerzen im Epigastrium, Kollern im Leibe mit zeitweise stärkeren
Durchfällen etc. Objektiv besteht gewöhnlich deutliche Abmagerung,
manchmal auch ein gewisser Grad von Anämie. Die Untersuchung
des Abdomens ergibt nichts Bemerkenswertes, abgesehen von einer
hin und wieder bei mageren Leuten und schlaffen Bauchdecken —
aber keineswegs regelmässig — fühlbaren Resistenz in der Ober¬
bauchgegend, die auf Druck ein wenig schmerzempfindlich sein kann.
Auch die Funktionsprüfung des Magens liefert gewöhnlich keinen Hin¬
weis auf den Sitz des Leidens.
Entscheidend für die Diagnose ist ausschliesslich der Stuhl¬
gang, der in ausgesprochenen Fällen schon bei gemischter, frei ge¬
wählter Kost durch seine Massenhaftigkeit und seinen hohen Fett¬
gehalt auffällt. Wenn das Fett, wie es nicht allzu selten vorkommt
(in etwa Y> aller ausführlich untersuchten Fälle), in Form eines
dünnen Ueberzuges von geronnener Butter den ganzen Stuhl bedeckt
(sog. „Butt er Stuhl“), so ist dieser Befund an sich schon be¬
weisend für Pankreaserkrankung, da das bei keiner anderen Erkran¬
kung beobachtet wird. Es besteht übrigens dieser Fettüberzug nicht,
wie man anzunehmen geneigt ist, stets aus Neutralfett, sondern oft
ganz vorwiegend aus freien Fettsäuren (Gros s). Dem entspricht
auch das mikroskopische Stuhlbild, in dem an Stelle der in Ikterus-
fettstühlen fast ausschliesslich vorhandenen Fettnadeln die bei Zim¬
mertemperatur erstarrenden Fettropfen überwiegen. Aus chemischen
Untersuchungen von Fr. v. Müller, Z o j a u. a. wissen wir ja, dass
Störungen der Fettausnutzung — Steatorrhöe — eine regel¬
mässige Begleiterscheinung mangelhafter Bauchspeichelsekretion ist,
und dass sie sich oft mit ungenügender Fettspaltung, häufiger noch mit
ungenügender Seifenbildung nach erfolgter Spaltung verbindet.
Mit der Steatorrhöe vereint ist sehr gewöhnlich ein ge¬
wisser Grad von Kreatorrhöe, d. h. Abgang unausgenutzter Reste
von Muskelfleisch. Verreibt man etwas von der Stuhlmasse mit
Wasser sorgfältig im Mörser und breitet die Flüssigkeit auf einem
weissen Teller aus, so kann man oft schon mit blossem Auge die
holzsplitterartigen Muskelreste erkennen; anderenfalls zeigt uns das
mikroskopische Präparat auffallend reichliche, grosse, gut erhaltene
Muskclfaserrcste mit Querstreifung und scharfen Ecken, gelegentlich
ein ganzes Gesichtsfeld ausfüllend. Unausgenutzte Stärkekörner
zeigen sich ebenfalls manchmal bei Jodzusatz.
Da, wie jedermann weiss, die Menge und Zusammensetzung der
Nahrung von massgebendem Einfluss auf die Zusammensetzung der
Fäzesmasse ist und bei unzweckmässiger Kostwahl auch einmal ohne
Pankreaserkrankung mikroskopische Befunde wie die hier geschilder¬
ten gefunden werden können, ist das Ergebnis der Stuhluntersuchung
nur dann für chronische Pankreatitis entscheidend, wenn eine leicht¬
verdauliche, normalerweise keine derartigen Reste hinterlassende
Nahrung genossen wurde, am besten die von mir eingeführte Probe¬
kos t, deren praktischer Nutzen nirgends deutlicher zutage tritt, als
bei dieser Erkrankung. Wer nur einigermassen mit dem makro¬
skopischen und mikroskopischen Bilde des Probediätstuhles vertraut
ist. kann die durch chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse
hervorgerufenen Veränderungen nicht übersehen, und es unterliegt
keinem Zweifel, dass es auf diesem Wege am sichersten und ein¬
fachsten gelingt, die Krankheit zu erkennen. Selbst sehr geringfügige
Veränderungen der Bauchspeicheldrüsenabsonderung, die sich durch
nichts anderes verraten, entgehen uns nicht, wenn wir bei bestehen¬
dem Verdacht durch Zulage von 50 g feingeschnittenem Schinken oder
50 g Butter zur Probekost den Darm belasten.
Die hier kurz skizzierte Funktionsprüfung des Darmes, die in
wenigen Minuten ausgeführt werden kann, macht die chemische Ana¬
lyse des Kotes und der Nahrung, den sogen. Ausnutzungsversuch,
dem wir allerdings die ersten Hinweise auf die Störungen der Bauch¬
speicheldrüse zu verdanken haben, für die Praxis überflüssig, sie macht
auch die verschiedenen spezifischen Pankreasproben von W inter-
nitz ( J odbehensäureäthylester) von Sahli (Glutoidkapseln mit
Jodoform) und selbst die von mir angegebene Kernprobe meistens
entbehrlich. Was die letztere betrifft, so hat sich über ihre Zuver¬
lässigkeit ein lebhafter Streit entsponnen, der aber jetzt im Sinne
meiner Angaben entschieden ist, insofern tatsächlich von allen Ver¬
dauungssekreten nur der Pankreassaft imstande ist, die Gewebskerne
innerhalb kurzer Zeit zu lösen. In der Modifikation von Kashi-
wado ist die Probe sehr einfach; man gibt während der Probediät
einmal mittags 2 — 3 Kapseln mit gefärbten Gewebskernen ) und
untersucht die nächsten 2 Stühle mikroskopisch. Ist die Kernver¬
dauung gestört, wie das bei manchen Fällen von Pankreaserkrankung
auch ohne nennenswerte Steatorrhöe vorkommt, so erscheinen die
Kerne im mikroskopischen Bilde neben den als Leitmerkmal dienen¬
den Lykopodiumkörnern wieder.
Es ist Ihnen bekannt, m. H., dass die innere Medizin, die an der
Erforschung der chronischen Pankreatitis den grössten Anteil hat,
neben den vom geschädigten Pankreas herrührenden Verdauungs-
ausf ällen nach noch direkteren Zeichen gesucht hat und dass dabei
der Nachweis der Pankreasfermente in den Exkreten
und Sekreten in den Vordergrund getreten ist. In den Fäzes handelt
es sich vornehmlich um den Nachweis und event. um die quantitative
Bestimmung des Trypsins und der Amylase, wofür eine Reihe von
Verfahren — das qualitative Serumplattenverfahren von Müller
und Schlecht, die quantitative Kaseinmethode von Gros s, die
Wohlgemuth sehe Diastasebestimmung und ihre verschiedenen
Modifikationen — ausgearbeitet worden sind. Aber auch im Magen¬
inhalt können wir sie seit Boidyreffs Entdeckung des häufigen
Rückflusses von Duodenalinhalt durch den Pylorus mit geeigneter
Versuchsanordnung aufsuchen, und noch sicherer im Duodenalmhalt
selbst, den mittels des Duodenalschlauches zu gewinnen uns Ein¬
horn gelehrt hat. Ich kann die Technik aller dieser Methoden hier
nicht durchsprechen und muss mich auf ein summarisches Urteil über
ihren Wert für die Diagnose der chronischen Pankreatitis beschrän¬
ken. Dasselbe geht dahin, dass sie wegen der Fehlerquellen, die ihnen
durch die natürlichen Schwankungen des Fermentgehaltes der Drüse,
durch die Interferenz mit anderen Verdauungsfermenten, speziell mit
Erepsin und mit Bakterienfermenten, durch den erheblichen Einfluss
der Passagezeit der Ingesta auf den Fermentgehalt der Fäzes, end¬
lich durch die Ungenauigkeit der quantitativen Bestimmungen, wohl
als Ergänzung für den Stuhlbefund von Bedeutung sind, aber nur
selten allein die Diagnose entscheiden. Für die praktisch¬
klinische Auffassung ist es jedenfalls wichtiger
zu wissen, wie gross die Verdauungsausfälle sind,
die durch das geschädigte Pankreas verursacht
werden, als ob sich die Fermente des Saftes in den
Sekreten und Exkreten nachweisen lassen.
Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, hier alle weiteren
Symptome der chronischen Pankreatitis aufzuzählen, will mich viel¬
mehr auf 2 Punkte beschränken, die von Wichtigkeit sind. Der eine
betrifft die interkurrenten Darmkatarrhe, welche sich
häufig auf der Basis der steten Anwesenheit unverdauter Nahrungs¬
reste im Darmlumen entwickeln und die Diagnose leicht auf eine
falsche Fährte leiten. Der Stuhl zeigt in diesem Stadium alle Merk¬
male der chronischen Enterokolitis: dünnflüssige Beschaffenheit,
Schleim, event. mit Blut vermischt, und alle Arten von Nahrungs¬
resten. Wenn auch der Erfahrene vielleicht trotzdem den richtigen
Zusammenhang der Dinge — ich meine den sekundären Charakter der
Entzündung — vermuten wird, so ist doch der Beweis dafür erst dann
zu liefern, wenn es unter sorgfältiger Behandlung gelingt, den Katarrh
zu beseitigen und nun die charakteristische Störung der Verdauung
bei Abwesenheit aller Entzündungsprodukte übrig bleibt.
Der 2. Punkt betrifft die Kombination der Pankrea¬
titis c h e n Symptome mit denen der Cholelithiasis
resp. Cholezystitis, die nach dem ursächlichen Verhältnis
beider zueinander naturgemäss ausserordentlich häufig ist. Sie stört
die Diagnose einmal dadurch, dass bei vorhandener Schmerzhaftigkeit
und Schwellung der Leber oder der Gallenblase die subjektiven Er¬
scheinungen ausschliesslich auf die Gallensteinkrankheit bezogen wer¬
den, dann aber besonders durch das gleichzeitige Bestehen von
Ikterus, welcher die Verwertung der Kotuntersuchung beeinträchtigt.
Hier kommt alles auf eine exakte Stuhlbeobachtung an, die öfter
wiederholt werden muss und gegebenenfalls neben der massenhaften
l) Zu beziehen von Merck- Darmstadt.
4. August 1914.
Anwesenheit von Fettsäure- und Scifcnnadeln auffallend reichlich cr-
starrte retttropfen und — was das wichtigste ist — zahlreiche Mus-
keltaserreste ergibt, ln zweifelhaften Fällen können hier die Ferment¬
proben ausschlaggebende Bedeutung erlangen. Fieberbewegungen
sind wohl meist aut die Erkrankung der (iallenwege zu beziehen
können aber schliesslich auch vom Pankreas ausgelöst w'erden, wenn
sich neue akute Schübe auf die bestehenden chronischen Verände¬
rungen aufsetzen.
. . }\as könpen wir therapeutisch gegen die chronische Pan¬
kreatitis erreichen. Wenn auch von chirurgischer Seite immer
wieder gelegentlich die Spaltung der Kapsel, event. in Verbindung mit
Inzisionen des Drusengewebes selbst empfohlen werden, so kann
doch heute, nachdem w'ir wissen, dass das Organ in den meisten
Fa len nicht vergrossert, sondern verkleinert gefunden wird und
nachdem auch die massgebenden Operateure, insbesondere Körte,
sich ablehnend gegenüber derartigen Eingriffen ausgesprochen haben,
die chirurgische Therapie nur insofern in Frage kommen, als sie gegen
die Beseitigung der auslösenden Krankheit (Erkrankungen der Gallen-
rvego ^*CUS duodeni und ventriculi, Steine, Zysten etc.) angezeigt ist.
ie ankreatitis würde die Indikation besonders dann unterstreichen,
wenn sie nach dem Ergebnis der Beobachtung progredienten Charak¬
ter aufweist oder von Zeit zu Zeit aufflackert
Die stationäre chronische Pankreatitis muss ein Objekt der
inneren Behandlung bleiben, insonderheit der diätetischen Therapie,
die hier in der lat grosse ErTölge aufzuweisen hat. Denn nur in
den verhältnismässig seltenen Fällen luetischer Erkrankung sind wir
in der Lage eine kausale Therapie zu treiben, deren Erfolg übrigens
in einem Falle Umbers ein vollständiger war. Selbstverständlich
kommt aber auch die gegen Cholelithiasis, Ulcus duodeni, Alkoholis¬
mus und andere Orundkrankheiten gerichtete Therapie schliesslich
dem Pankreas zugute.
Die D i ä t v o r s c h r i f t e n bei chronischer Pankreatitis er¬
geben sich ohne weiteres aus dem Stuhlbefund, wobei aber der
Mageninhalt nicht vernachlässigt werden darf. In erster Linie wer¬
den meist zuerst die Fette einzuschränken sein, wenn auch die An¬
wesenheit unverdauter Fettreste im Verdauungskanal erfahrungs-
gemass diesen relativ wenig schädigt. Vollständiges Fettverbot ist
meist nicht notig; niedrig schmelzende Fette (Butter, Gänsefett) und
namentlich emulgierte Fette werden doch wenigstens zum Teil auf¬
gesaugt. Von künstlichen Fettpräparaten, deren Fett zum Teil ge¬
spalten ist, kann man nicht viel erwarten, da die Fettspaltung kaum
f aufgehoben ist. Wohl aber kann eine Neutralisation der freien
Fettsäuren durch Darreichung von Kalkwasser nützlich sein. In
zweiter Lime muss das Fleisch eingeschränkt werden, und zwar zu-
guns en von Gelatinespeisen, pflanzlichem Eiweiss und Eiweissprä¬
paraten. Von letzteren hat sich manchen Forschern das völlig auf-
gespaltene Erepton in kleinen Dosen als brauchbar erwiesen/ Gibt
o!dPnSCfh/ S° S°i! CS Suhr gekocht oder gebraten und ausser¬
ordentlich fein mechanisch zerkleinert sein. Die stärkehaltigen Nah-
3S™ttei einzuschränken ist in der Regel nicht nötig, wenigstens
hpi!ntdiei?efeaifn’ fw.ahrend die Verträglichkeit der Gemüse häufig
beeinträchtigt ist infolge erschwerter Zelluloselösung, die, w:e es
Begleiterscheinung der gestörten Fettverdauung ist
üfä Herford erlich Darmkatarrh ist vorübergehend eine äusserst blande
Zur Unterstützung der Diät dienen die Pankreaspräpa-
1 ate, I ankreon und Pankreatin, die manchmal auffallend Gutes lei¬
sten, manchmal aber auch recht wenig. Es empfiehlt sich grosse
Du°cShu" ZU^fben- Weit®rhin kommt’ wen” die Mageninhaltsunter-
von HGl fnaIRatUre,man/el eiFbenu hat’ der reselmässige Gebrauch
von HCl in Betracht, der sich recht wohl mit der Eingabe von Pan-
/r5aupraparate" verewigen lässt. Entleert sich der Magen nicht
asch genug oder sind Zeichen einer Zersetzung des Inhaltes vor-
lunden, so zögere man nicht mit Magenspülungen.
Es fragt sich, ob wir darüber hinaus durch die Berieselung des
Juodenums mittels der Duodenalsonde einen direkten Einfluss
*“.f das erkrankte Pankreas gewinnen können? Nach
neinen bisherigen Erfahrungen möchte ich die Frage mit ja be-
\l7/te,nUWPnigStens für die Falle’ wo vom gestauten oder infizierten
rh°h^ha 111 ia l aus -eTe dauernde Schädigung der Drüse stattfindet,
ch habe meist zunächst dünne Lösungen von H=Os eingegossen bin
' 1« Menge und Konzentration gestiegen und glaube d^v™
leuthehen Nutzen gesehen zu haben. In Fällen von stärkerer Zer
|etzung des oarminhaltes blase ich jetzt ozonisierten CL langsam
Qm, d“l Duodenalsonde ein, wobei der Patient gleichzeitig Jod-
khtsrmrhi11!'1!,"1“^' Ch be,haIte mir vor, auf diese anscheinend aus-
lchtsreiche Therapie an anderer Stelle zurückzukommen
r soviel über die chronische Pankreatitis. Ihre genaue Kenntnis ist
Voraussetzung für die Auffindung der Symptome der akuten Pai
I* dieJch oben aIs die zurzeit brennendste Frage der Pan-
er Srn0« 0gienbHZeiChn.et habf7 Wir dürfen ihr Auftreten, wie das
.r™r,ose Hamorrhagie, deren rudimentäre Form sie gewisser-
-i. | ars*e ’ am ehesten im Verlaufe der Cholelithiasis resp.
2neZy,1lS,terWarten’ derPnächst bei Ulcus duodeni und anderen
pmrfp i fl k Ten’ ^iterhin unter Umständen bei kallösem Ulcus
SSS" *1°' ?gKenubcr der schweren Nekrose fehlen hier die cha-
aKtensbschen Allgememerscheinungen, insbesondere der Kollaps und
■'hm»5,IecbenJ wahrend die plötzlich einsetzenden heftigen Leib-
pi'Hpm mü- l •• *?eis* auch wohl geringe Temperatursteigerungen
gleichmassig zukommen. Natürlich kann aber die individuelle
MUKNCHFNER MEDIZINISCHE WOCHFNSCHRIFr
_ _ 1741
Reaktionsfähigkeit die Unterschiede verwischen, und so sind neuer-
mgs von Nordmann und früher schon von Hirschfeld Fälle
!'‘tgetcilt worden, bci denen der chirurgische Eingriff das Bestehen
einer aus Entzündung und Hamorrhagie gemischten Infiltration der
rumnL c,rgeben hat- Uie Schwierigkeit, eine solchen Schmerzattacke
richtig zu deuten, liegt auch hier in der gleichzeitigen Anwesenheit
Znr^ehtr-> °df Gallenblasenschwellungen, die zunächst die Auf-
^1®rksamkeit auf sich lenken. Untersucht man aber in solchen Fällen
man dochienShtten, ,Pach de,ri Anfall abgesetzten Stuhlgänge, so findet
S-McSfii- n cht u®lten Veränderungen darin, welche auf eine Pan-
kreasbeteihgung bitweisen. Fettreichtum würde, wenn Ikterus vor-
skopiscl/viel^ot^b ratfr!ich nichts beweisen. Wenn aber mikro-
im?|P|rLn bett ViesfaD von unregelmässigen (erstarrten) Tropfen
und Schollen anwesend ist, die beim Erwärmen des Objektträgers
- v°rh®”g®n. ZtJ,SatzT Yon Essigsäure flüssig werden und sich Icb-
?mMhlSft.L°SUng färben (freie Eettsäuren) oder wenn
fw die Nilblausulfatlosung eine Violettfärbung der Tropfen macht
e» u-° ,das nicht Zum Ikterusstuhl. Der Verdacht auf
«^tPneaSaffektlMn verstarkt, wenn weiterhin neben den Fett¬
resten grosse Muskelfaserreste mit scharfen Ecken und erhaltener
rhöe^^F Un t vo/ha/den sind als Ausdruck einer leichten Kreator-
deneti ich fp1, f hr bemerkenswert.dass bei diesen Zuständen, von
denen ich jetzt schon eine ganze Anzahl beobachtet und durch die
STvÄ?10“ bestätigt gefunden habe, die Störung der
Fettverdauung diejenige der Fleischverdauung
aher^^njf’ ,?a ^ nicht beteiligt zu sein pflegt, wohl
aber die Galle, der spezifische Aktivator der Pankreaslipase durch
das Grundleiclen (Bakterieninfektion) an ihrer Wirksamkeit ein-
?e?dSung l’eidet.18* natÜrlich’ dass in erster Linie die Fett-
Untersuchungen auf den Fermentgehalt der Fäzes resp des Duo
denalmhäUes sind bisher bei der akuten Pankreatitis ebensowenig ge-
? ChcnW?rKd?n’ Wie bei der Pankreasnekrose, wo die Schwere des
Krankheitsbildes und die Verhaltung der Stuhlentleerung das ohne
a9USp.cJj iesse{n-, Hirschberg hat aber nach erfolgter
Fermente (AmtlJJ61 J t” ko.ni|en’ wo die anfangs verschwundenen
Fermente (Amylase und Trypsin) nach und nach wieder in den Fäzes
auftraten und normale Werte erreichten, während umgekehrt, ent¬
sprechend den Wohlgemuth sehen Experimenten, die Amylase im
Urin zuerst stark vermehrt war und später zur Norm zurückkehrte
Dieses ällmähhche Verschwinden der pathologischen Ausscheidungs-
verhaltmsse, welches mit dem Nachlassen der anfänglichen Steator-
rhoe und Kreatorrhoe gleichen Schritt hält, dürfte in Zukunft für die
h mgnose von Bedeutung werden. Ich will auch nicht unterlassen zu
bemerken, dass unter Umständen eine transitorische Glykosurie oder
dPr Anfall VHi ^ 1 der L o e w i sehen Reaktion (Adrenalinmydriasis)
im Anfall die Diagnose erleichtern können.
In therapeutischer Hinsicht wird bei sicherer Diagnose
immer zunächst die Frage des operativen Eingriffes erwogen werden
mn^ph' Wenn derselbe auch in der Regel — ich sehe hfer von den
mit schweren Allgemeinsymptomen einhergehenden Fällen ab — an
mm • * b,,zur Entspannung und Drainage des Pankreas, kaum je
indiziert ist, so wird er doch durch die Gefahr der Rezidive und
die Möglichkeit einer späteren Iebensgefähi liehen Nekrose nahegeleg?
praxi e.rhaIt deshalb, wenn gleichzeitig Cholelithiasis oder' Ulcus
duodeni als Ausgangsleiden nachgewiesen werden kann, die chi-
rurgische Behandlung dieses Leidens, wenn sie überhaupt angebracht
ist, durch die komplizierende Pankreatitis Unterstützung.
,Der u/kuten Pankreatitis in mancher Beziehung ähnlich, wenn
zuerst verschieden, sind die Zustände, welche ich
zuerst 1906 als Achylia pancreatica beschrieben habe Es
handelt sich ausschliesslich um Personen, welche an Sekretions¬
storungen des Magens (Achylia gastrica) mit davon abhängigen djs-
peptischen Storungen des Darmes, also an der sog. gastrogenen
Darmdyspepsie leiden. Im Verlaufe derselben, der sehr gewöhnlich
wechselnde Perioden der Besserung und Verschlechterung aufweist
hnden sich nicht selten auf der Höhe der Exazerbationen deutliche
Zeichen von Insuffizienz der paukreatischen Sekretion in den Fäzes*
Abgäng unvercläuter, meist schon mit blossem Auge erkennbarer'
Fleischstuckchen und vermehrte Fettreste bei Probekost oder einer
HPa °g(fnK verdaulichen Nahrung. Die naheliegende Vermutung,
dass dabei lediglich die zu schnelle Passage der Kontenta diese
Nahrungsreste m den Stuhl gelangen lässt, wird dadurch widerlegt,
dass nicht alle Kategorien von Nahrungsmitteln gleichmässig schlecht
verdaut werden, sondern ganz vorwiegend das Fleisch, und dass die
ftei|Cb,enf..,eme® Ka*arrhs, also einer primär zu beschleunigter Peri-
sUltik führenden Storung, fehlen. Neben dem Fleisch ist meist auch
JP. . Kcrnverdäuung: ^schädigt, so dass die Kernprobe positiv aus-
lallt, viel weniger in der Regel die Fettverdauung. Fett erscheint
zwar auch in unverdautem Zustande in den Fäzes wieder, aber
dann oft in Gestalt kleiner Fettklümpchen. Hierbei ist das Primuni
die mangelhafte Losung des Bindegewebes, das die Fettzellen ein-
scnliesst, eine Folge der fehlenden Magcnsalzsäure; Fett in Nadeln
und Tropfen kommt seltener vor. u 10
Dieser Stuhlbefund steht in einem gewissen Gegensatz zu dem
der akuten Pankreatitis, wo, wir wir sahen, die Störungen der Fett¬
verdauung uberwiegen. Um das zu verstehen, müssen wir uns er¬
innern, dass hier die Ursache des Ganzen in dem Ausfall der Magen¬
salzsaure, des Hauptstimulans der Trypsinausscheidung, gelegen ist
wahrend dort die Galle, der Aktivator des lipolytischen Fermentes!
1742
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
geschädigt ist. Ich habe daraus die Regel abgeleitet -—die natürlich
nicht die Bedeutung absoluter Gesetzmassigkeit haben soll d a ss
bei leichter Erkrankung der Bauchspeicheldrüse
der Charakter der p a n k r e a tischen S e kr e 1 1 o s s t o -
rung der auslösenden Störung gleichsinnig g
^Die Untersuchung auf Fermente ergibt bei Pankreasachylie völ¬
liges Fehlen oder doch sehr starke Verminderung in den Fäzes und im
Duodenalinhalt resp. im Mageninhalt nach Oelfruhstück. \ erschiedene
Autoren (Gross Matkou. a.) haben diesen Befund in den Vorder¬
grund gestellt und sprechen auch dann von Pankreasachylie. wenn
fed glich Fermentmangel ohne die Zeichen gestörter Nahrungsaus¬
nutzung besteht. Das ist unberechtigt: wenn bei fehlender Magen¬
salzsäure die Darmverdauung normal vor sich geht, so muss auch die
Pankreassekretion genügt haben, und wenn dabei kein überschüssige
Ferment iS die Fäzes gelangt, so kann man höchstens von einer an
der unteren Grenze des Normalen sich bewegenden Sekretionsgrosse
reden. Tatsächlich konnte Mat ko zeigen dass unter Eingabe von
HCl die Trypsinwerte der Fäzes gewöhnlich wieder in die Hohe
KI"KCFns fragt sich, ob den Fällen ausgesprochener Achylia pancreatica,
von denen i c h und Kashiwado, ferner K er n und W 1 e n er, so¬
wie neuerdings M o r a w i t z, eine Reihe typischer Falle veroffent-
Hcht haben, wirklich nur eine funktionelle Störung und nicht doch eine
leichte akute Entzündung der Drüse zugrunde liegt/ Anatomische Be¬
weise fehlen; wir sind also ausschliesslich auf die klinischen Merk¬
male angewiesen. Und da ist zu betonen, dass Schmerzanfalle und
Fieberbewegungen regelmässig fehlen und dass die Storung trotz ihrer
anfänglichen Heftigkeit fast immer unter geeigneter Behandlung, bei
der Spülungen des Magens resp. des Duodenums im Vordergründe
stehen, in kurzer Zeit sich ausgleicht. Bisher sind keine einwand¬
freien Beobachtungen von auf der Basis wiederholter derartig
Attacken entstandener chronischer Pankreatitis bekannt, und wir tun
deshalb gut, zunächst von einer funktionellen Schäd^ung zu sprechen,
obwohl wir damit rechnen müssen, dass unsere erweiterten Erfah¬
rungen uns später zu einer anderen Auffassung zwingen können,
rungen uns sp^ untedasse es> au{ die Pathologie der Pankreasste.ne,
der Zvsten und Karzinome näher einzugehen, da ihre Symptomato¬
logie, abgesehen von den ihnen eigentümlichen, seit langeni bekannten
Merkmalen sich im wesentlichen mit der der chronischen 1 ankreatitis
deckt und die Fortschritte in ihrer Behandlung lediglich technischer
NjtUDagegen möchte ich zum Schlüsse noch mit einigen Worten auf
,1 i e Beziehung en der Pankreaskrankheiten z u r G 1 y-
k0Surie und zum Diabetes ein gehen. Dass dlf.tQfyu°®S
wo sie vorhanden ist, die Diagnose sehr wesentlich stutzt, braucht
nicht betont zu werden. Leider liegt die Sache aber so dass sie
"erade bei den diagnostisch schwierigen Fallen, der akuten Pan¬
kreatitis und der Nekrose, sehr häufig vermisst wird, wahrend ml bei
der chronischen Pankreatitis in einem erheblichen Prozentsatz de
Fälle vorhanden ist, ohne aber dabei in der Häufigkeit ihres Vor-
kommens mit dem Grade der Induration der Druse parallel zu gehen.
Noch ungleichmässiger und deshalb diagnostisch vorläufig unverwert¬
bar sind bekanntlich die Ergebnisse der C a m midge sehen Reaktion
die auch heute in der Praxis kaum noch geübt wird. Theoretisch
ist sie immerhin interessant, da sie nach den sorgfältigen Unter¬
suchungen von P e k e 1 h a r i n g und vanHoogen hu y z e auf der
Ausscheidung von Dextrinen beruht, die als Vorstufe der Glykosurie
s„geSAehe„dwerden ka„|e|te ^ ^ ^ Diabetes Sym-
ctome welche auf Miterkrankung des azinösen Gewebes der Bauch¬
speicheldrüse hinweisen, gewöhnlich fehlen. Wo Kreatoi rhoe und
Steatorrhöe die Zuckerausscheidung begleiten, also 1C ’f.”
Pankreasdiabetes handelt cs sich um besondere Krankheitsbilder, die
auch in Bezug auf das Verhalten der Glykosurie vielfach von den,
gewöhnlichen Diabetes abweichen. , .
Es ergibt sich daraus, dass die äussere und die
innere Sekretion der Drüse in weitgehendem Masse
von einander unabhängig sind. Die innere Sekretion ist,
wie Sie wissen, von verschiedenen Seiten in Beziehung zu den
Langer h ans sehen Inseln gebracht worden, und es liegen in der
Tat eine Reihe von Erfahrungen vor. welche für einen derartigen
Zusammenhang sprechen. So bleiben bei der langsamen Atrophie der
Drüse nach Unterbindung der Ausführungsgänge die L an ge r bans -
sehen Inseln oft sehr lange intakt und dementsprechend fehlt die
Glykosurie. Beim Diabetes, dessen typisches Korrelat die Hanse¬
ln a u n sehe Granularatrophie ist, sind die Drüsenzellen nicht degene¬
riert wenn auch etwas verkleinert; dagegen weisen die Langer-
h ans sehen Inseln nach Weichselbaum und anderen zuver¬
lässigen Beobachtern doch recht häufig degenerative Veränderungen
verschiedener Art auf. Diesen Befunden stehen aber andere, sicher
konstatierte gegenüber, wo gerade das Inselgewebe besonders gut
entwickelt, beinahe hypertrophiert war; und es sind auch Falle von
völliger bindegewebiger Schrumpfung der Druse mit Einschluss der
Inseln bekannt geworden, in denen keine Glykosurie bestand.
Sicher besteht also keine Korrelation zwischen abnormen Be¬
funden an den Inseln und dem Vorkommen von Zucker im Urin, wie
etwa zwischen dem Zustande des Drüsengewebes und der ausseren
Sekretion Um über diese Schwierigkeit hinwegzukommen, hat man
zu verschiedenen Hypothesen seine Zuflucht genommen. So ist be¬
hauptet worden, dass die Inseln sich immer wieder neu aus dem
Drüsengewebe regenerieren können, woraus sich der Befund hyper¬
trophischer Inseln beim Diabetes erklären lassen wurde. Kürzlich las
ich dass ein französischer Autor in der Darmschleimhaut mstlartige
Zellkomplexe gefunden haben will, die er für versprengte Langer-
h ans sehe Inseln ansieht. Wenn das richtig ist so konnten aller¬
dings diese aberranten Zellkomplexe unter Umstanden das Zustande¬
kommen von Glykosurie trotz Degeneration des gesamten Pankreas¬
gewebe" verhüten. Endlich müssen wir aber auch wie beim azinösen
Gewebe mit funktionellen Störungen der Inseltatigkeit rechnen, und
diese Annahme gewinnt durch die neuen Erfahrungen über die W ech-
selwirkung der Drüsen mit innerer Sekretion eine Stutze.
Fs würde mich indessen zu weit führen, wenn ich auf diese
schwierigen Verhältnisse näher eingehen wollte. Ich muss mich
darauf beschränken, zu resümieren, dass wir ein anatomisches Kor¬
relat für die Störung der inneren Sekretion des Pankreas noch nicht
mit Sicherheit gefunden haben, und dass deshalb die Verwertung der
Glykosurie für die anatomische Diagnose nur bei gleichzeitigem Be¬
stehen von Störungen der äusseren Sekretion oder von anderen auf
das Pankreas hinweisenden Symptomen angängig ist.
Bücheranzeigen und Referate.
Die Brightsche Nierenkrankheit, Klinik, Pathologie und Atlas.
Von F Volh a r d und Th. F a h r. Mit 17 mehrfarbigen Abbildungen
im Text und 44 farbigen Tafeln. Berlin 1914. Springers Verlag.
Prei! "zil5ammeSfeabsse4ndeMklinische Darstellungen der Njerenkrankheiten
sind in den letzten Jahrzehnten kaum gegeben worden, und in den
Einzelveröffentlichungen haben experimentelle Untersuchungen und
solche über die Funktionsprüfung der Nieren stark uberwogen. Der
Frage nach dem anatomischen Substrat bestimmter k Kmsclier Krank
heitsbilder resp. Funktionsstörungen standen die meisten Bearbeiter
des ^ Nierengebietes gleichgültig gegenüber, weil sie von vornherein
annahmen, dass eine einheitliche morphologische Grundlage für d e
Störungen doch nicht fassbar sei. Diese Auffassung, an der die
m vprprn7 im Arbeitsgebiet des Klinikers und des pathologischen
Anatomen Schuld trug, führte zu einem fast absoluten Nihilismus m
der Auffassung und Einteilung der Nierenkrankheiten; und wenn auc
einzelne Kliniker diesen heute allgemein ausgesprochenen An¬
schauungen nicht beistimmten, und an einem kleinen Material den
Eindruck gewonnen hatten, dass aus der detaillierten h'stdogisdien
Untersuchung der Nieren sehr wohl ein Ruckschluss auf die Lnt
stehungsweise der Störungen möglich sein müsse, so hat doch bisli
keiner von ihnen konsequent in jahrelanger Arbeit die aus der Beob¬
achtung eines grossen Nierenmateriales sich ergebenden Fragen der
Bearbeitung^ unterzogen.hr haben mU jhreni Ss angelegten Werk
das Verdienst nach geraumer Zeit zuerst wieder an die Traddio
einer alten klassischen Zeit der Medizin angeknupft zu haben, in de.
die Sonderinteressen der Spezialgebiete noch nicht zu einer so weit¬
gehenden Trennung in pathologisch-anatomische und klinische * Be¬
trachtungsweise geführt hatten. Wenn das Werk Volhar ds schon
von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, eine besondere Bedeutung
weit über den Rahmen seines eigentlichen Themas hinaus gewinnt,
so ist es noch nach einer zweiten, mehr praktischen Seite hin als eine
Tat beachtenswert. An unseren Universitäten, die sieb als die Pflanz
statten der Wissenschaft kat exochen betrachten, fehlt es vielfach
am Zusammenarbeiten der einzelnen, durch Lehr- und Forschungs¬
interessen getrennten Institute. Der pathologische Anatom weiss oft
kaum, worauf es dem Kliniker ankommt und dem letzteren braucht
die Schlussdiagnose des Prosektors nicht immer als der Schlussstein
des durch langdauernde klinische Beobachtung aufgerichteten Ge
bäudes zu erscheinen. Der Direktor der grossen Mannheimer Kran¬
kenanstalten hat die verschiedenen Forscher dieser Institute ebenso
wie sich selbst vor eine gemeinsame grosse Aufgabe gestellt und er
hat sie, wie man wohl annehmen darf, mit einer gewissen eisernen
Konsequenz an der Aufgabe festgehalten. Vom diesem Gesichtspunkte
aus hat er sich die Mitarbeiterschaft eines der besten Kenner der
Nieren- und Qefässpathologie, F a h r s, gesichert, und dein Zusammen¬
wirken dieser beiden Forscher ist im wesentlichen das Resultat des
vorliegenden Werkes zu danken. Aber auch der physiologische
Chemiker der Anstalt, L e s s e r, hat, wie aus zahlreichen Bemer¬
kungen hervorgeht, mitgearbeitet, zum mindesten die chemischen
Arbeiten der mitwirkenden Assistenten überwacht.
Dadurch, dass Kliniker, pathologischer Anatom und Physiologe
an dem gleichen grossen Problem arbeiteten, ist eine sichere Gewähr
für die Zuverlässigkeit des Dargestellten gegeben, die das in den
Werke niedergelegte Tatsachenmaterial zu einem bleibend wert¬
vollen gestaltet, selbst wenn die an seine Beobachtung angeknupiten
theoretischen Schlussfolgerungen von der weiterschreitenden wissen¬
schaftlichen Forschung überholt sein werden. _
Die Einteilung der Nierenkrankheiten hat seit der Meraner
Naturforscherversammlung immer wieder die Forscher beschaitw-
Die alte Einteilung, die teils nach dem Verlauf, teils nach den
makroskopischen Aussehen der Niere bei der Sektion haupt¬
sächlich eine parenchymatöse und interstitielle Form unterschied, nai
sich längst als unhaltbar erwiesen. Auch die Einteilung nach der
4. August 1914.
MUENCHKNKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aetiologic hat nicht gehalten, was man von ihr erwartete. In
neuester Zeit ist es in der Klinik üblich geworden, einerseits ge¬
stützt auf gewisse tierexperimcntclle Beobachtungen, andererseits
in Anlehnung an französische Forscher nach der Funktionsstörung
zu klassifizieren. Diese Einteilung hat sich dem Referenten, wie ge¬
wiss auch manchen anderen Untersuchern als unzulänglich erwiesen.
Die von V o I h a r d und Fahr vorgeschlagene Einteilung kann man
als auf histogenetischer Grundlage basiert betrachten. Sie
unterscheiden :
A. Nephrosen, wobei diese von Friedrich Müller vor¬
geschlagene Bezeichnung auf einfache Epitheldegenerationen be¬
schränkt wird.
B. Nephritis.
1. Diffuse Glomerulonephritis.
2. Herdförmige Nephritis.
a) Herdförmige Glomerulonephritis.
b) Interstitielle Herdnephritis.
c) Embolische Herdnephritis.
C. Arteriosklerosen.
1. Die arteriosklerotische Niere.
2. Die (von V o 1 h a r d und Fahr sogenannte) Kombinations¬
form (die alte genuine Schrumpfniere).
Diese pathologisch-anatomische Einteilung unterscheidet sich von
der alten, z. T. heute noch gebräuchlichen dadurch, dass die Histo-
genese zur Grundlage gewählt wird — nicht das makroskopische
Aussehen der Nieren in ihrem Endzustand.
Eine solche Einteilung kann natürlich nur das Wesentliche
der einzelnen Prozesse zur Grundidee haben; in praxi müssen Misch¬
formen (beispielsweise der Nephrose und Nephritis) Vorkommen und
die Aufgabe des klinischen Untersuchers muss z. T. darin liegen, zu
unterscheiden, welche Symptome der einen, welche der anderen
morphologischen Schädigung entsDrechen. ■ Es wird sich erst all¬
mählich zeigen müssen, wie weit die in dem Werke niedergelegten
Schlussfolgerungen endgültig anerkannt werden können. Am schwie¬
rigsten dürfte die von V o 1 h a r d und Fahr gegebene Deutung und
Abtrennung der sogen. Kombinationsform sein; sie verstehen darunter
eine Krankheit, die bisher als genuine Schrumpfniere von der sekun¬
dären und arteriosklerotischen Schrumpfniere abgegrenzt worden ist.
Es ist bekannt genug, wie schwierig dem pathologischen Anatomen
die Differenzierung dieser Form der Schrumpfniere wird, und doch
ist jeder Kliniker von dem Bestehen einer Form überzeugt, die weder
als arteriosklerotische noch als sekundäre aufgefasst werden kann.
Die Autoren sehen das Wesentliche bei dieser Form der Schrumpf-
niere in „einem Prozess, der ursprünglich auf arteriosklerotischen
Veränderungen der kleinen Nierengefässe beruht, und der sich weiter¬
hin mit entzündlichen Prozessen kombiniert.“ Es wird Aufgabe der
Nachuntersuchung sein, diese neue Anschauung durch Beibringung ge¬
eigneten Materials auf seine Berechtigung zu prüfen.
Die klinische Untersuchung der einzelnen Formen leitet
V o 1 h a r d hauptsächlich aus dem Verhalten des Blutdruckes
und aus der Nierenfunktionsprüfung ab. Blutdrucksteigerung bezieht er
regelmässig auf diffuse Erkrankung des Nierengefässapparates. In der
Wassersucht sieht er den Ausdruck der Epitheldegeneration;
f>e kann bei reinen Nephrosen, aber auch bei Nephritiden Vorkommen.
Db Nephrose oder Nephritis vorliegt, wird wiederum nach dem Ver¬
halten des Blutdruckes unterschieden. Da bei den Nephrosen der
Nierengcfässapparat intakt ist, fehlt hier die Blutdrucksteigerung,
während er bei diffusen Nierenerkrankungen infolge allgemeiner
Schädigung der intrarenalen Gefässe erhöht ist. In ähnlicher Weise
wird differentialdiagnostisch das Vorkommen oder Fehlen von Hämat¬
urie, die gestörte Konzentrationsfähigkeit der Nieren u. a. m heran-
gezogen. Sehr richtig erblickt Volhard in der Konzentrations-
unfahigkeit den Ausdruck für die „Ausschaltung eines grossen Teiles
der sekretorischen Elemente“. Diese kann daher sowohl im End-
stadium der Nephrosen („nephrotische Schrumpfniere“) im Endsta¬
dium der „Kombinationsform“, als auch bei der echten Nephritis Vor¬
kommen; unterschieden werden diese 3 Formen wiederum nach dem
' erhalten des Blutdrucks in der Herzhypertrophie.
In ähnlicher Weise werden die anderen klinischen Symptome
zur Stellung der, wenn man so sagen darf, histologischen Nieren-
üiagnose herangezogen.
Es ist klar, dass nach der kurzen Zeit, die seit dem Erscheinen
des V o 1 h a r d - F a h r sehen Werkes verstrichen ist, eine eingehende
Bewertung und Kritik der einzelnen als differentialdiagnostisch wich¬
tig angegebenen Momente noch nicht möglich sein kann; sicher ist
aber, dass schon allein die Diskussion der hier aufgeworfenen Fragen
ausserordentlich fruchtbringend sein muss. Ob wirklich, um einige
Beispiele anzuführen, die ausschliessliche Beziehung der „renalen“
Wassersucht auf die Epitheldegeneration das richtige trifft, muss erst
noch genauer geprüft werden. Das extrarenale Moment scheint dem
Referenten nicht genügend gewürdigt. Auch die Frage der retini-
tischen Veränderungen und ihre diffcrentialdiagnostische Bewertung
verdient eine eingehendere Prüfung; vor allem aber wird zu unter¬
suchen sein, ob bei der „Kombinationsform“ (= genuine Schrumpf-
mere) „die Blutdrucksteigerung und Herzhypertrophie“ gesetzmässig
„schon lange vor dem Auftreten der entzündlichen Komponente be¬
standen haben“.
W*e a^er auch alle diese und andere aufgeworfene Fragen in
Zukunft beantwortet werden mögen, sicher ist, dass das Werk in
dem Gebäude der Nierenpathologie, wie die Autoren gewünscht
naben, einen sehr brauchbaren Baustein darstellt, der von allen be¬
rücksichtigt werden m u s s, die zur Nierenpathologie Stellung zu
nehmen haben, und das werden in gleicher Weise pathologische
Anatomen wie Kliniker sein.
— -J?Uch’ 1135 dem Mannheimer Aerzteverein zur Feier seines
fünfzigjährigen Jubiläums gewidmet ist, ist in mustergültiger Weise
von der Verlagsbuchhandlung mit zahlreichen prachtvollen Tafeln und
lextfiguren ausgestattet; es ist in seiner Reichhaltigkeit ein fast un-
entbehrliches Demonstrationsobjekt für den klinischen Unterricht ge-
worden. Seine Entstehung verdankt es der konsequenten Verfol¬
gung eines Vorgesetzten wissenschaftlichen Zieles, und es ist damit
ein bleibendes Denkmal für seine Bearbeiter wie auch für die Lei¬
stungskraft unserer aufstrebenden städtischen Krankenanstalten, auch
in wissenschaftlich-theoretischer Beziehung geworden.
Erich Meyer- Strassburg i. E.
i. a Mcdi-Zinai1Trat Rr' *!• Grassl: Der Geburtenrückgang in Deutsch-
müi m-u6 U^ ierUun-d seine Bekampfung. 166 Seiten. Kempten
und München 1914. Preis 1 Mark.
Grassl nimmt hier in seiner bekannten temperamentvollen,
warmherzigen und originellen Art Stellung zu der wichtigsten Le-
bensfrage unseres Volkes. Er gibt zunächst eine populäre Einleitung
über die allgemeinsten Voraussetzungen der Rassenhygiene, wobei
er^,Uru.dlf.El.xlstenz e*nes »»Muttertriebes“ im Unterschied vom Ge-
schlechtstrieb eintritt, meines Erachtens mit vollem Recht. Wo nach
zehnjährigem Bestehen einer Ehe nicht wenigstens drei lebende Kinder
vorhanden seien, handle es sich um eine krankhafte Erscheinung,
die allerdings auch sozialer Natur sein könne bei voller Gesundheit
der individuellen Instinkte. Es folgt eine Darstellung der tatsäch-
jenen Furchtbarkeit in alter und neuer Zeit mit besonderer Berück-
sichtigung Bayerns. Der Einfluss des Heiratsalters, der Wande¬
rungen des Volksaufbaues werden kurz behandelt. Unter den Ur¬
sachen des Geburtenausfalls wird dem Einfluss der Rasse keine Be¬
deutung zuerkannt, wohl aber dem Wohnungs- und Siedlungswesen
zumal dem städtischen. Der Lehre von der kompensierenden Wir-
kung des Rückganges der Säuglingssterblichkeit wird mit erfreulicher
Bestimmtheut entgegengetreten, ebenso der Behauotung von der
Guahtatsverschlechterung durch hohe Geburtenzahl. „Die jetzige
Iheorie des kleinsten Volksumsatzes, die offiziell anerkannt ist, ist
falsch Sehr treffend ist die Darstellung des Einflusses der Frauen-
arbeit „Jede Arbeit, die die Frau von der Familie wegführt, be¬
schrankt die Kinderzahl." Auch die Charakterisierung der bürger¬
lichen Frauenbewegung scheint mir leider durchaus zutreffend zu
sein: „Die deutsche Frau drängt entschieden von der Familie fort und
da, wo sie freiwillig in die Bande der Familie sich begibt, engt sie
diese ein.' Der Machtwille der Dame* und ihr Einfluss ist richtig
erkannt. Die Zerstörung der Familie, der Einfluss des Wohlstandes,
der Religion und Sitte finden ihre Würdigung. Die Folgen werden
schwarz gemalt, aber schwerlich zu schwarz.
In dem Kapitel über die Abhilfe wird als das zur blossen
Lrhaltung notige Minimum von Kindern die Zahl von 3,3 pro Mutter
berechnet. Die Mittel müssen sich nach den Ursachen richten Die
Hauptursache der beginnenden Entvölkerung Deutschlands liegt” bei
der Frau. Das unterschreibe ich restlos; ebenso die Folgerung: „Die
vollfruchtige Mutter muss den Mut des Bekennens haben!“ Neben
der inneren Erneuerung werden mit Recht grosszügige Wirtschafts¬
formen verlangt. Man soll sich keine Illusionen ' machen: „Das
Zweikindersystem ist das Völkermorphium“. Fast denselben Satz
schrieb Ref. vor einigen Jahren.
Schliesslich möchte ich mich, obgleich mit weniger Hoffnung, dem
: chlusssatze (irassls anschliessen: „Mögen wir noch den Tag er¬
leben, an dem wir sagen können: Das deutsche Volk hat seine
Zukunft gesichert. ‘ Fritz L e n z
n. oCtieienz: Shakespeare und sein Wissen auf den Gebieten
der Arznei- und Volkskunde. I. Verlag von L. V o s s, Leipzig-Ham¬
burg, 1914. 328 S. Preis: brosch. 8. — M„ geb. 9. _ M.
Bßr durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der Geschichte der
Medizm und besonders auf dem der Pharmazie wohlbekannte For-
scher hat uns wieder ein neues, prächtiges Werk geschenkt. Dass
man bei Shakespeare auf vieles in die Medizin Einschlagende stossen
muss, ist wohl jedem, der Shakespeare aufmerksam gelesen hat, be-
kannt. Verf hat sich nun der grossen Mühe unterzogen, alles Dies-
bezügliche, das in den einzelnen Werken des Dichters zerstreut war,
zu sammeln, zu sichten und uns in einem Werke vorzulegen. Er führt
uns die Aeskulapjünger in Shakespeares Werken in all ihrem Tun
O Jrc‘.ben yor; Wir erfahren, wie der Dichter über Syphilis und
1 rostitution denkt, und zugleich auch, wie seine Zeit sich diesen
beiden Faktoren gegenüberstellte. Dass Alchemie und Pharmazie
ihrer Bedeutung nach zu trennen sind, wurde von dem Dichter wohl
erkannt. Interessant ist, welche grosse Kenntnis Shakespeare von
der Chemie und ihren Mitteln für die damalige Zeit hatte. In seinen
Werken finden sich eine Menge Heilstoffe aufgeführi. deren Wirkung
ihm sehr gut bekannt war. So konnte Verf. ein eigenes Kapitel über
schlaf- und todbringende Mittel aus den Werken des Dichters zu-
sammenstellen. Ueber Brauwesen, überhaupt über den Alkohol fin-
•l S1.c*i vieles in Shakespeares Dichtungen. Dadurch, dass Verf.
sich nicht mit der Anführung des rein Medizinischen aus den Werken
1744
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
des Dichters begnügte, sondern auch die Oesamterscheinungen des
ganzen damaligen Lebens in den Rahmen seiner Arbeit mit einbezog,
ganz abgesehen von den reichen medizinhistorischen Reminiszenzen
in seiner Abhandlung, ist das Werk nicht nur dem Mediziner, sondern
auch dem Kulturhistoriker von Interesse. Die fliessende ^prache, der
gute Stil machen das Lesen des Werkes zu einem Oenuss.
Schönpier - München.
Hugo Müller- Dahlem: Die Misserfolge in der Photographie
und die Mittel zu ihrer Beseitigung. (Photographisches Fehlerbuch.)
I. Teil: Negativverfahren. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage.
Enzyklopädie der Photographie. Heft 7. \ erlag von Wilhelm
Knapp, Halle a. S! 1913. Preis 2 M. .. ,
Ein lehrreiches und empfehlenswertes Buch, das in erschöpfender
Weise die Ursachen der Fehler, die beim Photographieren gemacht
werden können, bespricht und Mittel für ihre Beseitigung oder Ver¬
meidung angibt. Oberndorfer.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle
Therapie. 21. Band, 1.— 5. Heft. Festschrift für Ehrlich
und Behring. (Auswahl.)
Paul H. Römer und H. Viereck: Das Verhalten des Anti¬
toxins im anaphylaktischen Tier.
Bekanntlich sieht Eriedberger als die Muttersubstanz des
Anaphylaxiegiftes das Antigen der Vorbehandlung an, das durch den
Antikörper unter Vermittlung des Komplements gespalten wird.
Wenn das richtig ist — bisher wird es von einigen Seiten immer
noch bestritten — , so muss das eingespritzte Antigen bei vorbehan-
delten Tieren schneller abgebaut werden, als bei erstmals gespritzten
Tieren. Um das einwandfrei fcstzustellen, haben die Verfasser
Diphtherieantitoxin benützt, das sich bei Meerschweinchen genau
quantitativ im Blute nachweisen lässt. Es liess sich in der Tat fest¬
stellen, dass in allen Fällen in den Blutproben der vorbehandelten
Tiere weniger Antitoxin nachzuweisen war, als in den der nicht
vorbehandelten, bei selbstverständlich genau gleichzeitiger Blut¬
entnahme nach der Reinjektion.
Hirschfeld und R. K 1 i n g e r - Zürich: Ueber das Wesen
der iiiaktivierung und der Komplementbindung.
Aus der an wertvollen Tatsachen und Ausblicken reichen Arbeit
sei nur das wichtigste hervorgehoben: Aktives Serum, das mit physio¬
logischer NaCl-Lösung geschüttelt wird oder, mit destilliertem Wasser
verdünnt, längere Zeit steht, wird durch eine Labilisierung der
Eiweisskolloide und sekundäre Ausfüllung von Globulinen trübe und
gibt die Wassermann sehe Reaktion. Diese Eigenschaft ist aber
nicht an die Trübung als solche gebunden, da sie auch nach Ab¬
zentrifugieren derselben bestehen bleibt. Da im inaktiven Serum
diese Veränderungen nicht auftreten, so wird das Wesen der In¬
aktivierung als eine Stabilisierung der Globuline aufgefasst. Auch
die anderen Eingriffe in das Serum, die ihm eine antikomplementäre
Eigenschaft verleihen, wie Zusatz von Bakterien, korpuskulären Be¬
standteilen etc. müssen auf eine Labilisierung der Globuline zurück¬
geführt werden. Da bei der Inaktivierung auch noch andere Eigen¬
schaften des Serums verloren gehen, so schliessen die Verfasser
daraus, dass das Serum diese Funktionen nur dann ausüben kann,
wenn seine Kolloide einen gewissen Grad von Labilität aufweisen.
Damit fällt die Notwendigkeit, eine thermolabile Substanz anzu¬
nehmen. Die Theorie, welche in einer primären oder sekundären
Zustandsänderung der Globuline die Ursache der Wassermann-
schen Reaktion erblickt, gewinnt hierdurch an Wahrscheinlichkeit.
Walter W e i s b a c h - Freiburg: Zur Theorie der Salvarsan-
wirkung. , , ,, , ,.
Verf. konnte nachweisen, dass im hämolytischen Versuche die
Sensibilisierung der roten Blutkörperchen durch Zusatz von Salvarsan
in sehr kleinen Dosen beschleunigt wird. Er schliesst daraus, dass
das Salvarsan nicht nur auf die Funktion der Parasitenzelle, sondern
auch auf die Funktion von Körperzellen und -fiüssigkeiten einen Ein¬
fluss ausüben kann im Sinne Uhlen huths, dergestalt, dass, auch
eine höhere aktive Beteiligung der Körperzellen und Säfte dabei eine
Rolle spielt. , _ .
W. G. Ruppel und K. Joseph: Das Verhalten des Tuber¬
kulins im tuberkulösen und nichttuberkulösen Organismus.
Seit den Zeiten Kochs ist die Einwirkung des Tuberkulins auf
den unberührten Organismus immer wieder Gegenstand der Unter¬
suchung gewesen. Erst die Untersuchungen von Schreiber,
Schloss mann u. a. haben zur Evidenz ergeben, dass selbst
grösste Dosen auf den menschlichen Säugling ohne jede Wirkung
sind. Trotzdem aber hat man sich über die Reaktion des normalen
Tieres auf Tuberkulin nicht einigen können. Die Verfasser weisen
nun nach, dass die Giftwirkungen, die von verschiedenen Autoren
bei Meerschweinchen festgestellt wurden, in den meisten Fällen nicht
spezifischer Natur waren. Tote intakte Tuberkelbazillen rufen bei
Meerschweinchen nach subkutaner Einspritzung und bei Kaninchen
nach intravenöser Einverleibung keine akuten Intoxikationen hervor,
ebensowenig zerriebene Bazillen. Die chronischen, zum Tode
führenden Vergiftungserscheinungen abgetöteter Tuberkelbazillen bei
normalen Tieren können als Fremdkörperwirkung und als Folgen der
von ihnen bewirkten anatomischen Veränderungen erklärt werden.
Wässerige Auszüge aus aufgeschlossenen Bazillen können aber auch
normale Tiere töten, jedoch erst in einer Dosis, die 500 mal grösser
ist, als die für tuberkulöse Tiere letale Dosis.
F. N e u f e I d und E. B ö c k e r - Berlin: Ueber die Wirkung des
Salvarsans auf Hühnerspirochäten in vivo und in vitro.
Auch diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob das Sal¬
varsan direkt bakterizid wirkt. Die Verfasser konnten bei Huhner-
spirochäten ebenso wie in vivo, auch in vitro eine deutlich lähmende
und abtötende Wirkung des Salvarsans noch in starken Verdünnungen
wahrnehmen, wenn die Wirkung auch recht langsam vor sich ging.
Sie halten sich daher für berechtigt, eine direkte spirillozide Eigen¬
schaft des Salvarsans anzunehmen.
P. U h 1 e n h u t h und R. Seyderhelm - Strassburg: Experi¬
mentelle Untersuchungen über den Einfluss elektrischer Schwach¬
ströme auf Trypanosomen in vitro und in vivo.
Es ist den Verfassern gelungen, Trypanosoma equiperdum in
vitro mittels eines elektrischen Schwachstroms von 15 Milliamperes
jn io — 20 Minuten abzutöten. Unter dem Mikroskop lässt sich der
schädigende Einfluss des Stromes schrittweise verfolgen. Aehnlich.
aber etwas resistenter verhielt sich das Trypanosoma Lewisi.
Weiter konnten sic durch untertödliche Dosen des elektrischen
Schwachstroms die Trypanosomen so beeinflussen, dass ihre ln-
fcktionskraft herabgesetzt wurde. Ist durch die Wirkung des ^ troms
eine grössere Anzahl von Trypanosomen zum Absterben und zur
partiellen Auflösung gebracht, so enthält die Aufschwemmung ein
für Mäuse deletäres Gift. Offenbar wird durch die eigenartige
elektrolytische Spaltung der Leibessubstanz der Trypanosomen ein
in ihr enthaltenes Gift frei. Auch in vivo gelang die Abtötung, aller¬
dings nur in relativ beschränktem Masse. Das Hinterbein einer
hochgradig infizierten Ratte wurde unterbunden und ein elektrischer
Schwachstrom von 15 Milliampere 20 Minuten quer durch das ganze
Bein geschickt. Nach dieser Zeit waren die 1 rypanosomen abge¬
storben und schwammen bewegungslos im Präparat. Die Behand¬
lung ganzer chronisch infizierter I iere hatte jedoch keinen eindeutigen
Erfolg.
C. M o r e s c h i - Pavia: Ueber antigene und pyrogene Wirkung
des Typhusbazillus bei leukämischen Kranken.
In einem Falle von Leukämie mit hinzugetretener Typhus¬
infektion ist dem Verf. das gänzliche Fehlen von Agglutininen in dem
Blutserum des Kranken aufgefallen. Er ist dieser Erscheinung nach-
gegangen und hat im Laufe von 2 Jahren an 8 Fällen von Leukämie
nachweisen können, dass diese Patienten auf intravenöse Injektion
von Typhusvakzin weder, wie sonst gesunde, mit hohem Fieber noch
auch mit der Bildung von erheblichen Antikörpern reagieren. Für
diese auffallende Tatsache zieht er zwei Hypothesen heran. Einmal
könnte die übermässig grosse Anzahl an zirkulierenden Leukozyten
denjenigen Orten, welche die Antikörper erzeugen, das Antigen ent¬
ziehen oder es wesentlich verändern, bevor es zu ihnen gelangt.
Oder die antikörperbildende Tätigkeit der hämatopoetlschen Organe
ist durch den leukämischen Prozess beeinträchtigt.
H. Braun und M. F e i 1 e r - Frankfurt: Ueber Serumfestigkeit
des Typhusbazillus. ,
Nach der Ehrlich sehen Entdeckung der serumfesten 1 rypano-
somenstämme und ihrer Kultivierungsmethoden ist man auch der
Serumfestigkeit der Bakterien, die schon früher nicht unbekannt war,
näher getreten. Wegen der Widersprüche, die auf diesem Gebiete
herrschen, haben die Verfasser einen Stamm systematisch unter ver¬
schiedenen Bedingungen in sehr langen Reihen weiter gezüchtet und
sind dabei zu folgenden hauptsächlichen Resultaten gekommen:
Durch Züchtung in aktivem normalem Kaninchenserum erwerben die
Typhusbazillen eine Festigkeit gegen die bakterizide Serumwirkung,
geprüft im Plattenversuch nach N e i s s e r und Wechsberg. Da¬
gegen erweist sich der in inaktivem normalen Kaninchenserum ge¬
züchtete Bazillus den bakteriziden Serumwirkungen gegenüber
ebenso widerstandslos wie sein in künstlichen Nährmedien gezüch¬
teter Ausgangsstamm. Dasselbe Verhalten zeigte die Züchtung in
inaktivem Immunserum. Daraus geht hervor, dass es nicht allein
der Immunkörper ist, der die Entstehung der Serumfestigkeit ver¬
anlasst. sondern mindestens ebenso sehr das Komplement. Ferner
geht aus der weiteren Tatsache, dass der so veränderte Stamm auch
gegen wirksames normales Meerschweinchen- und Menschenserum
fest ist, hervor, dass diese Festigkeit nicht auf spezifischer Basis
beruht. Das Erwerben der Bakterizidiefestigkeit steigert aber die
Virulenz der Typhusbazillen nicht.
M o 1 d o v a n - Wien: Ueber die Wirkungsart des Atoxyls, des
Salvarsans und des Menschenserums bei der experimentellen Nagana-
infektion.
Verf. glaubt in die immer noch nicht genügend geklarte lat-
sache, dass Atoxyl und Salvarsan trotz ihrer eminenten Heilkraft
in vitro selbst in hohen Konzentrationen die Trypanosomen nicht
abzutöten vermögen, neues Licht gebracht zu haben. Weder die
Ehrlich sehe noch die Uhlenhuth sehe Anschauung trifft das
richtige. Tatsächlich werden die Medikamente unverändert von den
Parasiten aufgenommen; und in ihrem eigenen Leib bilden sie selbst
durch Reduktion das tödliche Gift. Die Wirkungslosigkeit im
Rcagenzglase erklärt sich einfach dadurch, dass sie dort für den
Reduktionsprozess nicht die genügende vitale Kraft und die nötige
Intensität des Stoffwechsels haben.
L. Saathoff - Oberstdorf.
||. August 191*4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1745
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 128 Bd., 1.— 2. Heft.
Oskar Wied hopf: Die Splanchnoptose und ihre Behandlung.
Aus der chirurgischen Klinik zu Heidelberg.)
Die Auffassung der Splanchnoptose als einer Organsenkung in-
tlge einer Erschlaffung des Aufhängeapparates“ zeitigte die
ahlreichen fixierenden Operationsmethoden, deren Erfolge wie
erf. zeigt, höchst unsicher sind. Es ist das die Folge der Annahme
nes unrichtigen ätiologischen Faktors: Nach neueren Anschauungen
hiss die Aetiologie der Splanchnoptose in der Störung des Gleichge-
ichtes zwischen Volum und Inhalt der Bauchhöhle — relative Volum-
ermchrung — gesucht werden. Dementsprechend soll die Therapie
itweder für Vermehrung des Inhaltes sorgen — Mastkur — oder
is Volumen vermindern — Kräftigung der Bauchmuskulatur, Bauch¬
inden, Operation an der Bauchwand (D e p a g e, Heidenhain,
lose, C u m s t o n), Beckenbodenplastik — . Endlich empfiehlt
erfasser ein Verfahren, das durch Doublierung der hinteren Rektus-
:heide das Volumen wesentlich verkleinert. Die Organopexien sind
ifzugeben.
v. Saar: Zur Behandlung der Fractura humeri supracondylica
itteis Gelenkautoplastik. (Aus der chirurgischen Universitätsklinik-
Innsbruck.)
v. S a a r beschreibt 6 Fälle ‘von schweren suprakondylären
umerusfrakturen (Extensionstyp), bei denen durch Freilegung der
ruchstelle, Auslösung des peripheren Fragments und Verkeilung mit
mi proximalen Fragment in geeigneter Stellung („Gelenkautoplastik
ex er) durchweg ein ausgezeichnetes Resultat erzielt wurde
ichtig dabei ist die sorgfältige und vollständige Auslösung des
igünstig dislozierten Humerusfragments und eine lange Nachbe-
indlung.
0. M. Chiari: Ueber die Heilungsresultate von Unterschenkel-
uchen. (Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Innsbruck)
Nachprüfung der von 1903—1912 an der chirurgischen Klinik in
nsbruck behandelten Unterschenkelfrakturen (teils durch Nachunter-
chung teils durch Beantwortung eines Fragebogens) ergab, dass
>n 117 Patienten (nach Abzug der komplizierten Frakturen)
.6 Proz. beschwerdefrei waren. 14,6 Proz. leichte Beschwerden
tten. 6,8 Proz. ein schlechtes Resultat darboten. Die Patienten
tstammten grösstenteils der ländlichen Bevölkerung und waren
:ht Unfall versichert. Es zeigt sich im Vergleich mit" anderen Sta¬
tiken. dass der Prozentsatz der völlig beschwerdefreien Patienten
>vas grösser ist, als der an Unfallversicherten ermittelte Satz von
dienten mit völliger Erwerbsfähigkeit; es zeigte sich ferner, dass
iall\ ersicherte Patienten schwerer ihre Frakturenbeschwerden los
■:rden, als Nichtversicherte.
F de Quervain: Zur Diagnose der erworbenen Dickdarm-
: ertikel und der Sigmoiditis diverticularis. (Aus der chirurgischen
iversitätsklinik Basel.)
Beschreibung von 3 Fällen von Divertikulitis des Colon sigmoi-
um, von denen 2 Fälle akut, einer chronisch verlief. Es gelang in
•n chronischen Fall bei einem 61jährigen Mann, der nach seinen
mptomen wegen Verdacht auf Magenkarzinom der Klinik über-
esen wurde, sehr schön nach Kontrastbariumeinlauf die Divertikel¬
dung der Flexura nachzuweisen. Die Operation — Transverso-
moideostomie — brachte ergiebige Besserung. Der erste Patient
1 n unter dem Bilde der diffusen Peritonitis zur Operation- die
topsm zeigte zahlreiche entzündete Divertikel am S romanum
r 3. Patient wurde mit Peritonitis operiert, Exitus später an
tigenembohe, bei der Autopsie fand sich ein perforiertes Divertikel,
die Peritonitis hier im Zusammenhang steht mit einem unter hohem
icke verabfolgten Bariumklysma, bleibt dahingestellt. Die Fälle
gen, dass an Divertikulitis sigmoidea bei Funktionsstörungen des
omanuin älterer Leute gedacht werden muss. Bei tieferem Sitz
d die Diagnose rektoskopisch zu stellen sein; die Divertikulosis
in nach teilweiser Entleerung des Kontrastklysma im Röntgenbild
teilt werden, die Entzündung (Divertikulitis) zeigt mangelhafte Fiil-
g des S romanum.
Roll mann: Pancreatitis acuta. (Aus der chirurgischen Ab-
mng der Huyssens-Stiftung in Essen.)
Bericht über 12 Fälle von Pancreatitis acuta, darunter eine
■udozyste der M o r i a n sehen Abteilung. 7 der Fälle genasen.
'■]' " tritt ,ein f,ur ausgiebige Spaltung der Pankreaskapsel; bei
telbildung bewährten sich sehr die Wohlgemuth sehe Diät
hohe Natr.-bicarb.-Gaben.
Karl Sal vetti: Ueber den Einfluss der Röntgenstrahlen auf die
'hing der Knochennarbe.
Histologische Untersuchungen über Beeinflussung von Fraktur-
;ung durch Röntgenstrahlen (fehlt genaue Dosierung und Angabe
r Kohrenharte. Ref.) am Kaninchenknochen. Die Befunde zeigen
;n nachteiligen Einfluss: grössere Produktion von Knorpelzellen,
>sere Beständigkeit derselben, Schmächtigkeit der Knochenbälk-
^us der Tatsache jedoch, dass die Bestrahlung auch eine
Jssere Ablagerung von Kalksalzen“ erzeugte, glaubt Verf. die Be-
!oKU1lKii er u en zu dürfen, in der „letzten Bildungsphase“ des
' suchen3 US be‘ mangeIhafter Verknöcherung die Bestrahlung zu
0. Walbaum: Zwei Fälle von Abrissbruch des Trochanter
Beide FäHe bei 12 und 15 jähr. Kindern — ereigneten sich bei
eiiem vorwärtslaufen beim I umspiel, ihr Mechanismus ist der¬
selbe wie in den Fällen von Feinen und Vor schütz. Die er-
schiedenheit der Fälle bezüglich der Symptomatologie erklärt Verf.
dadurch, dass der Psoas mit der Spitze des Troch. min. getrennt ab-
reissen kann bei intaktem Ansatz des Iliakus. Die Behandlung .ein-
tac he Lagerung des Beines. in Beugung und Aussendrehung — führte
in kurzer Zeit zur Heilung.
B. Brand: Zur Kasuistik der Coxa valga. (Aus der chirurgi¬
schen Universitätsklinik in Utrecht.)
, J?'? Röntgenbilder von 2 Patienten, welche keine Beschwerden
der Valgität des Schenkelhalses empfanden, bis kurze Zeit vor der
Aufnahme in die Klinik, zeigten einen Bruch des oberen Azetabulum-
randes, eine gleiche Beobachtung von K u m a r i s.
B ehrend und Bauchwitz: Ein Beitrag zur Prothesen¬
bildung nach Unterkieferresektion.
Die Prothesenbildung wurde nötig nach Sequestrotomie infolge
einer Unterkieferosteomyelitis: der Sequester erstreckte sich von der
Hälfte des Ram. mand. dext. bis ungefähr zur Mittellinie. Ueber die
Prothese vergl. das Original.
Hans Lindenburg: Zur Statistik der operativen Dauer-
h.®!.Iu,!^en öes Mammakarzinoms. (Aus der chirurgischen Univer¬
sitätsklinik zu Rostock.)
Von 1901 bis Ende 1910 wurden an der chirurgischen Klinik zu
Rostock unter Müllers Leitung 183 Fälle von Mammakarzinom
operiert und zwar seit 1904 nach Rotters Vorgehen: Wegnahme
dei erkrankten Mamma mit dem Inhalt der Achselhöhle und beiden
Brustmuskeln. In 14 Fällen wurden Supraklavikulardrüsen ausge-
raumt. 13 Fälle (7,1 Proz.) sind im Anschluss an die Operation
gestorben. Von 176 Patienten war zuverlässige Nachricht zu be¬
kommen: Es lebten nach 3 Jahren rezidivfrei 32,7 Proz., nach 5 Jahren
7/ ,weiter ze'Kte sich, dass bei Operation im I. Stadium
J 3 Wahrscheinlichkeit der Heilung besteht, während die Aussichten
im II. Stadium unter %, im III. Stadium auf Via und im IV. Stadium
(Erkrankung der Supraklavikulardrüsen) auf 0 sinken. Der Skirrhus
bietet für die Dauerheilungen die günstigsten Chancen. Ein Vergleich
mit den Resultaten der Vorgänger Müllers zeigt, dass die Ur¬
sachen der besseren Resultate wahrscheinlich der besseren Technik
zu suchen ist.
Carl Deutschländer: Beitrag zur Verpflanzung ganzer
Kniegelenke. (Aus der Privatklinik von Deutschländer in
Hamburg.)
Bei dem 13 jährigen Patienten waren nach Arthrodesen der
Kniegelenke wegen schwerer spinaler Kinderlähmung schwere De¬
formitäten im Sinne der Beuge- und Valgusstellung entstanden. Auf
der einen Seite Korrektur durch Osteotomie wegen der vollständigen
Lähmung der Muskulatur, auf der anderen Seite wurde wegen der
noch erhaltenen Funktion eines Teiles der Muskulatur eine Kniege¬
lenktransplantation ausgeführt; als Spender diente ein 4 jähr. Knabe
mit völliger Lähmung der Kniemuskulatur. (Die Intermediärknorpel
bleiben dem Spender erhalten.) Es entwickelte sich eine Verschie¬
bung des Tibiaknorpels und Nekrose der Gelenkkapsel, so dass
schliesslich eine, wenn auch wenig bewegliche Pseudarthrose ent¬
stand, die für spätere Nachoperationen zur funktionellen Besserung
Aussicht gewährt. Den Misserfolg schiebt Verf. auf die Erhaltung
von alten Partien der Gelenkkapsel des Empfängers und Mitüber¬
pflanzung von Gelenkkapsel.
L. Hei den ha in: Neue Instrumente. (Aus der chirurgischen
Abteilung des städtischen Krankenhauses zu Worms.)
1. Eine Tuchklammer. 2. ein Gallensteinfänger, 3. ein Handgriff
für die Schutzhülse des Elektromotors, 4. eine kegelförmige Fräse.
L. Heidenhain: Kreislaufstörungen. (Aus der chirurgischen
Abteilung des städtischen Krankenhauses zu Worms.)
H. empfiehlt zur Infusion bei Kreislaufschwäche der Kochsalz¬
lösung neben dem Adrenalin Pituitrin zuzusetzen (10 Tropfen Supra-
renin, 1 ccm Pituitrin pro Liter). Empfehlung von intramuskulärer
und intravenöser Strophanthininjektionen zur Erzielung schneller Wir¬
kung bei Myodegeneratio cordis speziell vor Operation. Bei Oedemen
ohne Einfluss von Digitalis wirkt das Cymarin intramuskulär injiziert
ausgezeichnet. Flörcken - Paderborn.
Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. B r u n s.
92. Band, 4. Heft. Tübingen, Lau pp, 1914.
Die dem Eppendorfer Krankenhaus zum 25 jährigen Jubiläum ge¬
widmete Festschrift von früheren und jetzigen Aerzten der Anstalt
stellt ein beredtes Zeugnis der enorm ausgedehnten chirurgischen
Tätigkeit der grössten chirurgischen Abteilung und des in derselben
herrschenden wissenschaftlichen Geistes dar.
Prof. H. K ü m m e 1 1 schildert zunächst das neugestaltete Ope¬
rationsgebäude des Eppendorfer Krankenhauses und schildert an der
Hand von Abbildungen und Plänen die Operationssäle und Labo¬
ratorien etc. dieses Hauses.
Scholz referiert über das Narkotisieren ängstlicher Menschen,
schildert die Vorteile, die das 20. Jahrhundert mit der allgemeinen
Einführung der Tropf- und Mischnarkose, den Sauerstoffapparaten,
der intravenösen Narkose, der Kombination von Morphium und
Skopolamin gebracht, die die Gefahren der Narkose wesentlich
vermindern, an Narkotikum wesentlich sparen und zeigt in Tabellen
das . inken des Blutdruckes bei der Chloroform- und Mischnarkose
(durchschnittlich 44 Mm. Hg in 15 Min.) und geht auf die einzelnen
(jefahren und Reflexwirkungen, die solche herbeiführen können, näher
17*46
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ein. Das ganze Geheimnis liegt nach seinen Ausführungen in dem
ruhigen, gleichmässigen und flotten Fortschritt der Narkose und dem
nicht zu frühzeitigen Beginn der Operation.
Prof. H. Kümmel gibt weitere Erfahrungen über intravenöse
Aethernarkose, er sieht in derselben eine Anästhesierungsmethode,
die bei richtiger Indikationsstellung und Beherrschung der nicht
schwierigen Technik für viele Fälle vorzügliches leistet und durch
keine andere Art der Allgemeinnarkose übertroffen wird, seine Er¬
fahrungen damit sind bisher (an 250 Fällen) so ungemein günstig,
dass es ihm wünschenswert erscheint, sie einer allgemeinen An¬
wendung zuzuführen. Besonders empfiehlt sich dieselbe bei Ope¬
rationen im Gesicht und Kopf, besonders in der Mund- und Rachen-
höhle, bei denen der Narkotiseur dem Operateur hindernd im Wege
steht, dann bei schwachen, erschöpften Patienten. Das Erwachen
aus der Narkose erfolgt bei dieser Methode rasch und ohne Unbe¬
hagen, Uebclkeit und Erbrechen hat K. nie beobachtet (was besonders
nach eingreifenden Laparotomien zu schätzen ist). Die Gefahr der
Thrombenbildung an der Infusionsstelle scheint von K. überschätzt
worden zu sein, bei kontinuierlichem Einschliessen und der Neben¬
schaltung von physiologischer Kochsalzlösung hat K. in keinem ball
mehr eine Thrombenbildung konstatieren können. In dieser Kom¬
bination hat die intravenöse Narkose hauptsächlich ihre Indikation
bei Elenden, Abgemagerten, bei Ausgebluteten (Extrauteringravidität),
Verletzungen, sowie kollabierten Patienten (Peritonitis); kontraindi-
ziert ist die intravenöse Narkose bei Arteriosklerose, bei schwerer
Myokarditis und bei allgemeiner Plethora. K. geht auf die I echnik
der intravensen Narkose näher ein. Eine reine intravenöse Isopral-
narkose möchte er wegen der blutdruckherabsetzenden W irkung der¬
selben nicht empfehlen, dagegen hat sich ihm eine 1 — lVs proz. Iso-
prallösung zur Einleitung und Abkürzung der intravenösen Aether¬
narkose vorzüglich bewährt, indem dadurch besonders bei Potatoren
und schwer zu narkotisierenden Patienten das Toleranzstadium
rascher eintritt. Ein langsames Einströmen der Isoprallösung (in
etwa 5 Minuten nicht mehr als 100 g) ist wichtig, bei zu raschem Ein¬
strömen kann es leicht zu Asphyxie und Zyanose kommen.
Wiebrecht berichtet zur Behandlung der postoperativen
Tetanie, die allgemein als Folge der Schädigung der Epithelkörperchen
(event. auch bei Unterbindungen) angesehen wird. Zur Ver¬
meidung der Verletzung der Epithelkörperchen empfiehlt sich, bei
Strumektomien die hintere Wand der Schilddrüsenkapsel mit einei
dünnen Schicht Drüsengewebe stehen zu lassen. Bei Tetanie ist frische
Nebenschilddrüse (vom Menschen) zu implantieren oder solche (vom
Pferd oder Rind) per os zu verabreichen, wenn solche nicht zur
Verfügung die Tabl. glandul. parathyreoid. oder event. Calcium lacticum
(10 proz. Lösung 3 mal tägl. 20 Tropfen steigend) anzuwenden.
Ringel „über den Anton v. B r a m a n n sehen Balkenstich
berichtet über 51 im wesentlichen nach v. Bramanns Technik
operierte Fälle, berechnet mit den Fällen v. Bramanns zu¬
sammen 1,5 Proz. Mortalität und empfiehlt die Operation als einfach
und ungefährlich bei Hydrozephalus und Hirntumoren, bei denen eine
grössere Ansammlung von Flüssigkeit vermutet wird, resp. will erst
bei Versagen dieser Methode zu eingreifenden Operationen raten.
Weispfenning gibt Erfahrungen über die operative Behand¬
lung der genuinen und traumatischen Epilepsie und berichtet über 31
von Kümmell operierte Fälle, dessen Anschauungen er darlegt;
von 11 Fällen traumatischer Epilepsie wurde nur 1 geheilt, 1 ge¬
bessert, von den 31 Fällen genuiner Epilepsie wurden 3 geheilt, 5 ge¬
bessert, 13 blieben unbeeinflusst, 2 starben.
H. H o f f m a n n berichtet über Kiefergelenksankylose mit
„Vogel“gesichtbildung im Anschluss an 2 näher mitgeteilte Fälle;
er geht auf die Behandlung näher ein und ist der Ansicht, dass durch
die WeichteiKMuskeDinterposition die Zahl der Rezidive (12 Proz.)
wohl wesentlich vermindert wird.
Paul Sudeck gibt einen Beitrag zur pathologischen Anatomie
und Klinik des Morbus Basedow» und verbreitet sich über die histo¬
logischen Veränderungen bei Morb. Bas., über die Herzerscheinungen
und über die Operationsmethoden hiebei. In frischen Fällen mit
starker Vaskularisation ist die auf 2 Sitzungen verteilte Unterbindung
aller 4 Arterien zu erwägen, leichtere und event. mittelschwere Fälle
werden einseitig behandelt mit Resektion der einen Hälfte und Unter¬
bindung des Superior auf der anderen Seite oder ausserdem mit Keil¬
exzision von der anderen Seite oder beide Seiten werden reseziert
mit Zurücklassung eines etwa walnussgrossen Stumpfes auf jeder
Seite in der Gegend der Epithelkörperchen. Mittelschwere und
schwere Fälle werden zwei- oder noch mehrzeitig operiert. In der
1. Sitzung Unterbindung der A. superior und inferior einer Seite ev.
mit Resektion dieser Seite, in der 2. wird auf der anderen Seite die
Hemistrumektomie gemacht und event. eine Keilexzision auf der
1. Seite. Ganz schwere Fälle (d. h. solche, die bereits ohne den zu
erwartenden Operationsschock als gefährdet erscheinen) und bei
denen man durch interne Behandlung eine weitere Besserung nicht
erzielen kann, werden mit möglichst schonender Unterbindung z. B.
nur eines Superior behandelt, was mehr als Probe angesehen wird,
um nach und nach die weitere Behandlung durchzuführen.
H a u c k berichtet über unsere Radikaloperationen beim Kar¬
zinom der Speiseröhre in ihrem thorakalen und abdominalen Abschnitt
über 18 Fälle operativer Behandlung des Speiseröhrenkarzinoms (7 im
Brustteil) und teilt unter Beigabe schematischer Abbildungen die
allerdings nur Teilerfolge verzeichnenden Krankengeschichten näher
mit.
H. Kümmell berichtet über operative Behandlung des Aorten¬
aneurysma unter Mitteilung eines mit Operation (retropleuralc Bloss¬
legung eines rupturierten Aneurysma und Naht) behandelten ralles.
WietingPascha referiert über 120 Bauchschussverletzungen
aus dem Balkankriege, beobachtet in dem osmanischen Fortbildungs-
krankenhause Gülhane (84 Kleinkaliberschüsse mit 32 Todesfällen,
18 Schrapnellverletzungen mit 9 Todesfällen, 18 perforierende Brust¬
bauchschüsse mit 7 Todesfällen).
Kayser berichtet zur Frage der Infektion der Schussm¬
ietzungen und fordert im Anschluss an die Arbeiten von v. Reyer,
Vollbrecht, v. Oettingen besonders die Immobilisation, die
Fixation der Verbandstoffe und die Einheitstragen.
H i 1 d e b r a n d - Marburg gibt eine Arbeit über Eventratio und
Hernia diaphragmatlca.
Löf fei mann: Der Schulterschmerz (das Fernsymptom des
Nervus phrenicus bei den akuten chirurgischen Erkrankungen der
Bauchhöhle. Verf. bespricht dieses Symptom als Erscheinung bei
perforiertem Magen- (4 Fälle) und Duodenalulcus (12 Falle), das als
differentialdiagnostisches Zeichen sehr wichtig ist; Abszesse der Leber
lösen nur dann den typischen Schmerz aus, wenn sie an der kon¬
vexen Oberfläche der Leber liegen, direkt -aufs Zwerchfell übergreifen
oder im akuten Stadium sind. — Auch bei Pankreasreizung hat das
Fehlen des Schulterschmerzes ausschlaggebende Bedeutung, bei den
sich gleichenden Krankheitsbildern ist das Fehlen des Schulter¬
schmerzes das einzige Symptom, um eine Duodenalperforation aus-
zuschliessen. Nach L. soll der Schulterschmerz nicht überschätzt
werden, er soll nur ein beachtenswertes Moment in der Reihe anderer
Symptome darstellen, vor allem soll stets berücksichtigt werden, dass
auch bei inneren Erkrankungen der Schulterschmerz in Frage kommen
^ '" e R o e d e 1 i u s gibt einen Bericht über die während der letzten
3 Jahre chirurgisch behandelten Magenerkrankungen und referiert
über die seit der H o f f m a n n sehen Arbeit (bis zum Jahre 1910)
operierten Fälle (312 Operationen, darunter 33 akute Perforationen
(15 Ulcus ventr., 18 des Duodenum). 38 Resektionen mit 60,5 Proz.
Mortalität. , . . . ...
H. Kümmell berichtet zur Chirurgie des Ulcus duodeni über
65 Fälle, wovon im Jahre 1913 30, im Anfang dieses Jahres 12 balle
zur Operation gelangten, so dass sich im letzten Jahre auf 11 Magen¬
geschwüre 32 operierte Duodenalgeschwüre berechnen und sich zeigt,
dass das Ulcus duodeni auch in Deutschland weit häufiger vorkommt,
als es bis jetzt diagnostiziert wird. Auch die ungemein häufige Ver¬
gesellschaftung des Ulcus duodeni mit Appendizitis bestätigt K. und
hält die diesbezüglichen Angaben amerikanischer Autoren (75 Proz.)
nicht für zu hoch gegriffen. K. gibt schematische Röntgenbildcr einer
grossen Anzahl von Fällen und geht speziell auf die Behandlung
(Gastroenterostomie und Verschluss des Pylorus) näher ein.
Treplin beschreibt ein Phytotrlchobezoar (bei 6jähr. Kind
operativ entfernt). . , x ^
Hans Alb. Dietrich berichtet über Pancreatitis acuta (17 balle)
und geht auf Aetiologie, Diagnostik und Behandlung näher ein. Der
Medianschnitt ist als bester Operationschnitt zu empfehlen (13 balle'.
Gr aff und W e i n e rt verbreiten sich über die Frage warum
hleihen nach Exstirpation der Gallenblase sehr häufig Beschwerden
zurück. , .... .
.1. S c h u 1 z: Ein Beitrag zur Gallensteinchirurgle. Verf. schildert
die Ergebnisse von gleichzeitig mit Koch unternommenen Tier¬
experimenten bezüglich der Ausscheidung von in die Blutbahn inji¬
zierten Staphylokokken und bespricht die Therapie der Cholelithiasis.
wobei er u. a. einen Fall von Riesenstein (72 g) und mehrere Ano¬
malien der Gallenwege (Verdoppelung der Gallenblase) schildert.
der Gallenwege. ,, , , . , . ,
H. Hoff mann: Zur Chirurgie der Milz. Verf. bespricht das
betreffende Material der Kümmel sehen Abteilung (17 Fälle, darunter
7 stumpfe Verletzungen, 2 offene, 2 Milztumoren bei J uberkulose,
1 bei Lues, 2 bei Bluterkrankungen).
Ed. Birt referiert über Appendizitis in Ostasien, speziell in
Schanghai und Umgebung im Anschluss an 92 kurz mitgeteilte Fälle.
Vorderbrügge gibt eine Arbeit über Beziehungen der Peri¬
kolitis zur sog. chron. Blinddarmentzündung und verbreitet sich unter
Mitteilung entsprechender Krankengeschichten über Symptome und
Behandlung derselben.
A. Weiter gibt einen Beitrag zur Chirurgie der malignen UieK-
darmgeschwülste (Rektum ausgenommen), bespricht die Symptomato¬
logie, Diagnostik und operative Indikationen derselben im Anschluss
an 39 Von 1909—1913 operierte Fälle (24 Radikaloperationen, von
denen 17 Proz. rezidivfrei blieben).
A. Flockemann schildert den Stachel-Murphyknopf (zeit¬
sparende Veränderung am Murphyknopf).
Paul Kaiser gibt Beiträge zur operativen Behandlung der
Bauchhöhlentuberkulose und bespricht sowohl die Fälle mit freiem
Aszites, als die mit abgekapseltem und die ohne Exsudat, sowie die
Ileozoekaltuberkulose, die Mesenterialtuberkulose und Tuberkulose
der Tuben an der Hand der betreffenden Krankengeschichten.
F. Engelmann bespricht die Frage: Wozu bedarf der Gyna
kologe allgemeine chirurgische Kenntnisse? (Beitrag zur Frage oei
künstlichen Scheidenbildung und der Promontoriumresektion zweck*
Beckenerweiterung.)
4. August 1914.
MULNCHFNLR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1747
A. Wepfer referiert über die letzten 100 Fälle von geplatzter
Tubargravidität, die sämtlich geheilt wurden.
|> m i t z - f e i f f e r gibt einen Rückblick über eine
jähr. Erfahrung mit der Alexander-Adams sehen Operation
1 887 — 1912»
Th o t n e s gibt einen kasuistischen Beitrag zur traumatischen
Ruptur des schwangeren Uterus und schildert einen durch Uterus-
.-xstirpation geheilten Fall kompletter Ruptur in einem früheren
>chwangerschaftsmonat.
Otto B i c k e 1 gibt einen Beitrag zur Spätrachitis, F. 0 e h 1 -
c k er einen weiteren Beitrag zur Klinik, Unfallbegutachtung und
>chandlung tabischer Gclenkerkrankungen, wobei er unter Schilde-
ung zahlreicher Fälle und Beigabe zahlreicher Röntgenbilder die
itiologische Entstehung der tabischen Qelenkaffektionen, Symptome
:nd Behandlung der einzelnen Gelenke bespricht. Speziell' bei der
Vrthropathie des Fusses ist mit osteoplastischer Fussamputation viel
iutes zu stiften (in 7 betreffenden Fällen trat völlige knöcherne
icilung ein).
Der gleiche Autor referiert über homoplastischen Knochenersatz
ei fcnehondrom der Hand (erfolgreiche Implantation eines Metakarpus
on einem Unfallverletzten).
Rohrt bespricht die Endresultate unblutig behandelter intra-
apsularer Schenkelhalsfrakturen und teilt unter Beigabe zahlreicher
,öntgenogramme diesbezügliche Krankengeschichten mit.
Joh- G- Chrysospathes referiert über eine Supinations-
xtensionsbehinderung der Vorderarme resp. Hände bei Neuire-
orenen.
W. Bocher gibt eine Arbeit zur Entstehung und Behandlung
es * uf uss^s> unter Bericht über mehrere Fälle mit entsprechen-
er Abbildung.
Tanz referiert über die Luxationsfraktur des Humeruskopfes und
ire Behandlung und schildert einen durch Resektion geheilten Fall.
Goldammer gibt einen Beitrag zur Kasuistik seltener Talus-
erletzungen, teilt u. a. Fälle von Talusfraktur und Luxation mit, an
enen er die Möglichkeit und den Wert der konservativen Behand-
ing schwerer Talusverletzungen zeigt und besonders auf den Wert
er Hackenbruch sehen Distraktionsklammern bei Talusbrüchen
ufmerksam macht.
B e n g sch berichtet zur Kasuistik der Pfählungsverletzungen
ti Anschluss an 5 in den letzten Jahren beobachtete Fälle, die er
tirz mitteilt.
A. Stammler gibt diagnostische und therapeutische Krebs-
:udien, bespricht die serologische Geschwulstdiagnose und betont
iss die A s c oli sehe Meiostagminreaktion ein wertvolles Mittel zur
lagnose des Krebses sein kann, von der Abderhalden sehen
eaktion hatte er keine günstigen Resultate und scheint ihm zurzeit
’ch keine dieser Methoden sicheren Anhaltspunkt für die Diagnose
J geben. St. bespricht die Chemotherapie, die serologische und
ologische Therapie, von den 15 mit Autolysat behandelten Fällen
urde 1 geheilt, 3 vorübergehend gebessert, bei 3 einschmelzende
irkung auf den Tumor beobachtet, während bei den anderen kein
inmiss, aber auch keine Schädigung konstatiert wurde.
Friedrich Bon hoff berichtet über Verdauungsleukozytose bei
arcinoma und Ulcus ventriculi und sieht darin (nach 14 Fällen von
arzinom) ein Mittel, das allerdings nicht mit absoluter Sicherheit
ir JJiiterentialdiagnose zwischen Ulcus und Karzinom verwertet
erden kann, das aber immerhin so häufig positive Resultate erzielt,
lSSHSz'ZUr -fic}]erung der Diagnose herangezogen werden sollte.
”■ .Docht berichtet zur Technik der A b d e r h a 1 d e n sehen
peration am Schulter-, Fuss- und Kniegelenk und schildert fernerhin
e Gründung des chirurgischen Röntgeninstitutes am allgemeinen
ankenhause Hamburg-Eppendorf, indem er die historische Ent-
icklung desselben bespricht;
Kotzenberg bespricht die Röntgentherapie der malignen
^schwulste, besonders die Tiefentherapie mit Aluminiumfilter und
uderbestrahlung und bespricht in Tabellenform das Material aus
n Jahren 1909— 1913, sowohl prophylaktisch bestrahlte als wegen
;zidiv bestrahlte Fälle (53 Mammakarzinome, 2 Heilungen, 5 Besse-
ngem), (bei 22 nachuntersuchten prophylaktisch bestrahlten Fällen
T aie "alfte Rezidive trotz viel kürzerer Beobachtungszeit), von
inoperablen Fällen von Carcinoma uteri sind 5 Fälle gebessert
sp. klinisch geheilt. K. betont, dass allein schon in der schmerz-
-dernden Wirkung der Strahlentherapie ein grosser Erfolg liegt,
echt waren die Resultate bei den Drüsenkarzinomen am Halse,
i denen der Zunge, des Gaumens, der Lippen, der Nebenhöhlen des
senrachenraumes, die oberflächlich gelegenen Hauttumoren wurden
C 21 Erfolg zur Abheilung gebracht.
H. I ) e n k s berichtet zur Röntgenbehandlung der chirurgischen
iberkulosen über die 1910—1913 behandelten Fälle; die fungösen
Kränkungen der grossen Gelenke (43) ergaben 35 Proz. Heilungen,
;? Besserungen, somit sehr günstige Resultate, und an den
-inen Gelenken ebenso (84 Proz. Heilungen, 16 Proz. günstige Be-
niussungen); hier wurde konstatiert, dass gerade die übelsten Fälle
Miscninfektion in wunderbarer Weise beeinflusst wurden,
aul Steffens bespricht die Strahlentherapie und Anionen-
iiandlung, geht auf die Heilwirkung radioaktiver Bäder, die Erfolge
nie i ni!0ne£b*e,Jandlun? ein> Nach St- lassen sich ähnliche thera-
Jiiscne Erfolge, wie durch die radioaktiven Bäder, in ge-
e, fallen durch einen künstlich erzeugten Strom freier Ionen
sie bei der Anionenbehandlung zur Anwendung kommen) erzielen.
A 1 b a n u s gibt einen Beitrag zur Technik der Behandlung von
Karzinomen der oberen Luft- und Speisewege mit Radium und Meso¬
thoriumbestrahlungen und schildert die entsprechende Fixation, die
dabei nötig; bei operablen Tumoren plädiert A. für Operation und
nachhenge Unschädlichmachung der Wundkeime durch Strahlen¬
therapie. Inoperable Tumoren sind einer Bestrahlung in einem nicht
geahnten Masse mit positivem Resultate zugänglich. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 29, 1914.
R K I a p p - Berlin: Besondere Formen der Extension.
v erf. empfiehlt für die ischämische Muskelkontraktur die Haut-
extension, deren Technik er an der Hand von 2 Abbildungen er-
i l ? die Fingerspitze des II.— V. Fingers wird ein feiner,
_ . d°PPelter Seidenfaden gezogen; alle 4 Fäden werden zusammen-
g knotet, so dass sie alle in gleichem Grade angezogen sind, und
schliesslich wird eine Gewichtsextension daran angebracht. Der
raden wird reaktionslos vertragen, die Haut reisst nicht aus, da sie
ja gegen Zugwirkung sehr widerstandsfähig ist. Verf. erzielte damit
Falifn 70n ischämischer Lähmung sehr gute Erfolge und
empfiehlt diese Hautextension auch für Fingerfrakturen und -kontrak-
turen und zur Spreizung der Finger nach der Operation der Syn-
daktylie, auch an der Haut der Fersengegend ist diese Extension
möglich Eine zweite Form ist die Drahtextension, die sich besonders
am Kalkaneus empfiehlt: der doppelte Aluminiumbronzedraht wird
zunächst quer durch den Kalkaneus geführt, dann mit beiden Enden
nach der Fusssohle zu ausgestochen. Der Eingriff ist leicht und gibt
nicht zu Fistelbildungen Anlass. (Mit 2 Skizzen.)
Adolf Nu ssbaum- Bonn: Ein billiges Hilfsmittel zur Re-
dression kindlicher Klumpfiisse.
Verf. benützt einen 15 cm langen, zylindrischen, mit Watte und
Binde umwicke ten Holzstab; zur Redression der Adduktoren legt
man die Mitte des Stabes auf die Höhe der Abbiegung am Vorfuss*
nun umfassen die 4 Finger der einen Hand die kindliche Ferse an der
medialen Seite, der Daumen wird über den Stab gelegt, während die
4 Finger der anderen Hand von der Grosszehenseite um den Vorfuss
greifen und der Daumen ebenfalls den Stab umfasst; ähnlich wird
auch die Supination des Fusses beseitigt; zur Behebung der Flexion
des Kalkaneus ist der S c h u 1 1 z e sehe Apparat nötig. Dieses ein-
tache Hilfsmittel gestattet die Anwendung einer ausserordentlichen
Kraft ohne die Gefahr des Abgleitens. 2 Skizzen zeigen die Haltung
der zugreifenden Finger.
Ernst von der P o r t e n - Hamburg: Narkosenmaske für
Operationen in Bauchlage.
Verf. hat für Operationen in Bauchlage eine neue Maske kon-
struiert bei der Mundstuck und Tupferhalter durch einen 35 cm langen
dicken Schlauch miteinander verbunden werden; das Mundstück kann
am Kopf des Pat. festgeschnajlt werden, der Tupferhalter liegt etwas
abseits vom Operationsgebiet auf einem Tischchen und nimmt die
herabfallenden Tropfen des Narkotikums bequem auf. Mit 1 Ab-
bildung. E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Hegars Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie.
Bd. XIX, Heft 3. Leipzig, Georg Thieme, 1914.
E. Schmidt-Tübingen: „Tuberkelknötchen“ in einem Portio¬
karzinom.
Für Tuberkulose sprechen bei S.s Befund (Riesenzellen): die
nachgewiesene floride Tuberkulose einer Niere und Tuberkelbazillen
im Körper, die hauptsächlich in den Schnitten der Probeexzision ge¬
fundenen Zellkomplexe mit allen Eigenschaften von Tuberkeln, die
für den L a n g h a n s sehen Typus unbedingt charakteristische Form
der Riesenzellen; gegen Tuberkulose sprechen die Anwesenheit von
Hornsubstanzen, das auffallend isolierte Vorkommen der Riesenzellen
in den Krebsalveolen und krebsigen Zerfallsprodukten das Vor¬
kommen der tuberkelartigen Bildungen nur zwischen den Krebs¬
zapfen, nie ausserhalb des Krebsgebietes, das makro- und mikro¬
skopische Fehlen jeder Verkäsung. S. neigt der Ansicht zu, dass es
sich um Fremdkörperriesenzellen handelt.
F. Walther-Strassburg i. E.: Ueber fieberhafte Aborte mit
spezieller Berücksichtigung ihrer Therapie.
Aus seinen Betrachtungen zieht W. den Schluss, dass es am
besten ist, nach genauester Untersuchung möglichst früh und schonend
auszuräumen und auch bei hämolytischen Streptokokken die Kürette
nicht zu scheuen, aber nur dann im letzteren Falle, wenn man mit der
manuellen Ausräumung nicht auskommt.
P; S te r n b e r g - Freiburg i. B.: Zur Frage des Isthmus uteri.
St. stutzt mit seinen Untersuchungen die Asch off sehe Lehre;
die gegen diese von Büttner erhobenen Einwände sind nach St.
nur Stutzen der Lehre, denn die von Büttner betonte funktioneile
Gleichwertigkeit des Epithels im Zervix- und Isthmusabschnitt beruht
nur auf dem Prinzip der Ueberfärbung.
J. Gold wasser-Kertsch-München: Ueber die Augen¬
verletzungen während der Geburt bei der Zangenoperation und ihre
gerichtlich-medizinische Bedeutung.
p„,. Di.e®e letztere ist eine sehr grosse. Bei der Begutachtung der
Falle ist vor allem darauf hinzuweisen, dass Augenverletzungen
schwerster Art auch bei Spontanentbindungen beobachtet werden.
Aber wenn auch die Zangenanlegung die Ursache ist, so ist zu be¬
denken, dass bei ihr auch die besten Techniker dem Kinde schwere
Traumen zufügen können, z. B. Schröder eine Fraktur des
1748
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
N». 31.
Orbitaldaches mit Bluterguss ins Auge, Orbita und Vorderkanimer;
auch ist zu betonen, dass es kein Mittel gibt, die I raumen des Auges
bei Zangenextraktion zu verhindern.
S. Black st ein -Halle a. S.: Ueber die Serodiagnostik des
Karzinoms mittels des Abderhalden sehen Dialysieryer ahrens.
Es ist aus den bisherigen Untersuchungen festgestcllt. dass bei
Abwesenheit von Oravidität der positive Ausfall der Karzinomreaktion
mit ziemlicher Sicherheit für Krebs spricht; besonders auf die frühen
Stadien kann man so aufmerksam werden; negativer Ausfall wird
meist nur bei fortgeschrittenen Fällen gefunden.
Grete G u m p r i c h - Strassburg i. E.: Der Einfluss der Men¬
struation auf das Blutbild bei gesunden Individuen.
Die Erythrozyten schwanken meist nur um einige nundert-
tausende, auch für die Leukozyten lässt sich keine Regel aufste en,
die für alle Fälle gültig ist: die Lymphozyten sind grossen Schwan¬
kungen unterworfen Abfall nud Anstieg während resp. vor und
während der Menses wird beobachtet, geschieht aber nie im Sinne
einer Wellenlinie. , . _ _. ...
Doha Gorba kowsky- Strassburg 1. E.: Diagnostische Unter¬
suchungen des Antitrypsingehaltes und der Leukozytose bei Laparo-
omien^bcran .gt nacj, Operation eine Leukozytenvermehrung
vorhanden. Ein gewisser Zusammenhang zwischen der Entstehung
des Antitrypsins und dem vermehrten Leukozytenverfall muss zu¬
gegeben werden, differentialdiagnostisch lässt sich ebensowenig wie
prognostisch mit der Bestimmung des Antitrypsin- (nicht Antipyrin
wie im Original) Gehaltes und der Leukozytenzahl im Blutserum nichts
anfangen. Die Oelbehandlung bedingt Leukozytenvermehrung durch
Reize Verf möchte sie dort empfehlen, wo Infektionsgefahr vorliegt.
x ‘ V o g e 1 - Aachen.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. 40,
Heft 1.
M Malinowsky - Kasan: Tokodynatnometrische Unter¬
suchungen über die Wirkung des Pituitrins auf die Uteruskontrak¬
tionen unter der Geburt. „ . . „
Verf. benützte zu seinen Untersuchungen, die an 50 Kreissenaen
angestellt wurden, ein modifiziertes Tokodynamorneter nach Schatz
und kam u. a. zu folgenden Ergebnissen. Das Optimum der I ltuitrin-
wirkung bei der Geburt fällt auf die Austreibungszeit und auf den
Schluss der Eröffnungsperiode. Die tokodynamometrische Kurve der
Pituitrinwehen stellt ihrem Grundcharakter nach einen Uebergang
vom physiologischen zum tetanischen Typus dar. Sie ist charakteri¬
siert durch starke Beschleunigung der Wehen bei bedeutender Er¬
höhung des intraabdominellen Druckes während der Wehen, durch
Verkürzung der Wehendauer und durch eine unbedeutende, dennoch
aber immer zu konstatierende Druckerböhung während der Pausen.
John O low -Lund: Ueber die Behandlung der in den früheren
Monaten unterbrochenen Extrauterinschwangerschaft.
Schluss im nächsten Heft. , , .
O. N e b e s k y - Innsbruck: Beitrag zur Kenntnis der Chorio-
Nebesky fügt den 88 in der Literatur beschriebenen Fällen
von Chorioangiomen einen weiteren hinzu und bespricht im Anschluss
an die genaue rnakro- und mikroskopische Beschreibung seines ralles
die Art' und die Entstehungsursache dieser Tumoren. Im Gegensatz
zu Gräfenberg, der diese Tumoren für eine eigenartige Degene¬
ration der Chorionzotten anspricht, hält Verf. mit Borst das Chorio-
angiom für eine wahre Geschwulst. Die Entstehung auf Zirkulations¬
störung (Vitium cordis, Nephritis etc.) bei der Mutter zurückzuführen,
hält er nicht für richtig. . ...
Erik Brattström-I.und: Ein Fall von vierengen Vierlingen
nebst einigen Beobachtungen betreffs der Vierlingsgeburten im all¬
gemeinen. , , , ,
Viereiige Vierlinge männlichen Geschlechts, ein Kind war ma¬
zeriert, die anderen drei voll ausgetragen lebend, die von einer
V -para geboren wurden. 2 Plazenten, eine grosse zusammen¬
hängende mit 3 Eihautsäcken und eine kleinere. Bemerkungen über
die Statistik und die hereditäre Disposition bei Mehrgeburten.
Josef Fahr ici us- Wien: Ueber ein primäres Karzinom der
Bartholin! scheu Drüse. .
Der Tumor wurde bei einer 45 jährigen Frau exstirpiert. zeigte
mikroskopisch typisch alveolären Bau, grosse rundliche Zellen mit
relativ grossen Kernen. Die Haut über dem Tumor war intakt, so
dass der Tumor nur von der Drüse ausgegangen sein kann. Die Pat.
wurde später mehrmals wegen Metastasen operiert und starb über
5 Jahre nach der Operation. K o 1 d e - Magdeburg.
durch Stauung. Man findet ihn übrigens auch bei anderen Zuständen,
S° Z'w.' R i nd'fTeVsch- Stendal: Eine abdominelle Operations¬
methode bei Retroflexio uteri. T . . . t .
Nach Eröffnung der Bauchhöhle werden die Ligg. rotunda frei-
eeleet. deren Peritoneum an einer Stelle gespalten, die Ligg. stark
herausgezogen und möglichst weit nach dem Uterus hin abge¬
schnitten Dieselben werden dann an der Rückseite des Uterus ein-
ge pflanzt Der Uterus liegt nach der Operation etwas nach vorn
geneigt, beide I igamente halten ihn umfasst und fixieren ihn in seiner
I ige. R. hat die Operation bis jetzt in 6 Fällen mit Erfolg ausgefuhrt.
Z e n g e r 1 e - Ravensburg: Ein Fall von Sectio caesarea post
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 29, 1914.
A. I a b h a r d t - Basel: Ueber ein häufiges Frühzeichen der
Schwangerschaft.
Als eines der frühesten Graviditätssymptome gilt bekanntlich die
livide, sog. weinheiene Verfärbung der Scheidenschleimhaut, die oft
schon in der 5.-6. Schwangerschaftswoche auftritt. Als Prädilektions¬
stelle dieser Verfärbung fand L. einen queren, etwa 14— 14 cm breiten
Strich, der etwa 14—1 cm unterhalb der Urethralmündung verläuft.
Dieser suburethrale livide Streifen ist bei der Mehrzahl der Schwan¬
geren zu erkennen, bei Multiparis leichter als bei Primiparis. L. denkt
sich den Streifen entstanden durch venöse Hyperämie, wahrscheinlich
mortem. war jm Koma auf dem Transport ins Krankenhaus
gestorben Durch die Sectio caesarea wurde ein lebendes Kind ent¬
wickelt. das auch am Leben blieb. Die alte Bestimmung der Lex
regia des alten Numa Pompilius: Mulier quae praegnans mortua est,
ne humator antequam partus ei excidatur, besteht auch heute noch
zu recht. J a 1 f e - Hamburg.
Gynäkologische Rundschau. Jahrg. VIII. Heft 11.
Karl H a r t m a n n - Remscheid: Symphysenschnitt und supra-
symnhysäre Entbindung. .
Mitteilung von 2 selbst geleiteten Geburtsfallen: 1. 23 jährige
II. -para (1. Geburt Kind wegen Nabelschnurvorfall abgestorben.
Perforation, Kranioklasie), Conj. diag. 714 cm, absolut verengtes
Becken. Suprasymphysärer Kaiserschnitt, Kind 3800,52. 2. 2S jährige
III. -para (1. Geburt Abort: 2. Geburt Gesichtslage, Kind bei der
Wendung abgestorben), Conj. diag. 8)4 cm, subkutane Symphyseo-
tomie nach Frank; Kind 3800,50. Blasenverletzung spontan geheilt.
Verf. geht auf verschiedene Beobachtungen ein, die er bei seinen
Operationen gemacht hat. Bei hochstehendem vorliegenden I eil
liegt auch die Uebergangsfalte auf Blase und Bauchdecken hoch Ob 1
es sich um ein enges Becken handelt oder nicht, ist dabei ganz gleich¬
gültig. Tritt der Kopf ins Becken ein, so tritt die Harnblase und auch
die Uebergangsfalte tiefer. Beim absolut zu engen Becken zieht sich,
je länger die Geburt dauert, auch das untere Uterinsegment und damit
auch die Uebergangsfalte nach oben. Für Fälle mit engem Becken
von Conj. vera von 8 cm aufwärts hält Verf. den Frank sehen
Symphysenschnitt für einen leichten und ungefährlichen Eingriff, der
bei Mehrgebärenden auch bei bestehender 1 emperatursteigeruns:
ausgeführt werden kann. Es ist zu bedauern, dass die Operation
bisher von so wenigen Seiten nachgeprüft worden ist.
Piero Gail -Triest: Indikationen und Kontraindikationen der
Hypophysenextrakte in der geburtshilflichen Praxis. (Aus der
k. k. Hebammenlehranstalt in Triest.)
Die Arbeit ist das Resultat von Beobachtungen an mehr als
300 Fällen, zur Anwendung kam vor allem das Pi tugland ol
(2 ccm). Gute Erfolge wurden erzielt bei Wehenschwache in der
Geburt, bei langer Geburtsdauer infolge Gesichts- und Becken¬
endlagen. bei Placenta praevia, beim engen Becken, hier aber mit
der Einschränkung auf die Fälle, in denen eine Spontangeburt möglich
ist, ferner bei Retentio placentae und schliesslich beim Kaiserschnitt.
Bei Wehenschwäche in der dritten Geburtsperiode ist die Kombination
von Sekakornin mit Pituglandol besonders zu empfehlen. Als direkte
Kontraindikation für die Anwendung der Hypophysenpräparak
müssen die höheren Grade von Beckenverengerung, die eine Spontan¬
geburt nicht mehr gestatten, genannt werden, ferner die Querlagen,
drohende Uterusruptur, Herz- und Nierenkrankheiten, sowie
Eklampsie, da infolge des erhöhten Blutdruckes die Prognose nur
verschlechtert werden kann. A. Rieländer - Marburg.
Virchows Archiv. Bd. 215, Heft 3.
J. Kyrie und K. Schopper: Untersuchungen über den Ein¬
fluss des Alkohols auf Leber lind Hoden des Kaninchens. (Pathol. In¬
stitut in Wien.) , .
Der 50 proz. Aethylalkohol wurde intravenös, subkutan und m
den Magen eingeführt. Unter 31 Kaninchen fanden sich in dei Leber
7 mal herdförmige Nekrosen, 14 mal kleinzellige Infiltrate im Peri_i
portalen Herde und 3 mal ausgesprochene Laennec sehe Zirrhose.
Die degenerativen Prozesse treten zuerst auf, und die zirrhotiscnen
sind als ihre Folge zu betrachten. In den Hoden wurde 6 mal eine
Atrophie mittleren Grades, 9 mal eine solche höheren Grades bis
zum völligen Erlöschen der Spermiogenese festgestellt. Die Verände¬
rungen fanden sich in gleicher Weise in den drei obengenannten Ver¬
suchsreihen. Die Verf ziehen weiter den Schluss, dass nicht der
Alkohol allein die Veränderungen setze, sondern dass eine Disposition
ausserdem noch vorhanden sein muss.
H. Schuster: Haemangioma cavernosum im Herzen eines
Neugeborenen. (Pathol. Institut in Lemberg.)
Das 2,5 mm im Durchmesser haltende Knötchen sass im rechten
Herzen auf dem Papillarmuskel an der Uebergangsstelle der Muskel¬
fasern in den Sehnenfaden.
C. Gargano: Implantation von Geweben. Implantation von
Selachiereinbryonen. (Chirurg. Klinik in Neapel.) A.I
In einem Falle gelang die Einheilung eines Embryo in die mW
eines Scyllium stellare.
C. Sauer: Ein Beitrag zur Kenntnis des Chloroms. (Patnoi
Institut in Freiburg.)
4. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1749
Myelozytärcs Chlorom bei einem 36jähr. Manne: periostale Auf¬
lagerungen über dem Brust-, Lenden- und Sakralteile der Wirbel¬
säule. chloromatöse Infiltration der Lymphknoten an der Aorta, am
Leberhilus und im Mediastinum. Chloromknoten in der Milz, den
Nieren, der Prostata, der Schilddrüse und der Dura mater, diffuse
chloromatöse Infiltration der G I i s s o n sehen Kapsel. Grüne Abszesse
an beiden Oberschenkeln und den Schultern nach Kalomelinjektionen.
C. Mi cremet: hin klinisch unter dem Bilde eines malignen
Tumors verlaufender Fall von myeloischem Chlorom. (Pathol. In¬
stitut in Utrecht.)
1 5 jähr . Mann. Grünes Knochenmark, Tumoren der Haut, unter
dem Peritoneum, im Mediastinum, im Herzen, in den Nieren, in der
Muskulatur. Verfasser rechnet die Beobachtung den leukämischen
Prozessen zu.
P. Fraenkel: Ein Fall von Pseudohermaphroditismus femi-
ninus externus. (Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde in Berlin.)
Die sehr eingehenden Untersuchungen sind in einem kurzen
Referate nicht wiederzugeben und müssen in der Veröffentlichung
selber nachgelesen werden.
M. Scgawa: Ueber das Wesen der experimentellen Poly¬
neuritis der Hühner und Tauben und ihre Beziehung zur Beriberi des
Menschen. (Pathol. Institut in Tokio.)
Die Tiere wurden mit geschältem Reis und Wasser ernährt.
Kontrolliere, die mit ungeschältem Reis gefüttert wurden, blieben
vollkommen gesund, die anderen wurden hochgradig atrophisch und
starben durchschnittlich nach 1 Monat. Die Lähmungserscheinungen
waren das hervortretendste Symptom. Die peripheren Nerven
zeigten eine ausgesprochene Degeneration. Ausserdem fanden sich
Dilatation der Herzventrikel, Stauung, Hydroperikard, Degeneration
der Ganglienzellen der Vorderhörner des Rückenmarks. Nach Verf
ist die Hühnerberiberi identisch mit der Menschenberiberi.
R. Krüger: Ueber die Nierenveränderungen bei Vergiftung mit
Oxalsäure und oxalsaurem Kalium. (Pathol. Institut in Braunschweig.)
Bei der Oxalsäurevergiftung findet eine Ausscheidung von oxal-
;aurem Kalk analog der übrigen Kalkausscheidung hauptsächlich in
Jen gewundenen Harnkanälchen und in geringerer Ausdehnung in
Jen Schleifen statt. Die Kristalle finden sich sowohl im Lumen wie
n den Epithelien. Die auftretende Anurie ist auf eine Schädigung
ler Gefässfunktion zu beziehen.
Ch. Firket: Zur Frage der strahligen Einschlüsse in Riesen-
tellen.
Die strahligen Einschlüsse stellen keine Umbildungsprodukte von
.'iastischen Fasern dar. Sie entstehen durch Differenzierung des
Vlitoms.
C. Heinemann: Zur Frage der karzinomatösen Implantations-
netastase im Uterus.
A. Bonome: Durch spezifische Antisera bei Tieren experi-
nentell erzeugte Spleno- und Myelopathien.
„Die Sera entstammten Tieren, die mit defibriniertem Blute oder
lit 3 mal in physiologischer Kochsalzlösung gewaschenen Blutkörper-
hen einer differenten Tiergattung intraperitoneal behandelt waren.
i der Arbeit werden die histologischen Veränderungen des Knochen-
larkes, der Milz und der Leber im einzelnen angegeben.
Schridde - Dortmund.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 30, 1914.
F. G ö p p e r t - Göttingen: Ueber manifeste und latente In-
uffizienz der Exspiration im Kindesalter. (Nach einem Vortrage,
ehalten in der Göttinger medizinischen Gesellschaft.)
Bei einer Anzahl durch ihre Konstitution zu chronischer Schleim¬
autschwellung disponierten Kindern tritt auch bei scheinbar unbe-
eutenden, auskultatorisch oft kaum nachweisbaren chronischen
ronchialkatarrhen ein Tiefstand des Zwerchfells ein, bei einzelnen
Jontan, bei anderen erst, wenn sie einige Male tief inspiriert haben.
ie hierdurch nachgewiesene Insuffizienz der Exspirationskräfte ist
ne relative. Das Atemhindernis ist in einem Katarrh der feineren
ronchien zu suchen, zudem sich Bronchiahnuskelspasmus gelegent-
, hinzugesellt, keineswegs aber notwendig vorhanden ist. Die
c.iwäche der austreibenden Kräfte beruht wahrscheinlich in einem
1>ie]i?renen ^angel an Elastizität der Lunge oder aber auch in der
'vollkommenen Funktion der automatischen Regulation der Exspira-
»nskraft.
M. Bernhardt-Berlin: Beitrag zur Lehre von der Errötungs-
rcht (Ereuthophobie).
Kasuistischer Beitrag.
E. F r i e d b e r g e r - Berlin : Weitere Versuche über uitra-
olettes Lieht. III Mitteilung. (Vortrag, gehalten in der Berliner
lkrobiologischen Gesellschaft am 14. Mai 1914.)
Es ist dem Verf. in allen Versuchen mit verschiedenen Vakzinen
d Lapinen gelungen, die natürlich vorkommenden Begleitbakterien
weniger als 30 Minuten durch Einwirkung von ultraviolettem Licht
vernichten, während die Vakzine selbst 3 — 4 mal solange virulent
leb. Es gelingt also praktisch ohne Zusatz von Antiseptizis und
ne dass ein störender Effekt noch nachwirken kann, die Lymphe
imtrei zu machen unter Wahrung ihrer Virulenz.
rritz S c h i f f - Berlin: Ueber das serologische Verhalten eines
a^s ,tj'ne*'8er Zwillinge. (Vortrag in der Berl. mikrobiolog. Ges.
i 14. Mai 1914.)
Es dessen sich serologische Unterschiede nicht auffinden, trotz¬
dem Methoden zur Anwendung kamen, die es erlaubten, das Blut
aller anderen untersuchten Individuen individuell zu differenzieren.
Zur individuellen Blutdifferenzierung empfiehlt sicii die Kom¬
bination mehrerer der von v. Dünger n u. a. zur Untersuchung
gi uppen- und individuumspezifischer Strukturen benutzten Methoden.
Martin Jakoby und N. U m e d a - Berlin: Ueber Auxo Wir¬
kungen und gebundene Aminosäuren des Blutserums.
Die Verfasser versuchten die Auxourease zu isolieren und kamen
dabei zu einer Reihe interessanter Resultate, über die sie kurz be¬
richten.
W. Alexander und E. U n g e r - Berlin: Heilung eines be¬
merkenswerten Grosshirntumors. (Nach einer Demonstration in der
Berl. inikrobiolog. Ges. am 17. Juni 1914.)
Cf. pag. 1418 der M.m.W. 1914.
F. F. F r i e d m a n n - Berlin : Ueber die wissenschaftlichen
Vorstudien und Grundlagen zum Friedmann sehen Mittel.
Aus den beigefügten Krankengeschichten ist die Unschädlichkeit
des Mittels dem menschlichen Organismus gegenüber, die Grenzen
seiner Leistungsfähigkeit sowie die nicht zu bestreitenden Heilwir¬
kungen ersichtlich.
Erich Stern - I annenberg i. E. : Beiträge zur Frühdiagnose der
Lungentuberkulose.
Anämie, dyspeptische Beschwerden, diarrhoische Stühle, Tachy¬
kardie sowie leichte Herzverbreiterung nach rechts weisen auf eine
luberkulose hin; ferner Schmerzen in der Schultergegend oder im
Abdomen (Pleuritis), leichte chronische Laryngitis mit Stimmband¬
parese (gleichseitig), schlechtere Muskulaturentwicklung auf der er¬
krankten Seite und Pupillenerweiterung auf der befallenen Seite
mit träger Reaktion.
I itu V a s i 1 i u - Bukarest : Eine neue Spritze zur intravenösen
Injektion von konzentriertem Neosalvarsan und anderen sehr reizen¬
den Lösungen.
Die Neorekordspritze besteht aus zwei mit einander verbundenen
Spritzen. Durch einen mit Hähnen versehenen hohlen Metallbogen
wird es ermöglicht, dass man den Inhalt jeder Nadel separat durch
die Nadel entleeren kann. Man injiziert das Salvarsan nur dann,
wenn man sich Gewissheit verschafft hat, dass die Nadel sich wirk¬
lich im Lumen der Vene befindet. Dr. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 29, 1914.
Gr ob er- Jena: Behandlung akut bedrohlicher Zustände bei der
Pleuritis.
Klinischer Vortrag.
Max Rothmann- Berlin : Ueber die Ausfallserscheinungen
nach Affektionen des Zentralnervensystems und ihre Rückbildung.
Vortrag, gehalten im Verein für innere Medizin und Kinderheil¬
kunde in Berlin am 25. Mai 1914, vgl. das Referat der M.m.W.
Albrecht P e i p e r - Berlin: Ueber Adsorptionserscheinungen bei
der A. R.
Wenn die Ninhydrinreaktion bei lOproz. Eiereiweiss- oder
1 proz. Gelatinelösung angestellt wurde, so ergab weder der Zusatz
von Bariumsulfat, Kaolin und Kieselgur, noch der Zusatz einer
lOproz. Stärkelösung einen positiven Ausfall der Reaktion. Dagegen
wurde ein deutlich fördernder Einfluss des Stärkezusatzes (weniger
des Kaolins) auf die Intensität der Ninhydrinreaktion bei Verwendung
von Serum, und zwar besonders von aktivem Serum festgestellt.
Dieselbe verstärkende Wirkung des Stärkezusatzes trat ein, wenn
Hammel-, Rinder- oder Hundeserum auch ohne Organzusatz zur Ver¬
wendung kamen, dagegen nicht regelmässig bei Menschenserum ohne
Organzusatz.
F. P e n t i m a 1 1 i - Freiburg i. Br.: Zur Frage der chemothera¬
peutischen Versuche auf dem Gebiete der experimentellen Krebs¬
forschung (nebst einer Mitteilung über die Wirkung des kolloidalen
Wismuts).
Es scheint R o u s gelungen zu sein, mit dem zellfreien Filtrat
eines Hühnersarkoms bei anderen Hühnern echte Sarkome zu er¬
zeugen. Entsprechende Beobachtungen beim Mäusekarzinom stehen
noch aus. Das letztere ist nach Aschoffs Ansicht so gut wie
unempfindlich gegen die y-Strahlen des Radiums und Mesothoriums.
Ebensowenig scheint zurzeit der Weg für eine chemotherapeutische
Beeinflussung des Mäusekrebses gefunden zu sein; wenigstens fielen
zahlreiche Versuche in dieser Richtung, welche mit Selenpräparaten,
fluoreszierenden Substanzen, Schwermetallen (als Salzverbindungen
oder in kolloidalem Zustande), Saponinen, Kalziumsalzen, mit Phos¬
phor und Thorium X unternommen worden waren, negativ aus. Ge¬
legentlich von anderen Forschern gefundene Nekrosen sind aller
Wahrscheinlichkeit nach auf traumatische und andere akzidentelle
Einflüse zurückzuführen. Verflüssigung des Tumors bedeutet noch
keine Heilung, sie bewirkt aber Autoimmunisation. Bei den obigen
Versuchen wurde nebenher gefunden, dass das kolloidale Wismut
ein exquisites Nierengift und ein direktes Reizmittel für das hämato-
poetische Gewebe darstellt.
Hans Schirokauer - Berlin : Zur Phenolphthaleinprobe auf
okkultes Blut nach Boas.
Verf. hat bei einer 4 Tage auf fleischfreie Diät gesetzten Patientin
eine auffallend starke Phenolphthaleinreaktion bei schwächer werden¬
der und schon verschwundener Guajakreaktion beobachtet und führt
dies darauf zurück, dass die Reagentien allein genommen besonders
bei einem Ueberschuss an Alkali eine intensive Rotfärbung aufweisen.
1750
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
J Boas-Berlin: Bemerkungen zu dem vorstehenden Artikel.
Wegen der grossen Empfindlichkeit der Phenolphthaleinprobe
muss die vorausgeschickte fleischfreie Zeit 8—10 Tage betragen.
Wenn auch die Reagentien allein bei allzu reichlichem Zusatz von
Kalilauge ein positives Resultat ergeben können, so beeinträchtigt
dieser Umstand den Wert der Probe keineswegs, da ein derartiger
Fehler bei der Fäzesuntersuchung wegfällt.
Syring-Bonn: Beziehungen zwischen Plattfuss und Fuss-
tuberkulose. . . , .
Vor allem ist es die Tuberkulose der Articulatio ^talonnviculuris,
welche im Beginn mit den subjektiven und objektiven Symptomen des
Plattfusses einhergehen kann; die Häufigkeit der Fehldiagnosen,
welche sich aus dieser Erscheinung ergeben, wird auf etwa 10 Proz.
berechnet. Es handelt sich in solchen Fällen, selbst wenn ein sogen,
kontrakter Plattfuss vorzuliegen scheint, nicht um stärkere Knochen¬
zerstörungen — das Röntgenbild kann noch völlig negativ sein ->
sondern um einen reflektorischen Spasmus des Muskel-, Band- und
Kapselapparates. Das bevorzugte Alter liegt zwischen 18 und
28 Jahren. . , .
Q. H o t z - Freiburg i. Br.: Fermentative Blutstillung durch
Koagulen. „ , , , ,
Einigermassen bedeutendere Qefässe werden schneller und wir¬
kungsvoller, d. h. sicherer unterbunden. Dagegen hat sich bei den
im Verlaufe von Gehirn-, Leber- und Prostataoperationen auftretenden
diffusen Blutungen die örtliche Anwendung der 5 proz. Koagulenlösung
recht gut bewährt, desgleichen bei den Operationen, welche an
schwer ikterischen Personen vorgenommen wurden. Auch bei
blutenden Magengeschwüren wurde von der Verabreichung des
Koagulens per os gute Wirkung gesehen. Eine stärkere Hämoptoe
kam nach intravenöser Einspritzung von 20 ccm der 5 proz. Lösung
alsbald zum Stillstand, trat auch nicht wieder auf. Abnorme
Thrombenbildung ist bislang auch von F o n i o niemals beobachtet.
D o b b e r t i n - Berlin-Oberschöneweide: Erneute Atemnot nach
gelungenen Kropfoperationen.
Für die früher oder später nach Kropfexstirpationen erneut aut-
tretende Dyspnoe gibt es zwei Gründe: entweder ist die durch den
früher vorhanden gewesenen Kropf erweichte Trachea durch festes
Narbengewebe an Haut, Muskeln oder Brustbein fixiert, vielleicht
sogar abgeknickt, oder es hat sich ein Kropfrezidiv eingestellt. Im
letzteren Falle kommt nur die Resektion der Struma in Frage; in
ersterem Falle muss man die Trachea sorgfältig und weitgehend aus
ihrer narbigen Umgebung lösen und nach peinlichster Blutstillung
nötigenfalls mit einem Fettlappen umgeben. Um prophylaktisch der
Narbenfixation der Trachea zu begegnen, empfiehlt sich möglichst
schonende Ausführung der Strumektomie; insbesondere sollten die
Muskeln lieber scharf durchtrennt und später wieder gut vernäht
werden, statt sie übermässig scharf beiseite zu ziehen. Differential¬
diagnostisch ist an Emphysem ehemaliger Kropfträger zu denken.
B. L e w i n s o h n - Altheide: Ueber Elarson.
Elarson — das Strontiumsalz der Chlor-Arseno-Behenolsäure —
in Form von Tabletten zu 0,5 mg Arsen in steigenden und dann wieder
fallenden Dosen verabreicht, wird als ein nahezu ideales internes
Arsenpräparat bezeichnet, das mit geringster Toxizität einen grösst-
möglichen therapeutischen Wert vereint. Besonders wird der rasche
Eintritt der Arsenwirkung gerühmt.
H. Weiss-Barmen: Zwei weitere mit Kupfer und Quarzlampe
geheilte Fälle von Ulcus rodens.
Es handelte sich um einen 59 jährigen Mann mit Ulcus rodens
des Nasenrückens und eine 54 jährige Frau mit Ulcus rodens der
rechten Schläfengegend; das Geschwür existierte seit 8 bzw. 7 Jahren.
Die Behandlung bestand in Auflegen der von S t r a u s s angegebenen
Lekutylsalbe (zimtsaures Kupferlezithin) und mehrfacher Quarz¬
lampenbestrahlung. Die nach 2% bzw. 2 Monaten erzielte Heilung
dauert nunmehr 6 bzw. 9 Monate an.
Fritz L e s s e r - Berlin: Gibt es eine paterne Vererbung der
Syphilis?
Erwiderung auf die Veröffentlichung von Franz Bruck in
d Wschr. 1914 Nr. 24. B a u m - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 30. C. Sa vas- Athen: Ueber die Choleraschutzimpfung in
Griechenland.
Im Balkankriege wurden auf griechischem Gebiete sowohl bei
den Truppen als bei der Zivilbevölkerung in grossem Stile (ca. 500 000
Personen) Schutzimpfungen mit einem Choleraimpfstoff vorgenommen.
Verschiedene Vergleiche sprechen für einen guten Erfolg derselben
und im ganzen sind von den zweimal Geimpften 99 Proz. von der
Krankheit verschont geblieben. Die wiederholte Impfung schafft einen
ungleich höheren Grad der Immunisierung als die einmalige. Unter
sonst günstigen und geregelten sanitären Verhältnissen werden die
Impfungen entbehrlich sein, für Kriegszeiten sind sie unumgänglich
notwendig, sie können ohne Beeinträchtigung der Kampffähigkeit der
Armee durchgeführt werden.
P. B i a c h, W. Kerl und H. K a h 1 e r - Wien : Zur Kenntnis
der Veränderungen der Spinalflüssigkeit nach Neosalvarsanappli-
kation.
Bei 12 einschlägigen Untersuchungen fanden die Verfasser 9 mal
nach Salvarsaninjektion einen hohen Wert an Reduktionsfahigkeit des
Liquor cerebrospinalis, der im Gegensatz steht zu den Befunden bei
14 nicht mit Salvarsan behandelten Luetikern. Der hohe Zuckerwert
zeigte keine Beziehung zu den luetischen Krankheitserscheinungen,
auch nicht zu dem Bestehen von Fieber, Kopfschmerz, Schwindel,
Erbrechen. Dagegen bestand ein gewisser Parallelismus in der Menge
der reduzierenden Substanz mit der Höhe der Salvarsandosis. An¬
scheinend kommen für die Erhöhung der Zuckerwerte auch individuell
disponierende Momente in Betracht.
I S Schwarz mann - Odessa: Ueber die klinische Bedeutung
der Bestimmung des diastolischen Blutdruckes für die Diagnose der
Erkrankungen der Aorta.
Starke Herabsetzung des diastolischen Blutdruckes dient nicht
nur zur Festigung der Diagnose der Aorteninsuffizienz bei sonstigen
Erscheinungen derselben, sondern kann auch nach dem Verf. als
einziges Symptom oder wenigstens beim Fehlen des wichtigsten
Symptomes, des diastolischen Geräusches, für die Diagnose aus¬
reichen. (Krankengeschichten.) So ergibt sich auch, dass eine
Aorteninsuffizienz weit häufiger besteht, als sie bisher erkannt wurde,
und es erfahren auf diese Weise manche Störungen, wie Kopfschmerz.
Schwindel, Schlaflosigkeit erst die richtige Erklärung. Ausserdem
kann die zunehmende Herabsetzung des diastolischen Blutdruckes ein
Zeichen für die fortschreitende Entwicklung der Insuffizienz abgeben.
Schliesslich kann die Bestimmung des Blutdruckes auch zur Klärung
der Diagnose bei komplizierten und schwierig zu erkennenden Herz¬
fehlern dienen.
A. Henszelmann - Pest : Die Reizung des Nervus phrenicus
Hc. faraHisphpii Strom und die röntgenologische Verwertbar¬
keit dieses Verfahrens.
Untersuchungen an 200 Kranken. Die in üblicher Weise, am
besten auf einer Seite vorgenommene Phrenikusreizung gibt im
Röntgenbilde vielfach sehr auffallende und diagnostisch wichtige Auf¬
schlüsse über das Verhalten des Zwerchfells. Dieses erfährt während
der Reizung eine krampfhafte Kontraktion, welche die des tiefsten
lnspiriums überschreitet, verliert die exspiratorische Konvexität und
wird ganz flach, so dass die phrenikokostalen, phrenikokardialen und
seitlichen hinteren Komplementärräume auf das vollkommenste ent¬
faltet werden. Von pathologischen Zuständen, deren Diagnose auf
diese Weise bereichert wird, seien genannt kleine und grössere Ex¬
sudate, perikardiale Verwachsungen; weiter bei Pneumonie, manchen
Erkrankungen des Herzens, der Speiseröhre. Röntgenabbildungen.
J. Cecikas- Athen: Beitrag zur Kenntnis des Einflusses der
Nephritis auf die Zeugung.
C. gibt folgende Zusammenstellung aus seiner Beobachtung.
Unter 28 nephritiskranken zeugungsfähigen Frauen waren 8, die ge¬
sunde Kinder austrugen, 5 waren steril. An Aborten fanden 36 statt,
davon traf je 1 auf 8, je 2 auf 4, je 3 auf 2, je 4 auf 2 und 6 auf 1 Frau.
Auf 22 Fälle trafen 3 akute Nephritisrezidive. Auch beim Manne
scheint nach C. die Nephritis nachteilig auf die Zeugungsfähigkeit zu
wirken.
Wiener klinisch-therapeutische Wochenschrift.
Nr. 11. E. Las er- Wiesbaden: Ein in Heilung ausgegangener
Fall von schwerer medizinaler Wlsmutvergiftuiig mit Beck scher
Wismutpaste. .
Die Vergiftung, wochenlange intensive Stomatitis und Albumin¬
urie, trat nach dreimaliger Injektion (in 3 Wochen 170 g Paste) in
den Psoasabszess auf. Allmähliche Genesung und Ausheilung des
Abszesses.
Nr. 11. E. W i e n g e s - Krefeld: Zur Frage der öffentlichen
Ankündigung nicht freigegebener Arzneimittel.
Verf. kommt als Jurist zu dem Ergebnis, dass nach preussischem
Recht eine Polizeiverordnung, welche die öffentliche Ankündigung
von Arzneimitteln verbietet, nur dann als giltig anzuerkennen ist,
wenn die Fachpresse von dem Verbote ausgenommen ist und das
Verbot sich auf die Ankündigung von Arzneimitteln gegen bestimmte
schwere Krankheiten beschränkt.
Nr. 12 und 13. A. T h e i 1 h a b e r - München: Der Zusammen¬
hang zwischen Ernährungs- und Getränkereform und die nationale
Bedeutung dieser Reformen.
Nr. 13 und 14. E B r a a t z - Königsberg i. Pr.: Der Bruch des
Radius am Handgelenk.
Verf. fordert für den Verband bei Radiusbrüchen, dass jede
extreme Fixierung der Handgelenke vermieden werde und die Finger¬
bewegungen vollkommen frei bleiben. Da die stärkere Volarbeugung
der Hand die Fingerbewegungen, insbesondere auch den Faustschluss
beeinträchtigt, ist sie zu vermeiden. Verf. empfiehlt neuerlich seine
Modifikation des B e e 1 y sehen Schienenverbandes, in dem er unter
Verwendung eines weitmaschigen Formleinens („Hessian“) und
event. eines Aluminiumdrahtnetzes eine teilweise offene, den Arm
nicht ganz umfassende Gipskapsel herstellt, welche die Hand in der
Mitte zwischen Volar- und Dorsalflexion fixiert. (Abbildung.) Der
Verband kann durch leichtere Aenderungen jeder Art des Bruches
angepasst werden und vermeidet alle Schädigungen. In der Rege'
bleibt er 14 Tage liegen.
Nr. 15. J. P e e r - Neustadt a. D.: Ein Fall von spontaner
Wendung eines Fötus auf den Fuss bei Querlage.
Die Selbstwendung erfolgte auf der Wagenfahrt ins Kranken¬
haus. Bergeat - München.
i. August 19 14.
MUFNCHFNHR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1751
Dänische Literatur.
a ' EpMf"sen:DeT Hypophysenextrakt ln der Geburtshilfe.
Aus der Entbindiingsabteilung B des Reichshospitals [Direktor:
tauch].) (Ugeskrift for Läger 1914 Nr 15)
.. gfr Verfasser hatte teils Pituitrin von Parke, Davis & Co.,
eils Pitug andol von Ho ffmann-La Roche angewandt, zog das
^Spe.„Fraparat yor- Das Material bestand aus 8 Fällen von Abort
/ Fallen von prämaturen Entbindungen, 129 Fällen von rechtzeitigen
ntbindungen. Der \ erf. fasst seine Resultate folgendermassen zu-
ammen :!. Der Hypophysenextrakt ruft Wehenwirksarnkeit hervor oder
tniLawt n‘C dCr 0ebarcn,dc,n' jedenfalls in den meisten Fällen.
. Die Wehen treten wie gewöhnliche Wehen auf und sind in physio-
/gischer Beziehung ihnen gleich, selbst wenn der Druck in der Wehen-
ause steigt 3. Abort kann dadurch nicht hervorgerufen werden-
enn der Abort im Gange ist, kann das Mittel mit Erfolg angewandt
R»®H«:ZiDaiIlrnenSchnüren des 0rifizium wurde nicht beobachtet.
nfhinJ™3 .%P/aeman/rU-lWirkidas Mittel wie bei gewöhnlichen
rilüH Bu rechtzeitigen Entbindungen wirkt das Mittel am
esten zum Schluss. 6. Gute Wehen werden durch das Mittel nicht
ordnenden ‘p-3«1“11® Wfehen; 7- Der Hypophysenextrakt kann
neu ordnenden Einfluss auf schmerzende, wirkungslose leicht
etenSCh8 ^emn<*JS>e2’if°i,daSS gUjC )Vehcn mit guten Pausen auf-
«;• Temperaturerhöhung, jedenfalls höhere Grade, scheinen
e \\ irkung des Mittels zu hemmen. 9. Atonie post partum wurde
°.n deni- \er( f: nicht beobachtet; die Anwendung des Mittels war in
;inem Fall für das Kind gefährlich. Herzkrankheit, Albuminurie und
ichte Nierenentzündungen sind nicht Kontraindikationen. 10 Man
uss warnen, das Mittel bei drohender Eklampsie anzuwenden
S;A.J s c h e r n i n g: Gaudaphil als Wundverband. (Ibidem.)
Professor 1 s c h e r n i n g, der Oberchirurg des städtischen
rankenhauses zu Kopenhagen, empfiehlt sehr das Gaudaphil als
Ü1 Yon asePdschen Hautwunden; er schreibt, dass er in
i4 Jahr?n’ \n w,elchen er Wunden beobachtete, nie mehr idealen
gewandt 'hatte** 3 S *“ den Monaten> in welche" er das Gaudaphil
J&tota R(ib,ddem V°" kü"s,lk,,er ■><*'-
«J, e‘ner gevyöhnlichen Injektionsspritze mit langer Kanüle
•im -bC1 Korpertemperatur nach Koitus per preserva-
um aufbewahrt) eingespntzt. 3 frühere Versuche, bei welchen der
g eicben Teilen physiologischen Salzwassers gemischt
■ir, misslangen, wahrend der 4. Versuch, nach der veränderten
Cchw'k> Erfolg hatte. Die Ursache der Sterilität war Hypospadie
s Mannes, die Frau zeigte keine Abnormitäten der Genitalia.
iberktdosevo^beugungf V' P,ril“elsche Pro'» ™<> Pasche
i Knchli Krzi^,ungsanstalt »Himmelbjerggaard“, in welcher zirka
Knaben im Alter von 8 — 13 Jahren aus sehr armen Heimen auf-
' 19lTdieWvrdpP’ Und 1r5nJaDe bleiben’ hatte der Verf. von 1908
ifnahL^ ‘quetsche Probe bei allen Knaben teils bei der
; ‘nähme, teils einmal jährlich angestellt. Bei der Aufnahme
lZTlUTt Knabeun 78’ d- h> 43 Proz- Luter 111 Knaben,
-anf ha /Aujnahm-e ”lcht reagierten, reagierten 14 später, was
auf deutete, dass sie in der Anstalt infiziert worden waren; 6 von
'S UmSSif «-Th1 1?08,i^er SChon 1909, und vielIeicht Hess
be h ah/Ck 6[k aren’ dass der Verf- bei der ersten
rö.e„‘?'908 35pr?z- Alttuberkulm, später unverdünntes Tuberkulin
einem Knahln1' A91l humanes und bovines Tuberkulin a~a.
'nähen K a die Reaktion schwach, aber jedenfalls schienen
■ fand de? ? r Anstalt infiziert worden zu sein. Der Ernährungs-
: i ™inSPenKSCiien gleich, aber der Gesundheitszustand
Iafen die niefS ? • b A1 d“ n!cht innzierten. Seit 1. Januar 1914
, ' . rht m izierten In einer speziellen Abteilung. Zur Vor-
dn aneewä1nH?CkH-ngH^Ur^en der Anstalt übrigens nur die Mass-
.eln angewandt dm die Gesetzgebung den Schulen vorschreibt
iversiHKA-linV Ha y s e n : Ueber Sanduhrmagen. (Aus der mediz.
: b er].), (ibidem Nr. 20.) ““ Reichsh°sPtok 1™- Knud
-f^CPhRBAeHSACh+reibU,ng VOn 10 Fällen von Sanduhrmagen hebt der
; dl.e Bed®utang der spastischen Form desselben und die grosse
iTedeut ned!red^tU”gH deF Rö,ntge"bilder bei diesem Leiden hervor
' ienten nl ;r5"derung der F9™ des Magens muss man dem
it weiss uPmtl0-n r|tCn’ ^6I tman in den meisten Fällen
A ®‘s»’ ob. nicht ein offenes Geschwür vorhanden ist.
ge L- b °nss: Gleichzeitige quantitativ ausgeführte Impfungen
hI mlpnünh"1? ,bovinem Tuberkulin, speziell bei Lupus vulgaris
■ Äe^mmll!ber!iU °S?’ “ebst klinischem und statistischem Beitrag
ise IÄLUP!!S vulgaris. (Aus der Hautklinik des
[ J2 und 13 ) medlzImschen Lichtinstituts.) (Hospitalstidende 1914
• hDF 1 1^?^ „besteht , aas 3 Teilen: 1. Tuberkulintiterbestimmung
lerkuiin T„fa c IVunc! ,E.r a n d s e u. mit humanem und bovinem
gentuherküLp £apkneitS?[uUppen (Llipus vlllgaris f161 Fällel;
•US erVthkpm»* 64 ?Äe»-9bnServati01} für Tuberkulose [17 Fälle];
1 Fällel) ymatosus. |17 Falle] und nicht tuberkulöse Krankheit
I um ä' „Xi spezie|,em Interesse war ausser der hohen Titerzahl
lere fir,,!! i m ?usammenhang mit der Zahl für sämtliche
iLunn« pPen’. der Sf[hr ausgesprochene Unterschied in Titerzahl
upus vulgaris und Lupus erythematosus, auch die für sämtliche
P[,Uppen gemeinschaftliche schwache Reaktion auf bovine Tuber-
Kulose, was vermutlich durch das viel schwächere Wachstum der
bi BmZ-L6k \n G[yzerinbouillon, indem Tuberkulin von Kulturen
obeä PräJäah athrb?dCn h®f,ge?telIt wird< sich erklären lässt. 2. Für die
oben erwähnten Lupusfalle (27 Stadt-, 131 Landbewohner) wurde eine
Sknn Anampese rücksichtlich der Wahrscheinlichkeit für An-
z .hlrw T°n JJenschcn zum Rind aufgenommen. Auch für die Melir-
wa rsrhPiniÄpV0 'kerung schien es nach diesen Aufklärungen am
vnn m! i h u anzunehmen, dass die tuberkulöse Ansteckung
P-ttieMei Sd^'\ 1Cirtr-U1Kfe‘/ 3‘ Flldllch wurden sämtliche inländische
füV h > vPdK Lichtinstituts — im ganzen 1846 — , nebst den Zahlen
Tuheäknllt breiHUtlg der Rinder- (Euter-) und Menschen- (Lungen-)
därauä wPnnmmpVerSChHedenen Landbezirken aufgestellt. Es schien
i w vlh !- T",wer en zu müssen, dass der Lupus sich mehr
anschliäst InSHpnr Lungentuberkulose als der der Eutertuberkulose
nrn Millf n.f U d r St?dtne1' ’ war d'e Anzahl der Lupuspatienten 0,61
fst dass’ hnvbiT Tahdek°’|72 Pr° (Mll,le’ Der Hauptschluss des Verf.s
Adas,s bovine 1 uberkuloseansteckung eine geringere Rolle als
du. Ansteckung von Menschen als Ansteckungsmoment bei dem Lupus
vulgaris angenommen werden muss. p
HamMarriLKH ° 8 f-: K!inlscbe Methode zur Stickstoffbestimmung Im
(Ibidem Nr. 19 ) tierphysi°logischen Laboratorium der Universität.)
Früher veröffentlichte die Verfasserin (s. Hoppe-Seylers Zschr
stoffs^ rl Shemie 8a4V,S‘ 37,9^ eine Methode zur Bestimmung des Harn¬
stoffs des Harns mit Bromlauge; da Bromnatron nicht allein Harnstoff
hest^IH^nniak’ sondern auch teilweise andere stickstoffhaltige Harn-
Pinf!uccdftd Heltei ’ 7ah»Üenud ein kleinerer Teil derselben nicht be¬
einflusst wird, kann die Methode auch zum Nachweis des Stickstoffs
vnnHsaHrkatnffeWaK-dtH werdea- wenn dieser widerstandsfähige Rest
von Stickstoffverbindungen beinahe konstant, von der Gesamtstick-
stofrmenge unabhängig ist, was die vorgenommenen Untersuchungen
kbnlcrb'pn 'rin dlCSnr Basis..hat d'e Verfasserin ihre Methode zum
klinischen Gebrauch ausgenutzt. (Der Apparat ist bei F. C. Jacob
Hauserplads, Kopenhagen, zu erhalten.)
Hpr ihn?' F.ridericia: Eine klinische Methode zur Bestimmung
der Kohlensaurespannung der Lungenluft. (Aus dem Institut für all¬
gemeine Pathologie der Universität.) (ibidem )
Hrr j[nbe.Lt!1er-frÜheren zeigte der Verf- dass die Bestimmungen
der Kohlensaurespannung einen Massstab für den Grad von Azidose
HaLh Diabetikern geben, ganz wie die Ammoniakausscheidung in
Esiisn J6HZt Verf- gelungen- eine Methode auszu-
M welcher die Kohlensaurespannung in der Alveolärluft in
wenigen Minuten bestimmt werden kann ohne andere Apparate als
PH F°uS-SuS Zybnderglas, einen Gummiballon und einen eingeteilten
Mr\SbAhh-Mr V°n ^iner speziellen Form. Beschreibung der Methode
und Abbildungen des Apparates.
i S: äjgaard: Die Reaktion von Abderhalden. (Aus
dem staathehen Seruminstitut [Direktor: Dr. Th. M a d s e n] und der
Entbindungsabteilung A des Reichshospitals [Direktor: Prof. Leopold
Meyer].) (Ibidem Nr. 21 und 22.)
cDer Verf. hat mit einer einwandfreien Technik bei mehr als
300 Sera die Reaktion von Abderhalden untersucht. Als Haupt¬
punkte seiner Resultate teilt er folgendes mit: 1. Der Unterschied, der
dUü\T- i!f Abderhalden sehe Reaktion zwischen Schwangeren
und Nichtschwangeren nachgewiesen werden kann, ist von quantita-
tiver Natur; durch Modifikationen in der Versuchsaufstellung kann
man nachweisen, dass jedes Serum proteolytische Fähigkeit gegen¬
über Plazentargewebe hat. 2. Deshalb muss bei den Versuchen
grosses Gewicht auf die quantitativen Verhältnisse gelegt werden
la) die Reaktionszeit, b) die Menge von Plazenta, c) die Menge und
Konzentration des Serums]. Durch Dialyseversuche bekommt man
eine genauere Beurteilung des proteolytischen Vermögens durch Auf¬
stellung einer Reihe Versuche mit steigender Dialysezeit. 3. Während
der Schwangerschäft wird die proteolytische Fähigkeit deutlich ver-
mehit, indem das Serum schwangerer Frauen durchgehends be¬
deutend starker als das Serum ganz normaler Individuen (Männer
und Frauen) reagiert. Doch gibt es eine Reihe von Leiden (z. B.
Cancer, febrile Salpingitis, Achylie, Metrorrhagie usw.), wo die
proteolytische Fähigkeit vermehrt sein kann, so dass das Serum
solcher Patienten kräftiger reagieren kann als die am schwächsten
spaltenden Sera von Schwangeren. 4. Der diagnostische Wert der
Methode muss aus diesen Erfahrungen beurteilt werden. Die grösste
Bedeutung hat der Nachweis von geringer proteolytischer Fähigkeit;
wenn ein Serum bei Dialyse in 16 Stunden keine Reaktion gibt, spricht
dieser umstand stark gegen progressive Schwangerschaft; ein posi-
tn er Ausfall dieser Probe kann dagegen von anderen Zuständen als
Schwangerschaft verursacht werden und ist deshalb von viel
geringerem diagnostischem Wert. 5. Die normal vorkommende proteo-
lytische bahigkeit ist bei der Frau zyklischen Schwankungen von
Menstruation zu Menstruation mit Steigerungen in dem prä¬
menstruellen Stadium unterworfen. Diese prämenstruelle Steigerung
veranlasst ähnliche Reaktionen wie bei Gravidität und spielt deshalb
dne pralcHsche Rolle neben der theoretischen Bedeutung, welche sie
möglicherweise für die Erklärung der proteolytischen Fähigkeit
wahrend der Schwangerschaft hat.
Harald Boas: Weitere Resultate der Behandlung von Syphilis
mit Salvarsan in Verbindung mit Quecksilber. (Aus dem Rudolph
Beigh-Kran^nhäus [Direktor: Prof. Dr. E. P o n t o p p i d a n] )
(Ibidem Nr. 24 und 25.)
1752
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
Darstellung der kombinierten SaWarMn^uKksdberbeh^lung
bei 263 Patienten. 122 von diesen konnten längere Zut beobachtet
werden. Die Patienten bekamen zuerst eine saure intramuskuläre Ei -
soritzung von 60 cg Salvarsan, 10 Tage spater eine intravenöse In¬
jektion von 40 cg. Am selben Tag begannen die Patienten eine
Schmierkur, jeder Patient bekam 50 liiunktionen von 3 g Salbe oder
m Kilomeliniektionen von 5 cg oder 10 Injektionen von 10 cg
Hydrargyr. salicylic Ernste Nebenwirkungen des Salvarsans wurden
nicht beobachtet Der Verf. fand die kombinierte Salvarsan-Queck-
silberbehandlung bei primärer und frischer sekundärer Syphilis der
alten Quecksilberbehandlung überlegen, indem sie bei einer einzelnen
Kur die Patienten von ansteckungsgefahrlichen Symptomen eine lange
Zeit frei zu halten vermag, während Patienten, die in diesem ^tadium
der Krankheit nur mit Quecksilber behandelt werden, beinahe immer
Rezidive bekommen. Man muss die Patienten so früh wie möglich
behandeln. Dass die Krankheit bisweilen abortiv geheilt werden
kann Hess sich dadurch beweisen, dass unter den Patienten ein un¬
zweifelhafter Fall von Reinfektion auitrat.
Auch bei Pemphigus chronicus vulgaris, Dermatitis herpetiformis
und Pemphigus vegetans beobachtete der Verf. gute Erfolge durch
Salvarsanbehandlung. Adolph H. Meyer- Kopenhagen.
Norwegische Literatur.
P. Torgersen: Die Bedeutung anatomisch-physiologischer
Untersuchungen von Sportliebhabern. (Norsk Magazin for Läge-
videnskaben 1914 Nr. 4.)
Der Verfasser hatte in einer früheren Arbeit die Bedeutung der
ärztlichen Untersuchung für die Sportliebhaber hervorgehoben, spe¬
ziell für die Trainierung; durch die ärztliche Untersuchung werden
Ueberanstrengungen und Uebertrainierung am. vermieden,
und man erhält die beste Auswahl von kdividuen zu den
Uebungen, die jedem einzelnen am besten passen. 200 Individuen
hatte der Verfasser untersucht, mehrere von diesen wiederholt, einen
Teil der Ruderer täglich, so dass die Anzahl der Enize! Untersuchungen
ca 600 war. Die Untersuchungen betrafen Gewicht, Hohe, Muskel
kraft, Herzbefund, Blutdruck, Respiration, Vitalkapazitat der Lungen,
Harribefund usw.; die Resultate wurden in Tabellen für jedes Indi¬
viduum aufgeschrieben. Die Anzahl war nicht gross genug, spezie
Schlüsse zu ziehen, aber gibt eine Vorstellung der verschiedenen
Typen von Sportliebhabern (Schlittschuhläufer, Schneeschuhlaufer,
Fussläufer, Ruderer, Ringer, Fechter). Der Verf. bespricht dann die
anatomischen und physiologischen Veränderungen, die sich wahrend
einer Anstrengung oder Trainierung, die die Konstitution des ein¬
zelnen am meisten berücksichtigt, entwickeln. Endlich werden die
pathologischen Veränderungen, die ab und zu nach maximalen An¬
strengungen beobachtet werden, beschrieben.
Söfus Wideröe: Beitrag zur Pathologie der Appendizitis.
(Aus der chirurg. Abteilung des städtischen Krankenhauses zu Lhri-
stiania. Direktor: Hj. Schilling.) (Ibidem.) .
Der Verf. versuchte zu entscheiden, ob ein charakteristisches
Verhältnis zwischen dem bei der Operation der akuten Appendizitis
vorliegenden pathologisch-anatomischen Befund und dem Blutbild vor¬
handen ist, ferner ob man aus dem Blutbild Schlüsse auf die Natur
der Entzündung ziehen kann, und endlich, in welcher Weise peri¬
toneale Infektion auf das Blutbild bei Appendizitis Simplex einwirkt.
Das Material umfasst 59 Fälle, 56 Blinddarmentzündungen und 3 dif¬
fuse Bauchfellentzündungen, von welchen nur die eine von einer
Appendizitis verursacht war. In den operierten Fallen wurde die
Blutuntersuchung unmittelbar vor und nach der Operation, in
mehreren Fällen täglich oder jeden anderen Tag vorgenommen; wenn
Komplikationen eintraten, wurden die Untersuchungen fortgesetzt,
bis die Leukozytenzahl normal wurde. In den operierten Fallen
wurde die Appendix mikroskopisch untersucht, um die Ausdehnung
und Art der Entzündung zu bestimmen. Der Verf. fand bei der
akuten Appendizitis eine von bestimmten Verhältnissen abhängige
Leukozytose, am grössten in dem jüngeren Alter. Die gangränösen
Formen hatten die stärkste Leukozytose, vor der Perforation sinkt
die Leukozytenzahl etwas, vor der Agone steigt sie. Bei einer akuten
unkomplizierten Appendizitis wird die Leukozytenzahl normal einige
Tage nach der Operation. Aus dem Grad der Leukozytose kann man
keine sicheren Schlüsse auf das Vorhandensein einer peritonealen
Infektion ziehen. Durch systematische Blutuntersuchungen wahrend
der Rekonvaleszenz lassen intraperitoneale Abszesse sich am öftesten
sehr früh diagnostizieren. Veränderungen in der Anzahl der neutro¬
philen Leukozyten begleiten die Veränderungen der sämtlichen
weissen Blutkörperchen. In der Rekonvaleszenz tritt regelmassig
eine postinfektiöse Lymphozytose auf, die Zahl der Neutrophilen ist
am grössten im ersten Stadium der gangränösen Appendizitis. Alte
Abszesse geben keine Leukozytose. Die Blutuntersuchung wird Be¬
deutung für die Frage haben, inwiefern es sich um eine gangränöse
Appendizitis handelt oder nicht; eine genaue klinische Untersuchung
ist doch immer notwendig. Nur in den Fällen, in welchen die Besse¬
rung sicher ist und die Leukozytose niedrig, kann die Operation aut-
geschoben werden. Wenn man den Wert der Leukozytose bei einer
akuten Appendizitis beurteilen will, muss man immer das Alter
sowohl der Krankheit als des Patienten berücksichtigen; Kompli¬
kationen, die die Leukozytose beeinflussen können, müssen natürlich
ausgeschlossen werden.
Ragnvald Ingebrigtsen: Ausgebliebene Rotation von Kolon.
Coecum mobile. Ileus. (Aus dem pathologisch-anatomischen Institut
ÜLS D^r 'verpfänd in der'uteratur 8 ähnliche Fälle. Die Missbildung
wurde bei der Autopsie eines jungen Mannes gefunden, der nach
einem chirurgischen Eingriff starb. Der Magen und das orale Drittel
des Duodenum waren normal; der übrige Teil des Duodenum war mit
einem 5 cm langen Mesenterium, das die Bauchspeicheldrüse zwischen
seinen zwei Peritonealblättern enthielt, versehen und wurde in das
Jejunum ohne Flexura duodeno-jejunalis fortgesetzt. Es war eine
Hypoplasie des Dünndarms, der nur 4 m lang war, vorhanden, auch
eine Hypoplasie des Dickdarms, der nur 70 cm lang und sehr dünn
war Das Zoekum war gross und hatte ein Mesenterium von 5-6 cm,
das die direkte Fortsetzung des Mesenteriums des Dünndarms war
und unten eine freie, etwas verdickte Begrenzung hatte; dadurch
wurde das Zoekum sehr beweglich. Das Colon ascendens stieg m
der linken Seite der Peritonealhöhle herauf und hatte eine retropen- ■
toneale Lage. Die Entwicklung der Missbildung lässt sich in folgen¬
der Weise erklären: 1. Der hypoplastische Dünndarm Je weniger,
der Dünndarm wächst, desto weniger ist die treibende Kraft und
desto unvollkommener wird die Drehung. 2. Das sagittal gestellte j
und mit Mesenterium versehene Duodenum, das als eine Scheidewand
zwischen der linken und rechten Abdominalhalfte steht und den Dicn-
darm hindert von der linken Seite gegen .die rechte zu passieren.
Nils B. Koppang: Myelogene Leukämie, mit Benzol behandelt.
(Aus der medizinischen Abteilung A des Reichshospitals. Pro . Dr.l
Der Patient bekam zuerst Arsenik- und Röntgenbehandlung ohne
Wirkung, vom 24. Mai bis 16. September Benzol, 2 g, spater 3,5 s
täglich (im ganzen 341,5 g), ausserdem in vier Perioden Röntgen¬
bestrahlungen (im ganzen 40 Sitzungen). Anfangs stieg die Leuko¬
zytenzahl bis 450 000, dann fiel sie. Am 15. September war: sie 330t
Am 8. Oktober fand man 5 640 000 rote Blutkörperchen 5800 weisst.
Hämoglobin 90 Proz., also quantitativ normales Blutbild; in dem ge¬
färbten Präparat ein einzelner Myelozyt. Die Milz, die die ganze
linke Seite des Unterleibs gefüllt hatte, erreichte nur ca. Zweifinger-
breite vor linkem Rippenbogen. Die Leberschwellung schwand ganz
Das Allgemeinbefinden war normal. Harn seit 9. Juli ohne E'weiv
G H Monrad-Krohn: Die Behandlung der Syphilis des
Nervensystems, speziell der Tabes und der Paralysis generalis
UbldD™r Verf. behandelte Fälle von Tabes und Paralysis generalis:
mit intravenösen Salvarsaninjektionen und nachfolgender Injektion vor
Serum in die Zerebrospinalflüssigkeit hinein a Ja Dr. S w ift t,,sai
varsanisiertes Serum“)- Sowohl bei 1 abes als bei der Paralyse ha
er durch diese Behandlung in Verbindung mit Uebungstherapie gute
Resultate gehabt. Die Abhandlung ist eine vorläufige Mitteilung.
Q. Malm: Die Entdeckung des Milzbrandbazillus. Eine histori¬
sche Kritik. (Ibidem Nr. 6.) . , ,
Das Studium der Originalabhandlungen zeigte, dass der _ fran¬
zösische Arzt Ray er im Jahre 1850 der erste war der verotfent
lichte, das Milzbrandstäbchen beobachtet zu haben. Spater gab de
deutsche Tierarzt Fuchs an, den Bazillus 1842 beobachtet zu haben
Die erste genaue Beschreibung des Stäbchens gab der deutsche nt
ai zt P o 1 1 e n d e r, der 1855 mitteilte, dass er den Bazillus im Ja n
1849 beobachtet hatte. Der erste, der die Bedeutung des Bazillu
für Milzbrand behauptete, ist der französische Tierarzt De af on.
im Jahre 1860, und der erste, der die Spezifität des Bazillus gan
verstellt und behauptet, ist der französische Arzt Davaine lM
der zusammen mit Rayer die Stäbchen beobachtete. Robert Koc
verdankt man die definitive Feststellung der Rolle des Milzbrani
bazillus als Erreger des Milzbrandes (1876).
Kr Brandt: Retroplazentäre Blutung (frühzeitige Losung de
richtig sitzenden Plazenta). (Aus der Entbindungsanstalt zu Uri
" '"in^der. letzten 7 Jahren beobachtete man in der Entbindungs
anstalt unter 9258 Gebärenden retroplazentäre Blutung mit klinische
Symptomen 15 mal, d. h. in 0,16 Proz. Uebersicht des Leidens un
tabellarische Aufstellung der Fälle.
Adolph H. M e y e r - Kopenhagen.
Schiffs- und Tropenkrankheiten.
P G. U n n a - Hamburg: Materialsammlung für eine künftige B‘
arbeitung der Lepraätiologie. (Hamburg, med. Ueberseehefte 1. r
1 ^ifnna eröffnet im ersten Hefte der neuen Zeitschrift eine Samn
lung von Einzelbeobachtungen zur Beantwortung der Frage:
breitet sich die Lepra aus? Die Sammlung, die in den Folgehett
fortgesetzt wird, soll den Grundstock einer neuen Periode au
logischer Forschung abgeben, nachdem sich die durch den_ bieg a
Armauer Hansen sehen Ansteckungstheorie hervorgerufene
schüchterung der Oeffentlichkeit gelegt hat.
R. R u g e - Jerusalem: Die Emetinbehandlung der Amobenrun
(Daselbst 1. 1914. H. 1. S. 31.) . m
O. M ü 1 1 e r - Hongkong: Amöbendysenterie und Emetin, u
selbst 1. 1914. H. 5. S. 198.)
Das Emetin wirkt vernichtend auf die grossen vegetam«
Formen der Ruhramöbe, beeinflusst die kleinen Minuta- oder Uhr
midialformen sehr wenig und versagt den Dauerformen gegenuD
4. August 1914.
MUKNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
vollständig. Demnach bewirkt es sicher und prompt eine klinische
Heilung, nicht dagegen eine Dauerheilung. Namentlich hat es sich
auch bei den lebengefährdenden Komplikationen der Amöbenruhr
Jem Leber- und Lungenabszess als wirksames Adjuvans gezeigt,
.ur hmv erleibung ist der intravenösen Einspritzung vor der subku-
anen und intramuskulären der Vorzug zu geben. Dosis nicht unter
UM. nicht über 0,2 (subkutan).
, |MLZUr.nilrt^*Ki,t1: Tr°Pischer Leberabszess in der Literatur
les Jahres 1913. (Daselbst 1. 1914. H. 5.)
Die latsaclie, dass vielfach auf jede andere Art angegriffene und
edtm Versuch widerstehende dysenterische Leberabszesse dem
.metin kombiniert mit chirurgischer Behandlung weichen und Miss-
■rfolge mit diesem Mittel in der Literatur bis dahin überhaupt nicht
m geteilt werden, gibt die Berechtigung in der Einführung des
.mctins einen wirklichen und wesentlichen Fortschritt in der Be-
landlung des dysenterischen Leberabszesses zu erblicken. Im übrigen
:urzes Sammelreferat. s
. *1 , Y.°r f ' s c h :.v a n. v* ° t e n - Hevyün (Kantonprovinz) : Chi-
teslsche Splenomegalie. (Arch. f. Schiffs- u. Trop Hyg 17 1913 H 7 )
Abgesehen von der durch Kala-Azar und B an O sehe Krankheit
■edingten M.lzvergrosserung giebt es in China eine chronische
'Plenomegahe, die gekennzeichnet ist durch starke Vergrösserung
l^rhartTR,d,er MdZ’ d,urch aussesprochen chronischen Verlauf,
langel an subjektiven Beschwerden, endlich durch Fehlen von Fieber
nd anderen Nebenerscheinungen, wie Abmagerung, Aszites und Leber-
rkrankungen. hast stets sind Männer betroffen (93 Proz)- Durch
chmttsalter 29 Jahre (9-52 Jahre). Ursache unbekannt. ' ’
nh 'y1!1'! s C.11 e r S C h m i d t - Neulangenburg: Erfahrungen mit
oha bei Frambosie. (Daselbst 17. 1913. H. 16. S. 552.)
Joha, eine ölige Salvarsansuspension, ist teurer als Salvarsan
"zuverlässiger zu dosieren und steht in seiner Wirkung weit hinter
er intravenösen Salvarsaneinspritzung zurück. Es erzeugte, in die
efassmuskulatur eingespritzt, Schmerzen und Behinderung der Geh-
ihigkeit. Im Neosalvarsan ist ein ebenso wirkendes und nur halb
Wd^rLnn wieS Joha'"’ ^ ebenS° RUt intramuskulär eingespritzt
559 )BeriCht Übef Erfahrungen mit J°ha- (Daselbst 17. 1913.
rro?0ei-Frac^ÖSie hat.Joha eine ebenso günstige Wirkung wie eine
travenose Salvarsaneinspritzung. Das Mittel ist wegen seiner ein-
ehen Anwendung, verbunden mit guter Wirksamkeit für die Tropen-
axis sehr zu empfehlen.
175.3
«phpr ni'l1.2 V Bamkol?li 0perieren oder Nichtoperieren bei chro-
scher Dysenterie. (Daselbst 17. 1913. H. 17. S. 581.)
rht?PStiVeS Vor.geb?n bei Amöbendysenterie ist nur dann ge-
^ h-4 gt’- ^enn 3 1 Sltz der chronischen Entzündung Zoekum und
ipendix sicher nachgewiesen sind und die Ipecacuanha oder das
netm be, richtiger Anwendung versagen. Dafür bleiben nur wenig
rl« i St be/eits die Darmschleimhaut in grösserer Ausdehnung
rstort. so kommt nur noch die vollständige Ausschaltung des Dick-
rms in Erage; die Appendikostomie und Spülungen von dort aus
nugen dann nicht mehr. Bei hartnäckigen bazillären oder nicht
rch Amoben hervorgerufenen dysenterieartigen Erkrankungen sind
a Uarmausvvaschungen das souveräne Mittel, mit dem fast stets
'2 Ausheilung gelingt.
IL P f i s t e r - Kairo: Die Steinkrankheit bei der Negerrasse
1 aselbst 17. 1913. H. 17. S. 599.) 8 dsse-
Die schwarze Rasse erkrankt selten an Urolithiasis. Sogar in
narzialandern scheint die Steinkrankheit die Neger zu verschonen
l HUSh^1StaniCchf •Suh,^r festgesteIlt- Nach neueren Forschungen
rd auch für die Steinbildung die bakterielle Infektion in den Vor-
• rgrund geschoben. Vielleicht Iie°-t in der leichteren Ueberwindung
kterieHer Infektionen von seiten des Negers auch die Ursache
; seltenen Steinbildung. Es scheint, dass bei den Negern der
reinigten Staaten parallel mit der Zunahme der krebsigen Ge-
' HF a£Ch Cine Wrmehrung der Harnsteine stattfindet.
-w K !:/ s 1 e n - Friedrich- Wilhelmshafen Deutsch-Neuguinea:
uges über Neosalvarsan bei verschiedenen tropischen Hautkrank¬
ten. (Ebenda 17. 1913. H. 18. S. 627.)
Das Neosalvarsan ist in seiner Wirkung auf die Frambösie dem
,,.^an g,?!chwertig zu erachten. Dabei hat es den Vorteil der
’ uemeren Handhabung. Es entfaltet bei der intramuskulären Ein-
itzung dieselbe heilende Wirkung, wie intravenös, ohne dabei die-
i 1" Üef^hr.en z" bieten. Bei der Behandlung des venerischen Gra-
"'™:s unr5? der ^askas der Südsee hat es versagt
1Q.:.lx Rudolph-Estrella do Sul (Brasilien): Beitrag zur Nastin-
•andlung der Lepra. (Daselbst 17. 1913. H. 19. S. 669.)
Erneute günstige Erfahrung; besonders günstig scheint Kom-
ltion von Chaulmoograöl per os mit Nastininjektionen.
°denwaldt: Eine neue Mikrofilarie im Blute des
nschen. (Daselbst 17. 1914. H. 1.)
, V-f- wies bei einem Togoneger (Bassari), der Togo nie ver-
tn natte, im B lute eine ungescheidete Filarie nach, die so-
, dn. jrosse4 als auch in ihren bei Vitalfärbung hervortretenden
ananlagen mit den gescheideten Mikrofilarien (Jugendformen der
ioa und Bankrofti) wesentliche Aehnlichkeiten hatte. Der Träger
jlti aV SMl.I!em RiPPenbogen grosse Pakete von Volvulustumoren.
•msene Mikrofilarien wurden in grossen Mengen durch Punktion
Leistendrüsen gewonnen. Verf. hält die zum erstenmal im Blut
nachgewiesene Mikrofilaric für die Jugendform der Onchocerca (Fi-
aruj volvultis und schlägt für sie den Namen Microfilaria nuda vor.
uenaue Beschreibungen und Abbildungen sind beigefügt.
. . , ' l)r enst ein: Zur Techni kder moskitosicheren Häusercin-
drahtung. (Daselbst 18. 1914. H. 1.)
Es ist mehr empfehlenswert, die das Haus umgebenden Veran-
den 31s die entsprechenden Türen und Fenster mit Moskitogaze zu
Schutzen. Die Gaze soll 90 Proz. Kupfer und darf nicht mehr als
o,5 Proz- Eisen enthalten. Die Seitenlänge der Maschen soll etwa
L4 mm betragen. Auf diese Art erhält man 67,4 Proz. Luftraum. Die
rtahrungen in der Panamakanalzone zeigen, dass in mückensicheren
ausern weniger Erkrankungen an Malaria Vorkommen als in un¬
geschützten Häusern.
E. Roden wal dt: Kryptogenetische Muskelabszesse in den
Tropen. (Daselbst 18. 1914. H. 2.)
, R\. sal? T2fo, und zwar fast ausschliesslich bei Kabures aus
aem nördlichen Togo eine Anzahl von typischen Muskelabszessen,
le den von Ziemann und Külz in Kamerun beobachteten Fällen
(Ref. s. Z i em a n n : diese Wschr. 1913 S. 1956) durchaus ähnlich
waien. cs handelt sich um eine Krankheit sui generis unbekannter
Aeuologie. Wahrscheinlich liegt eine Nachkrankheit vor, der die
eigentliche Infektion vielleicht Wochen vorher mit einer von den in-
olenten Eingeborenen übersehenen oder gering geachteten Angina
vorausgegangen ist Gegen die von Külz und Ziemann als wahr¬
scheinlich hingestellte filarielle Aetiologie werden gewichtige Gründe
angegeben. Im Eiter wurden Traubenkokken nachgewiesen.
e.y f f e r t - Aruscha: Erfahrungen mit Salvarsan bei Tropen¬
krankheiten. (Daselbst 18. 1914. H. 6.)
Alb Salyarsan hat der Arzneischatz der Tropenmedizin eine
wesentliche Bereicherung erfahren, da es als Spezifikum gegen Krank-
neiten wirkt, bei denen vorher die therapeutischen Leistungen nur in
Bekämpfung von Symptomen bestanden, z. B. Rekurrens, vielleicht
auch Bilharzia. Bei anderen Krankheiten zeigt es eine schnellere
und promptere Heilwirkung, als die bisher üblichen Mittel, neben
denen es seinen Platz in der Therapie behaupten wird, z. B Fram¬
bosie, Syphilis, Ulcus tropicum, Tertiana. Die Gefährlichkeit der
Anwendung von Salvarsan ist nicht grösser als die anderer differenter
Mittel.
E ä H e b o r n - Hamburg: Ueber die Lage von Mikrofiiaria loa
(diurna) im Trockenpräparat. (Daselbst 18. 1914. H. 7.)
Mikrofiiaria Bankrofti ist am leichtesten daran zu erkennen dass
sie im Trockenpräparat (dicker Tropfen) in glatten gerundeten Win-
dungen liegt, während Microfilaria loa zerknittert aussieht. Unter
Umstanden, z. B. bei zu langsamem Trocknen verhaltfn sich die
Mikrofilarien umgekehrt, so dass die Lagerung im Trockenpräparat
kein einwandfreies Charakteristikum ist. (Abbildungen.)
-t N a n s e m a n n - Berlin: Ueber das Vorkommen von Ge¬
schwülsten in den Tropen. (Zschr. f. Krebsforsch. 14. 1914 H 1 )
Aus einem reichhaltigen, durch Vermittlung des Reichskoloniai-
amts überwiesenen Material (110 Untersuchungen) zieht der Verf.
folgende Schlüsse: Epitheliale Neubildungen sind unter den Ein¬
geborenen keineswegs selten. Sie machen wie in Europa ungefähr
5 Proz. der Geschwülste aus. Sollte wirklich eine Differenz be¬
stehen, so beruht sie weniger auf Rasseneigentümlichkeiten oder auf
Bedingungen der Kultur, sondern erklärt sich aus dem geringeren
Durchschnittsalter, das unter den unkultivierten Völkern der Tropen¬
lander erreicht wird. Malaria und Krebs schliessen sich gegenseitig
nicht aus. Karzinome, die von der Epidermis ausgingen, wiesen
keine Pigmentierung auf, so dass die Fähigkeit, Pigment zu bilden,
!.n den Krebsgeschwülsten verloren geht. Da wegen innerer Leiden
ärztliche Hilfe von den Eingeborenen selten in Anspruch genommen
wird, kommen Geschwülste innerer Organe wenig zur Untersuchung,
ribrome sind durchaus häufig. Sie entstehen meist nach
1 raumen z. B. Tätowierungen, Ohrlöcherstechen, Sandflohgeschwü¬
ren. Ls kommt in den Kolonien keine Geschwulstart zur Beobach¬
tung, die bei uns unbekannt wäre, und umgekehrt kommt bei uns
keine Geschwulst vor, die bei den Eingeborenen fehlt. Die G e -
scliwulstbildung, besonders die bösartige wird
weder durch geographische, noch durch Rassen-
e d i n g u ngen beeinflusst, mit einziger Ausnahme
der Fibrome, die unter ausgesprochenem Rassen¬
einfluss stehen.
Podest ä - Cuxhaven : Marineärztlich-statistische Betrachtungen
über den japanischen Sanitätsdienst im russisch-japanischen Kriege.
Nach den Uebersetzungen des japanischen Sanitätsberichtes. (Vöff a
d. Geb. d. Marine-Sanitätsw. 1914 H. 8.)
Geschichtliche und statistische Mitteilungen (s. darüber U t be¬
mann: Ref. diese Wschr. 1913 S. 1837). Viele Minentote und
(i e s c li ° s s v e r w u n d e t e einerseits und wenig Ge-
bosstote und Minenverletzte andererseits! Die
Mineneinwirkung hat sich demnach qualitativ und auch quantitativ,
die Geschosswirkung dagegen hauptsächlich quantitativ verderblich
erwiesen Als Transportmittel wird ein muldenartiges, doppel-
gekrümmtes Instrument aus feuersicherer leichter Hartpapiermasse
in drei verschiedenen Grössen vorgeschlagen. Als Rettimgsmittel
gegen den Ertrinkungstod haben sich gut gezurrte Hängematten be-
wahrt. Verf. knüpft den Vorschlag an, sie mit einem dünnen, wasser-
I "ich en Seide- oder Gummiüberzug zu versehen, um ihren wertvollen
Inhalt trocken zu halten, und diesen Inhalt unter Berücksichtigunr
1754
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
des weiteren Schicksals der zu Rettenden um einen Hanellanzug, ein
Verbandpäckchen und etwas Mundvorrat zu bereichern. Um dem be
einem plötzlichen Untergang am meisten gefährdeten Maschinen- und
Heizerpcrsonal eine häufigere und leichtere Rettung . zu
muss es zeitig genug von dem drohenden \ erhangnis Kunde
' "Tvo B a n d i - Neapel: A contribution to the study of Bilharziasis.
(Journ. of trop and Hyg. 16. 1913. H. 6.) R, r;i
Verf. fand bei einem Bilharziatall aus Tunis m der Blase Bil-
harziaeier mit endständigem und seitenständigem Stachel und glaubt,
dass Looss’ Ansicht zu Recht besteht, nach der beide Arten \ on
Eiern derselben Spezies von Schistosomum angehoren.
A. Yale M a s s e y - Susambo: A fibro-sarcoma in a native of
central Afrlca. (Daselbst 16. 1913. Nr. 19.) .
Während einer mehrjährigen Tätigkeit in Zentralafrika be¬
obachtete der Verf. nur einen einzigen ähnlichen Tumor. Es handelt
sich um ein Fibrosarkom an der Haut des Rückens über den unteren
Brustwirbeln bei einem 25 jährigen Eingeborenen.
James C a n 1 1 i e: Hepatic abscesses which open upwards throug
the lung. (Daselbst 16. 1913. H. 22.)
Durchbruch von Leberabszessen in die Lunge wird trotz ver¬
besserter Diagnostik immer wieder Vorkommen, einmal weil der
zum Durchbruch durch das Zwerchfell prädestinierte Leberabszess
mit einem Sitz hinten oben in der Leber oder auf der Leber besonders
schwer zu diagnostizieren ist, dann auch, weil durch die innere Be¬
handlung, besonders mit Ipecacuanha (Emetin) mancher Leberabszess
verschleppt wird. Der Eiter kann sich auf 4 Wegen Ausgang nach
oben verschaffen. 1. Eiter überschwemmt das Lungengewebe wie
Wasser einen Sumpf. Eine Oeffnung im Bronchialbaum wird oft
erst gefunden, wenn Wasser in den Bronchus gegossen wird und eine
Oeffnung anzeigt. 2. Der Eiter nimmt seinen Weg dem Perikard be¬
nachbart durch das Lig. latum pulmoms nach oben bis zum Haupt-
bronchus. 3. Der Eiter crgicsst sich unmittelbar oder nach Durch¬
querung von Lungengewebe in die Pleurahöhle. 4. Der Eiter dringt
in den Raum zwischen Zwerchfell, Pleura und Brustwand. Am ein¬
fachsten ist die operative Behandlung in Fall 4. Bricht der Eiter
ins Lungengewebe durch, so ist die beste Zeit zur Operation die Zeit
der Erholung, die der Entleerung des Eiters durch die Lunge bis zur
nächsten Ansammlung von Eiter in der Leber folgt. Ruckfall pflegt nach
kurzer Zeit (einer bis mehrere Wochen) unter Aufflackern der alten
Symptome des Leberabszesses einzutreten. Günstiger sind die Aus¬
sichten zur spontanen Ausheilung des Lungenabszesses bei dem
freieren Eiterabfluss, den der unter 2 gezeichnete Weg bietet. Iritt
spontane Heilung nicht ein, so ist die operative Entleerung schwierig.
C. nimmt sie durch Einstossung eines grossen Troikarts mit Kanüle
durch die ganze Dicke der Lunge vor, nachdem er in der Axillarlinie
durch Rippenresektion sich Eingang in die Brusthöhle verschafft hat.
Edmund R. B r a n c h - Basseterre St. Kitts: Salvarsan in Fi-
lariasis. (Daselbst 16. 1913. H. 23. S. 364.) .
Nach Salvarsanbehandlung verschwinden die Mikrofilarien aus
dem Blute. Die Fieberattacken setzen aus. Auch hartnackige und
grosse Geschwüre kommen zur Heilung. Geringere elefantiastische
Verdickungen können ausheilen, stärkere gehen zuruck. Der All¬
gemeinzustand bessert sich wesentlich, besonders in Fallen, bei denen
mit der Filariasis Syphilis kombiniert ist.
A J Chalmcrs and W. R. O’Farell- Khartoum : Pyosls
tropica in the Anglo-Egyptian Sudan. (Daselbst 16. 1913. H. 24.)
Die Pyosis tropica ist eine durchaus häufige, ausschliesslich bei
Europäern, Tamilen. Singhalesen und Arabern vorkommende Pyo¬
dermie, die ihren Sitz besonders häufig an den Beinen hat, ferner an
den Armen, seltener über den ganzen Körper. Sie wird hervor¬
gerufen durch einen dem Staphylococcus aureus nah verwandten
Traubenkokkus. Die charakteristische Form sind kleine Pusteln zwi¬
schen und völlig ohne Zusammenhang mit den Follikeln. (Abbil¬
dungen.) Heilung ist durch Karbolsalben und Autovakzine leicht zu
erzielen.
Richard Strong, E. E. Tyzzer usw.: Verruga peruviana,
Oroya fever and Uta. (Daselbst 17. 1914. H. l. S. 11.)
Ergebnisse einer Vereinigten-Staaten-Studienkommission m
Peru. Oroyafieber und Verruga peruviana sind durchaus verschie¬
dene Krankheiten. Oroyafieber wird hervorsrerufen durch einen
Mikroorganismus, der in den roten Blutkörperchen lebt und ähnlich
wie die Spirochäten im System zwischen den Protozoen und Bak¬
terien steht. Der Bartonia bacilliformis benannte, der Theileria ähn¬
liche Organismus wird näher beschrieben und charakterisiert. Ver¬
ruga peruviana ist nicht identisch mit Frambösie oder Syphilis, son¬
dern eine Krankheit für sich. Ihr Virus ist auf Tiere übertragbar
und kann bei ihnen den Verrugaeruptionen ähnliche Veränderungen
erzeugen. • *
j Beil-Hongkong: Note of a case of liver abscess treated without
Operation. (Daselbst 17. 1914. H. 3.) . . . ...
3 Fälle von tropischem Leberabszess (Hongkong) wurden geheilt
durch tägliche Emetineinspritzungen zu je Y> gran (gleich 0,02 g) ohne
jeden chirurgischen Eingriff. ,. . ...
Lim B r o n K e n g: Treatment of chronic ulcers of the leg with
frog flesh poultice. (Daselbst 17. 1914. H 3.)
Frisches Froschfleisch, zu Brei zerstampft und mit Mull auf das
Geschwür aufgetragen, ist ein vorzügliches Mittel zur Heilung chro¬
nischer Beingeschwüre.
E A. R. New man: The operativ treatment of hepatic abscess.
(Daselbst 17 1914. Nr. 9. S. 138.) .
Aus der Arbeit des Verf. interessiert besonders die Perhorres-
zierung der Punktionsnadel beim Leberabszess. Sie kann durch
Erzeugung von Hämorrhagien Veranlassung zu tödlichem Ausgang
sein e Ist unzuverlässig: sie kann, von den Bauchdecken aus an¬
gewendet, zur Durchbohrung von Hohlorganen des Bauches oder,
beim Fehlen von Adhäsionen, zum Austritt von Eiter in die Bauch¬
höhle führen Sie soll also nur verwendet werden als letztes Aus¬
kunftsmittel; der Kranke muss durch Kalziumsalze vorbereitet sein.
Die Punktion darf nur durch die Brustwände, me durch die Bauch¬
wände vorgenommen werden; der Eingriff muss bei positivem Er-
gebnis unmittelbar angcschlossen werden; bei negativem Er¬
geh s muss der Rumpf fest gewickelt werden, weiter muss unter
Fortsetzung der Kalziumsalzgaben Bettruhe eingenommen werden
John D. Sandes: Treatment of liver abscess. (Daselbst 17. I
H ' Die Operation der Wahl beim Leberabszess ist die Aspiration
des Eiters die auch in verzweifelten Fällen vorzunehmen ist unu
stets vor der chirurgischen Freilegung versucht werden soll. Aus¬
spülung der Höhle mit Chininlösung ist überflüssig; statt dessen wird
täglich 0 03 — 0,06 Emetin subkutan eingespritzt. Die Aspiration soll
In der hinteren Axillarlinie so hoch wie möglich vorgenommen wer¬
den Bei grossen Abszessen tritt nach Aspiration oft Erholung ein.
so dass der grössere Eingriff der offenen Freilegung uberstanden
werden kann. Bei Abszessen des linken Leberlappens empfiehlt sich
offene Freilegung. Sie sind gewöhnlich kleiner und weniger ernst
als die des rechten Lappens. Sehr grosse Abszesse bedürfen fast
immer einer zweiten, hin und wieder auch einer dritten Wiederholung
der Aspiration. Narkose ist durch örtliche Schmerzbetaubung zu er-
SCtZCW E Musgrave- Manila: Infant Mortality in the Philippine
Islands. (The Philippine Journal of Science. 8. Sekt. B. H. 6. De- .
^"'bpie' Kindersterblichkeit in Manila ist grösser als in allen anderen
Städten, über die Berichte vorliegen, und zwar ist sie bet Brust¬
kind e r n grösser als bei künstlich erna li r t e n Kindern. I
Die Ursache dafür liegt nicht in mangelhafter Qualität, sondern m
mangelhafter Quantität der Milch bei eingeborenen Frauen; und diese
wiederum ist begründet vor allem in mangelhafter Volksernahrung.
Zur Hebung der Volksernährung und als Ersatz der Muttermilch ist
die frische Milch der Haustiere der beste Ersatz. Doch ist sie in.
hygienisch einwandfreiem Zustand zu nur einigermassen erschwing¬
barem Preise nicht zu beschaffen. Auch pasteurisierte Milch eignet
sich nicht für die Tropen zum allgemeinen Gebrauch. Nur völlig
sterilisierte Milch, über deren zweckmässige Verdünnung usw. das,
Volk zu belehren ist, kommt in Frage.
Thompson Frazcr: The tongue and «PPer al mentary tract in
pellagra. (Journal of the Americ. mcd. assoc. 62. 1914. Nr. 15. S. 1LU
In Ermangelung der charakteristischen Trias, Dermatitis, Nerven-.
Symptome und Durchfälle, sind gewisse Zeichen am Verdauungskana
für die Diagnose Pellagra verwendbar. Neben dem Verlust aes.
Appetits, neben Dyspepsie, Pyrosis und Stomatitis eignen sich be¬
sonders die Veränderungen ander Zun g e. Die I ellagra-
zunge ist meist rot, zeigt an der Spitze in der Mitte oder beider¬
seits nahe dem Rand hochgerötete, geschwollene Papillen, von denen
sich das Epithel abschilfert oder an entsprechender Stelle Fissuren.
J. C. Ridgway: lodine as an antiseptic in tropical countries.
(Brit. med. journal. 1913 N. 2735.) . , 1-l1mm«>|
2 proz Lösung von Jodtinktur, als Berieselungs- und Spülmittel
angewendet, zeigte bei einem offenen Unterarmbruch mit ausgiebigei
Weichteilverletzungen (Krokodilbiss), ferner bei einer grossen Keine
von Schuss-, Speer- und Pfeilwunden die besten Erfolge.
Henry Weinstein: A description of ainhum as seen on tm
canal zone, with report of iiiteresting cases ocurlng in one iamiiy
(South, med. journal 6. 1913. Nr. 10.) . Fr
Nach ausführlicher Beschreibung des Krankheitsbildes una cp
örterung der Theorien über seine Entstehung (1. Verletzung, Fremu
körper, 2. Selbstverstümmelung, Instrumente, 3 angeboren
Spontanamputation, 4. Lepra, 5. Trophoneurose, 6. Skleroderma), d .
bis auf eine besondere Art von Trophoneurose sämtlich abgelei.
werden, beschreibt Verf. 2 Fälle von Ainhum (Dactyolysis spontanea
die Onkel und Neffen, beides Neger aus Afrika kommend, betretten
Der Vater des Onkels hatte Ainhum an beiden kleinen Zehen, ae
Bruder an der linken kleinen Zehe. Aus Verlauf und pathologiscn
anatomischen Befund ist der sehr lebhafte Schmerz an den erkranKU
Zehen, auch wenn Gcschwiirsbildung nicht vorhanden war, dm
merkenswert. . , . .
N. J. Awgustowsky: Aid to the wounded in modern na^
warfare. (Milit. surgeon 32. 1913. Nr. 5 und 33. Nr. 1.) I
Erfahrungen aus dem russisch-japanischen Seekrieg (aus
Russischen übersetzt): Der Gefechtsverbandplatz muss frei sc:n voi
Maschinen und Kriegsausrüstung, darf nicht als Durchgang dienen ui
soll leicht sterilisierbar sein; er muss von allen Seiten gepanzei
sein — gefüllte Kohlenbunker sind ein sicherer Schutz — -; er mus
leicht erreichbar sein (zwei Eingänge, Lift, weite Treppen); .er mm
geräumig sein (nicht weniger als 1000 Kubikfuss), elektrisch
ieuchtet und bei Zerstörung des Stromkreises mit Reservebeleuctitui
ausgestattet, ferner mit eigener Ventilation versehen; der Bodenn
lag darf Flüssigkeiten nicht aufsaugen und Hitze nicht leiten; reic
August 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1755
che Wasserversorgung muss durch besondere Tanks von der allge-
leinen Leitung unabhängig sein. Neben dem Gefechtsverbandplatz
nd geschützte Lagerungsplätze erforderlich. Am anderen Schiffs-
ide ist ein zweiter Gefechtsverbandplatz als Reserve bei Zerstörung
es ersten und zur Vermeidung von Ueberfällen vorzusehen, zuin
'indesten auf Schiffen, deren Besatzung 300 Köpfe übersteigt. Doch
t zu beachten, dass zwei Aerztc gemeinsam ergiebiger arbeiten
s getrennt jeder auf einem Verbandplatz. Auf dem Gefechtsver-
indplatz werden alle ärztlichen Gebrauchsgegenstände vor dem Ge¬
eilt gebrauchsfertig hergerichtet. Vier vom Hundert der Besatzung
ehen dem Arzt als Gehilfen und Krankenträger zur Verfügung Vcr-
indpäckchen führt jeder Mann der Besatzung. Splitterfähige Gegcn-
ände werden von Bord gegeben. Für den Transport der Ver-
tztcu treten 1 ragen und andere I ransportmittel gegen den Hand-
ansport zurück. Während des Gefechtes ist der Arzt unter Panzer¬
hut2 auf dem Gefechtsverbandplatz. Seine Tätigkeit beschränkt
ch beim Zugang von Verletzten, der oft gruppenweise erfolgt, auf
e allereinfachste Wundversorgung (Blutstillung, Wundreinigung, An-
2en von Schienen, \ erband). Nach dem Gefecht sind Notampu-
tionen. Entfernung von Fremdkörpern, auch Wundnaht — Haut ist
■r beste Schutz gegen Infektion — möglich. (Kraffchenko legte
glich über 100 Verbände an. „Die 10 Tage nach dem Gefecht
eilten grossere Anforderungen als das Gefecht selbst “) Sorge für
e Ernährung und Pflege der Verletzten, ferner für die Befreiung
s Schaftes von dem Geruch des sich zersetzenden Blutes lastet auf
n Schultern des Arztes. Seekriegsverletzungen sind fürchterlicher.
5 für möglich gehalten wurde. Besonders schwer sind Verletzungen
m Kopf und Gesicht. Verletzungen des Kopfes und Bauches sind
>t immer tödlich.
Ll' 9:,Cather: An organiz/ati°n for the transportation of wounded
ter battle in a battleship. (Milit. surgeon 33. 1913. Nr. 4 )
Nach S t_ok es (Surgeon general der amerikanischen Kriegsflotte)
:rden die Seekriegsverletzten in drei Kategorien eingeteilt. 1 Der
Jiandlung bedürftige Verletzte, die zum Gefechtsverbandplatz
ne Hilfe gehen können, 2. Verletzte, die nur mit Unter-
ltzung ihrer Kameraden den Gefechtsverbandplatz erreichen können,
Schwerverletzte, die auf Transportmitteln getragen werden müssen
r um den Transport der letztgenannten hat sich der Schiffsarzt zu
mmern. Es folgen Einzelheiten über Personal und Material zum
ansport, aus denen hervorgeht, dass C. den Schiffsarzt für
n 7 ransport verantwortlich macht.
E. M. Black well: Transportation of wounded from the ship
war to the sanitary base. (Milit. surgeon 33. 1913 Nr 4)
Die Ueberführung der Seekriegsverletzten von Bord an die Küste
et statt auf Lazarettschiffen oder Hilfslazarettschiffen (medical
nsport). Für jede Division, bestehend aus 4 Schlachtschiffen, Tor-
Jebooten und Hilfsschiffen, ist ein Lazarettschiff oder Hilfslazarett-
un ertorderheh. Das Sanitätspersonal des Lazarettschiffes wird
^ Dmsionen eingeteilt. Für jede Division wird ein bestimmtes
1-«C|ltS^h'ff festgesetzt (eine Division für Torpedoboote und Hilfs-
nne). Mit seinem Bau und seinen Einrichtungen hat sie sich ver-
ut zu machen. In einem Gefecht von der Dauer einer halben
inde werden voraussichtlich 20—25 Proz. der Besatzung zum Teil
lieh verletzt. Da eine Division eine Besatzung von 5000 Mann
. muss das Hospitalschiff ausser für die eigene Besatzung und
innanÄ£em0naI P1^z für 1000 Verletzte bieten. Es muss also
100—20 000 Tonnen Wasser verdrängen. Es muss sehr reichlich
Booten ausgerüstet sein. Die Boote sind für die verschiedenen
n atsdivisionen abzuteilen. Das Sanitätspersonal auf solchen I a-
ettsch.ffen umfasst 382 Mann, darunter 17 Aerzte, die gleichmässig
i Divisionen zugeteilt werden. Im Kriege werden 10—12 solcher
Mmt- und Hilfslazarettschiffe notwendig sein. Die Uebergabe
verletzten vom Kriegsschiff auf das Lazarettschiff ist bei ruhigem
sser unschwer mittels Booten zu bewerkstelligen. Bei schwerer
ist ruhiges Wasser aufzusuchen. Das schwierigste Problem ist
Beschattung der grossen Zahl der Sanitätsmannschaften und die
sser dCr VerIetzten auf das Lazarettschiff bei unruhigem
C. M. Oman: The preparation of wounded for transfer and
isport alter battle. (Milit. surgeon. 33. 1913. Nr. 4.)
Da sich im Seegefecht der Neuzeit nur sehr wenig Menschen
serhalb 1 anzerschutz befinden, hat entgegen der Erwartung eine
ahme der Verluste an Menschenleben nicht stattgefunden. Von
n Verlusten bleibt die Hälfte für die ärztliche Versorgung als
o'e" .od®r. •ficht verletzt ausser Betracht. Demnach wird
.echstel bis ein Viertel der Besatzung nach dem Gefecht ärztlicher
r liuin««’ dJ?s s'nd au^ e‘nem neuzeitlichen Panzerschiff mit
r luuo Mann Besatzung etwa 200 Mann schwer Verletzte. Die
nterhehen Zerstörungen an Bord nach einem Seegefecht und die
unst der räumlichen Verhältnisse, sowie der Andrang der Ver-
meten auf einmal erschwert die Hilfeleistung, für die auf Flagg-
nen 3 Aerztc, 1 Apothekengehilfe und 8 Mann unteres Sanitäts-
' ”af, au anderen Schiffen 2 Aerztc und 7 Mann Sanitätspersonal
riuguflg stehen. Ständige Friedenserzichung ist notwendig, um
anitatspersonal nach den Schrecknissen des Seegefechtes
Mgstahig zu erhalten, falls es selbst und das ärztliche Material
»m e1 i ung entronnen ist. Die Verletztenversorgung ist nach
iro, \ en^a vorzunehmen (Empfangsraum, Operationsraum, Ver-
70;*Um ü j™ssere_ärztliche Eingriffe zugunsten weniger sind als
traubend nicht erlaubt. Aerztliche Begleitpapiere sind auszu-
fullen und jedem Verletzten mitzugeben. Jodtinktur, Morphium und
Gummihandschuhe sind überaus notwendige ärztliche Gebrauchs¬
gegenstände. Blutungen sollen sofort gestillt, Nerven genäht, not¬
wendige Amputationen ausgeführt werden; Fremdkörper sind sofort
zu entfernen; Schädelvcrletzungen sind operativ zu behandeln, Kno-
cnenbrüche sind festzulcgen, Brust- und Bauchwunden abwartend zu
bebändern. Die zu erwartenden Eiterungen indizieren reichliche
Uranmge, der Schock ausgiebig frische Luft.
R. G. Heiner: Eighteen cases resembling climatic bubo. (United
States naval med. bulletin 7. 1913. H. 1.)
In 13 von den 18 an Bord des Kriegsschiffes „Pennsylvania“ be¬
obachteten Fallen wurden die Drüsen exstirpiert und in allen 13 Fällen
wurden mikroskopisch Gonokokken nachgewiesen. Ausfluss aus der
Harnröhre war nie vorhanden. V. hält eine abgeschwächte Form von
jonokokken für die Ursache der von ihm beobachteten Tropen¬
bubonen.
7 ,nn H PoU!h\?,eP0rt of case of Prisoning by sea urchin. (Daselbst
/. ivU. n. 2. b. 254.)
Ein Ingenieur der Ver.-Staaten-Marine tritt beim Baden mit dem
linken Fuss auf einen Seeigel. Nach 3 oder 4 Minuten Schwellung
i|Sm- e!1C1cS’ Schwindel, Schwere in Armen und Beinen. Nach
LMln7UnteVSprache4ersch,wert; Puls erregbar- wechselnd zwischen 70
und 120. Geringe Anästhesie an den vorderen Flächen der Unter¬
arme und Beine; Parese beider Beine, starke Schwellung des linken
russes, in dem 6 abgebrochene Seeigelstachel stecken. Die Erschei¬
nungen gingen in wenigen Tagen zurück.
W._ M. Kerr: Gangosa. (Daselbst 7. 1913. H. 2. S 188)
Bei der Erklärung der Gangosa streiten noch drei Theorien um
!Ü-ra,ng (Folgeerscheinung der Syphilis, der Frambösie oder
diopathisches Leiden). Die pathologisch-anatomischen Kardinal¬
symptome sind destruktive Geschwüre der Nasenrachenhöhle Ge¬
schwüre der Haut und des Unterhautzellgewebes und gummaähnliche
Bildungen der Knochen. Die Erkrankung des Nasenrachenraumes
kann in jedem Stadium Halt machen, kann aber auch zu entsetzlichen
Zerstorungszustanden führen, bei denen nur die Oberlippe wie eine
Brücke über ein grosses Loch im Gesicht erhalten bleibt. Kehlkopf
wird selten, Zunge und Mundboden werden nie ergriffen Die Zer
storung kann übergreifen auf die Haut des Gesichtes und selten
auf Nacken, Schulter, Arm und Thorax. Die nicht häufigen Knochen-
!as'?nne" a1?1 S£hienbein- Die Erforschung der Krankheit
beginnt 1828 durch die Spanier, die sie auf den Ladronen und
ariannen vorfanden. In Guam wurde unter amerikanischer Herr¬
schaft im Jahre 1906 eine Isolierung der Gangosakranken in einer be¬
sonderen Niederlassung nach Art der Lepradörfer versucht. Ein Er¬
folg wurde dadurch nicht erzielt. 1910 wurden unter 11 000 Ein¬
wohnern von Guam 338 Gangosafälle festgestellt. Im selben Jahre
wurde eine systematische Jodkalisublimatbehandlung begonnen und
bei Androhung von Geldstrafe polizeilich vorgeschrieben. Der Erfolg
wär däss in 8 Monaten alle aktiven Erscheinungen aufgehört hatten
Da Syphilis auf Guam unbekannt ist, dagegen 74 Proz. der Bevölke¬
rung meist in der Kindheit Frambösie durchmachen und nahezu alle
Gangosakranken positive Wassermannreaktion geben, ferner 83 Proz
dieser Kranken mit Sicherheit Frambösie durchgemacht haben, bei
dem Rest ebenfalls das Ueberstehen von Frambösie wahrscheinlich ist
ist anzunehmen, dass Frambösie Ursache der Gangosa ist.
N. J. Blackwood: Punctured wound of knee joint. by the spine
of a stmgray. (Daselbst 7. 1913. H. 3. S. 413.)
Ein Fischer von den Philippinen wurde bei dem Versuche, einen
gefangenen Stachelrochen aus dem Netz zu befreien, von dem
Schwanzstachel des Rochens oberhalb der Kniescheibe getroffen so
dass der Stachel in der Wunde stecken blieb und abbrach; sehr
starke Schme^en; sofortiger Eingriff. Der mehrfach gebrochene
Sichel hat den Rezessus durchbohrt und sitzt im Knochen fest- die
Stachelteile werden entfernt. Keine Infektion des Kniegelenkes, aber
Eiterung der oberflächlichen Weichteile, die ohne Schäden zu hinter¬
lassen, ausheilt. Ueber Giftwirkung wird nichts berichtet Sie wurde
augenscheinlich nicht beobachtet.
(H Ouzilleau: L’elephantiasis et Ies filarioses dans le M’Bomou
(Haut-Oubangui). Role de la filaria volvolus. (Ann. d’hvg et de
med. colon. 16. 1913. Nr. 2.)
Auf Grund von 330 Operationen von Elefantiasis der Genitalien
wird die vereinfachte Technik dieser Eingriffe beschrieben. Mortalität
trotz der ungünstigen äusseren Verhältnisse nur 2 Proz. Von den
verschiedenen Elefantiasisformen wird in M’Bomou vorwiegend die
Elefantiasis des Skrotums und der Rute gefunden, ferner Elefantiasis
. f Labien, seltener Lymphskrotum, Adenolymphozele und sehr spär¬
lich Elefantiasis der unteren Extremitäten, niemals der oberen Glied¬
massen oder der Brüste. An Filarien wurde die Filaria perstans in
64 Proz. der untersuchten Bevölkerung, die Mikrofilaria loa in 30 Proz.
und die rilaria volvulus in 45 Proz. nachgewiesen. Filaria Ban-
••r °ft.M k o m m t nicht vor (1900 Untersuchungen, davon 400 von
nächtlich entnommenem Blut). Sich stützend auf die geographische
Verteilung der Elefantiasis und der Filaria volvulus in jener Gegend
Afrikas, auf den konstanten Nachweis der Volvulus bei Elefantiasis-
kranken und auf die Vorliebe der Mikrofilaria volvulus für die inguino-
kruralen Lymphorgane, schliesst Verf., dass die Filaria vol-
vulus das pathologische Agens der Elefantiasis in
M B o m o u ist, wie die Filaria Bankrofti für die Elefantiasis Arabuin.
Doch unähnlich der Filaria Bankrofti scheinen die stets in den
Lymphwegen anzutreffenden Mikrofilarien selbst die eigentliche Ur-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
suche der Elefantiasis abzugeben — bei der Filaria Bankrofti sind
es vermutlich die Eier. Beschreibung allgemeiner Krankheitszüge bei
Infektion mit Volvulus, Beschreibung der Filarie, ihrer Eier, ihres
Embryonalstadiums sowie des Infektionsweges folgen. ,
Gougerot: 1. Sur les mycoses profondes. 2. Sur les epider-
mites mycosiques (Teignes). (Clinique [Paris], Jahrg. 8. 1913. Nr. 39.)
Kurze klinische Vorlesung, in der behandelt werden Blasto¬
tnykose, Joidomykose, Hämisporose, Aktinomykose.Madurafuss, ferner
Mikrosporien, Trichophytien, Favus und einige ähnliche Erkrankungen.
Charkes Nicol le: Apercu sur le kala azar. (Presse med.
lg. 22. 1914. Nr. 22.) , . ,
Die neuerliche Entdeckung eines Falles von Leishmaniose bei
einem Hunde in Marseille gibt dein Vcrf. Veranlassung, unsere
jetzigen Kenntnisse über die menschliche Leishmaniose, Kala-Azar
oder tropische Splenomegalie kurz zusammenzustellen.
P. Rinn und G. Thiry: Le venin des viperes francaises.
(Med. prat. Jg. 9. 1913. Nr. 40.)
Kalipermanganicum und Acidum chromicum, beide 1 proz., zer¬
stören die Substanz des Viperngiftes zwar nicht völlig, verhindern
oder mildern jedoch örtliche Erscheinungen und schwächen Allge-
meinerscheinungen ab (Kaufmann). C a 1 m e 1 1 e zieht Gold¬
chlorid in Lösung 1 auf 100 vor. Unterchlorige Salze übertreffen
die erwähnten Substanzen weit als Gegengifte. Besonders empfiehlt
sich Chlorkalklösung, die die Gewebe nicht reizt. Tödliche Giftdosen
haben nicht den Tod des Versuchstieres zur Folge, wenn ihnen inner¬
halb 20 Minuten nach der Vergiftung Chlorkalklösung um die Impf¬
stelle eingespritzt wird. Auch andere Substanzen wie Galle, Magen¬
saft, Pankreassaft usw. zerstören oder schwächen das Schlangengift.
Bei der Behandlung des Vipernbisses sind Abschnürung und
Aussaugung anzuwenden. Ihnen folgen örtliche Einspritzungen um
und unter die Bissstelle mit den erwähnten Lösungen. Das beste
Mittel sind Schlangengiftantisera; sie wirken beim Meerschweinchen
nur, wenn sie innerhalb der ersten halben Stunde nach Einver¬
leibung des Giftes gegeben werden. Einige Beobachtungen von
Schlangenbissen werden mitgeteilt. Für die Wirksamkeit der Anti¬
sera lassen sich daraus bindende Schlüsse nicht ziehen. Auf die
Notwendigkeit spezifischer Sera gegen vorwiegende neurotoxische
und hämatotoxische Gifte wird hingewiesen.
Hey mann: Traitement par les rayons X des ulceres phagede-
niques tropicaux. (Ann. d’hyg. et de med. colon 17. 1914. Nr. 1.)
Die grosse Anzahl der zur Heilung der tropischen Schwärsucht
empfohlenen Mittel beweist, dass ein wirkliches Heilmittel für diese
hartnäckige Krankheit nicht vorliegt. Auf Grund von Erfahrungen an
atonischen Geschwüren der gemässigten Zone wandte Verf. bei fünf
Tropengeschwüren das radiotherapeutische Verfahren an und erzielte
promptes und völliges Verschwinden der vorher
teils unerträglichen Schmerzen und überasch end
schnelle Vernarbung der Geschwüre.
zur Verth - Kiel.
Vereins- und Kongressberichte.
Gesellschaft- für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
XXII. Sitzung vom 14. März 1914.
Vorsitzender: Herr G e 1 b k e.
Tagesordnung:
Herr Prof. K o h 1 r a u s c h - Freiberg i. Sa. (a. G.): Ueber die
physikalischen Grundlagen der Radiumtherapie. (Mit Lichtbildern und
Experimenten.)
XXIII. Sitzung vom 21. März 1914.
Vorsitzender: Herr G e 1 b k e.
Tagesordnung:
Herr Riet sc hei: Ueber Fieber nach Kochsalzinfusionen bei
Säuglingen. (Erschien als Originalartikel in Nr. 12, 1914 d. Wschr.)
Diskussion: Herr Hueppe: Es ist die Möglichkeit nicht
von der Hand zu weisen, dass bei der Entstehung des Fiebers auch
elektrolytische Vorgänge eine Rolle spielen. Scheinbar ist es
ausserordentlich überraschend, dass so geringe Mengen von Substanz
eine so grosse Wirkung ausüben sollen. Es können, wie wir seit
Nacgclis Untersuchungen vor über 20 Jahren wissen, sog. oligo¬
dynamische Wirkungen in Betracht kommen. So wird z. B. destil¬
liertes Wasser, in welches man abgekochtes Gold oder Kupfer ge¬
bracht und wieder entfernt hat, aseptisch oder selbst antiseptisch.
Herr Scheunert: Die Frage ist auch vom chemischen Ge¬
sichtspunkte aus interessant. Es ist mir aufgefallen, dass bei Ge¬
brauch des destillierten Wassers von S t r u v e Indikatoren, die
kohylensäureempfindlich sind, zu Titrationen 'nicht so gut verwendbar
sind, weil dieses Wasser nicht geringe Mengen Kohlensäure enthält.
Bei Berührung von Kohlensäure und Kupfer ist die Möglichkeit von
Verbindungen gegeben, das Kupfersalz könnte alsdann sehr wohl die
toxische Wirkung hervorrufen. Interessant wäre es, festzustellen, ob
auch Fieber eintritt, wenn man aus einem Kupfergefäss heraus
destilliert, aber in einem Gefäss aufhebt Dass bei Behandlung des
kupferhaltigen destillierten Wassers mit Ringer scher Lösung kein
Fieber entsteht, erklärt sich wohl dadurch, dass die balze der
Ringerschen Lösung die Kupfersalze in eine andere Form uber¬
führen, ebenso wie die langdauernde Sterilisation während mehrerer
Stunden. , . , .
Herr Rupprecht I.: Ich möchte an das von Volk manu
und Genzmer entdeckte aseptische Fieber erinnern, das bei der
Resorption von Extravasaten beobachtet wird. Vielleicht kommen
beim Fieber nach Kochsalzinfusionen ähnliche Vorgänge in Betracht,
zumal es sich ja hier um kleine Kinder handelt.
Herr Rietschel: Extravasate können gewiss Fieber erregen,
aber ich betone noch einmal, dass in ungefähr 40 Versuchen bei Ab¬
wesenheit von Kupfer nie eine fieberhafte Reaktion eintrat: die
Temperatur erhob sich nie über 37,3 — 37.4. Ich habe schon hervorge¬
hoben dass die Extravasate vielleicht in anderer Weise zu Fieber- 1
Wirkung in Beziehung stehen: Möglicherweise entstehen bei Anwesen¬
heit von Kupfer umsomehr Giftstoffe, je grösser das Extravasat ist.
Ueber die Genese des Fiebers möchte ich mich nur ganz hypothetisch l
aussprecnen. Sicher ist, dass die Beimischung eines anorganischer
Momentes wenigstens in einem Teile der Fälle fiebererregend wirkt
Versuche in der" von Herrn Scheunert angedeuteten Richtung habt
ich nicht angestellt. Uebrigens ist die Kupfertherapie wieder in die:
Medizin eingeführt worden, in Form von Kupferinjektionen bei Phthise
Auch tiierbei soll in einem Teile der Fälle Fieber entstehen.
Herr Schweissinger: In Kupferschlangen abgekühltes destil¬
liertes Wasser nimmt höchst geringe Mengen Kupfer auf; die in der
Literatur angegebenen Zahlen sind teilweise sehr hoch; ich selbst
konnte aus 100 Litern Aqua destillata nur leg [CuO| gewinnen
Das Kupfer ist als Bikarbonat gelöst, man kann es dem Wasser
entziehen, wenn man das Wasser über Watte tropfen lasst, das
gebildete Kupfermonokarbonat wird auf der Watte niedergeschlagen.
Herr Aschenheim: Beitrag zur Rachitis- und Spasmophilie-
frase. _
Wissenschaftliche Vereinigung am städt. Krankenhaus
zu Frankfurt a. M.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vjo m 30. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr M. Neisser.
Schriftführer: Herr H. Braun.
Herr v. Lippmann: Herzbeutelpunktion rechts vom Sternum
Im Anschluss an den kürzlich hier gehaltenen Vortrag des Hern
Dr. M o o g über die Punktion grosser Herzbeutelergus^e vom Ruckei
aus möchte ich darauf hinweisen, dass für die Behandlung penj
kardialer Exsudate bisweilen die Punktion rechts vom Stemm
indiziert sein kann. Ich habe vor einiger Zeit in der medizimscliei
Klinik in Halle einen älteren Mann behandelt, bei dem ausser einen
Erguss im Herzbeutel auch ein solcher in der linken Pleurahohle be¬
stand: die Exsudate waren nach Färbung, spezifischem Gewicli
und Eiweissgehalt verschieden. Es handelte sich um chronische Peri
karditis, und in solchen Fällen wird man sich kaum zu einer Penl
kardiotomie entschliessen, sondern sich auf wiederholte Punktionei
beschränken. Die im linken 5. und 6. Interkostalraum, in und ausser
halb der Mammillarlinie ausgeführten Herzbeutelpunktionen lieferte:
im Verlaufe der Krankheit allmählich immer weniger Flüssigkeit
Eine Punktion vom Rücken her kam wegen der chronischen Pleuriti
nicht in Frage. Als daher die klinischen Symptome eine erneut'
Punktion nötig machten, entschloss ich mich, diese im 5. Interkostal
raume 3—4 cm lateral vom rechten Sternalrande (also sicher latera
von den Vasa mammaria interna) auszuführen: die rechte Grenze Je
Herzdämpfung lag zwischen rechter Mammillar- und Parasternallinu
Es konnte sofort über 1 Liter Exsudat abgezogen werden. Die i
der Folgezeit vorgenommenen Punktionen waren aber auch in diese
Gegend nicht mehr so ergiebig wie die erste. — Später entwickelt
sich noch eine rechtsseitige Pleuritis. — Die Sektion ergab Tuber
kulose aller drei serösen Säcke der Brusthöhle, ausserdem triscli
Miliartuberkulose des gesamten Bauchfells.
Herr Isenschmid: Ueber das durch Naphthylamindenvat
erzeugte Fieber.
Unter allen Eingriffen, welche experimentelles Fieber erzeuge!
nimmt die Injektion von Tetrahydro-ß-naphthylamin eine Vorzugs
Stellung ein, nicht nur dadurch, dass die Wirkung prompter und kor
stanter eintritt, als auf irgend ein anderes infektiöses oder mehl
infektiöses Agens, sondern besonders, weil die dadurch erzielte
Temperaturen höhere sind, als die auf irgend einen anderst tingri
auftretenden. 0,05 g rufen bei Kaninchen schon bei subkutaner n
jektion die höchsten Temperaturen hervor, welche mit dem Lebe,
überhaupt vereinbar sind. . L I
Durch vielerlei in der Literatur niedergelegte Versuche ist tes
gestellt, dass die Wirkung des Giftes auf die Körpertemperatur
ähnlich wie der Wärmestich, — an den wärmeregulierenden Zentre
des Gehirns angreift. Ausser dieser Wirkung des Giftes kennen \v
noch weitere Einflüsse, welche es auf das Nervensystem ausübt:
kann, speziell zentrale Wirkungen auf den Vagus und Einflüsse ai
den Sympathikus, welche z. T. ebenfalls zentral angreifen, zu:
anderen Teil aber an der Peripherie einsetzen.
Die Versuche des Vortragenden bestanden darin, dass er b-
Kaninchen entweder durch Quertrennung des Halsmarkes oder durc
August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
CrlwTu/"CS Zwischenhirnes, besonders des Tuber cinerum.
e zentrale \\ armereRulation ausschaltete und nun bei diesen Tieren I
et(jn0SHSC d/S QefamtstoffNvcchsels vor und nach der Injektion des
etrahydro-£-naphthyIamins untersuchte. Der Gaswechsel der
inKernden I icre wurde in Perioden von 1 A—2 Stunden Dauer mit
m ll “ r b>?f.r ' H a 1 d a " e ,schc" Apparate bestimmt. Es ergab sich
fi fl ? • a"(Ch nach der Ausschaltung des zentralen Wärme-
gulationsapparates den Gesamtstoffwechsel regelmässig sehr erheb-
h ste.gerte und zwar betrug die Steigerung der Kohlensäurepro-
ktion und der Säucrstoffsufnähmc bis über 50 Pro 7
Ausser der Stoffwechselsteigerung, welche das Gift durch Ver-
ttlung der warmeregulierenden Zentren hervorruft, kommt ihm also
äm!Sms^tzesrezuPeriP einsetzende WirkllI1£ auf die Grösse des
Bekanntlich betrachten manche Autoren das infektiöse Fieber
r als ein Analogon der Wärmestichhyperthermie, indem sie an-
hmen dass toxische Substanzen die Wärmeregulationszentren so
zen, dass daraus alle die Veränderungen des Stoffwechsels der
Umverteilung und damit der Körpertemperatur entstehen, welche wi[
.her ^nnen. Den Autoren, welche nur solche zentrale Einflüsse
.f die Stoffwechselste.gerung im Fieber gelten lassen, stehen andere
:genuber welche an der Annahme eines „toxogenen Eiweisszer-
Is festhalten und neben den zentralen Einflüssen, direkte, ohne den
nveg über das zentrale Nervensystem vor sich gehende Einwa¬
agen der infektiösen Agentien auf den Stoffwechsel der Organe an-
nnen. Die infektiöse Noxe würde danach, vielleicht als Proto-
smagift in den peripheren Organen Stoffzerfall und dadurch einen
achten brunisatzcs hervorrufen, welchen wir im Fieber be-
Der Vortragende betont, dass seine Versuche darauf hinweisen,
nach nach der Ausschaltung der zentralen Wärmeregulation
itre Faktoren als nur direkte Protoplasmawirkungen die Grösse
Gesamtstoffwechsels beeinflussen können. Das Tetrahydro-d-
ihthylamin hat bei den Tieren ohne Wärmeregulation die Stei-
ung des Gesamtstoffwechsels wahrscheinlich nicht als Proto-
srragift hervorgerufen sondern seinen bisher bekannten Wir-
. gen entsprechend als N e r v e n g i f t. Ausser den Einflüssen des
ln ft f Zentralnervensystem kennen wir bisher nur peripher
apathische (Pupillenerweiterung bei lokaler Applikation, Gefäss-
engerung auch nach Durchschneidung der Nerven etc ) E s 1 i e g t
i0 die Annahme nahe, dass die Stoffwechselstei-
rung durch ei neEin w i r k u n g des Giftes aufdenperi-
eren Sympathikus, vielleicht die Sympathikusendigungen
£ e. r u e n w u r d e. Das ist eine Aufforderung, die Mög-
keit ins Auge zu fassen, dass auch beim natürlichen Fieber ausser
zentralen Einflüssen, solche peripher sympathische auf den Stoff-
ipi itVOn w"flufS s*tm konnten- Speziell für das Adrenalinfieber,
eicht auch für das thyreotoxische, liegt diese Annahme nahe, aber
, drS infektlose ; Fieber, das ja heute, dank der Möglichkeit
operativen Ausschaltung der zentralen Wärmeregulation, in
' em p.in^.usse auf ,den Stoffwechsel unter Ausschluss dieser zen-
hpnE‘ndUuSe stud‘ert werden kann, ist die Möglichkeit einer
lien peripher ansetzenden Einwirkung auf das vegetative Nerven-
' Auge zu behalten. Ob vielleicht der Vagus, der bei
der Versuchstiere ganz intakt war, die Stoffwechsel-
serung, welche das fiebererregende Gift erzeugte, vermittelt hat
t sich ohne weitere Versuche nicht sicher ausschliessen.
iskussion : Herr 'S. Auerbach: Ich möchte Herrn Vortr.
en, ob er auf Grund seiner experimentellen Studien eine Er-
ung geben kann für das sog. „Kleinhirnfiebe r“, welches
■i Operatmnen am Kleinhirn häufig auftritt und bei Abwesenheit
'r anderen Todesursache zum Exitus führen kann, wie ich das auch
’*,.babe- Ch m°cbte a™ehme«. dass es infolge des bei diesen
. en mivermeicihchen Abflusses von Liquor cerebrospinalis, viel-
!t auch durch die öfters erforderliche Eröffnung des 4 Ventrikels
Fiebe^kommt ^ ^ Hirnkammer umgebenden Graus und so
Herr Voss: Otologische Beiträge zur Hirnpathologie.
Unter Vorstellung einer grösseren Anzahl von Patienten, an der
^ °n* Krankengeschichten und Demonstrationen zahlreicher
oskop'schcr und iniltrosltopischer Präparate bespricht Vor-
tmripn na<:b einem Rückblick auf die diagnostischen otologischen
IzVrPhr^P dFrtn m,oderne Ausgestaltung die beiden grossen Grup-
; „r.Lrler Erkrankungen, an denen die Otologie interessiert ist.
rt L! f Cn uWird fepräsentiert durch die Affektionen des
uehnnern, die sich an akute und chronische entzündliche Erkran-
, "d,e,s Gehörorganes, hauptsächlich von mittlerem und innerem
anschhessen, die zweite setzt sich aus Alterationen des Schädel-
‘cs zusammen, die sekundär das Gehörorgan in Mitleidenschaft
ersten Kategorie werden zunächst extradurale Abszesse
. "ifchSf?,an.akute und chronische Eiterungen, und zwar ohne
^3mi?Zei Hen weiteren Komplikationen des Schädelinneren
istnrombose, Hirnabszess) vorgeführt. Anschliessend werden
, ; und Weinhirnabszesse abgehandelt, von denen je einer als
ehEf h!iISIC tf ^'ährend von einem dritten, in Heilung begriffenen
cniatenlappcnabszess) im Anschluss an akute Mittelohreitcrung
ptococcus mucosus) berichtet werden konnte.
i,wS~ und Bulbusthrombosen, sowie rückläufige Thrombosen in
mus von wandständigen Thrombosen der Vena jugularis nach
_ [757
•malPr?iSenyCre!lCn,ngcn könncn teils als abgeheilt an Patienten, teils
an Präparaten demonstriert werden.
nnrt Wfrde" otogene Meningitiden besprochen, demonstriert
und ihr häufigster Entstehungsmodus durch Vermittlung seröser oder
SSSt Labyrinthitiden a" der Hand mikroskopischer Präparate er[
n„h..^<>n dea Erkrankungen des Schädelinhaltes, die sekundär das
entzünSfcITer'fie^P eidenSphaft zi,e,lcn’ gelan£en zunächst diejenigen
entzündlicher Genese zur Besprechung. Im Vordergründe stehen hier
irrÄir ^ndss°re,e du?ch
j ted.e folgen die Hirntumoren, die in sekundäre
, Astatische) und primär in cerebro entstandene zerfallen. Aus der
ersteren Gruppe konnte über 3 einschlägige Beobachtungen berichtet
erden, von denen einmal eine konkomitierende Otitis zu differential
diagnostischen Schwierigkeiten führte, während dn zweites Md
ausser den Hirnmetastasen eine weite« solche im äusseTen Gehl
vo?täuscSe.nden War Und dUrCh ihren Zerfal1 eine chronische Otitis
izi • y°n den, PHmären Hirntumoren waren 4 im Stirnlannen i im
slnel“enviHk(Kl 1 h"1 ?nYmd 1 in der MedullaTokahsierT
jfoweit der N. Vlll (Kleinlurnbruckenwinkel) nicht vollkommen im
LsmAk,?UÄegangHn war' fariden sich mikroskopisch 3mal Atlphien
des Akustikus und seiner peripheren Endorgane, die besonders
den Stirnhirntumoren genetisch in Parallele mit 1, n?, ers be
Phien zu stellen sein dürften. In einem Fall der lefztere?
rnn^eifelna-ft bleibea’ ,ob die Vorgefundenen atrophischen Verände-
re.vh60 h 3 61tl -ZUr Erklärung der fortschreitenden Taubheit aus
Spiile l.erSCheinen Und niCht dne psychische Komponente dabei im
Endlich gelangen die traumatischen Veränderungen des Gehör
Organes bei Verletzungen der Schädelkapsel und 2eS Inhaltes zur'
lKnd werden durch mikroskopische Präparate des
Schläfenbeines bei einem Gehirnschuss, einer Schädelbasisfraktur und
einer operativ geheilten Schädelbasisfraktur illustriert
L)lskussion: Herr Georges L. Dreyfus hebt hervor dass
l''00 Pr°f- Voss vorgetragenen und demonstrierten neuen Unter
suchungsmethoden nicht nur für die Ohrenhpilt „ n h 6 1 u,¥er-
auch » die Neurologe v™ Sl'i" SOndern
Npnrncp zab!reich,cn Krankheitsgruppen (Hirntumoren, traumatische
Neurosen, Neurasthenie, luetische Erkrankungen des Zentralnerven
Systems etc.) ist die Untersuchung des Cochlearis und VestibIK
notwendig, um objektive Anhaltspunkte für die ieweihV
vorliegende Erkrankung zu gewinnen. Jeweilig
Für den Neurologen liegen die Dinge heute so dass er die
modernen Methoden der Untersuchung des Akustikus ebensowen v
wie den Augenspiegel entbehren kann S eDensoweP'g
HaCcH(nr v' Auerbach: Auch die einfache Mastoiditis kann ohne
dass offenkundige Symptome von Seiten des Nervensystems wie
Krampfe, Paresen etc., auftreten, bei genauer neurologischer Ünter-
suchung Zeichen aufdecken lassen, die auf eine Beteiligung des Ge
nrns (Anfangsstadium der Meningo-Encephalitis serosa?) Sschliessen
lassen, ohne dass selbst die Aussenfläche der Dura bei der Operation
irgendwelche Veränderung aufweist. So konnte ich kürzlich bei einer
Mastoiditis postscarlatinosa duplex das Fehlen eines Bauchdecken
reflexes und einen doppelseitigen klonischen Babinski konstatieren
Bei der Entlassung nach 2 Monaten bestand noch linkerseits der
?he. °HSCterPnaradv.°X^ Reflex' Vielleicht würde man solche ZeL
«ehe- UI1h ahnbche häufiger finden, wenn man die Fälle von an¬
scheinend unkomplizierter Mastoiditis regelmässig einer neum
logischen Untersuchung unterziehen würde.
Folie0'6 ’nMkt<? Eu.nkt!on de,s N- cochlearis und vestibularis in dem
Falle von Meningitis, in welchem das Labyrinth von Eiter umsoiilt
war, mochte ich so erklären, dass die Achsenzylinder jener Nerven
breSg gäöramen Sha'b W“r “ nlcht zu elner Leitunßunler-
Herr Voss: Schlusswort.
Sitzung vom 21. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr M. N e i s s e r.
Schriftführer: Herr H. Braun.
Organs^' " Fleischmann: Die intravitale Färbung des Gehör-
Nach einleitenden Worten über die intravitale Färbung und über
die Funktion der dabei gefundenen Pyorolzellen legt Vortragender
seine Befunde mit der intravitalen Färbung am Ohr an der Hand eini-
ger Präparate dar. Aeusseres Ohr und Mittelohr werden kurz be-
sprochen, wahrend das innere Ohr wegen der schwebenden Frage
efr n f \iHenaUn y;des Labynnthwassers eine längere Behandlung
erfalirt. Nachdem Vortragender die verschiedenen Ansichten betreffs
der Herkunft von Endo- und Perilymphe besprochen hat, kommt er
auf Grund der intravitalen Färbung, bei der sich im ganzen Labyrinth
keine Spur von Pyorolzellen findet, zu dem Schluss, dass wahrschein
lieh keine Sekretion am inneren Ohr stattfindet. Versuche, die Frage
auf andere Weise zu lösen, sind noch nicht abgeschlossen
. vMerr Raecke: Ueber Dementia paralytica. (Lichtbildervor-
ii agj
1758
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
Vortr. gibt einen Rückblick über die Entwicklung der Lehre von
der Dementia paralytica und ihrem Zusam™enha"ge oTchtiekd^ des
War durch die Wassermann sehe Reaktion die Richtigkeit des
Satzes „keine Paralyse ohne Syphilis“ gesichert, *uhrf* Nachweis
Fortschritte der histologischen Forschung und Noguchis Nachweis
der Spirochäten im Gehirn - ein Befund, der auch an hiesiger An¬
stalt durch Herrn .1 a h n e 1 in 3 Fällen bestätigt werden konnte — die
weitere Frage zur Erörterung gestellt, ob nicht überhaupt die I ara-
Ivse als eine Spirillose des Gehirns anzusehen sei, also nicht als
eine blosse Metalues, sondern als eine besondere syphilitische -pat-
form. Hier erscheinen S t a r g a r d t s Befunde bei der paralytischen
OntikusatroDhie sehr beachtenswert. .. ,
Jedenfalls ist eine scharfe Abgrenzung gegen die gummosen u d
vaskulären Formen der Hirnlues nicht gegeben. Die paralytische
Lcptomeningitis kann neben der Plasmazellinfiltrat.on ™as^£ha*te
Lymphozytenansammlungen zeigen, Uebergreifen auf die H rnnerven,
fleckweisen Zerfall und mächtige Bindegewebshyperplasie mit
Schwartenbildung, ln den Hirngefässen der Paralytiker finden sich
nicht selten wandständige Gummen, ebenso frei im (jewebe kleine en-
zephalitische Herde und miliare Gummiknoten. Diese von zahlreichen
Autoren (Sträussler, Fischer, Jakob u. a.) erhobenen Be¬
funde kann Vortr. an seinen eigenen Präparaten nur bestätigen.
Vielfach findet sich eine dichte Abkapselung solcher Haufen von Ent¬
zündungszellen durch Gliafaserkörbe.
Die früher herrschende Lehre von einem mehr diffusen Mark¬
schwund mit Bevorzugung bestimmter Territorien und Zentren wider¬
spricht den Tatsachen. Schon vor lo Jahren hat S * \ " f. J“
eine fleckweise Markscheidenzerstorung und das Auftreten sklero¬
tischer Herde hingewiesen. Diese lange zu wenig beachtete I atsache
ist später von Borda, Fischer, Spielmeyer wieder aufge¬
griffen worden. Heute geht im allgemeinen die Ansicht dahin, dass n
ca 65 Proz. der Fälle eine Kombination mit derartiger Plaquesbildung
besteht Demgegenüber vertritt Vortr. die Auffassung, dass her -
weiser Zerfall der Markscheiden überhaupt die R^gel darstellt. Bei
stärkerer Vergrösserung findet man stets zahlreiche kleine Herde l
der Markfaserung, ähnlich den Pnmarherdchen der “«lttplen ‘SMejose.
Bald handelt es sich um streckenweisen Ausfal der J^ngemtialfase-
rung in nur einem Teil der Windungskuppe^ bald um Lucken in der
Supraradiärfaserung, häufiger noch um Durchlöcherung der aus¬
strahlenden Markfächer. Während aber bei der multiplen Sklerose
meist ein Konfluieren der Primärherdchen zu makroskopisch grossen
sklerotischen Plaques stattfindet, ist das bei der Paralyse in nur einem
Bruchteil der Fälle so. In der Regel gruppieren sich die kleinen
Herdchen lediglich in grosser Zahl nahe zusammen, ohne direkt zu
verschmelzen, und erwecken dadurch den Eindruck eines mehr dif¬
fusen Schwundes. Die Fibrillen zeigen sich wohl resistenter, gehen
aber auch mit der Zeit in grösserer Ausdehnung zugrunde.
Ausserordentlich häufig finden sich endarteriitische Verände¬
rungen nicht nur an den kleineren Gefässen, sondern auch an den
grossen. Infolge der Atrophie der nervösen Substanz kommt es zu
engerem Zusammenrücken wie der Ganglienzellen so auch der Ge-
fässe und zu? Bildung von Knäueln. Oefter als echte Sprossb.ldung
ist die von C e r 1 e 1 1 i betonte Obiiteration kleiner Gefasschen. Nicht
nur bei älteren Paralytikern sondern auch bei juvenilen kann Drusen¬
bildung beobachtet werden. Die Stäbchenzellen smd wahrscheinlich
teils mesodermalen, teils aber gliösen Ursprungs. Als Aufgabe der
wuchernden Glia ist nicht nur Narbenbildung anzunehmen, vielmehr
auch Verstärkung der Oberflächen und Abkapselung der Krankheits-
herde. • ...
Das gesamte exsudativ-entzündliche Bild mit fleckweise stär¬
kerer Zerstörung lässt möglicherweise an eine Entstehung durch ein-
dringende Spirochätenherde denken. Nebenher mögen noch De¬
generationen eine Rolle spielen, wie sich solche ja schon bei der Hirn¬
lues gelegentlich finden. Die Existenz ausserordentlich ähnlicher kli¬
nischer Bilder, sogen. Pseudoparalysen, bei andersartigen dntusen Er¬
krankungen der Rinde lehrt, dass es wohl mehr die Art der Ausbrei¬
tung als die abweichende Natur des histologischen Prozesses ist,
welche gegenüber der gewöhnlichen Erscheinungsform der Hirnlues
der Paralyse ihr besonderes Gepräge leiht.
glienzellen mit 2 Kernen in der Grosshirnrinde nicht selten normaler¬
weise Vorkommen.
Herr Raccke (Schlusswort).
Naturwissenschaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sektion für Heilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Juni 1914 in der chirurgischen Klinik.
Vorsitzender: Herr L e x e r.
Schriftführer: Herr Berger
Diskussion: Herr K. Herxheimer: Ich kann bestätigen,
dass die Annahme von Alzheimer, dass die P1.a4smaz?JlLn a^'
schliesslich charakteristisch für Paralyse waren, nicht zu Recht be¬
steht da ich sie auch hin und wieder bei Gummen des Hirns finde
Dann noch eine klinische Bemerkung: Ich habe vor einer Reihe
von Jahren 2 Fälle beobachtet, in denen Paralyse etwa 1/5 Jahre
nach Erscheinen des syphilitischen Primäraffektes auftrat; in beiden
Fällen trat Exitus ein, sie sind in einer auswärtigen Anstalt ge¬
storben Nachdem wir wissen, dass schon frühzeitig bei der Lues
meningeale Prozesse auftreten, wären solche Falle doch möglich, und
ich frage den Herrn Vortragenden, ob ihm derartige Falle bekannt
"Nachdem der Vortragende dieses verneint hatte und nach der Sek¬
tion der beiden Fälle gefragt hatte, erwidert K. Herxheimer,
dass ihm über eine Sektion der Fälle nichts bekannt sei
Herr Isenschmid stellt die Frage, ob den Ganglienzellen mit
2 Kernen, welche der Herr Vortragende im Paralytikergehirn gesehen
hat, überhaupt eine pathologische Bedeutung zukommt. Aus viel¬
facher eigener Anschauung kann er bezeugen, dass bei manchen
Tieren, speziell bei der Katze, dem Kaninchen und der Maus, Gan-
HerrdWr eSde<-rdKardiakarzinom. (Erscheint in der M.m.W.
aUSf m'^kussion: Herr Rehn: Obwohl der durch W. mitgeteilte
Fall keinen restlosen Erfolg darstellt, betrachtet R. das , elzi® t_e
sult 't dennoch als sehr erfreulich, weil es die Tatsache bekräftigt, dass
das Invaginationsverfahren berechtigt ist, bei ausgedehnterem Karzi-
nom der Kardia und vor allem bei Tumoren des Oesophagusbrust-
teils breitere Anwendung zu finden, indem es gute Chancen bietet,
um den bei der Entfernung dieser Geschwülste sich bietenden Schwie¬
rigkeiten erfolgreich zu begegnen. Was die Art und Weise der ln-
vagination anbelangt, so steht R. nach wie vor auf dem in seiner län¬
geren Abhandlung präzisierten Standpunkt, welcher sich auf Tier-
und Uichenexperfmcnte und diu klinisch™ E' f LI £
er in der 1 e x e r sehen Klinik sammeln konnte. Der Streit zwischen,
den Anhängern der direkten Stumpfvereinigung und denjenigen
Autoren welche den Verzicht auf diese befürworten, ist durchaus
noch n"c!U entschieden, und wenn das Verfahren der Invag.natuin
sich irgendwelche Beachtung und Berechtigung erringen will, muss
es in erster Linie den Namen einer sicheren und gefahrlosen Methode
für sich in Anspruch nehmen können, was für die totale Entfernung
des Oesophagus, wie sie bei der Invagination von unten nach o n
die Regel ist nicht immer der Fall zu sein pflegt. R. war Aniam
März 19 4 Gelegenheit gegeben, ein ausgedehntes Kard.akarz.nom
welches auf Mageü und Speiseröhre übergegriffen hatte, nach dem
von ihm ausgearbeiteten Verfahren zu operieren. , .
1 Laparotomie, Freilegen der Kardia mit linksseitigem Schräg-
schnitt parallel dem Rippenbogen und nach Rechtsklappen der Leber
2 Isolieren und Mobilisieren des nach oben über den Hiatu.
oesophageus reichenden Tumors (scharfe Durchtrennung der im Kar¬
zinom aufgehenden Vagi). .... Hnr^ti T? he
3 Oesophagotomie am Halsteil, Einfuhien der durch K.
schriebenen Sonde, welche unter Leitung der den Oesophagustumo
gefasst haltenden Hand die Tumorstenose leicht passiert und aus eint
kleinen Mageninzision herausgeleitet wird. Einbinden des Sonden
knopfes am durchschnittenen Halsteil der Speiseröhre und Invag
liieren von oben nach unten unter langsamen Zug. bis die Emstulpj
der Speiseröhre an der oberen Tumorgrenze angelegt ist. Uuer
durchtrennen des oberhalb des Karzinoms stehengebliebenen Muskel
Schlauches und Abbinden desselben. . ,
4 Vorlagern des freibeweglichen Tumors, Reinvagination de
Oesophagusschlauches und schräge Resektion des Magen" unter
nutzung des schlauchartigen Zipfels als Magenfistel. Der H a us ocsc
phageus wurde durch Naht verschlossen, in das Tumorbett ein larr
1,011 PatlenOüberstand den 1 Stunde dauernden Eingriff gut; die Na)
rungsaufnahme war durch die Magenfistel eine vollauf 'genügend
und bequeme (keine Magenstörungen). Verhängnisvoll wurde
den Kranken eine bei Resektion des völlig verjauchten Karai io
gesetzte Infektion des Peritoneums, welcher er trotz Spaltung
Drainage am 10. Tag post Operationen! erlag
Die Sektion stellte keine Blutung, keine Infektion des hintere
Mediastinums, keine Verletzung der Pleuren oder anderweitige durej
die Invagination gesetzte Komplikationen fest. , Fall I
Trotz seines unglücklichen Ausgangs hat beschriebener r
in seiner Ueberzeugung bestärkt, dass es auf beschriebenem
gelingen muss, ausgedehnten Kardiakarzinomen erfolgreich heiz
kommen.
Tagesordnung:
Herr Lex er: Teratom der Bauchdecken.
Bei einem Neugeborenen fand sich ein grosses Teratom, aas i
breiter Basis aus der Magengrube herausgewachsen war. von n
aus bis zur Nabelschnur bestand Diastase der Rekti. Das lera
zeigte schon äusserlich eine verhältnismassig hohe EntwicKiur
Deutlich war der runde Kopf mit behaarter Kopfhaut und rudimui
entwickelten Gesichtsabschnitten (beide Augen mit Lidern, Hast
höcker, Mundspalte mit rechtsseitiger Oberlippenspalte, darun.
Unterkieferbogen). Im übrigen war das Teratom von ganz norma
Haut bedeckt. Die operative Entfernung gelang leicht nacn ui
schneiden an der Basis und nach Eröffnung der Bauchhöhle, l
Qefässstiel des Teratoms setzte sich ins Ligamentum suspensoru
hepatis dicht am rechten Rippenbogen fort. Es enthielt eine gro>
Arterie und eine Vene. Bei der Durchtrennung des Stils fiel aus u
durch eine dünne Bindegewebsplatte getrennten Inneren des tum
eine Darmschlinge vor. Der Verschluss der Bauchdecken gei
leicht. Am 2. Tage Exitus. Das Präparat ergibt nach makroSKu
scher Präparation einen gut entwickelten Schädel, im Innern,
4. August 1914.
MUE.NCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
nit klarer Flüssigkeit gefüllt ist, sind nur 2 kleine Hemisphären-
mlagen zu erkennen; gut entwickelt ist das Foramen magnum. Dicht
larunter liegt ein kreuzbeinähnlicher Knochen, daneben Skapula oder
leckenschaiifelahnliche Knochen. Oberhalb einer Darnischlingc
\et.’e geschlossen erscheint, ist eine einer Zwerchfell wand entspre-
hende Muskelplatte. Daneben findet sicii ein von Rippenrudimenten
eitlieh begrenzter Raum, der makroskopisch nicht erkennbares Ge-
vebe enthalt.
lii-ir Stern mler: Die isolierte Fraktur der Querfortsätze der
endenwirbelsaule.
Vortragender berichtet kurz über zwei Fälle von isolierter Frak-
ur der Lendenwirbelquerfortsätze bei einem 26 jährigen Steinbruch-
rbeiter und bei einem 21 jährigen Studenten. Von den bisher in der
itcratur als spezifisch für Querfortsatzfraktur beschriebenen Sym-
tomen: 1 Einschränkung und Schmerzhaftigkeit der Beugungsfähig-
C1c uCS .nach. de,r, gesunden Seite, ebenso der Rotation;
Schmerzhaftigkeit beim Vorbeugen und Wiederaufrichten, oder in
■uckenlage beim Beugen des gestreckten Beines der betreffenden
eite in der Hüfte; 3. lokale Druckempfindlichkeit neben der Wirbel-
a I- i en»d der Duerfortsätze bei sonst normalem Befund an
er irbelsaule, kann er nur das erste dieser Symptome als richtig
".erkennen. Alle anderen Symptome kommen auch beim einfachen
amatom der an den Querfortsätzen inserierenden Muskeln vor. Im
legensatz zu der schmerzhaften Beugung nach der gesunden Seite,
le sie bei Querfortsatzfraktur vorkommt, beobachtete er bei einem
alle von Muskelhamatom eine Schmerzhaftigkeit beim Beugen nach
Si,,n?nhil"hfSHlte* d?3.S eLn.flg sichere Hilfsmittel zur Diagnosen-
ellung bleibt das Rontgenbild.
Herr S tein in ler: Zur Operation der Mastdarmfistel.
f , or E' peschreibt eine von ihm an 3 Fällen mit ausgezeichnetem
rf°Is geuytc Operation der Mastdarmfistel. Er präpariert den Fistel-
mg und invaginiert ihn in den Mastdarm. Die stumpf beiseite ge-
•angten Weichteile werden wieder genäht. Heilung erfolgte glatt
J ?ge,n:. Verletzungen des Sphinkter, auch bei ischio-
ktalen F^tdri können nicht Vorkommen. Die Operation kann nur
a bindegewebig verdickter Fistelwand ausgeführt werden
Herr Biedermann: Navikularbrüche.
Die isolierte Navikularfraktur an der Hand kommt häufiger vor
7°r, Anwendung des Röntgenverfahrens allgemein annahm,
eselbe bietet ein typisches Krankheitsbild und ist leicht zu erkennen.
i l-u u d|GS *et.ztenJapres wurden in der Jenenser chirurgischen
Dlikhmk df derartige Fälle beobachtet und behandelt. Bei früh-
!_I,ger ErkßHnung erzielt man mit der konservativen Behandlung
•V , er Lahe gute Heilerfolge. Von den 11 Patienten erlangten 4 eine
’Ukommen normale Funktion des betroffenen Handgelenkes wieder
,31 |inb'Lebl5mngeriV®e Beschränkung der Bewegung im Handgelenk
(Sinne der Dorsalflexion bestehen. Drei der Fälle, welche erst
-hrere Monate nach dem Unfall in die Klinik kamen und vorher
-ht richtig erkannt worden waren, behielten eine mehr oder weniger
osse Beschränkung der Bewegung im Handgelenk. Zwei davon
. rden durch Operation noch bedeutend gebessert. In dem einen
Ile wurde der schwer, veränderte Knochen total entfernt und der
tstandene Defekt durch Fett ergänzt. In dem anderen Falle be¬
ugte man sich damit, den Zertrümmerungsherd im Knochen aus-
Kratzen und durch Jodoformplombe zu ersetzen. Beim dritten Pa-
nten erreichte man durch konservative Behandlung einige Bes-
ung. Der 11. Fall ist noch in Behandlung.
Vorstellung von Patienten und Projektion von Röntgenbildern
,7.err Zange: Die pathologisch-anatomische Grundlage der
ö FnSrUnKe^,dfS^Teren °hres\ bei Mittelohreiterungen und
e Entstehung. (Mit 23 Projektionen.)
n\beiJ.pIÖtzlichem Einbruch einer Mittelohrentzündung ins
ul* ° a ,Te JE1*. ,stürmischen Funktionsstörungen (Ausfall des
fiors und der Gleichgewichtsfunktion) einhergehen, in der Regel
i rapider Zerfall der Labyrinthweichteile zustande kommt, ist be-
' . Weniger klar sind unsere bisherigen Vorstellungen über die
atornischen Zustande im inneren Ohre bei unmerklich eingetretenen
- v«f-SKSt?rUrng w- Bedweiser oder völliger Verlust des Gehörs und
‘bl! arfunktl0n)’ die slch 101 VerIaufc akuter, auch chronischer
5 RMUngenLentwickeIn oder a,s fertiKer Zustand beobachtet
raen Bisher sahen mit Ausnahme Alexanders, der bei einem
^ Autoren Fh Ie lediglicTb die Reichen einer reinen Atrophie fand,
den Rmhi ü(C r z ° g. Brock u. a.), vor allem auf Grund der
rnn.lbMhiUI?g^n N,a g ? r s von Taubheit bei Cholesteatom-
L g cs Mittelohrs, die Grundlage dieser Funktionsstörungen in
•erafi;ne aUAenunaEnt^Ündlin? im Labvrinthe mit folgender De-
vveis nnp j?ucb dar Fa A 1 e x a n d e r wurde nicht als Gegen-
n 1 3™ntV, da er einen abgelaufenen Prozess darstellte.
ehL iS ,Frtage systematisch behandelt und 23 Fälle mit
hlpM« apg,flaafr-ne,n Veränderungen untersucht, worunter sich
en,e FaIle befinden. Er konnte feststellen: 1. Es können Ent-
lüungen de- verschiedensten Art (akute seröse und eitrige, chro-
rProoGr°-e U,nd edrige) im Labyrinthe bestehen, ohne dass De-
" m ,? Nervenendapparaten eintritt. 2. Es kann Ent-
i„ 'r°,n gleicher Art und Dauer bestehen ohne und mit De-
>■ n des nervosen Apparates (korrespondierende Degeneration
Hnnal e,enn.rap0n entwickelt sich selbständig neben der Ent-
pratuL )ie Entzündung im Labyrinthe vermag auch direkt De-
nspifiif60 nU erzeuRen durch Druck, Ernährungsstörungen etc.
nsekutive Degenerationen). 4. Endlich gibt es auch reine De¬
1759
generationen ohne jede Spur von Entzündung im Labyrinthe, wie ein
^‘seber Scharlachfall mit nekrotisierender Otitis media beweist Diese
läutert SSC WCrden an zahIreichen mikroskopischen Projektionen er-
Oas wechselvolle Verhalten erklärt Zange einerseits aus der
\ erschietlencn Empfindlichkeit und Reaktionsfähigkeit der beiden Ge-
websarten im Labyrinthe (der bindegewebigen und nervösen Ele¬
mente!, andererseits aus der verschiedenen Wirkung der einge-
drungenen Schädlichkeit, je nach ihrer Art und Menge (Konzen¬
tration!. Auf Grund der Entzündungsexperimente Blaus ist anzu-
nenmen, dass die einzelnen Bakterienarten nicht nur verschieden
,W,!frkenV s.onder» vor allem auch sich Bakterien und Toxine hierin
unterscheiden. Zange sieht die oben als reine und die als korrespon-
dierende Degenerationen bezeichneten Zustände als Toxinwirkungen
an. Er tut das abgesehen von dem Fehlen von Bakterien in seinen
"a wrmthen auch in Analogie mit ähnlichen Veränderungen im Auge
z. H. .reinen Retinadegenerationen in unmittelbarer Nachbarschaft
men\XerzeugtZhat UnSSherde dCr Chorioidea’ wie sie S t o c k experi-
a D‘eseu Boststellungen sind wichtig für die Beurteilung der Be¬
rn!’ i ’k abg+u au^enen Fällen. Man muss in der Klinik hinsichtlich der
m Läbyrmthe anzunehmenden Veränderungen mit sämtlichen der
oben erkannten 4 Möglichkeiten rechnen. Zange hat selbst 7 Fälle
mit abgelaufenen Veränderungen im inneren Ohre bei Cholestcatom-
eiterungen histologisch untersucht (Projektionen), von denen aber nur
einer ähnliche Veränderungen, wie die beiden Nager sehen Fälle
(Bindegewebs- und Knochenneubildung im Labyrinthinneren) zeigt,
pni +end m d^n ande,;e.n 6, nur Zeichen von Degeneration der Sinnes¬
endstellen und Atrophie des Ganglion spirale der Basalwindung zu
sehen war. In diesen letzteren Fällen kann es sich auf Grund der
vorausgegangenen Erörterungen also nur um eine reine Degeneration
ohne Entzündung gehandelt haben oder höchstens um korrespon¬
dierende Degeneration, bei der sich eine leichte, aber für die De-
generation unwesentliche Entzündung im Labyrinthe seinerzeit wieder
vollständig zurückgebildet hat.
Diese Feststellungen sind auch von praktischer Bedeutung, inso¬
fern, als man bei derartigen Fällen nicht annehmen darf, dass eine
erneute Labyrinthinfektion weniger gefährlich sei, weil die Räume
fS-m -rm*be^ Bindegewebe und Knochen mehr oder weniger
erfüllt seien und so das Fortschreiten der Infektion auf die Meningen
behindert oder unmöglich gemacht würde. Ein Teil dieser Fälle
wird sich vielmehr in dieser Beziehung genau so wie ein völlig
normales Labyrinth verhalten.
Herr Schultz: Neue körperliche Symptome bei Dementia
praecox.
.. , Vortr. berichtet kurz über seine neueren Resultate der körper-
,!.ch®nf..UnfersucflunS Dementia-praecox-Kranker. Das Blutbild
lasst für Erstattacken, chronische Fälle, Ausgangszustände und in
Besserung übergehende Fälle entsprechende Veränderungen der
Leukozytenformel erkennen. Von besonderer Bedeutung sind Erv-
throzytenvermehrung im Ohrläppchenblut (kapilläre Erythrostase,
Schultz), die sich in der Mehrzahl der frischen Fälle, bei vielen
chronischen, namentlich im Verlauf neuer Schübe, und bei vielen
Endzuständen, namentlich katatoner Form, finden. Diese Befunde
sind neuerdings von verschiedenen Seiten bestätigt worden (G old¬
st e i n, 1 1 1 e n).
Die Ab derhaldenuntersuchungen, die Vortr in Chem¬
nitz ausfuhrte, Hessen in Uebereinstimmung mit den Befunden der
Jenaer Klinik häufig Abbau von Keimdrüsen, Schilddrüse und ge¬
legentlich Gehirn erkennen. Uteruswand und Uterusschleimhaut
wurde me abgebaut. Es ist bemerkenswert, dass der kapillären
Erythrostase verwandte Blutbilder sich gleichfalls bei Störungen der
inneren Sekretion der Keimdrüsen finden.
Endlich wurden Untersuchungen über das Vorkommen von
A “ r e n a 1 i n m y d r i a s i s (Cords) bei über 150 Psychosen ange¬
stellt. Die Adrenalinmydriasis kann positiv sein vor allen Dingen-
L Bei pathologischer Durchgängigkeit der Kornea.
2. Bei Aufhebung des hemmenden Einflusses, den das Ganglion
cervicale suprenum auf den Dilatator iridis ausübt (Sympathikus-
lahmung).
3. Bei allgemeinen Störungen des Sympathikotonus (Vorderhirn¬
verletzungen, Medullarverletzungen).
4. Bei Störungen der inneren Sekretion (pankreaslose Tiere, Ba¬
sedow, Diabetes, Abdominalaffektionen [?]).
Dementsprechend fand sich Adrenalinmydriasis bei den verschie¬
densten organischen Hirnaffektionen und bei Psychosen, die mit Ba¬
sedow oder der gl. kompliziert waren. Bei reinen Fällen von manisch-
depressivem Irresein, bei Psychopathen, Epileptikern und Normalen
blieb die Adrenalininstillation ohne Einfluss. Dagegen zeigten De-
mentia-praecox-Knmke in der Hälfte der Fälle Adrenalinmydriasis
massigen bis erheblichen Grades, ein Fünftel blieb negativ und bei
einern weiteren Fünftel trat eine mässige bis deutliche Verengerung
der Pupille auf Adrenalin ein (paradoxe Adrenalinreak-
* n ‘ . Dieser Befund bietet eine interessante Analogie zu den
während dieser Untersuchung mitgetcilten Beobachtungen von
p c." ™ 1 ä t, dass nämlich bei Dementia-praecox-Kranken die physio¬
logische Blutdruckerhöhung nach Adrenalininjektionen ausbleibt oder
sogar durch eine vorübergehende Blutdrucksenkung ersetzt wird.
1760
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Juni 1914.
Herr Graf- Neumünster berichtet über 5 Fälle subkupitaler
Sehenkelhalsbriichc, bei denen er 1912 und 1913 Klfenbeinstifte durch
die beiden Bruchstücke zu treiben versuchte. . ,
Die Indikation boten 1. Bruche, die schon wochenläng erfolglos
behandelt waren und bei denen nach dem Röntgenbilde, dem klinischen
Befunde entweder keine oder nur eine sehr mangelhafte Konsolidation
eingetreten war, bei denen das Bein kaum angesetzt, geschweige den
belasset fWerd bej denen nach dem Röntgenbilde anzunehmen
war, dass sie entweder gar nicht oder nur nach sehr langer Zeit
hUkVonUäiteren Brüchen wurde einer nach 13 Wochen, der andere
nach 22 Wochen genagelt. Beide sind fest geworden, die Beine
sind völlig tragfähig, die beiden Männer heute schmerzfrei und voll¬
ständig arbeitsfähig, obwohl bei dem ersten der Nagel unterhalb des
Kopfes und der Pfanne seinen Halt gefunden hat.
Von den frischen Brüchen, die erst nach Resorption des ersten
Blutergusses und ev. Korrektur der primären schlechten Stellung
im Streckverband durchschnittlich 2 Wochen post trauma genagelt
w urden. sind alle 3 fest geworden. Rin Bruch, bei dem die Möglich¬
keit der Rinheilung vorliegt, ist anscheinend knöchern geheilt, der
einzige von alllen fünf. Die Trägerin des verletzten Bernes ist voll¬
ständig arbeitsfähig. Die beiden anderen, eine jetzt 76 jährige Frau
kann trotz des festen Beines wegen Altersgebrechlichkeit nur mit
Hilfe einer Person, eine etwas jüngere Bauernfrau kann mit Hute
des Stockes Va Stunde über Land gut gehen.
Gesamtresultat: 3 völlig arbeitsfähige, 2 beschrankt arbeitsfähige
Leute. 4 mal fibröse Heilung, 1 mal knöcherne.
G. sieht den Hauptvorteil der Methode darin, dass er 1. die
Leute sehr frühzeitig aus dem Bette nehmen kann, ohne dass die
Bruchstücke sich verschieben, 2. die funktionelle Belastung des Beines
ohne grosse Sorge frühzeitig als Heilfaktor benützen kann.
Technik- Rs wird mit einem 6mm dicken Bohrer vorgebohrt
und ein 7-8 mm starker Elfenbeinstift durch Hals und Kopf ge¬
trieben in örtlicher Betäubung. Die Kranken kommen spätestens
M Tage später auf die Beine. Die Belastung erfolgt vorsichtig.
Diskussion: Herr Anschütz und Herr Grat.
Herr G ö b e 1 1 - Kiel bespricht 1. die Pathologie der akuten Pan¬
kreasnekrose und die verschiedenen experimentellen Arbeiten über
die Rntstehung der akuten Pankreasnekrose (Hildebrand, Upie,
H e s's, G u 1 e k e, P o 1 y a, H. S e y d e 1, K n o p e und Na tusu.a.
Rr charakterisiert das Krankheitsbild, weist auf die häufige Kombi
nation von Cholelithiasis und akuter Pankreasnekrose hm und zeigt
im besonderen an zwei geheilten Fällen, dass es m°Khch |st, eine
Frühdiagnose zu stellen, und an der Hand einer Statistik, dass
die Frühoperation innerhalb der ersten 24 Stunden die besten
Resultate gibt (9 geheilt, 4 gestorben), während in den zweiten
24 Stunden das Verhältnis schon 2:3, in den dritten 24 Stunden gar
?;8 ist. — Die vorgestellten Patienten (60 und 78 Jahre) wurden in
Lokalanästhesie operiert; bei dem 60jährigen fand sich beginnende
Fettgewebsnekrose, bei dem 78 jährigen ausgedehntere Fettgewebs-
nekrose Der Pankreasüberzug wurde geritzt, die Bursa omentalis
mit Vioformgaze tamponiert und drainiert. W o h 1 g e m u t h sehe
Diät und länger durchgeführte Tamponade und Drainage sicherten
vor dem Auftreten einer Pseudozyste des Pankreas.
? Diskussion: Herren Richter, Lubarsch, Anschutz.
Herr Graf berichtet über 2 operierte Fälle, eine Gastwirtsfrau
von 29 Jahren und einen Reisenden von 39 Jahren. Beide wurden
im Stadium des ausgebildeten Ileus operiert, die Frau am 4. l äge
der Rrkrankung, der Mann am 2. Tage Bemerkenswert war, dass
letzterer angab, innerhalb der letzten 6 Wochen bereits 2 gleiche
Anfälle erlitten zu haben. Der Mann starb, die Frau wurde gesund.
Beide hatten Gallensteine und führten ein unregelmassiges, nicht
alkoholarmes Leben.
Herr Hoppe-Seyler.
b) eine Frau, die an Mamma pendula und heftiger Mastodynle
litt und bei welcher beiderseits durch freie Faszientrans¬
plantation ein an der II. Rippe befestigtes Ligamentum
suspensoriu m maminae mit kosmetisch gutem trfolg ge¬
schaffen wurde. Die Mastodynie ist völlig verschwunden
c) einen 32 jährigen Patienten, bei welchem eine 4 Jahr alte
Luxatio claviculae retrosternalis inveterata durch blutige Reposition
und die Retention des stcrnalen Rndes mittelst zweier die Klavikula
mit dem Sternum und der I. Rippe verbindender frei transplantierter
Faszienstreifen erzwungen wurde. Operation am Resultat bis dahin
au g ^ M ä d c h en , bei welchen nach Reposition einer Luxatio coxae
congenitalis trotz Beseitigung der Anteversion mittels Osteotomie
nach Schede wieder Reluxationen aufgetreten waren. Rs wurde
blutig' reponiert, das Lig. teres aus der Gelenkpfanne entfernt, nach
der Reposition und Naht der Kapsel aus f r e i transplantierter
Faszie ein von der Rminentia ilei pectinea zum 1 rochanter major
ziehendes breites Band geschaffen, welches nunmehr forcierte Aussen-
rotation verhindert. (Demonstration.) .
Diskussion: Herren Brandes, Gobell, Anschutz.
2 Herr Göbell demonstriert eine 29jährige Frau, bei welcher
er am 11. Juli 1912 eine echte Pankreaszyste, welche mit dem Pan-
kre'askopf verwachsen war, entfernt hatte. Die Zyste war gut apfel¬
gross ihr Inhalt war schwarz wie Tusche, die mikroskopische Unter¬
suchung ergab, dass die Zyste innen von Zylinderepithel mit basal
stehendem Kern ausgekleidet war. Die Untersuchung des Zysten¬
inhalts im Physiologischen Institut ergab: Inhalt schwach alkalisch,
verdaut kein Riweiss, kein Fett, verzuckert Starke, wie jede Korper-
flüssigkeit. Gallenfarbstoff und Gallensamen fehlen
Vortr demonstriert an mikroskopischen I raparaten den Unter¬
schied zwischen echter Pankreaszyste und Pseudozyste des Pankreas.
Diskussion: Herr Lubarsch bestätigt die Diagnose:
Cystis pancreatis vera.
3 Herr Göbell demonstriert: a) einen 5jährigen Knaben mit
ischämischer Kontraktur und Medianuslähmung nach Rxtensions-
fraktur des linken Humerus, bei welchem die N e u r o l y s l s durch
freie Fetttransplantation zur Umhüllung des aus den
Narben oberhalb der RUenbeuge freipräparierten N. medianus, und
f re i e Faszientransplantation zum Ersatz der geschrumpf¬
ten Oberarmfaszie einen guten Erfolg am Medianus erzielt hatte.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 8. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Strohe.
Schriftführer : Herr Schickendantz.
Herr Fuchs hält einen Vortrag über Psychosen nach Trauma.
Sitzung vom 22. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Strohe.
Schriftführer: Herr Eug. Hopmann.
Herr Frangenheim: 1. Doppelseitiges Mammakarzinom
(Röntgenkarzinom). Die Röntgenschwester des Burgerhospitals be¬
kam auf dem Boden eines Röntgenekzems beider Hände zunächst
Röntgenulzera, später Röntgenkarzinom. 1907 Amputation des
rechten Daumens und einige Monate später Exartikulation der Finger
3—5 der linken Hand. Ostern 1908 Amputation des linken Vorder¬
armes. Jetzt seit einigen Tagen harte Knoten in beiden Mammae,
rechts walnussgrosser Tumor oberhalb der Mammilla, Haut darüber
verwachsen und leicht eingezogen, sonst nicht verändert, links
grosser Tumor im oberen äusseren Quadranten der Mamma, tiefe
Einziehung der Mammilla; keine Hautveränderung. Beide Brus -
drüsen auf dem Pektoralis noch verschieblich. In beiden Achsel¬
höhlen harte, vergrösserte Drüsen. Amputation beider Mammae mit
Ausräumung der Achselhöhlen in einer Sitzung _ Die Mamma¬
karzinome, die wahrscheinlich auf den chronischen Reiz der Rontgen-
strahlen zurückzuführen sind, zeigen histologisch einen ganz ver¬
schiedenen Bau. Rechts liegen die Karzinomzellen in grossen Nestern
und Inseln zusammen, links wächst der Tumor in kleinen Zapfen un
Strängen. In der Umgebung der Karzinomzellen ausgedehnte, klein¬
zellige Infiltration. Die Drüsenmetastasen zeigen dasselbe ver¬
schiedene Bild des Tumorwachstums. Beide Tumoren sind auffallend
zellreich. Metastasen in anderen Organen sind noch nicht nachzu-
vv' g i s 0 n t
2. Kindskopfgrosse Myelozele in der Lumbalgegend. Am Tage
der Geburt operiert. Zunächst reaktionsloser Verlauf, dann Auftreten
einer Liquorfistel in der Narbe. Seit 14 Tagen ist die Fistel ge-j
schlossen. Täglich zunehmender Hydrozephalus. r
3. Ausgedehnte, angeborene Lappenelefantiasis der linken ue-i
sichtshälfte Mehrere Keilexzisionen aus dem sulzig-ödematosen
Gewebe erfolglos. Unterfütterung des Krankheitsherdes mit einem
freitransplantierten Faszienlappen, der gleichzeitig mit 2 Zipfeln m
die Augenlider geleitet und zur Beseitigung der bestehenden Ptost
mit dem M. temporalis verankert wird; die Ptose ist danach beseitigt
Der Tumor wächst aber schrankenlos weiter. Deshalb radikale Ent¬
fernung des ganzen Herdes und Epidermistransplantation auf die zu¬
vor freitransplantierte Faszie. Seitdem kein Rezidiv.
4. Ausgedehnte Darmresektion, 3,40 m, bei einem Patienten, der
nach einer stumpfen Bauchkontusion vor 31/» Jahren Adhäsionen de
Dünndarmschlingen untereinander und mit dem parietalen Peritoneum
bekam. Mehrere Laparotomien mit Lösung der Verwachsungen
waren erfolglos. Wegen dauernder Schmerzen, Ileuserscheinungen.
hartnäckiger Obstipation Resektion eines grossen Dünndarmkonvolu.es
und Seitenanastomose. Die Verwachsungen beschränken sich au; aas
lleum und den unteren Teil des Jejunums. Die übrigen Darmschlingen
sind frei. .... .... . .,ru,
5. Splenektomien: 1. bei perniziöser Anämie. Pat. stirm
nach 3 Wochen; dauernde Abnahme des Hämoglobingehaltes des
Blutes und der Zahl der Erythrozyten. 2. bei perniziöser
Anämie. Pat. lebt noch nach 4 Monaten. Vorübergehende.
Remissionen. Prognose aber ungünstig. 3. bei hämolytischem
Ikterus. Enorm grosse Milz (1100 g). Pat. bei gutem Allgemein¬
befinden nach einigen Wochen entlassen. Weitere Beobachtung fehlt
(paU i _ 3 von Herrn Geheimrat Hochhaus - Augustahospital über¬
wiesen.) 4. luetische Cirrhose. Ikterus. Nach Entfernung
der Milz Ikterus in wenigen Tagen verschwunden. Seit 4 Monaten
dauerndes Wohlbefinden.
August 1914.
Al j J EN CHENER MEDIZINISCHE W OCHENSCHRIFT
: flCrrn^ r a n K ? h,e,i m ba,t einen Vortrag über die röntgeno-
£hr( nSr d/er MafEen?fkrankungeii mit Demonstration zahl-
u.her Diapos tive (normaler Magen, Rose, Atonie, Ektasie Stenose
fusventncuü et pylori, Karzinom). Im Anschluss an den Vortrag
rcen eine Anzahl von kallösen Magengeschwüren gezeigt, die durch
lerresektion gewonnen wurden.
Diskussion: Herr Moritz, Herr (j r ä s s n e r.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. Juni 1014.
Vorsitzender: Herr M a r c h a n d.
Schriftführer: Herr R i e c k c.
b^'rr -«W*1 Dem°nstration einer Herzverletzung (Herz-
tuss), mittels freier Muskelimplantation günstig beeinflusst.'
Herr P ayr: 1 Demonstration freier knorpelartiger und knochen-
!ger Körper In der Bursa semimembranosa des Kniegelenks.
Demonstration eines Ulcustumor hoch oben an der kleinen
i'vatur des Magens (Sanduhrmagen).
Ouerresektion des Magens ergab eine spastische Einschnürung
lösem üla,SU™3SKaÄ“ng fischen
LSvativ ml! VrfoIgTehaVdc"”" e'ner sch'vere" Hs"dverletrung,
irn!m.Kolonli"'lcl" " demonslrlerl elnen Patienten mit einer Magen-
Pat. ist wegen Ulcus duodeni vor 4 Jahren in Prag operiert
wurde damals eine Oastroenterostornia posterior ohne Pylorus
i'ihfeTt,eSt'ÄK/2 Jahre Iang völliges Wohlbefinden. Seit
n halben Jahre Abmagerung um 40 Pfund, Schwäche, keine
iei? BlSC,hweurdeü’ T fstarkes Kollern im aufgetriebenen Leibe
Inechendi es Aufstossen. das zum ersten Male vor %> Jahre
'St’-a s Pat' Slcb mit dem Bauche beim Ueberlegen eines
nsm.ss.onsr.emcns gegen eine feste Unterlage gegenlehnte.
pi a ^ F . rke, „Abmagerung, Kolonmeteorismus, lautes Kollern
eibe, aber keine Darmstedungen. Kein Tumor palpabel. In der
lk mehrfach fakulentes Erbrechen von der gleichen Beschaffen¬
es derMSaUer-'ub, riecbende und auch sauer reagierende Kot
■ te. Im Mageninhalt nach Probefrühstück reichlich freie Salz¬
ig etwas hyperazide Werte. Im Stuhl kein okkultes Blut.
,i0?MtSenU "t e r s u c h u n g : Nach Bismutbrei per os füllt
• der Magen und sofort ein Teil der Dünndärme durch die Gastro-
irostonue, ausserdem aber auch gleichzeitig ein Teil des Colon
• ^ v ci oii in.
Nach Einlauf werden sofort ausser dem Kolon der Magen und
1 e Dunndarmschlingen gefüllt.
Gleich darauf Erbrechen bismuthaltiger Massen.
m snfn°rtW£? Me th-VlenbIaulösung ein Teil der-
Ä i,! fh dl.e s?hlundsonde aus dem Magen entleert.
-s besteht also eine Kommunikation zwischen Magen und Dick-
lrendpif d tp' direkt °der du':ch ei.ne Fistel zwischen Kolon und der
cn eng0 benachbarten "Ifelia1" Qas,roenterost»ml= =>" einer dem
OiLT«? die, ^ verschiedenen Möglichkeiten, die zu einer Magen-
■ Kolol fnprfn •k0nna11’ bMSpr0C,hen- Die häufigsten Ursachen, in
Kolon perforierendes Magenkarzinom, sodann in den Masren
frierendes Dickdarmkarzinom, werden in Rücksicht auf den
md daS Fehlen okkulten Blutes im Stuhle für un-
!rt;n!S1(Sk!&,M,^eisfse,n“sserosse
;; nnm|»piK? i Emmundung in den Magen selbst oder in
igebrochenbktI!,nda?e m daS v°rgelagerte Colon transversum
\ eeführt v uU -ln -r M a g e n - J e j u n u m - K 0 1 0 11 -
geführt hat, ähnlich wie in dem von Reitzenstein und
t beschriebenen Falle (Grenzgebiete Bd. 17). Die starke Ab-
fUng ist durch den Ausfall eines Teiles der Dünndarmverdauung
^at. wird der Chirurg. Klinik zur Operation überwiesen.
1 AssUm Ü LVV nHerr P a.yur • be?lcrkt zu dcn Ausführungen
sicherem dL -dauS CSj ”Ich indem vorliegenden Falle wohl
M r TL d sekundären Durchbruch eines Ulcus
‘ t ü vnn'n- das,0uerkolon händle, dass also ein
loben epin mTicc D n" r, kd 3 r m zwlschen Magen und Kolon ein-
«Sz erhSh <P'P 0perat!on derartiger Fälle bedingt nicht
, penucum fei n n Schw'engke.ten. Die Spontanperforation des
:iru 3 11 Gastroenterostomien in benachbarte Darm-
1 eine * ausgedehpt® Adhäsionen. Gelegentlich findet
e mitmSrp p 'S* (jrapulat]onsgewebe ausgekleidete Höhle,
öehchkSft Da!imschl'nKe,n kommuniziert. Man müsse mit
SrmanSp h ’ die ,n dep krapkhaften Prozess einbezogenen
Rasse sieh ! ,res«z,er*n- Der Defekt in der Wand des Quer-
falis .ine knf.r" ode/ dlIr.ch- dlC Nabt scbhessen oder erfordert
‘Gastroenterostomie* an zu tegen? ' ZUWeile" ‘St eS notwendig’ eine
_ _ 1761
,m^h,CZHffl,chi,der e\aklcn radiologischen Diagnose des Falles be-
Een saS7 BP|ay[ d1' M^lichkeH. mitleist Kisenfüllung des
l.ii, Blockierung desselben durch den Magendarm-
- Kolon rr^^tllLf LDbi™SmSChal,S,S°k
hä!f(eHu„d Hmhfhaltf H: ^ V0" I3lastomykose der lblken Skrotal-
schmerzhaftin^Shl!* ^eit .ca> 3 Mpnaten- mit kleinen, leicht druck-
m-ihlinh o f m KHotchen im distalen Funikulusbercich beginnend, all-
un I tzt 1 enCbpins°1den’, Hod,en. l,nd unt,e/en Skrotalpol übergreifend
Abtuesse ter in fpf iTC Z7ld Ln ca‘ ^ Walnussausdehnung. Im
bestandteilen niJ ö 1S!Cr .Menge Blastomyzeten neben Eiter-
fetzenmn/pf n. P fngeA^gten Ausssaaten mit nekrotischem Gewebs-
kuftS? an S Bil t er- Absz®ssböb,e auf Maltoseagar gingen in Rein-
gärung.an" Bierwürze ebenfalls Wachstum unter spärlicher Ver-
traktI?pMI}J>IcSi}fr mitgetci,Iteri Blastomykosefällen ist der Urogenital-
rakt relativ selten erkrankt, und es waren dies Fälle in denen eine
Disseminierung der Blastomykose bestand
erkrankt^Fs^fwfi1!^1 is* ,IJu.r linke Skrotalhälfte und ihr Inhalt
kommen de^ lifpkSan vie'le,cbt gerechtfertigt, sich das Zustande-
vom stellen (iang und Gäben bei der Gonorrhöe
uizusienen. r.s wurde sich somit um eine Geschlechtsknnktipii
^ Diesp Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit hat auch vieles
für sich, zumal es verschiedentlich gelungen ist aus dem VaSSsS
sekret resp. aus dem Zervikalfluor Hefen zu isoliercn Das m^
durch die weitere Untersuchung noch eruiert werden
tW K r „ fl D^?n-ftrati0ü eines Falles von Llche" mber.
Husten! K Mitteilung über die Erreger von Schnupfen und
(Erschien als Originalartikel in der M.m.W.)
Sitzung vom 7. Juli 1914.
Vorsitzender: Her M a r c h a n d.
Schriftführer: Herr R i e c k e.
änderung. Quense,: U Stirnhirnverletzung mit Charakter ver-
„.„Ä bpj. denen sich infolge einer lokalen Gehirnerkrankung
psychische Storungen einstellen, sind nicht ganz selten. Am häufic-
mofeninds!pSl!Ch wirkbcbe Veränderungen der Persönlichkeit bei Tu-
moren. Sie kommen 'bei ganz verschiedenem Sitz derselben vor die
wppvI6 Alebrzabl ab^r betreffen Stirnhirnerkrankungen. Tumoren er-
ecken immer den Verdacht, es könnten die fraglichen Erscheinungen
Folge der Allgemeinwirkung des Tumors sein Auch Erweichungs!
und Blutungsherde begegnen dem Einwand, es lägen ausgebreitete
Gefassveranderungen und Zirkulationsstörungen vor. Blonde f
wertvoH sind daher die seltenen Fälle infolge von traumatischer
Gehirnzerstorung. Am bekanntesten sind die Fälle von H a r 1 0 w
6nit Epilepsie bei Stirnhirnverletzung) und von Welt (doppelseitige
Verletzung des Stirnhirns). Es gibt zahlreiche in bezug auf erheb
St Fä,le vo" s,irnhlr'”'er-
z‘ ,Z‘ 29'A Jabre aIter Bergmann, Vater Potator, sonst nicht
Veru ückhtneambe24ervnrST/te FAnampes?r ™mer gesund gewesen.
QiA"g CK A,T VIIb 12‘ Er Iief mit aller Wucht gegen eine
Sicherung zum Abfangen von Förderwagen, d. h. einen schräg von
der Firste gegen seine Wegrichtung herabhängende, unten geschärfte
Eisenstange und blieb stöhnend, mit getrübtem B^Ssfseln liegen
wurde“ E? haafsSfÄffIaZaret,t ZUu Ea" W0 folwndes'konstaSert
\\mae. er hat sich die Sicherung durch die nasale Hälfte des linkpn
Auges eingestossen. Neben dem Auge drang Gehirnmasse hervor"
Jw Glaskörper war durch Blutmassen undurchsichtig, die Umgebung
oes Auges prall geschwollen und pulsierend. K. reagie teToch auf
Anruf und erkannte mit dem rechten Auge die in 1 m AbstaSd v
gehaltenen Finger, Puls 56, zunehmende Besinnungslosigkeit Daher
Unterbindung der linken Carotis communis, Anlegung einer Treoana
bonsoffnung an der linken Schläfenseite. Eröffnung der Dura nfe
mS a”s^ d« ■nSk'hpüu 6?S S,0SSWeise ««vorquellen von' Hirn-
Kopf- und Hfllsverband ab, doch bellt™ d“’ sÄ
des linken Auges musste wegen Eiterung durch Exzentration ent
fernt werden. Allmählich Wiederkehr des Bewusstseins *c wund
der Kopfschmerzen. Nach 4 Wochen lief K. herum gab 'kla!eA
nechts"' ÄS Namen. Weitere Abnahme d es "slh vermögt
t ' t1'5 Pes ‘anden Blutungen im Auveninnern Vom 11 IX -th
beschäftlct «K ri™riib«>!'h«'d vou Fürdorwattä
strengste Schonung angeordn« würde VOr aul!c"ärzllic"« Seite
sei, November Ä SS?
schlafe schlecht, nachts belästige er seine Frau mit vielen Prangen
die sie alle prompt beantworten müsse, sonst würde er aufgeregt Fr
bedrohe sein Kind mit dem Messer. In einer Kammer für „,„h
er auch nicht schlafen, da er sehr aafwwt ™ C'' "
n kK‘i,iVUrdc daher zuerst vom 18. XII. 12 bis 17. II. n zur
Beobachtung und Behandlung überwiesen.
1762
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
Nr. 31.
Seine Anamnese ist völlie belanglos, ausser dass sem J.a‘er ,ge
trunken hat. Er selbst trank dagegen nur wenig. Beschwerden
äusserte er überhaupt nicht, nur habe er beim langen Sitzen Kreuz
schmerzen-rau ^ an; Vor dcm Unfall hdbe ihr Mann fleissig
gearbeitet seinen Acker bebaut, gern mit den Kindern gespielt, etwas
erregbar sei er allerdings auch früher gewesen. Schon im Kranken¬
haus habe er sich nach dem Unfall verändert, sich aufgeregt bt-
nommen sei unstet umhergelaufen Zu Hause habe er sich dann schon
um 7 Uhr abends zu Bett gelegt um lü Uhr “e^KJankhe”2^-
eanz belanglose Sachen, sprach immer von seiner Krankheit. Atu
wortete sie nicht, so wollte er sie gleich an die Wand werfen Er
wurde gewalttätig, drohte öfter mit Schlachten, stiess sie mit der
Faust in den Rücken, wurde brutal gegen sie und die Kinder, wahrend
sie zuvor in 3 jähriger Ehe nur einmal eine Ohrfeige von ihm be¬
kommen habe. 'Hörte er einmal ein Kind sehr eien, oder Jefen «e
hprnm so wurde er erregt, warf mit einem 1 eller nacn seinem
jüngsten' Kinde, warf in einem Wutanfall die brennende Petroleum-
’amPK iniSstZdnmkräftiger, überaus gesund und blühend aussehender
Mann. Unter dem linken Auge besteht eine ca. 3 cm la«ee, re'zlos
l Infallnarbe Das linke Auge fehlt, er tragt Glasauge, n der linken
Schläfengrube findet sich eine halbkreisförmige, nach oben konvexe
Narbe von der Trepanation. Sie ist teilweise mit Unterlage
wachsen, wölbt sich bei Husten und Pressen vor und ist hinten k cht
druckempfindlich. Das rechte Auge zeigt (Prof. . Dr . B u n g e) kolos
sale Blutungen und Degenerationsherde der Netzhaut, Visus anlang,
fast ü z Z. 4/12, diskontinuierliches Gesichtsfeld.
Der Geruch fehlt völlig, Ammoniak wird wahrgenommen.
Die linke Stirnhälfte wird nicht gerunzelt, der Augenschluss er¬
folgt schwächer.
Zähne defekt, Tonsillen vergrossert. . , .SllH
Am vorderen Rande des linken Sternokleidomastoideus verlauft
die 9 cm lange, reizlose Unterbindungsnarbe. ,
Innere Organe o. B. Blutdruck 155 mm Quecksilber Hg nach
Riva Rocci. Linker Bindehautreflex abgeschwacht, Kniescheiben
sehnenreflexe etwas gesteigert, somatischer Befund sonst völlig n > -
mal Es besteht keine Spur einer Sprachstörung.
Psychisch verhielt sich Patient in der Anstalt im Ganzen ruhig
und geordnet. Eine genaue Prüfung der Intelligenz ergab keinerlei
Störung auch Aufmerksamkeitsleistung, Merkfähigkeit sind völlig
nonn™ er ermüdet nicht besonders schnell Er klagte nur über seine
Augen und Kreuzschmerzen. Sein Appetit war ausgezeichnet, e
klagte höchstens, er werde überhaupt nicht satt, obschon er an e-
wicht noch zunahm. Allmählich wurde er aber mürrisch und reizbar,
schimpfte, drängte nach Hause und musste auf sein Drangen schliess¬
lich entlassen werden. Nachträglich stellte sich noch heraus, dass
er sich von einem Mitpatienten 10 M. hatte geben lassen und diese
unterschlagen hatte, wofür er gerichtlich bestraft wurde. Wir sind
nicht befragt worden. . . . . Friiupr
Zu Hause fing er nun ein ziemlich unsinniges Leben an. Fn uher
solide, lief er in alle Wirtshäuser, verbrauchte seine Rente, liess .die
Familie hungern, machte Schulden und verschleuderte das Geld i
sinnloser Weise, versetzte seine Uhr, um sich für teures Geld ein
neue zu kaufen. Er stahl seiner Frau das Geld, wurde lugenhalt,
prügelte seine Schwester, so dass sie ärztliche Hilfe in Anspruch
nehmen musste und ihn anzeigte. Schon wenn er wemg trank wurde
er erregbar, bekam Schlägereien. Er war sexuell sehr erregbar,
eifersüchtig, seine Frau halte es mit dem Pfarrer und dem Nacht¬
wächter, er beschimpfte sie vor Fremden und seinen Kindern in den
gemeinsten Ausdrücken, benahm sich Tag und Nacht so unanständig,
dass ihm die Wohnung gekündigt wurde. Seine geschlechtlichen
Ansprüche, vorher in normalen Grenzen, stiegen dermassen, dass
Frau nicht mehr mit ihm in einem Zimmer schlafen wollte. War
ihm nicht zu Willen, so wurde er brutal. Beim Koitus biss er sie
in die Kehle und ins Gesicht. Er benahm sich fest . ^ndlsch’ jjhneb
auf einen Zettel, alle Hausbewohner hatten einen Kl«»- Er ging mit
aufs Feld, spielte aber dort nur mit semer Kartoffelhacke Solda
Wegen seines Benehmens kam er vom 3. — 27. September uu
in die Landesheilanstalt P. Nach der mir freundhehst übersandten
Krankengeschichte habe er in letzter Zeit auch noch verworrenes
Zeug geredet, sehr unruhig geschlafen und sehr laut geträumt. Er
klagte dort etwas über Kopfschmerzen, gab zu, dass er
verbraucht habe, vergesslich sei und sich leicht aufrege Schwierige
Aufgaben rechnete er etwas mangelhaft, verhielt sich seinen Lei¬
stungen gegenüber wenig kritisch. Im übrigen war er durchaus klar,
geordnet, ohne gröbere Defekte oder manifeste psychische Erschei¬
nungen. Anfangs stumpf und gleichgültig, zumal gegenüber dem Er¬
gehen seiner Angehörigen, querulierte er später ständig um seine
Entlassung und wurde schliesslich auf seinen Wunsch beurlaubt.
Vom 9— 15 X. 1913 war er in Bergmannswohl zur Beobachtung.
Er war hier grosssprecherisch, reizbar, benahm sich sehr ungebühr¬
lich und ausfallend. . „ ,, . . .
Zu Hause hielt er bei keiner Tätigkeit aus, fing aller Augenblicke
etwas anderes an. führte aber nichts zu Ende. Wegen seiner Reizbar¬
keit geht ihm jedermann aus dem Wege. Er kaufte sich einen Genick¬
fänger. soll auch andere mit einem Revolver angeblich bedroht haben,
so dass er vom 1. XI. bis 24. XII. 1913 nochmals in die Landeshellanstalt
gebracht wurde. Anfangs war er etwas erregbar, aber völlig ge¬
ordnet, später ruhig, vorübergehend benahm er sich auch dort unge¬
bührlich schimpfte über das Essen, über seine Zurückhaltung, konnte
aber schliesslich doch wieder nach Hause entlassen werden.
Seither ist eine gewisse Besserung in seinem Befinden bemerk
bar Allerdings muss ihm noch in allem Recht gegeben werden, sons
wird er erregt. Bedrohungen sind nicht mehr vorgekommen. Da
gegen ist er nach Aussage der Frau gleichgültiger geworden Un
seine Kinder kümmere er sich im Gegensatz zu früher überhaupt mcl.
mehr Wahllos erzähle er auch Fremden alle intimen Familienan
gelegenheiten. Sein ganzer Wunsch sei, Geld zu Reisen zu be
kommen. Er borge wo er könne, stehle ihr das Geld. Nach der En.
lassung aus der Anstalt zeigte er seiner Frau eine gefälschte Auf
forderung nach Berlin in eine Klinik zu kommen. Mit dem < iclde be
suchte er einen Bekannten in Hclmstädt. Vor 1 fingsten 14 fuhr e
nach Westfalen, angeblich um sich Arbeit zu suchen, versetzte abe
nur seine Sachen und kam ohne Mittel zuruck. Am 1. VII. wo lle e
nach Pommern, dann komme er nicht wieder. Er fange allerlei at
ohne cs auszuführen. So übernahm er eine Versicherungsagent!.,
versichert^* viele Leute gegen ihren Willen, so dass ein Prozess em
stand und die Frau für Kosten aufkommen musste. Er erzählte e
sei Aufseher in einer Obstplantage und müsse mehrere Tage fort
bleiben, kam aber schon am gleichen Abend wieder zuruck Ge
^chlechtlich sei er noch immer anspruchsvoller als vor dem Ln.a.
aber nicht mehr in so exzessiver Weise.
Bei seiner jetzigen Beobachtung vom 2. 8. Juli 1 '4 me. et e
somatisch einen nach jeder Richtung normalen Befund. Die Narbe
sind nicht mehr empfindlich, die Sehschärfe rechts ist auf mo st
stiegen. Das Körpergewicht ist von 72,0 auf 68,0 Tg gesunken.
Er ist diesmal im ganzen ruhiger, klar und geordnet. Eine eu
gehende Prüfung ergibt intellektuell keinerlei Ausfallserscheinunge
Seine Schulkenntnisse und Lebenserfahrungen beherrscht er sehr su
er rechnet mit einfachen und eingekleideten Aufgaben so gut als tu.,
das erwarten kann. Begriffsbildung und Urteil sind so nicht gestoi
die Merkfähigkeit ist ausgezeichnet. Einen Ebbinghaus seht
Text ergänzt er tadellos, gibt kleine Erzählungen geschickt und sich«
wieder. Seinen Lebenslauf schreibt er richtig fliessend [nieder. Dt
Schluss gebe ich hier: „Seit meinem Unglückstage am 24. August 19
treibe ich mich immer in Krankenhäusern und Anstalten henn
hoffentlich hat das Jammerleben bald em gutes Ende Depnme
ist er keineswegs, im Gegenteil sorglos vergnügt. Er beweg, st
in Kraftausdrücken, er wünsche noch heute Entlassung, „sonst wackt
die Wand“. Er berichtet strahlend, 30—40 §las, Bier könne er s
vertragen, obschon er jetzt wenig trinkt. Er habe bestimmt
Obstplantage und wolle für 300 M. Pacht 1000 M verdienen se
Frau verleugne es bloss, damit man die Rente n>chtkurze.
wohl noch einmal Kopfschmerzen, fühle sich schlapp, habe Um.
stechen. Früh könne er nicht erwarten, dass es Tag werde,
schlafe schlecht. Auch reizbar sei er noch, wenn seine Frau nie
beim ersten Male gleich nachgebe, werde er kauderwelsch.
2. Linksseitiger Kleinhirntumor.
44 jähriger Häuer, früher gesund, erkrankt am . 27. Januar
mit Zucken in der linken Gesichtshälfte, in den Zahnen Am J.
starke Zuckungen, Verziehung der Zunge nach links. Beim Schluck
war ihm. als sei die linke Halsseite verstopft. Der linke Arm u
4 Tage taub und gefühllos.
Seither immer Kopfschmerzen, hauptsächlich links im Hinterkc
häufig Zucken links im Gesicht, Zusammenhacken der Zahne, wo
er sich in den ersten Tagen oft auf die Zunge gebissen habe N
dem Zucken Schwindelgefühl, gefallen sei er me. Anfangs tiel u
das Sprechen schwer, besonders das „r“.
Der Kopf ist nirgends klopfempfindlich.
Die Pupillen sind gleich und normal. .. . rn
Angenbewegungen frei beim Augenspiegeln, Nystagmus ro
torius sonst nicht. . , ,
Ophthalmoskopisch Venen beiderseits geful . Im Laute <
Beobachtung seit 1. Mai 1914 scheint sich links allmählich btauur
papille auszubilden, noch unsicher. .. . • „ei
Gesichtsfeld für Farben links konzentrisch massig eingeei
rechts weniger (Prof. Schwarz). linj
Linke Lidspalte enger, krampfhaft geschlossen. Bl nzeln,
Mundwinkel höher, Nasolabialfalte tiefer. Tikartiges Zucken im Uni
F azialis
Linker Gaumenbogen höher.
Zunge meist nach links herausgestreckt.
Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, auch solche der,Vc.n'
empfindung. Reflexstörungen fehlen. Bindehautreflexe beiders
normal, auch in Seitenlage. , , ... . dj
Bei Romberg fällt Pat. sofort nach links und hinten, Dj
Gehen weicht er nach links von der Geraden ab, noch ausgesproem
bei Schluss der Augen. , . ict ,.
Adiadochokinesis fehlt. Eine Ataxie des linken Armes
Fanden, er fährt an Nase etc. links vorbei, zeitweise besteht ein *
schüttelndes Zittern des linken Armes mehr als des reenten |
Bewegungsintention. Artn-,i
Beim Zeigeversuch starkes Vorbeizeigen des linken Arm«,
allen Gelenken nach aussen, in den distalen Gelenken fast noen <
gesprochener. Auch Kopf und Rumpf, etwas weniger das hnKe i
in Hiift- und Fussgelenk zeigen nach links vorbei. Der reeni
bietet ein geringes Vorbeizeigen nach innen. , j
Das Ergebnis der Gehörsprüfung und der Ohrbefund sina n
(Dr. K ü s t n e r).
4. August 1914.
MUENCHKNER MEDIZINISCHE WQCHENSCH RIFT.
Galvanische Prüfung des Vestibularis löst schon bei 0,5 MA.
hochgradigen Schwindel aus mit Fallrichtung nach links. Auch Dreh¬
stuhlprüfung ist deshalb nicht ausführbar
Ausspritzen mit 20 0 C ergibt rechts normalen Nystagmus, be¬
sonders beim Blick nach links. Vorbeizeigen des rechten Armes nach
rechts. Bei Romberg fällt er nach hinten und etwas nach links.
Links bleiben vorbeizeigen und Koniberg wie zuvor, ein echter
Nystagmus tritt nicht auf, nur sehr klein- und schnellschlägiges Zittern,
besonders beim Blick nach rechts.
Die Röntgenaufnahme des Schädels zeigt keine Erweiterung der
inken Porus acusticus internus.
*degen e'nen I umor im Klcinhirnbriickenwinkel spricht das Fehlen
iller Störungen des Gehörs. Die Erscheinungen weisen am meisten
un auf die untere Fläche der linken Kleinhirnhemisphäre. Wasser-
nann im Blute war negativ, eine Inunktionskur ohne jeden Einfluss.
Operation ist dem Kranken vorgeschlagen, bisher aber noch abgelehnt.
Diskussion: Herr Klien: Auch bei traumatischen Fällen
>t es durchaus nicht so leicht, den ursächlichen Zusammenhang
'wischen einem Verlust von Hirnsubstanz und einer nachfolgenden
sjehose festzustellen Psychosen kommen auch nach schweren
jehirnerschütterungen ohne Zerstörungen von Hirnsubstanz vor.
nd zwar können sie zu ganz genau den gleichen Symptomen führen
ne sie der vorliegende Fall bietet: zu affektiver Uebererregbarkeit,
Vitzelsucht, Wahnideen, Verwirrtheitszuständen. In schweren Fällen
ann es bis zu einem der Paralyse ähnlichen Krankheitsbilde, zur
ostkommotionellen Pseudoparalyse kommen. Es ist daher im vor-
egenden Falle nicht so ohne weiteres zu entscheiden, ob die Psychose
uf den Ausfall an Hirnsubstanz - — wie dies der Vortragende will _ -
u Te ziehen ist oder auf die W'irkung der schweren Gehirner-
uhütterung. W ir müssen uns deshalb nach Momenten umsehen, die
ir die eine oder die andere Auffassung zu verwerten sind. Wäre die
sychose durch den Verlust an Hirnsubstanz bedingt, so hätte sie
rfenbar sofort nach diesem Verlust auftreten müssen und würde sich
leileicht nach und nach gebessert haben, wie wir dies nach Schlag-
nfällen sehen. Im vorliegenden Falle machten sich aber die psv-
notischen Erscheinungen erst mehrere W ochen später
eltend. Auch zeigte die Psychose progressiven Charakter:
enn der jetzige Zustand, wie ihn der Vortragende demonstrieren
onnte, dürfte in einem Krankenhause, vor allem aber in einer Irren-
istalt der Beobachtung doch kaum entgehen.
Es ist daher doch wahrscheinlicher, dass es sich um eine post-
jmmotionelle Psychose handelt, zumal sich diese oft erst nach
ner gewissen Latenzzeit entwickele.
Herr O u en s e 1 (Schlusswort): Ich halte in diesem Falle doch
e allgemeine Schädigung des Gehirns nicht für das entscheidende
üder wie die vorliegenden, ausschliessliche Störungen des Charak-
rs, der Besonnenheit und Selbstbeurteilung, Steigerung des Trieb-
bens ohne jede intellektuelle Störung, ohne Gedächtnis- und Merk-
7i?edsdeIek^e *n der k*er vorliegenden Weise sind mir trotz aus-
uehntester Erfahrung nach allgemeiner Schädigung durch Commotio
rebri etc. bei vorher Gesunden kaum vorgekommen. Der Beginn
t Veränderpng reicht in die erste Krankheitszeit zurück, wenn die
orungen erst später mehr hervortraten, so ist es zu bedenken, dass
il s,f. Jn oer Anstalt immer wenig bemerkbar machten, sondern vor-
nmhch zu Hause, wo er sich am meisten gehen lässt. Auch war er
tangs doch schwer krank. Endlich kann man nach dem Verlauf
;ch von einer gewissen Besserung wohl sprechen.
Herr Payr: Bericht über einen operierten Patienten mit einem
1 rcngebrochenen Ulcus pepticum jjejuni (vergl. Demonstration des
!;rrn Ass mann in der letzten Sitzung vom 23. VI. 14).
Herr H ü b s c h m a n n: Ueber Influenza-Bronchiolitis und über
I luenza-Meningitis.
Obwohl der Pfeiffersche Influenzabazillus noch keine ganz
i bestrittene Stellung im System der Bakterien einnimmt und obwohl
Rohe als ätiologischer Faktor bei Influenzaepidemien noch
nt voll anerkannt wird, muss man ihn doch als einen pathogenen
kroorganismus betrachten und muss den Fällen grosse Aufmerk-
nkeit schenken, bei denen an seiner ätiologischen Bedeutung nicht
• zweifeln ist. Man kann sich dabei zunächst über die strittigen
nkte hinwegsetzen und kann vor allem durch hämoglobinophile
zmen hervorgerufene Erkrankungen, sei es nun, ob man es mit
•i eigentlichen Influenzabazillen Pfeiffers oder mit den von
• i zuerst als Pseudoinfluenzabazillen bezeichneten zu tun hat, unter
inseiben Gesichtswinkel betrachten. — Pfeiffer beschrieb in
ner ersten Veröffentlichung über dies Thema eine bestimmte, bei
uenza vorkommende Lungenerkrankung. Die jetzt im Leipziger
'“Ologischen Institut beobachteten Fälle sind ganz analoger Natur.
I. 33 jährige Frau, die 4 Wochen krank war und unter schweren
• ’.generschemungen und hochgradiger Dyspnoe starb. Die Sektion
i aD “»er .die ganze Lunge verbreitete, meist deutlich um kleinste
meinen lokalisierte miliare Infiltrate: alle Bronchien waren mit
igem Exsudat ganz ausgefüllt. Im Eiter der kleinen Bronchien
ln ° izu m!> osko,pisck massenhaft kleinste Gram-negative Stäb-
1 • Kulturell werden ausser vereinzelten hämolytischen Strepto-
en nur die echten Pfeiffer sehen Bazillen nachgewiesen. Auch
nL1-0? i?ISC”en Schnitten finden sich diese Bazillen reichlich im
' c uiisekret, oft intrazellulär. In solchen Präparaten sieht man
'seraem eine schwere zellige Infiltration der Wände der kleinsten
c?!e"* Cln Debergreifen der entzündlichen Veränderungen auf die
cnioli respiratorii und eine pneumonische Infiltration der an-
1763
schliessenden Infundibula. — Man kann von einer Broncho-
Pneumonia miliaris sprechen.
. 2- 9 jähriger Junge, der seit 2 — 3 Wochen an Masern leidet,
Heftig hustet und ebenfalls unter schwerer Dyspnoe zugrunde geht.
]J!e bektion ergibt ein dem vorigen Fall sehr ähnliches Bild, so dass
sich hier eine weitere Beschreibung erübrigt. Im Ausstrich vom
ronchitischen Eiter hier ebenfalls reichlich Influenzabazillen, die sich
auch m bchmtten in grosser Menge nachweisen lassen. Die Kultur
ergibt hier ebenfalls ausser vereinzelten Pneumokokken nur hämo-
g ODinophile Bazillen, doch zeigen diese nur in der ersten Impfung
ausschliesslich die kleinen Formen der echten Influenzabazillen: in
vveiter geimpften Kulturen treten reichlich Scheinfäden und andere
Eormen auf.
Im Anschluss an diese beiden Fälle wird 3. eiii Fall von sogen.
nnn rr *7 " LP ä * 1 s P m 1 ‘,7 r a n s d em ons tr i er t . Die ganze Anord-
ung der Herde und ihr histologisches Verhalten legen die Annahme
nahe, dass diese Erkrankung sehr wahrscheinlich aus den geschil¬
derten analogen, akuten Bronchiolitiden resp. miliaren Broncho¬
pneumonien hervorgeht.
(Diese 3 Fälle werden ausführlich in Zieglers Beiträgen
publiziert.)
FallPvoü ^{juenzameningitis bei einem IX jährigen
schwpt-p1' pitpS- hanlde 1 slch ,uin eine etwa 3 4 Wochen bestehende
hPi w g ll ge Leptomenmgitis cerebrospinalis. Intra vitam und
Pp;ni^mS k uWerden Im Fxsudat hämoglobinophile Bazillen in
neffJSJrh nach,gew'e.seii- Das Exsudat ist zum Teil schon etwas
SCu 0 de".fris?heren Eiteransammlungen liegen die kleinen
BaziUcn sehr reichlich intrazellulär. Ob der Meningitis eine Lungen¬
erkrankung vorausging, lässt sich nicht feststellen. Bei der Sektion
werden nur leichtere bronchopneumonische Herde und in diesen nur
Pneumokokken gefunden. Ausserdem besteht eine doppelseitige Otitis
media; in dieser finden sich neben Kokken vereinzelte kleine Gram-
Prnfp^n S£SC-hen- • (Per Fal1 wird auf Veranlassung von Herrn
Professor Thiemich von Fräulein Birch-Hirschfeld in
ihrer Dissertation veröffentlicht.) mrscnieid in
wir rnrhfdie .Bewert“n*: der Falle muss zunächst betont werden, dass
Ä es Pfeiffer zuerst wollte, einen klaren Unterschied
St1ihpbPnk h-M Z71ScI?eIl den 7hten’ auch in Kulturen nur kleinste
Stäbchen bildenden Influenzabazillen und den oft lange Fäden
f,ndJ"™uloI!sfornien bildenden Pseudoinfluenzabazillen. Für die
Identität spricht auch unser zweiter Fall, in dem in der Kultur ge-
wissermassen die eine Form in die andere überging. Wir können
demnach für alle drei Fälle kurz von Influenzabazillen sprechen. Es
inananPnr,Una F-n kei,neiT Zweifel unterworfen sein, dass die Bazillen
" 3vFalI?n aIs dlue einzigen Erreger der beschriebenen patho¬
logischen Vorgänge zu betrachten sind. Bemerkenswert ist, dass die
beschriebenen Lungenerkankungen in ihrem anatomischen Verhalten
denen entsprechen, die Pfeiffer in seiner ersten Ver-
, enfhehung zur Zeit der grossen Influenzaepidemie von 1889 _ 1893
beschneb. Das ganze Verhalten der Bazillen während der klinischen
Beobachtung und im anatomischen Bilde spricht dafür, dass man es
rmt exquisit pathogenen Mikroorganismen zu tun hat. Soll man nun
rotzdem bei der Influenza ausserdem noch an andere Erreger denken
evpniVIp;nHntr-GKheirnrF- Kr.us® in der vorigen Sitzung bemerkte.’
event. ein ftltnerbar.es Virus im Auge haben? - Wenn schon gegen
die Schnupfenexperimente Kruses der Einwand erhoben werden
konnte, dass vielleicht die verimpften Sekretfiltrate noch giftig, etwa
!!Luinnendur .Ag.?re.ssine.\ wirkten> und dass die positiven Resultate
noch veihaltmsmassig spärlich waren, so würden sich dem Nachweis
einer filtrierbaren Virusart bei der Influenza noch viel grössere
Schwmngkeiten entgegenstel en. - Wenn wir aber dem Influenza-
f-v f . FaFl°£eniia* zugestehen, so können wir ihm auch nicht die
Fähigkeit absprechen, epidemisch auftretende Erkrankungen zu ver-
Ä?: Dafur TPprPchcn ja auch vor allen Dingen' die ersten
Pfeifferschen Beobachtungen und viele, die ihnen folgten. Wenn
dagegen emgewandt wird, dass Influenzabazillen auch oft gefunden
werden wo keine Influenza existiert haben soll, so muss dagegen
nüa C b e T r tlverwies.^n werden, der zwischen solchen Befunden
und wahren Influenzaepidemien eine vollkommene Parallelität fest-
stellen konnte. Ausserdem muss in diesem Zusammenhang auf die
Bedeutung des Influenzabazillus bei allen möglichen Mischinfektionen
ungewiesen werden. Dazu kommt das uncharakteristische Bild der
Influenza, so dass leichtere Fälle übersehen werden können. Auf
dn!\ and<^r!in Seit<) wird betont, dass es Influenzafälle und -epidemien
gibt, bei denen Iteme P i e j f f e r sehen Bazillen gefunden werden
Mit dem Hinweis auf den nicht immer leichten Nachweis der hämo-
globmophilen Bazillen allein kann man diesem Einwand nicht be
gegnen, es muss vielmehr sehr wohl die Möglichkeit zugegeben
werden, dass es der „Influenza“ sehr ähnliche Erkrankungen gibt,
deren Erreger aber ein anderer ist. Dadurch würde aber die Be-
deutung des Influenzabazillus nicht berührt werden. — Endlich wendet
aber scheuer ein, dass man unterscheiden müsse zwischen der
epidemisch auftretenden Influenza und einzeln auftretenden, durch
ham?M, uxPfnle Bazillen verursachten Erkrankungen. (Die Menin-
gitisfalle hat er dabei besonders im Auge; darauf soll aber hier nicht
ftenauer eingegangen werden.) Den Beweis für seine Anschauung
wird Scheller bei dem heutigen Stande unserer bakteriologischen
Kenntnisse über die hämoglobinophilen Bazillen schwer erbringen
können. Es drängt sich aber bei diesem Einwand die Frage auf, ob
1764
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
wir denn im Moment eine Influenzaepidemie haben. Drei Todestalle
innerhalb kurzer Zeit müssten uns dabei immerhin bedenklich machen,
da doch der tödliche Ausgang einer Influenza zu den Seltenheiten
gehört. Wir konnten ausserdem, ohne etwa systematisch nachzu¬
forschen, in einigen anderen Fällen hämoglobinoplnle Bazillen in
Bronchitiden nachweisen. Es wäre nicht undenkbar, dass wir uns
im Beginne einer neuen Influenzaepidemie befinden. Die 1 raktikcr
müssen jetzt in dieser Frage das Wort erhalten. Nur gemeinsame
klinische und bakteriologische Forschung kann die Antwort bringen.
Diskussion: Herr Kruse: Die Aetiologie des Schnupfens
ist nach meiner neulichen Darlegung zwar noch nicht mit völliger
Sicherheit aufgeklärt, indessen sprechen unsere Versuche mit grosser
Wahrscheinlichkeit für die ursächliche Rolle eines filtrierbaren Virus.
Ein Infektionserfolg von 40 Proz. ist doch recht bemerkenswert.
Von einer Giftigkeit des 15— 20 mal verdünnnten Schnupfensekrets
kann ernstlich keine Rede sein. Die 3 Krankheitsfalle Hubs ch-
manns scheinen allerdings durch die hämoglobinophilen Bazillen, die
Herr Hübschmann gezüchtet hat, hervorgerufen zu sein. Sie
ähneln übrigens mehr den Pseudoinflucnzabazilllen P f e i f f e r s, als
den echten Bazillen. Die letzteren sind wahrscheinlich doch nicht
die Ursache der eigentlichen pandemischen Influenza, weil sie, wie
ich nach meinen seit 1889 datierenden Erfahrungen versichern darf,
nur zeitweise bei grippeähnlichen Erkrankungen und später wieder
in vielen Fällen, die mit Grippe nichts zu tun haben (Keuchhusten,
Masern usw.) gefunden werden. Damit soll den Influenzabazillen
natürlich nicht jede pathogene Bedeutung abgesprochen werden, sie
sind aber entweder nur sekundäre Krankheitserreger oder erzeugen
nur eine weniger wichtige Form der Grippe. Dass die echte In¬
fluenza wie der Schnupfen zu den Aphanozoeninfektionen gehört, datur
spricht die Ergebnislosigkeit der bakteriologischen Untersuchung aus
den erstell Influenzajahren 1889 und 1890. Eine endgültige Aufklärung
der Frage wäre natürlich nur möglich, wenn wir eine neue pan-
demische Ausbreitung der Influenza erlebtem Inzwischen wäre es
aber empfehlenswert, bei vorkommenden Epidemien von Grippe ähn¬
liche Versuche mit Filtraten anzustellen, wie ich sie für den
Schnupfen ausgeführt habe. , ,
Herr Assmann schildert kurz das klinische Krankheitsbild der
von Herrn Ti ii b s c h m a n n besprochenen Fälle, die auf der medi¬
zinischen Klinik beobachtet worden waren. Entsprechend dem ana¬
tomischen Befunde, der zahlreiche kleinste Infiltrationsherdchen muer-
halb eines normal lufthaltigen Gewebes ergab, fehlten jegliche gröbere
Verdichtungserscheinungen, wie Dämpfung und Bronchialatmen, die
bei Konfluenz bronchopneumonischer Herde sonst auftreten. Die
physikalischen Symptome beschränkten sich auf mehr oder weniger
verbreitete kleinblasige Rasselgeräusche und eine charakteristische
hvpersonore, bisweilen zu ausgesprochener Tympame gesteigerte
Veränderung des Perkussionsschalles. In scharfem Gegensatz zu
diesen geringen physikalischen Symptomen standen die schweren
Allgemeinerscheinungen, hochgradige Dyspnoe und Zyanose.
Denselben Kontrast zwischen geringen lokalen und schweren all¬
gemeinen Erscheinungen, wie überhaupt ein überaus ähnliches klini¬
sches Krankheitsbild bietet die Miliartuberkulose der Lungen dar.
Auch das Röntgenbild — kleinste, über die ganzen Lungenfelder
verstreute Fleckchen — ist bei beiden Erkrankungen ausserordentlich
ähnlich, nur pflegen bei der Bronchiolitis die Flecken an Grosse, Form
und Verbreitung etwas unregelmässiger zu sein als bei den mein
gleichartigen Miliartuberkeln. Bei der grossen Uebereinstimmung
der klinischen Erscheinungen kann also die Differentialdiagnose zwi¬
schen Miliartuberkulose und miliaren Verdichtungsherden auf anderer
Basis, wie sie hier die Influenza schuf, sehr schwierig sein,
einigen Fällen von Bronchiolitis gewährt die Reichlichkeit und event.
die bakteriologische Untersuchung des Sputums diagnostische Anhalts¬
punkte. In dem von Herrn Hübschmann besprochenen Falle von
Bronchiolitis obliterans traten dagegen katarrhalische Erscheinungen
ganz zurück, in der Anamnese liess sich nichts von bestimmten in¬
fektiösen oder chemischen Schädlichkeiten wie in anderen Fallen der
Literatur ermitteln, dieser Fall bot ganz das klinische Bild der
Miliartuberkulose dar. , ,.
Herr T h i e m i c h weist auf die Untersuchungen von Vogt hin,
welcher der Infektion mit Influenzabazillen eine besondere Bedeutung
bei der Entstehung der Bronchiektasen im Kindesalter zuschreibt. Er
spricht ferner seinen Zweifel daran aus. dass das Hämoglobin zum
Wachstum der Influenzabazillen notwendig sei, wenigstens im leben¬
den Körper, da es ia in den Lvmphbahnen und dem sie erfüllenden
Eiter der Leptomeningitis purulenta kaum vorhanden sei: vielleicht
sei nur ein Teil des grossen Hämoglobinmoleküls unentbehrlich. Es
dürfte von Interesse sein, diese Frage weiter zu verfolgen. _
Herr Selter: In den Wintermonaten 1902 und 1903 habe ich
bei Sputumuntersuchungen noch öfter Influenzabazillen gefunden,
aber nie sehr reichlich und fast stets nur durch Kultur, neben anderen
Bakterien so dass man im Zweifel sein konnte, ob die gezüchteten
Influenzabazillen als die eigentlichen Erreger der Krankheitserschei¬
nungen anzusehen waren. In späteren Jahren gelang es uns nie
mehr diese Bazillen nachzuweisen, obwohl wir in jedem \\ inter zahl¬
reiche diesbezügliche Untersuchungen ausgeführt haben. Im
Winter 1908/09 brach in Bonn eine ausgedehnte Influenzaepidemie
aus die anscheinend von Frankreich herüberkam. Von Klinikern
wurde betont, dass die z. T. recht schweren und lange anhaltenden
Krankheitserscheinungen sich in keiner Weise von den bei der
grossen Influenzaepidemie 1893 beobachteten unterschied. Auch hier
fanden wir in keinem Falle Influenzabazillen, dagegen meist Rein¬
kulturen eines Gram-positiven Diplokokkus (ähnlich dem I neumo-
kokkus). der auch in einer französischen Publikation als der Erreger
dieser Epidemie beschrieben wurde. Man kann also wohl nicht be¬
haupten. dass die Influenzabazillen allgemein als die Erreger der
klinisch bekannten Influenza anzusehen seien.
Herr Marchand berichtet über eigene Beobachtungen, dass
im Frühstadium von Schnupfen keine Bakterien im Sekret nachweis-
h'ir seien
• Herr' Hüb sch mann (Schlusswort): Ich möchte noch einmal
darauf hinweisen, dass hier zwei Fälle von Lungenerkrankungen vor-
Heeen bei denen die „Influenzabazillen“ sicher die Erreger sind und
möchte noch einmal die Aehnlichkeit dieser Fälle mit den von
Pfeiffer beschriebenen betonen. Wenn man für letztere die ätio¬
logische Bedeutung der Bazillen anerkennt, so kann man nach den
ganzen damaligen Befunden Pfeiffers auch nicht an der ätio¬
logischen Rolle seiner Bazillen für die damalige Epidemie und somit
auch für andere Epidemien nicht zweifeln. — Was die widersprechen¬
den Befunde späterer Autoren und der Herren Diskussionsredner
betrifft, so muss der Ausweg in der Möglichkeit gesucht \\ erden,
dass es auch epidemisch auftretende influenzaähnliche Erkrankungen
gibt, deren E-reger andere Mikroorganismen sind. — Auf cer anderen
Seite besteht die Möglichkeit, dass es verschiedene Arten von liämo-
globinophilen Bakterien gibt. .
Herr v. Strümpell: Demonstration von angeborene. .,ih t - .
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 6. Mai 1914.
Herr Baum: Diagnostische Eigentümlichkeiten des Korpus-
karzinoms des Magen. (Siehe unter den Originalien auf S. 1724
dieser Nummer.) 1
Diskussion: Herr Lampe berichtet kurz über den Wert
der Abderhalden sehen Reaktion für die Karzinomdiagnose mit
besonderem Hinweis auf die Schwierigkeiten der Technik und auf
die individuell-biologischen Eigentümlichkeiten der Karzmomtragcr.
Das eigene mit der A b d e r h a 1 d e n sehen Reaktion untersuchte
Karzinommaterial beträgt bis jetzt 86 Fälle. Darunter befanden sich
4? Fälle, die klinisch oder autoptisch frei waren von Karzinom.
E~i n e serologische Fehldiagnose ist zu verzeichnen. Von 30 autop¬
tisch oder operativ sicheren Karzinomträgern reagierten 28 positiv
nach Abderhalden; 2 Fehldiagnosen. Bemerkenswert ist, dass
in 12 Fällen die serologische Diagnose, die der klinischen wider¬
sprach, Recht behielt. Bei dem Rest des Materiales handelte es sich
um teils positiv, teils negativ reagierende Falle, bei denen eine
operative oder autoptische Entscheidung noch nicht gefallen ist. in
der A b d e r h a 1 d e n sehen Reaktion ist ein wertvolles klinisches I
Hilfsmittel zur Erkennung des Krebses zu erblicken. Wie von keiner
biologischen Methode kann man auch von ihr keine absoluten Dia¬
gnosen verlangen. .
Herr Sielmann: Mit dem Herrn Referenten bin ich einver¬
standen. dass das Korpuskarzinom des Magens relativ häufiger ist,
wie man vor der röntgenologischen Aera anzunehmen gewohnt war.
Die Technik in der Röntgendiagnose der Magenerkrankungen hat cs
mit sich gebracht, dass der Röntgenolog häufig schon vor Eröffnung
des Bauches dem Chirurgen über den Sitz der Erkrankung nähere
und detailliertere Angaben machen kann, wenn cs auch nicht in jedem
Falle möglich sein wird, wie das von der Wiener Schule des öfteren
betont wurde, vorher auf Grund des Röntgenbildes die Art der
Operation zu bestimmen. _ „ ¥II . , .
Im speziellen möchte ich auf den Fall III cingehen, der . -
scheinend eine röntgenologische Fehldiagnose darstellt; in Wirklicn-
keit aber kamen wir zu dieser Fehldiagnose nur dadurch, dass n
klinischer Hinsicht alles für ein Karzinom sprach. Das Rontgenpim
war auf Karzinom suspekt. Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose stellten
wir nur dadurch, dass wir auch das klinische Bild in den Bereicn
unserer Betrachtung zogen. Niemals soll man ja aus dem Rontgen-
bild allein eine Diagnose stellen, immer müssen alle klinischen Sym¬
ptome in Berücksichtigung gezogen werden. In diesem Falle hat uns
die klinische Beobachtung, die doch bei Magenkarzinom seit langen
wohl fundiert ist, im Stiche gelassen. Ist man da berechtig
röntgenologischen Diagnose, die auf diesem Gebiete doch kaum ein
Jahrzehnt alt ist, einen Vorwurf zu machen? Von dem Herrn Vor¬
redner haben wir gehört, dass die serologische Diagnostik aut ae
Gebiete der Karzinome zu den schönsten Hoffnungen berechtigt,
besteht demnach begründete Aussicht, dass die klinische Beobacntm
im Verein mit dem Röntgenverfahren und der serologischen I <-
gnostik uns ein gutes Stück in der frühzeitigen Erkennung des Korpus¬
karzinoms des Magens vorwärts bringen wird.
Herr Craemer: M. H.l Es ist gewiss ausserordentlich zu dc
dauern, dass die Probelaparotomie beim Korpuskarzinom des Magens
meist zu spät gemacht wird. Das liegt aber nicht daran, dass
Diagnose zu spät gestellt wird, sondern dass die Patienten nicht zu
Arzt kommen, weil sie eben keine Beschwerden haben, und solang
der Patient nicht kommt, können wir ihn nicht operieren. Die n
diagnose des Korpuskarzinoms wird deshalb mel|tein. fF°? ec
Wunsch bleiben. Wie oft beobachtet man solche Falle, bei den
4. August ION.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
:r.st seit wem« Wochen uberliaupt Beschwerden bestehen, bei denen
jach genauer Untersuchung die Diagnose gestellt wird und wo wir
lann bei der Autopsie "' vivo sehen, dass eine Radikaloperation nicht
nehr mogheh ist Für die Diagnose genügt es nicht, nachzu weisen
>b Saure vorhanden ist oder nicht, wenn die Säure fehlt, muss vor
dlern auch das Salzsauredefizit bestimmt werden, dem eine grosse
Bedeutung zukommt Auch muss in jedem Fall auf okkulte Blutung
intersucht werden, die oft allein imstande ist, den richtigen Weg zu
eigen. as Karzinom am Pylorus ist viel früher zu erkennen, weil
s eben schon als ganz kleiner Tumor so charakteristische Erschei¬
nungen macht, dass man es bei einiger Aufmerksamkeit nicht Über¬
ehen kann ; und ich mochte jedem, der ein Karzinom bekommt
ln0C lte, py‘0rus si^en, dann kann er gerettet’
. r en. Erst kürzlich habe ich einen Fall beobachten können, bei
em noch vor ,3 Jahr eine ausgesprochene Hyperchlorhydrie kon-
ta tiert wurde; nach einer bemerkenswerten Besserung trat ein Um-
ehlag em, bei der Sondierung fand sich im Sondenfenster ein Blut-
oagulum und blutiger Schleim. Der Fall war mir nun höchst ver-
dl! Stllh,luntersuchung ergab immer starken
mgenu,ntersuchusg liess deutlich eine Aussparung
nttrhalb der Kardia erkennen. Es wurde dringend zur Operation
ehat^m fRlr haJ waXabef bereits inoperabel. Jedenfalls dürfte es
Ji empfehlen, dass diejenigen, welche im verdächtigen Alter auch
ur leichte Magenbeschwerden haben, die sich länger hinziehen eine
ontgenuntersuchung machen lassen; vielleicht kann man dann schon
über zu einer Diagnose kommen.
ntfReR,rArwrt Jtoeb: Einer deLr beiden Fälle, die ich dem Refe-
f Mofia Operation zugewiesen habe, ist ein sehr guter Beleg für
\\ hnS 7eftlhnRhrrn Vaecmer’ daSS Korpuskarzinome manch-
al lange zeit ohne besondere Symptome bestehen. Der betreffende
wShS8?®’ m S m Zl™ er,sten Male zu mir kam, dass er seit
Wochen leichte Magenbeschwerden und weniger Appetit habe
veimal sei Erbrechen aufgetreten. Fr befand sich in ausgezeich-
tem Ernährungszustände. Die Untersuchung ergab ein vorge-
hnttenes Korpuskarzinom, das sich bei der einige Tage danach vor-
nommenen Laparotomie als inoperabel erwies. Nun kommt das
erkwurd^gste: Trotzdem bei dem Patienten der Leib nur auf- und
ge'"acbt. ward’ besse^te s[cb sein Befinden bald nach der Operation
mt. dass die Magenbeschwerden ganz verschwanden, der Appetit
:h hob und nach einigen Monaten eine Gewichtszunahme von
•Pfund zu verzeichnen war. Dass bei Pyloruskarzinom mit Stenose¬
ih rRnio* F3Kh eLner Gastroenterostomie Patienten, die durch fort-
hrendes Erbrechen sehr heruntergekommen waren, innerhalb
;aiger F°n-me °ft u°T30 Pfund zunebmen, ist begreiflich, da viel
;SaJe Ernahrungsbedingungcn durch die Operation geschaffen
irden, dass aber bei meinem Patienten nach der blossen Probe-
imrotomie eine bedeutende Besserung oder vielmehr ein völliges
rschwincien der Beschwerden und auch noch eine Gewichtszunahme
(tritt, ist doch höchst merkwürdig.
Eerr E e r u t z schliesst sich den Anschauungen über die un-
istigen Operationsaussichten des Korpuskarzinoms an. Es scheint
cm, Utant 7U bI^lben; die oft nur unbedeutenden dyspeptischen
schwei den und die manchmal geringe Beeinträchtigung von Ge-
l>nd AMgemeinbefinden führen die Kranken erst zu spät zum
<t. Auch die Serodiagnostik wird deshalb eine frühere Feststellung
ermöglichen. In einem seiner mitgeteilten Fälle wirkte der
•ibve Ausfall der W assermann sehen Reaktion irreführend.
3 Kontgenbild hatte eine Ausziehung und Verschmälerung des
; ra’en Magonteds gezeigt, ähnlich wie esHausmann bei Magen-
is beschreibt und wie es Redner in einem nach der Operation so
euteten hall gesehen hat. Es bestand Anazidität, nüchtern enthielt
■ Magen ein,se blutige Flöckchen. Das gute Aussehen der 50 jähr
■u machte ein Karzinom unwahrscheinlich. Die positive WaR.
;ien die seltene Diagnose zu rechtfertigen. Salvarsan zeigte keine
: Wirkung. Die Operation ergab ein grosses inoperables, die kleine
vatur hoch hinauf durchsetzendes Karzinom. Ein Tumor war in
,em ebenso wie beim zweiten Fall nicht zu fühlen gewesen. Hier
1LS'Chu-,raZld‘tat Vnd ein ger*n.ger morgendlicher Rückstand, das
. ttgenbild zeigte eine umschriebene Aussparung an der grossen
vatur, keinen 6-Stundenrest. Danach und bei dem guten Er-
■ rungszustand der Kranken, die nur 6 Pfund von ihrem früheren
..'cm emgebusst hatte, glaubte man einen noch operablen Tumor
itinden Man stiess auf ein grosses Karzinom, das über V3 des
aalen Magenteils einnahm und schon nach dem Pankreas zu fort-
1 uchert war.
Die äuffallende Besserung, die in dem einen von Herrn A. Loeb
»ereilten Fall nach der Probelaparotomie einsetzte, muss uns
-h! Zpr,,uruckhaltung in der Bewertung der Erfolge einer in
nen ™ en event angewandte" Strahlen- und Chemotherapie
£r.,Bau™ (Schlusswort): Ausserordentlich beachtenswert ist
, n uf ' Kn8h*H5rrn r a m P d s, dass bereits eine ganze Reihe von
h neobJchte* wurde, bei denen der positive Ausfall der Abder-
■ ae n sehen Reaktion im Widerspruch stand mit der klinischen
.nose, und bei denen ein nachfolgender autoptischer Befund das
; andensein eines Karzinoms bestätigte. Bei weiterer und ins-
•mdere einfacherer Ausgestaltung der Technik steht zu hoffen.
1 • u-ie Serodiagnostik des Magenkarzinoms ähnlich in die
Frftu' lirge£n w,rd; wie die Wassermannreaktion bei der Syphilis,
i.rianrung Herrn Craemers, dass die Patienten mit Karzinom
1765
des Magenkörpers wegen der unklaren und oft unbedeutenden Er-
^ 'Tg%n SC -Cn ztl spat arzt,ichc Hilfe aufsuchen, wird leider
w e vm r!5 at:gt; ob hierin die Verteilung von Merkblättern,
w fd einpn w y i ^°l0?eti ,Tnt Bezug auf das Uteruskarzinom geübt
a, 'nrnh-l Wandel zu>n hesseren zu schaffen vermöchte, das müsste
sch werdm? vnnrde-nt' I®der‘f.aIIs sollte bei länger andauernden Be-
vl , n tX0” feden des Magens zumal im karzinomfähigen Alter
de;Ierdacb aaf Magenkarzinom nicht eher fallen gelassen werden
als b s ein bündiger Gegenbeweis erbracht ist. Daher muss auch bei
def hiSh1eiAU-fa|- ,eine(r..wicdeHiolten Röntgenuntersuchung wegen
Pr^,K b ,mogll(:hen Täuschungen ein schnellerer Entschluss zur
Probelaparotomie im Interesse der Kranken gefordert werden
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Royal Academy of Medicine in Ireland. Section of Obstetrics.
Sitzung vom 6. März 1914.
Die Verwendung von Hypophysenextrakt bei Entbindungen.
tpik M a d i 1 1 und R. M. Allan haben Hypophysenextrakt
in'nntr=SkUJfr’ tC,ls subkutan bei 147 Fällen angewandt. Die
WeGe an?prptafktJ”n?I1f werden dadurch in normaler, physiologischer
mp h -k S i St’ die Interva,le zwischen den Wehen werden um etwa
die Hälfte der sonstigen Zeit verkürzt, und die Wirkung des Mittels
halt durchschnittlich 50 Minuten vor. Beim Kinde machte sich aller¬
dings gelegentlich eine Einwirkung auf das Herz bemerkbar, und
. Kinder kamen tot zur Welt; möglicherweise war aber dieses Er-
gSun/^ Äandere Ursachen zurückzuführen. Sonst blieben die' Kinder
L.zw^lvmäss^sten erwies sich die Verabreichung in der
hase des Eintretens des fötalen Kopfes in die Beckenmitte Bei
Blutungen nach der Geburt leistete das Mittel im Verein mit Frgotin
gute Dienste. In dem Rotundahospital betrug die Zahl der Zangen-
wäh^nH m dei1 h2 Monaten. nach Einführung des Pituitrins nur 56,
*abend im Jahr zuvor 106 Zangenentbindungen vorgekommen
v\ dien.
ntpnA verwendet das Mittel bei Fällen von infantilem
Utea-us und bei Menorrhagie der jungen Mädchen. Man hat bei
Eutterungsver suchen bei Ratten gefunden, dass die betreffenden Tiere
sich ungewöhnlich stark entwickelten und namentlich eine Hyper¬
trophie der Genitalorgane aufwiesen.
S. Sheill bemerkt, dass nach seinen an 27 Fällen gemachten
Erfahrungen bei intramuskulärer Verabreichung die Wirkung durch¬
schnittlich nach 8 % Minuten einsetzt.
• JUGi^son, ben'chtet über 2 Fälle, bei denen nach Verab¬
reichung des Extraktes während der ersten Periode eine ausge¬
dehnte Zerreissung des unteren Uterinsegmentes erfolgte; dagegen
findet er das Mittel äusserst empfehlenswert bei uteriner Atonie in
der zweiten Periode. Bei mechanischen Geburtshindernisssen soll
man es niemals anwenden.
Aus den französischen medizinischen Gesellschaften.
Societe medicale des hopitaux.
Sitzung vom 5. Juni 1914.
Traumatische Lungentuberkulose.
Georges B rouardel, Leon und Rene G i r 0 u x berichten über
eine Beobachtung, wo ein vorher gesunder Mann infolge einer Prell-
vei letzung der rechten Brusthälfte tuberkulöse Veränderungen ge¬
zeigt hat, die rasch sich entwickelt und zum Tode geführt haben.
\ erfasser besprechen weiterhin die experimentellen Versuche, welche
sie seit einigen Monaten verfolgen und welche zu beweisen scheinen,
dass das Trauma (Rippenfraktur bei subkutan mit Tuberkelbazillen-
reinkultur geimpften Kaninchen) die tuberkulösen Veränderungen
lokalisiert hat. Sie weisen auch auf die Tatsache hin, dass bei der
S°i?' • Eaumabscben Tuberkulose, d. i. jener, die bei einem vorher
scheinbar gesunden Individuum sich entwickelte, es sich im allge-
memen um ein auf die Brustwand einwirkendes Trauma, meist eine
einfache Kontusion derselben, selten um eine Rippenfraktur und noch
seltener um eine penetrierende Wunde handelt.
. . /Te tuberkulösen Veränderungen entwickeln sich unmittelbar oder
einige Tage bis Wochen nach dem Unfall und zwar gewöhnlich auf
der Seite der Verletzung, ja in seltenen Fällen, wie in den von den
Veifassern beobachteten, auf der gleichen Stelle wie diese, in ganz
seltenen Fallen aber auch auf der der Verletzung entgegengesetzten
beite. Es scheint, dass das Trauma meist in der Weise wirkt, dass
es eme bis dahin latente lokale Tuberkulose zur Entwicklung bringt;
sch hesslich geben Verfasser der Ueberzeugung Ausdruck, dass die
Rolle der im Blute zirkulierenden Bazillen eine wichtigere ist als
man bisher annahm und dass der Herd der latenten Tuberkulose weit
entfernt von den Lungen sein kann.
* m ° n * n“ Mal-de-Gräce berichtet über 10 persönliche, beim
Heere gesammelte Erfahrungen, wo die primäre Verletzung direkte
Kompression oder Prellung des Brustkorbes ohne Wunden oder
Fiakturen war Ausser in einem Falle, wo die primäre Reaktion
auf beite der Pleura sich gezeigt hat, war in allen Fällen Hämoptvse
eingetreten und zwar stets kurze Zeit nach dem Trauma, ohne Fieber
und nicht sehr reichlich. Die Reaktionen von seiten der Lungen sind
1766
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
Nr. 31.
häufiger als jene von seiten des Rippenfelles. Die Brustvcrletzum,
dient, wie S. überzeugt ist. nur dazu, eine latP.t.e.Tuber,k“l0p^||p"'
kundig zu machen: selten fehlen in der persönlichen oder hami hen-
anamnesc Verdachts- oder wirkliche Erscheinungen von Tuberkulose.
Eine in Val-de-Oräce aufgenommene Statistik zeigt, dass die Tuber¬
kulose als Folge des Militärdienstes ungefähr auf 10 Proz. aller vor¬
übergehenden oder ständigen Pensionierungen bei den verschiedenen
Militärkategorien und zwar speziell den subalternen Offizieren und
Soldaten trifft. Die Lungen-Rippenfelltuberkulose ist nach dieser
Statistik in 1,52 Proz. der Fälle traumatischen Ursprungs, was der
offiziellen deutschen Militärstatistik mit 1,37 Proz. ziemlich nahe
kommt _
Verschiedenes.
Die ärztliche Kriegsbereitschaft.
Von Stabsarzt Dr. Krause.
Die medizinische Ausrüstung der Sanitätsoffiziere und Sanitäts-
offizierdiensttuer besteht aus:
1. dem durch Verfügung des Kriegsministeriums vom 16. 11. 12
Nr. 2165 12. 11. M.A. eingeführten Taschenbesteck für Sanitätsoffiziere,
2 den in der Druckvorschrift „Belehrung über Hitzschlag und
Erfrierung (D. V. Nr. 15) S. 17 und 18 vorgeschriebenen Arznei¬
mitteln und Geräten,
3. Zahnzangen. .
Während die ersten beiden für alle Sanitätsoffiziere vor-
gcschrieben sind, brauchen die Zahnzangen nur von Assistenz-
und Oberärzten sow'ie Unterärzten und Einjährig-Freiwolligen-
Aerzten mitgeführt werden, da die Obermilitärärzte einen Satz
Zahnzangen in ihren Truppenbestecken vorfinden.
Die unter 1 und 2 genannte Ausrüstung besteht aus:
a) Taschenbesteck der Sanitätsoffiziere:
1. bauchiges Skalpell mit Schutzhülse,
2. spitzes Skalpell mit Schutzhülse,
3. Impfgerät mit Schutzhülse,
4. 1 anatomische Pinzette,
5. 2 Unterbindungspinzetten oder Arterienklemmen; da¬
von 1 zugleich als Nadelhalter,
6. 1 gerade Schere mit einem stumpfen und einem spitzen
Arm,
7. 1 Mundspatel,
8. 1 Hohlsonde,
9. 1 feine Sonde. , . , 0 .. „
10. Heft- und Umstechungsnadeln verschiedener Grosse
und Stärke,
11. Nähseide,
12. 1 Maximumthermometer,
13. 1 Bandmass,
14. 1 Hammer,
15. 1 Hörrohr,
16. 1 Spritze zu 1 ccm mit Hohlnadeln,
17. Tabletten zu 0,5 Acidum acetylosalicylicum,
18. Tabletten zu 0.75 Acidum tartaricum,
19. Tabletten zu 1,0 Natrium bicarbonicum,
20. Tabletten zu 0,5 Hydrargyrum bichloratum,
21. Tabletten zu 0,2 Hydrargyrum chloratum,
22. zugeschmolzene Glasröhren zu 0,2 Coffein natr. salicyl.
in Lösung zu 1 ccm,
23. zugeschmolzene Glasröhren zu 0,02 Morph, mur. in
Lösung zu 1 ccm,
24. Tinctura opii Simplex,
25. Tinctura valerianae aetherea, _
26. Zinkkautschukheftpflaster, 2,5 cm breit, auf Rollen.
b) den durch die Druckvorschrift Nr. 15 vorgeschriebenen Ge¬
räten und Arzneimitteln:
1. Instrumentarium zu Darmeingiessungen: Trichter, Gummi-
schlauch und Ansatzspitze;
2. die erforderlichen Arzneien: Kochsalzpulver oder Kochsalz-
Sodapulver für Darmeingiessungen, Aether, Kampferöl
oder statt dessen eine Lösung von Aether, lct. Digitalis
oder Aether und Tct. Strophantin zu gleichen Teilen.
Die Unterbringung dieser Ausrüstung ist nach § 249 (Anl. XII)
der Anlagen zur Kriegssanitätsordnung freigestellt Es f^pfiehlt sich
iödoch alle die genannten Gegenstände möglichst in einem BestecK
zu vereinigen. Die leitenden Gesichtspunkte dabei sind in erster
Linie die dass der Inhalt übersichtlich angeordnet sein muss und
dass man jedes einzelne Teil desselben entnehmen kann, ohne die
ganze Tasche oder einen grösseren Teil derselben auspacken zu
müssen Es sind eine Reihe Modelle von den einzelnen Instrumenten-
fabriken herausgegeben. Ich möchte hier nur auf eines aufmerksam
machen, das auf Grund einer 10 jährigen Erfahrung im Manöver und
bei Truppenübungen zusammengestellt ist und sich auch seitdem auf
das beste bewährt hat. Die beigegebenen Abbildungen ) zeigen die
innere Einrichtung derselben besser als Worte tun. Ich möchte nur
noch ehiige Winke für die Beschaffenheit solcher Taschen geben.
Die äussere Umhüllung muss aus derbem Leder bestehen, dessen
Kanten überall glatt sind. Es ist darauf zu achten, dass der eckel
gu überfällt, da sonst leicht Staub und Feuchtigkeit in das Innere ein-
dringen Als Verschluss empfiehlt sich ein Schloss nicht da dasselbe
durch Eindringen von Regen und Staub bald unbrauchbar ist. Der
Inhalt muss wie bereits gesagt, leicht zu entnehmen sein, ohne dass
man das ganze Besteck auszupacken braucht. Zweckmässig ist es.
wenn das Besteck so viel Raum enthält, dass man es durch Ein¬
fügung von Verbandpäckchen erweitern kann (in dem angeführten
Besteck lassen sich 7 Stück unterbringen). Man achte auch daraui.
dass der Raum für die Gifte besonders verschliessbar ist, was nicht
bei allen Modellen der Fall ist. x ...... ...
Selbstverständlich ist, dass der Inhalt gut vernickelt ist und die
Instrumente aus gutem Material bestehen da sie sonst schnell rosten.
Es empfiehlt sich auch, das Besteck durch Infusionsnadeln und Klei-
derschere zu erweitern, da beide Sachen schon bei den Friedens¬
übungen öfter gebraucht werden, im Felde aber ihre Anwendung
noch ungleich häufiger sein wird. ...... . , v>
Die Beschaffung des Bestecks erfolge möglichst rechtzeitig, fcs
herrscht vielfach die Ansicht, dass es genüge, sich das Besteck sicher¬
stellen zu lassen. Darauf können die Firmen naturgemäss meist nicht
eingehen da sie sich aufs Ungewisse nicht hunderte von Taschen hin¬
legen können Der Vorrat einer grossen leistungsfähigen Fabrik über-
schreitet in diesem Artikel kaum die Zahl Hundert und diese werden
in erster Linie an die festen Besteller abgegeben. Die Anschaffung
ist ja auch durchaus keine tote Kapitalsanlage, da das Besteck ja
alles enthält, was in der täglichen Praxis und namentlich in der Lana-
praxis jeden Augenblick gebraucht werden kann.
Frequenz der deutschen medizinischen Fakultäten 1).
« </>
C 3
O ^
Wintersemester 1913/14
*) Diese Tasche wird von der Firma Evens & Pistor in
Kassel angefertigt
Sommersemestt r 1914
Universität
Reichs¬
angehörige
Ausländer 1
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1
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-
Zahnärzte
Reichs¬
angehörige
Ausländer
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Berlin . . j
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48
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Giessen
156
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19
322
12
-3)
158
178
22
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1 3
Göttingen
1 341
84
17
442
19
—
372
71
12
455
29
Greifswald
253
27
9
289
10
20
290
38
12
340
14
Halle . .
273
26
87
386
12
17
290
34
88
412
15
Heidelberg
182
485
151
818
76
66
166
624
166
956
95
59
301
44
404
23
21
62
357
46
465
3.2.
Kiol . . .
402
111
20
533
21
27
626
295
49
970
44
Königsberg
327
1 4
186
517
39
12
340
8
166
514
34
f.eip7.ig
389
355
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Marburg .
1 393
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15
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München .
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1197
305
2378
161
99
814
1167
294
2275
157
Münster .
248
7
255
1 1
33
302
! 11
1
314
9
Rostock
63
283
17
5)363
6
1 10
69
I 314
14
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1 1
St.rassburg
245
181
161
587
19
29
238
174
129
541
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Tübingen .
219
141
14
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18
25
204 I 214
17
| 435
22
Würzburg
321
| 327
1 25
671
14
1 61
309
| 339
27
675
10
Summa
|7881
|495U
\2 168 14999,847
|856
|8194 |5603
|'12ü| 15917 9M
38
88
14
51
39
22
74
37
55
15
132
72
115
44
18
i) Nach amtlichen Verzeichnissen, vergl. diese wochenscnr. iun, . ' -
inbegriffen in dieser Summe sind die Zahnärzte und Tierärzte. a) Ferner 203 T era
1) Ohne die Studierenden der Kaiser-Wilhelms-Alcademie. *) Hierunter befinden sich
diejenigen Studierenden der Medizin, die zugleich Zahnheilkunde studieren.
. August 1914.
VU'ENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1767
Recklinghausen - Denkmal.
■ AlV- 1 V Juli„fa"d; wie bereits gemeldet, in Strass bürg die
zierliche h n t h u 1 1 u n g der überlebensgrossen
aJ ,n.° rA“ s l,e f r!.e d r 1 c li v Recklinghausens statt
lehe beitolgende Abbildung), welche von der Deutschen Patho-
gischen (icsellschaft gestiftet, von Prof. Max Lange in Leiozitr
•fertigt und unter den 40 jährigen Bäumen des Gartens des patl.o-
gischen Institutes aufgestellt ist. Zu der Feier hatten sich neben
:n Faimlicnangehorigen die medizinische Fakultät, Vertreter der
akU tatCn’ uCr niversitätsbehörde, des Sanitätskorps und
r Stadt versammelt. Prof. M B. Schmidt- Würzburg hielt die
strede, in welcher er die einheitliche Arbeitsrichtung v. R e c k -
ghausens als pathologischer Anatom im Dienste der allge-
jen Pathologie hervorhob; darauf übergab Prof. Aschoff-
rburg als Vorsitzender der Pathologischen Gesellschaft mit einer
i3i ache welche der Bedeutung v. Recklinghausens für das
i enschaftliche Leben Strassburgs und für die Gestaltung des Ver¬
risses der medizinischen Fakultät zu der einheimischen Be¬
ßrung galt, das Denkmal in den Besitz und Schutz der Universität
, es Institutes, und Prof. Chiari übernahm dasselbe, wobei er
.ec klinghausen als Gründer und Leiter des Institutes und
- er feierte.
Therapeutische Notizen.
Leber Hydrastopon, ein neues Antidysmenor-
ikum, berichtet in der Med. Klinik (1914, Nr. 20) Prof. Dr.
v alther -Giessen. Das Präparat enthält in 100,0 0,08 Hydra-
n und 0,2 Papaverin. W. gab mit Finsetzen der Schmerzen oder
1 r^I Symptome am ersten Tage der Periode einen Esslöffel, nach
Munden einen zweiten Esslöffel (= 0,025 Hydrastinin und
1 ,.apavcr*n pro die), nach Bedarf am zweiten Tage noch einen
'vas für leichtere Fälle genügt, wenn auch ohne Gefahr bis
slonel pro die gegeben werden könnten. W. hatte in 10 von
allen den gewünschten Erfolg und glaubt das Mittel jedenfalls
'Nachprüfung empfehlen zu können. Auch Dr. P. Hiissy hat
Mittel im Frauenhospital Basel angewendet und hält es für eine
solle Bereicherung unseres Arzneischatzes. Es ist empfohlen
, schmerzen, die auf krampfartigen Zuständen der glatten
ismuskulatur beruhen, also bei Dysmenorrhöe, Uterinkoliken bei
metritis, Mittelschmerz. (Gynäkol. Rundschau 1914, Nr. 9.) Das
‘arat wird von der Kaiser-Friedrich-Apotheke in Berlin in den
ßi gebracht. Prospekt liegt dieser Nummer bei.
Ueber Quarkfettmilch, die einen guten Ersatz für die
ausgezeichnete, aber im Gebrauch recht teure F i n k e 1 s t e i n sehe
tiweissmilch bildet, berichtet Erich Aschenheim - Dresden
Die Herstellung dieser Quarkfettmilch ist recht einfach und ihr
Preis sehr gering (22—24 Pf. pro Liter). Im Dresdener Säuglings-
neim werden 2 Arten dieser Quarkfettmilch bereitet. Die erste ent-
halt ein Drittel Milch mit 10 Proz. süssem Quark und 7 K Proz
. -auf; .... zvveite’ der eigentliche Ersatz für die Eiweissmilch, ent-
haH A Milch mit 10 Proz. süssem Quark und 10 Proz. Sahne; sie hat
einen Kaloriengehalt von 437 Kalorien im Liter. Zu diesen Gemischen
kommt dann noch ein Zusatz von Kohlehydraten, meist 2—4 Proz
Nahrzucker.
Am meisten soll es sich empfehlen, den Quark zu der rohen
bahne und der Milch zuzusetzen und das fertige Gemisch zu pasteuri¬
sieren. (Ther. Mh. 1914 H. 6.) vr
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 3. August 1914.
Wenn diese Blätter in die Hände unserer Leser kommen,
werden viele deutsche Aerzte dem Rufe des Vaterlandes bereits ge-
folgt und zu den Fahnen geeilt sein, vielen anderen steht es noch
bevor, die friedliche Praxis mit der aufregenden Tätigkeit des Feld¬
arztes zu vertauschen. Nächst dem militärischen wird kein anderer
Beruf vom Kriege so nahe berührt wie der ärztliche. Der Bedarf der
kämpfenden Heere an Aerzten ist enorm; dafür haben soeben erst
die Balkankriege erschreckende Beweise geliefert. Jeder Arzt, dem
es Jahre und Gesundheit erlauben, hat daher seinen Platz im Feld.
Aber auch diejenigen, die zu Hause zu bleiben gezwungen sind,
haben nicht nur für die ausgerückten Kollegen die Arbeit zu leisten
sondern sie werden noch vielfach durch den Dienst in den in der
Heimat zu errichtenden Lazaretten in Anspruch genommen. So legt
der Krieg unserem Stande schwere Opfer auf. Dass er sie gerne
tragen, dass jeder Einzelne freudig seine ganze Kraft in den Dienst
der vaterländischen Sache stellen wird, ist unsere feste Ueber-
*,eagang- ,So war es früher, so wird es heute sein. Das deutsche
Militärsanitätswesen hat immer als vorbildlich gegolten. Es wird
auch diesmal beweisen, dass es seinen Ruf verdient. Unsere innigsten
Segenswünsche begleiten unsere ausrückenden Söhne, unsere Kol¬
legen. Mögen sie mit dem Bewusstsein treu erfüllter Pflicht in die
Heimat zurückkehren.
— Durch Kaiserl. Verordnung wurde die Ausfuhr von Ver-
b and - und Arzneimitteln, sowie von ärztlichen Instrumenten
und Geräten über die Grenzen des Deutschen Reichs bis auf weiteres
verboten. Nach Bekanntmachung des Reichskanzlers fallen unter
das Verbot: Reine Karbolsäure, Quecksilber und Sublimat, Jod, Jod¬
kalium und Jodnatrium, Jodoform, Chloroform, Pyrazolonum phenyl-
methylicum und seine Abkömmlinge (Pyramidon usw.) gepulvertes
Opium, Morphium und seine Salze, phosphorsaures Kodein, Para¬
formaldehyd, salzsaures und schwefelsaures Chinin, Akreolin, Salvar-
san, Verbandwatte, Verbandgaze und andere Verbandstoffe, chirur¬
gische und andere ärztliche, auch zahnärztliche Instrumente und Ge¬
räte, bakteriologische Geräte, Material für bakteriologische Nähr¬
böden (Agar-Agar, Gelatine, Pepton), Schutzimpfstoffe, Schutzsera
und Heilsera bei Infektionskrankheiten, Versuchstiere.
— Durch Beschluss des Bundesrats wurde das praktische
Jahr vorübergehend aufgehoben; die Medizinalpraktikanten er¬
halten sofort die Approbation als Arzt.
- Das Kgl. Bayer. Staatsministerium des Innern gibt den ihm
unterstellten Behörden bekannt, dass alle in Urlaub befindlichen Be¬
amten sich — soweit sie nicht zum Militärdienst berufen sind — sofort
an ihre Dienstesstelle zu begeben haben.
— l_m Verlag von J. F. Lehmann, München erscheint dem¬
nächst ein „V ademekum für Feldärzte“ von Oberstabsarzt
Prof. Dr. Schönwerth in München. In dem Vorwort zu der
zeitgemässen Publikation sagt der Verfasser: „Das Buch ist bestimmt
für den praktischen Arzt, den Nichtspezialisten, der als Feldarzt sich
plötzlich in die Lage versetzt sieht, vorwiegend chirurgisch tätig
zu sein. Die Anforderungen, die hiebei an ihn herantreten, sind
mannigfaltig, die Verantwortung, die jeder auf sich nehmen muss,
ist eine enorme. Unbeirrt durch die Fülle der auf ihn hereinstürmen¬
den neuen Eindrücke hat er ruhig, schnell, selbständig eine Ent¬
scheidung zu treffen und demgemäss zu handeln. Dem weniger Ge¬
übten in dieser Lage ein Ratgeber zu sein, ist der Zweck des
Buches. Der Reihe nach werden die Diagnosen und die Behandlung
der einzelnen verschiedenen Schussverletzungen besprochen, um eine
möglichst rasche Orientierung zu ermöglichen.“ Das Buch ist durch
zahlreiche Abbildungen anschaulich illustriert; es ist in biegsamen
Einband gebunden, bequem in der Tasche zu tragen und kostet 4 M.
— Der diesjährigen Prüfung für den ärztlichen Staats¬
dienst in Bayern haben sich 15 Aerzte unterzogen. Hiervon
erhielten 4 die Note I, 10 die Note II, 1 die Note III.
. — Nach einer Entscheidung des Preussischen Oberverwaltungs¬
gerichtes bezieht sich die Anzeigepflicht der Hebammen
nicht nur auf Wochenbettfieber, sondern auf jedes Fieber; die An¬
zeige muss von der Hebamme gemacht werden, auch wenn ein zu¬
gezogener Arzt sie nicht für erforderlich halten sollte.
— Nach der Verbescheidung des bayerischen Ministeriums des
Innern auf die Verhandlungen der Apothekerkammern
1768
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 31.
i in Jahre 1913 wird von der Einrichtung von Arzneimittelmeder-
lagen auf dem Lande abgesehen, nachdem sich sämtliche Kammern
übereinstimmend dagegen ausgesprochen haben. Der Hute der
Kammern, dahin zu wirken, dass die Zulassung zum Apothekerberut
von der Hochschulreife abhängig gemacht wird, steht die Kegierung
wohlwollend gegenüber. Das sog. Angerersche Desinfektions-
kästchen für Hebammen, durch das sich die Apotheker wirtschaftlich
geschädigt glauben, ist weder Monopol der Firma S t i e i e n h o t e r
(die aber Gebrauchsmusterschutz erwirkt hat), noch besteht ein
Zwang zur Benützung. Das Kästchen wurde vom Obermedizmal-
ausschuss als Mittel zur Verhütung des Kindbettfiebers empfohlen,
wie auch jedes andere dem Zweck ebenso dienende empfohlen werden
wird. Die Führung des Kästchens ist den Apothekern freigegeben.
— Reisestipendien für Aerzte an der Berliner
Universität. Der Dekan der medizinischen Fakultät der Berliner
Universität vergibt in diesem Jahre das B 1 u m e n b a c h sehe Reise-
stipendium im Werte von 1980 M. an einen „vorzüglich würdigen
jungen Mann, welcher Doktor der Medizin ist.“ Vorzugsweise wird
gewählt, wer sich zur akademischen Laufbahn eignet und ihr sich
zu widmen entschlossen ist. Ein halbes Jahr muss der Empfänger
auf Reisen sein. Bewerbungen sind bis zum 30. Juli dem Dekan,
Prof. Dr. P a s s o w, einzureichen.
— Nach dem 17. Jahresbericht der Basler Heilstätte für
Brustkranke in Davos trat die Anstalt mit einem Patienten¬
stand von 98 (40 m., 58 w.) in das Jahr 1913; im Laufe des Jahres
wurden 233 (97 m„ 136 w.) neu aufgenommen, darunter 48 (20 m.,
28 w.) Deutsche. 41 Patienten machten eine wiederholte Kur. Aus¬
getreten sind 239 (99 m.. 140 w.), von denen 228 für die Statistik
in Betracht kommen. Hievon waren 38,6 Proz. im I., 11,8 Proz.
im II 49 6 Proz. im III. Stadium. Positiven Erfolg hatten 205
(85 im L, 27 im II., 93 im III. Stadium), negativen Erfolg 3 im I.,
19 im III. Stadium. 1 Patient starb. Voll erwerbsfähig wurden ent¬
lassen 164, mit wenig beeinträchtigter Erwerbsfähigkeit 38, mit stark
beeinträchtigter 25. ,, , . ...
ln den Krankenhausanlagen in München wurde am 31. v. Mts.
das Denkmal des im Jahre 1908 verstorbenen Professors der
Ohrenheilkunde Friedrich Bezold mit einer dem Ernst der
Stunde entsprechenden kurzen, schlichten Feier eröffnet. Prof.
S i e b e n rn a n n - Basel hielt die Festrede. Rechtsrat Wölzl ver-
sprach namens der Stadt das Denkmal in treue Obhut nehmen zu
w ollem ^ Hans Quggenheimer, Assistent am poliklinischen
Institut der Universität Berlin, hat den diesjährigen Alvarenga-
preis der H u f e 1 a n d sehen Gesellschaft über das Thema: „Die
Rolle der Fermente im tierischen Stoffwechsel“ erhalten.
— Herr Dr. Adolf Brau n, der Redakteur der in Nr. 28 S. 165o
genannten Zeitschrift „Dia“ teilt uns mit, dass sein Vertrag mit dem
Verleger die ausdrückliche Bestimmung enthalte, dass die Zeitschrift
in arzttreuem Sinne zu leiten sei und dass er hinsichtlich des Be-
griffes „arzttreu“ ohne Vorbehalt auf dem von uns eingenommenen
Standpunkt stehe. Die Grenzen, welche dem redaktionellen Ten
dadurch gezogen sind, seien auch bisher niemals überschritten
worden. Von dem Inhalt der in die erste Nummer der Zeitschrift
aufgenommenen Anzeigen habe Dr. B. keine Kenntnis gehabt. Als¬
bald nach deren Erscheinen habe er Veranlassung genommen, den
Verleger aufzufordern, Kurpfuscherannoncen jeder Art in Zukunft
rundweg zurückzuweisen. Die Anzeige des Buches der Frau
Dr. Fischer-Dückelmann, die ja an ziemlich versteckter
Stelle steht, sei ihm leider bisher entgangen. In Zukunft werde aber
auch diese Anzeige beseitigt werden. Sollte die Reinhaltung des
Anzeigenteils von Kurpfuscherannoncen sich aus irgendwelchen
Gründen als nicht möglich erweisen, so werde er selbstverständlich
von der Redaktion der Zeitschrift ohne Verzug zurücktreten.
— Dem Dozenten für soziale Medizin an der Kölner Akademie
für praktische Medizin Landesmedizinalrat Dr. Heinrich Knepper
in Düsseldorf ist der Professortitel verliehen worden, (hk.)
— Cholera. Russland. Im Gouv. Podolien sind bis zum
16. Juli in 3 Kreisen überhaupt 30 Erkrankungen (mit 14 Todesfällen)
festgestellt worden. Laut Mitteilung vom 23. Juli soll deren Zahl
inzwischen auf 85 (41) angewachsen sein. — Türkei. Laut amtlicher
Feststellung sind vom März bis zum 16. Juli im ganzen türkischen
Reiche 4 Erkrankungen und 2 Todesfälle vorgekommen. _
— Pest. Russland. Im Gouv. Astrachan sind vom 25. Mai bis
13 Juli 41 tödlich verlaufene Erkrankungen festgestellt werden. —
Türkei, ln Bassra sind vom 25. Mai bis 12. Juli 16 Erkrankungen
und 10 Todesfälle festgestellt worden. Die Zahl der Erkrankungen
(Todesfälle) im ganzen türkischen Reiche wird für die Zeit vom
März bis zum 16. Juli auf 30 (19) amtlich angegeben. — Aegypten.
Vom 11 bis 17. Juli erkrankten 11 (und starben 4) Personen. —
Britisch Ostindien. Vom 14. bis 20. Juni erkrankten 1480 und starben
1408 Personen. — Hongkong. Vom 14. bis 20. Juni 53 Erkrankungen
(davon 29 in der Stadt Viktoria) und 41 Todesfälle. — China. In
Pakhoi beschränkte sich zufolge Mitteilung vom 18. Juni die Seuche
bisher auf 2 von Hongkong auf einem Dampfer eingeschleppte Fälle.
In den beiden im Hinterlande gelegenen Dörfern Kan-lai und San-hü
wurden etwa je 100 Todesfälle gezählt; in dem Hafenplatz On-pu,
150 km östlich von Pakhoi, sollen mehrere hundert Personen an der
Pest gestorben sein. In Kanton sind bis zum 11. Juni 1156 Erkran¬
kungen festgestellt worden. — Senegal. Zufolge Mitteilung vom
13. Juni waren in Dakar seit dem 1. Juni neue Erkrankungen nicht
mehr festgestellt worden. Die Zahl der Erkrankungen soll 100 nicht
überstiegen haben. — Cuba. Vom 22. Februar bis 24. Juni sind it
Havana insgesamt 27 Erkrankungen mit 6 Todesfällen festgestellt
' in der 28. Jahreswoche, vom 12. bis 18. Juli 1914, hatten vor
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Tilsit mit 32.2, die geringste Berlin-Weissensee und Berlin-Wilmers
dort mit je 6,2 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr ah
ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Brandenburg
Königshütte, Recklinghausen-Land, an Masern und Röteln in Herne
Ludwigshafen, Ulm, an Diphtherie und Krupp in Bottrop.
Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Giessen. Zum Rektor für das Studienjahr 1914/15 wurde de:
Professor der Psychiatrie, Geh. Medizinalrat Dr. Robert Somme:
gewählt. „ „ . .
Frankfurt. Zum ordentlichen Professor der Pharmakologu
und Direktor des pharmakologischen Institutes wurde Prof. Dr. A. Elj
linger in Königsberg berufen, der den Ruf angenommen hat. Exz
Ehrlich wird das Ordinariat für experimentelle Therapie um:
Pharmakologie übernehmen. .
Leipzig. Als Privatdozent für Hygiene und Bakteriologu
habilitierte sich der Assistent am hygienischen Institut Dr. Jose
Bürgers, bisher Privatdozent in Königsberg i. Pr. (hk.) — De
Kgl. sächsische Geheime Rat Professor Dr. med. et phil. Ewald
Hering, Direktor des physiologischen Universitätsinstitutes ii
Leipzig, begeht am 5. August seinen 80. Geburtstag, (hk.)
Marburg. Prof. Dr. med. Hans Hübner, Privatdozent fu
Dermatologie bisher leitender Arzt der Hautkrankenstation der Medi
zinischen Klinik zu Marburg, wurde als Chefarzt der Hautkranken
Station an das Städtische Krankenhaus zu Elberfeld berufen.
Rostock. Dem Privatdozenten Dr. med. Walter F r i e b oe
aus Bonn ist unter seiner Ernennung zum Extraordinarius der durc
den Tod des Prof. Wolters frei gewordene Lehrstuhl für Der
matologie zum 1. Oktober d. J. verliehen worden.
Strassburg. Der Direktor des anatomischen Instituts, Gel
Medizinalrat Prof. Dr. Gustav Schwalbe, feierte am 1. Augus
seinen 70. Geburtstag. Geheimrat Schwalbe wird mit Schlus
des Sommersemesters von seinem Lehramt zurücktreten, um sic
ferner nur noch seinen wissenschaftlichen Arbeiten zu widmen.
Tübingen. Dem Privatdozenten für Augenheilkunde Dr. CU
mens Harms ist Titel und Rang eines ausserordentlichen Professor
verliehen worden. ... ,
W ü r z b u r g. Zum Dekan der med. Fakultät wurde für 1914 1
D Gerhardt gewählt. Dem Senat gehören an: v. Frey (Physir
logie) S c h u 1 1 z e (Anatomie), M. B. S c h m i d t (Pathol. Anatomie
Boston. Dr. R. W. L o r e 1 1 habilitierte sich als Privatdozei
für orthopädische Chirurgie an der Harvarduniversität.
P a v i a. Dr. F. P e r u s s i a habilitierte sich als Privatdozer
für interne Pathologie. „. , ,
Rom. Dr. B. B r u n a c a, bisher Privatdozent in Siena, hab
litierte sich als Privatdozent für Physiologie.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 28. Jahreswoche vom 12. bis 18. Juli 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildung
fehler 18 (10 '). Altersschw. (über 60 Jahre) 5(3), Kindbettfieber — (—
and Folgen der Geburt und Schwangerschaft 2 (1), Scharlach — -
Masern u. Röteln 1 (-), Diphtherie u. Krupp 2 (— ), Keuchhusten i (-
Typhus (ausschl. Paratyphus) — (— ), akut. Gelenkrheumatismus - (-
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswi
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) — (— ), Starrkrampf 1 (-
Blutvergiftung — (L, Tuberkul. der Lungen 24(17), Tuberkul. and. ür
(auch Skrofulöse) 2 (5), akute allgem. Miliartuberkulose 2 (—), Lunge
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 10 (4), Influenza — (--), venei
sehe Krankh. 3 (1), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfiebe
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wecns;
fieber usw. — (— ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) 1 (6), Alkoholi
mus _ (_)) Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 3 (1), sonst. Krank
d. Atmungsorgane 2 (6), organ. Herzleiden 19 (16), Herzschlag, ner
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 4 (8), Arterienverkalkui
10 (1), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 5 (2), Gehirnschlag 1 U
Geisteskrankh. 1 (— ), Krämpfe d. Kinder 2 (2), sonst. Krankh. d Nerve
Systems 1 (5), Atrophie der Kinder 1 (1), Brechdurchfall 1 (— ), Mage
katarrh, Darmkatarrh, .Durchfall, Cholera nostras 11 (8), Blinddari
entzünd. 3 (2), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse
Milz 5 (4), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 7 (3), Nierenentzünd.4(
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 2 (2), Krebs 16 (14). son
Neubildungen 3 (3), Krankh. der äuss. Bedeckungen 2 (— ), Krankti.c
Bewegungsorgane — (— ), Selbstmord — (6), Mord, Totschlag, au
Hinricht. — (2), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 4 1
andere benannte Todesursachen 1 (2), Todesursache nicht (gern
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— )•
Gesamtzahl der Sterbefälle: 180 (154).
i) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoci
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
Die Münchener Medizinische Wochentchrift erscheint wöchentlich
m Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. . Preis der einzelnen
Nummer 80 -4. • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
.* 6.—. ♦ Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag
M
MÜNCHENER
iuscndnngcn sind zu adressieren’:
FÜrdie Redaktion Arnulfstr.26. Bürozeit der Redaktion 3«/, — l LThr
Für Abonnement an |. F. Lehmann’s Verla*, Paul Heysestrasse 21
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse i.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Ir. 32. 11. August 1914. Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
_ __ _ Verlag: J. F. Lehmann. Paul Hevsestrasse 26.
_ Per Verlag behalt sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der ln dieser Zeitschrift zum Abdruck
61. Jahrgang.
gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus dem Pathologischen Institut der Universität München
(Direktor: Prof. Dr. Borst).
Lieber die Entstehung der Hämorrhoiden*).
(Nach gemeinsamen Untersuchungen mit Dr. Szumann.)
Von Dr. A. Schmincke.
Leber die Pathogenese der Hämorrhoidalerkrankung
errscht, wie ein Studium der ausgedehnten Literatur ergibt,
och Unstimmigkeit. Untersuchungen, die ich in Gemeinschaft
üt Dr. Szumann anstellte, um aus eigener Anschauung die
athologische Anatomie dieser Erkrankung kennen zu lernen,
aben mich, wie ich glaube, neue und für die Pathogenese der
ämorrhoiden wichtige Gesichtspunkte erkennen lassen und
nch zu einer besonderen ursächlichen Auffassung der Hämor-
foidenentstehung geführt.
Ueber das Ergebnis dieser Untersuchungen will ich im
ügenden berichten:
Das Wesentliche der Literatur* l *) kann ich kurz vorher
ihin präzisieren, dass als Momente, die bei der Genese der
ämorrhoiden wirksam sind, Blutstauung in den Hämorrhoidal-
enen schon Hippokrates hatte die Hämorrhoiden als
arices venarum ani erkannt — und Entzündung der Rektal-
hleimhaut in der Hämorrhoidalregion in Betracht kommen,
eide sollen sich in verschiedener Weise kombinieren; so ist
ich Q u e n u *), dem wir die ersten modernen histologischen
massenden Untersuchungen über Hämorrhoiden verdanken,
e Entzündung das Primäre, die Venenerweiterung sekundär,
.es veines se laissent definitivement diiater, parce-qu’elles
>nt malades); nach anderen, insbesondere v. R y d y g i e r ist
umgekehrt. Als einen überaus wichtigen Fortschritt in der
Hire der Hämorrhoidalerkrankung möchten wir die aus den
Versuchungen _v. Rydygiers hervorgehende Tatsache
■tonen, dass die Erweiterung der Hämorrhoidalvenen ein
ozess ist, der schon in frühen Lebensjahren beginnt und mit
';m Lebensalter fortschreitet. Es ist dies eine Erfahrung, die
ir auf Grund unserer Untersuchungen durchaus bestätigen
i'nnen und die, wie wir sehen werden, für die Pathogenese
' r Hämorrhoiden von hoher Bedeutung ist.
Im Interesse eines besseren Verständnisses der später zu
sbenden Ausführungen dürfte es zweckmässig sein, einen
.kurs über die normale Anatomie der Hämorrhoidalregion
'»rauszuschicken.
Unter Hämorrhoidalregion „Annulus haemorrhoidalis“ ver-
j-'flt man einen ringförmigen, etwa 2 cm hohen Bezirk der
trs analis recti. Nach obenhin reicht dieser Bezirk bis an
(" „ /*sis der Morgagni sehen Säulen, nach unten geht er
; mählich in die äussere Haut über. Dieser Bezirk ist charak-
•‘siert durch sein Epithel. Das Plattenepithel der Haut geht
t.r allmählich in ein unverhorntes, bedeutend niedrigeres
battenepithel über, welchem die Haare fehlen, und in
v.Mchem nur spärliche Talgdrüsen vorhanden sind. Die
>ertlache dieses Epithels ist glatt, wie erwähnt, nicht ver-
irnt, wohl deswegen, weil es schon in dem Analrohr liegt.
r, Nach einem im Aerztlichen Verein München am 15. VII. 14
'laltenen Vortrag.
i iP'.e Literatur über Hämorrhoiden findet sich zusammengestelit
■ trä ^ y ^ y,g Le r: 2schr. f. Chir. 91. Cf. dazu auch S z u m ann:
> g zur Lehre der Hämorrhoiden. Inaug.-Diss. München 1914.
'199 guenu: Ltude sur les hemorrhoides Rev. de Chir. 1892.
Nr. 32.
Die obere Grenze gegen die eigentliche mit Zylinderepithel
übeizogene Schleimhaut des Rektums ist unscharf, indem das
Platter.epithel die Rektaltaschen zwischen den Morgagni-
schen Säulen noch streckenweise auskleidet und besonders an
den letzteren höher hinaufreicht. Die untere Grenze der
Hämorrhoidalzone fällt etwa mit dem unteren Pol des Muscul.
Sphincter ani internus zusammen. Dieser Muskel ist eine di¬
rekte Fortsetzung der Ringmuskelschicht des Rektums, welche
hier um das Doppelte dicker und kräftiger entwickelt ist. Am
unteren Pol dieses Muskels schliesst sich der willkürliche
Sphinkter mit quergestreiften Muskelfasern an.
In der Hämorrhoidalzone liegen die Venen des Plexus
haemorrhoidalis, und zwar besteht derselbe aus einem Netz
von Venen, welches teils an der Innenfläche des Sphincter ani
internus, „Plexus haemorrhoidalis internus“, teils an seiner
Aussenfläche „Plexus haemorrhoidalis externus“ liegt. Dies
Gefässgebiet wird gespeist von der unpaaren Arteria haemor¬
rhoidalis superior, den paarigen Art. haemorroidales mediae
und inferiores, sein Blut wird abgeführt durch die gleich¬
namigen Venen. Die Vena haemorrhoidalis superior mündet
: in die Vena mesenterica inferior und gehört so dem Pfortader¬
kreislauf an, während die Venae haemorrhoidales mediae und
inferiores dem Gefässgebiet der Venae hypogastricae ange¬
hören. Nach Corning3) ist die unpaare Vena haemor¬
rhoidalis superior das stärkste Gefäss; sie verzweigt sich nach
unten bis in die Basis der Columnae Morgagni, und ihre
Aeste bilden dort Knäuel, welche den späteren Hämorrhoidal¬
knoten entsprechen. Die Verzweigungen der Venae haemor-
| rhoidales mediae durchbohren den Sphincter internus und
sammeln sich in zwei Stämmen, die in die Venae pudendae
oder direkt in die Venae hypogastricae münden. Auf dieser
Beobachtung, dass nämlich die Fasern des Sphincter internus
von den Aesten der Venae haemorrhoidales mediae durch¬
bohrt werden, haben Duret und V e r n e u i 1 (zitiert nach
Q u e n u) eine Theorie der Hämorrhoidalentstehung auf¬
gebaut, die dahin geht, dass durch die Kontraktion dieses
Muskels die Venen komprimiert, der Blutabfluss gehindert und
so das Moment für die variköse Erweiterung der Venen in der
Submukosa gegeben sei.
Nun aber lehrt das Studium mikroskopischer Präparate,
dass die Venenstämme im Bereiche des Sphincters internus
selbst oft erweitei t sind; ja man sieht Bilder, wie solche auch
v. P y d y g i e r abbildet, wo der Muskel durch die zwischen
den Muskelbündeln gelegenen Venen direkt zerfasert erscheint.
Was nun die Venae haemorrhoidales inferiores anbetrifft,
so stehen sie durch subkutane Aeste, welche vom äusseren
Analring nach innen verlaufen, mit dem Plexus in Verbindung.
Durch Herabsteigen des Hämorrhoidalerkrankungsprozesses in
iln (Gebiet entstehen, wie wir glauben, die äusseren Hämor¬
rhoiden.
Nachdem wir so die Anatomie der Hämorrhoidalregion
geschildert haben, wollen wir nun zur Betrachtung der Ver¬
änderungen, die wir bei der Hämorrhoidalerkrankung an ihr
wahrnehmen können, übergehen.
Die Hämorrhoidalregion des Neugeborenen und des
kleinen Kindes zeigt im Vergleich zur übrigen Schleimhaut des
Mastdarms sowohl makro- wie mikroskopisch weder ver¬
mehrte noch erweiterte üefässe. Sie ist gleichmässig blass
odei gerötet wie die übrige Schleimhaut. Mit zunehmendem
Alter tiitt nun in den meisten Fällen eine derartige Verände-
3) Lehrbuch der top. Anatomie.
I
1770
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 32.
rung ein, dass der Annulus haemorrhoidalis zunächst
durch eine geringe Rötung, später durch eine deutliche
Injektion, in noch weiter vorgeschrittenem Alter, durch mit
blossem Auge erkennbare, zahlreich in der Schleimhaut ge¬
legene, dilatierte Venen auffällt. Diese entwickeln sich später
zu grösseren Konvoluten oder einzelnen grossen Bluträumen,
die zunächst als Höcker die Schleimhaut überragen und
schliesslich gestielte, blaurot aussehende Knoten bilden. Es
sind dies die Hämorrhoidalknoten.
In allen Fällen, wo Hämorrhoidalknoten ausgebildet
sind, besteht immer eine gleichzeitig stärkste Injektion der
Hämor rhoidalzone ; nach oben und unten setzt sie sich relativ
scharf ab und sendet nach unten nur einzelne feine Ausläufer
aus, die eben den Aesten der Venae hacmorrhoidales inferiores
entsprechen. Wir glauben, dass eben diese scharfe Lokali¬
sation der Veränderung für das Verständnis des Prozesses
sehr wichtig ist, da einerseits entchieden gegen die urächliche
Bedeutung einer allgemeinen Stauung im Körperkreislauf
spricht, andererseits unsere Aufmerksamkeit auf andere, gleich
zu schildernde Momente lenkt.
Wir haben nun von einer ganzen Reihe wenig und stark
veränderter Mastdärme die inneren Wandschichten bis zum
Sphincter internus, nämlich Mukosa, Muscularis mucosae und
Submukosa, mit den in ihnen vorhandenen Venen Verzwei¬
gungen abpräpariert, aufgespannt, die Venen in der Sub¬
mukosa freigelegt und die Präparate dann durch Aufhellung in
Xylol durchsichtig gemacht. Auf diese Weise erhielten wir
sehr anschauliche Bilder.
Es fanden sich in diesen Präparaten oberhalb der
Hämorrhoidalzone nur einige kleine Venenverzweigungen
und dann die grösseren Stämme der Vena haemorrhoidalis
superior in der Richtung von oben nach unten verlaufend;
diese Stämme teilten sich im Bereich der Hämorrhoidal¬
zone in immer feinere Verästelungen auf. Man konnte
beobachten, dass sowohl schon die Aeste, aber be¬
sonders die feinen Verzweigungen ampullenförmige Erwei¬
terungen zeigten, so dass sie teilweise dicker erschienen, als
die grösseren Verzweigungen und ein Bild boten, wie Knollen
an den Wurzeln einer Pflanze. Diese kleinen Varizen waren
es, welche die späteren Hämorrhoidalknoten zusammen¬
setzten.
Andere Präparate zeigten den Prozess weiter vorge¬
schritten. Wir beobachteten hier eine starke Schlängelung der
kleinen Venenstämme, dieselben als dicke Kolben den Zweigen
gröberer Verästelungen der Vena haemorrhoidalis superior
anhängend.
Wie sollen wir uns diese Bilder erklären? Allgemeine
Blutstauung im Körper wird wohl kaum eine so lokalisierte
Venenerweiterung haben hervorrufen können. Vor allem aber
waren es die Erweiterungen der kleinsten Verzweigungen, die
„Varices ramusculaires“ Q u e n u s, welche einen anderen
Gedankengang nahe legten. Wir glauben nun, das Zustande¬
kommen der Erweiterung der Häinorrhoidalvenen aus dem
Mechanismus der Defäkation erklären zu können.
Bei der Defäkation steigt die bis dahin im S romanum oder
im oberen Teil des Rektums, jedenfalls über dem Sphincter
tertius befindliche Kotsäule (dies ist wenigstens die in der
Physiologie zurzeit herrschende Anschauung (cf. Nagels
Handbuch) ins Rektum hinab. Hierdurch wird zugleich der
Defäkationsreiz gegeben, und die Wandschichten des Rektums
werden funktionell hyperämisch. Die herabsteigende Kotsäule
drückt nun, besonders wenn es sich bei Obstipation um harten
Kot handelt, auf die Wände des Mastdarms, denselben pro¬
gressiv erweiternd. Durch diesen Druck auf die Wand des
Rektums wird das in den Venen der inneren nachgiebigen und
weichen Wandschichten (Mukosa und Submukosa) befindliche
Blut von oben nach unten herabgestrichen, herabgepresst, vor
der Kotsäule hergeschoben bis unten an die Hämorrhoidal-
region, die unmittelbar über der Analöffnung liegt. Von hier
aus könnte das Blut durch die drei Venenstämme der Hämor¬
rhoidalis superior, media und inferior abfliessen, aber in
diesem Moment wirkt die Bauchpresse, um die Sphinkter¬
kontraktion zu überwinden und drückt auf die grossen Venen¬
stämme, die Abflusswege des Hämorrhoidalvenengebietes. Auf
diese Weise befindet sich in dem Moment der Defäkation eine
übergrosse Menge Blut, welches ausserdem unter einem zwei¬
fachen Druck steht, in den Venen der Hämorrhoidalzone.
Die Venen erweitern sich, um die übergrosse Blut¬
menge aufnehmen zu können. Ihre Wandungen stehen so
unter einem hohen Druck, und naturgemäss sind es die kleinen,
schwachwandigen venösen Gefässe, welche zuerst dem Drucke
nachgeben, ln dieser Auffassung scheint mir eine Erklärung
der „Dilatation ramusculaire“ Quenus gegeben. In der
frühesten Jugend, wo zunächst der Kot beim Säugling weich
ist, ist die mechanische Wirkung des herabsteigenden Kotes
und die resultierende Erweiterung der Hämorrhoidalvenen-
verzweigungen gering. Mit zunehmendem Alter muss die
täglich sich wiederholende Ueberlastung des Hämorrhoidal¬
venengebietes zu dem geschilderten Ergebnis führen, beson¬
ders bei Obstipierten, defäkationsträgen Individuen, bei denen
die Druckwirkung der Kotsäule längere Zeit besteht.
Man kann nun von vornherein die Annahme machen, dass
diese während der Defäkation stattfindenden Dilatationen sich
während der defäkationsfreien Intervalle von selbst wieder
ausgleichen. Mit der Zeit werden jedoch in dem Hämor-
rhoidalvenengebiet Veränderungen Platz greifen, die in ihrem
Wesen als Anpassungsveränderungen an die gesteigerte funk¬
tionelle Inanspruchnahme aufgefasst werden können, nämlich
Wandverdickung der Gefässe und Dilatation derselben. Wir
werden später sehen, dass dies tatsächlich der Fall ist. Es lässt
sich jedenfalls mit Sicherheit sagen, dass der chronische, oben
beprochene, intermittierend wirksame Mechanismus eine ver¬
ändernde Wirkung auf die Venen der Hämorrhoidalzone ausübt,
und v. R y d y g i e r hat unserer Meinung nach recht, wenn er
glaubt, dass die meisten Erwachsenen im anatomischen Sinne
(nicht im klinischen) Hämorrhoidarier sind. Von einem eigent¬
lichen krankhaften Zustand kann man jedoch noch nicht reden.
Ein Leiden tritt erst dann ein, wenn die erwähnten, funktionell
hypertrophischen Veränderungen an den Venen einer
dauernden Ueberlastung gegenüber nicht mehr genügen, wenn
also das Stadium der Insuffizienz eintritt. In diesem Stadium
“tritt eine besonders starke und dauernde Erweiterung der
Venen in Erscheinung, ausserdem perivaskuläre Oedembildung
und Blutungen. Durch diese Folgeerscheinungen leidet natur¬
gemäss das Gewebe der Hämorrhoidalzone, und sekundäre
Entzündungszustände sind die weitere Folge.
Von der diffusen Dilatation der Gefässe im Bereiche der
Hämorrhoidalregion des Mastdarms bis zur Bildung echter
„Knoten“ ist nur ein kleiner Schritt. Wir verfügen über zahl¬
reiche Präparate von Hämorrhoidalknoten, die erkennen lassen,
dass dieselben einen wabigen Bau zeigen, also aus zahlreichen
kleinen Bluträumen zusammengesetzt sind. Die Entstehung
eines Hämorrhoidalknotens kommt unserer Meinung nach
folgendermassen zustande: Die Verzweigungsverhältnisse der
grösseren Venenstämme bringen es mit sich, dass beim De-
fäkationsakt durch den erwähnten Mechanismus das in der
Hämorhoidalzone gelegene Endverzweigungsgebiet der Venen¬
stämme je nach dem Modus der Verästelung in feinere Ver¬
zweigungen in verschieden starker Weise mit Blut gefüllt wird.
Wenn ein Seitenast mit geringerer Verzweigung mit Blut über¬
füllt wird, so werden sich diese Verzweigungen in Gesamtheit
mehr erweitern, als ein analoges aber stärker ramifiziertes
Endgebiet, da dieses eine grössere Blutmenge fassen kann.
Die Gesamtheit der kleinen, stark blutgefüllten Ramifikationen
wird als Höcker imponieren, der durch immer stärkere Füllung
zu einem richtigen Knoten wird. Durch Oedem und durch
Blutungen in den Knoten hinein, wie wir es mikroskopisch oft
nachweisen konnten, durch sekundäre bindegewebige Pro¬
zesse, wird das Volumen dieser Knoten vermehrt und ge¬
festigt.
Unsere nun zu beschreibenden mikroskopischen Befunde
haben die im obigen geschilderten Anschauungen noch be¬
festigt. Wir konnten in unseren Präparaten funktionell hyper¬
trophische, sowie im Stadium der Insuffizienz eingetretene Ver¬
änderungen der Venenwandungen und des umliegenden Ge¬
webes feststellen.
Im einzelnen fanden wir Venen mit verdickter Wandung,
und zwar betraf die Verdickung ziemlich gleichmässig alle
drei Wandschichten; teilweise waren auch besonders endo-
phlebitische Wucherungsprozesse vorhanden. Die Venen
11. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
waren in ihrer Wandung arterienähnlich, die Lumina dieser
in ihrer Wand verdickten Venen erschienen erweitert.
Diese Bilder leiteten kontinuierlich über zu solchen, die
wir, wie aus unseren obigen Ausführungen hervorgeht als be¬
reits insuffiziente ansehen mussten. Hier war eine stärke Er¬
weiterung der V enensteimmchen zu konstatieren; es fanden
sich Bilder, wo die erweiterten Gefässlumina mit stagnieren¬
dem Blut erfüllt waren, und zur Stagnation Thrombose hinzu-
sttreten war, ferner solche Bilder, in denen eine Organisation
Jer entstandenen Thromben deutlich war.
Wie die Venen, so zeigten auch die Kapillaren starke
Dilatation der Lumina. Diese erweiterten Kapillaren lagen oft
u Gruppen zusammen. Es kamen so Bilder zustande, welche
tngiomai tig aussahen, dadurch, dass bei fortschreitender Fr-
.veiterung der Kapillaren oder präkapillaren Venen, die in
iruppen zusammenlagen, die Wände derselben eng zur Be
iihrung gekommen waren.
Mit der Erweiterung war gleichzeitig eine ausgesprochene
'Chlangelung der Venen deutlich.
Nicht allzu selten fand sich in der Venenwandung eine
lyaline Umwandlung des Gewebes, eine Beobachtung, die be-
eits Silber b erg4) erwähnt hat.
Ferner fand man in der Umgebung der Gefässe in weit
orgeschrittenen Fällen als Ausdruck der Zirkulationshemmung
in hochgradiges Oedem. Weiter konnte man häufig beob-
chten, dass entsprechend den stark hämorrhoidal veränderten
nd ödematösen Bezirken das Epithel zugrunde gegangen war;
ieser Defekt des Epithels konnte sich makroskopisch als üe-
ehwür, als eine der bei weit vorgeschrittenem Hämorhoidal-
■lden so zahlreich vorhandenen Rhagaden und Fissuren dar-
iellen. Neben den ödematösen Zuständen des perivaskulären
lewebes fand man ferner häufig hyaline Umwandlung des
indegewebes.
Es ist leicht zu verstehen, dass ein so schwer geschädigtes
se’ner ihr Bakterieninvasion so gefährdeten Lage
{sachlich von Bakterien befallen und in den Zustand der Ent-
indung versetzt wird. Derartige Veränderungen haben wir
i operativ entfernten und lebenswarm fixierten Hämorrhoidal-
toten beobachten können. Wir sahen hier hochgradiges
edem, starke entzündliche Infiltration des Gewebes mit
eukozyten, Leukozytendurchwanderung durch die Wand der
enen. In nach Gram gefärbten Schnitten, die wir von
esen Präparaten- gemacht haben, sahen wir zahlreiche Bak-
rien im Gewebe; Bilder, welche den hier wiedergegebenen
eichen, können unserer Meinung nach nicht in dem Q ue n u -
hen Sinne einer entzündlichen Genese der Hämorrhoiden
. deutet werden, sondern nur so, dass die entzündungs-
< regenden Bakterien in das bereits geschädigte Gewebe in-
dicrt sind. Die Entzündung ist unserer Meinung nach,
,e schon oben hervorgeboben, bei Hämorrhoiden stets ein
Tundärer Prozess.
Das Resultat der obigen Betrachtungen lässt sich fol-
^ndermassen zusammenfassen:
1. Die Hämorrhoidalerkrankung besteht ihrem Wesen nach
i der Erweiterung der feineren Aeste der Venen der Hämor-
r 'idalregion (Varices ramusculaires Q u e n u s).
Diese Erweiterung ist ein mit dem zunehmenden Alter
' tschreitender Prozess. Sie ist zurückzuführen auf das
.cüanische Moment der Defäkation, indem die herabsteigende
l; sau^ das Blut in die kleinen Venenzweigungen der
morrhoidalregion hineinpresst, aus denen es infolge des
Mcnzeitig vorhandenen Bauchpressendruckes nicht schnell
'iug abfliessen kann.
3. Die an den Hämorrhoidalvenen auftretenden Verände-
'gen tinden ihre Erklärung in einer funktioneilen Hyper-
pnie der Gefässwand mit sekundärer Insuffizienz.
4- I)ie Entzündung bei Hämorrhoiden ist ein sekundärer
3zess, welcher infolge von Bakterieninvasion in das ge¬
zeugte Gewebe der Hämorrhoidalzone besonders leicht zü¬
nde kommt.
*) Bruns Beiträge. 61.
Aus der Kuranstalt Dr. Saat hoff in Oberstdorf.
Lieber die Notwendigkeit einer einheitlichen Temperatur-
messung und über die Grenze zwischen normalen und
pathologischen Temperaturen.
Von L. S a a t h o f f.
». ,.So, sehr die Klinik heute bestrebt ist, ihre diagnostischen
Methoden immer mehr zu verbessern und zu verfeinern, so
seiir auch die' Forschung darauf ausgeht, für ihre exakten Me-
t loden gleiche Voraussetzungen und Bedingungen zu ver¬
langen, damit sie in der Hand der verschiedensten Unter¬
sucher möglichst gleiche Resultate geben, so sehr ist zu ver¬
wundern, dass für die älteste der exakten klinischen Unter-
suchungsmethoden, die Temperaturmessung, derartige einheit-
liche Richtungslinien nicht bestehen, und dass in der Art
die Temperatur des Kranken zu bestimmen,’
die grösste Willkürlich keit herrscht.
Die notwendige Folgerung ist die, dass über die Kardinal¬
trage der ganzen I hermometrie am Krankenbett, wo denn
eigentlich die Grenze zwischen normalen und
pathologischen Temperaturen liegt, die An¬
sichten der Aerzte weit auseinander gehen, und dass der eine
beispielsweise eine Temperaturhöhe von 37,6 noch als zulässig
erklärt, während sie dem anderen bereits weit im Bereiche des
Pathologischen liegend erscheint. Daraus aber ergibt sich
einmal für die Aerzte eine grosse Unsicherheit und Uneinigkeit
m der Beurteilung aller Krankheitszustände, bei denen leichte
I emperatursteigerungen im Vordergründe stehen, wie z. B.
bei der latenten 1 uberkulose. Dann aber wird auch der Laie
durch den ihm manchmal entgegentretenden eklatanten Wider-
spi uch in dem Urteil verschiedener Aerzte verwirrt und in
seinem Vertrauen auf die Richtigkeit unserer Methoden er¬
schüttert. Dass dieser Umstand aber geradezu bei den hier in
Frage kommenden, häufig so schwierig zu beurteilenden
Grenzfallen Rat und Behandlung ausserordentlich erschweren
muss, liegt auf der Hand,
Wenn wir nun den Ursachen dieser auffallenden Inkon¬
gruenz der ärztlichen Meinung in einer scheinbar so einfachen
Eiage nachgehen, so liegt der Grund einfach darin, dass kaum
zwei Aerzte genau denselben Modus der Messung innehalten,
und dass selten den Patienten ganz bestimmte, ins einzelne
gehende Vorschriften gemacht werden. Der eine lässt im
Munde messen, der andere in der Achselhöhle, der dritte im
Rektum und der vierte in der Inguinalbeuge. Recht häufig
wird bei Krankengeschichten nicht einmal angegeben, wo
eigentlich gemessen wurde, obgleich doch jeder weiss, dass an
den verschiedenen. Orten die Temperaturen weit auseinander
bf^n. Auch die Vorschriften für die Zeitdauer der einzelnen
Messung schwanken sehr. Bei der Rektalmessung wird sie
zwischen 2 und 5 Minuten, bei der Achselmessung zwischen
10 und 20 Minuten angegeben. Ferner ist der Zeitpunkt der
Messung sehr wechselnd und der individuellen Lebensweise
des Patienten häufig nicht genügend angepasst. Vielfach
werden einfach bestimmte Tagesstunden angegeben, ohne
Rücksicht auf vorangegangene körperliche Bewegung oder
geistige I atigkeit oder eingenommene Mahlzeiten, während
wir doch ganz genau wissen, was für einen grossen Einfluss
alle diese Faktoren auf die Körpertemperatur, besonders die
des Körperinnern, haben. — So entstehen ungezählte Kom¬
binationen in der Messung, die notwendigerweise gänzlich ver¬
schiedene Resultate zeitigen müssen, und so kommt es, dass
von den Kuiven verschiedener Anstalten und Aerzte jede ihre
eigene Sprache redet.
Die letzte notwendige Konsequenz dieser willkürlichen
Messungsweise war die, dass man bei der weiten
Spannung der erhaltenen Resultate auch die
n oi male Iemperat urbreite sehr weit ati-
neh m e n musste.
Auch heute noch gibt es nicht wenige Kliniker, die auf
dem Standpunkte der alten Autoren Wunderlich und
Liebermeister stehen, dass man 37,5 in der Achselhöhle
am Nachmittag noch als normal betrachten darf. Selbstver¬
ständlich hat diese Anschauungsweise ihren bestimmten Grund,
lind ich sehe den darin, dass die alten Meister ihre Erfahrungen
in der Klinik gewonnen haben, die doch nur mehr oder weniger
r
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 32.
1772
kranke Menschen birgt, die nicht als Norm für Gesunde dienen
können. Wie schwer es ist, von ganz gesunden, im Leben
stehenden Menschen exakte Temperaturkurven zu erhalten,
davon macht sich nur derjenige den richtigen Begrin. der sic i
eigens damit befasst hat. Dem Gesunden ist das Messen eben
viel zu langweilig, und trotz der besten Vorsätze vergisst er
es immer wieder.
Noch in einem anderen Punkte mussten die alten Kliniker
hinter unserer heute gewonnenen Erkenntnis zurückstehen: Sie
kannten nicht die Rolle der latenten Iuberkulose, die uns durch
die biologischen Methoden erschlossen ist. Praktisch wird
diese aber auch heute noch nicht genügend berücksichtigt.
Merkwürdig: Jeder Arzt weiss heutzutage, dass etwa 90 Proz.
aller Menschen tuberkuloseinfiziert sind, und den meisten ist
auch allmählich ins Bewusstsein übergegangen, dass ein posi¬
tiver Pirquet oder im allgemeinen eine positive Tuberkulin¬
reaktion mit absoluter Sicherheit auf einen wenigstens bio¬
logisch aktiven Prozess hinweist. Aber die Konsequenz,
dass von diesen 90 Proz. ein gewisser Bruchteil notwendiger¬
weise erhöhte Temperaturen haben muss, auch ohne manifeste
klinische Symptome aufzuweisen, wird meistens nicht gezogen,
und ebenso wenig wird berücksichtigt, dass gerade diese Men¬
schen eine ausserordentlich labile Temperatur haben, die bei
geringen Bewegungen leicht in die Höhe schnellt. So laufen
sie als „Gesunde“ mit und erhöhen natürlich den Standard der
Normaltemperatur um ein bedeutendes. — Ehe man eine „indi¬
viduelle“ abnorme Temperaturhöhe annimmt, wozu auch heute
noch vielfach die Neigung herrscht, muss man den Einfluss
einer Tuberkulose oder eines sonstigen versteckten Infektions¬
herdes absolut sicher ausschliessen,und das ist oft recht schwer.
So vereinigen sich die verschiedensten Momente, um die
Grenzlinie zwischen normalen und pathologischen Tempera¬
turen zu verwischen, und was das wesentlichste bei der
ganzen Sache ist: Diese Grenze wird heute noch
meistens viel zu hoch angenommen, und
mancher Mensch als gesund erklärt, der es
eben tatsächlich nicht ist, bei dem aber unter
Umständen ein rechtzeitiges Eingreifen die
Krankheit im Keime ersticken könnte.
Aus dem Gesagten geht wohl zur Genüge hervor, dass es
wirklich an der Zeit ist, dass wir endlich einmal die Tem¬
peraturmessung auf d i e Stufe der Exaktheit stellen, auf die
sie gehört, und dass sie als solche Gemeingut aller Aerzte
wird. Meine langjährigen, auf diesen Punkt gerichteten Be¬
obachtungen haben mir gezeigt, dass das sehr wohl möglich
ist, und dass sich ein sehr klares und eindeutiges Endresultat
ergibt. ' . ...
Was uns in erster Linie not tut, ist eine Einigung über
den Ort der Messung. Wenn wir nicht einheitlich messen,
können wir auch die Temperatur nicht einheitlich verwerten:
es ist, als ob wir in verschiedenen Sprachen redeten. Aber
ob es gelingen wird, hier mit alten Gewohnheiten und Vor¬
urteilen aufzuräumen? -
Wenn wir in eine Kritik der verschiedenen Messungs¬
weisen eintreten, so ist die Inguinalmessung, die ja allerdings
in Deutschland selten angewandt wird, schon aus dem Grunde
zu verwerfen, weil der verschiedenartige Bau der Leisten¬
beuge vielfach keine geschlossene Höhle zustande kommen
lässt. Auch die Messung im Munde, die eine Zeitlang sehr
beliebt war, vor allem wegen ihrer grossen Bequemlichkeit,
kann keinen Anspruch auf Zuverlässigkeit machen, weil die
Mundhöhle durch die Aussentemperatur zu stark beeinflusst
wird. Sie ist deshalb auch von den meisten wieder verlassen
worden.
So bleiben nur noch Achsel- und Rektalmessung. Dass
die Temperatur im Rektum unter gewissen, gleich zu er¬
wähnenden Umständen am genauesten und schnellsten an¬
gezeigt wird, darüber dürfte wohl keine Uneinigkeit herrschen.
Dass aber die Achselmessung ihr noch vielfach vorgezogen
wird, beruht einmal auf der vermeintlichen grösseren Einfach¬
heit und auf der Rücksichtsnahme auf die Empfindsamkeit
mancher Patienten, sodann aber auf der leider noch immer
weitverbreiteten falschen Anschauung, dass die Differenz zwi¬
schen Achselhöhlen- und Mastdarmtemperatur eine einiger¬
massen konstante Grösse sei. Vielfach lässt man in der
Achsel messen und dann 0,5° zuzählen, um die Rektal¬
temperatur zu erhalten. Das schlimmste aber ist die Um¬
kehrung dieser falsch verstandenen Anschauung: Man lässt im
Darm messen und dann von dem erhaltenen Resultat 0,5 ab-
ziehen. Damit glaubt man dann offenbar die richtige Körper¬
temperatur erhalten zu haben. Krasser lasst sich die Be¬
griffsverwirrung, die in der ganzen Erage der Temperatur-
messung an manchen Orten noch herrscht, doch nicht be¬
leuchten! „ „ , .. ....
In neuerer Zeit hat vor allem Staubli m seiner ver¬
dienstvollen Studie über vergleichende Temperaturmessungen
(M m W 1913 No. 19 u. 20) darauf aufmerksam gemacht, daxs j
die Differenz zwischen Axillar- und Rektaltemperaturen auch
bei klinisch Gesunden nicht nur individuell verschieden ist -
er fand Unterschiede von 0 bis zu 1 Grad und darüber
sondern dass auch bei demselben Individuum in verschiedenen
Zeitperioden diese Differenz schwanken kann.
Vielfach finden wir auch noch bis in die neueste Zeit
hinein die Anschauung vertreten, dass beim bettlägei igen, be¬
sonders aber beim fiebernden Patienten die Resultate beider I
Messungsarten annähernd gleich seien, und dass hier wenig- t
stens die Achselmessung als ebenbürtig angesehen werden
dürfte Aber auch das stimmt nur für einen Teil der halle.
Ich selbst habe vor 7 Jahren auf der zweiten medizinischen
Klinik in München durch Reihenmessung an bettlägerigen
Kranken, vor allem an Phthisikern, feststellcn können, dass die
Unterschiede zwischen Rektum und Achselhöhle ganz i egellos I
schwankten. Bei einzelnen waren die 1 emperaturen an beiden
Orten gleich, bei den meisten aber ausserordentlich ver¬
schieden. Als maximale Differenz fand ich bei einem Patienten ■
in der Achsel 37,6, im Mastdarm dagegen zu gleicher Zeit 39,3,
und dazwischen alle Uebergänge in der regellosesten Weise.
Dazu kommt noch, dass die Achselmessung, wenn sie
wirklich exakt durchgeführt wird, gar nicht so einfach ist, wie
man allgemein glaubt. Die Achselhöhle muss ganz trocken
und wann sein. Der Thermometer muss allseitig gut ttjjfcfl
schlossen werden, und nun muss der Patient den Arm min¬
destens 15 Minuten unbeweglich an den Körper gepresst halten,]
wenn man die wirklich am Orte der Messung herrschende
Temperaturhöhe erhalten will. Und nach all dieser Mühe ist]
man durchaus nicht sicher, dass das erhaltene Resultat der im
Innern des Körpers herrschenden Temperatur auch nur in
einem einigermassen konstanten Verhältnis entspricht, und inan
muss immer auf grobe Fehler nach unten gefasst sein, be¬
sonders wenn der Patient, wie es ja meistens der Fall ist, die
Messung selbst ausführt.
Alle diese physiologischen Unregelmässigkeiten und mein
oder weniger grossen Fehler, die bei der Messung unterlaufen,
machen den Wert der Achselmessung so problematisch, aass
die Forderung wohl berechtigt erscheint, diese Art der Mes¬
sung endlich über Bord zu werfen, oder sie nur für solche
Fälle zu reservieren, bei denen die Darmmessung faktisch un¬
möglich ist. Auch die Rücksicht auf die Gene der Patienten
sollte endlich aufhören, für den Arzt bestimmend zu sein. Ich
habe noch nie erlebt, dass sich ein Patient nach vernünftiger
Auseinandersetzung gegen die Rektalmessung gesträubt hätte.
Im Gegenteil wird ihre viel grössere Bequemlichkeit und
Schnelligkeit nachher immer dankend anerkannt.
Solche Fehler, wie bei den anderen Methoden, sind bei der
Rektalmessung von vornherein gänzlich ausgeschlossen, wenn
nur der Thermometer tief genug eingeführt wird, und wenn
man prinzipiell 5 Minuten messen lässt. Volle Sicherheit,
gegen Nachlässigkeit der Patienten beim Herunterschlagen dei
Quecksilbersäule oder gegen bewusste Täuschungen gewahr
allerdings nur eine Massnahme: Die eigenhändige Untersuchung
durch den Arzt oder durch eine geschulte Schwester. Und d:
gibt es wieder eine sonderbare Eigentümlichkeit der Aeskulap-
seele festzunageln: Alle Untersuchungen am Krankenbett
machen wir selbst, vom Pulsfühlen angefangen, aber wie viel]
Aerzte mag es geben, die nur einigermassen regelmässig sud
die Mühe machen, ihre Patienten selbst zu messen? Wie viel,
diagnostische Irrtümer könnten so leicht und einfach dadurci
vermieden werden, dass wir uns das Gebot auferlegten, am
auffälligen Temperaturschwankungen nach oben oder unte
wenigstens ein- oder zweimal selbst zu kontrollieren!
11. August 191-1.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nur einen Vorwurf könnte man der Rektahnessung
machen, dass sie leicht zu hohe I emperaturen anzeigt, wenn
'ich der Patient vorher bewegt hat. Und da eben auf diesen
Umstand an manchen Orten nicht geachtet und die so er-
laltene lemperatur als die wahre angesehen wurde, was dann
«weder zu übertriebenen therapeutischen Massregeln und zu
:iner gewissen Verängstigung der Patienten führte, so ist da¬
durch die Rektalmessung in einen Misskredit gekommen, den
•ie nicht verdient hat.
Die 1 emperatursteigerung nach Bewegung ist in der
etzten Zeit eingehender studiert worden, ausser von
•> t ä u b 1 i auch von Moro, W e i n e r t und anderen. Dabei
jat sich zweierlei ergeben: Einmal dass die Temperatur in
er Region ansteigt, wo die grösste Muskelanstrengung statt-
.efunden hat, also beim Gehen im Rektum, bei Arm-
«ewegungen unter der Achsel, beim Kauen im Munde, so dass
"an als sicher annehmen darf, dass die Quelle der erhöhten
Värmc in der Tätigkeit des arbeitenden Muskels liegt. So-
ann aber, dass nach dem Gehen auch bei völlig
esunden Individuen die Rektaltemperatur
n unberechenbarer und ganz regelloser
Veise an steigt. Stäubli und andere haben nach ein-
tündigem Gehen bei gesunden Menschen eine Rektal-
unperatur von 38,0 und darüber beobachtet. Auch ich habe
or 4 Jahren in dieser Richtung Untersuchungen angestellt und
eispielsweise bei einem gesunden trainierten Mann, der in der
uhe nicht über 36,8 kam, nach einer intensiven Steigung
on 20 Minuten 38,6 im Rektum gemessen. Wie empfindlich
ie Temperatur des Beckens auf Bewegung reagiert, geht am
.•klagendsten daraus hervor, dass selbst das Anziehen am
lorgen genügt, um die Mastdarmtemperatur um einige
ehntelgrad hinaufzutreiben.
Nun hat allerdings Stäubli gefunden, dass man die Ein-
itigkeit dieser Rektalsteigerungen sofort erkennt, wenn man
jr Kontrolle in der Achsel misst. Man findet dann, dass die
chseltemperatur gar nicht oder nur ganz unbedeutend ge¬
iegen ist, wenn der Mensch sonst gesund ist. Diese ganzen
eobachtungen berühren sich eng mit dem P e n z o 1 d t sehen
hänomen, nach dem ein Mensch, der nach einem flotten Spa-
ergang von einer Stunde 38 und mehr im Rektum zeigt, der
uberkulose verdächtig ist. Aber, wie erwähnt, stimmen alle
.ueren Untersucher darin überein, dass genau dieselbe Er¬
hebung auch bei völlig Unverdächtigen auftreten kann. Zu-
m hat P e n z o 1 d t selbst seine Formulierung sehr vor¬
rätig aufgestellt und sie auch auf Fettleibige und Rekonvales-
nten ausgedehnt. Da ist es doch das einfachste und logisch
-'htige, wenn wir die Temperaturmessung nach
ewegung gänzlich ausschalten und nur nach
ner Ruhezeit messen lassen, die erfahrungs-
emäss ausreicht, um die Mastdarmtempera-
irauf ihrjeweiligesMinimum zu erniedrigen.
Aber nicht nur die körperliche, auch die geistige Ruhe ist
irbedingung. Wer je in einem Krankenhause gearbeitet hat,
1 nnt die Sonntags-Nachmittags-Temperaturen der Patienten
1 ch dem Besuche der Angehörigen. Angeregte Unterhaltung
1 er aufregende Lektüre drückt leicht die Temperatur um
’ige Zehntelgrade hinauf, zumal ja selten die Muskeln dabei
i völliger Ruhe sind.
, Und schliesslich ist nicht zu vergessen, dass während der
•rdauungsperiode die Temperatur der Eingeweide einseitig
■ steigt, dass man also auch diese Zeit für eine rektale Mes-
ng ausschalten muss. Bei entzündlichen Prozessen im Mast-
- im ist selbstverständlich auch Vorsicht geboten.
Unter genauer Berücksichtigung aller
jeser Umstände zeigt die Temperatur i m
.“ktum die wirkliche Innentemperatur de>
jrpers, d. h. des in den grossen Schlagadern
-■mischten Blutes, am getreuesten an, dafür
ben wir wohlbegründete Anhaltspunkte, wie auch S t ä u b 1 i
gibt. So fand Fick die Temperatur im Rektum des Hun-
s gleich oder eine Spur höher als im Herzen. Quincke
üelt im Innern des Magens eine nur um 0,12 höhere Tem-
ratur als im Rektum. Dazu stimmen die Untersuchungen,
W e i n e r t mit Verschluckthermometern anstellte (M.m.W.
19 Nr. 28). Er fand in einem Fall in der Ruhe im Magen die
Temperatur um 0,1 höher als im Mastdarm. Während der
Magenverdauung, aA Stunden nach dem Mittagessen, war sie
aber um 0,4 höher. Also auch hier ist das Gesetz bestätigt,
dass in der Nachbarschaft tätiger Organe die Temperatur
lokal ansteigt.
Auf Grund aller dieser Resultate, die von anderen und mir
in langjähriger Beobachtung gesammelt wurden, möchte ich
folgenden einheitlichen Modus der Messung Vorschlägen:
Es wird gemessen — wo es irgend möglich
i st — nur im Rektum, nur nach vollständiger
körperlicher und geistiger Ruhe von min¬
dest e n s 20 Minuten und nur vor den Mahlzeiten
während der Verdauungsruhe.
Der Zeitpunkt der einzelnen Messungen ergibt sich dar¬
nach von selber. Es gibt am Tage nur 4 Zeitpunkte, die den
aufgestellten Anforderungen streng entsprechen, und diese
4 Messungen sollte man, wo es die Umstände erlauben, auch
durchführen. Und zwar morgens sofort nach dem Erwachen,
ehe der Patient das Bett verlässt. Eine bestimmte Zeit darf
man natürlich dafür nicht festsetzen, der erste Griff des Pa¬
tienten muss nach dem I hermometer sein. Dann vor dem
Mittagessen und vor dem Abendessen nach der geforderten
Ruhezeit. Ein reichliches zweites Frühstück und eine eben¬
solche Vesper darf man natürlich im Interesse der Darmruhe
nicht erlauben. Die 4. Messung wird abends im Bett vor¬
genommen, 20 — 30 Minuten nach dem Hinlegen. Ob man
länger oder kürzer warten lässt, hängt natürlich von der sehr
verschiedenen Betätigung des einzelnen Menschen ab. Hier
muss man unter Umständen individualisieren.
Bei ambulanten Patienten, die sich tagsüber keine Ruhe
gestatten können, genügt zur vorläufigen Orientierung meistens
die morgendliche und abendliche Messung. Kommen einem
diese aber verdächtig vor, so muss auch bei ihnen strikte
Durchführung der Vorschrift verlangt werden. In zweifel¬
haften Fällen darf man auf einzelne erhöhte Temperaturen
keinen entscheidenden Wert legen. Hier ist eine 5— 8 tägige
fortlaufende Kontrolle unter allen Kautelen notwendig.
Wenn man streng nach diesen einheitlichen Bedingungen
vorgeht, dann macht man die Erfahrung, dass das normale
Temperaturmaximum eine viel grössere Konstanz hat, als bis¬
her angenommen wurde. Auch von den „individuellen Tem¬
peraturen“ bleibt dann wenig oder gar nichts übrig. Meine
jahrelangen auf diesen Punkt gerichteten Be¬
obachtungen haben mir ergeben, dass die
obere Grenze des Normalen 37,0 beträgt. Eine
häufigere Ueberschreitung ist sicher als nicht mehr normal an¬
zusehen.
Ich bin von vornherein darauf gefasst, dass dieses Ergebnis
auf vielfachen Widerspruch stossen wird. Aber es ist ja leicht
nachzuprüfen. Nur möchte ich dringend empfehlen, nicht nur
bei Spitalpatienten, sondern in allererster Linie bei wirklich ge¬
sunden Menschen zu messen. Schon mancher zweifelnde Kol¬
lege ist dadurch überzeugt worden, dass er bei sich selbst mit
dieser Art der Messung angefangen hat. Ich habe sogar
gefunden, dass bei ganz gesunden und wirklich robusten, im
Leben stehenden Menschen, die man allerdings nicht so ganz
leicht findet, die Ruhetemperatur im Rektum zu den ange¬
gebenen Zeiten 36,6 — 36,8 kaum je überschreitet, aber eine
gewisse Schwankungsbreite muss man zulassen.
Das wichtigste Kriterium für die Richtigkeit dieser An¬
schauung haben mir von jeher die leichten geschlossenen
I uberkulosen gegeben, die ja bekanntlich eine ausserordentlich
labile Temperatur und Steigerungen von der grössten Hart¬
näckigkeit haben. Wenn sie wirklich ganz gesund wurden,
dann ging auch fast ausnahmslos bei allen die Temperatur
dauernd unter 37,0 herunter, und zwar gteichmässig bei Män¬
nern, Frauen und Kindern. Auch die verschiedenen Rassen
zeigten da keinen Unterschied.
Recht gut stimmen mit diesen Anschauungen die Resultate
überein, die Dora Fraenkel (D.m.W. 1913 Nr. 6) an 163 Kin¬
dern der Kinderheilstätte Borgsdorf erhielt. Von diesen hatten
96,3 Proz. morgens im Bett und abends eine Stunde nach dem
Hinlegen als Höchsttemperatur 37,2 im Rektum, alle unter per¬
sönlicher Kontrolle der Verf. gemessen. Die übrigen 3,7 Proz.
kamen an vereinzelten Tagen bis auf 37,4. Die Kinder standen
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 32.
im Alter von 5/4 bis 16 Jahren und ein Unterschied in den ein¬
zelnen Altersstufen ergab sich nicht. W enn man nun bedenkt,
dass sämtliche Kinder Patienten waren, teils an Nervosität
teils an Skrofulöse leidend, wenn man ferner in Betiacht zieht,
dass solche Kinder schwer alle zur absoluten Muskelruhe zu
bringen sind, und die Differenz von 0,2 0 diesen beiden Faktoren
zur Last legt, so ergibt sich eine vollkommene Uebereinstim-
mung mit dem, was ich von Gesunden behaupte.
Nun wird man mir aber die Thyreosen mit und ohne Base¬
dowsymptome entgegenhalten, bei denen doch so häufig die
Grundtemperaturen erhöht sind. Ich habe aber bereits vor
Jahren (M.m.W. 1913 Nr. 5) an meinem Material wenig¬
stens nachgewiesen, dass von allen Ihyreosen mit Tempera¬
tursteigerung kein einziger Fall frei von Iuberkulose war.
Und im weiteren Verfolge meiner Beobachtungen habe ich den
engen Zusammenhang zwischen Thyreose und 1 uberkulose
immer wieder bestätigt gefunden, so dass ich nach wie voi
daran festhalte, dass die unkomplizierte Thyreose, den Base¬
dow eingeschlossen, ohne Temperatursteigerung verläuft.
Allerdings muss man in den meisten dieser Fälle direkt auf die
Tuberkulose fahnden, denn in der Regel ist sie geschlossen,
gutartig und prognostisch durchaus günstig; und daher klinisch
nicht von grossem Belang. Immer aber — und das ist so
ausserordentlich wichtig für die Erkennung dieser eminent
häufigen Kombination — erzeugt sie toxische Symptome, die
dem äusserlich dominierenden Faktor, der Thyreose, zuge¬
schoben werden. Und gerade unter diesen Symptomen steht
die Temperatursteigerung in erster Linie.
Hat nun aber eine derartige Exaktheit in der Temperatui-
messung auch einen praktischen Wert? Lohnt sie die auf¬
gewandte Mühe entsprechend? Diese Frage möchte ich un¬
bedingt mit Ja beantworten. Wie oft kommt es dem Arzt vor,
dass er bei einem Patienten und noch viel häufiger bei einer
Patientin mit unbestimmten immer wiederkehrenden Klagen
bei der physikalischen Untersuchung absolut nichts findet.
Lässt er sie nun nach der alten Weise messen, und findet viel¬
leicht auch Temperaturen, die sich zwischen 37,0 und 37,5 be¬
wegen, so kann er nichts damit anfangen, denn bei freier
Lebensweise kommen solche Steigerungen auch bei zweifel¬
los gesunden Individuen vor. Ganz anders aber, wenn er sich
unsere exakte Messweise zunutze macht. Hier weiss er,
wenn die Tempcraturmaxima des öfteren auch nur 37,1 und
37,2 betragen, ganz genau, dass ein chronisch-infektiöser Pro¬
zess im Spiele ist. Er wird die Mandeln, die ja häufig der
Sitz derartiger ganz schleichend verlaufender Infektionen sind,
genau revidieren. Ein leichtes Herzgeräusch, däs er bis dahin
ohne weiteres als anämisches aufgefasst hat, wird vielleicht
ein anderes Gesicht gewinnen und ihn auf die Diagnose einer
schleichenden Endokarditis führen. Schmerzen in einer Nieren¬
gegend besonders bei Frauen die ihm früher nicht von Belang
erschienen, werden ihn zu einer bakteriologischen Unter¬
suchung des steril gewonnenen Harns veranlassen und ihm viel¬
leicht eine chronische Nierenbeckenentzündung enthüllen, eine
Diagnose, die bekanntlich auch heute noch viel zu selten gestellt
wird. Weitaus api häufigsten jedoch wird er auf eine klinisch
vielleicht latente Tuberkulose stossen, die aber eben durch die
dauernd erhöhten Temperaturen, durch typische toxische, nun
leicht zu eruierende Symptome und durch eine starke Kutan¬
reaktion auf Tuberkulin ihren aktiven Charakter deutlich zu
erkennen gibt, und damit hat er nun eine befriedigende Er¬
klärung an der Hand und einen klar vorgezeichneten thera¬
peutischen Weg.
Zum Schluss muss ich aber eines nachdrücklich betonen,
um nicht missverstanden zu werden; Bei aller Wertschätzung
der genauesten Temperaturmessung und trotz strikter Be¬
obachtung aller sich möglicherweise ergebenden Folgerungen
möchte ich doch keineswegs Patienten mit leichten Tempera¬
tursteigerungen nur deshalb als krank betrachtet wissen.
Ob solche Menschen der Behandlung bedürfen, darüber
müssen und können ganz allein die begleitenden klinischen
Symptome entscheiden. Eine übergrosse Aengstlichkeit ist
hier ebensowenig am Platz wie ein allzu sorgloses Gehen¬
lassen, und wir sollen ganz gewiss dafür sorgen, dass auch
unsere Patienten nicht verängstigt werden und den Thermo¬
meter als die Richtschnur ihres Lebens betrachten. In vielen
Fällen gilt cs genau abzuwägen, ob es einem an sich schon
ängstlichen und nervösen Patienten nicht mehr schadet als
nützt, wenn wir seinen Geist durch allzu rigorose Massnahmen
ausschliesslich auf sein Leiden hinlenken und ob nicht das
tätige Leben ein besseres Korrigens ist, als die beste Ruhekur.
Hier gilt es also von Fall zu Fall zu entscheiden. Eines
aber wissen wir jedenfalls bei einer derartig geleiteten Jem-
peraturmessuiig, dass bei häufigerer Ueberschreitung du kri¬
tischen Grenze von 37,0 irgend etwas nicht in Ordnung ist,
und dass wir mit sorgfältiger Beobachtung unseres Patienten
bereitstehen müssen, um im gegebenen Moment handelnd ein¬
zugreifen. _
Aus der psychiatrischen Klinik der Universität Jena (Direktor: J
Geheimer Rat Prof. Dr. Binswanger).
Zur Frage der Geschlechtsspezifität der Abderhalden-
schen Abwehrfermente und über die Beeinflussung der
Abbauvorgänge durch Narkotika.
Von Dr. Erich Wegener, Assistenzarzt der Klinik.
I.
Da in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten Zweifel
über die Spezifität, ja sogar über die Geschlechtsspezifität der
Abderhalden scheu Abwehrfermente laut wurden, so
habe ich versucht, rein objektiv der Entscheidung dieser Frage
auf folgende Weise näher zu treten.
Ich Hess mir von den verschiedenen Abteilungen Blut zur
Untersuchung zusenden. Dann stellte ich die Blutproben von
der Frauen- und Männerstation durcheinander und übergab
dieselben, nur mit Namen bezeichnet, unserer Laborantin
Frl. Pf., die mit den einschlägigen Arbeiten auf Grund einer
längeren praktischen Erfahrung vollständig vertraut ist, und die
in keiner Weise mit den Patienten in Berührung kommt, zur
Untersuchung. Jedes Blutserum wurde nun ausser den be¬
stimmten Organen stets mit Ovarien und Testikel angesetzt.
Ich überwachte genau die technische Ausführung und stellte an
Frl. Pf. die Aufgabe, nach dem Ausfall der Reaktion — die sie
selbst ablas, ohne dass ich zugegen war — das Geschlecht der
untersuchten Fälle zu entscheiden.
Ich lasse nun in der nebenstehenden 1 abellc die Resultate
dieser Untersuchungen folgen.
Aus dieser Tabelle geht unzweifelhaft hervor, dass, so weit
Geschlechtsdrüsenabbau überhaupt in Frage kommt, die Ge¬
schlechtsspezifität der Ab d e r h a 1 d e n sehen Abwehrfermeute
absolut gewahrt ist. Es kam bei allen brauchbaren Versuchs¬
reihen, d. h. bei denen die Kontrollproben ein absolut negatives
Ergebnis hatten, keine einzige Fehldiagnose vor.
Was nun die Spezifität- der A b d e r h a 1 d e n sehen Ab¬
wehrfermente im eigentlichen Sinne anbetrifft, so kann ich mich
auf Grund meines sehr umfangreichen Materiales nur dafür
aussprechen. Ich hoffe in nächster Zeit dafür Beweise Bei¬
bringen zu können.
II.
ln gewissen Fällen fiel es mir auf, dass bei meinen Unter¬
suchungen Gehirnabbau positiv war, wo er eigentlich dem
klinischen Bilde nach nicht erwartet werden durfte. Stets
hatten die Patienten, von denen das Serum war, längere Zeit
hindurch Narkotika erhalten. Es lag nun die Vermutung nahe,
dass die Ursache des Gehirnabbaues die Schlafmittel wären,
zumal, wie ich schon früher nachgewiesen hatte, Chloroform
und Aether einen vorübergehenden Gehirnabbau bewirken
können. Um aber einen Beweis für diese Vermutung zu haben,
stellte ich folgende Tierversuche an:
Ich entnahm vier, etwa gleichgrossen, gesunden Hunden Bin
und untersuchte das Serum auf Abwehrfermente gegenüber Ovarien
Testes, Gehirn, Nerv und L.eber. Ich erhielt bei allen vier völlig
negatives Resultat Nun fütterte ich:
Hund I mit 3 g Brom pro die,
Hund II mit 0,15 g Opium pro die,
Hund III mit 5 g Paraldehyd pro die,
Hund IV mit 10 ccm Alkohol (96 proz.) pro die,
und zwar vermittels der Sonde und liess die Tiere beobachten, dann
sie nichts erbrächen. Die Fütterung nahm ich 8 Tage lang vor. Jet"
entnahm ich wieder Blut und untersuchte auf Abwehrfermente gegen
über den vorher erwähnten Substraten. Es zeigte sich, dass Gehirn
11. August 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1775
M. weibl. Katatonie
+ Gravidität
H. weibl.
Dementia praecox
G. männl.
Dementia praecox
K männl 26 J.
Organ. Erkrankung
R. männl. 25 J.
Mult Sklerose
W. weibl. Neurasth.
K. weibl. 25 J.
Epilepsie
W. weibl. 23 J.
Epilept. Anfälle
H. weibl. 38 J.
Mult. Sklerose
M männl. 34 J.
Epilepsie
St. männl. 37 |.
Paranoia bei kon-
stitution. Menschen
K. männl. 40 J. Kon-
»titut. Neurasthenie
A. weibl. Epilepsie
L. gesunde Wärterin
■ T. weibl. 17 J.
Hebephrenle
H. männl. Dementia
praec.u. Lungentub.
K. weibl. Zyklotnie
Sch. weibl. " Hebe-
phronie mit Defekt
‘ F. weibl. Sepsis
W. weibl. Psychose
nach Appendizitis
- L. männl. 17 J.
Dementia praecox
; St. männl.
Dementia praecox
1 Sch. männl.
Dementia praecox
* E. weibl.
Erregungszustand
1 M. weibl.
Hebephrenie
; L. weibl.
Dementia praecox
v. M. männl.
Dementia praecox
- N männl
Dementia praecox
* St. weibl 22 J.
Hysterie
* 8. weibl. 24 J.
Dementia praecox
1 F. männl.
Dementia praecox
' B. weibl. Debilität
> Sch. männl. 32 J.
ErregUngSZUStan(j
’ v. H. männl.
Traumat. Epilepsie
1 B. weibl. 25 I.
Depress. Hysterie
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Diagnose
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H. weibl. 17 J.
Hy oder Epilepsie
2
K. männl. 38 J.
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Tumor cerebri
3
P. männl. 19 J
—
+
+
+
Dementia praecox
4
A. männl. 15 J.
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Dementia praecox
5
W. weibl. Epilepsie
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6
K. männl.
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Epil. und Demenz
7
T. männl. Alkoholis¬
mus -f- Korsakolf
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8
B. männl. 17 J. Poly-
glandeuläre Psych.
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9
St. männl. 29 J.
Epilep. Status
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F. männl. 26 J Kon-
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stitut. Psychopath
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K. männl. 29 J.
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Dementia praecox
2
T. männl. 24 J.
Epilepsie
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Sch. männl. 27 J
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Epilepsie
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R. weibl. 24J. Here-
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ditäre Neurasthenie
W weibl. 22 J.
Mult Sklerose
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St. männl. 42 J
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Neurasthenie
1
R. männl. 30 J. Kon-
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(+)
stitut. Neurasthenie
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R. männl. 32 J.
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(+)
Zwangsideen
|
M. männl. 38 J.
_
+
(+)
J
Traumat. Demenz
Sch. männl. 25 J.
—
(+)
+
Dementia paranoid.
Sch. männl. 15 J.
+
~r
+
+
Inbezillität
B. männl. 61 J. Epi-
_
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-H-
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lept. Dämmerzust.
Kl. männl. 43 J.
Sklero dermie
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0. weibl. Degenera-
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tions-Psychose
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3
(+)
und Nervensubstanz bei Hund 1— III abgebaut wurden, bei Hund IV
uer mit Alkohol gefüttert war, zeigte sich kein Abbau.
Ich behalte mir noch vor, die Einwirkung der übrigen
Narkotika, wie sie in den psychiatrischen Anstalten dargereicht
werden, auf Abbauvorgänge zu untersuchen.
Ueber die Einwirkung des Hyoszin-Morphins ist bereits
anderseits berichtet worden. Bei Alkohol muss man höchst¬
wahrscheinlich grössere Mengen und längere Zeit hindurch
verabfolgen, bevor sie irgend einen schädlichen Einfluss auf
Organe auszuüben imstande sind. Auch bei meinen Unter¬
suchungen bei einfachen Alkoholikern habe ich keinen Abbau
gefunden, bei chronischen Alkoholisten wurde zuerst Leber ab¬
gebaut, Gehirn nur bei Alkoholpsychosen.
Um nun einwandfreie Resultate zu erlangen, und uns nicht
ui dei Bewertung des Lalles durch den Einfluss von Narkotika
täuschen zu lassen, hat der Chef der Klinik, Herr Geheimrat
Binswanger, die Anordnung getroffen, dass das Blut erst
dann untersucht wird, wenn die Patienten möglichst lange
mittelfrei gewesen sind.
Viele Vorwürfe und Einwände sind gerade in letzter Zeit
gegen die A b d e r h a 1 d e n sehe Methode erhoben worden
ich halte sie aber zum Teil für ungerechtfertigt. Einen Nach¬
teil könnte man der Abderhalden sehen Methode vielleicht
vorwerfen, nämlich den, dass sie eine zu feine Reaktion ist
die uns die geringsten Störungen des Organismus, die mit der
psychischen Erkrankung und den ihr vielleicht zugrunde
liegenden endokrinen Dysfunktionen nicht Zusammenhängen
anzeigt und so serologische Befunde gezeitigt hat, die mit dem
klinischen Bilde nicht in Einklang zu bringen sind.
Treten solche Nebembefunde auf, so muss man eben den
betreffenden Fall, wie es überhaupt wünschenswert, ja sogar
unerlässlich ist, mehrere Male zu verschiedenen Zeiten und in
den verschiedenen Krankheitsphasen untersuchen. Nur der
konstante Abbau eines Organs oder mehrerer Organe ist dann
für die Beurteilung des Falles massgebend.
In vielfacher Beziehung ist auch gerade, wie mein Chef,
Herr Geheimrat Binswanger, immer wieder betont, der
negative Ausfall wertvoller bei der Bewertung des Falles als
der positive. Wenn erst längere Zeit dahingegangen sein wird
und wir über grössere Untersuchungsreihen bei den verschie¬
denen psychischen Erkrankungen verfügen werden, dann
glaube ich, werden wir auch gelernt haben, richtige Schlüsse
aus den Abbauvorgängen zu ziehen, da ich die biologischen
Grundlagen hinsichtlich der Organspezifität für gesichert er¬
achte.
Aus dem bakteriologischen Institut der Universität Edinburgh
(Direktor: Prof. Dr. James R i t c h i e).
Die Verbreitung der Fett-, Lezithin- und wachsspaltenden
Fermente in den Organen.
Von A. E. P o r t e r, Carnegie Research Scholar.
Fettspaltende Fermente sind durch Löwenhart,
R ö n a u. a. in den verschiedensten Geweben gefunden!
Sie spielen hier anscheinend eine wichtige Rolle, indem sie
durch ihre reversible Wirkung das Gleichgewicht zwischen
Fettverbi auch und Fettansatz regeln. Aber auch andere
Estcrascn, so die Lczithasen und Cholesterasen, sind recht ver¬
breitet. Ihnen reihen sich, wie ich finde, die wachsspaltenden
Feimente an, d. h. die Fermente, welche die Fettsäureester
der höheren Alkohole zerlegen.
Zur Orientierung über die Verbreitung dieser verschie¬
denen esterspaltenden Fermente habe ich Glyzerinextrakte
von 36 verschiedenen Organen in der Weise bereitet, dass auf
eine gewogene Menge frischer, feingehakter Substanz zwei
Ieile Glyzerin kamen. Nach zwei Tagen wurde das trübe
( jlyzerinextrakt durch Gaze filtriert. Es erwies sich als eine
ziemlich (über Wochen hinaus) haltbare Fermentlösung. Die
benutzten neutralen Fette und Lipoide, in nicht weniger als
20 proz. Lösung in Benzol, Xylol, Alkohol oder in wässeriger
Emulsion waren folgende: 1. Butyrin, 2. Tristearin, 3. Olivenöl,
4. Rizinusöl, 5. Ovolezithin, 6. Lanolin, 7. Bienenwachs, 8. Chole¬
sterinester von Stearinsäure, nach Mair dargestellt, 9. Chole¬
sterinester von Palmitinsäure, 10. Cholesterinester von Pro¬
pionsäure. Es wurde auch Leberfett, Aether- und Alkohol-
1776
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
extrakt aus Gehirn und Aether- und Xylolextrakt von Knochen¬
mark untersucht, um zu sehen, ob Leber-, Gehirn- und
Knochenmarkfermente eine spezifische Wirkung auf das ent¬
sprechende Organfett besitzen, doch war kein solcher Einfluss
zu bemerken.
Zu 1 ccm Fettlösung wurde je 1 ccm Organextrakt gefügt,
und danach noch 0,5 ccm 5 proz. CaCb und 0,25 ccm Alkohol.
Bei schwerlöslichen Stoffen, wie Bienenwachs und die Stearin-
säureester, wurde die Lösung durch Erwärmen hergestellt.
CaCL habe ich als Aktivierungmittel auf Empfehlung von
K a n i t z verwendet. Ohne CaCU> waren die Organextrakte
fast unwirksam, auch auf Wachs. Alkohol wirkte beschleuni¬
gend, wie bereits Rosenheim und S ha w-Mackenzie
gezeigt haben, besonders auf die Glyzeride, die meistens *n
wässeriger Emulsion verwendet wurden. Nach 24 ständigem
Stehen bei Zimmertemperatur wurde mittels n/10 NaOH-Lü-
sung unter Benutzung von Phenolphthalein austitriert. Manche
von den angesetzten Mischungen wirkten langsamer als
andere, manchmal trat nach Neutralisierung neuerdings
Spaltung ein, meistens war jedoch die Wirkung bald zu Ende.
Zu den Kontrollproben wurden einerseits 1 ccm Organextrakt
mit 1 ccm Benzol oder Xylol, 0,5 ccm CaCL-Lösung und
0,25 ccm Alkohol, andererseits 1 ccm Fettlösung mit 1 ccm
Glyzerin, 0,5 ccm CaCL und 0,25 ccm Alkohol zusammen ge¬
bracht. Die Extrakte besassen immer eine geringe Azidität.
Glyzerin ist ein vorzügliches Lösungsmittel für die
Lipasen. Die Glyzerinextrakte wurden bald steril, was den
Befund von Copeman in bezug auf die bakterientötende
Wirkung des Glyzerins bestätigt. Da in Gegenwart von
Benzol, Alkohol und Glyzerin Bakterienwirkung ausgeschlossen
ist, muss die beobachtete Spaltung den Organen selbst zu¬
geschrieben werden.
Folgende Organe spalten Olivenöl: Pankreas von Ochs,
Schaf, Schwein und Mensch; Leber von Ochs, Schaf, Schwein,
Kaninchen, Meerschweinchen und Mensch; Thymus von Ochs,
Schaf und Schwein; eine geringe Spaltung wurde auch beob¬
achtet mit Lyrnphdriisen von Ochs und Schaf; Schilddrüsen von
Ochs, Schaf und Schwein; Nebennieren und Knochenmark von
Ochs; Lunge vom Schwein.
Auf Tristearin wirkten zerlegend: Pankreas von Ochs,
Schaf, Schwein und Mensch; Menschenhaut; Leber von Kanin¬
chen; Thymus von Ochs, Schaf und Schwein; Lymphdrüsen
von Ochs und Schaf; Nebennieren, Schilddrüsen und Knochen¬
mark von Ochs.
Butyrinase war reichlich vorhanden in Pankreas von
Ochs, Schaf, Schwein und Mensch; Leber von Ochs. Schaf,
Schwein, Kaninchen, Meerschweinchen und Mensch; Thymus
von Ochs, Schaf und Schwein; Menschenhaut; Lymphdrüsen
. von Ochs und Schaf; Schilddrüsen von Ochs, Schaf und
Schwein; Knochenmark von Ochs; verfettete Niere von
Mensch; sie war ferner vorhanden in Nieren von Ochs und
Schaf; Lunge von Ochs, Schaf, Schwein und Mensch; Neben¬
nieren von Ochs; Milz von Ochs, Schaf und Schwein; Hirn¬
anhang von Schaf.
Lezithase war das nach der Butyrinase am meisten ver¬
breitete und manchmal am stärksten wirkende lipolytische
Ferment. In keinem der untersuchten Organe fehlte sie.
Wenn man bedenkt, welch ein wesentlicher Bestandteil der
Zelle Lezithin ist, ist es nicht zu wundern, dass das Lezithin¬
ferment so allgemein vorkommt. Die folgenden Organe waren
besonders reich daran, Pankreas von Ochs, Schaf, Schwein
und Mensch; Leber von Ochs, Schaf, Schwein, Kaninchen
und Mensch; Gehirn von Mensch; Milz von Schwein.
Es ist mir gelungen, wachsspaltende Fermente in einer
ganzen Anzahl Organe zu finden; Pankreas von Ochs, Schaf,
Schwein und Mensch; Menschenhaut; Leber von Ochs, Schaf,
Schwein, Kaninchen und Mensch; Thymus von Ochs und
Schaf; Schilddrüsen von Ochs, Schaf und Schwein; Neben¬
nieren von Ochs; Lymphdrüsen von Ochs und Schaf; spur¬
weise auch in einer verfetteten Niere vom Menschen. In
Gehirn fand ich keine, oder nur eine sehr unsichere Spur
Wachsferment. Lorrain Smith und M a i r haben Chole¬
sterinester im Gehirn unter pathologischen Verhältnissen ge¬
funden, obgleich sie da normalerweise nicht Vorkommen. Ob
auch entsprechende Esterasen zusammen mit ihren Estern ent¬
stehen, oder sich in pathologischen Zuständen vermehren, ist
nicht bekannt. , .. 0„ f
Menschenhaut, Wegen ihrer Wirkung auf die Saurefestig-
keit der Tuberkelbazillen in Lupus, ist von besonderem Inter¬
esse. Sie zeigt sich sehr reich an Fermenten, und war daran
reicher als andere aus menschlichem Material bereitete Ex¬
trakte. Alle Cholesterinester wurden davon rasch gespalten.
Eine ausführliche Veröffentlichung meiner Versuche wird
bald an anderer Stelle erfolgen.
Herrn Professor Ritchie sage ich hiermit für seine
freundliche Anregung meinen besten Dank, wie auch Herrn
Dr. S h e n n a n für die Ueberreichung menschlichen Materials.
Herrn Professor Hofmeister möchte ich auch herzlich
danken für seine Mühe mit dieser Veröffentlichung.
Literatur.
1 Loe wen hart: Atncr. Jour, of Physiol. 1902 Vol. 6 p. 331
— 2 Rona: Biochem. Zschr. 32. 1911. S. 482—488. — 3. Rona:
Zbl f Phys 25. 1911. S. 765—766. — 4. M ai r: Jour. Path. and Bad.
1913 Vol. 18, p. 185. — 5. Kanitz: Zschr. f. phys. Chem. 46 1905.
S 482. — 6. Rosenheim und Shaw-Mackenzie 1910 Proc.
Roy "Soc. Feb. — 7. Copeman: J. Path. and Bact. Vol. 2, p. 407.
- - 8 Lorrain Smith and M a i r, zitiert nach M a i r.
Zur Technik der gynäkologischen Röntgentherapie.
Der Kompressor, ein Instrument für systematische Aus¬
nützung der Verschieblichkeit der Bauchhaut.
Von Dr. D e m e t r i u s C h i 1 a i d i t i in Konstantinopel (Pcra).
Die Tatsache, dass bei Verschiebung der Haut über einem
zu bestrahlenden Gewebe letzteres mehrmals bestrahlt werden
kann und zwar jedesmal von einer anderen verschobenen Haut¬
stelle aus, wird in der gynäkologischen Röntgentherapie bei Be¬
strahlung durch die Bauchhaut hindurch, so weit mir bekannt,
rieht genügend ausgenützt. Durch rationelle und systematische
Verschiebung — durchschnittlich um 10cm bei der Bauchhaut— ,
kann, wie ich nachgewiesen habe1), etwa doppelt so viel
Bauchhaut wie früher erfolgreich zur Verwendung kommen.
Es ist daher bedauernswert, dass in der Literatur so wenig
darüber zu finden ist. Ich konnte diesbezüglich nur einen
Artikel D o h a n s a) ausfindig machen, der mit Hinweis auf die
Verschieblichkeit der Bauchhaut und ihre Bedeutung für die
gynäkologische Röntgentherapie sich mit der Ausführung
der Frage näher beschäftigt.
Um die Haut in der gewünschten Lage zu fixieren, benutzt
D o h a n Heftpflasterstreifen, die mit einem Ende auf die Haut
geklebt, mit dem anderen Ende am Bettrand oder sonstwo
gespannt fixiert, oder mit Sandsäcken u. dergl. belastet werden.
Statt durch Heftpflasterstreifcn kann die verschobene Haut,
schreibt Autor ferner, auch mittels Kompressionsblende und
event. dazugehörigen Ansätzen fixiert werden.
Auch ich habe ursprünglich die Verschiebung und Fixierung
der Bauchhaut durch Heftpflasterstreifen versucht, bin abei
bald davon abgekommen. Das Heftpflaster löst sich häufig
während des Betriebes von der Haut ab, andererseits ist of
der Zug des Heftpflasters, sowie das Lösen desselben, be¬
sonders bei behaarter Bauchhaut, schmerzhaft; auch ist du
Verziehungsmöglichkeit beschränkt, kranial- und kaudalwärt'
ist sie ohne besondere, komplizierte Vorkehrungen so gut wi<
unmöglich. Ausserdem muss daneben zwecks Kompressioi
eine Blende oder ein analoges Instrument verwendet werden
da ia mit den Heftpflastern an und für sich nicht komprimier
werden kann. J
Die Verschiebung und Fixierung der Bauchhaut durcl
Kompressionsblenden, mit und ohne Ansatzstücken
die ich daraufhin versuchte, habe ich gleichfalls bald am
gegeben. Dies aus folgenden Gründen:
• J) Chilaiditis: Queis sont les points les plus importants d
la radiotherapie profonde? Bull. med. de Constanlinople; 1912 Nr.
2) Kongressbericht der D. R.-Q. 7. 1911. S. 176 — -177. Aue;
Q a u s s und Lembcke erwähnen in ihrer Monographie (..Röntgen
tiefentherapie“, Urban & Schwarzenberg. Berlin-Wien 191-
dass sie die Bauchhaut bei der Bestrahlung verschieben und erläutcr
den Nutzen der Hautverschiebung durch instruktive Zeichnungen. Ai
das „Wie“ gehen sie allerdings nicht näher ein.
1 l. August 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1777
1. Gerade bei verschobener Haut, bei der durch die Verziehung
oit die verscluedenst geformten Felder entstehen, ist es notwendig, um
nicht Krossere Stellen der Bauchhaut unbenutzt zu lassen oder ander¬
seits wieder um nicht kleine Segmente ev. zweimal hintereinander
zu bestrahlen, eine ziemlich grosse Anzahl von Ansatzstücken ver¬
schiedener rorm und Grosse für die Kompressionsblende zur Ver-
tugung zu haben, hin Umstand, der sicherlich nicht zur Vereinfachung
des Betriebes beitragt, abgesehen davon, dass es bei einer grossen
Anzahl von Ansatzstücken schwer fällt, das am besten Passende
schnell herauszufinden.
... Hei Benützung der üblichen Kompressionsblenden ist man ge¬
wöhnlich an eine bestimmte Fokus-Haut-Distanz gebunden, die neben¬
bei gesagt, meist nicht unbeträchtlich ist. Die Bestrahlungsmöglich-
ceiten sind dadurch eingeengt, der Betrieb wegen der grossen Fokus-
lautdistanz oft unökonomisch, der Bestrahlungskegel kleinblasig in-
olgedessen die Wahrscheinlichkeit, die in der Tiefe gelegenen’ zu
bestrahlenden Organe innerhalb des Bestrahlungskegels zu haben
erringert.
d>, vv eiterer störender Punkt, der sich, wenigstens bei den mir
ur Verfügung stehenden Kompressionssystemen, geltend machte
lestand darin, dass mit der Blende der schwere Schutzmantel der
<Johre eng verbunden war. Dadurch war das System als genau
inzustellendes Instrument unhandlich, weil zu schwer, feinere Ab-
itufungen unmöglich. Die Grösse des ausgeübten Druckes war
chwer zu kontrollieren, die wegen der Schwere des Apparates oft
nyermeidlichen brüsken Bewegungen störend. Ausserdem waren
leist mehrere Hände zum genauen Einstellen notwendig und trotz
Hedem eine Verschiebung der Hautränder während des Fixierens
tt nicht zu umgehen. Nach Plazierung der Kompressionsblende war
ie Kontrolle, ob genau auf die markierten Ränder des zu bestrahlen-
en beides eingestellt war, erschwert, da die Ansatzstücke, ausser
eiui sie aus durchsichtigem Material angefertigt wären, die mar¬
terten Limen verdecken können. Falls man, um das letztere zu
ermeiden, das Ansatzstück entsprechend kleiner wählt, um es i n -
erhalb der Grenzlinien aufzusetzen, so wird wiederum viel Haut
nbestrahlt gelassen.
Diese Umstände veranlassten mich im Jahre 1911, ein für
teine Zwecke geeignetes Kompressorium anzugeben, welches
iir von den ,,\ eifa-Werken Frankfurt a. M.-Wien angefertigt
mrde.
Ein Darmsaitengeflecht in Form und Grösse eines ge-
öhnlichen Tennisschlägers, ist an einer vernickelten Stange
us Mannesmannrohr von etwa 70 cm Länge befestigt und das
anze an einem Stativ (ich benutze hiezu ein gewöhnliches
ompressionsblendenstativ) derart nach allen Richtungen dreh-
ar, dass der Tennisschläger hebelartig auf die Bauchhaut
edrückt und letztere in beliebig verschobener Lage festge-
dten werden kann. Ein zweites durch einen Griff zu fixieren-
-s Gelenk am Halse des Tennisschlägers gestattet weitere
ewegungen desselben am Halse quer zur Längsachse.
Dieses erste Modell, über welches ich anderwärts geschrieben
be-j, gestattete mir, kurz gesagt:
1. Mit der Röhre so nahe als man will, an die Haut heranzu¬
cken.
2. Die Grösse und Form des zu bestrahlenden Feldes nach Be-
'rt zu wählen. Die Formveränderung, die daher ein z. B. ursprüng-
.i rechteckiges Feld’ durch die Verziehung der Haut erleidet (es ist
1 ispielsweise ein unregelmässiges Rhomboid daraus geworden) hat
.keine Bedeutung, da ja das Feld durch einfaches Auflegen
ir bchutzstoffe auf den Kompressor in beliebiger Grösse und Form
i bildet werden kann.
3. Gut zu komprimieren und hiemit gleichzeitig die Haut einiger-
ussen zu desensibilisieren.
4. Auf Grund des breitmaschigen Gitterwerkes nicht nur diTTe-
genen Grenzlinien auf der Haut unter dem Kompressor zu sehen,
•Klern solche durch letzteren hindurch einzuzeichnen und sie jeder-
' t, ohne den Kompressor irgendwie zu verrücken, zu kontrollieren.
5. Der Kompressor ist leicht und sicher zu handhaben, der
ai*sgeübte Druck gut zu bemessen und abzustufen. Dieser
uck wird für gewöhnlich nicht unangenehm empfunden.
Im konkreten Falle (es würde sich z. B. darum handeln, die
arialgegend durch eine normalerweise weit davon entfernt liegende
utstelle hindurch zu bestrahlen) gehe ich so vor. Nach genauer
grenzung des zu bestrahlenden Feldes mittels Tinten- oder Haut-
tes, wird die Haut soweit als möglich manuell gegen die Ovarial-
1’®*! verschoben und in dieser Lage durch den Kompressor
. .. allrch das Gitterwerk hindurch sichtbaren Grenzlinien
' le d*e übrigen den Strahlen ausgesetzten Körperteile werden mit
• ^ L h i 1 a i d i t i s: Sur une nouvelle teclmique de radiotherapie
onae, s appliquant en Premier lieu ä la radiotherapie des fibro-
omes uterins. Presentation d’un appareil compresseur (depla-
'-urj pour la radiotherapie profonde. Soc. Imp. de Med. de
ii.l a 3 n 0 p ^ c’ Oktober 1912. — Sur ma teclmique radiothera-
des fibromyomes uterins. Presentation d’un appareil compres-
r ad hoc. Soc. de Rad. med. de France, Mai 1913.
Nr. 32.
Schutzstoff abgedeckt, das (mit Tuch oder Leder armierte 3 mm
befhidetA HInHTfllter W‘[d dem KomPressor einfach aufgelegt (es
efindet sich dabei immerhin in einer Entfernung von ungefähr 3 cm
\on der Haut), die Röhre wird ohne Schutzmantel betätigt, daher
Ä^-U,brgen Korperteile durch dichte Kautschuckstoffe ge-
Ä (Bleiglasfenster vor dem Gesicht). Die peinlichste Befolgung
ist wo“f 1ÄmZlchUtZ der am AoParat tan,iercnden P«“"
dreiiähwtll vftC M?del1 des. Kompressors hat sich während einer
jährigen Verwendung bewährt. Ein Umstand machte sich iedoch
c,nnansk;eä?kerne,bLme,rkbr: Lnfo1*?, der ürösse des Kompressors wS
n stärkeres Eindrücken desselben an einer bestimmten Stelle des
Seren fS mPg!Ich' D.ieseur Nachteil machte sich besonders bei
Frauen..bei soast Ieicht eindrückbaren Bauchdecken geltend
K.habe aus diesem Grunde bei den Veifa-Werken ein kleineres
14 xe nemier 'efl (D.urchmesser des rakettartigen Ovals
4.x 10 em) welches sich tief ins Abdomen eindrücken lässt ohne
störend empfunden zu werden (siehe Abb 1). Das Darmsaitenwerk
st uiesrnai am unteren Rand des Holzrahmens ausgespannt und nicht
wie früher in der Mitte des Rahmens, wodurch eine bessere Fi¬
xierung und Kompression der Haut bewerkstelligt werden soll Da
dieser Kompressor tief in den Bauch gedrückt werden kann, wobei
die umgebende Haut oft wallartig vorspringt, können die Schutzstoffe
wegen der Unebenheit des Terrains oft nicht auf den neuen Korn-
piessor gelegt werden. Es ist daher manchmal vorzuziehen, immer
vorausgesetzt, dass man mit nackter Röhre zu arbeiten gewohnt ist
die Schutzstoffe zwischen Haut und Kompressor zu plazieren. Am besten
benutzt man wohl zu diesem Zwecke verschieden geformte Aus-
schmtte aus metallhaltigem, genügend dickem Kautschuk. Man kann
natürlich das Schutzmaterial in geeigneter Form auch oberhalb des
Kompressors plazieren, doch ist dann die genaue Begrenzung des
Bestrahlungsfeldes schwieriger, da das Schutzmaterial sich in einer
gewissen Entfernung von der Haut befindet. Das armierte Aluminium-
filter wird wie früher einfach aufgelegt.
Was die sonstige I echnik anbelangt, hält sie gegenwärtig
nach verschiedenen Schwankungen die Mitte zwischen der
Alber s - Schönberg sehen und der Freiburger Technik,
jedoch mit stärkerei Anlehnung an letztere. Kurz zusammen¬
gefasst: 3 mm Aluminiumfilter mit 5 mm Leder hinterlegt
16—18 cm Fokus-Hautabstand, 8—12 Felder abdominal, event’
4—6 Felder dorsal, 5—10 H pro Stelle und monatlichem Zyklus,
in Ausnahmefällen mehr. Hautschädigungen wurden hiebei
niemals beobachtet. Sistieren der Menorrhagien durchschnitt¬
lich nach 2 Zyklen (darauf gewöhnlich noch 1 — 2 prophylak¬
tische Zyklen). Unter den 30 Myomfällen der letzten 3 Jahre,
bei denen die Verschieblichkeit der Bauchhaut systematisch
auf obige Weise ausgenützt wurde, befindet sich kein Ver¬
sager. Hiebei ist zu erwähnen, dass auch manche Myome
behandelt werden mussten, bei denen die Röntgentherapie für
gewöhnlich als schwierig, ja mitunter als kontraindiziert ab¬
gelehnt wird. Unter ihnen befinden sich zwei submuköse
Myome, ein gut handbreit über den Nabel reichendes Myom,
ferner 6 Myome, deren Trägerinnen unter 35 Jahre alt waren!
>„ts ist auch möglich, die Haut mittels des Kompressors, statt
manuell, in die gewünschte Lage zu bringen, die Grenzlinien können
auch nachträglich, i. e. durch den Kompressor hindurch eingezeichnet
werden.
2
1778
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT,
Nr. 32.
Das Jonometer und seine Verwendung in der
Röntgendosimetrie.
Von Dozent Dr. H. Greinacher in Zürich.
Das Ionometer ist ein Instrument, das die Intensität der
Luftionisierung direkt abzulesen erlaubt und damit ohne
weiteres zur Messung von Radium- und Rontgenstrahlen se-
eignet ist. Nachdem der Apparat seinerzeit in seiner Aus¬
führungsform zur Messung von Radium und Radiumemanation
beschrieben worden ist ')> möge heute über seine Ausgestaltung j
als Röntgendosimeter berichtet werden.
Was das Konstruktionsprinzip anbetrifft, so lehnt sich dasselbe
a„ die Bronsonschc Anordnung zur Messung von Iomsierungs-
strömen an. Es dürfte daher am Platze sein, zunächst die Bron-
son sehe „Methode der konstanten Ausschlage kurz zu skizzieren.
Will man hiernach etwa die Leitfähigkeit der Luft zwischen den
Platten Pi P2 bestimmen, wenn dieselbe z. B. mit Radium bestrahlt
wird, so stellt man nach Bronson die ,in F,g’ SVnl t ^f^t/seien
tUng her B bedeutet eine Batterie von einigen 100 Volt, üü seien
die Quadranten eines empfindlichen Quadrantelektrometers. W sei
ein sehr grosser Widerstand. Bei dieser Anordnung fliesst zwischen
Pi P2 und durch W derselbe Strom. Man misst nun am Elektro¬
meter den Spannungsabfall am Widerstand W Sei diese Potential¬
differenz V, so ist der gesuchte Strom gegeben durch J = V W.
Sofern also W. eine Konstante ist, ist J einfach V, d h. dem Elektro-
meterausschlag proportional. Um einen genügend hohen Wider¬
stand W zu haben, verwendet Bronson einen sog. Luftwiderstand,
d h 2 Platten, zwischen denen die Luft durch eine konstant radio¬
aktive Substanz leitend gemacht ist. Ein solcher Widerstand folgt
aber dem Ohm sehen Gesetz nur, so lange kleine Potentialdifferenzen
an ihm liegen. Nur in diesem Falle ist dann auch der zu messende
Strom J proportional V. Man war also darauf angewiesen, ein
0 +
a a
— LwwwO —
ß
W
Fig. 3.
Fig. 1.
W
M — p^VVVWMV— ||l|l|l|l|l| —
sprechenden Ausschlag. Wird jetzt die Luft um Z herum etwa durch
P idiu.n ionisiert, so fliesst ein Ionisierungsstrom von Z nach der
Umgebung Sw. dem Gehäuse. Im selben Masse, wie damit das
Potential des Systems sinkt, entsteht nun aber zwischen Pi und Ps
eine Potentialdifferenz, die nun ihrerseits Anlass zu einem Strom
von P2 nach Pi gibt. Das Potential des Systems sinkt nun so weit,
b°s ein Gleichgewichtszustand erreicht ist der dadurch gekennzeichnet
ist dass der von Z ausgehende Strom gleich ist dem Strom >m Luft-
widerstand L. Man erhält daher eine neue Einstellung im Elektro¬
meter E; und zwar gehen die Blättchen umso naher zusammen, je
stärker der lonisierungsstrom ist. . , , .
starker u Zerstreuungsstiftes Z kann auch eine besondere Ioni¬
sierungskammer aufgesetzt werden. Die Gleichstromquelle wird ge¬
liefert entweder durch eine besondere I rockenbatterie von 220 Volt
öder dweh ein Gleichstromnetz von derselben Spannung. Falls nur
ein Gleichstromnetz von 110 Volt vorhanden tst, so kann dasselbe!
,n Verbindung mit einer Trockenbatterie von 110 Volt verwendet
werden Neuerdings ist es mir gelungen auch dendirdrten AnscWuss
des Ionometers an ein Wechselstromnetz von 100— 220 Volt zu er-
chen Hierzu bedarf es eines besonderen Wechselstromgleich-
S ers Ohne auf das Prinzip dieses kleinen Hilfsapparates nahe,
einzugehen, sei es gestattet, hier wenigstens eine Abbildung desselben
zu bringen (Fig. 4).
Verwendung als Röntgendosimeter.
Um die Röntgendosis zu bestimmen, sind im wesentlichen 3 Fak
toren anzugeben: 1. die Intensität, 2. die Harte und 3. die Bestrahl
uiigszeit Um diese drei Grössen zu bestimmen, oder auch d.rcK
die aus ihnen sich zusammensetzendc Gesamtdosis abzuleiten, sim
die verschiedenartigsten Verfahren angegeben worden Leider s.m
dieselben bisher fast alle durchaus unzulänglich geblieben. Wissen
schaftlich und technisch brauchbare Apparate existieren eigentlich m.
für die Bestimmung der mittleren Strahlenhärte, hur die Angabe
Strahlenintensität existiert jedoch noch kein wissenschaftliches Mass
Genaue Messungen waren eigentlich nur durch Bestimmung der Luf
Ssierung zu erwarten. Das Prinzip konnte aber bisher keine
Eingang in die Praxis finden, da die Technik der Iomsierungsmessun
noch zu umständlich war.
*
Fig. 2.
PL
L
-X J
ß
Fig. 4.
empfindliches Quadrantelektrometer, dessen Nadel überdies durch eine
besondere Batterie geladen werden muss, zu verwenden. So be¬
quem die Methode ist, so war man doch durch die keineswegs
ganz einfache Apparatur auf die Verwendung im Laboratorium be-
schränkt
Ich habe nun versucht, die Anordnung in dem Sinne umzuändern,
dass man einen einfachen und bequemen Messapparat besitzt, der
überdies an jedem Ort und ohne Mühe aufzustellen ist. Die Umände¬
rung besteht, wie Fig. 2 schematisch zeigt, in der Hauptsache darin,
dass das Elektrometer nicht dem Luftwiderstand W, sondern der
lonisierungskammer K parallel geschaltet wird. Der Hauptvorteil
dieser Anordnung besteht darin, dass man nun grosse Potential-
differenzen zu messen hat, und somit ein wenig empfindliches Mess¬
gerät E verwenden kann. Auch auf die Bedingung, dass W dem
O h in sehen Gesetz folgen soll, kann hier verzichtet werden, da
das Instrument doch ein für allemal geeicht wird.
Eine genauere Vorstellung von der Anordnung des Ionometers
(Ausführungsform zur Messung von Radium und Radiumemanation)
gibt Fig. 3. In einem Metallgehäuse G befindet sich der Luftwider¬
stand L, bestehend aus den beiden Platten Pi P2. Letztere sind auf
der einander zugewandten Seite mit dem konstant aktiven UaUs über¬
zogen Um die Luftionisierung auf den Zwischenraum zu beschranken,
ist die Platte P2 mit einem Metallring R versehen. Die Platte P2
ist in Verbindung mit einer Gleichstromquelle, deren anderer Pol
mit dem Gehäuse verbunden ist. Die Platte Pi ist andererseits mit
dem Blättchenelektroskop E und einem Zerstreuungsstift Z verbunden.
Dieses ganze System ist durch Ebonit vorzüglich isoliert. Zieht man
die Schutzplatten S auseinander, so ladet sich dieses System ohne
w eiteres durch den Luftwiderstand L auf das Potential der Platte P2
auf Das Elektroskop zeigt jetzt einen der Batteriespannung B ent-
>) Radium in Biologie und Heilkunde, 2. 137. 1913.
Mittels des Ionometers ist es nun möglich, in einfachster Wei
auf Grund von lonisierungsmessungen nicht nur die Harte, sonue
auch die Intensität der Röntgenstrahlen an beliebigen Stellen,
messen, und besitzt man damit in Verbindung mit einem Zeitmess
alle wichtigen Grössen, um eine wissenschaftlich exakte Rontgenoo
metrie durchzuführen. „A„ h
Um die Messung schnell und bequem durchfuhren zu können, <
der ursprüngliche Apparat einige kleine Aenderungen erfahren, u
Ionometer, welches zur Messung von schwachen Ionisierungen tK
dium, Radiumemanation) gebaut wird, besitzt für die Zwecke a
Röntgendosimetrie eine zu geringe Einstellungsgeschwindigkeit. 1
der Gleichgewichtszustand und damit das Elektroskopblattcnen -
eingestellt haben, vergeht Va— 1 Minute. Da dieEinstellungsgeschwincii
keit ausser von der elektrostatischen Kapazität des Elektrometers
stems noch von der Grösse des Luftwiderstandes abhängt, so kann m
sie also durch diese Faktoren leicht verändern. Insbesondere kannm
den Luftwiderstand ohne weiteres kleiner wählen, wenn inan es 1
der Messung starker lonisierungsströme (Röntgenstrahlen) zu tun n
Dies kann erreicht werden durch Verwendung einer Radiumbelegi:
auf den Platten Pi P2 bzw. durch Verwendung der in neuerer /
aufkonnnenden Xylolalkoholwiderständen. Um ein bequemes f
lesen am Apparat zu ermöglichen, ist überdies ein Zeigerelcktrome
vorgesehen.
Da das Modell für den fertigen Röntgenstrahlenmesser geg
wärtig noch nicht definitiv fixiert ist, so sei, um eine vorstein
von dem Apparat zu geben, das ursprüngliche Probemodell wieu
gegeben (Fig. 5). Auf einem Holzsockel, der zur Aufnahme
Trockenbatterie bzw. des Wcchselstromgleichrichters dient, bmn
sich der Reihe nach montiert der zylindrisch gestaltete Lunwie
stand und das viereckige Elektroskopgehäuse. Auf das Elektron
das hier nur einen Zeiger besitzt, ist ein sog. Zerstreuungsstjtt a
gesteckt. Statt dieses Zerstreuungsstiftes wird nun zur Röntg
11. August 1914
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1770
strahlenmessunK ein Zusatzapparat aufgeschraubt (Fig. 6). Dieser
besteht einesteils aus einer lonisierungskammcr K, andernteils aus
einer isolierten Zuleitung D, die sich in einem biegsamen Metall¬
schlauch S befindet. Eine kleine Ausführungsform dieser Ionisierungs¬
kammer mit Metallschlauch zeigt Fig. 7. Die zu messenden Strahlen
werden durch die verstellbare Blende B (Irisblende oder Schiebe¬
blende) in die Ionisierungskammer K eingelassen. Eine dünne Alu¬
miniumfolie F (0,01 mm) einerseits, und die Auffängerplatte P an¬
dererseits begrenzen den Ionisierungsraum. Vermittels des Hebels H
kann die Oeffnung der Blende und das einfallende Strahlenbündel in
messbarer Weise verändert werden. Während das Blendenmaterial
aus dem praktisch undurchlässigen Blei besteht, wird für die Wan¬
dung des Ionisierungsraumes, insbesondere für die Platte P Aluminium
verwendet, um die Entstehung von Sekundärstrahlen möglichst zu
verhindern. Ein Al-Plättchen Al von 1 mm Dicke kann vor die
Blende geschoben werden, um die Härte der Strahlen zu bestimmen.
Hier sei nun in Kürze die Methode beschrieben, die eine gleich¬
zeitige Bestimmung von Härte und Intensität am Apparat ermöglicht.
Am Elektrometer bedeutet etwa Ao (Fig. 8) die Einstellung des
Zeigers, falls kein Ionisierungsstrom vorhanden ist. A bedeutet ferner
eine zweite beliebige Marke, die einem bestimmten, aber im Uebrigen
willkürlichen Ionisierungsstrom entspricht. Man kann es nun immer
so einrichten durch Regulierung der Blendenöffnung B, dass gerade
ein Ionisierungsstrom von dieser Grösse in der Ionisierungskammer K
fliesst. Praktisch reguliert man die Oeffnung B also derart, dass
das Ionometer auf die Marke A einsteht. Es verhalten sich dann
die Strahlenintensitäten offenbar direkt umgekehrt proportional der
Blendenöffnung. Man kann also an der Hebelführung H direkt eine
Teilung anbringen, welche die Intensitäten anzeigt. Um nun auch die
zugehörige Strahlenhärte zu bestimmen, schiebt man das Al-Plätt-
chen Al vor die Blende. Je stärker die Strahlen im Al absorbiert
werden, um so mehr wird der Ionisierungsstrom geschwächt, um so
mehr rückt also die Zeigerstellung des Ionometers gegen die Null¬
stellung Ao. Man wird somit das Intervall zwischen A und Ao direkt
in Härtegrade einteilen können.
Die Manipulationen zur Feststellung von Intensität und Härte be¬
stehen also kurz in folgendem:
1. Einstellung am Hebel H auf die Marke A: Intensitätsablesung
am Hebel.
2. Vorschieben des Aluminiumplättchens Al: Ablesung der Härte
am Elektrometer.
Was die Wahl der Masseinheiten betrifft, so wird man sich be¬
züglich der Härtebestimmung zweckmässig der jetzt gebräuchlichen
Angabe von Halbierungsdicken anschliessen. Schon früher hat man
sich bei rein physikalischen Messungen mit Vorteil der sogen. Halb¬
wertschichten bedient, wobei man als Vergleichsmaterial bei durch¬
dringenden Strahlen (y-Strahlen) das Blei und bei weniger durch¬
dringenden Strahlen (j9-Strahlen, Röntgenstrahlen) das Aluminium
verwendete. Unter der allgemein gültigen Voraussetzung, dass die
Strahlenabsorption demJExponentialgesetz J = Joe- kd folgt, lässt sich
wenn gewünscht, jederzeit aus der Halbierungsdicke D der Absorp-
tonskoeffizient k nach der^Formel k = ()^)9- berechnen. Die Angabe
der Halbierungsdicke ist daher tasächlich nicht nur anschaulich, son¬
dern auch wissenschaftlich korrekt.
Etwas schwieriger dürfte die Festsetzung der Einheit für die In¬
tensitätsangabe sein. Als wissenschaftliches Mass empfiehlt sich hier
vor allem die Intensität des Ionisierungsstromes (Sättigungsstrom) in
absoluten Einheiten. Wenn man z. B. den Sättigungsstrom, den man
m 1 Liter Luft bei 760 mm Druck und 20° C erhält, in elektrostatischen
Stromeinheiten angibt, so hätte man ein wissenschaftlich einwand¬
freies Mass für die Intensität. Zugleich würde man damit Zahlen¬
angaben von kuranter Grösse erhalten. Dieselben Zahlen würde man
auch bekommen, falls man den Strom in 1 ccm und in Mache-
Einheiten angeben würde. Letztere sind bekanntlich 1000 mal kleiner
als die elektrostatischen Einheiten. Hat man nun den Ionisierungs-
ström bei irgend einem anderen Barometerdruck und einer anderen
Iemperatur gemessen, so Hesse sich der Strom ebenfalls ohne wei¬
teres aut die Normalverhältnisse (760 mm und 20 u C) umrechncii
Statt den hierfür gültigen Umrechnungsfaktor — ^ 0,00367
(p == Druck, t = Temperatur) zu verwenden, könnte dieser bequem
| auch aus einer Tabelle entnommen werden. In der Praxis wird es
sogar meist ausreichend sein, einfach die gemessenen Ströme an¬
zugeben, da bei der relativ geringen Schwankung der Druck- und
I emperaturverhältnisse der Korrektionsfaktor zu vernachlässigen ist.
Das Röntgendosimeter kann in der Weise geeicht werden, dass
man den Ionisierungsstrom, welcher der Marke A entspricht, mittels
irgendeiner anderen Messanordnung in absoluten Einheiten misst Es
seien hierfür z. B. 0,002 elektrostatische Einheiten gefunden. Die
I eilung am Hebel H kann nun auf Grund dieser einen Messung ohne
weiteres ausgeführt werden. Stellt man H z. B. so, dass die Blen¬
denöffnung 1 qcm beträgt, und ist die Tiefe der Ionisierungskammer
1 cm, so ist dann der bestrahlte Raum 1 ccm. Wenn nun in diesem
Kubikzentimeter ein Strom von 0,002 absoluten Einheiten fliesst, so
steht der Elektrometerzeiger auf der Marke A. Dieser Hebelstell’ung
entspricht also eine StrahlenintensPät von 1000 X 0,002 = 2 abso¬
luten Einheiten (auf 1 Liter Luft bezogen). Für die Hebelstellung,
die einer Blendenöffnung von 2, 3, 4 etc. qcm entspricht, haben wir
dann entsprechend die Intensitätswerte 1, -’/s, 14 etc.
Die Härteeinteilung kann man mit Hilfe der Irisblende ausführen.
Zu diesem Zweck lässt man Röntgenstrahlen verschiedener Härte auf¬
fallen und macht für jede einzelne Strahlenqualität folgende Messung
Man reguliert den Hebel H bei weggeschobenem Al-Plättchen so
ein, dass der Zeiger auf der Marke A steht. Die betreffende Blenden¬
öffnung betrage q Quadratzentimeter. Nun schiebt man das absor¬
bierende Al-Plättchen vor, wodurch zunächst der Ionisierungsstrom
abnimmt. Nachdem man die entsprechende Einstellung am Elektro¬
meter beobachtet hat, bringt man den Ionisierungsstrom nun wieder
auf die frühere Höhe, d. h. man stellt wieder auf die Marke A ein, in¬
dem man am Hebel H die Blende entsprechend vergrössert. Die
Blendenöffnung sei jetzt q’ Quadratzentimeter. Man weiss damit, dass
der Ionisierungsstrom durch das 1 mm dicke Al-Plättchen im Verhält¬
nis q/q geschwächt wurde. Unter Verwendung der schon erwähnten
Exponentialformel J/Jo/[= q/q' = e-kd kann nun der JAbsorptions-
koeffizient k bzw. die Halbierungsdicke D ohne weiteres berechnet
werden. Es versteht sich von selbst, dass die Härteeichung auch
direkt ausgeführt werden kann, wenn ein brauchbarer Härtemesser
zur Verfügung steht.
Zu beachten bleibt, dass Härtemessungen auch ohne Intensitäts¬
angaben eine Bedeutung zukommt, wenn man auch im allgemeinen
nur von einer mittleren Strahlenhärte sprechen darf. Intensitäts¬
messungen können andererseits nur im Verein mit Härteangaben
irgendwelchen Wert beanspruchen.
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass die fabrikationsmässige
Herstellung des Röntgendosimeters von der Siemens & Halske-
A.G. (Berlin) übernommen worden ist.
Ein kleiner Vorteil beim Durchleuchten mit Röntgen¬
strahlen.
Von Richard Qeigel.
Jeder, der mit Röntgenstrahlen diagnostisch arbeitet,
weiss, dass für Beobachtungen am Leuchtschirm ein aus¬
geruhtes Auge unerlässliche Bedingung ist. Man pflegt sie
durch längeres Verweilen im verdunkelten Zimmer zu erfüllen.
Eiir zeitweilige Erhellung dient eine Glühlampe, mit einfachem
Kohlenfaden aus zwei Gründen. Erstens wird das Induktorium
durch Kraftstrom getrieben und dabei ist nur die Mitver¬
wendung einer Glühlampe von 10 N.-K. gestattet und zweitens
wünscht man gar kein helleres Licht, weil das dunkeladaptierte
Auge nicht immer wieder neu geblendet werden soll. Es wird
es aber doch häufig in störender Weise. Beim Regulieren der
Stromstärke, beim Verschieben der Röhre, Verstellen des
Patienten, Einschalten einer Blende usw. stört die unumgäng¬
liche Erhellung des Zimmers die nachfolgende genaue Beob¬
achtung. Nachdem meine Glühbirne einmal zufällig zugrunde
gegangen ist, habe ich sie durch eine mit rotem Glas, wie sie
beim Photographieren Verwendung findet, ersetzt. Durch das
2*
1780
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
rote Cilas werden gerade die Strahlen aüsgeschaltet, die am
Röntgenschirm aufleuchten, und die Empfindlichkeit des Auges
für diese bleibt erhalten. Ich habe mit einem schonen Stein -
heil sehen Spektroskop ä vue directe, das mir vor fast
40 Jahren schon mein guter Vater geschenkt hat, das Licht
meiner 2 Schirme und das der roten Glühbirne untersucht und
folgende Resultate erhalten. Bei weitem Spalt erhalt man am
Ba Pt.-Zyanürschirm ein Spektrum, das links von E beginnt
und bis zur F r a u n h o f e r sehen Linie F sich erstreckt etwa
zwischen X = 560 w und X = 466 nn liegend. Das Spektrum
am Astralschirm meines Orthodiagraphen erstreckt sich gegen
den brechbaren Teil etwa bis X = 492, beginnt aber gegen
den weniger brechbaren schon etwas früher, etwa bei
X = 553 /j ju. Die roten und die rotgelben Strahlen fehlen bei
beiden Schirmen. Dagegen gibt die rote Glühbirne ein Spek¬
trum, das fast am äussersten Rot, etwa bei A beginnt und
etwa bei der D-Linie endet. Der helleuchtende Teil er¬
streckt sich etwa von der Wellenlänge X — 660 bis X — 586 ufi
Dann kommt ein intensiv schwarzer, breiter Absorptionsstreif
im Grün von X — 586 w bis X = 482 fift (nahe bei E). Er bedeckt
also fast genau den Teil, der an den Schirmen leuchtet,
und was von da an etwa bis X = 470 (über F hinaus) an
kurzwelligen Strahlen wieder zu sehen ist, erscheint nur bei
weitem Spalt und schwach leuchtend. Genaueres könnte man
natürlich nur nach Untersuchung mit Doppelspalt sagen, ich
habe aber keinen. , , „ „ ,
Das Glas meiner Glühbirne ist von dem hellen Rot, wie
man es bei Entwicklung und Fixierung von photographischen
Platten nur kurz verwenden kann, ihr Licht erleuchtet das
Zimmer hinlänglich, um alle Vorbereitungen zur Durchleuchtung
und alle Korrekturen während derselben vornehmen zu können
und dabei wird das Auge gegen den Lichteindruck vom Leucht¬
schirm nicht abgestumpft. Ich empfinde ciie Verwendung des
roten Lichtes zu diesem Zwecke geradezu als eine Wohltat;
Zeit wird gespart, die Beobachtung leichter und genauer. Mit
Hilfe des Spektroskopes wäre es natürlich ein leichtes, eine
Farbe, vielleicht Orange, auszusuchen, die noch vollkommener
alle vom Leuchtschirm kommenden Strahlen auslöscht bei
grosser Helligkeit in den anderen Teilen des Spektrums. Ich
bin aber mit meinem Hellrot vorläufig ganz zufrieden und
wenig geneigt, auf unnötige Versuche, die jeder ohne jeden
Geist anstellen kann, noch einen roten Heller zu verwenden.
Aus dem städtischen Kinderhospital in Köln
(Direktor: Geheimrat Siege r t).
Taenia saginata beim Säugling.
Von K. Grimm, dirig. Arzt.
Wenn die Diagnose Bandwurm beim jungen Kinde ge¬
sichert ist, dann treten wir an die Therapie meist wohl mit
einem gewissen Bedenken heran; denn wir wissen, dass die
wirksamen Mittel für das Kind teils durchaus nicht harmloser
Natur sind, grösstenteils aber die Einnahme des Mittels vorn
Kinde überhaupt verweigert und wenn es wirklich genommen,
später dann häufig wieder erbrochen wird. Diese Erwägung
ist für manche bestimmend, von einer Kur vor dem 3. Lebens¬
jahre von vornherein Abstand zu nehmen, zumal ja eine Taenia
nicht selten gar keine besonderen Erscheinungen verursacht.
Allzu oft aber kommt der Arzt nicht in die Lage, einen Ent¬
schluss nach der einen oder anderen Richtung hin zu fassen,
denn Taenien sind im frühen Kindesalter keine häufige Er¬
scheinung, zumal im Säuglingsalter sind sie nur wenig be¬
obachtet worden. So berichtet H e n o c h, dass von über
100 Fällen von Taenia kein Fall das Säuglingsalter betraf und
Monti sah unter 121 mit Bandwurm behafteten Kindern nur
3 Fälle bei Säuglingen im Alter von 3 bis 6 Monaten.
S c h i o e d t e konnte unter 43 im Kindesalter beobachteten
Fällen nur 1 Fall bei einem Säugling feststellen, und zwar
handelte es sich hier um eine Taenia flavopunctata.
"Unter den verschiedenen Arten von Taenien, welche beim
Kinde im ersten Lebensjahr gesehen wurden, ist -am häufigsten
beschrieben worden das Vorkommen der Taenia cucumarina.
Nach einem Referat von Monrad kamen von 17 in Däne¬
mark publizierten Fällen von Taenia cucumarina fast alle bei
Kindern im ersten Lebensjahre vor. Diesen Beobachtungen
reihen sich Beschreibungen über das Vorkommen der gleichen
Taenienart im Säuglingsalter an von Früs Hanse n H off-
man n. Kennedy. Köhl, Krabbe, Kuster-Schmidt,
Leuckart, L i n d b 1 a d, Monti, Sonnenschein,
Sörensenu. a.
Pardo beschreibt einen Fall von Taenia soliiim bei einem
S Monate alten Säugling, W c s t h o f f einen Fall von Taenia saginata
bei einem 8 monatlichen Kinde und Comby schildert ebenfalls eine
Beobachtung von Taenia saginata bei einem 9 Monate aUen Kinde, bei
dem er mit negativem Erfolge eine Kur mit 0,o g Extr. >'*• versuchte.
Die Abtreibung des Wurmes gelang erst später im dritten Lebens¬
jahre des Kindes mit frischen Kürbiskernen.
Als Kuriosa seien noch folgende 2 Fälle der Literatur ■ erwähnt:
ln dem einen Falle von M ü 1 1 e r - B a r r i e r aus dem Jahre 1830 soll
bei einem 5 Tage alten Kinde eine Taeme von 1 /-> Fuss Lange ab¬
gegangen sein. Die Art dieser Taenie ist nicht näher bezeichnet. Der
andere von Samuel G. Armod 1871 im Long-lsland-Hospital
New York beobachtete Fall betraf ebenfalls ein 5 läge altes Neu¬
geborenes, welches am 4. Lebenstage mit Trismus erkrankte. Nach
Verabreichung von Kalomel sollen geschlechtsreife Glieder von Taenia
soliüm abgegangen sein. Dies soll sich im Laufe des ersten Lebens¬
muts noch mehrmals wiederholt haben. Der Abgang des Wurm¬
kopfes wurde nicht beobachtet. Auch bei der Mutter dieses Kindes
*T" n in O /-V 1 111 in
Betreffs der Therapie im Kindesalter geben die Autoren
ihrer Meinung meist in sehr vorsichtiger und einandei wider¬
sprechender Weise Ausdruck. Schon eingangs wurde er¬
wähnt, dass manche sich zur Vornahme einer Wurmkui vor
dem dritten Lebensjahre des Kindes nicht entschliessen. Die
wirksame Dosis, speziell die des Extr. fil. erscheint wegen der
beobacheten schlimmen Nebenerscheinungen im frühen Kindes¬
alter nicht unbedenklich. Kassowitz erklärt, dass er eben
wegen der in der Literatur beschriebenen Fälle von totaler
Erblindung und von tödlicher Vergiftung es niemals gewagt
habe Extr. fil. in Anwendung zu bringen, und nicht einsehen
könne, wie man trotzdem dieses gefährliche Mittel in aller
Seelenruhe, verordnen und empfehlen könne, zumal er glaubt,
in der Granatwurzel ein zuverlässiges Mittel erprobt zu haben,
welches auch im Kindesalter bei richtiger Anwendung den ge¬
wünschten Erfolg herbeiführe; und zwar empfiehlt er nicht das
schlecht schmeckende Dekokt, sondern die ebenso wirksame,
aber besser schmeckende Mazeration allein ohne Abkochung.
Bagin sky empfiehlt besonders Kusso bei Kindern; Kamala
sei nicht empfehlenswert und lasse insbesondere bei Taenia
saginata im Stich. Heubner meint, es sei gleichgültig,
welches Mittel man wähle, die Hauptsache sei, dass es nicht
erbrochen würde. Er empfiehlt Extr. fil. und Kamala; bei
jungen Kindern unter 4 Jahren dürfe nach seiner Ansicht im
allgemeinen die Kamala vorzuziehen sein, weil sie in einer
Latwerge mit Honig leichter genommen werde.
In der Kinderpraxis werden häufig auch die Kürbissamen
angewandt. Aber auch hier divergieren die Ansichten;
während einige den Extrakt als empfehlenswert erachten,
betont Comby gerade den Wert der frischen Kürbiskerne,
und Monti behauptete, dass es mit Kürbissamen nur gelänge,
den Wurm ohne Kopf zu entfernen. S i e g e r t hatte mit dem
frischen Samen des grossen, roten italienischen Kürbis, dessen
weisser Kern gut schmeckt, auch mit Apfelkompot von jedem
Kinde gern genommen wird, stets vollen Erfolg; speziell auch
bei einem Kind von 15 Monaten, welches jedes andere Mittel
erbrach. Nicht unwichtig ist es für die Praxis, dass nach An¬
gabe Hertwigs die Taenia saginata trotz des mangelnden
Hakenkranzes vermöge ihrer derberen Saugnäpfe schwieriger
abzutreiben sei.
Ist aber bei einer notwendigen Kur schon die Wahl des
Mittels nicht so einfach, so stösst wegen des meist schlechten
Geschmackes die Verabreichung dieser Mittel und die Ver¬
hütung des späteren Erbrechens gerade im Kindesalter oft
auf erhebliche Schwierigkeiten, da ja Kapseln und Oblaten
vom Kinde nur selten genommen werden. Diese häufig be¬
stehenden Schwierigkeiten haben das von S che ltema an¬
gegebene, Permeation genannte Verfahren gezeitigt, einen
langen, dünnen Schlauch durch die Nase in den Magen ein¬
zuführen und so lange liegen zu lassen, bis man sich durch
Zug überzeugen könne, dass die Spitze des Schlauches den
Pylorus passiert habe; durch diesen Schlauch hat er dann den
II. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1781
Kindern das Mittel einverleibt. Boas betont die Wichtigkeit,
dass das Mittel möglichst lange in Berührung mit der Taenie
bleibe; man dürfe daher ein Abführmittel nicht gleichzeitig
oder kurz danach, sondern frühestens 6 Stunden nach Auf¬
nahme des Extraktes verabfolgen.
In unserem Falle handelte es sich um eine Taenia saginata bei
einem 10 4 Monate alten Knaben. Das Kind hatte bei Aufnahme auf
die Säuglingsabteilung ein Gewicht von 7020 g; es war frisch und
munter, sass vergnügt in seinem Bettchen, hatte guten Appetit, die
Stühle waren von normaler Konsistenz; es schlief ruhig, die Haut¬
farbe war frisch, der Hämoglobingehalt des Blutes betrug 85 Proz. Die
Taenia schien ihm keinerlei Unbehagen oder Beschwerden zu ver¬
ursachen Die mit dem Stuhl entleerten Proglottiden hatte uns die
Mutter bei Vorstellung des Kindes in der Poliklinik gezeigt. Im Stuhl
waren mikroskopisch die Eier der Taenia nachweisbar.
Zur Vornahme der Bandwurmkur entschloss ich mich zu dem
insbesondere vonLangerund v.Ritter empfohlenen, vonJung-
cl aussen in Hamburg hergestellten unter dem Namen „Kukumarin“
im Handel erhältlichen Extrakt von Kürbissamen. Nach Angabe der
Firma entspricht eine Menge von ca. 25 g dieses Präparates, welches,
„einen nicht unangenehmen, fleischsaftähnlichen Geschmack haben
und von Kindern fast durchwegs gern genommen werden soll, ohne
unliebsame Nebenwirkungen zu zeigen“ etwa Vs kg Kürbiskernen.
Von diesem Extrakt wurde dem Kinde eine Menge von 20 g mit der
Flasche in seiner gewohnten Milchmischung aufgelöst, verabreicht.
Hiervon wurde aber 6 Stunden später noch etwas erbrochen.
10 Stunden nach Einnahme des Mittels ging die Taenia in mehreren
Stücken ab, an einem dieser Stücke befand sich der Kopf des Wurmes.
Die Gesamtlänge der Taenia betrug 3,25 m. Ein nachteiliger Einfluss
der Kur auf das Befinden des Kindes war nicht konstatierbar.
Das seltene Vorkommen dieser Taenienart im Säuglings¬
alter hängt mit der in diesem Alter geringen Infektionsmög¬
lichkeit zusammen. Wird einem Säugling rohes finniges Rind-
rleisch gereicht, so kann sich bei ihm dieser Parasit natürlich
ebenso gut entwickeln wie beim grösseren Kinde.
In den beiden oben zitierten Fällen von West hoff und
J o m b y war die Infektion zurückzuführen auf den Genuss
von rohem, feingehacktem Rindfleisch, bzw. auf die Ver-
ibreichung des ausgepressten Saftes von rohem Fleisch. Auch
n unserem Falle Hess sich die Quelle der Uebertragung nacli-
veisen: auf eindringliches Befragen wurde von seiten der
Vlutter zugegeben, dass das Kind 2 Monate vorher rohes ge¬
habtes Fleisch erhalten hatte.
In Anbetracht der Wirksamkeit des ungiftigen „Kukumarin“,
lessen Verabreichung per os selten auf Schwierigkeiten stösst,
ind keine Störung der Verdauung verursacht, dürfte es sich
■mpfehlen, ganz allgemein im frühen Kindesalter dieses Prä-
>arat zu versuchen und die Resultate bekannt zu geben.
Ia solche maximale Dosis, wie sie hier verabfolgt wurde, vom
Gugling anstandslos vertragen wurde, erlaubt sich wohl stets
lie Verwendung wirksamer grosser Dosen. Vom frischen
tarnen genügen fast stets 100—200 g.
Nachtrag. An der akademischen Kinderklinik in Köln hat
ich das Präparat als wirksam erwiesen, wo wiederholte Versuche
iit Extractum filicis und Kamala wegen heftigen Erbrechens oder
^Wirksamkeit des Präparates vollständig scheiterten. Auch die
albe Dosis des „Kukumarin“ wurde vom Kinde von 22 Monaten,
eiche kleinste Mengen von Extr. filicis sofort erbrach, anstandslos
ut vollem Erfolg genommen.
Literatur.
S. G. Armod: The Boston med. and. surg. Journal Vol. X. 1.
Bagin sky: Lehrb. d. Kindkrkh. 3. Aufl. — Boas: Ther Mh.
'ezember 1904. — Comby: Tenia chez un nourrisson. Arch. de
led. des enf. 14. 1911. — - Friis: Ugesk. f. Läger 96. - — Hansen:
. • 5. R. III. 19. 1896. - — He noch: Vorles. über Kindkrkh. —
ertwig: Lehrb. d. Zoologie. — Heubner: Lehrb. d. Kindhlk.
Kennedy: The Dublin Journal of med. Sciences. 76. — Köhl:
m.W. '904. 4. — Krabbe: Virchow. Hirsch. Jahresber. 15. Jahrg.,
jtL 1 1881. — Küster-Schmidt bei Leuckart: Die Paras. d.
enschen. 1. Bd.. 1. Abt. — Langer in Pfaundlei#5chIossmann :
andb d. Kindhlk. — Lindblad: Hygiea 1883. — Monrad:
?• f. Kindhlk 58. S. 279. — Monti: Erfahrungen über Taenia im
mdesalter. Arch. f. Kindhlk. Bd. IV. — M ü 1 1 e r - B a r r i e r: Tratte
mt. des maladies de I’enf. Bd. II. 98. — J. S. v. Pardo: Soc.
mecol. Espan. 1910. — v. Ritter: Prag. med. W. 1904. 5. —
c u.tema: Sitzung d. nederl. Veraeniging voor Paed. Köln 1910.
ochioedte: Hospitalstidende 1902. 49. 50. — Sonnenschein:
"W. 1903. 52. — Sörensen: Ugeskr. f. Läger 96. — West-
°tf: Geneesk Tijdschr. voor Nederl. Indie 24. 2. 1884.
Operation oder Bestrahlung.
Eine kritische Betrachtung zu Sanitätsrat Dr. Chr. Müller s
gleichnamigem Aufsatz in Nr. 22 dieser Wochenschrift.
Von Prof. Dr. L. Heidenhain in Worms.
In Nr. 22 S. 1224 — 1227 dieser Wochenschrift folgen einander
ein Aufsatz von Fritz König „Probleme der Krebsbehandlung im
Zeichen der Radiotherapie“ und ein weiterer von Christoph Müller-
Immenstadt „Operation oder Bestrahlung“. König vertritt mit
guten Gründen den Standpunkt, welchen ich auf den diesjährigen Kon¬
gressen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen
Röntgengesellschaft nach Anhörung alles dessen, was über Ergebnisse
der Strahlenbehandlung als Allerneuestes mitgeteilt wurde, in der
Diskussion vertreten habe. Unser Standpunkt ist der, dass wir nach
den bisherigen Ergebnissen oder Erfolgen noch in den allerersten
Stadien tastender Versuche mit der Strahlenbehandlung der Karzi¬
nome stehen, dass diese Ergebnisse zwar Hoffnungen erregen, aber
auch nicht mehr, dass die Ergebnisse der operativen Chirurgie viel
besser sind, als sie von den Befürwortern alleiniger Strahlenbehand¬
lung der bösartigen Geschwülste offenbar aus Unkenntnis der wesent¬
lichsten statistischen Ergebnisse dargestellt werden, dass diese Er¬
gebnisse operativer Behandlung vollkommen gesicherte sind, in¬
sofern wir sagen können, dass bei der oder jener Karzinomform durch¬
schnittlich soundso viel vom Hundert Heilungen von mehr als drei¬
jähriger Dauer erzielt werden, sowie dass so viele Heilungen von
zehnjähriger und längerer Dauer berichtet sind, dass an der Heil¬
barkeit des Krebs durch rechtzeitige Operation nicht zu zweifeln ist.
Haben wir also in den letzten 25 Jahren nach dieser Richtung eine
gesicherte Basis gewonnen und gesicherte Erfolge errungen, so ist
es nach meinem, wie nach Königs und der Mehrzahl aller Chirurgen
Standpunkte durchaus unangebracht, in diesem ersten Sta¬
dium tastender Versuche mit Röntgenstrahlentherapie den
sicheren Gewinn, das sicher Erreichbare zugunsten
Von Hoffnungen und Versuchen aufzugeben1).
Christoph Müller wünscht nun, dass der Strahlentherapie auch
für gut operable Tumoren, ia gerade für diese, eine gleichberechtigte
Stellung neben der operativen Chirurgie eingeräumt werde. Der
Kern des Müll er sehen Aufsatzes ist, die Radiotherapeuten auf¬
zufordern, „auf Grund der glänzenden Ergebnisse der
Röntgenstrahlenbehandlung bösartiger Ge¬
schwülste2) nicht nur inoperable Fälle in Behandlung zu nehmen,
die letzten Endes nur Enttäuschungen bieten werden, sondern auch
operable Fälle anzugehen, um damit Material beizubringen zur Prü¬
fung des Wertes der Strahlentherapie, der nur durch Behandlung
operabler Fälle gemessen werden kann.“ Hiermit wird, wenn
Müller Nachfolger findet, die Situation fiir die
Kranken so gefahrvoll, dass es dringend nötig ist,
die Behauptungen Müllers unter die kritische
Lupe zu nehmen, um nachzusehen, was er denn be¬
weisen kann.
Im Eingänge spricht Müller von dem neuen Stadium, in
welches die Radiotherapie durch den Ausbau der
T i e f e n t h e r a p i e getreten sei, von der Möglichkeit oder Un¬
möglichkeit des Auftretens von Tiefenschädigungen, von der Furcht
vor Spätschädigungen, von seinen eigenen 6 jährigen Erfahrungen in
der Bestrahlung von Tumoren, welche ihn keine Snätschädigung
hätten kennen lehren, ferner davon, dass durch die neue Tiefentherapie
die grösste Gefahr der Strahlenbehandlung, die Röntgenverbrennung
ausgeschaltet sei und nun hierdurch Erfolge zu ver¬
zeichnen seien, „die auch dem objektivsten Beob¬
achter das Urteil aufdrängen, dass die neue Behand-
lungsform bei den bösartigen Geschwülsten mit
der bis jetzt souveränen Behandlungsmethode, der
Chirurgie, rivalisieren kann2). Weiterhin sagt Müller:
„Es würde hier zu weit fühlen, wollte ich die Fälle aufzählen
und wissenschaftlich begründen, die heute schon bessere Erfolge durch
die Strahlentherapie wie durch die Operation bieten. Hautkarzinome,
Portiokarzinome, auch Mammakarzinome, abgesehen von den My¬
omen, sind Krankheitsformen, dip bezüglich des Erfolges die Chirurgie
bei weitem überflügelt haben (sic! H e i d e n h a i n) . . . . Auch der
früher vielfach gemachte Einwurf, die Strahlentherapie könne so lange
nicht richtig gewertet werden, bis Dauererfolge nachgewiesen werden
können, ist heute hinfällig geworden: denn dieZahl der erfolg-
reich benandelten Fälle, die nach 3 Jahren noch
rezidivfrei geblieben sind, ist prozentual so gross,
dass behauptet werden darf, dass die Rezidivie-
rungsmöglichkeit von durch Röntgen strahlen zum
\ e r s c h winden gebrachter Tumoren eine geringere
ist, wie solcher durch Operation entfernter 3).“
Es ist unerhört, dass Müller es wagt, derartige Behauptungen
aufzustellen, für welche nicht der Schatten eines Beweises vorliegt.
Aktenmässig, d. h. nach der Literatur, stellt sich die Angelegenheit
J) Vgl. einen im Druck befindlichen Aufsatz von mir in der Strah¬
lentherapie, welcher die klinischen Grundlagen der Strahlentherapie
behandelt.
") Von mir gesperrt. Heidenhain.
*) Von mir gesperrt. Heidenhain.
1782
M1JENCHENER MEDIZINISCHE WOCHEN SCHRIE 1 .
Nr. 32.
durch Aluminium und die ersten 3 Die
miniumfilter seitens B 0 r d i e r s, beide 1 , - . wesentlich
Gefahr der Hautschädigung durch gefilterte Strahlen . se^
geringer wie bei Verwendung ungefilterter Strahlen, lnsotern isi
(’urch die Filterung erst eine Tiefentherapie möglich geworden. In
DeutcS nd ist die Verwendung «eBI.er.er Strahlen erst verba tnis-
Mr »=ää.
Ä lur aKpliifisi%.u0earseVe„.UdasdS d,SM»Ä »•
SSa.SSS1 S tscnSeud
Tiefentherapie schon seit 6 Jahren, denn er spricht von seinen 6 jahr.
F.rfahrungen Weiter gehört zur Tiefentherapie bei Geschwülsten ein
Instrumentarium, welches sehr hohe Energiemengen liefert. Man lese
bei G a u s s und Lembke die gewaltigen Schwierigkeiten nach,
welche die Freiburger Klinik gehabt hat ein Instrumentarium zu be¬
schaffen, welches einigermassen grosse Energiemengen lieferte. Ur¬
sprünglich lieferte ihr Instrumentarium in der Minute 1 X, d. 1. m
10 Mtaten die Erytiiemdosis von 10 X 1912 ist die Klinik «ta ekln ch
zu einem Instrumentarium gelangt, welches in 2-3 Minuten iv
lieferte Wir anderen sind alle weit nachgehinkt. Die Leistung vo
i _ 5 x in der Minute galt bis in die letzten Monate noch für eine
'sehr gute 8-10 X in der Minute werden erst seit einigen Mo¬
naten' von einzelnen Firmen erzielt Die Mehrzahl der m Dem tsüi-
land arbeitenden Instrumentarien eistet noch jetzt sehr, s
weniger. Krönig hat ausdrücklich erklärt so lange (
er mit Röntgenstrahlen allein gearbeitet habe, s
es Hirn nicht gelungen, heim Uteruskarzinom ohne vorherige
Operation dauernde Erfolge zu erzielen. Auch aus der Bu mm sehen
Khnik liegen nur sehr vorsichtige Aeusserungen über vorläufige Erfolge
aus den letzten Monaten vor. Heraus Herr Mull e. r e™1, JerK^
des Ortes wo Sie den durch sorgfältige wissenschaftliche Kontrolle
gestützten Nachweis gefunden haben, dass eine Reihe von Portio-
karrmomen durch Rön.genstrahlen geheilt worden und langer we
3 Jahre rezidivfrei geblieben sind. Erst in den allerletzten lagen ist
ein g osserBericht über die laugiährigen Erfahrungen der K i nr |-
m ei l scheu Abteilung mit Röntgentherapie erschienen (Juni ^ 1914) ).
Hier finden sich zwei Fälle, die seit 454 und 3 Jahren re¬
zidivfrei sind, die einzigen der dortigen Er ahrung, memes
Wissens diezweieinzigender gesamten Literat u r. E
Fall von Krönig ist nach 5 Jahren noch an Rezidiv zugrunde ge¬
gangen. Nun, bitte Herr Müller, geben Sie den Nachweis der
Richtigkeit Ihrer Behauptungen aus der Literatur Wenn man d-
artig wichtige Berichte in der Literatur findet, soll man den glück¬
lichen Arzt, der dies fertig brachte, auch mit Namen nennen. Auch
sein Verfahren, sein Röntgeninstrumentarium und dessen Leistung
interNeSbeernbdSsei bemerkt, dass die Frage der definitiven Heilung von
Uteruskarzinomen durch radioaktive Stoffe auch noch nicht sicher
spruchreif ist — nach der Meinung der führenden Gynäkologen wenig¬
stens Die Frage wird erst spruchreif sein etwa im nächsten Jahr,
wenn grössere Reihen von 3 Jahre lang beobachteten Kranken vor-
liegen* Die Behandlung der Uteruskarzinome mit Radium und Meso¬
thorium verspricht, wie die Leser der M.m.W.z R aus ^en Aufsat
von Döderlein wissen, hervorragende Erfolge, Ja d i e i Ji n
mittelbaren Frfolge sind geradezu verbluttena,
wie ich in einem oben zitierten Aufsatz in der Strahlentherapie dar-
eestellt habe Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Allein Ab b 6 hat kürzlich im 4. Bande der „Strahlentherapie“ e in en
sicheren Fall von Uteruskrebs mitgeteilt, der nach Radiumbehandlung
b Jahre gesund blieb und dazu bemerkt, er habe noch mehrere solche.
Ausser diesen amerikanischen ist, so weit ich sehe, kein einziger ub r
3 iahre rczidivfrei gebliebener Fall bekannt. Diese Behandlungsart
ist eben noch zu neu, als dass grössere Reihen von Erfahrungen über
mehr als 3 Jahre vorliegen könnten.
Um auf Müllers Artikel von den Leistungen der Röntgen¬
therapie zurückzukehren, behaupte ich w e i t e r h i n, 1 m
Gegensatz zu Müller, es existiert in der gesamten
I iteratur nicht ein einziger Fall, dass ein nicht-
operiertes Mammakarzinom mit R ö n t g en s t r ah 1 e n
sieh eilt und 3 Jahre nicht wiedergekchrt sei. Ver¬
einzelten Fällen, in denen ein inoperables Brustkrebsrezidiv durch
Röntgenstrahlen geheilt wurde, stehen lange Reihen solcher gegen¬
über, in denen nichts erreicht wurde. Ich kenne unsere chirurgische
Literatur sehr genau, zumal da ich an dem, was heute die operative
Therapie den Karzinomen gegenüber leistet, sehr wesentlich beteiligt
bin und das Interesse für die Krebse zeitlebens behalten habe, theo¬
retisch und praktisch. Ich behaupte auch, wenn die Erfolge so waren,
wie M ü 1 1 e r sie schildert, so hätten wir dies, wenn nicht auf früheren
Kongressen, so auf dem diesjährigen Chirurgenkongress gehört, wel¬
cher unter dem Zeichen der Strahlentherapie stand Ich kenne den
Betrieb der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie seit fast 30 Jahren
und weiss. dass die Vorsitzenden sich nichts Wichtiges entgehen
lassen. Was nicht Spreu ist, kommt dort zum Vorschein. Ich be-
*) Kotzenberg: Die Röntgentherapie der malignen Ge¬
schwülste. Beitr. z. klin. Chir. 92. S. 784.
haupte schliesslich, dass nach Ausweis de, r L*tera*ur Rön'tg^n-
Wetterer) die prozentuale Zahl der durch K o n i gt n
re 1 e n g e h ei 1 1 e n G e s i c h t s k r e b s e, so gross sie verhält¬
nismässig ist? dennoch erheblich unter der durch Operation erzie ten
Heiiungsziffer steht^ Wenn ««.d«, ist. Herr MnU.
sehenerregende Behauptungen aufstellt, soll man auch den Beweis
liefern. j ^ Statistik kann sich Müll er nicht be¬
rufen Denn einmal lässt sich ihm aus seinen Publikationen nach¬
rechnen dass die ältesten seiner Falle zurzeit erst etwa 2 Jahre
in Beobachtung sind. Sodann hat er in einem Aufsatz ; über Tiden¬
bestrahlung unter gleichzeitiger Sensibilisierung mit Diathermie ), der
im Oktober 1913 erschienen ist, selbst geschrieben: „Ueber die kli¬
nischen Erfolge dieser Behandlungsmethode mich jetzt schon zu
äussern wäre ebenso verfrüht, wie es im allgemeinen verfrüht ist, die
therapeutischen Erfolge bei malignen Tumoren vor Ablauf von 2 bis
3 fahren der Oeffentlichkeit zu übergeben.“ Der Meinung bin ich
auch mit dem Hinzufügen, dass a 1 1 e F ä 1 1 e mindestens 2 Jahre be¬
obachtet sein müssen. Müller fährt fort: „Aber das eine sei schon
jetzt gesagt und wurde von uns auch bereits beobachtet, dass mit der
oft wiederholten und länger andauernden Hyperamisierung des Tu-
Irs und seiner Umgebung neben einer Sensibilisierung desselben
für die Strahlung noch das Wesentliche erreicht wird, dass die Re¬
sorption der zerfallenen Tumormassen ausserordentlich günstig beein¬
flusst wird. Wir wissen, dass es mit der gewöhnlichen Thermo-
penetration zweifellos gelingt, Exsudate und Oedeme schnell zur Re¬
sorption zu bringen, und wie in diesen Fällen, so handelt es sich auch
beiden zerfallenden Tumoren darum, möglichst günstige Verhältnisse
für den Wegtransport der Zerfallsprodukte zu schaffen. Diese Krü¬
gen Verhältnisse werden geschaffen durch eine Hyperamisierung der
betreffenden Gewebspartien, durch die der Blutdruck im arteriellen
Gefässsystem erhöht und im venösen herabgesetzt wird, Vorgänge,
deren Wert von vornherein für die Resorption ausser Zweifel steht.
Was Müller für günstig hält, halte ich aus allerdings rein theo¬
retischen Erwägungen für ungünstig. Ich würde mich
richtig freuen, wenn Müller den grossen neuen Weg zur Behand¬
lung von bösartigen Geschwülsten, insonderheit Karzinomen, gefun¬
den hätte, aber ich zweifle sehr daran. Denn es ist eine der ältesten
Erfahrungen der chirurgischen Praxis, dass Hyperämisierung so ziem¬
lich das Schlimmste ist, was man mit einem Tumor anfangen kann.
Vor 30 und noch vor 20 Jahren sah man gelegentlich gepappte Kar¬
zinome der Brust, gepappt, weil die Diagnose nicht gestell . war
Alle waren inoperabel oder hoffnungslos quoad Rezidiv. Brustkrebse
werden während einer Schwangerschaft nahezu immer inoperabel.
Noch schlimmer wirkt die Hyperämie und gesteigerte Funktion bei
der Laktation. Die Mamma wird in diesen Fallen immer diffuse infil¬
triert (Mastitis carcinomatosa v. Volkman ns) und immer, so wei
ich sah, sind die Fälle hoffnungslos. Irrtümlich inzidierte und sekun¬
där mit Eiterkokken infizierte Karzinome wachsen u!1^e™1i'ch s5.h t
und bilden beschleunigt Metastasen Sehnliches gilt von geatzten
Krebsen (Lippenkrebse). Diese und ähnliche Erfahrungen .
auch leicht erklärlich dadurch, dass Hyperämie stets mit einer ver¬
mehrten Saftströmung (Lymphströmung) einhergeht. Da die Kar¬
zinome sich auf dem Lymphwege verbreiten so befördert die ver
mehrte Lymphströmung die Krebszellen in den Saftlucken und den
Lymphbahnen beschleunigt vorwärts. Besonders bedenkheh macht
mich dass Müller die Diathermie, wie er an anderer Stelle mit-
teift nicht nur der Röntgenbetrahlung vorausgehen lasst oder gleich¬
zeitig mit ihr verwendet, sondern in vielen Fällen tagtäglich mehrere
Male allein anwendet, um die Blutzufuhr zum Tumor möglichst hautu
und anhaltend anzuregen“ °). Es müsste ein merkwu r d i g e r
Zufall sein, wenn da nur Zerfallsprodukte des Tu
mors und nicht auch lebende Tumorzellenmitb-
f ordert würden. Die Ergebnisse einer Behandlungsmethode
welche allen bisherigen Erfahrungen der Chirurgie und Pathologie
widerspricht, müssen abgewartet werden. Ein pr akti sc h es s n-
gebnis ist schon vorhanden. Das Samariterhaus Heidelberg hat, w
Werner in der letzten Sitzung des Badischen Landeskomitees für
Krebsforschung mitteilte7), die Kombination der Diathermie nut
Röntgenbehandlung wegen schlechter Ergebnisse aufgegeben. Dem¬
nach scheint es durchaus erwünscht, dass man zunächst einmal ah-
wartet, bis Müller seine Erfahrungen ausführlich mit genauen
Krankengeschichten und Erfolgen mitteilen kann.
Abwarten ist umsomehr geboten, als Müller selbst die Er¬
gebnisse widersprechend darstellt. In dieser Wochen¬
schrift 1914 Nr. 22 S. 1227 fordert er die Radiotherapeuthen auf, „auch
operable Fälle anzugehen, um damit Material beizubringen zur ru-
fung des Wertes der Strahlentherapie, der nur durch Behandlung
operabler Fälle gemessen werden kann. Es geschieht dies
sicher nicht zum Schaden der Kranken: denn die L e i 1,
die notwendig ist, um beurteilen zu können, ob ein
operabler Tumor reagierUst eine derartig kur z e '
mit Hilfe des heutigen Instrumentariums, dass immer noch rechtzeitig
zur Operation geschritten werden kann, und der geringste E r-
S. 49 (2. X. 13).
5) Fortschr. d. Röntgenstr. 21. 1.
«) Strahlentherapie 2. S. 186.
7) Diskussion über Strahlentherapie. Februar
8) Von mir gesperrt. Heidenhain.
1914.
- A"g>lst l914- _ MUENCHENER MEDIZINISCHE? WOCHENSCHRIFT.
lg, der erzielt wird durch intensive Inangriffnahme mit Strahlen-
;rapie eines operablen Falles, ist mindestens der, dass
r Kran k heit s Prozess nicht vorwärts schreitet”),
nti kann immer noch bei Versagen der Therapie mit den gleichen
ancen operiert werden, wie wenn die Bestrahlungstherapie nicht
rausgegangen wäre“. Dagegen schreibt Müller fast gleich-
i t i g in einer Broschüre „Die Krebsbchandlung“, welche drei zu
inchen gehaltene Fortbildungsvorträge wiedergibt (erschienen An-
g April 1914; in ihr ist a u c h sein neuestes Diathermie-
r f a h r e n beschrieben |°) : „. . . Damit wird natürlich auch
Frage, wann ev. operativ eingegriffen werden soll, eine scluvie-
ere. Es wird bei vielen Tumoren sich erst nach
inaten und Monaten herausstcllen, ob sie refrak-
r s i n d (gegen Röntgenbehandlung, Heidenhain) odernicht
dnachdieserZeitkönnensichallerdingsdieVer-
Itnisse der Operationsmöglichkeit für den Pa-
’ n t e n wesentlich verschoben haben (von mir ge-
rrt, H e i den h a i n). In solchen Fällen wird eben das Zusammen-
len eines Chirurgen und eines Röntgenologen notwendig sein, um
äusserste Zeitgrenze, bis zu welcher die Röntgenbehandlung fort-
etzt werden darf, festzusetzen“. Diese Sätze Müllers zeigen
: ltlich, dass die, welche fürchten, dass durch Versuche mit vor-
1 en der Strahlenbehandlung eine grosse Zahl von Karzinomen in-
rabel werden wird. Recht haben. Das Zusammengehen
ies Chirurgen und eines Röntgenologen kann in
Ichem balle nicht das geringste nützen. Denn durch
serliche Untersuchung lässt sich niemals feststellen, ob ein Kar-
im noch mit dauerndem Erfolge operabel sein wird. Nicht der
he, palpable Tumor und die groben palpablen Drüsenerkrankungen
timmen allein den dauernden Erfolg, sondern die mikrosko-
>ch kleinen Aussenposten, welche den primären Tumor
thm umgeben, in den Saftspalten und Lymphgcfässen und Lymph-
sen der Umgebung liegen und weder vor, noch während der
■ Nation erkannt werden können. Aus ihnen gehen die Rezidive
vor. nicht aus groben Teilen des Tumors, die bei der Operation
ackblieben. Operationen, die sich nicht mehr grob technisch „rein“
dien lassen, macht man im allgemeinen überhaupt nicht mehr. An
Iler ist offenbar spurlos vorübergegangen, was die letzten
fahre über Wachstum und Ausbreitungswege, sowie über die Ur-
len der Rezidive nach Operationen wegen Krebserkrankungen ge-
:ht haben. Er rechnet nur mit dem sichtbaren oder palpablen
lor und etwaigen palpablen Drüsenerkrankungen, sonst könnte er
res nicht schreiben. Die Chirurgie und Gynäkologie rechnet
ser mit diesen mit den mikroskopischen Aussenposten und deren
eitigung.
Einen vollständigen Nachweis dessen, was die
nt genstrahlen bei operablen wie inoperablen bösartigen Ge¬
pulsten bisher geleistet haben, findet der Leser in dem
5ande der zweiten, eben erschienenen Auflage des vorzüglichen
dbuches der Röntgentherapie von W e 1 1 e r e r. Es ist dort zu
hen, dass die Zahl der dauernden Erfolge bisher bei allen Formen
Karzinomen recht gering ist: meist handelt es sich um vereinzelte
2ilte Fälle. W e 1 1 e r e r selbst hat eigene, grosse Erfahrung und
beachtenswerte Erfolge. Trotzdem ist er sehr kritisch und
::t der Operation, wo ausführbar, fast immer das Wort. Wenn
tterer unter 324 Fällen oberflächlichen Hautkrebses, die er
Laufe von nahezu 8 Jahren mit Röntgenstrahlen behandelte, nur
~älle als seit 6—7 Jahren und weitere 39 Fälle, als seit 2 bis
ihren geheilt nachweisen kann, so ist dies nicht sehr viel, selbst
n man in Betracht zieht, dass nur 110 Fälle nach mehr als einem
nachuntersucht werden konnten. 56 von 100 Fällen wären ca.
Toz. Heilung. Dabei müsste man noch annehmen, dass die nur
ihre in Beobachtung stehenden Kranken dauernd geheilt bleiben.
Operation erreicht mehr. Den derzeitigen Standpunkt
Chirurgie hat Fritz König in seinem eingangs zitierten
; atz klargelegt: operieren und bestrahlen, um zurückge-
iene Reste womöglich zu vernichten. Verfahren wir so,
geben wir keine Chance aus der Hand!
ärztliche Standesangelegenheiten.
Der Arzt in der Rechtsprechung.
Regierungsrat Paul Kaestner in Berlin-Neubabelsberg.
VII.
Erneut haben sich Kammergericht und Reichsgericht über die
Oegung des § 147, Abs. 1. Ziff. 3 der Reichsge¬
rb e o r d n u n g auseinandergesetzt. Das Kammergericht ist im
i il vom 12. Januar 1914 (Medizinalarchiv für das Deutsche Reich
! S. 67) erfreulicherweise bei seiner Auffassung verblieben, dass
[ht in Deutschland approbierte Personen, die in
ersten Alternative des § 147 Nr. 3 aufgeführten Bezeichnungen
1 in a I s, also auch nicht mit Zusätzen führen dürfen, die auf das
landensein einer ausländischen oder den Mangel einer in-
1 ischen Approbation hindeuten. Das Reichsgericht (II. Strafsenat,
2 Von mir gesperrt. Heidenhain.
) J. F. Lehmann, München, S. 43.
Urteil vom 21. November 1913, ebenda S. 80) hatte gegen die Auf¬
fassung des Kammergerichts, dass im Sinne des deutschen öffent¬
lichen Rechts „Aerztc“ nur die in Deutschland approbierten seien,
ausgefuhrt, es sei zu unterscheiden zwischen dem Begriff des
\\r z j.e s .. UIlt! ^cm , Recht zur Führung des Arzttitels.
Wie die ärztliche Wissenschaft, so sei auch der ärztliche Beruf bei
allen Kulturvölkern vorhanden und Arzt sei, wer auf Grund wissen¬
schaftlicher Vorbildung in staatlich anerkannter Weise die Befähigung
erworben habe, die medizinische Wissenschaft zur Behandlung von
Krankheiten anzuwenden. In diesem Sinne und nach allgemeinem
Sprachgebrauch sei auch der ausländische Arzt ein A r z t, wenn ihm
auch die Berechtigung, in Deutschland den ärztlichen Titel zu
fuhren, nur durch Staatsvertrag verliehen werden könne. Durch die
inländische Approbation erlange der Approbierte die staatliche An-
erkennung ais Arzt, also gleichzeitig Arzteigenschaft und Arzttitel.
Der litel Arzt bedeute: im Inland approbierter Arzt, der im Ausland
Approbierte sei ausländischer Arzt. Er dürfe aber in Deutschland
diese Berufsbezeichnung nicht als Titel führen, weil der Titel
hier einen nach deutschem Recht approbierten Arzt bedeute und er
ein solcher nicht sei. Nenne er sich aber einen im Ausland appro¬
bierten Arzt, so bezeichne er seinen Beruf wahrheitsgemäss. Er führe
die Bezeichnung Arzt nicht als den in § 29, Abs. 1 RGO. vorgesehenen
i cl, denn er wolle nicht, dass das Wort „Arzt“ im Sinne von „in
Deutschland approbierter Arzt“ verstanden werde. Die Auslegung
des s 147. Ziff. 3 durch das Kammergericht wäre vielleicht begründet
wenn das Gesetz bezweckte, die Ausübung der Heilkunde durch aus¬
ländische Aerzte zu unterdrücken. — Das Kammergericht hat
ein derartiges Missverständnis über den Zweck des Gesetzes abge¬
lehnt und dagegen geltend gemacht, dass solche Trennung von „Arzt¬
eigenschaft und „Arzttitel“ im deutschen öffentlichen Recht und
insbesondere in der Reichsgewerbeordnung keine Grundlage finde
Der im Ausland approbierte Arzt sei, sofern ihm nicht durch Staats-
s!rona? Cine besondere Stellung eingeräumt werde, im Sinne der
SS 29, 147 Ziff. 3 RGO. nur eine die Heilung von Kranken berufsmässig
ausübende, hn Inland nicht approbierte Person und dürfe sich deshalb
nicht „Arzt“ nennen. Dies sei auch wohl begründet; einmal weil im
Ausland an den „Arzt“, seine Vorbildung und Befähigung vielfach ge¬
ringere Ansprüche gestellt würden oder doch diese Vorbildung und
Befähigung nicht mit der gleichen Sorgfalt und Gründlichkeit festge¬
stellt werde wie in Deutschland. Dann aber handle es sich, abge¬
sehen von Deutsch-Oesterreich und der deutschen Schweiz, durchweg
um fremdsprachliche Bezeichnungen, die sich mit den in § 147 Ziff. 3
aufgeführten deutschen Ausdrücken nicht immer decken. — Das
Kammergericht hatte ferner früher darauf hingewiesen, dass das
minder gebildete Publikum Hinweise auf ausländische Approbationen
nicht lese oder nicht verstehe und sich nur an das deutsche Wort
• ü.* j-ha!te‘ ^Der Auffassur>S des Reichsgerichtes, diese Annahme sei
nicht die des Gesetzes, kann das Kammergericht nicht beitreten. Denn
während das Gesetz die Beilegung arzt ähnlicher Titel nur dann
straft, wenn dadurch der Glaube erweckt wird, der Träger sei eine
im Inland approbierte Medizinalperson, macht es diese Einschränkung
bei der Annahme des Arzt titels nicht und gibt dadurch zu erkennen,
dass es diesen Titel unter allen Umständen zur Erweckung jener
Täuschung für geeignet erachtet. —
Das Konkursverfahren umfasst das gesamte, einer
Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Gemein¬
schuldners, welches ihm zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens
gehört. Ueber das Vermögen des praktischen Arztes Dr. A. war der
Konkurs eröffnet. Unmittelbar vor der Konkurseröffnung hatte der
prakt. Arzt Dr. B. sich die ärztliche Praxis des Dr. A. übertragen
lassen, mit der Praxis zugleich zwei Pferde, einen Wagen und andere
Betriebgegenstände übernommen und Ratenzahlungen an Frau
Dr. A. als Gegenleistung versprochen. Der Konkursverwalter hat
diese Vereinbarung mit Dr. B. angefochten und die Zurückerstattung
desjenigen aus der Konkursmasse gefordert, was Frau Dr. A. aus dem
Verkauf der Gegenstände und der ärztlichen Praxis von Dr. B. bereits
erhalten und noch zu bekommen hat. Ob der Kaufvertrag von Dr A
selbst oder von seiner Ehefrau mit Dr. B. abgeschlossen ist, hat das
nach dem Anträge des Konkursverwalters erkennende Oberlandes¬
gericht dahingestellt gelassen und angenommen, dass im ersteren
Falle Dr. A. die Zahlung des Kaufpreises an seine Ehefrau ausbe¬
dungen, im letzteren Falle aber dieser erlaubt hat, seine ärztliche
Praxis an Dr. B. zu verkaufen, so dass auf Grund dieser Erlaubnis¬
erteilung der Vertrag zwischen Dr. B. und Frau A. geschlossen wäre.
Das Reichsgericht hat die Klage unter Abänderung der erst¬
instanzlichen Urteile bezüglich des Kaufpreises für die ärztliche Praxis
abgewiesen und im Urteil vom 28. November 1913 (Juristische Wo¬
chenschrift 1914 S. 210) ausgeführt, die ärztliche Praxis sei
kein Vermögensbestandteil des sie betreibenden
Arztes. Die ärztliche Praxis besteht in der Berufsausübung des
Arztes innerhalb eines mehr oder weniger bestimmten räumlichen Be¬
zirkes und den oersönlichen Beziehungen des Arztes zu den Be-
wohnern dieses Bezirkes, insbesondere dem von ihm im Laufe der
Zeit bei ihnen erworbenen Vertrauen Auf die Ausübung
seiner beruflichen Tätigkeit haben die Gläubiger
eines Arztes keinen Ansprnc h, ebensowenig andererseits
darauf, dass er sich derselben enthält. Deshalb kann auch keine
Rede davon sein, dass die Gläubiger die Praxis eines Arztes durch
Verkauf zu Geld machen könnten, um dadurch Befriedigung für ihre
Forderungen zu erlangen. Denn ein solcher Verkauf, sofern der Ver-
1784
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 32.
kauf einer ärztlichen Praxis überhaupt rechtlich zulässig 15t, wäre
nur in der Weise denkbar, dass der Arzt für seine Person auf <
Ausübung seines Berufes an dem Ort seiner bisherigen Wirksamkeit
ganz oder teilweise verzichtet und sich gefallen lasst, dass dafür ein
anderer Arzt als Nachfolger an seine Stelle tritt. Darauf aber haben
die Gläubiger keinen Anspruch. Ebensowenig wie zur Ausübung
seines Berufes kann der Arzt zum Verzicht au die Ausübung seines
Berufes am Orte seiner bisherigen Berufstätigkeit von seinen Gläu¬
bigern gezwungen werden. Hätte der Arzt freilich selbst seine Praxis
durch deren Verkauf noch vor der Eröffnung des Konkurses über sein
Vermögen zu Geldc gemacht, so würden sich seine Gläubiger an das
so erworbene Geld oder an die so erworbene Kaufpreisforderung zu
ihrer Befriedigung halten können, da das Geld oder die Forderung
zweifellos zu seinem Vermögen gehören. Im vorliegenden Halle aber
ist eine Kaufpreisforderung in das Vermögen des Dr. A. nicht gelangt,
da Zahlung des Kaufpreises an die Ehefrau bedungen oder der Ver¬
trag unmittelbar zwischen dieser und Dr. B. abgeschlossen ist. In
dem Vermögen des Dr. A. ist durch den Kaufvertrag eine Aenderung
nicht herbeigeführt werden. Weder ist etwas aus dem Vermögen
des Dr. A. ausgeschieden, da seine Praxis, die er aufgab, keinen
Vermögensbestandteil bildete, noch ist etwas in sein Vermögen ge¬
langt da er aus dem Verkauf der Praxis für sich keine Einnahme er¬
zielt hat Wenn Dr. A. die Zahlung des Kaufpreises an seine Ehefrau
ausbedungen oder dieser gestattet hat. in ihrem eigenen Namen den
Kaufvertrag abzuschliessen. so bedeutete diese Rechtshandlung des
Gemeinschuldners seinen Gläubigern gegenüber nur einen Verzicht
auf den ihm möglichen Erwerb eines Vermögenswertes, nicht aber
eine seinen Gläubigern nachteilige Aenderung seines Vermogensbe-
standes. Ein solcher Verzicht auf Vermögenserwerb war nicht an¬
Nach einem Urteil des II. Zivilsenats des Reichsgerichtes vom
17 Januar 1913 (Medizinalarchiv 1914 S 29) ist der Verkauf der
ärztlichen Praxis nur dann nach § 138 BGB. nichtig,
wenn die vereinbarten Bedingungen den kaufenden Arzt unter dem
Einfluss eines starken wirtschaftlichen Druckes dazu nötigen, bei
Ausübung seines Berufes das Augenmerk zum Schaden seiner Pa¬
tienten vor allem auf die Erzielung möglichst hoher Einnahmen zu
richten. Der klagende Abgeber seiner Praxis, Dr. A . hatte im ersten
Jahre eine Einnahme von 9710 M., im zweiten eine solche von 8700 M.
gehabt. Das Oberlandesgericht hat nichts dafür angeführt, warum der
Beklagte Dr B. als jüngerer Mann nicht mindestens das gleiche ver¬
dienen konnte. Dr. B. hatte vor dem Vertragsabschluss betont, er
habe seine Schulden zum Teil schon getilgt, werde allerdings die
geforderte Anzahlung von 6000 M. nicht leisten können. Dr. A. hatte
darauf die Anzahlung um die Hälfte ermässigt und die Fälligkeit der
zweiten Kaufpreisrate hinausgeschoben. Bis dahin brauchte Dr. p.
nur das Restkaufgeld zu verzinsen und musste selbstverständlich die
Miete zahlen. Ausserdem ist aber im Vertrage die Herabsetzung
der Tilgungsraten bei Erzielung einer niedrigeren Einnahme als etwa
10 000 M. vorgesehen und durch diese Bestimmung eine billige Be¬
rücksichtigung der Umstände gewährleistet. Es war weder das Ent¬
gelt für die Ueberlassung der Praxis zu hoch, noch konnten die Be¬
dingungen für seine Entrichtung als schwer und drückend bezeichnet
werden und ein Verstoss gegen § 138 BGB. liegt daher nicht vor.
Ein Urteil des Oberlandesgerichtes Hamburg vom 27. Oktober
1913 (Recht XVII. Nr. 3101) bezeichnet als nichtig einen Vertrag
-wischen einem Zahnarzt und einem Zahntechniker in welchem
diesem unter Konventionalstrafe verboten wird dem Zahn¬
arzt nach Lösung des Vertrages Konkurrenz zu machen Weder
der Arzt noch der Zahnarzt dürfe der Ausübung seiner Berufstätigkeit
den Charakter einer Erwerbstätigkeit geben; beide sollen sich ver¬
pflichtet fühlen, ihre wissenschaftlichen Kenntnisse und ihre Kunst in
freier Tätigkeit zum Besten der Gesamtheit und zum Wohle der
Leidenden anzuwenden (RG. 66 S. 144). Die Tatsache des Honorar¬
bezuges ändert daran nichts. Es solle nach keiner Richtung ein Druck
ausgeiibt werden, dass sich Leidende an einen bestimmten Arzt
wenden. Das sei aber der Fall, wenn ein Arzt einem anderen ver¬
traglich verbiete, ärztliche Tätigkeit auszuüben. Dabei mache es
keinen Unterschied, ob der Vertragsgegner Zahnarzt oder Zahn¬
techniker sei, wenn nur ersichtlich sei, dass sich das \ erbot auf die
Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit bezog.
des Reichsversicherungsamtes vom 20. Oktober 1913, Amtl. Nachr.
YYIY S 700) - . .
Die vom Automobil des Fabrikanten A. überfahrene
Frau V. klagte gegen A. auf Befreiung von den Verbind¬
lich k e i t gegenüber Arzt und Apotheker, die auf diesen
Unfall zurückzuführen waren. Der Beklagte A. wandte ein, F r a u V
sei zu dieser Forderung nicht aktiv legitimiert Das Landgericht
gab aber unter Zurückweisung dieses Einwands der Klage statt.
Voraussetzung sei, dass die Klägerin, deren Anspruch an sich
aus §1 823 249 BGB. und § 11 des Gesetzes vom 3. Mai 1909 be¬
gründet sei, von dem Arzt auf Bezahlung in Anspruch genommen
werden käme. Die Printe, wer in Palle ärztlicher Be-
h a n d 1 u n g einer Ehefrau für die K o s t e n h a f t e, sei nicht
unbestritten. Fraglos sei die persönliche Unterhaltung der Ehefrau
und die Sorge für ihr körperliches Wohlbefinden eine sich aus der
Unterhaltspflicht des Ehemannes (§ 1360 BGB) ergebende und
ihm obliegende Aufgabe und hierzu gehöre im Falle der Erkrankung
der Ehefrau vor allem die Wahl und Annahme des Arztes und die
Beschaffung der notwendigen Arzneien aus der Apotheke. Begebe i
sich die Frau aber in die Behandlung eines Arztes, so gehöre dies
nicht zu den Schlüsselgewaltgeschäften des § 1357 BGB., so dass
der Mann auch nicht aus diesem Grunde hafte, also auch nicht ‘Ulem
zur Geltendmachung des Anspruches auf Befreiung von den durch die
Frau eingegangenen Verbindlichkeiten aktiv legitimiert sei Dem
Arzte und dem Apotheker stehe vielmehr ein Vertragsanspruch gegen
die Ehefrau aus § 1399 BGB. zu. Zwar hafte dem Arzt auch der
Unterhaltspflichtige, also der Ehemann, aus ungerechtfertigter Be¬
reicherung oder auftragsloser Geschäftsführung vornehmlich aber der
Vertragsgegner, also die Ehefrau. Das sei auch das Natürliche, denn
der Arzt wolle selbstverständlich in erster Linie mit der Person einen
Vertrag abschliessen, die ihn aufsuche und seine ärztliche Hufe er¬
bitte. Ebenso hafte umgekehrt, wenn der Ehemann mit dem Arzt
abschliesse, damit er seiner Frau ärztliche Hilfe bringe, der Mann
unmittelbar aus dem Vertrage, auch die Frau aber aus dem Gesichts¬
punkte der Geschäftsführung ohne Auftrag, da der Arzt seine nur
entgeltlich geleisteten Dienste, die als Aufwendungen im Sinne des
§ 683 BGB. anzusehen seien, im Interesse und mit mutmasslichem
Willen der Ehefrau für diese aufwende. Demnach sei auch Frau \.
dem Arzte verpflichtet, folglich auch zur Geltendmachung des An¬
spruches auf Befreiung von den Arztkosten legitimiert. Das Ober-
iandesgericht Celle ist im Urteil vom 20. Febryar 1914 (Berliner
Apotheker-Ztg. S. 204) diesen Ausführungen beigetreten und hat
gleichfalls angenommen, dass die Ehefrau berechtigt ist, Befreiung \on,
Arzt- und Apothekerkosten zu verlangen, und zwar gleichgültig, in
welchem Güterrecht die Eheleute leben. —
Gemäss §§ 7, 20 Abs. 1 des KVG. kann der Kassenvorstand ver¬
heirateten Versicherten unabhängig von ihrer Zustimmung an Stellt
der Regelleistungen des § 6 KVG. freie Kur und Verpflegung in einen
Krankenhause u. a. dann gewähren, wenn der Zustand oder das Ver¬
halten des Erkrankten eine fortgesetzte Beobachtung erfordert.
I ehnt in solchem Falle der Versicherte die vom Vorstand aneeordnett
Krankenhausbehandlung ab, so hat die Kasse nicht die Befugnis zu:
Zwangseinweisung, aber der Versicherte verliert für die Dauer seir.ci
Weigerung jeden Anspruch auf Krankenunterstutzung. sofern mch
die Weigerung gerechtfertigt ist. Es genügt nach einem Urteil üp;
Verwaltungsgerichtshofs Braunschweie vom 24. September Dl
(Preussisches Verwaltungsblatt 1914 S. 521). wenn der behau
dein de Kassenarzt aus irgend einem triftigen Grunde es tu
notwendig erachtet, dass der Kranke a i u f s e 1 n c
Zustand längere Zeit beobachtet wird. Von dieser be
der Sachlage begründeten Ansicht des Kassenarztes hatte die Kass
im vorliegenden Fall den Kläger bei der Einweisungsverfügung ver
ständigt. Mangelndes Vertrauen zum Kassenarzt ist kern aus
reichender Grund, die Krankenhausbehandlung abzulehnen, nie im
berechtigte Weigerung, ins Krankenhaus zu gehen, hat den Wegfa
der Krankenunterstützung für die Dauer der Weigerung zur Folge.
(Schluss folgt.)
Die Fuhrwerkhaltung der Aerzte bei Ausübung ihres
Berufes ist nach dem früheren Unfallversicherungsgesetz
vom V er sicherungs zwang befreit gewesen, weil das Fuhr¬
werk von ihnen nicht gewerbsmässig betrieben wird. Nach § 53/
Abs 1 Nr 7 RVO. unterliegt aber ausser dem gewerbsmässigen
Fuhr werksbetrieb auch „das Halten von anderen Fahrzeugen als
Wasserfahrzeugen der Versicherungspflicht, wenn sie durch elemen¬
tare oder tierische Kraft bewegt werden“. Infolgedessen ist letzt das
Halten eines Fahrzeugs schlechthin versichert, wenn hierbei ver-
sicherungspflichtige Personen beschäftigt werden. Der Umstand, dass
der Kutscher und Pferdepfleger hauptsächlich als Dienstbote (Diener,
Gärtner) angenommen wurde, ist gegenüber der Tatsache, dass er
auch für die Fuhrwerkshaltung in einem kraft Gesetzes versicherten
Betriebe angestellt ist, bedeutungslos. Die Versicherungspflicht tritt
vielmehr ohne weiteres mit der Beschäftigung einer zum Kreise der
versicherungspflichtigen Personen an sich gehörigen Arbeitskraft in
einem versicherten Betrieb ein, auch wenn diese Tätigkeit für die
betreffende Person nur eine Nebenbeschäftigung darstellt (Beschluss
Bücheranzeigen und Referate.
Richard C. C a b o t: Differentialdiagnose an Hand von 385 gena
besprochenen Krankheitsfällen lehrbuchmässig dargestellt. Deutsch
Bearbeitung nach der 2. Auflage des Originals von H. Ziesch
Mit 199 Abbildungen. Berlin 1914, Verlag von Julius Springer.
Das Buch behandelt die Differentialdiagnose nicht in der üblich*,
theoretischen Art unserer guten Lehrbücher, sondern durchaus prai
tisch in Form der Krankengeschichten von wohlbeobachteten in
-untersuchten Fällen, welche einzeln in extenso ausgeführt sind. V
Anlage des Buches ist sehr originell, indem die Krankengeschichte
nach bestimmten hervorstechenden Symptomen geordnet sind: Kop
schmerz, Kreuzschmerzen, allgemeine Schmerzen im Leib, Schmerz*
im rechten Hypochondrium, im linken Hypochondrium, in der recht*
Darmbeingrube, in der linken unteren Bauchgegend, in der Achs*,
gegend, in den Beinen und Füssen, Fieber, Schüttelfrost, Kom
Krämpfe, Schwäche, Husten, Erbrechen, Hämaturie, Dyspnoe, uel
sucht, Nervosität. Den einzelnen Gruppen sind kurze einleitend
Bemerkungen vorangestellt. Der Arzt, der einen dunklen Krankheit
fall differentialdiagnostisch klären will, sucht die hervorstechendst*
11, August 1914. _ MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1785
Sjrnptome auf und orientiert sich an der Hand der im vorliegenden
Buche aufgezahlten Krankheitsfälle über die verschiedenen in Be¬
tracht zu ziehenden Krankheiten. Für die Diagnose seines Falles
kommen ihm die ausführlichen Krankengeschichten mit ihrem Ein¬
gehen aut \ erlauf, Einfluss der Behandlung und den jeweils gegebenen
diagnostischen Erörterungen sehr entgegen. Es kann kein Zweifel
sein, dass diese Art der Darstellung eine sehr bequeme ist und in
vielen ballen die gewünschte Klärung bringen wird. Die Hand¬
habung des Buches ist eine selten klare, die Darstellung eine knappe
und doch prägnante ohne grosse Voraussetzungen von schwierigen
l ntersuchungsmethoden. Das Buch kann wärmstens empfohlen wer-
den- . Schiften hei m.
C. K r a e m e r - Böblingen-Stuttgart : Aetiologle und spezifische
Therapie der Tuberkulose. Verlag F. Enke, Stuttgart. 458 Seiten.
Preis 10.40 M. (2 Bände.)
1 . Band : A e t i o I o g i e.
Kraeme r versucht an einer umfangreichen Statistik (450 An¬
walts- und 300 Privatpatienten) zu beweisen, dass die Ueber-
tragung der I uberkulose nicht extra-, sondern
in traute r i n erfolgt. Er gibt zwar zu, dass die Erfahrungen,
dieu!uuZllJdie^m Scfl,usse drängen, meistens Eis der Behandlung
wohlhabender Patienten hervorgegangen sind. Aber trotz der um¬
fassenden Literatur- und Sachkenntnis kann man der Beweisführung
in dieser Hinsicht kaum zustimmen. Sonst enthält der Band viel
lesenswerte Betrachtungen über Säuglingstuberkulose und
ro.*ulose u. a. und eine sehr anregende Stellungnahme zur
Disposition und zu den klassischen Ansichten von M a r t i u s.
Kraemer hat sich zu viel mit Theorie belastet. Auch noch
der Antang des zweiten Bandes: „Das Tuberkulin als
n LJ * eJ 1er Tuberkulös e“, leidet darunter. Der Band
en halt die Biologie, Methodik, Kritik und Indikation der Tuber-
kulinkur.
Auch dieser 2. Band ist ein sehr persönliches Buch mit den Licht-
und Schattenseiten eines solchen; allerdings überwiegen meines Er-
.ichtens die Lichtseiten ganz bedeutend. Es ist ein ausserordentliches
verdienst Kraemers, gerade gegenüber der Sucht nach neuen
Mitteln den VVert des Alttuberkulins als des sichersten Heil¬
mittels auf Grund besonders reicher Sachkenntnis betont zu haben,
ts hat auch für den Kundigen etwas Bestechendes, solche ehrliche
Begeisterung eines erfahrenen Mannes zu hören. Kraemer kennt
keine Kompromisse, vielleicht nur Sahli gegenüber. Es schadet
Jem ganzen Werk durchaus nichts, wenn mal ein etwas polemischer
Ion gegen schlechte Tuberkulinkritiker hindurch klingt. Solche Ab-
echnung tut not; falsche Technik bedingt eben Misserfolge. Es tut
uich dem ganzen keinen Abbruch, wenn man in der theoretischen
Beweisführung manchmal mehr den Eindruck der Spekulation wie
!es Bewiesenen hat. In den meisten Punkten kann man Kraemers
ehrlicher Arbeit zustimmen. Manche Kapitel sind meisterhaft ge-
ungen Ich nenne die über „Tuberkulinkritik“, über „die Diplomatie
Jer Tuberkulinkur“, die „individuelle Therapie“, „reaktionslose Be¬
handlung u. a. Kraemer erkennt besonders die Berechtigung und
Notwendigkeit der ambulanten Tuberkulinthera-
>i e an, die manche Anstaltsärzte unverständlicherweise immer noch
iblehnen.
„Wer die ambulante Tuberkulinkur verwirft, der setzt sich
der Genesung eines grossen Teils der Tuberkulosepatienten ent¬
gegen, und er begibt sich des besten Mittels, die Tuberkulose ver-
nunftgemäss zu bekämpfen.“
, Die Erhaltung der Ueberempfindlichkeit verwirft Kraemer.
-r arbeitet auf grosse Dosen hin, natürlich mit aller Vorsicht. „Mehr
"bei kühn hilft mehr“ (? Ref.). Die Heilung wird gesichert durch
ine Nachprüfung mit Tuberkulin nach einem halben bis ganzen Jahr
nter sprungweiser Anwendung von Gaben bis zur Hälfte der früheren
locnstdosis. Grundlage für die therapeutische Anwendung des Tuber-
ulins ist eine exakte Tuberkulindiagnostik. Im übrigen drückt
'r‘Len?er 'n einem sehr treffenden Gleichnis seine Stellungnahme
ur 1 u b e r k u I i n m e t h o d i k aus. „Tuberkulin ist mit einem Seil
u vergleichen, das den Arzt mit der Tuberkulose des Patienten ver-
niipft. Lässt er es immer locker hängen, so begibt er sich der
ernsten, stetigen Fühlung mit der Krankheit und spürt nicht den
v io erstand oder die Lösung der Verbindung auf ihrer Seite. Ausser-
em nst das mehr oder weniger starke Ziehen der Krankheitsheilung
tt forderlich; doch nicht in dem Walten roher Kräfte liegt der Vor-
-il. sondern in der Kunst, zu rechter Zeit, in rechtem Mass den Zug
usziuiben.
Bei Fiebernden ist. wenn eine entsprechende Allgemeinbehand-
ing erfolglos ist, ein Versuch mit Tuberkulin angezeigt, der aller-
'ngs auch häufiger missglücken kann. (Meistens! Ref.) — Die
|StHtrne und ihre Beschwerden sind meist Zeichen einer latenten
iiDcrkulose. Kraemer will nicht etwa die Anstaltskuren aus der
'eit schaffen, sondern hält sie in bestimmten Fällen für sehr an-
L.n£'K k uCh darin möchte ich ihm durchaus beistimmen, wie sich
n überhaupt Kraemers Ausführungen in vielem mit dem in
'einem Lehrbuch geäusserten decken.
Kraemers Buch ist nicht für den Neuling in der Tuberkulosc-
erapie, nicht für die Belehrung des Allgemeinpraktikers, dem der
ml i n *?d ist’ geschrieben, aber wer sich mit der Tuberkulose
ihrer Behandlung eingehender beschäftigen will, dem bietet
^.ra£.rt?ers Buch eine Fülle von Anregungen und eine sachverstän¬
dige Belehrung Bl ümel- Halle.
Realenzyklopädie der gesamten Heilkunde. Medizin.-chirurg
Handwörterbuch für praktische Aerzte. Unter Mitredaktion von
d* n * IheodBrugsch- Berlin herausgegeben von Geh. Med.-
Rat I rof. Dr. Albert Eulenburg. XIV. u. XV. Bd. 4. gänzlich
umgearbeitete Auflage. Urban & Schwarzenberg. Berlin
und Leipzig 1914.
Mit den beiden vorliegenden Bänden ist die 4. Auflage der Real¬
enzyklopädie abgeschlossen. Dass die mühevolle Arbeit der gänz-
lichen Neubearbeitung des grossen Werkes in verhältnismässig kurzer
z.eit geleistet wurde, gereicht dem Herausgeber und seinen Mit¬
arbeitern zur .Ehre. Mit der Neuauflage ist die Realenzyklopädie in
der 1 at ein ganz neues, ein anderes Werk geworden. Die theo-
retischen Artikel haben gegen früher eine Einschränkung erfahren;
der Schwerpunkt ist auf die praktische Medizin verlegt. Das Be-
streben, den Bedürfnissen des praktischen Arztes zu dienen, ist
überall erkennbar. Dem Bedürfnis des Praktikers entspricht es auch,
dass das Werk seinem Umfang nach erheblich kürzer geworden ist.
Dass es auch inhaltlich auf der Höhe steht, dafür bürgt der grosse
Stab ausgezeichneter Mitarbeiter. So ist E u 1 e n b u r g s Real¬
enzyklopädie von neuem und in erhöhtem Masse das geworden was
sie uns Alten war, das Nachschlagebuch. das in allen Lagen des prak-
tischen Lebens zuverlässige Auskunft gibt. Wir wünschen ihr, dass
ihr die alte Beliebtheit unter den Aerzten erhalten bleibt.
Neueste .Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 1 15. Bd., H. 5 u. 6.
T°£leVn:,Dit Zusammensetzung der Pneumothoraxluft.
(Aus dem stadt. Krankenhaus „Oeresund“ in Kopenhagen.)
Werden Stickstoff, Sauerstoff, Kohlensäure oder Mischungen von
mft dPrPr611 T d'e- P|eurahöhle eingebracht, tritt die eingeführte Luft
von l lGonWpben Q*-D,lff?SLoni ^nd es biIdet sich eine Gasmischung
SrP R(! hndIS!.'C SD,ff' 4 Proz. Sauerstoff und 6 Proz. Kohlen-
j P . bestehender Pleuritis ändert sich die Zusammensetzung
S SChün^’ 'ndem der Sauerstoff vollständig oder beinahe voll-
^ nd!*f verschwindet. Dieses Verschwinden des Sauerstoffs ist dia-
bar Et H Verwertbar’ indern es früher als das Exsudat nachweis-
E. Malin ea: Beiträge zur Chemie des Sputums. II. Ueber
Innsbruck Sputums- (Al,s der med. Klinik zu Greifswald und
Bei Tuberkulose verschiedener Stadien, Bronchiektasien, Bron¬
chopneumonien eitriger Bronchitis fand sich ein Ferment, das Kasein
in alkalischer Losung verdaut. Die Menge des Fermentes war ab¬
hängig von der Beschaffenheit des Sputums (am meisten fand sich
im eitrigen Sputum) und von dessen Alter, indem Sputum von ver¬
zögerter Expektoration bzw. solches nach 1—2 tägigem Stehen einen
grosseren Fermentgehalt zeigt. Ferner fand sich bei einzelnen Spu¬
tumuntersuchungen ein zweites, auf Polypeptide eingestelltes Fer-
Das Sputum ist eine biologisch labile Masse, die noch inner¬
halb des Körpers bedeutende Veränderungen erfährt
i W' • A c h el i s: Ueber adhäsive Perikarditis und über den Ver¬
lust der beim Uebergang aus der horizontalen zur aufrechten Körper¬
haltung normalerweise eintretenden Vertikalverschiebung des Her-
zens. (Aus der II. med. Klinik der Akademie in Köln und der med
Klinik zu Strassburg.) (Mit 6 Abbildungen.)
Von 17 Fällen, die vor kürzerer oder längerer Zeit Perikarditis
uberstanden hatten, zeigten nur 3 ein deutliches und allgemeines
1 leferrücken des Herzens beim Uebergang vom Liegen zum Stehen.
Das ausschlaggebende Moment für den Verlust der normalen Verti¬
kalverschieblichkeit des Herzens nach Perikarditis ist nicht in den
ausseren, sondern in den inneren Verwachsungen des Herzbeutels
zu erblicken. Der klinische Befund war meist gering. auch dann,
\venn sich orthodiagraphisch eine völlige Unverschieblichkeit des
Herzens erkennen Hess. Ergiebiger als der klinische Befund für den
Nachweis von Residuen der Perikarditis war die röntgenologische
Untersuchung, wenn auch diese Befunde nur mit der nötigen Kritik
verwertet werden können.
M. Landsberg: Zur Frage der Zuckerverbrennung im Pan¬
kreasdiabetes. (Aus der med Klinik Greifswald.)
Blutzellen pankreasloser Tiere zerstören ebensoviel Zucker, wie
Blutzellen normaler Tiere. Normale Blutzellen im Serum von pan¬
kreaslosen Tieren verbrauchten nicht weniger Zucker als im Serun>
von normalen Tieren. Der Zuckerverbrauch arbeitender Muskeln
panki easdiabetischer Hunde entspricht in seiner Grössenordnung
durchaus dem Zuckerverbrauch der normalen Muskeln. Diese Tat¬
sachen sprechen unzweideutig gegen die Notwendigkeit des Pankreas-
hormons für den Zuckerverbrauch durch Körperzellen. Es ist wahr¬
scheinlicher, dass das Pankreashormon nur für den Kohlehydratstoff-
Wechsel der Leber ausschlaggebende Bedeutung hat.
H- Eich hör st: Ueber latenten Meningealkrebs. (Mit Tafel
IV, V ./
Bei einer 50 jährigen Frau, die mit der Diagnose Krebsmeta¬
stasen in der Wirbelsäule und den spinalen Meningen mit Kompression
des Lendenmarkes ad exitum kam, fand man makroskopisch an den
Wirbeln, Meningen und dem Rückenmark nichts Krankhaftes. Erst
178f»
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. .12.
das Mikroskop deckte weitgehende karzinomatöse Veränderungen des
Rückenmarkes und seiner weichen Häute auf.
J. Zadek: Herzstörungen nach Pneumonie. (Aus der inneren
Abteilung des städt. Krankenhauses Neukölln.) (Mit 4 Kurven.)
In jedem Falle von Pneumonie, auch dann, wenn a priori die
günstigsten Chancen für glattes Ueberstehen mit völliger restitutio
ad integrum bezüglich des Gesamtorganismus zu bestehen scheinen,
ist der Rekonvaleszenz besondere Beachtung zu widmen, zu frühes
Aufstehen und Ueberanstrengungen sind zu vermeiden. Irregularitäten
oder Frequenzsteigerung des Pulses, sowie sonstige Zirkulations¬
störungen sind sorgfältig zu berücksichtigen; sonst können die durch
den pneumonischen Infekt gesetzten, klinisch als Herz- und üetass-
störungen in Erscheinung tretenden Schädlichkeiten unter dem Ein¬
fluss begünstigender Momente leicht zu katastrophalen Folgen
führen. . . ,
H. Straub: Dynamik des Säugetierherzens. (Aus der I. med.
Klinik der Universität München.) (Mit 20 Abbildungen.) ....
Der diastolische Druck im linken Ventrikel ist in der Regel nicht
gleich dem atmosphärischen Druck, sondern positiv. Mit steigender
Ueberlastung verbreitert sich die Druckkurve des Ventrikels, das
Maximum steigt. Das diastolische Minimum steigt mit steigender
Ueberlastung, d. h. die Anfangsspannung steigt. Bei zunehmender
Ueberlastung verschiebt sich das Ventrikelvolumen nach der dia¬
stolischen Seite. Diastolisches Maximum und systolisches Minimum
verschieben sich bei gut arbeitendem Herzen um denselben Betrag, so
dass die Amplitüde, d. h. das Schlagvolumen konstant bleibt. Jeder
Ueberlastung ist bei sonst gleichen Versuchsbedingungen ein be¬
stimmtes Volumen charakteristisch, auf das die Volumkurve bei Stei-
gen oder Sinken der Ueberlastung sich alsbald einstellt. Das Herz
verhält sich demnach in dieser Funktion wie ein völlig elastischer
Körper. Die Kontraktion des Säugetierherzens folgt denselben Ge¬
setzen, wie diejenige des Skelettmuskels und ist ein zwingender Be¬
weis für die Anschauung, dass die Herzmuskelkontraktion einer ein¬
fachen Muskelzuckung entspricht, und dass es sich nicht um einen
kurzdauernden Tetanus handelt. (Die weiteren Ergebnisse der um¬
fangreichen Arbeit sind nachzulesen.)
P. Wack: Ueber Leukozytenbefunde bei Miliartuberkulose und
ihre diagnostische Bedeutung. (Aus der med. Klinik in Marburg.)
(Mit 1 Kurve.) , , ... ,
In 7 Fällen von Miliartuberkulose fand sich regelmasisg das Ver¬
hältnis zwischen polymorphkernigen Leukozyten und Lymphozyten
zu ungunsten der letzteren verschoben, es bestand eine relative
Lvmphozytopenie bzw. relative Polynukleose, ein Zeichen, dass der
Tuberkelbazillus allein (d. h. ohne Sekundärinfektion) die Lympho-
zytopenie bedingen kann. Dieser Befund ist für die Differentialdia-
gnose gegenüber Typhus mit seiner Leukopenie, gegenüber Sepsis
mit meist starker Leukozytose und etwaiger Meningitis und Genick¬
starre mit meist starker neutrophiler Leukozytose bedeutungsvoll.
In 1 Falle verbarg sich die Miliartuberkulose unter dem Bilde einer
myeloischen Leukämie, offenbar bedingt durch eine frühzeitige runk-
tionsuntüchtigkeit des Knochenmarks infolge der Schwere der In-
M. Sem er au: Beiträge zur Lehre vom Pulsus paradoxus.
(Aus der med. Klinik der Universität Strassburg.) (Mit 9 Kurven.)
Der mechanisch bedingte Pulsus paradoxus ist meist für adhasive
Perikarditis pathognomonisch. Der dynamisch bedingte Pulsus para¬
doxus kann prognostisch verwertet werden, indem er entweder eine
drohende Herzschwäche oder eine Zunahme des negativen intra-
thorazischen Drucks anzeigt.
W. Schultz: Scharlachbehandlung mit Humanserum und
Serumlipoide. (Aus der II. inneren Abteilung des Krankenhauses
Charlottenburg-Westend.) (Mit 1 Kurve.)
Bei 7 leichten bzw. mittelschweren Scharlachfallen, die mit
Aetherextraktsuspension von Humanserum intravenös injiziert wur¬
den fand sich keinerlei wesentliche Abweichung von unbehandelten
Fällen. Die entfiebernde Wirkung des Humanserums bei aJT!n
Scharlachinfektion ist jedenfalls nicht in seinem, in der Kalte extra¬
hierbaren Lipoidgehalt darstellbar. Krnnach
Besprechungen. Bamberger - Kronach.
Zentralblatt für innere Medizin. Nr. 22—29, 1914.
Nr. 22 u. 23. 31. Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wies-
hadeKohektivbericht der Vereinigung der deutschen medizinischen
Fachpresse (v. Romberg, Reiter). . . „ ... . .
Nr. 24 S c i f f e r t: Sammelrefcrat aus dem Gebiete der Rhino-
Laryngologie.
Januar bis April 1914. . D.
Nr. 25. Bache m: Sammelreferat aus dem Gebiete der l harma-
kologie.
Januar bis März 1914.
Nr 26 u. 27 ohne Originalartikcl. . .
Nr. 28. M. Wolfheim-Bad Nauheim: Zur Behandlung des
Diabetes mit Diabeteserin. „ „ .
Das Diabeteserin enthält Eserin und Salze des Dunecek-
schen anorganischen Serums. Das Eserin soll eine tomsierende Wir¬
kung auf den Nervus vagus ausuben, die Salze sollen die Arterio¬
sklerose beeinflussen. Beide Momente sind in der Aet.ologie des
Diabetes häufig zu berücksichtigen. Das Präparat erzielte in 8 1 .dien
Günstiges und w ird deshalb zur Nachprüfung empfohlen.
Nr. 29 ohne Originalartikel. W. Z i n n - Berlin.
Zeitschrift für Tuberkulose. Band 22, Heft 4.
Winkler- Charlottenburg: Tuberkulose und Wohnung in Char¬
lottenburg. . , , , ....
Eine durch Tabellen belegte Arbeit, die zahlenmassig beweist,
dass die Lungentuberkulose mit der Wohnungsdichte zusammenhängt,
dass beispielsweise die Wohnungsbelegung bei den an Tuberkulose
Verstorbenen dichter war, als bei der Gesamtbevölkerung. Einzel¬
heiten müssen im Originale nachgelesen werden.
B e r g e 1 - Dahlem: Studien über fermentativen Abbau der
Tuberkelbazillen im Organismus. .
Der Verf. hat schon früher nachgewiesen, dass „bei der Ein¬
verleibung von Lipoiden bei Tieren im Exsudate der betreffenden
Körperhöhlen hauptsächlich Lymphozyten auftreten, welchen offenbar
der Abbau und die Wegschaffung der einverleibten Lipoide obliegt.
Da wir nun bei einer Reihe von Infektionskrankheiten in den ent¬
zündlichen Krankheitsprodukten in erster Linie Lymphozyten an¬
treffen so lag der (Tedanke nahe, dass das Auftreten gerade dieser
Zellelemente vielleicht ebenfalls mit der Beseitigung von Lipoiden
bei diesen Krankheitsprozessen in Zusammenhang zu bringen sei.
Dieser Gedanke erschien um so gerechtfertigter, als die Lymphozyten
hauptsächlich bei solchen Infektionskrankheiten beobachtet werden,
in deren Biochemismus Lipoide eine besondere Rolle spielen . Das
wird für die Tuberkulose nachgewiesen und dadurch gezeigt, dass die
bei dieser Krankheit beobachtete Lymphozytose ein Heilbestreben
des Organismus bedeutet.
Simon- Aprath : Erfahrungen mit dem Friedmann sehen
Eines der sich jetzt häufenden durchaus absprecheuden Urteile.
Menzer-Bochum: Zur tuberkulösen Aetiologie der Thyreosen.
Patienten mit thyreotoxischen Erscheinungen zeigten auf sub¬
kutane Injektionen von Landmann schem I uberkulol spezifische
Reaktionen. Der Zusammenhang zwischen den Thyreosen und
schliesslich auch Morbus Basedowii mit Tuberkulose scheint auch
dem Verf. erwiesen zu sein.
H a u p t - Dresden: Beitrag zur Schutz- und Heilimpfung gegen
die Tuberkulose bei Meerschweinchen und Kaninchen.
Schluss folgt. Liebe- Waldhof Elgershausen.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 30.
Rieh. Frank-Kaschau: Die Desinfektion der Haut mit Sterolin
bzw. Jodsterolin. , , , c,
Verf. benützt zur Desinfektion von Haut und Händen das Sterolin
mit folgender Zusammensetzung: Bals. Peruv. 4,0, Ol. Ricini, 1 ere-
bintli. venet. äa 2,0, Glycerin. 1,0, Spirit vin. conc. 100,0 Zuerst
wird (ohne Reinigungsbad am Vortag) das Operationsfeld mit steri er.
Tupfern 1 — 2 Minuten abgerieben: bis die Lösung an die Haut an¬
trocknet, werden 2 Minuten die Hände des Operateurs mit Sterolin
abgerieben. Jetzt wird mit frischen Tupfern nochmals das Operations¬
feld abgerieben und dann gleichfalls die Hand des Operateurs zum
zweitenmal abgewaschen. Sobald der zweite Sterolinanstnch auf der
Haut verdunstet ist, kann mit der Operation begonnen werden.
Neuerdings hat Verf. auch noch Jodtinktur benützt: 1. Bepinselung
des Operationsfeldes mit 6,6 proz. Jodtinktur, 2. Abreiben der Hände
mit Sterolin, 3. Anlegen der Gesichtsmasken, 4. Abreiben des Jod¬
anstriches auf der Haut mit Sterolmtupfern (die Jodbräunung ver¬
schwindet dabei rasch und völlig), 5. zweite Händedesinfektion mit
Sterolin. Verf.s Erfolge mit Sterolindesinfektion sind sehr gute, ob¬
gleich die Hände des Operateurs mit Seife und Bürste vorher nicht
mehr gereinigt werden. , , . . .
E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Zeitschrift für Kinderheilkunde. XI. Band. Heft 3. 1914.
Z. v. Bökay -Berlin-Pest: Ueber eine besondere Form der
Alvcolardiphtherie bei Säuglingen.
Bei 2 Säuglingen mit Nasendiphtherie konnte der Verf. einen
eigenartigen Beginn diphtherischer Affektion des Alveolarfortsatzes
beobachten: sie setzte ein als sehr voluminöses, hämorrhagisches,
stellenweise zystenartig aussehendes Oedem der Schleimhaut, aut
dem sich erst nachträglich zarte Beläge ausbreiteten; die beigegebene
Abbildung gibt keinen rechten Begriff von der Affektion.
Th. Franz und A. v Reuss-Wien: Beiträge zur Kenntnis
des Harns der ersten Lebenstagc.
In den ersten 3 Lebenstagen scheidet weitaus die Mehrzahl auer
Neugeborenen geringe Mengen von Eiweiss und ei weissfällenden
Substanzen („E s s i g s ä u r e k ö r p e r“) aus; das ist wahrscheinlich
eine Folge der intra partum einsetzenden Zirkulationsanderung, aiso
mit anderen Worten eine ganz physiologische Erscheinung.
Irgendwie erheblichere Mengen des Nahrungs z u c k e r s treten
nie in den Harn des Neugeborenen über; durch empfindliche I roDcn
können geringe Mengen von Nitraten oder Nitriten, sowie von IndiKa
überaus häufig nachgewiesen werden; sie stehen offenbar in Zu¬
sammenhang mit leichten enteralen Störungen der ersten Lebenstage
(„Ucbergangskatarrhe“) und entbehren der klinischen Bedeutung.
August 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
A. S c h a b a d - Petersburg: Der Stoffwechsel bei angeborener
.henbriiehigkeit (Osteogenesis imperfecta).
Stoffwechsel versuche an einem 10 jährigen Mädchen mit
ogenesis imperfecta, das bis dahin 12 Frakturen erlitten hatte,
ben eine abnorm niedrige Kalkretention, die besonders durch
^horlebcrtrangaben günstig beeinflusst werden konnte; von
rachitischen Darniederliegen der Kalkretention unterschied sich
■rüge bei der angeborenen Knochenbrüchigkeit durch das un-
ärte Verhältnis des durch Urin und Kot ausgeschiedenen Phos-
s, sowie durch die Wirkungslosigkeit von Kalkzufuhr bei gleich-
ger Phosphorlebertrantherapie. Q ö 1 1 - München.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 31, 1914.
L. L a n d a u - Berlin: Myom und Schwangerschaft. Uterus myo-
'sus gra\ idus. III. mens, von 11 Pfund Gewicht. (Nach einer
onstration in der Berl. med. Ges. am 8. Juli 1914)
Cf. pag. 1589 der M.m.W. 1914.
Karl K 1 i e n c b c r g e r - Zittau: Die Behandlung der Lungen-
rkulose nach Friedemann. (Vortrag, gehalten in der 10. Ver-
inlung der Freien Vereinigung für innere Medizin im Königreich
sen am 21. Mai 1914.)
C. Gutmann - Wiesbaden: Beiträge zu dem Kapitel: Salvarsan
latenter Mikrobismns. (Vortrag, gehalten im Verein der Aerzte
badens am 4. Februar 1914.)
Da in der Entwicklung begriffene, akute fieberhafte Erkran-
i eil mit ihrem latenten Mikrobismus mangels jeglicher Krankheits-
utome sich fast ausnahmslos unserer Erkenntnis entziehen, darf
i Salvarsaninjektion nur bei völligem Wohlbefinden des Patienten
icht werden.
Nach Abheilung irgendwelcher akut fieberhaften, in eine Sal-
i inkur fallenden Erkrankung muss eine 8— 14 tägige Behandlungs-
:• innegehalten werden.
Bei \\ iederaufnahme der Salvarsanbehandlung muss mit kleiner
.dorischer Dosis begonnen und nur ganz allmählich gesteigert
en.
Leonardeo M a r t i n o 1 1 i - Modena: Epithelisierende Wirkung
Vminoazobenzole.
Verf. führt die epithelisierende Wirkung der Aminoazobenzole
me durch sie erzeugte Fixierung und Unlöslichkeit der Fette
:k.
Weckow ski- Breslau: Weitere Erfahrungen in der Radium-
ahlung maligner Geschwülste. (Vortrag in der med. Sektion
gehles. Ges. f. vaterl. Kultur zu Breslau am 8. Mai 1914.)
ßestrahlungsquanten von 187 bzw. 143 mg erwiesen sich in
m Fall als schädlich. Karzinome, die unter Röntgen sich fort-
1 itend verschlimmern, verlieren bei Radiumbestrahlung ihre
irtigkeit und bilden sich zurück. Die Karzinome verhalten sich
Radiumbestrahlung gegenüber verschieden, was jedoch weniger
inere Ursachen als auf die noch immer mangelhaft ausgebildete
i kationstechnik zurückzuführen ist. Aehnlich günstige Resultate
sie in der Gynäkologie beim Uteruskarzinom zu erzielen sind,
ht man in der Chirurgie bei den Mammakarzinomen.
Vlarcus Rabinowitsch - Charkow : Urobilin und Diazo-
lon beim Flecktyphus.
3ei den meisten Fällen von Flecktyphus sind Diazo- und Uro-
eaktion im Harn deutlich ausgebildet. Die Diazoreaktion ist
in den ersten Krankheitstagen deutlich ausgebildet, ver-
ndet meist kurz vor der Krisis und kann auch nach derselben
nachweisbar sein. Sie ist je nach dem Fall verschieden stark
l teht in keinem Verhältnis zur Intensität der Erkrankung. Das
hn erscheint im Harn der Flecktyphuskranken gewöhnlich kurz
»der nach der Krisis; Erscheinen und Dauer sind je nach dem
verschieden. Beim Flecktyphus ist das Urobilin hämatogenen
ungs und wird durch die hämolytischen Eigenschaften des Fleck¬
serregers bedingt.
darcus Rabinowitsch - Charkow : Ueber den Flecktyphus-
erf behauptet aufs neue, dass der von ihm im Jahre 1908 ent-
e Diplobazillus der Flecktyphuserreger ist, und dass die ver-
jenen Zelleinschlüsse, die beim Flecktyphus wahrgenommen
-'n, nichts anderes als Reaktionsprodukte der Zellen sind.
• B e n d e r s k y - Kiew: Ein Fall von hochgradiger Fettleibig-
bzw. Elephantiasis),
kasuistischer Beitrag.
ieorg S c h m i d t - Berlin: Neuerungen im Bereiche der
'sischen Heeressanitätsverwaltung während des Jahres 1913.
Dr. Grass m a n n - München.
Oesterreichische Literatur.
►V lener klinische Wochenschrift.
W e i c h e r t - Wien : Ueber neuere Verfahren der
hu,()sebehandlun£ und die für Pathologie und Therapie daraus
ehenden Schlüsse.
Schluss folgt.)
k. M a y e r - Krakau: Ueber eine Methode, die physikalischen
sse auf die Form der Elektrokardiogramme auszuschalten.
Die hier angegebenen Ableitungsvorrichtungen lassen sich nicht
in Kurze genügend beschreiben.
G. K i r a 1 y f i - Pest: Intramuskuläre Blutinjektionen in der
1 heraple der Leukämie.
Bei der Benzol-, Arsen- oder Thoriumtherapic der Leukämie
treten oft schwere, dann meist unaufhaltsame tödliche Schädigungen
durch Lähmung der Knochenmarkfunktion auf. Bei einem solchen
Kranken mit rapider Abnahme der weissen und roten Blutkörperchen
rw-u ^ Verf- '^raftlutäal drei Blutinjektionen (10 später 20 ccm, nacti
Defibrinierung und Filtrierung durch eine doppelte Kalikotbinde).
Das Absinken der Blutkörperchen kam zum Stillstand und es erfolgte
o^nnrnnnie ,VermehrunK..dcr roten Blutkörperchen von 1 000 000 auf
2 000 1100, obwohl das Fieber anhielt, besserte sich in hohem Grade
das Allgemeinbefinden. Den besten Erfolg hatte die erste Injektion
mit dem Blut eines polyzythämischen Kranken.
V L a z a r e v i c - Wien: Retentionsgeschwulst (Speichelgang¬
geschwulst) in der Glandula parotis mit operativer Heilung.
c Krankengeschichte eines 7 jährigen Knaben: Entfernung von
i..„ einc. n. aus dem Ductus Stenonianus auf dem in unkomplizierten
rallen einzig zweckmässigen oralen Wege.
E. Wiener: Quarantänestudien.
V. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Prager medizinische Wochenschrift.
Nr. 14/15. A. S c h ö n f e 1 d - Brünn: Todesursachen und Sek¬
tionsbefunde bei Geisteskranken mit besonderer Berücksichtigung des
Hirngewichtes.
Mit Uebergehung der vielfachen Einzelangaben sei kurz das
Gesamtergebnis der Hirnwägungen angeführt: Das Durchschnittsge-
wicht des Gehirns ist beim Gesunden höher als beim Psychotischen;
beim geistesgesunden Mann ist es 1400 g, beim geisteskranken Mann
rund 1320 g, bei der geistesgesunden Frau 1275 g, bei der geistes¬
kranken Frau 1205 g.
Nr. 15. E. H. K i s c h - Marienbad : Endokrine Lipomatosis.
K. unterscheidet für die Pathogenese der endokrinen Lipomatosis
drei Gruppen je nach Behinderung der inneren Sekretion der Hypo¬
physe, der Keimdrüsen und der Thyreoidea; ausserdem bilden sich
durch Beteiligung verschiedener dieser Drüsen Mischformen.
Nr. 61. ^R.Lawatschek - Prag: Die enterale Resorption von
genuinem Eiweiss bei Neugeborenen und darmkranken Säuglingen
und ihre Verwertbarkeit als Funktionsprüfungsmethode.
L. s Versuche zeigen, dass die Durchgängigkeit des Darmes Neu¬
geborener für heterologes (Hühnerei-) Eiweiss normalerweise über
den 10. Lebenstag hinaus besteht. Mit zunehmendem Alter scheint
die Resistenz der Magendarmwand allmählich zu wachsen. Diese
„Permeabilitätsreaktion“ auf genuines Eiweiss wurde bei älteren
Säuglingen wieder positiv bei schwereren Darmstörungen; bei
akuter Enteritis oder akuten Rezidiven chronischer Erkrankungen
würden die gleichen oder selbst höhere We’rte erlangt, wie beim
Neugeborenen. Es besteht hier wahrscheinlich ein Parallelismus mit
der Schwere der Erkrankung. Daher gibt die wiederholte Reaktion
einen Massstab für die Zu- oder Abnahme des Prozesses und für die
Prognose.
Nr. 17. R. H. Jokl-Prag: Ueber die Verwendbarkeit des
Roob Sambuci zur Behandlung von Neuralgien.
Die Nachprüfung der Angaben E p s t e i n s (in Nr. 8) an 60 Fällen
der v. J a k s c h sehen Klinik ergab, dass das Mittel tatsächlich in
zahlreichen Fällen, etwa bei einem Drittel derselben, wirksam war.
Es wurde ein Esslöffel des Extraktes in Portwein genommen oder
m 100 ccm Wasser gelöst und 15— 20 ccm 96 proz. Alkohol hinzuge-
fügt. Die Erfolge betrafen primäre Neuralgien, z. B. des Trigeminus
oder Ischiadikus. Ausgesprochen traumatische und entzündliche
Neuralgien wurden nicht beeinflusst, Neuritiden vorübergehend ge¬
steigert. Bisweilen ist die Wirkung eine einmalige und versagt bei
Rezidiven. Im ganzen ist ein Versuch mit dem durchaus unschäd¬
lichen Mittel wohl zu empfehlen.
Nr. 17. G. D o b e r a u e r - Komotau: Darmverschluss durch
Spulwürmer.
Krankengeschichte eines dieser noch selten beschriebenen Fälle;
Entfernung von 21 lebenden Spulwürmern durch Eröffnung des
lleums. Bei den dringlichsten Fällen ist nur die alsbaldige Entero-
tomie angezeigt. Nach jeder solchen Operation sind wegen wahr¬
scheinlich zurückgebliebener Würmer Wurmmittel zu geben.
Nr. 20. E. S e g e r - Aussig: Ein Symptom der beginnenden
Urethritis posterior.
Verf. beobachtete mehrmals bei beginnender Urethritis posterior
psychische Hemmung (Unvermögen) der Harnentleerung, wo sie vor¬
her nicht bestanden hatte; ausserdem sah er da. wo diese Hemmung
schon für gewöhnlicher Weise bestand, regelmässig beim Eintreten
einer gonorrhoischen Erkrankung eine Urethritis posterior resp.
Prostatitis sich entwickeln.
Nr. 2i. E. M ü n z e r und A. S e 1 i g- Franzensbad: Vaskuläre
Hypertonie und Schrumpf niere; gleichzeitig ein Beitrag zur Lehre
von der vaskulären Hypertonie überhaupt.
Zusammenfassung: Stark verbreitet kommt eine Erkrankung des
präkapillaren arteriellen Gefässsystems vor. welche wahrscheinlich
durch Wandverdickung (Sklerose) die einzelnen Gefässe und damit
den Gesamtquerschnitt der peripheren Blutbahn verengt; weiterhin
entsteht anatomisch ein vollkommener Verschluss eines Teiles dieser
1788
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 32.
kleinsten Qefässe und Schwund der dadurch versorgten GewebsteUe
Die unbedingte klinische Folge ist eine mehr oder weniger starke
Hypertonie und sekundäre Hypertrophie des linken Ventrikels,
übrigen Symptome hängen von den besonders betronenen Gew ebs-
gebieten ab. Die Schrumpfniere ist nur ein Teil der a lgemeinen
Qefässerkrankung; sie sollte besser als vaskulare Hvpertf.nie oder
allgemeine periphere Qefässsklerose (der
Korrcspondenzblatt für Schweizer Acrzte. 1914. Nr.25— 27.
C. Arend-Bern: Ueber unsere Erfahrungen mit der Behand¬
lung der chirurgischen Tuberkulose in der Ebene.
Verf gibt eine sehr ausführliche Darstellung der verschiedenen
therapeutischen Massnahmen. Operation. Quarzlampenbestrahlung,
Tuberkulintherapie, lodtherapie, Sonnenbestrahlung und führt die
Erfolge bei 181 Fällen an. . .
B. Streit-Bern: Ueber „Katamen Cetag , ein neues wirk¬
sames Mittel gegen Dysmenorrhöe. „TW«**«,
Verf. sah guten Erfolg in 10 Fällen bei Dosen von 1—3 Tabletten
innerhalb 3 Stunden. Nebenwirkungen traten nicht auf.
M. Kusunoki: Die perniziöse Anämie im früheren Kindes¬
alter. (Pathol. Institut Basel.) , „ , , . , . .
Ausführliche klinische Beschreibung und Sektionsbericht eines
Falles (6 jähriger Knabe): Literatur. . ,
W Kn oll -Unter Acgen: Betrachtungen zur mtra- nud extra¬
pleuralen Kollapstherapie bei Lungenphthise. . ,
Empfehlung der Schnittmethode nach Brauer, deren sich Verf.
ausschliesslich wegen der geringeren Gefahren bedient; Hinweis
darauf, dass die Nachteile der Schnittmethode (Eiterung, Haut¬
emphysem) nur auf Konto des Operateurs zu setzen seien. Verf.
empfiehlt dann die Aufnahme auch mittelschwcrer und schwerer balle
in die Sanatorien, weil gerade sie längerer Beobachtung vor An¬
legung eines Pneumothorax und dann längerer Nachbehandlung be-
dürfen. L. Jacob- Würzburg.
Rumänische Literatur.
P. Her esc u: Ueber 200 Fälle von Prostatektomie. (Medi¬
zinisch-chirurgischer Kongress rumänischer Aerzte, Bukarest,
20. — 23. April 1914.) f
Der Verfasser hat von 1900—1905 50 Prostataexstirpationen auf
perinealem Wege vorgenommen, eine Mortalität von 9 Proz. gehabt
und viele von diesen Kranken nach 9, 11 und 12 Jahren gesund
wiedergesehen. Die Operation ergibt also gute Resultate; nichts¬
destoweniger ist die transvesikale Prostatektomie derselben vor-
zuziehen, namentlich wenn man von den Karzinomen absieht.
Die anfängliche Sterblichkeit von 11 Proz. ist au diese Weise in
letzter Zeit erheblich zurückgegangen, namentlich seit H. keine
Prostataoperation vornimmt ohne sich vorher über den Koeffizient
der Harnstoffausscheidung und namentlich über die A m b a r üsene.
Konstante orientiert zu haben. Letztere muss als ein grosser Fort¬
schritt für die Chirurgie der Prostata angesehen werden. Ist dieselbe
unter 0.100. dann kann die Operation vorgenommen werden, sonst
aber nur nachdem der Kranke während mehrerer Tage oder Wochen
einer strengen lakto-vegetarischen Kost unterworfen wurde und
während einiger Tage vor der Operation je 5 Tropfen Digalen ge¬
Von den 35 im Jahre 1913 vorgenommenen Prostatektomien
endeten nur 2 tödlich und zwar starb der eine Patient am 14. läge
nach der Operation an Angina pectoris, der andere nach lenem Monat
plötzlich infolge einer Herzkrankheit. Im laufenden Jahre hat H.
18 Prostatektomien ohne einen Todesfall gemacht. Man kann also
sagen, dass die Prostataausschneidung in Anbetracht der guten Er¬
folge baldigst zu den alltäglichen Eingriffen gezählt werden wird.
P Herescu: Ueber Nephrektomie. (Ibidem.)
Vortr. gibt eine Statistik seiner persönlichen Nierenexstir-
patienen. Auf einer Anzahl von 131 Operationen waren 18 Todes¬
fälle zu verzeichnen, was einer Sterblichkeit von 13 Proz. entspricht
und zwar: Nierentuberkulose 62 Fälle — 8 Tote; Pyelonephritis
unbekannten Ursprunges 11 Fälle — 1 Toter; Pyelonephritis calculosa
40 Fälle — 4 Tote; Karzinom 11 Fälle — 4 Tote; Nierensklerose
7 Fälle _ 1 Toter. Bei malignen Neubildungen ist das operative
Resultat, wie Vortr. schon im Jahre 1899 in seiner Inauguraldisser¬
tation hervorgehoben hat, in umgekehrtem Verhältnisse zur Leichtig¬
keit der Diagnose, d. h. je leichter die Feststellung eines renalen
Tumors ist, desto schlechter wird der unmittelbare und spätere
operative Erfolg sein. In ähnlicher Weise kann auch bezüglich der
Nierentuberkulose gesagt werden, dass man gute Erfolge nur von
einer frühzeitigen Diagnose und ebensolchem operativem Lingritte
erwarten kann. , u * , , „
Mit Bezug auf die Operationstechnik empfiehlt H. folgenden
Modus der Stielversorgung. Der Stiel wird mittels einer Klemme
abgeschnürt und eine Katgutschlingc zwischen Klemme und Aorta
durchgeführt, geknotet, aber nicht zusammengezogen. Hierauf werden
die Nierengefässe abgebunden und abgeschnitten, und endlich, vor
Abnahme der Klemme, die hinter derselben liegende Schlinge von
einem Assistenten fest zusammengezogen. Auf diese Weise ist man
sicher weder unmittelbar, noch später Blutungen auftreten zu sehen.
C 1 Par hon und G. Zugravu: Untersuchungen über das
Gewicht der Genitaldrüsen bei Geisteskranken. (Ibidem.)
Die Verfasser haben bei mehr als 200 Geisteskranken beiderlei
Geschlechtes das Gewicht der Sexualdrüsen untersucht und folgende
7iffern gefunden- mittleres Gewicht beider Hoden: Alkoholiker 44 g
9 • aÄtfSne Paralyse 40 k 86; Epilepsie 39 E 4: B ödsinn 32
Geistesverwirrung 32 g: Pelagra 31 g 92: Dementia praecox 29 g
54- letztere Ziffer stimmt mit der Annahme überein, dass es sich in
der Pathogeiiie der Dementia praecox um eine Störung in den (lemtal-
dfUS BeziigheTi' der Gewichtsverhältnisse beider Ovarien ist folgendes
gefunden worden: Epilepsie 13 g; allgemeine Paralyse 9 g 10; De¬
mentia praecox 7 g 58: Dementia senilis 7 g 50; Geistesverwirrung
7 g; Alkoholismus 6 g. , _ ...
C I Parhon, Gh. Dumitrescu und Gh. Z u g rav u . Inter-
suchungen über die physiologische und therapeutische Wirkung der
Lipoide der Genitaldrüsen. (Ibidem.)
Die Verabreichung von Eierstocklipoiden in subkutanen Ein¬
spritzungen oder per os, kann bei amenorrhoischen Frauen das Aui-
t^cten der Menstruation resp. eine frühzeitige Menstruation, falls die-
selbe bereits bestanden hat, bewirken, endlich die öfters die Men¬
struation begleitenden Schmerzen verschwinden machen. Falls der
menstruale Abfluss aus irgend welchem Grunde behindert ist, kann
man hierauf das Erscheinen von Nachblutungen beobachten. Die
Eierstocklipoide ergeben sehr gute Resultate bei allen nervösen,
durch Eierstockinsuffizienz bewirkten Störungen. Der Lierstock ist
also die Drüse, welche physiologisch das gute nervöse und affektive
Gleichgewicht der Frau unterhält. ... .
C I Parhon und Maria Parhon: Untersuchungen über die
Serumreaktion von A b d e r h a 1 d e n bei Nerven- und Geisteskrank¬
ere ^Verfasser haben ihre Untersuchungen hauptsächlich mit
bezug auf die Fermente für die Schilddrüse vorgenommen und m
diesem Sinne 14 Fälle von affektiven Psychosen (Manie, Melanchoht.
periodische und zirkuläre Psychosen) geprüft. In 11 von diesen Fallen
war die Reaktion positiv. In einem Falle wurde die Reaktion nach
der Heilung negativ. Es wurde ferner positive Reaktion bei kata¬
tonischer Demenz, in einem Falle von allgemeiner Paralyse, unter
den 2 untersuchten, sowie auch in 3 unter den untersuchten 4 Fa en
von Epilepsie, ebenso auch konstant positive Reaktion in 4 fallen
N " In 2^FäUctfvon Poliomyelitis war die Reaktion für Muskeln
positiv; in einem Falle von Myasthenie war dieselbe für ITiyreoidea.
Parathyreoidea und Thymus positiv, für Muskeln intensiv positiv,
hingegen vollständig negativ für Hypophysis, Nebenniere, Pankreas.
Plazenta und Lymphdrüse. Dieses Untersuchungen bestätigen die
Rolle der Schilddrüse bei affektiven Psychosen und dem I arkln-
s o n sehen Syndrom. Ferner bestätigen dieselben die klinischen und
anatomisch-pathologischen Tatsachen, welche diesen Drusen euie
Rolle bei Epilepsie, Dementia praecox und allgemeiner Paralyse zu-
schreiben
Bei allen erwähnten Untersuchungen wurde die Plazentar-
reaktion zur Kontrolle vorgenommen und konstant negativ gefunden
C I Parhon und Maria Parhon: Untersuchungen über da
Serumreaktion von Abderhalden mit Milchdrüse bei Schwan¬
geren und während der Laktation. (Ibidem.) ,
Sowohl bei schwangeren Frauen, als auch wahrend der LaK-
tation, ist obige Reaktion positiv. Die gleichzeitig P°sltl^eJ^fcX
für Mutterkuchen und Milchdrüse wäre ein nu^hphes serolog sc
Syndrom für die Diagnose der Schwangerschaft. Die verfasse
fanden dieselbe ferner positiv bei postpuerperaler Manie, sowie auc
bei einer Kranken mit zirkulärer Psychose. Ein 16 jähriges Madcli.
mit periodischer Psychose zeigte eine negative Reaktion; es scnein
also, dass während der Pubertät keine antimammaren Fermente m
Blute vorhanden sind. Die gleiche, bei 4 Männern vorgenommem
Untersuchung ergab konstant negative Resultate.
Emil Savini und Therese Savini: Die Rolle der osten
arthromuskulären Dystrophie in der Aetiologie und Pathogenese dei
angeborenen Hüftgelenkluxation. (Ibidem.)
Es gibt angeborene Luxationen des Hüftgelenkes, welche gleiui
zeitig mit einer allgemeinen Dystrophie einhergehen; so findet ma»
bei den betreffenden Kindern einen auffallend grazilen Skelettbau
schwächliche Muskulatur, myopathischen Gesichtsausdruck, schwacm
Reflexe, die mechanische und elektrische Erregbarkeit der Muskii
herabgesetzt bei gleichzeitig negativer Entartungsrcaktion etc. au
fallend ist ferner die leichte Brüchigkeit der Knochen und die Schlat
heit der Gelenkkapseln, derart, dass z. B. das dorsale Ende c!
Finger mit der dorsalen Fläche des Metakarpus in Kontakt gebrav
werden kann. . , ., , ,. Pr,
Die Kenntnis dieser Umstände ist von Wichtigkeit, da die r r
gnose bei diesen Fällen eine viel schlechtere ist, als bei jenen onn
osteo-arthromuskulärer Dystrophie, indem selbst nach einer sen,
guten Reduktion die funktionellen Resultate sehr mittelmassig blerw
eben infolge der Schlaffheit der Gelenkkapsel, der mangelhaften rn
Wicklung der Gelenkflächen und allgemeinen Muskelschwäche.
N. C. Paulesco: Wirkungen künstlicher Tumoren der nyp
physis! (Revista stiintzelor med. 1914 Nr. 1.)
Der Verfasser hat bei jungen Hunden durch temporale irep.
nation den Schädel geöffnet und hinter die Hypophysis ein btuej
dien trockener, sterilisierter Laminaria eingeführt. Dieselbe Qui
auf und wird nahezu haselnussgross, wodurch einigermassen e
Tumor der Schädelbasis, welcher auf die Zirbeldrüse drucken wura
1. August 1914. _ _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
achgeahmt wird. Von den betreffenden Hunden hat der eine nach
er Operation 45, ein anderer 265 Tage gelebt und es hat sich ge¬
eist» 'Jass der erwähnte Eingriff keine abnorme Vergrösserung des
kelettes und keine Veränderungen an der Schnauze und den Ex-
eniitäten (Akromegalie) bewirkt. (Schluss folgt.)
Inauguraldissertationen.
_ Universität Freiburg i. Br. Juli 1914.
orrmann Käthe: Die Verwendbarkeit der Eestalkols als Des-
infiziens für die Hebammenpraxis.
assencamp Ludwig: Untersuchungen über die kombinierte Wir¬
kung von Metallsalzen und Farbstoffen.
ermann Franz: Zur Kasuistik der Beziehungen zwischen Gallen¬
blase und dem weiblichen Genitale.
umpert Wilhelm: Neuere Erfahrungen über hohe und tiefe Extra-
duralanästhesien aus der Freiburger Universitäts-Frauenklinik,
raus August Georg: Die 1 herapie der klimakterischen Ausfalls¬
erscheinungen.
ink Georg: Ueber Hydrops congenitus bei fetaler Thrombose,
ai er Markus: Untersuchungen über Eisengehalt, Hämoglobin und
Blutkörperchenvolumen bei geburtshilflichen und gynäkologischen
Patientinnen.
ppenheimer Ernst: Zur Frage der Fixation der Digitaliskörper
im tierischen Organismus und besonders deren Verhalten zum Blut
oth Johann: Beitrag zur H i r s c h s p r u n g sehen Krankheit,
chunke Ernst: Beiträge zur chirurgischen Behandlung der
Lungentuberkulose mittels der Wilmsschen Thorakoplastik.
ild Robert: Die Thermopenetration in der Gynäkologie.
Universität Leipzig. Juli 1914.
rie Fritz: Ueber die Thrombose der Pfortader,
rinkmann Johannes: Die apokryphen üesundheitsregeln des
Aristoteles für Alexander den Grossen in der Uebersetzung des
Johann von Toledo.
resslcr Alfred: Beitrag zur Kasuistik der Syringomyelie,
issen Otto: Die Heilungsergebnisse der frischen Dammrisse
III. Grades.
Oiultze Hermann: Beitrag zur Frage der künstlichen Tuben¬
sterilisation der Frau.
1 1 e r Johannes: Das „bedennckhen Wiirttembergischer Physi-
corum“ betreffend die Holzkur für Herzog Christoph.
I.n ecke Fritz: Ueber die medianen Dermoidzysten der Nase.
Lhmann Friedrich: Ueber die Bedeutung des Traumas für die
Entstehung von Aortenaneurysmen,
larkull Friedrich: Ueber Meningitis. Nach subkutanen Ver¬
letzungen des Schädels und der Wirbelsäule.
' ütterlein Arthur: Ein Fall von Lymphangioma cysticum des
Lides.
hneider Johannes: Ueber einige an der medizinischen Klinik
in Leipzig beobachtete Nebenerscheinungen der Salvarsaninjektion
(Wasserfehler, Herpes zoster, Thrombose).
■ hürmann Wilhelm: Hautsteine.
‘ahle Paul: Ueber 2 Fälle von „Chlorakne“,
n z e 1 m a n n Willy: Ueber einen Fall von Pyozyaneussepsis beim
..rwachsenen nebst Untersuchungen über die Verbreitung des
Bacillus pyocyaneus in der Leiche.
ugebauer Engelbert: Die physiologischen Engen des Ver¬
dauungstraktes und ihr Verhalten Fremdkörpern gegenüber,
■chter Rudolf: Ueber Volvulus ventriculi bei Sanduhrmagen.
■ meik Karl: Ueber traumatische, motorische Aphasie.
rüver Friedrich: Ueber Blutregeneration nach blutendem Magen¬
geschwür.
igön Valentin: Ueber die Skoliose.
■ lker Arnold: Beitrag zur Kenntnis der Chondrodystrophia
icetalis.
erner Alfred: Beitrag zur Kenntnis der kutanen Schädigungen
durch Gifte.
Universität Würzburg. Juli 1914.
' i e r Selig: Untersuchungen zur Resorption und Assimilation tief
abgebauter Proteine im tierischen und menschlichen Organismus
’ei künstlicher Verfütterung per rectum; zugleich ein kritischer
Beitrag zur Frage der Eiweissnährklysmen im allgemeinen.
: mo Peter: Ueber Luminal.
ii \ Jean Jacques Ulrich: 500 Fälle von Lumbalanästhesie an der
-\ urzburger Kgl Universitäts-Frauenklinik,
ssauer Joseph: Ueber die Heilung der Bauchfelltuberkulose bei
konservativer Behandlung.
1 e .! Ferdinand: Ueber Carcinoma corporis uteri mit spezieller
Berücksichtigung seiner Kombination mit Myomatosis uteri.
1 a m e r Martin: Aktinomykose der oberen Luft- und Speisewege,
nit besonderer Berücksichtigung der Speicheldrüsen.
1 1 z Georg: Ueber totale Darmausschaltung,
rn a n n Anton: Geschichte der Physiologie und Pathologie des
nenschlichen Blutes.
ttmaier Jean: Die therapeutische Verwendung der Anilin-
arbstoffe
so ws k y Josef: Ueber pathologische subokzipitale und prä-
akrale Luxation.
Vereins- und Kongressberichte.
Gesellschaft- für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
XXIV. Sitzung vom 28. März 1914.
Vorsitzender: Herr G e 1 b k e.
Tagesordnung:
Herr Schümann: Ueber die operative Behandlung der Herz¬
verletzungen. (Siehe reldärztliche Beilage.)
Herr Vogt: Ueber subkutane Symphyseotomie.
Mit der Einführung der subkutanen Symphyseotomie in die
1 herapie des engen Beckens durch Fritz Frank in Köln im Jahre
19U8 kam eine neue Methode der Beckenspaltung in Aufnahme, die
schon in der alten oftenen Symphyseotomie ihre Vorläufer hat. Es
ist merkwürdig, dass die Frank sehe Operation trotz ihrer ein¬
fachen i echnik und sehr zufriedenstellenden Resultate für Mutter und
Kind sich bis jetzt noch nicht allgemeiner Anwendung erfreuen darf.
Die Hauptgründe mögen die sein, dass man noch allzusehr von den
schlechten Erfahrungen der Hebosteotomie durchdrungen ist und dass
die letzten Jahre ganz unter dem Einfluss des extraperitonealen resp.
zervikalen Kaiserschnittes standen.
Frank hat die subkutane Symphyseotomie in 140 Fällen,
P f e r b e r g in 40 Fällen und wir haben sie im ganzen in 29
Fällen, darunter 3 mal in der Poliklinik, ausgeführt. Ueber die ersten
10 Fälle von subkutaner Symphyseotomie, die an der Dresdener
Erauenklinik ausgeführt wurden und in denen Mutter wie Kind in
bestem Wohlbefinden die Klinik verlassen haben, hat E. Kehrer
vor 2 Jahren in der gynäkologischen Gesellschaft zu Dresden be-
richtet. Fleute kann Vogt über 29 Fälle von subkutaner Symphyseo-
tomie, die in der Klinik und Poliklinik vorgenommen wurden, Be¬
richt erstatten. Die wichtigsteren Punkte der Operation sind folgende:
Was den Grad der Beckenverengerung betrifft, in denen die
Operation ausgeführt wurde, so handelte es sich 7 mal um eine
Beckenverengerung 3. Grades, 22 mal noch um eine solche 2. Grades.
V. erinnert daran, dass man von Beckenverengerung 1. Grades
dann spricht, wenn die C. vera obst. die kürzeste. Entfernung vom
Promontorium zum vorspringendsten Teil des Symphysenknorpels,
weniger als 11, wie in der Norm und über 9,0 cm misst, Beckenver¬
engerung 2. Grades umfasst 9,0— 7,5 cm, 3. Grades 7,5— 5,5 cm und
4. Grades unter 5,5 cm.
In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um die in Sachsen
häufigste Form des engen Beckens, das plattrhachitische Becken oder
das allgemein verengte plattrhachitische Becken, also um Becken, die
im Eingang im wesentlichen verengt sind.
Auch bei der subkutanen Symphyseotomie ist die alte, bei den
Beckenspaltungen so oft diskutierte Frage, ob man sie auf Mehr¬
gebärende beschränken oder auch bei I.-para anwenden soll, aus¬
gebrochen. Diese Frage ist nicht müssig, ihre Beantwortung vielmehr
von der grössten Bedeutung. Wissen wir doch aus der ganzen Ent¬
wicklung der alten offenen Symphyseotomie und Hebosteotomie und
auch der subkutanen Hebosteotomie, dass dann, wenn die Becken¬
spaltung bei enger Vagina zur Ausführung kommt, teils bei der folgen¬
den Spontangeburt und vor allem bei der folgenden operativen Ent¬
bindung event. Risse der Vagina sich in das die vorderen Becken¬
knochen umgebende Beckengewebe fortsetzen können und die unver¬
meidliche Folge davon muss sein, dass diese breiten, mit dem bak¬
terienhaltigen Vaginallumen in Verbindung stehenden Wunden zur
Infektion und Vereiterung kommen. Schwere Gefahren aber drohen
dann in solchen Fällen: Die Pyämie und Sepsis und im günstigsten
Fall das auf das Beckenbindegewebe lokalisierte Exsudt. Diese Ge¬
sichtspunkte wohl erwägend, wurde nur 2 mal unter den 28 Fällen bei
I.-para die subkutane Symphyseotomie ausgeführt. Beide Male war
die Scheide ziemlich weit, eine Spontangeburt durfte nach der
Beckendurchschneidung erwartet werden.
Auf das Abwarten der Spontangeburt, wie es Zweifel immer
und immer wieder betont hat, ist der grösste Wert zu legen. In
29 Fällen kam es 18 mal nach der Operation zur Spontangeburt-
11 mal musste operativ die Geburt selbst im Interesse des Kindes be¬
endet werden. Aber jede Zange, jede Extraktion am Beckenende,
jede Wendung, die nach der Beckendurchschneidung ausgeführt wird
bringt die Gefahr der mit der Knochen- und Knorpelwunde im Zu¬
sammenhang stehenden Weichteilverletzung mit sich. Fast alle
Nebenverletzungen lassen sich aber durch Abwarten der Spontan¬
geburt nach der Beckenspaltung vermeiden unter der Voraussetzung,
dass die Operation selbst technisch einwandfrei ausgeführt wurde.
Notwendig zur Spontangeburt ist in erster Linie eine gute Wehen¬
tätigkeit. Diese wird aber durch die intramuskuläre Injektion von
Pituitrin so gut wie stets herbeigeführt. Man geht daher immer
so vor, dass man sofort nach der Durchschneidung der Symphyse
noch auf dem Operationstisch 2 Ampullen Pituitrin oder 2 Ampullen
Pituglandol oder dergl. intramuskulär injiziert; nach 3 Minuten ist die
Pituitrin Wirkung zu beobachten; man überzeugt sich durch vaginale
Untersuchung der noch auf dem Operationstisch befindlichen Frau,
ob der Kopf sich günstiger im Beckeneingang einstellt, ob sich z. 13.
die Hinter- oder Vorderschcitelbeineinstellung korrigiert, ob der Kopi
ins Becken eintritt und im Beckenkanal herabrückt. Erst wenn man
sich davon mit Sicherheit überzeugt hat und damit auch praktisch die
1790
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
stets drohende grosse Gefahr des Nabelschnurvorfalles ausgeschlossen
hat bringt man die Frau in das Kreissbett zurück.
Es vergingen als Minimum 5 Minuten bei einer IIL-para bis zur
Geburt eines Kindes von 50 cm Länge und 2900 g Gewicht; als
Maximum 4 Stunden 40 Minuten nach der Operation bis zur Geburt
des Kindes; hier handelte es sich aber um eine I-para mit straffen
Weichteilen, die dem Vorrücken des Kopfes noch grosseren Wider¬
stand entgegensetzten, obwohl vorher zur Erweiterung der Kolp-
eurynter eingelegt worden war.
Nur durch diese streng exspektative Geburtsleitung ist es möglich,
so gut wie immer Nebenverletzungen zu vermeiden und man dart
wohl sagen, dass der Wert einer geburtshilflichen Operation sehr
wesentlich von der Vermeidung von Nebenverletzungen abhangt.
Freilich lassen sich nicht alle Verletzungen bei der Symphyseotomie
ausschliessen. Die Möglichkeit einer Blutung mit folgender Hamatom-
bildung ist auch bei der subkutanen Symphyseotomie gegeben. Die
Blutung ist fast ausschliesslich venösen Ursprungs, da bei dem Ein¬
schnitt in der Mittellinie so gut wie keine grösseren arteriellen Aeste
durchtrennt werden. Das Hämatom entwickelt sich zunächst unter
dem Mons Veneris und präsymphysär, um nach kurzer Zeit sich in
die oberen Partien der grossen Labien zu senken und hier durch
Anschwellung sich bemerkbar zu machen. Aber die Blutung war
meist gering und konnte durch einfache Kompression gestillt werden.
Beängstigende Blutungen, wie man sie nach der subkutanen Hebosteo¬
tomie nicht selten erlebt hat, hat V o g t und auch F r ank und
Kupferberg nie gesehen. Eine stärkere Blutung tritt nur dann
auf wenn die Corpora cavernosa clit. angeschnitten werden oder
wenn sie bei zu plötzlichem Auseinanderweichen der Symphyse ent¬
rissen. Wie sich neuerdings auch diese Komplikation der Hamatom-
bildung aus den Corpora cavernosa clit. durch Modifikation der
Technik vermeiden lässt, soll später ausgeführt werden.
Mit Sicherheit darf man sagen, dass Blasen- und Urethralver¬
letzungen bei der Symphyseotomie so gut wie nie Vorkommen können.
Das will sehr viel bezeugen, wenn wir die grosse Zahl der Blasen¬
urethraverletzungen berücksichtigen, die nach der Hebosteotonne
veröffentlicht wurden. So kamen z. B. nach der Zusammenstellung
von Schläfli unter 700 Hebosteotomien 63 mal = 9 Proz. Blasen¬
verletzungen vor, während Frank und Kupferberg niemals eine
Verletzung der Harnröhre oder Blase sahen; auch in den 29 Fallen
hat V. keine Verletzungen von Harnröhre und Blase gesehen.
Auch diejenigen Blaseneinrisse, die durch zu starke Querspannung
früher bei der Hebosteotomie bei l.-para zustande kamen, sind bei
der subkutanen Symphyseotomie noch nicht beobachtet. Auch Ein-
klemmungen der Blase in die operativ gesetzte Lücke der vorderen
Beckenwand sind bei der Symphyseotomie nicht zu furchten. Wir
haben eben hier weiche Knorpelränder und keine scharfen Knochen¬
enden wie bei dem seitlichen Beckenschnitt. ,
Wenn man nicht ganz vorsichtig bei der Durchtrennung der
oberen Symphyse arbeitet, so liegt auch eine Eröffnung des Peri-
toneums im Bereich der Möglichkeit. Durch die prinzipielle Ver¬
wendung eines geknöpften Messers kann man sich sehr wohl vor
einer Verletzung des Bauchfelles schützen. ......
Die vorderen und hinteren Verstärkungsbänder der Articulatio
sacro iliaca können nur dann einreissen, wenn die Symphyse nach
der Operation zu weit klafft, der Spalt darf höchstens 3—4 cm be¬
tragen. so dass man bequem einen Finger einlegen kann.
Da das Abwarten der Spontangeburt nur möglich ist, wenn sich
der Kopf günstig einstellt und wenn keine Nabelschnur vorliegt, oder
vorgefallen ist, so ist noch darüber Rechenschaft zu geben, warum in
den 11 von den 29 Fällen nicht die Spontangeburt abgewartet wurde,
sondern die Geburt operativ beendet wurde.
Es handelte sich in diesen 10 Fällen 3 mal um Kopfschieflage mit
vorliegender Nabelschnur bei stehender Blase, 1 mal um Kopfschief-
lage mit Armvorfall, 2 mal um Steisslage, 1 mal um eine Querlage,
welche die Wendung indizierte. In einem Falle freilich war die Ope¬
ration, Wendung und Extraktion nicht streng indiziert; es handelte
sich um einen unserer ersten Fälle. Einmal wurde im Interesse des
Kindes wegen Schlechterwerden der kindlichen Herztöne sofort die
Geburt durch Wendung beendet und zweimal aus gleicher Indikation
die Zange im Interesse des Kindes ausgeführt. Beide Male stand der
tiefste Punkt des Kopfes in der Ebene der B.- Weite; der Kopf war
also mindestens zur Hälfte gleich nach der Symphysiotomie ins
Becken eingetreten, aber die Pfeilnaht stand quer, ln nicht weniger
als 4 Fällen konnte die Beobachtung gemacht werden, dass der Kopf
mit querstehender Pfeilnaht das ganze Becken passierte und von
diesen beiden Fällen, von Zange abgesehen, ausserdem 4 mal im
tiefen Querstand auf den Beckenboden gelangte und 4 mal in diesem
Wie steht es nun mit den Erfolgen der subkutanen Symphyseo¬
tomie für das Kind? Es ist klar, dass bei einer beckenspaltenden
Operation das Kind lebend zur Welt kommen soll, da ja die Opera¬
tion nur im Interesse des Kindes ausgeführt wird. Auf die 29 Fälle
kommen leider 3 = 10 Proz. tote Kinder. Kupferberg hat bei
40 Fällen 5 tote Kinder = 11.5 Proz. Frank hat nach den An¬
gaben die er auf dem Londoner Kongress machte, auf 117 Falle
(28 1 -para + 89 Mehrgebärende) 11 tote Kinder — 9,3 Proz. Die
Todesfälle sind aber der Beckendurchschneidung als solcher sicher
nicht zur Last zu legen, sondern auf ganz besonders unglückliche
Zufälle zurückzuführen. Im ersten der drei Fälle konnte nach der
Symphyseotomie die Spontangeburt deswegen nicht abgewartet wer
den weil sich die Herztöne plötzlich sehr verschlechterten; es musst
momentan die Wendung ausgeführt werden; trotzdem war das Km
nicht mehr zu retten, denn die Nabelschnur war einmal sehr fest ui
den Hals geschlungen und nur 41cm lang. Das plötzliche Absterbe
des Kindes war also durch Kompression der Nabelschnur im Augei
blick des Kopfeintrittes ins Becken entstanden und wäre ohne alle
Zweifel in diesem Falle auch bei der Spontangeburt erfolgt. Lenk
besitzt man kein absolut sicheres Zeichen, um die Nabuschnurun'«
schlingung stets rechtzeitig zu diagnostizieren.
Im 2. Fall, in dem das Kind tot zur Welt kam, lagen ganz di«
selben Verhältnisse vor. Auch hier wurden bald nach beendet«
Operation als der Kopf tiefer trat, die Herztöne ganz plotzlu
schlecht wodurch sich eine möglichst schnelle Entbindung notwend
machte Durch Anlegen der hohen Zange wurde das Kind in wenige
Sekunden spielend leicht entwickelt; die Nabelschnur war zweim
fest um den Hals gewickelt; das schwer asphyktische Kind konn
trotz aller Wiederbelebungsversuche nicht mehr gerettet werden.
Im 3. Fall war bei einer Vlll.-para, die schon 2 Lage kreisst
bei Hinterscheitelbeineinstellung und absoluter Gebärunmöghchkt
die subkutane Symphyseotomie ausgeführt worden. Schon v
der Operation war notiert worden, dass die Herztone oft«,
wechselten und dass reichlich Mekonium abging; als dann na«
der Operation Pituitrin gegeben wurde, verschlechterten si«
die Herztöne und trotz sofortiger Zangenanlegung kam das Kr
schwer asphyktisch zur Welt und konnte nicht wiederbelebt '.ul
den. Es wurde eine Atelektase der rechten Lunge vermutet, w
bei den Wiederbelebungsversuchen auffiel, dass bei den schnappe
den Atembewegungen des Kindes nur stets die linke Lunge autgt. i.
wurde und die linke Thoraxhälfte sich vorwolbte, wahrend i
rechte Thoraxhälfte sich nicht ausdehnte. Bei der Sektion fand si
in der Tat eine primäre Atelektase der ganzen rechten Lunge
Streng genommen haben wir also eine kindliche Mortalität v
3. 90 = |Q 3 proz. (vgl. Frank und Kupferberg) unu V. nun
an dass keiner dieser 3 Fälle der Operation zur Last zu legen 1
dass alle 3 Kinder auch nach jeder Spontangeburt sicher ab»
storben wären. Würde man das berücksichtigen, so entspräche cf
C * 11 C "n och" *v i i e 1& weniger wkTdas Kind darf durch die Operation sei
die Mutter in Gefahr kommen. Die Gefahren, die ev. der Mut
drohen könnten, sind, ganz allgemein gesagt die der Blutung 1]
Infektion, der Thrombose und Embolie. Die Mortalität für die Mut
beträgt in unseren Fällen bis jetzt 0 Proz. F r a n k ’ veHor \|
117 Fällen eine Mutter an Pelveoperitomtis; Kupferberg un
40 Fällen eine Frau an Sepsis, die trotz des Fiebers operiert wur
Wie verhält sich nun die Morbidität im Wochenbett.' ’ Fra
sah ganz glatten fieberfreien Verlauf in seinen 140 Fallen 37 il
— 38 Proz • bei den 29 Fällen war das Wochenbett 13 mal, d. lu
44 Proz., fieberhaft gestört; in % der Fälle kam es zu einem Oedi
der kleinen Labien. Da das Oedein stets nach einigen Tagen 0.
Behandlung verschwindet, kommt ihm keine weitere praktische
deutung zu. ..
Thrombosen, fortgeleitet von einem präsymphysaren Hamau
resp einer Thrombenbildung aus eröffneten Aesten der V. circi-
flexa femoris media, der V. obturatoria, der V. pudenta exte
kommen bisweilen vor. Unter den ersten 10 Fa len von E. Kehl
3 Thrombosen = 30 Proz.; jetzt in unseren weiteren 18 Fallen d
— 22 Proz. Infolge des Hämatoms kommt es durch Resorption hai
im Wochenbett zu leichten Temperatursteigerungen; das Fieber-
. . ... tt .. mit oeHrntinTl
im VV UCI1CIIUCU. 1U iwu.«vu ‘ - - - - 7 D.cnrnKnn (
aber nicht infektiösen Ursprunges, sondern nur auf die Resorption
Blutergusses zurückzuführen. Die meisten Fälle waren auch bis
Operation nur rektal untersucht. Embolien wurden bisher nie*
weder von Frank noch von Kupferberg oder uns — gese c
das scheint übrigens bei dem nicht geringen Prozentsatz von -3 t
sehr bemerkenswert. , . . .
Um die postoperative Thrombose zu vermeiden, wird bei •
Operation jetzt nach einer ganz bestimmten, nachher zu besprec
den Technik verfahren, auch lässt man die Frauen prophylakt
schon am 3. oder 4. Täg aufstehen. Die Gehfähigkeit wird in kej
Weise gestört. Die Frauen konnten schon bei der Entlassung
auf einem Bein stehen und zu Hause brauchten sie sich in K«
Weise Schonung auferlegen. Eine Embolie kam bis jetzt nicht
Wie die Prognose der späteren Geburten ist, darüber besitz
noch keine Erfahrungen; die Beobachtungszeit ist dafür zu k
Zweifelt aber, dass eine spätere Entbindung leichter sein wird,
das Becken bei der Symphysiotomie etwas auseinanderweicht. ‘
Knorpelwunde pflegt durch Synchondrose, aber auch durch oy»
mose zu heilen. In unseren Fällen wurde bei der Nachuntersuc.
meist eine Synchondrose festgestellt; die Symphyse hat wieder •
normale Festigkeit und der vordere Beckenhalbring war fest Kon
diert; denn der Knorpel, der ursprünglich 3 — 4 cm breit ist, schrin
wie jede Narbe, allmählich wieder zusammen, aber mindestens d
er weiter wie früher, wie wir durch ausgedehnte Röntgenu
suchungen der symphysiotomierten Frauen zu den verschieden
Zeiten nach der Operation feststellen konnten.
(Schluss folgt.)
11. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 14. Januar 1914.
Vorsitzender: Herr Küstner.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
Herr v. Drlgalski: Zur Epidemiologie der Cholera nach
Erfahrungen auf dein serbischen Kriegsschauplätze. (Mit Licht¬
bildern.) (An anderer Stelle veröffentlicht.)
Sitzung vom 28. Januar 1914.
Vorsitzender: Herr Küstner.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
. Herr... Ant0"i Entwicklungsstörungen, durch Schädelröntgen-
bilder erläutert. (Erscheint ausführlich an anderer Stelle.)
Herr Goldstein: Demonstration.
Vorstellung von zwei Patienten mit den typischen Symptomen
der Keck lingh aus e n sehen Krankheit: Multiple Neurofibrome
der Haut und 1 umorbildung an den tiefer gelegenen Nervenstämmen,
Pigmentierungen der Haut und psychische Störungen. Bei beiden
begann die Erkrankung in der Pubertätszeit. Es fanden sich ausser
einer Eosinophilie und Herabsetzung des Blutdruckes trophische
Knochenerkrankungen nach Art der Osteomalazie. Bei dem älteren
atienten war ausserdem eine linksseitige Akustikuserkrankung (zen¬
trale Neurofibromatose) und röntgenologisch eine Vergrösserung der
sella turcica nachweisbar. Bei dem jüngeren Patienten fand sich ein
der amyotroplnschen Lateralskerosc ähnliches Bild, an den atrophi-
scheiiMuskeJn der linken Hand aber myotonische Reaktion (sonst
partielle Entartungsreaktion), ferner mangelhafte Behaarung, Hypo-
genitahsmus und Akromegalie, auch eine Lymphozytose im Liquor
cerebrospinalis. Die Wassermann sehe Reaktion war bei beiden
Lallen negativ. Wie man die Osteomalazie auf eine Dysfunktion
er Sexualdrusen bezieht, kann man auch die Veränderungen in den
Nf-en bei der R e c k 1 i n g h a u s e n sehen Neurofibromatose als
ähnliche und durch dieselbe Ursache bedingte Erkrankung ansehen
noch zumal Hyper- oder Dysfunktion des Hypophysenvorderlappens
nach klinischer und experimenteller Erfahrung durch Abänderung der
inneren Sekretion der Geschlechtsdrüsen bedingt sein kann.
Sitzung vom 25. Februar 1914.
Vorsitzender: Herr Küstner.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
Herr Hans Fielitz: Demonstrationen.
1. Demonstration eines 25jähr. Pat., bei dem im Juni 1913 eine
an ~F,. ^SIS iie£ende meningeale Zyste entfernt wurde. Der Patient
ist völlig beschwerdefrei. Der Defekt der ganzen Hinterhauptschuppe
wird ohne weiteres ertragen.
Ko a' Den™nstration einer Unterschenkelfraktur mit einem Gehver-
bande nach Hackenbruch. Die Distraktionsklammern werden für
Unterschenkelbruche in der Diaphyse bei sorgfältiger Kontrolle mit
dem Rontgenappju-at empfohlen. Bei allen anderen Frakturen scheinen
-ie besondere Vorteile vor den bisherigen Methoden nicht zu haben.
3. Vorstellung eines 52 jähr. Bäckers, bei dem 1911 nach drei-
arn ' HCr| ver,gebl.,chIfi: Operation ein grosses branchiogenes Karzinom
am Halse durch Röntgenbehandlung beseitigt wurde. Pat ist bis
nach Ahd Sehlm.d /ebIiebe"' üie Jetzt gemachte Blutuntersuchung
nach Abderhalden ergibt einen Abbau von Karzinom
d ä-S u Herr v- H‘PPeI: Versuche. Choroidealsarkome
mit Radiumbestrahlung zu behandeln, sind gemacht worden. Die Be¬
rechtigung derselben erscheine zweifelhaft, da die möglichst früh-
ÄS Slfi ifiCherU"g der D'aCT°Se 2llr Verm=i‘1”"* von
von ^')e"ker den Herrn Vortragenden, ob in dem Falle
Ah,|Kp 1 H n,0r.V0r der Operation eine Untersuchung mit dem
„ b d e [ b a 1 d e n sehen Dialysierverfahren auf Abwehrfermente
wordnenAsdaUPr°dUkte V°" Hirn‘ °der Ncrvensubstailz vorgenommen
Diskussion zum Vortrag des Herrn Anton: Entwicklungs-
Störungen. durch Schädelröntgenbilder erläutert.
an denrVo?frnhmiiedHn: D£r, Vortragende berichtet im Anschluss
önnS • g des Herrn Geheimrat Anton über einige Opera-
znr On bl*"SSC ai!s dem Qebiete der durch die Diagnose Antons
uher /Fef. L°MiekrmenenuKraIlkheitsfäIle- Insbesondere kann er
mfache,V bei welchen die Hypophysis cerebri
stand Ln F d b«S1f her fr(rlgelegt wurde. Einer der Patienten über-
e niVe^ npShf1?’ derf.tw,eite ,erlag im Anschluss an die Entfernung
einiger Geschwulstpartikel und die Obduktion zeigte einen apfel-
Adenom 30,6 1 entvWickelte"> -ga"z inoperablen Tumor (malignes
tomisX.?' vPHri°(PhySe L.001". Vortragende schildert genau die ana-
bilder? tn'SSeä d'C "J1* ^e,n vorher »"gefertigten Röntgen-
th nn„ ! werden, und schildert den von Schlöffe r ange-
Dhvsp mi?f atä°n,SWeK’ ye'cher durch die Nase hindurch zur Hypo-
h esc h r i 1 1 e n h a tt e dC" ^ m den bdden geschilderten Fällen ebenfalls
Herr^^i ^ n j e r weist im Anschlüsse an die Ausführungen des
DhvsisV„nLm ‘ C d 6 " darauf hin, dass für die Operation der Hypo-
Pnysistumoren von den Rhinologcn ein Verfahren angegeben sei,
1791
welches durch die Nase hindurch an die Geschwulst hinführe. Der
Vorteil dieses Verfahrens gegenüber den fazialen Methoden bestehe
einerseits darin, dass eine Kontinuitätstrennung der Gesichtshaut ver-
v,!ndnn bernf,r habe aber die Erfahrung gelehrt, dass bei dem
von dem Rhmologen Hirsch angegebenen endonasalen Vorgehen die
Mortalität geringer ist als bei den übrigen von den Chirurgen ange-
wendeten Methoden. Denker erinnert ferner daran, dass von ihm
eine Methode für die Operation der Hypophysistumoren, die ebenfalls
ohne Verletzung der ausseren Haut ausgeführt werde, angegeben
u/ö R'eser Weg fuhrt vom Munde aus unter Fortnahme der fazialen
Wand des Oberkiefers und der medialen Kieferhöhlen wand durch die
nie n- ?h e irVd.\e Nase und linter Beiseiteschiebung resp. Resektion
Hnrn!!‘uLrenhT n1 es.der Nasenscheidewand an die Keilbeinhöhle und
n ihi d*me ,hindarch au die Sella turcica hin und gestattet eine gute
vn,? h • ht di?S Operationsgebietes. Denker glaubt das Verfahren
MPtHn I nS C h ?dtf,r sei“ e 1 g e n e s Vorgehen gegenüber den fazialen
Methoden empfehlen zu sollen.
. iHer>r V:, HjPPe 1: Der Vorschlag, die sellare Trepanation auch
dr“«keüt last^nde^ Verfahren auszuführen, wenn nicht die direkte
Inangriffnahme der Hypophyse beabsichtigt ist, erscheint wegen der
grosseren Infektionsgefahr nicht empfehlenswert. Dass eine erfolg¬
reiche Drainage nach der Nase möglich ist, zeigen schon die Fälle
rdLnKedhlnherHfbflUSS, T Biquorv aus der Nase n£h Durchbruch
n die Keilbeinhohle zustande kam, hierbei wurde regelmässig Auf-
horen oder Besserung der Hirndrucksymptome beobachtet.
„)lf Hie chirurgische Behandlung des Turmschädels mit Rücksicht
auf das Sehyermogen kommt nur selten in Frage, da man die Fälle
dersefhen der Stauungspapille, sondern nach Ablauf
derselben zu Gesicht bekommt, wo das noch vorhandene Sehver-
jXgf atrophlscher Verfärbung der Papillen erhalten zu bleiben
Gegen die S c h 1 o f f e r sehe Kanaloperation liegen folgende Be-
j“k5™r: J- st^bt und fallt ihre Berechtigung mit der Richtigkeit
dq.K B e f -ffS+Ch.e? Tl(ror!e der Stauungspapille und selbst wenn die-
. be zutrifft, ist zu bedenken, dass Behr die Störung nicht in den
knöchernen, sondern in den häutigen Kanalis opticus verlegt- 2. be¬
stellt der Nachteil, dass die an sich schwierige und eingreifende Ope-
cf SuerrteiSe aid beiden Seiten ausgeführt werden müsste;
3. gibt S c h I o f f e r selber zu, dass ausserdem eine eigentlich
druckentlastende Operation (Trepanation, Balkenstich) in Frage
kommen konnte. Man würde also gegebenenfalls bei demselben In-
dividuum 3 schwere Schädeloperationen ausführen müssen. Hierfiir
schcmt bisher kein genügender Grund vorzuliegen.
. Herr Mohr weist auf die besondere Bedeutung der röntgeno¬
logischen Untersuchung der Gegend der Sella turcica hin Sie er-
moglicht es nicht selten durch die Aufdeckung von schon relativ
germgen Vmanderungen der liefe und Breite des Türkensattels den
v eidacht von Hypophysenvergrösserung zu bestärken. So ist es
ge hingen m zwei Fällen von scheinbar nicht pathologischer Fett¬
leibigkeit den hypophysären Charakter der Erkrankung zu einer
Zeit zu erkennen, wo Augensymptome noch nicht vorhanden waren,
^ist ca. 2 Monate später sind diese auch von spezialistischer Seite
teLf HS e t w<?rden- Mehrfache spätere Röntgenuntersuchungelf des
DestnikLnrgdieii!' f-m iChreiRnde Erweiterung des Türkensattels und
I estruktion des Keilbeins. Bei einem weiteren Fall bei einem jungen
M.mn mit. unklaren Sehstörungen ergab die Röntgenuntersuchung
S 5al s,eine Erweiterung der Sella turcica. Gleichzeitig bestand ein
S atus thynnco-Iymphaticus mit beträchtlicher Thymusvergrösserung
Die radiologische Schadeiuntersuchung ist ein integrierender Be¬
standteil der Gesamtuntersuchung, die in einschlägigen, verdaclit-
erweckenden Fallen nicht versäumt werden soll.
Gynäkologische Gesellschaft München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 18. Juni 1914.
D V°r 1er TaKesordnung demonstriert Frl. Monheim eine
atientm, die wegen inoperablen Karzinoms mit der Intensivbestrah-
ung . bis zur Erythemgrenze behandelt wurde. Der Erfolg Btbe-
riedigeiid, aber die Patientin hat jetzt trotz aller Vorsichtsmassregeln
J dem rIE bekromraenhemdOS'S d°Ch el"e ^»^nverbrenmins
Diskussion: die Herren Sanders und Klein
Vagina seDtab?r| l?pr,rf 6 ri demonstriert: 1. Uterus septus cum
agina septa. _. Uterus unicornis dexter mit Persistenz der linken
der linken T,?h u^ilc,on"! dexIter mit Persistenz des Fimbrienendes
der linken Tube. Leiden der übrigen Teile des linken Müller scheu
inU MissbdduneenUhe- fes jJ1 ü 1 1 e r..schen (ianKes war kombiniert
mit Missbildungen brnder Nieren, die im kleinen Becken, in der
Excavatio sacralis lagen. Besprechung der Häufigkeit in der Koiti-
bmation von Missbildungen im Urogenitalapparat. 4. Faustgrosses
"y™de* VternS’ ^ol'sfändig frei, ohne Verwachsung, im Cavium
7 > i L fc^e!ld- . Hm Ablösung von der Wand muss erst vor kurzer
oarit Jon nrm,M ? My0I2gewebe noch gut erhalten ist. (Prä¬
parat von Dr. Mirabeau f.) 5. Puerperale Sepsis bei Meer¬
schweinchen mit Abszessen an den Plazentationsstellen sekundärer
veirulvoser Endokarditis der Mitralis, tertiär embolische’n Abszessen
in den parenchymatösen Organen. Ursache: Pneumokokkeninfektion
der mehrere Monate lang alle puerperalen Meerschweinchen erlagen!
1792
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Hcw eis der Selbstinfektion des puerperalen Genitales. 6. Endo¬
metritis puerperalis beim Meerschweinchen bei Plazentarretention in
der Vagina. Tod 8 Tage nach dem Partus. 7. Alte Druckusur und
Perforation des Blasenhalses durch ein Vaginalpessar nach lho-
m a s s. Ein Fragment des Pessars lag frei im B asenhals. Kein
Harnabgang durch die Vesiko-Vaginalfistel. Folge chronisch-eitriger
Zystitis. (Autoreferat.)
Diskussion: Herr Albrecht.
Herr Amann: Ueber traumatische Darmruptur bei Gravidität.
Eine 4 Monate gravide Frau stürzte von einem Stuhle, so dass
sie mit dem Bauch auf den Stuhl aufschlug. Die Schmerzen im
Leibe Hessen bald wieder nach, nach einigen Stunden Blutabgang aus
der Scheide; nach einigen Tagen Diarrhöen, nach 8 Tagen Ver¬
stopfung Erbrechen, Auftreibung des Leibes und am nächsten läge
Kotbrechen Bei der Laparotomie fand sich hinter. dem graviden
Uterus im kleinen Becken ein grosser, durch eitrig belegte Darm¬
schlingen überdachter Abszess. Bei genauem Absuchen fand sich im
lleum, etwa 20 cm oberhalb des Zoekums, eine Perforationsöffnung,
uus welcher die Schleimhaut herausstand Da ein Verschluss nicht
möglich war, wurde nach Toilette der Bauchhöhle die ganze Darm¬
schlinge in eine seitliche Bauchwunde eingenäht, und der Abszess
durch die Vagina drainiert. Am Tage nach der Operation erfolgte
die Ausstossung der Frucht. 2 Monate später Fistelschluss durch
Enteroanastomose.
Diskussion: die Herren Petri und Amann.
G. Wiener- München.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
* Die Anästhesie in der Urologie. Resümee des von
Dr. Ravasini beim urologischen Kongress für den Primarius
Dr. Nicol ich gehaltenen Referates.
Seit dem Jahre 1907 führe ich alle Operationen am Urogenital¬
apparate mit Rachianästhesie aus. Ich bin mit dieser Anasthesie-
inethode sehr zufrieden und habe, von einigen Zwischenfällen ab- ,
gesehen, keinen Todesfall zu beklagen, während 4 von mir Operierte,
und zwar 2 an Nephrektomie, 1 an Zystotomie und 1 an Prostatek¬
tomie, den Spätfolgen der Chloroformnarkose erlegen sind. Ich ge¬
brauchte eine Zeitlang die Stovain-Adrenalin-Phiolen (B i 1 1 o n) mit
einem Zusatz von neutralem Strychninsulfat nach Jonnesco, nun¬
mehr wende ich nur Stovain und Adrenalin an.
Bei Erwachsenen war die Maximaldosis bei Nierenoperationen
5 cg, bei Kindern llA cg, bei Frauen und stark geschwächten Kran¬
ken 3 cg. ln 8 Fällen trat überhaupt keine Anästhesie ein. ln 22 Fäl¬
len war die Anästhesie unvollkommen. Die Zwischenfälle von einer
gewissen Bedeutung, die ich beobachten konnte, waren die folgenden:
ln einem Falle komplette Paralyse der Harnblase, die
aber 2 Wochen nach der Operation vollständig zurückging; Kol¬
lapszustand nach der Operation bei 3 sehr alten Patien¬
ten; Augenmuskellähmung in 2 Fällen, von der durchschnitt¬
lichen Dauer von 2—4 Wochen; rechte Hemiplegie und Apha¬
sie bei einer an Pyelotomie operierten Frau, dieser Zustand dauerte
12 Tage und ging dann in vollständige Heilung über.
Meine Erfahrungen berechtigen mich, die Resultate mit der Rachi¬
anästhesie durchaus günstig zu nennen, ich habe keinen Todesfall zu
verzeichnen und die üblen Folgeerscheinungen der Stovaininjektion
bei einigen Fällen gingen immer vollständig zurück.
Für die Operationen. an der Harnblase und Prostata waren 3 cg
fast immer durchaus genügend. Ich habe 523 Rachianästhesien aus¬
geführt bei folgenden Operationen: Nierenoperätionen 208, Pro¬
stata 56, Blase 116, perineale Operationen 12, am Genitalapparate 131.
Bei allen diesen Operationen hatte ich immer günstige Erfolge
der Anästhesie. Die Anästhesie verursachte nie eine Albuminurie.
Bei einigen Fällen traten Kopfschmerzen ein; Erbrechen fehlte fast
gänzlich. Primarius Dr. N i c o 1 i c h - Triest.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 10. August 1914.
— Der K r i e g hat begonnen und seine die bürgerlichen Betriebe
lähmenden Wirkungen sind bereits deutlich erkennbar. Die Säle unserer
Druckerei sind verödet, die zahlreichen Kräfte, die zur prompten
Herstellung unseres Blattes nötig sind, sind auf ein kleines Häufchen
zusammengeschmolzen, viele unserer Mitarbeiter stehen im Feld. Es
ist unter diesen Umständen technisch unmöglich, den gewohnten Um¬
fang des Blattes aufrecht zu erhalten, vielmehr musste schon in der
heutigen Nummer eine Verminderung der Seitenzahl eintreten. Da¬
gegen erscheint mit dieser Nummer zum ersten Male die „Feld-
ärztliche Beilag e“, die wir im Interesse unserer militärärzt¬
lichen Kollegen und mit Rücksicht auf die erhöhte Bedeutung, die
der Kriegsmedizin zurzeit zukommt, zu veranstalten gedenken, ln
dieser Beilage werden wir in Zukunft alle uns zugehenden Beiträge
kriegsmedizinischen Inhalts veröffentlichen.
— Die Münchener Dozentenvereinigung für
Ferienkurse veranstaltet in den Herbstferien 1914: 1. 14 tägige
Fortbildungskurse für Aerzte, vom 28. September bis 10. Oktober,
2 4 wöchentliche Kurse für Examinanden und Aerzte, vom |4. Sep¬
tember bis 10. Oktober. Programm und Auskunft durch I rof.
G r a s h e y Nussbaumstr. 20 (Das Programm Isiehe den Annoncen¬
teil d. Nr. | dürfte wohl durch den Krieg wesentliche Einschränkungen
erfahren.)
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. August Bier wurde zum
Dekan der medizinischen Fakultät gewählt.
M ü n c h e n. Prof. v. R o m b e r g wurde zum Dekan der medi¬
zinischen Fakultät gewählt.
Generalkrankenrapport über die K, Bayer. Armee
für den Monat Juni 1914.
Iststärke des Heeres:
83132 Mann, 213 Kadetten, 188 Unteroffiziersvorschüler.
Mann
Kadetten
Unteroffiz.-
Vorschüler
1. Bestand waren
am 31. Mai 1914:
1296
2
5
2. Zugang:
im Lazarett:
im Revier:
in Summa:
1029
884
1913
15
15
10
10
lm ganzen sind behandelt:
3209
17
15
°/oo. der
Iststärke:
38,6
79,8
79,8
dienstfähig:
1889
16
9
°i oo der Erkrankten:
588,7
941,2
600,0
gestorben :
8
—
—
3. Abgang:
°|<x> der Erkrankten:
dienstunbrauchbar :
2,5
ohneVersorgung:
23
—
' _
mit
52
—
1
anderweitig:
98
—
, in Summa :
2070
16
10
in Summa:
1139
i
5
4. Bestand
°/oo der Iststärke-.
13,7
4,7
26,6
bleiben am
davon im Lazarett:
925
1
5
30. Juni 1914:
davon im Revier:
214
—
—
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten an:
Uebertragbarer Genickstarre 2, eitriger Hirnhautentzündung 1.
Lungenentzündung 1, lymphatischer Leukämie 1, Magengeschwürs
blutung 1, Zerreissung von Baucheingeweiden durch Lieberfahren¬
werden (Verunglückung) 2. . n , ,
Ausserdem stürben 5 Mann uusserhulb militcirärztlicher Behänd-
lung und zwar: 3 durch Ertrinken (Verunglückung), 2 durch Selbst¬
mord G durch Erschiessen, 1 durch Ueberfahrenlassen von einem
Eisenbahnzug) , ^ , , , ,
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im
Monat Juni 1914 13 Mann.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 29. Jahreswoche vom 19. bis 25. Juli 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 1 1 (18 *), Altersschw. (über 60 Jahre) 3(5), Kindbettfieber — ( — ),
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft 1 (2), Scharlach — (— /,
Masern u. Röteln 1 (1), Diphtherie u. Krupp — (2), Keuchhusten — (1),
Typhus (ausschl. Paratyphus) — (— ), akut. Gelenkrheumatismus —
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. - (-), Rose (Erysipel) — (-), Starrkrampf - (D,
Blutvergiftung 1 (— , Tuberkul. der Lungen 25 (24), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 3 (2), akute allgem. Miliartuberkulose — (2), Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 5(10), Influenza — (—), veneri¬
sche Krankh. 1 (3), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfieber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel¬
fieber usw. — (— ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab.insip.) 2(1), Alkohohs-
mus _ (_g Entzünd, u Katarrhe der Atmungsorg. 3 (3), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane 3 (2), organ. Herzleiden 10 (19), Herzschlag, Eerz"
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 7 (4), Arterienverkalkung
5 (10), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 4 (5), Gehirnschlag / (1).
Geisteskrankh. 1 (1), Krämpfe d. Kinder — (2), sonst. Krankh. d Nerven¬
systems 7 (1), Atrophie der Kinder 2 (1), Brechdurchfall 3 (1), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 15 (11), Blinddarm¬
entzünd. 4 (3), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 3 (5), sonst. Krankh. derVerdauungsorg. 5 (7), Nierenentzünd. li (4),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 3 (2), Krebs 21 (16), sonst.
Neubildungen 6 (3), Krankh. der äuss. Bedeckungen 1 (2), Krankh. der
Bewegungsorgane 1 ( — ), Selbstmord — ( — ), Mord, Totschlag, auui
Hinricht. —(—), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 3(4).
andere benannte Todesursachen 2 (1), Todesursache nicht (genau)
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— )•
Gesamtzahl der Sterbefälle: 180 (180).
‘) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 32. 11. August 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 1.
Den Kollegen im Felde!
Unseren Kollegen im Felde ist diese Beilage zur Münchener Medizinischen Wochenschrift gewidmet.
In Fühlung zu bleiben mit der Wissenschaft, jeden Fortschritt, den die Forschung und die Praxis bringen sich
nzueignen zum besten der ihm anvertrauten Kranken, ist für den Feldarzt noch in höherem Maße wie für den Zivilarzt
Jotwendigkeit und Pflicht. Gerade der Krieg ist eine Zeit erhöhter Ausbeute an wissenschaftlicher Erkenntnis und
Taktischer Erfahrung Der Feldarzt kann daher trotz der großen Anforderungen, die der Dienst an ihn stellt nicht
anz ohne wissenschaftliche Lektüre auskommen. Nur wenigen wird es aber möglich sein, sich die gewohnten Zeitschriften
IS Feld nachkommen zu lassen; sie wären ein Ballast, es fehlt die Zeit sie zu lesen, sie enthalten auch zu vielen für
ie Bedürfnisse des Felddienstes gleichgültigen Stoff.
Aüs _ dieser Erwägung haben wir uns entschlossen, die „Feldärztliche Beilage“ zu veranstalten. Auf kleinem
aum soll hier alles veröffentlicht werden, was uns an Mitteilungen, die für den Feldarzt von Interesse sind, zugeht
so sowohl Arbeiten aus dem Gebiete der Kriegschirurgie wie der inneren Medizin, der Seuchenbekämpfung und aus’
en , verschiedenen spez.alarztl.chen Fächern, immer mit Rücksicht auf ihre Beziehungen zur Kriegsmedizin; auch
‘uilletonistische Schilderungen aus dem Feldleben sollen nicht ausgeschlossen sein.
; .... P? Hcrausgeberkollegium der Münchener Medizinischen Wochenschrift stellt die Mittel zur Verfügung, um die
eldarzthche Beilage“ möglichst allen Feldärzten und Lazaretten unentgeltlich zugänglich zu machen. Diese wird so ein
tPsind 0611 fUr 016 Vermittlung VOn Erfahrungen und Anregungen an alle Aerzte, die auf den Kriegsschauplätzen
So richten wir an alle unsere Kollegen im Felde und in den heimatlichen Lazaretten die Bitte, unser Unter-
;hmen, soweit es die Dienstvorschriften gestatten, zu unterstützen, auf dass es seinen Zweck erfülle und damit der
oben vaterländischen Sache, der wir alle dienen, zum Nutzen gereiche.
Die Redaktion der Münchener med. Wochenschrift.
lieber die Behandlung der Schusswunden im
allgemeinen.
Von O. v. Angerer, Generalarzt ä la suite.
Die Redaktion der M.m.W. hat mich ersucht, einen kurzen
ericht über die Behandlung der Schusswunden im Allge-
einen tiir die „Feldärztliche Beilage“ zu liefern. Aus eigener
fahrung verfüge ich nur über Friedensschussverletzungen,
•var war ich im Jahre 1870 — 71 als Einjährig-Freiwilliger-Arzt
den Würzburger Lazaretten tätig, aber wir bekamen dort
i den gefangenen Franzosen nur Schussverletzungen älteren
mims zur Behandlung, und die Behandlung der damaligen
“it entsprach wenig den Grundsätzen der modernen Wund¬
handlung. Die Unterschiede zwischen Friedens- und Kricgs-
rletzungen sind nur quantitativer Art und die Prinzipien der
undbehandlung sind im wesentlichen die gleichen, wenn auch
'* Behandlungsmethoden sich den eigenartigen Verhältnissen
>s Krieges anpassen müssen. Die Kriegschirurgie ist dem-
|ch in der Hauptsache nichts anderes als die Chirurgie des
ledens, ein treues Spiegelbild der herrschenden Lehren,
-nn auch die Indikationen zu chirurgischen Eingriffen ausser-
? unseres Operationssaales andere sind wie innerhalb. Ope-
uonen, die hier gefahrlos, können dort unzulässig sein.
Die Schussverletzungen haben zu allen Zeiten das bc-
mdere Interesse der Aerzte und auch der Laien erregt, ein
eresse, das soweit ging, dass sich sogar die Philosophen mit
| diesen Wunden beschäftigt haben. So z. B. definiert der Philo¬
soph Ely die Schusswunde als „den materiellen Ausdruck der
gelaufenen Gefahr“. Wer die Lehre der Schussverletzungen
in den letzten Jahrhunderten verfolgt, der wird finden, dass
mit den \\ andlungen in der Beurteilung der Schusswunden
auch ein interessanter Abschnitt der Geschichte des ärztlichen
Standes in sozialer Beziehung verbunden ist. Erinnern Sie
sich an die Zeiten der Feldschere, erinnern Sie sich, dass
noch im 7 jährigen Krieg der Unterarzt den Rang eines Tam¬
bours hatte und dass zu den Zeiten des Vaters Friedrich des
Grossen der Feldscher Rutenstreiche zu erwarten hatte,
wenn er einen von den grossen Grenadieren sterben liess.
Wie gründlich haben sich die Zeiten geändert! Welch hervor-
ragende Ausnahmestellung nimmt heute im deutschen Reiche
und bei allen Kulturvölkern der Sanitätsoffizier ein!
Larrey zu Anfang des vorigen Jahrhunderts und S t r o -
m ey er um die Mitte des Jahrhunderts verkörpern die Gegen¬
sätze in der Behandlung der Schusswunden. Ersterer bevor¬
zugte die Amputation der zerschossenen Gliedmassen, um die
Verletzten rasch und ohne Gefahr evakuieren zu können,
letzterer huldigte bis ins äusserste Extrem der konservativen
Behandlung und zwar ohne Gipsverband, den erst Piro-
goff in die Kriegschirurgie eingeführt hat.
Die Behandlung der Schusswunden hat besonders seit
dem deutsch-französischen Kriege eine Aenderung erfahren
Das vorgeschriebene Explorieren der Wunden mit Sonden und
1794
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift.
Nr. 32.
Fingern, das Spalten des Schusskanals, die Extraktion stecken¬
gebliebener Kugeln, die Kontinuitäts- und Kontiguitatsresektion
waren allgemein als Normalverfahren anerkannt und geübt.
Die Scliusskanäle spritzte man mit antiseptischen Losungen
aus und drainierte. Hier behandelte man mit Kataplasmen,
dort mit permanenten Irrigationen, die Einen lobten den testen
Okklusionsverband, die anderen die offene Wundbehandlung
im Sinne B urow s, oder die Heilung unter dem Schorf. Die
Einführung der L i s t c r sehen Wundbehandlung und die Er¬
fahrungen der Friedenschirurgie haben hier gründlichen
Wandel geschaffen. Dazu kommt noch, dass man sich mit
dem Studium der Anatomie der Schusswunden durch Vor¬
nahme experimenteller Schiessversuche eingehend beschäftigt
hat und nicht zuletzt hat auch die Entdeckung R o n t g e n s
grossen Einfluss geübt, so dass manche Lehre, die bisher als
Dogma gegolten hat, umgestossen worden ist.
Es ist nicht meine Aufgabe, des näheren auf die durch
das moderne kleinkalibrige Geschoss veränderte Gestaltung
der Schusswunden einzugehen. Ich will nur den einen
Fundamentalsatz hervorheben, dass die Schusswunden mit
kleinem Einschuss und kleinem Ausschuss als primai
nicht infiziert anzusprechen sind, trotzdem das Geschoss die
Kleider und die Haut des Verwundeten durchsetzt und schliess¬
lich auch pathogene Keime in geringer Zahl in die Wunde mit
sich transportiert hat. Mit diesen Keimen werden die Schutz¬
kräfte unseres Körpers fertig, wenn sie nur in ihrer Wirksam¬
keit nicht durch unzweckmässiges Eingreifen unsererseits ge¬
stört werden. Die Infektionsgefahr beginnt und
wächst mit einer unzweckmässigen Behand¬
lung. Die Versuche von Messner aus dem Jahre 188/
haben ergeben, dass sich bei allen mit nicht, vorher infizierten
Kugeln beschossenen Blechbüchsen im Schusskanal der Nahr-
gelatine keine pathogenen Keime entwickelt haben. Das Ge¬
schoss war steril, wie sich überhaupt auf metallischen Körpern
keine Bakterien entwickeln. Ja es will fast scheinen, als ob
den Metallen an sich schon eine gewisse bakterizide Kraft
eigen wäre. Wurde dagegen das Geschoss unmittelbar vorher
mit Staphylokokken oder Prodigiosus infiziert, so sind die be¬
treffenden Bakterien auch im Schusskanal der Nährgelatme
gewachsen, ein Beweis dafür, dass das Geschoss selbst duich
die Erhitzung, die es im Laufe erleidet, nicht sterilisiert wird,
wie man früher angenommen hat. Auch die Versuche von
Pfuhl, der infizierte Kleiderfetzen Tieren einverleibte und
reaktionslos zur Einheilung gebracht hat, beweisen die Wirk¬
samkeit der Schutzkräfte unseres Körpers. Aus diesen 1 at-
sachen müssen wir den Schluss ziehen, dass das Suchen nach
• etwa mitgerissenen Fremdkörpern, das Suchen nach stecken¬
gebliebenen Kugeln und ihre Extraktion um jeden Preis prin¬
zipiell zu verwerfen ist, denn die frühere Annahme, dass dci
Fremdkörper an sich Ursache der Eiterung sei, ist falsch. Die
Herren Kollegen, die gegenwärtig meine Klinik besuchen,
konnten sich von der Richtigkeit obiger Erfahrung überzeugen.
Ein junger Mann hat sich in selbstmörderischer Absicht in die
Schläfe geschossen. Die Kugel lag extrakraniell, der kleine
Einschuss wurde in einfachster Weise verbunden und dci
Heilungsprozess zeigte keine Spur einer Entzündung. Nach
S Tagen entfernte ich die unter der 1 cmporalfaszie liegende
Kugel und mit ihr auch Kopfhaare des Verwundeten, die die
Kugel mit sich gerissen hatte, und trotz dieser gewiss nicht
aseptischen Fremdkörper rcaktionsloser Verlauf. Diese wich¬
tigen Folgerungen haben für die Behandlung der Schuss¬
wunden entscheidenden Einfluss ausgeübt. Ich weiss, dass
bezüglich dieser Folgerungen eine Einigkeit unter den Chi¬
rurgen nicht besteht, dass die Einen einen konservativeren,
die Anderen einen aktiveren Standpunkt vertreten. Aber hier
wie überall ist das Festhalten an einem extremen Prinzip von
Schaden und unser therapeutisches Handeln muss von den die
Verletzung begleitenden Umständen abhängig gemacht werden.
Im Kriege ist es für die Verwundeten sicher vorteilhafter, einen
mehr konservativen Standpunkt einzunehmen und die Ope¬
rationslust zu zügeln.
Die Behandlung der Schussverletzungen im Frieden ge¬
staltet sich unter den günstigen Aussenbedingungen wesentlich
einfacher und geordneter als im Kriege. Hier ist der Kampf
mit den Verhältnissen, die übergrosse Zahl an Verwundeten,
der Mangel ausreichender Hilfskräfte zu berücksichtigen. Des¬
wegen muss im Kriege dahin gestrebt werden, mit den ein¬
fachsten Mitteln das Bestmögliche zu erreichen. Die Er¬
fahrungen in den letzten Kriegen haben auch gezeigt, dass
E v. Bergmanns Vorschriften, begründet auf die Er¬
fahrungen im russisch-türkischen Krieg 1877 zum Heile der
Verwundeten durchführbar sind. Bergmann verlangt für
die Behandlung der Schusswunden im Felde keine Freiheit m
der Behandlung, kein Individualisieren, sondern Schablone;
und diese für den Krieg formalisierten Grundsätze haben sich
auch in der Friedenspraxis bewährt. Wir müssen oft genug
die Erfahrung machen, dass Wunden des Friedens durch die
unreinen Hände geschäftiger Laien, durch schmutzige Ver¬
bandmaterialien, durch Auswaschen mit nicht einwandfreien
Flüssigkeiten infiziert werden, während andere nicht so \or-
behandelte Wunden glatt zur Heilung kommen. Das Sichaus-
blutenlassen der Wunden ist viel ungefährlicher, ja sogar für
den Verletzten zuträglicher, weil mit dem Blut auch Infektions¬
keime herausgespült werden. , , ,, ...
Wie sollen also die Schusswunden behandelt werden.-’
Nehmen wir eine einfache Weichteilschusswunde mit kleinem
Einschuss und kleinem Ausschuss ohne stärkere Blutung als |
den Ausgangspunkt unserer Auseinandersetzungen an, so
werden wir in erster Linie in der Friedenspraxis die
Schusslöcher mit Jodoformgaze austamponieren, damit das zur
primären Desinfektion der Wundumgebung benutzte Spül¬
wasser nicht in die Wunde eindringen und sie infizieren kann.
Dann wird die Wundumgebung mit Jodtinktur bestrichen Die
Tampons werden entfernt und ein einfacher steriler Verband I
ohne dazwischen gelegtes Guttapercha angelegt,
zwischen gelegter impermeabler Stoff würde die Austrocknung
des Verbandes hindern und gerade trockene Verbände sind
der Bakterienentwicklung hinderlich. Im Kriege fällt die pri¬
märe Desinfektion der Wundumgebung bei dem ersten Ver¬
band überhaupt fort, weil sie nicht gründlich genug ausgefuhrt
werden kann; es genügt der einfache Anstrich der \Vund-
umgebung mit Jodtinktur, der sich besser bewährt hat als die
Verwendung von Mastixlösung oder anderer Mittel, die den
Schmutz der Haut fixieren sollen. Die Idee, den Hautschmutz I
zu fixieren, durch Kollodium oder Leim, hatte schon General¬
arzt Port ausgesprochen. Wir vermeiden also das Explo-
rieren des Schusskanals mit Sonde oder Finger, erweitern
weder Ein- noch Ausschuss, noch weniger spalten wir den
Schusskanal. Wir desinfizieren nicht den Schusskanal durch
Einspritzen antiseptische’- Lösungen und legen auch keine
Drains ein; wohl aber stellen wir die verwundeten Teile durch
geeignete Verbände fest. Wir wissen, dass der Wert der anti-
septischen Lösung in ihrer Wirkung für die Desinfektion der
Wunden wesentlich überschätzt worden ist, wir wissen, dass
damit eine Abtötung der Keime überhaupt nicht erreicht
werden kann; ihre Anwendung hat nur eine Reizung der
Wunde und damit stärkere Sekretion zur Folge, wir ver¬
trauen dem subkutanen Charakter solcher Wunden und be¬
handeln sie gleich ihnen. . ..
Anders liegen die Verhältnisse, wenn Weichten -
Schusswunden mit grossem Einschuss und noch
s e r e m Ausschuss vorliegen, wenn gleichzeitig grössere nhn*
gefässe und Nerven verletzt sind. In Friedenszeiten kommen
solche Schusswunden durch Schrotschüsse aus nächster Nahe
zur Behandlung, die Aehnlichkeit mit den Granatverletzungen
im Kriege haben. In solchen Fällen ist ein aktiveres Eingreifen»
notwendig. Die Wunde muss erweitert, der Schusskanal viel¬
leicht vollkommen gespalten werden, damit das zermalmte,
zerfetzte Gewebe, das den Keim der Nekrose infolge mangel¬
hafter Ernährung in sich trägt, ausgeschnitten werden kann.
Wir müssen bestrebt sein, die komplizierte Wunde zu eine:
einfachen zu gestalten. Mit diesem Herrichten der Wunde ge¬
lingt es nicht nur, die Wunde aseptisch zu machen, sondert
auch gleichzeitig die Blutung aus verletzten Gefässen zu stillen
durchschossene Nerven durch die Naht zu vereinigen und et¬
waige Fremdkörper zu entfernen. Wenn notwendig, erfolg
ein Aussptilen mit physiologischer Kochsalzlösung und nach
heriger, sorgfältiger, loser Tamponade der Wunde mit Jodo
formgaze. Ich verfüge über einige derartige, sehr schwer1
Schrotschussverletzungen aus unmittelbarer Nähe,
wurden nach diesen Grundsätzen behandelt und geheilt.
1. August 1914.
t* c Idarztliche Beilage zur Münch. nicJ. Wochenschrift.
1 795
Bei Schussfrakturen ist wiederum die Grösse des
in- und Ausschusses ausschlaggebend. Bei kleinen Sehuss-
ichcrn, auch wenn der Knochen gesplittert ist, konservative
•ehandlung im Gipsverband; man behandle sie ebenso wie
ie Durchstechungsfrakturen des Friedens. Bei grossem Ein-
nd Ausschuss ist die Frage zu entscheiden, ob überhaupt eine
onservative Behandlung zum Ziele führen kann oder ob die
rimäre Amputation indiziert ist. Das wird sich bei dem in
esen schweren Fallen unbedingt notwendigen Debridement
-r ^ unde zeigen. Man entschliesse sich nicht zu schwer zur
-irnüren Amputation, die Resektion in der Kontinuität und
ontiguität ist einzuschränken. Diese Art der Schussfrakturen
eicht den schweren Komminutivfrakturen des Friedens;
arke Zertrümmerung des Knochens und Weichteilquetschung,
n Frieden behandeln wir diese Frakturen nach den von
olkmann aufgestellten Grundsätzen und die Erfolge sind
lerraschend gut, wofern überhaupt eine konservative Be-
indlung und nicht eine Amputation in Frage kommt.
Ich will auf das spezielle Gebiet nicht eingehen und will
ir einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Friedens- und
iegsverletzungen in der Behandlung der Bauchschusswunden
•rvorheben. Im Frieden laparotomieren wir bei jedem
auchschuss so bald wie möglich; im Kriege haben die
iparotomien bei diesen Verletzungen eine sehr schlechte
•erativ e Prognose, weil die notwendigen Vorbedingungen für
l aseptisches und rechtzeitiges Operieren selten vorhanden
ld. Im Gegenteil hat sich gezeigt, dass sogar spontane
nlungen bei Darmverletzungen eingetreten sind. Letztere
lerden allerdings bei dem modernen Spitzgeschoss seltener
erwarten sein, da das Spitzgeschoss sehr häufig als Quer-
. hlägei aufschlägt, den Darm nicht mehr glatt durchschlägt,
ndern bedeutende Zerreissungen zur Folge hat. Aehnlich
rd es mit den Brustschüssen ergehen, die in den letzten
! legen bei exspektativer Behandlung eine so gute Prognose
i geben haben und auch die Indikation zur Trepanation hat
ie wesentliche Einschränkung erfahren.
Bei infizierten Wunden müssen breite Inzisionen
' macht werden; hier ist die offene Wundbehandlung mit
mponade, Spülungen mit Wasserstoffhyperoxyd und häu-
er \ erbandwechsel am Platze. Sehr günstig wirkt hier
ch die Bier sehe Stauung. Der Grundgedanke der B i e r -
len Stauungshyperämie ist der, die natürlichen Abwehr-
rgänge des Körpers zu steigern. In Wirklichkeit wirkt die
luung durch die mechanische Ausspülung und Ausschwem-
mg der Infektionsstoffe durch die offenen Wunden. Die
iuungsbinde muss richtig angelegt werden, darf die Zirku-
ion nicht aufheben, das Glied muss heiss und ödematös
rden, der Entzündungsschmerz muss schwinden. Die Stau-
i gsbinde bleibt 10 — 20 Stunden liegen und muss sorgfältig
'-'rwacht werden. Auch die Heissluftbehandlung bei eiterri-
h infizierten Wunden hat sich vielfach bewährt. Die ver¬
ödeten Teile bleiben täglich 1—2 mal je 2 Stunden im Heiss¬
ebad.
Die Antifermentbehandlung eiternder infizierter Wunden
i sich noch nicht bewährt. Neuestcns wird wieder die An-
jndung des Perubalsams empfohlen und wir können über
ne Wirkung sehr günstiges berichten.
In der ganzen Wundbehandlungsfrage spielt die Des in -
k t i on unserer Hände eine grosse Rolle; die Kontakt-
■ktion der Wunden durch unreine Hände ist nur zu häufig.
J lc mechanische Reinigung mit Wasser und Seife, mit
rmorstaub und Sand liefert höchstens eine Verminderung
Keimgehaltes der Hände. Auch durch andere Desinfek-
tsmetlmden werden wir niemals eine dauernde Keimfreiheit
erer Hände erzielen, ganz abgesehen davon, dass unsere
Hd ein allzu kräftiges Bürsten und Behandeln mit antisep-
en Lösungen nicht verträgt. Risse und Schrunden sind
, ,° und damit hört eine gründliche Desinfektion der Hand
rhaupt auf. Die gewöhnliche Schmierseife enthält Alkali
greift deswegen die Haut zu sehr an. Sie ist für gewöhn-
1 und auf die Dauer nicht zu gebrauchen. Eine neutrale
IS/.i am Die Methoden Fürbringers und
Itelds Heisswasser-Alkoholdcsinfektion ohne antisep-
ie Lösung sind die gebräuchlichsten und sind auch aus-
hend.
Heussner empfiehlt ein 5 Minuten langes Waschen mit
Jodbenzin (1 Jod 200 Paraffinöl, 800 Benzin, Stammlösung
1 Jod 10 Benzin).
Wieder andere rühmen die reine Alkoholdesinfektion, die
Haut schrumpft und wird hart und die Keimabgabe wird auf
ein Minimum für einige Zeit reduziert. Neuestens wurde von
dei chemischen Fabrik von Marquard eine Alkoholseife her-
gestellt. Die Seife enthält ca. 80 Proz. Alkohol. Nach den
Untersuchungen im hiesigen hygienischen Institut wurden
Staphylo- und Streptokokken, Diphtheriebazillen und Bact. coli
innerhalb einer halben Minute abgetötet, so dass sich diese
,‘e sehr für die Desinfektion unserer Hände empfiehlt. Man
reibt die Seife gründlich trocken ein und spült mit sterilem
Wasser nach.
Die Hände mit undurchlässigen Ueberziigen von Wachs,
Harz, Kautschuk zu überziehen, hat sich gar nicht bewährt,
dÖseur ye^przi*S reisst und springt. Der sterile Gummihand¬
schuh löst in einfachster Weise die ganze Händedesinfektions¬
frage und ist für uns unentbehrlich. Die Technik liefert uns
haltbaie, nahtlose, aus dünnstem Kondomgummi hergestcllte
Handschuhe. Gewiss steigen durch die Anschaffung der
Gummihandschuhe die Kosten der Wundbehandlung und be¬
tragen im Jahre an unserer Klinik 2500 Mark. Ich lasse bei
allen Opeiationen, bei septischen und aseptischen Operationen,
bei allen Verbandwechseln, von den Aerzten und Schwestern
die Gummihandschuhe tragen und dadurch ist der Verbrauch
ein sehr grosser. Kleine Rjsse in ihnen werden von den
Schwestern ausgebessert, indem von defekten Handschuhen
Stücke ausgeschnitten und mit Paragummi auf die Löcher fest¬
geklebt werden.
Zum Schutze der Gummihandschuhe ist es zweckmässig,
sterile Zwirnhandschuhe darüber anzuziehen. Der Gummi¬
handschuh verträgt ein öfteres, etwa 6 — 8 maliges Sterilisieren
in strömendem Dampf von 100° eine Stunde; er wird mit
lalknm eingepudert; Auskochen verträgt der Gummihand¬
schuh schlecht.
Die Gummihandschuhe müssen über die zuvor gründlich
gereinigte, gut abgetrocknete und eingepuderte Hand gezogen
werden, feuchte Haut unter dem Gummihandschuh befördert
die Bildung des sog. Handschuhsaftes. Man kann die Gummi¬
handschuhe von einem zum anderen Verbandwechsel anbe¬
halten, wenn man sich vor jedem Verbandwechsel die behand¬
schuhte Hand mit Wasser, Seife und Sublimat wäscht.
Besonders wichtig ist die Noninfektion unserer
Hände und es muss gefordert werden, dass wir bei der Be¬
handlung septischer Wunden wenigstens Gummihandschuhe
tragen.
Wie die Haut unserer Hände muss auch die Haut des
Operationsgebietes desinfiziert werden. Auch hier hat man
früher die F ü r b r i n g e r sehe Methode angewendet. Jetzt
wäscht man die Haut mit Seifenspiritus, mit Alkohol, mit Jod¬
benzin und bevorzugt vor allem den Jodanstrich von G ros-
s i c h. Das Gaudanin D ö d e r 1 e i n s und der Mastixlack
O e 1 1 i n g e n s (Mastix 20, Chloroform 50, Leinöl 20 Tropfen!
sind überflüssig geworden.
Ist eine allgemeine N a r k o s e des Verletzten im Verlaufe
der Wundbehandlung notwendig, so empfiehlt sich, wo immer
möglich, die Mischnarkose mit Chloroform-Aether-Sauerstoff
im Roth-Träger sehen Apparat, der vor allem eine genaue
Dosierung des Narkotikums gestattet. Es ist der zuver¬
lässigste aller Narkotisierungsapparate und wenn der die Nar¬
kose leitende Arzt mit dem Vorgang der Narkose, mit ihrer
Technik vertraut ist und von dem Gefühl der Verantwortlich¬
keit, die er zu tragen hat, durchdrungen ist, so hat die Inhala¬
tionsnarkose den grössten I eil ihrer Gefahren verloren. Um
den Eintritt de*" Narkose zu erleichtern, hat Klapp die künst¬
liche Verkleinerung des Kreislaufs durch Abschnürung der
Beine oder Arme mit der Esmarch sehen Binde empfohlen.
Die Methode ist nicht empfehlenswert, denn die Throm¬
bosen in den abgesperrten Extremitäten werden häufiger und
überdies ist das abgesperrte mit Kohlensäure und anderen
Abbauprodukten überladene Blut nicht unschädlich für das Herz.
Von der Aetherrauschnarkose (Inhalationsanalgesie) ist
ausgedehnter Gebrauch bei kleinen operativen Eingriffen zu
machen. Die Analgesie tritt schon nach 10—20 Atemzügen ein
796
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
Nr. 32.
Die Anwendung der Lokalanästhesie lässt uns in vielen
Fällen die Inhalationsnarkose ersparen. Diese Methoden sind
vorzüglich ausgebildet und sollten von allen Aerzten gekannt
und geübt werden. Die Infiltrations- und Leitungsanästhesie,
von sachkundiger Hand ausgeführt, lässt grosse Operationen,
Resektionen am Oberkiefer, Unterkiefer, Kropfexstirpationen,
Hernienoperationen, Amputationen und Resektionen der Ge¬
lenke nahezu schmerzlos ausführen. Die Venen- und arterielle
Anästhesie für die regionäre Anästhesie sind noch zu wenig
praktisch erprobt. .
Das empfehlenswerteste Lokalanästhetikum ist zurzeit das
Novokain, das wenig giftig ist, nicht reizt und keine gefäss-
erweiternde Wirkung ausübt. Mit Suprarenin bezweckt es
eine genügend lange Anästhesie. Von der U proz. Lösung
sind 150, ja sogar 250 ccm ohne irgendeinen Schaden schon
injiziert worden = 1,5 Novokain, auch bei Luxationen und
Frakturen für die Reposition sehr zu empfehlen (Plexus-
anästhesie).
Die Lumbalanästhesie ist für alle Operationen an den
unteren Extremitäten bis fast zur Nabelhöhe zu gebrauchen,
erfordert aber eine exakte und nicht ganz leicht zu erlernende
Technik. Wir haben an unserer Klinik nahezu 1800 Lumbal¬
anästhesien ausgeführt ohne ernstliche Störungen, aussei bis-
weilen heftiges Kopfweh und ein paar Mal vorübergehende Ab-
duzenslähmung. Von anderer Seite aber werden Todesfälle,
1 : 200, nach anderen Berichten 1 : 350, dauernde Extremitäten¬
lähmung, Gangrän berichtet, so dass diese Art der Anästhe¬
sierung im allgemeinen nicht zu empfehlen sein dürfte.
Zur Injektion eignet sich am besten nach unseren Erfahrungen
Tropakokain. Bei bestehenden Eiterungen ist die Lumbal¬
anästhesie strenge zu meiden.
Bei schweren Blutverlusten ist an einen Ei satz
des Blutes zu denken. Das beste Mittel ist die Kochsalz¬
infusion intravenös oder subkutan, extraperitoneal odei rektal,
mit Sauerstoffinhalation, Tieflagerung des Kopfes und Auto¬
transfusion, natürlich nach vorausgegangener exakter Blut¬
stillung. , , _
Die Bluttransfusion ist durch die Fortschritte der üefass-
chirurgie in ein neues Stadium getreten. Die direkte Irans¬
fusion' durch Einnähen der Arterie des Blutspenders in die
Vene des Empfängers scheint die grossen Gefahren der
Thrombosenbildung der früheren Methoden zu vermeiden.
Aus der Kgl. chirurgischen Universitätsklinik zu Berlin
(Geh. Med.-Rat Bier).
Kriegschirurgische Arbeit auf dem Hauptverbandplatz.
Von Dr. Ludwig S c h 1 i e p, Assistent der Klinik.
Während in den hinteren Etappenlinien Operationen in
grösserer Zahl Vorkommen, treten Zahl und Mannigfaltigkeit
der Operationen auf einem Hauptverbandsplatz gegenüber
zahlreichen Verbänden in den Hintergrund. In dieser Hinsicht
hatte ich Gelegenheit, selbst einen Vergleich zu ziehen, weil
ich im ersten Balkankriege in einem Lazarett in Belgrad
arbeitete, im zweiten auf einem Hauptverbandsplatz tätig war.
Aus meiner Tabelle bekommt man ein Gesamtbild meiner
kriegschirurgischen Tätigkeit im zweiten Balkankriege. Diese
Tabelle kann nur deswegen ein Interesse beanspruchen, weil
sie ein Bild von der kriegschirurgischen Arbeit einer be¬
stimmten Sanitätsformation während eines ganzen Feldzuges
gibt. Da es speziell die dritte serbische Armee und von dieser
wieder speziell die Morawadivision war. die entscheidend an
den Ereignissen Anteil nahm, so war ich in der glücklichen
Die Tätigkeit unseres Hauptverbandsplatzes erstreckte
sich vom 30. Juni bis zum 3. August 1913. Im ganzen behan¬
delten wir 5207 Verwundete. Ich habe in der ersten Rubrik
die Namen der Schlachten angeführt, in welchen unser Haupt¬
verbandsplatz in Aktion trat. Man ersieht ohne weiteres, dass
in den ersten Schlachten bei Hansi-Beg, bei Drogcrtzi und
Warsakli und bei Stip die Verwundetenziffer eine relativ ge¬
ringe war In der letzten Schlacht bei Leskaja und Vinica
hatten wir eine Gesamtzahl von 3519 Verwundeten, und zwar
muss ich hinzufügen, dass es sich hier bei der letzten Schlacht I
um die Erstürmung von 1300 m hohen, sehr steilen Bergen
handelte, hinter denen sich die Bulgaren verschanzt hatten.
Die serbische Infanterie musste sich langsam in Gräben hinauf¬
graben, tagsüber hauptsächlich unter Artilleriefeuer, in der
Nacht unter Bajonettangriff. Das Verhältnis der Offiziere zu I
den Unteroffizieren und Mannschaften war: 56 verwundet
Offiziere kamen auf 422 verwundete Unteroffiziere und 3041
verwundete Mannschaften. Das sind 1 Proz. vciwundete Offi¬
ziere zu 12 Proz. verwundeten Unteroffizieren und 86 Proz.
verwundeten Mannschaften. Darüber ist weiter nicht viel zu
berichten. Ausserdem habe ich unsere Verwundeten ein¬
geteilt in Schwerverwundete und Leichtverwundete. 1615
Schwerverletzte kamen auf 3592 Leichtverletzte, ein Prozent¬
satz wie 31 zu 69. Weiterhin sind die Verwundeten eingeteilt
in Verletzte durch Schrapnellkugeln, Granatkontusionen odei
Bajonett. Ueber Schrapnell- und Kugelverletzungen will ich
mich hier nicht äussern. Sehr interessant waren die 623
Granatkontusionen, die auf unseren Verbandsplatz kamen,
Wir sahen da Bilder von nervösem Zittern mit Schwindel,
kaltem Schweiss, Pulsverlangsamung oder Pulsbeschleunigung,
auch von melancholischen Zuständen, Angstzuständen bis zu ]
jenen schweren Bildern, wo uns die Granatkontuudici ten auf
Tragen angebracht wurden und unfähig waren, auch nur «-Ui
Glied zu rühren. Wir haben diese Schwerkontundierten sofort
evakuiert. Die Prognose dieser Kontusionen ist eine schlechte.,
Wir sorgten dafür, dass sie womöglich direkt bis Belgrad
gingen, und wir konnten das tun, indem wir einen entspi cclicn-
den Vermerk auf dem Verwundetentäfclchen machten.
Im übrigen ist die Frage ja auch interessant, ob es wohl
möglich ist, dass in der Schlacht durch die Nähe platzender
Granaten ohne weitere Verwundung Menschen getötet werden
können, und es scheint, als ob diese Frage zu bejahen ist. Ich
habe es allerdings auch erlebt, dass ein Soldat durch eine
Granate total verschüttet wurde; seine Kameraden gruben I
ihn sofort wieder aus, und er tat unbeschädigt Dienst. Aber
trotzdem neigen wir heutzutage der Ansicht zu, dass Granat¬
kontusionen ohne jede weitere Verletzung auf dem Sclilaw.
felde selbst zum Tode führen können.
Ueber die Evakuation ein kurzes Wort! — Wir waren
darauf angewiesen, unsere Verwundeten fast durch die ttanK
in zweiräderigen türkischen Ochsenkarren zu evakuieren, die
natürlich ein miserables Transportmittel darstellten, abci en -
sprechend dem Zustande der Wege auf dem Balkan docir
immerhin wenigstens ein sicheres Transportmittel bilden,
wenn sie auch bloss 15 km pro Tag zurücklegen. Wir haben,
nur Kopfschüsse und Bauchschüsse in anderen Wagen eva¬
kuiert. Das waren zweiräderige Wagen französischen Mo¬
dells mit Pferdebespannung, in welchen 4 Tragen federn»
untergebracht werden konnten, aber es waren viel zu wem«
von diesen Fahrzeugen vorhanden.
Eine weitere Rubrik sind die Bajonettverletzungen: 58 at
der Zahl. Das ist eine merkwürdig kleine Zahl. Sie erklär
sich bloss daraus, dass trotz dieser kolossal vielen Bajonett
angriffe — die letzte Schlacht dauerte nämlich 12 Tage um
Lage, eben dort zu arbeiten, wo es am meisten zu tun gab.
Tätigkeit des Hauptverbandplatzes der serbischen Morawadivision I. Aufgebots in, serbisch-bulgarischen
Schlacht
Hansi-Beg.
Droeertzi u. War
sakli . . .
Stip .....
Leskaia u Vinica
Offi¬
ziere
Unter¬
offiziere
Mann¬
schaft
Zu¬
sammen
Schwer
ver¬
wundet
Leicht
ver¬
wundet
Schrap¬
nell
Kugel
Konfus.
Bajonett
Kopf
Brust
Bauch
Untere
Extrem
Obere
Extrem.
Fraktur.
Oper.
25
187
1297'
1509
551
958
652
737
111
9
173
191
60
645
490
30
20
2
56
3
12
42'»
18
144
7041
23
156
3519
8
140
916
15
16
2603
9
24
896
8
117
2083
4
1
507
?
40
3
19
380
1
22
391
1
15
124
13
93
1462
2
16
756
11
72
1
16
| 83
624
4500
| 5207
| 1615
| 3592
| 1581
| 2945
| 623
1 58
| 575
605
200
| 2213
1261
113
37
An mehrere
Stellen
verwundet
100
18
138
256
I. August 191-4.
1797
1 cldai ztliehe Beilage zui Münch. med. Wochenschrift.
- Nächte, und in jeder Nacht wurden Bajonettangriffe gemacht
die meisten dieser Bajonettverletzten auf dem Schlachtfelde
arben. Auch diese 58 Verletzten, die wir hatten, waren aus-
-'limend schwer.
Weiter habe ich das Material eingeteilt in Kopfschüsse,
rustschüsse, Bauchschüsse, Schüsse der unteren Extremitäten
ul Schüsse dei oberen Extremitäten. Sie sehen: wir haben
5 Kopfschüsse behandelt. Wir haben uns darauf beschränkt,
olitter, Fremdkörper und sonstige Verunreinigungen der
unden zu entfernen, bei gequetschten Gehirnmassen für Ab-
iss zu sorgen und im übrigen gutsitzende Verbände zu
achen. Meiner Meinung nach haben wir doch zu wenig
leriert. Nach meiner persönlichen Ueberzeugung hätten wir
-hei manchen Kopfschuss durchbringen können, wenn wir
n operier t hätten. Das war aber nicht möglich, weil wir
•ine Zeit dazu hatten. Wir waren derartig von Verwundeten
■ »erlastet, dass wir grössere Operationen nicht vornehmen
»nuten. V ir waren nämlich bloss zwei Aerzte. Ausser mir
beitete noch ein serbischer Kollege da. Unter diesen Um¬
inden konnten wir bei den 380 Kopfschüssen weiter nichts
achen. Ausserdem wird ja neuerdings verlangt, dass Kopf¬
nüsse überhaupt nicht auf dem Hauptverbandsplatz operiert
erden. Dem möchte ich aber bis zu einem gewissen Grade
i ch widersprechen.
Brustschüsse hatten wir 605. Die Brustschüsse bieten
i erhaupt günstige Bilder. Ein Brustschuss bekommt Mor-
I nun und wird auf Stroh gelagert. Dann wird er möglichst
-4 läge behalten, ehe er evakuiert wird, und meistens ist
;r übrige Verlauf eines Brustschusses ein relativ harmloser.
Das interessanteste Gebiet geben die Bauchschüsse ab.
1 ir haben von den 200 Bauchschüssen keinen einzigen ope-
rt. Eistens ist das ja auch gar nicht möglich, denn man
leitete fast immer im Freien, und weiterhin geben nach den
uesten Erfahrungen konservativ behandelte Bauchschüsse
ie gute Prognose. Allerdings hörte ich nachher auf dem
ckmarsch, als ich an den einzelnen Etappenlinien vorsprach,
ss sämtliche Bauchschüsse zugrunde gegangen sind!
thrend die Kopfschüsse den Transport, die Evakuation aus¬
zeichnet überstanden haben. Wir beschränkten uns bei den
uchschiissen darauf, ihnen keine Nahrung zu geben. Für
Tage bekamen sie überhaupt nichts zu trinken und bloss
löffelweise hier und da etwas Thee, im übrigen Morphium,
1 och kein Opium, damit uns, das Bild nicht zu sehr ver-
lleiert würde.
Die Schüsse der unteren und oberen Extremitäten, 2213
!' unteren, 126 der oberen Extremitäten, ergeben einen
i rkwürdig hohen Prozentsatz für die untere Extremität,
s erklärt sich auch daraus, dass die Soldaten hinter
ckungen lagen, hinter kleinen Steinhaufen, und dass es sehr
vorkam, dass die bulgarischen Schanzen teilweise bloss
in entfernt waren. Wenn daher ein Soldat auch bloss etwa^
dem Bein strampelte, so bekam er natürlich leicht sofort
en Schuss durch die Ferse oder den Fuss. Wir sahen sehr
le ausserordentlich interessante Wadenschüsse, über die
:r schon so viel berichtet wurde, dass es hier nicht möglich
näher darauf einzugehen.
Ausserdem hatten wir 113 Frakturen. Ich muss gestehen:
ich in das Feld hinauszog, machte ich es mir zum Grund-
z. keine Fraktur zu evakuieren, speziell keine schwere, ohne
-n tadellos sitzenden Gipsverband. Das war Theorie, ln
Praxis gestaltete sich das ganz anders. Ich hatte vielleicht
der 3 Femurfrakturen von der Brust bis zu den Zehen ein-
ipst. Schliesslich war es nicht mehr möglich, uns fehlte
Zeit. Wir nahmen Latten und Schienen, und sehr gute
1 nste leisteten uns Stärkebinden. Auch hier kann ich bloss
' bekräftigen, was schon im Jahre 1868 Langenbeck ge-
t hat: auf den Hauptverbandsplatz gehört der Pappschienen-
'n das Feldspital der Gipsverband. Ich hörte auch
hher in den hinteren Etappenlinien, dass unsere Frakturen
1 Transport sehr gut Überstunden hätten.
Schliesslich zu den Operationen — ich rechne da natürlich
’S die grösseren Operationen — : 37, eine merkwürdig ge-
.e Zahl. Ich kenne bloss 4 Indikationen zur Operation auf
■i Hauptverbandsplatz: Schädeldebridement, Unterbindung,
egmonenspaltung, allerhöchstens noch eine Rippenresektion
bei einem Empyem. Wir haben uns — und diese Zahl beweist
cs — vor der verhängnisvollen Polypragmasie des Hauptver¬
bandsplatzes sehr gehütet. Ausserdem habe ich hier eine
Rubrik von Leuten, die an mehreren Stellen verwundet
wurden: 256.
Schliesslich hatten wir 350 Cholerakranke. Das gehört
nicht hierher. Wir hatten Malaria, Rekurrens, Dysenterie,
lyphus und Cholera. Die haben wir in Separatbaracken in
der Nahe möglichst schnell evakuiert. Das war allerdings
manchmal nicht so schnell gemacht, wie es wünschenswert
eischien, und zwar deswegen, weil sehr viele Cholerakranke
von der Front zu uns kamen und angaben, sie seien granat-
kontundiert. Sie fürchteten sich, in die Cholerabaracken ge¬
bracht zu werden.
Aus meinen Mitteilungen ist zu ersehen, dass der
Charakter der knegschirurgischen Tätigkeit dicht hinter der
reuerhme ein ganz anderer ist als in den Etappen- oder Kriegs¬
lazaretten, wo die chirurgische Indikationsstellung mehr und
mehr der des Friedens gleicht.
Die Anordnung der Verbandplätze im Feld*).
Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Schoen werth in München.
I. Truppenverbandplatz.
Lage: Möglichst geschützt, jedoch nahe der Gefechtslinie
und leicht zu erreichen. Vorhandensein von Wasserstellen
dringend erwünscht.
Ei richtung des I ruppenverbandplatzes ist vom Regiments-
etc. Arzt vom Kommandeur zu erwirken, im Notfälle selbst¬
ständig zu errichten. Meldung alsdann an Kommandeur.
Es ist wünschenswert, für jedes Regiment nur einen
1 ruppenverbandplatz einzurichten, je nach Umständen die
Iruppenverbandplätze mehrerer Regimenter von Anfang an
zusammenzulegen. Eine Vereinigung der Truppenverband¬
plätze mit dem Hauptverbandplatz ist anzustreben.
Truppenverbandplatz kann von jedem Bataillon, jeder
Ai tillerieabteilung mit Hilfe des eigenen Sanitätspersonals und
-materials errichtet werden.
Sanitätspersonal pro Bataillon : 2 Aerzte, 4 Sanitäts¬
mannschaften, 16 Krankenträger.
Sanitäts material pro Bataillon: 80 wollene Leib¬
binden, 52 Krankendecken, 20 Labeflaschen, 4 Sanitätsverband¬
zeuge, 20 Paar Sanitätstaschen, 4 oder 5 zusammenlegbare
Krankentragen mit 2 'Tragegurten, 1 zweispänniger Infanterie¬
sanitätswagen.
Zweck: erste ärztliche Hilfe der Verwundeten.
II. Hauptverbandplatz.
Lage: Nähe von fahrbaren Strassen, Anlehnung an Ge¬
bäude, Wasser. Errichtung durch Sanitätskompanien (für
jedes Armeekorps 3 San.-Kompanien).
Sanitätspersonal:
1. Personal: 1 Kommandeur, 2 Leutnants, 1 Oberarzt,
1 Oberapotheker, 1 Zahlmeister, 1 Chefarzt (Oberstabsarzt)
2 Stabsärzte, 5 Ober- oder Assistenzärzte.
2. Unterpersonal: 9 Sanitätsunteroffiziere, davon 1 be¬
rittener für den Chefarzt, 8 Militärkrankenwärter.
3. Krankenträgerpersonal: 20 Unteroffiziere und 223 Mann¬
schaften.
Sanitätsmaterial: 8 zweispännige Krankenwagen
mit je 7 oder 9 Krankentragen mit Verbandmitteltaschen;'
2 zweispännige Sanitätswagen; 2 zweispännige Packwagen
mit je einem Verbindezelt; 1 zweispänniger Lebensmittel¬
wagen.
Zweck: Beförderung der Verwundeten in die Feld¬
lazarette.
III. Feldlazarett.
(pro Armeekorps 12.)
Lage: In Ortschaften nahe an dem Ort der Verluste
bzw. des Hauptverbandplatzes.
*) Aus Vademekum des Feldarztes. J. F. Lehmanns Verlag,
München.
1798
Fcldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 32.
Sanitätsperso¬
nal: 1 Chefarzt (Ober¬
stabsarzt), 1 Stabsarzt,
4 Ober- oder Assistenz¬
ärzte, 1 Oberapotheker,
2 Feldlazarettinspektoren.
Unterpersonal: 12 Sa¬
ri itätsunteroifiziere, 3 Un¬
teroffiziere, 1 Gefreiter,
2 Mann, 14 Militärkran¬
kenwärter.
Sanitätsmater ial:
1 zweispänniger Kranken¬
wagen mit 7 oder 9
Krankentragen mit Ver¬
bandmitteltaschen, 2
zweispännige Sanitäts¬
wagen, 1 zweispänniger
Packwagen, 4 zweispän¬
nige Gerätewagen, 1
zweispänniger Beamten¬
wagen.
Zweck: Lazarett¬
pflege der nicht marsch¬
fähigen Verwundeten, bis
Rückbeförderung möglich
oder Uebernahme durch
die Etappe erfolgt.
IV. Leichtverwundeten-Sammelplatz.
Lage: Im Abmarschgelände weit genug zurück, leicht
und sicher erreichbar, womöglich 1 Leichtverwundeten-
Sammelplatz für mehrere Hauptverbandplätze.
Sanitätspersonal: Wenn nötig und nach Bedarf
aus noch nicht errichteten Feldlazaretten.
Zweck: Entlastung der Truppen und Hauptverband¬
plätze von den marschfähigen Verwundeten; Ablieferung an
die Etappe.
V. Sanitätsstaffel.
Lage: Möglichst geschützt, nahe der Gefechtslinie und
Kavalleriedivision.
Sanitätspersonal: des Sanitätspersonals der
Kavalleriedivision. .
Sanitätsmaterial: 4« zweispännige Kavallerie-
sanitätswagen, 1 zweispänniger Sanitätsvorratswagen,
2 Kavalleriebestecke, 12 Nottragen, 2 Satz Zeltstangen für ein
Verwundetenzelt.
Zweck: Versorgung der Verwundeten in und nach dem
Gefecht. Marschfähige nach dem nächsten Etappenort, die
übrigen Verwundeten nach dem nächsten Feldlazarett.
Vereine.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
Aus der Sitzung vom 28. März 1914.
Vorsitzender: Herr Qelbke.
Herr Schümann (a. G.): Ueber die operative Behandlung der
Herzverletzungen.
Vortr. berichtet zunächst über ältere Falle von Herznaht aus
der T r e n d e 1 e n b u r g sehen Klinik (vergl. M.m.W. 1909 Nr. 15);
sodann über einen eigenen im Johannstädter Krankenhause zu
Dresden operierten Fall von Ventrikelverletzung durch Revolver-
Krankengeschichte: 30 jälir. Monteur, Suizidversuch durch Schuss
in die Herzgegend mit 9 mm-Revolver. Anfänglich abwartendes Ver¬
halten- nach 12 Stunden plötzliche Verschlimmerung: Zunahme der
Anämie, Zyanose, Orthropnoe, äusserste Unruhe. Einschuss liegt im
IV Interkostalraum 6 cm innerhalb und 3 cm unterhalb der linken
Brustwarze. Operation in leichter Aethernarkose: Freilegung des
Herzens nach Kocher. Im Herzbeutel und namentlich in der
Pleurahöhle grosse Mengen Blut. Einschuss im linken Ventrikel,
Naht durch 3 tiefgreifende Katgutnähte. Ausschuss nicht zu finden.
(Auf breite Perikarderöffnung musste eines schweren, wahrend der
Operation eintretenden Kollapses wegen verzichtet werden.) Nach
Injektion von 1000 ccm Kochsalzlösung wird der Puls wieder fühlbar.
Wundheilung frei von Störungen, die Symptome des Pneumothorax
schwinden schnell (Operation ohne Druckdifferenzverfahren). Pro¬
jektil am 10. Brustwirbelkörper nachweisbar; Vergrösserung und
Abrundung des Herzschattens, namentlich der rechten Grenze, be¬
stehen noch 14 Tage nach der Verletzung, vermutlich durch Reste
des Hämoperikards.
Befund 4 Wochen später: Keine Herzvergrösserung mehr per¬
kutorisch nachzuweisen. Puls regulär, etwas beschleunigt. Sub¬
jektiv: leichte Ermüdbarkeit, Spannungsgefühl in der Brust.
Besprechung der Pathologie, Diagnostik und I lierapie der Herz-
Verletzungen. (Erscheint ausführlich in der M.m.W.)
Diskussion: Herr Friedrich Hesse: Ich bin Anhänger der
Pleuradrainage, deren Ausführung ich auf dem Chirurgenkongress 1911
empfohlen habe; sie muss aber richtig ausgeführt, werden, und zwar
am tiefsten Punkte der Pleura, links hinten unten. Bei dieser Aus¬
führung werden die Ergebnisse der Statistik, die bisher gegen die
Pleuradrainage spricht, bessere sein. Die Pleuradrainage soll sofort
an die Operation der Herzverletzung angeschlossen werden. Was die
Schnittführung anlangt, so habe ich gefunden, dass es zweckmassig ist,
Teile des Sternums zu resezieren. Da das Herz mehr hinter als neben
dem Sternum liegt, so wird die Arbeit durch vorherige Resektion von
einem Drittel oder der Hälfte des Sternums sehr erleichtert. Die
Resektion muss aber vor Eröffnung des Herzbeutels erfolgen, weil
man dann meist noch Zeit hat, was in der Regel nicht mehr der r al
ist, sobald sich nach der Eröffnung des Herzbeutels die Notwendigkeit
ergibt, nach rechts hin Platz zu schaffen. Auch kann man so leicht
extrapleural arbeiten.
Herr Oppe: Der vom Vortragenden besprochene Fall befindet
sich seit seiner chirurgischen Heilung in der Gefangenenanstalt; ei
ist noch nicht genesen. Der Puls ist dauernd hoch, um 100, der
Kranke muss sich sehr schonen, kann nur langsam gehen und Keine
schnellen Bewegungen machen. Im Bereich des bei der Operatiot
gebildeten Lappens ist eine systolische Vorwölbung zu bemerken
keine Einziehung. Wir können daraus schliessen, dass die Ver¬
bindung zwischen Herznaht und Herzbeutel sich mit der Zeit gelos
haben muss, sonst müsste man Einziehungen beobachten.
Herr Faust: Einen der ersten Fälle von operierter Herzver
letzung hat unser verstorbener S t e 1 z n e r 1886 auf dem Chirurgen
kongress vorgestellt. Es handelte sich um einen Studenten, der in
Rausch sich eine ziemlich lange Nähnadel ins Herz gestochen batte
Der Herzbeutel wurde eröffnet; die Nadel verschwand in dem Augen
blick, als sie extrahiert werden sollte, aber der Kranke genas. !
Herr Hans Seidel: Die Pleura reagiert sehr leicht auf mecha
nische Reize, auch bei aseptischen Eingriffen. Es bildet sich eil
seröses Exsudat, welches, wie ich namentlich im Tierexperimen.
aber auch beim Menschen gesehen habe, schon durch seine bloss
Anwesenheit recht störend wirken, vor allem aber auch einei
recht guten Nährboden für Infektion abgeben kann. Ich bin kein prm
zipieller Anhänger der Drainage, wohl aber der Drainage mit Aus
wähl. Sobald auch nur der leiseste Verdacht auf Infektion der I leur
vorliegt, so drainiere ich im hintersten untersten Pleurawinkel. '
einigen Fällen habe ich präventiv drainiert und das ziemlich stark
Drain zunächst verschlossen, um es später entweder zu entfernei
wenn keine Infektion erfolgt war, oder aber zu öffnen und so nu
Leichtigkeit die Drainage einzuleiten, falls die Infektion es noti
machte. Ein wichtiges Moment für die nachträgliche Infektion <ie
Pleura nach eingeleiteter Drainage ist das Durchstreichen der Lu
1. August 1914.
Fcldürztliche Beilage zur Miincli. mcd. Wochenschrift.
1799
ircli das Drain iii den I horax. Es lässt sich dies nicht immer ganz
^hindern. I i e g e 1 hat deshalb einen Troikart mit Klappenver-
hluss angegeben, bei dem der Weg inspiratorisch verschlossen,
ispiratonsch freigegeben wird. Schon Thiersch hat bei den
eurotoinien das eingelegte Drain mit einem Kondomgummi ver-
lien, das bei der Inspiration selbsttätig schloss. Auf diese Weise
nn man eine nachträgliche Infektion vermeiden und dieser Gegen-
und gegen eine Drainage fällt also fort.
Die von Herrn E. Hesse empfohlene Resektion des Sternums
rd recht häufig eine breite Mediastinaleröffnung bedingen, die auch
e Nachteile hat: Aspiration von Luft und erhöhte Infektionsgefahr,
i sich das Mediastinum viel schwerer drainiert als die Pleura,
irde ich es stets wieder zu schliessen suchen. Schliesslich noch ein
ort zur Diagnose der Herzverletzungen: Es ist auffällig, wie häufig
.‘ Schüsse in der Herzdämpfung sitzen, ohne dass man eine Herz-
rletzung diagnostizieren kann. Ich erinnere mich an 4 oder 5 Fälle,
i denen der Einschuss absolut innerhalb der Herzdämpfung sass,
* i erbindungslinie zwischen Einschuss und Ausschuss bzw. die
ntgenologisch nachgewiesene Kugel durch das Herz ging und
ztcres trotzdem gut funktionierte. Ob es sich dabei um Kontur-
lüsse handelt, ist schwer festzustellen.
Herr Geipel: Die Grösse der Eröffnung des Herzens ist nicht
mer tiir den spateren Verlauf entscheidend. Die Kugel kann in den
ken Ventrikel durchschlagen und vollständig einheilen. Anderer-
ts ist es möglich, dass selbst durch die ganz dünne Probepunk-
nsnadel einer Pravazspritze, die versehentlich die Herzwand durch-
lirt, eine totale Herztamponade zustande kommt. Dafür habe ich
,r kurzem einen Beleg gesehen: Bei einem 8jährigen Kinde mit
•lwerer rheumatischer Herzaffektion und starker Dilatation wurde
gen verdachtes auf Perikarditis die Probepunktion links vom Ster-
n vorgenommen. 5 Minuten später erfolgte der Tod. Bei der
\tiou zeigte es sich, dass die W and des linken Ventrikels nahe dem
Gtum 2,5 cm oberhalb der Spitze von der Nadel völlig durchbohrt
• r<^en war’ ur*d dass eine völlige Tamponade des Herzens die
ge gewesen war. Es bestand hochgradige Dilatation der Herz-
;ilen. aber kein Exsudat. Die Stichöffnung, welche in der Längs-
ntung der Kammer gelegen war, mass an dem komprimierten
zen 1 mm in der Länge ui.d 3 mm in der Breite, was beweist,
I s durch die Kontraktion des Herzens eine deutliche Zerreisung der
iskulatur an der Nadel erfolgt war. Mikroskopisch erwies sich der
■zmuskel relativ wenig verändert.
Herr Ernst Schmorl: Der von Herrn Faust erwähnte Fall
i Stelz n er ist mir seit 20 Jahren genau bekannt, da mich der
lent wegen eines leichten Diabetes von Zeit zu Zeit aufsuchte
ektiv sind nur eine geringe Unregelmässigkeit der Herzaktion und
leichtes systolisches Geräusch nachweisbar. Beschwerden sind
m vorhanden. Leider ist der Patient nicht zu bewegen sich
'tgen zu lassen.
Herr Friedrich Hesse: Der Stelzn ersehe Fall ist in der
■ -ratur beschrieben. Ein Analogon zu dem von Herrn Geipel
geteilten Falle habe ich selbst vor vielen Jahren erlebt: Bei
:m schon lange an chronischer Osteomyelitis leidenden Kinde
■tc ich wegen Verdachtes auf exsudative Perikarditis die Probe-
iktion des Herzbeutels aus und sah binnen 5 Minuten den Tod
i reten.
Herr Wilhelm Weber: Auch ich habe eine Reihe von Fällen
'-neu, in denen der Einschuss im Bereich der Herzdämpfung oder
ileren Rande lag und die Versuchung zu einem Eingriff recht gross
• Im Verlauf der nächsten Stunden zeigte sich aber, dass die
ptverletzung eine abdominale Verletzung war. Diese kommt da-
i:h zustande, dass die von der rechten Hand gehaltene und auf
Gegend der Brustwarze gerichtete Waffe sich im Moment des
ruckens nach links unten aussen bewegt; so wird das Perikard
gestreift, aber das Zwerchfell und häufig auch der Magen durch-
>ssen. In einem Falle, der einen Geisteskranken betraf, wollte
• der 1 atient eine spitze Feile mittels eines Hammers ins Herz
ien; er traf aber auf den Schwertfortsatz und trieb sich die Feile
m tief in die oberste Bauchhöhle hinein.
Herr Schümann: Für das Zustandekommen einer Infektion im
iraraum ist der von Herrn Hesse beschriebene Sekretsee nicht
ruerlich; allem die Berührung mit der Luft ist hierzu ausreichend
Jungen ist die Anregung H e s s e s zur Pleuradrainage gut fun-
■i und verdient volle Beachtung. Die Resektion des Brustbeins
•nt. talls man sich der Lappentechnik bedient, die Unterbindung
vlammaria interna notwendig.
Von Tretidelenburg wurde ein Fall beobachtet, im dem die
h c u Kerzen lag und darin herumsprang „wie eine Pille in
lr >chachtel‘. Der Patient entzog sich der weiteren Beobachtung,
uem eine Röntgendermatitis aufgetreten war.
ucl. eine Embolie durch die im Herzen gelegene Kugel ist be¬
ieben worden.
Kleine ^Mitteilungen.
Verwundetentransportwesen in Russland und Japan.
Angesichts des deutsch-russischen Krieges gewinnen die im
,fc "Japanischen Kriege gemachten ärztlichen Beobachtungen er-
es Interesse, da sie uns über den Stand des russischen Militär¬
swesens unterrichten. Dass allerdings in den dazwischen liegen¬
den t Jahren die Russen auch in dipser Richtung Fortschritte gemacht
. , i.1 "JOKeii, darf nicht vergessen werden. Einem Aufsatz des öster¬
reichischen Regimentsarztes Dr. Friedrich Hoorn: „Kriegschirurgische
p„iaiM?Sen ai!,s dem russisch-japanischen Krieg“ (Militärärztliche
Publikationen Nr. 104, Wien, J. S a f a r) entnehmen wir folgendes
Kesumee über das I ransportwesen der beiden Staaten:
. . ’>Pie Geschichte ist die Lehrerin des Lebens. Wenn die Ge¬
schichte des jüngsten Krieges gegenwärtig Gegenstand intensiven
stuüiums ist, so kann sich auch das Militärsanitätswesen aus dem ge¬
waltigen Volkerringen am mandschurischen Kriegsschauplätze wich¬
tige Lehren zunutze machen. Zunächst zeigt sich, wie ausserordent-
nen wichtig ein gut eingerichtetes und umsichtig geleitetes Trans-
RRJ * wesen für das Wohl der Verwundeten ist, wie notwendig die
eistelmng reichlicher und zweckmässiger Transportmittel, die sorg-
va„mi?- Einrichtung der Krankenzüge, die Fürsorge für Labung und
crkostigung der Verwundeten auf dem Verbandplätze ist. Von
grösster Bedeutung für den ganzen Sanitätsdienst ist ferner eine
rigorose S o r 1 1 e r u n g der Verwundeten, die vom Hilfsplatze bis in
das Heimatland durchzufiihren ist, und eine zentralisierte umsichtige
Leitung des Verwundetennachschubes. Das Ausserachtlassen der
^oitierung hat, wie sich im russisch-japanischen Kriege gezeigt hat,
zur Folge, dass die Tätigkeit am Verbandplätze gehindert wird, dass
Leichtverwundete in die entlegensten Spitäler transportiert werden,
dass Leichtkranke die Sanitätszüge füllen, während Schwerver¬
wundete in nicht eingerichteten Güterwagen durch die Ungunst der
1 ransportverhaltmsse die schwersten Schädigungen ihrer Gesundheit
erleiden. Line umsichtige Leitung des Verwundetenabschubes wird
ihr Augenmerk auch darauf zu richten haben, dass die Evakuatiou
nicht rücksichtslos, ohne Beachtung der Untransportablen vor sich gehe.
Ls kunn nicht geleugnet werden, dass der Verwundetenabschuh
i rn a b ge a i i f e n e n Kriege bei den Russen ein sehr mangelhafter war.
Freilich hatte das russische Sanitätswesen mit unüberwindlichen
Schwierigkeiten, mit der enormen Ausdehnung und Entlegenheit des
Kriegsschauplatzes, mit der Ungunst des Klimas, mit geringen Res¬
sourcen, dem spärlichen Bahnnetze zu rechnen,
i ..,.Rer russischen Sanitätsleitung mangelte es aber an einem ein¬
heitlichen, zentralisierten Verwundetenabschube, eine Sortierung
zwischen Leicht- und Schwerverwundeten fand nicht statt, es fehlte
an einer entsprechenden Einrichtung der Krankenzüge, an Vorkeli-
rungen für die Verköstigung der Kranken und Verwundeten, Uebel-
stände, die die Leiden der armen Verwundeten ins Unerträgliche
steigerten und einen höchst ungünstigen Einfluss auf den Wundver¬
lauf hatten.
In mancher Hinsicht kann uns dagegen das japanische Militär-
samtatswesen als ein nachahmenswertes Beispiel eines wohlorgani-
sierten Sanitätsdienstes gelten. Die sorgfältige Sortierung der Ver¬
wundeten, der rasche Abschub derselben, die zweckentsprechende
.p.e v0An Hilfs- und Verbandplätzen, die aufopferungsvolle
Tätigkeit der Aerzte und Blessiertenträger in der Gefechtslinie geben
Zeugnis von der Tüchtigkeit des japanischen Sanitätspersonals. Die
japanischen Sanitätsorgane waren durchaus nicht schwerfällig, son¬
dern rasch im Entschlüsse, sicher im Urteile und geschickt in der
Selbsthilfe, mit sicherem Blick das Notwendige, den Mangel wahr¬
nehmend. Immer galt ihnen die Zweckmässigkeit, die Anpassung an
die gegebenen Verhältnisse als leitendes Prinzip. Wir sehen, dass es
den Japanern zu Beginn des Krieges vollständig an Sanitätswagen
mangelte, dass die Ausrüstung der Feldspitäler völlig unzulänglich
war. Durch geschickte Improvisation und Vermehrung der Aus¬
rüstung suchten sie rasch die Mängel zu beheben. Sie hielten sich
nicht mit starrer Strenge an eine gegebene Schablone, sondern ge¬
brauchten die Sanitätsformationen, wie es die konkreten Verhält¬
nisse erheischten. Dies zeigte sich besonders in der verschieden¬
artigen Evakuation und Verstärkung der Hilfs- und Verbandplätze,
sowde in deren Ablösung in Feldspitäler.
Auch unser Reglement für den Sanitätsdienst setzt von den Sa-
mtatsorganen Raschheit des Entschlusses, Zweckmässig¬
keit, Anpassung an die gegebenen Verhältnisse und Selbsthilfe
voraus. In allem aber muss die Sorge für das Wohl der Kr a n -
ken und Verwundeten die Handlungsweise des Arztes be¬
stimmen. Darin gaben uns die Japaner ein nachahmenswertes Bei¬
spiel.“
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Zement als B 1 u t s t i 1 1 u n g s - und Plomben-
m a t er i albei Schädeloperationen emofiehlt V. S c h i I -
I er- Wien (a. d. Laboratorium der psychiatrischen Klinik, Prof.
Wagner v Jau r egg. W.kl.W. 1014 Nr. 32). Sch. suchte nach
emem pulvenörmigen Mittel, das nach gleichmässiger Durchtränkung
nnt Blut eine plastische Masse liefert, welche die Ausfüllung der
blutenden Knochenwunde gestattet, verhältnismässig rasch erhärtet
1,1 dm* Knochen wunde einheilt. Diese Bedingungen
erfüllt das pulverförmige Kalzium-Aluminium-Silikat (Zement), das
Sch. trocken sterilisiert anwendete. Auch als gut verwendbares
Material für Knochenplomben kommt der Zement in Betracht. Das
Verfahren hat sich bei einer grösseren Reihe von Schädeloperationen
am Hunde bewährt und scheint erfolgversprechend zu sein. (Vor¬
läufige Mitteilung.)
Nr. 32.
1800
Feldärztliehe Beilage zur münch. med. Wochenschrift.
Nachrichten.
München, den 10. August 1914.
— Die erste Woche der Mobilisierung der deu t s c hen
Armee ist vorüber und hat den Beweis von der ausgezeichneten
Kriegsbereitschaft Deutschlands geliefert. Wer die T*uhe “"d Ord¬
nung mit der sich die Riesenleistung dieser Mobilmachung vollzieht,
beobachtete, gewann die Gewissheit, dass die Maschine, die hier so
präzis und fast geräuschlos arbeitete, auch im Oelde nmht
wird. Und wer die endlosen Züge der ausruckenden 1 <?der
den unablässigen Strom der vom Lande cintreffenden Wehrpflichtigen
sah, dfe sSammen Söhne des Gebirgs und die wettergebraunten
Burschen der Hochebene, meist prächtige Gestalten, von tadelloser
Disziplin ernst, aber doch voll Freude und Begeisterung darüber,
dass sie’ berufen sind den Kampf um die Existenz der Nation ent¬
scheiden zu helfen, der wurde erfüllt von \ertrauen auf die Tüchtig¬
keit dieser Armee. Und wie hier so im ganzen deutschen Reich,
man lernt erUnnen. was es heisst, ein Volk in Waffen- Em Volk,
so organisiert und vom Geiste der Vaterlandsliebe und der Pflicht
erfüllung beseelt, muss unüberwindlich sein. Möge ihm ein rascher,
restloser Sieg über seine Feinde beschieden sein, damit es bald
wieder zu den Werken des Friedens zurückkehren kann.
— Zu der Ordnung, mit der sich die Mobilmachung vollzieht, trägt
gewiss nicht wenig das Alkoholverbot bei. Es wird davor gewarnt,
durchziehenden Mannschaften alkoholische Getränke zu reichen; aut
den Bahnhöfen ist der Alkoholausschank überhaupt untersagt. Wer
sich aus dem Jahre 1870 erinnert, wie damals den durchziehenden
Truppen Ströme von Bier gereicht wurden und wie dadurch die
Disziplin nicht selten gelockert wurde, vermag den Fortschritt, der
in dem Alkoholverbot liegt, zu würdigen.
— Sofort nach Erklärung des Krieges begann eine ausgedehnte
Arbeit zur Fürsorge für die Verwundeten und Kranken, insbesondeie
seitens des Roten Kreuzes. An die Spitze stellte sich der Kaiser, der
100 000 M. für Zwecke des Roten Kreuzes und die gleiche Summe
zur Fürsorge für die Familien der zu den Fahnen Einberufenen
spendete, ferner stellte er die Kgl. Schlösser in Strassburg, Wies¬
baden, Königsberg und Koblenz zur Aufnahme von Verwundeten un
Kranken zur Verfügung. — ln Bayern eröffnten der König und die
Königin die Sammlungen für Verwundetenfürsorge und Angehorigen-
fürsorge durch Spenden von je 10 000 M. Seine Majestät haben
ausserdem bestimmt, dass alle geeigneten und verfügbaren Raume
in den Schlössern der Kgl. Zivilliste samt den vorhandenen Einrich¬
tungen an Betten etc. als Lazarette und Erholungsstätten sowie zu
sonstigen Kriegszwecken (Sammelstellen, Depots etc.) zur Verfügung
gestellt werden. — Der Kaiser von Oesterreich hat 1 Million Kronen
für Fürsorgezwecke für die Armee gespendet. Die von privater
Seite gestifteten Beträge erreichen bereits eine bedeutende Hohe.
— Die Mitglieder der Berliner amerikanischen Aerztegesell-
schaft haben beschlossen, ihre Dienste in den Sanitätsanstalten der
deutschen Heere anzubieten.
grossen Lazaretten an der Grenze und hier in München. Jedermann
kann Arbeit leisten, die seinen Kräften entspricht, zum Besten des
ganzen Vaterlandes. Darum stellt euch alle in den Dienst der guten
Sache und helft uns die Wunden des Krieges zu heilen.
Anmeldungen werden auf der Geschäftsstelle der Münchener
Medizinerschaft, Pettenkoferstrasse 14/1, täglich von 9—12 und
2—6 Uhr entgegengenommen.
(Todesfall.)
Stabsarzt Dr. P a u 1 s e n, Spezialarzt für Ohren-, Hals- und
Nasenkrankheiten in Dresden, stürzte in Pirna so unglücklich mit
dem Pferde, dass nach kurzem der Tod eintrat.
— In München fand am 8. ds. eine Versammlung von Ver-
tretern ärztlicher Vereine statt, in der über die La^e und über cic
den Aerzten erwachsenden Aufgaben beraten wurde. Es soll vor
allem die Vertretung der ins Feld gezogenen Kollegen geregelt wer¬
den Durch einen Fragebogen soll festgestellt werden, welche Aerzte
noch in München sind und ob sie zur Vertretung anderer bereit
sind, ferner welche Aerzte ausgerückt sind und welche Vertreter sie
aufgestellt haben. Die Polizeidirektion soll um ihre Mitwirkung bei
der Bekanntmachung der Vertretungen ersucht werden, damit die
Versorgung mit ärztlicher Hilfe keine Störung erleidet. Es wurde
eine Kommission, bestehend aus den Herren Hecht, Hohmann,
Lukas und Scholl gewählt, der die Durchführung der ange¬
regten Massnahmen obliegt. Als Geschäftsstelle dient das Büro der
Freien Arztwahl, Pettenkoferstrasse 14.
— Auch die in München wohnenden Aerztinnen und Medi¬
zinerinnen in höheren Semestern wünschen ihre Kräfte in den Dienst
der grossen vaterländischen Sache zu stellen. Es dürfte dies zu¬
nächst wohl am besten dadurch geschehen, dass sie an Kranken¬
häusern, Kliniken und Polikliniken, die wegen Mangels an Aerzten
oft kaum den Betrieb aufrecht erhalten können, die Stellen ihrer
ausgerückten Kollegen einnehmen. Aerztinnen, welche zu solchen
Dienstleistungen bereit sind, wollen sich bei Frl. Dr. Kraepelin,
Psychiatrische Klinik, München, Nussbaumstr. 7, melden. Ebenso
werden Krankenanstalten in München und auswärts, welche
Aerztinnen und Medizinerinnen in höheren Semestern beschäftigen
wollen, gebeten, sich an Frl. Kraepelin zu wenden.
_ In Kiel ist nach dem Aufruf des Rektors der Universität fast
die gesamte Studentenschaft dem Rufe zu den Fahnen gefolgt. —
Das Münchener Korps Franconia hat sich in corpore zum Waffen¬
dienst gestellt und hat an sämtliche Angehörige des Kosener S. O.
einen Aufruf ergehen lassen, sich als Freiwillige zu stellen. Aehnliche
Aufrufe ergehen von den deutschen Burschenschaften.
— Die Münchener Medizinerschaft erlässt an alle
landsturmpflichtigen oder gänzlich militärdienstfreien Aerzte, Medi¬
ziner und Medizinerinnen, ebenso an alle Nichtmediziner, beiderlei
Geschlechts, die sich in den Dienst der Hilfeleistungen für unsere
verwundeten Krieger stellen wollen, folgenden Aufruf.
„Stellt euch dem Vaterlande zur Verfügung als Aerzte und
Krankenpfleger in den Feldlazaretten und Lazarettzügen, in den
Kriegsvertretung der Aerzte.
Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg
und für den Stadtkreis Berlin erlässt folgenden Aufruf-
Das Vaterland bedarf jetzt einer grossen Zahl von Aerzten im
Felde und in den Lazaretten. Viele, die in diesen '1 agen ausrücken
müssen, konnten in der kurzen Zeit keinen Vertreter zur Versorgung
ihrer Kranken, der Kassenkranken und der Privatpatienten finden.
Viele andere, die, ohne dazu verpflichtet zu sein, freudig sich der
Armee zur Verfügung stellen würden, werden daran aus Rücksicht
auf ihre unversorgt zurückbleibenden Kranken gehindert. Um den
einen wie den anderen die Sorge um ihre Patienten abzunehinen.
diesen aber die ärztliche Hilfe vollkommen zu sichern, organisiert
die Aerztekammer einen einheitlichen Vertreterdienst. Damit dieser
unverzüglich ins Leben treten kann, haben wir beschlossen.
1 Die ins Feld ziehenden Aerzte und diejenigen, die sich dem
Heere zur Verfügung stellen wollen, werden gebeten, unverzüglich
von der Art ihres Vertretungsbedürfnisses Kenntnis zu geben. -
2. Alle in Gross-Berlin bleibenden Aerzte werden gebeten, eben-,
falls unverzüglich ihre Bereitwilligkeit zur \ertrctung mitzuteilen
unter Hinzufiigung aller ihnen zweckmässig erscheinenden Angaben.
Von dem vaterländischen und dem kollegialen Sinn unserer
Kollegen erwarten wir, dass jeder, der in der Lage ist, Vertretung zu
leisten, sich dazu bereit erklärt. Alle Zuschriften sind mit der Auf-
schrift- Kriegsvertretung zu richten an das Büro der
Aerztekammer, Berlin, Schellingstrasse 9. In
dringenden Fällen wird telephonisch Auskunft gegeben von Herrn
Sanitätsrat Dr. Moll (Steinplatz 6969) und Herrn Dr. G. Ritter
(Steinplatz 13 408).
Amtliches.
Notapprobation für Aerzte.
Vorübergehende Aufhebung des praktischen
Jahres.
Der Bundesrat hat in der Sitzung vom 1. August 1914 be
schlossen;
1. die zuständigen Landeszentralbehörden — § 1 der Prüfungs¬
ordnung für Aerzte — zu ermächtigen, den Kandidatei
der Medizin, die die ärztliche Prüfung abgelegt
das praktische Jahr aber noch nicht beende
haben, unter B e f r e i u n g von der Ableistung des Restes de1
praktischen Jahres die Approbation als Arzt s o f o r t zi
erteilen,
2. die nach Nr. 1 erteilte Ermächtigung bis auf weiteres aucl
auf diejenigen Kandidaten der Medi z i n zu er
strecken, die nach dem Ergehen dieses Beschlusses di
ärztlichePrüfungablegen,
3. die zuständigen Behörden zu beauftragen, den gemäss Nr. 1.
zu approbierenden Kandidaten der Medizin bei hrteilung 'v
Approbation zu Protokoll zu eröffnen, die Erteilung erfolg
in der Erwartung, dass die Kandidaten — soweit si
nicht heeresdienstpflichtig und -fähig sind — den Be¬
hörden zur Verwendung an solchen Orten zur ver
fiigung stehen würden, in denen eine Verstärkung de
ärztlichen Personals erforderlich erscheine.
Berlin, den 1. August 1914.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers.
Delbrück.
Zur Beachtung.
Die „Feldärztliche Beilage“ wird nach Möglichkeit allen im Fek
stehenden oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten o-
deutschen und österreichischen Armee unentgeltlich geliefert. Herr
welche sie nicht erhalten, werden um Angabe ihrer Adresse ersue
Die Beiträge für die „Feldärztliche Beilage“ werden nach c
höhten Sätzen honoriert. .
J. F. Lehmanns \ erlag
Verlag von ]. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. MOhlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
DieMßnchener Medizinische Wochenwhrift erscheint wöchentlich
m Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. . Preis der
Nummer 80 *1. * Bezugspreis in" Deutschland* ÄStffiBS
.< 6.—. . Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieret
FOrdie Redaktion Arnulfstr.26. Bürozeit der Redaktion S'/,-l Uhr
För Abonnement an j. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse li
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse S.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 33. 18. August 1914.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag. J. F. Lehmann. Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der In ... , , , -
- - — _ _ _ _ uicber Teilschritt zum Abdruck gelangenden Onginalbeiträge vor
Originalien.
Aus der Städtischen Frauenklinik zu Frankfurt a. M. (Direktor-
r° ; W a 1 Ü a r d)- Aus dem Kgl. Institut für experi¬
mentelle I herapie (Direktor: Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. E h r -
lieh, Exz.). Aus dem chemisch-physiologischen Institut
(Direktor: Prof. Dr.Embde n).
(linische und experimentelle Untersuchungen über die
Wirkung des Salvarsans auf die kongenitale Syphilis
des Fötus bei Behandlung der Mutter.
Von Dr. Erwin Meyer, Assistent der Frauenklinik.
I. Klinischer Teil.
Die jnfauste Prognose des Schwangerschaftsproduktes
inet mclit behandelten syphilitischen Mutter machte es dem
jeburtshelfer selbstverständlich, unter allen Umständen eine
yphihtische Schwangere antiluetisch zu behandeln, und jeder
rosse Fortschritt in der antiluetischen Therapie musste frucht-
' ringend auf die Behandlung der kongenitalen Syphilis wirken.
h.tT hteruatin;,finden wir’ gesammelt an grossen Statistiken,
ei Nichtbehandlung der maternen Syphilis eine primäre Mor¬
alität bzw. T od des Kindes in den ersten Lebensjahren von
1- Proz. Leduc, 80 Proz. v. Z e i s s 1, 90 Proz. nach
“"eh und 90,2 Proz. nach Markus. Dazu weisen nach
lochsing er 93 Proz. der syphilitischen Kinder Erkran-
ungen des Nervensystems auf. Man muss sich diese Zahlen
uherer Jahre vor Augen führen, um einerseits an die prak-
sch absolut infauste Prognose des Schwangerschaftspro-
uktes einer nicht behandelten Syphilitika zu glauben, anderer-
eits — wie ich später zeigen will — die grossen Fortschritte
nzu erkennen, die die Behandlung der kongenitalen Syphilis
ur Folge hat.
Bei der kongenitalen Syphilis haben wir durch die Be-
rteilung der maternen Lues keinen Anhaltspunkt für die
chwere der fötalen Lues. Ich kann Markus nicht unbedingt
eistimm en, wenn er die von der Mutter in utero infizierte
, u , einem frisch angesteckten Syphilitiker gleichstellt
‘ ir können an den syphilitischen Neugeborenen nicht die ein-
" nen Stadien der Lues verfolgen, sondern in jedem Stadium
-r maternen Lues kann ein Kind mit Pemphigus, Hepatitis,
Plenitis, Osteochondritis syphilitica geboren resp. ein syphi-
ischer mazerierter Fötus ausgestossen werden. In der
atnologie der kongenitalen Syphilis können wir eben nicht
e üblichen 3 Stadien der Syphilis auseinanderhalten. Nur ein
oüiis der Infektion ist hiervon ausgenommen. Ist der Fötus
trautenn noch nicht erkrankt und hat die Gebärende infek-
>ns tüchtige, syphilitische Herde im Bereich des Genital-
hlauches z. B. Primäraffekt oder Papeln — solche Zustände
amen bei der luetischen Infektion der Mutter nach dem
L V^ngMrSchaftsmonat e‘nfrcfen — »so kann das nicht-luetisch
Krankte Neugeborene noch während der Austreibungsperiode
‘ ziert werden. Dieser Infektionsmechanismus ist demnach ein
In' i er!ner and ist also streng genommen nicht mehr kon-
.•nitai, das Neugeborene macht dann alle drei Stadien der
3 H,rca- P'e Mütter luetischer Neugeborener weisen in
roz. eine positive Wassermann sehe Reaktion auf.
,>n am Leben gebliebenen Kindern latent luetischer Mütter
3 en schon in den ersten Wochen 50 Proz. eine positive
a s s e r m a n n sehe Reaktion (v. S z i I y). Nicht viel besser
t onne Hchantjiung dcr maternen Lues wird die Aussicht
e endes Kind zu erhalten, wenn eine Luetika vor Eintritt
Nr. 33.
^aVldlt,at’ ? eLT5 in der Schwangerschaft selbst, be¬
handelt wird In 82,3 Proz. dieser Fälle müssen wir nach
|Mrnnl,knU/ m t0ten Kind rechnen- Die luetischen Er¬
krankungen der Mutter spielen auch keine Rolle für die Neu¬
geborenen, symptomfreie luetische Mütter gebären sogar in
8 sicher syphilitische Kinder- während die Zahl der
syphilitisch erkrankten Kinder von mit Erscheinungen be-
Jjaf et.en, Muttern nur 65,8 Proz. beträgt. Die Erklärung liegt
natürlich dann, dass diese Patientinnen in der Regel unter Be¬
handlung stehen, im Gegensatz zu den älteren Gruppen, wo oft
viele Jahre seit der letzten Kur vergangen sind (Markus).
Diese gemmnten Zahlen zwingen uns, eine syphilitische Frau
als fui ihren Fötus frisch infektiös während ihres ganzen gebär-
fahigen Alters zu betrachten mit dem geringen, für unsere Be¬
trachtungen nicht in Anrechnung zu bringenden Fehler, dass
die Lues schon im jüngeren Lebensalter ausheilen resp bei
Emtntt emer Schwangerschaft für den Fötus infektions-
untuchtig werden kann. Bessere Resultate des Schwanger-
scnaitsproduktes müssen uns einen Anhaltspunkt dafür geben
ob wir durch Behandlung der Schwangeren die syphilitische
Infektion des Fötus resp. den Tod desselben infolge der
maternen Lues verhindern können. Diese Frage wurde auf
u Kongress der französischen, geburtshilflichen Gesell¬
schaft eingehend erörtert. Ich gebe hier die Zahlen wieder
wie sie Sau vage in seinem Referat niedergelegt hat Be¬
merkenswert ist diese Statistik deshalb, weil sie die einzige
ist, die nach Einführung des Salvarsans in der antiluetischen
I herapie zusammengestellt ist. Vor der Salvarsanzeit
wurden von 217 infizierten Frauen mit Zeichen der
frischen Syphilis, die in der Schwangerschaft syste¬
matisch mit Quecksilber oder kombiniert mit Jod behandelt
wurden, in 25,46 Proz. lebende Kinder geboren, von den leben¬
den Kindern hatten 10,18 Proz. Zeichen der Syphilis.
Von 163 Frauen ohne Zeichen der frischen
Syphilis (Lues latens: Wassermannsche Reaktion
positiv) vor der Gestationsperiode nicht genügend behandelt,
in der Schwangerschaft systematisch mit Quecksilber oder
kombiniert mit Jod behandelt, wurden in 66,25 Proz. lebende
Kinder ohne Zeichen der Lues geboren, 14,72 Proz tragen
Zeichen der Lues, 19 Proz. sind mazeriert.
V°n.. Krauen mit Lues latens vor und während der
Gravidität systematisch mit Hg oder kombiniert mit Jod be¬
handelt wurden in 88,28 Proz. lebende Kinder geboren die
übrigen tragen Zeichen der Lues.
. ^nschhiss daran gebe ich einen sehr instruktiven
rall wieder, den 1 uchmann beobachtet und über den
F o u r n i e r uns berichtet.
t A betrifft eine syphilitische Frau, die 11 mal gravid war Im
Laufe der ersten 7 Schwangerschaften keine Behandlung. Resultat:
/ syphilitische Kinder, die alle starben. Im Laufe der 8. und 0.
Schwangerschaft spezifische Behandlung mit Hg. Resultat:
2 v, f.bcnd?’ SDSnndc Kinder. Während der 10. Schwanger-
schaft keine Behandlung: Syphilitisches Kind, das an Syphilis
stirbt. 11. Schwangerschaft: Neuerliche Behandlung. Geburt
eQeT. munden Kindes. Fournier führt dann weiter aus: „So
mächtig und leider so kurz andauernd ist die Wirkung der Mcrkurial-
behandlung, dass ich mich — wäre das Experiment minder un-
moralisch — der Aufgabe unterziehen möchte, eine syphilitische Frau
abwechselnd gesunde und syphilitische Kinder zur Welt bringen zu
oder' "nicht“06"1 ihr e‘ne spezifische Behandlung durchführe
Wir sehen, dass eine antiluetische, selbst systematisch an¬
gewandte Therapie mit Hg vor Eintritt der Gravidität dem
Fötus keinen genügenden Schutz gegen eine luetische Infektion
1
1*02 _ __
bietet. Besser sind schon die Resultate bei antiluetischer Be¬
handlung mit Hg nur während der Qraviditat. Einen noch
besseren Erfolg verzeichnen wir dann, wenn der antiluetischen
Therapie mit Hg während der Gravidität eine systematische
Behandlung vor der Konzeption vorangeht.
Und nun ist es interessant, die Resultate nach Einführung
des Salvarsans zu studieren. Gestattet uns doch das Sal-
varsan durch die relativ grosse Differenz zwischen kurativer
und toxischer Dosis, dem Körper eine entsprechend grosse
Menge Arsen einzuverleiben, und damit in kurzer Zeit einen
energischen Einfluss auf die Syphilis im allgemeinen zu
C1/i<Von Autoren, die ihre Resultate von in der Schwanger¬
schaft mit Salvarsan oder Salvarsan kombiniert mit Queck¬
silber behandelten Frauen mitgeteilt haben, gebe ich folgende
Zahlen in Form einer Tabelle wieder-
M U F.NCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRlEI' .
Nr. 33.
Von den 43 in graviditate Behandelten gebaren 42 Mutter je ein
lebendes Kind. Von diesen 42 Kindern starben 5 Kinder in den
erStCDie Mutter des totgeborenen Kindes und der 5 post partum ge¬
storbenen Kinder sind wie folgt behandelt worden:
1 Totgeborenes Kind im 6. Monat (Kind 26 cm lang, 500 g
schwer). Die Mutter hat 0,8 g Salvarsan und 0,05 g Hydrargyrum
salicylicum im 4.-5. Monat der (iravidität erhalten.
2 Lebend geborenes Kind I. Dessen Mutter hat 0,9 g . alvarsan
und 0 35 g Hg. sal. im 6. Monat der Gravidität erhalten Es stirbt
am 3 Tage nach der Geburt und weist Pemphigus an den Händen
und Füssen auf. .
3 Lebend geborenes Kind II (Frühgeburt im 8. Monat . Dessen
Mutter hat 0,4 g Salvarsan und 0,05 g Hg. sal. 4 1 age vor der 1 «bur
erhalten. Es stirbt 11 Stunden nach der Geburt. Die Sektion ergiot
keine Zeichen der Syphilis.
4 Lebend geborenes Kind III (Frühgeburt im 8. Monat). Dessen
Mutter hat 0,4 g Salvarsan und 0,05 Hg. sal. kurze Zeit vor der
Name des Autors Anzahl der Fälle
Stadium der maternen Lues,
Zeichen der Syphilis
lebende Kinder
tote
Kinder
Es starben später ? Kinder
oder zeigten später Zeichen
der Syphilis
Lebende
Kinder
vom Autor
in Prozent¬
zahl gesetzt
Sauvage
Jeanselme
derselbe
Fahre und Bourret
Brisson
derselbe
v. Szily
Audebert und
Berny
Heden
derselbe
Lemcland u. Brisson
Schreiber
Gluck
Fraenkel u. Olaser
v. Zeissl
Galliot
Levis
Oui
Baisch
Barin
Girauld und Tissier
91
16
2
6
36
(mit Neosalvarsan
behandelt)
10
7
(nur mit Salvarsan
behandelt)
17
(nur mit Salvarsan
behandelt)
10
(mit Salvarsan und
Hg behandelt)
19
Zeichen der frischen Syphilis
do.
Lues latens
do.
Lues latens
Lues latens
7
4
50 Proz.
10
18
2
2
3
1
4
gesunde
Zwillinge
2
2
2
4
14,2 Proz. schwach positive
Wassermannsche Reaktion ;
35,7 Proz. deutliche Zeichen
der Syphilis
1 Kind zeigt positive Wasser¬
mannsche Reaktion
2 starben am 17. resp. 13. Tag
nach d. Geburt, 2 Kinder später ;
Zeichen der Syphilis (Pemphigus
resp. Plaques am Anus)
1 Kind nach 3 Wochen t
3 Kinder später; Wassermann¬
sche Reaktion positiv
100
94,73
Wir haben in der städt. Frauenklinik zu Frankfurt a. M.
43 Fälle von Syphilis in der Gravidität beobachtet, die teils
in der Frauenklinik, teils in der Abteilung für Hautkranke anti¬
luetisch behandelt wurden.
Die Behandlung der Schwangeren richtet sich nach den
allgemeinen Prinzipien der antiluetischen Therapie die heute
allgemein die kombinierte Salvarsan-Quecksilbertherapie be¬
deutet. So werden die Schwangeren in jedem Monat der
Schwangerschaft gleich nach der Aufnahme in das Kranken¬
haus kombiniert behandelt. Wir streben danach im Ingr¬
esse des Fötus einer luetischen Schwangeren in möglichst
kurzer Zeit eine möglichst hohe Dosis zu geben und halten
eine ganze Kur für beendet, wenn 1,5—3 g Salvarsan und
i) 5 _ i o g Quecksilber verabfolgt sind. Das Salvarsan geben
wir intravenös von 0,2 steigend bis 0,4 g in Zwischenräumen
von 5 _ 8 Tagen, in den Tagen zwischen den einzelnen Infu¬
sionen 0,05 bzw. 0,1 g Hydrargyrum salicylicum intramuskulär,
selbstverständlich unter ständiger Kontrolle der Nierenfunk¬
tion Das Salvarsan wurde in allen Fällen gut vertragen. Die
Schwangerschaft ging ungestört weiter, insbesondere haben
wir niemals Blutungen oder einen Abort auftreten sehen, der
dem Salvarsan zur Last fallen könnte. Dagegen wurde von
einer syphilitischen Schwangeren nach kombinierter Salvar-
san-Hg-Behandlung am Ende der Zeit ein gesundes Kind ge¬
boren' bei der im 6. Monat der Gravidität Wehen aufgetreten
waren und keine kindlichen Herztöne gehört wurden.
Bei der Mutter waren nach genügend langer Behandlung
Erscheinungen wie Papeln, Exanthem bei der Geburt abgeheilt.
Betrachten wir nun die Erfolge, die wir mit der kom¬
binierten Salvarsan-Quecksilberbehandlung in der Gravidität
im Hinblick auf die kongenitale Syphilis erreicht haben, so
ergeben sich folgende Resultate:
Die Sektion
Geburt erhalten. Es stirbt 8 Stunden nach der Geburt.
erSlb5 Lebend geborenes Kbid'ivVrühgeburt im 8. Monat). Dessen
Mutter hat Mg Salvarsan und 0 35 Hg sal. kur». Zejt vor d m
Partus erhalten. Es stirbt 10 Stunden nach der Geburt. Die Sektion
ergibt einen Hydrocephalus internus; Spirochäten werden nicht ge-
“ö!' Lebend geborenes Kind V. Dessen Mutter hat 3,4 g Salvarsan
und 0,95 Hg. sal. in den ersten Monaten der Gravidität erhalten. E .
weist Pemphigus lueticus auf und stirbt nach 7 I agen.
Von den am Leben gebliebenen Kindern haben:
4 ein Gewicht über 4000 g, 3 ein Gewicht über 2000 g,
17 „ „ . 3000 g, 3 „ unter 2000 g.
10 „ . 2500 g,
5 Kinder weisen als einziges Zeichen der Lues eine positive
Wassermann sehe Reaktion auf. Von den Muttern dieser
Kinder haben 3 unter 1 g Salvarsan in der Gravidität erhalten,
eine Mutter 1,6 g und nur eine 2 g. . I
Bei den Fällen, in denen die Wassermann sehe Re¬
aktion auch im Plazentar- resp. Nabelschnurblut angesetzt
wird, ist dieselbe in 3 Fällen positiv, davon in einem Falle, i
dem' auch das Serum des Neugeborenen positiv reagieit.
Das Serum der 37 Mütter gibt in 20 Fällen eine positive
Wassermann sehe Reaktion, d. h. in 54 Proz.
In der Gravidität weisen von 43 Müttern 28 das erste resp
zweite Stadium der Syphilis auf (Plaques, Papeln, Angina
luetica). Bei 23 Müttern fällt die Konzeption und luetisclu
Infektion zusammen, resp. findet die Infektion in den erste!
Monaten der Gravidität statt. Die Erscheinungen des zweitei
Stadiums der Lues sind bei den Müttern nach Salvarsan
behandlung in graviditate bei sämtlichen Frauen sub partu i a ■
abgeheilt zu bezeichnen. Ich führe diese Tatsache desnaii
an weil nach der Statistik das zweite Stadium. der Lues de
18. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCH R I ET.
1803
Mütter unbehandelt oder auch mit Quecksilber behandelt eine
hei weitem schlechtere Prognose für das Kind gibt wie bei
Lues latens der Mutter bei gleicher Therapie.
Das Verhältnis zwischen Gewicht der Plazenta und Fötus
/erhält sich normal.
Die Schwangerschaftsdauer verhält sich gleichfalls normal,
1. h. sie ist relativ länger bei schweren Kindern und kürzer
iei Kindern mit geringem Gewicht. Ich führe dies deshalb an
un zu zeigen, dass nicht wie bei chronischen Krankheiten der
»lütter das Gewicht hinter der Schwangerschaftsdauer zurück¬
geblieben ist. Wäre das der Fall, so müssten wir die Ursache
iierfür in einer Erkrankung der Plazenta resp. des Fötus
uchen und hier natürlich in der Syphilis.
Wir halten es für einen grossen Vorzug unseres Materials,
jss ein giosser Ieil aller Kinder von dem konsultierenden
, ädiater auf Zeichen der Lues untersucht ist. Dabei werden
ur bei einem Kinde eine palpablc Milz und bei einem Kinde
röntgenologisch periostale Auflagerungen auf der Tibia ge-
inden. Alle anderen Kinder sind klinisch gesund. Sämtliche
7 Kinder zeigen während ihres' Aufenthaltes in der Klinik ein
utes Befinden und verhalten sich völlig wie normale Kinder.
\ on diesen 37 Kindern sind nach Erhebungen beim
tandesjpt 3 im ersten Monat, 2 im zweiten Monat^ nach der
eburt gestorben; keines nachweislich an syphilitischen Er-
rankungen. Diese Zahlen entsprechen wohl ungefähr der all¬
emeinen Mortalität unehelicher Kinder, um die es sich hier
eist handelt. Ob die lebenden Kinder später Zeichen der
yphilis zeigen, kann ich nicht angeben, da ein grosser Teil
cht mehr in Frankfurt weilt. Auf der anderen Seite leben
tzt länger als 2 Jahre 7 Kinder, länger als 1 Jahr 19 Kinder
ld weniger wie 1 Jahr 6 Kinder.
Während ihres Aufenthaltes in der Klinik werden sämt-
:he Säuglinge, auch wenn sie klinisch wie serologisch keine
-ichen der Lues darbieten, antiluetisch behandelt und nach
rer Entlassung zur weiteren Behandlung der Säuglings-
iratungsstelle überwiesen. Endgültige Erfahrungen über die
m uuf diese Art behandelten Kinder kann ich nicht mit-
ilen, doch fiihie ich eine Erfahrung von Markus an, dass
e intrauterine Behandlung auf den weiteren Verlauf der an-
borenen Syphilis einen deutlich günstigen Einfluss sowohl
1 nisch als serologisch gezeigt hat.
Was nun die Dosis Salvarsan und Quecksilber betrifft, die
'r bei unseren syphilitischen Schwangeren verwandt haben,
.' sehen wir, dass von den Misserfolgen nur .eine einzige
j hwangere eine hohe Dosis (3,4 g Salvarsan und 0,95 g
L. sal.) erhalten hat, die übrigen 4 haben weniger wie 1 g
. lvarsan und 0,5 g Hg. sal. erhalten. Von den Kindern mit
:$itiver Wassermannscher Reaktion haben 3 Mütter
uer 1 g Salvarsan erhalten, eine Mutter 1,6 g und nur
tie 2 g.
Wenn wir auch über 1,5 g resp. 2 g Salvarsan und 0,5 g
sal. in einem Falle einen völligen Misserfolg und in 2 Fällen
' nen vollen Erfolg verzeichnen, so geht unsere Erfahrung
kh dahin, dass wir bemüht sein müssen, einer syphilitischen
•lwangeren, sobald sie sich in unsere Behandlung begibt,
äi. in jedem Monat der Schwangerschaft eine möglichst hohe
sis Salvarsan und Quecksilber zu geben. Die Chancen, in
‘cm Stadium der Syphilis ein gesundes Kind zu erhalten,
’ chsen mit der Dosis und nach unseren Erfahrungen ist die
inmal therapeutische Dosis 1,5 g Salvarsan und 0,5 Hg. sal.
wiss haben wir auch gesunde Kinder bei einer geringeren
sis, doch die Sicherheit, ein gesundes Kind zu erhalten,
- i st mit der Höhe der angewandten Dosis, und ich muss
Hot durchaus widersprechen, wenn er im Interesse des
k des eine relativ geringere Dosis bei der Mutter für ge-
1 tend hält.
Von den 43 Fällen müssen wir die oben angeführten
lsserfolge als völlig ungenügend behandelt abziehen. Es
Vden dann von 38 genügend mit Salvarsan und Hg in der
■wangerschaft behandelten Frauen 37 lebende Kinder ge-
' en, von denen 5 eine positive Wasser m ann sehe Re-
■on autweisen, d. h. bei der Geburt haben alle Kinder gelebt,
| Proz. sind am Leben geblieben, 15,8 Proz. weisen Zeichen
'Syphilis auf. Auf das Gesamtmaterial berechnet waren
dem 10. Lebenstag noch 86 Proz. Kinder am Leben.
Nach diesen Untersuchungen darf man sich vorstellen, dass
wir eine Infektion des Kindes während des intrauterinen
Lebens durch Behandlung der Mutter beeinflussen können und
dass bei der Lues in bezug auf die Resultate des Kindes die
- alvarsan-Quecksilbertherapie der einfachen Hg-Therapie
oder auch der mit Kombination mit Jod bei weitem über¬
legen ist.
II. Experimenteller Teil.
. ^rgebnis zeitigt die Fragestellung, auf welche
Weise dieser Einfluss zustande kommt. Die Wirkungsweise
des Salvarsans auf den Fötus ist nicht geklärt, insbesondere
blieb es fraglich, ob überhaupt die Plazenta für Arsen durch¬
gängig ist. Für die biologische Funktion der Plazenta galt es
festzustellen, inwieweit dieselbe chemische Stoffe passieren
lasst.
P o i a k und S a u v a g e bestreiten den Uebergang von
Arsen auf den Fötus. D a u n a y und Conchision finden
im Nabelschnurblut kein Arsen. Der Arsennachweis wird von
letzterem in einem Falle versucht, bei dem die Frau 10 Tage
nach einer Infusion von 0,6 g entbindet. Von M a r e c k a und
La dis wird bei einem Fötus von 4 Monaten Arsen nach¬
gewiesen. We Land er berichtet über positiven Arsennach¬
weis bei 2 Fällen.
M. B e h a 1 findet in 2 Fällen Spuren von Arsen im Nabel¬
schnurblut einige Stunden bis 3 Tage nach der Injektion des¬
gleichen B o n n a i r e.
Ueber die Wirkungsweise des Salvarsans auf den Fötus
vertieten üiiauld und I issier die Ansicht, dass das
Salvarsan gut vertragen wird und keinen toxischen Einfluss
auf den Fötus ausübt, sondern, dass der Tod des Fötus in utero
eher eintritt durch die rapide Vernichtung der Spirochäten
und eine Überproduktion von Antikörper als durch das
Arsen.
Diese Fragestellung gab den Anlass für meine Unter¬
suchungen. Ich versuchte den Arsennachweis in der Plazenta,
im Nabelschnurblut und im Fötus selbst sowohl beim Menschen
wie im Tierexperiment.
Die tierexperimentellen Untersuchungen wurden im Kgl.
Institut für experimentelle Therapie (Direktor: Wirkl. Geh!
P1C)L Dr. Ehrlich, Exzellenz), die chemischen Unter¬
suchungen im chemisch-physiologischen Institut (Direktor;
Prof. Dr. E m b d e n) ausgeführt.
Die Oigane, die Plazenta nach sorgfältiger Entfernung des
anhaftenden Blutes, werden zum Arsennachweis zunächst
durch die Veraschung auf nassem Wege nach A. Ne um ann
vorbereitet (Technik s. Hoppe-Seyler, Handbuch der
physiologisch- und pathologisch-chemischen Analyse) Zum
Arsennachweis selbst bedient man sich des Verfahrens von
Marsh (s. Richter: Lehrbuch der anorganischen Chemie).
Ich lasse zunächst die Krankengeschichten der drei auf
diese Art untersuchten Fälle folgen:
, 7913/14 XII., 28. I.-para. Graviditas m. X. Go-
norrhoc. Wassermann negativ. Behandlung im 6. Monat der Gra-
Ll/sSTIfUnd 11 s?1- 1,2 g P3 Iniekhonen), Salvarsan
intravenös 2,8 g (8 Infusionen), die letzte 0,4 g (vor 4 Wochen). Spon-
Lues Geburt emes gesunden Kindes von 2630 g ohne Zeichen der
Im Nabelschnurblut und in der Plazenta
ist die Arsen probe negativ.
R., J.-Nr, 1913/14 XII., 34. Il.-para. Graviditas m. X. Lues I.
Gonorrhoe. Wassermann positiv. Behandlung: 0,35 Hg sal (4 In¬
jektionen), Salvarsan 1,0 intravenös (3 Infusionen), die letzte 6,4 (vor
51 agenj. Patientin kommt während der Behandlung spontan nieder
Kind lebensfrisch, 3850 g, ohne Zeichen der Lucs.
Der Arsen nach weis in der Plazenta und
Nabelschnurblut ist negativ.
A., J.-Nr. 1913/14 XII., 88. I.-para. Graviditas tu. V. — VI.
F,ue.s . , ‘m vierten Monat der Gravidität. Behandlung: 0,05 Hg. sal.
(I Injektion;, 0,8 g Salvarsan (2 Infusionen) intravenös. Letzte Sal-
varsaninfusion 0,4 g vor 2 Tagen. Patientin kommt während der Be¬
handlung spontan nieder. Fötus 26 cm lang, Gewicht 500 g. Frischtot
ohne Zeichen der Mazeration (derselbe ist kurz vor der Geburt ab¬
gestorben).
Bei der Arsenprobe gibt sowohl die Pla¬
zenta als auch der Foetus einen geringen, je¬
doch deutlichen Arsenspiegel.
1*
1804
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 33.
Bei einem im Gang befindlichen Abort im 3. Monat wird aus
anderen Gründen bei einer nichtluetischen Frau 0.3 g Salvarsan intra¬
venös infundiert. 24 Stunden später wird ein frischtoter Fötus ohne
Zeichen der Mazeration geboren. Es darf deshalb angenommen wer-
den. dass der Fötus zur Zeit der Infusion noch gelebt hat.
ln der Plazenta wie in der fötalen Leber
wird kein Arsen nachgewiesen.
Weiter wurde das Tierexperiment herangezogen, und
zwar wurden trächtige Kaninchen und trächtige weisse Mäuse
verwandt. , , . , .
Um im Tierexperiment die vorher beim Menschen be¬
schriebene Versuchsanordnung nachzuahmen, wurde Kanin¬
chen Salvarsan in die Ohrvene infundiert. Zur Infusion selbst
benutzte man am besten die Randvene des Ohres.
Das Salvarsan wurde in alkalischer 'A proz. Lösung ver¬
wandt.
Es wurden 4 Kaninchen systematisch mit Salvarsan behandelt
und es erhielten im ganzen:
Tier 1 6 Infusionen = 0,492 g Salvarsan
Tier II 4 „ = 0,23015 g
Tier III 6 „ = 0,5275 g
Tier IV 6 ,, = 0,374 g „
Weder in der Plazenta noch in den Foeten
konnte Arsen nachgewiesen werden.
Weiter wurde zwei trächtigen Kaninchen die toxische
Dosis von Salvarsan infundiert.
Tier I, Körpergewicht 2400 g. Dem Tier wird 0,11g Salvarsan
pro kg Tier = 0,264 g Salvarsan (Gesamtmenge) in 26,4 ccm Flüssig¬
keit injiziert. Das Tier stirbt bald nach der Infusion. Der Uterus
enthält 6 Föten mit einem Gesamtgewicht von 78 g, 6 Plazenten mit
einem Gesamtgewicht von 41g.
Tier II. Körpergewicht 2200 g. Dem Tier wird 0,08 g Salvarsan
pro kg Tier = 0,176 g Salvarsan (Gesamtmenge) in 35,2 ccm
Flüssigkeit injiziert. Das Tier stirbt nach 4 Stunden. Der Uterus
enthält 6 Föten mit einem Gesamtgewicht von 78 g, 6 Plazenten mit
einem Gesamtgewicht von 41 g.
schrieben werden. Die Wirkung ist wahrscheinlich eine pro¬
phylaktische. resp. hemmende in bezug auf die Erkrankung
der Plazenta.
Das Salvarsan wird von den schwangeren Frauen gut ver¬
tragen Abort oder Blutungen treten nach intravenöser In¬
fusion von Salvarsan nicht auf. Ein Absterben des Fötus nach
einer Salvarsaninfusion ist nicht beobachtet worden.
Von 37 in der Schwangerschaft kombiniert mit Salvarsan
und Quecksilber genügend behandelten Müttern werden in
97 4 Proz lebende Kinder geboren. Von sämtlichen 43 mit
Salvarsan und Quecksilber in der Schwangerschaft behan¬
delten Müttern sind nach den ersten 10 Lebenstagen noch
86 Proz. am Leben, 15,8 Proz. der Kinder weisen bei der
Geburt eine positive W a s s e r m a n n sehe Reaktion auf.
Die Aussicht, in jedem Stadium der maternen Syphilis ein
lebendes, gesundes Kind zu erhalten, steigt mit der injizierter,
Dosis Die untere Grenze der therapeutischen Dosis liegt bei
1,5 g Salvarsan + 0,5 g Hydr. sal.; in einem geringen Prozent¬
satz kann auch unterhalb dieser Dosis ein gesundes Kind ge¬
boren werden. .
Kinder syphilitischer Mütter müssen auch ohne klinische
oder serologische Zeichen der Syphilis nach der Geburt anti¬
luetisch behandelt werden.
Die technisch erzeugte y-Strahlung.
(Zweite Mitteilung.)
Von Ingenieur Friedrich Dessauer in Frankfurt a. M
Meine erste Mitteilung in der M.m.W. hat an vielen Orte.
Aufmerksamkeit erweckt und ist auch teilweise nicht richti;
verstanden worden. Dies beweisen mehrere Zuschriften un
literarische Arbeiten, die seitdem erschienen.
Deswegen möchte ich noch folgendes der ersten Mitteilun
In allen Plazenten und allen Foeten ist der
Arsennachweis negativ; die Kontrolle der inneren
Organe des Muttertieres gibt eine stark positive Reaktion.
Versuchsanordnung bei Mäusen:
Es werden 6 tächtigen Mäusen je 1Uooccm Salvarsan in die
Schwanzvene infundiert. Drei Mäuse werden 20—30 Minuten nach
der Infusion durch Entbluten getötet; einer einzigen Maus wird
1 ioo ccm Salvarsan subkutan injiziert, dieselbe wird 20 Minuten nach
der Infusion getötet. Der Arsennachweis geschieht nach der Methode
Ehrlich-Bertheim. Es wird nach dieser Methode das Sal¬
varsan in Gefrierschnitten der Plazenta und der fötalen Leber im
Gewebe selbst nachgewiesen und zwar mit einer salzsauren Lösung
von p-Dimethylamidoobenzaldehyd, der noch zur stärkeren Reaktion
gesättigte Sublimatlösung zugefügt wird, auf Salvarsan geprüft.
Die Plazenten der ersten drei Tiere, die
n u r 20—30 Minuten gelebt haben, sowie die Pla¬
zenta der subkutan injizierten Maus geben
ein negatives Resultat, Die Plazenta der drei Mäuse,
die 1 A Stunden nach der Infusion gelebt haben, nehmen nach
ca. 5 Minuten eine gelbliche Färbung an. Die Föten
geben sämtlich ein negatives Resultat, des¬
gleichen das Fruchtwasser.
Dieselbe Versuchsanordnung wurde noch zur Kontrolle
bei einem graviden Kaninchen angewandt, das 3 Stunden nach
Infusion von 0,224 g Salvarsan (0,08 g pro kg Tier) getötet
wurde, ln der Plazenta konnte deutlich Arsen nachgewiesen
werden; Föten wie Fruchtwasser geben ein
negatives Resultat.
Zusammenfassung:
Der Arsengehalt der Plazenta entspricht dem Arsengehalt
des in der Plazenta kreisenden, mütterlichen Blutes.
Eine nicht erkrankte Plazenta ist für Arsen nicht durch¬
gängig.
Bei syphilitischer Erkrankung der Plazenta kann Arsen
durch die Plazenta hindurchgehen (s. Fall A., J.-Nr. 1913/14
XII, 88). Ein Urteil über die Häufigkeit des Arsenüber¬
ganges durch die syphilitische Plazenta kann nicht abgegeben
werden.
Die Erfolge bei der Behandlung der kongenitalen Lues
des Kindes durch Salvarsan müssen wohl in der Hauptsache
der primären Beeinflussung der mütterlichen Lues zuge-
hinzufiigen : , , . .
1. Es handelt sich bei der künstlichen y-Strahlung nicli
um ein Surrogat, sondern um physikalisch das^ nämliche wi
die y-Strahlung der radioaktiven Präparate. Es handelt sic
auch nicht etwa um die weiche y-Strahlung des Radiums 1
sondern um die wirksame y-Strahlung des Radiums C un
des Mesothorium II und zwar ist die künstliche y-Strahlun
nahezu so hart und teilweise gleichhart oder durchdiingung.
fähig wie diese Strahlung.
2. Die y-Strahlung ist bei den gewöhnlichen Röntgei
maschinen in der Regel nicht vorhanden, es gelang erst durc
systematische Verfolgung sie zu erzeugen in besondertj
Röntgenmaschinen. I
3. Diese Maschinen sind zurzeit nicht im Handel. Ich nal
diese Maschinen, von denen jede einzelne vorläufig sehr vi
Mühe macht, sorgfältige Messungen voraussetzt, auch en
sorgfältige Einschulung des betreffenden Arztes unbedingt e
forderlich macht (da eine solche Maschine eine Strahlung v<
vielleicht gegen 100 g Radium liefert, also ein sehr different
Medikament ist und ich die Gefahr, sie herauszugeben, nie
unterschätze), nur nach besonderer Verständigung an ve
einzelte grosse Kliniken und hervorragende Fachleute gegek
oder bin im Begriffe es zu tun. Sobald von diesen Seit
Resultate vorliegen und bestimmte Anleitungen über den
brauch der wirksamen Strahlung, werde ich sie durch i
fabrizierende Firma (Veifa-Werke, Frankfurt) der Oeffentlic
keit übergeben, vorher nur nach voraufgegangener Einz
Verständigung. . J
Die Messungen der Strahlung sind natürlich sämtlich e'
wandfrei und auf elektrometrischem Messwege gemacht, nn
nur von mir, sondern unter Kontrolle von Physikern in al
demischen Stellungen. An der Tatsache der Erzeugung die;
künstlichen y-Strahlung ist nicht zu zweifeln.
4. Die Hauptkonsequenzen für die Therapie erblicke ich
folgenden Punkten: I
Ich bin zunächst überzeugt, und habe diese Ueberzeugi
vor 10 Jahren in meiner ersten grossen Arbeit über Tief*
therapie bereits zum Ausdruck gebracht, dass die durchdr
gendste Strahlung die für den Krebs am besten geeignete
Die ganze Kasuistik spricht dafür, ebenso die Wirkung "
y-Strahlung des Radiums.
8. August 191-1.
Einen weiteren Fortschritt erblicke ich darin, dass eine
erartig penetrierende Strahlung sich im Gewebe wie eine
omogene Strahlung verhält und dass man infolgedessen _
um ersten Male — genau weiss, welche Dosen bzw
trahlungsfeldstarken in einer beliebigen Tiefe des Organis-
'us - also im tiefliegenden Krebsherd - nun jeweilig zur
" ka'"™- Ueber die exakte und in ihren Grundlagen
stge.xctzte Messmethode werde ich in einer weiteren Mit-
ilung berichten. 1
JVTUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1805
us der Universitäts-Kinderklinik Freiburg i. B. (Direktor:
Professor Dr. C. T. Nöggerath)
eher schwere, nicht diphtherische Kehlkopfstenose bei
Kindern.
Von Dr. Ernst Köck, Assistent der Klinik.
imilm?LFr1Une d6S ’etuten ^Yintersernesters kamen in unserer
mik 2 Falle von schwerer, akuter Kehlkopfstenose zur Be-
tachtung, die in kasuistischer und praktisch-therapeutischer
;nsicht bedeutsam erscheinen. Der Krankheitsverlauf war —
Kurze — folgender:
o/m1’«!; M°Uri!aI ur‘ J24 (stand 2mal in unserer Behandlung)
i der FamiUe.M te 3 *’ Mutter Sehr nervös’ sonst nichts erbliches
I. Aufnahme: 23. X. -bis 3. XI. 1913.
Anamnese: Seit 4 Wochen entwöhnt, bisher stets gesund
; f kthe „vor. 2 Iagen mit heftigem Nasenkatarrh und trockenem
Hier bellendem Husten. Temperatur nicht gemessen. Gestern
r . (mittag ziehende Atmung, rasches Zunehmen der Dyspnoe nachts
iSS*ÄKiw^'te llara“,hin -1 Uhr »ÄÄ
D°StHn.!,fShifcrae-\e.nS: GutL entwickeltes Kind. Temperatur
. Haut blass, nicht zyanotisch, frei von Ausschlägen Mässigc
\ h inphademe. Starke, seröse, nicht blutige Rhinitis Rachen
’cke'ner ffSs^n2'' *5? V0° Adenoides Polster. * Bellenden
ckener nusten. Atmung beschleunigt und vertieft. Deutliche
-terlettT'a B. hmziehungen am Thorax. Lungen o. B. Herz und
Verl^p6^600^1"^ intramuskulär, Bronchitiskessel, Adalin.
verlaut. 26. X. Temperatur subfebril. Stenose bessert
: e d e XTfTn 71 , ff?, ft »Ifi ,
p hVlTe r iVs) ä b c h e n.° k ^ 6 " <A“reus “n,i Albns,• keine
1 ten lockerTn^ht rh{ ur “nteI, 38 °- Nur mebr ger'nge Stenose,
.ten locker, nicht bellend. Bronchitis stärker
a. Temperatur zwischen 37 0 und 38°. Stenoseerscheinungen
■»chwunden. Husten, Bronchitis, L ö f f 1 c r k u 1 1 „ r'ITa p h vTo-
Kken keine Diphtheriestäbchen.
. ' Temperatur normal. Bronchitis zurückgegangen
-htes Serumexanthem. Entlassung. gegangen.
II. Aufnahme: 20. III. bis 24. III. 1914.
. ,i! 3 u/nif S JSei^ Entlassung aus der Klinik völliges Wohl-
-en. \. ahrend der letzten Tage starker Schnupfen. 17 III 4 Uhr
l stknrhna<T ru/llgem Schlaf plötzliche Atemnot. Einziehungen am
t?ofz T/ockener bellender Husten. Grosse Unruhe. 3 Tage
He.ftphmltZPaCkR.n?’ S,enIumschläge, Inhalation keine Bes-
undert1 1? uh U e#-e ,-inf der Kehlkopfgegend. Stenose un-
tnaert. 12 Uhr mittags Einlieferung in die Klinik.
I anffallpnH K,raesxens: 20‘ i,11’ , Patient nunmehr 14% Monate
■ mailend blass. Turgor stark herabgesetzt, grosse, motorische
i ♦ T^Peratui; 38 • Bellender Husten, vertiefte und be-
'gte Atm,ung’ deutliche thorakale Einziehungen. Lungen o B
grenzen gehörig Töne etwas dumpf. Puls klein und weich
Jhera Pie: Adalin, Koffein. Bronchitiskessel.
; 1er AUf:,, achmittags rasche Steigerung der Stenoseerschei-
• . n und der Unruhe. 5% Uhr p. m. Intubation. Schwerer
1 a P s, dauert etwa 1 Stunde. r e r
■ t2B,n- A u ' d e m U ö f f I e r n ä h r b o d e n: nahezu Rein-
: p vo" Streptokokken, keine Diphtherie-
'ihr im Temperatur 37,3 °. Tadellose Atmung durch die Tube.
' uter K^'liyncUC./ ZCU* e^tubiere" misslingt, sofort Reintubation.
: er s k ’h!S h anhaltfnd- Tube Hegt tagsüber gut,
rur 39 1» k'r H' efL'ge Hustenanfalle. 10 Uhr p. m. Tem-
' derlieven'ripr V- lC,h 5 ° * ? "? 1 e, (Aethernarkose) : Trotz sehr
n^rhegender Z.rlfu^tion kein Zwischenfall während der Ope-
r'Lf SSb3rb nacllhler schwerer, % Stunde währender
I le Pfast SS! F lr ü"rublg- Jaktation. Gute Atmung durch die
’ a. t Keine Expektoration. Temperatur um 40°.
t 'v m n’n yc^h^H31^ 4 j’2 °' Nasenf|ügelatmung. Trockener Husten,
f insetzen e H e ^ d e a b eT b c i d e L u n g e n. 9 Uhr a. in.
; iJe ~auS d1r, Wunde gegbttencn Kanüle. Daraufhin
ge nerzschwache. Untertags sehr geringe Expektoration.
Husten EI- Temperatur 39,8°. Starke Dyspnoe. Kurzer, trockener
Kanüle" aJ CIC !fr Tunger|befund. Keinerlei Sekretausvvurf durch die
Kmiu e. Appet.t lasst erheblich nach. Patient sichtlich erschöpft
UPfrSÄrsr s£
(Dr A m m e r s h 1 s c b e r. Befund 21 Stunden post mortem
im Larvnxeln/ancf V?n ^er ,aryngo1- Klinik): Hinter der Epiglottis
lemach I be,lehi »in. • 1 rache,otom'Poflmi»z (durch Sonde sichtbar
schUessende^SchleimhLtsch wellung. “ L“'”en <*“
anail'efzJS^fedeltS ' ,*te ^
Am 13° "I mi4 ^nehf ^ dahr Furunkulose, sonst immer gesund.
Schwer; ./ehe aChtSA*tr0Ckener’ bellender Husten. 2 Tage später
nächsten T^en H Aftmung' Angeblich kein Fieber. Da in den
die Klinik. S Husten und Atemnot zunehmen, Einlieferung in
peratu/ ’r e-ahFSehn\:-*20‘u L üut entwickeltes Kind. Tem-
gerötet ketae Befäe? 1 To^slllen mässig geschwellt und
’üssss oKr-
Ä Sa“
i 2bJ'. Temperatur 38,2°. Gute Atmung durch die Tube Gleirher
Lungenbefund. Tube abends ausgehustet. Nach 2 — 3 Stunden schwere
S t qP// hC 1 R®mtnbation- Löfflerkultur (vom Kehlkopfschleim) -
s tif b che n.k ° k k e " ,Aurcus “nd Albus), keine Diphtherie:
T r a ch eo t 0 Se (AeSa’rkSef SClWere DySPn°e “nd Zyanose'
die KSde. kÄeSSn" U^'S'l'rSZrl“^
Trachealeiter) t Sh 3 f,"nden ErboI“"e- L 5 ff 1 e r k u 1 1 u r (vom
tSfes!äbche„.P y'°C0CC“S anreus’ kel"e B'P"-
,v,nc 26Vb£i Temperatur 38,6. Serumexanthem. Aus der Kanüle wird
massenhaft mit frischem Blut vermengter Eiter ausgeworfen.
. • , 1 emperatur um 38°. Schwarzer Beschlag auf df>r Vnr
Versuch dfe" Kanü?/6' Betastufng de^ Kehlkopfgegend ‘schmerzhaft
rsuch die Kanüle zu verstopfen: sofort Atemnot und tiefe Zyanose
Kah3l'e r)-UAdnncCiUng deS KebIkc°Pfes mit dem Tracheoskop (Prof.
tnnrnLfc!' Aditus laryngis und Stimmbänder unverändert. Ring-
orpel stark verdickt und gerötet. Darunter eine ausgedehnte Ge
schwursflache an der Vorderwand der Trachea. Abends schwerer
Kollaps von mehrstündiger Dauer. werer
weniger^ aJscedehnf1^ Spbf-ebriI- Schwarzer Beschlag an der Kanüle
v-fnnf ausgedehnt. Geringere Eiterexpektoration. Versuch die
Kann e zu verschossen: nach % Minute hochgradige Atemnot.
sichtbar. Temperatur normaI- An der Kanüle kein Beschlag mehr
T„uJ j -E* Versuch bei liegender Kanüle zu intubieren, misslingt
auf ein rXsHlnde^sWeit ta d3S KehIkopflu™n ein, stösst dann
Ji ■ iJeniIpera!u5 normal- Massige Eiterabsonderung. Ver-
.chluss der Kanüle wird etwa 2 Minuten lang ertragen.
v 12; 11 . Temperatur normal. Ab und zu etwas Stimme hörbar
in daf Kehlkoofiumen Hei 8£nderIr Kanüle): Tabe gleitet vollständig
in üas Kehlkopflumen ein. Mundatmung dadurch nicht gebessert
Verschluss der Kanüle ruft sofort Dyspnoe und Zyanose hervor
. p>i , ' Temperatur 37,6 . Aus der Kanüle kommt viel Eiter
nommen * V°n WClteren Intubationsversuchen wird Abstand ge-
17. III. Temperatur gegen 39°. Viel Husten, reichliche Exoek
Lungen" oV°B ""d B'Ut' Stimme zeitweise auffallend krähig.
19. III. Temperatur 39,4°. Verschluss der Kanüle wird lA Stunde
den£Mimda2en‘ Dabe‘ 'aUte’ kIarC Stimme. kräftiger Husten durch
. . 24/ E1- Temperatur subfebril. Aus der Kanüle wird viel Eiter
f auAsgeworfe,n- /k stiindiges Verstopfen der Kanüle ruft keine
erhebliche Atemnot hervor, kräftige Stimme.
r \ * Temperatur normal. Kanüle kann nur mehr etw'i
o . muten verschlossen werden. Stimme bedeutend schwächer,
vnr Hai» • tmfnratF norrr,al- Intubationsversuch: Tube dringt
liehe” Hinde™isKeh1k°frerF Ci"’ W dann auf ein Müberwind-
Atemnot. d ~2 Mmuten nach Verschluss der Kanüle starke
Nr. 33.
1806
MIJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
4 IV Der täglich z. T. mit erheblicher Kraft yorgenommene
Versuch mit der l'ube das Kehlkopflumen zu erweitern, verlauft
stets gleich erfolglos. Temperatur normal. Allgemeinbefinden sehr gut.
14. IV. Intubationsversuche eingestellt. Kehlkopf vollkomme
\ erschlossen. wjrd mit Kanüle entlassen, soll später operiert
werden. . , , „ ■ . „
Welcher Form von Krupp sind nun beide
^ a 'in Betracht kommen 4 Formen von akutenKehlkopferkran-
kungen: der diphtherische Krupp, der Pseudokrupp, die aty¬
pische Form von Pseudokrupp und die Laryngitis phleg-
monosa.te D j p h t h e r j e anzunehmen lag am nächsten, da
sich bei beiden Kindern die Krupperscheinungen ganz allmäh¬
lich unter mässigem Fieber entwickelt hatten, und Laiynx-
stenose ohne irgendwelche Rachenveränderungen bekanntlich
ein nicht seltener Befund bei Diphtherie ist. In beiden Fallen
injizierten wir daher Heilserum. Auf Grund mehrmaligen nega¬
tiven Ausfalles der Löfflerkulturen mussten wir jedoch dies^-
Diagnose fallen lassen. , , , ,
Typischer Pseudokrupp war in Anbetracht der
ganz anderen Verlaufsart unserer Fälle ohne weiteres auszu-
^chliessen
Um so mehr musste dagegen die atypische Foim
desPseudokruppsin Erwägung gezogen werden. Diese
Kehlkopferkrankung kommt keineswegs selten zur Beob¬
achtung, sie hat jedoch auffallenderweise in den gebräuch¬
lichen Lehrbüchern bisher nicht die ihr gebührende Beachtung
gefunden. Eine kurze, doch treffende Beschreibung findet sich
Mit dem klassischen Pseudokrupp hat die atypische Form
nur die kruppähnlichen Erscheinungen und die negative lat-
sache gemein, dass bei ihr die Diphtheriebazillen keine ätio¬
logische Rolle spielen. Die Art des Verlaufes ist eine ganz
andere: Mehrmals hatten wir Gelegenheit, etwa folgendes
Krankheitsbild zu beobachten: Ein Kind des schulpflichtigen
Alters wird von Schnupfen und Heiserkeit befallen. Bald
stellt sich heftiger bellender Husten ein und es entwickelt
sich langsam, doch deutlich zunehmend eine Kehlkopfstenose
mit ihren charakteristischen Erscheinungen. Das anfangs
mässige Fieber (um 38°) erreichte häufig für 1—2 Tage eine
beträchtliche Höhe (gegen 40°). Die Kehlkopfenge kann sich
während der ersten Tage dermassen steigern, dass ein opera¬
tiver Eingriff ernstlich erwogen wird. Meist geht indes die
Stenose spontan zurück und klingt ganz allmählich erst nac i
4 _ 6 Tagen ab. Krupphusten, Heiserkeit und subfebrile lem-
peraturen bestehen in der Regel noch einige weitere Tage.
Akute Bronchitis geht nicht selten nebenher
Vergleicht man nun mit dieser Beschreibung das Bild,
welches F a 1 1 1 während seines ersten Klinikaufenthaltes dar¬
bot so wird die grosse Aehnlichkeit ohne weiteres in die
Augen fallen. Auch hier gehen katarrhalische Erscheinunsen
voraus. Es stellen sich Krupphusten und Stenoseerscheinungen
ein. Diese steigern sich in der Nacht vom 2. auf den 3. Krank¬
heitstag so beträchtlich, dass sich die Eltern entschlossen, das
Kind noch in der gleichen Nacht in die Klinik zu bringen, um
es hier nötigenfalls operieren zu lassen. Von einem operativen
Eingriff kann indes abgesehen werden. Im Laufe von 4 bis
5 Tagen geht die Stenose zurück. Krupphusten, Bronchitis,
geringes Fieber besteht noch etwas länger. Nachdem Di¬
phtherie nicht mehr in Betracht kam, zögerten wir nicht, die
Diagnose auf atypischen Pseudokrupp zu stellen.
\Vir sahen uns in dieser Auffassung bestärkt, als das Kind
im März mit ähnlichen Erscheinungen neuerdings zur Aufnahme
kam. Rezidive sind ja bei typischem und atypischem Pseudo-
krupp nichts Seltenes. Nun nahm aber die zweite Erkrankung
doch einen wesentlich anderen, ungleich schwereren Verlauf.
Es entwickelte sich in der Klinik im Verlaufe einiger Stunden
höchstgradige Stenose, so dass noch am Abend des Aufnahme¬
tages intubiert und später tracheotomiert werden musste. Da¬
neben bestand von Anfang an bedrohliche Herzschwäche, die
sich wiederholt zu schwersten Kollapsen steigerte. Nach
2 Tagen entwickelte sich eine Pneumonie, der das ohnehin
schon sehr geschädigte Herz am 5. Behandlungstage erlag.
Auf dem Löfflernährboden wuchsen wiederum keine Di¬
phtheriestäbchen, dagegen nahezu eine Reinkultur ^von * * 1 :repto-
kokken Ohne Zweifel lag diesem zweiten Anfall von Kehl¬
kopfstenose die Laryngitis phlegmonosa zugrunde,
wie sie bei Heubne r ’) in anschaulicher Weise beschr.c-
benEs mag zunächst einigermassen befremden, dass
zwei Kruppanfälle desselben Kindes scheinbar so ganz j
verschieden das eine Mal als atypischer Pseudokrupp, das
andere Mai als Laryngitis phlegmonosa gedeutet werden.
Dieser vermeintliche Gegensatz lost sich jedoch leicht, wenn
man bedenkt, dass es sich hier um klinische
handelt, die als solche ganz verschiedene Zustande da./.u-
stehen scheinen, denen aber unter Umständen gleiche oder
verwandte Erreger zugrunde liegen können. ^ unserld
Falle ist das Bindeglied zwischen erstei und
zweiter Erkrankung durch die pyogene In¬
fektion gegeben. Der erste, verhältnismässig milc
verlaufende Anfall wurde durch Staphylokokken der zweite
letal endende dagegen durch Streptokokken ausgelost. Es be¬
standen also beide Male lediglich graduelle Unterschiede n
der Schwere der Infektion und dementsprechend war da:
klinische Bild verschieden.
Bei Fall 2 hatten wir gleichfalls zunächst diphtherische!
Krupp mit fehlenden Rachenerscheinungen angenommen
mussten aber auch hier angesichts des
logischen Befundes die gestellte Diagnose aufgeben. Abge
sehen von der durch das Tubentrauma bedingten Komplikation
die späterhin wiederholt bedenkliche Grade annahm verhd
dieser Fall besonders in Hinsicht auf das Allgemeinbefmdc
des Kindes wesentlich milder als Fall 1 beim zweiten Klinik
aufenthalt. Die ganz langsam im Verlauf mehrerer Tage zu
Entwicklung gelangte Kehlkopfstenose erreichte zwar gle.d
falls einen recht hohen Grad, doch blieb wahrend der beide
ersten Wochen der Kräftezustand ein guter, das Herz litt m
vorübergehend am übernächsten Tage nach der Tracheotomr
die Temperatur hielt sich auf mässiger Hohe (zwischen 38 un
39 °). Es bestand zwar Bronchitis, doch kam es nicht, wie du
bei Laryngitis phlegmonosa nahezu regelmässig der 1 all i.
zur Entwicklung einer Pneumonie. Die Erreger waren.ü
phylokokken. Es fügt sich diese Erkrankung somit zwang
in das Bild des atypischen Pseudokrupps ein ui
bildet eine Parallele zum ersten Anfall von Kehlkopfsteno:
bei Fall 1. . , . ,1^5
Was lehren unsere beiden Falle in thers
peutischer Hinsicht? r , . . . . .
Die Widerstandsfähigkeit der Kehlkopfschleimhaut di
starren Tubus gegenüber hängt vornehmlich von dem Zustat
ab, in dem sie sich zurzeit der Intubation befindet.
Am besten erträgt die gesunde Schleimhaut den metallen'
Fremdkörper. So berichtet v.Bokay3) über einen Fall vj
erschwertem Decanulement, in dem er die Tube nicht wenig
als insgesamt 1448 Stunden liegen iiess, ohne dass sich sena
liehe Folgen ergeben hätten. ....... orWSnl<
Bedeutend verletzlicher ist die diphtherisch erkram
Kehlkopfschleimhaut. Schon nach einer Tubenlage von et\
2 Tagen — wir pflegen diesen Termin nicht erheblich zu um
schreiten 4) — ist bei der Sektion nicht selten beginnen
Dekubitusbildung zu beobachten, wenngleich diesen gering
Schleimhautdefekten keine klinische Bedeutung zukommt u
ihre gelegentliche Feststellung wohl niemand mit der
wendung der Tube Vertrauten abhalten werden, von dies"
segensreichen Instrument ausgiebigen Gebrauch zu maeni
Man hat darüber diskutiert, ob die Tube bei Diphtherie Des
ertragen wird, wenn reichliche Membranbildung best
(Baginsky) oder ohne eine solche [Cnopf sen. 5)J. v. dok^
1) p Hat off: Semiotik und Diagnostik der Kinderkrankheiten,
S. 170.
2) Heubner: Lehrbuch der Kinderheilkunde II, S. 240.
») v Rokay: Die Lehre von der Intubation, S. 115.
*) Nebenbei sei bemerkt, dass wir stets versuchen, zunac
ohne Intubation auszukommen, wobei wir von Adalin-Bayer t/s ‘
_ o,25 — ev. mehrmals), Bronchitiskessel und absoluter Kune >
Erfolge sehen. Lokale Anwendungen (Breiumschläge etc.) lassen
wegen der dadurch bedingten Aufregung der Kinder grundsai
bei seite.
E) 1. c., S. 116.
18. August 191-4.
_M UENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
bemerkt sehr richtig zu diesem Streit der Meinungen, dass es
hei der Entwicklung eines Druckgeschwürs viel weniger auf
die grossere oder geringere Membranbildung als vielmehr
auf die Art der Infektionserreger ankomrae.
Er weist dabei eine besonders schädigende Rolle den event
neben den Diphtheriebazillen bestehenden Eiterkokken zu.
Auch wir sind geneigt, der pyogenen Infektion der Kehl-
kopfschleimhaut eine besonders schädigende Rolle zuzuweisen
und sehen m den beiden beschriebenen Fällen von Tuben¬
schädigung einen Beweis dafür, dass reine E i t e r i n f e k -
t i o n d i e Kehlkopfschleimhaut gegen die
starre 1 u h e noch weit widerstandsloser
inacht als reine Diphtherieinfektion
Als Fall 1 zum zweiten Mal in die Klinik ’ eingeliefert
wurde, waren wir uns, wie erwähnt, sogleich darüber klar,
dass es sich nicht um diphtherischen Krupp handle. Wir
gingen daher bei der Intubation mit äusserster Vorsicht zu
Werk. Erst als die Stenose einen schweren Grad erreicht
,atte, entschlossen wir uns zu dem Eingriff und versuchten
schon nach 17 Stunden zu extubieren. Da sich dies als un¬
möglich erwies, mussten wir reintubieren, doch schritten wir
bereits nach weiteren 12 Stunden zur sekundären Tracheo¬
tomie. Obwohl somit die Tube nicht länger als 29 Stunden
gelegen hatte, stellte die post mortem vorgenommene Tracheo-
T-opie Freihegen des Knorpels (wahrscheinlich Ringknorpels)
test. Die Streptokokken hatten die Schleimhaut unter der
lube zu einem ganz rapiden Zerfall gebracht.
B* B al 1 2 wurde nach einer Tubenlage von 2 Tagen
• e.dei} die sekundäre Tracheotomie ausgeführt. Auch hier
iei Staphylokokkeninfektion, genügte eine so kurze Zeit
Heubner belässt die Tube bis zu 5 Tagen, v. Bokav
im das vmlfache länger — zur Ausbildung einer schweren
>ch eimhautnekrose. Sogleich nach Abfall des durch die
vehlkopfeiterung bedingten Fiebers suchten wir durch Intu-
iieren bei liegender Kanüle das Larynxlumen offen zu halten
vas uns auch vorübergehend gut gelang, doch zwang uns
rneutes Auftreten hohen Fiebers etwa 10 Tage lang von den
n tu ba tions versu ch en abzustehen. Im Verlaufe dieser kurzen
•eit hatte sich indes eine narbige Kehlkopfstenose entwickelt
ie sich nicht mehr beheben Iiess.
1807
Zusammenfassung.
1. Die „atypische Form des Pseudokrupps“
st eine wenig b e k an n t e, jedoch nicht seltene
nd wichtige Erkrankung.
2. Pyogene Infektion derKehlkopfschleim-
a u t vermag scheinbar so ganz verschiedene
rankheitsbilder wie atypische Form des
seu dokrupps und Laryngitis phlegmonosa
ii s z u 1 o s e n.
3. DadieKehlkopfschleimhautdurchEiter-
F: rn V; l r n °,c h erheblich stärker als durch
i p h t h e r l e b a z 1 1 1 e n geschädigt wird, so soll
eim Nachweis der erstejen als Krankheits-
r suche grundsätzlich von der Intubation ab-
esehen und primäre Tracheotomie gemacht
erden. S o 1 1 1 e, w a s n i c h t s e 1 1 e n d e r F a 1 1 s e i n
- die pyogene Natur der Infektion erst
achtra glich durch das Kulturergebnis auf-
edeckt werden, so ist an Stelle der Intuba-
on sogleich die sekundäre Tracheotomie
orzunehmen.
Rezidivierende Nabelkoliken der Kinder.
Von Frau Dr. med. Paula Tobias.
Bevor und während die M o r o - K ü 1 1 n e r sehen bzw.
i r .n„k [ 1 6 ^ u n ^ sc^en Mitteilungen (die früheren waren
unbekannt) über diesen Gegenstand erschienen, hatte ich
naer m Behandlung, bei denen ein ähnlicher Symptomen-
1 P ex einer fast gleichen Therapie zugänglich war. Indes
"ci analoger Behandlung die theoretische Grundlage anders
.. e.' ripdjung und Moro: Die Anfälle halte ich für
emfs Ulcus ventriculi bzw. d u o d e n i oder
o r s t u t e n in dem Sinne, wie v. Bergmann sie
^LpirhYactlse1!® [xl letztfr Zeit mehrfach und ausführlich be-
sctireibt, also für Krampfe im Gefässsystem der Magen- bzw
Darmschleimhaut. Diese Annahme lässt sich zwanglos auf
tr'Hrpn V00 a r 1 c ,d ] 11 n R und M 0 r 0 angeführten Fälle über-
7nSrtpeSmrerS Cl' d°urt v!elfach andere angiospastische
Zus ande (Blasse, Ohnmächten) beobachtet wurden Am
Schlug semer zweiten Mitteilung deutet Moro ja auch die
Möglichkeit dieser Aetiologie an.
svmmnm!?itcSIlreChendiiSt die an^ebene Therapie nicht
hnPpP ?ph aS h"vUgSuftrIV’ sondern ätiologisch. In erster Linie
habe ich die Verabfolgung von Belladonnapillen nicht für
eine ind'fferente Scheinbehandlung. Die gute Wirkung, die
selmn e/aund £erade bei dcn schweren Fällen
sehen, steht auf der gleichen Stufe mit der v. Bergmann-
sehen Atropinbehandlung. Die bei leichteren Fällen — den
vor- und Fruhstadien — für ausreichend erachteten näda-
Pp?f|Chen Massnahmen bestehen im wesentlichen in” einer
Regelung der Ernährung. Die auffallende Besserung, die
Kinder der Pol.khnikpraxis bald nach ihrer Aufnahme in die
Klinik zeigen, ist demnach ein Verdienst der vernünftigen und
vor allen Dingen pünktlichen Ernährung. In der Privatpraxis
kann die vorher meist nicht vorhanden gewesene qualitative
quantative und zeitliche Zweckmässigkeit der Nahrungsauf¬
nahme natürlich die gleichen Erfolge haben. Die bei nur ge¬
ringen Schmerzanfällen zu Hilfe genommene Valeriana dürfte
ein zwar symptomatisch aber doch nicht rein suggestiv
wirkendes Mittel sein, da ihr, besonders in alkoholischer Lö¬
sung, eine leicht narkotische Wirkung wohl nicht abzu¬
sprechen ist. Den faradischen Strom habe ich bisher nicht
angewandt, kann mir aber von ihm eine Beeinflussung des ihm
unterworfenen Gefässgebietes und somit eine Wirkung vor-
stellen. Der Heftpflasterstreifen ist allerdings hier wie an
manchen anderen Körperstellen wohl als reines Suggestivmn
zu betrachten und am erfolgreichsten bei den offensichtlich
i em nervösen Fällen, zu denen aus der bunten Reihenfolge der
M.o röschen Aufzählung eine Anzahl auf den ersten Blick zu
zahlen ist Zur Beeinflussung der begleitenden nervösen
Komponente mag er auch bei einem Teil der übrigen Patienten
seine Schuldigkeit tun.
Die gewiss nicht allgemein zulässige Analogie zwischen
dem Organismus des Kindes und des Erwachsenen lag mir
bei diesem Krankheitsbild um so näher, als ich neben ganz
ähnlichen Fallen, wie den von Fried jung und Moro be-
schriebenen, zwei ältere Kinder, die vorher schon ähnliche Be¬
schwerden, wie die zur Diskussion stehenden gehabt haben
sollen mit den klassischen Symptomen des Ulcus ventriculi
in Behandlung bekam.
„ . 1 cErna M-> 10 Jahre, starke Leib- und Kopfschmerzen, besonders
Fach Sussigkeiten, bisweilen Erbrechen, saures Aufstossen Ob¬
stipation, Epigastrium stark empfindlich, B o a s scher Druckpunkt.
2. Hermine H., 13 Jahre, heftige Magenschmerzen nach Essen
Blutungen’ 0bstipatlon’ Epigastrium stark empfindlich, Boas, okkulte
In beiden Fällen war niemals Temperatursteigerung fest¬
zustellen. Beide Kinder wurden unter entsprechender Be¬
handlung (Bettruhe, Hunger- bzw. Schonungsdiät, Atropin und
Karlsbader) beschwerdefrei.
Die Prädisposition auch sonst vasolabiler, neurasthenischer
odei hysterischer Individuen für die Erkrankung findet sich
eim Erwachsenen geradeso wie beim Kind. Die psychogenen
Erscheinungen stehen hier ebenso in vielen Fällen so sehr im
Vordergrund, dass sie die fliessenden Uebergänge von der sorr
Magenneurose zum Ulcus verschleiern können. Vielleicht kann
E r i e d j u n g von einigen seiner Fälle erfahren, ob die Er¬
krankung sich im späteren Alter wiederholt und ob sich nicht
manchmal ein echtes Geschwür entwickelt hat. Sollte sich
das herausstellen, dann ist die Annahme eines ätiologischen
Zusammenhanges wohl eher berechtigt, als wenn später eine
Appendizitis auftritt.
Dass auch bei der hier skizzierten Auffassung eines Teils
oer „Nabelkohken“ eine sorgfältige Differentialdiagnose nicht
nur Appendizhis, wie Kiittner verlangt, sondern ebenso
Enthelminthen (Askarisl), Tuberkulose, Pyelozystitis, Nephritis
und Nierensteine, Meningitis, eventl. auch Lungenaffektionen
ausschhessen soll, ist selbstverständlich.
1808
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Literatur.
M.in.W. 1913 Nr. 51. B.kl.W. 1914 Nr. 4 u. 8. (Originale und
Sitzungsbericht.)
Aus dem Dermosyphilopathischen Institut des Ospedale
Maggiore in Mailand.
Toxische Nebenerscheinungen des Embarin.
Von Prof. Dr. A. P a s i n i in Mailand.
Die am 2. Juni 1914 in dieser Wochenschrift erschienene
kurze Abhandlung Georg Merzbachs: „Toxische Neben¬
erscheinungen des Embarin“, in der dieser Verfasser über
toxische Erscheinungen mit nesselartigem Ausschlag be¬
richtet, die bei zwei Kranken nach Embarineinspritzungen aut-
getreten sind, veranlassen mich, einen ähnlichen Fall zur Be¬
sprechung zu bringen, den ich in der letzten Zeit habe be¬
obachten können.
Der ball betrifft eine 70 jährige, ziemlich fettleibige brau in sonst
guten allgemeinen organischen Verhältnissen. Sie stellte sich am
10. Mai d. J. in unserem Ambulatorium vor; bei dieser Gelegenheit
konnten wir das Vorhandensein einer ausgedehnten, geschwungen,
syphilitischen Gummigeschwulst an dem mittleren-vorderen Drittel
des rechten Beins wahrnehmen. Die Vorgeschichte der Kranken
gab keinerlei Auskunft. Andere nebenhergehende Erscheinungen
wurden nicht wahrgenommen, ebensowenig Spuren von früheren
Anzeichen einer bestehenden Syphilis in anderen I eilen des Organis¬
mus. Die Wassermann sehe Serumdiagnose hat jedoch zu einem
deutlich positiven Ergebnis geführt. Die Kranke hatte keine Ahnung
von der erfolgten Syphilisansteckung, ebensowenig hatte sie jemals
eine Behandlung durchgemacht, die gegen diese Krankheit gerichtet
war. Ich begann Mitte Mai die spezifische Behandlung mit Ein¬
spritzungen von Embarin, das mir freundlichst von der Chemischen
babrik von Heyden, Radebeul-Dresden, geliefert worden ist, und
erprobte diese neue Substanz unter anderen Kranken auch bei diesem
ball, bei dem vorher keine spezifische Behandlung stattgefunden hatte,
um so die Heilwirkung des Mittels besser bewerten zu können. Die
Einspritzungen (jedesmal der Inhalt einer Phiole) wurden jeden
zweiten Tag intramuskulär in die Gesässgegend vorgenommen. Die
Einimpfungen wurden lokal gut vertragen und führten nur zu einem
unbedeutenden Schmerz ohne irgendwelche Rötung und ohne An¬
schwellung des betreffenden Teiles. Bereits nach 3 Einspritzungen
hatte die spezifische Verschwärung eine deutliche Veränderung er¬
fahren. Es war nämlich der Boden des Geschwürs rein geworden
und zeigte eine gewisse Neigung zur Abplattung und Erhebung, wäh¬
rend die Ränder des gummösen Kraters etwas nieder und regel-
massiger wurden. Die Besserung wurde nach der vierten, fünften und
sechsten Einverleibung immer deutlicher, bis dann an dem 1 age, an
dem die siebente Einspritzung von Embarin vorgenommen werden
sollte, die Kranke über ein allgemeines Uebelbefinden mit Kopf¬
schmerzen und Temperaturanstieg bis 38° C klagte. Den Tag über
trat das Uebelsein noch stärker hervor und ergriff den ganzen Körper,
mit Ausnahme des Kopfes und der Beugegegenden der Hände und
büsse, bei fleckenartiger, dem Typus nach dem Oedem nahestehender
Rötung und leichtem Jucken. Ich setzte dann aber mit den Embarin¬
einspritzungen aus, da in mir die Vermutung auf stieg, dass die deutlich
hervorgetretenen Vergiftungserscheinungen zu ihnen in Beziehung ge¬
bracht werden könnten, verabreichte ein Abführmittel und verordnete
die Vornahme von Darmausspülungen mit physiologischer Fltissig-
keit. Trotz dieser therapeutischen Hilfsmittel waren am Tage darauf
die Krankheitsanzeichen vermehrt. Die Temperatur erreichte 39 ü C.
der Hautausschlag wurde noch ödematöser, die zuerst vereinzelt liegen¬
den blecken flössen zusammen und führten zu einer verbreiteten
ödematösen Rötung mit nicht stark ausgesprochenem Jucken. Trotz
der hohen Temperatur war das subjektive Allgemeinbefinden der
Kianken nicht schlechter geworden. Es hatte sich nur eine leicht
beschleunigte Herztätigkeit eingestellt ohne unregelmässige Pulsfolge;
der Urin zeigte abgesehen von einer äusserst leichten Eiweisstrübung
normales Verhalten. Am dritten Tage war die Temperatur auf 38° C
gefallen, der Hautausschlag schickte sich an, blasser zu werden. Am
vierten Tag wurde die Temperatur normal, die Rötung und das Haut¬
ödem verschwanden rasch; am fünften Tage hatten sich bei der
Kranken wieder normale Verhältnisse eingestellt, ln der Zwischen¬
zeit war auch die gummöse Schädigung kleiner geworden und alle
Anzeichen sprachen zu Gunsten einer in vollem Gange befindlichen
Wiederherstellung.
Wie bereits erwähnt, habe ich schon am ersten läge des Auf-
tietens der besagten Krankheitsanzeichen vermutet, dass es sich da
um eine durch Embarin hervorgerufene Vergiftung handeln könne.
Die beiden kaum erst von M e r z b a c h in Berlin veröffentlichten
bälle die meinem vorstehenden zur Seite gestellt werden können,
bestärken mich in meiner mir von Anfang an gebildeten Anschauung
und veranlassen mich, diesen kurzen Bericht zu veröffentlichen, damit
neben dem vorteilhaften Einfluss, den das Embarin bei syphilitischen
Erscheinungen auszuüben vermag, auch die Missstände bekannt seien,
die es auslösen kann. . „ .
Das Embarin ist nach Angaben der babrik eine 3 Proz. Queck¬
silber enthaltende Lösung des merkurisalizylsulfonsauren Natriums mit
einem Zusatze von Vs. Proz. Akoin als Anästhetikum. Nach Ver¬
suchen von v. Hayek im physiologischen Institut der Universität
Innsbruck ist die toxische Wirkung des Präparates schwächer als die
aer anderen löslichen Hg-Verbindungen. Versuchstiere vertrugen das
doppelte Quantum Hg in Form von Embarin im Vergleich zu anderen
wasserlöslichen Merkurialien. , . .
Trotz dieser experimentellen Daten und trotzdem dass von an¬
deren Klinikern, wie Kobligk usw., das Embarin bei einer be¬
trächtlichen Anzahl von Syphiliskranken ohne das Auftreten toxischer
Erytheme angewandt worden ist, ermahnen uns doch die von Merz¬
te a c h und von mir beobachteten Erscheinungen, auf der Hut zu sein
vor möglichen Zwischenfällen und auf Seiten des Kranken bestehender
Unerträglichkeit, die weit häufiger zu sein scheinen, als dies bei den
anderen gewöhnlichen Quecksilberpräparaten der ball ist. Das tm-
barvn ist eine der Veränderung ziemlich leicht verfallende Substanz,
weshalb sie leicht Verbindungen eingeht, die ihr Giftigkeitsverinögeii
umwandeln können. Ein Beweis dafür sind auch die zu seiner
praktischen Verwendung empfohlenen und notwendigen Vorsichts-
itiassregeln Wenn nun auch einige Kliniker es wirklich bei Kranken
erprobt haben, ohne das Auftreten irgendwelcher mit Erythem ver¬
bundener Vergiftungsanzeichen feststellen zu müssen, so fehlt es doch
andererseits auch nicht an anderen Klinikern, die nach Verabreichung
des Heilmittels Anzeichen von Idiosynkrasie mit bieber. bieber-
'chauer und Kopfschmerzen zu beobachten vermocht haben, halo-
monski hat derartige Erscheinungen bei 27 Kranken 5 mal beob¬
achtet. beind, Sowade, Gappitsch haben sehr bedeutende
Temperaturanstiege bis zu 40,1 0 C und scharlachartige Hautausschläge
wahrgenonimmen. Nach L o e b haben sich schliesslich ausser den
Temperaturerhöhungen auch Drüsenanschwellungen und Nerven¬
schmerzen erkennen lassen.
Während also einerseits anerkannt werden muss, dass das Em¬
barin den syphilitischen Erscheinungen gegenüber ein starkes Heil-
vermögen besitzt, darf andererseits doch auch nicht übersehen wer¬
den. dass es ein Heilmittel ist, das anscheinend häufiger als die ge¬
wöhnlichen Quecksilberpräparate dies zu tun Pflegen, zu ldiosynkra-
tischen Vergiftungsvorgängen führt, die durch plötzliches Uebelsein.
bieberschauer, starken Temperaturanstieg, erythematös-nesselartige
und scharlachartige Hautausschläge zum Ausdruck gelangen.
Das Embarin ist somit ein Heilmittel, das mit Vorsicht ange¬
wandt und dessen Verabreichung sorgfältig überwacht werden muss.
Der Quadratograph. Ein Röntgenhilfsapparat.
Von Dr. Rigi er in Darmstadt.
Um der Wirklichkeit entsprechende Bilder normaler Grösse von
inneren Organen röntgenograpiiisch zu bekommen, stehen uns zurzeit
zwei Methoden zur Verfügung.
Der Orthodiagraph nach Moritz oder Groedel ermöglicht
cs uns, ausschliesslich mit zentralen Strahlen zu arbeiten und rr»it
Hilfe der beweglich gemachten Röhre die Organgrenzen entweder
direkt auf die Haut des Patienten oder auf Papier oder Glas autzu-
Die zweite Methode ist in der sogen. Fernphotographie zur wei¬
teren Ausarbeitung gelangt und es ist besonders von Rosenthal.
Köhler, Groedel u. a. nachgewiesen, dass z. B. ein in 1 A bis
2 m Entfernung vom Apparat aufgenommenes Herzbild der wirklichen
Herzgrösse durchaus entspricht.
Beobachtet man bei aufeinanderfolgenden Aufnahmen stets die
gleiche Technik, so lassen sich auch mit Hilfe dieser Methode eine
Reihe von Herzaufnahmen hersteilen, die wohl miteinander ver¬
glichen werden können. An diesen Fernbildern lassen sich dann
die einzelnen Herzmasse ausmessen, wenn man sich vorher be¬
stimmte PunKtc der Brustwand durch Bleimarken markiert hat.
Abgesehen davon nun, dass dies Verfahren immerhin etwas um¬
ständlich, das genaue Messen auf der Glasplatte oder der Kopie nicht
ganz leicht ist, und sich auch die Mittellinie nicht immer exakt be¬
stimmen lässt, haftet der Methode vor allem noch der Nachteil an,
dass natürlich die Kosten durch Plattenverbrauch ziemlich erhebliche
Will man z. B. den Erfolg einer Badekur mit kohlensauren Bä¬
dern, oder den Erfolg eine Medikation, z. B. die Wirkung der Digitalis!
auf die Herzgrösse feststellen, so muss man eine ganze Reihe von
Bildern machen, um fortlaufend einen Vergleich zu haben.
Der Versuch, sich mit Durchleuchtungen zu behelfen und bei
diesen Papierpausen anzufertigen, um auf diese Weise Platten zu
sparen, hat wieder sein sehr Missliches, weil es ein sehr subjektives
Verfahren ist. Kaum zwei Untersucher werden bei dieser Art der
Feststellung der Herzgrenzen genau die gleichen Masse eruieren.
Diese Ueberlegung gab die Veranlassung zur Konstruktion des
Quadratographen, der in einfachster Weise die angegebenen Schwie¬
rigkeiten beheben soll.
Es handelt sich dabei um ein aus Zinkdraht hergestelltes Gitter
bei dem die einzelnen Drähte immer 2 cm voneinander entfernt sind
so dass also Felder von 4 qcm entstehen. Das Ganze wird in dei
Grösse des Leuchtschirms angefertigt und kann einfach mit 2 Klam¬
mern über den Leuchtschirm gehängt und mit Leichtigkeit auch wiedei
entfernt werden. Die Mittellinie ist durch einen Bleistab, der leien
18. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1809
erkennbar ist, inarkiert. Oben an dem Bleistab befindet sich ein Zei¬
ger, um die genaue Einstellung des Patienten aut die Mittellinie zu
erleichtern. Zur bequemeren Ablesung wird dem Apparat dann noch
eine Skala mit einzelnen Nummern beigegeben, die über den Apparat
an einer beliebigen Stelle gehängt werden kann, und die es ermög¬
licht, bei der Durchleuchtung die Höhe der gesehenen Gebilde ab¬
zulesen.
Nimmt man nunmehr nach Anbringung des Quadratographen in
etwa lVi—2 m Entfernung die Durchleuchtung des Patienten vor so
sieht inan auf dem Leuchtschirm sehr deutlich die Mittellinie und die
einzelnen Quadrate. Man kann also bei der Durchleuchtung des
Brustkorbes ohne weiteres nach der Anzahl der Quadrate den
Medianabstand links und den Medianabstand rechts ablesen. Es ge¬
nügt hierzu ein Blick, so dass die Durchleuchtung nur von ganz kur¬
zer Dauer zu sein braucht, demnach auch häufige Wiederholungen
ohne Schaden für den Patienten ausgeführt werden können
Mit der Feststellung der Herzgrenzen ist aber die Bedeutung des
Quadratographen nicht erschöpft. Vielmehr ermöglicht er auch die
exakte Festlegung anderer normaler und pathologischer Gebilde inner¬
halb der Brusthöhle, wenn man nur die kleine Vorsicht gebraucht
den Leuchtschirm immer in der gleichen Höhe wieder einzustellen
und überhaupt bei jeder folgenden Durchleuchtung stets die gleichen
Bedingungen der vorhergehenden zu schaffen. Praktisch macht das
sehr w enig Schwierigkeiten, da sich an den meisten Durchleuchtungs-
Stativen bereits eine Zentimetereinteilung befindet. Z. B. kann man
mit Hilfe des Quadratographen Veränderungen des Niveaus pleuri-
tischer Exsudate, Zu- oder Abnahme von Drüsenschwellungen Um¬
fang von Spitzeninfiltrationen u. a. m. so festlegen, dass selbst ein
anderer Beobachter später feststellen kann, ob eine Vergrösserung
oder Verkleinerung der besagten Gebilde stattgefunden hat
Sollen natürlich Fein¬
heiten der einzelnen Bil¬
der festgelegt werden, so
muss eine photographi¬
sche Aufnahme vorge¬
nommen werden, aber
auch bei solcher erleich¬
tert das Vorschalten des
Quadratographen die
Ausmessung und be¬
währt sich z. B. bei be¬
ginnenden Aneurysmen
bei der Feststellung einer
etwaigen Vergrösserung.
Erwähnt sei noch,
dass selbstverständlich
, . .....^ ,, . , , , auch der mit Kontrast¬
brei gefüllte Magen sich sowohl am Beleuchtungsschirm, wie auch
auf der Platte mit Hilfe des Quadratographen genau ausmessen lässt,
ebenso irgendwelche pathologischen Gebilde im Bereich des Darms
scharf zu lokalisieren sind.
P ... ^cr beigefügten Abbildung geht — ohne dass es weiterer
Erläuterungen bedarf — die Konstruktion des Apparates im einzelnen
hervor.
Selbstverständlich soll nun nicht behauptet werden, dass nicht
vielleicht ähnliche Apparate bereits an anderen Stellen angewandt
wurden. Zweck dieser Zeilen sollte es nur sein, auf den kleinen-Hilfs-
ap parat aufmerksam zu machen, der vielleicht dem einen oder andern
Kollegen in der Praxis sich als nützlich erweist
Der Quadratograph ist zu beziehen von Gebr. Behrmann
mechanische Werkstätte, Darmstadt, Schützenstrasse
Heizbare Oesophagussonde (Oesophagotherm) zur
Behandlung von Stenosen.
Von Wilhelm Sternberg in Berlin.
H '.!V hobelt1) berichtet in einem Aufsatz „Die Behandlung der
urnrohrenstriktur mit Hyperämie hervorrufenden Bougies“ und
pnfn?°^i- V •' im r a.n k 2) in einer Arbeit „Hyperämiebehandlung bei
entzündlich infiltrativen Erkrankungsprozessen in den Harnwegen“
, r Ertolge, die mit elektrisch erwärmten Sonden bei Strikturen
er Urethra erzielt werden. Neben der mechanischen Erweiterung
vwrd eine aktive Hyperämie hervorgerufen, die Infiltrate werden
uurcü die Wärme der elektrothermischen Bougies günstig beeinflusst,
in oige der serösen Durchtränkung des Gewebes werden die Narben
sesc uneidig und schneller dehnbar, so dass in einer Sitzung unmittel-
nur tnntereinander stärkere Kaliber angewandt werden konnten. Die
vanze Behandlung wird somit erleichtert, und ihre Dauer wesentlich
abgekürzt.
Daher entschloss ich mich, nach demselben Prinzip von der uro-
mgischen Abteilung der Firma Reiniger, Gebbert & Schall in Berlin
nnH are _yes°Ph3gussonden zur Behandlung von Narbenstenosen
ino. VOn ^pasrnen des Oesophagus herstellen zu lassen. Das ganze
mstrumentarium besteht bloss aus
’) M.m.W. 1912 Nr. 30.
*) D.m.W. 1913 Nr. 45.
Nr. 33.
1. einem Akkumulator oder Anschlussapparat für Endoskopie,
2. den Anschluss versehenden Kabeln,
3. den elektrisch erwärmbaren elastischen Bougies und
4. einem in den Stromkreis eingeschalteten Kontrollthermo-
meter.
Die Bougies, in jeder Stärke der Charriere sehen Skala an-
gctcrtigt, sind die elastischen nach Art der französischen Seiden-
bougies mit dem sich nach unten verjüngenden Schaft und mit
olivenformigem Ende. Der elastische Heizkörper besteht aus iso-
uerten elektrischen Widerständen, in denen die Erwärmung vor sich
gellt. An seinem oberen Ende trägt er einen Steckkontakt für den
Anschluss.
Die Technik der Einführung dieser heizbaren Sonden ist die¬
selbe wie die der Einführung der üblichen Sonden. Kokain wird
vermieden, erstlich damit das Gefühl der Wärme, das an und für
ca;- schmerzlindernd wirkt, erhalten bleibt, und zweitens damit
scnaaigungen zu hoher Temperaturen vermieden werden. Mit einem
Gleitmittel versehen, wird die Sonde eingeführt, und die Wärme
bis auf 45 0 erhöht.
• n Eer t* *en *Hi m’t diesen heizbaren Oesophagussonden er¬
zielte, war derselbe günstige wie der mit der Urethrasonde. Hier
wie dort wird die Einführung dieser erwärmten Sonden angenehm
empfunden. Ausserdem wird der Spasmus vermieden, der durch
die .ciniunrung kalter Sonden mitunter veranlasst wird.
it 1,Ebe!ls.? k°nnte man bei den Oesophagusstenosen wie bei den
Urethrastrikturen den erweichenden und auflösenden Einfluss der
Hitzesonde oft sthon daran erkennen, dass bei der Sondierung und
nach der Sondierung eine reichlichere Sekretion stattfindet.
Die Vorzüge dieser Sondierung mit heizbaren Sonden sind
folgende:
1. Mechanische Dilatation.
2. Massage der Schleimhaut.
3. Erweichung und leichtere Dehnbarkeit der Striktur. Infolge
der Hyperämie werden die Infiltrate und Narben geschmei¬
diger, das Narbengewebe wird serös durchtränkt, dadurch
erweicht und leichter dehnbar.
4. Abkürzung der Behandlungsdauer. In ein und derselben
Sitzung können hintereinander immer stärkere Kaliber ange¬
wandt werden, so dass die erst unüberwindbar scheinende
Stenose leicht und schnell nachgibt.
i 1 j- äb^cher Weise wie die Oesophagusstrikturen lassen sich
auch die Mastdarmstrikturen durch heizbare Sonden günstig beein¬
flussen.
r u F 1 a* a u") bat auch mit „Pelvithermen“ günstige Erfolge erzielt.
Ich benutze diese elektrische Thermotherapie auch zu. meiner Ent¬
fettungskur.
Operation oder Bestrahlung.
Eine Erwiderung zur kritischen Betrachtung meines gleich¬
namigen Aufsatzes in Nr. 30 dieser Wochenschrift des Herrn
Prof. Dr. L. Heidenhain in Worms.
Von San. -Rat Dr. Christoph Müller in Immenstadt.
Die Strahlentherapie — d. i. die Behandlung mit Röntgenstrahlen
und radioaktiven Substanzen und nicht die Bestrahlung mit Rönt¬
genstrahlen allein, welch’ letztere H. in seiner Erwiderung ausschliess-
hch in Erwägung zieht — hat durch die langjährige, ernste und wissen¬
schaftliche Arbeit zahlreicher Forscher so viel Klärung über die
physikalische und biologische Wirkung der strahlenden Energie ge¬
bracht, dass sie heute nicht mehr verdient, als „im ersten Stadium
tastender Versuche“ sich befindend bezeichnet zu werden H stützt
sich bei seiner Kritik der Erfolge der Strahlentherapie bei malignen
I unioren ausschliesslich auf die Literatur und erleich¬
tert mir den Beweis, warum die Literatur zurzeit noch keine grosse
Anzahl von geheilten Karzinomen aufweist mit einer kurzen Zu¬
sammenfassung der allgemein bekannten historischen Entwicklung
der 1 iefentherapie. Ich muss nochmals betonen, dass ich in meiner
Arbeit unter moderner Röntgentiefentherapie d i e Therapie gemeint
habe — und darüber kann bei genauem Durchlesen der Arbeit wohl
für keinen ein Zweifel bestehen — die es ermöglicht, mit moderner
Apparatur, unter Benützung von harten Röhren und Filtrierung der
Strahlen durch Aluminium von 3 mm und mehr, in allen beliebigen
Tiefen des Organismus notwendig hohe Dosen zur Absorption zu
bringen, und die Haut mit vielen Hunderten von X zu durchstrahlen
ohne (jefahr einer nennenswerten Schädigung derselben
Diese Tiefentherapie bildet ja die hauptsächlichste Ursache der
erfolgreicheren und gefahrloseren Anwendung der strahlenden Ener¬
gie bei malignen Tumoren, und von ihr wird, bei uns in Deutschland
wenigstens, Gebrauch gemacht seit 2 Jahren. Die Anwendung der
radioaktiven Substanzen in der jetzt gebräuchlichen Weise, durch
Filtrierung der Strahlen, welch letztere ja, wie bei den Röntgen-
strahlen, auch hier umwälzend gewirkt hat, erfolgt seit gut Jahres¬
frist. Wenn man demgemäss die Erfolge dieser beiden seit 2 resp.
1 Jahr durchgeführten Behandlungsarten, wie ich es in meiner Arbeit
versuchte, kritisch zu beleuchten sucht, und ausserdem für den Be-
3) Eine neue Methode der Thermotherapie bei gynäkologischen
Erkrankungen. Zbl. f. Gyn. 1911 Nr. 5.
2
1810
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 33.
griff Heilung von Karzinomen, wie H. selbst, eine rezidivfreie Zeit
von 3 Jahren verlangt, vor Ablauf welcher Zeit die Veroftenthchung
erfolgreich behandelter Fälle demgemäss anfechtbar ist, so wird man
sich nicht wundern, wenn die Literatur heute solche 1 alle nicht auf¬
weist, und wird, wie wiederum H„ erst im nächsten Jahre die dies¬
bezüglichen Veröffentlichungen erwarten.
Wenn mich aber Herr H. bittet, aus der Literatur Falle nach¬
zuweisen, die rezidivfrei sind aus der Zeit vor Ausbau der Tiefen¬
therapie, so können dies nur Fälle sein von rumoren, die an der
Körperoberfläche oder nicht weit unter derselben gelegen waren,
weif ja vor Einführung der Tiefentherapie, ohne Schädigung der
Haut, notwendig hohe Dosen tiefer nicht gebracht werden konnten.
Für die Hautkarzinome bringt H. selbst in seiner Arbeit die
324 von Wetterer behandelten Fälle, für die er 50 I roz. Heilung
annimmt. Wenn H. behauptet, dass die prozentuale Zahl der durch
Röntgenstrahlen geheilten Gesichtskrebse, die ja auch zu den Haut¬
karzinomen gehören, erheblich unter der durch Operation erzielter
Heilungen steht, und von mir den zahlenmässigen Nachweis für meine
gegenteilige Behauptung erbittet, so fällt mir nichts leichter als dies.
Fs werden in der Literatur bis 95 Proz. Heilungen bei Hautkarzi¬
nomen angegeben (Manfred Fränkel: Die Beeinflussung des Kar¬
zinoms durch Röntgenstrahlen, Zschr. f. Röntgenkunde 13. 1911. H. 9J ;
und es finden sich in der Literatur Anhaltspunkte genug, die die Sou-
veränität der Röntgenbehandlung über die chirurgischen Eingriffe bei
Hautkarzinomen rückhaltlos anerkennen. Z. B. hält John H. Ed-
mondson (Southern Medical Journal 1913 H. 9 S. 579) die Röntgen¬
behandlung für die einzig richtige Behandlung, weil dieselbe
1. schmerzlos ist, 2. keine Narben verursacht, 3. nicht nur den Krank-
heitsherd sondern auch die Umgebung in Angriff nimmt, 4. weil sie
die besten Resultate gibt.
Auch weist die Literatur viele Fälle von geheilten Mamma¬
karzinomen auf. Es ist dabei vollkommen irrelevant, ob dies
inoperable Mammakarzinome oder Mammakarzinomrezidive oder
überhaupt nicht operierte Mammakarzinome sind; denn bei einem Re¬
zidiv oder bei einem inoperablen Fall Erfolg zu erzielen, ist doch
therapeutisch ungleich schwieriger, wie einen operablen oder pri¬
mären Prozess günstig zu beeinflussen. D i e g e h eilten M a m m a -
karzinome aus der Literatur hier anzuführen,
würde de nn doch zu weitführen. Ich will Herrn H. nur mit
einem einwandfreien Fall von Mammakarzinom, der durch Röntgen¬
strahlen und die von mir angegebene Kombination mit Hochfrequenz-
strömen geheilt wurde, aufwarten, einem Fall, der diagnostisch
einwandfrei feststeht und der nunmehr seit 6 Jah¬
ren rezidivfrei ist (ü. Klein: Erfolge der Röntgenbehand¬
lung bei Karzinomen des Uterus, der Mamma und der Ovarien,
Strahlentherapie 3. 1913. H. 1 S. 260). Auch von den 4 in meiner
Publikation: Therapeutische Erfahrungen an 100 mit Kombination
von Röntgenstrahlen und Hochfrequenz resp. Diathermie behandelten
bösartigen Neubildungen (M.m.W. 1912 Nr. 28) niedergelegten Fallen
von Mammakarzinom, die nicht operiert wurden, in dieser
Publikation als vollständig zurückgebildet bezeichnet sind, und b e -
reits im Jahre 1910 bestrahlt wurden, sind 3 bis heute
rezidivfrei. Diese 3 Fälle wurden mir von Kollegen überwiesen; die
Diagnose wurde von mehreren Herren bestätigt und auch die Kon-
trolluntersuchungen sind bis heute von den überweisenden Kollegen
durchgeführt. Herrn H. stehen die Fälle zur eigenen Kontrolle zur
Verfügung, ebenso die Namen der Kollegen, die mir seinerzeit die
Fälle überwiesen haben. Ich wiederhole nochmals, diese Erfolge
stammen aus einer Zeit, wo der Anwendung hoher Dosen schon beim
Mammakarzinom noch ungleich grössere Schwierigkeiten im Wege
standen, wie heute.
Es würde gleichfalls zu weit führen, wollte ich mich in ähnlicher
Weise, wie ich es beim Haut- und Mammakarzinom getan habe,
auf die Literatur der anderswo lokalisierten Tumoren und die Erfolge
bei denselben mit Röntgenstrahlen weiter einlassen.
Die Literatur in allen Ehren, aber eine derart vorwärts drän¬
gende. gegen die furchtbarste Krankheit der Menschheit gerichtete
Behandlungsform kann sich nicht durch den noch nebenbei willkür¬
lich gewählten Begriff der 3 jährigen Rezidivfreiheit knebeln lassen.
Der Arzt, insonderheit der forschende Arzt, hat noch andere Mo¬
mente zu berücksichtigen, die ihm den Mut und den Ansporn geben zu
zielbewusster Weiterarbeit. Es sind dies seine Beobachtungen am
Kranken selbst und die persönliche Verwertung von anderswo Ge¬
sehenem. Und wenn dies tagtäglich, wie es uns die Tiefentherapie
zeigt, Erfolge sind, die, wenn auch zunächst nur vorläufige, die
früheren Erfolge mit Strahlentherapie so bedeutend überschreiten,
so gaben rie mir nicht nur das Recht, sondern sie verpflichteten mich
auch, die Schlussfolgerungen aus den vorläufigen Erfolgen zu ziehen,
und sie drückten mir die Feder für den fraglichen Aufsatz in die Hand,
allerdings unter der Voraussetzung, dass diejenigen, die heute in der
Frage mitreden wollen, wenn auch nicht aus eigener Erfahrung, so
doch wenigstens auf Grund von Informationen an anderer Stelle, wo
mit hohen Dosen gearbeitet wird, die jetzigen Erfolge kennen.
Wenn H. die Publikation meiner Erfolge in den letzten beiden
Jahren nicht abwarten konnte, so brauche ich ihn nicht auf diese
meine kommenden Publikationen zu vertrösten, sondern der Zufall
wollte es, dass gerade jetzt eine wichtige und bezüglich der Erfolge
hocherfreuliche Arbeit von Bumm und Warnekros1) er-
0 M.m.W. 1914 Nr. 29.
schien die meine Erwiderung wesentlich vereinfacht Die Therapie,
welche den beiden Forschern die Erfolge brachte, ist die gleiche wie
die von mir angewendete und in meiner Arbeit gemeinte: möglichst
hohe Dosierung, das Bestreben durch Kreuzfeuer im Tumor und seiner
weitesten Umgebung das Quantum der Strahlenabsorption noch zu
erhöhen keine Rücksichtnahme auf Hautgefährdung, welch letztere
bei dieser Technik minimal ist. (Siehe meine Leitsätze zu meinem
Vortrag auf dem heurigen Kongress für innere Medizin in Wiesbaden.)
Bei meiner Therapie kommt lediglich noch die Ausnutzung der hoch¬
frequenten Elektrizität resp. der Diathermie zu Sensibilisierungs-
zwecken dazu.
Bestätigen diese Erfolge der Bumm sehen Klinik den ausser¬
ordentlichen Wert der modernen Tiefentherapie im Vergleich zu
unseren früheren unvollkommenen Methoden, so findet sich in dieser
Arbeit auch das bestätigt, was ich in meinen früheren Arbeiten be¬
sonders in meiner Broschüre „Die Krebsbehandlung . gesagt habe ;
über das Absorptionsgesetz und vor allen Dingen über die Leistungen ,
der radioaktiven Substanzen im Vergleich zu den Rontgenstrahlen.
Auf S. 48 dieser Broschüre schreibe ich: „Die vorzüglichen Erfolge
der Radium- und Mesothoriumbestrahlung sind somit lediglich aut die
Fälle beschränkt, bei denen das Präparat in oder unmittelbar an den
Tumor ohne dass eine gesunde Zwischenschicht zu schonen ist, ge- ;
bracht werden kann, und bei denen die Absorption der Strahlung
nicht weiter als in eine Tiefe von 4 cm notwendig ist. Und aui
S. 50: Zur Stunde ist die Situation eine derartige, dass bei allen
tiefer gelegenen bösartigen Neubildungen, bei denen es gilt, gesunde,
deckende Schichten zu schonen, die Anwendung der Rontgenstrahlen
den unbedingten Vorzug verdient.“ Vielleicht sind diese Bestatt- ;
gungen von seiten der beiden Autoren dazu angetan, die grossen Aus¬
gaben an Volksvermögen für Ankauf von radioaktiven Substanzen
zu Heilzwecken einzuschränken mit Rücksicht auf die Cr-
satzmöglich keit dieser Substanzen du r c li 1< o n t -
genstrahlen, nachdem meine früheren Publikationen, msonder-
heit meine Publikation in Nr. 44 1913 d. Wschr. „Therapeutische und
biologische Wirkung der radioaktiven Substanzen und Ersatz der¬
selben durch Röntgenstrahlen“ und Nachtrag zu derselben m Nr. 3
1914 welche, allerdings hauptsächlich aus physikalischen Erwägungen
heraus, klipp und klar genau das gleiche sagten, die seinerzeitige Be¬
geisterung nicht einzudämmen vermochten.
Aus dieser Arbeit greife ich weiterhin folgendes heraus: Dort ist,
wortwörtlich zu lesen, dass von 14 mit Röntgentiefentherapie be¬
handelten Mammakarzinomen, bei denen es sich 12 mal um Rezidive,
und zwar um sehr ausgedehnte Drüsenrezidive handelte, mit einer
einzigen Ausnahme sämtliche geheilt wurden. Aus dieser Arbeit
greife ich schliesslich heraus den Satz: „Wir glauben durch die ge¬
schilderten Beobachtungen die Möglichkeit der gefahrlosen Beein¬
flussung des Karzinomgewebes durch Röntgenbestrahlung auf die Ueic
von 10 cm bewiesen zu haben. Damit eröffnen sich Aussichten zur
Behandlung der Karzinome der inneren Organe (Darm, Magen, Oeso¬
phagus, Larynx etc.), die bis jetzt nur durch schwere operative Ein¬
griffe oder gar nicht heilbar waren.“ Wenn es sich bei diesen Er-I
folgen auch um Erfolge an der Bumm sehen Klinik handelt, so kann
ich mich auf gleiche Erfolge stützen. Und es müsste ein Wunder sein,
sollten die Erfolge nicht die gleichen sein, nachdem die Therapie die
gleiche ist. Ich bin mit meiner Schlussfolgerung nur einen Schritt
weiter gegangen und hielt mich für berechtigt, ich betone aus¬
drücklich st berufene, mit der Therapie durchaus)
vertraute, gewissenhafte Röntgentherapeuten zu
veranlassen, operable Fälle in grösserem Umfange anzugehen, nach¬
dem diese Therapie schon bei Fällen Erfolge erzielt hat, bei denen
die Chirurgie machtlos war. j
Hier spitzt sich die Streitfrage zu. H. steht auf dem Standpunkt;
Solange nicht die Literatur eine grosse Anzahl von durch Strahlen-)
therapie zum Verschwinden gebrachten und 3 Jahre rezidivfrei ge¬
bliebenen Fällen aufweist, und solange nicht die Statistik zittern--
mässig nachweist, dass die Erfolge der Strahlentherapie, was Heilung
und Dauerheilung anbelangt, besser sind, als die der Chirurgie, dür¬
fen operable Fälle nicht bestrahlt werden. Ich sage: Der Umstand
dass die Therapie erst 2 Jahre alt ist, und demgemäss statistische
Anhaltspunkte über Heilungen und Dauerheilungen noch nicht vor¬
liegen können, ist für denjenigen, der den hohen Wert der lherapu
erkannt hat, kein Grund, in der therapeutischen Arbeit sich aufnaltei
zu lassen, und diese Therapieform weiterhin nur anzuwenden bei in¬
operablen Tumoren oder „solaminis causa“ oder „ut aliquid hat
Die eklatanten, wenn auch zum Teil vorläufigen Erfolge aber det
heutigen Strahlentherapie sind derartige, dass ihre Ausnützung in
Interesse der Krebskranken drängt, der weitere Ausbau der Technik
die Vervollkommnung der Apparatur tunlichst beschleunigt und de
Therapie jetzt schon das Recht eingeräumt werden muss, zu bc
weisen, was sie vermag. Dies ist nur möglich durch Bestrahl un-
operabler Fälle, selbstverständlich unter Erfüllung all der vorbe
dingungen, die ich präzisiert habe. Das Fehlen statistischen »er
gleichsmaterials ist kein Gegengrund. Beispielsweise auch bei de
grosszügig durchgeführten Erprobung des Wertes des Salvarsans an
Menschen fehlte eine Vergleichsstatistik gegenüber den Leistungei
der früheren Luestherapie und der Gefährlichkeit des Mittels. E
eihob sich damals keine Stimme gegen die Anwendung des Salvar
sans bei Lues in allen ihren Stadien. Wie überhaupt kenn
irgendwie geartete Therapieform richtig durchgeprobt werden konnte
18. August 191*4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
solange man nicht sich entschloss, die mit ihr zu bekämpfenden Krank¬
heiten von Anfang an mit ihr zu behandeln und nicht erst dann,
wenn alles andere versagte und die Patienten ihre Restitutionskraft
verloren hatten.
Und nun zum ethischen Moment dieser Forderung, der Ge-
rahr für die Kranken. Ich behaupte, dass, selbstverständlich
geeignete Fälle ausgewählt, durch einen energischen Ver¬
such mit Strahlentherapie bei operablen Tumoren, der mit Beobach¬
tung seiner direkten Wirkung eine 3—4 wöchentliche Zeit verlangt,
bei Versagen der Strahlentherapie die Chancen für eine nachfolgende
Operation nicht herabgesetzt werden. Ich behaupte dies auf Grund
einer, bei den oberflächlich gelegenen Tumoren fast 4 jährigen und
bei den tiefer gelegenen 2 jährigen Durchführung dieses Prinzips,
während welcher Zeit ich noch nie beobachtet habe, dass die Strah-
ientherapie nicht wenigstens so viel geleistet hätte, dass keine wei¬
teren Metastasen sich bildeten und der Tumor sich nicht vergrösserte.
Diese Erfahrung und Beobachtung werden alle die mit mir teilen,
Jie ebenfalls operable 1 umoren mit Strahlentherapie angehen und
iie, wie ich, bei allem ihrem ärztlichen Tun und Flandeln von der
ersten grossen ürundforderung geleitet sind: nil nocere.
Ich möchte hier nur einige Beispiele aus der Literatur, auf die
ierr H. ja so grossen Wert legt, anführen: Krönig und Gauss:
)ie Behandlung des Krebses mit Röntgenstrahlen und Mesothorium.
Xin.W. 1913 Nr. 26. — P. Kw einer: Ueber die Einwirkung von
Röntgen- und Mesothoriumstrahlen auf maligne Neubildungen der
jenitalien. Strahlentherapie 3. 1913. H. 1. — H. Menge: Medi¬
zinische Sitzung des naturhistorisch-medizinischen Vereins in Heidel¬
berg vom 17. Febr. 1914. — v. Seuffert: Sitzung der Berliner medi¬
zinischen Gesellschaft, Dezember 1913.
H. behauptet, dass bei Erfüllung dieser Forderung die Situation
ür die Kranken gefahrvoll wird. Er behauptet dies, ebenso wie das,
vas er später über die Diathermie sagt, ohne eigene Erfah-
ung, oder weil er selbst so grossen Wert darauf legt, ohne Litera-
urangabc; denn aus der Arbeit H.s ist ohne weiteres zu entnehmen,
lass er eigene Erfahrung über die Bestrahlung operabler Fälle nicht
lesitzt. Ich aber habe meine eigene Erfahrung in dieser verant¬
wortungsvollen Frage, und will Herrn H. auch Literatur angeben,
us der er entnehmen kann, dass tatsächlich die Operabilität eines
umors durch einen vorausgehenden, sachgemässen Versuch mit
trahlentherapie nicht gefährdet wird: Robert K i e n b ö c k - Wien:
eber Röntgenbehandlung von Sarkomen. W.m.W. 1912 Nr. 19. —
* t i c k e r - Berlin: Anwendung des Radiums in der Chirurgie.
1. Versammlung der deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Solange
i. keine Beweise für diesen seinen schweren Vorwurf bringt und
igene diesbezügliche Erfahrung sammelt, besteht sein Vorwurf nicht
u Recht .
Im 2. Teil seiner Abhandlung beschäftigt sich H. mit meinen
tieorien über die Wirkung der Diathermie bei der kombinatorischen
Sehandlung maligner Tumoren und mit dieser Behandlungsmethode
elbst, obwohl die kombinatorische Behandlungsmethode in meinem
•ufsatz mit keinem Worte erwähnt ist. Er verlässt damit den Inhalt
er Arbeit und wendet sich gegen frühere meiner Arbeiten. Auch
lesmal wieder mit einfachen Behauptungen, ohne eigene Erfahrung,
hne mit der Methode gearbeitet zu haben, indem er eine meiner
lieorien, die Theorie über die Wichtigkeit der Abfuhr der Zerfalls-
rodukte herausgreift und dieselbe als das Wesentlichste der Dia-
lermiewirkung hinstellt. Diese Theorie, nämlich die Wichtigkeit der
(yperämisierung für die Abfuhr der Zerfallsprodukte, kann ich nicht
eweisen. Sie wird aber auch nicht durch eine einfache, nicht auf
ieweise gestützte Gegenbehauptung widerlegt. Und sollte sie auch
iderlegt werden können, so ist damit noch lange nicht das Wich¬
te und Nachgewiesene für den Wert der Diathermie getroffen,
achgewiesen ist, dass die Radiosensibilität der Gewebe durch Hyper-
misierung gesteigert wird, nachgewiesen ist dies von vielen Seiten
iit einwandfreien Messungen und nachgewiesen ist dies durch die
xperimentellen Untersuchungen von Bering und Meyer. Auf
•esen Tatsachen fusst meine Anwendung der Diathermie zur Unter-
ützung der Bestrahlungen. Und diese Tatsachen hätten wiederum
on Herrn H. mit Beweisen widerlegt werden müssen — allerdings
cht in dieser seiner Kritik. Nicht aber geht es an, eine theoretische
rwägung aus einer Anzahl von Arbeiten herauszugreifen, die, wie
de Iheorie angegriffen werden kann, um den Wert einer Behand-
ngsform herabzusetzen.
Im übrigen wird seit einiger Zeit, wie mir berichtet wird, an
rossen Kliniken in ausgedehntem Masse der Wert der Sensibili-
erung mit Hochfrequenz resp. Diathermie nachgeprüft, und bleibt
biiiwarten, wie die Resultate ausfallen Ich wiederhole, hätte Herr
• selbst mit Diathermie zu Sensibilisierungszwecken gearbeitet, oder
'.h wenigstens anderswo, wo die Methode angewandt wird, durch
ugenschein informiert, hätte er das Schwarzsche Gesetz
rjer die Wichtigkeit der Blutfüllung der Gewebe für die Radiosensi-
ntät derselben und die experimentellen Untersuchungen B e r i n g s
id Me yers widerlegt, dann hätte er die Schlüsse ziehen dürfen,
e er in seiner Kritik gezogen hat lediglich auf Grund des Aufsteilens
ner Gegenbehauptung gegen eine theoretische Erwägung meiner-
iltS.
Und wenn Herr H. die Erfahrungen des Samariterhauses Heidel-
-rg über die Kombination der Diathermie mit Röntgenstrahlen
eranzieht, so kann ich ihm mitteilen, dass das gleiche Institut beztig-
dei Gefahr der Verschleppung lebender Tumorzellen durch An- i
1811
u endung von 1 hermopenetration — und dies ist die Gegenbehauptung
des Herrn H. — sich dahin geäussert hat, dass besondere Anhalts¬
punkte für eine Ausstreuung der Keime durch die Thermopenetration
bei den Arbeiten in diesem Institut nicht gefunden wurden. (Erich
S t e p h a n - Heidelberg: Histologische Untersuchungen über die Wir¬
kungen der Thermopenetration auf das normale Gewebe und Karzi¬
nom. [Samariterhaus.] Beitr. z. klin. Chir. 1912 H. 2.)
Weiterhin glaubt H., dass all das Viele, was über das Wachstum
der Karzinome, die Ausbreitungswege und die Ursache der Rezidive
nach Operationen publiziert wurde, spurlos an mir vorübergegangen
ist. Ich nehme für mich das Recht in Anspruch, aus dem Chaos von
I heorien das herauszusuchen, was ich in Einklang mit meinen Er¬
fahrungen bringen konnte. Tatsache ist, dass an den blutreichen
Organen und Körperpartien Karzinome relativ selten sind; Tatsache
ist, dass die Rückbildung eines jeden Tumors mit Hyperämisierung
einsetzt; Tatsache ist, dass die Rezidive am häufigsten in den schlecht
mit Blut versorgten Operationsnarben sich einstellen, Tatsache ist,
cluss Selbstheilungen von Karzinomen bei lange anhaltenden Fieber-
krankheiten, in denen der Blutdruck ständig gesteigert ist, und bei
Erysipelinfektionen in der Umgebung eines Karzinoms beobachtet
wurden. Dies sind Tatsachen nud keine Theorien und beweisen die
Wichtigkeit der Blutfüllung in der ganzen Karzinomfrage. Auch sie
dürfen nicht spurlos vorübergehen an jemand, der das Interesse für
die Krebse zeitlebens behalten haben will.
H. stellt fernerhin das, was ich in meinen im Dezember 1913
in der Münchener Vereinigung für ärztliches Fortbildungswesen ge¬
haltenen Vorträgen über die Bestrahlung operabler Karzinome ge¬
sagt habe, nämlich, dass eine durch Monate und Monate hindurch
durchgeführte Strahlenbehandlung bei einem operablen Tumor die
nicht den gewünschten Erfolg der Rückbildung bringt, nach dieser ver¬
hältnismässig langen Zeit die Aussichten für die Operationsmöglich¬
keit verschieben kann, meiner jetzigen Behauptung gegenüber dass
durch einen einmaligen, kräftigen Versuch der Bestrahlung eines Tu¬
mors, der, wie gesagt, nicht mehr wie 3 — 4 Wochen beansprucht
die Operationsmöglichkeit nicht herabgesetzt wird. Ersterer Satz!
der aus dem Zusammenhang herausgerissen ist, steht in keinerlei
Gegensatz zu meiner letzteren Forderung, die nichts anderes ist, als
eine Ergänzung des ersteren, dahin gehend, dass in der Regel nur ein
kurzdauernder, energischer Versuch mit Strahlenbehandlung genügend
ist, dessen Durchführbarkeit auf Grund der seit November 1913 ge¬
machten Erfahrungen, über die Applizierung sehr hoher Dosen ohne
Hautgefährdung, unterdessen sich wesentlich gebessert hat.
Wie H. aus meiner Arbeit lesen kann, dass ich seit 6 Jahren
moderne Tiefentherapie, d. i. die Anwendung harter Röntgenstrahlen
mit moderner Apparatur unter Filtrierung mit 3 mm Aluminium auf¬
wärts, treibe, kann ich mir nicht erklären. Ich habe meinen Aufsatz
immer und immer wieder durchgelesen und von anderen lesen lassen,
niemand hat auch die geringste Andeutung hiefiir gefunden. Ab¬
gesehen davon, dass man eine Therapie doch erst dann anwenden
kann, wenn sie gefunden ist, und Herr H. selbst legt in seiner Kritik
des Weiten auseinander, dass dieselbe vor 6 Jahren noch gar nicht
existiert hat.
Auch alles sonstige in meinem Aufsatz Niedergelegte halte ich
nach wie vor aufrecht und ich kann mich insonderheit nicht zu dem
prinzipiellen Standpunkt bekennen, nur zu bestrahlen, um nach einer
Operation zurückgebliebene Karzinomreste zu vernichten. Denn wenn
der Tumor derart radiosensibel ist, dass die Bestrahlung mit dem¬
selben fertig wird, dann ist die Operation überflüssig, vorausgesetzt,
dass nicht die Grösse des Tumors und die Gefahr der Resorptions¬
erscheinungen die Operation notwendig machen. Wird aber operiert,
weil sich der Tumor als nicht radiosensibel erwiesen hat, dann ist die
Bestrahlung nach der Operation illusorisch, weil ja bestimmt die nicht
genügend radiosensiblen Reste auf die Bestrahlung nicht reagieren
werden.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Der Arzt in der Rechtsprechung.
Von Regierungsrat PaulKaestnerin Berlin-Neubabelsberg.
(Schluss.)
Ein Reichsgerichtsurteil vom 15. Dezember 1913 (Juristische
Wochenschrift 1914 S. 377) behandelt Taxüberschreitungen
durch Apotheker. In § 148 Nr. 8 der RGO. sind Ueber-
schreitungen der Taxe mit besonderer Strafe bedroht. Trotzdem
können sie auch als Betrug strafbar sein, falls im Einzelfall
die Merkmale dieses Vergehens (§ 263 StrGB.) nachweisbar sind.
Dies trifft, soweit die Täuschungsbehandlung in Frage kommt, nament¬
lich dann zu, wenn die Anforderung eines bestimmten übersetzten
Preises für ein der Taxe unterliegendes Arzneimittel nach den Be¬
gleitumständen als die bewusst wahrheitswidrige Behauptung auf¬
zufassen ist, die laxe, deren Bestehen dem Käufer bekannt ist, setze
den für die Ware geforderten Preis fest, nicht den in Wirklichkeit
festgesetzten, so dass der getäuschte Käufer den Taxpreis zu zahlen
glaubt, während er tatsächlich nicht diesen, sondern mehr bezahlt. _
Aerztliche Verordnungen dürfen in Apotheken
von Eleven nach § 30 Abs. 3 der Apothekenbetriebsordnung vom
18. Februar 1902 nur unter Aufsicht des Apothekenvorstandes oder
2*
i812
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 33.
eines Assistenten unter deren Verantwortlichkeit angefertigt
werden. Der Apotheker A., der keinen Assistenten hatte, liess seinen
am 1. April eingetretenen Eleven bereits nach 6 Wochen in der
Rezeptur ärztliche Verordnungen insofern ohne Aufsicht anfertigen,
als er selbständig die Medikamente zusammenstellte. Einige Zeit
darauf liess er die Nachtglocke in das Zimmer des Eleven verlegen
und wollte nur in wichtigen Eällen geweckt sein. Das Rezeptjournal
ergibt in Uebereinstimmung mit der Bekundung des Eleven, dass
dieser in 3 oder 4 Eällen zur Nachtzeit ohne Beisein des A. Rezepte
angefertigt und abgegeben hat. A. ist auf Grund obiger Gesetzes¬
bestimmung in Verbindung mit der revidierten Apothekenordnung
vom 11 Oktober 1801 und § 367 Nr. 5 StrGB. von der Strafkammer
bestraft und seine Revision ist durch Urteil des Kammergerichts
vom 2. April 1914 (Berliner Apothekerzeitung S. 323) zurückgewiesen.
Mit dem Einwand, jeder Eleve in einer Apotheke müsse wissen, ob
die Anfertigung eines Rezepts einen wichtigen Fall betreffe, und seine
Anordnung habe daher dahin verstanden werden müssen, dass er für
die Anfertigung der Rezepte zu wecken sei, ist A. nicht gehört. Er
hat fahrlässig gehandelt, weil er, nachdem er aus dem Rezeptbuch
die selbständige Anfertigung eines Rezepts durch den Eleven er¬
fahren habe, keine Anordnung getroffen habe, um einen Wieder¬
holungsfall zu verhindern. —
Int „Aerztlichen Vereinsblatt“ 1914 S. 174 ist eine Entscheidung
des sächsischen ärztlichen Ehrengerichtshofes vom 13. Oktober 1913
wiedergegeben, nach welcher dem Arzte nicht zugemutet werden
kann, dass er auch ausserhalb der Sprechstundenzeit
abends noch jedem beliebigen Kranken, der sich bei ihm melden lasse,
zur Verfügung stehe. Auffällig erscheint, dass, soweit der
mitgeteilte Tatbestand erkennen lässt, der Vorsitzende des ärztlichen
Bezirksvereins gegen das freisprechende Erkenntnis des ärztlichen
Ehrengerichts Berufung eingelegt hatte. Da es sich nicht um einen
dringenden Fall gehandelt hat, der sofortige ärztliche Hilfe notwendig
gemacht hätte, kam eine (jefährdung des Ansehens des ärztlichen
Standes nicht \ in Frage und war die Freisprechung selbstver¬
ständlich. — . . n,
B litt an einer Geschwulst am Lendenwirbel, wollte eine Ope¬
ration vermeiden und begab sich in die Behandlung einer Magneto-
p a t h i n, der Zahnarztswitwe K., die sich als „Frau Dr.“ bezeichnen
liess Die K. diagnostizierte, anstatt die tatsächlich vorhandene
Knochentuberkulose zu erkennen, auf Furunkeln, magneti¬
sierte den B. und behandelte das immer grösser werdende Geschwür
mit Pflastern, Schmierkäse, Lehm- und Salbenaufstreichen, bis sie
schliesslich die Oeschwulst aufschnitt. Bald erschienen an der
gleichen Stelle zwei weitere grosse Geschwüre, welche die K. ver¬
geblich mit Bädern und Pflastern zu heilen suchte. Der endlich
hinzugezogene Arzt riet zur sofortigen Operation, der B., von der K.
bestärkt, widersprach. Nach ständiger Verschlimmerung vertraute
B. sich endlich dem Arzte an, aber zu spät. Die Knochentuberkulose
hätte bereits die Wirbelsäule ergriffen, so dass die alsbald vor-
genommene Operation keine Rettung mehr bringen konnte; B. starb
an Entkräftung. Die K. ist von der Strafkammer am Landgericht
Wiesbaden wegen fahrlässiger Tötung mit 6 Monaten Ge¬
fängnis bestraft und ihre Revision vom Reichsgericht durch Urteil
vom 20 Dezember 1913 (Rechtspr. u. Mediz. Gesetzgebg. 1914 S. 31)
zurückgewiesen. Die K. habe durch die Verwechselung von Knochen¬
tuberkulose und Furunkeln ihre gänzliche Unerfahrenheit auf diesem
Gebiete gezeigt und hätte die Behandlung des B. gar nicht über¬
nehmen dürfen, sondern auf Zuziehung eines Arztes dringen müssen.
Statt aber dieser Sorgfaltspflicht nachzukommen, habe sie die Be¬
handlung fortgesetzt und sich durch Anordnung vollkommen ver¬
fehlter und zweckwidriger Mittel eines groben Kunstfehlers schuldig
gemacht. Keinesfalls habe sie von der Operation abraten dürfen,
die, rechtzeitig vorgenommen, den Kranken allein hätte retten können.
Bei ihrer allgemeinen Erfahrung als Heilkundige habe ihr nicht ver¬
borgen bleiben können, dass bei falscher Behandlung die Möglichkeit
eines ungünstigen Verlaufes bestand. Sie habe daher durch ihre
grobe Fahrlässigkeit den Tod des B. verursacht. —
Der Tischlergeselle F. unterhielt seit März 1912 in L. gemeinsam
mit seiner Wirtin, einer Weissnäherin, eine Verkaufsstelle für
Krankenpflegeartikel, Kräuterthee und antikonzeptionelle Mittel aus
dem Laboratorium eines Dr. N. in U. und veröffentlichte in drei
Tageszeitungen, einer Wochenschrift für Frauen und einem Variete¬
programm ziemlich gleichlautende Anzeigen etwa folgenden Inhalts:
„Frauen wenden sich bei Frauenleiden sowie bei Bedarf an hygieni¬
schen Artikeln an das Filialdepot Dr. N. in L„ Diskretion
zugesichert.“ Der ärztliche Bezirksverein L. stellte wegen dieser
Anzeigen Strafantrag gegen F. und F. ist durch Strafkammerurteil,
bestätigt durch Urteil des Reichsgerichts vom 7. April 1914 (Berliner
Apothekerzeitung S. 311), wegen Vergehens gegen § 4 des Wett¬
bewerbsgesetzes zu 100 M. Geldstrafe verurteilt. Massgebend für
die Wirkung der Anzeige sei nicht die Auffassung erfahrener Ge¬
schäftsleute. sondern die Anschauung des Publikums, das nur nach
dem Gesamteindruck urteile, die Inserate oberflächlich lese und nicht
durch genauere Ueberlegung in den tieferen Sinn einzudringen pflege.
F. habe in der Anzeige in der Absicht, den Anschein eines besonders
günstigen Angebots hervorzurufen, wissentlich unwahre, zur Irre¬
führung geeignete Angdben über die Art seines Geschäftsbetriebes
gemacht. Denn wenn man die Anzeige mit den Augen des gewöhn¬
lichen Zeitungslesers betrachte, so bestehe der Anschein, als ob hier
ein Dr. N., der selbst Arzt und dessen Doktortitel zum
D r me d. zu ergänzensei, leidenden Frauen Rat und ärztliche
Hilfe gewähren wolle. Diese Angabe über geschäftliche Verhält¬
nisse wie insbesondere die Leserin sie dem Inserat entnehmen könne,
sei unwahr und das habe F. auch gewusst, denn sonst habe er in un¬
zweideutigen Ausdrücken dem Publikum zur Kenntnis gebracht, dass
er nur ein Filialdepot des N.schen Laboratoriums unterhalte. Die
Möglichkeit der Irreführung sei hinreichend vorhanden, da das
Publikum zu einem Arzte grösseres Vertrauen habe als zu einem
Tischlergesellen und es vorziehe, hygienische Artikel dort zu kaufen,
wo es von einem Arzte beraten werde. —
Wegen f a h r 1 ä s s*i g e r Tötung ist die Hebamme H.
durch Urteil des Reichsgerichts vom 19. Dezember 1913 (Rechtspr.
u Mediz. Gesetzgebg. 1914 S. 30) bestraft. Erwiesen war dass die
H. schon am 21. April das K i n d b e 1 1 f i e b e r erkannt und voraus-
gesehen habe, dass der Tod der Kranken, falls nicht sofort ein Arzt
eingreifen würde, unvermeidlich war. Wenn die H. trotzdem den
Vorschriften ihrer Dienstanweisung zuwider die Inanspruchnahme
ärztlicher Hilfe bis zum 26. April hinausgezögert habe, so habe sie
fahrlässig gehandelt und hierdurch den Tod der Wöchnerin ver¬
schuldet die anderenfalls durch rechtzeitiges ärztliches Eingreifen
hätte gerettet werden können. Die H. habe auch gegen das preus-
sisclie Gesetz vom 28. August 1905 verstossen nach dem bei Aus¬
bruch von Kindbettfieber sofort an die Ortspolizeibehorde Meldung
zu erstatten ist. Die Meldepflicht habe ihr in erster Linie obgelegen,
da sie dem Ehegatten den Charakter der Krankheit geflissentlich
verschwiegen habe. — , , u * u • p u
Die Hebamme B. hatte, als nach der Geburt bei der Frau W .
die Nabelschnur sich nicht hatte lösen wollen, nach dem Zeugnis des
Ehemannes W. an der Nabelschnur gezogen und hatte hierdurch
innere Zerreissungen herbeigeführt, denn alsbald waren heftige Blu-j
tungen eingetreten. Bei nachfolgender Operation wurde festgestellt
dass das Ziehen an der Nabelschnur, wenn auch nur mitwirkend,
neben anderen Begleitumständen, zum Losreissen der Gebärmutter
geführt hatte. Das hierauf gegen die B. eingeleitete Strafverfahren
führte zu ihrer Verurteilung wegen fahrlässiger Körper¬
verletzung (Reichsgericht 19. Januar 1913 : Rechtspr. u. Mediz.
Gesetzgebg. 1914 S. 31). — , , H , ,
Durch § 184,3 StrGB. sollte nicht der Verkauf und der Handel
mit sog Schutzmitteln, sondern nur ihre öffentliche A n -
kündigung und Anpreisung, die als gegen Anstand und
Sitte verstossend empfunden wurde, verboten werden. Dieser Rück¬
sicht trägt das Gesetz Rechnung, indem es verhindern will, dass sich
die Ankündigung solcher Gegenstände in der Oeffentlichkeit voll¬
zieht Darüber hinaus schränkt es Verwendung, Verkauf und Ver¬
breitung der Mittel nicht ein. Diesen Gesichtspunkt hatte nach den
Urteil des Reichsgerichts vorn 23. Oktober 1913 (Juristische Wochen-
schrift 1914 S. 367) die Strafkammer verkannt, wenn sie Aeusserungerj
des Angeklagten, der eine Ausspülspritze feilgeboten hatte, bei Kaui-
Verhandlungen schlechthin als Anpreisung im Sinne des § 184, s geltci
liess Ob der Gegenstand zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt war
hatte sich nach seiner Zweckbestimmung zu richten
Einem solchen würde er dienen, wenn er seiner B e s c h a f f e n h e 1
nach ausschliesslich oder doch überwiegend und erfahrungsgemas;
dazu benutzt würde, die Empfängnis zu verhüten. Es ist nicht voi
Fall zu Fall zu untersuchen, ob ein Gegenstand zum Zwecke der Er
leichterung oder Beförderung unzüchtigen Verkehrs dient, sondern
nur darauf kommt es an, ob das angewendete Mittel als solches nacl
seiner äusseren Beschaffenheit, nach seinem Zweck und nach seine
allgemeinen Gebrauchsbestimmung zu unzüchtigem Verkehr bestimm,
ist und erfahrungsgemäss dazu verwendet werden kann. —
ln einer Tageszeitung war angezeigt, „Sexol verhütet ue
schlechtskrankheiten“ ; zugleich war unter Angabe der Geschäfts!
adresse kostenlose Zusendung von Prospekten angekündigt. Ui<
Firma schickte ferner Reisende an Apotheker und Drogisten, um si>
für den Bezug des Mittels zu gewinnen. Das Landgericht I Bern
hat den Geschäftsführer der Firma G. wegen Anpreisung zi
unzüchtigem Gebrauch bestimmter Gegenstand
(§ 184 a StrGB.) bestraft und die Unbrauchbarmachung des Inserat
nach §41 StrGB. verfügt und das Reichsgericht hat durch Urteil von
21. April 1914 (Berliner Apothekerzeitung S. 372) die Revision zu;
rückgewiesen. Rechtlich massgebend sei allein, dass der angezeigt
Gegenstand nach den besonderen Umständen zu unzüchtigem ue
brauch geeignet sei und hierzu erfahrungsgemäss Verwendung nndt
Da Sexol die Ansteckungsgefahr beseitigen solle, stelle es ein Mitte
zur Förderung und Erleichterung einer nach dem Volksempfinden ur
züchtigen Handlung dar und erscheine daher zu unzüchtigem Oe
brauch bestimmt. Dass die Form der Ankündigung und das Mitte
selbst anstössig wirke, sei nicht erforderlich. Trotz seiner Kenntni
von der Eigenschaft des Mittels habe G. es dem Publikum angi
priesen, zu dem auch die von den Reisenden besuchten Apotheke
und Drogisten zu rechnen seien. Bei Zurückweisung der Revisio
ist besonders betont, es komme weder auf die Frage der Aergernn
erregung noch auf das Patent an, dessen Erteilung keinesfalls di
Ankündigung des betreffenden Mittels sanktionieren könne. — i
Mit diesem jetzt viel erörterten § 184,3 StrGB.., nach dem b<
straft wird, „wer Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauch bt
stimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, au-
stellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder ai
preist“, beschäftigt sich schliesslich auch ein Urteil des Reich:
gericht vom 24. März 1914 (Berliner Apothekerzeitung S. 273). Nac
18- August 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
ihm fällt unter dieses Verbot auch die Ankündigung von „Gummi¬
waren und „hygienischen Artikeln“, da dem Publikum ganz genau
bekannt sei, was mit diesen Ausdrücken gemeint sei. Ein Apotheker
A. hatte durch Anzeigen in Fachzeitschriften für Apotheker, Banda¬
gisten und Drogisten auf sein Spezialgeschäft für „Gummiwaren und
hygienische Artikel“ hingewiesen, zum Bezug von Preislisten auf¬
gefordert und auf Nachfrage eine Spezialliste übersandt, die genaue
Angaben über I abletten, Pessare, Mutterduschen, Spülapparate und
Nonstige empfängnisverhütende Mittel enthielt Die
Strafkammer Dresden, die ihn zu 300 M, Geldstrafe verurteilte, er¬
achtete für erwiesen, dass der wegen gleicher Verfehlung bereits
vorbestrafte A. wisse, dass diese Mittel zur Verhütung der Empfängnis
oder zum Schutze gegen Ansteckungen, demnach, wie das Reichs¬
gericht schon oft entschieden hatte, zu unzüchtigem Gebrauch be¬
stimmt seien. Wenn auch die Mittel nicht als antikonzeptionelle be¬
zeichnet seien, so wisse doch das Publikum sehr wohl, dass mit
.Gummiwaren“ und „hygienischen Artikeln“ allgemein dergleichen
Gegenstände gemeint seien. Dass hierunter auch Mittel zur Kranken-
und Wochenpflege verstanden würden, ändert nichts an dieser be¬
kannten, allgemein überwiegenden Auffassung. Durch den Hinweis
luf Preislisten mit genauer Einzeldarstellung werde überdies auch
üe indirekte Anpreisung genügend erwiesen. Die Ankündigung
labe sich an die Leser der Fachzeitschriften, die öffentliche Mit¬
eilungen seien, also an das Publikum gewandt. Wenn A. die Leser
ler Fachzeitschriften nicht für ein „Publikum“, sondern für einen be¬
grenzten Personenkreis gehalten habe, so sei das ein unbeachtlicher
?echtsirrtum. Zur Erfüllung des Begriffes des begrenzten Personcn-
;reises sei unbedingt das Vorhandensein persönlicher Beziehungen
rforderlich, die hier nicht vorlägen. —
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Ueber Behandlung der Stirnhöhleneiterungen.
Von Dr. Ernst Win ekler in Bremen.
Stirnhöhleneiterungen auf endonasalem Wege in Angriff zu
ehmen, ist zuerst von Dieffenbach, der einen Troikart gegen die
bere Nasenwand richtete, empfohlen worden. Die moderne Lehre
er Nebenhöhleneiterungen verwirft jedes gewaltsame Eindringen in
ie oberen Nebenräume, welches in den Anfängen der Rhinochirurgie
ersucht und später mit Hilfe des Röntgenschirmes nochmals probiert
urde, weil derartige Manipulationen mit den heutigen Vorstellungen
ber die Pathologie der Stirnhöhlenentzündung und den chirurgischen
irundsätzen über die Behandlung infektiöser Prozesse in starr-
andigen Höhlen unvereinbar sind.
Um einige in neuester Zeit auftauchende Kunstgriffe, welche
icder auf endonasalem Wege Stirnhöhleneiterungen in Behandlung
.hmen wollen, richtig auf ihren Wert abschätzen zu können, muss
"ui " e . eiP die Einzelheiten, auf denen die Beurteilung einer Neben¬
ihlenaffektion beruht, weniger geläufig sind, wenigstens die wich¬
st611 Leitsätze kennen, welche die Rhinochirurgie der oberen
isalen Nebenräume befolgt.
So wünschenswert es ist, jede Gesichtsnarbe zu vermeiden, so
uss nach der heutigen Auffassung über die Pathologie der Neben-
ihlenentzündungen doch unbedingt vertreten werden, dass nur unter
mz bestimmten Bedingungen auf die äussere Operation und die
ündliche Freilegung der oberen nasalen Nebenräume verzichtet
erden kann. Die Indikationen für äussere und endonasale Eingriffe
id beschränkte. Die auf die Stirnhöhle isolierte Entzündung, welche
an früher für besonders bedenklich hielt, ist klinisch von ganz unter-
mrdneter Bedeutung, weil durch eine schonende Lokalbehandlung
e Gegend des Ausführungsganges der Ventilation durch die Nasen-
mung leicht zugängig gemacht werden und etwaigen Absonderungen
nn schnell spontaner Abfluss verschafft werden kann. Die Be-
itigung stenosierender Septumdeviationen, Schleimhautschwellungen
‘9. Muschelverdickungen spielt dabei eine wichtige Rolle. Es lassen
-h nicht alle Fälle heilen, aber es können doch sehr viele Fälle
me äussere und ohne gegen den Sinus frontalis gerichtete endo-
sale Operationen durch zweckmässige Lokaltherapie einer solchen
.sserung zugeführt werden, dass der Verzicht oder zum mindesten
r Aufschub eines äusseren Eingriffes ganz unbedenklich ist. Cum
a,n.°. s^'’s sind alle chronischen Naseneiterungen mit einfacher
-nlcimhau tschwellung oder atrophischen Zuständen der Nasenschleim¬
ut bezüglich der Stirnhöhlenerkrankung insofern günstiger zu be-
> als die äussere Operation häufig durch geeignete Lokalbe-
ndlung ganz zu umgehen ist. Im Gegensatz dazu bietet eine aus-
uennte nasale Polypenbildung bei chronischer Naseneiterung nur
geringe Aussichten, eine gleichzeitige Stirnhöhleneiterung ohne
ssere Eingriffe zur Ausheilung zu bringen.
Alle akut einsetzenden Infektionen sind zunächst ein Noli me
igerc für jede endonasale Chirurgie.
Die Infektionen, welche zu Periostitiden an den Orbitalwänden
Cr iw ,vorderen Stirnbeintafel führen, sind als sehr bedenkliche
atl0nen. aufzufassen. Hier muss so schnell als möglich eine
endliche Freilegung der oberen Nebenhöhle von aussen vorge-
mmen werden.
1813
Es ist nicht angängig, derartige Komplikationen mi' ähnlichen
Erscheinungen in Parallele zu stellen, wie sie eine akute Otitis
media begleiten oder ihr folgen können, wenn auch die Actiologie
“n.d die pathologischen Vorgänge dabei dieselben sind. Soweit das
Mittelohr in Betracht kommt, kann man sich in der Allgemeinpraxis
beim Fehlen von Fieber zuweilen ohne Schaden für den Patienten
abwartend verhalten, indem die am Warzenfortsatz auftretendc
Schwellung den günstigen Weg nach aussen anzeigt, welchen die In-
fektion im Schläfenbein genommen hat. Ganz anders liegen die
V erhaltmsse bei Infektion der nasalen oberen Nebenhöhlen mit
ausseren Schwellungen. Auch hier fehlt das Fieber oft oder steht
mit der Schwere des Prozesses keineswegs in Einklang. Andauernde
cu-j emperaturen sind fast regelmässig schon auf Infektion des
Schadelinhaltes zu beziehen.
Folgende besondere anatomische Einzelheiten sind bei der In¬
fektion der oberen nasalen Nebenhöhlen in Erwägung zu ziehen, ver¬
bieten jede endonasale Manipulation und gebieten sofort die gründ¬
lichste äussere Freilegung des gefährdeten Terrains. 1. Die beach-
tenswerte Nähe der Lamina cribrosa mit den offenen Olfaktorius¬
scheiden 2. Die offenen Lymphspalten im oberen Abschnitt der
Nasenhöhle, welche direkt mit dem Arachnoidealraum kommuni¬
zieren, und welche namentlich im jugendlichen Alter zu beriicksich-
'gen sind. 3. Die eigenartige Anordnung des Siebbeins, welche die
Infektion rapide an die Tiefe der Schädelbasis bringen kann, wobei
die hinteren Siebbeinzellen und der Sinus sphenoidalis in ihren wech¬
selnden Beziehungen zum Sinus cavernosus, der Fissura orbitalis
supenor und Foramen opticum zu beachten sind. 4. Die Lymplnvege
des Orbitalinhaltes, die bei infektiöser Periostitis der Augcnhöhlen-
wande die Propagation der Entzündung nach dem Schädelinnern
übernehmen.
Der Schädelinhalt ist ferner gefährdet a) durch Verbreitung der
Infektion auf präformierten Wegen, z. B. Foramina ethmoidalia oder
Lucken der inneren Orbitalwand, b) durch Kontaktinfektionen bei
schnell eintretenden Nekrosen der inneren Stirnbeintafel, c) durch
Entzündungen und I hrombenbildung in den Venen der Diploe und in
solchen, die direkt mit Venen der Dura Zusammenhängen.
Die Operationsbefunde der schweren, namentlich der akut auf-
tretenden Stirnhöhlenerkrankungen haben nun gelehrt, dass die Stirn-
höhlenaffektion nicht das Wesentliche war, sondern stets die die Stirn-
hohlenerkrankung erst veranlassende Siebbeinerkrankung. Auf letz¬
tere ist daher bei jeder Therapie das grösste Gewicht zu legen.
Soweit eine Siebbeinerkrankung endonasal operierbar ist, wird auch
die Stirnhöhlenerkrankung ohne äussere Operation zu beeinflussen
sein. Andererseits ist die äussere Operation mit der Abtragung der
vorderen Stirnhöhlenwand, die erst die Kammern und Nischen der
vielgestaltigen Höhle zeigt, und mit der einst Kuhnt die Wege
wies, wie chirurgisch den Eiterungen der oberen nasalen Neben¬
räume beizukommen ist, nie beendet. Nur nach gründlichster Elimi¬
nation aller Siebbeinzellen, die oft der erkrankten Stirnhöhle lateral
anliegen, kann die Heilung angebahnt werden.
Der Art der Siebbeinerkrankung und der jeweiligen anatomischen
Anlage des Siebbeins müssen nun im Einzelfalle die therapeutischen
Massnahmen sich anpassen. Eine Universaloperation gibt es daher
nicht.
Die Erkrankungen sind so verschiedenartig, und die Anatomie
des Sinus frontalis und ethmoidalis ist so wechselnd, dass es ein
Nonsens wäre, alle Fälle nach einem Schema zu operieren, sei es,
dass ein endonasaler, sei es, dass ein äusserer Eingriff dazu als der
allein zum Ziele führende empfohlen wird.
Nach einer Siebbeininfektion (vulgo schwerem Schnupfen)
können mannigfache Zustände Zurückbleiben. Wichtig ist, wie be¬
reits erwähnt, der Unterschied zwischen einfacher Siebbeineiterung
und solcher mit Polypenbildung. Bei ersterer werden die kleineren
Siebbeinzellen völlig abgeschlossen und können bei operativer Aus-
räumung wie Zysten aussehen. In den grösseren Zellen ist die
Schleimhaut stark verdickt und mit Eiter bedeckt. Bei der Polypen¬
bildung fehlen oft die die Zellen trennenden Wände. Das ganze Siebbein
ist mit grösseren oder kleineren Schleimpolypen oder Granulations¬
massen angefüllt. Die Menge des Eiters ist oft viel geringer wie bei
erstgenanntem Zustande, und dennoch ist der ganze Prozess immer
als eine schwere Erkrankung aufzufassen, bei der sich bakteriologisch
häufig noch Reinkulturen von Streptokokken nachweisen lassen. Die
Stirnhöhlenerkrankung ist nun nicht immer identisch mit der des
Siebbeins. Es gibt Fälle, bei denen die Siebbeinzellen und Stirnhöhle
voll von Polypen und Granulationen sind. Es gibt Fälle, bei denen
die Polypen- und Granulationsbildrng allein die Siebbeinzellen be¬
trifft, in der Stirnhöhle diese sich aber nur an dem äusseren Winkel
oder vorn am Ostium fr. zeigt, also überall da, wo die Siebbeinzellen
dem Sinus frontalis anliegen, im übrigen aber die verdickte Stirn¬
höhlenschleimhaut durch eitrigschleimiges Sekret wie ein Sack aus¬
gefüllt ist. Es kann die Erkrankung nur einzelne Abschnitte des
Siebbeins betreffen und endlich können auch bei ausgedehnter Sieb¬
beinerkrankung verschiedene Bilder in einzelnen Abschnitten: also
Polypenbildung und einfache Eiterung, nebeneinander bestehen. Es
ergeben sich somit die mannigfachsten Variationen, die es erklären,
warum in dem einen Fall endonasale Eingriffe den Zustand besserten
oder zuweilen selbst zur Ausheilung brachten im anderen Falle aber
gar nichts erzielten, und Polypenrezidive trotz wiederholter endo¬
nasaler Operationen nach kürzerer oder längerer Frist immer von
neuem eintreten. Die orbitalen Siebbeinzellen sind intranasal nicht
1814
MUENCHENER MEDIZINISCHE \VOCH_gNSCHIglFT.
Nt. 33.
zu erreichen. Die Abhängigkeit der Stirnhohlenerkrankung . vom Sieb¬
bein ist ohne weiteres klar. Es ist jedoch recht schwer die Art der
Erkrankung der Stirnhöhlenschleimhaut auch nur mit Wahrschein-
"ChkAn keiner ^örpergegend ist aul die Va ric täten d er anatomischen
Anlage ein so besonderes Gewicht zu legen wie bei der St rnhoh e
und dem Siebbein. Die Prognose der gleichen Erkrankung ist, falls
eine kleine Stirnhöhle und nur bis zur inneren Orbitalwand reichende
Siebbeinzellen vorliegen, ganz anders zu stellen als bei Sand
höhle und Siebbeinzellen, welche sich über dem oberen Orbitalrand
weit nach dem lateralen Augenwinkel hin ausdehnen. In letzterem
Falle ist sie so ungünstig, dass man unter Umstanden aut jede endo-
nasale Behandlung verzichtet und sofort den ausser,en
im ersteren Falle ist sie günstiger. Es können endonasale Eingriffe
genügen, die Erkrankung der Heilung zuzufuhren. Zwischen diesen
beiden Extremen der Anlage der oberen nasalen Nebenhöhlen gibt
es naturgemäss die mannigfachsten Abstufungen, welche die Beur¬
teilung der Erkrankung und Auswahl der Therapie sehr erschweren
können.
Die jedesmal vorliegende Entwicklung der oberen Nebenraume
wird auf Röntgenplatten erkannt. Sie zeigen uns die Grosse und
Tiefe der Stirnhöhle, die Stellung der interfrontalen Scheidewana,
welche nicht immer mit der der Nasenhöhlen korrespondiert, die
Kammerteilung durch mehr oder weniger in die Stirnhöhle vor¬
springende Septen und vor allem die Ausdehnung der oberen orbitalen
Siebbeinzellen. f
Nach den Röntgenbildern lässt sich beurteilen: 1. wo eine aul-
fallende Entstellung durch äussere Eingriffe notwendig e m tr e t: e n rn u s s ,
2 wo bei äusserer Operation die Erhaltung der vorderen Stirnhohlen-
wand des Nasengerüstes gerechtfertigt ist oder versucht werden
darf. 3. wo der Erfolg aller endonasalen Eingriffe von vornherein
zweifelhaft sein wird.
Es ist mit Nachdruck zu betonen, dass eine dauernde sichere
Heilung der erkrankten oberen nasalen Nebenhöhlen n u r durch Ver¬
ödung des Sinus frontalis und der oberen orbitalen Siebbemzellen
nebst vollkommenster Ausräumung des Siebbeins garantiert werden
kann. Um dies zu erreichen, müssen die innere un^, obJ;r^0rlP.1.t;lt '
wand, soweit dies angängig ist, und die vordere Wand 1 der Stirr -
höhle total, nebst Entfernung der Stirnhöhlen- und Siebbeinschlei n-
haut fortgenommen werden. Nur dann ist eine genaue Adap lon er
Weichteile: Stirnhaut und Orbitalinhalt mit ihrem Periost, an die
hintere Stirnhöhlenwand und den durch die Ausräumung der orbitalen
Siebbeinzellen neu geschaffenen Hohlraum möglich. Alle anderen
Operationsmethoden lassen unkontrollierbare kleinere oder grossere
Lücken in dem geschaffenen. Hohlraum zurück, die nach nasalen
Reinfektionen den kosmetischen Erfolg illusorisch machen können.
Eine besondere Beurteilung muss den osteoplastischen Opera¬
tionen zuteil werden, bei denen die Orbitalwände erhalten bleiben
und nach temporärer Resektion eines Teiles der vorderen Stirn¬
höhlenwand und des Nasengerüstes die oberen Nebenhöhlen m Be¬
handlung genommen werden. Ihre Anwendung ergibt ein sehr gutes
kosmetisches Resultat, ist aber nur ausnahmsweise möglich da relativ
selten eine tiefe und nicht zu hohe Stirnhöhle mit dünner vorderer W and
und wenig lateral entwickelten Siebbeinzellen, breiterem Nasengerus
und stark vorspringendem inneren Augenwinkel anzutreffen ist. Nach
den osteoplastischen Methoden bleibt ein mit Schleimhaut bedeckter
Hohlraum, bestehend aus Stirnhöhle und ausgeräumten orbitalen -ieb-
beinzellen zurück, der durch einen neu hergestellten Ausfuhrungs-
gang in den oberen Abschnitt der Nasenhöhle und den unteren aus¬
geräumten Bezirk des Siebbeins führt. Dass dieser Hohlraum sich
an allen Schnupfenanfällen mit stärkerer oder geringerer Abson¬
derung beteiligt, ist selbstverständlich. Die Anfälle sind jedoch m
der glatten, grossen Höhle ganz unbedenklich, so lange wie die weite
Lichtung der nasalen Stirnhöhlenöffnung nach der Operation erhalten
bleibt. Wird sie durch Narbenstränge verlegt, dann kann die Ver¬
ödung des oberen Nebenraumes noch später nötig werden.
Da mit allen Operationsmethoden, die durch partielle (Spangen¬
bildung) oder gänzliche Erhaltung der vorderen Stirnbeintafel oder
durch Osteoplastik auf das kosmetische Resultat bedacht sind, eine
gewisse Unsicherheit des definitiven Erfolges verbunden ist, und da
die Verödung der oberen nasalen Nebenräume nur dann mit einer
massigen weniger auffälligen Entstellung zu erreichen ist. wenn
Grösse und Tiefe der Stirnhöhle gewisse Grenzen nicht überschreiten,
so ist es ganz natürlich, dass der Entschluss zu äusseren Eingriffen,
falls unter endonasaler Therapie sich die subjektiven Beschwerden
verlieren, solange als möglich hinausgeschoben wird, auch wenn eine
Heilung der Stirnhöhlenerkrankung nicht erzielt wird. Die kompli¬
zierten anatomischen Verhältnisse erklären es auch, warum in dem
einen Falle zuweilen nur ein gründlicher endonasaler Eingriff zur
Besserung des Zustandes genügt, in anderen Fällen, in welchen von
den endonasalen nicht erreichbaren, latenten Siebbeinzellen immer
neue Nachschübe (Eiterungen, Polypcnbildung) erfolgen, wiederholte
endonasale Operationen nötig sind. Es handelt sich hier nicht um
eine Polypragmasie, sondern um Versuche, den äusseren Eingriff,
vor allem die Verödung der Stirnhöhle zu umgehen, welcher zwar
Heilung aber bei grossem Sinus frontalis und weit lateral liegenden
Siebbeinzellen eine schwere dauernde Gesichtsentstellung zur Folge
hat. und den die geklagten Beschwerden und die Art der Infektion
nicht immer ausreichend motivieren.
Bei tiefen Stirnhöhlen ist es nun sehr gut möglich, nach Aus¬
räumung der frontalen Siebbeinzellen in die Stirnhöhle emzudrmgen.
schonend den zwischen den oberen frontalen Siebbemzellen ge-
fegenen Ausführungsgang zu erweitern und eine endonasale Therapie
daselbst einzuleiten, wie dies kürzlich Ritter empfohlen hat. Man
kann mit dem Vorgehen unter Umständen die äussere Operation ganz
umgehen oder lange hinausschieben.
Wie sich der praktische Arzt zu den modernsten Kunstope-
rationen stellen will, bei denen man mit einer, einen Schützer für die
hh te e Stirnhöhlenwand tragenden Trephine von der Nasenhöhle her
den Agger nasi, die vordere Stirnhöhlenwand und dann den Stirn¬
höhlenboden abschleift, oder bei denen man mit einem i S t a c k e schen
Meissei die gleiche Prozedur ausübt, bleibt seinem Verantwortungs¬
gefühl nach den obigen Ausführungen uberlassen.
Die nicht zu kontrollierenden Kunstoperationen sind .anatomisch
möglich Es ist aber unmöglich, gewisse gefährliche Varietäten, bei |
denen die Crista galli sehr nahe der vorderen Wand auch einer
nach der Profilröntgenaufnahme scheinbar grossen und tiefen Stirn- J
höhle anliegen kann, vorher sicher durch Ron genbilder festzustellen
Was dabei angerichtet werden kann, bedarf keiner weiteren Be¬
schreibung Zu bedenken ist, dass die genannten Kuns Operationen
in einem infizierten Gebiet vorgenommen werden. Wenn in der
Mehrzahl der Fälle die chronischen Stirnhohleneiterungen auch gut¬
artige Infektionen sind, so dürfen doch nicht immer die unkontrolliert
baren Nebenverletzungen an den gesunden Knochen so ganz gleich¬
gültig sein. Ferner ist zu erwägen, dass auch bei dem gutartigen
Charakter vieler Stirnhöhlenentzündungen - nicht die Veränderungen
der Stirnhöhlenschleimhaut, sondern die der Siebbemzellen und zwar
der Zellen, die über dem oberen Orbitaldach liegen, das wesentlich!,
sind. Es wird nun zwar vor Beginn der Kunstoperationen endonasal
das Siebbein ausgeräumt. Es ist aber nach den gemachten Aus¬
führungen auch ohne weiteres klar, dass die weit lateral liegende!
orbitalen Zellen weder endonasal bei der Siebbemausraumung noch
mit den Drehungen der Trephine oder dem Stack eschen Meisse
zu erreichen sind. Für den Rhinologen sind die Operationen, weicht,
mit Meissei und Trephine gegen die Stirnhöhle vorgehen. nicht dis
kutabel und weder mit chirurgischen noch nnt rhinochirurgischer
Vorstellungen vereinbar.
Bücheranzeigen und Referate.
A Strümpell: Lehrbuch der speziellen Pathologie und The
rapie der inneren Krankheiten. 2 Bände mit 240 Abbildungen n
Text und 10 Tafeln. Neunzehnte, vielfach verbesserte und vermehrt
Auflage. Leipzig. Verlag von F. C. W. Vogel. Preis geb. 24 Ir
Die Tatsache, dass der 18. Auflage nun nach knapp 2 Jahre
die 19. folgt, beweist mehr, als jedes spezifizierte Lob die ungemein
Popularität und grosse Nützlichkeit des bekanntesten Lehrbuches de
inneren Medizin. Dass die neue Auflage wirklich „vielfach vei
bessert und vermehrt“ ist, lehren sowohl der Text in zahlreiche
Erweiterungen, insbesondere über neue diagnostische und tner<
peutische Verfahren, als auch die erhebliche Vermehrung der lex
abbildungen und vorzüglichen Tafeln.
Der Autor bekennt in seinem Vorwort in vorbildlicher Besehe
denheit, er sei sich wohl bewusst, dass der auf irgend einem Gehn
besonders erfahrene Leser hie und da eine wesentliche Lucke oüt
eine irrtümliche Angabe in seinem Buche finden könne. Das ist ta
sächlich so, aber es kann m. E. auch kaum anders sein. Denn w<
uns längeren auf Grund intensiver (oft etwas hypertrophische
publikatorischer Bearbeitung gesichert oder zum mindesten auch !'
ein Lehrbuch mitteilenswert erscheint, dünkt dem vielerfahrem
Aelteren, der schon viel hohe Wellen medizinischer Arbeit (und Morn
verebben sah, vielleicht kurzlebig und unsicher. So ist z. B. u
Schwierigkeit, gerade die heutige Diagnostik und Therapie viel
Blutkrankheiten dem Studenten zu explizieren, enorm; die Lehre vo
hämolytischen Ikterus und essentieller Anämie, das komplizier
System der verschiedenen „pseudoleukämischen“ und „aleukan
sehen“ Krankheitsbilder, die Strahlentherapie der BlutkrankheiU
die Benzoltherapie der Leukämie, die wieder so aktuelle krage ü
Milzexstirpation bei der perniziösen Anämie u. v. a. sind so
Flusse der Diskussion, dass man es Strümpell nicht verarg
kann, auf diese Dinge nicht näher eingegangen zu sein, so sehr di
auch mancher Arzt und studentischer Schüler jüngerer Kliniker i
dauern mag. Der Autor hat recht, wenn er sich auf den Stai
punkt stellt, dass er kein Handbuch, keine Kompilation des u
samten Wissens und Forschens bieten kann und will, sondern ei
Darstellung des jetzigen Standes unserer Wissenschaft „unter nun
Ziehung der Ergebnisse des eigenen Beobachtens und Nachdenken,
also ein individuelles Lejirbucli. In diesem Sinne wollen wir i
der dankbaren Pietät des ehemaligen Schülers die neue Auflage i
grüssen und auf noch viele weitere „verbesserte Auflagen“ hohen. •
der nun weltberühmte „Strümpell“ dem Gesetz der Vergänghcnk
folgend, durch das Werk eines Jüngeren abgelöst wird. Die Aussu-
hierzu scheint aber fürs erste gering. Denn wer sollte den Mut nah j
dies heutzutage ausserordentlich schwierige Werk zu unternehmen
Hans C urschmann - Mainz
18. August 19M
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ES 1 5
A. B a c ra e i s t e r - Freiburg: Die Entstehung der menschlichen
Lungenphthise. Berlin, Julius Springer, 1914. 70 Seiten. Ge¬
heftet M. 2.40.
ln dem vorliegenden Buche hat der Verf. die Resultate seiner
ausserordentlich verdienstvollen Forschungen zusammenhängend
niedergelegt. Er betont scharf, dass sich seine Ausführungen nur auf
die typische Lungentuberkulose beziehen. Durch seine bekannte
Methode der Erzeugung von richtiger Lungenphthise bei Kaninchen
und Meerschweinchen konnte er die alte Frage der aerogenen oder
hämatogenen Entstehung der ersten Infektion definitiv dahin zum
Austrag bringen, dass beide Wege dem Tuberkelbazillus offen stehen,
wenn auch die Aufnahme der Bazillen auf dem Luftwege etwas im
Vordergründe zu stehen scheint. Zum Ausgangspunkt der Lungen¬
phthise kann jeder primäre tuberkulöse Herd werden, der sich
irgendwo im Körper befindet. Stets ist in diesem Falle das Blut der
Vermittler. Auch die wichtige Frage, ob die Lungenphthise immer
durch eine Reinfektion entsteht, oder ob eine Erstinfektion sogleich
zur Phthise führen kann, wie Orth annimmt, hat Verf. wenigstens
für die Versuchstiere zu beantworten vermocht: In jedem Falle war
eine richtige Phthise nur dann zu erhalten, wenn schon eine frühere
Infektion im Körper haftete.
Ueber die Fragen der Disposition, der Immunität und der Be¬
deutung der Kindheitsinfektion könnte man mit dem Autor an man¬
chen Punkten rechten, aber hier ist noch zu viel hypothetisch. Dass
er uns aber an manchen Punkten, über die schon unendlich viel
Tinte geflossen ist, auf sicheren Boden gestellt hat, das ist nicht hoch
genug einzuschätzen, und die Tatsachen, die er uns erschlossen hat,
sollten jedem Arzte durchaus geläufig werden.
L. S a a t h o f f - Oberstdorf.
A. G r e g o r: Lehrbuch der psychiatrischen Diagnostik. Berlin,
Verlag von S. Karger, 1914. VIII und 255 Seiten. Preis M. 4.80.
In knapper und wohltuend unkomplizierter Form werden die
allgemeinen und speziellen diagnostischen Probleme erörtert. Unter
den von dem Autor verwerteten psychiatrischen Symptomen
herrschen die K r a e p e 1 i n sehen Anschauungen vor, ohne dass eine
völlige Festlegung nach dieser Richtung zu bemerken ist.
Das Buch wird besonders dem Anfänger von Nutzen sein, da
es ihn in alle wesentlichen Fragen einführt, ohne ihm die Aufnahme
eines sehr umfangreichen spezialwissenschaftlichen Ballastes zuzu-
muten. Plaut.
Therapeutische Technik fiir die ärztliche Praxis. Ein Handbuch
i:ir Aerzte und Studierende, herausgegeben von Professor Dr. Julius
Schwalbe, Geh. Sanitätsrat. Mit 126 Abbildungen. 4. verbesserte
und vermehrte Auflage. Leipzig 1914. Verlag von G. T h i e m e.
Seitenzahl 1095. Preis 24 M.
Das Erscheinen der ersten Auflage liegt erst 7 Jahre zurück und
unsere günstige Prognose über das Werk hat sich erfüllt. Auch in
der ärztlichen Technik spiegelt sich die lebhafte Fortbewegung
unserer Wissenschaft so stark wieder, dass auch diese jüngste, knapp
nach der 3. Auflage folgende 4. Ausgabe eine grosse Reihe von Er¬
gänzungen aufweist. Hinzugekommen sind z. B. Kapitel über die
Diathermie und die Behandlung nach Bergonie von Professor
R i e d e r - München, die -Technik der Ernährung des gesunden und
kranken Säuglings von K ö p p e - Giessen, die allgemeine Technik
der Laparotomie und die chirurgische Behandlung der Peritonitis von
Prof. W e r n e r - Heidelberg. Neu bearbeitet ist die Technik der
Augenheilkunde (früher Eversbusch - München, gestorben) durch
v. Hess und L o h m a n n - München. Durchgreifende Verände¬
rungen erfuhr der Abschnitt über die Technik der Frauenheilkunde
(Prof. Fritsch) durch Stöckel- Kiel. Die Syphilisbehandlung,
Strahlentherapie gehören zu den Abschnitten, welche starken Zu¬
wachs erfahren haben. Auf den allgemeinen Charakter des hier
wiederholt besprochenen hervorragenden Werkes brauchen wir wohl
kaum mehr hinzuweisen. Das Werk ist durch die Gediegenheit des
textlichen Inhaltes, für welche die Persönlichkeiten der zahlreichen
Mitai beiter bürgen, durch die ganze umfassende Bearbeitung des so
wichtigen und ausgedehnten Gebietes, welche kaum je im Stiche
lässt, für den ärztlichen Praktiker fast unentbehrlich geworden, die
allermeisten Abbildungen sind nicht nur technisch gut, sondern auch
besonders von wirklichem didaktischen Werte.
Dr. Karl Grass m a n n - München.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie.
1914, Heft 7.
A. Fischer und L. Katz- Berlin: Zur röntgenologischen Be¬
stimmung der Verweildauer von vegetabiler und Kuhmilch im Magen,
nebst einer Kritik der Kapselmethode.
Schluss folgt.
B. I)et ermann: Ueber das Wüstenklima.
Schluss folgt.
A. K a k o w s k i - Kiew : Die Kürbisbehandlung der Oedeme.
Schluss.)
lm L Teil der Arbeit gibt Verf. eine Uebersicht über die Diu-
'etika und führt einige eigene Erfahrungen mit weniger häufig ge¬
brauchten Mitteln an. Verschlimmerung der Nephritis sah er bei
Kranken, die rohe Zwiebel (240 g) gegessen oder Pcrubalsam (20 und
24 g) gebraucht hatten: das gleiche war nach Chlorkalzium der Fall
(10 läge 1,0 g). Ziegenserum blieb wirkungslos, ebenso Nieren-
®xtrakt. — Im 2. Teil berichtet Verf. über seine Erfahrungen mit der
Kürbisbehandlung der Oedeme. Er beschreibt ausführlich 10 Fälle
von Nephritis, in denen die Wirkung ausgezeichnet war (siehe
Tabellen!). Die Kranken assen täglich 4 — 6 Pfund mit Milch oder
Wasser gekochten Kürbisbrei. Es trat starke Diurese, Gewichts¬
abnahme, Verschwinden der Oedeme, des Eiweisses, der Zylinder ein.
Verf. nimmt an, dass die im Kürbis wirksamen, noch unbekannten
Stoffe nur die Osmose in den Glomerulis begünstigen, die Niere nicht
ixizen, sondern weitgehend schonen und sich -so von allen anderen
Diuretizis unterscheiden. L. Jacob- Würzburg.
Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 31, 1914.
Dr. E. A. L ü k e n - Leipzig: Ueber Trikotschlauch-Mastisol-
Extensionsverbände. (Siehe Fcldärztl. Beilage.)
Dr. Sophus W i d e r ö e - Christiania: Mobilisation der Bauch¬
wand bei grossen Ventralhernien.
Verf. hat. einen rechtseitigen Leistent^uch, der trotz 4 maliger
Operation wie der rezidivierte, durch Mobilisation der Bauchwand
folgendermassen operiert. Nach Exzision der Narbe Schnitt bis zum
Tubercul. pubic., Freilegung des Ligam. Poupart., Loslösung des
M. rectus und pyramidal, mitsamt dem Periost, dann Zug der Bauch¬
wand nach rechts zur Deckung des Defektes, wobei das rechte Bein
bis 80° im Hüftgelenk gebeugt wird. Jetzt folgt Naht der gelösten
Muskelinsertion mit Seide am Pecten oss. pub. u. Tuberc. pubic., Ver¬
einigung der beiderseits vom Bauchbruch herauspräparierten Musku¬
latur, die nun ohne Zug gelingt; doppelte Fasziennaht in zwei Etagen.
Gleich nach der Operation steht der Nabel in der rechten Pararektal¬
linie; nach 10 Tagen steht er wieder an normaler Stelle. Bis jetzt
(nach 2 Monaten) ist der Erfolg der Operation befriedigend.
E. H e i m - Oberndorf b. Schweinfurt.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Band 79. Heft 5.
H. S c h e 1 b I e - Bremen : Zur enteralen Infektion im Säuglings¬
alter. (Mit 21 Kurven im Text.)
Mitteilung einer enteralen Hausinfektion, wohl hervorgerufen
durch „schlechte Milch“, ohne dass es gelang, den Infektionserreger
oder das toxische Moment näher zu charakterisieren. Typhus, Para¬
typhus und Dysenterie (Kruse und F 1 e x n e r) scheint nach den
Untersuchungen nicht Vorgelegen zu haben. Die klinischen Daten
bringen keine Entscheidung, ob Infektion oder verdorbene Milch die
Ursache der Störungen gewesen ist.
A. S p i e c k e r - Wiesbaden: Beiträge zum Studium der here¬
ditären Lues des Nervensystems (Friedreich scher Symptomen-
komplex). (Aus der Universitäts-Kinderklinik [Prof. Dr. K o e p p el
in Giessen.)
Mitteilung zweier einschlägiger Fälle, die mit dem sehr
wechselnden Symptomenkomplex der hereditären Ataxie eine
klinisch nicht zu trennende Uebereinstimmung aufweisen. Verf. lässt
dabei die Frage offen, ob es sich dabei um eine wirkliche Fried¬
reich sehe Krankheit auf der Basis der Heredosyphilis handelt.
S p i e c k e r schliesst sich eher der Ansicht Schobs an, dass es
bei derartigen Beobachtungen sich um Krankheitsbilder handele, die
dem Friedreich sehen Symptomenkomplex ähnlich seien und die
auf luetischer Basis beruhen. — Weitere Aufklärungen müssen patho¬
logisch-anatomischen Untersuchungen Vorbehalten bleiben.
Leonhard Frank und Ernst Schloss: Zur Therapie der
Rachitis. 4. Mitteilung. Vergleichende Untersuchungen über die
Wirkung des Lebertran und Phosphorlebertran beim künstlich ge¬
nährten rachitischen Kinde. (Aus der ehern. Abteilung [Dr. Fend-
ler] des Untersuchungsamtes der Stadt Berlin [Direktor: Geh. Rat
Proskauer] und aus dem Grossen-Friedrichs-Waisenhaus der
Stadt Berlin in Rummelsburg [Chefarzt: Prof. E. Mülle r].) (Hierzu
4 Kurven im Text.)
Vor allem ist auf eine deutlich eiweisssparende Wirkung des
Lebertrans und des Phosphorlebertrans beim künstlich ernährten
Kinde hinzuweisen; die N-Bilanz wird durchgängig erheblich ver¬
bessert: es steht dieser Befund im Gegensatz zu den Resultaten beim
natürlich genährten Kinde. Die Kalkretention steigt unter Dar¬
reichung von Lebertran und Phosphorlebertran gleichmässig gewaltig
an, worauf die klinische Besserung der Rachitis in erster Linie be¬
ruht. Der Zusatz von Phosphor spielt dabei in den mitgeteilten
Fällen keine wesentliche Rolle. Der Phösphorumsatz geht fast durch¬
gängig dem Kalkumsatz parallel. Dagegen folgt die Magnesia nach
den Autoren anderen Gesetzen. Das in dieser Versuchsreihe er¬
hobene Ergebnis spricht für die schon früher gemachte Angabe, dass
bei florider Rachitis bei einer Kalkberaubung eine übernormale Ein¬
lagerung von Mg 0 stattfindet (vikariierender Vorgang, Ref.), die bei
der Heilung wieder zurückgeht. — Im Alkalienumsatz bringt die Medi¬
kation keinerlei ausgesprochene Aenderung der Verhältnisse hervor.
Ed. H a u d r i c k : Zur Entstehung der eitrigen Parotitis im Kindes¬
alter. (Ausr der Säuglingsstation des Krankenhauses Altstadt in
Magdeburg [Oberarzt: Prof. Dr. H. Vogt].) (Hierzu 1 Abbildung
im Text.) Kasuistische Mitteilung.
Hans Schi rokauer: Der Zuckerstoff verbrauch beim Lympha-
tir.mus der Kinder. (Aus dem Kvl. mediz.-poliklin. Institut der Uni¬
versität Berlin [Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. G o 1 d s c h e i d e rj.)
1816
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 33.
Verf. fand bei einer Reihe lymphatischer jugendlicher Individuen
den Blutzuckergehalt als Nüchternwert teilweise vermindert, 0,100 bis
0,120 Proz. Nach Belastung des Zuckerstoffwechsels durch ver¬
schiedene Zuckerarten findet man eine erhöhte Toleranz, die sich
besonders darin ausspricht, dass neben den geringen Blutzucker-
werten auch im Harn keine Zuckerausscheidung auftritt. Mit diesen
Hyperfunktionen gehen gewisse funktionelle Störungen in der Rich¬
tung der Abschwächung der Funktion des Adrenalsystems einher.
Rudolf Fisch! -Prag: Experimentelle Untersuchungen zur
Analyse der Thymusextraktwirkung. (Schluss.)
Die in 27 Schlusssätzen zusammengefassten Ergebnisse der
Versuche Fisch ls müssen im Original nachgelesen werden: zu
kurzem Referat ungeeignet. Literatur.
Literaturbericht von A. Niemann- Berlin.
O. Rommel- München.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
77. Band, 1. u. 2. Heft.
J. Donath: Ueb<y den Einfluss der Nebennierenexstirpation
und des d-Suprarenins auf die Blutkonzentration bei Katzen.
(Pharmakol. Institut Wien.)
Nach Exstirpation der Nebennieren tritt Vermehrung des Blut-
treckenriickstandes ein infolge Ausfalls des Adrenalins, wodurch die
Permeabilität der Blutgefässe und Kapillaren erhöht wird. Es tritt
so auch bei normalem oder niedrigem Blutdruck Flüssigkeit aus dem
Blut in die Gewebe über. Das Gegenteil ist bei Anreicherung des
Blutes mit d-Suprarenin der Fall; nur akute Blutdrucksteigerung führt
auch zur Bluteindickung, wenn nicht schon Abdichtung der permeablen
Gefässwand eingetreten ist.
M. C 1 o e 1 1 a und E. W a s e r : Ueber den Einfluss der lokalen
Erwärmung der Temperaturregulierungszentren auf die Körper¬
temperatur. (Pharmakol. Institut Zürich.)
B a r b o u r hatte angenommen, dass das im Fieber überhitzte
Blut auf das Wärmezentrum beruhigend wirke und so ein Steigen
der Körpertemperatur ins Ungemessene verhindere. Die Verfasser
haben mit anderer Methodik (Erhöhung der Temperatur in den
Seitenventrikeln durch Diathermie) jedoch gefunden, dass Erwärmung
des Zwischenhirns bei normalen und bei fiebernden Tieren zur
Steigerung der Darmtemperatur führt, dass ein gleichzeitiger Wärme¬
stich zu raschem Ansteigen der Temperatur der Ventrikel führt.
Sie glauben daher, dass durch die Erwärmung der Temperatur¬
regulierungszentren keine Beruhigung, sondern eine Erregung ge¬
schaffen wird.
Fr. R o 1 1 y und A. Christiansen: Beitrag zum Stoffwechsel
im Kochsalzfieber. (Med. Klinik Leipzig.) .
Bei Kaninchen trat nach Injektion konzentrierter (3 proz.) NaCl-
Lösungen Fieber mit vermehrter N-Ausscheidung und Steigerung des
respiratorischen Stoffwechsels ein; wahrscheinlich sind dies Wir¬
kungen von Schädigung der Körperzellen, wodurch eiweisshaltige
Zellbestandteile frei werden.
E. Starkenstein: Ueber die pharmakologische Wirkung
kalziumfällender Säuren und der Magncsiumsalze. (Pharmakol. In¬
stitut Prag.) , ' , , ....
Das gleiche Vergiftungsbild wie die Oxalsäure rufen die Na-
Salze der Ortho-, Pyro- und Metaphosphorsäure, der Inositphosphor-
säure und der Fluorwasserstoffsäure hervor, es lässt sich ebenfalls
durch Kalziumchloridinjektion aufheben oder vermeiden. Das Herz
schlägt langsamer, der Blutdruck sinkt, die Temperatur steigt, die
Blutgerinnung wird gehemmt. — Magnesiumsalze werden durch
Kombination mit kalziumfällenden Salzen vollkommen entgiftet.
Secher: Untersuchungen über die Einwirkung des Koffeins auf
die quergestreifte Muskulatur. (Pharmakol. Institut Kopenhagen.)
Das Koffein wirkt nur auf die quergestreifte Muskulatur der
Wirbeltiere, nicht bei Mollusken, Arthropoden und Amuliden. Unter
den Wirbeltieren sind die Säugetiere am widerstandsfähigsten, dann
folgen die Vögel, schliesslich die Kaltblüter. Die histologischen Ver¬
änderungen sind reversibel, destillierte Muskelfasern können sich
regenerieren.
P. Jungmann: Ueber die Beziehungen des Zuckerstichs zum
sog. Salzstich. (Med. Poliklinik Strassburg.)
Die Piqüre in der Medianlinie der Rautengrube nach Claude
B e r n a r d führt ebenso zu Polyurie und Hyperchlorurie wie der
Stich an bestimmter Stelle, des Funniculus teres. Die Wirkung geht
über den Splanchnikus und bleibt nach Durchschneidung desselben
aus. Sie beweist die nervöse Beeinflussung der Nierenfunktion.
M. Wetzel: Ueber das Verhalten des Komplementes bei der
Pankreatin Vergiftung. (Med. Klinik Marburg.)
Bei Einwirkung aktiver Pankreatinlösung auf komplement¬
haltiges Meerschweinchenserum tritt in vitro regelmässig eine Kom-
plementabnahme ein, die bei Verwendung von inaktiver Lösung fehlt.
Man kann daraus schliessen. dass, wie Dörr glaubt, das Komple¬
ment in unspezifischer Weise am anaphylaktischen Vorgang be¬
teiligt ist. L. J a c o b - Würzburg.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 30, 1914.
Gr ob er- Jena: Behandlung akut bedrohlicher Zustände beim
Pneumothorax.
Klinischer Vortrag mit 3 Krankengeschichten. Ausser der Ent¬
fernung übermässiger Luftmengen und des, Exsudates kommt die
baldige und ausgiebige Anwendung von Narkotizis und die Anregung
der Herztätigkeit vor allem in Betracht.
R. Kraus und B. B a r b a r a - Buenos Aires: Zur Frage der
Züchtung des Lyssavirus nach H. N o g u c h i.
Die Verfasser konnten nach den Angaben N o g u c h i s die von
ihm beschriebenen Körperchen züchten und in allen ihren Formen
zum Nachweis bringen, am besten mit der H e i d e n h a i n sehen
Färbung. Dagegen gelang es nicht, mit den Kulturen experimentell
Lyssa zu erzeugen. Weiter haben die Verfasser aber, wie Vol-
p i n o, aus steriler Aszitesflüssigkeit durch Färbung (Heiden¬
hain und auch G i e m s a) Körperchen dargestellt, welche genau den
mikroskopischen Befunden Noguchis entsprechen. Es ist daher
bezüglich der Natur der N o g u c h i sehen Körperchen noch ein ge¬
wisser Vorbehalt zu machen.
H. M. Evans- Baltimore-Breslau und W. Schulemann-
Breslau : Die vitale Färbung mit sauren Farbstoffen in ihrer Bedeutung
für pharmakologische Probleme.
F. W i 1 b o r n - Breslau: Kolloidchemischer Beitrag hierzu.
Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet.
K. Klieneb erg er -Zittau: Agglutinationstiter bei Infektions¬
krankheiten, insbesondere bei Typhus und Paratyphus.
Namentlich bei Typhus und Paratyphus hat Verf. gefunden, dass
der Titerverlauf der W i d a 1 sehen Reaktion recht häufig bisher nicht
bekannte, vorübergehende, abnorm hohe Agglutinationswerte auf¬
weist. An 8 Typhusfällen wurden Agglutinationstiter von 1:640.
einmal 1:2560, dreimal 1:10 240, zweimal 1:81 920, einmal 1:163 840
erreicht. Demnach sind die Angaben, dass bei Typhus Werte von
1 : 2000 selten, 1 : 20 000 unglaublich hoch seien, nicht aufrecht zu
erhalten.
A. M a y e r - Frauendorf-Stettin: Erfahrungen mit dem Tuber¬
kulin Rosenbach bei 1. ungentuberkulose.
Gute Erfahrungen an 31 Fällen, von denen je etwa ein Drittel
den drei Stadien angehörten; 9 wurden geheilt, 18 gebessert. Die
Vorzüge des Präparates sind geringe Giftigkeit, leichte Dosierbarkeit,
gute Bekömmlichkeit. Die mehrfach berichteten starken Stichreak¬
tionen fehlten, doch scheint das Präparat nicht völlig konstant zu sein.
M. H e n i u s - Berlin: Zur medikamentösen Behandlung der
Diarrhöen.
Verf. empfiehlt angelegentlich die durch Fuld eingeführte
Kokaintherapie der Diarrhöen, von denen ein grosser leil auf gastro-
gener Grundlage beruht und durch Anästhesierung der Magenschleim¬
haut (Herabsetzung der krankhaften Reflexerregbarkeit) günstig be¬
einflusst wird. Eine einfache und sichere Form der Darreichung sind
die Gelonida neurenterica (G o e d e c k e & Cie., Berlin), welche je
0,005 Kokain enthalten und wovon 3 mal 3 Tabletten vor der Mahlzeit
zu geben sind. Als besonders zugänglich für die Behandlung haben
sich nervöse Diarrhöen, die Diarrhöen „post prandium“ und manche
chronische Diarrhöen verschiedener Aetiologie gezeigt.
E. Harnack - Halle a. S.: Chronische Kupfervergiftung durch
das Tragen von schlechter Goldlegierung im Munde.
Beschreibung eines Falles schleichender Erkrankung mit Appetit¬
verlust, Erbrechen, heftigen Koliken, Meteorismus, Zittern und
Schwäche der Muskeln, Kräfteverfall etc. Mit Entfernung der Zahn¬
brücke, welche zu kaum % aus Gold, zu 2,3 vorwiegend aus Kupfer
gefertigt war, trat allmähliche Genesung ein. Verf. nimmt eine chro¬
nische Kupfervergiftung als wahrscheinlich an, wie eine solche gerade
durch die Zersetzungsverhältnisse in der Mundhöhle lebhaft unter¬
halten v'erden kann; eine derartige Vergiftung kann direkt lebens¬
gefährlich werden. Daher sollen Zahnärzte dauernd zu tragende
Prothesen nur aus purem Gold, jedenfalls nicht aus Legierungen mit
Kupier oder Zink anfertigen.
h. S t e r n - New York: Ein Frühsymptom der perniziösen An¬
ämie.
Das von Ossian Schaumann als kardinales Frühsymptom
der perniziösen Anämie erkannte Wundsein der Zunge und des
Gaumens hat Verf. im Beginn zweier Fälle von echter perniziöser
Anämie beobachtet. Wahrscheinlich ist die Zungenaffektion nicht die
Folge der Anämie, sondern einer unbekannten gemeinsamen Schäd¬
lichkeit.
E n g e 1 e n - Düsseldorf: Brachialiswellenbeschreibung.
Beschreibung des neuen Registrierapparates und der Technik.
L N i e s z y t k a - Tapiau: Untersuchungen zum Abderhalden-
verfahren, • I
Zusammenfassung: Im Tierversuch lassen sich bisweilen diffe¬
rente Fermente gegen differente Abschnitte des Nervensystems er¬
reichen. Ob bei Kranken dasselbe zutrifft, ist weiter zu prüfen. Der
Grad der Fermentspezifität hängt von der Eiweissreinheit des
Antigens ab, anscheinend auch von dessen Resorptionsgeschwindig-
keit. Gegen die behauptete Identität zwischen Fermenten und Ambo¬
zeptoren sprechen verschiedene Erscheinungen. Die Verbesserung
der Technik lässt die Darstellung organspezifischer Präzipitine er¬
warten
M K a t z e n s t e i n - Berlin: Die Gerbung der Bänder zur Hei¬
lung des Plattfusses und anderen Knochendeformitäten.
Vorgetragen in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie. Siehe
Bericht M.m.W. 1914 S. 674.
M. W i 1 h e 1 m - Berlin-Weissensee: Ein Beitrag zu den ner¬
vösen Aequivalenten im Säuglingsalter.
7 Monate altes neuropathisches Kind litt monatelang an unstill¬
barem, erschöpfendem Erbrechen. Dieses kam in kurzer Zeit zum
18. August 1914. _ MUENCHENEK MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Stillstand nach dem Auftreten einer Nasendiplitherie. Nach zirka
6 Tagen Entfieberung und alsbald Wiedereintritt des Erbrechens, das
wieder aussetzt nach dem Eintritt einer tödlichen Bronchopneumonie.
Pie Erklärung dieser Erscheinung kann darin bestehen, dass die
schwere Erkrankung als Hemmnis für einen monatelang bestandenen
bedingten Reflex wirkte.
J. S c h u m a c h e r - Berlin: Vortäuschung von Eiweiss nach
Hexamethylentetramin.
Zusammenfassung: Die von Schmiz beschriebene Reaktion
\ on ncxamethylentetraminurinen beim Erwärmen mit Kaliumpikrat
ist nicht spezifisch. Die betr. durch Reduktion des Kaliumpikrats
entstehende Verbindung ist ein Aminophenolkürper. Daher geben
auch Dextrose, naszierender Wasserstoff u. a. die Reaktion. Bei
He.xamethyltetraminurinen wird die Reaktion durch die reduzierende
Eigenschaft des E'ormaldehyds bedingt. Zur Feststellung von Hexa¬
methylentetraminabkömmlingen dient am besten eine Formaldehyd¬
reaktion. Bei der quantitativen Zuckerbestimmung nach Fehling
soll auf das Vorhandensein von Hexamethylentetraminderivaten im
Urin geachtet werden.
H L o hn s t e i n - Berlin: Ein Urethroskop zur Hochfrequenzbe¬
handlung von Affektionen der Harnröhre und des Blasenhalses.
Beschreibung des Instrumentes.
A. S c h a n z - Dresden: Bandagen für Appendizitisnarben und
Bauchbrüche.
Die von Sch. angegebene Bandage strebt an, den Widerhalt der
gefährdeten Stelle der Bauchwand bis zur Norm zu heben und ver¬
wendet eine unverschieblich auf der Narbe sitzende elastische Beutel¬
pelotte, wie sie Verf. in der M.m.W. 1901 fiir die Herstellung eines
Bruchbandes angegeben hat.
Rückgang der Säuglingssterblichkeit.
Nach einer Zusammenstellung des Kais, statistischen Amtes.
R.Beneke: Wege und Ziele des Unterrichtes in pathologischer
Anatomie an der Universität Halle.
F Frank- Köln: Ferdinand Adolf Kehrer.
Nachruf.
H. B o r u 1 1 a u - Berlin : L. Hermann.
Nachruf.
Korrespondenzen.
E. Rautenberg - Berlin-Lichterfelde : Zur Geschichte der
\ orhofregistrierung.
Erklärung zu einer Aeusserung von Leon Fredericq.
O. Bondy: Bemerkungen zu der Erwiderung des Herrn Ro-
'enstein. (D.m.W. Nr. 25.)
P. Rosenstein: Erwiderung. B e r g e a t - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 32. H. B a r d a c h - Wien: Die Durchleuchtung von Blut-
tefässen und die Drosselung des arteriellen Gefässrohres.
Die elastische Ligatur mit zarten Gummischläuchen hat für
ihysiologische und pathologische Experimente den Vorzug des ein-
achen Sehlingens und raschen Oeffnens des Knotens. Sie kann auch
tuf kurze Zeit in einer geschlossenen Wunde belassen werden. Die
.latte Oberfläche und Undurchlässigkeit des Kautschuks erleichtern
üe Sterilisation. Mittels Durchleuchtung von Blutgefässen hat Verf.
^ei doppelter Ligatur eine sonst schwer wahrnehmbare rückläufige
sation an der Karotis festgestellt; er sah auch flüchtig auftretende
ulsationen und Pulsbeschleunigungen, Diffusionsströmungen, be¬
hende Gerinnung und interessante Stauungsbilder an der Vasa I
asorum. Eine wesentliche Milderung des elastischen Druckes lässt
ich durch eine „Drosselungsspange“ erreichen.
R. Löwy-Wien: Zur Frage der neurotropen Wirkung des
'alvarsans.
Aus mehreren Krankengeschichten lässt sich der Schluss ab-
’ff.*”1?’- dem Salvarsan nicht an sich eine besondere toxische
‘ il-’tät zum Nervengewebe zukommt, sondern dass nur eine indirekte
chadigung bei besonderer Disposition des Kranken, ferner bei
egenerationsprozessen, z. B. der Leber oder Nieren, insbesondere
ber bei schwereren Degenerationsvorgängen an den Blutgefässen
lattfindet.
A. v. Iorday: Zur Prognose der Lungentuberkulose.
Verf. erörtert die zahlreichen für die prognostische Beurteilung
mes Tuberkulosefalles in Betracht kommenden Gesichtspunkte.
R. Monti-Wien: Die Dermoide des Samenstranges.
Die Literatur enthält bisher 8 Fälle von Dermoiden des Samen¬
ranges. Verf. beschreibt einen Fall eines echten innerhalb des
eistenkanals gelegenen Epidermoides. Die richtige Diagnose konnte,
>e in den anderen Fällen, erst bei der Operation gestellt werden.
v. S c h i 1 1 e r - Wien: Zement als Blutstillungs- und Plomben-
nterial bei Schädeloperationen.
Schädeloperationen am Hunde hat Sch. zur Blutstillung
eribsiertes Kalzium-Aluminium-Silikat (Zement) verwendet; nach
eichmässiger Durchtränkung mit Blut bildet sich eine plastische
asse, die zur Ausfüllung der blutenden Knochen wunde dient, ziem¬
en rasch erhärtet und reaktionslos einheilt. Es ist zu erwarten,
lSSHn\v'e-Ser ^eise der Zement sich gut zu Knochenplomben eignet.
i ei c h e r t - Wien: Ueber neuere Verfahren der Tuberkulose-
enandlung und die für Pathologie und Therapie daraus zu ziehenden
chlusse. (Schluss.) Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet.
1817
Wiener klinisch-therapeutische Wochenschrift.
Nr. 17. L. Lichtenstcin-Pistyan: Die Diathermiebehand¬
lung des Rheumatismus.
Wenig zugänglich für die Diathermiebehandlung sind die tuber¬
kulösen Formen der Gelenkentzündung und die Arthritis deformans;
die primäre chronische exsudative Polyarthritis eignet sich eher für
neissluftbehandlung. Dankbarer ist die gichtische Arthritis, bei wel-
cner der akute Anfall sich durch Diathermie öfters geradezu kupieren
lasst. Oute Wirkung wird erzielt bei bakteriellen Arthritisformen, so
tast durchgehends bei akuter und subakuter Monarthritis, und am
meisten bei der gonorrhoischen Arthritis. Speziell bei gonorrhoischen
Ankylosen gelingt es oft, während der Diathermie eine gesteigerte
aktive und passive Beweglichkeit durchzusetzen.
Bei rheumatischen Myalgien und Neuralgien scheint die Dia-
theinue keinen besonderen Vorteil zu bieten.
Nr. 15 17. Th. R o v s i n g- Kopenhagen: Ueber die Vaseline-
injcktlon ln die Gelenke, die Indikationen, Technik und Resultate
derselben.
Weitere Versuche mit Injektionen von sterilisierter gelber Vase¬
line in Gelenke (52 Injektionen an 44 Kranken).
Ungeeignet erwiesen sich die Fälle von nichttraumatischer Ar¬
thritis crepitans. Die Injektionen bewirkten starke entzündliche
Reizung, aber keine Besserung. Es handelt sich da vielfach um Fälle
wo reichlich Synovialflüssigkeit und zwar von graulicher Farbe und
reichlichem Flockengehalt vorhanden war. Wo die Punktion solchen
Befund ergibt, ist die Injektion zu widerraten. Wenn das Gelenk
aber ganz trocken gefunden wird und die Entzündung erloschen ist,
kann der Versuch mit einer kleinen Injektion gemacht werden. Da-
gegen sind die Erfolge sehr befriedigend bei der traumatischen Ar-
thritis und bei dem Malum senile. (Diese Fälle betrafen vorzugs¬
weise das Schulter-, Knie- oder Hüftgelenk.) Schliesslich eignet sich
die v aselininjektion dazu, nach Arthrotomien oder Resektionen einer
Ankylose vorzubeugen. Die einzuspritzende Menge Vaselin ist beim
Erwachsenen für das Hüftgelenk 20— 25 ccm, das Kniegelenk 10 bis
höchstens 15, für das Schultergelenk ca. 15 ccm.
B e r g e a t - München.
Rumänische Literatur.
(Schluss.)
Em. Deme/tru Pauli an: Eosinophilie infolge von Helminthen.
(Spitalul 1914 Nr. 2.)
Der menschliche Organismus wehrt sich gegen Darmparasiten
geradeso wie auch gegen jedweden anderen pathogenen Einfluss.
Diese Abwehr wird durch eine Aenderung der leukozytären Formel
gekennzeichnet und, wie verschiedene Untersucher nachgewiesen
haben, durch eine starke Vermehrung der eosinophilen Zellen. Wäh¬
rend das Verhältnis derselben im normalen Zustande 1 — 4 Proz. be¬
trägt, wurde bei Helminthiasis ein Ansteigen auf 8 — 9 Proz., in einem
Falle sogar bis auf 17 Proz. festgestellt.
Der Verfasser hat diese Blutreaktion auf experimentellem Wege
nachmachen wollen und Kaninchen Extrakte von Tänien und auch
von Spulwürmern subkutan eingespritzt. Kurz hierauf, oft nach
wenigen Stunden, trat eine bedeutende Eosinophilie auf, wodurch
sich zeigte, dass auch der tierische Organismus in ähnlicher Weise
gegen die Darmparasitentoxine reagiert wie der menschliche.
Die Feststellung der leukozytären Formel ist also in diagnostisch
zweifelhaften Fällen von Wichtigkeit. So z. B. bei schweren An¬
ämien, gastro-intestinalen Erscheinungen, Konvulsionen, Pseudo¬
meningitis etc. In allen diesen Fällen zeigt eine bestehende Eosino¬
philie, dass es sich um Darmparasiten handelt, während bei Fehlen
dieser Blutreaktion die Diagnose in ganz anderer Weise orientiert
werden muss.
I. Buia: Die Nukleinotherapie bei der P a r k i n s o n sehen
Krankheit. (Spitalul 1914 Nr. 6.)
Ausgehend von der Annahme, dass eine fieberbewirkende Medi¬
kation in vorteilhafter Weise auf die Symptome der Parkinson-
schen Krankheit einwirken dürfte, hat Verf. bei 5 Parkinsonkranken
der Klinik des Prof. Marinescu subkutane und später auch intra¬
venöse Einspritzungen von nukleinsaurem Natrium, 5— 10 proz. Lö¬
sung in physiologischem Serum, gemacht und symptomatisch gute
Resultate erzielt. Kurz nach der Einspritzung trat Frösteln, dann
Temperaturerhöhung, endlich Schweiss auf und die Kranken hatten
ein Gefühl der Erleichterung, welches auch während der folgenden
Tage anhielt. Es wurde jeden zweiten Tag injiziert und betrugen die
angewendeten Dosen 0,02—0,50 cg . Ausser der subjektiven Besse¬
rung wurde auch ein Abnehmen des Zitterns, der Muskeirigidität,
eine Besserung des Appetites, der Diurese und eine Vermehrung des
Stoffwechsels beobachtet.
E. Juvara: Die chirurgische Behandlung der abstehenden
Ohren. (Revista de Chirurgie, Mai 1914.)
Es wird über der Mastoidealgegend und auf der hinteren Fläche
der Ohrmuschel ein Hautlappen ausgeschnitten, derart, dass der er¬
zielte Hautverlust die Form eine Sechseckes zeigt. Die Teile werden
durch mehrere Nähte vereinigt und die Fäder über einer auf die
äussere Fläche der Ohrmuschel gelegte Gazerolle geknotet. Diese
Nähte durchdringen an zwei Stellen den Ohrknorpel, wodurch eine
bessere Adaptierung desselben gesichert ist.
E. Juvara und E. H r i s t i d i : Ein neuer operativer Vorgang
für die Operation der Syndaktylie. (Ibidem.)
1818
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ni . 33.
Die Operation der verwachsenen Finger ist eine sehr einfache
und leichte, falls eine etwas breitere Zwischenmembran vorhanden
ist, denn dann handelt es sich nur um die Durchtrennung derselben
und Anlegung der entsprechenden Nahte. Ist aber die Verwachsung
eine straffe, so muss, nach Separierung der beiden Finger für die
fehlende Haut Ersatz beschafft werden. J. operiert in folgender
Weise: Für den einen Finger wird der notwendige Hautlappen durch
einen Dorsal- und einen Palmarschnitt von dem anderen abpräpariert
und durch Nähte vereinigt. Der nun am zweiten Finger entstandene,
ziemlich grosse Substanzverlust wird durch einen länglichen, der
Hüfte entnommenen Hautlappen gedeckt. Man muss diesen Lappen
etwa um ein Drittel länger nehmen als der zu deckende Substanz¬
verlust, ferner wird derselbe nicht vollkommen angenäht, sondern
an der Fingerbasis freigelassen und ein Drain eingeführt.
C. Frumusianu: Die Behandlung mit dem Wasser von C a -
c i u 1 a t a. (Bukarest 1914, 83 Seiten.)
Der Verfasser gibt eine ausführliche Beschreibung der Mineral¬
quellen von Caciulata, die sich in Rumänien schon seit langem
eines besonderen Rufes bei Behandlung von Gicht, Blasen- und
Nierensteinen, sowie auch bei chronischer Nephritis erfreuen. Weitere
Indikationen sind Fettsucht, Diabetes, Gallensteine, urämische Er-
schcinungen. Die therapeutische Wirkung wird durch Badekuren
in dem nahe liegenden Calimaneschti erfolgreich unterstützt.
Felix Missbach: Die moderne Behandlung der chirurgischen
Tuberkulosen. (Die Heliotherapie.) (Revista stiintzelor med., Mai
1914.) ... D. • , .
Die schon im Altertume bekannte günstige Einwirkung der
Sonnenbestrahlung auf verschiedene Krankheiten hat erst in den
letzten Jahren eine ausgedehntere Anwendung gefunden. Nament¬
lich sind es die Tuberkulosen des Kindesaltcrs, welche sehr gute
Heilresultate geben und zwar sowohl Knochen- und Gelenktuber¬
kulosen, als auch tuberkulöse Adenopathien. Verf. beschreibt seine,
in Tekir-Ghiol, am Gestade des schwarzen Meeres geübte Behand¬
lungsmethode und illustriert dieselbe durch mehrere Photographien.
Pottiker werden immobilisiert und redressierend gelagert, ebenso
müssen Kinder mit Gelenktuberkulosen in geeigneter Weise in Ruhe¬
lage gehalten werden. Die Bestrahlung soll allmählich vorgenommen
werden, anfangs nur kleiner Körperteile und kurze Zeit bestrahlt,
später die Bestrahlung auf den ganzen Körper ausgedehnt und täg¬
lich durch 7—8 Stunden geübt werden. Auf diese Weise vermeidet
man am sichersten das Auftreten von Erythemen, sowie auch von
depressiven Erscheinungen, Herzklopfen etc. Bei Frauen und Mäd¬
chen wird die Bestrahlung während der Menstruation ausgesetzt,
da sonst oft profuse Blutungen auftreten können. Schwerere
Läsionen des Herzens, namentlich Myokarditis, sind eine Gegen¬
anzeige für die Sonnenbestrahlung. Im allgemeinen muss gesagt
weiden, dass die Heliotherapie eine genaue, tägliche ärztliche Be¬
aufsichtigung verlangt.
Ueber Blasenfisteln, ihre Entstehung und Be-
A. Daniel: Beiträge zum Studium der heredo-syphilitischen
Zahndystrophien. (Ibidem.)
Der Verfasser beschreibt eine Familie von Heredosyphilitikern.
welche folgendes darbot: der ältere Sohn, 27 Jahre alt, hatte nur
zwei obere Schncidezähne, dieselben waren zwischen 2. und 3. Lebens¬
jahr gewachsen, hatten nie gewechselt, und war der Mund sonst
zahnlos. Gleichzeitig bestand Sattelnase, dünnes, wolliges Haar, vor¬
zeitige Alopezie, namentlich am Vertex und den Schläfen. Der zweite
Sohn, 15 Jahre alt, hat nie einen Zahn gehabt, ferner Sattelnase, voll¬
kommener Mangel der Augenbrauen und Alopezie. Weitere zwei
Kinder, ein 13 jähriges Mädchen und ein 10 jähriger Knabe hatten nur
oben vier spitze, weit auseinander stehende Schneidezähne, waren
sonst vollkommen zahnlos, ferner Nanismus, fast vollständiges Fehlen
der Augenbrauen und mangelhafter Haarwuchs des Kopfes. Adontis-
mus, wie der beschriebene, vollständig, oder fast vollständig auf¬
tretend, ist selten.
Al. Schaabner-Tuduri berichtet, über den IX. inter¬
nationalen Kongress für Hydrologie, Klimatologie und Geologie in
Madiid. (Bukarest 1914.)
Der Verfasser ist derzeit der beste Kenner der so zahlreichen
und zum grossen Teil noch wenig gekannten Heilquellen Rumäniens
und hat in der Eigenschaft eines offiziellen Delegierten, dem er¬
wähnten Kongresse einen ausführlichen Bericht vorgelegt, der mm
in Druck erschienen ist. Alle Quellen sind darin in ausführlicher
Weise beschrieben und deren therapeutische Indikationen gegeben.
Vielleicht trägt diese Arbeit dazu bei, die natürlichen Heilfaktoren
Rumäniens auch im weiteren Ausland bekannt zu machen, denn es
sind unter denselben so manche, welche in bezug auf Zusammen¬
setzung und Wirkung es mit Karlsbad, Vichy, Vittel etc. aufnehmen
könnten. E. T o f f - Braila.
Inauguraldissertationen.
Universität München. Juli 1914.
Takahashi Kotaro: Uteruskarzinom im jugendlichen Alter.
Gastei Max: Beitrag zur Frage der Toxinbildung bei der Trichi-
nosis.
Karasawa Junkichi: Ueber die Hcbosteotomie.
H oo gen Julius: Ueber sekundäre Darmstenosen bei Karzinom.
Krug Hans: Ueber die traumatischen Hüftgelenksluxationen an der
Münchener chirurgischen Klinik im Jahre 1894—1914.
Miura Naotomo:
K e'iGie'r1 Bruno: Methoden zur Bestimmung der Ueberleitungszeit
am Froschherzen. , „ „ ,
Abramo witsch H : Ueber die Storungen der Gegenrollung der
Augen bei Erkrankungen des Ohres.
joffeS H : Ein Fall von Dicephalus tetrabrachius dipus.
Schmidt Rudolf: Weitere Untersuchungen über Fermente im
Darminhalt (Mekonium) und Mageninhalt menschlicher Föten und
Neugeborener. . .
Bloch Wolf: Ein seltener Fall von papillärem Kystom und Uber¬
flächenpapillom bei einem Ovarialteratom.
Gold wasser Josef: Ueber die Augen Verletzungen bei der Geburt
und besonders bei der Zangenoperation, und ihre gerichtlich-medi¬
zinische Bedeutung. . .. . c .
Vollnhals Franz: Beiträge zur Kenntnis der allgemeinen Sepsis.
41 Fälle aus den Jahren 1903—1912. .....
Cohn Curt: Statistische Betrachtungen iiber das Gallenstemleiden.
Kurljandsky D.: Ueber die Form des menschlichen Linsensterns.
K a u f m a n n Adalbert: Ueber subkutane Zerreissungen der Nieren. J
Jofan H.: Ueber die verschiedenen Methoden der Bestimmung des
Pes valgus. .
Lewin Salman: Vaginaler Kaiserschnitt.
Kleeblatt Friedrich: Experimentelle Erzeugung von Dunndarm-
geschwüren bei Hunden durch Unterbindung des Ductus cholt-
GrlnbTrg Aron: Ueber Missbildung der Finger und Zehen an den ,
Extremitäten. „ , . , ...
D i k a n s k i M.: Ueber den Einfluss der sozialen Lage auf die ,
Körpermasse von Schulkindern. .
Krakowski Ichuda: Die Behandlung des Karzinoms mittels
Röntgenstrahlen, Radium und Mesothorium.
Br än dl ein Oskar: Beitrag zu den durch Beschattung und Be¬
lichtung des Auges auslösbaren abnormen Bulbusbewegungcn.
Matusiewicz Jakob: Der Körperlängen-Körpergewichtsindex bei
Münchener Schulkindern.
Lerman J.: Azurgranula der Lymphozyten.
Fogt Eugen: Vor- und frühzeitiger Blasensprung und Geburt.
B a rase h k o f f Israel : Geburt bei Kyphoskoliose.
Pfannenstiel Wilhelm: Beiträge zu den histologischen Befunden
an Skleralnarben nach Glaukomoperationen mit Berücksichtigung
ihrer Filtrationsfähigkeit.
Litwak Selman: Ueber die Beteiligung des Uvealtraktus bei der
Keratitis parenchymatosa. , „ , ,
Waiss Rahel : Ueber sekundäre traumatische Hydronephrosc.
Moeller Karl: Ueber einen Fall von Lymphosarkom der Nase.
Wald Hans: Ein Fall von Adenomyom der Cervix uteri. Beitrag zur
Lehre von den Adenomyomen.
Dürst Georg: Ueber einen Fall von Karzinom in der Laparotomie¬
narbe nach Totalexstirpation.
Feldbaum J.: Aetiologie und Wesen der Gastroptose.
Schmidseder Max: Ueber primäre Beckenknochensarkome (mit
einer Zusammenstellung von 178 Beckensarkornfällen aus der
Literatur und einem selbst beobachteten Fall).
Medjowitsch Moses: Ein Beitrag zur operativen Heilung der
Radialislähmung nach Humerusfraktur. .
Fukuo Yuro: Ueber die Teratome der Glandula pinealis.
v. Koch Franz: Ueber Endocarditis lenta mit einem kasuistischen
T3 c i 1 1" ti
van der Reis Victor: Die Geschichte der Hydrotherapie von
H a h n bis P r i e s s n i t z.
Grien Salomon: Peritonitis, Darmlähmung und Ileus post
operationem. , _ .... , ,.
Chose Efim: Ueber den Einfluss durchgemachter Rachitis aut die
Körflermasse von Schulkindern.
Ziperssou David: Ueber subkutane Darmverletzungen nach Ein¬
wirkung stumpfer Gewalt. , , ,
Oh no Masataka: Ueber die Verkalkung der Vasa deferentia. ,
Kabzan Elieser: Pelveoperitonitische Abszesse durch Colpotomm
posterior geheilt. . ,
Basnizki Siegfried: Ueber die in den Jahren 1903—1913 in der
Kgl. Universitäts-Frauenklinik und Kgl. Hebammenschule zu
München zur Beobachtung gekommenen Sturzgeburten.
Oppenheim Alfred: Ist Inulin ein Glykogenbildner?
Stock Heinz-Richard: Die optischen Synästhesien bei E. 1. ft
Hoffman n. , ,, .
Gurewicz Akiwa: Ueber 2 neue Reflexe: 1. das Vorderarm-
phänomen von Leri; 2. der Malleolarreflex von Trömner.
Matsuhisa Yuma: Ein Fall von operativer Verletzung des Sinus
sigmoidcus. u„
Hey 1 Theodor: Statistik über Staroperationen mit besonderer Be¬
rücksichtigung der Beziehungen der Reife des Stars und Häufig¬
keit des Nachstars. •
Rosenberg J. A.: Ueber vikariierende Menstruation aus abdomi
nellen Fisteln.
v. B r e u n i g Werner: Ueber dieBurnam sehe und andere rormai-
dehydproben im Urin und über die Abspaltung von Formaldehu
im Urin nach interner Urotropindarreichung.
18. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1819
Vereins- und Kongressberichte.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
XXIV. Sitzung vom 28. März 1914 (Schluss).
Vorsitzender: Herr Q e 1 b k e.
Herr Vogt: Heber subkutane Symphyseotomie. (Schluss.)
Die Technik der subkutanen Syrnphysiotomie, wie sie ursprüng¬
lich frank angegeben hat, erfuhr in unserer Klinik einige Modifi¬
kationen. Zuerst geschieht die Desinfektion der vorher enthaarten
Vulva mit Warmwasser. Seife, Alkohol, dann folgt ein Jodanstrich.
Mit 2 Fingern geht der Operateur mit der linken Hand in die Vagina
ein und an die Hinterfläche der Symphyse, um ihre Höhe und
Dicke, das Verhalten des Symphysenknorpels und die Lage der
Urethra zur Mittellinie festzustellen. Inzwischen fasst ein Assistent
mit einer Gazekompresse die ganze Klitorisgegend mit der linken
Hand möglichst flach und zieht sie weit nach unten, um dadurch die
Klitoris und die Urethra samt den Gefässen vom unteren Symphysen¬
rand. vom Lig. arcuatum wegzudrängen. Hierauf wird mit einem
gewöhnlichen mittelstarken Skalpell dicht über der Symphyse einge¬
stochen; die Schneide des Skalpells sieht nach unten. Dabei muss
man genau darauf achten, dass man in der Mitte bleibt. Nur so
gelingt die Auffindung des Symphysenspaltes und ist die Mitte einmal
gefunden, so wird dadurch die ganze Operation sehr erleichtert. Da¬
durch. dass die Haut des Mons pubis nach unten gezogen ist, kommt
die Einschnittöffnung in den Bereich der Behaarung des Mons pubis
zu liegen. Dann wird die untere Hälfte der Symphyse nur in ihren
vorderen zwei Dritteln bis ans Lig. arcuatum heran mit dem scharfen
Skalpell vorsichtig tastend durchtrennt. Hierauf wird das Messer
herumgedreht und so wird die obere Hälfte der Symphyse, auch nur
in ihren vorderen zwei Dritteln, gespalten, indem gleichzeitig der Zug
des Assistenten an der Haut der Klitorisgegend nachlässt, damit die
Einstichöffnung in der Haut dem Messer nach oben fo’gen kann. In
der Mitte wird an einer kleinen Stelle die Symphyse vollständig
durchtrennt, das spitze Skalpell wird entfernt und durch ein schmales
geknöpftes Messer ersetzt. Mit diesem wird hierauf das noch nicht
durchtrennte hintere Drittel des Symphysenknorpels mit den Ver¬
stärkungsbändern an der Hinterwand vorsichtig durchschnitten. Die
Durchschneidung des Knorpels stösst meist auf keine grösseren
Schwierigkeiten, ^sofern keine Verknöcherung oder starke Verdickung
vorliegt. Wenn die Kreuzungsfasern der Sehnen vom Ansatz der
Muskuli recti und M. pyramidalis und hinten das Lig. pubo-vesicales
gespalten ist, dann weicht die Symphyse meist schon auseinander;
unten wird sie aber durch das Lig. arcuatum noch zusammenge¬
halten. Jetzt werden mit dem über die Fläche gekrümmten Messer,
das E. Kehrer angegeben hat, noch vorsichtig rechts und links die
beiden Schenkel des Lig. arcuatum und dabei die Corpora vacernosa
clit. rechts und links 1 — 1^ cm abgelöst. Sowie das geschehen ist,
klafft auch die Symphyse unten so weit, dass man bequem einen
Finger einlegen kann, ungefähr 3 cm. Die ganze Operation leitet
und kontrolliert der in die Vagina eingeführte Finger. Dauer wenige
Minuten! Sofort wird dann das Messer aus der Wunde entfernt
und die Wunde fest vom Assistenten komprimiert; mit 2 — 4 Mi¬
chel sehen Klammern gelingt es stets die kleine Wunde zu ver-
schliessen. Vioform, trockener Mastisolverband. Hierauf wird die
Harnblase katheterisiert und auf etwaige Blutbeimengungen des Urins
geachtet. Sofort nach vollendeter Operation werden 2 Ampullen
Pituitrin intramuskulär injiziert. Durch nochmalige Untersuchung
überzeugt man sich dann, ob der vorangehende Teil eintritt, ob er
sich günstig einstellt und ob er tiefer tritt. Erst nachdem man sich
davon mit absoluter Sicherheit überzeugt hat, wird Patientin in das
Bett zurückgebracht. Bei der Operation ist es von grösster Wichtig¬
keit. dass die Beine der Patientin richtig gehalten werden. Sie
sind im Knie und Hüftgelenk rechtwinklig gebeugt und müssen, sowie
die Symphyse klafft, nach innen rotiert und stark adduziert werden,
um ein zu starkes Klaffen des vorderen Beckenhalbringes und eine
Gefährdung der Verstärkungsbänder der Articulatio sacro iliaca feu
vermeiden. Mit diesen nach innen rotierten, adduzierten Ober¬
schenkeln muss Patientin auch ins Bett zurückgebracht werden. Das
Becken wird durch einen Beckengurt oder umgelegtes Handtuch leicht
fixiert und zur Kompression der Wunde ein kleiner Sandsack auf¬
gelegt. Unter steter Kontrolle der kindlichen Herztöne wird die
Spontangeburt abgewartet. Wenn es zur Austreibungsperiode kommt
und Patientin mitpresst, so muss man darauf achten, dass sie nicht
plötzlich, wenn sie aus der Narkose erwacht, die Beine zu stark
spreizt. Man binde die Beine oberhalb der Knie leicht zusammen
und ziehe sie bei den Presswehen leicht nach dem Unterbauch an.
Nach Geburt des Kindes und der Plazenta folgt das Einlegen eines
Dauerkatheters, aber nicht etwa aus Furcht vor einer Verletzung
der Harnblase oder der Harnröhre, sondern nur damit die Harnröhre
oder Blase sich nicht in den Symphysenspalt einklemmt. Wir haben
auch schon in mehreren Fällen ungestraft den Dauerkatheter am
2. Tag entfernt; sonst entfernen wir den Dauerkatheter erst am
3. oder 4. Tag vor dem ersten Aufstehen. Die spontane Urinentleerung
hat danach niemals die geringsten Schwierigkeiten gemacht.
Grosser Wert ist auf die Nachbehandlung im Wochenbett zu
legen. Das Becken bleibt in den ersten Tagen leicht fixiert im
Beckengurt. Beim ersten Aufstehen muss die Patientin auch den
Beckengurt tragen, schon damit sie persönlich das Gefühl der Sicher¬
heit hat und dann muss Patientin frei, ohne dass dabei ihre Bauch¬
muskulatur, die am vorderen Beckenhalbring inseriert, in Tätigkeit
kommt, aus dem Bett hcrausgehoben und sofort auf die Beine gestellt
werden. Das Gehen macht meist keine Schwierigkeiten oder
Schmerzen, wenn die Patientin nur ganz kleine Schritte macht und die
Beine nicht zu weit auseinandernimmt. Die Gehversuche werden
täglich wiederholt und jeden Tag verlängert. Wenn sich Zeichen
einer Thrombose einstellen, muss die Pat. strenge Bettruhe halten
unter Hochlagerung des Beines.
Durch diese Modifikation der F r a n k sehen Technik durch
Kehrer, durch Ablösung der Schenkel der Corpora cavernosa clit.
mit den Schenkeln des Lig. arcuatum beiderseits ist es neuerdings
gelungen, eine Blutung aus den Corpera cavernosa clit. und somit
eine stärkere Hämatombildung zu vermeiden. Und damit haben
wir einen nicht hoch genug anzuschlagenden Vorteil: die Einschrän¬
kung der Thrombosen, erreicht.
So kamen auf die erste Serie, die E. Kehrer veröffentlicht hat,
von 10 Fällen 3 Thrombosen = 30 Proz., während jetzt auf die
17 Fälle der 2. Serie 4 Thrombosen = 22 Proz. kommen.
Auch die Zahl der Hämatome ist bedeutend zurüokgegangen.
Während in der ersten Serie von 10 Fällen 6 mal ein Hämatom in
verschiedener Grösse nachweisbar war, kommen jetzt auf die zweite
Serie von 18 Fällen nur 2 Hämatome.
Die Operation wurde meist in Allgemeinnarkose mit Aether oder
als Mischnarkose mit Chloroform und Aether durchgeführt. In einem
Falle wurde mit gutem Erfolge und vollkommener Anästhesie die
Sakralanästhesie angewendet. Diese Methode wird in künftigen
Fällen, abgesehen von denen, in denen die Operation innerhalb we¬
niger Minuten, also bei sehr dringlicher Indikation, zur Ausführung
kommen muss, anzuwenden sein.
Nach alledem besitzen wir in der subkutanen Syrnphysiotomie
eine Operation, die sich in der Therapie des engen Beckens einen
dauernden Platz sichern wird durch ihre einfache Technik, durch
ihre guten Resultate für Mutter und Kind.
Diskussion: Herr Prüsmann: Die Symphyseotomie in
ihrer ursprünglichen Gestalt wurde seinerzeit wegen der Nebenver¬
letzungen und der infolge der mangelhaften Heilung nachbleibenden
Gehstörung verlassen. Die Mehrzahl der damals Operierten bekam
eine Art Schlottergelenk und mithin einen watschelnden Gang, da die
Festigkeit des Beckenringes gestört war. Man wendete sich der
Pubeotomie zu, die zwar knöcherne Vereinigung der durchtrennten
Beckenknochen zur Folge hat, aber mehrfach zu gewaltigen Blu¬
tungen geführt hat. Wegen dieser Gefahr ist man auch von der
Pubeotomie neuerdings wieder zurückgekommen. Ich möchte fragen,
wie der Vortr. es erklärt, dass jetzt bei der subkutanen Durch¬
trennung der Symphyse die Heilung eine so vorzügliche ist, und ob
bereits Erfahrungen über nachfolgende Geburten vorliegen.
Herr Rudolf Klotz: In der Tübinger Universitäts-Frauenklinik
wurde bei engem Becken vielfach der extraperitoneale Kaiserschnitt
ausgeführt. Soweit mir die Tübinger Zahlen aus dem Gedächtnis
erinnerlich sind, erscheinen mir die für die Symphyseotomie mitge¬
teilten Mortalitätsprozente der Mütter, besonders aber der Kinder,
reichlich hoch.
Herr Kreis: Ich habe die subkutane Symphyseotomie bisher
dreimal ausgeführt. Immer fiel mir auf, wie leicht die Symphyse
zum Klaffen kommt und wie leicht der Kopf dann ins Becken eintritt.
In einem Falle wich das Becken auf 2 Ouerfingerbreite auseinander
und der vorher in Hinterscheitelbeineinstellung stehende Kopf trat
ein und passierte binnen 3 Wochen innerhalb von 10 Minuten den
Geburtskanal. Gerade das leichte Eintreten des Kopfes ist besonders
bemerkenswert. S e 1 1 h e i m konnte mittels des Dynamometers nach-
weisen, dass im Vergleich zur Pubeotomie bei der Symphyseotomie
eine dreimal geringere Kraft nötig war, um das Becken gleich weit
klaffen zu lassen.
Herr Kehrer: Die subkutane Symphyseotomie, die von Fritz
Frank in Köln erfunden wurde, ist eine ausgezeichnete und leicht
auszuführende Operation. Wie der Herr Vortragende sagte, ist sie
in 5 — 10 Minuten zu vollenden, doch habe ich sie wiederholt binnen
2 — 3 Minuten zu Ende geführt.
• Die Technik macht jemandem, der sie 2 oder 3 mal an der
Leiche geübt hat, keine Schwierigkeiten. Ich selbst habe nur die
ersten 10 Fälle operiert, die nächsten 7 Operationen wurden von
meinen Assistenten ausgeführt. Einige kindliche Todesfälle wären
auch bei Spontangeburt eingetreten. Der eine Exitus bei der Mutter
hat mit der Symphyseotomie nichts zu tun, da die letale Uterus¬
ruptur schon vor der Operation eingetreten war. Das einzig störende
Moment war bisher die Bildung grösserer Hämatome. Dies wird nun¬
mehr bei Benutzung des von mir angegebenen, über die Fläche ge¬
krümmten Messers zur Ablösung des Lig. arcuatum von den Scham¬
beinknochen vermieden. Wie gering bei dieser Art des Vorgehens
der Blutverlust ist, zeigen die Untersuchungen von R ii b s a m e n, der
nur 5 — 15 ccm Blut feststellen konnte.
Gehstörungen wurden unter 28 Fällen keinmal beobachtet. 3 oder
4 Frauen erzählten sogar, dass sie 6 — 8 Wochen nach der Ent¬
bindung wieder getanzt hätten. Nebenverletzungen kamen unter
28 Fällen nicht vor; ebensowenig Embolien. Ein so ruhiger Beur¬
teiler wie Zweifel bringt der Operation regstes Interesse entgegen.
Er verfährt allerdings in anderer Weise als wir: Er geht mit dem
Zeigefinger hinter die Symphyse und löst das Gewebe von der Sym-
1820
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 33.
physe ab. Dadurch werden freilich viel kompliziertere Verhältnisse
geschaffen. , _ ... ,. ,
Für die ausserklinischc Geburtshilfe ist der Eingriff vorläufig noch
nicht geeignet, obwohl sie einem geschickten Operateur gewiss auch
im Privathause keine Schwierigkeiten bereitet.
Herr Vogt: Was die Indikation anlangt, so beschränken wir uns
auf ganz reine Fälle, die nur in der Klinik untersucht wurden und
nicht infiziert sind, auch bei infektionsverdächtigen Fällen lehnen
wir die Operation ab. Den extraperitonealen Kaiserschnitt reser¬
vieren wir für die infizierten Fälle. Die kindliche Mortalität bei
diesem Eingriff beträgt 10 Proz. Das möglichste Abwarten der
Spontangeburt haben beide Operationen gemein. Es ist ein Fall von
Frank bekannt, in dem die subkutane Symphyseotomie im Jahre
1908 ausgeführt wurde und später noch 4 Spontangeburten ausge-
tragener Kinder erfolgten. Die Frau ging an einem interkurrenten
Typhus zugrunde: bei der Sektion fand sich an der Stelle der Sym¬
physeotomie eine breite Synchondrose.
Aerztlicher Bezirksverein Erlangen.
(Eigener Bericht.)
208. Sitzung vom 27. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr Jam in.
Schriftführer: Herr König er.
Herr Penzoldt: Ueber die Bekämpfung des Arzneimittel-
unwesens.
Herr Graser: Demonstration zur Mesothoriumbehandlung.
G. berichtet über eine Reihe interessanter Erfahrungen aus den
Gebieten der Strahlentherapie. Besonders hervorzuheben ist ein
kolossal ausgedehntes Karzinom der Mamma, welches bereits die
Rippenknorpel durchsetzt hatte, ohne jedoch auf die Pleura über¬
zugehen. Der ganze Tumor, welcher bis auf die Bauchwand herunter¬
ragte, wurde entfernt, die Rippenknorpel ausgekratzt, ohne Ver¬
letzung der Pleura und die Wundfläche offen gelassen zur direkten
Röntgenbestrahlung. Jetzt nach Jahresfrist ist das ganze Karzinom
ausgeheilt und der Defekt bis auf eine markstückgrosse granu¬
lierende Stelle geschlossen, welche der definitiven Verheilung aller¬
dings grosse Schwierigkeiten macht. Ein kleiner Drüsenknoten in
der Axilla, der sich nachträglich langsam entwickelt hat, enthielt nur
degenerierte Karzinomzellen; Allgemeinbefinden glänzend gehoben.
Mehrere gut geheilte oberflächliche Karzinome, ferner einige
Sarkome, von denen namentlich ein Fall dadurch besonders interes¬
sant ist, dass nach % Jahr ca. 50 metastatische Knoten bis Hühnerei¬
grösse am ganzen Körper sich entwickelt haben, während an den
früher mit Mesothorium behandelten Stellen kein Rezidiv auftrat.
Die sämtlichen Metastasen waren nach 14 tägiger Bestrahlung voll¬
kommen verschwunden.
Einige ausgezeichnete Erfolge bei Tuberkulose der Halsdrüsen,
behandelt mit Röntgenstrahlen. Ein mit vollkommener Beweglichkeit
ausgeheilter Fungus des Ellenbogengelenkes, an welchem auf dem
Röntgenbild deutlich schwere Zerstörungen am Knochen nachweisbar
waren- , „ „
G. berichtet auch, dass der seinerzeit mitgeteilte rau eines
Spindelzellensarkoms an der Parotis mit vollkommener Fazialis¬
lähmung nach einem Jahre rezidivfrei geblieben ist. G. betont aber,
dass wir noch weit entfernt sind vor. der Möglichkeit, die Wirkung
der Strahlentherapie für die einzelnen Fälle vorauszusehen und glaubt,
dass der neu verbesserten Tiefenwirkung mit Röntgenstrahlen die
beste Aussicht für die Zukunft zukommt.
Genaue Berichte über das ganze Material werden beim 4. bayen
Chirurgentag erfolgen und in den Beiträgen zur klinischen Chirurgie
veröffentlicht werden.
Diskussion: Herren S e i t z und Hauser.
Herr Anger er: Ueber F r i e d m a n n sehe ‘Tuberkulosebe¬
handlung,
Es wird über 12 an der chirurgischen Klinik zu Erlangen mit
Friedmann schcm Mittel behandelte Fälle berichtet, die sich in
ihrem Resultat im allgemeinen mit den bisherigen Veröffentlichungen
decken. Bei 2 Fällen, von denen der eine sehr nahe der Ausheilung
stand, der andere ausgiebig mit anderen Massnahmen behandelt
wurde, trat Heilung ein, bei weiteren 2 Fällen Besserung, bei 4 Fällen
sah man keine Beeinflussung und bei den übrigen 4 Fällen deutliche
Verschlimmerung. Schwere Allgemeinerscheinungen nach der In¬
jektion wurden auch an der hiesigen Klinik beobachtet. Besserung
des Allgemeinbefindens trat in keinem Falle ein. In den 4 Fällen,
in denen keine Besserung erzielt wurde, musste später operativ ein¬
gegriffen werden. In einem von diesen Fällen trat 4 Monate nach
einer Simultaninjektion eine tuberkulöse Meningitis auf, der der Pat.
erlag. Auf Grund der schlechten Erfahrung wird von einer weiteren
Anwendung des Mittels nunmehr abgesehen.
Diskussion: Herr M e s e t h fand das Friedmann sehe
Mittel bei Lungentuberkulosen völlig unwirksam; in einem Falle von
Lupus hatte gleich die 1. Injektion 0,5 grün intramuskulär) das Auf¬
treten floiider Lungenerscheinungen zur Folge.
Herr Hauser demonstriert einen Urethralstein von ungewöhn¬
licher Grösse,
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1678. ordentliche Sitzung vom 15. Juni 1914 abends 7 Uhr
im Sitzungssaal.
Vorsitzender: Herr Quincke.
Schriftführer: Herr Baerwald.
Herr B. Fischer: Pathologisch-anatomische Demonstrationen.
1. 7 Herzen mit schwerster schwieliger Myokarditis, teils durch
Koronarsklerose, teils durch rheumatische Erkrankung bedingt.
2.Isolierte Thrombose der linken Arteria renalis durch Arterio¬
sklerose bei 80 jähr. Frau. Totale Infarzierung der Nieren.
3. Schwerste akute rote Leberatrophie bei 16 jähr. Mädchen ohne
nachweisbare Aetiologie.
4. Zwei primäre verhornende Plattenepithelkarzinome der
Lungen. 52 jähr. Mann und 63 jähr. Mann.
Herr Flesch: Mikrochemische Demonstrationen über Nerven-
zellen.
In einer vor kurzem im Frankfurter Aerztlichen Verein vorge¬
tragenen Mitteilung hat Dr. Brill über Beziehungen bestimmter ner¬
vöser Apparate des Eierstockes zu gewissen Formen der Nerven¬
zellen des Sympathikus berichtet. In der anschliessenden Diskussion
hat Fl. darauf hingewiesen, dass hier eine physiologische Bedeutung
einer bereits seit langem bekannten chemischen Differenz der Nerven¬
zellen zum Nachweis zu kommen scheint, die der Beachtung wert ist.
Die seit langem bekannte verschiedenartige Färbbarkeit der Nerven¬
zellen ist eben bisher nirgends genügend gewürdigt. Brill hat die
für ihn in Betracht kommenden, sich durch grössere Färbbarkeit
auszeichnenden Zellen der sympathischen Ganglien als chromaffin be¬
zeichnet. Auf das Wort kommt dabei wenig an. Rawitz hat für
dieselbe Sache den Gegensatz von pachychromen und oligochromen
Zellen aufgestellt. Flesch hat schon vor über 30 Jahren in eigenen
Arbeiten und solchen seiner Schüler sie als chromophile und chromo-
phobe Zellen differenziert. Die Beobachtung der Tatsache reicht aber
viel weiter zurück: Mauthner hat schon ganz in den Anfängen
histologischer Forschung darauf aufmerksam gemacht, allerdings unter
Widerspruch K ö 1 1 i k e r s, der die Verschiedenheit am Karminprä¬
parat für Zufallsprodukt ansah. Heiden h ein hat bereits darauf
hingewiesen, dass die ungenügende Verständigung über die physio¬
logische Bedeutung des Unterschieds z. T. darin liege, dass seitens
der verschiedenen damit befassten Autoren man zu jvenig sich gegen¬
seitig berücksichtigt und daher das Material nicht zusammenfügend
verwertet habe. Am meisten hat zu dieser Verwirrung beigetragen,
dass N i s s 1 s Entdeckungen über das Vorhandensein der als Tigroid-
körper bekannten Granula mit der verschiedenen Färbbarkeit der
Nervenzellen in Beziehung gesetzt w'orden ist. Zellen mit reichlicher
Tigroidanhäufung wurden unter Uebcrtragung des von Flesch ge¬
prägten Ausdruckes als chromophil, tigroidarme als chromophob be¬
zeichnet. Es wurde damit entsprechend dem grösseren Interesse, das
N i s s 1 s Entdeckung alsbald durch den Nachweis physiologischer und
pathologischer Veränderungen der Tigroideinlagerung bei verschie¬
denen Prozessen gewann, das Wesentliche der mit den Bezeich¬
nungen chromophil und chromophob ausgedrückten 1 atsache ver¬
deckt. Auch deren Wiederaufleben durch die späteren Arbeiten und
Benennungen bringt dieses Wesentliche nicht zum Ausdruck. Es
handelt sich, wie Fl. nun an Zeichnungen und Präparaten aus altei
Zeit demonstriert, bei dieser ungleichen Färbbarkeit der Nervenzellen,
die in allen Teilen des Nervensystems nachweisbar ist. Fl. hat u. a.
sie aus der Grosshirnrinde schon 1886 in der von ihm gelieferten Be¬
arbeitung der Histologie des Zentralnervensystems in Ellenber¬
gers Handbuch der Histologie der Haussäugetiere abgebildet — - nicht
bloss um einen quantitativen Unterschied, wie er in den verschiedenen
Namen ausgedrückt ist, sondern um wichtige qualitative Differenzen,
die sich darin am besten charakterisieren, dass unter Umständen eine
elektive Färbung in Farbstoffgemischen bewirkt werden kann, am
besten an Chromsäurepräparaten bei Behandlung mit Karmin-Indigo¬
gemischen, wobei die chromophilen (pachychromen, chromaffinen)
Zellen Indigo, die anderen Karmin annehmen, während die dazwischen
liegenden, vielleicht am besten als mesochrom benannten, eine der
Farbenmischung entsprechende Zwischenfarbe zeigen. ^ Als chemisch
nachweisbare Differenz konnten die Untersuchungen Fl.s und seiner
Schülerinnen durch Einwirkung von Alizarin (Methode von Li eber -
kühn) oder Zyanin (Nencki) wesentlich einen Unterschied der
Alkaleszenz sicherstellen. Säurenachweis in den chromophilen Zeller.,
wie man ihn vielleicht hätte erwarten können, weil die Reaktion
sich mit der der Belegzellen des Magens deckt, gelang nicht, speziell
auch nicht der Nachweis einer Kohlensäureanhäufung. Ehrl ich s
Methylenblaureaktion tritter früher an den chromophilen als an den
chromophoben Zellen auf, an beiden früher als an den Achsen¬
zylindern; am Wärmefrosch erfolgt sie anscheined schneller, am
Kältefrosch verlangsamter. Charakteristisch ist die starke redu¬
zierende Kraft der chromophilen Zellen, die ihre Darstellung durch
Osmium- und Chromsäurereduktiön ermöglicht. Sämtliche Reak¬
tionen sind identisch, höchstens quantitativ geringer mit denen der
Belegzellen der Magendrüsen und der Hypophysenschläuche, -me
physiologische Rolle der durch den Färbungsunterschied zum Aus¬
druck kommenden Verschiedenheiten hat FL aus dem ungleichen
Magenverhältnis der beiden extremen Formen in verschiedenen 1 eilen
des Nervensystems entnommen: es enthalten bei allen untersuchten
18. August 1914.
MUENpHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1821
Deren und dem Menschen die Spinalganglien relativ mehr chromo-
phile Zellen als das Ganglion Gasseri. Von den verschiedenen
Kernen der Oblongata sind einzelne überwiegend aus hellen, andere
aus dunklen Zellen geformt. Eine gewisse Rolle scheint die Grösse
zu spielen: im allgemeinen sind die chromophilen Zellen überall
grösser: doch gibt es auch Tiere, bei denen das umgekehrte Ver¬
halten gefunden worden ist. Beim jungen Tier und Menschen finden
sich relativ weniger chromophile Zellen als beim ausgewachsenen.
Beim Embryo scheinen ausschliesslich „mesochrome“ Formen vor¬
zuliegen, so dass beide, chromophile und chromophobe Formen aus
einer und derselben Grundform entsprungen zu sein scheinen. Mit
dem I igroid hat die Färbbarkeit mit den die Chromophilie oder
Cliromophobie (pachychrome oder oligochrome) Beschaffenheit nach-
\\ eisenden Farbstoffen nichts zu tun. Es gelingt durch geeignete
Färbemittel das Tigroid in beiden Arten zu differenzieren: es gibt
Zellen beiderlei Art mit viel und mit wenig Tigroid.
Brill hat auch der Vakuolenbildung in den Nervenzellen eine
gewisse Bedeutung zugewiesen. F 1 e s c h hält sie für eine Ab¬
sterbeerscheinung. Sie beginnt stets in der hellen Randzone der Zell¬
substanz, durch Häufung der Vakuolen erfolgt die Lösung der Nerven¬
zelle von dem umgebenden Material. Nur wo sie sehr fest rund herum
haftet, sieht man gelegentlich zentrales Auftreten der Vakuolen Die
\ akuolenbildung erfolgt am raschesten bei den Zellen der Gebiete,
die den kompliziertesten Verrichtungen vorzustehen scheinen (Hirn¬
rinde, dann Rückenmark, dann Ganglien und Sympathikus). Daher
der bekannte gewöhnliche Befund der Rindennervenzellen als frei¬
liegende Substanzhäufchen in einer Höhle, mit deren Wand sie nur
durch die Fortsätze lose Zusammenhängen.
Durch die Mitteilung Brills scheint die Ermittelung der physio¬
logischen Bedeutung dieser Zellunterschiede um ein gutes Stück
näher gerückt zu sein.
Diskussion: Herr L. Auerbach: Die Feststellungen des
Vortragenden decken, so interessant und verdienstvoll sie an und für
sich sind, keine mikrochemische Reaktion auf, weil es sich bei diesen
Differenzen nicht um das Vorkommen oder Fehlen bestimmter Stoffe
sondern um physikalische Unterschiede in der Dichte einer kolloi¬
dalen Masse handeln dürfte. Auch ist im Auge zu behalten, dass phy¬
siologische Folgerungen daraus nur mit äusserster Vorsicht zu ziehen
wären, weil Entmischungsvorgänge und in einzelnen Fällen an¬
scheinend selbst Schrumpfungen bei dem Ergebnis zur berücksichtigen
sind. In den Spinalganglien sind die chromophilen Zellen nach den
r.rfahrungen A.s im allgemeinen reicher an N i s s 1 scher Substanz
c'm Zusammenhang zwischen Chromophilie und Zellgrösse ist daselbst
ferner nicht in Abrede zu stellen.
Herr L. Edinger (mit R. Liesegang): Ueber Nachahmung
von Tormen des wachsenden Nervensystems.
Man nimmt jetzt vielfach an, dass die Ausläufer der Ganglien-
zellen, die Dendriten sowohl als die Achsenzylinder, durch eine Kraft
die von der Ganglienzelle selbst aus wirkt, gebildet werden. Da es
t. aufgefallen war, dass die Bilder, welche bei der Regeneration von
Nervenfasern auftreten, ebenso wie diejenigen, welche sich beim Aus¬
wachsen embryonaler Fasern bilden, grosse Aehnlichkeit mit Tropfen
laben, welche in viskose Flüssigkeiten fallen, hat er sich mit L ver¬
jüngt, um zu untersuchen, ob solche Formen nicht künstlich hergestellt
w erden können. E. und L. haben als Bestes Silikatgewächse ge-
linden, Röhren aus Kieselsäure, welche von Eisen- und anderen Kri-
tallen auswachsen, wenn man sie in Wasserglas wirft. Der Vor¬
ragende demonstriert Bilder, welche ausserordentlich grosse Aehn-
ichkeit mit solchen von regenerierenden Achsenzylindern an durch¬
schnittenen Nerven haben; sie zeigen sogar die Varikositäten und die
'Piralen, welche man in regenerierenden Fasern leicht findet. Ebenso
st es gelungen, Präparate zu erhalten, die in vieler Beziehung Gan¬
glienzellen aus der Hirnrinde und solchen aus dem Kleinhirn gleichen
i enn die Substanz, mit welcher hier gearbeitet wird, auch eine
jurenaus andere als die im Nervensystem vorhandene ist, so ist doch
eiitk-i i ? erlaubt, dass die Kräfte, welche im Nervensystem ge-
taltbildend wirken, in vieler Beziehung (Wachstum, Widerstände etc.)
uinlich mechanisch wirken, wie die im Modell vorhandenen; anders
f aru U Aeh"lichkeit’. welche so gross ist. dass hie und da erfahrene
j'-obachter die Abbildungen für Nervensvstempräparate hielten
chwer zu erklären.
Der Vortrag erscheint mit Abbildungen im Anatom. Anzeiger.
D i skussion: Herr L. Auerbach: Derartige Versuche wer-
en kein Licht auf das wirkliche Geschehen, weil sie bei der totalen
erschiedenheit der Substrate nur eine äusserliche Analogie geben,
anz abgesehen davon, dass wichtige Faktoren, wie chemotaktische
inilusse, dabei völlig ausser acht gelassen sind. Mag man auch der
-eile eine Plasmahaut zuerkennen, so ist diese doch keinesfalls einer
evvohnhehen 1 rombe sehen semipermeablen Membran gleichzu-
.en> sondern ist eher mosaikartig zusammengesetzt zu denken und
csitzt eine regulative Veränderlichkeit ihrer Permeabilität. Uebri-
;ens 'St selbst die äussere Aehnlichkeit lange nicht so gross, wenn
|an, statt von Silberpräparaten auszugehen, die Ganglienzellc im
- enstnschen Zustande oder bei möglichst adäquater Fixation (Alko-
oi; zum Vergleiche heranzieht. Denn im letzteren Falle fehlt, worauf
ereits Bethe hingewiesen, der Spitzenbesatz, der auf einer Mit-
'Krustierung des Golginetzes beruht und den Dendriten nur anhaftet,
ass an Stelle der rauhen Konturen glatte, gleichmässige Grenz-
len liervortreten. Ebenso verdanken die Varikositäten z. T. post-
'ortalen Einwirkungen’ ihren Ursprung.
Herr F 1 e s c h betont die grosse Bedeutung der Böttcher-
Leduc- Liesegang sehen Versuche als Grundlage fiir die Ent¬
stehungsursache der Lebensform. Er verweist auf das vorzügliche
Buch Le du cs „Das Leben“, das nicht nur die Tatsachen, sondern
auch die grundlegenden physikalischen Gesetze in Form populärer
Darstellung vorführt.
Herr G. Oppenheim.
Herr Edinger: Herrn Auerbach möchte ich erwidern, dass
ich glaube stark hervorgehoben zu haben, wieso ganz anderes Ma-
terial und andere Verhältnisse in meinen Versuchen benutzt werden,
als im Nervensystem vorliegen; dass, wie Herr Oppenheim meint,
meine Bilder den Silberbildern ähnlich seien, weil bei der Entstehung
der letzteren möglicherweise ähnliche Bedingungen vorliegen, kann
nicht der Fall sein, denn fast alle die erwähnten Formen sind auch
bereits vital ohne Silberanwendung beobachtet. Wenn ich entgegen
der Meinung von Herrn Flesch Leduc nicht genügend gewürdigt
nabe, so geschah es, weil dessen Untersuchungen mehrzellige Wesen
angeblich reproduzierten, während es sich hier ja um Untersuchungen
über Verhältnisse an ein und derselben Zelle handelt; gerade weil die
Aehnlichkeit mit mehrzelligen bei den Silikatgewächsen nur eine ganz
oberflächliche ist, haben ja die Leducschen Untersuchungen in der
Morphologie nichts gelehrt.
- - -
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 29. April 1914.
Vorsitzender: Herr Beneke.
Schriftführer: Herr Stieda.
Heri Mohr: Zur Klinik der syphilitischen Erkrankungen der
Leber.
Diskussion: Herren Sowade, Anton, Beneke und
K n e i s e.
Herr Stieda: Ueber das Pseudomyxoma peritonei.
Von dieser Erkrankung sind nicht sehr viele Fälle bisher publiziert
worden, die meisten ohne Mitteilung des mikroskopischen Befundes.
Der Vortragende hatte vor kurzem Gelegenheit einen einschlägigen
Fall zu operieren. Es handelte sich um eine 45 jährige Frau, die seit
134 Jahren eine allmählich zunehmende Auftreibung des Abdomens
bemerkte. Es traten Schmerzen im Leibe von stechendem, inter¬
mittierendem Charakter auf, auch Drang zu häufigem Urinlassen und
De dem an den Beinen. Bei der Aufnahme war eine ausserordentlich
starke Auftreibung des Leibes vorhanden mit deutlich nachweisbarem
r luktuationsgefühl ; überall Dämpfung mit Ausnahme einer kleinen
Partie im Epigastrium, wo tympanitischer Schall zu konstatieren war.
Magenbefund normal. Die vaginale Untersuchung ergab an den lin¬
ken Adnexen keine Veränderungen; rechts kann das Ovarium nicht
abgetastet werden, es besteht hier eine undeutliche Resistenz. Bla¬
senbefund normal.
Die Pat. war in der medizinischen Klinik 2 mal ohne Erfolg punk¬
tiert worden, um den vermuteten Aszites abzulassen.
Es wurde deshalb jetzt zur Laparotomie geschritten, bei der
sich ebenfalls kein Aszites entleerte, sondern eine gelblich grünliche
gelatinöse, fast gummiartig zähe Masse in sehr reichlicher Menge!
Nach Ablassen von etwa 3 Liter kann man durch die Abtastung ein
gestieltes, multilokulares geplatztes Ovarialkystom rechterseits nach-
weisen, das in Handtellergrösse mit dem parietalen Peritoneum der
vorderen Bauchwand verwachsen ist. Das gesamte Peritoneum
parietale erscheint unregelmässig verdickt und ist mit kleinen Knöt¬
chen von glasiger, sagoartiger Beschaffenheit und wechselnder Grösse
bedeckt. Die Serosa der benachbarten Darmschlingen weist ähn-
liehe, wenn auch nicht so ausgesprochene Veränderungen auf. Ab-
tragung des rechten Ovariums. Weitere gründliche Ausräumung der
gelatinösen Massen (ca. 7 Liter!). Exakter Verschluss der Laparo¬
tomiewunde.
Der mikroskopische Befund ergab das typische Bild des multi-
lokulären Pseudomuzinkystoms.
Es handelte sich also im vorliegenden Falle um jene seltene Er¬
krankung von geplatztem Pseudomuzinkystom mit
gleichzeitiger Beteiligung des Peritoneums
Es sind die Ansichten über die Entstehung des Leidens noch
nicht völlig geklärt.
Nach der Auffassung von W e n d 1 e r, die bereits Virchow
1874 vertrat, liegt eine chionische produktive Peritonitis mit
myxomatöser Degeneration vor, die duich die Gallertmassen ver¬
ursacht ist, die, aus dem rupturierten Zystadenoma stammend, die
Bauchhöhle anfüllen (Peritonitis gelatinosa).
Nach Werth (1884) überziehen die den Zysteninhalt bildenden
Gallertmassen das parietale und viszerale Blatt des Peritoneum und
haften den Därmen etc. so fest an, dass völlige Entfernung der zähen
Gallerte nicht möglich ist. Die Gallerte wird durch das wuchernde
Peritoneum z. T. membranös umhüllt und teilweise durch¬
wachsen. Die als Fremdkörper wirkenden Gallertmassen reizen das
angrenzende Gewebe zur Neuproduktion und gewinnen mit ihm Zu¬
sammenhang.
Olshausen und Pfannenstiel halten das Pseudomyxoma
peritonei für eine metastatische Neubildung bei ge¬
borstenem Cysto m a. Die gallertigen Massen gleichen dem
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 33.
1822
primären Tumor; genau wie an der Innenwand der 0 v ar 1 algesehu ulst
sind Zylinderzellen nachweisbar, die als Bildner des Zysteninhaltes
und als Erzeuger der im Bauchraume befindlichen Gallertmassen an¬
zusehen sind. Die genannten Autoren weisen dem Peritoneum keiner¬
lei Einfluss an der Erzeugung der gallertigen Massen zu.
Die am meisten einleuchtende Erklärung über das Wesen des
Pseudomyxoma peritonei wird von Eugen Fr aenkel gegeben.
Nach dessen Untersuchungen handelt es sich um die Bildung von
Implantationsmetastasen auf dem Peritoneum und um
eine Umwandlung der Peritonealschicht in myxomatoses Gewebe
unter gleichzeitigem fast völligen Schwund der elastischen Elemente.
Die Berstung des vorhandenen glandulären Cystoma pseudomuci-
nosum wird durch eine herdweise mykomatöse Degeneration und
schleimige Erweichung der Zystenwand ermöglicht Die sich am
parietalen und viszeralen Peritoneum ansiedelnden Zellareale bilden
Zysten und produzieren selbständig neuen Schleim.
Nur in 44 Proz. der Fälle pflegt Heilung zu erfolgen.
Schlusswort: Herr Stieda.
(Vgl E J a e g e r, Dissertation, Halle 1914.)
An der folgenden Diskussion beteiligten sich die Herren
Veit und B e n e k e.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Hermann Kossel.
Schriftführer: Herr Carl Franke.
Herr Sieb eck: Ueber den Chlorgehalt der roten Blutkörper¬
chen und seine Abhängigkeit von der Suspensionsflüssigkeit.
Die Erscheinungen und Bedingungen des Salzwechsels am ge¬
sunden und kranken Menschen sind so mannigfaltig, dass es im ein¬
zelnen Falle kaum möglich ist, die Verhältnisse aus allgemeinen Vorstel¬
lungen befriedigend zu erklären. Daher erscheint es wünschenswert,
die Grundlagen unserer Vorstellungen durch die Untersuchung ein¬
facher, übersichtlicher Vorgänge zu erweitern, d. h. den Salzwechsel
einzelner Zellen zu untersuchen. Von menschlichen Zellen — bei
diesen bietet sich Aussicht, Abweichungen bei pathologischen Zu¬
ständen zu finden — kommen dafür praktisch nur die Blutzellen in
Betracht, vor allem die roten Blutkörperchen. Allerdings haben sie
wegen ihrer minimalen vitalen Funktion sonst Nachteile. Ueber das
Verhalten der roten Blutkörperchen in Salzlösungen wurden ver¬
schiedene Vorstellungen entwickelt: während die Blutkörperchen
einerseits vor allem auf Grund der umfassenden Untersuchungen
Overtons im wesentlichen mit osmotischen Systemen verglichen
wurden, nahm andererseits besonders Hamburger demgegenüber
immer eine weitgehende Salzdiffusion an.
Die berichteten Untersuchungen beziehen sich zunächst nur auf
Chlor. Analysen: trockene Veraschung nach B a u m a n n, Titra¬
tion nach V o 1 h a r d. Volumenbestimmung der roten Blutkörperchen
durch die ursprünglich von Hamburger angegebene Stickstoff¬
methode. Ergebnisse: Es wurde zunächst der Chlorgehalt des
Serums und der Blutkörperchen unter verschiedenen Verhältnissen
bei Gesunden und Kranken (auch bei Störung des Salzwechsels) ver-
glichen Es ergab sich ein ganz konstantes Verhältnis: das Serum
enthielt etwa 2 mal so viel Chlor als die Blutkörperchen.
Weiter wurde der Chlorgehalt der roten Blutkörperchen in ver¬
schiedenen Lösungen untersucht: es wurden gleiche Volumina Blut¬
körperchenbrei und neutrale, isotonische Rohrzucker- oder Natrium¬
sulfatlösung mehrere Stunden lang dauernd gemischt (bei Zimmer¬
temperatur); in der Lösung wurde dann stets erheblich mehr Chlor
gefunden, als dem Chlor aus dem Serumrest des Blutkörperchenbreies
entsprach. Es trat also Chlor aus den Blutkörperchen
in die Lösung. Der Austausch erfolgte in Natriumsulfat viel
rascher als in Rohrzucker. Er trat auch dann ein, wenn die Kohlen¬
säure aus dem Blutkörperchenbrei ausgespiilt worden war. Bringt
man den Blutkörperchenbrei nach dem Austausch in Serum oder
Kochsalzlösung, so geht Chlor aus der Lösung in die Blutkörperchen.
Wurde vor und nach dem Versuche das Verhältnis des Cl-Ge-
haltes im Suspensionsmittel zu dem in den Körperchen bestimmt, so
ergab sich, dass es genau das gleiche war, wenn der Blutkörperchen¬
brei bei Zimmertemperatur 4 Stunden dauernd mit Natriumsulfat¬
lösung gemischt wurde. Danach scheint sich das Chlor in ganz be¬
stimmtem Verhältnis (1:2) auf die Blutkörperchen und das Suspen¬
sionsmittel zu verteilen.
Es war nun die Frage zu entscheiden, ob die Zellen in diesen
Versuchen dauernd geschädigt waren oder ob der Austausch ein re¬
versibler Vorgang ist. Es ist schon erwähnt, dass sowohl aus Serum
als auch aus Kochsalzlösung Chlor in die Zellen ging. Weiter wurden
mit solchen Zellen, die Chlor abgegeben hatten, „osmotische Ver¬
suche“ angestellt, d. h. die Zellen wurden in isotonischer und hypo¬
tonischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt und 1—3 Stunden gemischt.
Die Zellen nahmen dann ebenso an Volumen zu wie normale. Es
gelang auch, rote Blutkörperchen durch wiederholtes Auswaschen
mit Natriumsulfatlösung vollkommen Cl-frei zu machen, ihr Chlor¬
gehair wurde in der gesammelten Spülflüssigkeit quantitativ gefunden;
auch diese Zellen nahmen in hypotonischer Kochsalzlosung ebenso
Wasser auf und hielten es in mehreren Stunden unverändert fest.
Fs kann also zwischen Blutkörperchen und umgebender Losung
ein Chloraustausch stattfinden, und dennoch ist der Wassergehalt der
Zellen vom osmotischen Drucke der umgebenden Losung abhängig,
was eben nach der herrschenden Ansicht bedeutet, dass nur Wasser,
^?ht aber Salz In die und aus den Zellen diffundiere. Man kann die
Verhältnisse auch nicht durch die Annahme erklären dass Wasser
viel langsamer als Salz in die Zellen diffundiert (Hamburger,
Jauues Loeb), da der Wassergehalt der Zellen m der hypotonischen
Lösung auch in 3 Stunden nicht abnimmt. Will man die osmotischen
Vorstellungen festhalten und nicht annehmen, dass der Wassergehalt
der Zellen in erster Linie vom Quellungsgrade der Zellkolloide ab¬
hängt — und wirklich findet eine grosse Reihe Tatsachen in den os¬
motischen Vorstellungen die einfachste Erklärung — , so bleibt nur
übrig anzunehmen, dass die Grenzschicht der Zellen ganz
komplizierte Funktionen hat, dass der W iderstand,
den sie der Diffusion entgegensetzt, vom Milieu
abhängig ist; er ist z. B. in Sulfatlösung geringer als in Rohr-
Herr B. Balsch: Die Behandlung chirurgischer Tuberkulosen
mit Enzytol (Borcholin). (Vergl. diese Wschr. Nr. 29 S. 1613.)
Diskussion: Herr B e 1 1 m a n n betont, dass er bei der Haut¬
tuberkulose nur sehr geringe Wirkung mit Enzytol gesehen hat. was
aber durch die bekannte Resistenz der Hauttuberkulose auch gegen
Röntgenbestrahlungen eine Erklärung findet.
Herr L. Schreiber hat gemeinsam mit Kohns die Wirkung
des Enzytois auf das normale Kaninchenauge geprüft. Die Appli¬
kation des Enzytois erfolgte 1. als subkonjunktivale Injektion; 2. als
intraokulare Injektion, und zwar einmal in die vordere Augenkammer,
andermal in den Glaskörper; 3. als subkutane Injektion an der Wange,
um auf eventuelle Fernwirkung auf das Auge zu achten; 4. intravenös.
Von den Versuchsergebnissen teilt Sch. nur das eine mit, dass bei In¬
jektion minimaler Mengen in die vordere Augenkammer schon nach
wenigen Tagen eine sehr auffällige Depigmentierung der Iris zu be¬
obachten ist. Dieser Befund hat deshalb besonderes Interesse, weil
von A b e 1 s d o r f f die gleiche Irisdepigmentierung durch Einbringen
von Thorium X in die Vorderkammer erzielt wurde. Der Versuch
zeigt demnach die von R. W e r n er nachgewiesene chemische Imi¬
tation der Strahlenwirkung durch Enzytol in sinnfälliger Weise.
Herr Werner will festgestellt wissen, dass nicht der Gehalt
an Lezithin an sich die Radiosensibilität eines Gewebes bedinge,
sondern dass die Anwesenheit von Sauerstoff (reichliche Vaskulari-
sierung) zum Abbau notwendig sei Er bestätigt die Einwirkung des
Cholins, wie sie vom Vortr. angegeben wurden, und hat bei Tumoren
die beste Wirkung durch gleichzeitige Anwendung von Enzytol und
Bestrahlungen erzielt. '
Naturwissenschaft!. -medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sektion für Heilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. Juli 1914 im Hygienischen Institut.
Vorsitzender: Herr L e x e r.
Schriftführer: Herr Berger.
Tagesordnung:
Herr Gärtner: Ankylostomiasis.
Die sog. Tropenanämie hat sich in der Hauptsache aufgelöst in
die durch Malaria und durch Ankylostomen erzeugte. Die Ankylo¬
stomiasis ist vielleicht die verbreitetste Krankheit auf der Erde.
Ungezählte Millionen von Menschen in den tropischen und sub¬
tropischen Bezirken leiden an ihr. So wird z. B. für die Südstaaten
von Nordamerika angenommen, dass dort über 10 Millionen Menschen
affiziert sind. In grossartiger Weise wird dort der Kampf gegen die
Krankheit durch Wanderärzte zu bekämpfen gesucht. Ausser den
Mitteln, die der Staat gewährt, sind Millionen Dollar von Rocke-
feiler für diese Zwecke zur Verfügung gestellt worden, ln Süd¬
amerika, in Indien, auf den indischen Inseln, auf Manila, in Südchina
in den feuchten Bezirken Afrikas, insbesondere auch in Aegypten
ist die Krankheit ganz ungemein verbreitet. In Europa wurde sie
in der Umgebung von Mailand schon 1838 entdeckt. Stark trat sie
auf 1879 beim Bau des St. Gotthardtunnels. Ausser anderen Aerzter
hat sich besonders Prof. Peroncito um die Erkenntnis der Krank
heit verdient gemacht. Letzterer wies nach, dass die Würmer nicht
die Folge, sondern die Ursache der Krankheit waren und zwar da¬
durch, dass er die Würmer durch Extractum filicis abtötete, worau
die Krankheit verschwand. Vom Gotthard aus wurde die Krankhei
durch die Tunnelarbeiter weit verschleppt, nach Oesterreich-Ungarn
nach Frankreich, Belgien, Niederlanden und nach Deutschland, um
hier anscheinend zunächst auf die Ziegelfelder Kölns. Hier war e
Prof. Leichtenstern, welcher sehr wertvolle Untersuchungen
über die Krankheit und ihre Erreger angestellt hat. Einige Jahn
später wurde sie im Oberbergamtsbezirk Dortmund bei einem Beru
arbeiter durch Dr. A 1 b e r s festgestellt, während sie im Aachene
Revier durch Dr. G. Meyer nachgewiesen wurde. In den nächstei
Jahren häuften sich die Fälle in den Bergwerken des westfälische
Industriebezirkes erheblich, und zwar trat die Affektion als eine bos
artige Anämie auf, die auch Todesfälle aufzuweisen hatte.
18. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1823
Die Krankheit wird erzeugt durch das Ankylostomum duodenale,
in Amerika Ankylostoma americanuin (— Necator americauus,
Dr. Stile s). Die ausgewachsenen Männchen sind bis 18 mm, die
Weibchen bis 10 mm lang. Die Schädigung findet statt durch das
Saugen der Here im Darm. Hierbei wird nicht bloss Blut ausge-
sogen, sondern auch Darmschleimhaut. Schaudinn konnte nach-
w eisen, dass eine grosse Zahl der Würmer kein Blut, sondern Darm¬
epithel in ihrem Magendarmkanal hatten und zwar als zusammen¬
hängende Petzen. Die Zahl der im Menschen gefundenen Würmer
beträgt wenige Exemplare bis zu 3000. Die Begattung findet im
menschlichen Darm statt, die Weibchen scheiden eine grosse Menge
von Eiern aus. Man hat in 1 g Kot schon bis zu 18 900 gefunden.
Die Eier furchen sich im Darm, aber es kommt nicht zur Entwickelung
einer Larve. Die Larvenbildung findet ausserhalb statt, sofern sich
Sauerstoff, eine Wärme von 15—30° findet und eine relativ grosse
Feuchtigkeit vorhanden ist. Die jungen Larven sind 0,2— 0,3 mm
lang, sie häuten sich zweimal und erreichen eine Grösse von 0,8 mm
Die Einkapselung erfolgt durch eine Haut, welche aber die lebhafte
Bewegung der Tiere nicht hindert. Nahrungsaufnahme findet in
dieser Zeit, soviel bekannt, nicht statt. Die Lebensdauer der Larven
geht bis zu einem Jahr. Aufgenommen werden die Larven durch
den Mund des Menschen. Im Darm verlieren sie die Schutzhülle,
sie bekommen eine Mundöffnung und einen Magendarmkanal, kurz,
wachsen in einigen VVochen zu geschlechtsreifen Männchen und
Weibchen aus. Die Eier treten ca. 6 Wochen nach der Aufnahme
im Stuhle auf. Der zweite Weg ist der von Loos angegebene
durch die Haut und zwar anscheinend sehr oft von den blossen
Füssen aus. Die Larven gelangen entweder in die Lymphbahnen und
werden dort zum Teil in den Lymphdriisen abgefangen oder sie
kommen in die Venen, in die Lunge und von dort durch Luftröhre
und Speiseröhre in den Magen. Die Symptome der Krankheit be¬
stehen zunächst in leichten Verdauungsstörungen, dann in Schmerz¬
gefühl in der Oberbauchgegend und darauf aus den Zeichen der
Arämie, z. B. Müdigkeit, Herzgeräusche, Abnahme der roten Blut¬
körperchen, Verminderung des Hämoglobingehaltes. Weiterhin
zeigen sich die eosinophilen Leukozyten vermehrt, ein Befund, auf
welchen die Engländer betreffs der Diagnose Wert legen, der aber
in Deutschland weniger hoch geschätzt wird.
Die Krankheit wurde im Ruhrgebiet bekannter gegen das
lahr 1896, im Jahre 1903 wurde die ganze unterirdische Belegschaft,
194 000 Personen, untersucht und 32 576 Wurmbehaftete gefunden.
Nun setzte die Bekämpfung der Affektion bei den Bergwerken ein.
Zunächst wurden Massnahmen getroffen betreffend grösserer Sauber¬
keit, sowohl über, als unter Tage. Statt der Waschkauen wurden
überall Brausebäder verwendet; über Tage wurden gut eingerichtete
saubere Klosetts hergestellt und unter Tage an all den Orten, wo
ein grösserer Verkehr war, Abortkübel hingestellt, so dass zurzeit
nci einer unterirdischen Belegschaft von rund 300 000 Personen auf
ie 8,5 Mann ein Kübel entfällt! Die höchste Zahl von Personen auf
einen Kübel beträgt 27! Die Verschmutzung mit Kot in den
'tollen usw. wird sehr stark bestraft, bis zu 60 M. in dem einzelnen
'"'alle. Für die Sauberkeit und die richtige Fortnahme der Kübel ist
überall die beste Vorsorge getroffen. Für diese Reinlichkeits-
lestrebungen sind im Dortmunder Oberbergamtsbezirk rund 2% Mil-
ion Mark ausgegeben worden. Tatsächlich ist die Sauberkeit in den
fergwerken an der Ruhr jetzt eine ausserordentlich zufrieden-
'tellende.
Sodann ordnete die Oberbergbehörde die Durchmusterung zu¬
nächst der gesamten, dann eines Teiles (Stichproben von 20 bis
>0 Proz.) der unterirdischen Belegschaft in relativ kurzen Zwischen-
äumen an. Ausserdem musste jeder auf einer Zeche neu angestellte
Uann ein ärztliches Zeugnis beibringen, dass er wurmfrei sei. Die
^Versuchungen wurden von hierfür ausgebildeten Knappschaftsärzten
orgenommen. Da die Infizierten nicht eher neu angestellt werden
lurften, als sie den Nachweis der Wurmfreiheit führen konnten, so
yar damit ein Behandlungszwang eingeführt, der in einer Kur mit
.xtractum filicis im Krankenhaus bestand. Das in Amerika in erster
Jnie verwendete Thymol bewährte sich bei uns weniger. Durch
iiese Massnahmen ging der Prozentsatz der Infizierten in wenig
[ähren ganz erheblich herunter, und er ist jetzt von ungefähr
•94 Proz. auf ungefähr 0,5 Proz. gesunken.
Es macht jedoch Schwierigkeiten, den Prozentsatz weiter
lerunterzudriicken und in den letzten Jahren ist ein erheblicher Rück¬
gang nicht mehr zu verzeichnen. Nach genauen Untersuchungen an
bt und Stelle hofft man dadurch weiter zu kommen, dass man an
lie Stelle der bloss mikroskopischen Untersuchung nach dem Vor-
icinge von Loos die kulturelle setzt. Zu dem Zweck wird eine
'Otmenge von vielleicht 50 g mit der mehrfachen Masse von Tier-
ohle fein verrieben und in den Brütapparat gesetzt. Die Kohle dient
|ur als Sauerstoffüberträger. In wenigen Tagen entwickeln sich
'ann die Eier zu Larven, das Kotkohlegemisch wird mit Wasser
erdünnt, eine Zeit stehen gelassen und dann leicht zentrifugiert,
he spezifisch schweren Larven finden sich im Sediment und werden
aiter dem Mikroskop leicht gefunden. Bei der mikroskopischen
ntersuchung konnte man jeweils nur 2 mg untersuchen. Nach vielen
' ausend Untersuchungen von Prof. B r u n s - Gelsenkirchen findet
ian mit der kulturellen Methode 3 mal mehr Bazillenträger heraus,
ls mit der mikroskopischen.
Die Durchmusterung der Gesunden erwies sich für das Personal
uf die Dauer als eine grosse Belästigung, die auch im Verhältnis
iel zw wenig Erfolge hatte. Es ist deshalb vorgeschlagen worden,
die kulturellen Durchmusterungen zwar beizubehalten, aber das
Hauptaugenmerk auf die dauernde Verfolgung der jetzt und in den
3 letzten Jahren als Wurmträger befundenen Leute zu legen, sie
vermittels einer Kartothek stets im Auge zu behalten. Erst wenn
in mehrfachen Untersuchungen Wurmfreiheit konstatiert ist, werden
u • jn ^er Liste gelöscht. Die jetzt vorhandenen weitgehenden
Ke.nlichkeitsbestrebungen müssen bestehen bleiben, da die Infektion
durch die Haut hindurch in den Bergwerken wahrscheinlich eine
grosse Rolle spielt. Genaueres war darüber trotz aller Umfragen,
botz Inspektion einer grossen Reihe von Bergwerken und besonders
der infizierten Reviere absolut nicht zu erfahren. Für den deutschen
Bergbau ist es von grosser Wichtigkeit, die Krankheit wenn möglich
ganz zu beseitigen. Helfend tritt hinzu, dass die Ankylostomen sich
im Menschen nur ca. 5 — 8 Jahre halten und dann absterben. Er¬
schwerend kommt hinzu, dass die Bergwerke des Auslandes und
die ganzen feuchten, tropischen und subtropischen Bezirke infiziert
sind. Daher macht sich die dauernde Kontrolle der neu anzulegenden
Bergwerke notwendig.
Ausserhalb der Gruben kommt die Affektion nicht vor; niemals
mit Ausnahme eines einzigen Falles ist sie über Tage verbreitet
worden, und auch dieser Fall ist noch zweifelhaft.
Disk us s i o n : Herr Herzog- Chicago: H. hebt hervor, dass
er in Chicago selbst fast keine Fälle von Ankylostomiasis zu sehen
bekam, dass er aber seinerzeit auf Manila viele Erkrankungen beob¬
achtet habe. Es handelte sich um eine Art von Ankylostomum, das
man auch als Ankylost. americanum bezeichnet habe. Er halte die
!in^tion durch die Haut für sehr wichtig und kenne selbst derartige
Fälle aus eigener Erfahrung. Nach seiner Ansicht seien die Eier
ziemlich leicht zu finden, aber auch in Amerika würde jetzt ein An¬
reicherungsverfahren verwendet. Die Behandlung bestehe in Ver-
abreichung grosser Dosen von Ihymol. In den amerikanischen Berg¬
werken sei die Belegschaft eine so wechselnde, dass sichere Unter¬
suchungen über die Erkrankungen an Ankylostomiasis nicht vorlägen.
Bekannt sei ihm, dass in den Südstaaten die „Faulkrankheit“ eine
grosse Rolle spiele und die Regierung grosse Mittel zu deren Be¬
kämpfung bewillige.
Herr Grober berichtet aus eigener Beobachtung im rheinisch¬
westfälischen Kohlengebict über klinische Besonderheiten der deut¬
schen Ankylostomiasis Die geringe Eosinophilie hat auch er beob¬
achten können; die Zahl der eosinophilen Zellen ist bei seinen Kranken
nie über 5 Proz. hinausgegangen. — Die Anämie kann sehr hoch¬
gradig. werden, doch kommt es nie zu dem Symptomenkomplex der
perniziösen Form; die Erythrozyten zeigen stets ihre normale Ge¬
stalt. — Die Vermutung des Vortr., dass es sich bei der Wirkung der
Ancylostomum duodenale um Beeinflussung der Darmschleimhaut
handelt, die neben der Blutaufsaugung der Würmer in Betracht kommt,
glaubt Gr. bestätigen zu können, da er einen Fall bei der Sektion
sah, der einen ausgedehnten schweren Katarrh des mittleren und
unteren Dünndarms bei Anwesenheit sehr vieler Würmer hatte.
Der Kranke war nicht an der Anämie, sondern an einer interkurenten
akuten Phthise zugrunde gegangen.
Die Unwirksamkeit der Thymoltherapie hat auch Gr. erfahren.
Das wirksame Mittel ist sicherlich das Farnkrautextrakt.
Herr Klunker: Ueber Milchpasteurisierung, insbesondere über
biorisierte Milch.
Der Vortr gibt zunächst einen Ueberblick über die gegenwärtig
gebräuchlichen Pasteurisierungsmethoden der Grossbetriebe, die sich
sich in der Hauptsache physikalischer Hilfsmittel bedienen. Obenan
stehen die Erhitzungsverfahren, die man ihren wesentlichsten Merk¬
malen nach in zwei Klassen einteilt: 1. in die Kurz- oder Hoch-
pasteurisation, bei welcher Temperaturen von 85—98° verhältnis¬
mässig kurze Zeit (10 — 1 Minute) zur Anwendung kommen, 2. in die
Dauerpasteurisation, wobei die Milch etwa Vs Stunde lang 63 bis
75 Wärmegraden ausgesetzt wird. Letztere ist bei weitem vorzu¬
ziehen, da durch sie die Milch in chemisch-physiologischer Beziehung
nur in ganz geringem Masse beeinflusst und trotzdem ein befrie¬
digendes bakteriologisches Resultat erreicht wird. Insbesondere wird
der Behandlung der gut verschlossenen Flaschenmilch im 63 "-Wasser¬
bad das Wort geredet, da auf diese Weise jegliche Nachinfektion
vermieden, dagegen der Rohmilchcharakter völlig gewahrt und
ausserdem eine hervorragende Keimverarmung und sichere Abtötung
etwa vorhandener pathologischer Organismen erzielt wird. Leider
lässt sich durch die Flaschenmilchpasteurisierung wegen der damit
verbundenen Umständlichkeiten nur ein kleiner Teil des Konsums,
z. B. der Bedarf an Säuglingsmilch decken. — Von den chemischen
Hilfsmitteln hat nur der Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd eine ge¬
wisse Bedeutung. Man kann den etwa vorhandenen Ueberschuss
an H2O2 durch nachträgliche Beigabe eines katalytisch wirkenden
Ferments beseitigen und so ein gutes, keimfreies Produkt gewinnen.
Die allgemeine Anwendung chemisch behandelter Milch ist deshalb
nicht zu empfehlen, weil die Gefahr besteht, dass bereits zersetzte,
die Gesundheit schädigende Milch durch Zusatz von Chemikalien kon¬
serviert und verkauft wird.
Hierauf berichtet der Vortragende über eigene Versuche mit dem
„Biorisator“, einem von dem Leipziger Chemiker Dr. Lob eck kon¬
struierten Apparat, in welchem die unter Druck von 4 Atmosphären
stehende Milch aufs feinste verstäubt und hierbei wenige Sekunden
hindurch einer Temperatur von ca. 75° ausgesetzt wird. Die Milch
legt da nur einen ganz kurzen Weg zurück und gelangt durch einen
kombinierten Kühler sofort zur Abfüllung. Die Kürze des Weges ist
wegen der Verhütung von Nachinfektionen von grösster Bedeutung.
1824
Bei den monatelang währenden \ ersuchen konnte einerseits
nachgewiesen werden, dass die „Biorisierung der Milch keinen
nennenswerten Einfluss auf ihre chemisch-physiologische Beschaffen¬
heit hat, insbesondere sind das Aussehen, der Geschmack und Ge¬
ruch, das Aufrahmungsvermögen, der Enzymgehalt und die ti-
weisszusammensetzung gegenüber dem unbehandelten Naturprodukt
so gut wie unverändert, andererseits tritt durch die Verarbeitung
im Biorisator eine überraschende Keimverarmung und Vernichtung
aller Krankheitserreger ein. Die der Milch pro Kubikzentimeter in
Mengen von 50000—200000 beigemischten Koli-, Typhus-, Paratyphus-,
Ruhr- Gärtner-, Cholera- und Diphtheriebazillen, sowie virulente
Streptokokken sind nach der Biorisierung auch durch feinere Me¬
thoden nicht mehr zu kultivieren. Nicht völlig vernichtet werden
Staphylokokken, von denen ebenso wie von den eigentlichen Milch¬
säurebildnern eine kleine Zahl am Leben bleibt.
Sehr günstig gestalteten sich auch die Versuche mit Tuberkel¬
bazillen Aus einer Reihe von Tierversuchen geht hervor, dass auch
die Koch sehen Stäbchen vermittels des neuen Verfahrens völlig
unschädlich gemacht werden. . ...
Da ausserdem die im Biorisator behandelte Milch eine um über
100 Proz. erhöhte Haltbarkeit gegenüber der Rohmilch besitzt, so
kann sie — eine leidlich saubere Gewinnung des Naturproduktes
vorausgesetzt — als hygienisch einwandfreie Milch bezeichnet
werden, die aller Wahrscheinlichkeit nach eine grosse Bedeutung für
die gesamte Volksernährung erlangen wird.
In der Diskussion geht Herr Gärtner des näheren auf den
Abtötungsvorgang ein, wie er nach seiner Ansicht im Biorisator
statthat. Es ist wahrscheinlich, dass hierbei weniger der Druck und
die plötzliche sprunghafte Temperaturerhöhung von ca. 15 auf 75°
eine Rolle spiele, als vielmehr die von allen Seiten gleichmässig
auf die Milchtröpfchen einwirkende Erhitzung, deren vernichtende
Kraft noch dadurch erhöht werde, dass die Milch in feinster Schicht
an den heissen Innenflächen des Apparates herabfliessen müsse. —
Bezüglich des Zusatzes von Chemikalien zur Milch ist Herr Gärt¬
ner anderer Anschauung als der Vortragende: Die Gefahr, eine be¬
reits zersetzte Milch zu konservieren und zu verkaufen, bestünde
nicht nur bei der chemischen Behandlung, sondern auch bei der
Pasteurisierung durch Wärme. Daher sei es Hauptaufgabe der Kon¬
trolle, zu verhüten, dass genussuntaugliche Milche auf irgend eine
Weise pasteurisiert werde. Die von dem Vortragenden er¬
wähnte Abneigung gegen Desinfektionsmittel in der Nahrungsmittel¬
branche sei auch neulich in einer Sitzung des Gesundheitsrates In
Berlin stark zum Ausdruck gekommen. Man fürchtete auch da, dass
die Freigabe der Desinfektionen dazu führen würde, dass im Nah¬
rungsmittelgewerbe nicht die nötige Sorgfalt herrsche, andererseits
dürfe man auch nicht zu streng sein. So sehe er nicht ein, warum
man nicht Milch mit Wasserstoffsuperoxyd und einer Spur Perhydrase
sterilisieren solle; das ganze, was der Milch zugeführt würde,
sei eine Spur Wasser und eine Spur Sauerstoff. Beide wären
völlig indifferent. Die Milch sei ausserdem keine Konserve, sondern
stets frisch zu gebrauchen; die erwähnten Zusätze machten sie auch
nicht zur Konserve, sie gestatteten nur eine etwas längere Brauch¬
barkeit. Die Wirkung des Biorisators beruhe in der grossen Haupt¬
sache darauf, dass durch die feine Verteilung tatsächlich jedes Teil¬
chen Milch auf ca. 75° C erwärmt würde, womit die Keimfreiheit
mit Ausnahme für die sporenhaltigen Bakterien genügend gesichert
sei. Einen Einwurf von Stabsarzt Klunker, dass man durch
Wasserstoffsuperoxyd auch eine schlechte Milch sterilisieren könne,
gebe er zu, aber dasselbe sei bei der Pasteurisierung auch möglich.
In dieser Beziehung bestände also ein grundlegender Unterschied
nicht.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Die Behandlung der Tuberkulose mit Rosen-
bachschem Tuberkulin eignet sich nach Josef Kovacs-
Pest besonders für alle Fälle von äusserer Tuberkulose: Tuberkulose
der Knochen und Gelenke, tuberkulöse Drüsen und Fisteln und
kariöse Prozesse. Das Mittel wird in den Krankheitsherd selbst oder
in das umgebende Gewebe eingespritzt; es ruft dort typische Re¬
aktionen hervor. Schädigungen wurden nie davon beobachtet. Bei
Lungentuberkulose trat nach Anwendung des Mittels wohl eine gün¬
stige Beeinflussung des Allgemeinzustandes ein, selten aber eine
Besserung des objektiven Befundes. (Ther. Mh. 1914 H. 6.) Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 14. August 1914.
— Der Schiedsspruch, durch den der Hallische Kassen¬
streit beigelegt wird, bestimmt folgendes:
I. Das Schiedsgericht macht sich dahin schlüssig, dass die Ver¬
gütung der Aerzte für ärztliche Versorgung der Mitglieder der All¬
gemeinen Ortskrankenkasse in Halle a/S. wie folgt festgesetzt wird:
7.50 M. pro Kopf und Jahr der Versicherten. Das Pauschale schliesst
die Nebenleistungen ein, jedoch sollen besonders vergütet werden:
Nachtkonsultationen mit 2 M., Nachtbesuche mit 4 M., Entbindungen
Nr. 33.
nach den Mindestsätzen der jetzt geltenden Preussischen Gebühren¬
ordnung. Kilometergebühren für ausserhalb Halles wohnende Ver¬
sicherte mit 75 Pf. pro Kilometer einfach gerechnet.
II für die Behandlung von auswärts der Allgemeinen Orts¬
krankenkasse in Halle zugewiesener Kranker werden die Mindest¬
sätze der jetzt geltenden Preussischen Gebührenordnung gezahlt.
Die ärztlichen Liquidationen für auswärts behandelte Mitglieder der
Allgemeinen Ortskrankenkasse werden von dieser der Hallischen
Kontrollkommission zur Begutachtung vorgelegt. Der von dieser
festgesetzte Betrag ist aus dem ärztlichen Pauschale zu zahlen.
III. Das Schiedsgericht ist der Ansicht, dass die im Arzt-
registcr des städtischen Versicherungsamts in Halle a/S. eingetra¬
genen Aerzte des Saalkreises vorstehendem Schiedsspruch unterstellt
sind, soweit Mitglieder der • Allgemeinen Ortskrankenkasse zu
Halle a/S. in Betracht kommen.
— Von den „Abhandlungen über Salvarsan1, ge¬
sammelt und herausgegeben von Paul Ehrlich, ist der 4. Band er¬
schienen (Verlag von J. F. Lehmann, München; Preis geb. 11 M.h
Der Band enthält die vorwiegend in der Münch, med. Wochenschr..
aber auch die in anderen Zeitschriften erschienenen Arbeiten über
Salvarsan.
— Cholera. Russland. Im Gouv. Podolien wurden. bis zum
23. Juli insgesamt 113 Erkrankungen, davon 53 mit tödlichem Aus¬
gang, festgestellt. Die Kreise Brazlaw, Winniza und Jampol int
Gouv. Podolien sind für choleraverseucht, die Gouvernements Wol-i
hynien und Kiew für cholerabedroht erklärt worden.
_ Pest. Russland. Die Gesamtzahl der im Gouv. Astrachan |
seit dem Ausbruch der Pest festgestellten Erkrankungen beträgt 49
mit 46 Todesfällen. Vom 16. bis 23. Juli sind Neuerkrankungen nicht
vorgekommen. — • Aegypten. Vom 18. bis 24. Juli erkrankten 6 (und
starben 9) Personen. — Tripolitanien. Zufolge Mitteilung vom
15. Juli ist die Pest in Bengasi noch nicht erloschen; sie zeigt indessen
keine Zunahme und wird als gutartig bezeichnet. Auch in der Um¬
gebung von Tripolis (in Azizia, Zansur und Tarhuna) sind in letzter
Zeit einzelne Pestfälle beobachtet worden. — Britisch Ostindien. Vom
21. bis 27. Juni erkrankten 750 und starben 661 Personen.
— In der 29. Jahreswoche, vom 19. bis 25. Juli 1914, hatten!
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Halberstadt mit 40,8, die geringste Remscheid mit 5,3 Todesfälle!
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbener
starb an Scharlach in Zabrze, an Diphtherie und Krupp in Harburg
Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Der Geh. Med.-Rat Dr. Heinrich Schoeler, a. o
Professor der Augenheilkunde, beging am 5. August seinen 70. Ge
burtstag. (hk.)
G ö 1 1 i n g e n. Am 14. ds. Mts. hielt der Assistenzarzt an de
hiesigen Universitäts-Kinderklinik, Dr. K. B 1 ü h d o r n, seine Probe
Vorlesung als Privatdozent für Kinderheilkunde.
München. Der nichtetatsmässige a. o. Professor der Psych
iatrie an der Münchener Universität Dr. Walter Spielmeyer
Leiter des anatomischen Laboratoriums der psychiatrischen Klinik
wurde zum Oberarzt an der genannten Klinik in etatsmässiger Eigen
schuft ernannt, (hk.)
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 30. Jahreswoche vom 26. Juli bis 1. August 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs
fehler 5 (ll1), Altersschw. (über 60 Jahre) 6(3), Kindbettfieber 1 (—
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft — (1), Scharlach — (—
Masern u. Röteln 1 (1), Diphtherie u. Krupp — (— ), Keuchhusten3(—
Typhus (ausschl. Paratyphus) —(—), akut. Gelenkrheumatismus 1 (—
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswu
Trichinenkrankh. — (—), Rose (Erysipel) 1 (— -), Starrkrampf — (—
Blutvergiftung 1 (1), Tuberkul. der Lungen 15 (25), Tuberkul. and. Or;
(auch Skrofulöse) 8 (3), akute allgem. Miliartuberkulose 1 ( — ), Lunger
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 3 (5), Influenza — (— ), vener
sehe Krankh. 1 (1), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfiebe
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechse
fieber usw. — ( — ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) 3 (2), Alkoholi:
mus — (— ), Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 1 (3), sonst. Kranki
d. Atmungsorgane 2 (3), organ. Herzleiden 11 (10), Herzschlag, Mer:
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 2 (7), Arterienverkalkun
5 (5), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 4 (4), Gehirnschlag 12 (7
Geisteskrankh. 3 (1), Krämpfe d. Kinder 3 ( — ), sonst. Krankh. d.Nervei
Systems 4 (7), Atrophie der Kinder 4 (2), Brechdurchfall — (3), Mage'
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 15 (15), Blinddarr.
entzünd. 1 (4), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse
Milz 1 (3), sonst. Krankh. derVerdauungsorg. 4 (5), Nierenentzünd. 8(1!
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 2 (3), Krebs 16 (21), son:
Neubildungen 4 (6), Krankh. der äuss. Bedeckungen — (1), Krankh. d
Bewegungsorgane — (1), Selbstmord 5 (— ), Mord, Totschlag, au>
Hinricht. — ( — ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 3 (■
andere benannte Todesursachen 8 (2), Todesursache nicht (gena
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— )•
Gesamtzahl der Sterbefälle: 168 (180).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoch
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
{edaktion: Dr. B. Spatz,
tünchen, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 33. 18. August 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 2.
Aus der chirurgischen Klinik zu Leipzig.
in Vorschlag zur Behandlung der Bauchschüsse im Kriege.
on Geh. Med. -Rat Prof. Payr, Generalarzt ä la suite des
Kgl. Sächs. Sanitätskorps.
Die letzten Kriege haben gezeigt, dass die für die Friedens¬
rats geltenden Grundsätze in der Behandlung der Bauch-
-hüsse ohne schwere intraabdominelle Blutung keine Geltung
aben.
Zur Zeit, da die Laparotomie mit Aussicht auf vollen Er-
>lg ausgeführt werden könnte, sind die äusseren Verhältnisse
vbt die geeigneten; zur Zeit, da sie geeignet wären, ist der
ustand des Verletzten entweder schon in ungünstigem Sinne
ltschieden, oder aber es sind reparative Vorgänge in Aus-
idung, die es sehr fraglich erscheinen lassen, ob durch die
aparotomie noch Nutzen gebracht wird.
Bei den Durchbohrungen des Magendarmkanals durch das
oderne kleinkalibrige Geschoss ist die Neigung zu Ver-
ebungen nach vorübergehendem Verschluss des Schuss-
ches durch vorquellende Schleimhaut eine relativ grosse.
Die Mortalität der konservativ behandelten Bauchschüsse
ar mehrfach bei geeignetem Verhalten in den letzten mit
odernen Handfeuerwaffen arbeitenden Kriegen eine wesent-
h geringere, als man es nach den Lehren der Friedenspraxis
wartet hätte.
Die in späteren Stadien des Verlaufes eines Bauchschusses
^genommenen Operationen ergeben häufig einen wenig be-
edigenden Befundund dementsprechend schlechte Resultate,
e Darmschlingen finden sich durch Fibrin, gewöhnlich schon
reichlicher Organisation begriffen, fest verklebt, zwischen
11 einzelnen Darmschlingen da und dort Abszesse, manche
ithaltig.
Jedenfalls ist durch die reaktiv entzündlichen Prozesse
e Möglichkeit einer Uebersicht genommen, von einer Ver-
rgung aller vorhandenen Oeffnungen des Darmkanals keine
.'de mehr, eine Gelegenheit zu befriedigender Drainage oder
tener Behandlung auch nicht mehr gegeben.
Erfahrungen mit Bauchschüssen in der Friedenspraxis, so-
!e die sehr reichlichen Beobachtungen beim perforierten
agen- und Duodenalgeschwür, sowie bei der Appendizitis,
ben mir nun folgendes nahegelegt.
Nach der Durchquerung der Leibeshöhle durch ein Ge¬
noss mit der Wahrscheinlichkeit einer multiplen Eröffnung
'S Magendarmkanals und der Zerreissung mannigfaltiger
einerer) Blutgefässe erfolgt ein Bluterguss, dem gegebenen-
j'S Magendarminhaltmassen beigemischt sind, in die freie
buchhöhle.
Dieser Erguss senkt sich allmählich, wenn er nicht allzu
j’chtig ist, gegen das kleine Becken. Ich habe mehrere Male
uchschüsse mit Browningpistole gesehen, die am 2. Tage
|ch der Verletzung kein Blut in der freien Bauch-
»hlc nach gemachter Laparotomie zeigten, wohl aber jene
schmal ziemlich massigen Ergüsse im kleinen Becken.
Die Verklebungsvorgänge an den verletzten Darm-
' dingen setzen mächtig ein und die lokale oder regio-
•tre, wenn auch gelegentlich zu kleineren Abszessen
''rende adhäsive Peritonitis verhütet das Zustande-
'mmen einer allgemeinen.
Der Bluterguss im kleinen Becken aber wird häufig nicht
resorbiert, da er in der grossen Mehrzahl der Fälle als
vom Darmkanal aus infiziert anzusehen ist.
Es entsteht durch seine Vereiterung ein Kleinbecken-
a b s z e s s, der, wie ich mich bei anscheinend durch Tage
günstig verlaufenen perforierten Magen- und Duodenal¬
geschwüren und Verletzungen überzeugt habe, späterhin
durch Drucksteigerung und Sprengung der gebildeten Ad¬
häsionen zur sekundären und diesmal prognostisch sehr un¬
günstigen Peritonitis führt. Es handelt sich also meines Er¬
achtens darum, den infizierten Bluterguss im
kleinen Becken bei den Bauchschüssen im
Kriege prophylaktisch oder therapeutisch
unschädlich zu machen.
Hierfür scheinen mir zwei Wege brauchbar zu sein. Ich
empfehle bei den frischen Bauchschüssen, d. h. bei jenen,
welche innerhalb der ersten 24 — 48 Stunden in sonst gutem
Zustande in die fachärztliche Behandlung kommen, nur
suprasymphysär eine kleinste Laparotomie unter
Lokalanästhesie zu machen, gross genug, um ein
fingerdickes Gummidrain in das kleine Becken zu führen mit
weiterer Behandlung in halbsitzender oder Seitenlage.
Kommt der Verletzte später in fachchirurgische Hände,
so ist sofort der Douglas per rectum genauestens zu unter¬
suchen und beim Vorhandensein von Schmerzhaftigkeit, Vor¬
wölbung, Tenesmen, Schwierigkeiten in der Harnentleerung zu
eröffnen. Ist eine zirkumskripte deutliche Vorwölbung vor¬
handen, so wird man den Weg durch die Rektalwand wählen.
Ich wiederhole Bekanntes, wenn ich sage, dass man den
Schliessmuskel kräftig dehnt, mit 2 Kugelzangen die Schleim¬
haut über der tastbaren Schwellung fasst, fixiert, die Nadel
einer Punktionsspritze einstösst, sieht ob zersetztes Blut, ge¬
trübtes Exsudat oder Eiter zum Vorschein kommt und nun
bei steckender Punktionsnadel mit Paquelin oder Messer ein¬
sticht, den Erguss entleert und ein Drain nachführt.
Ist eine zirkumskripte Vorwölbung nicht vorhanden, aber
der Douglas im allgemeinen vorgewölbt und sehr schmerzhaft,
die Erscheinung einer Kleinbeckenperitonitis und beginnenden
allgemeinen vorhanden, so empfehle ich, p a r a s a k r a 1 zu er¬
öffnen.
Das Steissbein wird dabei am besten enukleiert, nach
Längsspaltung der Fascia retrorectalis der Mastdarm frei¬
gelegt, herabgezogen und die vordere peritoneale Umschlag¬
falte seitlich eröffnet. Der Eingriff ist natürlich etwas grösser,
aber vom geübten Chirurgen doch in kürzester Zeit und mit
einfachen Mitteln ausführbar.
Die Nachbehandlung ergibt sich von selbst. Man führt
ein Drain in das kleine Becken ein, fixiert es in der Wunde
verlässlich durch eine Naht, lässt die ganze Operationswunde
offen und tamponiert sie leicht.
Mögen meine Friedenserfahrungen bei manchen Formen
von Peritonitis nach Verletzungen und Perforationen von
Bauchhöhlenorganen, die zu diesen Vorschlägen führten,
unseren tapferen Kriegern, die jetzt freudig ins Feld ziehen,
für Deutschlands völkische Ehre und Grösse zum Nutzen ge¬
reichen!
Ein Austausch der an grösserem Materiale gewonnenen,
leider wohl bald sich ergebenden Erfahrungen, wäre schi-
erwünscht.
1826
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 33.
Aus der Kgl. orthopädischen Klinik in München.
Die Orthopädie im Kriege.
Von Prof. Dr. Fritz Lange, Oberstabsarzt d. L.
Die erste Aufgabe der Kriegschirurgie ist Stillung der
Blutung, die zweite Wahrung der Asepsis und die dritte ein
zweckentsprechender Transport der Verwundeten.
In der Beherrschung der Blutungen und der Asepsis sind
grosse Fortschritte gemacht worden. In der Frage des Trans¬
portes sind dagegen die Fortschritte viel geringer. Zum Be¬
lege führe ich folgendes an:
1870 waren die Schäden, die Verwundete durch den Trans¬
port erfuhren, noch so gross, dass Stromeyer vorge¬
schlagen hat, die Oberschenkelfrakturen 4—5 Tage in der
Abb. 1. Schiene für Verletzungen von den Zehen bis zum Knie.
Nähe des Schlachtfeldes hegen zu lassen, sie nur durch Zelte
zu schützen und erst dann den Transport in die Wege zu
leiten. Derselbe Vorschlag ist jetzt von Küttner, der wohl
unter den deutschen Chirurgen die meisten Erfahrungen als
Kriegschirurg -gesammelt hat, wieder aufgenommen worden.
Abb. 2. Schiene für Verletzungen vom Knie bis zu den untern Lumbalwirbeln,
einschliesslich Hüftgelenk und Becken.
Das heisst mit anderen Worten: der T ransport der Knochen¬
verletzungen entspricht heute noch ebenso wenig unseren
Wünschen wie vor 44 Jahren, und man tut besser, den Kranken
in den ersten Tagen überhaupt nicht mit den jetzigen Mitteln
zu transportieren. Friedrich, der in einer Arbeit über
löst betrachtet werden, wie die neuesten kriegerischen Er¬
eignisse wieder gezeigt haben.“ Daraus geht hervor, dass
eine zweckentsprechende Feldschiene noch nicht vor¬
handen ist. *
Dass wir aber auch in der Schienung unserer Kranken in
den Kliniken keine wesentlichen Fortschritte gemacht
haben, das zeigt am besten die Tatsache, dass die alte Volk-
mann sehe Schiene, trotz ihrer grossen Mängel, immer noch
in den Kliniken und Krankenhäusern das Feld behauptet. Ich
glaube, dass an der Lösung dieses Problems mitzuarbeiten der
moderne Orthopäde, der ja genug Gelegenheit hat, sich mit
technischen Fragen zu beschäftigen, besonders berufen und
auch besonders verpflichtet ist.
Welche Anforderungen müssen wir an eine Feldschiene
stellen?
Sie soll einfach sein, damit sie jeder Laie schnell an-
legen kann; sie muss für jede Grösse, die beim Militär vor¬
kommt, ohne weiteres passen; sie muss für die rechte Körper- 1
hälfte ebenso passen wie für die linke,; sie soll billig sein,
damit eine Massenanwendung bei der Masse der Verletzungen!
möglich ist; sie muss das verletzte Glied annähernd ebenso,
sicher fixieren wie ein orthopädischer Apparat oder ein
Gipsverband, und endlich muss sie leicht sein, denn die Kraft j
unserer Krankenträger darf nicht durch das Gewicht der
Schiene noch mehr in Anspruch genommen werden.
Allen diesen Anforderungen kann m. E. entsprechend durch,
Schienen, die im wesentlichen aus Bandeisen bestehen, mitj
Sattlerfilz gepolstert und durch Gurte mit Schnallen am Körper j
befestigt werden.
Bandeisen ist schon von Port für Feldschienen empfohlen
worden. Um aber dem federnden, weichen Bandeisen diej
nötige Festigkeit und Starrheit zu geben, mussten bisher
immer eine Anzahl von quer- und längsverlaufenden Bandeisen j
durch Nieten mit einander zu einer Art Hülse verbunden
werden und dadurch wurden dieN Apparate umständlich und
es war ein gewisses technisches Geschick zur Anpassung er-;
forderlich.
An den von mir empfohlenen Schienen (abgesehen von.
dem Feldkorsett) wird der Halt durch ein einziges, 36 mm
breites und 2 mm dickes Bandeisen gegeben. Um diesem
einen Bandeisen die nötige Starrheit zu geben, ist es hohl ge¬
hämmert, so dass es im Querschnitt nicht linienförmig ( - ).
sondern bogenförmig ( - - ) ist. An dieser langen starren
Längsschiene sind 3 — 6 schmälere Querbandeisen angebracht,
welche weich sind und sich durch den Druck der Hand jedem
Gliedumfang anpassen lassen.
Das ist das eine grundsätzliche Neue an den Schienen:!
das andere ist der Ersatz der Wattepolster und der Binden-
Abb. 3. Feldkorsett für Verletzungen von
Lenden- und Brustwirbelsäule.
Abb 4 b.
den
2. Balkankrieg von diesen Vorschlägen Strom eyers
und Kiittners berichtet (M.m.W. 1913 Nr. 47) fügt selbst
folgende Bemerkungen bei: „Ist der Transport nicht aufschieb-
bar, dann tritt die grosse Frage der besten, festen, haltbaren
Schienen in ihr Recht . . . Diese grosse und einschneidende
Frage kann leider bis zum heutigen Tage noch nicht als ge-
anwicklung durch Filzunterlage und Gurte. Dem einen Band
eisen verdankt die Schiene ihre Einfachheit und das leichte
Gewicht, dem Filz und dem Gurt die ausserordentliche Erspar
nis an Verbandmaterial und an Zeit beim Anlegen.
Ich habe die Polsterung und die Gurte bei denjenigen
Schienen, welche zum Transport der Verwundeten vom Ver-
18. August 1914.
Feldärztliche Beilage /nr Münch, mcd. Wochenschrift.
1827
handplatz zum Lazarett dienen sollen, fest vernähen lassen.
Ich verhehle mir nicht, dass diese Schienen in kurzer Zeit
einen wenig sauberen Anblick darbieten werden; sie werden
durch Blut, Regen etc. stark beschmutzt sein. Da aber die
Schienen auf diesem Transport über den Kleidern angelegt
werden, so ist das für die Wundbehandlung gleichgültig; die
Tragbaren können ja auch nicht vor jedem Gebrauch sterili¬
siert werden. Andrerseits ist cs viel wichtiger, dass die
Schienen immer gebrauchsfertig sind und deshalb sind fest¬
genähte Filzpolster und Gurte vorzuziehen. Es ist selbstver¬
ständlich, dass nach einiger Zeit diese Filze und Gurte er¬
neuert werden müssen; doch kann man das für ruhigere Zeiten
aufsparen; in Zeiten, wo der Kampf tobt, ist das Aussehen
Nebensache.
Für diejenigen Schienen aber, welche im Lazarett benutzt
und die gelegentlich mit Eiter infiziert werden, habe ich Filz
und Gurte abnehmbar und sterilisierbar machen lassen. Filz
und Gurte müssen bei diesen Schienen durch Leinenbänder
am Bandeisen befestigt werden; dadurch ist das Anlegen etwas
umständlicher als bei den Transportschienen, aber es erfordert
bei weitem noch nicht so viel Zeit, wie das Anwickeln der
heute noch meistens gebrauchten Volkmann sehen Schiene.
So viel über die Grundsätze, die mich bei der Herstellung
meiner Schienen leiteten. Die Anwendung der einzelnen
Schiene dürfte besser als durch Worte durch die Abbildungen
gezeigt werden:
• 5. Schiene für Verletzungen des oberen
nerusendes, des Schultergelenkes und des Abb. 6. Armschiene für Verletzungen von der
Schultergürtels. Hand bis zur Schulter.
-«>
'Ü
Abb. 1. Das an der Rückseite des Beines verlaufende Band¬
eisen zeigt eine Aushöhlung für die Ferse, folgt dann dem
Wadenumfang, zeigt am Knie eine leichte Einbiegung, damit
das Knie nicht vollständig gestreckt, sondern in leichter Beu¬
gung steht; diese Beugung kann, wenn sie nicht genügen
sollte, leicht durch Biegen der Schiene über der Tischkante
noch verstärkt werden. Der 1. und 2. Gurt a und b befestigt
die Schiene am Fuss, der 3. Gurt (c) in der Mitte des Unter¬
schenkels, der 4. (d) in der Mitte des Oberschenkels.
Abb. 2. Die Schiene verläuft wie die erste an der Rück¬
seite des Beines und Rumpfes und reicht bis zum Thorax. Im
unteren Teil bis zur Mitte des Oberschenkels ist die Schiene
crenau so gebaut wie die 1. Schiene; der obere Teil mit den
beiden den Rumpf umfassenden Querbändern (e und f) dient
zur Fixierung des Rumpfes.
Abb. 3. Zwei Längsschienen zu beiden Seiten der Wirbel¬
säule bilden den Kern der Schiene; zwei Querbänder und zwei
Schulterbänder befestigen die Schiene am Körper. In diesem
Falle sind 2 Schienen verwandt, weil die eine Schiene in
der Mitte leicht einen Druck auf die Dornfortsätze ausüben
könnte, welcher lästig sein kann.
Abb. 4 a und 4 b. Der Kinngurt wird nur bei Verletzungen
des Kiefers angelegt.
Abb. 5. Diese Schiene lehnt sich an die alte M i d d e I -
dorpfsche Triangel an; sie ist aber durch einen Band¬
eisengurt noch am Rumpfe befestigt und gibt dadurch einen
ganz anderen Halt als die alte Triangel und übt gleichzeitig
bei Oberarmbrüchen eine gewisse Extension aus.
Abb. 6. Bei dieser Schiene ist das längs verlaufende Band
nicht hohl gehämmert, weil für die leichte Aufgabe die Schiene
nicht absolut starr zu sein braucht. Da das Bandeisen seine
ursprüngliche Form behalten hat, ist es viel leichter biegsam
und deshalb ist diese Schiene gleichzeitig gedacht für Improvi¬
sierung in besonderen Fällen, wenn z. B. bei Kniekehlenwunden
der Druck der Schiene von hintenher nicht vertragen wird, so
kann diese Armschiene auch seitlich am Bein benutzt werden,
um die Fixierung des Kniegelenks zu bewirken.
Der Zweck der Schienen *) ist, die Schmerzen der Ver¬
wundeten nach Möglichkeit zu lindern und die Wundheilung
zu beschleunigen, Zeit und Kräfte der Aerzte zu schonen und
der Heeresverwaltung Geld ersparen zu helfen. Mögen sie
bei der ernsten Prüfung, der sie jetzt unterzogen werden,
diesen Zweck voll erfüllen.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Leipzig
(Geh. Med. -Rat Prof. Dr. E. P a y r).
Blutender Herzschuss durch Naht und Muskelimplan-
tation geheilt.
Von Dr. A. T. J u r a s z, Oberarzt der Klinik.
Seit Rehns erstmalig mit Erfolg ausgeführter Herznaht
im Jahre 1896 sind eine ganze Reihe von operativ behandelten
Fällen von Herzverletzungen bekannt geworden, welche in den
Statistiken von Borchardt [l], Wendel [2], R e h n [3]
und Hesse [4] gesammelt und niedergelegt worden sind.
I rotzdem herrscht in der Frage der Behandlung noch immer
keine ganz einheitliche Ansicht, insofern, als einige Autoren,
wie Franke, Hildebr andt, Friedrich, Martens [5]
u. a. auf Grund von einem oder mehreren glücklich durchge¬
kommenen Fällen und auf Grund der Erfahrungen der Stati¬
stiken die konservative Behandlung der Herzver¬
letzungen empfehlen. Ein sicheres Urteil sich in dieser Frage
zu bilden, dürfte jedoch auf Grund eines geringen Materials
ausserordentlich schwer sein, zumal die Diagnose bei den kon¬
servativ behandelten Fällen durchaus nicht immer mit abso¬
luter Sicherheit festgestellt war; die Sammelstatistiken kranken
an den ihnen natürlichen Fehlern, dass sie meist nur Zu¬
sammenstellungen von günstig verlaufenen Fällen bringen,
während die ungünstigen nicht erwähnt werden. Es war des¬
halb ein grosser Fortschritt, als Hesse im Jahre 1911 über
21 Herzverletzungen aus ein und derselben Klinik, dem
Obuchow-Krankenhause in St. Petersburg, auf dem Chirurgen¬
kongress berichten konnte und auf Grund der dabei gemachten
Erfahrungen vor allem auf die Notwendigkeit eines
frühzeitigen Eingreifens Nachdruck legte, da mit
jeder Stunde des Zuwartens die Prognose sich ungünstiger
gestalte. Er hält diese Forderung auch für die Fälle auf¬
recht, bei denen eine Diagnose nicht sicher zu
s t e 1 1 e n i s t. Er nimmt also den schon früher von R e h n
angegebenen Standpunkt ein, dass es immer besser sei, wenn
man eine vergebliche Probeperikardiotomie mache, als eine
Herzverletzung übersehe.
Ich möchte in folgendem einen Beitrag zur Unterstützung
dieser Forderung liefern in einem Falle, der aus zwei anderen
Gründen noch ein besonderes Interesse beansprucht.
Es handelte sich um einen 34 jährigen Patienten, der vor vier
Stunden einen Suizidversuch gemacht hat, indem er sich mit einem
7 mm-Revolver in die linke Brustseite schoss. Er wurde in voll¬
kommener Benommenheit im Stadium des Schocks mit kleinem, kaum
fühlbaren Puls und grosser Unruhe hier eingeliefert. Irgendwelche
Auskunft über den Vorgang der Verletzung war nicht zu erlangen.
Im 5. linken Interkostalraume fand sich in der Mammillarlinic eine
von Pulverrauch noch geschwärzte Einschussöffnung vor. Ein Aus-
*) Die Schienen werden von der Firma Stortz & Raisig,
München, Rosenheimerstrasse 4a, angefertigt und der Armee zum
Selbstkostenpreise geliefert; der Preis wird voraussichtlich bei den
meisten Schienen etwa 3 — 4 M. betragen, nur einzelne werden etwas
teurer sein.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 33.
1828
schuss war nirgends zu finden. Es bestand Bauchdeckenspannung,
Dämpfung der linken Brustseite bis zur Spina scapulae. Bei rechter
Seitenlage entleerte sich aus dem Schusskanal synchron der Atmung
hellrotes, etwas schaumiges Blut. Auf Exzitantien und Kochsalz¬
infusion besserte sich der Puis, so dass er fühlbar wurde. Es war
nun die schwerwiegende Frage zu entscheiden, ob es sich um einen
Herzschuss oder um einen einfachen Lungenschuss oder um beides
handelte.
Nach einstündiger Beobachtung Kleinerwerden des Pulses, des¬
wegen Operation (Dr. J u r a s z).
In Aethernarkose Koch er scher Schnitt vom Sternum über den
6. linken Rippenknorpel. Resektion desselben, wobei der Einschuss in
die Pleura festgestellt wurde, aus dem Blut mit Luft gemengt, anfangs
geringer, bei Anwendung von Ueberdruck mit dem Schoemak er¬
sehen Apparat aber reichlicher herausfloss. Resektion des 5. Rippen¬
knorpels, wobei der Einschuss in das blutig imbibierte Perikard sicht¬
bar wurde. Resektion des 4. Rippenknorpels, wodurch eine weit¬
gehende Eröffnung des Perikards ermöglicht war. Es zeigte sich
dabei, dass der ganze Herzbeutel mit zahlreichen Blutgerinnseln und
auch mit frischem hellroten Blut ausgefüllt war, das aus der Tiefe
hervorquoll. Mitten im linken Ventrikel war ein rundlicher Einschuss
zu erkennen, der von einem Thrombus verschlossen schien und nicht
blutete. Beim Aufheben der Herzspitze konnte man dagegen eine
ziemlich starke Blutung aus dem fingernagelgrossen, ziemlich zer¬
fetzten Ausschuss erkennen. Durch 3 Seidenknopfnähte durch die
Muskulatur wurde der Ausschuss verschlossen und die Blutung stand.
Nach Reposition des Herzens hörte dasselbe auf zu schlagen, durch
sanfte massierende Bewegungen jedoch fingen erst langsam, allmählich
rhythmisch wieder die Kontraktionen an. Nach Wegwischen des
Gerinnsels vom Einschuss fing derselbe wieder an zu bluten. Zwei
Nähte brachten die Blutung nicht zum Stehen, ausser¬
dem blutete es aus den Stichkanälen, deswegen Implantation
eines 1cm langen, % cm breiten Muskelstückes aus
der Brustmuskulatur auf die Einschussstelle mit¬
tels einigen feinen Situationsnähten, worauf die
Blutung augenblicklich stand. Spülung des Peri¬
kards mit Kochsalz bis keine Gerinnsel mehr in demselben
vorhanden waren, sodann Verschluss desselben mit fortlaufender
Katgutnaht. Da sich im linken Pleuraraume grosse Mengen Blutes
fanden und es nicht zu entscheiden war, ob das Blut nur aus -dem
Perikard herausgeflossen war oder ob auch die Lunge verletzt war,
wurde ein Interkostalschnitt ausgeschlossen, die massenhaften Ge¬
rinnsel ausgeräumt und ein zerfetzender Durchschuss des linken
Unterlappens der Lunge festgestellt, aus dem es mässig blutete. Die
Lungenwunde Hess sich ohne Schwierigkeiten nähen. Gründliche
Ausspülung der ganzen Pleurahöhle mittels Koch¬
salz, bis kein Gerinnsel mehr zu sehen war. Hierauf Verschluss
der Wunde durch mehrschichtige Naht unter Ueberdruck. Der
äussere Einschuss wurde exzidiert und vernäht.
Verlauf: Der Verlauf war ein normaler. Geringe Temperatur¬
steigerungen bis 38,0 in den ersten beiden Wochen. Am 10. Tage
wurde ein ziemlich ausgedehnter seröser Erguss mittels Aspiration
aus der linken Pleurahöhle entleert, der kulturell steril geblieben ist.
Vollständige Heilung. Puls von Anfang an langsam, regelmässig,
kräftig.
Die Nachuntersuchung nach 8 Wochen hat vollkommenes Wohl¬
befinden ohne Verbreiterung des Herzens, ohne pathologische Ge¬
räusche an demselben gegeben.
Im vorliegenden Falle schienen die ganzen Erscheinungen
erst gegen einen Herzschuss zu sprechen, denn der Lage des
Ausschusses entsprechend hätte das Geschoss sehr wohl am
Herzen Vorbeigehen können. Die von Rehn klinisch so genau
beschriebenen Symptome des Herzdruckes, sich äussernd in
starker Zyanose, Atemnot, Ueberfüllung der Halsvenen, zu¬
nehmenden kleinen Puls, waren nicht vorhanden. Abnorme
Herzgeräusche waren ebenfalls nicht hörbar. Auch das Her-
ausfliessen des Blutes, nicht stossweise, der Pulswelle ent¬
sprechend, wie man dies bei offenen, mit dem Herzbeutel kom¬
munizierenden Wunden hätte erwarten können, sondern syn¬
chron der Atmung bei entsprechender Tieflage, schien gegen
einen Herzschuss zu sprechen. Die Indikation zur Operation
wurde deswegen mehr auf Grund des zunehmenden Hämo-
thorax gestellt, als in der Annahme einer Herzverletzung. Dass
sich trotzdem bei der Operation eine so schwere Verletzung,
wie die Perforation des linken Ventrikels mit stark zerfetztem
Ausschuss vorfand, ist ein abermaliger Beweis dafür, wie be¬
rechtigt die Forderung Reims und Hess es ist, dass in
jedem Falle, bei dem die Möglichkeit eines Herzschusses vor¬
liegen kann, frühzeitig operativ eingegriffen werden soll. Denn
nach dem operativen Befunde war es nicht anzunehmen, dass
die Hämorrhagie aus der Herzwunde zum Stillstand gekommen
wäre, schon deswegen nicht, weil das Blut aus dem Perikard
einen freien Ausfluss nach der Pleurahöhle hatte, der Patient
sich also zweifellos in die Pleurahöhle hinein verblutet hätte,
Die Implantation eines freien Muskelstückes auf eine blu¬
tende Herzwunde wurde zuerst von Läwen [6] empfohlen
und ausgeführt anlässlich eines Schusses, der die Herzspitze
durchbohrt hatte und bei dem die Blutung schwer zu stillen
war. Dass das Muskelgewebe eine starke, blutgerinnende
Wirkung hat, ist bekannt, dass jedoch eine Implantation von
dem Herzen ohne weiteres vertragen wurde, ohne eine Mehr¬
belastung diesem Organe zuzumuten, geht aus dem Läwen-
schen Falle und aus den experimentellen Versuchen, dp
Läwen und Jurasz [7] am Herzen und anderen Organen
angestellt haben, zur Genüge hervor. Die gute Anheilung
ohne Zeichen irgend welcher Nekrose, wurde im Läwen-
schen Falle durch die Sektion des Pat. bewiesen, der leider
einer Infektion erlegen ist.
Mein Fall dürfte der erste sein, bei dem
eine I m plantation von Muskelgewebe auf das
Herz zu einem Dauererfolge geführt hat.
Aus einem 3. Grunde dürfte mein Fall noch interessant er¬
scheinen, insofern nämlich, als sich bei der grossen Wunde
keine Zeichen der sonst so gefürchteten Infektion anschlossen.
Ich führe das auf die reichliche Spülung des Peri¬
kards und der Pleurahöhle mit Kochsalz¬
lösung zurück, welche die alten, möglicherweise durch
den Schusskanal schon infizierten Blutkoageln restlos heraus¬
spülte. Ich glaube, dass in jedem künftigen Falle
die Pleura und das Perikard analog dem Vor¬
gehen, wie wir es bei der Bauchhöhle befolgen,
gespült werden sollten.
Was die operative Technik zur Freilegung des Herzens
betrifft, so geben nur die anfangs erwähnten Arbeiten von
Borchardt und Wendel genauen Aufschluss über die bis¬
her geübten Methoden. Neuerdings haben W i 1 m s [8] und
1 s e 1 i n [9] den einfachen Interkostalschnitt empfohlen. Ich
glaube, dass er bei derartigen Herzverletzungen nicht immer
genügen dürfte. Ferner wurde von L. Rehn die Längs¬
spaltung des Sternums zur Eröffnung des vorderen Media¬
stinums vorgeschlagen und nach einer mündlichen Mitteilung
bei 2 Fällen von Herzverletzung mit ausserordentlich gün¬
stigem Erfolge ausgeführt. Die Spaltung des Sternums soll
eine ausgezeichnete Uebersicht ergeben. Sie kommt bei
alleinigen Herzwunden in Betracht und wohl besonders bei
Verletzungen des rechten Ventrikels, der Vorhöfe und der
grossen Gefässe an der Herzbasis. Bei gleichzeitiger Ver¬
letzung des Herzens und der Lunge wird ein Interkostalschnitt
unerlässlich sein. Mit dem Kocher sehen Schnitte über den
6. Rippenknorpel mit nachfolgender Resektion der oberen
Rippen, soweit wie notwendig, habe ich mir in diesem Falle
einen sehr guten Zugang verschaffen können.
Literatur.
1. Borchardt: Sammlung klin. Vortr. 1906, 411/412. — 2.
Wendel: Langenbecks Archiv 80. — 3. Rehn: Langenbecks Ar¬
chiv 83, Berl. klin. Woch. 1913 Nr. 50 und Hb. d. prakt. Chir. 2.
1913. S. 908. — 4. Hesse: Chirurgenkongress 1911. — 5. Zit. nach
Rehn: Bruns Beitr. 75.-6. Läwen: Langenbecks Archiv 104. —
i. Läwen und Jurasz: Langenbecks Archiv 104. — 8. Wilms:
Chirurgenkongress 1911 — 9. Iselin: D. Zschr. f Chir. 1905.
Der Dienstbetrieb bei einem Feldlazarett.
Von Oberstabsarzt Dr. v. R e i t z.
Nachstehende Zeilen machen keineswegs den Anspruch
auf Vollständigkeit, denn sie sind in der allerkürzesten Zeit
niedergeschrieben worden. Trotzdem glaube ich, dass mancher
meiner Kollegen irgend eine Anregung daraus entnehmen
kann und zwar namentlich, wenn ihm nur wenige Hilfskräfte
aus dem aktiven Stande zur Verfügung stehen.
I.
Dienstanweisung für den Polizeiunteroffizier.
1. Der Polizeiunteroffizier ist am Eingang des Lazarettes etc.
unterzubringen. Jeder Fremde ist von ihm zu kontrollieren, die das
Lazarett verlassenden Mannschaften haben sich bei ihm abzumelden
und beim Einpassieren das Zertifikat abzugeben. _ Jl
2. Ihm obliegt die Aufsicht über die mitgebrachten Dienst- und
eigenen Sachen der Kranken, die Unterbringung dieser Gegen¬
stände in einen eigenen Raum und ihre Kenntlichmachung durch
Anhängeadressen,
18. August 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
1829
3. Die hauspolizeilichen Anordnungen des Chefarztes hat er zu
achen# Wer Polizeiunteroffizier ist nicht Vorgesetzter der
Militärpersonen gleichen oder höheren Ranges, da er nicht zu den
\\ achnunnschaften gehört. Reicht die eigene Autorität hei Dienst-
\' idrigkeiten nicht aus, hat er es dem Chefarzt zu melden.
4. Zu seinen weiteren Dienstobliegenheiten gehört die Führung
der Listen über die Lazarett- und Parkwachen sowie die Visitierung
der 1 osten, letzteres nach Anordnung des Chefarztes, und
5. die Aufsicht über die Waffen der Mannschaften; jeden Mitt¬
woch inid Samstag Gewehrappell nach dem Nachmittagsappell.
ü. Pichtet das Feldlazarett einen Hauptverbandplatz ein, so wird
der Polizeiunteroffizier der Empfangsabteilung zugeteilt. Wird das
Lazarett als solches in Betrieb gesetzt, richtet er eine Kammer für
Kltidei und Eigentum der Kranken ein und versieht seine weitere
Tätigkeit im Krankenaufnahmezimmer unter Aufsicht des zweiten
Feldlazarettinspektors.
e. r J$a m mer Unteroffizier ist dem ersten Inspektor
zugeteilt als 1 1 1 1 tsorgan für die Materialverwaltung und für die In¬
standhaltung der Mannschaftsmonturen.
III. Der Lazarettfeldwebel.
1. Der mit der Aufsicht über die Sanitätsunteroffiziere, die Militär-
ki . nkenwärter, den Koch und den Apothekenhandarbeiter beauftragte
älteste Sanitätsunteroffizier ist im Dienst Vorgesetzter des gesamten
unteren Sanitätspersonals und der nicht im Dienstrange höher stehen¬
den Kranken.
2. Er führt die zur Besetzung der Krankenwachen notwendigen
Listen sowie die sonstigen Kommandierrollen und das Parolebuch.
Ferner hat er die Arrestscheine und Krankenrapporte für die An¬
gehörigen des Lazarettes aufzustellen.
3. Eine halbe Stunde nach dem Wecken findet durch ihn der
Morgenappell statt. Hierbei ist auf Vollzähligkeit des Personales,
ob jeder sauber gewaschen und gekleidet ist (Stiefel!) zu achten
4. Um 2 Uhr Nachmittag hält er einen zweiten Appell ab, wobei
die von ihm zu bestimmenden Monturstücke etc. vorzuzeigen sind.
Gleichzeitig hat er die Lazarettbefehle bekannt zu geben und die
Postsachen an das Sanitätspersonal auszuteilen.
5. Diesem Nachmittagsappell hat auch der Trainunteroffizier mit
dem 1 rainpersonal anzuwohnen.
6. Erlaubniskarten für das Sanitätspersonal gibt er dem Chefarzt
zur Unterschrift, nachdem sie zuvor den Stationsärzten etc. zur Ein-
verständniserklärung vorgelegt waren. Ueber die Erlaubniskarten
sind lasten zu führen.
7. Die Stationsaufseher überwacht er hinsichtlich ihres Dienstes
besonders in bezug auf Reinlichkeit und Ordnung in den Kranken¬
stuben, entsprechende Lüftung und Heizung, ordnungsmässige Be¬
nutzung und Aufbewahrung der Geräte und richtige Beschreibung
der Kopftafeln.
8. Missstände, die er nicht selbst abstellen kann, meldet er so¬
fort dem betreffenden ordinierenden Sanitätsoffizier oder dem Chef¬
arzt. oder dem ersten Lazarettinsp^ktor.
9 Wird das Lazarett als Hauptverbandplatz etabliert, sorgt er
zunächst auf dem Warteplatz für marschfähige Verwundete für
Ordnung.
IV. Der Train Unteroffizier.
1. Der Trainunteroffizier beaufsichtigt das Trainpersonal, die
rahrzeuge und Pferde.
2. Nachmittags 2 Uhr wohnt er mit dem sämtlich abkömmlichen
1 rainpersonal dem vom Lazarettfeldwebel abzuhaltenden Appell bei
3. Wird das Feldlazarett als Hauptverbandülatz etabliert, hat er
nach Anweisung des Chefarztes
a) den Parkplatz für die Wagen,
b) den Feldstall und
c) die Latrinenanlage mit dem ihm zur Verfügung stehenden
Personal zu errichten.
4. Erlaubniskarten für das Trainpersonal werden von ihm dem
Uhefarzt zur Genehmigung vorgelegt.
Einrichtung des Feldlazarettes.
I.
Ergeht der Befehl zum Einrichten des Feldlazarettes, so
bezeichnet der Chefarzt die einzelnen Räume, während der
• Inspektor sofort Stroh herbeischafft. Letzterem ist bei¬
gegeben der Radfahrer und der Kammerunteroffizier.
Es ist einzurichten:
a) Das Aufnahmezimmer: 2. Inspektor mit Schreiber und Polizei¬
unteroffizier.
Die Munition der Kranken ist gesondert unterzubringen und zur
Etappe abzuführen.
b) Geschäftszimmer: Lazarettfeldwebel.
c) Operationszimmer mit Nebenraum für den Sterilisierapparat:
1 Sanitätsoffizier.
d) 1 Verbandzimmer: 1 Sanitätsoffizier.
e) Apotheke: Oberapotheker und sein Gehilfe.
Y K.” c.^ ” e b s t Speise und Abspülraum: der
Koch mit 1 Militärkrankenwärter.
. g) Aufbewahrungskeller für Fleisch und G e -
1 ranke: die Gleichen.
h) Ein Raum für reine Leib- und Bettwäsche: der Kammer¬
unteroffizier.
D l Kammer für die Kleider der Verwundeten: der
Polizeiunteroffizier.
1 Kaum für Beleuchtungsmittel, Lampen, Laternen: der
3. Stationsaufseher.
n] Räume für Feuerungsmittel: der Gleiche.
PJ Aborte für Kranke und Lazarettpersonal (alle
ivi an keil, die gehen können, sind auf einen Abort ausserhalb
a e s Hauses zu verweisen): Trainunteroffizier.
d) Ein Raum für die Lazarett- und Park wache:
der Polizeiunteroffizier.
l) 1 Wohnungen für die Aerzte und Beamten, ein Teil der Diener,
A bur das übrige Personal: 1 Assistenzarzt.
v ||n Railm für unreine Wäsche: der 3. Stationsaufseher.
x) eine Totenkammer: der 3 Stationsaufseher.
(Die durch Fettdruck bezeichneten Räume müssen, die durch Sperr¬
druck bezeichneten sollen nicht unter einem Dach mit Kranken sein.)
Spater ist von den Stationen für
h) Theeküchen, weiter
i) für Baderäume (Chefarzt),
o) Wäschetrockenboden (1. Inspektor),
s) Mikroskopierzimmer (Chefarzt),
t) Röntgenzimmer und Dunkelkammer (Chefarzt),
u ) W aschküche und Rollkammer (1. Inspektor) und
w) für einen Desinfektionsraum für Wäsche und Kleider (Chef¬
arzt; zu sorgen.
Die sämtlichen Räume sind durch Tafeln und Inschriften
zu bezeichnen.
An den Ortseingängen sind frühzeitig Wegweiser zum
Lazarett anzubringen (Improvisationskolonne). Die übrigen
Sanitätsoffiziere bezeichnen die einzelnen Krankenräume, wo¬
bei zu beachten ist, dass die nötige Grundfläche zur Lagerung
eines Kianken 9 qm und der Abstand der Betten 1 m betragen
soll, sowie, dass die Räume unter allen Umständen gut lüftbar
sind. Ziffer 45 der Anlagen zur K.S.O.
II.
i * - Die Improvisationskolonne sorgt für Kennzeichnung des Feld-
uzaiettes (Ziffer 171 und 133 der K.S.O. , sowie für Kenntlichmachung
und event. für Beleuchtung der Zufahrtstrassen.
2- Reinigung der Krankenräume durch die Krankenwärter unter
Aufsicht der Stationsaufseher.
3. Auspacken eines oder zweier Gerätewagen und des Kranken¬
wagens (Strohsäcke, Bett- und Krankenwäsche, Tragen, Kranken-
verpflegungsvorrat und Kochkessel) durch den Kammerunteroffizier
(I. Inspektor) und Militärkrankenwärter und Koch.
4. Einrichten von 1 — 2 Stationen durch deren Personal
5. Ansetzen einer Suppe durch den Koch.
, x 6\ AdIsPacken eines Sanitätswagens (Sterilisiergerät, Haupt-
besteck, Verbandmittel). Aufstellen von Verbandtischen durch die
Sanitätsoffiziere und Sanitätsmannschaften.
7. Eventuell Erweiterung des Lazarettes durch Zelte aus Zelt¬
bahnen und durch Anforderung von Zelten vom Lazarettreservedepot
8. Abfallgruben müssen mindestens 100 Schritte vom Lazarett
entfernt sein und täglich desinfiziert werden. Verbrennbare Abfälle
sind zu verbrennen.
9. Auf die Notwendigkeit der Reinlichkeit weisen Ziff. 46 _ 51
der Anlagen der K.S.O. hin.
Lazarettdienst.
1. Wecken itn Sommer um 6 Uhr, im Winter um Vl>7 Uhr. Der
Koch eine halbe Stunde früher.
2. Eine halbe Stunde nach dem Wecken Appell: In der Zwischen¬
zeit Ankleiden, Waschen, Stube in Ordnung bringen.
3. Nach dem Appell Dienstbeginn: die Kranken werden ge¬
messen. Ankleiden und Waschen der Kranken.
4. Eine halbe Stunde nach dem Appell Kaffeeausgabe an die
Kianken und ans Personal. 20 Minuten Frühstückspause, dann
Reinigen der Krankensäle.
5. 11 Uhr 45 Min. Essenausgabe an die Kranken, 12 Uhr 15 Min
Essenausgabe an das Personal.
a r-' bis 2 Uhr Mittagspause, während der
das Geschirr gereinigt wird.
7. 2 Uhr Appell.
8. 6_Uhr abends Essenausgabe an die Kranken, 6 Uhr 15 Min
abends Essenausgabe an das Personal.
9. Von 6 Uhr abends bis zum Zapfenstreich wird der Stations-
dienst nur vom Sanitätsunteroffizier vom Tag und von den durch
die Station bestimmten Wärtern versehen.
10. 10 Minuten vor Zapfenstreich meiden sich die zur Nacht¬
wache kommandierten Mannschaften beim Unteroffizier vom Tag, der
ihnen die besonderen Instruktionen über ihr Verhalten bei Schwer¬
kranken erteilt.
Nr. 1 Wache von 9—12 Uhr,
.. 2 „ „ 12—3 „
»» 3 »» ii 3 — 6(4 ,,
11530
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 33.
Der Unteroffizier vom Tage.
]. Der Unteroffizier vom Tag übernimmt seinen 24 Stunden
dauernden Dienst um 2 mittags. Sein Vorgänger hat ihm den
Dienst zu übergeben Während der Zeit muss er zu Mause sein,
wenn er nicht dienstlich verschickt wird.
2. Der Unteroffizier vom Tag sorgt für rechtzeitiges Wecken
des Personals und achtet darauf, dass deren Stuben noch vor dem
Morgenappell in Ordung gebracht werden.
3. Während die Menage verteilt wird, ist er zur Kontrolle an
deren Ausgabestelle anwesend.
4. Zur Zeit des Zapfenstreiches revidiert er, ob die Leute zu¬
hause sind.
5. Durch Rundgänge, deren Zeit vom Chefarzt bestimmt wird,
hat er sich Gewissheit zu verschaffen, dass alles in Ordnung ist.
6. Ein besonderes Augenmerk hat er auf das Anzünden der
Lampen und auf deren regelmässiges Brennen und ihr rechtzeitiges
Auslöschen zu richten.
7. Im Dienst des Unteroffiziers vom Tag wechseln ab: 1. der
Polizeiunteroffizier, 2. der als Schreiber fungierende Unteroffizier,
3. der Kammerunteroffizier, 4. der Trompeterunteroffizier.
8) In jeder neuen Ortsunterkunft meldet sich der Unteroffizier
vom Dienst beim Offizier vom Ortsdienst.
Kranken Verpflegung.
Die Verpflegung erfolgt am einfachsten in zwei Kost¬
formen, wie wir es bereits bei der Selbstbewirtschaftung in
den Lazaretten gemacht haben. Die erste Form ist die all¬
bekannte, die zweite Form ist eine möglichst reizlose Kost
hauptsächlich in Suppenform, zu welcher nach Bedarf Bra¬
ten etc. als Zulage verordnet werden kann.
Für den geordneten Dienst in der Küche ist der erste
Lazarettinspektor verantwortlich.
Dem Unterpersonal, ausschliesslich des Trainpersonals
kann die Beköstigung aus der Lazarettküche gegen Fortfall
der Feldküche gewährt werden. Ziff. 244.
Bezüglich Beitreibungen siehe Ziff. 206 der Anlagen
zur K.S.O.
Marscheinteilung.
An der Spitze reiten die Sanitätsoffiziere, dann kommen
die Sanitätsmannschaften und Militärkrankenwärter in Gruppen
zu 4 Rotten, diesen folgen die Fahrzeuge in der Kolonne zu
Einern. Reihenfolge: Krankenwagen, Sanitätswagen Nr. 1 u. 2,
Packwagen, Gerätewagen 1—4, Beamtenwagen, beigetriebene
Vorratswagen, den Schluss bildet der Trompeterunteroffizier.
]. ?V->. Stunden vor Abmarsch wird geweckt.
2. Füttern der Pferde 04 der Ration 2 Stunden vor Abmarsch,
Vi Ration nach dem Einrücken, Vz Ration am Abend).
3. 1 Stunde nach jeder Mahlzeit Nachtränken der Tiere.
4. Sobald Unterkunftsort bestimmt ist, die Quartiermacher vor¬
ausschicken: Ein Assistenzarzt, der Trainunteroffizier und der Train¬
gefreiter. Sanitätskorporalschaft geschlossen in nahe beieinander
gelegenen Häusern unterzubringen.
Trainpersonal fahrzeugweise einquartieren, Pferde mindestens
zu zweien, bei mehr als 4 Pferden hat ein Mann im Stall zu schlafen.
Bei mehr als 12 Pferden werden Stallwachen eingerichtet.
5. Den Lazarettfeldwebel in die Nähe des Chefarztes ein¬
quartieren.
6. ln der Nähe des Parkplatzes ein Wachlokal einrichten mit
einem Unteroffizier und 3 Mann zur Bewachung.
7. Sind besondere Vorsichtsmassregeln angezeigt, werden Mann¬
schaften und Pferde alarmbereit in grösseren Quartieren vereinigt.
8. Der Parkplatz ist zugleich Alarmplatz.
Zu Park- und Sicherheitswachen werden in erster Linie die
Trainsoldaten verwendet.
Hauptverbandplatz.
Wäre ein Verbandplatz zu errichten, käme zur
1. Empfangsabteilung: 1 Assistenzarzt, der 2. Lazarett¬
inspektor, entsprechend dem Zahlmeister bei der Sanitätskompagnie
Ziff. 153 der K.S.O. (Ausladeplatz für das Gepäck.) Der Polizei¬
unteroffizier. Der 3. Stationsaufseher mit seinen Krankenwärtern.
2. Zu den Verbandabteilungen: Die übrigen 4 Sanitäts¬
offiziere mit dem Personal von Station I und II, die ihrerseits
3. den W a r t e p 1 a t z für versorgte transportfähige und
4. für versorgte nicht transportfähige Verwundete einrichten und
zur Aufsicht je einen Sanitätsunteroffizier mit einem Krankenwärter
abstellen.
5. Zum Warteplatz für Marschfähige der Sanitätsfeldwebel,
6. zum Platz für Sterbende ein Sanitätsunteroffizier,
7. zum Platz für Tode der gleiche Sanitätsunteroffizier und der
2. Lazarettinspektor (Ziff. 152 der K.S.O.).
8. Zum Kochplatz, der 1. Lazarettinspektor und der Koch.
9. Latrine und
10 Feldstall, sowie
11. der Parkplatz werden vom Trainunteroffizier eingerichtet.
Auf letzterem sammelt sich die Improvisationskolonne, die in
erster Linie aus geeigneten Handwerkern des Feldlazarettes und dann
aus dem übrigen verfügbaren Personal besteht. Diese stellt den
Signalapparat auf (Beleuchtungsgerät), schlägt Zelte aus Zeltbahnen
auf und bezeichnet und erleuchtet die Zufahrtsstrassen. Im Feld¬
lazarett haben sie auch unter Aufsicht des ersten Lazarettinspektors
Krankenbettstellcn herzustellen, gemäss Ziff. 611—614 der Anlage
zur K.S.O.
6 Mann vom Sanitätspersonal und 5 Mann vom Train
können in 10 Stunden 75—100 Notbettstellen und 45—75
Bretterbettstellen herrichten.
Der Improvisationskolonne obliegt auch die Herstellung
von Fahrzeugen zum Verwundetentransport und die Anferti¬
gung von anderem Improvisationsgerät. Ebenso stellt sie Bei¬
treibungskommandos ab und zwar Trainsoldaten zu Stroh-
und Lebensmittelbeitreibung etc.
Unterricht.
1. Die vier ältesten Sanitätsunteroffiziere werden durch die
Sanitätsoffiziere als Lazarettfeldwebel bzw. als Stationsaufseher, so¬
wie als Abrichter für die Strohbehelfsarbeiten und für die Trage¬
übungen ausgebildet.
2. Das ganze Sanitätspersonal wird in drei kleine Unterrichts-
gruppen eingeteilt: 1. die Sanitätsunteroffiziere, 2. die Militärkranken¬
wärter 1 — 7, 3. die Militärkrankenwärter 8 — 14, weil an so kleine
Gruppen der Unterricht viel intensiver erteilt werden kann.
3. Ein Oberarzt unterrichtet der Reihe nach die Gruppen über
Messen der Körperwärme, Pulszählen, Blutkreislauf, Blutungen und
Blutstillung: Ziffer 76—80, 103 a, 108—117, 1121, 230 der Kranken-
trägerordnung, sowie über den Sterilisierapparat, 76, 77, 79, 80,
192, 210, 211 des Unterrichtsbuches für Sanitätsmannschaften.
4. Ein zweiter Sanitätsoffizier unterrichtet über Verbandmittel
und Verbände. Ziffer 83, 85—94 der Krankenträgerordnung, sowie
über die Pflege Sterbender. §§ 219, 220, 224, 225 des Unterrichts¬
buches für Sanitätsmannschaften.
5. Der dritte Sanitätsoffizier unterrichtet über Verletzungen und
Wundverbändc 103 b, 104, 105, 106, 124, 127, 128 der Krankenträger¬
ordnung, sowie über ansteckende Krankheiten §§ 110, 111, 112, 221 und
Beilage 6 des Unterrichtsbuches für Sanitätsmannschaften.
6. Der vierte Sanitätsoffizier unterrichtet über die Lagerung von
Verletzten Ziff. 164, 184, 186, 203 bis 211 der Krankenträgerordnung,
sow'ie über Krankenwachen und Ordnung in den Krankenstuben
§§ 187, 189, 191, 194, 195, 196, 204, 205 des Unterrichtsbuches für
Sanitätsmannschaften.
Der Unterricht soll nicht etwa in einem theoretischen
Vortrag bestehen, sondern, hauptsächlich in praktischen
Uebungen, während deren der Unterrichtsleiter durch Frage¬
stellung hinreichend auf das theoretische Wissen seiner Leute
einwirken kann. Aehnlich sollen auch die Trageübungen und
die Befehlsarbeiten ausgeführt werden. Auf diese Weise wird
der notwendigste Teil des Unterrichtsstoffes den Sanitätsmann-
schaften, die in ihrer Gesamtheit doch nur selten zu einem ge¬
meinschaftlichen Unterricht zu vereinen wären, auf dein
raschesten Wege beigebracht.
Referate.
Alfred S c h ö n w e r t h - München: Vademekum des Feldarztes.
München, Lehmann, 1914. Preis 4 Mark.
Gerade zur rechten Zeit erscheint für unsere vielen im Felde
stehenden Kollegen das vorgenannte Vademekum. Gar mancher
unserer Kollegen v'ird sich plötzlich Aufgaben gegenüber sehen, die
ihm bisher nur selten gestellt wurden, sei es, dass er als Truppen¬
arzt die erste Hilfe zu leisten und dabei oft endgültig über das
Schicksal mancher Verletzter zu entscheiden, sei es, dass er im
Lazarett in kurzer Zeit eine Unsumme von unaufhörlich zuströmen¬
den Verwundeten chirurgisch zu versorgen hat.
Das vorliegende Vademekum wird sicher vielen ein sehr will¬
kommener Ratgeber sein. In knapper Darstellung gibt es zunächst
eine kurze Uebersicht über die wichtigsten kriegschirurgischen
Grundsätze und betont dabei immer wieder, wie der Grundsatz, die
Infektion fernzuhalten, unsere Arbeit in erster Linie leiten muss. Ein
kurzer Abschnitt über Wundbehandlung, Narkose, Blutstillung mit
besonderer Berücksichtigung der Kriegsverhältnisse schliesst sich an.
In einem dritten Teile werden die einzelnen Verletzungen Kurz
aufgezählt und ihre zweckmässigste Versorgung auf dem Schlacht¬
felde sowohl wie im Lazarett erörtert. Auch die wichtigsten Wund¬
komplikationen, sowie die vernehmlichsten akuten chirurgischen Er¬
krankungen (Brucheinklemmung, Appendizitis, Ileus) finden Berück¬
sichtigung.
Das recht handlich gebundene Buch wird unseren Feldärzten als
Naehschlagebuch zur schnellen Orientierung gute Dienste leisten.
K r e c k e.
8. August 1914.
Heklürztliche Beilage zur Miincli. meü. Wocheiisdirift.
1831
Kleine Mitteilungen.
Kriegssanitätsstatistik.
Dem ausgezeichneten Artikel über Militärsanitätswesen in
u 1 e n b u r g s Realenzyklopädic der gesamten Heilkunde, 4 Aufl
id. 2. entnehmen wir die nachstehenden zeitgemässen Ausführungen
her die Kriegssanitätsstatistik von Oberstabsarzt Dr. Schwie-
ing, Professor an der militärärztlichen Akademie in Berlin:
Ein besonderes Kapitel der Militärmedizinalstatistik bildet die
r i e g s s an itätsstatistik; sie unterscheidet sich von der
riedensstatistik durch die anders geartete Zusammensetzung des
rundmaterials, indem zu den, wenige Altersjahre umfassenden
ktiven Mannschaften noch die den verschiedensten Altersklassen
agehörenden Mannschaften der Reserve und Landwehr hinzutreten;
•rncr durch die viel schwierigere Berechnung der Kopfstärken, durch
e Verschiedenheit der Kopfstärken, je nachdem man nur die Teil-
-Imier an den Schlachten oder die überhaupt auf dem Kriegsschau-
atz verwandten Truppen in Betracht zu ziehen hat, durch die
idere Zeiteinteilung, indem die Statistik, je nach der Dauer des
rieges, oft nur wenige Monate, oft mehrere Jahre als Zeitmass
.'rücksichtigen muss uam.
Die Zahlen der verschiedenen Kriege, wie sie in nachstehender
abeile aufgeführt sind, sind natürlich nicht ohne weiteres zu ver-
Auf die Summen der Streiter berechnet ergibt sich als Durch-
schnittsverlust der einzelnen Schlacht:
für die Russen . 16,7 Proz.
» * Japaner . 20,4 „
„ „ Deutschen . 7,0 „
als Durchschnittsverlust am einzelnen Schlachttage-
für die Russen . 1,7 Proz.
„ „ Japaner . ( : 2,0 „
„ „ Deutschen . 4,7 „
Der einzelne Schlachttag hat hiernach proportional sehr viel
weniger Opfer gefordert als im Jahre 1870/71. Nun haben sich
aber in der Mandschurei die Verluste sehr ungleichmässig auf die
einzelnen Schlachttage verteilt, und an manchen Tagen der lang¬
dauernden Schlachten sind grosse Teile der als „Schlachtteilnehmer"
in Rechnung gestellten Truppen überhaupt nicht ins Gefecht ge¬
kommen, während andere Truppenteile Verluste gehabt haben, die
dem deutschen Durchschnittstagesverlust gleichkonnnen, ja ihn iiber-
treffen. Im Kriege 1870/71 decken sich dagegen die Tagesverluste
mit denen der einzelnen Schlacht, da die Mehrzahl der letzteren
nur einen Tag dauerte.
Der Generalstab glaubt hiernach zu der Ansicht berechtigt zu
sein, dass die Schlachten des Ostasiatischen Krieges blutiger waren
als diejenigen 1870/71, und zwar sowohl infolge der langen Dauer
Krieg
(Dauer desselben)
Armee
Kopf¬
stärke
An Krankheiten sind
Gefallen
vor dem Feinde
sind
An Verwundungen sind
Summe der vor
dem Feinde Ge¬
fallenen und spä¬
ter an Wunden
Gestorbenen
Summe
der überhaupt
Gestorbenen
behandelt
gestorben
behandelt
gestorben
abs.
Prom.
K.
abs.
| Prom.
K.
abs.
Prom.
K.
abs.
Prom.
K.
abs.
Prom.
K.
abs
Prom .
K.
abs.
Prom.
K.
Krimkrieg 1851 — 1856
(28 Monate)
Engländer
97 864
144 390
1475,4
17 579
179,6
2 755
28,2
18 283
186,8
1 847
18,9
4 602
46,9
22 181
226,7
Franzosen
309 268
361 459
1168,8
59 273
191,7
8 250
26,7
39 868
128,9
9 923
32,1
18 173
58,8
77 446
250,4
Krieg in Italien 1859
(13 Monate)
Franzosen
130 302
112 476
863,2
13 788
105,8
2 536
20,0
17 054
130,9
2 962
22,9
5 498
42,9
19 286
148,7
nerikanischer Sezessions¬
krieg 1861-1865
Amerikaner
544 704
p
?
?
?
44 238
81,1
2S4 055
521,5
34 849
63,9
79 087
145,2
9
p
eg gegen Dänemark 1864
(9 Monate)
Preussen
63 500
26 717
420,7
310
4,9
422
6,6
11,3
2 021
31,8
316
4,9
738“
11,6
1 048
16/5
Dänen
54 000
31 575
584,7
820
15,1
610
3 987
73,8
836
15,5
1 446
26,8
2 266
41,9
Krieg in Böhmen 1866
(3 Monate)
Preussen
280 000
64 191
229,3
5 219
18,6
2 553
9,1
13 731
49,0
1 455
5,2
4 008
14,3
9 227
32,9
rieg gegen Frankreich
1870/71 (12 Monate)
Deutsche
815 000
480 035
589,0
14 904
18,2
17 255
21,2
99 566
122,1
11 023
13,5
28 278
34,7
43 182
52,9
issiscli-Türkischer Krieg
1877/78
(28 Monate)
Russische
Donauarmee
592 085
875 929
1479,4
45 969
77,6
11 905
20,1
43 386
73,3
4 955
8,4
16 860
28,5
62 829
106,1
Russische
Kaukasusarmee
246 454
1 184 757
4807,2
35 572
144,3
?
734
P
13 266
53,8
1 869
7,6
p
?
37 441
151,9
misch-Chinesischer Krieg
1894/95 (6 Monate)
Japaner
60 979
?
?
3 148
51,6
12,0
?
?
231
3,8
965
15,9
4 113
67,5
echisch-Türkischer Krieg
1897
Griechen
1
—
66 500
?
?
p
?
698
10,5
2 219
33,4
?
?
9
9
?
lanisch- Amerikanischer
ieg 1898/99 (13 Monate)
Amerikaner
211 350
?
?
5 438
25,7
643
3,0
4 276
20,2
325
1,5
968
4,6
6 406
30,3
iüdafrikanischer Krieg
899—1901 (24 Monate)
Engländer
250 000
?
?
11 092
44,4
4 757
19,0
19 561
78,2
1 623
6,5
6 380
25,5
17 472
69,9
ssisch-Japanischer Krieg
1904/05
Russen
699 000 I
358 400
512,7
9 300
13,3
28 800
41,2
141 800
202,8
5 200
7,4
34 000
48,6
43 300
61,9
Japaner
650 000 1
_i 334 100
514,0
27 200
41,8
47 400
72,9
173 400 1 266,8 | 11 500
17,7
58 900
90,6
86 Tool
132,3
Gehen. Es ist sehr fraglich, ob die angegebenen Iststärken durch-
g die durchschnittlichen Kopfstärken darstellen und nicht
■ n Teil die Zahlen der überhaupt auf dem Kriegsschauplatz ge-
senen Mannschaften sind. Sodann ist hinsichtlich der Verluste
|rch Krankheiten die Dauer des Krieges zu berücksichtigen; und
1 ^ den blutigen Verlusten ist die Anzahl und Dauer der Schlachten
>1 Gefechte sowie etwaiger Belagerungen in Betracht zu ziehen,
fch ist zu bedenken, dass die Beziehung der blutigen Verluste auf
- durchschnittliche Kopfstärke, wie sie in der Tabelle der Gleich-
1 ssigkeit halber angewandt ist, keine vergleichsmässigen Daten
ert, da natürlich nur ein Teil der auf dem Kriegsschauplatz gc-
• senen Mannschaften an den Schlachten usw. teilgenommen hat,
lirend ein nicht unbeträchtlicher Teil mit dem Feinde in keine
1 nittelbare Berührung gekommen ist.
Leider ist es nicht möglich, die Zahlen aus den meisten früheren
'egen nach diesen Gesichtspunkten umzurechnen, so dass man
j 1 den in den offiziellen Quellenwerken gegebenen, in der
Gelle aufgeführten Zahlen begnügen muss.
Für den letzten russisch-japanischen und den deutsch-französi-
;en Krieg hat aber der preussische Generalstab die entsprechenden
echnungen aufgestellt, worüber noch einige Worte gesagt sein
Ken. Als Verlustgelegenheiten stehen sich hier noch gegenüber:
1870/71 . . .
1904/05 . . .
grosse
Schlachten
18
4
mit
Schlachttagen
40
27
Gefechte
grössere kleinere
(nach Tagen berechnet)
5 228
6 37
Betrachtet man zunächst die Schlachtverluste
«idete), so ergibt sich:
Russen
umtverlust . 135 000
ehschnittsverlust an jedem ein¬
zelnen Gefechtstage .... 3 262
(Gefallene + Ver-
Japaner Deutsche
146 200 82 500
3 650 3 055
der Schlachten, als auch infolge der erhöhten Waffenwirkung — -
welch letztere ja auch die Veranlassung für die lange Dauer moderner
Schlachten ist.
Von Interesse ist das Verhältnis der an Krankheiten und Wunden
Gestorbenen zu den an Krankheiten und Wunden überhaupt Be¬
handelten.
Im Krimkriege z. B. starben von allen Kranken bei den Eng¬
ländern 12,2 Proz., bei den Franzosen 16,4 Proz.; im deutsch-fran¬
zösischen Krieg'betrug das Verhältnis nur 3,1 Proz.; im Mandschuri¬
schen Kriege beziffert es sich bei den Russen auf nur 2,1 Proz., bei
den Japanern dagegen auf 8,1 Proz. Worauf dieses überaus un¬
günstige Resultat bei den Japanern beruht, ist nicht klar, es lässt
sich der Gedanke nicht von der Hand weisen, dass die Japaner nur
bei ernsteren Erkrankungsfällen in Lazarettpflege überführten — die
Zahlen beziehen sich nur auf Lazarettkranke — leichter Erkrankte
dagegen bei der Truppe behalten haben, was bei den Verhältnissen
im letzten Kriege, namentlich bei den langen, zwischen den grossen
Schlachten liegenden kampffreien Pausen leicht durchführbar war,
während z. B. 1870/71 bei den schnell aufeinanderfolgenden Schlachten
und der dauernden Bewegung der Truppen auch die Leichterkrankten
den Lazaretten überwiesen werden mussten.
Was endlich das Prozentverhältnis der an Wunden Gestorbenen
zu den überhaupt Verwundeten betrifft, so ist im Laufe der Jahr¬
zehnte eine ganz bedeutende Besserung zu verzeichnen; vön 100 Ver¬
wundeten starben z. B. im Krimkriege (Franzosen) 24,9, im italieni¬
schen Kriege 17,3; im Krieg 1864 bei den Preussen 15,5, im Feld¬
zuge 1870/71 bei den Deutschen noch 11,1, im spanisch-amerikani¬
schen Kriege 7,6, im letzten Kriege endlich bei den Japanern 6,8,
bei den Russen nur 3,2 — ein glänzender Beweis für die Fort¬
schritte der Kriegschirurgie.
1832
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 33.
Nachrichten.
München, den 17. August 1914.
— Die zweite Kriegswoche hat den deutschen Waffen eine Reihe
erfreulicher Erfolge gebracht, die vor allem die Säuberung deutschen
Bodens vom Feind bewirkten; sie haben ferner die Schlagfertigkeit,
Angriffslust und Todesverachtung unserer Truppen erwiesen, Eigen¬
schaften, die bei unseren Gegnern bisher nicht hervorgetreten sind.
So darf man den kommenden schweren Kämpfen mit Zuversicht ent¬
gegensehen. . „ , ...
- Die Sammlungen für das Rote Kreuz und für die An¬
gehörigen der im Felde stehenden Krieger nehmen einen raschen
Fortgang und haben schon jetzt sehr bedeutende Summen ergeben,
ln welch grosszügiger Weise die Hilfsaktion unterstützt wird, zeigt
u. a. der Beschluss der Berliner Landesversicherungsanstalt, 5 Mil¬
lionen Mark flüssig zu machen, um die Angehörigen der im Felde
stehenden bei der Anstalt Versicherten in Fällen von Not und Krank¬
heit usw. zu unterstützten. Die Berliner Landesversicherungsanstalt
hat ferner die Heilstätte in Beelitz mit 2000 Betten für Verwundete
eingerichtet und wird diese Heilstätte dem Roten Kreuz übergeben.
— Die Darlehenskommission der Berliner Aerztekammer hat die
zinslose Gewährung von Darlehen an die Angehörigen
der ins Feld gerückten Kollegen beschlosssen, um diese, soweit
angängig, vor Not zu schützen. Gesuche sind an Geh. Rat Alexan¬
der, Berlin W. 62, Schillstrassse 11 zu richten.
_ Die Vorstände der Aerztevereinigungen in Wiesbaden
haben in einer gemeinsamen Sitzung beschlossen, in einer allge¬
meinen Aerzteversammlung zu beantragen, dass
1. in der Privatpraxis
jeder Wiesbadener Arzt verpflichtet ist, jeden ins Feld ziehen¬
den Kollegen unentgeltlich zu vertreten. Auch die An¬
nahme von Geschenken in irgend einer Form soll nicht gestattet
sein.
Jeder in Wiesbaden verbleibende Arzt ist weiterhin ver¬
pflichtet, jeden neu zu ihm kommenden fremden Privatkranken
zu fragen, welcher Arzt ihn früher behandelt oder zu welchem
Arzt er hätte gehen wollen. Stellt sich heraus, dass dies ein
Kollege ist, der sich im Feld befindet bzw. sonst militärisch ab¬
berufen ist, so muss er den Kranken für diesen Kollegen be¬
handeln und die Einnahmen an dessen Frau oder an den Kollegen
selbst abliefern, auch wenn er nicht sein Vertreter ist.
2. Betr. Kassenpraxis wird der Kassenarztverein
den Beschluss fassen:
Alle Kassenärzte erhalten von dem Kasseneinkommmen den
Prozentsatz, den sie auch im ersten Halbjahr erhalten haben, so
dass für die im Felde befindlichen Aerzte — an sie selbst oder
ihre Familien — das Honorar zur Auszahlung kommt, was sie
voraussichtlich verdient hätten. Ausserdem soll der Vor¬
stand ermächtigt werden, einen Teil des Kasseneinkommens zu¬
rückzubehalten, um etwaige Not in den Familien der im Feld
befindlichen Kollegen zu mildern.
Ferner sollen die Aerztekammern ersucht werden, mit Hilfe
der angesammelten Gelder etwaige Not in den Familien der ein-
berufenen Aerzte zu mildern.“
Es ist nicht daran zu zweifeln, dass auch an anderen Orten
der patriotische und kollegiale Sinn der Aerzte sie veranlassen wird,
die Interessen der ins Feld gezogenen Kollegen nach Kräften zu
wahren.
— Das „Vademekum für Feldärzte“ von Oberstabsarzt
Prof. Dr. Schön werth war 8 Tage nach Erscheinen vergriffen;
eine 2., unveränderte Auflage ist soeben erschienen. J. F. Leh¬
manns Verlag hat den Reinertrag der 1. Auflage mit 1000 M. zu
gleichen Teilen dem Roten Kreuz und der Hinterbliebenen-Sammlung
zur Verfügung gestellt. . . .x
— Von der Kriegssanitätsordnung, die einige Zeit ver¬
griffen war, ist ein Neudruck von J. F. Lehmanns Verlag in Mün¬
chen veranstaltet worden. Preis im Buchhandel 2 M.
(Hochschulnachrichten.)
Jena. Prof. Dr. Erich L e x e r ist im Beurlaubtenstande der
Marine als Marine-Oberstabsarzt angestellt und der Marinestation
der Nordsee zugeteilt worden, (hk.)
Leipzig. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Payr, Direktor der
chirurgischen Klinik in Leipzig, wurde zum Generalarzt ä Ia suite des
Kgl. sächsischen Sanitätskorps ernannt.
Tübingen. Prof. Perthes, Oberstabsarzt der Landwehr
2. Aufgebots, wurde unter Vorbehalt späterer Patentregelung zum
Generaloberarzt befördert und zum beratenden Chirurgen beim
Generalkommando des Kgl. Württemb. Armeekorps ernannt, (hk.)
An unsere akademische Jugend.
Kommilitonen!
Die Musen schweigen. Es gilt den Kampf, den a u f g e -
zwungenen Kampf um deutsche Kultur, die Barbaren vom
Osten bedrohen, um deutsche Erde, die der Feind im Westen uns
neidet. „ . ,
Da entbrennt aufs neue der furor teutomeus, die Begeisterung
der Befreiungskämpfe lodert auf. Der heilige Krieg bricht an. Die
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26.
Alma mater entlässt mit ihrem Segen die Söhne, die sie zur Friedens¬
arbeit, die sic zur Pflicht und Ehre und Freiheit erzog.
Schart Euch als Krieger um die Fahnen, als Helfer um das
Rote Kreuz .
Ein jeder an seinem Platz mit Kraft und Trotz, mit Faust und
Herz.
Gott segne die Waffen, Gott segne den Kampf, Gott gebe den
Sieg!
Die Rektoren und Senate der Bayerischen Hoch¬
schulen.
Amtliches.
Nr. 76 b 122. München, 8. August 1914.
Kgl. Staatsministerium des Innern.
Betreff:
Beschaffung von Aushilfen für einberufene Aerztel
Nach einem Telegramm des Reichsamts des Innern will der Leip¬
ziger Acrzteverband zur Abwendung des durch Einberufungen ent-,
standenen Aerztemangels bei den Krankenkassen durch Verschiebung
der Aerzte versuchen, geeignete Orte mit einem oder mehreren appro-1
bierten Aerzten zu versorgen und neben diesen nichtapprobiertc Medi¬
ziner zur Kassenpraxis heranzuziehen. Das Reichsamt des Innern,
erachtet die durch den Krieg verursachten Verhältnisse als dringend!
im Sinne des § 122 der Reichsversicherungsordnung und hält Medi¬
zinalpraktikanten sowie Studierende der Medizin, die bereits 2 kli¬
nische Semester vollendet haben, als Hilfspersonen für geeignet. Dir
Staatsministerien des Innern beider Abteilungen sind mit der be
absichtigten Aushilfsmassregel einverstanden. Studierende der Medi¬
zin sind jedoch selbstverständlich nur im Notfälle heranzuziehei
und auch dann ist, wenn irgend möglich, nur auf solche Studierend!
zurückzugreifen, die sich bereits nahe am Abschluss ihres Studiunv
befinden und sich ausserdem über ausreichende praktische Er
fahrungen ausweisen können.
Die Kgl. Regierungen haben die Distriktsverwaltungsbehörde]
(Versicherungsämter) und durch diese die Krankenkassen hiervor
in Kenntnis zu setzen.
Dr. Frhr. v. S o d e n.
Die Landeszentrale der bayerischen Aerzte schreibt dazu: 1
„Wir fordern demgemäss alle (männliche und weibliche) prak,
tischen Aerzte, Medizinalpraktikanten und Kandidaten der Medizin
welche mindestens 2 klinische Semester vollendet haben, soweit sh
militärfrei sind und sich für Vertretungen praktischer Aerzte, welch
zum Heere einberufen sind, zur Verfügung stellen wollen, auf, siel
beim Generalsekretariat des Leipziger Verbands
Abteilung Stellenvermittlung, Leipzig, Dufour
strasse 18, schriftlich zu melden, mit Angabe des genauen Namens
des Vornamens, Geburtsjahres, Approbationsjahres, des bestandene:
Staatsexamens oder Angabe der Anzahl der klinischen Semester, so!
wie der genauen Adresse. Jeder Adressenwechsel ist dann sofor
dem Generalsekretariat anzuzeigen.
I. A.: Hofrat Dr. Mayer, Fürth,
Dr. Mainzer, Nürnberg.
Bekanntmachungen.
Bakteriologisch geschulte Aerzte,
welche nicht militärpflichtig sind, werden für den Dienst in de
Königlichen Medizinal-Untersuchungsämtern und Hygienischen In¬
stituten sofort gesucht. Anmeldungen in der
Medizinalabteilung des König 1. Preussischen Min
steriu ms des Innern in Berlin, Schadowstr. 10.
Jüngere, die moderne Chirurgie beherrschende Kollegen, auc
nichtdeutsche, die als freiwillige Chirurgen an Verwundetenabte
hingen wirken wollen, bitte ich unter Beifügung eines kurzen Be
richtes über ihre Ausbildung sich bei mir zu melden.
Geheimrat Prof. W i t z e 1, Direktor der akademischen chirurgische
Klinik Düsseldorf.
Zur Beachtung.
Die „Feldärztliche Beilage“ wird nach Möglichkeit allen im Feie
stehenden oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten di
deutschen und österreichischen Armee unentgeltlich geliefert. Herrc
welche sie nicht erhalten, werden um Angabe ihrer Adresse ersuch
Die Beiträge für die „Feldärztliche Beilage“ werden nach e:
höhten Sätzen honoriert.
J. F. Lehmanns Verlag-
Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Die Münchener MedixbiUche Wochenschrift ertcheinl wöchentlich
im Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. • Preis der einzelnen
Nummer 80-1. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
M 6.—. • Ubnge Bezugsbedingungen siehe auf dein Umschlag
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren:
FOrdie Redaktion Amulfstr.26. Bürozeit der Redaktion 3'/,— l Uhr.
Für Abonnement an |. F. Lehmann's Verlag, Paul Uey sestrasse 25
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasne i.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
'Ir. 34. 25. August 1914. Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der ln dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus der I. med. Klinik München.
Die Diagnose der Form der Lungentuberkulose*).
Von Ernst Romberg.
Die Ausdehnung der Tuberkulose über die Lungen, wie
ie am präzisesten durch das T urban sehe Schema in seiner
etzt allgemein üblichen Fassung angegeben wird, bildet für
lie Abschätzung des voraussichtlichen Erfolges einer Volks-
leilstättenbehandlung einen recht zuverlässigen Anhalt. Wir
nüssen uns nur erinnern, dass die Lappeneinteilung des
'chemas s*ch nicht auf die anatomischen Grenzen, sondern
uf das Volumen der linksseitigen Lungenlappen bezieht. Aber
!ie richtige Beurteilung des durchschnittlichen Erfolges einer
o’ksheilstättenkur darf nicht zu der Annahme verleiten, so
ucli den voraussichtlichen Verlauf der einzelnen Erkrankung
ichtig abschätzen zu können. Die Arbeitsfähigkeit, auf deren
Erhaltung oder Wiederherstellung die Volksheilstätten in erster
-inie Gewicht legen müssen, geht aus naheliegenden Gründen
ei Berechnung von Durchschnittswerten aus grossen Zahlen-
eihen weitgehend der Ausdehnung der Lungenerkrankung
arallel. Dem einzelnen Kranken gegenüber kommt es bei
Beurteilung der Arbeitsfähigkeit darauf an, festzustellen, ob er
uf die besseren oder auf die schlechteren Chancen zu rechnen
at, aus denen dieser Durchschnitt sich zusammensetzt. Lind
anz unzureichend erweist sich das für die Volksheilstätten so
ortreffliche Schema, wenn ärztlich die gesundheitliche Be-
eutung, der voraussichtliche Verlauf der Krankheit beurteilt
erden sollen.
Schon in meiner Leipziger Dozentenzeit habe ich meine
uhörer darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, nicht nur
ie Ausdehnung der Lungentuberkulose, allenfalls unter Be¬
ttung etwaiger Kavernensymptome, zu ermitteln. Viel
ichtiger ist es, die Form der Lungentuberkulose möglichst
enau zu bestimmen. Der anatomische Prozess bildet in seiner
rt den einen massgebenden Faktor, der den Einfluss der
ungentuberkulose auf den Kranken bestimmt. Ich habe es
eshalb mit grosser Freude begrüsst, als A. Fraenkel1)
ladenweiler) und der verstorbene Alb recht2) (Frank-
irt a. M.) mit ihren ausgezeichneten anatomischen Unter¬
teilungen hervortraten, welche diesen ärztlichen Gesichts¬
unkt zum Ausgang ihrer Untersuchungen machten, und als
or kurzem Nicol3) in einer wertvollen Arbeit aus dem
sch off sehen Institut diese Anschauungen weiter aus-
aute.
Nach diesen Feststellungen haben wir drei Formen der
ungentuberkulose zu unterscheiden: die meist rasch fort-
-hreitenden käsigen bronchopneumonischen Prozesse mit
rer Neigung zu ausgedehntem Zerfall des Lungengewebes,
e langsam sich entwickelnden wuchernden proliferativen
orgänge mit geringerer Neigung zum Zerfall und endlich
s dritte Reihe die schrumpfenden bindegewebigen zirrhoti-
lien Formen der Lungenerkrankung mit ihrer geringen Ten-
-nz zu weiterer Ausdehnung, die den beiden ersten Reihen
-geniiber als Heilungsvorgänge zu bezeichnen sind.
*1 Im Vortragszyklus über die Erkennung und Behandlung der
uigentuberkulose gehalten am 2. Juli 1914.
„ 7- A. Fraenkel: Verhdl. d. Deutschen Kongr. f. inn. Med.
'19 S. 174.
*) Alb recht: Frankf. Zschr. 1907, I.
) Nicol: Brauers Beitr. z. Klin. d. Tub. 30. 231.
Nr. 34.
Die akuten und subakuten rasch fortschreitenden käsigen
? i" c E? Pneumonischen Prozesse setzen wie andere in¬
fektiöse Entzündungen der Lungen ein entzündliches Infiltrat aus
Leukozyten, rasch gerinnendem Exsudat, abgestossenen Alveolar-
epitnelien in die Alveolarräume und Bronchiolen. Entsprechend
der Art des Erregers verkäst es sehr schnell, und so entstehen
die bekannten gelben bronchopneumonischen Herde in ihrer peri¬
bronchialen oder konfluierenden Anordnung. Auch das Gewebe
der Lungen, speziell ihre elastischen Fasern werden zerstört und
bei genügender Dauer der Erkrankung entwickeln sich bisweilen
sehr grosse Kavernen. Oft erfolgt bei der Art der Störung die Aus¬
breitung über die Lunge sehr rasch. Die verkästen Massen werden
in angrenzende Lungenpartien aspiriert. Atmen sie durch die Nach¬
bai schaft erkrankter Abschnitte ungenügend, ist der Lymphstrom in
ihnen verlangsamt, so finden die Bazilllen günstige Bedingungen
zur weiteren Entwicklung und mit grosser Schnelligkeit grast die
tuberkulöse die Lunge von oben nach unten ab.
Wesentlich milder und langsamer verläuft die zweite, die pro-
1 i f e r i e r e n d e Form der Lungentuberkulose. Auch hier entsteht
die Veränderung alveolär oder in den feinsten Bronchiolen. Eine
Yv ucherung epitheloider Zellen mit Riesenzellen verlegt das Alveolar¬
lumen. Das Lungengewebe wird zunächst nicht zerstört. Die elasti¬
schen Fasern bleiben erhalten. Seltener und meist in geringerer
Ausdehnung entstehen durch sekundäre Infektionen mit Eitererregern
odei durch käsige Einschmelzung Kavernen. Im Gegensatz zu der
bronchopneumonischen oder pneumonischen Anordnung der käsigen
Prozesse entwickeln sich hier meist grössere oder kleinere Knoten
tuberkulöser Neubildung im erkrankten Gewebe. Auch diese Form
hat die Neigung von oben nach unten in den Lungen fortzuschreiten.
Auch sie breitet sich zunächst durch die Atembewegung in immer
neue Brcnchialgebiete aus, dringt an den respiratorischen Bronchiolen
in die Lymphgefässe ein und schreitet hier weiter fort.
Die schrumpfenden zirrhotischen Formen ent¬
stehen einmal durch Entwickelung von Bindegewebe aus dem den
spezifisch tuberkulösen Prozess umgrenzenden Entzündungshof. Bei
den exsudativen verkästen Prozessen nur andeutungsweise, wenn
überhaupt, entwickelt, weil die Erkrankung in ihrem raschen Fort¬
schreiten keine Zeit für solche Abkapselungsbestrebungen lässt, finden
sie sich bei den gutartigeren proliferativen Formen bisweilen in
imponierender Stärke. Hier begünstigt noch ein zweiter Vorgang
ihre Entwickelung. Die zwischen erkrankten Alveolarräumen liegen¬
den lufthaltigen Lungenpartien kollabieren. Auch in ihnen bildet sich
narbiges Bindegewebe. So entstehen die zunächst unverständlichen
anatomischen Bilder, dass die Erkrankung scheinbar in der Mitte aus¬
heilt, am Rande fortschreitet. Entsprechend dem schlechten Lymph¬
strom in dem fibrösen Bindegewebe bleibt der eingeatmete Russ hier
in grossen Mengen liegen. Die intensiv schwarze, anthrakotische
Farbe lässt diese bindegewebigen Partien ohne weiteres hervor¬
treten. Bisweilen werden die in geschrumpften Partien liegenden
Bronchien ektatisch erweitert.
Die Aufgabe der ärztlichen Untersuchung
ist es nun, diese Formen der Lungentuber¬
kulose voneinander zu trennen. Gelingt sie, be¬
kommen wir ein lebendiges Bild vom Zustande der Lungen,
und soweit ihr Zustand die Krankheit beherrscht, einen wich¬
tigen Eindruck für die Beurteilung der Erkrankung. Von der
Besprechung der Frühdiagnose, der Beurteilung minimaler
Veränderungen sehe ich hier ab. Ziemlich leicht ist die E r -
kennung der schrumpfenden zirrhotischen
Prozesse. Schon eine nach der Vorgeschichte festgestellte
Dauer der Erkrankung über 2 Jahre macht ihre anatomische
Nachweisbarkeit sehr wahrscheinlich. Sind sic stärker ent¬
wickelt, so ist die erkrankte Partie deutlich verkleinert, die
Spitze eingesunken, ihre obere Grenze am Rücken neben der
Wirbelsäule steht tiefer. Weiter werden die Interkostal¬
räume bei ausgedehnteren Veränderungen mit ihren in der
Regel vorhandenen Pleuraverwachsungen bei jeder Einatmung
nach innen bewegt. Dann werden die seitlichen Rippenpartien
durch die Lungenschrumpfimg nach innen gezogen. Die
Rippenwinkel ‘an Wirbelsäule und Brustbein werden ver-
1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHE N SCHRIFT. -
1 8.1-4
kleinert. I >;is Herz wird in die erkrankte Seite hineingezogen,
die unteren Lungcngrenzen rücken nach oben und werden
un verschieblich. Hei der Perkussion finden wir entsprechend
der Verkleinerung des Lungenvolumens und der Abnahme des
Luftgehaltes verkürzten oder gedämpften Schall und mehr
oder minder deutlichen tynipanitischen Beiklang wie über
einer infiltrierten Lungenpartie, aber der Stimmfremitus ist
bei vorwiegender Schrumpfung abgeschwächt. In der Regel
hört man über nur geschrumpften Lungenpartien ein ver¬
schärftes Zellenatmen, dessen Lautheit wechselt. Nur bei
völliger Verödung des Lungengewebes über Bronchiektasien
oder Kavernen kann Bronchialatmen wahrnehmbar sein. Et¬
waige feuchte Rasselgeräusche sind nicht klingend.
Eine besondere Note bekommen stärkere Lungen¬
schrumpfungen durch die recht häufige Beteiligung des
Herzens. Die starke Erschwerung der Atembewegung
durch ausgedehnte Schrumpfung, selbst nur einer Lunge, führt
auch bei Tuberkulösen zu einer Drucksteigerung in der
l iingenarterie, zur Hypertrophie der rechten Kammer [siehe
Hirsch •)]. Nicht selten entwickelt sich eine Insuffizienz der
rechten Kammer mit allen Folgen, und eine Besserung des Zu¬
standes gelingt hier bisweilen in überraschender Weise durch
Behandlung des Herzens.
Unschwer ist auch die Unterscheidung der fort¬
schreitenden verkästen oder proliferativen
und der kavernösen Vorgänge von überwie-
g e nder Sehr u in p f u n g durch die einfache physikalische
Untersuchung, während die Trennung der beiden prognostisch
so verschiedenen Formen, der Verkäsung und der Proliferation
andere Hilfsmittel braucht. Die Perkussion ergibt zwar hier
die gleiche Verkürzung oder Dämpfung mit mehr oder minder
tympanitischem Beiklang oder bei ganz beginnender Infiltration
auch nur den letzten wie bei Schrumpfung mit entsprechender
Verminderung des Luftgehaltes und mit Abnahme der Lungen-
spannung. Aber meist lehrt die Auskultation, dass keine
blosse Schrumpfung vorliegt. Bei völliger Infiltration erscheint
Bronchialatmen, bei noch teilweise vorhandenem Luitgehalt
ist das Zellenatmen meist weich, leise und vor allem das Aus¬
atmungsgeräusch verlängert und hauchend.
Besonders sorgfältig ist auf den Charakter der Rassel¬
geräusche zu achten. Es kann nicht genug betont werden,
wie notwendig dafür die Auskultation kurzer Hustenstösse und
der darauffolgenden Atemzüge ist. Eine Lungenuntersuchung,
welche diese Regel nicht berücksichtigt, ist unvollständig.
Entscheidend für infiltrative Prozesse ist der klingende Cha¬
rakter des feuchten Rasseins. Dazu kommt schliesslich der
verstärkte Stimmfremitus.
Kavernen sind durch amphorisches Atmen, grossblasiges
Rasseln über den Spitzen, seltener durch rein tympanitischen
Schall, auffallend starken tympanitischen Beiklang, die Schall-
wechselersehcinungen zu erkennen, aber in ihrer Ausdehnung
und Zahl meist nicht zu beurteilen. Für ihre Anwesenheit
sprechen weiter reichliche Hämoptysen, reichlichere elastische
Fasern und die münzenförmige Beschaffenheit des Auswurfs.
1 he so häufige Kombination schrumpfender
Prozesse mit progredierenden oder kaver-
n ö s e n Y e r ä n d e r u n g e n ist auch meist unschwer durch
die gleichzeitige Nachweisbarkeit der für beide Formen cha-
i akteristischen Zeichen festzustellen. Hört man über einer
stark geschrumpften Lungenpartie Bronchialatmen oder
klingendes Rasseln, auffallend hauchendes Exspirium des Vesi¬
kuläratmens. findet man verstärkten oder wenigstens nicht ab¬
geschwächten Stimmfremitus. so liegen in der zirrhotischen
Partie entsprechende progredierende Veränderungen, und man
muss auf sie bei der Beurteilung Rücksicht nehmen.
Seit reichlich 20 Jahren achte ich bei Sektionen von
Phthisikern auf diese Verhältnisse und glaube dafür einstehen
u können, dass die physikalische Diagnostik in der ange¬
gebenen Weise zuverlässige Resultate lief rt.
Schwierigkeiten entstehen erst bei der Unterschei¬
dung der gutartigen p r o I i f e r i e renüen F o r m e n
von d e n meist f I o r i d e r verlaufenden ver¬
käst n d e n P r o z e s s e n. Perkutorisch und auU ultatorisch
*) c Hirsch: IV Arch. f klin. Med. ( I MS.
wie bei Prüf ng des Stimmfremitus sind sichere dinier:
diagnostische Merkmale für die beiden Veränderungen tnr
her nicht deutlich gewesen. Die \ om Kranken berichtete Vc
geschichte gestattet meist kein Urteil. Wohl spricht e:r.t s.
ausgedehnte Veränderung nach kurzer Dauer der Kran»-
für "die floride Form. Aber wir alle wissen, wie die Dg
einer Lungentuberkulose sehr oft viel zu kurz angegeben Ti •
Und umgekehrt schliesst eine lange Dauer der Störung u
floriden Formen nicht aus. weil nicht selten im Verlauf t.n
auch ganz chronischen Tuberkulose eine akute Aussaat m
verkäsenden Herden auftreten kann. Eher spneht ein sei
gleichmässiger physikalischer Befund über einem g--
Lungenlappen bei kurzer Dauer der Erkrankung für die flo. -dt
Formen Aber hier kommen wieder differentialdiagnosnsc
sekundäre Erkrankungen in Betracht für welche das Gleicht c
Der Bazillengehalt des Auswurfs kann wegen der Ha.*,
keit von Kavernen bei beiden Formen zur Unterschob
kaum benutzt werden, wenngleich die verkäsenden Form,
mit ihrem Gewebszerfall das Auftreten reichlicher Baz ii
im Auswurf begünstigen. Mit vollem Recht hat s.n<
A. F r a e n k e 1 5) hervorgehoben, dass die Reichlichke : :
Bazillen kein prognostisches Urteil ermöglicht.
Oefters kann, wie ich glaube, die Röntgenunte
s u c h u n g weiter helfen. Die proliferierenden gutartige
Formen schienen mir in der Regel im Beginn nur wenig de;
liehe Schatten zu geben. Die Wucherung des Gewebes, c
Atelektasen in ihrem Bereich machen zunächst nur genug
meist ziemlich diffuse Abschattungen. Erst ausgedehnte-
knotige Verdichtungen mit der sie gewöhnlich begleite' v
schwieligen authrakotischen Induration ruien schärfere, o
sehr deutlich konturierte fleckige Schatten aui der Röntc«.
platte hervor. Je stärker diese dunklen Herde auf der P!at
hervortreten, um so älter in der Regel der Prozess, um i
günstiger ceteris paribus die Voraussage. Die bronchorm
monischen Formen geben dagegen erstaunlich früh sehr dev
liehe, aber weiche rundliche Schatten in gleichmässiger Au:
breitung über grössere Lungenbezirke. Oft erkennt man se;
gut die Grössenabnahme der Herde von der Spitze zur Bas;
Dass das Röntgenbild die Intensität der Veränderung ste
übertreibt, weil alle Herde in der Lunge auf eine Fläche pi«
jiziert sind, sei nur nebenher erwähnt. Bei totaler käsig
Pneumonie hat man dichte Abschattungen über einem grossi
Bezirk. Die physikalisch nicht unterscheidbaren sekundär«
Erkrankungen geben in der Regel nicht eine so gleictanässi»
Dissemination und in ihren nicht konfluierenden Formen aut
weniger deutliche Schatten. Leider ist ja die Röntgen-mr
suchung nur für einen kleinen Teil der Kranken nutzbar •
machen. Sie zeigt sich aber auch auf diesem Gebiete als au
gezeichnete Eiihrerin unserer Diagnose. Die Röntgenstrahi
differenzieren proliferierende und exsudative Prozesse eu
sprechend der verschiedenen physikalischen Dichtigkeit vi
feiner als Perkussion und Auskultation. Auch die Kaverne¬
diagnose wird mit Hilfe der Röntgenstrahlen viel zuverlässige
Ueberhaupt ist die Röntgenuntersuchung neben anatom;s;ni
Kontrollen für jeden die beste Schule bei der Untersucht),
der Lungentuberkulose. Gute Aufnahmen sind der blossi
1 hirchleuchtung zweifellos überlegen, w-enngleich auch c
Betrachtung mit dem Leuchtschirm stets vorgenomnu
werden soll.
Können wir Röntgenstrahlen nicht anwenden, oder bring»
sie z. B. wegen völliger Abschattung einer Seite durch c
Pleuraexsudat nicht genügenden Aufschluss, so sind nach ein
einmaligen Untersuchung nur die ganz akuten Formen dun
die sie begleitenden Allgemeinerscheinungen zu erkennen. I
Beschleunigung der Atmung auf 40 und mehr in der Mäiu.
die auffallende Zyano: e. die starke Abmagerung entscheiden
diesem Sinne. Die viel häufigeren Erkrankungen dieser
die nicht in wenigen Wochen, sondern erst in Monaten o«
nach 1 2 Jahren als floride Tuberkulose zum Tode führ«,
sind einstweilen nur an ihrem unaufhaltsamen, raschen r
schreiten von den proliferierenden Formen und von ***'•
dären Frkrankungen zu trennen.
Ich übergehe die Formen der Lungentuberkulose, die sei-
Vorkommen, wie die ausschliesslich auf dem Lymphwegt
’•) A E r a cn I; c I: Vcrh. d. Deutsch. Kongr. f. inn. Med. IW®. I
wt 1914.
yLT?jCH3SCP ^EDtZT «7-C bfE A OCH£S5s_ -rfy T
Je frkraDk^nt ebenso die m asdere-* Bl'
tote WfianibciUme der Lang«. de= jj er--
inrajje dieser Krrsc za btst/recb-sEde Kjadertteter-
rrödtee mir gazz karz a af ; * von HilasaiV-
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O ' e h u essen. Soe rw fern Er-
-•rhetser als J e SoJztr'. r'« ; .-se¬
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andOtten ‘) m meiner T Binder Klmfe bei entseta e -
Prozess» die Tabe rindose etwa m amen i SMcMri der F9e
1 Z er- - ; - - .
. r:e- Prozesse. Lides sind sie Md Infeer *---
• :cr Lage der BrooefealdrLvet: jer Aabre3E?s-
. rtariose za erheaata ab rechts, la 3L Md L Zn -
- ----- tcnraaai «eben Jem Sternen: ersebeinea messt Sera -
- zer erd Dämpfngea. lettre Aeadenrngea öe*
- iscbes. leer entwickelt set später rrr: Vorhebe e~e
Form fast patbogscerAEöcäe Kaverne. Voc teer
: » v sicb dam rer Prozess weiter ans. Reefes k ; — - -
nein Ted ter Fälle zr äbrbthet Veräaöerrezer.
- . t findet man ehe erste pfaysdcatsche Vesäiderxsf —
recte e* a iscfeensdadteridattranai oder aa der rt.t hier?-
Ztentt «er -inafci spät m der rechten Achsefr:: - I ;*
vm
sr tt versäume restiait* atab bei leosestetr Veriet
r.e ir - - z - - . - . .
: - ■ i.s sonveräse Verjähret: st
. - iid tr* Langer:— berkalose - ir de rrvoBstärt c se_t
tbt ic nicht aachdricfcfech an de Hedem t t
ekasdrea Katarrhe aad Eatziadaasea fei
wiese, wehe speziefl bei dea
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na i.üteareaBCT ie füaägke" re
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^ a®*tennKfce F tzetss büdec 3 «me- Alt ±rt *2r -
: - ' Bdriaaj. dea eosoeff xasstgefeeaden Fasotc. te* tec i
*Kri :'tr ö*a :«£-■ Intest iet -her «raaicen Testnnnr.
~ --'rtea t» toe Largenf iftmkjjssfc tt ssr er: er te crt*meteT
A tose, oo seiex e-är. -w e ax tseroräenfith rae-r; p; - -
toe-er circa ie Imtcke Frkrateaap^ itr<i Ären Terscäie>i»nen
• erax: »et me Faaotr HUL W? erbioten a äer xr-veHa
• trsefeedefeet les aaanow scheB 2:2 ies imf m iett tx rr
afeaa.-pgeg »also n der Ltrx ese-irinä:xtx as «ttskäer ben
\zr-z -- ti t«-i ai:s-.ert-r fentücT mhnwra' «wr. " er-
t53Jttt.sees tv .sdtet te- Zib. xz-t 5er 'artreer ier Tite'cet-
ttar.._en aw ;e* ßrrtit t e frcr-riotEr ^eiet .e Tr- .--t Je* An
ti* i '* : : * t " t-'--: .*-
Lx_rer. -trer 1 rt» i rai| »Ti adH i M ' sder inre: re-
— «öer rrässerer baansL Aber sas Verhalten ies
fa^fcbdtedts seifest h aar eia FAlai io rammten
• tet wert: vt oir ter ~.->~r— irr^-fri^T Y -_rr_
t> äar?mer: abseben. sa_stxe*e-* ; : - t-r z~-
• itf i3z stets t . e r : i f t . t- 1 t e s Ce stu :-
? r K - ** 2 t t e i : i t e i. A e t»e. tast jeöer fa-
’ - f tj3xs£jarxte.t teert saeä ix tt te ter Tat e- ci ree -
— 1 — t>— tscer i"t ImsHaacar -tes ersttaxet er —r -.tc n~ za-—
■* ~'_tet etttit'eetemtet * atätdetTxret tes je-xttrt-
- ^ - * veriJ etter rtrttet. :.e
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iti-- t-r.setet s tt. - - . - . • - . . • . . • . -
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An erhe jurch Tderkda bemorgeraicaca tett tzx_sttet. — t:e -x * -
leiien Potzrr trtta ertsteber. ist ttt rrttelrtZe farrt p r : : e s s f t t e t s :
'.','*"* _t' V|- - - - — t -ttt Itt.t e ' - Ti _ t ; ; :*ti iti 2 -iS - -
* x*-*-^ - - - t.t ;t ■ t t: et « e:r etttttffsvtü er teer er. vrem wtr tte r*:sse'e Ir t
- tt: : et *e*- i“ r'ttt_ i .fet :tltt_c tt tertattett tatet.
- - - — — — — tt..t*t‘ . - 1 *. t r e * t ttt t e t_£ e t - — , : - - t- xet ststett . - - ~ - *.
'ScaenmtncaL tertt-tre-s
stt z _ xrttrale. srerte
tx-reteiaBei seterttt seiwererex
— .t — 't ~ ; - ete . ettte-itttrstee e-rt.
rt_ te- EtnürrrgsnanaBt st tst-
r:£it itittr strex
te grösste «etsex etet-
- - — - -t es wichtig, die greese
risch t~berct:*>se Vet
t mbaagf za ton. Banal be re
t aof tem die Tsbe-tt-zee sebtst >zrtscit"etea :t
- * etttt • e*t: *te* tte * - - •
Manpienatwan^g. Die pfefsdol s. 5 — t — e
feafin Katarrhe, lnhaün a aad > bätet Ptettt- ;r
■a i ii hi.äa skfe a kerner Weise tob «den etttsttette"
fefcdnibeitdösa Verändewaget. Ntt ta Rcctxet:
«ie ernte, bis za tttt tev sset trat:
karrhaBsche Brondhopne—onie tob der verfäette*
: "* ; * - ■ - i'—zTi- ttt tes *t * t .*: * iss tetet - - . -
cizz ve-if.Tte- t - 1 : e ?■ t tet 1 1 *t s;
t"^a: * . * 'erksleser Prszzesse ist ttartntscb tt~:x tt N
rigerer Zeit, meist erst v« V.rtet. f irte- t t
er Syttrttme errefc Set - -t:- * eta— tat st *t*
-'ch Satmt tot Lxft m ateleftattscbe Rmsoa.
»feLaumscbe Ffffbig angrenzender Lnagente : S e-e
• . . . - : . - * . . -
Jteteor rvbt tre't- tte* attsa-*e* *';-tst"t; te: ? ; t.
'-"‘.-".t-." ;Xt*
' - - . ._t -*__.■ et a? t cesttttet - .
1 tch ia weettex. 3 — c- — > \\ y--- stt- ts s.
■ r kann anfbörem P>nphxcg k rette- s z'r aa*-
tt xtsetex Lttfre-etf.-attfatac rtc tte tet ta-:ir raatnäxr te
- eaixen tes -jesaxtt rvixsttrs att tt * tat-ftrex — At.x.
- - T ' - — ^ te : . ' . * t ttt • . t x - . • •
* tettfet. ttö-g-Ctzs" stete- n rehex
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üTserrErfesnr«* ~ : je* r -**•: s-* f s-Kfrcrf
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» xr. •» : - 5. t
1836
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 34.
Autoren. Auch nach unseren Erfahrungen an normalen und
pathologischen Fällen können wir die Nierenfunktionsprüfung
mit Phenolsulfophthalein als eine wertvolle Bereicherung
unseres diagnostischen Rüstzeuges bezeichnen. Wir sehen als
besonderen Vorzug die grosse Einfachheit, die völlige Unge¬
fährlichkeit und minimale Belästigung für den Patienten.
Ich gebe zunächst kurz die Methodik an, wie sie jetzt an
unserer Klinik mit gutem Erfolg angewandt wird.
1. Der Patient erhält 1 Stunde vor der Injektion des Farb¬
stoffes 500 ccm Wasser (Himbeerlimonade oder dergleichen),
nachdem zuvor die Blase entleert war. Erst von jetzt ab wird
der Urin exakt gesammelt und gemessen!
2. Injektion von 1 ccm Phenolsulfophthalein2) tief intra-
glutäal mit gut schliessender Spritze, nachdem Patient un¬
mittelbar vorher Urin (in Glas Nr. 0) gelassen hat. Die In¬
jektion wird praktisch auf die volle Stunde gelegt, wodurch
man Irrtümern seitens des Patienten resp. des Personals hin¬
sichtlich eines exakten Urinsammelns zur bestimmten Zeit am
besten entgeht.
3. Der Patient hat nun vom Moment der Injektion an
während der ersten Stunde in viertelstündlichen Intervallen
und dann weiter stündlich stets in numerierte (Glas 1, 2, 3
usw.) und mit Zeitangabe versehene Gläser Urin zu lassen.
Der Patient muss besonders angehalten werden, stets seine
Blase völlig zu entleeren.
Es folgt dann die recht einfache kolorimetrische Bestim¬
mung des im Urin ausgeschiedenen Phthaleins mit dem
Au tenrieth-Koenigsberger sehen Kolorimeter. Ich
brauche hier auf diese Technik nicht einzugehen, da dies
schon wiederholt geschehen ist; ausserdem wird jedem Kolori¬
meter eine genaue Beschreibung beigegeben.
Diese Methode weicht insofern von der von Rowntree
und G e r a g h t y ab, als diese ihre Stundenmessung
von dem Moment der ersten positiven Aus¬
scheidung im Urin beginnen. Diese Art der Rech¬
nung habe ich auch anfangs geübt, bin aber sehr bald davon
abgekommen, da man sehr oft Schwierigkeiten hat, den ersten
Moment der positiven Ausscheidung exakt festzustellen; es ist
nicht immer möglich, dass ein Patient alle 3 — 4 Minuten Urin
lässt. Bei den normalen Fällen mag diese Berechnung noch
gehen, da hier mit grösster Regelmässigkeit die Probe nach
5 — 7 Minuten positiv ausfällt; aber bei Nierenkranken kann es
20 Minuten bis über eine Stunde dauern. Es wäre, ganz ab¬
gesehen von den Ungenauigkeiten, eine harte Geduldsprobe
und äusserst zeitraubend, wenn man bei solchen Fällen immer
und immer wieder Zusehen müsste, wann man mit der Stunden¬
berechnung beginnen kann.
Während Deutsch ebenfalls auf den Nachweis des
ersten positiven Ausfalls der Probe verzichtet, tritt Roth3)
entschieden dafür ein, die Stundenberechnung erst beim Er¬
scheinen des Farbstoffes im Urin zu beginnen, da sich sonst
Fehler bis zu 8 Proz. einschleichen können. Da es mir wieder¬
holt vorgekommen ist, dass ein Patient nicht in der Lage war,
zu der Zeit Urin zu lassen, zu der ich den positiven Ausfall er¬
wartete, und da ich das Katheterisieren zu diesem Zweck im
grossen und ganzen ablehnen muss, so kann recht oft der wich¬
tige Zeitpunkt der ersten Ausscheidung verloren gehen.
Um nun diesen wertvollen Moment nicht zu verlieren und
von der Ueberlegung ausgehend, dass vielleicht im Verlauf der
ersten Stunde schon prägnante Unterschiede in der Ausschei¬
dungsart beim Nierengesunden und Nierenkranken erkennbar
sein würden, ging ich dazu über, die Patienten in der ersten
Stunde % stündlich post injectionem urinieren zu lassen.
Ganz abgesehen von dem unten zu besprechenden Wert einer
derartigen Kurve, ist durch diese Art der Handhabung für den
Arzt eine enorme Vereinfachung gegeben; er injiziert und
2) Man verwende stets das gleiche Präparat, am besten das von
der Firma Hynson, W e s c o 1 1 & C o., Baltimore, zu beziehen
von H e 1 1 i g e & Co., Freiburg i. Brsg. Von dieser Firma wird alles
für die Methode nötige geliefert.
*) Roth: B.kl.W. 1913 Nr. 35. R. berichtet da in einer ausge¬
zeichneten Arbeit über einige wichtige Fehlerquellen bei der Ph -
Probe: ich verweise auf diese Arbeit und brauche deshalb nicht
weiter auf die Fehlerquellen der Methodik einzugehen, die übrigens
bei Einhalten der von mir angegebenen Vorschriften minimal sind.
Siehe auch Er ne: M.m.W. 1913 Nr. 10
braucht sich dann nicht mehr um den Patienten zu kümmern,
abgesehen von wenigen Ausnahmen, in denen ein Katheteris¬
mus nötig ist, um schnell und sicher die erste Stundenkurve
zu haben (siehe weiter unten Differentialdiagnose, Koma,
Urämie etc.).
Durch die Bestimmung dieser Stundenkurve in ^stünd¬
lichen Intervallen hoffte ich weiter, auch für den Praktiker die
Methode noch leichter verwertbar zu machen.
Es hat sich in der Tat gezeigt, dass der Ablauf dieser
Kurve beim Normalen auffallend typisch ist, und dass diese
Kurve fast immer ein Spiegelbild der Gesamtausscheidung dar¬
stellt. Man wird zumeist schon aus dem Ablauf der Viertel¬
stundenkurve ein Bild der Funktionstüchtigkeit der Nieren
gegenüber Phthalein bekommen, wenn ich auch hervorheben
muss, dass es natürlich stets besser ist, ein Bild der üesamt-
ausscheidung zu haben.
Es hat sich in etwa 100 Normalfällen ergeben, dass der
Kurvenablauf, auf den ich besonderen Wert lege, ein
ganz typischer ist, während er bei Nierenkranken, wie wir
weiter unten sehen werden, mehr oder weniger verändert ist.
Es müssen beim Normalen in der ersten K Stunde deutlich
messbare4) Mengen des Ph. ausgeschieden sein5); die Kurve
muss dann von der ersten zur zweiten (seltener auch noch
event. zur dritten) Viertelstunde ansteigen und von da ab
wieder abfallen. Diese % stündliche Bestimmung der Aus¬
scheidung ist vielfach bis zum negativen Ausfall der Probe
verfolgt, und es hat sich stets das gleiche typische Bild ergeben:
vom Höhepunkt der Ausscheidung in der zweiten (bis dritten)
Viertelstunde muss die Kurve zuerst steil, dann langsam, aber
ständig abfallen! Beim Nierenkranken zeigt sie da¬
gegen meist völlig anderen Verlauf.
Auf Anregung von Herrn Prof. Moritz habe ich eine
Tabelle entworfen und in diese eine Normalkurve (als Mittel
Phcnolsullophlhalein-Tabelle.’)
Kurve 1.
aus 100 Fällen) eingezeichnet. In diese Tabelle ß) (s i e h e Ab¬
bildung) trägt man mit Buntstift die beim untersuchten
Patienten gefundenen Phthaleinwerte ein; man hat dann gleich¬
zeitig den normalen Mittelwert vor Augen. Ausserdem kann
man sich durch weitere Notizen in der Tabelle über Herz,
Blutdruck, Urinbefund und Ausfall weiterer funktioneller Prü¬
fungen der Niere ein klares Bild über den jeweils untersuchten
Fall verschaffen.
Die Kurve entspricht „Mittelwerten“, es müssen in der
ersten Stunde post inject, normaliter mindestens 40 Proz., in
der ersten und zweiten Stunde zusammen mindestens 50 Proz.
ausgeschieden sein.
4) Ich verwende zu den kolor. Bestimmungen verschiedene Ver¬
dünnungen des Urins je nach Farbintensität: auf 100, 250, 500, 1000.
5) Deutsch verlangt in der ersten halben Stunde messbare
Werte, seine übrigen Forderungen stimmen im ganzen mit den meinen
überein. 4 .
°) Diese Tabellen werden zugleich mit dem Kolorimeter «ne
mit dem Phenolsulfophthalein von Heilige & Co., Freiburg i. Brsg
geliefert: es ist diesen Tabellen auch eine genaue Beschreibung der
Methode beigegeben.
>5. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1837
Ehe ich auf spezielle Fragen über die normale Aus¬
scheidung des Phthalein eingehe, noch einiges zur Technik.
Wir geben stets genau 500 ccm Wasser eine Stunde vor
ier Injektion, um dadurch ein gewisses Urteil über die Diu-
ese zu erhalten. Auf diese Weise stellen wir gleichzeitig
nit der Phenolsulfophthaleinprobe noch den Strauss-
\ 1 b a r r a n sehen Wasserversuch an. Da der Ausfall der
Tithaleinausscheidung nach dem Urteil anderer wie auch nach
neinen Erfahrungen nicht abhängig von der Harnmenge ist, so
•ind wir voll berechtigt, diesen Diureseversuch mit der
«Jowntree-Qeraghty sehen Probe zu verbinden.
Eine derart belastete normale Niere erledigt in zirka
Stunden — gewöhnlich mit dem Höhepunkt etwa am Ende
:er 2. Stunde — diese Wasserzulage. Auch S t ra u s s gab an,
'ass normal in ca. 2 Stunden die Zulage ausgeschieden
cürde.
Bei nierenkranken Patienten können wir wesentliche Ab¬
weichungen von der Norm beobachten. Es ist natürlich, dass
nan die Ausscheidung der 500 Wasser nur nach dem Niveau
er ohnehin erfolgten Wasserausscheidung beurteilen kann.
:u diesem Zwecke verfolgt man am Tage vor oder nach der
Vassergabe die Urinausscheidung bei sonst völlig gleichen
iedingungen.
Die Wasserzulage gebe ich gewöhnlich 2—3 Stunden nach
cm ersten Frühstück, bei dem allerdings möglichst wenig
lüssigkeit gereicht werden soll. Die Probe nüchtern anzu-
tellen, ist für den Patienten wenig angenehm, weil er min-
estens noch 3 — 4 Stunden ohne Frühstück bleiben müsste.
Aus der Differenz in den Urinmengen vom Tag ohne und
iit Wasserzulage gewinnen wir dann zumeist recht wertvolle
ufschlüsse, wie einige Beispiele in der beigegebenen Tabelle
eigen sollen.
a) Nierengesunde.
b) Nierenkranke.
Hö.
Sp.
En.
Her.
Stu.
1
II
I
II
i
II
I
n
, 1 II a
27. II.
11 b
13. III.
75
70
60
55
45
20
85
100
85
100
75
170
160
40
35
45
80
110
95
75
85
90
170
160
75
65
50
80
90
150
110
60
• 50
125
100
60
105
30
85
100
340
60
45
240
140
250
55
80
130
65
75
170
35
45
120
100
70
60
100
55
95
55
80
40
30
100
Sämtüehc Patienten erhielten an Tai; I und II morgens 7 Uhr einen Becher Kaffee
Milch (200 — 300 ccm), an Ta^ II um 9 Uhr ausserdem 500 ccm Wasser.
Die Injektion wird intraglutäal (in den obersten Teil) aus¬
führt, da das Phthalein in der Lumbalmuskulatur Schmerzen
.'rursacht; dasselbe haben* auch Fromme und Rubner
tont. Von einer intravenösen Injektion, die E i c h m a n n,
romme und Rubner empfehlen, wurde Abstand ge-
■mmen, da hierdurch die Methode nur unnötig kompliziert
ird. Es ist nicht Jedermanns Sache, zu rein diagnostischen
wecken ohne Not eine Venenpunktion zu machen. Wenn
ch ohne weiteres zugegeben wird, dass wir durch die intra-
nöse Einverleibung des Phthalein etwas gleichmässigere Be¬
ugungen bekämen, muss ich doch bemerken, dass ich auch
:ch intraglutäaler Injektion beim Normalen eigentlich nie
ten wesentlichen Unterschied in dem Beginn der Aus-
üeidungszeit gefunden habe. Zudem scheint es mir vom rein
ysiologischen Standpunkt aus gar nicht so gleichgültig für
- Beurteilung der Funktion eines Organs zu sein, ob man cs
itzlich mit einer grossen Masse eines Stoffes überschwemmt,
er ob dieser der normalen Resorption entsprechend längere
it hindurch in kleineren Mengen das betr. Organ passiert.
Für die Bewertung der in Rede stehenden Methode ist
- Beantwortung besonders zweier Fragen von der aller-
össten Bedeutung: 1. scheiden tatsächlich alle Nieren¬
Voeg.
Ru.
Jü.
He.
Schö.
Bu.
1 II
I
II
I
11
I
II
I
II
I
II a
II b
30
55
145
50
35
25
30
50
100
80
60
55
45
50
95
200
225
50
60
45
50
195
95
75
75
110
60
230
180
270
60
110
65
230
145
300
■ 80
330
80
130
180
4 SO
50
500
65
400
160
360
40
580
3 1 5
85
140
150
180
40
i 75
75
290
130
120
85
275
120
75
125
180
150
75
| 50
65
75
110
100
100
50
60
gesunden den Farbstoff stets „normal“ aus und 2. scheidet ihn
die gleiche Person unter gleichen Bedingungen stets an¬
nähernd in gleicher Menge und in entsprechender Zeit aus?
Wenn ich von Funktionstüchtigkeit „normaler“ Nieren
spreche, so verstehe ich darunter Nieren, die nach unseren
allgemein üblichen Untersuchungsmethoden als gesund gelten
können. Es wurden vor allem nur Patienten zur Feststellung
dei normalen Ausscheidung des Phthaleins herangezogen, die
lediglich wegen leichter Erkrankungen in der Klinik weilten,
die insbesondere keinerlei Veränderungen ihres gesamten
Urogenitaltraktus zeigten, und die auch nicht an Krankheiten
litten, die ab und zu — wenn auch nur leichte — Nierenver¬
änderungen machen könnten. So wurden insbesondere alle
Patienten mit Strikturen, Prostata- oder Blasenerkrankungen,
ebenso solche mit Veränderungen im kleinen Becken zur Fest¬
stellung der Norm ausgeschlossen. Ich möchte weder Frauen
mit Adnextumoren (Fromme und Rubner), noch Gravide
für geeignete Versuchspersonen zum Studium der normalen
Phthaleinausscheidung halten.
Unsere Annahme der Norm gründet sich für das Gros der
Fälle auf regelmässige, fast tägliche exakteste Urinunter¬
suchungen. Daneben wurden bei einer ganzen Reihe von
„Normalfällen“ die Kochsalz- und Harnstoffbestimmung, die
Milchzucker-, Diastase- und Jodprobe neben Beobachtung der
Diurese ausgeführt; neuerdings verwende ich auch die
Kreatininbestimmung nach Neubauer mit gutem Erfolg.
Ich darf nun sagen, dass ich bisher beim Normalen
stets den normalen Kurvenablauf und die geforderte Prozent¬
menge von Phthalein gefunden habe. Es finden sich in der
Literatur Stimmen (Eichmann, Albrecht, Fromme
und Rubner), die beim Normalen abnorm niedrige Werte
bekommen haben. In einzelnen Fällen glaube ich, dass es sich
eben nicht um normale Nieren gehandelt hat; teilweise scheint
ein anderes minderprozentiges Präparat verwendet zu sein;
mehrfach ist der Grund der schlechten Phthaleinausscheidung
nicht ohne weiteres ersichtlich.
Es muss ausdrücklich hervorgehoben werden, dass es uns
auch wiederholt vorgekommen ist, dass wir entgegen unserer
Annahme, bei einem bestimmten Patienten eine normale
Phthaleinausscheidung zu bekommen, einen schlechten Aus¬
fall der Probe konstatieren mussten. Es sind dies jetzt unter
300 Fällen etwa 15; und da ist es uns nur in einem einzigen
Fall bisher nicht gelungen, den Grund des abnormen Kurven¬
verlaufes nachzuweisen (Pat. verliess vorzeitig die Anstalt).
In allen anderen Fällen konnten wir entweder Fehler in der
Technik (ich habe aus äusseren Gründen für einige Versuche
andere, minderprozentige Präparate verwendet, kam dann aber
sofort durch vergleichende Messungen zu denselben Resultaten
wie Roth), oder mangelhaftes Entleeren der Blase oder aber
in der Mehrzahl tatsächlich bestehende Veränderungen am
„Urogenitalsystem“ feststellen. Es bestand mehrmals: Striktur,
Prostatahypertrophie, Kleinbeckentumoren oder tatsächlich
eine klinisch bisher verborgen gebliebene Nierenerkrankung;
auf den letzteren Punkt werde ich später noch besonders zu
sprechen kommen müssen.
Wir sind daher nicht berechtigt, bei unternormalem Aus¬
fall der Probe beim „vermeintlich Normalen“, dies der Me¬
thode ohne weiteres zur Last zu legen; es muss vielmehr ge¬
fordert werden, dass bei derartigen Differenzen alle uns bisher
zu Gebote stehenden Untersuchungsmethoden (ich betone be¬
sonders auch die einfache tägliche Untersuchung auf Eiweiss
und Formelemente) erst entscheiden müssen, ob wir es tat¬
sächlich mit funktionell normalen Nieren zu tun haben. Es
gibt viel mehr kranke Nieren, als gemeinhin angenommen
wird!
Es ist vielleicht auch nicht überflüssig, zu betonen, dass
man sich mit j e d e r klinischen Methode, ganz besonders aber
mit einer „einfachen“ vertraut machen muss, ehe man den
Stab über sie bricht, oder sie bedingungslos empfiehlt, und
dass man auch bei einer einfachen Methode „e x a k t“ arbeiten
muss, besonders wenn es sich wie hier um eine einfache aber
quantitative Bestimmung handelt.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage: scheidet der¬
selbe Normale unter gleichen Bedingungen gleiche Farbstoff¬
mengen in entsprechender Zeit aus? Nein! die gefundenen
1838
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 34.
Differenzen sind aber zumeist derart, dass sie nicht unter die
Grenze der Norm fallen, also praktisch bedeutungslos sind.
Es kommen da offenbar neben mangelhafter Blasenentleerung
auch extrarenale Einflüsse in Betracht. Der 1 ypus der Aus¬
scheidung, d. h. der Kurvenablauf ist im ganzen immer der
gleiche. , , , , . ,
Ich möchte aber ganz besonders hervorheben, dass ich
auch in etwa 3 Fällen bei der gleichen Versuchsperson einmal
weit unternormale und dann wieder hoch normale Werte
bekommen habe; diese Differenz hat sich nicht immer durch
mangelhafte Blasenentleerung erklären lassen. Derartige
Fälle sind Ausnahmen!
Verschiedenheiten der Farbstoffelimination lassen sich je¬
doch beim gleichen Individuum — wie ich schon früher her¬
vorgehoben habe — zu den verschiedenen Tageszeiten und bei
Bettruhe und Aufsein beobachten.
Der Normale scheidet häufig am Nachmittag (d. h. 2 bis
3 Stunden nach dem Mittagessen und Kaffee) grössere Mengen
Phthalein aus als am Vormittag. Die Unterschiede können
gross sein, jedoch nicht so, dass sie unter die normale Grenze
fielen. Dieser Unterschied in der Ausscheidung fällt bei
Nierenkranken, besonders beim chronischen Neplnitiker
schwererer Form völlig weg.
Während offenbar die durch Nahrungsaufnahme bedingten
Nierenreize (Kochsalz, Purinkörper, Harnstoff) beim Gesunden
eine erhöhte Nierenfunktion (Reservekraft) hervorrufen, so
dass auch das körperfremde Phthalein innerhalb dieses Reiz¬
zustandes besser ausgeschieden wird, bleibt die Funktion der
Nieren beim Nephritiker auch den einfachen Reizen einer ge¬
wöhnlichen Mahlzeit gegenüber „starr“. Allerdings vermag
mitunter eine die Nierentätigkeit stark anregende Mahlzeit
(Purin, Alkohol) auch derartige Nieren zu einer vermehrten
Phthaleinausscheidung zu bringen 7).
Alle diese hier skizzierten Unterschiede sind bei der prak¬
tischen Anwendung der Probe von nur untergeordneter Be¬
deutung, müssen aber registriert werden und haben Wert für
die Beurteilung der physiologischen und pathologisch-physio¬
logischen Nierentätigkeit. Vielleicht spielen da auch Prozesse
mit, die völlig unabhängig von der Nierenfunktion sind
(Resorption etc.).
Sehr wenig von Belang ist es, ob man den Patienten
liegen lässt, oder ob sich derselbe ausser Bett befindet. Nur
insofern ist ein gewisser Einfluss vorhanden, als die Diurese
im Liegen im allgemeinen besser ist, somit also auch der be¬
treffende Patient jederzeit leichter Urin lassen kann. Ver¬
einzelt habe ich gefunden, dass im Liegen etwas mehr
Phthalein sezerniert wird, jedoch sind das praktisch unwichtige
Differenzen.
Eine Zusammenfassung unserer Beobachtungen an nor¬
malen Individuen ergibt etwa folgendes:
1. die normale Phthaleinkurve verläuft in der vorher
angegebenen Form (s. oben Kurve);
2. es müssen in der ersten Stunde mindestens 40 Proz.
(davon in der ersten Viertelstunde messbare Werte), in der
ersten und zweiten Stunde zusammen mindestens 50 Proz. '*)
des Farbstoffes ausgeschieden sein.
3. die Gesamtausscheidung muss am Ende der dritten
Stunde, höchstens der vierten praktisch vollendet sein;
4. diese Normen gelten im grossen und ganzen für alle
gesunden Nieren. Finden sich bei vermeintlich nierengesunden
Leuten Abweichungen, so ist die Probe zu wiederholen; ergibt
sie wieder einen abnormen Befund, so wird es mindestens
wahrscheinlich, dass man es doch mit einer bis dahin ver¬
schleierten Nierenerkrankung zu tun hat. Die Verwendung
sonstiger uns zu Gebote stehender diagnostischer Hilfsmittel
ist dann angezeigt, um dieses Urteil zu sichern.
(Schluss folgt.)
H
7) Die Versuche und Untersuchungen über Beeinträchtigung der
Phthaleinausscheidung von verschiedenen Gesichtspunkten werden
noch weiter fortgesetzt.
7*) Anmerkung bei der Korrektur. Diesen Wert
nimmt auch v. Monakow an (D. Arch. f. kl. Med. 116. S. 1).
Aus dem Sanatorium Davos-Dorf (leit. Arzt Dr. L. v. Muralt).
Praktische Erfahrungen über die granuläre Form des
Tuberkulosevirus.
Von Dr. S. W e i n e r.
Seitdem M u c h die nur nach Gram darstellbare granu¬
läre Form des Tuberkulosevirus entdeckt hat, sind bereits
16 Jahre vergangen, und doch scheinen die Akten über diese
Frage noch nicht geschlossen zu sein. Trotz einer grossen
Anzahl Arbeiten, wie sie von Rosenthal, W e h r 1 i,
Knoll, Deycke, Wegelin, Weiss, Leschke und
vielen anderen, die die Existenz des granulären Virus ausser
Zweifel setzen, gibt es noch Autoren, welche die Much sehen
Granula in Abrede stellen. Von den letzteren wollen besonders
Bittrolf und Morn ose bewiesen haben, dass nach der
Weiss sehen Doppelfärbung jedem Einzelnkorn ein Stück¬
chen säurefeste Substanz anhaftet, dass also die Much scheu \
Granula prinzipiell nichts Neues darstellen. Diese Ansicht hat
Knoll seinerzeit zur Genüge widerlegt.
Wir konnten uns an 1050 im Laufe eines Jahres aus¬
geführten Sputumuntersuchungen von der Richtigkeit der
Much sehen Beobachtungen vollkommen überzeugen. Wir
wollen daher hier auf den prinzipiellen Streit nicht mehr zu¬
rückkommen. Die positiven Resultate sind so überwältigend
gross an Zahl, dass es neuer Beweise in dieser Hinsicht kaum
mehr bedarf. Much hat die positiven ebenso wie die nega¬
tiven Befunde anderer Autoren in seiner letzten Arbeit zu¬
sammengefasst und kritisiert. Theoretisch ist danach die
Frage als erledigt zu betrachten.
Was uns aber noch viel zu wenig gewürdigt scheint, ist
der praktische Wert des Nachweises Much scher Granula im
Einzelfall. Auch in den Lungenheilstätten bringt man dieser
Seite der Frage viel zu wenig Interesse entgegen, und doch ist
ihre Bedeutung gross und mannigfach. Manch unklarer Fall
kann durch die Feststellung des granulären Virus geklärt
werden. Ferner war von Interesse festzustellen, wie viele der
Ziehl-negativen Kranken das granuläre Virus produzieren. Da
diese Form des Tuberkuloseerregers, ' wie von Much und
anderen nachgewiesen und wie wir es auch bestätigen
konnten, virulent und infektiös ist, so ergeben sich ausser den
rein diagnostischen Gesichtspunkten auch wichtige prophylak¬
tisch-soziale Schlüsse für die 1 uberkulosebekämpfung.
Weiterhin muss es von Interesse sein, festzustellen, ob sich
aus dem Vorhandensein verschiedener Formen des Tuberku-
loseerregers im Einzelfalle prognostische Gesichtspunkte ge¬
winnen lassen. Es war zu prüfen, ob mit der klinischen Besse¬
rung die Bazillen ihre Säurefestigkeit einbüssen, um sich in die
kapsellosen Bazillen (Uebergangsformen) und schliesslich in
die granuläre Form zu verwandeln.
Ein Lungenmaterial, wie es unser Sanatorium bietet, schien
uns auf diese Frage um so mehr Licht werfen zu können, als
wir Gelegenheit haben, das Sputum ebenso wie das klinische
Bild eines und desselben Patienten monate-, selbst jahrelang
zu beobachten und auf diese Weise Zufälligkeiten möglichst
auszuschliessen.
Der Zeitraum, auf den unsere Untersuchungen sich er¬
strecken, umfasst etwas mehr als ein Jahr. Es wurde tuber¬
kulöses Material (Sputum, pleuritische Exsudate, Knochen¬
fistelsekret, Rektalfistelsekret und tuberkulöse Abszesse) von
im ganzen 75 Patienten 1., II. und III. Stadiums nach Turban
untersucht.
Von den 75 Patienten wurden:
12 Patienten 1. Stadium 48 mal untersucht, 48 Z 0, 35 M lb"
20 „ II. „ 175 , „ 157 , HO , 47 ,
43 „ III. „ 827 . „ 227 „ , , 227 „
1050 mal untersucht, 432 Z O, 372 M 60 M
Unter Stadium III befinden sich auch 30 Patienten mit
künstlichem Pneumothorax, deren Sputum 110 mal zur Unter¬
suchung kam. ii jj ■'
Von den 75 Patienten zeigten 25 (10 des I. und 15 de-
II. Stadiums) nie nach Z i e h 1 färbbare Bazillen. Sie waren
als geschlossene Tuberkulosen ins Sanatorium eingewiesen
worden, da auch auswärts zum Teil bei wiederholter Sputum-
analyse keine Bazillen gefunden worden waren. Bei 15 der
30 Pneumothoraxpatienten wurden mehrere bis viele Monate
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
25. August 19 14.
nur M u c fi sehe Granula gefunden. Auf die Zahl der Patienten
berechnet waren es also 40 von 75 = 53,3 Proz., bei denen
man stets oder teilweise keine säurefesten Bazillen, wohl aber
Granula finden konnte.
Im ganzen wurden, wie aus der Tabelle hervorgeht,
1050 Paralleluntersuchungen nach Z i e h 1 und Much gemacht,
von denen 432 — 41 Proz. Ziehl-negativ ausfielen. Von diesen
433 waren 372, also 35,4 Proz. der gesamten resp. 85 Proz.
der Ziehl-negativ'en Untersuchungen nach Much positiv. Von
18 1 ierversuchen mit dem nur Granula enthaltenden Sputum
waren 15 positiv und 3 negativ.
Die Bereitung der Präparate ging folgendermassen
vor sich:
Das Sputum wurde zwischen zwei Objektträgern zu einer feinen
Seife zerrieben. Das eine Präparat wurde nach Z i e h 1. das Kontroll-
präparat nach einer modifizierten, von K n o 1 1 angegebenen Doppel-
tärbungsinethode bearbeitet. Die K n o 1 1 sehe Farbenmischung unter¬
scheidet sich von der früher von W e i s s angegebenen durch einen
Zusatz einer 3 proz. Resorzinlösung, die das Ausfallen des Methylen¬
blaues einschränkt. Wenn nach Ziehl keine Bazillen gefunden
wurden, nahmen wir in den meisten Fällen nach Anreicherung mit
Antiformin eine nochmalige Färbung des Sedimentes nach Ziehl
und Kn oll vor. Mit so untersuchtem Sputum wurden auch die
Tierimpfungen vorgenommen.
Wir zogen die 24 bzw. 48 ständige Kaltfärbung der kurzen heissen
vor, da sie auf Grund unserer Erfahrungen zu einem Minimum
von Farbenniederschlägen führt. Die Befürchtung, dass die Granula
leicht mit Kokken und Farbenniederschlägen verwechselt werden,
sonnen wir nicht teilen. Bei einiger Uebung fallen diese Schwierig¬
keiten weg, da die tinktoriellen und physikalischen Eigenschaften der
iranula für die letzteren vollkommen charakteristisch sind. Bei den
n eisten Sputa, wo man auch nach Ziehl Bazillen findet, bietet das
Mikroskop bei der Doppelfärbung ein buntes Bild von granulären
lazillcn mit rotem Leib und bläulichen, stark lichtbrechenden Kern-
-hen, welche in wechselnder Menge an verschiedenen Stellen des
iazillus liegen, häufig auch nur äusserlich dem Leib anliegen; von
Jebergangstormen, bei denen der Leib nur noch als blassroter
•■chatten zum Vorschein kommt und von zu Stäbchen angeordneten
md regellos, einzeln und in Haufen liegenden Granula. Die Menge
ler granulierten Bazillen entsprach fast immer derjenigen, die auch
lach Ziel festgestellt werden konnte. Als Plus sind nur die Ueber-
jangsformen und reine Granula zu betrachten. Es kommen aller-
lings auch seltene Fälle vor, wo man nach der Doppelfärbung nur
ote Bazillen fand und diese letzteren vollkommen granulafrei waren.
Weitaus am wichtigsten ist die Feststellung des granulären
luberkulosevirus in Fällen, wo die Ziehlmethode auch nach
•em Anreicherungsverfahren versagt und wo die klinischen
Symptome eine Tuberkulose vermuten lassen, ln der Fest-
tellung des Virus bei diesen letzteren liegt der Hauptwert
ler Much sehen Entdeckung und diese Tatsache wird die
nodifizierte Grammethode in der Zukunft unentbehrlich
nachen. Die sogen, okkulten Tuberkulosen, ebenso wie die
lilusfälle, wo man die Zuflucht zu diesem Namen nehmen
nusste, weil das Virus nicht darstellbar war, sind wohl jedem
äithisiater bekannt. Um so sonderbarer ist die Behauptung
on G e i p e 1, dass es schwer sei, menschliches Material zu
inden, bei dem keine Ziehlbazillen getroffen werden. Der-
rtige okkulte Fälle treten seit der Entdeckung des granulären
irus in einem ganz anderen Licht auf. Es heisst nicht mehr,
ass der Erreger in die Aussenwelt nicht ausgeschieden wird,
ondern dass er in einer anderen, bis jetzt nicht darstellbar ge¬
wesenen Form erscheint, ln Ziehl-negativen Fällen sieht man
n Mikroskop in den meisten Fällen nur wenig Uebergangs-
•rrnen und Much sehe Stäbchen, meistenteils aber zu Stäb-
hen angeordnete Granula, 3—4 in der Zahl, hie und da auch
ur zwei Granula mit einem Zwischenraum, welcher der
urchschnittlichen Länge eines Bazillus entspricht, und dann
nch in Haufen oder einzeln liegende Granula. Folgendes Bei-
piel diene als Beleg:
Frl. S„ 25 Jahre alt, starke erbliche Belastung. Bis Herbst 1911
eitens der Lunge keine Beschwerden. Dann traten schleichend
asten und Auswurf auf. Leichte Ermüdbarkeit. Im Sanatorium
bis ^nc^e März 1913. Normale Temperaturen, selten
^'eimig eitriges Sputum. Bis auf leichte Ermüdung ordentliches
Vpnlbefinden. Ueber beiden Lungen hört man disseminierte, halb-
üngende Rhonchi. Im Auswurf sind nie Ziehlbazillen gefunden
orden, auch nicht mit Antiformin. Nach der Doppelfärbung waren
-gelmässig Granula zu finden. Tierversuch war positiv. An beiden
ungen des Meerschweinchens und an der Milz war eine diffuse
ussaat von verkästen Tuberkeln. Interessant ist, dass in diesen
uberkefn nur Granula, aber nicht säurefeste Bazillen zu finden
aren.
1839
Warum in einem Falle säurefeste Bazillen ausgeschieden
werden, im andern nur die granuläre Form, lässt sich zurzeit
noch nicht mit Sicherheit beantworten. Es scheint uns sicher,
dass die biologischen Bedingungen für den Tuberkuloseerreger
in beiden Fällen verschieden sind und dass auch der ana¬
tomische Zustand der Gewebe entsprechend ein anderer sein
muss. Haben wir doch im Verlaufe unserer Untersuchungen
feststellen können, dass mit dem Wechsel des klinischen Bildes
die Form des Erregers sich vor unseren Augen änderte, indem
er seine Säurefestigkeit verliert, um anfangs noch als Ueber-
gangs-, zum Schluss aber nur noch als granuläre Formen zu
erscheinen. Derartige Beobachtungen machten wir in den
Fällen, in denen eine Besserung durch hygienisch-diätetische
Kur allein erreicht wurde, wie auch in einer grösseren Anzahl
von Fällen, die mit Pneumothorax behandelt wurden. Als Bei¬
spiel dieser Metamorphose ist folgender Fall anzuführen:
Frl. Th., 32 Jahre alt, krank seit März 1912. Mai 1912 Pleuritis,
seit Mitte Juni 1912 viel bazillenhaltiger Auswurf. Im Sanatorium
seit dem 21. X. 12. Die ersten Monate bazillenhaltiges eitrig geballtes
Sputum Seit Mai 1913 verschwanden die Bazillen, hingegen war die
granuläre Form fast regelmässig positiv. Seit Februar 1914 sind
im schleimigen, hie und da mit Eiterklümpchen vermischten Sputum
auch M u c h sehe Granula nicht mehr nachweisbar. Klinischer Be¬
fund: Anfangs grobe, klingende Rhonchi im rechten Unterlappen mit
absoluter Dämpfung und bronchialem Atmen, subfebrile Tempera¬
turen, leicht müde. Seit April 1913 spärliche, halbklingende, selten
klingende Rhonchi, nur noch nach Husten. Aufhellung der Dämpfung.
Sehr wenig Auswurf. Temperaturen normal. Allgemeines Wohlbe¬
finden. Die zuletzt aufgenommene Röntgenplatte zeigt im Vergleich
zu der ersten eine fast vollkommene Aufhellung der früheren dunklen
Stelle.
Bei den Pneumothoraxfällen sahen wir fast jedesmal, wo
es gelang, die Lunge zu einem genügenden Kollaps zu bringen,
nach kürzerer oder längerer Zeit die säurefesten Bazillen ver¬
schwinden, um zunächst noch als Uebergangsformen und im
weiteren Verlauf nur mehr als granuläre Form zum Vorschein
zu kommen. Nur bei den Pneumothoraxfällen mit starr-
wandigen Kavernen und ausgedehnten Adhäsionen dauerten
die Ziehlbazillen an. Gewöhnlich war in diesen letzten Fällen
eine sehr geringe Besserung des allgemeinen Zustandes zu
verzeichnen und der Pneumothorax musste mehrfach mit
irgend einer thorakoplastischen Operation kombiniert werden.
Fall S., 34 Jahre alt. Erkrankt 1908. Im Sputum früher immer
Bazillen positiv. Seit dem Jahre 1912 in unserer Behandlung. Vor
dem Pneumothorax: Eitrig-geballtes Sputum mit positivem Bazillen¬
befund. Ueber der ganzen rechten Lunge zahlreiche klingende und
halbklingende Rhonchi, subfebrile Temperaturen, sehr herabgesetzte
Leistungsfähigkeit. Pneumothorax rechts, seit März 1913. Seit Mai
desselben Jahres wurden keine Bazillen mehr nach Ziehl nach¬
gewiesen, auch nicht mit Antiformin. Mit der Doppelfärbung wurden
fast immer seit dieser Zeit Uebergangsformen und Granula gefunden.
In den letzten Monaten fiel auch eine Abnahme der Uebergangsformen
auf, während die Granula noch immer in fast gleichen Mengen be¬
standen. Die Lunge war ganz ruhig gestellt, nirgends waren Rhonchi
wahrzunehmen. Temperatur normal, gutes Allgemeinbefinden. Der
Patient konnte in den letzten Monaten mehrere Stunden täglich
arbeiten und wurde als geheilt entlassen.
Ein gewisser Parallelismus zwischen dem Verlust der
Säurefestigkeit der Bazillen und dem Abnelnnen und schliess¬
lich gänzlichen Verschwinden der toxischen Erscheinungen ist
nicht zu verkennen. Diese Vermutung gewann besonders
festen Boden, seitdem wir bei einigen Pneumothoraxfällen
lange nach Abschluss der Kollapstherapie im Stadium der kli¬
nischen Heilung im spärlichen Sputum noch M u c h sehe
Granula in grösseren Quantitäten nachweisen konnten. So
sind z. B. bei dem Patienten Herrn W„ bei dem der Pneumo¬
thorax schon seit 4 Jahren nicht mehr besteht, noch Much-
sehe Granula zu finden. Der Tierversuch fiel positiv aus. Der
Patient führt das Leben eines vollkommen gesunden Menschen,
ist klinisch noch kaum als tuberkulös zu betrachten. Diese
Erfahrungen deuten andererseits darauf hin, dass die Much-
schen Granula nicht nur die resistentere Form des Tuber¬
kulosevirus, sondern auch die persistierende Form darstellen.
K n o 1 1 kam an Hand anderer Beobachtungen zum selben
Schluss.
Wenn bei klinischer Besserung einerseits sich die Tu¬
berkelbazillen im Sputum zunächst zu der granulären Form
degenerieren, so kann man andererseits in progredienten Fällen
und bei Rezidiven den umgekehrten Vorgang verfolgen. Wir
1840
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 34.
sahen an diesen Fällen, dass Hand in Hand mit einer Ver¬
schlimmerung des subjektiven und objektiven Befindens des
Patienten säurefeste Bazillen auch noch zum Vorschein
kommen. Sehr schön konnten wir dies im folgenden Falle
sehen:
Fall Trx. Patient ist geboren 1894, hat mit ca. 12 Jahren einen
rechtseitigen Spitzenkatarrh durchgemacht. Im Sommer 1910 Rezidiv,
erhebliche Blutung mit ausgedehnter Aspiration in die ganze linke
Lunge. September 1910 künstlicher Pneumothorax links. Bis
April 1911 waren Ziehlbazillen regelmässig nachweisbar. Im April
bildete sich ein tuberkulöses lymphozytenhaltiges Exsudat. Die
Bazillen im Sputum verschwanden, allgemeine Besserung. Resorption
des Exsudates nach 8 Monaten. Völliges Wohlbefinden während
eines Jahres bei Unterhaltung des Pneumothorax. Im Januar 1913
setzten Husten, Auswurf und leichtes Fieber von neuem ein. Durch
den Zug der schrumpfenden Pleuraschwarten wurde eine Partie an
der Basis der linken Lunge gezerrt und schliesslich ausgedehnt. Es
kam dann zu frischem Zerfall und Kavernenbildung. Während des
Vorganges wurden zunächst nur granuläre Formen, nach einiger Zeit
erst säurefeste Stäbchen im Sputum gefunden. Die Granula nahmen
in diesem Falle scheinbar ihre Säurefestigkeit nochmals auf. Das
Verschwinden der- Bazillen nach dem Auftreten des Exsudates ist
wohl, wie v. M u r a 1 1 annimmt, auf eine immunisatorische Wirkung
zurückzuführen.
Much selbst stellt irgendwelchen Unterschied in der
symptomatischen Dokumentierung der Ziehlbazillen und des
Oranulärevirus in Abrede. Aber schon Muchs Auffassung
der Metamorphose der Tuberkelbazillen lässt einen solchen
Unterschied vermuten. Much sagt darüber:
„In dem von der Ernährung mehr oder weniger abgeschnittenen
Tuberkulösengewebe oder tuberkulösem Eiter wird die Säurefestig¬
keit (der Tuberkelbazillen) beeinträchtigt. Hier zerfallen sie in nur
nach Gram darstellbaren Körnerreihen und Körner. Diese Körner
möchte ich als granuläre Form bezeichnen. Gelangen nun diese
Körner auf irgend eine Weise in die Zirkulation, und werden in ge¬
sundes Gewebe verschleppt, so entwickeln sich aus ihnen die feinen,
nur nach G r a m färbbaren Stäbchen. Diese Stäbchen imprägnieren
sich dann mit einer Fettsubstanz und werden säurefest.“
Das anatomische Milieu, in welchem sich die verschiedenen
Formen finden, ist also auch nach Much verschieden. Eine
entsprechende klinische Symptomatologie ist demnach nicht
schwer zu erklären. Es sei nebenbei bemerkt, dass die Be¬
hauptung von Much, dass im Tuberkuloseeiter und im Tu¬
berkuloseexsudat sich die granuläre Form fast immer vor¬
findet, mit unseren Erfahrungen nicht übereinstimmt. So
konnten wir fast an unseren sämtlichen pleuritischen Ex¬
sudaten Ziehlbazillen nachweisen, ebenso im Eiter einer
Sternalfistel und zweier tuberkulöser Analfisteln. In einem
Falle von abszedierender Nebennierentuberkulose konnten wir
post mortem nur noch die granuläre Form finden. Von dem
Nebennierenparenchym waren kaum mehr Reste erhalten.
Man könnte sich mit Much die Sachlage so erklären, dass in
den ersten Fällen die säurefesten Stäbchen ins Exsudat oder
in das Fistelsekret aus der tuberkulösen Pleura oder dem
umgebenden tuberkulösen Gewebe hineingeschwemmt werden,
hingegen bei abgesackten Tuberkuloseabszessen, wie in dem
oben erwähnten Nebennierenfall, verlieren die Bazillen ihre
säurefeste Substanz und kommen nur als granuläre Form zum
Vorschein.
Wir fassen also zusammen:
I. Bei einem beträchtlichen Prozentsatz der tuberkulösen
Erkrankungen ist das granuläre Virus der einzige darstellbare
Erreger. Seine Darstellung ist mit Hilfe der Doppelfärbungs¬
methoden verhältnismässig einfach.
II. Bei tuberkulösen Erkrankungen, die eihe Heilungs¬
tendenz zeigen, sehen wir die Umwandlung der anfangs vor¬
handenen säurefesten Bazillen in die granuläre Form.
III. Das granuläre Virus scheint auf den Organismus
weniger toxisch einzuwirken und ist im ganzen klinisch und
prognostisch als eine günstige Form zu betrachten.
IV. In progredienten Fällen und bei Rezidiven kann das
granuläre Virus unter allgemeiner Verschlimmerung des klini¬
schen Bildes seine Säurefestigkeit wieder aufnehmen.
V. Das granuläre Virus scheint selbst imstande zu sein,
Tuberkeln zu bilden und ist ansteckungsfähig.
Wie aus I. und V. erfolgt, ist die Feststellung der Much-,
sehen Granula von grosser Bedeutung auch für die soziale
Tuberkuloseprophylaxe. Es ist Sache des praktischen Arztes
und der Heilstätten, diese neuen Untersuchungsmethoden sich
zu eigen zu machen und die tuberkuloseverdächtigen Patienten
mit negativem Bazillenbefund auch auf die Much sehen
Granula zu untersuchen, um im letztgegebenen Falle sie als
ansteckungsfähig zu erklären. Die Desinfektionspflicht muss
sich nicht nur auf die Bazillenproduzenten, sondern auch auf
die Granulaproduzenten in voller Strenge erstrecken.
Der Satz von v. B e h r in g: „Die Untersuchungen des Tu¬
berkulosevirus im menschlichen Körper werden zukünftig sich
nicht nur beschränken dürfen auf den Nachweis des Ziehl-färb-
baren Bazillenvirus, sondern sie müssen ausgedehnt werden
auf die granulären Zerfallsprodukte des Tuberkulosevirus''
dürfte bei den Aerzten mehr Anklang finden, als es bis jetzt
der Fall war.
Literatur.
Bittrolf und Mo in ose: D.m.W. 1912 Nr. 1. — Deyeke:
Zur Biochemie des Tuberkclbazillus. M.m.W. 1910 Nr. 12. —
Geipel: Ein Beitrag zur Vorkommnis usw. Beitr. z. Klin. d. Tbc.
18. H. 1. — Kn oll: Morphol. und Biol. usw. Beitr. z. Klin. d. Tbc.
15. H. 2. — Ders.: Zur Morphologie des Tuberkelbazillus. Ebenda
18. — Ders.: Morphologischer Beitrag zu den Beziehungen usw.
D Arch. f klin. M. 109. — L e s c h k e: Ueber die granuläre Form des
Tuberkelbazillus. Zbl. f. Bakt. 59. 1911. — Much: Ueber die
granuläre, nach Z i e h I nicht färbbare usw. Beitr. z. Klin. d. Tbc.
8 h 1. - Ders.: Ebenda 8. H. 4. — D e r s.: Ebenda 11. H. 1. —
Ders.: Handb. d. Tbc. Brauer, Schröder, Blumenthal I. —
v M u r a 1 1: Erfahrungen über Exstirpation bei künstlichem Pneumo¬
thorax. Beitr. z. Klin. d. Tbc., Suppl. 7. — Weiss: Zur Morpho¬
logie des Tuberkelbazillus. B.kl.W. 1899 Nr. 47.
Ueber die Entstehung der Weitsichtigkeit und des Stars.
Von Sanitätsrat Dr. Fritz Schanz in Dresden.
Die unsichtbaren Strahlen unseres Tageslichtes sind che¬
misch wirksamer als die Gesamtheit der sichtbaren Strahlen,
die es enthält. Sichtbare wie unsichtbare Strahlen wirken als
chemischer Reiz auf die Substanzen, von denen sie absorbiert
oder verändert werden. Dies gilt auch für die lebenden üe-i
webe des menschlichen Körpers. In unserer Haut erzeugen
sie bei sehr intensiver Einwirkung Entzündungen, die als
Sonnenbrand bekannt sind, bei physiologischer Intensität ver¬
anlassen sie im Laufe des Lebens deutlich wahrnehmbare;
Veränderungen, die Haut wird derber und undurchsichtiger.
Vor allem die unsichtbaren Strahlen sind es, die diese. Wir¬
kungen erzeugen. Am Auge werden die Strahlen, die in der
Tiefebene solche Wirkungen erzeugen, von der Linse absor¬
biert. Sind diese Strahlen in der Linse wirkungslos? Diese
Frage lässt sich mit grosser Bestimmtheit beantworten.
Keinesfalls! Dass die Strahlen auf die Gewebe, von denen sie
absorbiert werden, als chemischer Reiz wirken, gilt ganz all¬
gemein, davon macht die Augenlinse keine Ausnahme. W enn
wir solche Wirkungen an der Augenlinse nicht kennen, so
müssen wir nach solchen suchen.
Die Linse besteht aus kolloidalen Eiweissstoffen, auf die
die Lichtstrahlen chemisch wirken. Was wissen wir über die
Lichtwirkung auf kolloidale Stoffe? Es ist bekannt, dass kol¬
loidale Lösungen unter Lichteinwirkung rascher ausflocken.
LJurch das Licht werden die kleinsten Teile zu grösseren Ag¬
gregaten zusammengeballt, aus leicht löslichen Stoffen werden
schwerer lösliche. Gilt dies auch vom Eiweiss? Dreyer
und Hansen1) haben nachgewiesen, dass die Eiweissstoffe;
photosensibel sind, dass sie besonders sensibel sind für kurz¬
welliges Licht und dass sie unter Lichtwirkung koagulieren.
Chalupecky2) hat sowohl vom Hühnereiweiss wie vom
Linseneiweiss erwiesen, dass Licht leichtlösliche Eiweiss¬
stoffe in schwerer lösliche verwandelt und schliesslich
koaguliert. Das sind experimentell einwandfrei fest¬
gestellte Tatsachen, und es fragt sich nun, können wir
in der Linse Veränderungen feststellen, die diesen chemi¬
schen Wirkungen des Lichtes auf die Eiweissstoffe entsprechen
Die intensivste Lichteinwirkung haben wir, wenn ein Blitz
nahe vor dem Auge niederschlägt. In solchen Fällen werdet
Trübungen der ganzen Linse — Blitzstar — beobachtet. Dct
Lichtreiz ist so gross, dass alle Eiweissstoffe der Linse koagu¬
liert werden. Man hat angenommen, dass in solchen Füller
4) Compte rendu, vol. 145.
2) W.m.W. 1913 Nr. 31 u. 32.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1841
25. August 1914.
die Gerinnung des Linseneiweisses durch die katalytische Wir¬
kung der Elektrizität veranlasst wird. Aber da jetzt feststeht,
dass auch das Licht koagulierend auf das Eiweiss einwirkt,
ist diese Erklärung nicht mehr zulässig für die Fälle, wo die
geschädigte Person vom Blitz nicht direkt getroffen wird.
Dass die bei Blitzstar beobachteten Schädigungen des Kapsel¬
epithels vom Licht allein hervorgerufen werden können, hat
niemand besser gezeigt als v. Hess3) selbst, der für die kata¬
lytische Entstehung des Blitzstares auch jetzt noch eintritt.
Wenn das Licht in physiologischer Intensität auf das
Auge einwirkt, sind die Wirkungen stetig, aus leicht löslichen
Eiweissstoffen werden nur allmählich schwerer lösliche. Es
bildet sich mit der Zeit im Zentrum der Linse ein derber Kern.
Wie M ö r n e r 4) und Jess5) gezeigt, entsteht die Verdich¬
tung des Linsenkernes dadurch, dass sich schwerer lösliche
Eiweissstoffe bilden auf Kosten der leicht löslicheren. Es ist
dies also derselbe Vorgang, den das Licht in den leblosen Ei¬
weisskörpern erzeugt. Es liegt kein Grund vor, an der
Identität dieser Vorgänge zu zweifeln. Die Trübungen der
Linse (der Altersstar), die sich bei jedem Menschen, wenn er
nur alt genug wird, ausbilden, sind der Ausgang jenes Pro¬
zesses.
Um sich über die Wirkungen der nicht sichtbaren Strahlen
auf die Linse eine rechte Vorstellung zu machen, ist es not¬
wendig, diese Strahlen innerhalb der Linse zu verfolgen. Schon
ein Teil der sichtbaren Strahlen wird an der Hinterfläche der
Linse reflektiert, das unsichtbare Licht wird mit aller Wahr¬
scheinlichkeit in erhöhtem Masse reflektiert, bei jeder Re-
tlektion verliert das Licht vor allem an kurz¬
welligen Strahlen, das Spektrum verkürzt sich. Das
Licht wird von der hinteren Linsenkapsel gleichsam wie von
einem Hohlspiegel zurückgeworfen in das Zentrum der Linse
and gegen die vordere Linsenkapsel, die es wieder zurück¬
wirft in die Linsenmassen, die mit Vorliebe kurzwellige Strah-
en absorbieren. Es gibt dies eine Erklärung, wie kurzwelliges
-icht, das achsial ins Auge fällt, auch in Linsenbezirken zur
Wirkung gelangt, die durch die Iris vor Licht geschützt zu
>ein scheinen.
Licht wird aber in der Linse nicht nur reflektiert, es wird
mch diffundiert. Was wissen wir über die Diffusion
les Lichtes? Sobald ein Sonnenstrahl in ein dunkles
Zimmer dringt, sehen wir deutlich seinen ganzen Verlauf;
einste, in der Luft suspendierte Partikelchen zersplittern das
Geht, auch wenn der Lichtstrahl unser Auge nicht trifft,
nachen die abgesplitterten Strahlen denselben uns sichtbar,
'ie Absplitterung des Lichtes ist bedeutend
-tärker für violette als für rote Strahlen. Auf
ler erhöhten Absplitterung des kurzwelligen Lichtes beruht die
ilaue Farbe des Himmels. Wenn unsere Erde ohne Atmo¬
sphäre oder die Atmosphäre „optisch leer“ wäre, müsste der
limmel schwarz aussehen. Die Luftmoleküle zersplittern das
-icht, am stärksten die kurzwelligen Strahlen. Dadurch er¬
scheint uns die Atmosphäre blau. Am dunkelblausten er¬
scheint der Himmel 90 0 zur Richtung der einfallenden Sonnen-
trahlen. Auf dieser Zersplitterung des Lichtes beruht das
ltramikroskop. Senkrecht zur Achse desselben wird ein
ntensiver Lichtstrahl durch ein Objekt gesandt; ist dieses nicht
.optisch leer“, so sieht man im Mikroskop die durch die klein¬
en Teile abgesplitterten Lichtstrahlen. Man kann so kleinste
I eile beobachten, die jeder anderen Untersuchung sich ent¬
gehen. Dass die ultravioletten Strahlen an dieser Absplitte-
ung des Lichtes in hohem Masse beteiligt sind, lässt sich an
Mikrophotographien nachweisen, an denen die photographisch
vierten Erscheinungen viel augenfälliger hervortreten können,
ils sie dem Auge erscheinen. Die Diffusion des Lichtes wächst
ämlich umgekehrt proportional zur vierten Potenz der
Aellenlänge. Wenn die Diffusion des Lichtes von h 800
deich eins gesetzt wird, so wird das äusserste sichtbare
-icht (?. 400 ju/u) 16 mal stärker, das Ultraviolett von l 320 f if
las vom Tageslicht noch in erheblicher Intensität zur Linse
-dangt, etwa 40 mal stärker diffundiert.
3) Arch. f. Augenheilk. 57.
*) Zschr. f. physiol. Chemie 18. 1894.
•) Zschr. f. Biol. Nr. 61.
Nr. 34
Wie verhält es sich mit der Diffusion des Lichtes in der
Linse? Ist die Linse „optisch leer“? Um dies zu ermitteln,
habe ich ähnlich wie bei dem Ultramikroskop einen dünnen,
intensiven Lichtstrahl von einer abgedeckten Bogenlampe in
einem Dunkelzimmer durch die Linse gesandt. Um das
Fluoreszenzlicht auszuschliessen, waren durch ein Euphosglas
diem Licht die ultravioletten Strahlen entzogen. Trotzdem
sieht man mit blossem Auge einen hellen Lichtstreif
durch die ganze Linse ziehen. Die Linse ist also
nicht „optisch leer“, sondern sehr dicht mit kleinsten
Ieilchen gefüllt, die das sichtbare Licht abspalten, die unsicht¬
baren Strahlen müssen nach dem obigen Diffusionsgesetz, nach
dem die Diffusion umgekehrt zur vierten Potenz der Wellen¬
länge wächst, noch viel erheblicher abgespalten werden. Wir
erhalten dadurch Lichteinwirkungen auf Linsenteile, die durch
die Iris vor dem direkt einfallenden Licht gedeckt sind, und
zwar muss dieses Licht besonders reich an kurzwelligen
Strahlen sein.
Wir wissen ferner von den unsichtbaren Strahlen, dass
sie je nach dem Wellenlängenbereich, dem sie angehören, ver¬
schieden tief in das Gewebe eindringen. Es werden also je
nach dem Wellenlängenbereich der Strahlen die Bezirke ver¬
schieden liegen, in denen ihre Wirkungen sich geltend machen.
Es wäre also möglich, dass die verschiedene Lokalisation der
Trübungen beim Altersstar zusammenhängt mit den verschie¬
denen Tiefenwirkungen dieser Strahlen. Dass die innere
Struktur der Linse auf die Gestaltung der Trübungen (speichen¬
förmige Anordnung) Einfluss hat, ist wahrscheinlich. Ebenso
kann die Ernährung der Linse, die Anbildung der Linsenfasern,
die Schädigung des Kapselepithels, wie sie v. Hess fest¬
gestellt, auf den Prozess einwirken.
Eigentümlichkeiten in dem Verlauf des Prozesses
lassen sich auch aus Eigentümlichkeiten der Lichtwir¬
kung erklären. Der Star beginnt meist in der unteren
Hälfte der Linse. Es ist dies eine solche Eigentüm¬
lichkeit der Lichtwirkung. Auf die untere Linsenhälfte
wirkt nämlich während des ganzen Lebens ein anders
zusammengesetztes Lichtgemenge als auf die obere. Wenn
wir im Freien stehen, wirkt auf die untere Linsenhälfte das
direkte Sonnenlicht und das Himmelslicht, auf die obere aber
das vom Erdboden reflektierte Licht. Das letztere hat nicht
nur im Verhältnis zu seiner Helligkeit an kurzwelligen Strahlen
verloren, sondern mit jeder Reflektion verkürzt sich das
Spektrum an seinem kurzwelligen Ende. Das vom Erdboden
zu unserem Auge gelangende Licht ist vielfach reflektiert. Es
kann gar kein Zweifel sein, dass das Licht, welches während
des Lebens auf die untere Linsenhälfte wirkt, viel reicher an
kurzwelligen Strahlen ist, als das Licht, welches auf die obere
Linsenhälfte trifft. Dass sich der Star in den schattenlosen
Gegenden der Tropen und Subtropen häufig findet und
20 Jahre eher reif wird als bei uns, findet auch in der Zu¬
sammensetzung des Lichtes seine Erklärung. Das Licht ist
dort reicher an Strahlen, die auf Linse wirken, als bei uns,
während die Strahlen, die auf das äussere Auge wir¬
ken, infolge der Luftabsorption nicht in gleichem Masse
zunehmen. Dass der Altersstar bei den Bewohnern
unserer Hochgebirge nicht häufiger ist als bei uns in
der Tiefebene, liegt wahrscheinlich daran, dass das Licht des
Hochgebirges mehr kurzwellige Strahlen enthält, die auf das
äussere Auge einwirken und die Bewohner der Hochgebirge
zwingt, mehr ihre Augen vor dem Licht zu schützen als wir
und die Trqpenbewohner dies tun. Wir haben hier dieselben
Verhältnisse wie bei den Glasbläsern und den Arbeitern von
andersartigen Schmelzöfen. Das Licht, das der Glasofen aus¬
sendet, ist arm an Strahlen, die auf das äussere Auge wirken,
darum kann der Glasbläser so anhaltend sein Auge der Wir¬
kung dieses Lichtes aussetzen. Die Arbeiter, die an anders¬
artigen Schmelzöfen arbeiten, haben sich immer Licht aus¬
zusetzen, das viel intensiver auf das äussere Auge wirkt,
sie müssen ihre Augen besser als die Glasbläser schützen und
erkranken deshalb nicht an der den Glasbläsern eigentüm¬
lichen Starform.
Von den Experimenten, die man zur künstlichen Erzeugung
des Stares durch Licht ausgeführt hat, scheinen sich jetzt
auch einige zu klären. Herzog konnte nur bei älteren Tieren
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
\S42
Trübungen der Linse durch Licht erzeugen. Hierfür findet sich
jetzt die Erklärung. Bei jungen 1 ieren besteht die Linse nur
uns leicht löslichen Eiweissstoffen, diese müssen erst in schwer
lösliche umgewandelt werden. Die Linse der älteren Tiere
besteht aus schwer löslichen Eiweissstoffen. Bei letzteren ge¬
lingt es koagulierende \\ irkungen ( 1 rübungen) zu erzeugen.
Dass es auch Widmark nur bei wenigen Tieren gelang,
mit Licht Trübungen in der Linse hervorzurufen, kann daran
liegen, dass er auf das Alter der Tiere keine Rücksicht ge¬
nommen. Kiribuchi fand Linsentrübungen am Aequator
der Linse, der durch die Iris vor der Einwirkung des Lichtes
gedeckt war. Wer die Verteilung des kurzwelligen Lichtes in
der Linse kennt, wird an der Richtigkeit der Beobachtung
nicht zweifeln.
Schlafstörungen.
(Ein Nachwort und ein Vorschlag.)
Von Dr. CarlHappich (Sanatorium Luisenheim, St. Blasien.)
Auf dem diesjährigen Kongress für innere Medizin zu
Wiesbaden haben Referenten und Diskussionsredner eine ver¬
wirrende Fülle von Einzelheiten über die Schlaflosigkeit (mehr
zur Behandlung als zum Wesen derselben) gebracht. Als Re¬
sultat der Verhandlungen erschien, man solle möglichst kausal
behandeln, die psychische Komponente beim Entstehen der
Schlaflosigkeit nicht vernachlässigen und möglichst wenig
Schlafmittel geben, jedenfalls nicht „automatisch“.
Aus der reichen Menge ihrer Erfahrungen heraus warnten
die meisten Redner mit vollem Recht vor schematischer Be¬
handlung. Aber es dürfte nach so vielen Vorarbeiten doch
wohl erlaubt sein, festere Umrisse um die Vorstellungen vom
Wesen der Schlafstörungen, nicht des Schlafes, zu ziehen; es
dürfte trotz allem auch zulässig sein, eine Art schematisieren¬
der Arbeitshypothese aufzustellen, welche die Orientierung in
dem weitverzweigten Gebiet erleichtert, zur Erkennung des
Wesens der Schlaflosigkeit, nicht zur Schematisierung der
Behandlung.
Ich möchte im folgenden den Versuch machen, eine vor¬
läufige Arbeitshypothese, wie sie sich mir in jahrelanger Beob¬
achtung an einem schwierigen und differenzierten Patienten¬
material meist bewährt hat, auseinanderzusetzen.
Ich sage ausdrücklich „Hypothese“, indem ich dabei un¬
untersucht lasse, ob die Feststellungen anderer Autoren, von
denen ich ausgehe, in dem von ihnen angegebenen Sinne völlig
zutreffend sind. Es handelt sich hier nur um die Skizzierung
eines klinischen Bildes, das plastische Vorstellungen er¬
wecken soll.
„Im Schlaf besteht eine Hyperämie des Ge¬
hirns. Der Unterschied der Gefässerweite-
rung im Gehirn beim Schlaf und bei gesteiger¬
ter Aufmerksamkeit ist der, dass bei jenem
Zustand die Gefässerweiterung durch Herab¬
setzung des Tonus ein tritt, während bei die¬
sem Zustande die Gefässerweiterung durch
einen Erregungszustand des vasomotori¬
schen Zentrums für Gefässerweiterung her¬
beigeführt wird“ (W e b e r).
Demnach haben wir alle Faktoren psychi¬
scher oder organischer Natur auszuschalten,
die durch Erregung der Aufmerksamkeit den
Gefässtonus so verändern, dass der Schlaf
nicht eintreten kann; oder wir müssen das
nicht „gestimmte“ G e f ä s s s y s t e m in die rich¬
tige Verfassung bringen (cf. F r a e n k e 1 : Strophan¬
thin bei Herzinsuffizienz schlaffördernd), oder aber wir
müssen die eventuell lädierte Hirnrinden¬
zellenarkotisieren.
Im Schlafe sollen unsere Zellen sich ausruhen, d. h. die
Abfallstoffe, die in ihnen lagern, an das Blut abgeben und
gegen frische Zellbausteine eintauschen. Wieweit dieses
schon während des Wachens und der Arbeit vor sich geht,
interessiert uns hier nicht. Dieses Auswechseln der Ersatz¬
teile, um einen Ausdruck der Technik zu gebrauchen, bean¬
sprucht einmal die Tätigkeit der Zelle selbst, dann vor allem
der Blutgefässe, die den Transport bewerkstelligen. Werden
einzelne Organe zur Arbeit gezwungen (z. B. Gehirn: Ge¬
danken. Magen: zu reichliche Abendmahlzeit), so wirken sie
durch die Art des Tonus ihrer lokalen Blutgefässe und die
veränderte Blutverteilung störend auf die Allgemeinsituation
des Körpers ein, deren besonderer Disposition er unbedingt zum
Eintritt und zur Fortführung des Schlafes bedarf; das nach
dieser Richtung hin wichtigste Organ ist natürlich das Gehirn.
Es liegen genügend zahlreiche Untersuchungen vor, die eine
Erklärung der Vorgänge ermöglichen. Man hat die „Restau¬
rierung“ der Zelle im Schlaf ganz zweckmässig mit der Kohlen-
überahme eines Dampfers verglichen; die Zellen nehmen das
zu verfrachtende Material auf, die Blutgefässe bringen es
heran und zwischen beiden müsste ein Mechanismus zur
Uebernahme bestehen. Störungen können auftreten an der
Zelle, an den Gefässen und an dem Mechanismus des Ueber-
ladens. Der einzige dieser drei Faktoren, den wir genauer
haben untersuchen können, sind die Gefässe; von der Iütig-
keit der Zelle während des Schlafes wissen wir kaum etwas,
Tust nichts von der Art des überleitenden Mechanismus.
Im Schlaf tritt also eine Hyperämie des Gehirns ein (ich
verweise auf die Arbeiten von Mosso, Lehmann, Ber¬
ger, Czerny, Brodmann und Weber). Bei der Auf¬
merksamkeit, also ausgesprochener Gehirntätigkeit, sehen wir
auch eine Gehirnhyperämie; beide Arten unterscheiden sich aber
durch ein ganz wesentliches Moment von einander: im
Schlaf besteht ein herabgesetzter Tonus der
Gefässe, bei Aufmerksamkeit ein erhöhter, was
physiologisch auch ohne weiteres begreiflich ist. Mit diesem
fundamentalen Unterschiede sind schon theoretisch eine ganze
Reihe von Möglichkeiten gegeben, unter denen Schlafstörungen
eintreten müssen. Die Gehirnfunktionen haben ja so viele
Sicherungen, Nebengeleise, Umschaltungen und Wechselwir¬
kungen, dass bei der Erregung der Aufmerksamkeit Nerven¬
zelle und Gefässsystem sich gegenseitig beeinflussen, so auch
beim Schlafe, nur auch hier wieder mit einem grossen Unter¬
schiede, dass nämlich infolge der grossen Sicherheitsvorrich¬
tungen auch bei leichten Störungen mit einiger Willens¬
anstrengung die Möglichkeit besteht, die lebenswichtige Auf¬
merksamkeit, als eines aktiven, auf einem Reiz beruhenden
Prozesses zu erhalten, während der Schlaf einer Reizlosigkeit
bedarf, die naturgemäss sehr viel schwerer herzustellen ist,
da die geringste Störung des zu seinem Eintritt nötigen Zu¬
standes eben einen Reiz bedeutet, der, wenn er stark genug
ist, die Aufmerksamkeit erregt, dadurch die Gehirngefässe zu
dem erhöhten Tonus der Arbeitsstellung bringt, zu ihrem
Aktionstonus, noch einmal gesagt, also ihre „Schlafstellung“
verhindert.
Diese „Schlafstellung“ kann verhindert werden einmal
schon durch alle möglichen äusseren Dinge; viele Menschen
schlafen schlecht, weil sie mit dem Kopfe sich zu tief lagern:
die übermässig zerebralwärts fliessende Blutmenge übt einen
Reiz auf die Gefässwand aus; stark anämische wieder müssen
ihren Kopf tief lagern, weil sie sonst nicht genug Blut zum
Hirn treiben, das ihre Gefässe in der erschlafften Stellung aus¬
reichend füllen würde. Deshalb schlafen Patienten mit hohem
Blutdruck, mit kongestioniertem Gesicht oft so viel besser im
Sitzen, wo dann auch die hängenden Beine noch ableiten.
Hierher gehören auch gewisse Fälle von Arteriosklerosb
cerebri, doch ist bei ihnen noch zu bedenken, dass ihre rigide
gewordene Gefässwand nicht mehr die „erschlaffte Schlaf¬
stellung“ fertig bringt. Bezeichnenderweise empfahlen für
diese Fälle Goldscheider und Kohnstamm auf dem
Kongress als schlaffördernd Diuretin.
Alle Mittel, welche eine aktive Erweiterung der peri¬
pheren Gefässe hervorrufen, werden in den meisten Fällen
schlafhindernd wirken: Kaffee, heisse Bäder, die „Animier-
dosen“ des Alkohols, ein bestimmtes Mass von körperlicher
Arbeit. Natürlich ist das individuell verschieden.
Von der Grosshirnrindenzelle aus kann der Schlaf durch
alles gestört werden, was aufmerksamkeiterregend wirkt; in¬
sistierende Gedanken, vor allem gefühlsbetonte (weil diese an
und für sich das Gefässsystem beeinflussen), Licht, Geräusche,
daher der Nutzen der „Sinnesabsperrung“, der Psychotherapie,
der Psychoanalyse, der eventuelle Vorteil leichter Lektüre im
25. August 1014.
MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
oder noch besser am Bett (Abdrängen insistierender, Vor¬
drängen irrelevanter Vorstellungen; daher nur „Unter-
haltungs-“, keine Denk- oder Gefühlslektüre nehmen). Or¬
ganische, destruierende Prozesse in den Hirnzellen werden auf
der anderen Seite grob chemisch oder anatomisch die Re¬
stitutionsfähigkeit der Zelle verhindern und so den Schlaf ver¬
scheuchen ipsi per sese oder auch durch Einwirkung auf die
Gefässe.
Wieweit die Ueberleitung von den Gehirnzellen auf die
Gefässwand als mehr oder weniger selbständiger Vorgang
existiert, entzieht sich unserer Beurteilung.
Auf eines kann nicht genug hingewiesen werden, zumal
nach den Wiesbadener Verhandlungen, nämlich dass das Ein¬
treten des Schlafes ein automatischer Vorgang ist, zum Teil,
aber auch nur zum Teil, von unserem Willen abhängig. Er
tritt automatisch ein, eingeleitet durch eine Reihe regelmässig
sich wiederholender Vorgänge: wir machen Abendtoilette,
löschen das Licht, bringen den Körper in die uns bequemste
Lage, schliessen die Augen und beginnen unwillkürlich in der¬
selben Weise tief zu atmen, wie wir es während des Schlafes
tun; wird diese Reihenfolge künstlich unterbrochen (Sprechen,
Lesen, Störungen), so wird oft auch die Automatie des Schlaf¬
eintritts alteriert. Sich dieses klar zu machen ist für unsere
i herapie von Wichtigkeit, besonders dann, wenn durch öftere
Wiederholung die Selbststeuerung verloren gegangen ist.
Wenn wir, zur Therapie übergehend, diese letzteren Fälle
zuerst ins Auge fassen, so sehen wir meist, dass bei ihnen
durch irgend welche Umstände (Hochgebirgstouren, Kummer,
Krankenpflege) längere Zeit der Schlaf verscheucht worden
war und auch nach Wegfall der schädigenden Momente sich
nicht wieder einstellt; der Patient gibt oft an, er habe die
Lmpfindung, als sähe er die Türe, die in den dunklen Raum
führe, aber als könne er nicht hindurch, so etwa, wie wenn
ein Angetrunkener mit dem Schlüssel immer um das Schlüssel¬
loch herumführe und nicht hineinfände. Man hat das Gefühl,
als ob der oben erwähnte Ueberleitungsmechanismus gestört
wäre, sich durch die lange künstliche Schlaflosigkeit einen
falschen Aktionstypus angewöhnt habe. Woran es auch
'fegen mag, jedenfalls müssen gerade diese Kranken die
I echnik des Einschlafens wieder lernen; solche bedürfen in
allererster Linie der Schlafmittel. Sie erhalten durch einige
Tage hindurch gegebene Mittel (Methode cf. u.) in der gleichen
Weise die Selbststeuerung wieder, wie dies G ö p p e r t in der
Diskussion von den Säuglingen erzählte. Es ist übrigens auf-
allend, wie fast alle solche Kranke einen gewissen Infantilis-
nus mit einem minderwertigen, oft hypoplastischen Gefass¬
tstem zeigen. Da man annehmen kann, dass bei solchen
\lenschen gelegentlich wegen des Erschlafftseins während des
Schlafes die Gefässmuskulatur nach dem Aufwachen zu einer
eaktiven stärkeren Kontraktion neigt, so versteht man auch
eichter die Unlust der Neurastheniker am Morgen (mit länger
lestehen bleibender kontrastierender Gefässreaktion), die
uorgendliche Verstimmung der Zyklothymen und Melan-
holiker, das morgendliche Kopfweh der Patienten mit spasti-
cher Migräne, die etwas zu lange geschlafen haben, das dann
bezeichnenderweise durch einen kurzen, etwa halbstündigen
'chlaf am Tage wieder verscheucht werden kann.
Diese Infantilen, Psychastheniker, Psychopathen (Psy-
hosen als allzu gewaltiger Aeusserungen übergehe ich hier)
eiden naturgemäss auch besonders oft unter schlafstörenden
Heizen, die von der Hirnrindenzelle ausgehen: insistierende
iedanken, nicht „abreagierte Komplexe“ und dergleichen; bei
hnen muss selbstverständlich Psychotherapie einsetzen. Muss
uan gleichzeitig zur Unterstützung oder zur Wiedererlernung
;es Schlafeintrittes Mittel geben, so soll man die Vorschläge
on Mohr- Coblenz beherzigen.
Der bei Störungen des Schlafmechanismus augenscheinlich
ast immer mitleidende Teil ist das Gefässsystem, sei es, dass
s selbst erregt oder die Blutverteilung aus mechanischen
Runden störend sei, sei es, dass es durch Tätigkeit der Hirn¬
indenzellen sekundär erregt den Schlafeintritt verhindert
•.Aufmerksamkeitstonus“). Es sind uns die Schwankungen
er Gefässe gut bekannt und sie lassen sich am sichersten,
rciftigsten und gefahrlosesten beeinflussen. Unser Haupt-
ngriffspunkt bei Bekämpfung der Schlaf-
1843
Störunge nwirdalsodasGefässsystemsein. Zu
den direkten Einwirkungen gehören alle physikalischen Be¬
handlungsmethoden, Höher- oder Tieferlegen des Kopfes, alle
hydriatrischen Prozeduren, diätetische Vorschriften, warme
Darmeinläufe etc. Wie eingreifend die Einwirkung auf die Ge¬
fässe sein kann, sei mir gestattet an der Hand eines Falles zu
erläutern: Eine junge Ehefrau findet eines Morgens ihren an
Endokarditis leidenden Mann tot im Bett; sie gerät in eine
solche Aufregung, dass ein Kollege ihr nacheinander mehrere
Morphium-Skopolamineinspritzungen macht und ihr Verr '
gibt; sie beruhigte sich nicht im mindesten, geriet im Gegen
in einen Zustand von Tobsucht hinein, so dass ich nachts zu
gerufen wurde; in einer sofort angelegten Ganzeinpackung l
ruhigte sie sich alsbald und schlief nach 30 Minuten 8 Stunde,
lang; jetzt erst nach Beruhigung des Gefässsystems durch di
kühle Einpackung konnten die vorher gegebenen starken nar¬
kotisierenden Mittel schlafmachend wirken.
Sind die Hirnrindenzellen organisch verändert, wie z. B.
bei Hirnarteriosklerose, dann werden nur Einwirkungen grob-
chemischer Art nützen, dann werden wir auf die Dauer nur
mit narkotisierenden Schlafmitteln helfen können, wozu auch
in diesem Falle der Alkohol gehören kann.
Bei der Auswahl der Schlafmittel können wir uns nicht
mehr allein von den fundamentalen Erkenntnissen der so
wichtigen Meyer - Overton sehen Theorie leiten lassen,
wird es uns nicht mehr allein auf Lipoidlöslichkeit oder die
Zahl der an den Kohlenstoff angelagerten Halogenatome etc.
ankommen, nachdem wir gesehen haben, dass bei entspreche
den Ursachen oder Komplikationen Strophanthin oder Diuretin
schlafmachend wirken können. Man wird dies vielleicht nur
ein Spiel der Worte nennen, aber es kommt uns ja nicht nur
darauf an, Mittel zu kennen, welche gewisse Tätigkeiten der
Hirnrindenzelle aufheben; darüber hat uns bisher die
Pharmakologie ausgezeichnet orientiert. Selbstverständlich
möchte ich andererseits auch nicht darauf eingehen, dass man
bei Zahn- oder Gelenkschmerzen oder Magenbeschwerden, die
den Schlaf verscheuchen, nicht narkotisierende Medikamente,
sondern kausal entsprechende; Pyramidon, Aspirin, Opium,
Belladonna oder sonst etwas Zweckdienliches geben muss, das
wären Banalitäten. Da wir in erster Linie die Möglichkeit des
Schlafeintrittes vorbereiten, nicht im letzten Augenblick er¬
zwingen, in anderen Fällen die Fortführung des Schlafes
sichern, möglichst auch auf das Gefässsystem einwirken
wollen, so werden wir vielmehr die Sedativa als eigentliche
Schlafmittel heranziehen, oder die letzteren in solcher Ver¬
teilung oder so kleinen Dosen geben, dass sie als Sedativa
wirken. Das wichtigste scheint mir, ein Mittel in refracta
dosi zu geben, jedoch nicht wie bisher etwa abends um 6, um
8 und um 10 Uhr einen Bruchteil des Mittels, sondern schon
mittags nach dem Essen unter Umständen eine gewisse Dosis,
dann eventuell wieder zwischen 5 und 6, zuletzt um 'Ä9 oder
9 Uhr und dergleichen. Gegen Abend befinden wir uns alle
sozusagen in einem fieberischen Zustand, verglichen mit dem
am Morgen. Bei den oben beschriebenen, wenig widerstands¬
fähigen Menschen ist dies in gesteigertem Masse der Fall.
Eine schon frühzeitig, event. mittags, gegebene kleine Dosis
von der Höhe eines Sedativums verhindert die durch die Ein¬
wirkungen des Tages sich steigernde krankhafte Erregung, die
Patienten schlafen aus eigener Kraft, da man ihnen nur das
übermässig Erregende weggenommen hat, bekommen ihre
„automatische Selbststeuerung“ wieder und schlafen nach ver¬
hältnismässig kurzer Zeit ohne Mittel. Es sind nur Ausnahmen,
bei denen man durch äussere Umstände gezwungen wird, eine
„schlafmachende Dosis“ kurz vor der Nacht dem Kranken wie
einen Knüppel ins Genick sausen zu lassen.
Dieser Art wären, die üblichen Anwendungsweisen von
Chloralhydrat, Paraldehyd und gewöhnlich auch des Veronals;
natürlich kann man auch einmal hierzu gezwungen werden
bei Delirium tremens hat man ja bis zu 4 g Veronal innerhalb
von 24 Stunden ohne Schaden gegeben; ich war einmal ge¬
zwungen, eine tobsüchtige Dame im dauernd fortgesetzten
Cliloralhydratschlaf von Venedig nach Wien transportieren zu
lassen.
Abgesehen davon, dass Chloralhydrat, wie wir wissen,
wegen seiner blutdruckherabsetzenden Wirkung von uns allen
2*
1844
gescheut wird, dass Paraldehyd, wie Loeb mitteilte, beim
Kaninchen auch in sehr kleinen, über eine W oche fortgesetzten
Dosen schwere Aortenveränderungen machen kann, so haben
diese Mittel einen solchen Geruch und Geschmack, dass kaum
ein empfindlicher Kranker sie zum zweitenmal nimmt, zumal
heute jedermann an die bequemen Tabletten gewöhnt ist; das
Mittel wird einfach nicht mehr genommen oder es löst solche
innere Widerstände aus, dass unsere ganze schöne psychische
Arbeit wieder anulliert wird. Das noch immer so sehr be¬
liebte Veronal habe ich früher sehr häufig, seit 2 Jahren aber
gar nicht mehr verwendet, öfter noch das leichtere Veronal-
natrium. Veronal wirkt viel zu oft erregend; vor wenigen
Wochen habe ich erst eine geistig sehr intensiv arbeitende
Dame behandelt, die sich mit Veronal zum Schlafen bringen
wollte, und da sie nur unruhiger wurde, die Dosis bis auf
2 g (!) erhöhte; sie schlief trotzdem nicht, bekam nächtliche
Angstzustände und da sie am anderen Tage geistig frisch sein
musste, wurde sie sekundär Alkoholikerin; 18 Monate hatte
sie so zugebracht; sie lernte in 3 Wochen mit kleinen Dosen
(in der oben angebenen Weise verabreicht) von Luminal
schlafen und nahm an Gewicht wieder zu. Nun ist Luminal
eine Art Substitutionsprodukt des Veronals!
Hier komme ich auf einen Punkt, der mir weiterer Ueber-
legungen wert scheint. Man hat oft über die Ueberfülle der
fabrizierten Schlafmittel, die Menge der Substitutionsprodukte
geklagt, sich über die Ueberbietungen der konkurrierenden Fa¬
briken beschwert. Ist das wirklich so berechtigt? Ich glaube
nicht, und ich möchte darin auch einigen Ausführungen auf
dem Kongress widersprechen. Natürlich ist es nicht mehr so
bequem wie früher, wo man glaubte, es genüge so ungefähr,
eine lipoidlösliche Substanz ins Gehirn etwa wie in eine Re¬
torte hinein zu praktizieren. Ich glaube im Gegenteil, dass
wir uns freuen sollten, eine so grosse Auswahl unter den Mit¬
teln zu haben, wenn auch schlechte darunter sind; ich glaube
sogar, dass wir noch nicht genug haben, den es gibt noch
immer verzweifelte Fälle, die sehr lange Zeit jeglicher
Therapie trotzen. Ich habe oft gesehen, wie spezifisch ein¬
zelne Mittel wirken können; es ist ganz wesentlich zu wissen,
wie verschieden einzelne Patienten auf bestimmte Mittel
reagieren. Jeder einzelne Fall muss nach seiner Indi¬
vidualität studiert werden; dazu muss man ihn im Laufe des
Tages mehrmals zu sehen Gelegenheit haben. Ich kenne eine
Kranke, die nur Adalin vertrug, eine andere nur Valamin, ein
anderer reagierte nur auf Luminalnatrium; psychische Mo¬
mente waren dabei völlig ausgeschlossen. Worauf solche
„Idiosynkrasien“ beruhen, wird hoffentlich die Pharmakologie
ergründen, die ja nur dann den wichtigen praktischen Teil
ihrer Aufgabe erfüllen kann, wenn sie ausgiebige Fühlung mit
der Medizin hält. Das Bestreben des Kongresses für innere
Medizin, die Beziehungen zur Pharmakologie zu pflegen, ist
deshalb sehr zu begrüssen.
Im folgenden möchte ich einige Mittel nur kurz anführen;
die genauere Kenntnis, warum bei einzelnen Kranken nur
bestimmte Mittel wirken, welcher Art neu zu entdeckende
Mittel sein müssen, hoffen wir noch von der Pharmakologie
zu erfahren; ich erhoffe vieles gerade von den Substitutions¬
produkten.
Ausgezeichnet hat sich mir das Luminal bewährt. Es ist
ja zwar dem Veronal verwandt; es kann in seltenen Fällen
auch einmal erregend wirken, zeigt aber in kleinen Dosen
so viele dem Brom ähnliche Eigenschaften (cf. auch Epilepsie),
dass ich es sehr gerne als Sedativum angewendet habe. Es
wird meist in zu grossenDosen gegeben, entsprechend denNach-
richten der Fabrik und den Veröffentlichungen der Psychiater
bei Epilepsie; Dosen von 0,05—0,1, allenfalls 0,15 Luminal¬
natrium sollte man nur selten überschreiten. Nicht vertragen
wird es von blassen, blutarmen Menschen mit einem schlechten
Gefässtonus, besonders derartigen Frauen; geradezu spezifisch
wirkt es bei irgendwelcher Blutfülle des Gehirns, besonders
bei Basedow und Hypertonie und Gehirnarteriosklerose; aber
man muss jeden einzelnen Fall 3—4 Tage lang studieren, bis
man seinen Modus kennt; Luminal ist ein ausgesprochen
kumulierendes Mittel; benutzt man diesen Umstand thera¬
peutisch, so kann man den Kranken allmählich sicher von
jedem Mittel los bekommen. Ich habe einem schweren Mor-
Nr. 34.
phinisten, der frei von Morphium geworden war, aber nicht
schlafen konnte und alle Mittel in höchsten Dosen hinter sich
hatte, mit anfangs 8 mal 0,1 Luminal pro die zum Schlafen
gebracht, nach 6 Wochen nahm er nur noch 0,1 Luminal pro
Woche, dann nichts mehr und nahm sein Amt als höherer
Verwaltungsbeamter wieder auf, das er jetzt zwei Jahre gut
versieht. Man kann Luminal unter Umständen lange Zeit
gefahrlos geben, aber nach ca. dreimonatlichem Gebrauch tritt
oft ein lästiges Klingen und Läuten in den Ohren auf, das
schwer zu beseitigen ist. Merkwürdig ist die grosse Ge¬
wichtszunahme bei durch Luminal beruhigten Kranken.
Ausgezeichnet als leichtes Einschläferungsmittel, etwa bei
abends überreizten Kopfarbeitern, ist Aleudrin, 1 g, bei Frauen
event. 'A g. Es vertieft den Schlaf und hinterlässt keinerlei
unangenehme Sensationen, ausserdem beruhigt es Schmerzen, .
was fälschlicherweise dem Luminal nachgesagt wurde.
Zur Einwirkung auf die Gefässe wendet man oft mit Vor¬
teil Aspirin, Pyramidon, Phenazidin an, gelegentlich Phena-
kodin. Selbstverständlich genügen oft Valerianapräparate;
ausserdem Brom mit seinen Vorzügen und Nachteilen. In
vielen Fällen ist Adalin wertvoll, bei einigen Kranken Pro- i
ponal, für Hysterisch-Nervöse oft Valamin (nie in leeren Magen ,
geben, bei Hyperazidität kontraindiziert); bei Husten sahen wir ,
gute Erfolge von Kodeonal, bei Kopfschmerzen manchmal von ;
Veronazetin. Diuretin, bei Arteriosklerosis cerebri mit Erfolg I
gegeben, kann andererseits, wenn man es aus anderen Indi- !
kationen längere Zeit anwendet (spastische Migräne), nach
5 _ 6 Tagen Schlaflosigkeit machen; wahrscheinlich durch
dauernde Erweiterung der Hirngefässe (Thcobrominreiz-
wirkung). Gelegentlich habe ich mit Nutzen Dormiol ange¬
wendet, wenig Hedonal; über Aponal und die neueren Diogenal
und Phenoval besitze ich keine Erfahrungen *).
Mit grossem Vorteil habe ich, folgend der Idee der Nar-,
kosengemische, über den Tag verteilt kleine Dosen verschie¬
dener Mittel gegeben, z. B. mittags und nachmittags je 0,05
Luminal. abends Aleudrin oder sogar mittags 0,05 Lumina!,
nachmittags 1 Valaminpille, abends irgend etwas anderes.
Ich glaube, dass man diese Methode sehr zweckmässig aus¬
bauen kann, event. fängt man schon morgens an etwas zu
geben.
Zusammenfassend möchte ich sagen:
Die Störungen des Schlafes sind letzten
Endes im Gehirn zu suchen, sie können dort
zellulärer oder vasomotorischer Natur sein
oder auf einer Alteration der Beziehungen
zwischen Hirnrindenzelle und Gefässe n be¬
ruhen. Zum Eintritt und zur Fortführung des
Schlafes ist ein ganz besonderes Verhalten
der Gehirngefässe nötig, dessen Bildung
durch Impulse von den Hirnrindenzellen aus
oder durch Erregung oder Alteration des
Gefässsy stems selbst verhindert werden
kann. Unsere Behandlung muss darauf hin¬
zielen, einen Zustand von Reizlosigkeit psy¬
chisch und somatisch zu schaffen und so vor
allem das Gefässsystem in die zum Schlaf¬
eintritt günstige Verfassung zu bringen,
oder wir müssen die verloren gegangene'
Automatie wieder h erstellen.
Ich glaube, dass diese Arbeitshypothese Aufklärungen und
Anleitungen geben kann, vor Schematisieren in der Behand¬
lung bewahrt und hoffe, dass sie verbessert wird.
Anmerkung bei der Korrektur. Inzwischen habe ici
mehrfach Gelegenheit gehabt, Phenoval und Diogenal zu erproben
Phenoval ist sehr milde und vertieft den Schlaf bei früh Aufwachen
den, Diogenal hat leicht narkotisierende Wirkung. Bei arteriosklero
tischer Schlaflosigkeit habe ich einige Male mit überraschendem Er
folg 2 — 3 mal täglich Papaverin 0,03 zusammen mit 0,05 Luminal ge
geben. Bei mehreren Fällen von allerschwerster, lange bestehende!
Schlaflosigkeit bei erheblicher depressiver Verstimmung konnte ici
Heilung in mehreren Wochen durch eine rationell durchgeführh
Opiumkur mit dem K r a f f t - E b i n g sehen Vinum thebaicum er¬
zielen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
25. August 1914.
Kritische Bemerkungen zur Pathogenese eines
„Salvarsantodesfalles“.
Von Wilhelm Wechselmann.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Zahl der
5alvarsanschädigungen und Salvarsantodesfälle in einer rapi¬
den Abnahme begriffen ist, und zwar nicht nur relativ sondern
auch absolut. Der Grund liegt in der Verbesserung der
Technik der Salvarsananwendung, in der vorsichtigeren Aus¬
wahl der Fälle und in der sorgfältigeren Beobachtung des Be¬
handlungsverlaufes. Aber auch bei den wenigen Fällen,
welche noch Vorkommen, muss man sich, wenn man weiter¬
kommen will, von der gedankenlosen Art, alle im Gefolge von
Salvarsananwendung auftretenden Ereignisse als Arsenver¬
giftung schlechtweg zu deuten und biiromässig, wie ein be¬
fähigter Registrator, zusammen zu addieren (M entberge r),
abwenden und jede Schädigung und jeden Todesfall einer kri¬
tischen Beleuchtung unterziehen. In jedem einzelnen „Salvar-
santodesfall muss man epikritisch sich klar zu machen
suchen, warum gerade diesem Menschen eine sonst gefahrlos
gebrauchte Salvarsandosis gefährlich geworden und warum
dieselbe Salvarsandosis, welche derselbe Mensch vorher ver¬
tragen hatte, plötzlich lebensgefährlich wurde.
Kurz man muss den Weg einschlagen, den ich in meiner
Pathogenese der Salvarsantodesfälle (S. 1) gewiesen habe wo
ich ausführte:
„Nun kann man die Nebenwirkungen des Salvarsans wie die
eines jeden Arzneimittels auf zweierlei Art betrachten. Der eine
eg ist der, dass man gewissenhaft alle unangenehmen Folgen regi¬
striert und nach einiger Zeit das Schuldkonto präsentiert; dabei ist
man von vornherein ziemlich sicher, dass dies sich von Tag zu Tag
vermehren muss, und dass man, gleichgültig, ob diese Unfälle einen
gemeinsamen Typus aufweisen oder nicht, zu dem Urteil gelangen
miss, das ^alvarsan wird verbrannt. Weitaus mühseliger und un-
sicherer ist der andere Weg, dass man sich zunächst jenseits von
iut und Bose stellt, der Genese der Unfälle nachgeht, prüft, ob die¬
selben unbedingt dem Salvarsan zur Last fallen und wie sie sich
,'a vermeiden lassen. Nur der zweite Weg ist der wahrhaft
wissenschaftliche, weil er frei ist von Vorurteilen.
So muss man daher auch an die Prüfung der Todesfälle nach
salvarsan und ihrer Pathogenese herantreten.
Zweckmässig geht man dabei nicht von denjenigen Todesfällen
ms, welche nach subkutaner oder intramuskulärer Salvarsan-
mwendung bei Leuten mit schweren Organveränderungen Vor¬
namen, sondern von denen, wo junge, blühende Menschen nach intra¬
venösen Salvarsaninjektionen binnen kurzer Zeit in der akutesten
vVeise zugrunde gegangen sind und wo grobe technische Fehler
ncht in Frage kommen.“
, Ein solcher Fall ist kürzlich von Frühwald (Ueber einen
odesfall nach intravenöser Injektion von Neosalvarsan. M. Kl. 1914,
25) aus der Rille sehen Klinik beschrieben worden. Früh-
■ a I d fasst in seinen epikritischen Bemerkungen den tödlichen Aus¬
zug als kaum vermeidlich auf und sagt, dass diese Zwischenfälle
m „trauriges Anhängsel der Salvarsantherapie“ sind und bleiben,
s scheint mir daher wichtig, den Fall auch von dem von mir ange-
ommenen Standpunkt aus zu ventilieren und zu prüfen, ob der
laurige Ausgang nicht doch hätte vermieden werden können. Selbst¬
verständlich kann es sich bei diesen Ausführungen nicht um eine
olemik gegen den Autor handeln, sondern lediglich um eine prin-
ipiel e Betrachtung darüber, ob man aus der Betrachtung des Falles
-icnthnien für ähnliche Fälle konstruieren und damit die Ungliicks-
tuncen durch zweckmässiges Vorgehen noch wesentlich verringern
onnte.
Der Fall F r ii h w a 1 d s ist kurz folgender:
Em IS jähriges gesundes, im 6. Monat der Schwangerschaft he¬
imliches. frisch syphilitisches, noch unbehandeltes Mädchen erhält
m ti Oktober 9,75 Neosalvarsan in 2 ccm Flüssigkeit. Danach
opfschmerzen bei normaler Temperatur. Am 27. Oktober zweite
ijektion von 0,75 Neosalvarsan. Am 28. Oktober abends Schmerzen
n Unterleib. Am 29. Oktober ist Patientin bewusstlos und geht unter
rampfen und Erscheinungen von Atemlähmung am Abend unter dem
^Kannten Bilde der Encephalitis haemorrhagica zugrunde, welche
urch die Sektion bestätigt wurde.
T-V'J? vv a * d hebt mit Recht hervor, dass sowohl in der Dosis
on U,k. Neosalvarsan, sowie in der Wiederholung dieser Gabe nach
lagen die I odesursache nicht erblickt werden kann, da er die
Pichen Dosen in vielen Hunderten von Fällen straflos ebenso ge-
-‘hen hätte.
F r ü h w a I d wendet sich dann gegen meine zur Erklärung eines
eiB der Salvarsantodesfälle eingenommenen Standpunkt mit den
orten: „Wechselmann neigt der Ansicht zu, dass wenigstens
aen meisten Fällen nicht das Salvarsan selbst schuld ist, sondern
gend eine Organinsuffizienz und dadurch bedingte mangelhafte Aus-
neidung; besonders hat er hierbei die Nieren im Auge und er warnt
1845
daher vor einer gleichzeitigen Anwendung von Quecksilber wegen
semer nierenreizenden Eigenschaften. Von einer solchen Organ-
insuffizienz war aber in meinem Fall klinisch nichts zu finden und
auch die Sektion ergab keinen diesbezüglichen Anhaltspunkt. Des¬
halb muss er, wie die anderen Todesfälle, auch lediglich dem Neo¬
salvarsan zur Last gelegt werden.“
Dieser Standpunkt Frühwalds erscheint keineswegs ge¬
nügend begründet.
Schon der Umstand, dass es sich um eine Gravide — noch ver¬
schärft dadurch, dass es sich um eine sehr junge Erstschwangere
handelte mahnt zur Vorsicht in der Behauptung, dass Organ-
lnsutfizienzen nicht Vorlagen. Ich habe auch darauf hingewiesen,
dass nicht die grobanatomische Untersuchung das Kriterium für eine
urganmsuffizienz abgeben kann, auch nicht immer die histologische
Untersuchung. Man ist keineswegs so weit auf Grund des anatomi-
schen Bildes, die intakte Funktion der Niere behaupten zu können.
Vc * v-?i ^ e r ,e.u.b n e r haben gezeigt, dass Kranke mit schwer¬
ster Glomerulonephritis nur ganz geringfügige Veränderungen der
Ulomeruh zu zeigen brauchen. In der Publikation Frühwalds fehlt
nuP, ,..er ,. er‘cJ1t über die mikroskopische Untersuchung der Nieren
vollständig, während er für die schon nach der makroskopischen Be¬
schreibung höchst verdächtigen Schwangerschaftsnieren zur Beur¬
teilung des Falles unbedingt erforderlich ist. Noch erheblicher ist
der Mangel jeder Angabe über die Funktion der Nieren, besonders
vor und nach der ersten Injektion.
Es fehlt in der Krankengeschichte jeder Hinweis darauf, dass
die Nieren auf ihre Suffizienz irgendwie geprüft worden sind. Es
findet sich lediglich die Angabe, dass nach Eintritt der Katastrophe
dei Urin eiweissfrei war. Ich habe aber scharf darauf hingewiesen,
dass nicht so sehr die eiweissausscheidende Niere die Gefahr der
-L varsanretention bedingt, — im Gegenteil bedeutet dies oft ein
über das Normale durchlässiges Nierenfilter — , sondern dass in
dieser Hinsicht die Funktion der Wasserausscheidung viel wichtiger
erscheint. Ich würde niemals eine Infusion von 0.75 Neosalvarsan
machen, ehe ich über die Wasserausscheidung der Niere volle Klar¬
heit hätte; für ganz fehlerhaft muss aber eine solche Belastung der
Niere bei einer Schwangeren gelten, wo ohnedies die Funktion der
Niere stets mit Argwohn geprüft werden muss.
Ich behandle nie eine Schwangere mit intravenösen Sal¬
varsaninjektionen, ohne vorher — da mir die Kontrolle der
LIrinmenge nicht genügend erscheint — die Funktionsprüfung
mit Milchzucker nach Schlayer gemacht zu haben. Man
sieht dann öfter, dass solche Nieren funktionell geschädigt
sind und den hohen Anforderungen, die die Schwangerschaft
an sie stellt, kaum noch gewachsen sind, so dass eine Mehr¬
belastung durch 0,75 Neosalvarsan vielleicht zwar einmal noch
ertragen wird, gleichzeitig aber die Funktion der Niere so
stark herabsetzt, dass die zweite derartige Injektion einen
urämisch-toxischen Effekt hervorrufen kann. Auch Jonas,
welcher über derartige Funktionsprüfungen aus der Greifs-
walder Klinik berichtet hat (D.m.W. 1914 Nr. 27 S. 1405) kam
zu denselben Resultaten. Es wurden ausser gesunden Gra¬
viden auch solche mit klinisch deutlicher Nierenschädigung,
Eklampsie und Hyperemesis gravidarum herangezogen. Auch
bei klinisch normalen Fällen wurde in überwiegender Anzahl
eine Schädigung der Niere im Sinne einer Gefässalteration fest¬
gestellt, während sich keine Anhaltspunkte für eine Schädigung
der Tubuli gewinnen liessen; im Gegenteil, das eingeführte
Jodkali wurde oft auffallend rasch ausgeschieden (24—36 Stun¬
den). Von den mitgeteilten pathologischen Fällen ist besonders
erwähnenswert eine Eklampsie sub graviditate, bei der sich
das typische Bild der vaskulären Hyposthenurie fand. Dass
die Oligurie, die sich fast regelmäsig am Ende der Gravidität
findet, nicht stets der Ausdruck einer Nierenveränderung ist,
liess sich leicht dadurch erweisen, dass einige Male keine Ab¬
weichungen in den Ausscheidungen der körperfremden Sub¬
stanzen trotz ausgesprochener Oligurie festzustellen waren.
Daraus erklärt sich die Gefahr, welche gelegentlich
die intravenöse Salvarsanzufuhr bei Schwangeren haben kann.
Man erkennt also, wie wichtig meine Angaben über die
Pathogenese der Salvarsantodesfälle sind und dass ein Teil
derselben eine Retentionstoxikose mit urämischen Symptomen-
komplex darstellen. Dafür spricht die starke Erhöhung des
Reststickstoffes im Blut und in der Lumbalflüssigkeit, welche
ich gefunden habe und welche U 1 1 m a n n in seinem Falle be¬
stätigt hat. Auch darüber fehlt jede Angabe bei F r ü h w a 1 d.
Aber selbst, wenn die Funktionsprüfung bei einer
Schwangeren keine Abweichungen zeigt, scheint mir die
Menge von 0,75 Neosalvarsan nicht an und für sich, aber in
der Schwangerschaft zu hoch. Der Organismus der Schwan¬
geren ist auf ein Maximum seiner Leistungsfähigkeit eingestellt
1846
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und verfügt oft — zumal bei der ersten Schwangerschaft —
nicht über genügende Reservekräfte. Man muss daher die
Dosen kleiner wählen, bis man sich von der Fähigkeit des
Organismus, solch hohe Dosen normal auszuscheiden und zu
bewältigen, überzeugt hat. Ein gewisses Risiko wird aber bei
Schwangeren immer übrig bleiben und man tut gut, die Nieren
solcher nicht durch eine grosse intravenöse Injektion brüsk
zu belasten, sondern kleinere Dosen mit 0,15 anfangend bis
0,45 subkutan zu geben.
Diese Ausführungen beweisen, dass man keineswegs mit
einer rätselhaften Idiosynkrasie zu rechnen braucht, um den
F r ü h w a 1 d sehen Fall zu deuten. Dieser Begriff hätte, wie
ich in der Pathogenese der Salvarsantodesfälle ausgeführt
habe, nur einen Wert, wenn wir diese Ueberempfindlichkeit
rechtzeitig klinisch zu erkennen vermöchten und so den
Patienten vor der Salvarsanzufuhr und dem Tode bewahren
könnten; als nachhinkende pathologische Deutung auf dem
Sektionstisch ist uns die Ueberempfindlichkeit, welche ihrer
Natur nach nur ein klinischer Begriff sein kann, vollkommen
gleichgültig und unannehmbar. Es empfiehlt sich daher, statt
sich dieses im Zusammenhang mit Salvarsantherapie ganz
inhaltslosen Wortes zu bedienen, auf die Insuffizienz lebens-
wichter Organe zu achten; in erster Linie kommt dabei die
Niere in Betracht, welche viel häufiger als man gewöhnlich
glaubt, durch abgelaufene Infektionskrankheiten, durch akute
Quecksilber- oder chronische Alkoholintoxikationen funktionell
so geschädigt sein kann, dass ihr Ausscheidungsvermögen für
Salvarsan schwer gelitten hat. Viel seltener ist eine Leber¬
schädigung so weit gediehen, dass deren entgiftende Funktion
in lebensgefährdender Weise gelitten hätte; ebenso ist eine
gefährliche Insuffizienz des polyglandulären Systems nur
selten.
Wenn man diese Punkte beachtet, wird man nur selten
noch rätselhaften Ueberempfindlichkeiten begegnen; man wird
: her im Laufe der Behandlung rechtzeitig Insuffizienzen ent¬
decken und durch angepasste Behandlung beherrschen können.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Die Frage der Kurpfuscherei und die Revision des
bayerischen Polizeistrafgesetzbuches *).
Von Bezirksarzt Dr. Carl Becker in München.
Unseren gesetzgebenden Körperschaften ist der Entwurf eines
Gesetzes über die Aenderung des bayerischen Polizeistrafgesetz¬
buches zugegangen. Derselbe beschränkt sich auf einzelne Aende-
rungen und Ergänzungen, die sich im Laufe der Zeit als besonders
dringlich erwiesen haben. „
Er enthält aber eine grosse Lücke. Er hat es vollständig uber¬
gangen, eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass über die
Ausübung des Heilgewerbes durch nichtapprobierte Personen Ver-
rdnungen oder Ministerialvorschriften erlassen werden können.
Nach Artikel 127 Abs. 3 sollen einer Strafe an Geld bis zu 150 M.
i erliegen ..Krankenpfleger und andere in der niederen Gesundheits¬
ege beruflich tätige Personen, wenn sie, von Notfällen abgesehen,
oen Verordnungen oder Ministerialvorschriften über ihre Befugnisse
und Pflichten zuwiderhandeln“. Nach der Begründung sind mit
diesen Personen gemeint ..Krankenpfleger, Desinfektoren, Mas¬
seure usw.“, also offenbar keine nichtapprobierten Personen, welche
selbständig das Heilgewerbe ausiiben.
Die ganze Misere mit der Kurpfuscherei geht zurück auf die
Einführung der Reichsgewerbeordnung. Der Reichstag hatte seiner¬
zeit die Ausübung der Heilkunde freigegeben und nur für die Führung
des Titels Arzt oder ähnlicher Bezeichnungen eine Garantie schaffen
wollen. Von dieser schrankenlosen Kurierfreiheit ist die Reichs¬
gesetzgebung aber immer mehr abgekommen, weil sich der grosse
Volksschaden der Kurpfuscherei zu deutlich herausstellte. Es wurde
die Ausübung der Heilkunde im Umherziehen verboten, die Bestim¬
mungen über die Errichtung von Privatkrankenanstalten wurden
wiederholt verschärft, ausser den Arzneien wurden auch die Geheim¬
mittel. Bruchbänder und Brillen vom Verkauf oder Feilbieten im
Umherziehen ausgeschlossen. Die Untersagung des Handels mit
Drogen und chemischen Präparaten, welche zu Heilzwecken dienen,
wurde vorgeschrieben, wenn die Handhabung des Gewerbebetriebes
Leben und Gesundheit von Menschen gefährdet. Es wurde das Ge¬
setz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes erlassen, das
auch gegen die Kurpfuscher sich anwenden liess. Das öffentliche An¬
kündigen und Anpreisen von Geheimmitteln wurde unter Strafe ge¬
*) Nach einem im Neuen Standesverein Münchener Aerzte er¬
statteten Referat.
stellt. Aber alle diese Massnahmen konnten noch nicht genügen. Im
Jahre 1908 veröffentlichte die Reichsregierung einen „vorläufigen Ent¬
wurf eines Gesetzes, betreffend die Ausübung der Heilkunde durch
nichtapprobierte Personen und den Geheimmittelverkehr“ und im No¬
vember 191(1 liess sie dem Reichstag den „Entwurf eines Gesetzes
gegen Missstände im Heilgewerbe“ zur verfassungsmassigen Be-
schlussnahme zugehen. Dort wurde er in eine Kommission ver¬
wiesen, die Beratungen zeigten von einer grossen Verständnislosig¬
keit der meisten Kommissionsmitglieder, der Entwurf wurde in der
Kommission nicht einmal ganz durchberaten und gelangte nicht mehr
ins Plenum.
Da sich die Reichsgesetzgebung gegen die Kurpfuscherei als
völlig ungenügend erwies, das Bedürfnis nach einer Ueberwachung
und Einschränkung derselben aber immer fühlbarer wurde, setzte
endlich die Landesgesetzgebung in den einzelnen Bundes¬
staaten ein, nachdem die Bedenken nicht mehr als zutreffend er¬
achtet wurden, dass bei der Freigabe der Kurpfuscherei in der Reichs-,
gewerbeordnung keine einschränkenden landesgesetzlichen \or-
schriften erlassen werden dürften. Voran ging Hamburg mit der
Verordnung vom 1. Juni 1900, welche die täuschenden, prahlerischen
Anzeigen nichtapprobierter Personen und auch die öffentliche An¬
kündigung von Gegenständen, Mitteln, Vorrichtungen und Methoden
unter Strafe stellte, falls ihnen über ihren wahren Wert hinaus¬
gehende Wirkungen beigelegt werden, das Publikum durch die Art
ihrer Anpreisung irregeführt oder belästigt wird, oder falls sie zur
Hervorrufung von Gesundheitsschädigungen geeignet sind. Aehnliche
Bestimmungen wurden dann auch in Preussen (28. Juni 1902), Bremen
(23. Dezember 1902), Sachsen (14. Juli 1903) und in der Folge von!
mehreren anderen Bundesstaaten erlassen. Ferner trafen einzelne
Bundesstaaten Vorschriften über die Meldepflicht der Kurpfuscher
über die Führung von Geschäftsbüchern nach vorgeschriebenem!
Muster, einzelne Bundesregierungen verboten auch die Ankündigung
von Geheimkuren und die öffentlichen Vorstellungen von Magneti¬
seuren, Hypnotiseuren und Suggestoren. Die diesbezüglichen Bestim-I
mutigen bis zum Jahre 1905 finden sich in der „Zusammenstellung
der gesetzlichen Handhaben zur Bekämpfung der Kurptuschcrei uni
im ersten Nachtrag hiezu (Vorlage der Kurpfuschereikommission zi
den Deutschen Aerztetagen 1903 und 1905, Beilagen zum Aerzthcher
Vcrcinsblatt).
Seitdem wurden in mehreren Bundesstaaten Vorschriften er¬
lassen gegen die amtliche Bestätigung von Dankschreiben angeblicl
geheilter Personen. .
Wie verhielt sich nun die Landesgesetzgebung in Bayern
seit Einführung der Reichsgewerbeordnung? Eine Ministerialent-
schliessung vom 22. Juli 1873 führte aus:
„Es herrscht die Besorgnis, dass nach Aufhebung der auf medi¬
zinische Pfuscherei früher gesetzten Strafe die Ausübung der Heil
künde durch nichtapprobierte Personen für die Zukunft sehr über
handnehmen werde.
Zur richtigen Beurteilung dieses Gegenstandes und zur Ge
winnung einer sicheren Basis behufs allenfalls nötig werdender Er-
greifung von Vorkehrungsmassregeln wurde vom Kgl. Obermedizina
ausschusse eine statistische Erhebung über die Ausübung der Heil
künde durch nichtapprobierte Personen beantragt, indem sich hier
durch nach und nach ein Material sammeln werde, welches, wem
auch vielleicht schwierig kritisch zu beurteilen, doch geeigneter ah
das blosse Hörensagen sein würde, um Gewissheit darüber zu er¬
langen, ob die jetzt eingetretenen Zustände wirklich ein fortschreiten¬
des Uebel und eine steigende Gefahr für das öffentliche Gesundheits
wohl in sich schliessen, oder ob die Ausübung der Heilkunde durcl
nichtapprobierte Personen auf dem Standpunkte bleibt, den sie bis¬
her inne hatte, und der sich wohl auf keine Weise jemals wird be
seifigen lassen.
Zu diesem Zwecke erachtet das Kgl. Staatsministerium des In
nern es für angezeigt, dass ein Verzeichnis aller jener Individuen
welche, ohne approbierte Aerzte zu sein, sich mit der Heilung vor
Krankheiten der Menschen abgeben, in tabellarischer Form herge
stellt und in demselben deren Name. Alter, Wohnort, Nationalität
Gewerbe und die Art und Weise der Ausübung der Heilkunde aut
geführt werde, wobei insbesondere auch Rücksicht auf das nieder,
ärztliche Personal, Hebammen, Apotheker, halbausstudierte Medi
ziner. promovierte Doktoren zu nehmen ist.
Sämtliche Distriktspolizeibehörden und Physikate werden hier
durch angewiesen, die in die Kreise ihrer Beobachtung fallender
Vorkommnisse von Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierU
Personen sorgfältig und gewissenhaft zu sammeln und darüber jahr
lieh bis zum 1. Februar jeden Jahres an die Kgl. Regierungen gemein
sam zu berichten. . .
Bei Herstellung des erwähnten tabellarischen Verzeichnisse'
welches genau die oben angegebenen Rubriken auszuweisen hat
können, soweit erforderlich, von seite der Kgl. Physikate die arzt
liehen Bezirksvereine zur Mitwirkung veranlasst werden.“ t
Weiterhin erging eine Ministerialentschliessung vom 10. Mar
1896, die Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personei
betreffend:
..Nachdem die zum Vollzüge der Ministerialentschliessung von
22. Juli 1873 Nr 6600, die Ausübung der Heilkunde durch nicht appro
bierte Personen betr., seit dem Jahre 1875 alljährlich gepflogene
und in der „Münch med. Wochenschr.“ veröffentlichten Verzeichniss
jener Personen, welche, ohne approbiert zu sein, die Heilkunde aus
25 August 19 H. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
üben, in den letzten Jahren ein ziemlich glcichmässiges Bild ergeben
haben, so wird die KkI. Regierung, K. d. I„ angewiesen, die Her¬
stellung und Vorlage des benannten Verzeichnisses bis auf weiteres
zu unterlassen.“
Vom Jahre 1896 an nahm also die bayerische Staatsregierung
amtlich nicht einmal mehr Kenntnis von der Kurpfuscherei, es sind
nur in den Gencralsanitätsbcrichten einzelne besondere Mitteilungen
aus den Jahresberichten der Bezirksärzte kurz erwähnt worden.
Offenbar hat sich aber die Staatsregierung von der Unhaltbarkeit
dieser Nichtbeachtungspolitik überzeugt. Sie will doch wenigstens
wieder sich Kenntnis verschaffen von den Kurpfuschern und den Ver¬
such machen, ihre Tätigkeit zu überwachen und zu beschränken. In
der Dienstanweisung für die Bezirksärzte vom 23. Januar 1912 lauten
die diesbezüglichen Vorschriften:
„XVIII. Ausübung der Heilkunde durch Personen
ohne staatliche Anerkennung.
§ 72.
I. Der Bczirksarzt hat ein Verzeichnis der in seinem Bezirke
wohnenden Personen, die ohne die entsprechende staatliche Anerken¬
nung sich gewerbsmässig mit der Behandlung von Krankheiten,
Leiden oder Körperschäden bei Menschen befassen, zu führen (An¬
lage 12).
II. Er hat den Geschäftsbetrieb dieser Personen ständig im
Auge zu behalten und besonders darauf zu achten:
dass sie sich nicht als Arzt bezeichnen oder sich einen ähn¬
lichen Titel beilegen, durch den der Glaube erweckt wird, der
Inhaber sei eine geprüfte Medizinalperson,
dass sie nicht mit amtlichen ärztlichen Funktionen betraut
werden und
dass sie insbesondere nicht im Urnherziehen die Heilkunde
ausiiben oder Arznei- und Geheiminittel sowie Bruchbänder feil¬
bieten oder anderen käuflich überlassen,
ferner dass Frauen, die nicht als Hebammen approbiert sind,
nicht gewerbsmässig geburtshilfliche Handlungen vornehmen.
III. Zuwiderhandlungen sowie Gesundheitsschädigungen durch
solche Personen sind der Distriktsverwaltungsbehörde anzuzeigen.“
Die erwähnte Uebersicht enthält 4 Rubriken: Zahl der männ¬
lichen und weiblichen Personen, die am Jahresschlüsse ohne staat¬
liche Anerkennung die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, ihren
eigentlichen oder früheren Beruf und die vorzugsweise behandelten
Krankheiten.
Dies ist natürlich ungenügend und man hätte wohl erwarten
dürfen, dass die bayerische Staatsregierung in der Novelle zum
Polizeistrafgesetzbuch, in der sie die Vorschriften bezüglich der
Bader und Hebammen erweitert und wirksamer gestaltet, für die
Ki ankenpfleger, Desinfektoren, Masseure usw. Strafandrohungen bei
Zuwiderhandlungen neu einführt, sich auch eine gesetzliche Grund¬
lage geschaffen hätte, um bezüglich der Personen, welche ohne
staatliche Approbation gewerbsmässig die Heilkunde ausüben, Ver¬
ordnungen oder Ministerialvorschriften in Zukunft erlassen zu
können. Welche Massnahmen im einzelnen gegen die Kurpfuscherei
zu ihrer Ueberwachung und Einschränkung angezeigt erscheinen,
braucht jetzt nicht weiter ausgeführt zu werden und kann einer
späteren Beratung in der bayerischen ärztlichen Standesvertretung
Vorbehalten werden. Im gegenwärtigen Zeitpunkte handelt es sich
lediglich darum, die richtige Gelegenheit nicht zu versäumen und
bei der bayerischen Staatsregierung sowie bei der Kammer der
Abgeordneten dahin vorstellig zu werden, dass in der Novelle zum
Polizeistrafgesetzbuch eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird, um
über den Gewerbebetrieb und die öffentlichen Anpreisungen der nicht-
ipprobierten Hcilgewerbetreibendeti Vorschriften erlassen zu können.
Das Polizeistrafgesetzbuch enthält die Grundlage für mehrfache
Vorschriften, die sich auf die Tätigkeit der Aerzte beziehen (An- und
Abmeldung, Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten, Befugnis
zur Abgabe von Arzneien), für die Regelung der Verhältnisse des
nännlichen niederärztlichen Personals, die Bader, für die Befugnisse
md Verpflichtungen der Hebammen: bezüglich der letzteren schreibt
Te Reichsgewerbeordnung lediglich vor, dass sie eines Prüfungs¬
zeugnisses der nach dem Landesgesetze zuständigen Behörden be-
-iirten, alles weitere ist den einzelnen Bundesstaaten überlassen.
>ie Novelle will auch die Krankenpfleger und andere in der niederen
lesundheitspflege beruflich tätigen Personen mit einbeziehen. Alle
Jic vorbenannten Medizinalpersonen haben einen durch staatliche
Vorschriften geregelten und überwachten Bildungsgang durch -
gemacht, mit Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit übernehmen sie Be¬
fugnisse und Verpflichtungen, sie stehen unter der Aufsicht und
eberwachung des Staates, haben sich bei den Behörden anzumelden
md bei Zuwiderhandlung gegen ihre Befugnisse und Pflichten Straf-
-inschreitung und Zurücknahme ihrer Berechtigung zu gewärtigen.
ie Kurpfuscher dagegen, auf welche ganz besonders das Auge des
lesetzgebers sich richten sollte, welche am allermeisten der staat-
lchen Ueberwachung bedürfen, sollen nach wie vor schrankenlos
md unbehelligt von irgend einer gesetzlichen Vorschrift ihre unheil¬
volle Tätigkeit ausiiben können. Hier muss der Gesetzgeber eiu-
'Chreiten, wenn das Staatswohl nicht noch weiter Schaden leiden
oll. Die Vorkehrungen in einer grossen Anzahl deutscher Bundes¬
staaten wie Preussen, Sachsen, Baden, Oldenburg, Anhalt, Waldeck,
•'Chaumburg-Lippe, Lübeck, Bremen und Hamburg sollten vorbildlich
sein für den zweitgrössten Bundesstaat Deutschlands. Sonst wird
er mit der Zeit ein Eldorado für alle unlauteren Elemente, die in
den anderen deutschen Bundesstaaten sich nicht recht behaglich
fühlen und nach Bayern verziehen, wo keine staatliche Behörde von
ihnen die geringste Notiz nimmt, kein Beamter sic überwacht, kon¬
trolliert oder behelligt, kein Gesetz auch nur die geringste Straf-
einschreitung vorsieht. Darum: Videant consules, ne quid detrimenti
capiat res publica!
Bücheranzeigen und Referate.
Handbuch der allgemeinen Pathologie, Diagnostik und Therapie
der Herz- und Gefässerkrankungen unter Mitwirkung von Prof. Dr.
Karl E w a 1 d, Dr. Fritz Falk (gestorben), Dr. Leo Hess, Prof.
Dr. G. Holzknecht, Privatdozent Dr. R. Kaufmann, Privat¬
dozent Dr. Albert v. M ii 1 1 e r - D e h a m, Privatdozent JAr. 0. Por-
ges, Prof. Dr. Emil Reimann, Prof. Dr. Julius Rothberger,
S a 1 o m o n, Dr. Paul Saxl, Privatdozent Dr. Gott-
vvald Schwarz, Prof. Dr. Oskar S t ö r k, Privatdozent Dr. Otto
Wiesel, Privatdozent Dr. R. Ritter v. Wiesner und Prof. Dr.
Heinrich Winterberg. Herausgegeben von Privatdozent Dr.
Nikolaus Jagic in Wien. 3. Band, 2. Teil. Leipzig und Wien,
Franz Deu ticke, 1914. Seite 461—879. Preis 15 M.
Die bereits früher erschienenen Teile des Werkes wurden hier
bereits in kurzer Besprechung gebracht. Der 2. Teil des 3. Bandes
enthält folgende Hauptkapitel: Funktionsstörungen und Funktions¬
prüfungen der inneren Organe bei Erkrankungen des Herzens und der
Gefässe, dies von Dr. F. Falk und Dr. Paul Saxl; dann einen Ab¬
schnitt über die physikalische Therapie der Herz- und Gefässkrank-
heiten von letzterem Autor, einen weiteren Abschnitt über die diäte¬
tische Behandlung der Herz- und Gefässkrankheiten von Prof.
H. S a 1 o m o n und Dr. Paul Saxl. Dann einen grossen Abschnitt
über die experimentelle Analyse der Herz- und Gefässmittel von
Prof. Heinrich Wihnterberg, dem sich ein Abschnitt „medika¬
mentöse Therapie der Herz- und Gefässerkrankungen“ von Privat¬
dozent Dr. N. v. Jagic anschliesst, endlich die chirurgische Behand¬
lung der Erkrankungen des Herzens und des Herzbeutels sowie der
Gefässe von Prof. Dr. Karl Ewald. Der an erster Stelle genannte
Abschnitt bringt die zusammenfassende Darstellung eines Gebietes,
welches in den meisten Handbüchern im allgemeinen kurz abgetan
wird. Besprochen sind im einzelnen die Verhältnisse der Lungen,
Leber, Magen und Darm, der Niere, letzterer Abschnitt vertrüge
vielleicht eine noch weitere Ausgestaltung. Der Hauptanteil des zu
besprechenden Bandes liegt, wie ersichtlich, auf dem Gebiete der
Therapie und bringt speziell durch die eingehende Darstellung des
Pharmakologischen auf dem Gebiete der Herz- und Gefässkrank¬
heiten die zurzeit wohl eingehendste und beste Zusammenstellung
des literarischen Materials über diese Fragen. Wie in den früheren
Teilen, so ist auch in diesem Bande die einschlägige Literatur in
besonders weitgehender und kritischer Weise verarbeitet, so dass
über das in Frage stehende Gebiet bisher Erschienene eine wirk¬
liche Bereicherung der Literatur darstellt. Die Physiologie und die
pathologische Physiologie finden im Rahmen des Werkes eine be¬
sonders hervorragende Betonung.
Dr. Karl Grass manh - München.
O. C. Grüner: The biology of the blood-cells. Bristol, John
W r i g h t and Sons Ltd., 1913. Preis 21 sh.
Das in erster Auflage erscheinende, 392 Seiten umfassende Buch
bietet die Forschungsresultate der theoretischen Hämatologie in einer
Form dar, die sicher vielen willkommen sein wird. In sehr über¬
sichtlicher Anordnung, unter Verwendung zahlreicher Diagramme,
schematischer Zeichnungen, Kurven, Uebersichtstabellen und farbiger
Tafeln werden die einzelnen Zellarten in ihrer Morphologie und Bio¬
logie von ihrer Entstehung bis zu ihrem Untergang nach dem jetzigen
Stand unserer Kenntnisse in 7 Kapiteln ausführlich dargestellL Wir
finden je ein Kapitel über die „Primordialzelle“ (= Mutterzelle aller
Blutkörperchen, Lymphoidozyt), die roten Blutzellen, die Lympho¬
zyten, die grossen mononukleären Leukozyten, die neutrophilen
Leukozyten, über Phlogozyten (dabei Eosinophile und Mastzellen)
und über Zellbildung in den blutbildenden Geweben. Die Anreihung
eines 25 Seiten umfassenden Vokabulariums mit einer entsprechenden
Erklärung hämatologischer Fachausdrücke verdient bei der gerade
auf diesem Gebiet eingerissenen babylonischen Sprachverwirrung
besonders freudig^ begrüsst zu werden. In seinen Anschauungen ist
der Verfasser offenbar von Pappenheim beeinflusst, dessen
Schriften er nach einer Acusserung im Vorwort ganz besonderen
Dank schuldet. Die farbigen Zellbildcr sind zum grössten Teil recht
schön. H. Kämmerer- München.
D. 0. K u t h y - Pest und A. W o I f f - E i s n e r - Berlin: Die
Prognosenstellung bei der Lungentuberkulose. Urban &
Schwarzenberg. Berlin und Wien. 532 Seiten. Geheftet
M. 18. — , gebunden M. 20. — .
Die Verfasser haben sich hier an eine Aufgabe gemacht, die bis¬
her noch nirgends eine lehrbuchmässige Behandlung erfahren hat.
Und sie haben sich ihrer, wie schon die hohe Seitenzahl und ein
Literaturregister von 1002 Nummern anzeigt, mit einer geradezu
profunden Gründlichkeit erledigt. Bei der Lektüre des Buches findet
1S48
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCIiENSCHRlET.
Nr. 34.
man kaum einen noch so entlegenen Punkt, der sich mit der Prognose
der Lungentuberkulose verknüpfen Hesse, unbehandelt gelassen, und
so steckt schliesslich in dem Buche nicht weniger als eine ziemlich
erschöpfende pathologische Anatomie, Diagnostik und Therapie der
Auf Einzelheiten einzugehen, ist bei der überreichen Fülle des
Stoffes nicht möglich. Dass die Prognose der Lungentuberkulose
eines der heikelsten Kapitel in der ganzen Medizin ist, und dass aut
diesem Gebiet die allergrössten lrrtümer vorgekommen sind und noch
täglich Vorkommen, das wird jedem Arzte mit steigender Erfahrung
immer klarer, und es ist sehr wohl zu verstehen, wenn manche Prak¬
tiker — und nicht die schlechtesten — bei manifester Tuberkulose
jede Aussage für die Zukunft ablehnen. Einer solchen Skepsis positive
Tatsachen entgegenzustellen, ist der Zweck des Buches, und an¬
gesichts der eminenten Schwierigkeit der Materie muss man zu¬
gestehen, dass beide Verfasser es verstanden haben, das beste daraus
zu machen. *venn man ihnen auch nicht in allem folgen kann.
Ob die Breite der Darstellung — das Tuberkulin nimmt allein
77 Seiten für sich in Anspruch — der Einführung in die Praxis nicht
mehr hinderlich als fördernd ist, darf man füglich bezweifeln. Aber
wünschenswert wäre es immerhin, wenn es recht viele Aerzte gäbe,
die noch ein solches Buch lesen. Für die dem Fleisse der Verfasser
zu wünschende zweite Auflage wäre aber eine Zusammenlegung des
Stoffes wohl zu empfehlen, und vielleicht darf dem einen auch der
Wunsch nach einem besseren Deutsch nahegelegt werden.
L. S a a t h o f f - Oberstdorf.
v Bruns, Gar re und Küttner: Handbuch der praktischen
Chirurgie. IV. Aufl. 4. Band. Stuttgart, Ferd. Enke, 1914.
Als stattlicher Band ist der Band 4 des Handbuches jetzt er¬
schienen. Er umfasst die Chirurgie der Wirbelsäule und des Beckens.
Rückenmark und Wirbelsäule bearbeitet von H e n 1 e, der Abschnitt
Skoliose gemeinsam mit Drehmann; knöchernes Becken ein¬
schliesslich Gefässe und Nerven von Steinthal; Nieren und Harn¬
leiter von Kümmell und Gr aff, männliche Harnblase von
O. Zuckerkand 1, männliche Harnröhre und Penis von Raram-
stedt; weibliche Harnorgane von Stoeckel; Prostata von
Schlange; Hoden von v. Bramann und Rammsted t. Die
Darstellung ist sachgemäss, die Ausstattung (363 z. T. farbige Ab¬
bildungen) vorzüglich. H e 1 f e r i c h.
Pharmazeutische Rundschau.
Von Dr. Max Winckel in München.
Trotz der immer mehr an Boden gewinnenden physikalischen
und gymnastischen Heilmethoden, trotz Wasser-, Luft- und Licht¬
behandlung, trotz Höhen-, See- und Wüstenklima, Balneotherapie,
Elektro-, Röntgen- und Radiumtherapie etc. gewinnt man man beim
Studium statistischer, die Pharmazie betreffender Zahlen die Ueber-
zeugung, dass die Pharmazie unter diesen arzneimittellosen Behand¬
lungsweisen nicht allzusehr zu leiden hat; allerdings ist die Rezept¬
zahl für medikamentöse Zubereitungen erheblich zurückgegangen,
dafür sind aber die Arzneimittelspezialitäten gekommen, die dem Apo¬
theker eine entsprechende Entschädigung bieten. Die Pharm. Ztg.
sagt auf Seite 348 (1914): „An die Stelle des Rezeptes ist die Spe¬
zialität getreten und da diese jetzt durchschnittlich einen Verdienst
von 50—100 Proz. gewährt, steht sie an Einträglichkeit dem Rezept
nicht nur nicht nach, sondern übertrifft dasselbe insofern, als die
Verabreichung einer Spezialität mit viel weniger Zeit und Mühe ver¬
knüpft ist, als die Anfertigung eines Rezeptes. Der Verkaufs- zum
Einkaufspreis steht jetzt allgemein so, dass dem Apotheker ein Nutzen
bleibt, den ihm das Rezept nicht in allen Fällen gewährt. Die Klage
über den Rückgang der Rezeptur ist somit, bei Lichte besehen, nicht
ganz berechtigt. Und wenn sich der Apotheker dadurch etwas tom
Arzte emanzipiert und nicht nur auf dessen Rezeptverschreibung an¬
gewiesen ist, sondern zur Not auch vom Handverkauf leben kann,
so ist das weiter als kein Unglück zu betrachten.
Die erwähnten statistischen Zahlen finden sich zum Teil in den
Jahresberichten von Gehe&Co!, Dresden, nach denen der Gesamt¬
umsatz (Einfuhr und Ausfuhr) der chemisch-pharmazeutischen In¬
dustrie im abgelaufenen Jahre 1 386 799 000 M. betragen haben, womit
gegen das Jahr 1912 eine Erhöhung um 145 513 000M. erreicht wurde.
Mit dieser Wertsteigerung steht die pharmazeutische Industrie an
der Spitze des gesamten auswärtigen Handels.
Die Handelsgesellschaft deutscher Apotheker G.m.b.H. Berlin
mit ihren 6 Filialen (Köln, München, Dresden, Breslau, Hamburg,
Frankfurt a. M.) konnte ihren Umsatz auf 24 Millionen Mark steigern
und erzielte einen Reingewinn von 1,66 Millionen.
Einen weiteren Beweis für die Lebenskraft der Pharmazie
bringen die verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten und Vorträge,
wie sie in den pharmazeutischen Fachzeitschriften, teilweise auch in
den Jahresberichten der grossen chemisch-pharmazeutischen Fa¬
briken niedergelegt sind. — Aus dem Berner pharmazeutischen
Institut veröffentlicht H. Dichgans fortlaufend in der Apoth.-Ztg.
„vergleichende Untersuchungen der in die Pharmakopoen aufgenom¬
menen Wertbestimmungen stark wirkender Drogen und den aus
diesen Drogen hergestellten Präparaten“. Die Ergebnisse dieser
Untersuchungen zeigen, dass die Vorschriften für die Bestimmung der
Alkaloide bei vielen Pharmakopoen durchaus ungeeignet sind. Ent¬
weder erzielt man nach denselben keine dem tatsächlichen Gehalt
entsprechenden Resultate oder aber die Vorschriften sind durch ihre
Umständlichkeit ungeeignet für die Praxis. Die Arbeit legt den
dringenden Wunsch nach internationalen Standardzahlen und Ur¬
schriften nahe. - Oberapotheker H. L i n k e - Berlin bringt in einer
Reihe von Artikeln in der Apoth.-Ztg. „Ergebnisse, Beobachtungen
und Betrachtungen bei der Untersuchung unserer Arzneimittel“,
Üg He v 1 und P. Kneip „Mikrosublimation von Flechtenstoffen".
K. 'Feist (Apoth. Ztg. 1914 S. 354) „Ueber die Zusammensetzung
einiger Geheimmittcl und Spezialitäten ; derselbe, der gelegentlich der
Tagung des Vereins deutscher Chemiker in der Fach¬
gruppe für medizinisch - pharmazeutische Chemie
, Ueber die Konstitution und Wirkung der Arzneimittel“ einen Vortrag
hielt Ebendortselbst trug C. M a n n i c h über „Auswüchse der modernen
Heilmittelproduktion“ vor, ein Vortrag, der in Nr. 25, S. 1402 d. Wschr. j
zum Abdruck gelangte. Im Provinzialausschuss Hannover für Fort¬
bildungskurse der Apotheker sprach C. M a n n i c h „Ueber die Ana¬
lyse der Geheimmittel“. Einen äusserst interessanten Vortrag hielt
Ö Tun mann - Bern in der Deutschen pharmazeutischen
Gesellschaft in Berlin „Ueber Mikrochemie und Biologie der ;
Pflanze“ und Max Hart mann in der Münchener pharmaz.
Gesellschaft „Ueber Diastase in Technik und Wissenschaft".
Bemerkenswerte Untersuchungen über „Alkali des Glases" hat
Stabsapotheker D r o s t e - Hannover gemacht (Apoth. Ztg. 1914
S 381). Bekanntlich wirkt das Alkali des Glases unter Umstanden
auf die in den Glasgefässen aufbewahrten Substanzen zersetzend ein.
Die sehr empfindlichen neueren Heilmittel organischer Natur, z. B.
Salvarsaft, Skopolamin etc. können bei längerer Aufbewahrung schon
durch Spuren des im Glas vorhandenen Alkalis zersetzt werden.
„Das dritte Getränk“ betitelt sich ein Aufsatz von P. Siedler
(Pharm Ztg. 1914 S. 283), in welchem er über eine Gruppe alkohol¬
freier Getränke berichtet, die durch natürliche Vergärung zwar reich i
an Kohlensäure werden, jedoch arm an Alkohol sind, solche Ge¬
tränke werden aus Fruchtsäften durch Vergären mit einem beson¬
deren Gärungserreger, der aus dem Zucker Kohlensäure, aber keinen
Alkohol entwickelt, hergestellt. Diese Getränke kommen unter dem ;
Namen Boa-Li in den Handel. ....
Aus dem pharmazeutischen Laboratorium der Universität Döt¬
tingen publizieren C. M a n n i c h, G. Leemhuis und S. Kroll
die Ergebnisse ihrer Untersuchungen über neue Arzneimittel
(Apoth.-Ztg.):
Algocratine, von E. Lancosme- Paris, soll eine künst¬
liche Base sein, die in eine besondere Klasse der Pyrazolonbasen ge¬
hört; in Wirklichkeit ist es nichts anderes als ein Gemisch aus!
50 Phenazetin, 10 Koffein und 40 Pyramidon (Apoth. Ztg. Nr. 49).
Kalamax, ein Mittel zur Wiedererlangung der natürlichen
Haarfarbe, besteht aus einer Lösung von Wismuttartrat.
Addyol. Unter diesem Namen wird von E. Schulte-!
Düsseldorf' „ein hervorragendes Mittel bei Verbrennungen aller Art"
auf den Markt gebracht; es besteht aus einer 1 proz. Pikrinsäure¬
lösung. — !
S a 1 i c o 1. Dr. W e i t e m e y e r hat „gemeinsam mit einem
Chemiker“ seine Salikotabletten geändert und sie sollen nunmehr
reines Acidum aceto-citrylo-salicylicum präsentieren. Prof. C. Man-
nich berichtet folgendes über den „neuen Körper“: „Die neue, che¬
mische Verbindung besteht aus freier Salizylsäure mit einem Gehalt
von 3,5 Proz. Zitronensäure; esterartige Verbindungen sind nur in
ganz untergeordneter Menge zugegen. Der Erfolg Dr. Weite¬
meyers und seines Chemikers besteht also im wesentlichen darin,
die Azetylsalizylsäure aufgespalten zu haben; gewiss ein Triumph
der Arzneimittelsynthese!“ (Apoth. Ztg. 1914 Nr. 52).
Thiorubrol ist ein S'chwefelbadzusatz, über den O. An¬
se 1 m i n o und C. R i p p i n Untersuchungen angestellt haben (Apoth.
Ztg. Nr. 40). Es ist eine weiche, überfettete Schwefelseife, die mit
Ausnahme des geringen, als Sulfatschwefel (0,1—0,16 Proz.) ent¬
haltenen Schwefels den Schwefel in einer an die Fettsäure gebun¬
denen Form enthält; derselbe beträgt 2,5 Proz.
Felkesche Präparate. Von der Fabrik chemisch-pharma¬
zeutischer Präparate „B o eb u c o“, Gelsenkirchen, werden zahlreiche
homöopathische Präparate, die nach den Grundsätzen der Felke-
schen Heilweise (Pastor Felke) hergestellt sein sollen, in den Han¬
del gebracht. Von diesen Präparaten sind von C. Mann ich und
G. Leemhuis folgende untersucht worden (Apoth. Ztg. 1914 Nr. 22,
23, ref. Pharm. Ztg. 1914 S. 263):
Santa Flora, ein Asthmamittel, enthält laut Deklaration
„Verba santa, Lobelia, Stramonium, Hyoszyamus, Mekonium, Akonitum
in 1 bis 4 Dez.-Pot“. — Unter Verba santa ist das Kraut von Eriodic-
tion glutinosum zu verstehen. Nach der Untersuchung besteht
Santa Flora in der Hauptsache aus verdünntem Weingeist, der
0,9 Proz. Pflanzenextrakt gelöst enthält.
Milztonicum, ein Abführmittel, enthält laut Deklaration
„Rheum, Podophyllum, Kardamomum, Zinnamomum in 1 — 4 Dez.-Pot.
Vinum et corrig.“ Nach der Analyse ist Milztonikum im wesentlichen
eine weinige Rhabarbertinktur, welche in 100 ccm 12,5 Proz. Alkohol
und 9,2 Proz. Pflanzenextrakt enthält.
Weisser Nerven wein, ein Nervenstärkungsmittel ent¬
hält nach der Analyse 5,71 Vol.-Proz. Alkohol, etwas Baldriantinktur,
4,8 Proz. Extrakt und ca. 0,1 Proz. eines Bromsalzes.
Roter Nerven wein, ebenfalls ein Nervenstärkungs¬
mittel, soll enthalten: „Aur. chlor. China, Ferr. acet., Veratr. alb. Kal.
carb., Ambra, Castor. in 4 — 8 Dez.-Proz., Vinum et corrig.“ 1°
:5. August 1914.
MUHNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1849
100 ccm rotem Nervenwein waren enthalten: Alkohol 7,57 Vol.-Proz.,
Extrakt 9,4 Proz. Im Extrakt war Zitronensäure nachweisbar. Beim
Veraschen Innterblieben 0,17 Proz. Mineralstoffe. In der Asche
konnten Eisen, Spuren von Erdalkalien, Natrium, Kalium, Phosphor¬
saure und Salzsaure, dagegen kein Silber und Gold nachgewiesen
werden. Ebenfalls waren Alkaloide — Chinin, Veratrin — nicht zu¬
gegen. Mittels Chloroform Hessen sich aus der vom Alkohol be¬
ireiten Flüssigkeit geringe Mengen einer fettartigen Substanz iso¬
lieren, welche die Cholesterinreaktion gab.
Glicht wein. In 100 ccm Gichtwein waren enthalten: Alkohol
5,5 Vol.-Proz., Extrakt 10,99 Proz. Im Extrakt war Zitronensäure
nachweisbar. Beim Veraschen hintcrblieben 0,11 Proz. Mineralstoffe
Eehlingsche Lösung wurde vor. der Flüssigkeit stark reduziert.
Herz g o 1 d, ein Stärkungsmittel hei Herzschwäche, usw. soll
enthalten. „Essent. dulc. Ignat. Digital. Sarnbuc., Natr. sulf., Aur
chlorat. in 4—8 Dez.-Proz., Vin. et corrig.“ In 100 ccm Herzgold
waren enthalten: Alkohol 5,44 Vol.-Proz., Extrakt 11,8 Proz., Aschcn-
rückstand 0,21 Proz. Im Extrakt war Zitronensäure nachweisbar
In der Asche war neben Erdalkalien, Kalium, Phosphorsäure, Salz¬
säure, Schwefelsäure, hauptsächlich Natrium vorhanden. Alkaloide
waren auch hier nicht nachweisbar.
' Dolorosa enthält laut Deklaration: „Viburn., Aloe, Thymus
t/haraomiU., Rosmar., Gram., Viol., Hydrast. in 4—8 Proz.“ Die
Bestimmung der üblichen Konstanzen ergab in 100 ccm Dolorosa: Al-
'«•jol 4,71 \ ol.-Proz., Extrakt. 20,14 Proz., Aschenrückstände
>,114 1 roz. Im Extrakt war Zitronensäure nachweisbar.
Migränelikör soll folgende Bestandteile haben: „Iris, Mo-
chus, Castor , Asa foetida, Valer., Serpyll., Colocynth., Coffea, Natr
ulf. in 4—8 Dez.-Pot., Vinum et corrigens.“ In 100 ccm Migräne-
ikör waren enthalten: Alkohol 5,94 Vol.-Proz., Extrakt 7,9 Proz. Im
.xtrakt war Zitronensäure nachweisbar. Beim Veraschen hinter-
'lieben 0,21 Proz. Mineralstoffe, im wesentlichen Natrium. Koffein
\ar nicht nachweisbar.
Nach diesen Untersuchungen bestehen Roter Nervenwein, Gicht-
>em. Herzgold, Dolorosa und Migränelikör in der Hauptsache aus
iner weinartigen, unter Zusatz von Zitronensäure, bereiteten Flüssig¬
en, welche mehr oder weniger Pflanzenextrakte gelöst enthält Al-
aloide sind nicht vorhanden, jedenfalls nicht in nachweisbarer
Aenge.
Lungensirup soll Kal. Sulfoguajakol, Verba Santa, Me-
omum D. IV, Vin. et corrig. enthalten. Nach der Untersuchung
esteht Lungensirup im wesentlichen aus ca. 58 Proz. Zucker, 3,7 Proz.
cilium sulfoguajacolicum, etwas Wein und Pomeranzensirup als Ge-
dimackscorrigens.
Pflanzentonicum, ein Stärkungsmittel, ist nach der Aua-
se ein wässeriger Auszug aus emedinhaltigen Drogen, dem Zucker
nd Alkohol, sowie geringe Mengen Kampfer und eines Eisenprä-
arates zugesetzt sind.
Von Prof. Feist (Apoth. Ztg. Nr. 33 ref. Pharm. Ztg. 1914
. 369; wurden folgende Präparate untersucht:
Nervin um ist eine verdünnte alkoholische Lösung von äthe-
schen Oelen, unter denen sich Lavendel-, Zimt- und Koniferenöle
Lirch den Geruch bemerkbar machen. Da diese Oele Sauerstoff
ionisieren, so ist dieser Mischung eine gewisse ozonisierende Wir-
ang, die nach der Angabe des Herstellers vorliegen soll, nicht ab-
rsprechen.
Okasa (Mittel gegen Fettsucht) besteht aus Okasa I und
kasa III in Tabletten, die künstliche Mineralsalze ungemischt ent-
dten sollen, und Okasa II, das als Sauerstoffpräparat bezeichnet ist.
kasa 1 besteht nach der Analyse aus einem Gemisch von Alkali-
irbonaten, -Sulfaten und -Chloriden mit etwas Stärke als Binde¬
rnd : in Okasa III wurden gefunden neben Kalziumkarbonat, Ma-
lesium und Alkalien, sowie die Säuren: Schwefelsäure, Kohlensäure
id Salzsäure; Okasa II besteht im wesentlichen aus karbonat-
iltigem Magnesiumsuperoxyd und Kalziumphosphat.
P r i e s 1 1 e y p u I v e r soll nach Angabe des Darstellers bestehen
s ^ Teilen Natron und 1 Teil „basischkohlensaurem Magnesium¬
peroxydhydrat“. Bei der Analyse konnten beträchtliche Mengen
unumbikarbonat und aktiver Sauerstoff, etwa 5,8 Proz. Magnesium-
Peroxyd entsprechend, festgestellt werden.
Sprengels Kräutersaft besteht, wie in Uebereinstim-
Jng mit früheren Analysen ermittelt wurde ,aus einem wenig Wein-
ist enthaltenden Infus aus Rad. oder Succ. Liquirit. und Cort.
ang, in welchem Tubera Jalapae plv. suspensiert enthalten ist, und
ar wurden 3,35 Proz. Jalapenpulver und 10,3 Proz. Alkohol quan-
ativ festgestellt.
. -i^ ^ u1 °.z H so^ na.ch Angabe des Darstellers Magnesiumsuper-
:>a. Physiologische Nährsalze, Lezithinderivate, Malzextrakt und ;
lenzucker enthalten. Durch die chemische Analyse konnten diese !
l-fc e.n *m wesentlichen bestätigt werden: die physiologischen
rsalze scheinen nach den Ergebnissen ähnlicher Natur zu sein,
f. das ’m ..Nervenkraftnährsalz“ und im „Sauerstoffeiweiss“ ent-
Cne Dl\,RieRels Nährsalz (siehe da). Quantitativ wurden
“ * roz- Magnesiumsuperoxyd ermittelt.
ii ^e..rven'<raftnährsalz enthält nach Angabe des Hcr-
1 ers Magnesiumsuperoxyd 6,0, „Kalziumtonol“ 12,0, Puderzucker 7,0,
> zextraktpiilver 60,0. Durch die chemische Analyse wurden diese
K a. . 5n Qualitativ im wesentlichen bestätigt, statt 6 konnten jedoch
r L2 I roz. Magnesiumsuperoxyd festgestellt werden,
sauerstoffeiweiss besteht laut Angabe aus Magnesium¬
superoxyd 8,0, Dr. Riegels Nährsalz 4,0, Milchzucker 25,0,
Dr. Klopfers Pflanzenei weiss 65,0. Die Analyse ergab die An¬
wesenheit von Magnesium, Kalium, Natrium, Chlor (Salzsäure),
Schwefelsäure und Phosphorsäure, sowie der weiteren aufgeführten
Bestandteile, doch konnten nur 1,62 Proz. Magnesiumsuperoxyd und
56, J 1 roz. Eiweiss quantitativ ermittelt werden.
Sauerstoffmalzextrakt besteht laut Angabe aus
Magnesiumsuperoxyd 10,0, Milchzucker 30,0, Malzextraktpulver 60,0.
Die chemische Analyse gab qualitativ keine abweichenden Befunde,
doch lieferte die quantitative Bestimmung nur 2,77 Proz. Magnesium¬
superoxyd.
Sauerstoffnährsalz Nr. 2 besteht nach den durch die
Analyse bestätigenden Angaben des Herstellers aus Magnesiumsuper¬
oxyd 25,0 und Milchzucker 75,0.
Br ausendes Sauerstoffnährsalz Nr. 3 soll nach An¬
gabe des Darstellers enthalten: Magnesiumsuperoxyd 25,0, Natrium¬
bikarbonat 28,0, Puderzucker 15,0, Weinsäure 26,0, Cremor tatari 6,0.
^ich die Analyse konnten neben den anderen Bestandteilen nur
4,76 Proz. Magnesiumsuperoxyd festgestellt werden.
Brausendes Sauerstoff nährsalz Nr. 3p besteht laut
Angabe des Darstellers aus Magnesiumsuperoxyd 23,0, Natrium¬
bikarbonat 26,0, Puderzucker 14,0, Weinsäure 23,0, Cremor tatari 5,0,
Pepsin 9,0. Durch die Analyse konnten statt 23 nur 4,68 Proz.
Magnesiumsuperoxyd nachgewiesen werden und der Verdauungs¬
versuch entsprach nicht der angegebenen Pepsinmenge.
Trunksuchtsmittel, Salz und Pillen zu gleich¬
zeitiger Verwendung. Das Salz enthält Bromkali und Rohrzucker
Ermittelt wurden 50,7 Proz. Bromkali und 46 Proz. Rohrzucker.
(Schluss folgt.)
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Tuberkulose. Band 22, Heft 5.
Schwermann - Ueberruh: Blutuntersuchungen bei Lungen¬
tuberkulose.
Nachdem früher die Veränderung der weissen Blutelemente
festgestellt wurde, befasst sich dieser zweite vorliegende Artikel
mit der Frage, ob die Lungentuberkulose einen Einfluss auch auf die
roten Blutkörperchen und das Hämoglobin hat. Es zeigt sich, dass
die unkomplizierte Lungentuberkulose das Blutbild nach dieser Hin¬
sicht nicht verändert. Erst bei schweren und besonders bei den
schwersten Fällen lässt sich oft eine erhebliche Abnahme des Hämo¬
globingehalts und der Erythrozyten feststellen. Dasselbe gilt von
Darmtuberkulose und schweren Lungenblutungen.
Barbier-Paris: Contribution ä la l’etude de lTodoradium-
therapie dans la pratique antituberculeuse.
•lod ist bei Lungentuberkulose ein doppelt wirksames Mittel,
indem es durch Erhöhung der Verteidigungsmöglichkeiten die Kon¬
stitution verbessert und andererseits die Toxine der Bazillen neutrali¬
siert, wesentlich ist es noch in Verbindung mit Menthol und am aller¬
besten mit Radium als Radiodine. Die Anwendung hat immer in Ver¬
bindung mit der Brehmer sehen Behandlung zu geschehen.
S c h ö n w a 1 d - Grimmenstein: Zur Behandlung der Misch¬
infektion bei Tuberkulose.
Die Mischinfektion wurde mit W o 1 f f - E i s n e r scher Misch¬
vakzine behandelt und zwar dann, wenn die übliche Freiluft- und
Wasserkur nicht mehr wirkte. Die Erfahrungen fordern auf, in
solchen Fällen diese Behandlung einzuleiten. Das Grundleiden darf
dabei nicht vernachlässigt werden. Stellt sich auf die Vakzination
gar keine Reaktion ein, so ist die Prognose schlecht.
H a u p t - Dresden: Beitrag zur Schutz- und Heilimpfung gegen
die Tuberkulose bei Meerschweinchen und Kaninchen.
Schluss der langen durch 3 Hefte hindurch handelnden Arbeit,
die in ihren Einzelheiten im Originale nachgelesen werden muss,
zumal das Ergebnis für den Praktiker keinerlei Aufmunterung be¬
deutet. L i e b e - Waldhof Elgershausen.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 32.
Willy Meyer- New York: Zur Resektion des Oesophagus¬
karzinom im kardialen Abschnitt.
Verf. hat seinen in Nr. 2 1914 angegebenen Operationsplan auf
Grund neuer Erfahrungen geändert und geht jetzt so vor: im 1. Akt
erfolgt die Feststellung des Lokalbefundes im Bauch und Anlegung
einer Magenfistel; im 2. Akt geht er dann intrathorakal vor; er durch¬
trennt die Speiseröhre oberhalb der oberen Tumorgrenze, verlagert
den proximalen Stumpf von oben nach unten unter die Brusthaut
und versorgt den distalen nach Einstülpung durch einige Matratzen¬
nähte sicher; bei elendem Allgemeinzustand wird dem Pat. zwischen
die beiden Oeffnungen ein Gummidrainrohr eingefügt, um die Mög¬
lichkeit des Schluckens wieder herzustellen. Erlaubt dagegen der
Zustand des Pat. eine Radikaloperation, so wird im 3. Akt der kardiale
Tumor von unten her entfernt.
R. W i 1 m a n n s - Bethel-Bielefeld: Zur Freilegung des Brust-
abschnittes der Speiseröhre.
Auf Grund eines praktischen Falles betont Verf., dass die Unter¬
bindung der V. azygos beim Menschen zulässig und ungefährlich ist.
M o m b u r g - Bielefeld: Auskochbare Messer.
Da der gewöhnliche Stahl durch die Erhitzung auf 100° er¬
weicht wird und dadurch die schneidenden Instrumente stumpf
1S50
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3-1
werden, so benützt Verf. Messer ans Chrom-Wolfram- oder aus
Kobaltstahl, die ein wiederholtes Auskochen sehr gut vertragen;
dieser Stahl beginnt erst bei 500° zu erweichen.
E. Hei m - Oberndorf b. Schweinfurt.
Zcntralblatt für Gynäkologie. Nr. 31), 1914.
F. A h 1 fei d- Marburg: Heilung von Nabelschnurbrüchen auf
konservativem Wege.
Bei zerrissener Hülle und Verwachsung innerer Organe mit dem
Bruchsack bleibt der operative Weg der einzig richtige. Bei sehr
grossen Brüchen und da, wo es an geeigneter chirurgischer Hilfe
fehlt, empfiehlt A. sein Verfahren. Dasselbe besteht in Reinigung
des Bruchsackes und der Haut, Zurückdrängen des Inhalts in leichter
Narkose, Bedeckung mit in Alkohol getränkter Watte und Eimvicke-
lung des ganzen Unterleibs, die alle paar Tage erneuert wird. Der
Ausspruch Kroeners, bei Nabelschnurbrüchen führe nur der
operative Eingriff zum Ziele, besteht nicht zu Recht.
K Reifferscheid - Bonn : Ueber die Anwendung von Eu-
phyllin zur Hebung der Diurese bei der Eklampsie,
Euphyllin, eine Verbindung von Theozin und Acthylendrainin,
wurde bereits von Lichtenstein (Nr. 23 des Zentralbl.) bei
Eklampsie zur Hebung der Diurese empfohlen. L. gab cs intra¬
muskulär mittels Injektionen; R. empfiehlt es auf Grund von 16 Fällen,
über die er berichtet, rektal. In allen Fällen liess sich eine prompte
Besserung der Diurese feststellen. Von den 16 Fällen starb nur
1 Fall 6.25 Proz. Mortalität. Dosis gewöhnlich 3 Euphyllinsupposi-
torien ä 0,36.
R i e c k - Altona: Zur Therapie der Amenorrhoe.
R. behandelt idiopathische, erworbene Amenorrhoe mit dem
Intrauterinstift, den er von 14 Tagen bis zu 8 Jahren (sic) liegen
liess; beabsichtigt war eine Stiftdauer von 8- — 12 Monaten. Unter
22 Fällen hatte der Stift in 3 Fällen gar keinen Erfolg; von den
übrigen 19 Fällen waren in 5 Fällen Misserfolge in bezug auf die
Beschwerden. 14 Fälle zeigten günstige Resultate. Schädigungen
wurden nur dreimal beobachtet, einmal durch wehenartige Schmer¬
zen, einmal durch Wundwerden der Scheide, einmal durch Ver¬
anlassung eines Abortes.
R. erklärt trotzdem den vom Arzte kontrollierten Intrauterin¬
stift für „gänzlich ungefährlich“, eine Ansicht, die durch seine
eigenen Ausführungen teilweise widerlegt wird. J a f f e - Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 32, 1914.
Alexander T i e t z e - Breslau: Ueber eine eigenartige trau¬
matische Gelenkkontraktur. (Reflexkontraktur steifgehaltener Ge¬
lenke.) (Vortrag, gehalten in der med. Sektion der schles. Ges. f.
vaterl. Kultur am 15. Mai 1914.) Kasuistischer Beitrag.
M. Wolf f -Berlin: Die Behandlung der Lungentuberkulose mit
dem Heilmittel von Friedmann.
Die klinischen, experimentellen und röntgenologischen Er¬
fahrungen des Verf. mit der F r i e d m a n n sehen Behandlung haben
nur ausserordentlich wenig zufriedenstellende Resultate ergeben.
L. Asch off: Sind die Würmer, besonders die Oxyuren, direkt
oder indirekt schuld an der Appendizitis?
Die relative Häufigkeit der Oxyureninfektion des normalen oder
nicht akut erkrankten Wurmfortsatzes ist schon seit längerer Zeit
bekannt. Das vom Verf. geschilderte Bild der Pseudoappendizitis
ist durch die Untersuchungen Rhein dorfs bestätigt und in seiner
Häufigkeit anerkannt worden. Die Behauptung Rheindorfs, dass
die Oxyuren indirekt mit der akuten Appendizitis etwas zu tun haben,
ist als unbewiesen anzusehen. Die Bedeutung der Wurminfektion
für die pseudoappendizitischen Anfälle sollte die Aerzteschaft veran¬
lassen, noch sorgfältiger als bisher auf Wurminfektion, besonders bei
Kindern, zu achten. Eine erfolgreiche Wurmkur wird die Kinder vor
pseudoappendizitischen Anfällen und damit vor etwaiger unnötiger
Operation bewahren.
Richard M ü h s a m - Berlin: Milzschuss, durch freie Netztrans¬
plantation geheilt. (Nach einer Demonstration in der Berl. med. Ges.
am 24. Juni 1914.) cf. 1914, S. 1482 der M.m.W.
Huntemüller und B. Eckard - Berlin: Beiträge zur Frage
der Händedesinfektion. (Nach einem Vortrag in der Berl. mikro¬
biolog. Ges. am 19. März 1914.)
Siehe Feldärztliche Beilage Nr. 3.
B e r n h e i m - Breslau: Ueber Afridolseife.
Die Afridolseife ist eine Quecksilberseife, die in ihrem Indi¬
kationsgebiete gute Erfolge erzielt und praktisch alles das hält, was
theoretisch von ihr zu erwarten steht.
Fritz H e i m a n n - Breslau: Zur Histologie bestrahlter Karzi¬
nome. (Vortrag, gehalten am 19. Juni 1914 in der med. Sektion der
schles. Ges. f. vaterl. Kultur.)
Die histologische Untersuchung gibt heute noch keinen Auf¬
schluss über die Heilungsmöglichkeit der Karzinome, aber soviel steht
fest, dass die Beeinflussung der karzinomatösen Zellen durch die
Strahlen eine phänomenale ist.
Aladär Henszelmann - Pest : Kleine röntgenologische Vor¬
richtung zur Erzeugung von Wurmfortsatzbildern.
Verf. gibt einen Kompressor an, der den Wurmfortsatz leichter
sichtbar macht.
Arthur M a y e r - Berlin: Ueber die Beziehungen der atypischen
Gicht zu Erkrankungen der Respirationsorgane.
Es liegt die Vermutung nahe, dass manche Lungenblutungen
deren Aetiologie unklar ist, das Aequivalent eines Anfalles bei cinei
im übrigen latenten Gicht ist. Wie diese Blutungen zustande
kommen, lässt sich natürlich nicht sagen.
Robert M e y e r - Berlin: Die Hellseher, ihre Tricks und ihn
Opfer. Dr. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 31, 1914.
Grober- Jena: Die Behandlung bedrohlicher Erscheimmger
bei der Herzschwäche.
Klinischer Vortrag.
R. Kraus und S. M a z z a - Buenos-Aires: Zur Frage der Vak
zinetherapie des Typhus abdominalis.
Die Verf. studierten die Tatsache, dass nach intravenöser (nicli
subkutaner) Injektion der Vakzine baldigst ein starker Temperatur)
anstieg und kurz darauf ein jäher kritischer Abfall eintritt. Wenn
diese Reaktion eine anaphylaktische war, so musste sie bei de J
intravenösen Injektion einer anderen Bakterienvakzine ausbleiben
Es trat nun aber nach einer Kolivakzine genau derselbe kritische
Abfall ein, wie nach der Typhusvakzine. In praktischer Hinsicht er
mutigt diese Erfahrung zur therapeutischen Verwendung der Koli
vakzine bei Typhus nach genauerem Studium aller Verhältnisse!
Möglicherweise könnten auch andere Infektionen der Behandlung mi,
solcher ..Heterovakzine“ zugänglich sein.
H. Oe 1 1 c r und R. Stephan- Leipzig: Kritik des Dialysierver
fahrens und der Abwehrfermentreaktion.
Die Verfasser haben je 100 Gravide und Nichtgravidc im Dia)
lysierverfahren auf Abwehrfermente untersucht und fanden nebeii
dem fast regelmässigen Abbau des Plazentarsubstrates durch da)
Serum von Graviden in einer Reihe von Kontrollen, allerdings pro.
zentual weniger als bei Graviden, im Serum von normalen un<j
organisch kranken männlichen Individuen ganz eindeutig „Abwehr,
fermente“ auf Plazentareiweiss. Da die Schwangerschaftsdiagnos
im Mittelpunkt der Lehre von den Abwehrfermenten steht, muss ma
daran denken, dass die Methode als solche zur Lösung der bin1
logischen Probleme nicht geeignet ist oder die ganze theoretisch
Voraussetzung dieser Forschungsweise nicht zutrifft. Die Verfasse)
kritisieren weiter, dass die derzeitige Anordnung des Dialysierver:
fahrens für die Wirkung des Fermentes keine optimale Bedingungc;
schafft und unter Umständen keinen Aufschluss über die Anwesen
heit eines Fermentes im Serum gibt. Es gelang ausserdem mit de
Ausschaltung der fermentschwächenden Komponente des Serums z
zeigen, dass fast jedes Serum gekochtes Plazentargewebe abbaue,
kann. Weiter fand sich, dass die Wirkung der „Abwehrfermente,
abhängt von ihrer Konzentration im Serum. Bei einem gewisse
Konzentrationsgrad des Ferrnentgehaltcs vermag das Serum in ut
spezifischer Weise hitzekoagulierte Proteine zu spalten. Nacj
weiteren Bemerkungen kommen die Verfasser zu dem Schluss, das,
für die Erklärung „unstimmiger“ Versuchsresultatc viel zu oft Fehler
quellen angenommmen werden, vielmehr die theoretischen Grüne!
lagen des ganzen Verfahrens nicht zutreffen. Bei aller Bedeutun;
dieses Forschungsgebietes scheint eine gründliche Umarbeitung de:
selben durchaus notwendig zu sein.
P. Hirsch- Jena: Eine neue Methode zum Nachweis der At
welirfermente.
Die Methode zur quantitativen Verfolgung der Abwehrfermen
Wirkung beruht darauf, dass die durch Abbau eines bestimmten Sul
strates durch spezifische Fermente bewirkte Peptonwirkung in einet
Serum eine Konzentrationsänderung bewirkt, die durch Vergleich m
einer entsprechend aufgehobenen Probe des gleichen Serums ohr
Substrat mit Hilfe des I. ö w e - Z e i s s sehen Interferometers quant
tativ bestimmt wird. Die Untersuchungen ergaben völlige Spezifik
der Abwehrfermente.
J. B r o e k m e y e r - Greifswald : Blutzucker bei Morbus Add
sonii.
Krankengeschichte eines Falles von Morbus Addisonii. Der no:j
male Gehalt an Blutzucker spricht für die Meinung S c h i r oj
k a u e r s, dass die Hypoglykämie nicht zu den charakteristische
wenn auch zu den häufigen Symptomen der Krankheit gehört. Ferm
zeigt der Fall, dass bei Morbus Addisonii auch bei normalem Bluj
Zuckergehalt Adynamie auftreten kann und die Schwere des Prozessi
nicht ausschlaggebend für das Symptom der Hypoglykämie ist.
P f ö r t n e r - Göttingen: Letale Häniatoporphyrinurie nach Su
fonalgebraucli.
Krankengeschichte und Erörterung eines Falles.
K. R i n d e r s p a c h e r - Dortmund: Zur Kasuistik der period
sehen Unregelmässigkeit des Pulses.
Ergebnis der Beschreibung und Erörterung eines Falles: 1
finden sich bei Kindern periodische, auf Reizleitungsstörungcn zw
sehen Sinus und Vorhof zurückzuführende Herzarrhythmien. Die
Ueberleitungsstörung kann anscheinend von der funktionellen Sch;
digung der Ueberleitungsfasern und gleichzeitiger Stauung in eh
Koronarvenen abhängig sein, da die Arrhythmie mit Beseitigung h
Stauung schwindet. Daher kann in solchen Fällen eine Digital!
bchandlung am Platze sein. Die von Verf. und Mosbach er b
scbiitbene a'-Welle ist eine aus dem rechten Ventrikel herrührem
Stauungswelle des Blutes, vermutlich infolge einer aktiven Tonn
mehrung der Ventrikelmuskulatur. Vielleicht spielen hierbei toxiscl
Einflüsse (Diphtherie, Nikotin) eine Rolle.
25. August 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
N Dracinski und J. M e h 1 m a n n - Kimpolung (Bukovina):
Mumpskomplikation — Pankreatitis?
Unter hunderten Bällen einer Munipsepidemie fanden sich drei
schwere mit Herpes, heftigem Kopfschmerz, Obstipation, ileusartigem
Bi brechen, Kollaps, Fieberdelirien, Schmerz oberhalb des Nabels
starker Azetonurie, Fehlen desPatellarreflexcs, Cheyne-Stokes-
sches Atmen und Pulsverlangsamung. Als wahrscheinlich wurde eine
komplizierende Pankreatitis angenommen. Bei späterer genauerer
Beobachtung zeigten 10 Proz. aller Fälle den Mangel des Patellar-
rcflexes: bei diesen bestand ein durch Kopfschmerz und Erbrechen
erschwerter Krankheitsverlauf.
A. Czapek und S. W a s s c r m a n n - Wien : Die akute Harn*
verhaltung. eine wenig beachtete Wirkung des Morphins.
Die Verfasser haben in 5 Fällen (Männer) nach Morphiumdar-
reichung und zwar schon nach 0.01—0,02 g eine teils sehr heftige,
durch den Blasensphinkterkrampf bedingte Harnverhaltung beob¬
achtet. Einzelne Literaturangaben, auch solche über Tiercxperi-
mentc, bestätigen das Vorkommen dieser Störung nach Morphium-
| gaben. Therapeutisch wären lokale Hitze. Sitzbäder, Katheterismus,
am meisten wohl Atropininjektionen zu empfehlen.
K ü h 1 m a n n - Strassburg i. E.: Ueber die Röntgenbehandlung
der tuberkulösen I ymphdriisen.
K berichtet über 15 Fälle: die Erfahrungen sind, wie bei anderen
Autoren, befriedigend. Bei einfachen hypcrplastischcn Lvmphomen
treten nach stärkeren Bestrahlungen oft Schwellungen, Schmerzen
und Fieber ein, worauf der Patient vorher aufmerksam zu machen
ist; die Heilung dauert 4—6 Monate, das kosmetische Resultat ist
gut; auffallend rasche Heilungen erfolgen z. B. bei der Hodgkin-
| sehen Krankheit und sprechen gegen Tuberkulose. Bei verkästen
nid vereiterten Formen kommt es durch Bestrahlung öfters zu Fieber
und rascher Abszedierung. Bei Ulzerationen und Fisteln wird oft
ascli ein recht befriedigendes kosmetisches Resultat erzielt. Bei den
Bestrahlungen ist immer an die Möglichkeit schwerer Spätschädi¬
gungen der Haut zu denken und es ist daher nach mehreren Be¬
strahlungen eine längere Pause einzuschalten, während deren oft
>och eine spontane weitere Besserung erfolgt.
A. Mayer- Berlin: Ueber die Beziehungen der im Blut kreisen-
len Tuberkelbazillen zu der Entstehung der Partialantikörper.
Die zur kurzen Wiedergabe nicht geeigneten Ausführungen M.s
<nüpfen sich an die von ihm gemachte Beobachtung, dass bei den
Patienten, in deren Blut sich Tuberkelbazillen fanden, durchweg Fett-
mtikörper fehlten oder sehr spärlich waren; besonders fehlten Fett-
-äureantikörper, in geringerem Masse auch Neutralfettantikörper.
P. B a b i t z k i - Kiew: Eröffnung des Kniegelenkes bei Meniskus-
erletzungen durch Längsschnitt mitten durch die Patella und deren
)urchsägung.
Das durch die Ueberschrift gekennzeichnete, früher von einigen
Uitoren in einzelnen Fällen auch ausgeführte Verfahren, hat Verf.
nit gutem Erfolg in einem Falle angewendet und empfiehlt es für
nanche Meniskusverletzungen angelegentlich. Nachdem die Patella
ängs durchtrennt ist, werden ihre Hälften vollständig umgestülpt, so
ass ihre Unterseite nach oben kommt und es wird bei zunehmender
Beugung des Knies das Gelenkinnere vollständig zugänglich gemacht.
E. B a r t h - Berlin: Das Koagulen Kocher-Fonio in der Rhino-
hirurgie.
Da wegen mancher schwerer sekundärer Störungen das Opc-
ieren mit Glühschlingen mehr und mehr durch das mit scharfen In¬
trumenten ersetzt wurde, war immer noch die Gefahr von Nach-
hitungen bei Nasenoperationen sehr beträchtlich und die Tamponade
ur ein ungenügender Behelf bei diesen; ebenso erfüllt die Wasser-
toffsupcroxydbehandlung nicht alle Forderungen. Ein sehr brauch-
ares Blutstillungsmittel ist das Koagulen nach Kocher-Fonio,
elches in 10 proz. Lösung mit einer Spritze auf das Operationsfeld
ufgeträufelt wird. Es hat sich bei endonasalen Operationen. Ton-
illotomien. Adenektomien, Siebbeinausräumungen gut bewährt; frei
on Reizwirkungen scheint es zudem die Wundheilung nur zu fördern.
R. D ö 1 g e r - Frankfurt a. M.: Ein geheilter Fall von schwerer
leningitis cerebrospinalis mit einseitiger Erkrankung des inneren
ihres.
Der Fall ist u. a. bemerkenswert wegen der günstigen Beein-
ussung des Leidens durch das Antimeningokokkenserum (K olle-
i assermann), durch die gute Wirkung des Yatrens (Jodoxvchi-
olinsulfosäure) auf die Meningokokken im Nasenrachenraum (auch
e* einigen sonst gesunden Keimträgern), wodurch die Brauchbarkeit
es Mittels auch bei Diphtheriekeimträgern möglich scheint; durch
!e einseitige Beteiligung des inneren Ohres; schliesslich durch
e gute Beeinflussung des Hörvermögens mittels innerer Jodkali-
aben.
W. N. C 1 e m m - Dresden : Eine neue Speiseröhre- und Magen-
uide mit Vorrichtung zu elektrischer Behandlung.
Beschreibung des Instrumentes (Reiniger. Gebbert & Schall).
E n g e 1 e n - Düsseldorf : Apparat zur Behandlung der Haut¬
assersucht.
Der Apparat dient zur gleichzeitigen Verwendung von 6 in die
erschiedenen Schichten der Haut reichenden Nadeln und zur zweck-
assigeiy Ableitung und Aufsammlung der Oedemflüssigkeit.
F. S c h I e n k - Dresden: Rönterigröhrenregulierung ohne Va-
inimänderung.
Beschreibung des Apparates. Firma Chielur G. m. b. H..
resden A. 3.
1851
G. P u p p e - Königsberg i. Pr.: Die Operationspflicht des Ver¬
letzten.
S. Bericht M.m.W. 1914 S. 1477.
M. Waldeyer: Gustav Schwalbe zum 70. Geburtstage.
B e r g e a t - München
Oesterreichische Literatur.
Wiener medizinische Wochenschrift.
... ,^r‘ F. Hamburger-Wien: Ueber Psychotherapie im
Kindesalter.
Nur kurz seien angedeutet die Erfolge der Wachsuggestion, die
Einwirkung des ,, neuen Erlebnisses“, welches unter Umständen schon
m der ungewohnt energischen bis schroffen Behandlung gegenüber
einem bis dahin allzu nachsichtig behandelten Kinde bestehen kann;
hierher gehört u. a. auch der Erfolg, welchen öfter die kurze — wenn
notwendig in kurzen Zwischenräumen wiederholte — Spitalbehand-
lung bei Enuresis nocturna zeitigt, ähnlich auch die Beeinflussung,
wenn auch nicht Heilung der Masturbation durch den Milieuwechsel.
. yele. vielleicht die Hälfte der Fälle von hartnäckigem Husten
bei Kindern sind nervösen Ursprungs und lassen sich durch
Ipecacuanha heilen; die Beeinflussung des Keuchhustens durch
•-Uggestion und Milieuwechsel ist bekannt. Oft lassen sich epilep¬
tische Anfälle auf suggestivem Wege und z. B. durch Tinctura amara
beseitigen; es sollte stets ein solcher Versuch gemacht werden. Für
die Formen des Tick, zumal der Gesichts- und Schultermuskulatur,
bildet der Milieuwechsel und die Faradisation meist eine sehr dank¬
bare Behandlung; ebenso lassen sich viele Fälle von Appetitlosigkeit,
Eibrechen und Diarrhöen durch knappe Diät und Suggestivbehand¬
lung leicht heilen.
Nr. 25,26. F. S c h a u t a - Wien: Blutungen während der
Gestation. Klinischer Vortrag.
Nr. 25 J. Bauer - Innsbruck: Die Beziehungen der Hypophyse
zur Wärmeregulation.
B behandelt die von ihm gefundene und von Döblin und
Fleischmann bestätigte Tatsache, dass die parenterale Injektion
eines Extraktes aus dem nervösen Anteil der Hypophyse (bei
Kaninchen und Meerschweinchen) eine beträchtliche Temperatur¬
senkung bewirkt. Weiter werden folgende Beobachtungen anderer
Autoren angeführt: Bei Fällen von hypophysärer Dystrophie findet
sich nicht selten auffallend niedrige Körpertemperatur. Bei teilweiser
Zerstörung der Hypophyse an Hunden wurde gleichfalls eine solche
Hypothermie gefunden, welche sich durch Injektion von Rinder¬
hypophysenextrakt wieder ausgleichen liess. Die von C u s h i n g
beschriebene „Thermoreaktion“ zeigt eine Temperatursteigerung
nach Injektion eines Extraktes aus dem Vorderlappen des Hirn¬
anhanges bei Tieren, welchen die Hypophvse entfernt ist, während
diese Temperatursteigerung bei normalen Tieren ausbleibt. Weiter
ist auf das gleichzeitige Vorkommen der hypophysären Dystrophie
und Hypothermie mit Polyurie und Polydipsie zu verweisen, wozu
Verf. 5 Krankengeschichten anführt. Es zeigt aber nicht jeder Fall
von Diabetes insipidus diese Hypothermie, die luetischen Formen
desselben haben im Gegenteil öfters erhöhte Temperatur. Verf. be¬
schreibt näher die Versuche, wo beim Kaninchen nach intravenöser
Injektion von Pituitrin, infundib. (Parke-Davis) und beim Meer¬
schweinchen nach intraperitonealer Injektion von Pituglandol starker
Temperaturabfall eintrat; auch beim Menschen beobachtet er nach
subkutaner Injektion von Pituglandol oder Pituitrin deutlichen Ab¬
fall der vorher normalen oder febrilen Temperatur. Bei Kontroll-
versuchen mit Thyreoidinum (P ö h 1) wurde dagegen die Tem¬
peratur leicht erhöht. Mit Jacobj nimmt Verf. an, dass die Hypo¬
physe wahrscheinlich durch das in den Ventrikel entleerte Sekret
die Funktion verschiedener in der Nähe gelegener die Wärmebildung
und Wärmeabgabe regulierender nervöser Apparate steigert oder
hei absetzt; dabei scheint ein gewisser funktioneller Antagonismus
zwischen dem vorderen und hinteren Teil der Hypophyse zu be¬
stehen. Schliesslich berichtet Verf. noch über Versuche, in denen
bei Kaninchen nach intravenöser Einspritzung von Liquor cerebrospi¬
nalis öfters gleichfalls eine nicht unerhebliche Herabsetzung der Tem¬
peratur eintrat.
Nr. 26 O L e o n h a r d- Mühlbach: Ein mit „Ulsanin“ (Hydro-
jodoborat) geheilter Fall von Gesichts- und Nasenlupus.
Krankengeschichte.
Nr. 27. A. B I u m e n f e 1 d - Lemberg: Zur Abortivbehandlung
der Syphilis.
In 1 1 Fällen von primärer Syphilis bei noch negativer Wasser-
m a n n scher Reaktion hat B. durch breite und tiefe Verschorfung
den Primäraffekt beseitigt, eine mässige Salvarsankur (Dosis
höchstens 0,5 g intramuskulär) und darauf eine intensive Oueck-
silbei spritzkur eingeleitet und dadurch ein jetzt 2—3 Jahre an¬
haltendes Fehlen aller klinischen und serologischen Erschei¬
nungen erzielt.
Nr. 27. H. Bayer- Wien: Behandlung tuberkulöser Lungen¬
prozesse mittels Vibroinhalation.
Verf. verwendet mit Erfolg Inhalationen eines Methylglvkokol-
säureesters des Guajakols, während welcher der Luftstrom nicht kon¬
stant, sondern mit rhythmischen Unterbrechungen zugeleitet wird,
um so eine zarte Vibromassage der Atemwege auszuüben.
Nr 27. H. C h a I u p e c k y - Prag: Die Wirkung verschiedener
Strahlungen auf die Augenlinse.
1852
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 34.
Verf. fand an exstirpierten und an Linsen lebender Kaninchen
eine Schädigung durch Einwirkung ultravioletter Strahlen. Dagegen
blieben nachweisbare Schädigungen (chemische Veränderungen) aus
bei Einwirkung von Radiumchlorid und Mesothorium auf die Linse
des lebenden Kaninchens, ferner bei Einwirkung der Röntgenstrahlen
und der a-Strahlen auf frisch exstirpierte Schweinslinsen.
Nr. 27. 0. Hirsch: Operative Behandlung der Hypophysen¬
tumoren.
Für die Diagnose des Sitzes der Tumoren gibt ausser der
Röntgenuntersuchung das Sehvermögen Anhaltspunkte. Fehlen Seh¬
störungen, so ist der Tumor intrasellar oder vorwiegend intrasellar,
sind solche vorhanden, so ragt der Tumor mit einem Abschnitt in die
Schädelhöhle, ist also intrakraniell. Eine Uebersicht über die Stati¬
stik der verschiedenen Operationsmethoden zeigt die geringste Mor¬
talität bei der endonasalen Methode des Verf. und der verwandten
Methode Cushings (rund 14 Proz.). Deshalb verdienen diese
Methoden, welche ebenso wie andere eine radikale Entfernung der
inlrasellaren und zystischen Tumoren ermöglichen, den Vorzug.
Unter 37 nach der Methode des Verf. Operierten, starben 5 (4 sehr
grosse maligne intrakranielle Geschwülste), 4 blieben unbeeinflusst,
5 wurden vorübergehend, 21 zum Teil sehr beträchtlich und anhaltend
gebessert, so dass die Wiederherstellung der geistigen Leistungs¬
fähigkeit, mehrmals auch der Berufsfähigkeit erreicht wurde.
B e r g e a t - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Tübingen. Juli 1914.
Beck Alfred: Die Augenverletzungen in der Tübinger Klinik im
Jahre 1911.
B u r k h a r d t Emil: Weitere Mitteilungen der klinischen Erfahrungen
über die E 1 1 i o t sehe Operation.
Herrmann Theodor : Ueber Luxationen im L i s f r a n c sehen Ge¬
lenk.
Kämmerer Wilhelm: Zur Kasuistik des „Moralischen Irreseins .
Kretschmer Ernst: Wahnbiidung und manischdepressiver Sym¬
ptomkomplex.
Nick Heinrich Georg: Ein Beitrag zur Frage der mechanischen Be¬
einflussung der Blutzirkulation durch die Luftdruckerniedrigung im
Höhenklima.
Willburger Eugen: Paranoische Zustandsbilder in der Manie.
Funccius Herbert: Der sog. Kolobom der Macula lutea.
Hengstenberg Werner: Beitrag zur Kasuistik der Darmlipome.
Schleich Rudolf: Klinischer Beitrag zur Psychose bei Trypano-
somiasis.
Schmidt Erich: Ueber die Bedeutung des Cholesterins für die
Xanthombildung.
Schmitt Adalbert: Untersuchungen über die Chlorose.
Voges Rudolf: Ueber intrakranielle Blutungen des Neugeborenen.
Vereins- und Kongressberichte.
Gesellschaft- für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
XXV. Sitzung vom 4. April 1914.
Vorsitzender: Herr G e 1 b k e.
Tagesordnung:
Herr Rieb old: Ueber die Erblichkeit der Struma.
R i e b o 1 d sucht an der Hand von Stammbäumen nachzuweisen,
dass die Struma eine ausgesprochen erbliche Krankheit ist.
Sie vererbt sich nach den Mendel sehen Regeln, verhält sich
aber dabei nur dem weiblichen Geschlecht gegenüber dominant.
(Erscheint ausführlich in der Zeitschrift für induktive Abstam-
mungs- und Vererbungslehre.)
Diskussion: Herr Hueppe: Von den demonstrierten Fi¬
guren lassen sich nur 2 für die gezogenen Schlüsse verwerten, bei
denen ohne Zweifel die M e n d c 1 sehen Regeln zutreffen; für eine
grössere Reihe von Fällen lässt sich aber eine viel einfachere Er¬
klärung finden, wenn man an eine gemeinsame Noxe denkt. Nament¬
lich bei endemischem Kropf kann man mit der Erblichkeit allein nicht
auskommen; es müssen noch andere Faktoren dabei im Spiele sein.
Als seinerzeit in Wien die neue Hochquellenleitung gegründet
werden sollte, fürchtete man das Wasser der Kropfgegend; es trat
aber keine Kropfvermehrung ein, ebenso nach Eröffnung der zweiten
Hochquellleitung. Trotzdem ereignete sich ein merkwürdiger Fall.
Ein bekannter Wiener Arz't, der mütterlicher- und väterlicherseits aus
sicher kropffreier Familie stammte, brachte einmal seine Ferien in
einer Kropfgegend zu und bekam einen starken Kropf, ein Beweis,
dass ein Kropf erworben werden kann, wo Erblichkeitsfaktoren sicher
ausgeschlossen werden können. Ob es übrigens gerade das Wasser
ist, das den Kropf erzeugt, ist, wie ich vor einiger Zeit hier erwähnt
habe, zurzeit noch keineswegs ausgemacht. Man hat neuerdings
in der Schweiz Tierversuche angestellt, um den Kropf durch Wasser
aus Kropfgegenden künstlich hervorzurufen; der Erfolg war stets
negativ. Die Vorstellung, dass das Wasser der Träger einer Noxe
sei, lässt sich demnach nicht mehr aufrecht erhalten. Allem Anschein
nach haften an den Oertlichkeiten Momente, die zurzeit noch rätsel¬
haft sind, aber doch darauf hinweisen, dass Erblichkeit, Wasser usw.
allein noch nicht genügen. Der eine Fall des Vortragenden, der eine
Ausnahme von den Mendel sehen Regeln bildete, würde sich also
am einfachsten durch die Annahme erklären, dass an einer be¬
stimmten Oertlichkeit kropferzeugende Momente haften.
Wie der Vortragende schon selbst sagte, ist das Material viel zu
klein. Es wäre nötig, gerade in Kropfgegenden die Erblichkeitsfrage
genau zu studieren.
Herr Rieb old: Ich glaube selbst genügend betont zu haben,
dass ich das Mitwirken äusserer Schädlichkeiten keineswegs be¬
streite. Man muss selbstverständlich zugeben, dass ein Kropf einmal
auch ohne Erblichkeit entstehen kann. Fast nie findet sich ja eine
einheitliche Pathogenese. Ich habe alle Beispiele angeführt, weil sie
alle das familiäre Auftreten zeigen. In dem letzten Falle spielen
örtliche Momente keine Rolle, denn die 3 Brüder wohnen alle von
früher Jugend an in verschiedenen Städten.
Herr Schubert und Herr G e i p e 1: Ueber sog. primäre Milz-
tuberkulöse.
Herr Schubert berichtet über eine 51 jährige Pat., die tuber¬
kulös erblich belastet, aber bis auf verschiedene Kinderkrankheiten!
immer gesund gewesen war. Sie erkrankte im Jahre 1900 mit hohem
Fieber und allgemeinen Krankheitserscheinungen, ohne irgendwelche!
besondere Symptome, und wurde, da die Erkrankung im Anschluss ar
eine Furunkulose und während der Beschäftigung in einem Kranken¬
hause auftrat, eine septische Infektion angenommen. Das Fieber hielt!
lange Zeit, 6 Wochen, an, ging dann allmählich zurück und die Pa¬
tientin war anscheinend wieder vollkommen hergestellt, so dass sie
ihren Krankenpflegekursus zu Ende führen konnte.
Solche Anfälle sind dann in den späteren Jahren in grösserer
Zwischenräumen verschiedene Male wieder aufgetreten. Sie warer'
allerdings von kürzerer Dauer, 8 — 14 Tage, verliefen aber ganz wie
der erste Anfall, ohne irgendwelche besondere Krankheitserschei¬
nungen, und wurden als Rezidive der früheren Sepsis angesehen
Vortr. hat in den letzten 6 Jahren 3 solche Anfälle gesehen. Dieselbe:
traten während des Winters, in der Zeit, in welcher in Dresden In¬
fluenza herrschte, auf, und da in der Regel etwas Husten bestand
wurden von ihm die Anfälle als Influenza aufgefasst. Sie verliefe:
im ganzen leicht und Pat. war nach Ablauf derselben scheinbar immer
wieder vollkommen gesund.
Im November 1911 erkrankte Pat. in Prag an Durchfall mil
hohem Fieber: Vom Arzt wurde eine Fischvergiftung als Ursach:
dieser Erkrankung angenommen. Sie ging nach 14 Tagen zurück um.
Pat. kehrte geheilt wieder nach Dresden zurück. Im Januar 1912
erkrankte sie aufs neue unter den gleichen Erscheinungen, Fiebei
zwischen 39 und 40° und Durchfall, zog ihren Arzt aber nicht gleicl
zu. Vortr. sah die Patientin am 7. Februar und war gerufen worden
weil die Temperatur nicht ganz zur Norm zurückgehen wollte und
Pat. sich sehr elend fühlte. Sie klagte insbesondere über Druck ii
der Magengegend und Appetitlosigkeit.
Der Befund war folgender: Brustorgane gesund. Der Leib is
unterhalb des linken Rippenbogens etwas vorgewölbt. Diese ganze
Gegend ist ausserordentlich druckempfindlich, so dass eine genauer:
Untersuchung nicht möglich ist. Man fühlt aber eine deutliche Re
sistenz, die fast bis zum Nabel reicht. Der übrige Teil ist, sowei
das bei der starken Empfindlichkeit überhaupt festgestellt werdei
kann, weich. Die Verdauung ist normal. Der Urin ist frei voi
Eiweiss und Zucker. Die Temperatur beträgt 37,5, der Puls 80 in der
Minute. Der Widal ist negativ. Die Zählung der Blutkörperchei
ergibt 3 500 000 Erythrozyten und 2500 — 2800 Leukozyten. Das mikro
skopische Blutbild zeigt keine deutlichen Veränderungen. Die Opli
thalmoreaktion ist negativ.
Unter heissen Umschlägen ging die Resistenz etwas zurück um
die Druckempfindlichkeit wurde wesentlich geringer. Man könnt:
infolgedessen genauer untersuchen und feststellen, dass der Iumo
mit der Milz in Zusammenhang stand. Im Allgemeinbefinden ändert:
sich zunächst nichts. Pat. fühlte sich matt und leistungsunfähig, macht:
aber nicht den Eindruck einer besonders schwer Kranken. Nur di:
Temperatur stieg allmählich wieder höher. Das ganze Krankheits
bild blieb infolgedessen unklar nid wurden aus diesem Grunde ver
schiedene Kollegen zugezogen. Von einer Seite wurde wieder ein:
Sepsis angenommen, obwohl der ganze Befund und Verlauf gegei
diese Annahme sprach. Die Blutkulturen waren vollkommen steril
Von anderer Seite wurde ein sogen. Holzknecht sches Ulcu:
ventriculi mit Perforation und Verwachsungen und Höhlenbildum
zwischen Magen, Leber, Milz etc. angenommen. Aber auch dies:
Diagnose musste wieder fallen gelassen werden, da niemals Blut in
Stuhl nachgewiesen werden konnte. Vortr. hat dann zuletzt di>
Wahrscheinlichkeitsdiagnose Hodgkin sehe Krankheit, Schwellung
der Milz und der retroperitonealen Lymphdrüsen gestellt. Die Ob
duktion ergab eine käsige Tuberkulose sämtlicher bronchialen um
retroperitonealen Lymphdrüsen und einen Milztumor mit chronische.
Miliartuberkulose. *
Solche Fälle von sog. primärer oder selbständiger Milztuber
kulose sind bis jetzt in der Literatur 33 bekannt. Bayer hat in
Jahre 1904 28 Fälle zusammengestellt und hierzu kommen noch 5 it
den folgenden Jahren veröffentlichte Fälle, 1 Fall von Franke 190h
je 1 Fall von S t r c h 1 und von Fischer 1909, 1 Fall von K ü m
mel 1911 und 1 Fall von Loney 1912. Früher nahm man an, das-
es sich in diesen Fällen um eine primäre Erkrankung der Mib
handle, jetzt weiss man, dass es sich bei dieser Tuberkulose de:
?5. August_1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1853
Milz immer um einen sekundären Prozess handelt, dass diese Milz-
tuberkulöse wohl klinisch das Krankheitsbild beherrschen kann, dass
'ich aber immer ein wenn auch oft sehr kleiner primärer Herd in den
yinphdrüsen oder den Lungen findet.
Per Verlauf dieser Fälle ist in der Regel ein chronischer. Es
ntv\ ickelt sich, meist ohne grössere I emperatursteigerungen, allmähl¬
ich ein mehr oder weniger grosser Milztumor, der die Kranken erst
lann zwingt, den Arzt aufzusuchen, wenn er infolge seiner Grösse
Beschwerden, Schmerzen und Druck im Leib usw. macht. Ein akuter
■erlauf dieser Krankheit, wie in dem vom Vortr. berichteten Falle
st bisher nur in einem Falle von Schanoldt beobachtet worden!
:s handelte sich da um einen 25 jährigen jungen Mann, der mit
Schüttelfrost und hohem Fieber erkrankte, bei dem im Krankenhause
in grosser Milztumor festgestellt wurde, und der unter dauernd
ohem Fieber und Durchfällen nach 17 Tagen zugrunde ging.
Eine Bevorzugung eines Alters oder Geschlechtes ist bei dieser
rkrankung nicht zu erkennen. Es finden sich neben Kindern im Alter
on 1—9 Jahren alle Altersstufen bis hinauf in das höchste Alter
ertreten. Der Kranke von Romanow war 80 Jahre alt. Männer
nd Frauen sind fast in gleicher Zahl an den Fällen beteiligt
Sehr schwierig ist die Diagnose dieser Erkrankung. Das be-
1 ®ist am besten die I atsache, dass von den 33 bisher bekannten
allen nur in einem Falle und zwar in dem Fall von K ü m m e 1 1 die
liagnose vor der Operation gestellt worden ist, weil in diesem Falle
och andere manifeste Erscheinungen von Tuberkulose bestanden. In
en iihiigen 32 Fallen ist die Diagnose erst bei der Obduktion oder
iperation gestellt worden. Die Entwicklung des tuberkulösen Milz-
imors weicht eben in der Regel in nichts von der Entwicklung
ndersartiger Milztumoren ab. Leicht ist die Differentialdiagnose bei
llen Erkrankungen, bei denen durch Untersuchung des Blutes oder
iirch Serumreaktion Klarheit über die Aetiologie des Milztumors ge-
:haffen werden kann, wie bei Leukämie, perniziöser Anämie chro-
ischer Malaria, chronischem Milztumor nach Typhus abdominalis
nd Lues. Schwerer ist sie aber in den Fällen, bei welchen diese
ilfsmittel versagen, z. B. bei den Iienalen Formen der Pseudo-
ukämie, der B a n t i sehen Krankheit und den verschiedenen ma-
gnen Tumoren der Milz. Man hat deshalb immer wieder nach
nerentialdiagnostischen Hilfsmitteln gesucht. So hat R o s e n g a r t
jf Grund einer eigenen Beobachtung und auf Grund der Angaben
niger anderer Autoren auf einen Symptomenkomplex aufmerksam
^macht, der bei chronischem Milztumor für Tuberkulose sprechen
)11, nämlich das Zusammentreffen von Milztumor mit Hyperglobulie
id Zyanose. Dieser Symptomenkomplex ist aber nur bei einem
eil der Fälle beobachtet worden, während in den anderen Fällen die
ahl der roten Blutkörperchen normal oder sogar vermindert war
uch in dem vom Vortr. beobachteten Falle war die Erythrozyten-
lhl etwas herabgesetzt. Und auf der anderen Seite ist Hyperglobulie
,c" b^i Fällen von Milztumoren gefunden worden, die sich bei der
bduktion als nicht tuberkulös herausstellten. Diesem Symptomen-
nnplexe kann also kein differentialdiagnostischer Wert beigemessen
erden. Ebenso kommt die Untersuchung des Blutes auf Tuberkel-
izilllen noch nicht für die Diagnose dieser Erkrankung in Frage. Die
sher damit gewonnenen Untersuchungsresultate sind noch zu wider-
'rechend und müssen erst weitere Erfahrungen abgewartet werden,
an zweifellosem Wert sind, wie das auch schon von anderen Seiten
igegeben worden ist, die Tuberkulinreaktionen, insbesondere die
ibkutaninjektion von Tuberkulin. Die Ophthalmoreaktion war, wie
is in infausten Fällen oft vorkommt, in dem vorliegenden Falle
;gativ und die Subkutaninjektion ist nicht gemacht worden, weil
nies Fieber bestand. Man könnte sich aber wohl denken, dass auch
solchen fieberhaften Fällen durch die Injektion eine Herdreaktion,
h. eine grössere Schmerz- und Druckempfindlichkeit und eine
Jrkere Schwellung des Milztumors ausgelöst und dadurch die
agnose gesichert werden könnte. Jedenfalls ist die subkutane
iberkulinreaktion bei den ohne nennenswerte Temperatursteige-
ngen verlaufenden Fällen von Milztumor zu empfehlen.
Wenn alle diagnostischen Hilfsmittel versagen, muss die Probe-
aarotomie vorgenommen werden. Sie kann um so leichter in Vor¬
nlag gebracht werden, weil die Exstirpation des Milztumors als
izig erfolgversprechende Behandlungsweise bei dieser Krankheit in
age kommt. L o r e y empfiehlt in erster Linie eine interne Be-
n*- ü2’ neben physikalisch-diätetischen Massnahmen eine syste-
itische I uberkulinkur. Erst wenn diese Mittel versagen, hält
i u M?s*’rpa*’on der Milz für wichtig. Wenn man aber eine
iche Milz gesehen hat, so kann man sich nicht denken, dass sie
ter einer inneren Behandlung zur Ausheilung kommmen kann. Eine
iche tuberkulöse Milz ist, wie das auch eine ganze Reihe von zur
Auktion gekommenen Fällen gezeigt hat, eine dauernde Gefahr für
n Kranken und muss entfernt werden. Der primäre Herd ist in der
•gel nur klein, nicht so ausgedehnt wie in dem vom Vortr. be-
nteten Falle und kann nach Entfernung der Milz zur Ausheilung
mmen. Das beweisen die Erfolge bei den bis jetzt chirurgisch be-
noelten Fällen. Von 14 Kranken, bei denen die Milz exstirpiert
trde, sind 10 geheilt worden, nur 4 sind kurz nach der Operation
storben.
^eJ"r Q e i P e I : Die Sektion ergab eine Tuberkulose des
ff P h a t i s c h e n Systems. Befallen waren die bronchialen
itiphdrüsen, einzelne vordere mediastinale, sowie die retroperi-
icalen. Die ersteren waren zu einem faustgrossen Paket ver¬
bolzen, zeigten multiple kleine Verkäsungen. Auf den Lymph-
drüsen frische Eruption von Knötchen, die übrigen waren frei Die
Milz wog 640g (Formalin), war übersät mit stecknadelkopfkgrosscn
l uberkeln. Mikroskopisch zeigten Lymphdrüsen und Milz einen
nochgradigen Bazillengehalt. Inmitten des Käses Haufen
von Bazillen, die im gefärbten Präparat bereits makroskopisch sicht-
)ai waren. G. betont das völlige Freibleiben der übrigen Organe,
vor allem der Leber, trotz des teilweise hämatogenen Verbreitungs-
weges. (Hinweis auf ähnliche Erkrankungen wie S t e r n b e r g sehe
Krankheit.)
Diskussion: Herr Schmaltz: Ich möchte fragen, wie Herr
v enubert die Bezeichnung „primäre Milztuberkulose“ verstanden
wissen will. Es ist mir nicht klar geworden, ob die Milz primär be¬
fallen gewesen ist.
Herr Rostoski: Mir ist nicht verständlich geworden, welche
ausschlaggebende Bedeutung die Tuberkulininjektionen haben sollten,
ich meine, dass man mit einer positiven Reaktion nicht viel anfangen
Konnte, da ja fast immer ein primärer Tuberkuloseherd vorhanden ist
und auch sonst ein tuberkulöser Herd auf Tuberkulin reagiert.
Die Milzexstirpation wird nur ausnahmsweise die richtige
1 nerapie sein, und zwar dann, wenn eine geringe Drüsentuber¬
kulose vorliegt In dem besprochenen Falle, wo die Driisencrkran-
kung so ausgedehnt war, würde die Operation ganz zwecklos ge¬
wesen sein.
Herr Beschorner: Das Zusammenfallen der beiden Vorträge
am heutigen Abend veranlasst mich, eine Frage zu stellen. Bei den
uberkulosearzten besteht neuerdings die Neigung, Vergrösserungen
der Schilddrüse als Zeichen tuberkulöser Intoxikation aufzufassen. In
letzter Zeit hat ein ungarischer Autor einen Aufsatz über den Zu-
sam.fSen‘ianS V0IJ Tuberkulose und Vergrösserung der Schilddrüse
veröffentlicht und ist zu dem Schluss gekommen, es sei ein Fehler
wenn man nicht jeden Fall von Vergrösserung der Schilddrüse mit
I uberkulm behandelte.
u ^un£..1Isjt Inir aufgefallen, dass einigemale bei Sektionen von
Basedowfallen als Nebenbefund Milztuberkulose gefunden wurde Ich
mochte Herrn Geipel fragen, ob er auch dieses Zusammentreffen
öfters gefunden hat.
Herr G m e i n e r: Im Januar ds. Jrs. stellte Herr Arnsperger
auf der II. inneren Abteilung des Friedrichstädter Krankenhauses
einen Fall von Milztuberkulose vor, der operiert werden sollte Ich
mochte fragen, was aus diesem Fall geworden ist.
AUi MCrr s f'del: Ein entsprechender Fall ist auf der chirurgischen
Abteilung nicht zur Operation gekommen.
Herr Naether fragt, ob von dem vorgestellten Fall kein Rönt-
genbild aufgenommen worden ist. Auf einem solchen können die
unter Umständen bis zu Kleinfaustgrösse geschwollenen — Drüsen
event. nachgewiesen werden.
, i- H-eür ,D^nrg e r: Der von Herrn Schubert demonstrierte Fall
hat mich lebhaft an einen anderen erinnert, den ich während meiner
1 atigkeit auf der Inneren Abteilung des Johannstädter Krankenhauses
beobachten konnte und der mir aus dem Grunde besonders im Ge¬
dächtnis geblieben ist, weil er uns allen bei der Autopsie eine grosse
und ganz unerwartete Ueberraschung bereitete. Es handelte sich um
ein junges Mädchen von 16 Jahren, das wegen typhusverdächtigen Er¬
scheinungen ins Krankenhaus gebracht wurde. Die Untersuchung er-
gab hohes Fieber bei verhältnismässig wenig beschleunigstem Puls
eichte Benommenheit, Milzschwellung und starke Diazoreaktion im
Urin Die Zählung der weissen Blutkörperchen zeigte eine ausge¬
sprochene Leukopenie. Unter diesen Umständen wurde Typhus dia¬
gnostiziert, und der weitere Verlauf — hohe Kontinua bei andauernd
relativ langsamem Puls — schien dieser Annahme durchaus zu ent¬
sprechen. Die W i d a 1 sehe Reaktion war zwar negativ, doch konnte
dies in der Diagnose zunächst nicht schwankend machen, da sich die
Kranke nach der Anamnese etwa in der Mitte der 2. Krankheitswoche
befand Die Methode des Typhusbazillennachweises im Venenblut
durch Anreicherung in der K a y s e r - C o n r a d sehen Gallenröhre
war damals noch nicht bekannt; ihr negativer Ausfall wäre ein wich¬
tiger Fingerzeig gewesen. Nach etwa 10 Tagen trat Herzschwäche
ein, der die Kranke unter rasch fortschreitendem Verfall in kurzer
Zeit erlag. Die Sektion ergab nun nicht den mit Sicherheit er¬
warteten Typhus, sondern eine Tuberkulose der Bronchial¬
drüsen; eine Miliartuberkulose war nicht vorhanden. Ob die Milz
in ausgedehnterem Masse mit erkrankt war, ist mir nicht mehr genau
^rininre.,,ich‘ c^eirT1. ^eu*e von Herrn Schubert besprochenen
räll fallt nun, worauf ich besonders hinweisen möchte, das Verhalten
der ulskurve sehr auf. Auch hier ist eine ausgesprochene r e 1 a -
t i v e B r a d y k a r d i e vorhanden. Bei einer Temperatur zwischen
39 und 40 bewegt sich der Puls tagelang zwischen 80 und 90 — ge¬
nau wie in dem von mir erwähnten Fall. Es ist dies um so be¬
merkenswerter, als es sich doch gerade um sehr schwere, schliesslich
letal endende Krankheitsbilder handelte, bei denen man a priori weit
eher eine unverhältnismässige Pulsbeschleunigung — wie wir sie bei
malignen Tuberkulosen ja sonst zu sehen gewohnt sind — erwarten
sollte.
Ich glaube, dass es vielleicht möglich sein wird, für die wie es
scheint anatomisch wohlcharakterisierte Erkrankung auch ein einiger-
massen typisches klinisches Krankheitsbild herauszuschälen. Bei der
ausserordentlichen Aehnlichkeit mit Typhus wird es sich vor allem
darum handeln, die in Rede stehende Erkrankung diagnostisch vom
Typhus abzugrenzen, was wohl in erster Linie auf negative Weise,
1854
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
durch Ausbleiben der Agglutination sowie mangelnden Nachweis der
Typhusbazillen in Blut und Stuhlgang, zu geschehen hätte; auch der
Nachweis von Tuberkelbazillen im Blut wäre zu untersuchen.
Schliesslich würde noch eine fortlaufende morphologische Blutanalyse,
namentlich hinsichtlich der einzelnen Arten der Leukozyten, deren
Verhalten bei Typhus sehr genau bekannt ist, unter Umstanden
wichtige Aufschlüsse geben können.
Herr S c h u b e r t; Auf die Trage des Herrn S c h m a 1 1 z mochte
ich antworten, dass ich nur von sogenannter primärer Milztuber-
kulose gesprochen habe. Die primären Herde finden sich in der
Lunge oder in den Lymphdrüsen. Die früheren Autoren haben aller¬
dings von primärer Milztuberkulose gesprochen.
Die diagnostische Bedeutung der Tuberkulininjektion liegt hier,
ähnlich wie bei der Lungentuberkulose, in der Möglichkeit des Auf¬
tretens einer Herdreaktion, die in diesem Talle voraussichtlich in
einer Erhöhung der Druckempfindlichkeit und wahrscheinlich auch in
einer Schwellung der erkankten Milz bestanden haben würde. Die
Temperaturen würden allerdings nicht massgebend gewesen sein.
Eine Röntgenaufnahme wurde aus verschiedenen Gründen, u. a. wegen
des schweren Allgemcinzustandes, nicht vorgenommen. Die Tuber¬
kulose der Bronchialdrüsen war nicht zu diagnostizieren.
Herr G e i p e 1 ; Herrn Beschorner möchte ich sagen, dass
das Zusammentreffen von Thyreose und Milztuberlose wohl sicher
ein zufälliges ist. Milztuberkulose ist so häufig, dass man fast in der
Mehrzahl der Tälle einige Tuberkeln findet. In dem von mir vorher
erwähnten Fall von Bronchialdrüsentuberkulose war eine geringe
Tuberkulose der Milz vorhanden. Die Aehnlichkeit des Krankheits¬
bildes mit Typhus ist in diesen Fällen gross. Bemerkenswert ist auch,
dass die Erkrankungsherde in solchen Fällen relativ beschränkt sind.
Nr. 34.
als Kontrollmittel zahnärztlicher Behandlung und seine Verwendung
in der Orthodontie und der Prothetik.
Die Bedeutung des Röntgenbildes geht über das praktische Be¬
dürfnis hinaus, da es auch Antwort auf manche theoretische 1 rage zu
geben vermag. So lehrt es deutlich, dass die Resorption von Milch¬
zähnen nicht den Druck von Nachfolgern allen als Ursache hat, dass
das Wandern der Zähne keineswegs durch Kaudruckverhältnisse her-
vorgerufen zu sein braucht. Auch anthropologische und ethnologische
Fragen können durch das Röntgenbild beantwortet werden, wie es
auch die Altersbestimmung ermöglicht.
Die Aufnahme ist mit grossen Schwierigkeiten nicht verknüpft.
Der gebräuchliche Film, der in die Mundhöhle kommt, passt sich der
Lokalisation günstig an. Zu berücksichtigen ist besQnders die Wahl
der Röhre, deren Härte meistens zwischen weich und mittelweich
liegen muss. , . . .
Diskussion: Herr Stieda demonstriert einige Rontgen-
platten und Films, die Aufnahmen von Kiefer- und Zahnerkrankungen
widergeben. Dieselben sind in den letzten Jahren in der chirurgischen
Poliklinik angefertigt worden und betreffen Fälle von Zahnzysten,
retinierten Zähnen, überzähligen Zähnen, Wurzelerkrankungen u.
dergl. m. _
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Hermann Kos sei.
Schriftführer: Herr Carl Franke.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 13. Mai 1914
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer : Herr Stieda.
demonstriert einige
pathologisch-ana-
bedingt durch
Herr Kretschmer
tomische Präparate.
Zur Diskussion spricht Herr Beneke. _
Herr Goldstein: jacksonsche Epilepsie
Cysticercus _celluleOsae^abe stürzte 2 Jahre vor seiner Einlieferung in
die Klinik von der Treppe und war damals ca. 15 Minuten bewusstlos.
2 Tage später ein Anfall mit tonisch-klonischen Zuckungen in allen
Extremisten. Dann eine Pause von fast 2 Jahren Darauf traten
innerhalb von 14 Tagen 5 Anfälle auf, die mit Knebeln in der inken
Hand begannen und in Zuckungen des linken Armes und der linken
Hand übergingen. Objektiv fand sich beim Vorstrecken der Arme
ein Abknicken der linken Hand nach unten und zeitweise eine Astereo-
gnosie der linken Hand. Bei der von Prof. S c hm leden angeführ¬
ten Operation fand sich direkt unter der Pia, ein Zentimeter hinter der
Zentralfurche in der Höhe des Handzentrums ein haselnussgrosser, gut
ausschälbarer isolierter Zystizerkus. Glatter Wundverlauf. Bisher
(6 Monate nach der Operation) trat kein Anfall mehr auf, es sind über¬
haupt weder subjektive noch objektive Symptome mehr nachweisbar
Diskussion: Herr Schmieden gibt einige klinische Mit¬
teilungen über die chirurgische Behandlung des in der Hirnrinde in
der motorischen Region in diesem Falle aufgefundenen Zystizerkus
und schildert die Leichtigkeit eines solchen Eingriffs und seiner Nach¬
behandlung, wenn wie hier als Ursache der Epilepsie eine so klare
umschriebene Veränderung auffindbar ist. Da weitere Zystizerken in
dem freigelegten Gebiet nicht feststellbar waren, dürfte die Prognose
des Falles, der bisher ohne Rückfall verlief, eine günstige sein.
Herr Zahnarzt H i r s c h (a. G.) : Das Röntgenbild in der Zahnhed-
kunde. (Mit Lichtbildern.) ,. .
Das Röntgenbild, welches die Entwicklung der ganzen Medizin
beeinflussen konnte, ist dazu berufen, auch in der Zahnheilkunde eine
grosse Rolle zu spielen. Die vielen Einzelheiten, mit denen es der
Zahnarzt zu tun hat, können mit ihm sichtbar gemacht und zur An¬
schauung gebracht werden. Dieses ist für die Zahnheilkunde von
grosser Bedeutung, weil viele und wichtige Manipulationen im Inter¬
esse einer konservierenden Therapie in Gebieten vorgenommen wer¬
den müssen, die topographisch ungünstig lokalisiert und der unmittel¬
baren Betrachtung entzogen sind. ...... ,.
Der Bereich des Kiefers mit seinen Zahnen erscheint für die Rönt¬
genaufnahme geradezu prädestiniert. Der Knochen zeichnet seine
Struktur unverkennbar in das Bild hinein, die Zahne mit ihren für
Röntgenstrahlen weniger durchlässigen Geweben heben sich mit allen
ihren Teilen und Details vorteilhaft ab, fremde Bestandteile, wie sie
die Zahnbestrahlung erfordert, abgebrochene Instrumente, die ge¬
legentlich zurückgelassen werden, Substanzverluste, wie sie patho¬
logische Prozesse hervorrufen, das alles sind Dinge, die das Rontgen-
bild deutlich erkennen lässt. Deshalb spielt das Röntgenbild eine
grosse Rolle für Diagnostik und Therapie, zumal auch Erscheinungen,
die in das Gebiet der Anomalien gehören, wie Retention, Dislokation,
Ueberzahl und Unterzahl von Zähnen zu konstatieren sind. Das
Angeführte macht auch erklärlich die Verwendung des Rontgenbildes
Herr Neu: Zystoskopische Demonstration eines entlang dem'
rechten Ureter nach der Blase zu durchgebrochenen paranephritiseben
Abszesses bei einer 21 jährigen landwirtschaftlichen Arbeiterin.
' Nach der Anamnese bestand bei der Patientin vom zweiten
Schwangerschaftsmonate ab eine während der ganzen Gravidität an¬
dauernde rechtsseitige Pyelitis, gelegentlich heftige Sclnnerzattackeii
in der rechten Seite, Schüttelfröste. Uebliche interne Behandlung.
Am b. Wochenbettstage Abgang von stark eitrigem, stinkendem Urin.
8 Wochen später Aufnahme in die Universitäts-Frauenklinik. Be¬
fund: Aus beiden Ureteren klarer Urin. Rechts neben der rechten»
Uretermündung eine kraterartige Einziehung (Perforationsöffnung),,
aus der sich zäher Eiter, besonders bei Druck auf die vergrösserto
rechte Niere entleert. Rechter Ureter als deutlich verdickter Strang
zu tasten. Uterus retrovertiert-flektiert. Rechte Adnexe und Becken-j
Zellgewebe elastisch. Palpatorisch und röntgenologisch ist die rechte
Niere enorm vergrössert; das Pyelogramm ergab keine erkennbare
Nierenbeckenerweiterung. Die Diagnose einer auf einer früher
bestandenen Pyelitis in graviditate beruhenden Paranephritis abscen-
dens ist nach alledem gesichert. Die Patientin wird operiert werden;
von dem Befund bei der Operation wird die Ausdehnung des chirur¬
gischen Eingriffes abhängig zu machen sein. (Der Fall wird aus¬
führlich a. 0. publiziert werden.)
Herr Bettmann: Krankeildemonstration: Luetische Iniektioi
mit Primäraffekt an der Tonsille.
Herr Moro: Ueber den Einfluss der Molke auf das Darmepithel
Die Ueberlcgenheit der natürlichen Ernährung und die Minder¬
wertigkeit der Kuhmilchnahrung beim Säugling ist unter anderem au
die differente Wirkung beider Molken zurückzuführen, und zwar er¬
gaben Atmungsversuche am überlebenden Darmepithel verschiedene!
Tierarten, dass die am Oxydationseffekt gemessene Lebensenergie dei(
isolierten Darinzellen im Medium artentsprechender Molken wesent
lieh höhere Werte erreicht, als im Medium heterologer Molken. Diesel
Einfluss der Molken auf das Darmepithel beruht zum Teil auf spezifi¬
scher Salzwirkung vor allem aber auf der Wirkung gewisser, wahr
scheinlich mit Lipoidsubstanzen zu identifizierender Molkenstofie. Da:
Molkeneiweiss (homolog oder heterolog) übt auf die Oxydationsgrössi
in Darrnzellen keinen erkennbaren Einfluss aus, wohl aber auf die re
sorptive Funktion, wie in besonderen Versuchen (Freudenber;
und Schofmann) gezeigt werden konnte. Ueberlebender Käloer
darm nahm aus Frauenmolke wesentlich weniger Milchzucker am
als aus Kuhmolke. Als resorptionshemmendes Prinzip wurde da
heterologc Molkeneiweiss erkannt.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 6. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr Strohn.
Schriftführer: Herr Eugen H o p in a n n.
Herr Grimm zeigt einen 9 Monate alten Säugling mit Bar
I o w scher Krankheit und macht hiebei aufmerksam auf das in de
letzten Zeit in Köln gehäuftere Auftreten dieser Erkrankung. Vorn
hatte Gelegenheit, während der letzten 6 Monate 8 derartige Krank
heitsfälle bei Säuglingen zu beobachten, welche vor ihrer Erkran
kung eine nur kurze Zeit sterilisierte Milch neben teilweiser Beikos
von Gemüse erhalten hatten. _
Herr Grimm: Neuere Methoden der künstlichen Ernanrun
und Ernährungstherapie beim Säugling.
•5- August 19H. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1855
Grösstenteils auf Grund seiner an eigenen Nachprüfungen ge¬
wonnenen Erfahrungen berichtet Vortr. an der Hand typischer Kurven
iher die in letzter Zeit sowohl als Dauernahrung wie auch als Hcil-
lahrung bei ernährungsgestörten Säuglingen vorgeschlagenen Me-
hoden künstlicher Ernährung. Es kamen zur Besprechung die
riedenthalsche Milch, die molkenadaptierte Milch nach
Schloss, die von Niemann angegebene Methode der Möglich¬
st einer Fettanreicherung der Säuglingsnahrung in Form von melir-
ich gewaschener Butter, wodurch diese von den niederen Fett-
iuren befreit wird, die Eiweissrahmmilch nach Feer; ferner
inkel stein-Meyers Eiweissmilch und die als Ersatz hierfür
orgeschlagenen Herstellungsmcthoden nach Heim-John und nach
n g e 1, sowie die Quarkfettmilch nach Rietschel-Aschen-
e i m.
Von den im Handel befindlichen Ersatzpräparaten der Eiweiss-
lilch haben sich Vortr. das Larosan der Firma La Roche & Co
i Gienzach und das Tricalcol-Casei'n der Firma Dr. W. Wolff
Co. in Elberfeld an klinischen und poliklinischen Material als ein
ach in der Aussenpraxis wegen leichter Anwendungsweise und auch
illigeren Preises brauchbares Präparat bewährt.
Gynäkologische Gesellschaft München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 16. Juli 1914.
Herr Döderlein: Demonstration von Instrumenten,
1. Sonde und Dilatatoren mit einem kreisförmigen Schutzblatt
ir Verhütung zu tiefen Eindringens in den Uterus und dadurch Ver-
nderung der Perforation der Uteruswand.
2. Instrument zur Perforation und Verkleinerung des Schädels,
ssen Besonderheit neben seiner Länge darin liegt, dass die beiden
)ifcl zuerst angelegt werden und den Kopf fixieren und dann erst
is bohrerförmige Perforatorium eingeführt wird.
Diskussion: Frau Democh-Maurmeier und die
ei reu Amann, Ziegenspeck, Döderlein.
Herr Dürck: Demonstration histologischer Befunde an Karzi-
uneii nach Mesothoriumbestrahlung.
Es handelt sich um 2_von Klein behandelte Fälle und zwar
um ein Gesichtskarzinom, das durch Mesothorium geheilt wurde,
id 2. um einen kindskopfgrossen Tumor der Weichengegend, der
r ein Nebennierenkarzinom gehalten wurde. Mesothoriumauflage-
ng brachte die Geschwulst grösstenteils zum Schwinden, vor ein
■«Wochen Darmperforation; Exitus. Bei der Besprechung des
thologisch-anatomischen Verhaltens der beiden Fälle geht Dürck
von aus, dass sich betreffs der Einwirkung der Radiumtherapie
ei Anschauungen gegenüberstehen. Die erste sucht die Erklärung
einer Schädigung der Kerne und Zerstörung der Kernsubstanz,
" zweite in einer starken Anregung des Bindegewebswachstums,
•durch das Tumorgewebe umschniirt, in seiner Ernährung gestört
d zum Zerfall gebracht werde. Bei dem Gesichtskarzinom sieht
ui an einigen Stellen in der Tiefe das Wachstum der Neubildung
gestört vor sich gehen, an oberflächlicheren Stellen dagegen er-
nnt man ein ungemein zellreiches Granulationsgewebe, das die
irzinomzellen durch seine Wucherung auseinandergesprengt hat
J ausser Ernährung setzt, eine Nekrobiose der eigentlichen Tumor-
niente bewirkt.- Daneben sieht man eine ausgedehnte Zytophagie,
1 h. Eindringen zahlreicher Fresszellen zwischen die offenbar schon
schädigten Krebszellen.
Im 2. Falle handelte es sich um ein Gallertkarzinom des Blind-
rmes: an den mikroskopischen Bildern des von einer derben binde-
\v ebigen Kapsel umhüllten Karzinoms sieht man von der Kapsel
• släufer des Bindegewebes zwischen die Krebselemente sich vor-
, hieben und diese in ihrer Ernährung schädigen. An anderen
-llen ist das Bindegewebe ganz kernarm und weist Alveolen auf
n den zerstörten Tumorzellen. Vielfach sind Riesenzellen zu
uen, vielfach auch Wanderzellen, welche die Krebszellen durch-
v.zen
n,
Diskussion: die Herren Oberndorfer, D ö d e r I e
11 a n n, Hengge, D ü r c k.
Herr Döderlein: Venentinterbindung bei Thrombophlebitis
i -rperalis.
Vertragender bespricht zuerst die verschiedenen Fälle von
rombophlebitis puerperalis und berichtet über 3 Venenunter-
uungen ohne jeden Erfolg. Erst nach längerer Zeit entschloss er
' h, die Methode nochmals zu versuchen, und es gelang ihm, die
t. zu retten. Der erste Schüttelfrost trat in diesem Falle am
P.ost Part- atif, dann folgten bis zum 19. Tage noch 6 weitere
• nutteltröste, darauf Operation. Vortr. hielt sich nicht mit dem
rauspräparieren der Venen auf, sondern unterband beiderseits
I* Hig. infundibulo-pelvicum und ebenfalls beiderseits die Vena
Pegastrica. Jetzt — nach 38 Tagen — allmählicher Abfall der
mperatur, kein Schüttelfrost mehr.
D i s k u s s i o n : die Herren Dürck, Hengge, Klein, D ö -
r ‘ c * n- Gi. Wiener- München.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Neuer Standesverein Münchener Aerzte.
Sitzung vom 13. Juli 1914.
Nach Bekanntgabe des Einlaufes durch den Vorsitzenden Herrn
ergeat referierte Herr Hoeflmayr über den Hauptpunkt der
i agesordnung: „Aenderung des bayerischen Polizei-
Strafgesetzbuches“, dessen Entwurf dem Landtage zur Be-
ratung und Beschlussfassung von der Regierung zugegangen ist. Mit
Befriedigung nahm die Versammlung von der neuen Bestimmung
tvenntms, dass Vorführungen über Magnetismus, Suggestion, Hypnose
ohne Erlaubnis der Polizei nicht zugelassen werden sollen. Von
gtossem Interesse waren die die Irrenfürsorge betreffenden Aende-
rungen Nach den bisherigen Bestimmungen wurde, wie Referent
austunrte, nur derjenige mit einer kleinen Strafe bedroht, der einen
H SIC™ anvertrauten Geisteskranken, der für die öffentliche
oittlicnkeit oder sonst gemeingefährlich war, frei herumgehen Hess
und die Polizeibehörde des Heimatortes konnte einen solchen Kranken
in eine Anstalt einweisen. In der Novelle wird nun die Vernachlässigung
der Beaufsichtigung eines Geisteskranken überhaupt unter Strafe ge¬
stellt und das Strafmass wesentlich erhöht. Als zuständig für die
Einweisung des Kranken in eine Anstalt wird die Polizeibehörde des
Aufenthaltsortes bestimmt. Als Voraussetzung für die Einweisung
wird nicht mehr der Nachweis der Gemeingefährlichkeit gefordert
es genügt die Anstaltsbedürftigkeit. Den Antrag auf Einweisung
können nach dem Entwürfe nicht nur Angehörige und Verwandte des
Kranken sondern auch Vorgesetzte, Behörden, Körperschaften, auch
Aerzte stellen. Die Einweisungsmöglichkeit wird demnach sehr er¬
leichtert. Sowohl der Kreis derer, welche einer Anstalt zugeführt
werden können, ah auch jener, welchen der Antrag auf Einweisung
obliegt und damit auch die Verantwortung zufällt, ist wesentlich er¬
weitert. Der eingewiesene Kranke kann dann Beschwerde einlegen.
Zu deren Verbescheidung ist nur dann eine neuerliche ärztliche Unter¬
suchung notwendig, wenn die letzte 6 Monate zurückliegt. Die Ent¬
scheidung über die dauernde Verwahrung eines Kranken in einer
Anstalt wird dem Amtsgerichte übertragen. Für eine zu frühzeitige
Entlassung eines Kranken können alle Beteiligten verantwortlich ge-
macht werden, auch der Hausarzt kann betroffen werden. Endlich
sieht der Entwurf auch die zwangsweise ärztliche Ueberwachung
Geisteskranker ausserhalb der Anstalt vor. In der Kammer der
Reichsräte wurden diese Neuerungen nicht angenommen, aber nur
deswegen, weil man formell an der Unterbringung der Bestimmungen
über Irrenfürsorge im Polizeistrafgesetzbuche Anstoss nahm.
In der nun folgenden lebhaften Diskussion über den Gegenstand,
an der sich die Herren Ranke, Becker, Hoeflmayr, Grass¬
mann, B e r g e a t und N o d e r wiederholt beteiligten, wurden be¬
sonders folgende Punkte hervorgehoben: Die gesetzliche Regelung
der Irrenfürsorge, insbesondere der Aufnahme in Anstalten und Ent¬
lassung aus denselben — bisher konnten die Angehörigen jederzeit
einen Kranken aus der Anstalt entfernen — , dann der Ueberwachung
ausserhalb der Anstalt ist sehr zu begrüssen. Da für das Zustande¬
kommen eines eigenen Irrengesetzes zurzeit wenig Aussicht besteht,
können die Bestimmungen sehr wohl einstweilen im Polizeistraf¬
gesetzbuch wie bisher untergebracht werden. Etwas ganz Neues ist
es, dass die ordentlichen Gerichte über rein ärztliche Begriffe ent¬
scheiden sollen. _ Ihnen wird damit eine ganz bedeutende Arbeitslast
aufgebürdet. Die Anstalten für Geisteskranke haben mit einer er¬
heblichen Vermehrung der Krankenzufuhr zu rechnen, deren Be¬
wältigung Schwierigkeiten machen wird. Die Verantwortlichkeit der
Sanatoriumsbesitzer wird bei Aufnahme psychisch Kranker bedeutend
erhöht. Sehr schwierig wird sich aber nach aller Voraussicht auch
der Standpunkt des praktischen Arztes gestalten. Ihm wird vom
Publikum die Entscheidung, ob ein Kranker anstaltsbedürftig ist oder
nicht, und damit auch die Verantwortung zugeschoben. Die Ent¬
scheidung ist aber für ihn oft recht schwierig; er sieht den Kranken
nur hie und da, vielleicht zum ersten Male, wird von den Angehörigen
des Kranken bei deren bekannten Abneigung gegen Anstaltsbehand-
lung häung absichtlich ungenau informiert und eine Entscheidung für
Anstaltsbegürftigkeit wird ihm oft recht übel genommen. Gleich¬
wohl wird die Haftung für alle Folgen ihm aufgeladen; ausserdem
aber noch gar mancher Patient seiner Behandlung entzogen. Jeden¬
falls können die Aerzte die ihnen darin auferlegte weitgehende Ver¬
antwortlichkeit und Haftung nicht auf sich nehmen.
Einem Anträge Hoeflmayr-Bergeat entsprechend be¬
schloss die Versammlung einstimmig: Es sollen nach vor¬
heriger näherer Information eventuell ent¬
sprechende Schritte bei der Kgl. Staatsregierung
und den Parlamenten unternommen werden, damit
die weitgehende Haftung des praktischen Arztes
aus dem Gesetze vor dem Zustandekommen des¬
selben beseitigt werde.
Im Anschlüsse hieran berichtete Herr Becker*) darüber, dass
in Bayern zur Eindämmung der Kurpfuscherei noch gar nichts ge¬
schehen sei, während in den meisten anderen Bundesstaaten durch
Einführung der Anmeldepflicht für die Kurpfuscher und deren Ueber¬
wachung die Schäden der Kurpfuscherei gemildert worden seien und
*) Das Referat findet sich abgedruckt auf S. 1846 der M.m.W.
1856
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
dass daher schon mancher Kurpiuschcr, dem der Boden anderwärts
zu heiss geworden war, sich nach Bayern gewandt habe. Sein Vor-
schlag, an den massgebenden Stellen vorstellig zu
werden, dass anlässlich der Aenderung des Polizei¬
strafgesetzbuches auch in Bayern Vorschritten
über die Kurpfuscherei erlassen werden mit Hin¬
weis auf die anderen Bundesstaaten, fand einstimmige ^
Annahme. ... „ ...
Es folgte noch die kurze Besprechung eines vorläufigen Pro-
grammes für die Begehung des 10 jährigen Stiftungsfestes des Neuen
Standesvereines.
Mit der Aufnahme eines Mitgliedes schloss die Sitzung um
11 y4 yilr. Dr. K. Qoertz.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Die Behandlung der Leukämie mit Benzol, die zu¬
erst K 0 r a n y i für solche Fälle empfohlen hat, bei welchen Röntgen¬
strahlen unwirksam bleiben, bespricht L i b e r 0 w - Tomsk an der
Hand eines ausserordentlich schweren Falles von myelogener Leu¬
kämie. Bei der Patientin betrug vor der Behandlung die Zahl der
weissen Blutkörperchen über 300 000, nach einer 2 Monate langen
Behandlung mit täglicher Verabreichung von 1,5— 2,0 g Benzol nur
noch 18 000. ,
Liberow warnt davor, das Benzol in grösseren Dosen als 2,0
bis 3,0 g zu geben und rät dringend, das Blut und den Harn des
Patienten ständig zu kontrollieren, um eine für das Leben des Pa¬
tienten bedrohlich werdende Aplasie der blutbildenden Organe zu
verhüten. Von einer Heilung der Leukämie kann auch bei dem Ben¬
zol nicht die Rede sein, da trotz der fast normalen Anzahl der
weissen Blutkörperchen die leukämische Zusammensetzung des Blu¬
tes bestehen bleibt. (Ther. Mh. 1914 H. 5 ) Kr.
Zwei therapeutische Vorschläge für die gy¬
näkologische Praxis macht E. Landsberg - Halle.
Erstens empfiehlt er die subkutane Einspritzung einer 1 p r 0 z. Lö¬
sung von Calcium lacticum bei Entzündungsprozessen der
weiblichen Genitalien: wie Adnextumoren, Parametritis und akuter
Adnexitis. Die Injektion von 2—3 ccm der Lösung geschah in mög¬
lichster Nähe der entzündeten Stellen.
Sein zweiter therapeutischer Vorschlag betrifft die Bekämp¬
fung zu starker Uterus Blutungen, besonders in der
Pubertät, durch Extrakte aus Corpora lutea vera. Diese
Extrakte sind von der Firma Hoffman n-La Roche her¬
gestellt worden und unter dem Namen Veroglandol erhältlich. 7 von
L. wegen Pubertätsblutungen mit Veroglandol behandelte Fälle
wiesen einen vollen Erfolg auf; bereits nach 6 — 8 Einspritzungen von
je 1 ccm Veroglandol stand die Blutung vollkommen. (Ther. Mh.
1914 H. 5.) Kr.
_ Wir werden ersucht, darauf hinzuweisen, dass die Apollinaris
Co Limited in London, die in Neuenahr a. Rh. den Versand des be¬
kannten Apollinarisbrunnens betreibt, eine rein engli¬
sche Gesellschaft ist. Es wäre wohl an der Zeit, den Ver¬
brauch dieses Wassers in Deutschland einzustellen. Von der gleichen
englischen Gesellschaft wird das Apcnta-Bitterw asser ver¬
_ Pest. Britisch Ostindien. Vom 28. Juni bis 4. Juli er¬
krankten 542 und starben 474 Personen. — Niederländisch Indien.
Vom 1 14. Juli wurden 470 Erkrankungen (und 479 Todesfälle) ge¬
meldet. Für die Zeit vom 17.— 30. Juni sind nachträglich aus dem
Bezirke Malang noch 19 und aus Magetan 2 Todesfälle mitgeteilt
worden - Hongkong. Vom 21. Juni bis 4. Juli 57 Erkrankungen
(davon 26 in der Stadt Viktoria) und 49 Todesfälle. — Vereinigte
Staaten von Amerika. In New Orleans sind vom 29. Juni bis 17. Jul:
3 neue Pestfälle gemeldet worden.
In der 30. Jahreswoche, vom 26. Juli bis 1. August 1914,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Tilsit mit 36,1, die geringste Altenburg mit 2,5 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Preisaufgaben. Die Medizinische Fakultät stellt für!
den Königlichen Preis eine Arbeit über die diagnostische und thera¬
peutische Bedeutung des Kokkobazillus Ozaenae foetidus (P e r e z) zur
Aufgabe, sowie aus dem Vorjahr das Thema: Möglichst zahlreiche
Fälle von allgemeiner und lokalisierter (Meningitis!), tödlicher Miliar-
tuberkulöse sollen auf Art, Ort usw. älterer tuberkulöser Herde unter- j
sucht und besonders in Rücksicht auf die Frage einer erworbenen
Tuberkuloseimmunität erörtert werden. Die Aufgabe für den städti¬
schen Preis lautet: Die pharmakologischen Wirkungen des Benzols,
sind namentlich in bezug auf Atmung und Blutdruck zu untersuchen.
B e r n. A11 Stelle des verstorbenen Professors H. Kroneckerj
wurde der a. o. Professor Dr. med. Leon Asher zum ordentlichen
Professor der Physiologie ernannt, (hk.)
G r a z. Dr. med. Rupert Franz habilitierte sich als Privat- 1
dozent für Geburtshilfe und Gynäkologie, (hk.)
Innsbruck. Dem a. 0. Professor der Zahnheilkunde Dr. Bern¬
hard Mayrhofer wurde der Titel und Charakter eines ordentlichen
Universitätsprofessors verliehen.
P r a g. Der mit dem Titel eines a. 0. Universitätsprofessors be¬
kleidete Privatdozent Dr. Rudolf Fischl wurde zum a. 0. Professor
für Kinderheilkunde, der Titularprofessor Dr. Rudolf Winternitz
zum a. 0. Professor für Dermatologie und Syphilis, beide an der
deutschen Universität, ernannt. I
W i e n. Als Privatdozenten wurden zugelassen: Dr. med. Rudoli
Müller für Dermatologie und Syphilidologie und Dr. Oskar
Frankl für Geburtshilfe und Gynäkologie, (hk.)
Zürich. Dem Privatdozenten für Chirurgie, Sekundararzt der
chirurgischen Klinik der Universität Zürich Dr. Karl Henschen
wurde der Professortitel verliehen, (hk.)
(Todesfall.)
Der hervorragende Freiburger Gynäkologe Wirkl. Geheimer Rat
Alfred He gar ist 85 Jahre alt gestorben. Ein Nekrolog wird folgen.:
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 22. August 1914. ^
— Das Präsidium des Deutschen Zentralkomitees zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose erlässt einen Aufruf an alle
diejenigen Stellen, die sich bis jetzt mit der Tuberkulosebekämpfung
beschäftigt haben, diese Tätigkeit auch während des Krieges fort¬
zusetzen. Selbstverständlich erfordert die augenblickliche Not des
Vaterlandes, dass alle verfügbaren Kräfte und Mittel zuerst dafür ein¬
gesetzt werden, um den Sieg zu erringen. Dadurch werden eine
grosse Anzahl derjenigen Personen, die sich in Friedenszeiten der
Tuberkulosebekämpfung widmeten, dieser Tätigkeit entzogen. Schon
haben zahlreiche Lungenheilstätten geschlossen werden müssen und
viele Auskunfts- und Fürsorgestellen für Lungenkranke ihre vor¬
beugende Tätigkeit eingestellt. Damit erhebt sich die Gefahr, dass
der Kampf gegen die Tuberkulose, den gefährlichsten Feind des
Volkes, erlahmen könnte. Die Tuberkulosefürsorge darf aber keine
Unterbrechung erfahren; wer immer, sei es beruflich, sei es ehrenamt¬
lich, in der Fürsorge für die Tuberkulösen tätig gewesen ist, möge
auf seinem Posten verharren, und mögen sich, wo Lücken in den
Reihen der Tuberkulosekämpfer entstanden sind, recht bald freiwillige
Helfer und Helferinnen finden, die bereit sind, an diesem edlen Werke
für die Volksgesundheit mitzuarbeiten.
— Die zahlreichen Kongresse, die im Laufe der nächsten Mo¬
nate hätten stattfinden sollen, müssen infolge des Krieges selbstver¬
ständlich ausfallen. So wird die Naturforscherversammlung in Han¬
nover abgesagt, der III. internationale Kongress für Gewerbekrank¬
heiten in Wien, die Versammlung deutscher Nervenärzte in Bern; die
anderen werden wohl oder übel folgen müssen. Das Erscheinen
unseres „Kongresskalenders“ haben wir mit Kriegsbeginn eingestellt.
Inter arma silent musae.
— Der für Oktober in Aussicht genommene Fortbildungs¬
kurs für bayerische Bezirksärzte findet nicht statt.
— Reisebeihilfen für bayerische Aerzte (s. d. W. Nr. 28,
S. 1600) werden bis auf weiteres nicht gewährt.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 31. Jahreswoche vom 2. bis 8. August 1914.
Bevölkerungszahl 640 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 14 (5 l), Altersschw. (über 60 Jahre) 4 (6), Kindbettfieber — (1).
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft — (— ), Scharlach — (— )■
Masern u. Röteln — (1), Diphtherie u. Krupp — (— ), Keuchhusten 1 (3'
Typhus (ausschl. Paratvphus) — (— ), akut. Gelenkrheumatismus - (1'
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) — (1), Starrkrampf - (-)
Blutvergiftung — (1), Tuberkul. der Lungen 24 (15), Tuberkul. and. Org,
(auch Skrofulöse) 2 (8), akute allgem. Miliartuberkulose — (1), Lungen-
entziind., kruppöse wie katarrh. usw. 8 (3), Influenza — (— ), veneri¬
sche Krankh. 1 (1), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfieber
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel
fieber usw. — ( — ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) 3 (3), Alkohohs-
rnus — (— ), Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. — (1), sonst. Krankh
d. Atmungsorgane 1 (2), organ. Herzleiden 9 (11), Herzschlag, Herz
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 3 (2), Arterienverkalkung
3 (5), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 2 (4), Gehirnschlag 4 (12)
Geisteskrankh. 1 (3), Krämpfe d. Kinder 1 (3), sonst. Krankh. d.Nerven
Systems 5 (4), Atrophie der Kinder 4 (4), Brechdurchfall 2 ( — ), Magen
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 12 (15), Blinddarm
entzünd. 3 (1), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u
Milz 2 (l), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 2 (4), Nierenentzünd. 5 (8!
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 3 (2), Krebs 14 (16). sonst
Neubildungen 4 (4), Krankh. der äuss. Bedeckungen 3 ( — ), Krankh. de
Bewegungsorgane — ( — ), Selbstmord 7 (5), Mord, Totschlag, auo
Hinricht. — (—), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen H T
andere benannte Todesursachen — (8), Todesursache nicht (genau
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) 1 (— )•
Gesamtzahl der Sterbefälle: 159 (168).
') Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche
!edaktion: Dr. B. Spatz,
tünchen, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr.26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 34. 25. August 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 3.
Seekriegschirurgie und kriegschirurgische Dogmen.
Von Marineoberstabsarzt Dr. M. zur Verth in Kiel.
Nirgends sind zur Verwundetenversorgung feste Leitsätze
js Handelns so erforderlich, als unter den ungünstigen Um-
änden des Seekrieges *). Die geringe Erfahrung, die bis
ihin auf dem Gebiete der Seekriegschirurgie vorliegt — ver-
ertbar sind ausser den Lehren gelegentlicher Friedensunfälle
mptsächlich die zum Teil recht spärlich fliessenden Quellen
?er den spanisch-amerikanischen, chinesisch-japanischen und
issisch-japanischen Krieg — sind die Veranlassung, die fest-
ehenden und gesicherten Lehren der Kriegschirurgie zur Auf-
ellung dieser Leitsätze in weitestem Masse heranzuziehen,
ie durchaus anderen Verhältnisse, unter denen sich der See-
ieg vollzieht — ich darf sie hier als bekannt voraussetzen —
■ben indes für die Verwundetenversorgung und ihre Vor-
reitung im Seekrieg gewisse grundlegende Unterschiede
‘gen den Krieg zu Land, deren klare Erkennung zur Auf-
Hlung von Leitsätzen für den Seekrieg notwendig ist. Soweit
e Unterschiede für die Tätigkeit des Marinesanitätsoffiziers
esentlich sind, sollen sie in folgendem untersucht werden.
Ich vermeide es, die letzteren Folgerungen im einzelnen
ziehen und begnüge mich damit, die grundlegenden Ver-
hiedenheiten in grossen Zügen zu erörtern. Sie ziehen sich
rch das ganze Gebiet des Gefechtssanitätsdienstes, be¬
inend mit der Möglichkeit weitausholender
riedensvorsorge zur Besserung des Ver-
tzung sausganges, sie äussern sich besonders in der
rt, weniger in der Zahl der Verletzungen, end-
h auch im Transport der Verletzten und in der
ersorgung ihrer Wunden.
Der Gedanke vor einem Gefecht, in dem ja die Verletzung
1 1er Anzahl von Mitkämpfern zu erwarten ist, diese Teil-
ihmer durch natürliche und künstliche Vorbereitung zum
i (glichst glatten Ueberstehen der Verletzung geeignet zu
liehen, liegt viel zu nahe, als dass er nicht auch für die Land-
Tiee erörtert und versucht wurde. Für die Landarmee wird
; von A. Köhler-1) als indiskutierbar kurz abgelehnt. Ob
•se scharfe Ablehnung so ganz berechtigt ist, scheint etwas
eifelhaft. Soll es doch den Japanern auf dem fraglos für
gienische Massnahmen nicht gerade günstigen Kriegsschau-
tz Ostasiens gelungen sein, hin und wieder die Körper ihrer
Idaten frisch gewaschen und mit frischen Kleidern versehen
Gefecht zu schicken. Im allgemeinen wird man freilich
i h 1 e r recht geben müssen, dass zur Vornahme praktischer
T*e ne im Felde bei der Armee die Zeit, die Mittel und das
• ^führende Personal mangeln, dass also für die Armee diesen
stiebungen viel praktischer Wert nicht zukommt.
) Näheres darüber siehe zur Verth: Grundzüge der
'gemeinen Seekriegschirurgie. M.m.W. 1912 Nr. 47
austührlicher „Handbuch der Gesundheitspflege an Bord von
egsschiffen“. Kap. IX. zur Verth: Kriegssanitäts-
>:s®n aiJ Bord. (Allgemeine Seekriegschirurgie.)
das „H a n d b u c h der Gesundheitspflege an Bord
\ H Kriegsschiffen“ sei jeder Marinearzt besonders hin-
. vicsen . Dank den aufopfernden Bemühungen der Verlagsbuch-
diung (Gustav Fischer, Jena) wird das Buch bei Erscheinen dieser
len voraussichtlich fertig vorliegen.
, , " ° ^ * e r: teuere Vorschläge für die Kriegschirurgie.
M Tic oien Verein>sung der Chirurgen Berlins, 1907. Jahrg. XX,
" * **» O. 80.
Anders bei der Marine: Zwar fällt an Bord von Kriegs¬
schiffen das Biwak- und Lagerleben, das Eingraben und
Decken hinter Erdwällen fort mit der nahen und andauernden
Berührung des Körpers mit dem Erdboden, doch ist, wenn man
vom Tetanus absieht, der in der Berührung mit dem Erdboden
erworbene Schmutz nicht der gefährlichste für die Wunden.
Viel weittragender ist die Bedeutung der von Mensch zu
Mensch bei engem Zusammenleben übertragenen Verunreini¬
gungen, zumal die Verletzung des Seekrieges der Eiterung
leichter zugänglich ist, als die Durchschnittsverletzung des
Landkrieges. Ich werde nachher nachzuweisen haben, dass
der Seekriegsverletzung als charakteristische Eigenschaften
Quetschung, Zerreissung und Zermalmung eigen sind und dass
diese Verletzungen deswegen zum allergrössten Teil der Eite¬
rung anheimfallen. Das hygienische Bestreben, dieser Eiterung-
schön vor der Verletzung entgegenzuwirken, muss also gerade
im Seekrieg besonders betont werden 3).
Die Bekämpfung der Eiterung wendet sich zunächst gegen
die Ursache aller Eiterungen, gegen die Eiterkeime. Dann
auch greift sie beim Menschen an, dessen natürliche Wider¬
standsfähigkeit gegen Eiterkeime sie zu heben sucht.
Der Kampf gegen die Eiterkeime beginnt beim Bau des
Schiffes. Zwar schliesst der eigentliche Zweck des Kriegs¬
schiffes und der harte Kampf um den Raum an Bord eine allzu
grosse Berücksichtigung hygienischer Forderungen aus; doch
besteht fraglos die Gefahr, dass durch rein militärische Rück¬
sichten die Bedürfnisse der Hygiene zu kurz kommen. Inner¬
halb des Erreichbaren ist eine gewisse Weite des Raumes und
Höhe des Decks mit möglichst viel Licht und Luft erstrebens¬
wert. Die Reinigungsfähigkeit ist überall zu berücksichtigen.
Jede Fugung ist wasserdicht herzustellen. Ornamente sind
überflüssig, schroffe Winkel sind möglichst durch Rundungen
zu ersetzen. Metallgitterwerk ist bei Treppenstufen zu ver¬
meiden. Linoleum und Terrazzo oder Fliesen sind dem Holz
als Decksbelag unter Deck überall vorzuziehen. Gemein¬
samem Gebrauch dienende Mannschaftstische und -bänke sind
aus Metall, nicht aus Holz herzustellen. Das Schiff ist so ein¬
zurichten, dass jede Ecke, jeder Winkel ohne wesentliche
Schwierigkeiten reinigungsfähig und auf seine Reinlichkeit
leicht zu mustern ist.
Durch die eng gedrängte Besatzung ist das Schiff während
der Indiensthaltung starker Verschmutzung im chirurgischen
Sinne ausgesetzt. Zwar ist die weniger gefährliche Quelle
dieser Verschmutzung, die Verstaubung an Bord in Anbetracht
der Staubarmut der Seeluft gering, Asche und Kohlengrus, die
den Staub an Bord ersetzen, können sogar als aseptisch an¬
gesehen werden, indes fliesst um so reichlicher eine andere
Quelle, die unmittelbare Verschmutzung der Decks und Wände
des Schiffes durch eitrige Absonderungen von seiten der Mann¬
schaft. Die Raumverhältnisse an Bord, die Gänge, Lasten,
Vorratsräume und Kammern sind so eng, die Besatzungszahl
ist im Verhältnis zum Raumgehalt so gross, dass dauernde Be¬
rührung von Wänden und Deck mit der Besatzung und da¬
durch mit Keimträgern nicht zu vermeiden ist. Von vorn¬
herein muss also ein gewisser Keinireichtum des Schiffes als
wahrscheinlich angenommen werden.
3) Ausführlicheres darüber s. zur Verth: Hygiene der See¬
kriegsverletzungen. Massnahmen zur Besserung des Ausganges von
Seekriegsverletzungen. Marine-Rundschau, 1913, B. 24, H. 4.
Ni 34.
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochcnscliriit.
1858
Indes treffen an Bord viele Bedingungen zusammen, die
Virulenz der Keime abzuschwächen und das Absterben der
Keime zu beschleunigen, vor allem sind es die Sonne, das in
See recht intensive diffuse Iageslicht, der ergiebige Luftzug
und Luftwechsel, endlich grössere und häufigere I emperatur-
und Feuchtigkeitsschwankungen. Die Keimzahl wird weiter
vermindert durch die ziemlich ausgiebige natürliche, dem
Stahl und den anderen an Bord verwendeten Metallen, zu¬
kommende Eigenschaft der Keimvernichtung. Weniger er¬
giebig ist diese Eigenschaft beim Holz; aber gerade das beim
Schiffbau viel verwendete Eichenholz zeigt neben dem
Akazienholz unter den Hölzern die stärksten keimtötenden
Eigenschaften.
Darüber hinaus wohnt den leinölhaltigen Anstrichfarben,
mit denen an Bord die Baumetalle bedeckt werden, eine leb¬
hafte, allerdings mit der Zeit nachlassende, keimtötende Kraft
inne. Von schätzbarem Wert sind auch die physikalischen
Eigenschaften guter Leinölfarben. Qleichmässige Glätte, die
Keime nicht in Schrunden und Vertiefungen eindringen lässt,
Widerstandsfähigkeit gegen fettlösende Substanzen, gegen
Schmierseifenlösung, Sodalösung, Desinfektionsmittel, Abreiben
und Äbbiirsten, ohne dass die Glätte wesentlich leidet, endlich
Mangel an Aufnahmefähigkeit für Feuchtigkeit und Spritzer,
sind zur Keimvernichtung und Keimarmut durchaus dienstliche
Eigenschaften, die den Leinölfarben in hohem Masse eigen sind.
Noch nachhaltiger ist die selbsttätige Desinfektionswirkung
des Linoleums, das unter Deck als Deckbelag im grossen
Massstabe verwendet wird. Das Linoleum hat den besonderen
Vorzug, dass diese keimtötende Eigenschaft anscheinend auch
nach Jahren nicht nachlässt.
Dieser Selbstdesinfektion, die uns gewissermassen als Ge¬
schenk zuteil wird, muss die Arbeit der Besatzung zur Keim¬
vernichtung zu Hilfe kommen. Die tägliche und besonders die
wöchentliche allgemeine Schiffsreinigung sind hygienisch un-
gemein wertvoll. Wenn auch von der Seifen- und Sodalösung,
wie sie an Bord angewendet werden, eine unmittelbare Des¬
infektionswirkung nicht zu erwarten ist, so findet durch die
ungeheuren Wassermengen, deren Verwendung die Bauart des
Schiffes und die Pumpeinrichtung an Bord gestattet, eine Ver¬
dünnung und Fortschwemmung von Erregern statt, die der
Desinfektion zum mindesten gleichzusetzen ist. Riegel4)
kennzeichnet die Art der Reinigung an Bord treffend mit den
Worten „Die Wassermassen, die bei .Reinschiff die Decks
eines Kriegschiffes überfluten, würden jedes Wohnhaus ge¬
wöhnlicher Bauart mit dem Einsturz bedrohen. Die Ver¬
wendung von Seewasser ist dabei eher erwünscht als bedenk¬
lich, da im Seewasser nur in seltenen Ausnahmefällen krank¬
heitserregende Keime zu erwarten sind.
Natürlich ist das ganze Schiff, der Kampfplatz des See¬
krieges, den reinigenden Verfahren zu unterziehen. Mit be¬
sonderer Sorgfalt sind sie aber in den Räumen zu verwenden,
die der Versorgung und Lagerung der Seekriegsverlctzten
dienen. *
Dass auch die Kriegszeit geeignet ist, die Sorge um die
Reinhaltung des Schiffes im unmittelbaren Interesse der
Hygiene der Seekriegsverletzungen nur noch zu steigern, da¬
rauf ist von ärztlicher Seite unter Begründung dieses Rat¬
schlages besonders hinzuweisen.
Von dieser Sorge um die Keimbeseitigung aus dem Schiff,
die ja mehr dem Seeoffizier obliegt, ist die Ausschaltung
der Keimquellen in erster Linie Pflicht des Arztes.
Schon oben wurde angedeutet, dass als Keimquelle an Bord
in erster Linie der Mensch in Betracht kommt. Mit den an
Bord häufigen geringen Eiterungen an Händen und Füssen
wetteifern akute und chronische Katarrhe der Schleimhäute
und chronische Mittelohrleiden als Keimlieferanten. Zur
schnellen Entdeckung und Ausschaltung dieser Keimquellen
sind Belehrungen und Musterungen der Mannschaft und ziel¬
bewusste Behandlung, nötigenfalls Ausschiffung, die besten
Mittel.
Zwar ist die menschliche Haut im allgemeinen ein unge¬
eigneter Nährboden für Eitererreger. Doch wäre es eine nicht
’) Kap. 4 des „Handbuch der Gesundheitspflege an Bord von
Kriegsschiffen“.
zu rechtfertigende Unterlassung, die an Bord so leicht zu¬
gänglichen Mittel zur Reinigung der Haut nicht zu benutzen.
Brauseräume stehen ausreichend zur Verfügung. Im Frieden
spricht gegen eine ausgiebige Benutzung der hohe Preis des
Frischwassers. Im Kriege müssen in Ansehung eines mög¬
lichen Nutzens derartige Rücksichten schweigen. Auch bei der
Körperreinigung spielt die Fortschwemmung der Keime eine
grössere Rolle als die Desinfektionskraft der Seifen. Aus rein
hygienischen Gründen ist daher zum Abbrausen des Körpers
das Frischwasser dem Seewasser nur insofern überlegen, als
es durch Anwendung von Seifen eine bessere Lösung der
fetthaltigen Schmutzschichten gestattet.
Viel wesentlicher als die Körperreinigung ist die Reini¬
gung der Wäsche, an der Eitererreger sich wochenlang
lebend und infektionsfähig erhalten können. Nach Riegel
hat das Waschverfahren, das auf unseren Kriegsschiffen geübt
wird, den gesundheitlichen Nachteil, dass Bakterien dadurch
nicht abgetötet werden. Höchstens eine Verdünnung der Bak¬
terien wird erreicht, die jedoch bei der verhältnismässig ge¬
ringen Wassermenge, die zum Waschen gewährt wird, und
infolge des Umstandes, dass mehrere Leute ihr Zeug gleich¬
zeitig in einer Balje waschen, zugleich die Gefahr einer Ver¬
schleppung und Verbreitung von Krankheitskeimen in sich
schliesst. Eine wesentliche Besserung würde erreicht durch
Anlage von Zentralwaschvorrichtungen, die das Abkochen der
Wäsche gestatten. Doch ist die Einführung dieses Verfahrens |
bis jetzt an der stärkeren Beanspruchung der Wäsche durch
das Kochen gescheitert. Indes ist die Entkeimung der Wäsche
so bedeutungsvoll, dass, falls keine gemeinsame Auskochung
eingeführt wird, der Einbau eines ortsfesten Dampfdesinfek¬
tionsapparates überlegt werden sollte.
Dieser Apparat würde zugleich der grossen Schwierigkeit
überheben, die der Entkeimung der Überkleider anhand.
Die Mannschaft besitzt zwar waschbare Oberkleider, das sog.
Arbeitszeug, indes hat sich in den beiden japanischen See¬
kriegen gezeigt, dass dieses Zeug viel eher Feuer fing, als das
blaue Wollzeug. Auf die Häufigkeit und Gefährlichkeit der
Verbrennung aber haben erneut die Erfahrungen in dci1
wenigen Seekämpfen des letzten Balkankrieges hmgewiesen.l
Nun lässt sich das blaue Wollzeug zwar nicht waschen, doch
ist es leicht der Dampfdesinfektion zu unterwerfen. In der
keimfreien Herrichtung des Anzuges würde also der ortsfeste
grosse Dampfdesinfektionsapparat einen wesentlichen Fort¬
schritt bedeuten.
Die technische Möglichkeit der Vornahme hygienisch pro¬
phylaktischer Massnahmen lenkt auch die Aufmerksamkeit auf
das vielversprechende Gebiet der künstlichen Steige¬
rungvorhandener Abwehrkräfte des Organis-
m us gegen Eitererreger. Die Versuche der Miku¬
licz sehen Schule haben ergeben, dass durch Einspritzung
von Nukleinsäure in die Bauchhöhle eine beträchtliche Steige¬
rung der Leukozytenzahl bis auf das 8 fache der normalen
und eine Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des Bauchfells
gegen Eitererreger auf das 16 — 20 fache zu erreichen ist. Indes
wirken, per os verabreicht, weder die Nukleinsäure, noch
nukleinsäurehaltige Nahrungsmittel. Wenn auch aus diesen
Ergebnissen ein unmittelbarer Nutzen noch nicht zu ziehen
ist, so ist es doch empfehlenswert, ihre Fortschritte im Auge
zu behalten und sich der Verfahren zur künstlichen Hebung
der Widerstandsfähigkeit des Körpers, sei es gegen Eiter¬
erreger, sei es zur Ueberwindung von Strapazen oder auch
von Verletzungen, zu bedienen, sobald die Bedingungen dieser
Verfahren in allgemein anwendbare Form gebracht sind.
Vielleicht sind wir eher in der Lage durch die Ernährung
die Gerinnungsfähigkeit des Blutes zu stei-
g e r n. Es kann das bei der Eigenart der Seekriegsver-
letzungen hin und wieder von Nutzen sein. Für kochsalzreicht
Diät ist die blutgerinnungsbefördernde Wirkung anerkannt; in¬
des ist sie wegen der mit ihr stets verbundenen Durststeige¬
rung vor dem Seegefecht kaum anzuraten. Besonders in der
amerikanischen und englischen Medizin wird indes die ge¬
rinnungsbefördernde Wirkung der Kaliumsalze vielfach ge¬
rühmt. Irgendwelche Schädlichkeiten sind mit dem Genuss
dieser Mittel nicht verbunden. Es spricht also nichts dagegen,
sie als Zusatz von Speisen oder Getränken (z. B. als Calcium
Feldärztlichc Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
1859
5. August 1914.
hloratum zum Selterswasser) der Mannschaft in grösseren
lengen einzuverleiben.
Die günstige Prognose des Bauchschusses im Kriege im
egensatz zur Friedensverletzung wird durch die geringe Fül-
ng des Darmschlauches erklärt. Wer einmal gesehen hat,
ie sich die Schusslöcher bei leerem Darm Zusammenlegen,
tme dass Inhalt austritt, wie bei gefüllten Darmschlingen da¬
egen beim Anheben des Darmes zwecks Nahtversorgung aus
der Schussöffnung wie aus einem Springbrunnen der Darm¬
halt herausquillt — ein Bauchverletzter, den zu versorgen ich
elegenheit hatte, hatte 16 Glas Bier vor der Erwerbung
,‘iner Schussverletzung getrunken — der wird diese Deutung
irchaus bestätigen. Es liegt also in der Möglichkeit reich¬
er Nahrungsversorgung der Kriegsschiffsmannschaft im
riege fraglos ein Nachteil. Dieser Nachteil lässt sich aber
jrch weise Mässigung, die häufige aber nur geringe Mahl-
iiten gestattet, zum Vorteil wenden, indem die auch im Ge-
cht nicht unterbrochene Nahrungszufuhr die Spannkraft und
dderstandsfähigkeit des Körpers aufrecht erhält.
Auch die Fernhaltung schädlicher Nahrungsmittel, so
.•sonders des Alkohols, ist an Bord leichter als am Lande,
o die Verhütung der Verwertung von zufällig gefundenen
arräten auf Schwierigkeiten stösst. (Schluss folgt.)
Kriegshygiene.
3ii Ministerialrat Prof. Dr. A. D i e u d o n n e, Generaloberarzt
ä la suite des Sanitätskorps.
In den meisten Kriegen waren die Verluste durch Krank-
iten weit höher als die durch Waffen; so stellte sich das
erhältnis der Gefallenen und der an Verwundung Gestor-
nen zu den an Krankheiten erlegenen Soldaten im Krimkrieg
1 den Engländern wie 1,7: 6,4, bei den Franzosen wie 2,2: 7,2.
den napoleonischen Feldzügen von 1793 bis 1815 starben
\ Millionen, in den Kriegen von 1815 bis 1865 2% Millionen
ieger. Von diesen rund 8 Millionen Menschen erlagen
2 Millionen den Kriegsverletzungen, dagegen 6lA Millionen
n Krankheiten. In den neueren Kriegen hat sich das Ver-
ltnis etwas gebessert, im Kriege 1870/71 betrug die Zahl der
.‘fallenen und der ihren Wunden später Erlegenen 28 300
4,4 Proz., der an Krankheiten Gestorbenen 14 900
1,8 Proz. In Südwestafrika fielen 652 Mann = 4,42 Proz.
d starben an Krankheiten 638 — 4,39 Proz. Im russisch-
)anischen Kriege betrugen die Verluste durch Waffen bei
n Russen 34 000 = 5,8, bei den Japanern 58 900 = 1 1,0 Proz.,
i durch Krankheiten bei den Russen 9300 = 1,3 Proz., bei
n Japanern 27 200 = 4,2 Proz. Das Verhältnis der Todes¬
te durch Verwundungen zu den Todesfällen durch Krank-
iten war im Kriege 1870/71 1:0,56, bei den Japanern 1:0,37.
Die Verluste durch Krankheiten sind hauptsächlich durch
iegsseuchen bedingt, von denen in den neueren Kriegen nur
eh der lyphus, die Ruhr, die Pocken und auch die Cholera
Betracht kommen. An Typhus erkrankten im Krieg 1870/71
der deutschen Armee gegen 74 000 Mann = 9,3 Proz.
r Kopfstärke, von denen gegen 9000 star.ben (60 Proz. aller
erhaupt an Krankheiten Gestorbenen); in den Monaten Sep-
nber und Oktober erkrankten vor Metz 22 090 Mann und
rben 1328. In Südwestafrika starben 555 Mann am Typhus
Proz. aller an Krankheiten Gestorbenen). Aehnliche Ver¬
te wurden durch die Ruhr hervorgerufen, die im Kriege
'0/71 bei den Deutschen hauptsächlich vor Metz 38 652 Er-
mkungen mit 283 Todesfällen verursachte. Die 10 wöchige
rnierung von Metz kostete an Toten und Verwundeten
10 Mann, an Kranken etwa 60 000, darunter die Mehrzahl
Phus und Ruhr. Die Cholera tritt glücklicherweise seltener
Kriegsseuche auf, ist dann aber die gefährlichste, da die
günstigen Verpflegungsbedingungen, besonders der Mangel
einwandfreiem Trinkwasser, den Ausbruch und die Ver¬
dung begünstigen. Im Krimkriege betrugen die Verluste bei
i Franzosen 11 196, bei den Engländern 4593. Im Kriege
6 auf dem böhmischen Kriegsschauplatz hatten die Preussen
000 Erkrankungen = 87 Proz. aller Lazarettkranken mit
9 Todesfällen = 1,6 Proz. der Kopfstärke, während den Tod
Gi W affen trotz der blutigen Schlachten nur 3473 Mann er-
en- Bei längerer Dauer des Krieges hätte diese Seuche
selbst der siegreichen Heeresleitung ernstliche Schwierig¬
keiten bereitet.
Die Pocken, welche in früheren Jahrhunderten eine grosse
Rolle spielten, haben in den neueren Kriegen an Bedeutung
verloren. Im Kriege 1870/71 starben von den Deutschen 297,
von den Franzosen weit mehr an Pocken. Die Zahl der
Pockenkranken bei den kriegsgefangenen Franzosen betrug
14 000 mit 1963 Todesfällen.
Die Kriegsseuchen sind also oft schlimmere Feinde als die
I nippen des Gegners und können durch die Schwächung der
Kopfstärke einen bestimmenden Einfluss auf den (Jang des
Krieges gewinnen, da auch die Kranken längere Zeit oder
dauernd dem Dienst entzogen sind.
Das Auftreten und die starke Verbreitung dieser Seuchen
ist bedingt zunächst durch die Eigentümlichkeiten des Kriegs-
Iebens, durch die Anhäufung grosser Menschenmassen auf
engem Raum, die Unregelmässigkeit der Verpflegung, die
starken körperlichen Strapazen, Witterungseinflüsse ul a. Alle
diese Schädlichkeiten wirken ungünstig, indem sie eine Dispo¬
sition schaffen. Die eigentliche auslösende Ursache sind aber
die spezifischen Erreger. Die Infektion der Truppen erfolgt
meist in vorher schon verseuchten Gebieten des Aufmarsch¬
gebietes oder des Feindeslandes; so war die Gegend von Metz
schon lange vor der Belagerung mit Typhus infiziert. Die
Kriegsseuchen sind in erster Linie von den sanitären Verhält¬
nissen des Landes abhängig.
Die wichtigste Kriegsseuche, der Typhus, wird durch den
I yphusbazillus hervorgerufen, der mit den Darmentleerungen
und dem Harn ausgeschieden wird, und zwar nicht nur vom
Kranken, sondern auch von den gesunden Bazillenträgern, die
beim lyphus eine wichtige Rolle spielen. Die Verbreitung er¬
folgt entweder durch Uebertragung von Person zu Person
oder durch infiziertes Trinkwasser und Nahrungsmittel. Bei
dem engen Zusammenleben und den ungünstigen Verhältnissen
besonders bei Belagerungen wie vor Metz kann leicht die Ver¬
breitung von Person zu Person erfolgen. Ausserdem kam es
dort infolge der Regengüsse und der mangelhaften Beseitigung
der Abfallstoffe zu einer ausserordentlichen Verunreinigung
des Bodens und zur Infektion der Wasserläufe und der
Brunnen, die zu den Massenerkrankungen führten. Nach der
Kapitulation der Festung trat mit dem Verlassen des infizierten
Gebietes bei der Mehrzahl der Truppen alsbald ein Abfall der
Typhuserkrankungen ein. In Südwestafrika waren die zahl¬
reichen Typhuserkrankungen besonders durch die ungünstigen
Wasserverhältnisse bedingt. _ Die wenigen Wasserstellen
waren durch die sie zuerst benützenden Truppen, oft schon
durch die Feinde infiziert, und so wurde der Krankheitserreger
auf die später kommenden Truppen übertragen. Ferner führte
die durch den Wassermangel bedingte ungenügende Reinlich¬
keit zu häufigen Kontaktinfektionen. Die Verbreitung der Ruhr
erfolgt ähnlich wie bei Typhus. Eine wichtige Rolle spielt
dabei schlechtes, infiziertes Trinkwasser und mangelhafte Ver¬
pflegung, ferner unreifes Obst; auch hier sind Bazillenträger
von grosser Bedeutung. Die Cholera wird ausser durch
Kontakt durch Trinkwasser und Nahrungsmittel verbreitet.
Das Auftreten der Pocken bei den Deutschen im Kriege
1870/71 war dadurch bedingt, dass der Krieg in einem von
dieser Seuche stark heimgesuchten Lande ohne Impfzwang ge¬
führt wurde. Die meisten Erkrankungen kamen bei Orleans
vor, wo die Pocken unter der Zivilbevölkerung stark ver¬
breitet waren und bei der engen Belegung in dem kalten
Winter reichlich Gelegenheit zur Ansteckung gegeben war.
Die Verhütung und Bekämpfung der Seuchen ist die
wichtigste Aufgabe der Kriegshygiene. Die Anleitung zu ihrer
Durchführung gibt die Kriegs-Sanitätsordnung, welche auf den
grossen Errungenschaften der Wissenschaft aufgebaut ist. Die
Vorbereitungen zur Kriegshygiene sind schon im Frieden not¬
wendig, vor allem die Kenntnis der endemisch verseuchten Ge¬
biete. Im heimatlichen Aufmarschgebiet ist, durch die Benach¬
richtigung der Zollbehörden eine Orientierung darüber mög¬
lich. Aurserdern werden hygienisch vorgebildete Sanitäts¬
offiziere mit tragbaren Laboratorien dorthin vorausgesandt,
die sich an Ort und Stelle von den sanitären Verhältnissen
überzeugen, besonders die Trinkwasserverhältnisse kontrol¬
lieren und noch durchführbare Assanierungen in die Wege
1860
Feldärztliche Beilage zur Münch, ined. Wochenschrift.
leiten, ln Feindesland können die marschierenden Truppen
durch Patrouillen und durch die Quartiermacher Näheres über
seuchenverdächtige Orte erfahren. Verseuchte Orte sind nicht
zu belegen und dafür Biwaks zu beziehen. Sind infolge der
Kriegslage infizierte Ortschaften nicht zu umgehen, so ist es
die Hauptaufgabe, die Gefahr der Ansteckung auf ein möglichst
geringes Mass zurückzuführen. Die als infiziert bekannten
Häuser sind kenntlich zu machen und zu meiden. Die Mann¬
schaften sind über die Art der Ansteckung und eine zweck¬
mässige Lebensweise zu belehren. Die Benutzung der oft sehr
mangelhaften und unreinlichen Abortanlagen ist zu vermeiden;
statt dessen sind einfache Feldlatrinen anzulegen. Besondere
Aufmerksamkeit ist dem Trinkwasser zuzuwenden; ein Trink¬
wasser, das auch nur mit Wahrscheinlichkeit als die Ursache
von Gesundheitsstörungen anzusehen ist, ist vom Gebrauch
auszuschliessen. Im allgemeinen wird das Trinkwasser an
fremden Orten dort geholt, wo es die Einwohner entnehmen,
doch ist auch unter diesen Trinkwasserstellen durch voraus¬
gesandte Aerzte eine Auswahl zu treffen, da die Brunnen durch
unzweckmässige Anlage oder schlechte Bauart von der Um¬
gebung aus infiziert sein können. Wichtig ist, dass die Brunnen
von den Truppen selbst nicht verunreinigt werden. Ober¬
flächenwasser ist fast stets durch Abwässer verunreinigt.
Verdächtiges Wasser muss stets vorher gereinigt und keimfrei
gemacht werden. Das sicherste Mittel ist das Abkochen; das
gekochte Wasser wird durch Thee, Kaffee oder Zitronensäure
schmackhafter gemacht. Zur Gewinnung grösserer Mengen
von gekochtem Wasser wird es in den Ortsunterkünften oder
Biwaks abgekocht und in Wasserwagen nachgefahren, oder
aber es werden die fahrbaren Trinkwasserbereiter in Betrieb
gesetzt, die in einer Stunde 500 Liter keimfreien gelüfteten
Wassers liefern, das nur etwa 5 Grad wärmer ist als das
ungekochte. Die Filtration durch keimdichte Filter (Kiesel-
guhr-, Porzellanfilter) gibt gleichfalls steriles Wasser, doch
müssen diese Filter sorgfältig behandelt werden, da sie leicht
schadhaft werden; sie eignen sich daher weniger für mar¬
schierende Truppen als für Kriegs- und Etappenlazarette. Bei
den Biwakplätzen ist vor allem auf eine zweckmässige An¬
lage der Latrinen, Beseitigung der Abfälle und auf Vernichtung
der Ansteckungsstoffe zu achten. Besonders wichtig sind die
sanitären Einrichtungen und die Trinkwasserverhältnisse auf
der Etappenlinie; es ist daher ein beratender Hygieniker dem
Etappenarzt für den Gesundheitsdienst beigegeben.
Ist eine Infektionskrankheit unter den Truppen ausge¬
brochen, so kommen im Felde dieselben Bekämpfungsmass-
regeln in Betracht wie im Frieden: frühzeitige Feststellung der
Krankheitsfälle, Absonderung der Kranken und Keimträger in
Seuchenlazaretten, Desinfektion der von den Kranken be¬
nützten Räume und Gegenstände, Beobachtung und Ab¬
sonderung der ansteckungs- und kranksheitsverdächtigen Fälle.
In der Kriegs-Sanitätsordnung sind diese Abwehrmassregeln
eingehend erläutert. Die bakteriologische Untersuchung ist hie¬
bei von grösster Wichtigkeit. In den Seuchenlazaretten muss
ein in der Pflege von ansteckenden Kranken ausgebildetes
Pflegepersonal zur Verfügung stehen.
Die Lagerplätze sind häufig zu wechseln, überfüllte Quar¬
tiere zu räumen. Wenn eine allgemeine Durchseuchung eines
ganzen Truppenteils anzunehmen ist, kann eine Absonderung
in einem Quarantänelager notwendig werden.
Ausser diesen Massnahmen sind noch solche zu treffen,
welche die Widerstandsfähigkeit des Körpers stärken und das
geistige und körperliche Wohlbefinden der Soldaten erhöhen;
Reinlichkeit der Haut und der Kleidung, Verbesserung der
Unterkunft und der Verpflegung, Lieferung von Thee, Kaffee,
Tabak und angemessenen Mengen guter alkoholischer Ge¬
tränke, event. mit Hilfe der Liebesgaben, Verabfolgung von
warmen Unterzeug und wollenen Leibbinden, endlich Er¬
leichterung im Dienst, soweit zulässig. Das Wichtigste ist eine
zweckmässige Ernährung. Der im Felde bestehenden Neigung
zu Durchfällen wird durch Verabfolgung von leicht verdau¬
lichen, schleimigen Speisen (Reis-, Graupengerichte, Mehl¬
suppen) und verminderte Darreichung von fetten Speisen
und stark gesalzenem geräucherten Fleisch entgegenge¬
wirkt. Durch die Einführung der fahrbaren Feldküchen, die
den Truppen unmittelbar folgen, ist eine sorgfältigere und
schmackhaftere Zubereitung der Speisen ermöglicht, als dies
Nr. 3-1.
bei dem Einzelkochen der Fall war. Besonders wichtig ist.
dass damit auch Thee und Kaffee zur sofortigen Abgabe bereit
gehalten werden kann.
Endlich kommt noch die Schutzimpfung in Betracht. Da
bei der Pockenimpfung der Schutz nur etwa 10 Jahre anhält,
müssen sämtliche, in den letzten Jahren nicht mit Erfolg
Geimpfte wieder geimpft werden. Die Schutzimpfung gegen
Typhus wurde insbesondere in der englischen Armee in
grossem Massstabe durchgeführt und ist in der amerikanischen
Armee obligatorisch. Als Impfstoff wird eine 24 stündige, in
Kochsalz aufgeschwemmte Typhuskultur benützt, die durch
einstiindiges Erwärmen auf 56° abgetötet wird. Durch Phenol¬
zusatz ist der Impfstoff lange Zeit haltbar. Die Impfung wird
meist dreimal mit steigenden Dosen in Zwischenräumen von
etwa 8 Tagen vorgenommen. Nach den seitherigen Erfahrungen
wird zweifellos ein gewisser Schutz erreicht. Die Empfäng¬
lichkeit wird vermindert und der Verlauf bei den trotz der
Impfung Erkrankten ist schneller und leichter, die Sterblichkeit
ist geringer. Gegen die Impfung von fechtenden Truppen be¬
stehen aber deshalb Bedenken, weil meist eine starke allge¬
meine und örtliche Reaktion cintritt, die mehrere Tage datiert
und Schonung notwendig macht. Unter europäischen Verhält¬
nissen wird die Typhusimpfung daher zunächst in belagerten
Festungen in Betracht kommen, wo eine Durchführung der I
anderen prophylaktischen Massnahmen sich schwer oder un¬
möglich gestaltet, ferner zum Schutze besonders gefährdeter
Personen wie der Aerzte und des Pflegepersonals in den'
Seuchenlazaretten. Auch bei der Cholera kann die Schutz¬
impfung in Kriegszeiten unter Umständen von grossem
Wert sein. _
Das französische Infanteriegeschoss.
Von Prof. Walther Straub in Freiburg i. Br
Es ist die Meinung unter unseren Soldaten verbreitet,
das französische Infanteriegeschoss wäre dadurch besonders
gefährlich, dass es Veranlassung zu Vergiftung auf chemi¬
schem Wege gebe.
Aus den Kämpfen bei Mülhausen sind mir französische
Patronen zur Untersuchung gegeben worden. Die unver¬
sehrten Patronen tragen teilweise einen schwarzen ca. 1 mm
breiten Streifen an der Stelle, wo das Geschoss in der
Patronenhülse steckt. Dieser Streifen wird besonders arg¬
wöhnisch beurteilt. Bei seiner Untersuchung stellte sich,
heraus, dass es sich um einen Lackring handelt, der völlig
harmlos ist. Es ist eine Massregel rein technischer Natur zum
Zwecke der Dichtung an der Stelle der Einfügung des Ge¬
schosses in die Patronenhülse. Der Lack sitzt ausserordent¬
lich fest, denn ich fand ihn zum grossen Teil noch erhalten an
Geschossen, die aus Verwundeten entfernt worden waren;
er hat also die Passage durch den Gewehrlauf unversehrt
ausgehalten. Patronen mit anderen Fabrikationszeichen
trugen übrigens den Lackring nicht.
Das Geschoss selbst ist massiv mit einem äusserst dünnen,,
offenbar galvanisch aufgelegten Kupfermantel überzogen; der
Mantel ist so dünn, so dass er, selbst wenn er absplittern
sollte, keinen Schaden anrichten kann. Die chemische Ana¬
lyse*) des Geschosses ergab die Anwesenheit von Kupfer. Zink
und Nickel und zwar in quantitativer unverbindlicher
Schätzung etwa 90 Proz. Kupfer, 6 Proz. Zink und 4 Pro/..
Nickel. Es fehlten Arsen, Phosphor, Antimon. Demnach ist
das Geschoss ein Massivgeschoss aus sehr gutem Material.
Eine akute Vergiftung mit den im Geschoss enthaltenen Me¬
tallen erscheint ausgeschlossen.
Die Frage, ob ein derartiges, eingeheiltes Geschoss etwa
eine chronische Vergiftung noch nachträglich verursachet,
könnte, ist zurzeit nicht entscheidbar. Tierversuche über da-
Verhalten eingeheilter derartiger Geschosse sind im Gange
bis jetzt sind keinerlei Reaktionserscheinungen zu beobachten
was auch mit den Beobachtungen der Aerzte über dei
Heilungsverlauf Verwundeter mit nicht entfernten Geschossei
übereinstimmt. „ ]
Ueber die Resorption von Kupfer aus metallischem Depo'
und dadurch entstehende chronische Kupfervergiftung ist sc
*) Ausgeführt von Dr. L. Hermanns.
li. August 101-4.
Eeldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
1861
t wie nichts bekannt, es erscheint aber äusserst unwahr-
hei n lieh, dass auf diesem Wege eine chronische Vergiftung
tstehen könnte. Hiemit besteht toxikologisch keine Ver-
lassung zur schleunigen Entfernung des Geschosses aus
m Verwundeten.
Soweit in solchem Pal le der Ausdruck überhaupt gerecht¬
st ist, muss das französische Infanteriegeschoss als human
zeichnet werden.
Ein Fall von akuter Erkältungsnephritis.
Von Dr. med. Gehr mann in Berlin.
Dass die Erkältung bei vielen Krankheiten als eigentliche
sache anzusehen ist, wird noch von vielen Forschern be-
ittem Man ist heutzutage geneigt, die Bakterien als die ein¬
en Krankheitserzeuger zu bezeichnen und für eine ganze
ihe von Krankheiten, wie Diphtherie, Typhus, Gonorrhöe,
es etc. muss das unbedingt zugegeben werden. Anders
ht es schon mit der Pneumonie, die doch auch durch Mikro¬
kosmen hervorgerufen, wird. Hier drängt sich bei vielen
'len unwillkürlich der Gedanke auf, dass eine Erkältung erst
Abwehrkraft des Körpers gegen bakterielle Einflüsse ge-
iwächt hat, die Erkältung also die primäre Krank¬
it s ur s a c h e bildet. Ganz ähnlich verhält es sich mit
Angina. Auch hier stellt die Erkältung das ätiologische
ment dar, sie setzt die Widerstandsfähigkeit des Organis-
s herab und begünstigt dadurch die Invasion der Bakterien.
:h die zahlreichen Fälle von sogen. Influenza, Bronchitis etc.,
alljährlich vom Herbst an, im Winter bis ins Frühjahr hin¬
regelmässig auftreten, sind doch grösstenteils auf Er-
tungseinfliisse zurückzuführen. Das hat schon jeder an sich
ist erfahren. Demgegenüber bestreitet Chodonuskv
.kl.W . 1907 Nr. 20) auf Grund seiner Versuche am eigenen
per und an lieren, dass die natürlichen Abwehrvorrich-
gen des Organismus durch intensive Abkühlungen alteriert
rden und die Erkältung die Disposition zu einer Infektions-
nkheit schafft. Diesen experimentellen Untersuchungen
lerspricht die tägliche Erfahrung. Ein tieferes Verständnis
die Wirkungsweise der Erkältung ist bisher noch nicht ge-
inen. Erniedrigung der Körpertemperatur, Zirkulations-
-ungen und dadurch bedingte Schädigungen der Zeller¬
rung müssen wohl in erster Reihe genannt werden. Ausser
Abkühlung wirkt noch eine vorausgegangene Ueber-
Jung oft recht schädlich. Wenn z. B. ein Radfahrer nach
•r anstrengenden Tour kaltes Bier trinkt, sich der Zugluft
! setzt, die Kleidung ist meistens auch nur dürftig und von
weiss durchnässt, so darf er froh sein, mit einem Schnupfen
r einer Bronchitis davonzukommen. Besonders leicht
m solche überanstrengte Menschen einer Infektionskrank-
zum Opfer. Fälle von Tetanus sind von zahlreichen
oren veröffentlicht worden, welche ohne gleichzeitige
ne Verletzung bei Individuen vorkamen, die einer lange
irenden Erkältung ausgesetzt waren. Man pflegt dann von
unatischem Tetanus zu sprechen. Ausser der Abkühlung
lt noch die Durchnässung eine wesentliche Rolle. Experi-
itell hat das Siegel (XXV. Kongr. f. innere Med.) durch
suche an Hunden nachgewiesen. Es gelang ihm, durch
uhlung der äusseren Haut eine schwere akute Nephritis
vorzurufen, indem er den Thorax mit Eisstückchen be-
vte oder die Hunde mit den Hinterbeinen in einen Eimer
)Ser von 4° C brachte. Die intensive Durchnässung war
notwendig; denn wenn die Tiere nach der Abkühlung
'tig frottiert wurden, blieb die Nephritis aus. Im folgen¬
will ich über einen Fall von allerfrischester Erkältungs¬
iritis berichten, der einem Experiment fast nahe kommt
• ausserdem noch besonderes Interesse bietet, weil er zur
ppsie kam. In der Literatur dürfte er bisher einzig
1 ehen.
Der 28 jährige Landwirtssohn K. S. badete an einem Spät-
'nittage zusammen mit seinen Kameraden in einem See. Obwohl
ein besonders tüchtiger Schwimmer war, wagte er sich weit
is, erlahmte schliesslich und ging unter. Seine Kameraden be-
v eP. somrt den Vorfall, eilten teils schwimmend, teils auf einem
e i nn zu Hilfe und es gelang ihnen, den Verunglückten ans Land
nngen. Nach ihren Aussagen ist er ca. 5—7 Minuten unter
■>er gewesen. Inzwischen war ich telephonisch benachrichtigt
worden. Mit Sauerstoffapparat eilte ich zu der Unfallstelle. Durch
aie Schockwirkung und Aspiration von Wasser und Schlamm sistierte
uie Atmung vollkommen. Der Herzschlag war nur schwach zu fühlen,
sogleich wurde mit Wiederbelebungsversuchen begonnen. Der Kopf
wurde tiefer gelagert, Mund und Nase wurden von Schleim und Unrat
gereinigt und die Zunge hervorgezogen. Dann wurde die mitgebrachte
^auerstoffmaske aufgesetzt und die künstliche Atmung nach dem
Silvester sehen Verfahren eingeleitet. Die Herztätigkeit wurde
durch mehrmalige Kampfereinspritzungen gekräftigt. Nach zirka
/.! ständigen Bemühungen gelang es, die Atmung in Gang zu bringen,
uer l atient wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er alsbald spontan
urm entleerte. Derselbe war bräunlichrot, fleischwasserähnlich, das
*.jewicfo j10ch (1022). Das Sediment wies zahlreiche rote
Dlutkorperchen auf jedoch nur einige wenige Zylinder. Ausser einer
Nepnritis lag die Vermutung einer Verletzung des Urogenitaltraktus
nane. 1 rotz aller in solchen Fällen anzuwendenden Mittel ging der
l atient am nächsten Tage an Herzinsuffizienz zugrunde. Die später
ausgetuhrte Sektion ergab, dass eine innere Verletzung nicht vorlag.
m nur das hier in Betracht kommende zu erwähnen, so war das
makroskopische Aussehen der Nieren nahezu normal, die Kapsel ge¬
spannt, leicht abziehbar.
Auf dem Durchschnitt fielen einzelne Partien wie auch die
Glomeruh durch ihre rötliche Färbung auf. Im Mikroskop sah man
Zerfall und Desquamation zahlreicher Epithelien, die Harnkanälchen
waren durch ausgetretene Blutkörperchen stark gefüllt usw., also die
Zeichen einer ausgesprochenen akuten hämorrhagischen
N e p h r i 1 1 s. Ich will noch hinzufügen, dass nach den Aussagen der
Litern der Verunglückte nie ernstlich krank gewesen ist.
Durch diesen Fall, glaube ich, ist nachgewiesen, dass eine
Erkältung in allerkürzester Zeit eine akute
Nephritis auszulösen vermag.
Wundverband bei Schussfrakturen *).
Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Schönwerth.
(Die nachfolgenden Bemerkungen beziehen sich hauptsächlich auf
die erste Behandlung der Wunden am Truppenverbandplatz.)
Der erste Grundsatz bei Behandlung dieser Wunden lautet:
Wunden sind mit den Fingern nicht zu berühren und nicht zu
sondieren. Dies ist um so wichtiger, als bei dem grossen An¬
drang der Verletzten zu den Verbandplätzen und bei den un¬
günstigen äusseren Verhältnissen eine genügende Desinfektion
der Hände zwischen den einzelnen Verbänden oft ganz unmög¬
lich ist. Höchstens bei groben Verunreinigungen werden
Schmutzpartikeln mit einer Pinzette, mit Tupfern entfernt.
Auch zur Sicherung der Diagnose ist die Sondierung absolut
zu unterlassen.
Einfache, nicht komplizierte Weichteilschüsse zeigen im
allgemeinen kleine Einschuss- und Ausschussöffnungen, und
zwar sowohl bei Verletzung durch Mantelgeschosse wie durch
Schrapnell. Von Einfluss auf die Grösse des Defektes ist das
Verhalten der unter der Haut liegenden Gewebe. — Quere,
deformierte Geschosse machen grössere Einschussöffnungen
— ausgedehnte Zerstörungen werden durch Granaten gesetzt.
Die Wundversorgung besteht im Anlegen eines einfachen
Deckverbandes, Verbandgaze und Watte, die mittels Pflaster-
Streifen oder Binde zu fixieren sind (Verbandpäckchen). —
Sollte ein operativer Eingriff in Bälde wünschenswert sein, so
ist dies auf dem Verbandtäfelchen zu vermerken.
v. Oettingen empfiehlt den Mastisolverband: „Ohne
Berücksichtigung der Verschmutzung der Wundumgebung
wird mit einem Wattepinsel die ganze Umgebung bis an deii
Wundrand oder bei kleiner Schusswunde über dieser weg mit
Mastisol gepinselt. Nach genügender Verdunstung (A bis
1 Minute) wird ein Wattebausch erfasst und mit der den
greifenden Fingern gegenüberliegenden Seite auf die Schuss¬
öffnung gedeckt. Bei leichter Blutung ist Kompression er¬
forderlich; auf den Wundbausch kommt noch eine dünne Lage
Watte, oder wir lassen diese auch fort und wickeln mit einer
Binde." — „Die Abnahme eines Verbandes geschieht vorsichtig
nach der Wunde zu, so dass die Teile, die auf der Wunde
liegen, zuletzt abfallen.“ — „Reste des angetrockneten Masti-
sols auf der Haut werden durch Abwaschen mit Benzin,
Aether usw. oder Speiseöl entfernt.“
Bei Behandlung von Schussfrakturen ist die Fixierung der
verletzten Extremität von denkbar grösster Bedeutung. In den
vorderen Linien wird man dazu hauptsächlich Schienen ver-
") Aus Vademekum des Feldarztes. Verlast von .1. F. L e li -
m a n n in München.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
Nr. 3-1.
1S62
wenden; von letzteren ist. wenn Zeit und die Umstände es
erlauben, auch bei Weichteilverletzungen, besonders bei
grösseren Wunden, ein ausgedehnter Gebrauch zu machen,
ebenso können Verbände im Bereiche von Kopf und Hals untei
Umständen zweckmässig mit Fappstreifen, Schusterspänen
verstärkt werden. ,
Bei Verletzungen im Bereiche der Wirbelsäule, des
Beckens kommt eine passende Lagerung des Körpers in Be¬
tracht, welche hier die Stelle des fixierenden Verbandes zu
vertreten hat. , , „
Bei schweren Blutungen im Bereich der Extremitäten ist
die Esinarch sehe Gummibinde anzulegen. Die Binde ist
niemals mit Kleidungsstücken zu bedecken, weil sie sonst ver¬
gessen werden kann, und darf wegen Gefahr der Gangrän
nicht länger als 2 Stunden liegen.
Technik der Abschnürung mit der Esmarchbinde. Die
Extremität wird von einem Gehilfen in die Höhe gehalten unJ
darauf die Binde 4— 5 mal unter anhaltendem Zug um das
Glied zentral von der blutenden Stelle angelegt; man achte
besonders darauf, dass der mit der Binde ausgeübte Zug nicht
beim Uebergang von einer Tour in die andere nachlässt.
Die Binde ist auf der blossen Haut aufzulegen, die Eixiciung
erfolgt durch Einstecken des Bindenkopfes von oben her
zwischen Haut und Bindentouren.
Bei Blutungen im Bereiche von Kopf, Hals, dicht unter
dem Leistenhand Kompression und Unterbindung.
Referate.
Deutsche militärärztliche Zeitschrift. 43. Jahrg., 14. Heft.
Torsten R i e t z - Stockholm: Die Krankentransportmittel bei der
griechischen Armee im Balkankriege 1912/13.
Verf. bespricht an Hand von Abbildungen die verschiedenen
Arten der Krankentransportmittel der griechischen Armee. Neben
den Hilfstransportmitteln, zweiräderigen und vierraderigen Wagen
und den (zusammenlegbaren) Tragbahren sowie Krankentransport¬
wagen, welche schon vorhanden waren, wurden Transportmittel im¬
provisiert, indem Lastautomobile, Strassenbahn- und Eisenbahnwagen
zum Zwecke des Krankentransportes umgebaut wurden. Ebenso
wurden Handelsdampfer in Verwundetentransportschiffe umge-
' andje u s c h e r - Münster: Eine Sanitätstasche für Sanitätsoffiziere.
(Zum Gebrauch im Manöver und im Felde.) Mit 3 Abbildungen.
Die Tasche hat die Form der Kartentaschen der Offiziere; sie
besteht aus einer Haupttasche (= gewöhnliche Kartentasche), ent¬
haltend ein Instrumcntenbesteck, Verbandzeug, Spritzen etc. sowie
einer Arzneitasche, die bei dem einen Modell als ausziehbarer Leder-
einsatz in die Kartentasche vorne eingebaut, bei einem zweiten Mo¬
dell in das Innnere der Tasche verlegt ist. Die Tasche ist verschliess-
bar; sie wird an der linken Sattelseite mittels zweier Karabiner¬
haken über der Säbeltragevorrichtung befestigt, so dass der Sabel¬
korb die Tasche und die Tasche den SäbeL beim Reiten am Schleu¬
dern hindert. Die Tasche wird von der Firma Edelkoker.
Münster, Frauenstrasse aus bestem Rindsleder zum Preise von 12 M.
angefertigt. ^ Verhaus - Wesel: Ein Fall von Schambeinbruch und
Svmphysenlösung infolge Muskelwirkung. .
Der Bruch, kompliziert durch Verlegung der Blase, ist durch eine
plötzliche forcierte Wirkung der Adduktoren entstanden. Der Pat.
wurde nach 7 Monaten wieder dienstfähig zur Truppe entlassen.
W u n d e r 1 i c h - Metz: Ein Fall von hämorrhagischem Typhus.
Ein schwerer Fall dieser seltenen Erkrankung, deren Prognose
sehr ungünstig, gelangte zur Heilung und zwar hörten die Blu¬
tungen (Haut, Schleimhaut, Mund, Nase) prompt auf, als Suprarenm
gegeben wurde. Es wurden anfangs 3 mal täglich 15 Tropfen Supra-
reninum syntheticum (1:1000) gegeben und allmählich ging man
herunter auf 3X5 Tropfen.
Stabsarzt Linke: Kursus über die zahnärztliche Behandlung
der Kieferschussfrakturen und im Anlegen von Kieferprothesen.
Der Kursus fand im Februar d. J. unter Leitung von Prot.
Schröder in Berlin statt. Prof. Schröder hebt die besondere
Bedeutung der provisorischen Okklusivprothesen, aus Zelluloidplatten
hergestellt, für den Kriegsfall hervor, da sie einfach sind und Nah¬
rungsaufnahme sowie Sprache erleichtern. Die Schussverletzungen
des Oberkiefers stehen bezüglich Prozentzahl (30—40 Proz.) an der
Spitze von Verletzungen der Gesichtsknochen. Die Fixierung ge¬
schieht nach Möglichkeit an den vorhandenen Zähnen durch dentale
und interdentale Verbände. > .... , .
Stabsarzt B e y k o w s k y - Prag: Das österreichisch-ungarische
Militärsanitätswesen.
^ C I* ät
Buchbesprechungen, Avancement der Militärärzte etc. H. S.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Die Betätigung der in Berlin zurückgebliebenen Aerzte während
Die allgemeine Begeisterung, die mit elementarer Kraft überall
in deutschen Landen die Gemüter beherrscht, kommt bei dem Teil
der Bevölkerung, der nicht ins Feld berufen ist, in einer allgemeinen
Hilfsbereitschaft zum Ausdruck. Ebenso wie die Heeresverwaltung
den Andrang der Freiwilligen kaum bewältigen kann, so bieten sich
mehr Hände zur Mithilfe an. als beschäftigt werden können. Unser
ernster Beruf legt uns vor allen andern die Aufgabe nahe, zu helfen,
wo' Hilfe nottut: und vom ersten Tage gingen die Berliner Aczte
daran ihre Arbeit während des Krieges zu organisieren. Ein grosser
Teil der Kollegen befindet sich bereits im Felde, andere erwarten täg¬
lich abberufen zu werden. Fast der gesamte Rest hat sich für der'
Sanitätsdienst zur Verfügung gestellt. Die Abwesenheit vie ler Aerzte
hat im ersten Moment die Befürchtung laut werden lassen, dass
Schwierigkeiten in der Versorgung der Kranken entstehen könnten.
Eine sofortige Veröffentlichung der Aerztekammer, dass eine Kriegv
vertretung eingerichtet werde, hat diese Befürchtungen zerstreut: .ür
die Kranken wird ausreichende ärztliche Hilfe vorhanden sein. Aber
auch die abwesenden Kollegen sollen in ihrer Praxis keinen Schaden
erleiden. Die Vertretung soll eine rein kollegiale, unentgeltliche sein,
und es soll Vorsorge getroffen werden, dass ihnen der Bestand ihrer
Praxis für die Zeit nach ihrer Rückkehr ungeschmälert erhalten bleibt.
Das gilt sowohl für die Privat- wie für die Kassenpraxis. Die Für¬
sorge der Aerzteschaft erstreckt sich des weiteren auf die Angehöri¬
gen der ins Feld gezogenen Krieger; viele dieser Familien sehen mit
Sorge der kommenden Zeit entgegen. Staat und Gemeinden zahlen
ihnen Zuschüsse, die ihnen den notwendigsten Unterhalt verschaffen,
aber in Krankheitsfällen können sie aussergewöhnliche Ausgaben nient
tragen. Die Berliner Aerzte haben sich bereit erklärt, in solchen
Fällen die Angehörigen der Reservisten unentgeltlich zu behandeln.
Bedürftigen ohne Entschädigung zu helfen sind wir auch sonst ge¬
wohnt, und es wäre unter anderen Verhältnissen nicht notig, das be-
sonders auszusprechen. Hier handelt es sich aber vielfach um ra-
milien die in geordneten Verhältnissen lebten, und denen eine un¬
entgeltliche Inanspruchnahme des Arztes etwas Unbekanntes oder
doch Ungewohntes ist. Diese sollen wissen, dass ihre erschwerte
materielle Lage kein Grund ist, auf ärztliche Hilfe zu verzichten. Da
ausserdem viele Polikliniken geschlossen sind, die Krankenhäuser zu
einem grossen Teil für Lazarettzwecke freigehalten werden, so sehen
die Aerzte einer verdoppelten und verdreifachten Tätigkeit entgegen.
Sie werden die Arbeit als eine selbstverständliche Pflicht gern aut
sich nehmen, denn jeder hat das Bestreben, nach seinem Können dem
Vaterlande nützlich zu sein und gleichzeitig zu seinem Teil dazu bei¬
zutragen, das ungeheure Elend, 'das mit dem Kriege verbunden ist,
zu mildern.
Die Krankenhäuser haben ihr Aussehen gänzlich verändert, das
ärztliche Personal ist ein anderes geworden, es hat sich verjüngt und
das weibliche Element tritt stark hervor. Natürlich haben die Kol¬
leginnen sich mit dem gleichen Feuereifer zur Verfügung gesteht wie
die andern, und sie sind den Krankenhausleitern eine sehr erwünschte
Hilfe, denn sie gehören zu den wenigen, die nicht weggerufen werden.
Gerade für die Assistenten liegt ja meist die aktive Dienstzeit nicht
weit zurück, sie sind also schon in den ersten Tagen zum Heere ein-
berufen, ihre Stellen nehmen vorläufig Medizinalpraktikanten und
ältere Studierende ein, bis auch sie zur Dienstleistung in den Laza¬
retten herangezogen werden. Es ist von keiner Stelle bekannt g‘ •
worden, dass der Krankenhausdienst unter dieser Verjüngung dir
ärztlichen Kräfte leidet. Was den jungen Kollegen an Erfahrung fehl.,
das wird durch ihr frisches Wissen, ihren Eifer und die intensive An¬
leitung durch die Direktoren ersetzt. Der Andrang zur freiwilligen
Krankenpflege ist ungeheuer, es melden sich viel mehr, als ausgebildet
und beschäftigt werden können. So können wir auch vom ärztlichen
Standpunkt aus der kommenden schweren Zeit mit Zuversicht ent¬
gegensehen, auch wir sind gerüstet.
Dem Massenandrang zur freiwilligen Krankenpflege beim Roten
Kreuz entspricht ein reichliches Angebot von Aerzten und Aerztinnen.
die zur Ausbildung der Krankenpflegerinnen bereit sind. In dem¬
selben Saale, in dem die denkwürdige Sitzung des Reichstages bei Er¬
öffnung des Krieges stattfand, versammelten sie sich, um die Organi¬
sation des Unterrichts zu besprechen, und diese Versammlung machte
einen höchst imposanten Eindruck. Nicht nur die Sitzreihen waren
bis auf den letzten Platz gefüllt, sondern auch in allen Gängen staiui
man dichtgedrängt. Das Angebot ging weit über den Bedarf
Wie Herr Ministerialdirektor Kirchner mitteilte, sollen 4000t) Per¬
sonen für den Dienst der Krankenpflege ausgebildet werden; nacn
einem festgelegten Plan soll zunächst der Unterricht für 3000 neitt-
rinnen in 100 Kursen mit je 30 Teilnehmerinnen beginnen. Es ist an¬
zunehmen, dass bei der Riesenzahl der sich anbietenden Helferinnei
sich auch manche befinden, die nach ihrem Bildungsgrad, früheren be¬
ruf und ihrem Talent für diese Art der Betätigung sich wenig eignen.
Es wird daher die erste Aufgabe der Kursleiter sein, ihr Schülerinnen-
material zu sichten und ungeeignete Personen durch sanften Dtuck
auf ein anderes Tätigkeitsgebiet hinzuweisen. Die Ausbildung er-
. August 1914.
186.3
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
eckt sich nicht nur auf die Pflege Verwundeter, sondern auch auf
' vorbeugenden Massnahmen gegen etwaige spätere Seuchen¬
fahren; und es muss ferner dafür gesorgt werden, dass die zalil-
chen in der Eriedenszeit geschaffenen sozialhygienischen Einhell¬
igen, wie Lungenheilstätten, Säuglingsfürsorgestellen u. a. während
5 Krieges keine Einbusse erleiden. Oie Aerzte dieser Anstalten sind
einem grossen I eil zu den Waffen gerufen; sie sollen durch junge
•diziner ersetzt werden, darum wurden, wie Herr Kirchner
[teilte, im Laufe der letzten 8 Tage nicht weniger als 2000 Appro-
tionen erteilt. Eiir die Aerzte, die sich der Militärbehörde oder dem
ten Kreuz freiwillig zur Verfügung gestellt haben, finden dem-
;hst im Kaiserin-Eriedrich-Hause Orientierungskurse statt, welche
Organisation des Heeres, des Sanitätsdienstes und der freiwilligen
ankenptlege zum Gegenstand haben. Ferner soll die Verwendung
> nicht dienstpflichtigen Zivilarztes, seine Stellung und seine Be-
nisse und zum Schluss die allgemeinen Grundsätze der Seuchen-
(ämpfung besprochen werden. M. K.
Kleine Mitteilungen.
Merkblatt für die Pflege Verwundeter.
Von Geheimrat Professor Witzei in Düsseldorf.
ide sauber; i wenn beschmutzt, sofort waschen!!
:tung: Alles bereit; — stets fragen, ob einzelne Teile besonders zu
lagern; — nicht mit gekrallten Fingern oder ruckweise; — zu
mehreren, nach leiser Verständigung, im Tempo,
rchliegen (Schimpf für Pflegerin!): Druckschmerz rechtzeitig er¬
kennen; — Umlagern, Hohllagern (Luft- oder Wasserkissen); — -
Haut äusserst sauber halten mit Seifenwasser und Alkohol,
lrung und Erquickung: Nur ärztlich Erlaubtes; — Beihilfe, ohne
Verband zu verschieben oder zu beschmutzen; — bei Kopf-, Hals-,
Brust-, Bauchverletzten fragen, ob besondere Art der Zuführung,
leerungen: Erst alles bereit, auch etwa nötige zweite Hilfe. —
Stuhl: ohne Schmerz anheben und höher lagern; — Verband —
durch Tuch schützen; — Unterlage wieder sauber und glatt; —
Stuhl sofort hinaus; — Gefäss sofort peinlich säubern; - — bei
Aufbewahrung zudecken, Namen auf Zettel. — Uringlas zugedeckt
im Nachttisch.
rechen: sofort melden; — Erbrochenes stets verwahren; draussen
■nit Zettel.
merz: wenn anhaltend und besonders wenn zunehmend, melden,
band: drückt oder schnürt!; sofort melden; — gelockert, durch-
:ränkt von Blut oder Eiter, melden.
rke Blutung: sofort Arzt! — Verband auf Wunde fest aufdrücken;
— Gummischlauch, Bahre zur Stelle. — Meldung zum Operations-
;aal.
tickung: sofort Arzt!, — in bester Lage unterstützen; Sauerstoff-
rombe (Vorsicht!), Bahre zur Stelle. — Meldung zum Operations-
>aal.
zliche Schwäche: sofort melden; — beim Verwundeten bleiben.
die Visite des Arztes Bescheid wissen über:
Ulgemeines Befinden, Schlaf, Schmerzen, Puls, Temp., Appetit,
Besonderes! — Leise berichten; Uebles nie für Verwundeten
hörbar.
Sanitätsdienst zwischen Gefechtsbeginn und Hauptver¬
bandplatzerrichtung.
Von Oberstabsarzt Dr. v. Reitz in München.
Bei Gefechtsbeginn müssen die Truppenärzte nicht nur die Lage
Sammelplatzes für Leichtverwundete erfahren, sondern sie
sen auch möglichst bald unterrichtet werden, nach welcher Rich-
. Schwerverwundete zu dirigieren sind. Mit der Errichtung des
Ptverbandplatzes ist nach der Kriegssanitätsordnung grundsätz¬
zu warten, bis eine andauernde und wirksame Tätigkeit der
tätskompagnie in nicht zu weiter Entfernung vom Ort der Ver-
: gewährleistet ist. Unter den heutigen Verhältnissen aber, wenn
der Hauptverbandplatz wegen der Unsicherheit der Lage nicht
an der Front errichten lässt, muss die Sanitätskompagnie weiter
ck von der Gefechtslinie in Tätigkeit treten und ihre Wagen-
| -Platze möglichst weit nach vorne schieben. Für die Truppen-
c genügt es zu wissen, auf welchen Strassen diese errichtet
den. Die Sanitätskompagnie hat in einer Ortschaft mit be-
ucn Anfahrtsstrassen und genügenden Räumen für ein Eeld-
rett Vorbereitungen für die Unterkunft der Verwundeten zu
'eil, die ärztliche Hilfe kann sich für die erste Zeit auf einfache
’ande und die allernotwendigsten Eingriffe beschränken, erst bei
seier Anzahl der Verwundeten ist es nötig, den ganzen Apparat
ewegung zu setzen. (Deutsche militärärztl. Zschr. 1913 H. 15.)
R. S.
Der Gesundheitszustand der französischen Armee
n der lct/ten Zeit wiederholt erörtert worden und hat dabei
-ande selbst von massgebender Seite eine recht ungünstige
Heilung erfahren, die gerade jetzt, in ernster Zeit, von doppeltem
«sse ist. Der Inspektionsarzt der französischen Armee.
1 roussaint, berichtete unlängst auf dem Kongress für allge¬
meine Hygiene in Lyon, dass der Gesundheitszustand sowohl der Re¬
kruten als auch der ausgebildeten Mannschaften noch immer höchst
besorgniserregend sei. Die Verhältnisse lägen weit ungünstiger als
in irgendeinem anderen europäischen Militärstaate. Das Versteck¬
spielen helfe nichts. Die Bevölkerung müsse erfahren, dass 65 Proz.
d er unter die Fahne berufenen jungen Leute in
höherem oder geringerem Grade tuberkulös seien. Im Jahre
191(1 seien von 52J4 zurückgestellten Dienstpflichtigen 4314 tuberkulös
gewesen. 1 . schlägt vor, die für diensttauglich erklärten Leute, bei
denen I uberkulose in den Anfangsstadien konstatiert sei, von an-
sti engenden Dienstleistungen zu befreien. Auch möge man, da die
finanziellen Schwierigkeiten die Errichtung eigener Militärsanatorien
nicht ermöglichten, mit Zivilsanatorien Abmachungen treffen. Das
Samtätswesen verfüge über die ganz unzureichende Jahressumme
von lo Millionen Frank. Es sei im höchsten Grade bedauerlich, dass
die Sanitätsleitung der Armee ohne jeden Einfluss auf die über ein
Budget von 300 Millionen Frank verfügende Intendantur sei, die alle
für die Gesundheit der Truppen so wichtigen Fragen, wie Ernährung
Bekleidung und Unterkunft, selbst oder höchstens im Einverständnis
mit einer Anzahl von Genieoffizieren entscheide, denen jede Kenntnis
der modernen Anordnungen fehle. W.kl.W.
Therapeutische Notizen.
Ucber Behandlung von im Sommer gehäuft auf¬
tretenden Magendarmstörungen.
Von Dr. Leo E k s t e i n, Distriktsarzt in Oberhaid.
Von berufener Seite wurde wiederholt hingewiesen auf die
entgiftende Wirkung der Kohle, besonders der gereinigten Tierkohle.
Ganz besonders wurde von Herrn Prof. Dr. Wiechowski-
Prag auf die prompten Erfolge bei Anwendung genannten Mittels
aufmerksam gemacht.
Die Tierkohle wird allgemein bei Vergiftungen (besonders mit
Alkaloiden) verwendet.
In meinem Distrikte traten heuer mehrere Fälle von Magen-
darinstörungen auf, die wohl auf die unvorsichtige Ernährung (un¬
reifes Obst u. dgl.) zurückzuführen waren. Es waren darunter
Patienten von mehr als 70 Jahren, die in grosser Prostration dahin¬
lagen.
Den von verschiedenen Autoren gemachten Anregungen, auch in
solchen Fällen von Tierkohle Gebrauch zu machen, folgend, konnte
ich innerhalb von 1—2 Tagen eine auffallende Besserung und baldigste
Genesung selbst in den schwersten Fällen konstatieren.
Erlaube mir daher ebenfalls die Anwendung von Tierkohle —
sei es in Tablettenform oder in 10 proz. Lösung — aufs wärmste
zu befürworten.
Gerade in der jetzigen Zeit, da grosse Massen zusammenströmen,
durfte der Hinweis sowie die Anregung begründet sein, Feldlazarette
mit reiner Tierkohle ausgiebig zu versehen.
Als einfaches und billiges Verfahren der Händedesinfek¬
tion ist das Verreiben kleiner Mengen von Festalkohol oder ge¬
eigneten! flüssigen Seifenspiritus zu empfehlen; besonders bewährt
hat sich ein 75 proz. Rizinusseifenspiritus. Am besten wird der flüs¬
sige Seifenspiritus mit einem Wattebausch auf den Händen verrieben.
(Huntemüller und B. Eckard: Beiträge zur Frage der Hände¬
desinfektion. B.kl.W. 1914 Nr. 32.) R s
Nachrichten.
München, den 24. August 1914.
Eine herrliche Siegesnachricht brachte nach langen Tagen
banger Erwartung das Ende der 3. Kriegswoche. Acht französische
Armeekorps geschlagen, die feindliche Offensive abgewiesen, das
Land dem Eindringen unserer Armee geöffnet? Zusammen mit den
Fortschritten auf dem belgischen Kriegsschauplatz, wo die Landes¬
hauptstadt Brüssel besetzt wurde, sind das Erfolge, wie sie bei allem
Vertrauen auf die Ueberlegenheit unserer Truppen so rasch und so
glänzend nicht erhofft werden durften. Sie werden nicht verfehlen,
die Siegeszuversicht unserer heldenmütigen Truppen ebenso zu stei¬
gern, wie sie auf den Geist unserer Gegner lähmend wirken müssen.
Eine überaus beklagenswerte Erscheinung, die in diesem Kriege
der ersten Kulturvölker unerwarteterweise hervortritt, ist die häufige
Verletzung der Genfer Konvention. Die Fälle, in denen auf Aerzte ge¬
schossen wurde, sollen sehr zahlreich sein, ebenso diejenigen, in denen
aus Häusern, die die Genfer Flagge trugen, geschossen wurde. Noch
schlimmer ist, dass von der belgischen und französischen Bevölkerung
an verwundeten Kriegern bestialische Grausamkeiten verübt wurden.
Da diese Vorkommnisse die schärfsten Gegenmassregeln zu einem
Gebot der Selbsterhaltung machen, so erhält dadurch die Kriegs¬
führung eine an sich unnötige Härte, die niemand mehr bedauern
Kann als die deutschen Soldaten und das deutsche Volk. — Unquali¬
fizierbar ist das Vorgehen Japans gegen Deutschland, das sich als
glatte Erpressung kennzeichnet. Und das von Japan, das von Deutsch¬
land so viele Wohltaten erfahren hat! Ein Leser unseres Blattes
schickt uns die Frage: „Was fängt die Universität nun mit den japani¬
schen Geschwuistdoktoren an, von deren Namen das Dissertations¬
verzeichnis Ihrer letzten Nummer strotzt?“ (S. 1818; das Verzeichnis
ist in der Tat charakteristisch für das Ueberwuchern japanischer und
1864
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 34.
russischer Studenten in München. Red.) Wir können die Frage mit
dem Ausspruch eines Münchener Klinikers beantworten: „Wir wer¬
den ihnen die Türe weisen“. Die Säuberung unserer Universitäten
von diesen wenig erwünschten Gästen wird eine der, wie wir hoffen,
vielen wertvollen Errungenschaften dieses Krieges sein.
— Der erste grössere Verwundetentransport ist in
München in der Nacht vom 20. zum 21. August eingetroffen. Es
handelte sich in der Mehrzahl um Soldaten, die an den Kämpfen bei
Mülhausen und bei Lagarde teilgenommen hatten.
Die Verwundeten stammten aus den verschiedensten Regimen¬
tern. Neben Angehörigen des Bayerischen Leibregiments, des ersten
schweren Reiterregiments und des ersten Ulanenregiments sah man
Mannschaften der in Strassburg und in den elsässischen Garnisonen
ligenden Regimenter, auch die in Zabern liegenden 99 er waren ver¬
treten.
Es handelte sich im wesentlichen um leichtere Verletzungen:
Weichteilschüsse, Verletzungen der oberen Extremitäten. Die Wun¬
den waren alle in gutem Zustande, grösstenteils vollkommen reizlos.
Die mit Knochenbrüchen vergesellschafteten Schusswunden waren
alle gut geschient, und auf diesen Umstand muss man wohl vornehm¬
lich die gute Heilung dieser Verletzungen zurückführen. Auch bei
sehr ausgedehnter Splitterung des Humerus, des Radius und der Ulna
zeigten die Ein- und Ausschussöffnungen keine Spur einer Reaktion.
Die Mehrzahl der Verletzungen waren durch das französische Infan¬
teriegewehr hervorgerufen und durch Schüsse aus den verschieden¬
sten Entfernungen entstanden. Die Hautverletzungen waren auch bei
Nahschüssen alle nur sehr klein, die Knochensplitterungen jedoch,
wie die Röntgenbilder zeigten, zum Teil ausserordentlich ausgedehnt.
Auffallend war die verhältnismässig geringe Verschiebung der Bruch¬
enden.
Die Knochensplitterung scheint von der Entfernung, aus der das
Geschoss stammt, nicht abzuhängen: der Humerus fand sich bei einem
Schuss aus 20 m Entfernung unmittelbar oberhalb des Olekranon glatt
durchschossen, der Ra’dius bei einem Schuss aus 300 m Entfernung in
zahlreiche Splitter zerbrochen.
Das gute Aussehen der Wunden gibt Zeugnis davon, wie treff¬
lich die erste Wundversorgung auf dem Schlachtfelde funktioniert.
Eine grosse Zahl von Verletzten war von den Kameraden sofort mit
Hilfe des Verbandpäckchens verbunden und dann den Lazaretten zu¬
geführt worden. Schon diese erste Nachuntersuchung hat gezeigt,
dass unsere Feldärzte auf ihrem Posten sind, und es ist kein Zweifel,
dass es der ärztlichen Kunst gelingt, viele auch recht schwere Ver¬
letzungen einer reaktionslosen Heilung zuzuführen. Kr.
Infolge des plötzlich eingetretenen grossen Bedarfs an Mor¬
phium hat nicht nur der Preis dieses wichtigen Arzneimittels eine
ausserordentliche Steigerung erfahren, sondern es fehlt auch an ver¬
schiedenen Stellen an genügenden Vorräten, so dass für Apotheken
vielfach Schwierigkeiten bei der Deckung ihres Bedarfs entstehen.
Da unter den obwaltenden Umständen auch auf weitere Zufuhren von
Opium nicht gerechnet werden kann, so ist darauf Bedacht zu nehmen,
die vorhandenen Vorräte an Morphium tunlichst zu schonen. Der
preussische Minister des Innern ersucht daher die Aerztekammern,
auf die Aerzte ihres Bezirks dahin einzuwirken, dass sie bei ihren
Verordnungen in geeigneten Fällen statt des Morphiums ent¬
sprechende Ersatzmittel berücksichtigen und Morphium nur da ver¬
schreiben, wo es unentbehrlich und in keiner Weise zu ersetzen ist.
— Im Anschluss an die bisherigen Vorbereitungen zur Ordnung
des Vertreterdienstes für die aus Berlin infolge des Krieges
abwesenden Kollegen fand am 10. d. Mts. eine gemeinsame Sitzung
des geschäftsführenden Vorstandes der Aerztekammer für die Provinz
Brandenburg und den Stadtkreis Berlin, des Vorstandes des Aerzte-
Ausschusses von Gross-Berlin und des Ausschusses des Zentralver¬
bandes der Kassenärzte von Berlin statt. Der dort zum Ausdruck ge¬
kommenen Auffassung schliesen sich die beiden Geschäftsausschüsse
an. Einstimmig war man der Ansicht, dass den abwesenden Kollegen
möglichst unentgeltliche Vertretung gesichert werden soll, und
ebenso dass alles zu geschehen hat, den später zurückkehrenden Kol¬
legen ihre Praxis, die unterdessen durch Vertreter besorgt wird, un¬
geschmälert zu übergeben.
— Aerztlicher Kriegsausschuss München. Der
Aerztliche Kriegsausschuss teilt mit. dass während des Krieges über
450 Aerzte in München zur Verfügung stehen. Für hinreichende ärzt¬
liche Hilfe ist deshalb gesorgt. Eine genaue Aufstellung der hier
anwesenden Aerzte wird in den nächsten Tagen erfolgen.
— Das Kgl. Bayer. Staatsministerium des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten teilt in bezug auf die Einschränkung
von Staatsausgaben mit: „Der Neubau für das Hygienische Insti¬
tut in München unterbleibt vorerst. Die darauf bezüglichen Vor¬
arbeiten und Verhandlungen sind einzustellen. Der bereits in An¬
griff genommene Neubau für die chirurgische Klinik ist weiter¬
zuführen, soweit dies bei den derzeitigen Verhältnissen über¬
haupt möglich erscheint. Der Neubau der Universitäts-Frauenklinik
ist fortzuführen, soweit nicht ohne Schaden für den Staat und ohne
Herbeiführung einer grösseren Arbeitslosigkeit die Einstellung möglich
ist. Die innere Einrichtung des Gebäudes hat, soweit hier nicht be¬
reits Bestellungen erfolgt sind, vorerst zu unterbleiben. Von dem
beantragten Erweiterungsbau des Zahnärztlichen Instituts muss
gleichfalls vorerst abgesehen werden. Der Neubau der zweiten
Chirurgischen Klinik hat bis auf weiteres zu beruhen.“
— Von Berliner Chirurgen ist Geheimrat Bier als Marine-
Generalarzt nach Kiel gegangen. Geheimrat Sonnenburg be¬
gleitet als konsultierender Chirurg den Stab des III. Armeekorps.
Die Geheimräte Hildebrand, Körte und R o 1 1 e r sowie Prof.
Riese sind gleichfalls als konsultierende Chirurgen zur Armee ab¬
gegangen.
_ Der 87 jährige Nestor der Deutschen Turnerschaft Geheimer
Sanitätsrat Dr. Ferdinand G ö t z hat sich an die Spitze einer grossen
Organisation gestellt, welche die zurückgebliebenen deutschen
Männer, Turner und Nichtturner, durch körperliche Uebungen für den
Dienst des Vaterlandes vorbereiten will. Für diesen Zweck werden
alle Turn-, Spiel- und Sportplätze sowie Turnhallen zur Verfügung
gestellt. Der Allgemeine Turnverein in Leipzig hat Landsturmriegen
gebildet.
_ Wie die Bayer. Staatszeitung mitteilt, hat Geheimrat
Dr. v. R ö n t g e n die ihm von der Royal Society verliehene grosse
goldene Medaille, die er angesichts der Haltung Englands nicht
mehr, besitzen will, und die einen Goldwert von ungefähr 1000 M
r\pr Snmmelstelle zur Fürsorge für Stadt und Land und
das Rote Kreuz überwiesen.
— Die Hamburg-Amerika-Linie hat ausser dem Lazarettschiff:
„Hansa“ dem Roten Kreuz noch einen ihrer grossen, im Hamburger
Hafen liegenden Passagierdampfer als Lazarettschiff zur Ver¬
fügung gestellt. In Betracht kommen dürfte dafür der Dampfer.
„Patricia“.
— Die Farbenfabriken vorm. Fried r. Bayer & Co.,
Leverkusen, haben in ihrem grossen Verwaltungsgebäude ein Hilis-
lazarett eingerichtet. Es enthält vorläufig 250 Betten mit allem Zu-1
behör, Operationszimmer, Verbandszimmer und den nötigen Ver-!
pflegungseinrichtungen. 4 Aerzte, Pflegepersonal, Verbandstoffe,
stehen zur Verfügung. Die Verwundeten können mit der Kleinbahn!
und Fabrikbahn direkt an das mit Aufzügen versehene Gebäude heran- j
geschafft werden. Man ist damit beschäftigt, noch ein zweites Hilfs¬
lazarett mit ebenfalls 250 Betten einzurichten. Beide, mit allem Zu¬
behör, ärztlicher Behandlung und voller Verpflegung sind dem Roten!
Kreuz zur Verfügung gestellt worden.
— Herr und Frau Krupp von Bohlen und Halbaclii
haben für sich und die Firma Krupp A.-G. für die verschiedenen Zen¬
tralen und ärztlichen Organisationen des grossen Liebesdienstes eine
Million Mark zur Verfügung gestellt. — Die Firmen Karl Zeiss und,
Schott in Jena haben dem Roten Kreuz 20 000 M. überwiesen.
— Die Karlsruher Lebensversicherung auf Gegen¬
seitigkeit teilt mit, dass alle bei ihr abgeschlossenen Lebensversiche¬
rungen, für die die Versicherungsurkunde spätestens am 1. Juli 1914
unter Zahlung der ersten Prämienrate eingelöst war, die Kriegsgefahr
für den gegenwärtigen Krieg nach Massgabe der für die einzelnen
Versicherungen geltenden Versicherungsbedingungen ohne weitere
übernommen ist. Für die Versicherungen, die erst später eingelöst
wurden, ist die Kriegsgefahr übernommen, wenn dies besonders ver¬
einbart ist.
— Prof. Dr. J. Fesslers „Erster Unterricht in der
Krankenpflege für Haus und Beruf“ ist in 4. Auflage erschienen
Verlag der Aerztl. Rundschau Otto Gmelin, München 1914. Preh
M. 1.25. Im gleichen Verlag erschien: „Katechismus für Hel¬
ferinnen vom Roten Kreuz“ von Med.-R. Dr. E s c h 1 e. Preb
70 Pf. Beide zeitgemässe Broschüren sind in Frage und Antwort be¬
arbeitet.
— Auch der Leitfaden für Samariterschulen: „Die erste,
Hilfe bei plötzlichen U'n glücksfällen“ von Friedr
v. Esmarch ist neu erschienen (30. Auflage, 146. bis 151. Tausend
Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel).
(Todesfall.)
Sanitätsrat Dr. Richard Gottschalck aus Ginnheim be
Frankfurt a. M. ist bei der Ausübung seines Berufes als Militärarz
in Belgien einem heimtückischen Anschlag dortiger Bewohner zun
Opfer gefallen.
Bekanntmachung.
Zur Begleitung der Lazarett- und Hilfslazarettzüge bedarf dei
Kaiserliche Kommissar und Militärinspekteur der freiwilligen Kran
kenpflege noch weiterer Aerzte. Meldungen sind unter Vorlegung de
Zeugnisse bei dem genannten Herrn Kommissar in Berlin NW. 7
Reichstagsgebäude, einzureichen. Den Kandidaten, die die ärztlich«
Notprüfung bestanden haben und den Nachweis führen, dass sie ab
ärztlicher Begleiter eines Lazarettzuges angenommen worden sind
wird bei Erfüllung der sonstigen Zulassbedingungen für die ärztlich»
Prüfung die Approbation als Arzt für das Gebiet des Deutsche:
Reiches alsbald erteilt werden.
Die „Feldärztliche Beilage“ ist bestimmt, allen im Felde stehen
den oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten der deutsche
und österreichischen Armee und Flotte unentgeltlich geliefert zu wer
den. Herren, welche sie nicht erhalten, werden um Angabe ihre
Adresse ersucht.
Beiträge für die „Feldärztliche Beilage“ werden nach erhöhte
Sätzen honoriert.
Selbstverständlich wird unseren im Feld stehenden Abonnente
auch die Wochenschrift selbst an jede uns angegebene Adresse nach
geliefert. J. F. Lehmanns V erlag-
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
e Münchener Mcdizlnlichc Wocheruch ritt er*chetnt wöchentlich
Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. . Preis der einzelnen
immer 80 4. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
6.—. • Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag
MÜNCHENER
• Zusendungen sind zu adressieren:
Fflrdie Redaktion Amulfstr.26. Börozeit der Redaktion S",— J Uhr.
FDr Abonnement an |. F. Lehmann’s Verlag, Paul Hevsestrasse 2V.
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, nieatinerstrasse t.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
! . 35. 1. September 1914.
Redaktion: I)r. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlair: .1. F. Lehmann. F^a u 1 Hevsestrasse 26
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Rech, der Vervielfältigung und Verbreitung der In d.eser ' Zenschrif, zum Abdruck gongenden OrigütalbeitrAge
vor
Originalien.
Ueber Zystographie.
Von O. Zuckerkandl in Wien.
(Mit 1 Tafel.)
Die Untersuchung der Blase mittelst Röntgenstrahlen hat
her neben den übrigen Untersuchungsmethoden, die an
:sem Organ zur Anwendung kommen, wenig Bedeutung er-
■ St, wohl aus dem Grunde, weil die Erfolge der Zystoskopie
i ihrer» überzeugenden Befunden jede andere Unter-
hungsmethode überflüssig erscheinen Hessen. Der er-
rene Untersucher aber weiss, dass sich aus den zysto-
»pischen Befunden nicht immer alle für die klinische Beur-
ung der Fälle erforderlichen Daten ergeben. Man muss
i iicksichtigen, dass wir ein genügend übersichtliches plasti-
es Bild nur gewinnen können, wenn wir das Objektiv in
sprechende »Distanz zum Gegenstand bringen können,
s wird nicht immer möglich sein, und wir müssen uns bei
inbeengenden Tumoren z. B. darauf beschränken, aus
lansichten der Oberfläche uns ein Bild des ganzen zu
i inen.
Wir können mit unseren Methoden, so vollkommen sie
h zu sein scheinen, nicht in allen Fällen alles wissenswerte
eben. Steht uns eine prinzipiell neue Art der Unter-
hung zur Verfügung, wie die mit Röntgenstrahlen, so
ssen wir sie in ihren Erfolgen mit den bisher üblichen ver¬
dien und sie dementsprechend bewerten.
Die Untersuchung der Blase mit Röntgen-
ahlen schien in erster Linie eine Bereicherung für die
• gnose der Steine zu bedeuten. Im Recessus retropro-
i icus eingekeilte Steine, solche in Divertikeln, waren nur
Hilfe der radiologischen Darstellung zu diagnostizieren,
rkwürdigerweise sind bisweilen auch grosse Blasensteine
ichtbar, selbst wenn man nach W i 1 1 e k durch Luftfüllung
1 sere Kontraste zu erzielen trachtet. Diese Unsicherheit der
’Ultate trübt den Wert der Methode, und gibt nur den posi-
n Befunden diagnostischen Wert.
Zur Erkennung von Lage- und Form Veränderungen der
'Se wurde die Füllung dieser mit schattengebenden Fliissig-
' en erfolgreich eingeführt. Wulff verwendete dazu eine
iroz. Wismutaufschwemmung, während V ö 1 c k e r und
■ h t e n b e r g 2 proz. Kollargol empfahlen. So konnten
i Frontalprojektionen aus dem Schattenrisse des Organs die
m der Blase und Abweichungen von der Norm, Divertikel,
lagerungen in Hernien, dargestellt werden.
Die Versuche, auf diese Weise Geschwülste darzustellen,
I sehr spärlich unternommen worden. H a e n i s c h hat in
m Falle, in welchem die Zystoskopie unausführbar war,
ich Füllung der Blase mit 10 proz. Wismutaufschwemmung
! sellr charakteristisches Bild eines grossen, die Blase fast
linden I umors gewonnen. Desgleichen haben Legueu
1 Pap i n mit der gleichen Methode ein ähnliches Resultat
eit. Mit Recht heben die Autoren hervor, dass nur grosse
[ chwülste diese Art der Untersuchung erheischen. Bei
neu, übersichtlichen Tumoren ist die Zystoskopie zur ße-
1 ilung von Sitz, Grösse, Implantation etc. vollkommen aus-
• liend. Bei grossen Tumoren hat dies seine Schwierig-
jen, wenn wir nur einen Teil der Oberfläche überblicken.
H täuscht sich auch hei grosser Erfahrung in der Beurteilung
‘ Stielverhältnisse grosser, kugelig prominierender Blasen-
chwülste. Die Untersuchung mit Röntgenstrahlen ist, wie
Jcr Hand von Erfahrungen an ausgeprägten Fällen gezeigt
Nr. 35.
werden soll, geeignet, in Fällen dieser Art klarere Befunde
zu geben.
I . Röntgenuntersuchung Bei infiltrierendem
Blase «krebs.
Handelt es sich um grössere, breit aufsitzende, ent¬
sprechend tiefgreifende Krebsgeschwülste, so gibt die Füllung
mit Kollargol am Frontalbilde ein sehr charakteristisches Aus¬
sparungsfeld im Schattenriss, bedingt durch die Einengung von
seiten des prominierenden Tumors, bei gleichzeitigem Ela-
stizitätsverlust des infiltrierten Blasenanteils.
1. 58 jähriger Mann (St. M.) leidet seit 5 Jahren an vermehrter
narnfrequenz und schmerzhafter Miktion. Hämaturie. Zystoskopisch:
em von der rechten Blasenwand in das Lumen ragender höckeriger
l umor von grösserer Ausdehnung. Bimanuell keine Härte tastbar.
Nach dem zystoskopischen Bilde schien die Möglichkeit einer Exzision
/fon star£ yorrasenden T umors gegeben. Die Röntgenuntersuchung
(12U g Kollargolfüllung) ergab ein weit klareres Bild: der Blasen¬
fundus in seiner linken Hälfte, die linke Seitenwand und der Scheitel
noi mal konfiguriert. Knapp unter dem Scheitel rechts beginnt der
Defekt im Schatten, der die ganze rechte Seitenwand und die rechte
Hälfte des Blasengrundes betrifft. (Fig. 1.) Diese ausgedehnte Aus¬
sparung weist mit Sicherheit darauf, dass hier am Frontalschnitt fast
die ganze rechte Hälfte der Blase vom Scheitel bis zur Mündung
von dem Tumor substituiert ist, dass der Fall also zur Resektion
ungeeignet ist.
2. 53 jähriger Mann, seit 4 Monaten Harnbeschwerden; blutig¬
jauchiger Harn; Abmagerung. Zystoskopie wegen unpassierbarer
Harnröhre nicht möglich. Bei der Kollargolaufnahme zeigt sich
frontal eine Aussparung des Schattens, die die ganze rechte Blase
betrifft. Diagnose: infiltrierender Krebs der rechten Blasenhälfte.
Bei der Operation (Implantation der Ureteren in den Dickdarm) wird
dieser Befund bestätigt. (Fig. 2.)
3. 89 jährige Frau, seit 3 Jahren Miktionsbeschwerden, Blutungen.
Zystoskopisch ein von der linken Seite vorragender ulzerierter
Tumor. Die Röntgenaufnahme (Kollargol) zeigt die linke Hälfte des
Fundus und einen Teil der Seitenwand infiltriert. (Fig. 3.)
4. M. H„ 62 Jahre, vor 5 Jahren lithotribiert, leidet seit 3 Jahren
an intermittierenden Hämaturien mit zunehmenden Harnbeschwerden
Alkalischer, blutig-eitriger, aashaft stinkender Harn. Zystoskopisch
schon sieht man einen die ganze linke Blasenwand substituierenden
exulzerierten Tumor, der vermöge seiner Ausbreitung als nicht
radikal operabel erscheint. Röntgenologisch: grosse Aussparung der
ganzen linken Blasenwand vom Scheitel bis zur Basis. (Fig. 4.)
II. Röntgenuntersuchung bei gestielten, die
Basis nicht infiltrierenden Bla sen¬
geschwülsten.
Ganz anders als in den bisher besprochenen Fällen ge¬
stalten sich die Verhältnisse, wenn die Geschwülste gestielt
sind, die Blasenwand ihre Dehnbarkeit nicht eingebüsst hat.
Füllt man in solchen Fällen, auch wenn der Tumor beträcht¬
lich gross ist, die Blase mit Kollargol, so umgibt die schatten¬
gebende Flüssigkeit den von der Basis abgehobenen Tumor
von allen Seiten. Der Schattenriss der Blase präsentiert sich
auf der photographischen Platte als symmetrischer, nirgends
eingeengter Hohlraum. Daraus ziehen wir für die Praxis
den Schluss: Gibt der Kollargolschatten bei nachgewiesen
grösserer Blasengeschwulst keine Aussparung, sondern ist er
normal in seiner Form, so ist die Geschwulst gestielt, nicht
infiltrierend, folgerichtig operativ radikal entfernbar. Dabei
ist vorausgesetzt, dass der Tumor entsprechende Grösse be¬
sitzt und dass die Aufnahme nicht nur frontal, sondern auch
hei schräger Durchleuchtung vorgenommen das gleiche Re¬
sultat ergab.
Bei dieser Art der Untersuchung ist also eine Differen¬
zierung zwischen den genannten verschiedenen Geschwulst-
I
1866
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 35.
typen hinsichtlich ihrer grob anatomischen Beziehungen zur
Blase möglich.
Ich war nebenbei bestrebt, die Geschwulst als solche im
Röntgenbilde darzustellen. Die Anregung zur Durchführung
gab mir der Vortrag Kümmells auf der Naturforscherver¬
sammlung in Wien (1913), in welchem dieser zeigte, dass man
radiologisch nicht nachweisbare Steine der Niere auf der
Röntgenplatte sichtbar machen könne, wenn man die Unter¬
suchung nach Füllung des Nierenbeckens mit Kollargol resp.
nachdem dies abgeflossen ist, vornimmt. Die Reste der
Lösung, die an der Oberfläche des Steines haften bleiben,
bedingen, dass die Umrisse der früher sichtbaren Steine
nunmehr auf der Röntgenplatte sich differenzieren.
Dieses Verfahren schien mir für die Geschwülste der
Blase anwendbar, wobei es ins Gewicht fiel, dass die rauhe,
zottige, des Epithels beraubte Oberfläche der Geschwülste das
Festhaften von Kollargolresten besonders zu begünstigen be¬
stimmt schien. Zur schärferen Differenzierung wurde die
Blase nach Ablauf des Kollargols mit Luft gefüllt, stets in
einer Menge, die nicht schmerzhaft empfunden, die Blase nicht
in Spannung versetzte. Mit Hilfe dieses Verfahrens ist es ge¬
lungen, Geschwülste der Blase sehr übersichtlich darzustellen.
Die Luftfüllung hebt den gestielten Tumor von seiner Basis,
und wenn der Zufall es will, dass der Stiel in die Frontal¬
ebene fällt, so hat die Darstellung fast die Uebersichtlichkeit
eines anatomischen Präparates.
So liess sich im folgenden Falle die Diagnose auf gestielten
Tumor mit Sicherheit stellen, ohne dass es möglich gewesen
wäre, volle Klarheit über die Stielverhältnisse zu gewinnen.
M. E., 52 Jahre alt, seit 3 Jahren Harnbeschwerden, zeitweilig
Hämaturie. Zystoskopie: grosser zottiger Tumor, der die Basis der
Blase von links her überlagert. Ueber Grösse und Art der Implan¬
tation ist kein Urteil möglich. Die Füllung mit Kollargol ergibt eine
bis auf Verbreiterung und Hebung des Fundus normal konfigurierte
Blase. (Fig. 5.) Nach Ablauf des Kollargols wird der kleinapfel¬
grosse, mehr die linke Blasenhälfte einnehmende kugelige, ober¬
flächlich unebene Tumor sichtbar. (Fig. 6.) Der Kollargolrest
zwischen Tumor und Blasenwand lässt mit Sicherheit auf die er¬
haltene Elastizität der Wand an dieser Stelle schliessen. Der Tumor
hat also die Basis nicht infiltriert, er muss gestielt sein.
Die Diagnose, die auf papilläre gestielte Geschwulst gestellt
wurde, bestätigt sich bei der Operation. Die nebenstehende Figur
(Fig. 7) zeigt das gewonnene Präparat.
Völlige Klarheit gab die Untersuchung im folgenden Falle:
A. L., 68 jähriger Mann, vor einem Jahre Hämaturie, seither oft
wiederholt. Zystoskopisch : überwalnussgrosser, kugeliger, grob¬
zottiger Tumor. Die Kollargolfüllung ergibt einen Hochstand des
Trigonums, wie bei Prostatahypertrophie, sonst normaler symmetri¬
scher Schattenriss der Blase. (Fig. 8.) Nach Ablauf des Kollargols
und Füllung mit Luft zeigt sich auf der Platte der von der rechten
Seite in die Blase hereinragende kugelige Tumor, dessen Stiel auch
deutlich sichtbar ist. Die Blasenwand ist auch am Stiele der Ge-
schwmlst durch Luft wie an der linken Seite gedehnt, der Tumor von
der Basis abgehoben. (Fig. 9.) Diagnose: Grosser kugeliger, an der
rechten Blasenwand mit einem Stiel aufsitzender Tumor. Die neben¬
stehende Abbildung (Fig. 10) zeigt die exzidierte Geschwulst in natür¬
licher Grösse.
Als Beispiel einer breit aufsitzenden, nicht infiltrierenden
Geschwulst, gilt der folgende Fall:
60 jähriger Mann, seit 3 Jahren intermittierende Hämaturie,
nebenbei Dysurie. Zystoskopisch: von der Basis her ein zottiger
Tumor vorragend, dessen Grenze nicht einstellbar.
Bei Kollargolfüllung ist der Blasenfundus in seiner Grenze etwas
verwaschen, doch zeigt der Schatten keinen tiefergreifenden Defekt.
(Fig. 11.) Bei Luftfüllung erscheint ein vom Fundus her in die Blase
ragender, breit aufsitzender Tumor von unregelmässiger Oberfläche.
(Fig. 12.) Diagnose: zottiger, breitbasiger, die Basis nicht infiltrieren¬
der Tumor des Blasengrundes. Die Annahme fand bei der Operation
ihre Bestätigung. Es handelte sich um einen breit aufsitzenden, der
Schleimhaut angehörenden zottigen Tumor. (Fig. 13.)
Aus diesen wenigen Befunden, die seither in neuen Fällen
immer wieder ihre Bestätigung gefunden haben, glaube ich
schliessen zu dürfen, dass die Röntgenuntersuchung in der
genannten Art und Weise bei den Geschwülsten der Blase ge¬
eignet ist, in wirksamer Weise die zystoskopische Unter¬
suchung zu ergänzen oder dort, wo eine solche unmöglich ist,
allein zur Stellung der Diagnose verwendet zu werden.
Wir gewinnen auf diese Weise nur Anhaltspunkte über die
grob anatomischen Verhältnisse der Geschwulstbasis, die
nichts über die histologische Natur präjudiziert, aber für die
klinische Beurteilung der Fälle, ihre Operabilität z. B. von ent¬
scheidender Bedeutung ist.
111. Röntgenuntersuchung bei Prostata hyper-
t r o p h i e.
Es lag nahe, mit der gleichen Methode die Darstellung der
in die Blase vorragenden Anteile bei Prostatahypertrophie zu
versuchen. Es hat ja seine Schwierigkeiten, mit unseren üb¬
lichen Methoden bisweilen zwischen Prostatahypertrophie.
Prostatakarzinom oder anderweitigen Tumoren des Blasen¬
grundes die Unterscheidung zu treffen.
Bei den diesbezüglichen Versuchen ergaben sich schon
bei Kollargolfüllung der Blase wichtige diagnostische Momente
für die Erkennung der Prostatahypertrophie. Während die
normale Blase am frontalen Schattenriss ovoid geformt in
ihren oberen Anteilen breiter als in den unteren, ihren tiefsten
Punkt hinter der Symphyse im oberen Dritteil dieser trägt
(Fig. 14), zeigt die Blase bei Prostatahypertrophie ein völlig
verschiedenes Verhalten. Der Blasengrund ist in diesem Fallt
eine ebene Fläche, deren Niveau querfingerbreit oder höher
über der Symphyse liegt. Entsprechend dem breiten Fundus
sind die dem Scheitel näheren Partien der Blase schmäler, so
dass eine Art Birnform des ganzen Organs resultiert. In keiner
anderen Untersuchungsmethode stellt sich die Hebung der ge¬
samten Blase so übersichtlich dar, wie beim Kollargol-
schattenriss.
Auch die trabekuläre Hypertrophie der Wand äussert sich
in recht markanter Weise, indem der Kontur der Blase nicht
geradlinig, wie am normalen Organ, sondern gezackt, wie aus-
genagt, erscheint. Die basalen Divertikel zu beiden Seiten des
Grundes erscheinen sehr häufig und sind fast typische Befunde.
Verwendet man nach Ablauf des Kollargols die Füllung
mit Luft, so geben die an der Oberfläche der Prostaia-
geschwulst haftenden Kollargolpartikelchen auf der photo¬
graphischen Platte ein deutliches Bild vom Relief der vesikal-
wärts prominierenden Anteile. Während wir mit den üblichen
Methoden der Zystoskopie aus Partialbildern uns die Form
des Prostataadenoms im jeweiligen Falle rekonstruieren
müssen, erhalten wir auf diese Weise ein Bild der ganzen Ge¬
schwulst. Aus der Form der Begrenzung lassen sich diffe¬
rentialdiagnostische Momente für die Unterscheidung von
Hypertrophie und Karzinom treffen.
Ich möchte den Wert der Methode an einigen markanten
Beispielen illustrieren:
1. 65 jähriger Mann mit chronisch inkompletter Harnretention
und starker Ueberdehnung der Blase. Per rectum das Organ stark
vergrössert. Unter sehr sorgfältiger Katheterbehandlung gelingt es
nach Ablauf geraumer Zeit, die Blase mit dem Katheter völlig trocken
zu legen. Zur Darstellung der Verhältnisse wird die Kollargolfüllung
ausgeführt. Am Frontalschattenriss ist der Fundus breit, das Sym¬
physenniveau beträchtlich überragend; die Blase dreigelappt: die
drei Anteile, zwei seitliche und ein mittlerer, sind annähernd
gleichgross. Wenn das Kollargol abgelaufen ist, wird eine ge¬
ringe Menge Luft in die Blase gebracht und eine neuerliche Aufnahme
vorgenommen. Es zeigt sich, dass in den beiden seitlichen grossen
Divertikeln die schattengebende Flüssigkeit noch enthalten ist, dass
nur der mittlere Anteil mit Luft gefüllt ist. Aus der Basis der Blase;
sieht man in diesen mittleren Anteil zapfenförmig die Prostatahyper¬
trophie vorragen, deren breitere basale Anteile im Röntgenbilde
gleichfalls recht deutlich differenziert erscheinen. (Fig. 15.) Ich
möchte betonen, dass diese auffallende Form der Blase gelegentlich
der von mir vorgenommenen zystoskopischen Untersuchung nicht
ersichtlich war.
2. Herr von 56 Jahren, seit 2 Wochen chronisch komplette Harn¬
retention. Zystoskopisch der gewöhnliche Befund der mehrlappige
Prostata. Am Kollargolschattenriss flacher, kranialwärts erhobener
Fundus. (Fig. 16.) Am Röntgenbilde sieht man beiderseits auch die
Ureteren mit der schattengebenden Flüssigkeit erfüllt; sie sind bi1'
an den Eintritt in die Blasenwand mässig dilatiert, in ihrem intra-
muralen Anteil in die Länge gezerrt, eher verengt, eine Schlinge
nach oben bildend.
Unter diesen Umständen wurde die Luftfüllung mit einer sehr
geringen Menge vorgenommen, um das Eindringen in die Harnleiter
zu verhüten. Die Aufnahme bei Luftfüllung zeigt in recht klarer
Weise die Form des kleinen prominenten Lappens. (Fig. 17.) Heilung
nach Prostatektomie.
Das Eindringen der Kollargolfiüssigkeiten in einen der
beiden Harnleiter haben wir, trotzdem nie mehr als 100 g zur
Verwendung kommen, wiederholt beobachtet. Es gibt natür¬
lich Fälle, in denen die Ursache dieser Erscheinung a priori
Beilage zu Nr. 35, 1914, der Münche
ner medizinischen Wochenschrift.
Zum Aufsatz : „Ueber Zystographie“ von
O. Zuckerkandl in Wien.
Fig. I. Karzinom der rechten Blasenhälfte.
4. Infiltrierender Krebs der linken Blasenhälfte.
Fig. 2. Infiltrierender Krebs der rechten Blasenhälfte.
Fig 3. Infiltrierender Krebs der linken Blasenhälfte.
g- 7. Der auf Fig. 6 dargestellte Zottenpolyp.
Fig. 8. Zottenpolyp der Blase.
Normaler Schattenriss bei Kollargolfiillung.
Fig. 9. Derselbe Fall nach Ablauf des Kollargols bei
Luftfüllung. Gestielte nicht infiltrierende Geschwulst der
rechten Seitenwand.
0. Der Fig. 9 dargestellte Tumor nach Exstirpation.
Fig. 11. Grosse zottige Blasengeschwulst.
Schattenriss bei Kollargolfüllung.
Fig. 12. Derselbe Fall bei Luftfüllung nach Ablauf des
Kollargols. Vom Fundus sich erhebender breitbasiger
Tumor.
Fig. 14. Schattenriss einer normalen Blase.
Fig. 15. Dreikämmrige Blase. Die seitlichen Anteile mit Fig. 16. Hypertrophie der Prostata. Trigon um si
Kollargol gefüllt; in den mittleren luftgef iillten Teil ragt gehoben, flach Beide Flarnleiter mit Kollargol geh
von unten her das Prostataadenom.
Fig. 17. Derselbe Fall bei Luftfüllung nach Ablauf des Fig. 18. Hypertrophie der Prostata. Starke Hebung
Kollargols. Kleine, in die Blasenlichtung ragende Hyper- und Verbreiterung des Blasenbodens.
trophie der Prostata. (Kollargolaufnahme.)
Fig. 19. Derselbe Fall nach Ablauf des Kollargols bei L
füllung. Prostata in Form mächtiger Lappen prominiere
Im Rezessus retrouretericus ein Rest von Kollargol
Fig. 20. Hypertrophie der Prostata. Kollargolfüllung. Fig. 21. Derselbe Fall. Luftfüllung nach Ablauf des
Starke Hebung und Verbreiterung des Blasengrundes. Kollargol. Zapfenartiges Vorragen des Prostatalappens
gegen die Blase.
Fig. 22. Papilläre Blasengeschwulst. Luftfüllung "•
Ablauf von Kollargol. Am Blasengrund gestielt f
sitzender, die Basis nicht infiltrierender Tumor.
September 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1867
lar ist, so bei den atonischen kongenitalen Erweiterungen der
arnieiter, bei ulzeröser Zerstörung des Sphinkterapparates
n Ureter. Warum aber in dem eben genannten Fall, in dem,
ie bei beträchtlicherer Hypertrophie der Prostata beobachtet
ird, der unterste Harnleiterabschnitt nicht nur nicht erweitert,
indem eher verengert erscheint, warum hier der Eintritt so
icht erfolgen konnte, ist nicht erklärbar. Anhangsweise
öchte ich noch bemerken, dass bei diesem Manne die vor
inlegung des Verweilkatheters entleerte Residualflüssigkeit
ehr als 1000 g betragen hat.
ln welcher Weise die Kollargolluftfüllung der Blase in
fferentialdiagnostisch wirkenden Fällen zur Entscheidung
.'rangezogen werden kann, wird durch den folgenden Fall er-
chtlich.
60 jähriger Mann, zeitweilige Hämaturie, nächtliche Dysurie,
e und da Harnretention. Die auswärts von sachverständiger Seite
irgenommene Untersuchung ergab eine beträchtliche Verlängerung
i Pars prostatica. Die Passage dieser Partie mit starren Instru-
enten ist ausserordentlich erschwert und jedesmal von so heftiger
utung gefolgt, dass die Zystoskopie unmöglich erscheint. Mit
icksicht auf diese Verhältnisse war von dem behandelnden Arzte
e Diagnose mit grösster Wahrscheinlichkeit auf Blasenkarzinom
stellt worden.
Bei der Untersuchung fand ich vom Rektum aus die Prostata
:ht vergrössert; kein Residualurin. Unter Anwendung der
igationszystoskopie finde ich: eine beträchtliche Verlängerung der
irs prostatica, ausgeprägte trabekuläre Hypertrophie der Blase,
eifache Divertikel. Die Blasenmündung und damit der Rand der
ostata war wegen der gezwungenen Stellung des Instrumentes
:ht sichtbar zu machen. Die gewünschte Aufklärung über den Fall
sab sich erst aus der Röntgenaufnahme bei Kollargol- und Luft-
luug. Der Kollargolschattenriss der Blase zeigt die typische Form
r Prostatahypertrophie: breiter flacher Fundus, daumenbreit über
m oberen Symphysenrand stehend, rechts und links seitlich je ein
chtes Divertikel. (Fig. 18.) Nach Ablauf des Kollargols und Luft-
lung treten die mächtigen, stark in das Blaseninnere prominierenden
lappten Anteile, die typisch in ihrer Form, scharf gegen das Blasen¬
nen abgesetzt sind, zutage. (Fig. 19.)
Mit Rücksicht auf die typische Form und Hebung des Blasen-
. Lindes, ferner in Erwägung des Umstandes, dass der In die Blase
pminente Tumor grobe Lappung aufwies, konnte die Diagnose mit
Lherheit auf Hypertrophie der Prostata gestellt werden.
Als schattengebende Flüssigkeit verwendete ich die unter dem
men Skiargan in den Handel gebrachte Kollargollösung konstanter
nzentration.
Die Röntgenaufnahmen stammen aus dem Röntgeninstitut des
thschild-Spitals in Wien (Vorstand: Dr. R o b i n s o n) und sind vom
sistenten Dr. K r o n f e 1 d hergestellt.
is dem chemisch-bakteriologischen Institut des Dr. Philipp
Blumenthal in Moskau.
perimentelle Untersuchungen über die Wirkung von
röntgenisiertem Serum (X-Serum) auf das Blut.
in Dr. Jacob Qlaubermann in Moskau, Leiter der
hämatologischen Abteilung des Instituts.
Der in dieser Wochenscharft (1914, No. 6, S. 299) ver-
1 entlichte Aufsatz von S. W e r m e 1 „Ueber die Eigenschaften
ss Blutes resp. des Serums nach Einwirkung der Röntgen-
fahlen“ ist in der Hinsicht ausserordentlich interessant, dass
I r der Versuch vorliegt, in gewissen Fällen zu therapeuti-
len Zwecken die direkte Röntgenbestrahlung durch Ein-
rleibung von röntgenisiertem Serum zu ersetzen, das
alog der unmittelbaren Beleuchtung mit X-Strahlen wir¬
rt soll.
Ja, es ist sogar möglich, dass die Heilerfolge bei An-
‘ndung des X-Serums in manchen Fällen (tuberkulöse
ektionen der Knochen und Drüsen, Neubildungen u. dgl.)
h noch als besser erweisen dürften als bei der direkten Bc-
ahlung. Jedenfalls wäre es angesichts der von S. W e r m e I
'Leiten beachtenswerten Ergebnisse sehr angebracht, in
j'Ser Richtung eine Reihe streng wissenschaftlicher und ob-
i tiver Untersuchungen auszuführen, die die Bedeutung des
'Serums als therapeutisches Agens klarstellen könnten.
Die Beobachtungen W e r m e 1 s an gesunden Kaninchen, denen er
v schiedene Mengen von X-Scrum (6 — 24 ccm) subkutan injizierte,
DÜen, dass in allen Fällen kurz nach der Einverleibung des Serums
Ee Abnahme der Gesamtzahl der Leukozyten eintrat: die Abnahme
L Leukozytenanzahl hielt 5 — 10 Stunden an, sodann stieg sie all-
r hlich wieder an und erreichte nach 24 Stunden den ursprünglichen
Wert. In mehreren Fällen wurde eine vorangehende, 1 — 2 Stunden
lang andauernde Leukozytose vermerkt. Die von Priv.-Doz. Dr. M a-
r’iviV °i^ s ^ ‘ ausseführte Untersuchung der blutbildenden Organe
Uviilz, Knochenmark) und der Geschlechtsdrüsen der eine Woche nach
der Injektion getöteten Versuchstiere ergab keine Abweichungen von
der Norm. Fasst man jeden einzelnen der von W e r m e 1 angestellten
b Versuche gesondert ins Auge, so sieht man, dass der Effekt der
Einwirkung des Serums auf die Abnahme der Leukozyten keines¬
wegs in direkter Abhängigkeit steht von der Menge des eingeführten
Serums, eher sogar umgekehrt: die Einspritzung der grössten X-
Sei ummenge hatte das geringste Ergebnis im Sinne einer Leukopenie
zur Folge.
So wurden z. B. im Versuch Nr. 5 subkutan 24 ccm eingeführt
und die Anzahl der Leukozyten sank nach 5 Vz Stunden von 10 900
auf 8500, während im Versuch Nr. 3 die applizierten 9 ccm die
Leukozytenzahl nach 6 Stunden von 10 900 bis auf 3200 herunter-
di tickten . Diese Erscheinung legte uns die Vermutung nahe, dass es
sich bei der Einwirkung des X-Serums auf die Leukozyten wohl um
zwei, die Schwankungen der Leukozytenanzahl im Blute in entgegen¬
gesetztem Sinne beeinflussende Faktoren handeln dürfte. Einerseits
bewirkt das Serum bekanntlich eine Leukozytose, andererseits die
am Serum haftende Röntgenenergie Lukopenie. Um unsere Annahme
zu piiifen, stellten wir eine Reihe von Versuchen an gesunden Ka¬
ninchen an, denen wir verschiedene Mengen von X-Serum: min-
destens 2 und höchstens 16 ccm pro dosi subkutan injizierten. Ins-
gesamt unterzogen wir 12 Kaninchen der Beobachtung, von denen
drei behufs Kontrolle normales Pferdeserum und 9 röntgenisiertes
Serum eingespritzt erhielten.
Das X-Serum wurde uns von Herrn Dr. Werme!
freundlichst zur Verfügung gestellt; die Bestrahlung geschah
in der Weise, dass jeder Ampulle mit je 8 ccm Serum zirka
400 X zugeführt wurden, von denen das Serum 100 X absor¬
bierte.
Die Mehrzahl der Kaninchen befand sich 24 Stunden lang,
mehrere dagegen 5 — 8 Jage lang unter Beobachtung. Zwei Ka¬
ninchen erhielten wiederholte Seruminjektionen: eine von normalem,
die andere von röntgenisiertem Serum in der gleichen Menge (d. h.
je 4 ccm). Die Zählung der Leukozyten erfolgte mit Hilfe der Biir-
k e r sehen Kammer, wobei der Inhalt der ganzen Kammer gezählt
wurde. Bei der Blutentnahme fertigte man jedesmal auch Ausstrich¬
präparate auf Deckgläschen an. Aus den nach Jenner gefärbten
Präparaten wurde die leukozytäre Form errechnet und die Morpho¬
logie der Leukozyten berücksichtigt. Die Ergebnisse unserer Unter¬
suchungen sind in folgenden Tabellen enthalten.
Zum besseren Verständnis der von uns erzielten Resultate
erlauben wir uns hier kurz die in der Literatur niedergelegten
Angaben über den Einfluss der direkten Röntgenbestrahlung
auf das Blut anzuführen.
H e i n e k e fand, dass nach der Röntgenbestrahlung der blut¬
bildenden Organe eine Verarmung des Blutes an weissen Blutkörper¬
chen eintritt. Bei der Beleuchtung von Mäusen, Meerschweinchen,
Ratten und Kaninchen in Kisten, in denen die Tiere sich frei bewegen
konnten, war eine hochgradige Abnahme der Leukozyten (sogar
unter 1000 in 1 emm) zu konstatieren, dabei verschwanden die
Lymphozyten manchmal gänzlich aus dem Blute.
H e 1 b e r und Linser untersuchten systematisch die morpho¬
logischen Blutveränderungen unter dem Einflüsse von Röntgen¬
strahlen. Sie wiesen nach, dass die Leukozyten nicht nur an Zahl
abnehmen, sondern auch zugrunde gehen. Auch sie fanden, dass vor
allem die Lymphozyten geschädigt werden. Die Zerstörung der
Leukozyten findet nicht nur in den blutbildenden Organen statt,
sondern in erster Linie im Blutstrom selbst.
Aubertin und Bcausard zeigten im Jahre 1904 durch
Tierversuche, dass nach intensiver Bestrahlung sich in den ersten
Stunden eine stark ausgeprägte Leukozytose mit Vermehrung der
Neutrophilen einstellt. Nach einigen Stunden erfolgt eine Abnahme
der Anzahl der Leukozyten. Der Zunahme der Polynuklearen im
Blute wurde parallel gehend eine Verringerung derselben im Knochen¬
mark und in der Milz beobachtet. Im folgenden machte sich im
zirkulierenden Blute ein beträchtlicher Leukozytenzerfall bemerkbar.
Interessant sind die Beobachtungen von Benjamin, v. R e u s s,
G 1 u k a und Schwarz. Sie unterzogen Kaninchen der Einwirkung
von Röntgenstrahlen (20 H) und fanden, dass in den ersten 2 Stunden
charakteristische Blutveränderungen nicht auftreten. Nach Ablauf
der ersten 2 Stunden hingegen stellt sich aui einmal eine stark aus¬
gesprochene Leukozytose ein (2— 4 mal grössere Zahl als in der
Norm) bei relativer Lymphopenie, und nach mehreren Stunden wird
dieses Bild durch ein rasches Sinken der Gesamtzahl der Leukozyten
abgelöst. Ungefähr nach 12 Stunden beginnt die Leukopenie, die
gewöhnlich am 3 Tag ihren Höhepunkt erreicht. Nach 6—7 Tagen
gewinnt das Blut seine normale Zusammensetzung wieder, nur ist
ein gesteigerter Gehalt an grossen einkernigen Elementen bemerkbar,
deren Menge am 4. Tage bisweilen 34 Proz. erreicht.
Beachtenswert ist ein von den genannten Autoren an einem
Kaninchen ausgeführter Versuch, bei dem nur die Ohren des Tieres
der Wirkung der Röntgenstrahlen ausgesetzt waren, während sein
ganzer Körper in einer bleiernen Kiste isoliert wurde. Als Ergebnis
r
1868
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
der sehr starken Bestrahlung (170 H) trat eine recht beträchtliche
polynukleäre Leukozytose mit Lymphopenie auf, die nur einige
Stunden anhielt, worauf alles rasch wieder zur Norm zurückkehrte.
Ein Sinken der (iesamtzahl der Leukozyten unter
die Norm — eine echte Röntgenleukopenie —
stellte sich dabei nicht ein. Daraus ziehen die Autoren
der. Schluss, dass zwischen der Röntgenbestrahlung des ganzen
Tieres und der isolierten Einwirkung auf das Blut allein ein wesent¬
licher Unterschied besteht, der darin enthalten ist, dass im ersteren
Eallc für die vollständige Regeneration 7—10 Tage erforderlich sind,
während im letzteren das Blutbild bereits nach 24 Stunden zum Status
quo ante zurückkehrt. Der Versuch der Autoren weist somit darauf
hin, dass die Blutveränderungen im Laufe der ersten 24 Stunden
hauptsächlich auf Rechnung des Leukozytenzerfalls im Blute und
nur zum Teil auf Rechnung einer Schädigung der blutbildenden
Organe zu setzen sind während die erst nach 24 Stunden eintretenden
Veränderungen ausschliesslich von Schädigungen der hämatopoeti-
schen Organe abhängen. Diese Ansicht findet eine Bestätigung in
den Ergebnissen zahlreicher Forscher, die bereits 2 Stunden nach
der Bestrahlung eine hochgradige Abnahme der Lymphozyten kon¬
statieren konnten, während H e i n e k e in demselben Zeitraum
irgendwelche Veränderungen in den Blutbildungsorganen nicht nach¬
zuweisen vermochte.
Indem wir zu unseren eigenen Versuchen übergehen,
wollen wir bemerken, dass in sämtlichen Fällen die Kaninchen
am ersten Beobachtungstage (24 Stunden lang) ohne Nahrung
blieben, obwohl dies nicht unbedingt erforderlich zu sein
scheint, da Klieneberger und Carl das Auftreten einer
Verdauungsleukozytose bei allen von ihnen untersuchten
Tieren gänzlich in Abrede stellen, ebenso wie K ä 1 1 m a r k bei
hungernden Kaninchen keinerlei Schwankungen im Verhältnis
der einzelnen Leukozytenformen feststellen konnte.
Laufende
Nummer
Gewicht
S
Injiziert
Zeit der
Blutentnahme
Zahl
der Leukozyten
in 1 emm
Prozent¬
gehalt
an Lympho¬
zyten
1
15. XII. 13
15. XII
um
12
Uhr 25 Min
4 5P0
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um
12 Uhr 30 Min.
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11 000
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10 000
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Beim Durchblicken der angeführten Tabellen fällt es auf,
dass die Wirkung des röntgenisierten Serums auf die weissen
Blutkörperchen der Versuchtstiere sich von der des Normal¬
serums auf die Kontrollkaninchen stark unterscheidet. In allen
drei Versuchen mit der Injektion von Normalserum (Nr. 1:
8 ccm, Nr. 4: 8 ccm und. Nr. 10: zwei Tage der Reihe nach zu
je 4 ccm) stellte sich eine deutlich ausgesprochene Leuko¬
zytose ein. Der Prozentgehalt an Lymphozyten änderte sich
fast gar nicht. Die Leukozytose erreichte nach 2 — 2 lA Stunden
ihren Höhepunkt und sank noch vor Ablauf von 24 Stunden
ungefähr bis zu ihrem ursprünglichen Werte herab.
Ein ganz anderes Ergebnis hatten ausnahmslos sämtliche
Versuche mit Einführung von Serum derselben Serie (das
gleichzeitig demselben Pferde entnommen wurde), das aber
vorher durch Bestrahlung mit Röntgenstrahlen gesättigt war.
In fast sämtlichen Fällen wurde 15 Minuten nach der Ein¬
spritzung ein Anstieg der Qesamtzahl der Leukozyten beob¬
achtet, der sogleich herunterzugehen begann und in der Regel
nach 1 Yi — 2 Stunden sein Minimum erreichte, sodann wiederum
ein allmählicher Anstieg; 24 Stunden nach Einführung des
Serums war noch eine gewisse Steigerung im Vergleich mit
dem ursprünglichen Werte zu konstatieren. Was den Prozent¬
gehalt an Lymphozyten anlangt, so wurde überall ein merk¬
liches Sinken während des ganzen Versuches, d. h. der
24 Stunden verzeichnet.
Seitens der übrigen Leukozytenformen kamen keine merk¬
lichen Abweichungen von der Norm zur Beobachtung. Gleicher¬
weise sahen wir auf gefärbten Ausstrichpräparaten keinen
deutlich ausgeprägten Leukozytenzerfall, keine Auflösungs¬
formen. Zerdrückte Leukozyten waren auf diesen Präparaten
in nicht grösserer Menge vorhanden als in dem vor der
Serurninjektion entnommenen Blute.
Im Versuch Nr. 12 war das Sinken des Prozentverhältnisses
der Leukozyten nur ein geringfügiges, und zum Schluss des Ver¬
suches machte sich sogar eine gewisse Lymphozytose geltend.
Dieser Umstand scheint davon abzuhängen, dass in dem betreffenden
Falle ein Serum angewandt wurde, das 24 Stunden vor seiner Ein¬
verleibung an das Kaninchen mit X-Strahlen gesättigt worden war.
während wir in allen übrigen Versuchen ein Serum benutzten, welches
2 — 3 Stunden vor Beginn des Versuches der Einwirkung der Röntgen¬
strahlen ausgesetzt wurde. Ausserdem ist es möglich, dass in diesem
Falle die Reaktion seitens der Lymphozyten sich verspäten konnte
und wir sie übersehen haben, da von 5'/?. Uhr abends bis 11 Uhr
morgens am nächsten Tage Beobachtungen am Blute dieses Ka¬
ninchens nicht angestellt wurden.
1. September 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1869
Vom Blut des Kaninchens Nr. 12 angefertigte Ausstriche wurden
nach dem kombinierten Verfahren von Jenner und Qiemsa ge¬
färbt. Die mikroskopische Untersuchung dieser Präparate zeigte,
dass die Anzahl der grossen Mononuklearen sowohl vor als auch
wahrend des gesamten Versuches sich nicht merklich verändert hatte
und 4 — 6 Proz. der Gesamtzahl der Leukozyten betrug.
Ausserdem beobachteten wir im Blute, das Vs Stunde und später
nach der Einführung von X-Serum entnommen war, das Vorhanden¬
sein einer geringen Menge (etwa Vs Proz.) von sehr grossen Lympho¬
zyten mit grossem, verhältnismässig blass gefärbtem Kerne und stark
öasophilem Protoplasma und Vakuolen in demselben, die morpho¬
logisch den zuerst von Türk beschriebenen Reizungszellen des
\nochenmarkes (I ii r k sehe Reizungsformen) ausserordentlich
dichen. Dieser Umstand legt die Ansicht nahe, dass das unter die
laut applizierte röntgenisierte Serum zweifellos auch auf die blut¬
bildenden Organe einwirkt.
Vergleichen wir die bei der Einführung verschiedener
Mengen von X-Serum von uns erzielten Resultate so sehen
wir, dass die Abnahme der Leukozyten am deutlichsten war
lach der Injektion von 4 ccm X-Serum und am wenigsten
Jeutlich nach 16 ccm. In dieser Beziehung sind unsere Ver-
mchsergebnisse identisch mit denen von S. W e r m e 1. Ein
gewisser Unterschied machte sich beim Vergleich der Dauer
ler sich einstellenden Leukopenie bemerkbar. In unseren Ver-
uchen erreichte die Abnahme der Leukozyten ihr Maximum
tach 1 's — 2 Stunden, wobei die Leukopenie hernach noch 2 bis
I Stunden anhielt, in den Versuchen W e r m e 1 s dagegen hielt
lie Leukopenie bedeutend länger an und wies auch später ihr
Maximum auf. Ein Versuch mit wiederholter Einführung von
(-Serum (4 ccm täglich, 3 Tage lang) zeigte, dass am ersten
Tage das gewöhnliche Bild der Abnahme der Leukozyten mit
inem gewissen Anstieg am nächsten Tage beobachtet wurde.
Un zweiten Tage ein neuerliches Sinken, das eine längere Zeit
n dauerte und stärker ausgeprägt war (das Maximum des Ab¬
tiegs von 18 000 bis auf 6200 trat 6 Stunden nach der zweiten
njektion von X-Serum ein).
Das Ergebnis der neuen Serumeinspritzung am dritten
age ist von uns leider nicht genügend verfolgt worden. Im
erlaufe der nächsten 4 Tage nach Einstellung der Injektionen
erharrte die Gesamtzahl der Leukozyten in den Grenzen der
rspriinglichen Norm bei relativer Lymphopenie. Die am Kon-
■ollkaninchen ausgeführte wiederholte Injektion von je 4 ccm
lormalserum an zwei Tagen rief jeden Tag nach Ws bis
Stunden ein Maximum der Leukozytose und sodann ein all-
lähüches Sinken derselben bis zur Norm nach Ablauf von
4 Stunden hervor. Bei dieser ursprünglichen Norm verharrte
ie Leukozytenmenge im Verlaufe der nächsten 4 Tage.
Was den konsekutiven Blutbefund (nach 24 Stunden) bei
inmaliger Einführung von X-Serum anlangt, so konnten wir
onstatieren, dass die Gesamtzahl der Leukozyten nach Ablauf
er ersten 24 Stunden 4 Tage lang auf der ursprünglichen Höhe
erblieb, während die Anzahl der Lymphozyten, sowohl die
dative als auch absolute, bedeutend niedriger als die anfäng-
che Norm war (vgl. Versuch Nr. 11).
Aus allen diesen Darlegungen können wir folgende
chlüsse ziehen:
1. Die subkutane Injektion von X-Serum ruft bei Kaninchen
larakteristische Blutveränderungen hervor: Nach einer sehr
nrzdauernden, rasch eintretenden Leukozytose stellt sich eine
-hnell vorübergehende Leukopenie ein, die ihren Höhepunkt
ach Ws — 2 Stunden erreicht und sodann allmählich vor Ab-
II f von 24 Stunden bis zur ursprünglichen Norm und etwas
urüber ansteigt.
2. Gleichzeitig wird eine ziemlich stark ausgeprägte zä¬
hmende Lymphopenie beobachtet, die ihr Maximum nach Ab-
uf von 24 Stunden nach der Injektion erreicht.
3. Vergleicht man die Resultate der subkutanen Applikation
on X-Serum bei Kaninchen mit den von verschiedenen
utoren bei direkter Röntgenbestrahlung erzielten Ergebnissen,
» tritt eine hochgradige Analogie sowohl hinsichtlich der
eukopenie wie auch der Lymphopenie hervor, mit dem
esentlichen Unterschied jedoch, dass die Reaktion seitens der
eukozyten bei direkter Bestrahlung bedeutend langsamer sich
ülzieht (nach 2 Stunden Leukozytose, nach 12 Stunden Be¬
im der Leukopenie, ihr Maximum am 3. Tage, am 7. — 8. Tage
ülständige Regeneration des Blutes).
4. Die Wirkung des X-Serums auf das Blut bietet eine
osse Aehnlichkeit dar mit dem Einfluss, welchen die direkte
Röntgenbestrahlung isoliert auf das Blut ausübt (Versuche von
Schwarz mit der Bestrahlung der Ohren von Kaninchen,
die in einer bleiernen Kiste isoliert waren), mit dem Unter¬
schied, dass in den Schwarz sehen Versuchen die Anzahl
der Leukozyten nicht unter die ursprüngliche Norm sank.
5. Bei der Wirkung des röntgenisierten Serums auf das
Blut haben wir es mit zwei Antagonisten zu tun: mit dem
Serum, das eine Leukozytose hervorruft, und mit der im Serum
eingeschlossenen Röntgenenergie, die in entgegengesetzter
Richtung wirkt. Infolgedessen wird bei Steigerung der X-
Serumdosis nicht immer eine Verstärkung des Effektes be¬
obachtet.
6. Da die Beeinflussung des Blutes durch direkte Röntgen¬
bestrahlung von Tieren (der blutbildenden Organe), sowie
durch die isolierte Bestrahlung von Körperteilen (Kaninchen¬
ohren), die von den blutbildenden Organen weit entfernt sind,
der Beeinflussung durch Injektionen von X-Serum zwar
analog, aber nicht ganz gleich ist, so wäre es sehr
wünschenswert zu untersuchen, in welchen Fällen und wann
diese oder jene Methode der Einverleibung von Röntgen¬
energie zu therapeutischen Zwecken vorzuziehen ist.
Zum Schluss ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem
Mitarbeiter und Kollegen Herrn Dr. S. L i f s c h i t z für die mir
bei der Ausführung dieser Arbeit erwiesene freundliche Mit¬
wirkung meinen besten Dank auszusprechen.
Literatur.
1. S. Wermel: Ueber die Eigenschaften des Blutes resp. des
Serums nach Einwirkung der Röntgenstrahlen. M.m.W. 1914 Nr. 6
S. 299. — 2. J. Wett er er: Handb. d. Röntgenther. 1913—1914. —
3. Nägeli: Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. — 4. C. Kliene-
berger und W. Carl: Die Blutmorphologie der Laboratoriums¬
tiere. Leipzig 1912.
lieber neuartige gewerbliche Erkrankungen in
Kalkstickstoflfbetrieben.
Vorläufige Mitteilung.
Von Dr. F. K o e 1 s c h, Kgl. bayer. Landesgewerbearzt.
Kalkstickstoff stellt ein Produkt der modernen elektro¬
chemischen Industrie dar, welches als künstliches Düngermittel
— Ersatz des Chilesalpeters — hervorragende volkswirtschaft¬
liche Bedeutung besitzt. Zu seiner Herstellung werden zu¬
nächst Kalk und Kohle (Koks) im elektrischen Ofen bei etwa
3000° C zu Kalziumkarbid gebunden; letzteres wird fein ge¬
mahlen und (nach dem Verfahren von Frank & Caro)
unter gleichzeitigem Erwärmen auf etwa 900—1000° C in den
elektrischen Azotieröfen mit Stickstoff gesättigt. Der hierzu
nötige Stickstoff wird nach dem Linde sehen Verfahren aus
der Luft entnommen durch Verflüssigung des Luftsauerstoffs
bei etwa — 200° C. Das Handelsprodukt enthält annähernd
57 Proz. Kalziumzyanamid, 21 Proz. Aetzkalk, 14 Proz. Kohlen¬
stoff, dazu einige Verunreinigungen von Kiesel- und Phosphor¬
säure, Eisen u. dgl. Die Kalkstickstofffabrikation bietet nicht
nur vom technischen Standpunkte aus erhebliches Interesse;
sie hat auch der Gewerbehygiene einige interessante Probleme
gestellt.
Nur andeutungsweise seien an dieser Stelle die A e t z -
wirk u n gen infolge des relativ hohen Gehalts an Kalzium¬
oxyd (21 Proz.), die Möglichkeit der Vergiftung infolge
Entwickelung von Azetylen oder Phosphorwasserstoff bei
Feuchtigkeitsaufnahme, die Gefahr einer Explosion durch die
letztgenannten Gase erwähnt. Diesbezügliche Beobachtungen
und Relationen werden in einer demnächst erscheinenden
Studie des Verfassers näher erörtert werden. An dieser Stelle
sollen nur die eigenartigen, vom toxikologischen Standpunkte
aus höchst interessanten und in der Literatur bisher noch nicht
beschriebenen Attacken kurz geschildert werden, die bei den
Kalkstickstoffarbeiten im Gefolge der Alkoholauf-
n a h m e — sonst nicht — auftreten.
Bei Genuss von alkoholischen Getränken „steigt (nach An¬
gabe der Arbeiter) die Hitze in den Kopf, der Kopf wird rot,
während die Glieder meist frösteln, auf der Brust, auch im
Hals schlägt es, der Atem reicht nicht mehr aus, es drückt die
Brust zusammen, cs ist zu voll in der Brust“ usw.
1870
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Die Untersuchungen ergaben nachstehende Er¬
gebnisse: Während die Arbeiter für gewöhnlich keinerlei
subjektiven oder objektiven Befund zeigen, treten schon nach
geringfügiger Alkoholzufuhr, meist schon nach dem ersten oder
zweiten Schluck Bier, Schnaps, Wein etc., seltener erst nach
grösseren Mengen, lebhafte Kongestionszustände in den oberen
Körperregionen ein. In den meisten Fällen ist Gesicht und
Hals, meist auch die Schultergegend bläulichrot injiziert, etwa
wie bei einem hochgradig Erhitzten. Die Verfärbung wird an
Rumpf und Armen mehr hellrot und ähnelt hier lebhaft dem
Scharlachexanthem. Sie breitet sich bei einem Teil der Unter¬
suchten weiter aus, bis etwa 3—4 Querfinger unterhalb der
Schlüsselbeine bzw. in der Mitte bis zum Schwertfortsatz, am
Rücken bis zur Höhe der Schulterblattgräte, in anderen Fällen
vorne bis unterhalb der Firustwarzen bzw. bis zum Nabel oder
einige Querfinger darunter, rückwärts bis zum Beginn der Ge-
sässspalte. Die Verfärbung an Kopf und Rumpf ist meist
gleichmässig mit gezackten Rändern; selten sind normale Haut¬
partien eingeschlossen. Die Arme sind selten ganz befallen
(einmal bis zum Handgelenk), meist finden sich grössere oder
kleinere zackige Flecken verstreut, besonders in der Achsel¬
falte und Ellenbeuge. Die Augenbindehaut ist lebhaft injiziert,
die Tränensekretion erscheint vermehrt, auch die Schleimhaut
der Mimdrachenhöhle, besonders der weiche Gaumen, ist leb¬
haft gerötet. Bei der Blutentnahme aus dem Ohrläppchen
tropft reichlich Blut ab. Eine wesentliche Temperatur¬
erhöhung der geröteten Körperstellen ist nicht nachweis¬
bar, hingegen fühlen sich die Hände häufig kalt an. Gelegent¬
lich ist ein leichtes Zittern des ganzen Körpers (Kälteschauer?)
zu beobachten. Die Atmung ist meist etwas beschleunigt,
etwa 20—25 per Minute, in allen Fällen vertieft, thorakal, von
hörbaren tiefen Inspirationen häufig unterbrochen. Ab und zu
erfolgt leichtes Husten, vielleicht die Folge einer Hyperämie der
Luftwege (ev. in Verbindung mit Staubreizung). Die Herz¬
tätigkeit ist lebhaft erregt, der Herzstoss äusserlich sicht¬
bar, der Puls demgemäss beschleunigt, schnellend, meist über
100 bis 130 per Minute. Der Blutdruck ist bei einem Teil
der Untersuchten normal, bei der Mehrzahl etwas erniedrigt.
Das Blutbild ist unverändert.
Das Sensorium ist vollkommen klar, Reflexe sind nor¬
mal. Bei schweren Fällen soll auch ein leichtes Taumeln Vor¬
kommen, während insbesondere früher (bei den ersten Anfällen
im Beginn der Fabrikation) häufiger Schütteln, Jaktation etc.
beobachtet worden sei; doch dürften diese Symptome mehr
psychischen Ursprungs gewesen sein, da sie aus der Zeit
stammen, wo die Arbeiter vom Krankheitsbild noch überrascht
waren, sich krank meldeten bzw. das Bett aufsuchten und den
Arzt holen Hessen.
Die Dauer der Anfälle ist verschieden und fast stets von
der aufgenommenen Alkoholmenge abhängig; meist beträgt sie
1 — 2 Stunden. Falls im Anfalle Erbrechen oder Abweichen
auftritt, erfolgt fast momentan eine Besserung, welche auch
am Nachlassen der Rötung sogleich sichtbar wird. Nach dem
Anfall soll leichte Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Frösteln etc.
bestehen. Dauerfolgen wurden bisher nicht beobachtet. Eine
persönliche Disposition ist erforderlich, doch sind nahezu
sämtliche Arbeiter mehr oder minder disponiert. Eine Ge¬
wöhnung scheint nicht stattzufinden. Voraussetzung ist
eine wenn auch nur stundenlange Beschäftigung im Betrieb
mit Staubinhalation; je staubiger die Arbeitsverrichtung, desto
intensiver der Anfall, wenn nachher Alkohol konsumiert wird.
Die Disposition verschwindet, wenn die Arbeit 1 — 2 Tage oder
länger unterbrochen wurde, um nach Wiederaufnahme der
Arbeit zurückzukehren. Ferner ist es ohne Belang, wenn die
Arbeiter vor Aufnahme der Staubarbeit Alkohol zu sich ge¬
nommen haben; nach mehreren Ruhetagen, event. auch an
AJontagen, ist daher trotz vorhergegangenen Alkoholmiss¬
brauchs keine Häufung der Anfälle zu erwarten, wenn nicht
das bekanntermassen an solchen Tagen gesteigerte Durst¬
gefühl zu neuer Alkoholaufnahme verleitet. In gleicher Weise
wirken hohe Temperaturen infolge Erhöhung des Durstgefühls
begünstigend.
Die Prophylaxe ergibt sich aus den ätiologischen Mo¬
menten von selbst: Vermeidung von Staubbildung und der
Alkoholaufnahme. Ersteres erfolgt im wesentlichen durch
Nr. 35.
technische Verbesserungen, wie durch mechanische Absaugung
an allen Staubherden, mechanischen Transport, Absack¬
maschinen u. dgl. m. Auch Zusatz von Oel zum Fabrikat
vermindert die Verstaubungsgefahr. Die persönliche Pro¬
phylaxe besteht in Belehrung der Arbeiter, Anleitung zu vor¬
sichtigem Arbeiten, Tragen von Respiratoren bei besonders
staubenden Verrichtungen, Vermeidung des Alkohols und Er¬
satz durch Kaffee, Tee, Limonaden. Tatsächlich . ist der Al¬
koholverbrauch dieser Arbeiter, seitdem die Beziehungen zu
den „Anfällen“ bekannt sind, relativ niedrig; manche sind fast
abstinent. Die Firma stellt täglich mehrere hundert Liter
schwarzen Kaffee unentgeltlich zur Verfügung. Beigefügt sei,
dass anfänglich, als die Alkoholeinwirkung noch nicht bekannt
war, „im Anfall“ gelegentlich in therapeutischer Absicht
Schnaps, Kognak, Spir. aether. oder Tct. Valerian etc. ge¬
nommen wurden, was natürlich eine Verschlimmerung zur
Folge hatte.
Eine Therapie findet seit genauerer Kenntis von der
Entstehung des Anfalls nicht mehr statt; einige Leute legen
sich hin und warten die Attacke im Bett oder auf dem Sopha
etc. ab. Aerztliche Hilfe wird nicht mehr in Anspruch ge¬
nommen. Sie hätte sich event. auf Eisapplikation und Ver¬
ordnung eines Brech- oder Abführmittels zu beschränken.
Als Ursache dieser eigenartigen Affektion ist das im
Kalkstickstoff enthaltende Zyanamid anzusprechen, wie die
Untersuchungen des Verf. ergeben haben dürften; dieselben
sollen, wie erwähnt, in einer monographischen Studie über die
Hygiene der Kalkstickstoffindustrie demnächst mitgeteilt
werden.
Vergiftungstod durch „Chineonal“.
Von Med.-Rat Dr. V. Erd t, k. Landgerichtsarzt in München.
Die Firma E. Merck in Darmstadt vertreibt seit längerer
Zeit ein Mittel gegen Keuchhusten, Infektionsfieber und Neu¬
ralgie, das sie „Chineonal“ nennt und welches aus einer Ver¬
bindung von Chinin und Veronal besteht. Von mehreren
Autoren (F r ä n k 1 und Hauptmann [M.K1. 19121.
Pauli, S. Wassermann, B ö c k, A r m b r u s t e r u. a.)
werden die guten Erfolge dieses Mittels bei Keuchhusten her¬
vorgehoben. Das Erbrechen soll bald aufhören, der Appetit
sich heben. In der Tat ermunterte die Zusammensetzung, das
seit Jahren bei Keuchhusten empfohlene Chinin in Verbindung
mit dem früher als unschädlich bezeichneten Veronal (Diäthyi-
malonylharnstoff) zu Versuchen, da unsere Auswahl von wirk¬
samen Mitteln bei Keuchhusten eine sehr geringe ist und das
einige Zeit viel gebrauchte Bromoform sich als recht gefähr¬
lich erwiesen hatte.
Wie bekannt, wurde das Veronal von E. Merck 1903 in
den Handel gebracht und von E. Fischer und Me ring in
die Therapie eingeführt. Es ist ein schwach bitter schmecken¬
des kristallinisches Pulver, das sich in 12 Teilen kochenden
Wassers und in 145 Teilen Wasser von 20" leicht löst. Es
wurde in fast überschwenglicher Weise als unschädliches und
prompt wirkendes Narkotikum empfohlen und ist vielfach im
Gebrauch. Doch sind seit ca. 11 Jahren zahlreiche Fälle von
Vergiftungen selbst durch ganz geringe Dosen (0,25) bekannt
geworden, die zur Vorsicht mahnen müssen. Es sei auf die
zahlreichen Referate über Veronal in der M.m.W. 1903, 1904
1905, 1908, 1909, 1910, 1911 und 1913 verwiesen.
Das Chineonal enthält in 100 Teilen 63,78 Teile Chinin und
36,22 Teile Veronal; es wird von der Firma in eleganten
Packungen als Chineonal-Schokoladetäfelchen ä 0,1 g und
dragierten Tabletten zu 0,1 und 0,2 g für Kinder, als Chineonal-
tabletten zu 0,3 g für Erwachsene in der ärztlichen Praxis
verordnet.
Nachstehender Fall aus meiner Gerichtspraxis ist geeignet,
die Kollegen bei Verordnung des Mittels zu grosser Vorsicht
zu mahnen.
In dein Orte S. erkrankten im September 1913 mehrere Kinder
und Erwachsene an Keuchhusten. So auch eine Familie in der Par¬
terrewohnung eines Hauses, dessen ersten Stock eine kleine Be¬
amtenfamilie bewohnte. Diese bestand aus Mann, Frau und einem
214 jährigen kräftigen Kinde, das der Obhut eines 13 jährigen, geistig
etwas beschränkten Landmädchens anvertraut war. Die Infektion
wurde auch auf diese Familie übertragen und zwar auf das Dienst-
September 19H. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ädchen. Der gerufene praktische Arzt des Ortes, welcher eine
andapothekc führt, verabreichte dem Dienstmädchen Chineonal-
hokoladetäfelchen, welche dieselbe aber nicht nehmen wollte. Da-
uf übergab er ihr Chineonaldragdes. Das Gläschen mit diesen
hsengrossen glänzenden Kügelchen stellte sie offen in die Küche, in
clcher das Kind sich häufig aufhielt. Das Kind spielte nun öfter
t dem Gläschen, öffnete eines Tages den Verschluss und ver-
hluckte eine Tablette; irgendwelcher Nachteil für das Kind wurde
;ht bemerkt, doch will die Mutter daraufhin dem Dienstmädchen
rboten haben, das Kind mit dem Gläschen spielen zu lassen, was
er von dem Mädchen bestritten wird Das Glas blieb, wie vorher,
der Küche und war dem Kinde leicht zugänglich. Am 29. Oktober
hm das Kind im Laufe des Tages nach und nach den ganzen Inhalt,
Tabletten, zu sich. Abends 7 Uhr bemerkte die Mutter, dass das
id schläfrig wurde, schwankte, vom Sofa, auf das man es setzte,
rabfiel und erbrach. Erst jetzt bemerkte man den Verlust der
len und das Mädchen gab zu, dass das Kind von den Pillen ge-
mmen hatte. Das Kind wurde sofort zum Arzte verbracht. Dort
ir es soporös, die Pupillen reagierten nicht mehr auf Licht, Arme
d Beine waren wie gelähmt. Einmal setzte es sich noch auf, rief
n Namen der Mutter, sank dann zurück, wurde zyanotisch und
■rlor das Bewusstsein.
Trotz lange fortgesetzter künstlicher Atmung, trotz Kampfer und
therinjektionen starb das Kind abends 10 Uhr. Eine Magenaus-
ilung, auf die das Kind nicht mehr reagierte, war ohne Erfolg
dieben.
Die gerichtliche Sektion ergab keine charakteristischen Befunde
die Todesursache. Es fand sich bei Eröffnung der Schädelhöhle
süsslicher ätherischer Geruch, bei Eröffnung der Bauchhöhle
rker Kampfergeruch; dies erklärt sich aus den vorhergegangenen
Aktionen. Keine Hypeiämie des Gehirns. An den grossen Gefässeti
Lungenwurzeln waren einzelne Dunktförmige Ecchvmosen. Dei
ige Befund war negativ. Harn befand sich nicht in der Harnblase.
Die Leichenteile wurden von Herrn Privatdozent Dr. Hei¬
se h k a untersucht. Nach gütiger Mitteilung desselben ergab die
mische Untersuchung (Verfahren S t a s - 0 1 1 o). dass in den Ein-
■ meiden keine Giftstoffe vorhanden waren, während man ans 200 g
Gehirns eine geringe Menge von Kristallen, welche als Veronal
usprechen waren, erhielt.
Bedenkt man, dass das Kind innerhalb 6—8 Stunden
(48 Veronal zu sich genommen hatte, so überrascht anfäng-
1 1 das geringe Resultat der chemischen Untersuchung. Dies
lärt sich einerseits aus dem Umstande, dass kein Harn ge-
1 nnen werden konnte, aus dem sich in den meisten Fällen
! grössten Mengen isolieren lassen, andererseits aus der Zeit,
i welcher die Tabletten genommen wurden. Wie Panzer
tljschr. f. gerichtl. M. und H e i d u s c h k a (Arch. d. Pharm.
1 5) aufmerksam machen, kann der Tod nach Veronalver-
ung erst zu einer Zeit eintreten, wo das Veronal zum
ssten Teil aus dem Körper wieder ausgeschieden ist.
Man könnte im vorliegenden Falle zweifelhaft sein, ob
it der Tod des Kindes durch die grosse Chininmenge er-
:t ist. Dagegen spricht das Fehlen der Gehirnhyperämie,
Symptome vor dem Tode (Atemstörung, Zyanose) und der
itive Befund der chemischen Untersuchung; letzterer ist
die Diagnose: Tod durch Vergiftung mit Veronal, aus-
‘laggebend. Nach Fried el (Zschr. f. Med. 18) machte
g Veronal bei einem Erwachsenen Koma, Herzschwäche
Kollaps, Alter beobachtete nach 1 g bei einem Epi-
iker Tod unter Cheyne-Stokesschem Atmen, M i o s i s,
len der Reflexe, Lungenödem.
Bei Chinintod erfolgt Lähmung des Atemzentrums, das
• gereizt wird, und durch Herzschwäche (Handb. d. ärztl.
liverst.-Tätigkeit von Prof. Paul Di tt rieh Bd. VII 1910).
' Kind hatte in unserem Falle in 9 Tabletten 1,15 g Chinin
1 sich genommen. Wenn auch Chinin im allgemeinen von
Jern gut vertragen wird, so ist doch durch Husemann
ler. Mh. 1888) ein Fall beschrieben, in welchem bei einem
'unden, 3 Jahre alten Kinde durch 2 — 3 g der Tod eintrat.
’■ n e r (bei H u s emann zitiert) erwähnt den Tod eines
ihre alten Kindes durch 1,2 g Chinin.
Man wird nicht umhin können, in unserem Falle dem
nin wenigstens eine schwächende, den Tod befördernde
' kung zuzuerkennen.
Als Gegenmittel bei Veronalvergiftung empfiehlt Thol!
ner. Koffein, bei Chininvergiftung Erben Kaffee, Thee,
nerinjektion, Atropin.
Bei Chineonalvergiftung dürfte, neben der Magenaus-
ung, Aether und Kampfer, vielleicht auch Atropin versucht
den.
Der erwähnte Fall möge namentlich den Kollegen auf dem
1871
Lande zur Warnung dienen und sie veranlassen, derartige ver-
lührerisch harmlos aussehende Medikamente nur unter ge¬
wissen Vorsichtsmassregeln zu verwenden.
Bezeichnend ist, dass im beschriebenen Falle der Vater
des Kindes die alleinige Schuld am Tode des Kindes dem
Arzte zumass, der durch seine Magenausspülung das Kind er¬
stickt habe!
Aus der physikalisch-therapeutischen Abteilung des St. Marien¬
krankenhauses zu Frankfurt a. M.
(Direktor: Dr. med. E. Hergenhahn).
II.
Ueber therapeutische Erfolge mit dem Degrassator
nach Dr. Schnee.
Von Dr. med. Adolf Schnee in Frankfurt a. M.
Nachdem von anderer Seite in einer ganzen Anzahl von
Publikationen auf die therapeutische Bedeutung der durch elek¬
trische Reizung unter gleichzeitiger Belastung, die als' Arbeits¬
widerstand dient, hervorgerufenen rhythmischen Muskelkon¬
traktionen hingewiesen wurde, und nachdem ich selbst wieder¬
holt zu dieser Frage Stellung genommen habe, möchte ich
im Nachstehenden einen kurzen Bericht über eine Reihe von
mir bisher nach dieser Methode behandelter Fälle geben. Vor¬
ausschicken möchte ich nur noch zur Orientierung, dass
während B e rgo n i e für diese Zwecke sehr gleichmässige
faradische Ströme verwendet und Nagelschmidt sich
dazu des L e d u c sehen Stromes bedient, ich Kondensatorent¬
ladungen benutze und zwar von Kondensatoren grosser Ka¬
pazität, deren Entladungskurven so beschaffen sind, dass bei
minimaler sensibler Reizung ein bedeutender physiologischer
Reizeffekt auf Muskeln und motorische Nerven erfolgt.
Zahlreiche Gelehrte und Praktiker wie Z a n i e t o w s k i,
Dubois, Hoorweg, Cluzet, Lapique, Hermann,
Mann, Cramer, Doumer, Wertheim-Salomon-
sonu. a. m. haben schon früher auf die grosse Bedeutung von
Kondensatorentladungen zu diagnostischen Zwecken hinge¬
wiesen und in neuerer Zeit haben Zanietowski, Sudnik
und Smith sie auch mit Vorteil in der Therapie verwertet.
Für die von mir beabsichtigten Zwecke scheinen Konden¬
satorentladungen schon deshalb besonders geeignet zu sein, weil
sie die Eigentümlichkeit besitzen, ebenso wie der unterbrochene
L e d u c sehe Strom anästhesierend zu wirken, dabei aber bei
weitem energischere Muskelkontraktionen als diese hervor¬
zurufen.
Ich habe diese Kondensatorentladungen nun mit dem von
mir schon früher in dieser Wochenschrift beschriebenen Ap¬
parat: „Degrassator“ in Anwendung gebracht, über dessen
Konstruktion und Handhabung ich mich daher nicht weiter zu
äussern brauche.
In aller Kürze möchte ich jedoch hier zunächst noch auf
einige praktische Momente bei der Benutzung des Apparates
hinweisen, die insofern von Bedeutung sind, als es im Inter¬
esse aller jener gelegen ist, die sich des Degrassators bedienen,
dass sie sich dieselben zunutze machen.
Bevor der zu behandelnde Patient entkleidet auf dem Degrassa-
torliegestuhl Platz nimmt, werden die mit Hilfe der darunter befind¬
lichen Kohlenfadenlampen gut angewärmten Rücken- und Gesässelek-
troden mit einem doppelt oder dreifach zusammengelegten, in heisses
Wasser getauchten Lacken überdeckt. Hat sich der Patient gelagert,
so wird die verstellbare Rückenlehne des Degrassatorliegestuhles
in die ihm zuträglichste Stellung gebracht. Unter den Kopf kommt
ein mit Billrothbattist überzogenes Polster. Mitunter ist es emp¬
fehlenswert, auch unter das Kreuz eine ebenso adjustierte Rolle zu
bringen. Hierauf versieht man die in Anwendung zu bringenden
übrigen Elektroden (Brust-, Bauch-, Ober-, Unterarm-, Ober- und
Unterschenkelelektroden) mit ebenfalls mittels heissen Wassers gut
durchfeuchteten Ueberzügen, passt sie durch Zurechtbiegen den be¬
treffenden Körperteilen gut an und belastet sie schliesslich mit Sand¬
säcken.
Diese Belastung darf niemals schematisch erfolgen, sondern man
hat dabei vielmehr einmal auf den beabsichtigten Zweck und weiter
auf den individuellen Zustand des Patienten Rücksicht zu nehmen.
Handelt es sich beispielsweise un; ein Individuum mit stark
entwickeltem Fettpolster und sonst gesundem und kräftigem Herz,
so wird man ohne weiteres von vorneherein bei kräftigen Konden¬
satorentladungen grössere Belastungen (60—80 kg) wählen dürfen,
und lediglich darauf bedacht sein, die Dauer der Sitzungen anfangs
1872
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 35.
nicht allzu sehr auszudehnen. 15 — 20 Minuten werden für die erste
Sitzung vollauf genügen. Wird diese anstandslos vertragen, so wird
man die Dauer der folgenden Sitzungen sofort verlängern und nach
2 bis 3 Tagen bis auf eine halbe Stunde und mehr ausdehnen können.
( ileichzcitig damit wird man auch die Belastung noch weiter er¬
höhen und dabei etwa bis 100 kg gehen, keinesfalls aber 150 kg
— und auch dies nur in Ausnahmefällen — überschreiten.
Viel grössere Vorsicht ist natürlich bei schwächlichen Individuen
mit weniger widerstandsfähigen Herzen geboten. Hier geht man ganz
vorsichtig zu Werk und ist vor allem darauf bedacht, die Leistungs¬
fähigkeit des Herzens durch ganz allmähliche Steigerung der Be¬
lastung und ebenso langsam zunehmende Verstärkung der Konden¬
satorentladungen zu erhöhen. Die untere Grenze der Belastung wird
in derartigen Fällen etwa 20 — 30 kg und die Dauer der ersten
Sitzungen 5 bis 15 Minuten betragen.
Exakte Angaben über die in beiden Fällen jeweils anzuwenden¬
den Ladespannurigen bzw. Entladungsstromstärken lassen sich nicht
machen. Im allgemeinen wird man als stärkere Ladespannungen
solche von 30—50 Volt und als grössere Entladungsstromstärken
solche von 15—20 MA. bezeichnen. Schwächere Ladespannungen
sind solche von 10—20 Volt, schwächere Entladungsstromstärken
solche von 5 — 10 MA.
Hinsichtlich der zu benutzenden Kapazitäten sei darauf hin¬
gewiesen, dass man sich am vorteilhaftesten möglichst grosser be¬
dient, etwa 25 — 35 MF.
Die Zahl der in der Minute zu applizierenden Stromstösse, die
mit Hilfe eines Metronoms reguliert wird, passt sich im allgemeinen
der Pulsfrequenz an. Nur bei wesentlich gesteigerter Pulsfrequenz
wird man eine langsamere Folge wählen.
Nach Beendigung der Applikation empfiehlt es sich, die Patienten
etwa eine halbe bis eine Stunde ausruhen zu lassen.
Wie ich schon früher betont habe, rufen die etwa mit der Fre¬
quenz der mittleren Pulszahl einander rhythmisch folgenden Ent-
ladungsstösse grösserer Kapazitäten keinerlei unangenehme oder
schmerzhaft sensible Nebenwirkungen hervor. Es bleibt nur das
eigentümliche dumpfe Gefühl des sich kontrahierenden Muskels be¬
stehen, das bis zu einem gewissen Grad als angenehm und mit zu¬
nehmender Dauer der Applikation sogar als kalmierend und sedativ
bezeichnet werden muss. Ein sicherer Beweis dafür ist das bei man¬
chen Patienten während der Applikation auftretende Schlafbedürfnis.
Trotzdem das Heben der Sandsäcke (bei jedem Entladungs-
stoss etwa bis zu 3—4 cm Höhe) im Gesamtgewicht bis zu 100 kg
und darüber keiner geringen Arbeitsleistung entspricht, haben die
Patienten doch während der Applikation keineswegs das Gefühl der
Anstrengung -und auch nachher nicht die Empfindung der Ermüdung.
Sie fühlen sich im Gegenteil erfrischt und zu körperlicher Arbeit
fähig.
Die Reizung der Vasodilatatoren führt durch Erweiterung der
peripheren Gefässe zu einer Hauthyperämie mit Schweissausbruch
und Temperaturerhöhung, letztere innerhalb mässiger Grenzen. Aber
auch die arbeitende Muskulatur wird besser durchblutet. Durch
Beschleunigung und gleichzeitige Vertiefung der Atmung kommt ein
intensiverer Gasaustausch zustande, indem mit der Vermehrung der
Kohlensäureabgabe auch der Sauerstoffverbrauch steigt.
Während der Applikation nimmt die Pulsfrequenz etwas zu.
Diese Frequenzzunahme ist jedoch bei weitem nicht so gross als wie
bei zeitlich gleich gross geleisteter willkürlicher Muskelarbeit. Hand
in Hand damit geht eine Abnahme des Widerstandes im Gefäss-
system und eine systolische Steigerung der beförderten Blutmenge.
Dies dokumentiert sich durch wachsende Pulsamplitiiden und schär¬
fere Ausprägung des Dikrotismus. Damit verbindet sich meist auch
eine merkliche, wenn auch geringe Steigerung des systolischen und
diastolischen Blutdruckes.
Nach Beendigung der Applikation pflegt die Pulsfrequenz wieder
rasch herunterzugehen und in den meisten Fällen, wo sie schon vor¬
her erhöht war, geringer zu werden als vor der Applikation. Das¬
selbe gilt vom Blutdruck, der oft ganz bedeutend herabgesetzt wird.
Betonen möchte ich an dieser Stelle nochmals besonders die
hervorragend tonifizierende Wirkung dieser Behandlungsmethode auf
die quergestreifte und glatte Muskulatur, die direkt und indirekt auch
auf den Herzmuskel zum Ausdruck gelangt.
Im folgenden seien nun in wahlloser Folge eine Reihe von
Fällen, die ich mit dem Degrassator behandelte, in aller Kürze
aufgezählt. Ich will mich dabei zu weitgehender Mitteilungen
enthalten und nur die für den Praktiker wichtigsten Daten an¬
führen.
1. Herr E. R., Privatier, 59 Jahre alt, Gewicht 92,800 kg, klagt
über Atembeschwerden und Schmerzen in der Herzgegend und von
da ausstrahlend in den Rücken und linken Arm. Puls 102 arhythmisch,
inäqual; systolischer Blutdruck nach Doumer (Sphygmomanometer)
170 mm.
Diagnose: Myodegcneratio cordis. Arteriosclerosis.
Patient erhält wechselgerichtete Impulse von 8 MA. bei 30 Volt
und 22 kg Belastung durch 20 Minuten; während 8 Applikationen
wird die Entladungsstromstärke auf 10 MA. bei 34 Volt Ladespan-
nung, die Belastung auf 50 kg die Dauer auf 30 Minuten gesteigert.
Nach jeder Applikation, bei der ausschliesslich Gesäss-, Rücken- und
Bauchelektroden verwendet wurden, fühlt Patient eine wesentliche
Erleichterung seiner Beschwerden. Die Pulsfrequenz sinkt auf %,
der Blutdruck auf 146 mm. Der Puls wird rhythmisch und äqual
Das Gewicht geht ohne besondere diätetische Massnahmen au>
90,900 kg während dieser Zeit herunter. Infolge einer interkurrenter
Bronchitis muss der Patient mit der Behandlung aussetzen.
2. Herr H. J., Schmied, 25 Jahre alt, stand wiederholt im Kranken¬
hause in Behandlung. Klagt über starkes Herzklopfen und Atemnot
bei der geringsten Anstrengung. Starke Zyanose des Gesichtes unc
der Hände. Gewicht 60 kg. Puls 120, unregelmässig; Blutdruck
nach D o u m e r 120
Diagnose: Insufficientia mitralis.
Obwohl bei dem aussichtslosen Zustand des Patienten keine Hoff¬
nung vorhanden ist, ihn der Heilung zuzuführen, erhält er dennoch iri
der Erwartung, ihm wenigstens vorübergehend eine Erleichterung
seiner Beschwerden verschaffen zu können, zwei direkte Herzappli-
kationen, und zwar in der Weise, dass einerseits Gesäss- und Rücken-,
elcktroden, andererseits eine nur mit 5 kg belastete Herzelektrod»
zur Anwendung gelangen. Die wechselgerichteten Impulse haben bc .
1 2 MA. Entladungsstromstärke 20 Volt Ladespannung. Dauer dei,
Applikation 5 und 10 Minuten.
Während der Applikationen hat der Patient das Gefühl der Er
leichterung in der Herzgegend, die Atmung wird freier. Die Puls i
frequenz sinkt bis auf 94. Dabei wird der Puls regelmässig. Di»
Zyanose verschwindet fast gänzlich. Diese relative Euphorie häl
nach jeder Applikation etwa 2 — 3 Stunden an.
Wenige Tage später Exitus letalis.
Wenn es in diesem Falle auch nicht gelungen ist, den schwer)
kranken Patienten zu retten, so ist doch gerade die nach jede
Applikation auftretende, subjektiv und objektiv nachweisbare Besse
rung im Befinden desselben der beste Beweis für die völlige Ungefähr
lichkeit der Methode und ihre Vorzüge.
3. Frl. D.. 52 Jahre alt. Diagnose: Obstipatio habitualis. 7 Appli
kationen. Wechselgerichtete Impulse. 4 MA. — 20 Volt. 17 kg
10 Minuten bis 6 MA. — 30 Volt, 23 kg, 15 Minuten. Rücken-
Gesäss- und Bauchclektrodcn. Nach der vierten Applikation stell
sich bei der Patientin, die bisher seit einer Reihe von Jahren nu
mit Hilfe von Abführmitteln Stuhlgang erzielen konnte, regelmässige
Stuhl ein. Puls zu Anfang der Behandlung 120, rhythmisch, äqual
Blutdruck 190 mm, am Schluss der Behandlung Puls 72, Blutdruck
180 mm.
4. Frau L. H., 47 Jahre alt. Patientin leidet seit 23 Jahren ai
Stuhlverstopfung. Der Unterleib ist stark gebläht Bauchumfang ii
Nabelhöhe 130 cm. Gewicht 75 kg. Pat. klagt häufig über nervös»
Beschwerden, Migräne und gallensteinkolikartige Anfälle. Puls 108
rhythmisch, äqual, schwach: Blutdruck 180mm. Diagnose: Atoni;
intestinalis. 51 Applikationen. Wechselgerichtetc Impulse, 6 MA
— 20 Volt, 15 kg, 15 Minuten bis 10 MA. — 34 Volt, 35 kg, 40 Mi
nuten. Rücken-, Gesäss- und Bauchelektroden. Die Applikationei
werden mit Ausnahme der Sonntage und der durch die Menstruation
bedingten Pausen täglich vorgenommen. Bereits nach der dritte)
Applikation stellt sich, trotzdem während der letzten Jahre ohn'
Abführmittel überhaupt kein Stuhlgang erzielbar war und die ganz'
Zeit vor Beginn der Dcgrassatorbehandlung jeden zweiten Tag Sen
natininjektionen gemacht wurden, die jedoch auf meinen Rat hii
zwecks Gewinnung eines möglichst klaren Bildes fernerhin gänzlici
unterblieben, eine ausgiebige Defäkation ein. Im weiteren Verlauf»
der Behandlung hat die Patientin täglich mehr oder weniger reich
liehen Stuhlgang, der gegen Ende derselben als völlig normal he
zeichnet werden muss. Bauchumfang in Nabelhöhc 105 cm, Gewich
75,800 kg. Puls 84, rhythmisch, äqual, Blutdruck 140 mm.
Auffällig ist bei dieser Patientin die ganz bedeutende Abnalnn
des Leibesumfanges um 25 cm, ohne dass es dabei zu einer Gewichts
abnahme gekommen wäre. Dies ist wohl auf Rechnung der geringe)
Belastung zu setzen, durch die zwar eine Einschmclzung des über
flüssigen Fettes am Bauch erfolgte, gleichzeitig aber auch eine wesent
liehe Kräftigung der Bauchmuskulatur hervorgerufen wurde.
Diese tonifizierende Wirkung erstreckte sich aber auch ganz ge
wiss auf die glatte Muskulatur des Darmes, die zunächst wieder ihr
Funktionsfähigkeit erlangte. Erst im weiteren Verlaufe der Bd
handlung konnte dies auch von der Bauchmuskulatur gesagt werdet
wodurch dann erst eine kräftige Betätigung der Bauchpresse gewähr
leistet erschien.
•5. Frau M. E., 39 Jahre alt. Pat. litt seit jeher an erschwerten
mit Schmerzen verbundenem Stuhlgang. Die Bauchdecken sind dich
weich und etwas aufgetrieben. Beim Palpieren des Abdomens emp
findet sic Schmerzen in der Magen- und Blinddarmgegend und klag
über das Gefühl der Völle im Leib. In der letzten Zeit hatte s»
wiederholt Anfälle, bei denen sic von unten nach oben im Lei'
ziehende Schmerzen empfand, die ihr die Luft nahmen. Stuhlgan
kann nur mit Nachhilfe erzielt werden. Gewicht 78 kg, Puls 1_0>'
rhythmisch, äqual, Blutdruck 150 mm. Bauchumfang in Nabelhöh
108 cm.
Diagnose: Atonia coli. ’ jgfcj
26 Applikationen. Wechselgerichtetc Impulse. 2 MA. — 14 Vol)
11kg, 5 Minuten bis 10 MA. — 32 Volt. 40 kg, 30 Minuten. Di
Anfälle verschwinden, nachdem sie sich noch 3 mal in grösseren Zwi
schenräumen wiederholt haben, gänzlich. Der Stuhlgang stellt sic
allmählich wieder ein und ist zu Ende der Behandlung normal gc
worden. Gewicht 77 kg. Puls 72, rhythmisch, äqual, Blutdruck 150 mn
Bauchumfang in Nabelhöhe 96 cm.
September 191 4.
6. Herr 13. R., 52 Jahre alt. Pat. klagt über seit mehren
ähren zunehmende Unsicherheit beim Gehen, die sich in letzter 7e
dermassen steigerte, dass er sich im Zimmer nur schwer und aü
Jwei bt?ckf Kestutzt, fortbewegen kann. Da er starker Esser ist
'at, w*zter bedeutend an Gewicht zugenommen. Seit
nehreren Monaten Harndrang und Inkontinenz der Blase An¬
dauernde Stuhlverstopfung. Gewicht 97 kg. Puls 108 hart emm
llutdruck 225 mm, Bauchumfang in Nabelhöhe 131cm
.ersalisKn0Se: Sderosis multiplex’ Atonia intestinalis, Adipositas uni-
,u 30,nPMikat*ioneu- Wechselgerichtetelmpulse. 10 MA. — 38 Volt
3 kg, -0 Minuten bis 14 MA. — 40 Volt, 69 kg, 45 Minuten Der
Stuhlgang bessert s.ch wesentlich, ohne jedoch völlig normal zu
\crden-f kann a2? SchIuss dcr Behandlung sich wesentlich
echter fortbewegen. Das Allgemeinbefinden ist ein befriedigendes
J12cmht kK’ 11 S Blutdruck 150 mrn’ Bauchumfang in Nabelhöhe
/. Herr .1. K., 52 Jahre alt. Im Anschluss an einen vor 2 Jahren
;urchgemachten Muskelrheumatismus traten bei dem Patienten Herz"
•eschw erden beim Gehen oder selbst bei leichter körperlicher An-
trengung auf, die sich n krampfartigen, nach dem Rücken und in
en linken Arm ausstrahlenden Schmerzen äussern. Mitunter Atem
Schwmdelanfalle. Gefühl des Aufgetriebenseins und der VöTe
-eit dieser Zeit auch andauernd Stuhlverstopfung. Zweiter Aorten-
"wStTÄS PU,S 9°’ gespannt’ Berück 185 mm.
J?nafnnut;^y0deg«/er?ti0, cordis’ °bstipatio habitualis.
j l ' ^pP*!kab°n^n- Wechselgerichtete Impulse. 4 MA — 18 Volt
3kg’01|.,M,nutcn bls, 14 MA- — 38 Volt, 40 kg. 30 Minuten Nach
<wa 8 Sitzungen stellt sich normaler Stuhlgang ein der für die Folge
nausgesetzt so bleibt. Nach der 15. Sitzung kann Pat bereits
Mchter gehen Die Schwindelanfälle schwinden gänzlich Nach
gS aufdem Vorort b]-ekt7en Besch^erdcn K^hen. Pat. kann
tfiiiui aus dem Vorort, in dem er wohnt, den halbstündigen Wov
um und vom Krankenhause anstandslos zurücklegen. Nachdem sein
m hpd SnCh hP ° g!i emer Influenza mit anschliessender Bronchitis
orubergehend wieder verschlechtert hatte, tritt nach weiteren
Applikationen völlige Euphorie ein, so dass er sogar leichtere
Gewicht 86 kg’ Herztö- «*■.
ir ia'eall“gM?le sWzzVrf " Z” Vermei<I“n8: ™" Wiederhol,,,, een
, .?• Berr Fh. B., 32 Jahre alt. Diagnose: Adipositas universalis
'0 cm Pu s 7?arlivthQeWiCh-- 102i kgA, Bauchumfang in Nabelhöhe
. cm. Duls 78, rhythmisch, aqual. Blutdruck 145 mm S5 Anni;
itionen Wechselgerichtete Impulse; 10 MA — 40 Volt 23kv~
. Minuten bis 16 MA. - 50 Volt, 100 kg, 30 Minuten. Gewicht 96 kg
lutdrS^lS mmNaS She 109 Cm', Püls 76’ rhythmisch, äqual
lutdruck 155 mm. Stuhlgang normal. Patient fühlt sich körperlich
id geistig erfrischt und leistungsfähig. Körperlich
9. Frau K. K., 48 Jahre alt. Diagnose: Adipositas universalis
»9 cm "SÄvSr kt Bauchumfang in Nabelhöhe
y cm. I uls 90 rhythmisch, inaqual. Blutdruck 170 mm ?5 Amili
tionen Wechselgerichtete Impulse. 6 MA. — 24 Volt 20 kv
1 Minuten bis 10 MA. — 30 Volt, 40 kg, 30 Minuten Gewich?
k?’ AnnVtUr fang in Nabelhöhe 90 cm. Puls 78. Stuhlgang von
ln APpllkatl°n an normal, täglich 1-2 mal.
1 )) Erau A. R„ 23 Jahre alt. Diagnose: Erschlaffung der Bauch
3 cm POPuräUmRInSeWi?\^500 kg’ Bauchumfang in Nabelhöhe
•rirhTetP ?4, B ntd/,u*ck 125 mm- 18 Applikationen. Wechsel-
24 Vnb ^o lSe’ ~ 32 Volt- 13 k- 15 Minuten bis B MA
-4 Volt, 30 kg 30 Minuten. Gewicht 69,500 kg. Puls 78 Blut
tick 145 mm. Bauchumfang in Nabelhöhe 88 cm.
ruu t. O., 42 Jahre alt. Diagnose: Adipositas universalis
0 "m m Pui‘sna«4' hP td"iChi ^sn°° kg‘ Bauchlimfang in Nabelhöhe
i-iÄ« i f4’ B atd[uck 189 "im. 19 Applikationen. Wechsel-
30 Volt "s? kv an m T 30 X°!t’ 28 kK- 15 Mimiten bis 12 MA.
Mi i? -i , kg’ 3b Minuten. Gewicht 95,400 kg Bauchumfnnv
Nabelhohe 108 cm. Puls 76. Blutdruck 165 ccm sfuhlganfvon
a Aprihliatmn an täglich ohne Nachhilfe normal.
w cht 6aU4()0r'w V7 iahr? aIt • Diagnose: Obstipatio habitualis.
utdruck HS mm 7aUA Um ai-g 1,1 Nabeiböhe 97 cm. Puls 78,
MA — 3P Vrdf ?n V A,PsP äa ?Cnl Wechselgerichtete Impulse.
* 3" V? ’ 29 kK’ 5 Minuten bis 14 MA. — 36 Volt 40 k"-
uWrSckeT55 mnT'ChSr H kg' Bauchumfang in Nabelhöhe '92 cm!
h normal 55 Stuhigan8: von der vierten Applikation an täg-
widit b69asnn kP" u Jnhref aIt • Dl'aKnose: Obstipatio habitualis.
i mm af°Akgr. Bauchllmfa»g m Nabelhöhe 103cm. Blutdruck
Vn,r 4 A?n Matl°*nen', Wechselgerichtete Impulse. 8 MA. —
: Wicht 68 kV Ba r fn blS- 10mMuA;.~ 28 Vo,t’ 45 kK- 30 Minuten.
ch h a vl Bauchumfans m Nabelhöhe 93 cm. Blutdruck 160 mm
5hÄTÄ.Sich »Wich normaler Stuhlgang e™i
'lanfäJle heim r^'e HlS ,daBin ziemlich heftig auftretenden Schwin-
Itinn C m Gchen bedeutend nach. Von der 15. bis 30 Appli-
i och SeÄ SifChidCr ZTUstand der Pa‘ientin neuerlich, um
14 hJ a C,b zar ,fr,uheren Besserung zurückzukehren.
»nia enh rP p,',i 'aP m ^ altl PiaKnose: Neurasthenia universalis,
seriehn ie ,Jn ? Blutdruck 190 mm. 88 Applikationen. Wcch-
.er.chtete Impulse. 4 MA. - 12 Volt, 15 kg. 15 Minuten bis
Nr. 35
MUENCHKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1S7.3
14 MA. — 30 Volt, 50 kg. 30 Minuten. Puls 84. Blutdruck 140 mm
häuf,VUStnld d|f P,atientcn wechselt während der Behandlung überaus
Der knnHcI ^tuhlgäng wird tagelang normal, dann wieder träger,
stfmmn? u d cmKenommen, bald frei. Ebenso zeigt die üemüts-
. timmung sich grossem Wechsel unterworfen. Erst von der 69 Appli
lauf anhält ‘ ”C SiCht'iChC Besserung zutage, die im weiteren Ver-
Puk X4 Firi: !;/•’ ,131Jcahrc a,t- Diagnose: Neurosis cordis, Anacmia
Impulse B,atdruck !50 mm 17 Applikationen. Wcchselgerichtete
M- * ~ 18,°lt, 13 k8- 10 Minuten bis 8 MA. — 24 Volt
anfir^t2 Puls 84- Blutdruck 150. Die oft ganz unvermittelt
auftretenden Schmerzen in der Herzgegend, Herzklopfen Anvstve ühlP
nehmeminden ganzhcb- Patientin kann den Schulbesuch wfeder auf-
bei diesem Hpatientim ’vn3 Jal're aIt' Bjasnose:. Kardiospasmus. Der
u aiesem Datienten vorgenommene Versuch einer Behandhmv mit
Kondensatorent adungen verschaffte ihm zwar vorübergehend einige
Erle'chterung, konnte jedoch mit Rücksicht auf die Schwere des Lei
dieses VeShtfVTdeni B1en ■ llalbe" Monat nilch Bcc"di-
in Plötzlichem KoUaps der Tod e^"he™em rela,i'"!” Wohlbefinden
Puls HeRi,näP'’i39i^rhre alt‘ Diasnose: Neurasthenia universalis
Impulse 6 MArUCti8? vmHk w' A9P'ikationep- WechselgericSe
4,, „ ~ \8 yolt’ 15 kg’ 20 Minuten bis 8 MA — 22 Volt
MlAnutf.V- PMs 90. Blutdruck 170 mm. Patient fühlt sich
nach jeder Applikation körperlich gekräftigt und geistm leistunvs
funhrari,brechVe0„rhermehe"er Qeschäf,e mlTSelS
lor um ^e t^^rt i rVi'l n nim^7 nahre alt‘ Diagnose: Rheumatismus muscu-
,et articulorum chronicus. Puls 84. Blutdruck 235 Hand
und Kniegelenke rechts wie links stark geschwollen. d^ckempfindlich"
,ffi7v tWCgU/,g,en,Und beim Gchen z'ernlich heftige Schmerzen in den
katiririen n zugehörigen Muskelgruppen. 62 Appli¬
kationen. Wechselgerichtete Impulse. Rücken-, Gesäss- Bamh
Unterarm- und Oberschenkelelektroden. 10 MA — ?2 Volt 25 kv’
BlntdlSS“,«'8 10 v°"- 60 kg* 30 Minntem Pids 82
fr,ck 165 U]m- Die Schmerzen in den affizierten Gelenken und
ÄÄSAfaE“*
5?Ä gsa bafd ÄLSä-JS”- ““ “‘SSTÄ
4 Proz ZuckerK' Puk 1s J rVm alt\ Diagnose: Diabetes mellitus.
auf 2,7 Proz. gesunken war, tritt unter dem Einfluss -der Kondensator
v^adTgfSbdehandlung sehr rasch eine wesentliche Besserung des All'
gerneinbefmciens in die Erscheinung, indem sich Appetit und Kräfte
denUH Di?7n nk d‘e VOnrhe,r bestehenden Muskelschmerzen verschwin¬
den Die Zuckerausscheidung lässt nach und ist bald auf 0 Proz ve
werden'. °,Zdem bls z“ 100 g Kohlehydrate verabrei?M
Rll1. ,20’ fe/,r.B' L-, f9 Jahre alt. Diagnose: Arthritis urica Puls 76
zehengUe^enk55undm'Baf|tarke ^cbwebung pnd Rötung am rechten Gr Js^
gSete Irnouie0 R?r1cpnch rerz-n- n Appl»ka tionen. Wechsel-
MA 22 Vn t%n R^ kin ÄAQeraSSi. Bauch- UIld B^selektroden.
c\j Kg, 10 Minuten bis 14 MA _ mn i
SSÄÄSä kaTn.'5 VMUU so dass PaS
Puls 84 BIufdruck^70mniJa4rep alt- 7Diagno,se: Diabetes mellitus,
kationeii. t SS hTeTe ^ J?g Ä k’5 ,«
& SÄ!"
sank Im weiteren Verlauf der Behandlung trat trotz Zuführ von
lassen rasch nach und verschwinden gänzlich uurtetschmerzen
unteren “efTnken^stark ertwlckel?'
<£S; ’ÄÄkr
ÄS, ÄÄOÄ
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 35.
l_S/4
38 Volt, 70 kg, 30 Minuten. Gewicht 81 kg. Bauchumiang in Nabel¬
höhe 86 cm. Puls 72. Blutdruck 145 mm. Die Bauchdecken sind
straffer, weniger fettreich; der Stuhlgang nach wenigen Applikationen
täglich normal.
25. Frau L. M.. 57 Jahre alt. Diagnose: Adipositas universalis.
Gewicht 73 kg. Bauchumfang in Nabelhöhe 110 cm. 7 Applikationen.
Wechsclgcrichtcte Impulse. 8 MA. — 26 Volt, 25 kg, 15 Minuten bis
10 MA. — 30 Volt, 45 kg, 20 Minuten. Gewicht 70 kg. Bauchumfang
in Nabelhöhe 100 cm. Patientin muss infolge häuslicher Verhältnisse
die Kur abbrechen.
26. Frau Fl. K., 36 Jahre alt. Diagnose: Adipositas universalis.
Gewicht 75.500 kg. Bauchumfang in Nabelhöhe 113 cm. Puls 78.
Blutdruck 155 mm. 15 Applikationen. Wechselgerichtete Impulse,
g MA. — 20 Volt, 25 kg, 15 Minuten bis 12 MA. — 36 Volt, 55 kg,
30 Minuten. Gewicht 72 kg. Bauchumfang in Nabelhöhe 106 cm.
Puls 84. Blutdruck 135 mm.
27. Herr Ph. W., 69 Jahre alt. Diagnose: Adipositas universalis,
Arteriosclerosis, Fmphysema pulmonum. Gewicht 96 kg. Bauch¬
umfang in Nabelhöhe 132 cm. Puls 78. Blutdruck 210 mm. 16 Appli¬
kationen. Wechselgerichtete Impulse. 6 M.A. — 24 Volt, 35 kg,
10 Minuten bis 10 MA. — 32 Volt, 50 kg, 30 Minuten. Gewicht 92 kg.
Bauchumfang in Nabelhöhe 126 cm. Puls 78. Blutdruck 160 mm.
Die hier angeführten Daten bestätigen im allgemeinen
meine zu Anfang dieser Arbeit niedergelegten Beobachtungen.
Die Auswahl der mir zur Verfügung stehenden Fälle war keine
grosse. Immerhin aber ist aus dem Gesagten ersichtlich, dass
durch fortgesetzte Beobachtungen und intensive Arbeit auf
diesem Gebiet die Aussicht besteht, die mittels meines Dc-
grassators applizierten Kondensatorentladungen therapeutisch
nutzbringend zu verwerten.
Aus der II. medizinischen Klinik der Kölner Akademie für prak¬
tische Medizin (Direktor: Prof. Dr. Moritz).
Unsere Erfahrungen mit der Phenolsulfophthalein-Methode
als Prüfungsmittel der Nierenfunktion.
Von Dr. Otto Hess, Assistenzarzt der Klinik.
(Schluss.)
II.
ln praktischer Hinsicht für eine rationelle Diätetik der
Nephritiker scheint es in erster Linie von Interesse, zu wissen,
inwieweit unsere Nierenkranken etwa Kochsalz und Stickstoff
retinieren. Die exakte Anwendung der bezüglichen Funktions¬
proben erfordert aber die Hilfsmittel eines Laboratoriums.
Zudem ist nicht zu vergessen, dass die bei der Kochsalzprobe
übliche Belastung der Nieren mit 10 g NaCl unangenehme
Folgeerscheinungen zeitigen kann. So betont C o n z e n, dass
durch eine Gabe von 10 g NaCl die Eiweissausscheidung, die
Wasserretention und das ganze Krankheitsbild sich bei echter
Nephritis verstärken können. Auch wir haben wiederholt der¬
artiges gesehen.
Es wäre deshalb sehr erwünscht, wenn die Phthaleinaus¬
scheidung annähernd parallel mit der NaCl- und Stickstoff¬
ausscheidung ginge 8 *). Dadurch wären wir in die Lage ver¬
setzt, mittels einer einfacheren Methode das gleiche Ziel zu
erreichen.
Die Frage eines solchen Parallelismus berühren mehrere
schon vorliegende Untersuchungen.
Deutsch und Schmuck ler finden, dass — abgesehen
von den unkompliziert degenerativen Gefässerkrankungen der
Niere und den akut entzündlichen Glomerulonephritiden —
die Phthaleinprobe der S c h 1 a y e r sehen Methode (NaCl,
Jod, Milchzucker) zumindest gleichwertig ist, vor ihr aber den
grossen Vorteil der Einfachheit habe.
Nach K e y e s und Stevens soll ein Parallelismus in
der Ausscheidung des Phthaleins und des Harnstoffes bestehen.
Christian spricht von dem prognostischen Wert der Me¬
thode, da sich bei starker N-Retention im Blut eine ver¬
minderte Phthaleinausscheidung fände.
8) Nach den schönen Untersuchungen Schlayers soll das Koch¬
salz und Jod in den Tubulis zur Ausscheidung gelangen; hier wird
wohl z. T. auch die Harnstoffelimination stattfinden. Aus den Unter¬
suchungen von Abel und Rowntree am Frosch ergibt sich, dass
das Phthalein ebenfalls hauptsächlich von den Epithelien der Tubuli
ausgeschieden wird, es wäre somit in Parallele zum Kochsalz und Jod
zu setzen. All diese Dinge sind jedoch — auch nach unseren klini¬
schen Erfahrungen — noch nicht spruchreif, und ich möchte besonders
im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter darauf eingehen.
Ich selbst habe, seitdem ich überhaupt die Phthalein-
methode anwende, soviel Paralleluntersuchungen als möglich
gemacht. Dass man solche Kontrolluntersuchungen nur bei
einer beschränkten Anzahl von Pat. ausführen kann, hat z. T.
seinen Grund in der immerhin oft recht lästigen gleichförmigen
Diät, die man nicht gerne ohne triftigen Grund gibt, z. T.
aber in der oben erwähnten Befürchtung, durch die Zulage
von 10 g Kochsalz Schaden zu stiften.
Nach meinen Untersuchungen (etwa 35 Fälle) ergibt sich,
dass in allen Fällen, in denen NaCl bei der Belastung schlecht
ausgeschieden wurde oder bei denen eine Retention von NaCl
bestand, auch stets die Phthaleinkurve einen abnormen und
zwar etwa der Schwere der Störung der Salzelimination ent- ,
sprechenden Verlauf hatte“). Niemals habe ich bei guter
Phthaleinausscheidung eine abnorme Kochsalzelimination be¬
obachten können. Auch der schlechten Harnstoffausscheidung,
scheint nach meinen bisher allerdings noch nicht zahlreichen
Vergleichsuntersuchungen stets eine Herabsetzung der Pro-;
zente Phthalein zu entsprechen.
Hier möchte ich gleichzeitig erwähnen, dass die Jodaus-;
Scheidung auch zumeist völlig parallel der Phthaleinaussehe:-
dung ging.
Ebenso war das Verhältnis des Diastasegehaltes im Urin,
zum Ablauf der Phthaleinkurve fast stets ein übereinstimmen¬
des. Besonders bei den chronisch-interstitiellen Nephritiden
trat ein Parallelismus im Ausfall der Wohlgemut sehen
Diastase- und der Phthaleinprobe hervor.
In bestimmten Fällen ergab freilich die Diastaseprobe eklatantere
und dem klinischen Bilde mehr entsprechende Werte als die Phthalein-
probe, eine Tatsache, die für die Güte der Wohlgemut sehen
Probe spricht; sie leistet vor allem auch vorzügliches bei der Fest¬
stellung einseitiger Nierenerkrankungen 10).
Zu etwa gleichen Resultaten bezüglich der Diastaseprobe
sind Rowntree und Geraghty, Geraghty, Rown¬
tree und Gary und G e y e 1 i n gekommen.
Nach alledem kann man sagen, dass wir in der Phthalein¬
methode eine einfache Nierenfunktionsprobe haben, deren Aus¬
fall uns zugleich ein Urteil darüber erlaubt, ob der untersuchte
Patient Kochsalz und Harnstoff gehörig zur Ausscheidung
bringt. Wenn wir in dieser Hinsicht auch nach dem Ausfall
der Probe nicht differenzieren können, ob etwa nur NaCl oder
nur Stickstoff schlecht ausgeschieden wird, ist das nicht von
grossem Belang. Denn wir wissen, dass in der Mehrzahl der
Fälle diese beiden Funktionen gleichzeitig gestört sind 10*). Wir
werden also bei abnormem Kurvenablauf auf jeden Fall die
Kochsalzzufuhr einschränken, aber stets auch auf Vermin¬
derung des Stickstoffgehaltes der Nahrung sehen.
Man könnte sich zwar auf den Standpunkt stellen, dass
man ohnehin bei jeder Nephritis so Vorgehen wird. Aber auch
dann würde die Phthaleinprobe für den in Rede stehenden
Zweck nicht an Wert verlieren. Denn es ist eben nicht jede
„Nephritis“ so einfach mittels der übrigen gebräuchlichen
Methoden zu erkennen. Gerade darin liegt ein Hauptwert
der Probe, dass sie uns in solchen Fällen — wie wir weiter
unten sehen werden — sehr rasch Klarheit verschafft.
Wir kommen zur Besprechung der Phthaleinkurve bei
Nierenkranken.
Beginnen wir mit der häufigsten und oft am schwersten
zu erkennenden Form: der chronischen interstitiellen Ne¬
phritis.
Es hat sich hier in einer sehr grossen Zahl von Unter¬
suchungen einwandfrei gezeigt, dass die Phthaleinprobe uns
stets die bestehende Erkrankung durch Abnormitäten im Kur-
venverlauf anzeigt. Es kann der Beginn der Ausscheidung
verzögert sein (in der ersten Viertelstunde noch keine mess¬
baren Werte), die Kurve kann erst am Ende der ersten Stun¬
den oder noch später ihren Höhepunkt erreichen, der normale'
typische ständige Abfall vom Gipfel zum Nullpunkt der Aus¬
scheidung kann durch erneute Zacken u) unterbrochen sein,
8) Darauf habe ich schon Ende 1913 hingewiesen, M.m.W. 19U
I. c.
10) Caan: Eine Arbeit über die W o h 1 g e m u t sehe Diastase¬
probe erscheint demnächst.
10*) Im Rahmen dieser Arbeit kann ich nicht näher auf die
isolierte Schädigung der NaCl- oder N-Ausscheidung eingehen.
“) Siehe auch Behrenroth und Frank.
1. September 1914.
MUenchener medizinische Wochenschrift.
l87o
die aufgeschiedene Prozentmenge kann unter der Norm blei¬
ben. Häufig sieht man, dass sieh nach mühsamem Anstieg die
Ausscheidung des Phthaleins längere Zeit auf fast gleicher
Höhe hält. Ich möchte darin in Analogie zu S c h 1 a y e r von
einer Starre der Ausscheidung sprechen, die um so grösser
sein kann, je schwerer die Erkrankung ist.
Kurve 2.
Kurve 3.
Es Hessen sich da unzählige Varietäten der Ausscheidung
anführen, die Deutsch versucht hat, in 4 Gruppen zu teilen.
Ich für meinen Fall möchte sagen: fast jeder Fall ist anders.
Beim Vergleich mit meiner Normalkurve lässt sich jedoch
•eicht jede gröbere Abweichung feststellen (s. Kurve 2 und 3).
Was nun die Verwertbarkeit der Phthaleinmethode zur
Charakterisierung der Schwere des Falles anlangt, so scheinen
wir nach allem, was bisher in der Literatur berichtet ist, und
was wir aus unseren Untersuchungen schliessen können, für
die Mehrzahl der Fälle berechtigt zu sein, auch hierin von
einem Parallelismus zu dem Ablauf der Phthaleinkurve zu
sprechen. Doch scheint es von dieser Regel Ausnahmen zu
geben.
So warnt F o s t e r vor einer Ueberschätzung unserer
Nierenfunktionsmethoden; er hat Fälle von Urämie beobachtet,
bei denen kurz vor dem Tod die Phthaleinausscheidung nor¬
male Werte gab; ferner solche, die unter analogen Verhält¬
nissen keine Erhöhung des Reststickstoffes im Blut zeigten.
Desgleichen berichten Pepper, Perry und Austin von
2 Fällen von chronischer Nephritis (verzögerter Chlorausschei¬
dung), die eine normale Phthaleinausscheidung hatten.
Ware spricht sogar von einer völligen Wertlosigkeit der
ganzen Methode als Nierenfunktionsprüfung, da sie nur zur
Bestimmung der wahren Harnazidität in Betracht käme. Im
Gegensatz dazu sagen Boy d, Gardner u. a., dass die
Menge des ausgeschiedenen Farbstoffes stets genau im direkten
Verhältnis zur Schädigung des Nierenparenchyms steht; es
gäbe keinen pathologischen Prozess, bei dem Phthalein ver¬
mehrt ausgeschieden würde.
Auch Goodmann sieht die Phenolsulfophthaleinprobe
als die beste Nierenfunktionsprüfung an.
Nach den Erfahrungen Rowntrees und Geraghtys
u. a. sieht man gerade bei Urämie die allerschlechteste Phtha¬
leinausscheidung, es kann sogar soweit kommen, dass über¬
haupt kein Farbstoff mehr eliminiert wird. Solche Fälle hat
auch Sehrt gesehen, und Rowntree und Geraghty be¬
zeichnen dies als ein Omen pessimum. Sie konnten lediglich
aus dem so eklatant schlechten Ausfall ihrer Proben die Dia¬
gnose auf drohendes Coma uraemicum stellen.
Auch in unseren Fällen war da, wo wir eine ganz minimale
Ausscheidung bekamen, die Prognose tatsächlich die schlech¬
teste: wurde gar kein Phthalein mehr sezerniert, so trat in
der Regel schon nach kurzer Zeit der Tod ein. Man ist also
wohl berechtigt, aus einem völlig negativen Ausfall der Phtha¬
leinprobe auf einen baldigen Exitus zu schliessen. Umgekehrt
habe ich bei einem urämisch in die Klinik eingelieferten
Patienten wesentlich mehr Prozent Farbstoff erhalten, als dies
sonst bei Urämie der Fall war; die daraus gestellte bessere
Prognose wurde durch den weiteren Verlauf bestätigt. Auch
die Phenolphthaleinkurve besserte sich, blieb jedoch unter¬
normal.
Die diagnostische Bedeutung der Phthaleinprobe liegt auch
darin, dass sie ohne weiteres auch bei Komatösen ausgeführt
werden kann, wie wir dies wiederholt getan haben. Rown¬
tree und Geraghty haben auch darauf hingewiesen, dass
man bei klinisch unklaren urämischen komatösen Zuständen
durch den Ausfall der Probe rasch entscheiden kann, ob die
Niere im Vordergrund der Erkrankung steht.
Ehe wir das Gebiet der chronischen Nephritis verlassen,
muss noch besonders auf eine Gruppe von Kranken ein¬
gegangen werden, bei der die Probe vorzügliches leistet. Es sind
dies alle jene Fälle, bei denen es uns — besonders aber dem
Praktiker in der Sprechstunde — bei einmaliger Untersuchung
oft n'cht gelingen kann, mit Hilfe unserer bisherigen Methoden
zu sagen, ob die Niere im Vordergrund der Erkrankung steht.
Wir wissen, dass Patienten, die oft mit der Klage über Herz¬
klopfen und zeitweiligen Kopfschmerz zu uns kommen, und
| bei denen wir dann neben einer geringen Verbreiterung des
Herzens einen erhöhten Blutdruck12) finden, zumeist an chroni¬
scher Nephritis leiden. Wir wissen aber auch, dass man ge-
lade in solchen Fällen oft nichts Pathologisches im Urin findet,
wodurch man leicht von der richtigen Diagnose abgelenkt wird.
Hier erfahren wir rasch und einfach durch die Phthalein¬
kurve, inwieweit die Niere tatsächlich erkrankt ist. Unter¬
sucht man dann solche Fälle, die zuerst nichts Pathologisches
im Urin aufwiesen, jedoch Phthalein schlecht ausschieden, täg¬
lich auf das allergenaueste, so zeigt sich fast stets, dass sich
eben doch ab und zu eine Spur Eiweiss und Zylinder im Urin
finden. Desgleichen ergibt in solchen Fällen die NaCl-Aus-
scheidung zumeist eine Abweichung von der Norm. Ueber
letzteren Punkt sind meine Untersuchungen indessen noch nicht
abgeschlossen.
Auch Sehrt hebt hervor, dass Fälle, die klinisch erst
keine Symptome zeigten, entsprechend der Phthaleinausschei¬
dung sich doch als nierenkrank erwiesen 3a).
Für die chronische, mit Hypertonie einhergehende Nephri¬
tis hat die Rowntree und Geraghty sehe Probe grosse
Bedeutung, da sie uns hier in diagnostischer und prognostischer
Beziehung sehr gute Dienste leisten kann. Im Verlauf der Er¬
krankung wiederholte Phthaleinproben belehren uns, inwieweit
sich der Kranke gebessert hat resp. ob die Erkrankung über¬
haupt durch unsere Massnahmen wesentlich zu beeinflussen ist.
Noch nicht so eindeutig hegen die Verhältnisse bei den
akuten Nephritiden und den Nephrosen.
So sagen Deutsch und Schmuckler: „Wie bei den
degenerativen Gefässerkrankungen kann sich das Phenolsulfo-
phthalein also auch bei entzündlichen glomerulären Affektionen
zur Feststellung des vorhandenen Nierenprozesses als un¬
geeignet erweisen. Es ist nur noch zu betonen, dass in solchen
Eällen auch die S c h 1 a y e r sehen Prüfungsmethoden nicht
wesentlich mehr sagen.“
Dietsch trennt von den akuten Nephritiden, bei denen
in drei untersuchten Fällen wohl entsprechend der Schwere
die Farbstoffausscheidung nur wenig unter der Norm war,
jene Formen ab, die fast ausschliesslich die Glomeruli betreffen,
so die nach Scharlach und die im Sekundärstadium der Sy¬
philis. Bei den letzteren zeigte sich ein schöner Parallelismus
zwischen den klinischen Erscheinungen und der Phthaleinaus¬
scheidung. Was die Scharlachnephritiden anlangt, so Hessen
sich zwar durchgehende Regeln nicht aufstellen; es ergab sich
aber doch, dass weitgehende Beziehungen zwischen der
Schwere des Krankheitsbildes und der Menge des ausgeschie¬
denen Farbstoffes bestanden. Behren roth und Frank
betonen in bezug auf die Feinheit der Methode, dass man schon
Nierenschädigungen (so besonders im Verlauf von Scharlach)
nachweisen könne, ehe solche klinisch erkennbar wären. Nach
F i s h b e i n scheint während der letzten Stadien (3.— 5.Woche)
des Scharlachs eine allgemeine Herabminderung der Nieren-
) Moritz: Ein neues, leicht transportables Instrument zur
Blutdruckmessung. Rhein.-westf. Gesellschaft für inn. Med.. Bonn
17. V, 14. Zu beziehen von Faust, Köln a. Rh., Lauggasse.
u) Anmerkung nach Abschluss der Arbeit: Aehnlich äussert sich
auch Hessel.
1876
Nr. 35.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
funktion zu bestehen; allerdings hat er auch in zwei mit akuter
Nephritis vergesellschafteten Fällen eine normale Ausscheidung
gesehen; andererseits beobachtete er eine ausgesprochene
Funktionsstörung dann, wenn zwar Eiweiss im Urin fehlte, die
betr. Patienten aber über Kopfschmerzen und Erbrechen
klagten.
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf eine grössere
Reihe sogen, akuter und subakuter parenchymatöser Nephri¬
tiden (F. Müllers „Nephrosen“) mit bekannter und unklarer
Aetiologie. Reine Fälle von akuter Glomerulonephritis (aut-
optisch bestätigt) habe ich bisher nicht untersuchen können.
Wenn wir auch Zweideutigkeiten und oft in krassem
Widerspruch zur Klinik stehende Befunde bekommen haben,
so möchte ich dies zum Teil dadurch erklären, dass wir ja
gerade in der Einteilung der „sogen, akuten Nephritis und der
Nephrosen“ noch recht unklare und in keiner Weise überein¬
stimmende Begriffe haben. So ist ja gerade die parenchyma¬
töse Entzündung eines der strittigsten Gebiete der Nieren¬
pathologie, was durch die Worte A s c h o f f s, „dass hier jeder
Pathologe sein eigenes Glaubensbekenntnis habe“, treffend
charakterisiert wird.
Bei klinisch etwa gleichen Krankheitsbildern (reichlich
Eiweiss und Formelemente, Oedeme, NaCl-Retention, aber
relativ gute Ausscheidung bei der Belastung, normale Jodaus¬
scheidung = akute [event. hämorrhagische] parenchymatöse
Nephritis, alter Bezeichnung) fand sich eine meist nur wenig
abnorme Phthaleinkurve; wenn schon in einzelnen Fällen ein
gewisser Parallelismus mit der Schwere des Falles da war,
so zeigten wieder andere trotz schwerster klinischer Erschei¬
nungen eine fast normale, einmal sogar reichlich normale Farb-
kurve.
Im Verlauf der Erkrankung konnte ich dann wiederholt die
gleiche Beobachtung machen; während die einen Patienten
unter Besserung des klinischen Bildes bald auch das Phthalein
völlig normal eliminierten, wurde bei anderen trotz scheinbarer
Besserung die Farbstoffausscheidung schlechter. Gleichzeitig
verschlechterte sich auch die Diastase und NaCl-Ausschei-
dung in drei Fällen. Auffallend ist, dass in all den Fällen (siehe
auch Tabelle von D i e t s c h), in denen trotz hohem Eiweiss¬
und Zylindergehalt des Urins die Phthaleinausscheidung relativ
gut war, auch keine Blutdrucksteigerung bestand.
Man möchte vermuten, dass jene Fälle, die im Verlauf der
Erkrankung eine schlechtere Phthaleinausscheidung bekom¬
men, unter unseren Augen zu echten Nephritiden mit entzünd¬
lichen Veränderungen wurden, bei denen es wahrscheinlich
auch noch zu einer Blutdrucksteigerung kommen wird.
In einem Fall von akuter Nephrose nach Chloroform (Spät¬
tod nach Chloroform), bei dem sich post mortem allerdings
auch noch geringe chronische interstitielle Veränderungen
fanden, wurde bei hochgradiger Oligurie (Belastung mit Harn¬
stoff und NaCl konnte nicht gemacht werden) überhaupt kein
Phthalein ausgeschieden [Exitus letalis] 14).
Bei reinem Amyloid scheint die Probe normale Werte zu
ergeben, wie Deutsch und Schmuckler gefunden haben.
Bei Dietsch war der Ausfall in einem Fall sehr wechselnd.
Bei zwei autoptisch bestätigten Fällen von Amyloid mit ge¬
ringen chronisch-entzündlichen Veränderungen war die Phtha¬
leinkurve etwas unternormal; gleichzeitige Untersuchung auf
Diastase ergab einen eklatant schlechten Ausfall. Die Koch¬
salz- und Harnstoffprobe zeigte in einem Fall eine wesentliche
Verzögerung der Ausscheidung; es bestand gleichzeitig Olig¬
urie; der Diureseversuch zeitigte niedere Werte.
Ich glaube, dass wir trotz manchen Widerspruches bei der
Untersuchung der akuten Nephritiden und Nephrosen doch
noch nach genauer Rubrizierung und beim stetigen Vergleich
mit den pathologisch-anatomischen Befunden zu wichtigen dia¬
gnostischen und prognostischen Schlüssen kommen werden,
und dies vielleicht gerade durch die oft so ganz dem klini¬
schen Bild widersprechende gute Phthaleinausscheidung
(Amyloid!). Vielleicht kann auch gerade hier die topische
Diagnostik einsetzen!
Ich habe die zwei Formen „chronische und akute Nephri¬
tis“ getrennt, ohne dabei allzu grosses Gewicht auf „par-
14) Dieser Fall soll noch als kurze Mitteilung veröffentlicht
werden.
enchymatös“ oder „interstitiell“ zu legen; ich kann mich nicht
zu einer derartigen scharfen Trennung entschliessen, glaube
auch nicht an eine parenchymatöse Entzündung, sondern
nehme an, dass bei der Nephritis eine Parenchymschädigung
ohne jede Gefässläsion nicht wohl denkbar ist und umgekehtt.
dass wir es also fast stets — besonders in den chronischen
Fällen — mit Erkrankung beider Systeme zu tun haben, wobei
natürlich das eine schwerer ergriffen sein kann.
Bei der Beurteilung der Phthaleinausscheidung müssen
auch extrarenale Einflüsse berücksichtigt werden.
Im Vordergrund stehen die mit Stauung einhergehenden Herz¬
erkrankungen. Es hat sich gezeigt, dass bei längerer und
hochgradiger universeller Stauung die Farbstoffausschei¬
dung verzögert ist, jedoch oft völlig normale Gesamtwerte
erreichen kann. Hier ist wohl die verzögerte Ausscheidung
zum Teil auf Kosten der verlangsamten Resorption zu setzen.
Wichtig ist — und dadurch hat hier die Probe wieder hohes
diagnostisches Interesse — dass mit Hebung der Herzkraft der
Kurvenablauf sehr bald normal wird, wenn die Niere sonst
intakt ist. Wir können so rasch ein Urteil darüber gewinnen,
ob die Niere oder das Herz im Vordergrund der Erkrankung
steht. Berenroth und Frank sahen bei einem schwer
dekompensierten Vitium cordis mit Stauung normale Ausschei¬
dung; ich habe auch einen derartigen Fall gesehen, bei dem
allerdings die Stauung erst kurze Zeit bestand und auch rasch
nach Hebung der Herzkraft vorüberging. So betonen auch
R o w n t r e e und Fitz, dass eine Besserung in der Zirku¬
lation durch die Wiederholung der Phthaleinprobe eindeutig
zum Ausdruck gebracht werde.
Recht interessante Befunde Hessen sich im Verlauf der
Pneumonie mehrmals konstatieren. Vor der Krise war die
Phthaleinkurve meist unternormal, während nach Abfall der
Temperatur normale Werte erreicht wurden. Es wäre dies
ein Parallelismus mit der NaCl-Retention 18).
Inwieweit Lebererkrankungen den Ausfall der Proben be¬
einträchtigen, ist aus der Literatur nicht klar zu ersehen, die
Möglichkeit wird aber von Behrenroth und Frank ange¬
nommen. Auch ich konnte bisher zu keinen eindeutigen Re¬
sultaten kommen.
Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass sich die
R o w n t r e e und G e r a g h t y sehe Probe auch ausgezeichnet
für die getrennte Untersuchung beider Nieren verwenden lässt
Ich kann Vogel verstehen, der jetzt auf die Kontrollen mit
Indigokarmin, Phloridzin und Kryoskopie verzichtet und nur
noch die Phthaleinprobe allein benutzt, um sich über die
Funktion der Nieren zu unterrichten. Auch Key es und
Stevens berichten über günstige Resultate, verwenden
allerdings beim Ureterenkatheterismus die intravenöse In¬
jektion des Phthaleins, weil man dadurch die Beobachtung ab¬
kürzen könne; ich halte dies deshalb für nicht gut, weil bei so
rascher Ausscheidung in grosser Menge schon kleine Fehler
grosse Differenzen ergeben müssen.
Rainoldi ist auf Grund von H Fällen, die meist durch
Operation bestätigt wurden, mit der Phthaleinmethode sehr
zufrieden, da man nicht nur erfährt, welche Niere krank ist,
sondern auch erkennen kann, welche Niere bei doppelseitiger
Erkrankung die schlechtere ist. Seine Vergleichsunter¬
suchungen mit der A m b a r d sehen Konstanten haben über¬
einstimmende Resultate ergeben.
Ich habe schon einmal 1B) hervorgehoben, dass die Me¬
thode gerade durch die exakte kolorimetrische Bestimmung
dem Indigokarminversuch überlegen ist. Betont muss nur
wieder werden, dass man dicke Ureterenkatheter mit mehreren
Oeffnungen verwenden muss, um möglichst jeden Verlust an
Urin zu vermeiden.
Auf einige technisch wichtige Momente darf ich wohl kurz
hinweisen: Es ist sehr wesentlich, den Farbstoff nicht eher zu
injizieren, bis man sich davon überzeugt hat, dass aus beiden
Kathetern der Urin regelmässig abtropft (sofern man nicht
schon zystoskopisch festgestellt hat, dass die eine Niere über-
15) Es müssen uns weitere Untersuchungen zeigen, ob wir es hier
tatsächlich mit einer vorübergehenden funktionellen Nierenläsion zu
tun haben, auf die dann auch ev. die NaCl-Retention entgegen den
bisherigen Anschauungen zu beziehen wäre.
16) M.m.W. 1914 S. 565.
1. September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1877
laupt keinen Urin sezerniert). Man muss oft längere Zeit zu-
'Varten, bis eine reflektorische Anurie vorüber ist. Hat man es
nit Pyonephrosen zu tun, so spült man praktisch vor Anstellen
ier Probe gut aus; ich verwende dazu am liebsten dünne Bor-
ösung oder physiologische NaCl-Lösung, die, um dies hier
icbenbei zu erwähnen, zumeist genügt, um pyelitisches Fieber
u beseitigen. Es liegt eben lediglich ein Hindernis des Eiter-
ibflusses vor! Es ist leicht einzusehen, dass man durch Ab-
luss des Eiters vor der Probe leichter ein Verstopfen des
(atheters verhüten kann; tritt dies dann doch noch ein, so
miss man sofort durchspülen, da sonst Urin am Katheter vor-
»eifliesst und für die Bestimmung verloren geht.
Der Einwurf von E r o m m e und R u b n e r, dass beim
reterenkatheterismus das Hindernis für die Anwendung der
dithaleinmethode in der 3 Stundenbeobachtung liege, ist nach
neinen Darlegungen nicht stichhaltig, da man schon aus dem
Ausfall der Probe in der ersten Stunde wertvolle Schlüsse
ichen kann. Gerade hier ist also meine % Stundenkurve für
ie erste Stunde (natürlich für eine Niere die Hälfte der an-
egebenen Werte) recht wertvoll.
Ich lasse die Katheter vom Moment der Einspritzung an
ine Stunde liegen, entnehme auch den event. vorhandenen
Hasenurin und lasse dann noch weiter stündlich Urin sammeln,
udem stelle ich stets noch die Phthaleinprobe vorher oder
achher ohne Ureterenkatheterismus zum Vergleich an. Es
rgibt sich da mitunter auch beim Normalen ein Unterschied
i der Gesamtmenge zugunsten der letzten Probe. Ich glaube,
ass die gesamte Nierenfunktion nach Einlegen des Ureter-
atheters mehr oder weniger besonders bei sehr sensiblen Per-
onen auf nervösem Wege gestört sein kann (reflektorische
nuriel). Deshalb ist es hier wesentlich, ganz besonders auf
en Beginn der Ausscheidung und auf den Kurvenablauf zu
chten. Auf eine Chromozystoskopie 17) verzichte ich stets,
eil ich sie für zu unsicher halte, und sie oft genug gar nicht
isführbar ist 18).
Mittels des Ureterenkatheterismus gewinnen wir nicht nur
us gewünschte Urteil über die Funktion der kranken Niere,
andern, was oft von grösster Wichtigkeit sein kann, auch
)er den Zustand der anderen, „gesunden“ Niere. Wir können
itscheiden, ob die andere Niere so funktionstüchtig ist, dass
ir ihr die Gesamtarbeit zumuten dürfen; oft sehen wir, dass
e die Funktion ihres erkrankten Schwesterorgans schon mit-
lernommen hat. Ueber die Reservekraft erhalten wir jedoch
2in Urteil.
Auf einfache Art lässt sich mittels unserer Probe auch fest¬
eilen, in welcher Zeit z. B. nach einer Nierenexstirpation die
i Körper verbleibende Niere die Funktion übernimmt. Es
-Schieht dies in erstaunlich kurzer Zeit, schon nach wenigen
agen können durch die eine Niere die für die Norm geltenden
hthaleinmengen ausgeschieden werden. Es Hess sich so auch
e schon bekannte Tatsache bestätigen, dass die Funktionen
)n der einen Niere um so rascher und vollkommener über-
>mmen werden, je schwerer die exstirpierte Niere in ihrer
inktion gestört war, also die andere Niere schon vorher bis
i einem gewissen Grade die Funktionen mitübernommen
itte. Auch konnte ich einmal die gewiss interessante Be-
’aehtung machen, dass nach Exstirpation einer Eiter¬
einniere die Funktion der Testierenden Niere besser war, als
>rher die beider Nieren zusammen.
Wir gewinnen für die chirurgischen Nierenerkrankungen
ls dem Ausfall der Phthaleinprobe einen wertvollen Auf-
hluss darüber, wann wir operieren können! Zeigt die
ithaleinkurve starke Störungen, so werden wir vorerst ver¬
dien, die gestörte Nierenfunktion zu heben. Ist dies ge¬
liehen, so zeigt uns dies die Probe an. R o w n t r e e und
eraghty sagen, dass man auf diese Weise einen gün-
gen Zeitpunkt für die Operation bestimmen kann. Es gilt
es ganz besonders für bestimmte Eingriffe bei Prostata¬
krankungen. So äussern sich auch Schmidt und
r e t z s c h m e r, die vor jeder Operation an Blase oder Niere
- Phthaleinprobe angestellt haben, dass bei Prostatikern mit
rmalem Verhalten der Farbenausscheidung nach der Ope-
*‘) Sehrt 1. c. empfiehlt 0,2 proz. Sodalösung.
) cf. auch Roth; B.kl.W. 1909 Nr. 23 und Zschr, f. Urol, 5.
1 1. S. 439
ration nie Störungen von seiten des Herzens oder der Nieren
auftraten, während manche Patienten mit verlangsamter oder
ungenügender Ausscheidung an Niereninsuffizienz starben.
Wir können aus dem Ausfall der wiederholten Probe erkennen,
ob es sich um vorübergehende funktionelle Störungen oder um
schwere Parenchymschädigungen handelt.
Zusammenfassung.
1 )ie besprochene Rowntree-Geraghty sehe Probe
übertrifft alle bisher bekannten Methoden zur Prüfung der
Nierenfunktion an Einfachheit. Sie ist ohne Vorbereitung (be¬
sonders diätetische) bei jedem, auch bei benommenen Patienten
anzuwenden.
Wir erhalten sehr rasch ein Resultat mit einer ganz ein¬
fachen Methodik, die auch der Praktiker ohne Laboratorium
ausführen kann.
Wir haben in der Probe ein wichtiges diagnostisches
Hilfsmittel für die oft nicht erkannte chronische interstitielle
Nephritis, die so häufig keinen ständigen pathologischen Befund
aufweist.
Aus dem Kurvenablauf lässt sich bis zu einem gewissen
Gi ade ein Schluss über die Schwere der Erkrankung ziehen,
und wir bekommen so prognostisch wichtige Daten.
Durch den Parallelismus der Phthalein- der N- und Salz¬
ausscheidung haben wir besonders für den Praktiker einen
gewissen Ersatz der Kochsalz- resp. Harnstoffprobe.
Für die akuten Nephritiden und Nephrosen lassen sich bis
jetzt aus dem Ausfall der Kurve noch keine bindenden Schlüsse
ziehen; es ist hier oft ein Widerspruch zwischen Ausfall der
Phthaleinkurve und dem klinischen Bild. Jedoch gehen auch
hier häufig beide parallel, besonders in den schweren pro¬
gnostisch ungünstigen Fällen.
Eine Abschätzung der renalen Insuffizienz bei kardio-
renalen Zuständen ist durch wiederholte Phthaleinprobe leicht
möglich.
Bei der getrennten Nierenfunktionsprüfung mittels Ure¬
terenkatheterismus ist das Mittel vorzüglich geeignet; es lässt
uns erkennen, wie weit das Parenchym der kranken Niere ge¬
schädigt ist, und gibt uns Aufschluss über die normale oder
schon gesteigerte Funktion der anderen Niere.
Freilich stossen wir bei der Methode hier und da noch auf
Unklarheiten und manche Befunde stimmen nicht mit der Klinik
überein. Insbesondere bedarf es noch weiterer Untersuchungen
inwieweit die Ausscheidung des Phenolsulfophtalein durch
extrarenale Einflüsse beeinträchtigt werden kann.
Dies gilt für die Phthaleinprobe aber nicht mehr als für
die übrigen Nierenfunktionsproben und vermag ihre günstige
Gesamtbeurteilung nicht zu beeinträchtigen.
Herrn Dr. Künster danke ich auch an dieser Stelle
herzlichst für die weitgehende Hilfe, die er mir bei den kolori-
metrischen Messungen hat zu Teil werden lassen.
Literatur.
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1878
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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1912 H. 9. S. 211. — Schmidt und Kretz schm er: Transaction
of the Americ. urological Assoc. XI, NewYork 2. VI. 12. — Vogel:
B.kl.W. 1912 S. 2172. — Ware: NewYork med. journ. 99. S. 416.
Bücheranzeigen und Referate.
Die unregelmässige Herztätigkeit und ihre klinische Bedeutung.
Von Dr. K. F. VV e n c k e b a c h - Strassburg i. E. Mit 109 Figuren
im Text und auf 2 Tafeln. Leipzig und Berlin, Verlag von W. E n g e 1-
mann, 1914. Preis 13 M. Seitenzahl 249.
Die klinische Bedeutsamkeit der verschiedenen Formen der
Herzunregelmässigkeiten zu untersuchen und zu bewerten, das war
eine Aufgabe, welche immerhin schon mehrere Jahre auf Inangriff¬
nahme wartete. Denn das Vorkommen solcher Fälle ist bekanntlich
ganz ausserordentlich häufig, so dass jeder Arzt unzählige Male in
die Lage versetzt ist, solche Patienten zu untersuchen und einerseits
wichtige Schlüsse für die Behandlung aus seinen Feststellungen zu
ziehen, andererseits besonders prognostische Werturteile abzugeben,
welche für den Patienten häufig von weittragendster sozialer und
psychischer Bedeutung sind (Lebensversicherungen!). Die Er¬
forschung der Erscheinungen selbst hat ja innerhalb der letzten
10—15 Jahre durch die neuen graphischen Methoden, besonders auch
durch die Analyse des Venenpulses und des Elektrokardiogramms
grosse Fortschritte gemacht und längst zu einer Revision früherer
Auffassungen, welche auf Grund besonders von Sphygmogrammen
gewonnen waren, dringendst aufgefordert. Nun kommt mit dem
Autor des vorliegenden Werkes ein Forscher zu Wort, welcher nicht
nur durch langjährige Arbeit mit den graphischen Methoden ein
Meister in der Herstellung der betreffenden Kurven geworden ist und
durch eigene Forschungen die diagnostische Verwertung derselben
in vielen Stücken gefördert hat, sondern auch gerade als Arzt berufen
ist, die praktische Wichtigkeit dieser Fragen völlig zu erfassen und
zu proklamieren. Für Patienten und Aerzte wird der von ihm ver¬
tretene Standpunkt häufig ein wahres Evangelium sein, denn er ist
ein weit optimistischerer Standpunkt als die allermeisten Aerzte ihn
bisher gegenüber den Arrhythmien eingenommen haben und noch ein¬
nehmen. Es ist ein direktes Verdienst, das, was durch die graphischen
Methoden im letzten Dezennium gefunden wurde, endlich auch in
zusammenhängender Darstellung und Begründung für die klinische,
diagnostische und therapeutische Seite auszuwerten, und mit Recht
hat Weackebach die Frage aufgeworfen, was der Praktiker von
dieser bedeutenden Vermehrung unserer Kenntnisse auf diesem Ge¬
biete bisher erhalten oder zu erwarten hat. Sein ganzes jüngstes
Werk ist die Beantwortung der praktisch wichtigen Frage: Ist die
Arrhythmie Ausdruck einer gewissen Minderwertigkeit des Herzens?
Jeder Anhänger der früheren klinischen Schule wird mit immer
grösserem Staunen lesen, dass Wenckebach, gestützt auf Ex¬
perimente, eine reiche persönliche Erfahrung und Beobachtung, dem
alten Dogma, dass die Arrhythmie das Zeichen eines schwer ge¬
schädigten Herzmuskels sei, von Seite zu Seite auf das schärfste
zusetzt. Die Arrhythmien sind für ihn Anzeichen eines — aus uns
oft gänzlich unbekannter Ursache — gestörten Herzmechanismus,
was allerdings für den Kreislauf und für das Wohlbefinden schädlich
sein kann, aber sie sind nicht schon an sich ein Signum mali ominis.
Die Extrasystolie, welche stark unter dem Einfluss des Nerven¬
systems steht und vielfach durch reflektorische Wirkungen zustande
kommt, sagt nach W. an sich nichts über den Zustand des Herz¬
muskels aus, sie kann aber bei gesunden Personen unangenehme
Herzsymptome und nicht unwesentliche Kreislaufstörungen an und
für sich hervorrufen, erst recht bei Herzkranken. Sie ist häufig nicht
die Folge, sondern die Ursache von Kreislaufstörungen. Das ist ein
ganz neuer Standpunkt, welcher besonders der Therapie neue Auf¬
gaben stellt und sie neue Wege suchen heisst. Es kann hier nicht
auf das einzelne eingegangen werden, hervorgehoben werden muss
besonders auch das wichtige Kapitel über das Vorhofflimmern,
welches dem dauernd arrhythmischen Pulse zugrunde liegt. Auch
das ist ein Kapitel von grosser praktischer Bedeutung; freilich auch
vieles andere über die Tachykardien, dann über die Rhythmus¬
schwankungen ohne Störung des Herzmechanismus, besonders auch
über die praktische Bedeutung des Vagusdruckversuches. Die
Digitalistherapie erfährt nach den W e n c k e b a c h sehen Dar¬
legungen wieder eine neue Erweiterung, aber auch sonst bringt der
Verfasser aus seiner Erfahrung noch manche therapeutischen Vor¬
schläge, wenn er auch auf das freimütigste, wie er sich auch sonst
in seinem ganzen Buche gibt, hervorhebt, wie weit wir gegenüber
den verschiedenen Formen der Herzarrhythmie in therapeutischer
Hinsicht noch zurück sind. Die Inäqualität des Pulses in ihren ver¬
schiedenen Formen erfährt nach mancher Richtung neue Beleuchtung.
Das W e n c k e b a c h sehe Werk ist ein Buch, das Zeit brauchen
wird, um sich in seinen zum Teil revolutionären Ausführungen in
der Aerztewelt durchzusetzen. Referent, welcher zu einem sehr
grossenTeile aus persönlicher Erfahrung heraus in klinischer Hinsicht
den Wenckebach sehen Standpunkt teilt, ist überzeugt, dass das
Buch unter den jüngsten Erscheinungen betreff der Herz- und Gefäss-
literatur eine grosse Bedeutung gewinnen wird. Seinen Triumph wird
es erst dann feiern, wenn die Mehrzahl der Aerzte aufgehört haben
wird, ihren Patienten, z. B. wegen vorhandener Extrasystolie, die
Etikette einer dauernden Minderwertigkeit aufzukleben.
Dr. Karl Grassmann - München.
H. Stern: Theorie und Praxis der Blutentziehung. Curt
Kabitsch’ Verlag in Würzburg, 1914. Preis brosch. 3.50 M.
Der Aderlass, von seiner mittelalterlichen Bedeutung als Allheil¬
mittel herabgesunken, hat sich lange Zeit als unwissenschaftliches
Werkzeug alter Dorfbader und Kurpfuscher verächtlich behandeln
lassen müssen. In neuerer Zeit tritt ein Wandel ein, auf ein solideres
wissenschaftliches Fundament gestellt, erfreut sich die therapeutische
Blutentziehung wieder mehr und mehr der Anerkennung von Klinikern
und praktischen Aerzten. Es war ein verdienstvolles Unternehmen
des Verfassers, die Lehre vom Aderlass und seines Indikations¬
bereiches in einer Monographie darzustellen, gibt es doch kaum eine
Heilmethode, die jedem Arzt so zugänglich ist und deren Anwendungs¬
möglichkeiten auf so ganz verschiedenen Gebieten liegen. Stern
liefert uns aus seinem reichen Erfahrungsschatz interessante
kasuistische Beiträge über die Wirksamkeit der Venaesectio auch
bei Krankheitszuständen, bei denen sie zurzeit noch selten oder gar
nicht angewandt wird. Ich erwähne nur Pneumonie, Pleuritis,
Emphysem, Chlorose, Morphinismus und verwandte Zustände
(„Narkomanien“). Es scheint tatsächlich, dass wir mit Kritik und
exakter Indikationsstellung das Anwendungsgebiet des Aderlasses
erweitern dürfen. Hoffentlich entsteht keine Modeströmung, setzt
nicht auch hier wieder einseitiger und kritikloser Enthusiasmus ein:
wir möchten nicht erleben, dass das altehrwürdige Aderlassmännlein
in neuer pseudowissenschaftlicher Vermummung eine unheilvolle
Auferstehung feiert. Das vorsichtige und kritische Buch Sterns
trägt sicher nicht dazu bei. H. Kämmerer - München.
Dr. J. Ce mach- Wien: Chirurgische Diagnostik in Tabellen¬
form für Studierende und Aerzte. J. F. Lehmann, München 1914.
Preis kart. M. 14, geb. M. 15.
Als Studenten haben wir alle uns wohl einzelne diagnostische
Kapitel in Tabellenform gebracht, um eine gute Uebersicht zu haben.
Was der Verfasser in diesem Buche bietet, ist eine Ausführung,
welche durch ihre Vollständigkeit, übersichtliche Anordnung, die
Menge vergleichsweise nebeneinandergestellter ausgezeichneter Ab¬
bildungen (112 Tafeln) und eine glänzende Ausstattung hohe Er¬
wartungen übertrifft und vielen nützlich sein kann.
H e 1 f e r i c h.
Ludwig Bach und R. Seefelder: Atlas zur Entwicklungs¬
geschichte des menschlichen Auges. Dritte Lieferung. Mit 28 Figuren
im Text und Tafel XXXV — L. Verlag von Wilhelm Engel mann,
Leipzig und Berlin. Preis M. 22. — .
Die vorliegende Lieferung des eingehenden Werkes bringt in
klarer Darstellung die Entwicklung der Sklera, der T e n o n sehen
Kapsel, des Blutgefässsystems, des Auges, sowie der Netzhaut, des
Sehnerven und des Pigmentepithels. Die Tafeln sind grossenteils
von hervorragender Schönheit und auch die Textfiguren wohl aus¬
gewählt Salzer- München.
Pharmazeutische Rundschau.
Von Dr. Max Winckel in München.
(Schluss.)
Neue Arzneimittel (zusammengestellt nach Pharm.
Z t g., A p o t h. - Z t g., P h. Z t h., P h. Viertel j. - Rundschau)
Acetoform, essigsaure Tonerde „Kalle“, ist essig-zitronen-
saures Alumin-Hexamethylentetramin. Acetoform bildet ein schnee-
weisses Pulver, das leicht und vollkommen ohne jeden Rückstand in
Wasser löslich ist. Das neue Präparat, das als Pulver sowie in Form
von Tabletten ä 1,0 in den Handel kommt, soll in % — 2 proz. wässe¬
riger Lösung als Ersatz des offizineilen Liquor Aluminii acetici Ver¬
wendung finden. Fabrikant: Kalle & Co. A.G. in Biebrich a. Rh.
Acitrin composit. ist eine Mischung von Acitrin (Phenyl¬
cinchoninsäureäthylester) 0,5 mit Colchicin 0,0003 (Farbenfabr. vorm.
Friedr. Bayer & Co., Leverkusen).
Adigan ist ein neues Digitalispräparat, welches die wirk¬
samen Bestandteile der Digitalispflanze repräsentiert, frei von
Saponin, insbesondere von Digitonin. Diese Körper werden bei der
Darstellung durch Fällen mit Cholesterin entfernt. Je 1 ccm der
Lösung oder je 1 Tablette entsprechen in der Wirkung dem Aufguss
aus 0,1 vollwertigem Digitalispräparat. Das Präparat wird hergestellt
von Dr. Max Haasc ix Co. in Berlin.
Arsalyt, ein von Giemsa erfundenes Antisyphilitikum:
Bismethylaminotetramin-arsenobenzol. Das Präparat kommt in
sterilen Ampullen fertig zur Anwendung in den Handel und soll sich
ähnlich dem Salvarsan bewähren (D.m.W. 1914 S. 886).
Chromoform ist eine Verbindung der Dichromsäure mit
Methylhexamenthyltetramin von der Zusammensetzung (CoHiaNi-
CH3),-C,07. Es stellt ein orangerotes, kristallisiertes Pulver dar,
das in kaltem Wasser etwa zu 3 Proz., in heissem Wasser leicht
löslich ist. In Alkohol ist die Löslichkeit gering. Die wässerige
Lösung spaltet sowohl auf Zusatz von Säure als auch Alkali Formal¬
dehyd ab: ebenso wird beim Erwärmen der wässerigen Lösung allein
Formaldehyd frei. Der Gehalt an Dichromsäure beträgt 41,4 Proz.
1. September 1914.
MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1879
Infolge seiner chemischen Eigenschaften vereinigt Chromoform in
sich allein die Wirkung des Formaldehyds mit derjenigen der Chrom-
saure. Fabrikant: Dr. K. H. Schmitz in Breslau VII.
Coagulen „Kocher-Fonio" ist ein organotherapeutisches
Blutstillungsmittel, welches die gerinnungsbefördernden Körper des
Blutes, speziell die Blutlipoide enthält. Es kommt in 10 proz. Lösung
zur Verwendung (Ges. f. ehern. Industrie Basel).
Dial „Ciba“: Dialylbarbitursäure oder Dialylmalonylharnstoff,
ist ein dem Veronal und Proponal ähnliches Schlaf- und Beruhigungs¬
mittel, Dosis 0,05—0,5, es kommt in Pulver, Pillen und Tabletten¬
form in den Handel (Ges. f. ehern. Industrie Basel).
G on o k t e i n, ein internes Mittel zur Behandlung der Gonorrhöe,
soll Extrakte aus den gerbstoffhaltigen Drogen Folia Uvae Ursi,
Rhc-um. palmatum, Erythrea centaur. und Menyanth. trifol., sowie
das Harz von Kawa-Kawa, eine geringe Menge Bismuthum subnitric.
und Wacholderöl enthalten. Die Gerbsäure soll in dem Präparat
(chemisch gebunden sein.
Hydrastopon wird ein neues Antidysmenorrhoicum genannt,
das in Form eines Likörs sowie in Tabletten in den Handel kommt.
Das Präparat enthält in 100,0 0,08 Hydrastinin. hydrochlor. und
n.2 Papaverin. hydrochlor. sowie ein Geschmackskorrigens.
Fabrikant: Kaiser-Friedrich-Apotheke in Berlin.
Ilun nennen die Farbenfabriken vorm. Fr. Bayer & Co. in
Elberfeld ein sehr reines Kreatinin, welches zur Prüfung der Nieren¬
tätigkeit verwendet wird.
I n h i b i n ist ein neues lokales Hämostatikum bei genitalen
Blutungen, das nach dem Prinzip der Eusemori- und Semoritabletten
heigestellt ist und 13 (!) verschiedene hämostatische Stoffe, wie
Adrenalin. Stypticin, Ferripyrin usw. enthält. Die Tabletten ent¬
wickeln in der Vagina einen starken Schaum. Fabrikant: Chem.
Fabrik Luitpold-Werk in München.
Jodoglobin ist Dijodtyrosin, welches entsteht durch Ein¬
wirkung von Jod auf eine alkalische Tyrosinlösung. Färb- und ge-
uchlose Kristalle, indiziert bei Syphilis, gewissen anderen Infektions¬
krankheiten und Gefässerkrankungen; es werden bis zu 2 g inner-
lalb 24 Stunden gereicht (La Zyma A.G., Aigle und St. Ludwig).
Jodprothaemin werden mit Schokolade überzogene
Jragees genannt, -welche Prothaemin (ein trockenes Blutpräparat)
nit 10 Proz. Jod enthalten sollen. Fabrikant: Goedecke & Co.
n Leipzig und Berlin.
K I i n o p 1 a s t w'ird ein neues sterilisierbares Kautschukpflaster
tenannt, das bei der Sterilisation im Autoklaven seine Klebfähigkeit
lach Anbruch beibehält, in den Handel. Fabrikant: Dr. Hugo Remm-
cr in Berlin N.
L a c a 1 u t ist Aluminium lacticum in fester Form. Es wird bei
dichten Umschlägen und Mundwasser in V2 — 2 proz., zu Spülungen
ler Blase und Harnröhre in 0,1 — 0,2 proz. wässeriger Lösung ver¬
wendet. Darsteller: C. H. Böhringer Sohn, Nieder-Ingel-
icim a. Rh.
M e r c 0 i d ist eine sterile Suspension von Kalomel und merkuri-
alizylsulfosaurem Natrium in Paraffinum liquid, und kommt in
'läschchen zu 12 ccm in den Handel. 1 ccm Mercoid enthält je 0,04
er beiden Komponenten. Diese Kombinierung soll die Vorzüge der
öslichen Quecksilberpräparate (geringere Intoxikationsgefahr, rasch
intretende Wirkung) und der unlöslichen Ouecksilberpräparate (nach¬
haltige Wirkung, geringe Zahl der Einspritzungen) vereinigen,
abrikant: Chem. Fabr. von Heyden in Radebeul bei Dresden.
Primärmehl und das daraus hergestellte Brot wurde vom
!eferenten untersucht. Dasselbe enthält nur 9.8 Proz. Kohlehydrat,
aneben 38,8 Proz. Eiweiss und 4,5 Proz. Asche und ist daher als
liabetikerbrot geeignet. Das Brot kann in jedem Haushalt her¬
estellt werden; das Mehl kommt von Diaetei in Breslau V in
en Handel.
Pyocyaneoprotein Ho ul ist ein aus Bouillonkulturen
es Bacillus pyocyaneus (nach Angabe von Prof. Dr. H 0 11 1) her-
estelltes Produkt, das einen deutlichen antagonistischen Einfluss auf
erschiedene Mikroben, besonders auf Eiterkokken, Bacillus pyo-
yaneus ausübt. Darsteller: E. Merck, Darmstadt.
Pyralgininjektionen werden sterile Melubrinlösungen
1 Ampullen genannt, die in je 1 ccm 0,5 Melubrin (das Natriumsalz
es amidomethansulfonsauren Antipyrins), 0,00275 Natrium chlorat..
.00025 Calcium chlorat und 0,0005 Traubenzucker enthalten,
abrikant: Apotheke K r e m e 1 - Wien.
Rhodaform: Methylhexamethylentetraminrhodanid, mit
7.7 Proz. Rhodan; es erhöht den Rhodangehalt und die Alkalinität
es Speichels und dient daher gegen Karies, Stomatitis, Gingivitis,
lveolärpyorrhöe, Dosis 0,3 (Dr. K. Schmitz, Breslau VII).
Sagrota n, Chlor-Xylenol-Sapokresol, ein neues wasser-
»sliches Desinfektionsmittei, besteht aus einem in Seife gelösten
lolekularen Gemisch aus Chlorxylenol und Chlorkresol bzw. Grotan,
as die doppelte Wirksamkeit besitzt äls die Summe der beiden
Gemischen Komponenten. Nach Prof. Dr. Schott elius ist das
elati v ungiftige Sagrotan dem Lysol um fast das Doppelte, der
resolseife nahezu um das Dreifache überlegen. Eine 1 proz. Lösung
enügt für alle praktisch in Frage kommenden Zwecke. Fabrikant:
chülke & Mayr, A.G. in Hamburg.
Septan wird ein neues formaidchydhaltiges Desinfektions-
littel genannt, das besonders für die tierärztliche Praxis empfohlen
ird. Es ist mit Wasser, Alkohol und Glyzerin mischbar und soll
in 0,5 — 5 proz. Lösung zur Anwendung kommen. Fabrikant:
Dr. K i r s t e i n, Berlin.
Supradroscrin-Crema enthält als wirksame Stoffe
Droserin, Suprarenin und Novokain und kommt in drei Stärkegraden
in den Handel. Es wird hauptsächlich bei Heufieber angewendet.
Darsteller: Dr. R. und Dr. O. Weil, Fabrik chem.-pharmazeut. Prä¬
parate in Frankfurt a. M.
Syntalin: Methylester der Piperonylchinolinkarbonsäure vom
yP l'cs Atophan; es ist indiziert, wo Atophan und dessen Homologe
Anwendung finden (E. Schering, chem. Fabrik, G.G. Berlin).
I iophysen: Additionsprodukt des Allylsulfoharnstoffs und
Jodäthyls, nach Knoblauch riechende Kristalle mit 46,5 Proz. Jod:
überall angezeigt, wo eine Jodwirkung erzielt werden soll
(Dr. König, München).
I oxodesmin besteht aus 5 Teilen Tierkohle, 2,5 Teilen
Natriumsulfat und 2,5 Teilen Magnesiumsulfat. Es soll in erster
Linie ein Gegengift gegen alle Vergiftungen, ausgenommen derer mit
Säuren und Laugen, sein, auch wird es bei Magendarmentzündungen,
ferner als diätetisches Mittel z. B. statt Jogurt und Sauermilch an¬
gewendet. Bei Krankheiten gibt man 1—4 mal 5,0 täglich. Fabrikant:
N. (). Chem. Fabr. „Amsterdam“ in Ymuiden (Holland). (Pharm.
Z. H. 1914 Nr. 21.)
Trivalin locale enthält in 1 ccm 0,0048375 Morphin-
valerianat, 0,0074 Koffeinvalerianat und 0,01012 Kokainvalerianat und
einen Tropfen Suprarenin als baldriansaures Salz 1:200. Fabrikant:
Saccharinfabrik in Salbke-Wester-Dresden.
Veroglandol, ein neues Mittel gegen Uterusblutungen, ist
ein Extrakt aus Corpora lutea vera. Das Mittel findet subkutan in
Dosen von 1 ccm Anwendung. Fabrikant : Hoffman n - La Roche
in Grenzach i. Bd.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 116. Band, 1. und
2. Heft.
P. v. Monakow: Beitrag zur Kenntnis der Nephropathien.
III. Mischformen. (Aus der II. med. Klinik zu München.)
Es gibt Fälle von schwerer Störung der NaCl-Ausscheidung bei
gleichzeitig ganz oder nahezu intakter N-Eliminatlon. Bei diesen
Fällen pflegen urämische Erscheinungen zu fehlen, der Blutdruck ist
in der Regel niedrig, dagegen besteht Neigung zur Oedembildung.
Zu schweren Oedemen kommt es aber erst, wenn gleichzeitig eine
Störung in den peripheren Gefässen besteht. Kochsalzzulagen werden
retiniert und führen meistens zu einem Anstieg des Körpergewichts,
während gleichzeitig die Urinmenge abnimmt; es kommen aber auch
Kochsalzretentionen ohne Veränderung des Körpergewichts vor, in
diesen chronischen Fällen wird die Urinmenge durch NaCl-Zulagen
nicht beeinflusst. Harnstoffzulagen beeinflussen in Fällen isolierter
Störung der NaCl-Ausscheidung die Diurese günstig bzw. können
dann noch als Diuretikum wirken, wenn alle anderen Diuretika ver¬
sagen. Diese hypochlorurischen Nephropathien kommen rein nur in
akuten Fällen vor und sind bedingt durch Veränderungen der Tubuli
contorti. Da letztere eine starke Regenerationsfähigkeit haben, kommt
es oft zur Heilung; anderenfalls kommt es sekundär zu einem Ausfall
der zugehörigen Glomeruli und damit funktionell zu einer schlechten
Ausscheidung von NaCl und N und schliesslich zu dem, was man
früher als sekundäre Schrumpfniere bezeichnete.
Demgegenüber gibt es Fälle, die bei guter NaCl-Ausscheidung
von vorneherein eine Störung der N-Ausscheidung zeigen, Fälle mit
hohem Blutdruck und chronisch-urämischen Beschwerden, bei denen
Kochsalz stark diuretisch wirkt, während Harnstoff ohne wesentliche
Wirkung ist. Die Erkrankung betrifft hier vorwiegend die Glomeruli,
während die Tubuli nahezu intakt sind Es kommt hier zu erheblicher
N-Retention in den Geweben, ohne dass der Rest-N des Blutes er¬
heblich vermehrt ist. Wenn das retinierte N kausal mit den urämi¬
schen Erscheinungen in Zusammenhang steht, so ist die Sättigung der
Gewebe mit N dafür verantwortlich zu machen. Bei diesen „hypazo-
turischen Nephropathien“ kann es sich um akute Fälle handeln, die
ausheilen, meist handelt es sich um chronische Erkrankungen, die sich
aus einer akuten Glomerulitis oder auf dem Boden einer chronischen
Erkrankung der Glomerulusgefässe entwickeln.
Daneben gibt es noch Fälle mit hohem Blutdruck und leichtester
Albuminurie und Fälle, bei denen hochgradige Albuminurie die einzige
Störung der Nierenfunktion darstellt, sowie Mischformen, die gleich¬
zeitig Veränderungen der Glomeruli und Tubuli aufweisen. In bezug
auf die Ausscheidung körperfremder Stoffe (Jod, Milchzucker) konn¬
ten prinzipielle Unterschiede zwischen den verschiedenen Nephro¬
pathien nicht gefunden werden, ähnliches gilt für Theocin.
R. Hertz und M. Erlich: Ueber den Einfluss kleiner Gaben
Toluylendiamins auf das Blut mit einem Beitrag zur Lehre über die
Entstehung experimenteller Hyperglobulie. (Aus der III B-Abteilung
für innere Krankheiten des Kindlein-Jesu-Krankenhauses in War¬
schau.)
Kleine Gaben Toluylendiamins rufen Erythrozytenzerfall und hin
und wieder Erhöhung der Resistenz der Erythrozyten hervor, sie
führen zur Entstehung der Hämatopoetine und bedingen Hyperglo-
bulie. Experimentell lässt sich ein kausaler Zusammenhang zwischen
Hyperglobulie und Anämie beweisen.
R. Sieb eck: Beitrag zur Analyse sehr kleiner Stickstoff¬
mengen in organischem Materiale (Harnstoffbestimmungen in einigen
1880
MUKNCHENKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 35.
Tropfen Blut). (Aus der med. Klinik in Heidelberg.) (Mit 2 Fi¬
guren.)
Die nachzulesende gasometrische Methode ist zur Analyse sehr
kleiner Mengen Stickstoff recht brauchbar.
E. Weiser- Prag: Präsystolische Geräusche bei Vorhof s-
flimmern. (Mit 3 Kurven.)
ln 1 Falle, da der Vorhof dazu neigte, aus feinschlägigem in
grobschlägiges Flimmern überzugehen, traten vereinzelte derart
starke Kontraktionen des Vorhofes ein, dass der durch ein verengtes
Mitralostium durchgepresste Blutstrom ein präsystolisches Geräusch
erzeugen konnte. Aus vereinzelten präsystolischen Geräuschen darf
nicht auf einen Vorhof-Ventrikel-Rhythmus geschlossen werden, son¬
dern Phlebogramm und Elektrokardiogramm müssen zur Aufklärung
des Falles herangezogen werden.
A. Lehndorff: Zur Frage der Saugwirkung des Herzens.
(Aus der med. Klinik R. v. J a k s c h in Prag.) (Mit 1 Kurve.)
Das Herz wirkt nur als Druckpumpe, aber nicht als Säugpumpe.
W. Kaiser und J. Liiwy: Ueber Schwankungen der Serum¬
konzentration bei Scarlatina. (Aus der med. Universitätsklinik
R. v. I a k s c h in Prag.)
Bei einer Reihe von Scharlachfällen ohne Komplikation finden
sich während des Krankheitsverlaufes keine nennenswerten Schwan¬
kungen des Brechungsindex des Serums, während bei einer anderen
Reihe eine Erhöhung der Serumrefraktion im Stadium der Schuppung
vorhanden ist. Bei 1 Falle von Nephritis liess sich vor dem Auf¬
treten von Albuminurie eine Zunahme der Serumkonzentration fest¬
stellen. Nach Ablauf einer Pneumonie, bei Eintritt von Gelenk¬
schmerzen, bei multiplen Abszessen stieg die Serumrefraktion, viel¬
leicht teilweise bedingt durch die Vermehrung- von im Blute kreisen¬
den toxischen Produkten. Eine praktische Bedeutung kann wegen
der auch bei unkomplizierten Fällen auftretenden Schwankungen des
Brechungsindex der Bestimmung der Serumrefraktion bei Scharlach
nicht zukommen.
Z. I anii: Experimentelle Untersuchungen über das Verhältnis
der Ammoniak- und Gesamtstickstoffausscheidung im Urin bei ver¬
schiedener Kostform und besonders bei Reisfütterung. (Aus der medi¬
zinischen Klinik zu Leipzig.)
Das Verhältnis Ammoniakstickstoff zum Gesamtstickstoff im Urin
beim Menschen, Hunde und Kaninchen hat während vorwiegender
Eiweissnahrung (auch Fleischnahrung) im Gegensatz zur eiweiss¬
armen (oder cerealischen) Kost die Neigung zur Verminderung. Das
Verhältnis ist deutlich vermehrt bei Reisfütterung. Die Ursache der
relativen Ammoniakvermehrung bei Reisfütterung beruht auf einer
Blutalkaleszenzabnahme im Organismus.
F. Goebel: Proteusmeningitis und Proteussepsis bei einem
Neugeborenen nebst Bemerkungen über Proteus als Krankheitserreger
des Menschen. (Aus dem Gisela-Kinderspital in München.)
Das Wesentliche enthält die Ueberschrift.
L. Licht witz und F. Stromeyer: Untersuchungen über
die Nierenfunktion. 1. Die Funktion der Niere im Diabetes insipidus.
(Aus der medizinischen Universitätsklink zu Göttingen.) (Mit
16 Kurven.)
In 2 Fällen von Diabetes insipidus war die Chlorkonzentration
hochgradig geschädigt, während die Niere N in normal hohen Werten
konzentrieren konnte. Pituitrin verminderte die Wasserausscheidung
beträchtlich. Ein 3. Fall, dessen Konzentrationsvermögen gegenüber
einer NaCl- bzw. Harnstoffzulage normal war, muss als Polyurie j
unklaren Ursprunges angesehen werden.
E. W a 1 1 e r s t c i n e r: Untersuchungen über das Verhalten
von Gesamtstoffwechsel und Eiweissumsatz bei Karzinomatösen. '
(Aus der med. Klinik zu Heidelberg.)
In langdauernden Respirationsversuchen wurde das Verhalten der
Wärmeproduktion nüchterner, nicht fiebernder Karzinomatöser stu¬
diert und der Eiweissstoffwechsel solcher Kranker im Rahmen der
Gesamtverbrennungen verfolgt. Die Wärmeproduktion Karzinoma¬
töser kann sich sehr verschieden verhalten und schwankte, bezogen
auf Tag und 1 kg Körpergewicht in der enormen Breite von 20 bis
59 Kalorien. Die Ursache ist vermutlich bei den stark herabge¬
setzten Verbrennungen eine Anpassung an Unterernährung, in 10 Proz.
fand sich eine erhebliche Steigerung des Gesamtstoffwechsels, die
meisten Zahlen bewegen sich in der Breite oder an der oberen
Grenze der Norm. Eiweissverluste traten nur dann ein, wenn der
Steigerung der Verbrennungen und des Eiweissumsatzes nicht in der
Ernährung Rechnung getragen wird. Mit einer ausreichenden Er¬
nährung liess sich stets annähernd ein Stickstoffgleichgewicht er¬
zielen, ein Eiweissansatz trat ein, wenn der Kalorienbedarf deutlich
überschritten wurde. Im übrigen ist die Möglichkeit zuzugeben, dass
beim Karzinom eine isolierte (toxische?) Schädigung des Eiweiss¬
stoffwechsels einmal Vorkommen kann, ein zwingender Beweis hie-
fiir fehlt. Die Steigerung des Stoffwechsels beim Karzinom ist jedoch
da, wo sic nicht von Temperaturerhöhungen begleitet ist, prinzipiell
von der beim echten Fieber insofern verschieden, als die Wärme¬
regulation intakt bleibt. Ueber die Ursache der Steigerung lässt sich
eine genaue, für alle Fälle zutreffende Vorstellung schwer gewinnen.
Man wird deshalb wohl am besten von einer toxischen Stoffwechsel¬
steigerung sprechen, wobei das Wort im weitesten und allgemeinsten
Sinne einer Alteration des Stoffwechsels durch das Geschwulstge¬
webe bzw. dessen Produkte gemeint ist.
Preisausschreiben der „Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung
der Tuberkulose“. Preisaufgabe: „Die Bedeutung der verschieden¬
artigen Strahlen (Sonnen-Röntgen-Radium-Mesothoriurn) für die Dia¬
gnose und Behandlung der Tuberkulose.“
Kleinere Mitteilungen.
1. Sc h 1 a y e r - München: Beitrag zur Kenntnis der Nephro¬
pathien. Bemerkungen zu der Arbeit v. Monakows. (Aus der
1. med. Klinik zu München.)
2. P. v. Monakow: Erwiderung zu obigen Bemerkungen.
Besprechungen. Bamberger - Kronach.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 33.
A. v. Lichtenber g-Strassburg: Zur Technik der Pyelographie.
Veif. gibt zu der Publikation von Joseph in Nr. 27 noch einige
wertvolle Ergänzungen: Um wirklich gute Röntgenbilder von der
Niere zu bekommen, ist gründliche Entleerung des Darmes Bedingung:
verwendet werden Katheter mit Wismut imprägniert, von Stärke
Nr. 4, höchstens Nr. 5; nach Einführung des Katheters wird das
Zystoskop entfernt; vor der Röntgenaufnahme, die der Funktions¬
prüfung der Niere angeschlossen wird, wird ein Katheter Nr. 17
Charr. in die Blase eingelegt. Eingespritzt wird eine 10 proz. Lösung
des Kollargol Heyden; die Menge schwankt zwischen 5 und
100 ccm, je nach den speziellen anatomischen Verhältnissen der zu
untersuchenden Niere; solange neben dem Katheter ständiger Rück¬
fluss erfolgt, darf die Injektion während der Aufnahme fortgesetzt
werden; eine röntgenographisch nachweisbare Stockung des Urin-
abflusses bildet ein absolutes Frühsymptom einer beginnenden Hvdro-
nephrose. Von der Ausspülung des Kollargols nach der Pyelographie
ist Verl, wieder abgekommen, da sie in den Fällen doch nicht mög¬
lich ist, wo Kavernen oder Geschwüre im Nierenbecken sind. Bei
Blutungen ist die Pyelographie zu unterlassen.
Hans Hans-Limburg a. d. Lahn: Zur Operationstechnik der
doppelseitigen Hasenscharte.
Um die doggenmässige Verbreiterung der Nase zu vermeiden,
benützt Verf. den beweglichen Hautteil des Zwischenkiefers zur
Bildung des häutigen unteren Teiles der Nasenscheidewand; die
Rücklagerung des Zwischenkiefers erfolgt nach der Methode von
Bardeleben. Ueber die Wunde kommt kein Verband; die
Spannung lindert ein Heftpflasterzug auf folgende Weise: ein 12 cm
langer und 4 cm breiter Leukoplaststreifen wird von den Schmal¬
seiten her bis auf 4 cm eingeschnitten; die unteren Zipfel werden uin
360" um die oberen Zipfel geschlagen, so dass aus dem Mittelstück
eine glatte Rolle entsteht, die in den Mundspalt kommt; die oberen
Zipfel gehen von Ohr zu Ohr, die unteren unter Zug unter das Kinn.
Diese Methode hat sich dem Verf. gut bewährt zur Erzielung eines
kosmetischen Resultates. E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 31, 1914.
P. Z w e i f e 1 - Leipzig: Erfahrungen mit der Mesothoriumbe-
handlung.
Z. bespricht einige mikroskopische Bilder von bestrahlten
Karzinomen. In einem Präparate war nur noch eine einzige Kar¬
zinomzelle übrig geblieben. Auch die elektive Wirkung war in den
Präparaten zu erkennen. Trotzdem betont Z., dass für die Frage
der Dauerheilung nicht das Mikroskop, sondern nur die klinische Be¬
obachtung über einen langen Zeitraum entscheidend ist. Zu dieser
Auffassung kam er durch eine Reihe von grossen Enttäuschungen,
die er im Laufe der Jahre mit der Karzinombehandlung erlebt hat.
E. M e y e r - Frankfurt a. M.: Zur Wertung der intrauterinen
Radiumapplikation bei Carcinoma uteri.
Zwei Fälle von Zervixkarzinom, bei denen nach endozervikaler
Radiumapplikation einmal eine schwere, parauterine Entzündung des
ganzen Beckenbindegewebes und der Adnexe mit Ausgang in Heilung,
einmal nach gleicher Behandlung eine foudroyante Sepsis auftrat, die
in kurzer Zeit den Exitus herbeiführte. Die Fälle zeigen die Gefahren
der intrauterinen Radiumapplikation.
H. K ii s t e r - Breslau: Ueber den Nutzen des Peristaltins für
die Laoarotomierten.
K empfiehlt auf Grund seiner Erfahrungen 0,5 Peristaltin intra¬
muskulär unmittelbar vor der Operation und am Operationsabend zu
geben. Die Darmtätigkeit setzt dann etwa 8 Stunden früher ein, als
sonst, was nach dem Abgang der ersten Flatus bestimmt wurde.
Seine Anwendung ist im übrigen völlig unschädlich. Das Mittel wurde
zuerst von Fla tau in Nürnberg empfohlen. J a f f e - Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 33, 1914.
H. B e i t z k e - Lausanne: Ueber eine schwere, tödlich verlaufene
Infektion des Menschen mit Rindertuberkulose.
Kasuistischer Beitrag.
Starke- Breslau : Zur Behandlung des Lupus mit dem Fried-
m a n n sehen Mittel.
Unangenehme Nebenwirkungen des Mittels wurden nicht be¬
obachtet, dagegen war aber eine wirklich fortschreitende Heilung,
selbst eine deutliche Besserung auch nach mehreren Monaten in
keinem Falle zu konstatieren.
W. S c h o 1 1 z - Königsberg i. Pr.: Die Heilung der Syphilis durch
die kombinierte Salvarsan-Quecksilberbehandlung.
Verf. nimmt an, dass durch die Salvarsan-Quecksilberbchand-
lung der Syphilis bei primärer Syphilis in 95—100 Proz., bei sekun¬
därer Syphilis in etwa 85 Proz. der Fälle Heilung erzielt wird und
1. September 1914.
MUFNCFIFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Jass wir tatsächlich berechtigt sind anzunehmen, dass die Heilung
eine definitive sein dürfte.
St rau ss. Ueber die diagnostische Bedeutung des Nischen-
ymptoms bei der radiologisehen Magenbetraehtung.
Das Nischensymptom ist, sobald es vorhanden ist und ein Be-
»bachtungsfehler nicht vorliegt, absolut beweisend für das kallöse
Jlcus. Es kommt ihm beim pylorusfernen, kallösen Ulcus eine selir
t oh e Bedeutung zu, beim Ulcus simplex spielt es keine Rolle. Als
eines Symptom - also ohne gleichzeitig vorhandenen Sanduhr-
'ugen ist es sehr selten. Die Nische ist meistens beim penetrieren-
,en Ulcus vorhanden, doch kann man sic gelegentlich auch bei ganz
leinen kallösen Ulccra ohne penetrierenden Charakter beobachten.
M. E h r e n r e i c h - Bad Kissingen: Zur Diagnose der begiimcii-
!en sekretorischen Insuffizienz des Magens.
NLht die Frage, ob freie HCl vorhanden ist oder fehlt, ist für
ie Ditferentialdiagnose zwischen Ulcus und Karzinom von Wichtig-
eit, sondern die, ob die sekretorische Funktion als Ganzes im Sinne
iner Reizung oder Lähmung verändert ist. Das Frühstadium der
ekretorischen Insuffizienz kann man beim Ryloruskarzinom oftmals
us dem v erhaltms der Säurezahlen des Nüchternrestes zu denen des
robefrühstiieks erkennen. Für Fälle mit pylorusfernem Karzinom
hiss eine geeignete Methode zur Erkennung der Anfangsstadien der
ekrctionsschadigung noch gefunden werden. Als dafür gangbarer
\ eg erscheint die Anwendung des Verfahrens der 2 mal nacheinander
orzunehmenden Reizung des sekretorischen Apparates.
I. Friedländer: Ein Fall von Neuritis postdiphtherica.
Kasuistischer Beitrag.
H. I r ie p el- Breslau: Das Alter menschlicher Embryonen.
Wenn das Menstrualalter auch von dem wahren Alter des
ttibryos abweicht, so ist es doch immer für die Bestimmung des
lters menschlicher Embryonen von Bedeutung. Das wahre Alter
t im Mittel um 18 bis 19 Tage geringer als das Menstrualalter.
Dr. G r a s s m a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 32, 1914.
Grob er- Jena: Die Behandlung der bedrohlichen Zustände bei
:r akuten Endomyo- und Perikarditis. Klinischer Vortrag.
1 'ktbr, ena: Zystische Geschwülste im Jugulum, speziell
ne tuberkulöse, aus der Thymusdrüse (?) hervorgegangene
Von den Kropfzysten“ sind ein beträchtlicher Teil Dermoide
um sie dicht über dem Sternum sitzen; die weiter oben sitzenden
■icn vom Ductus thyreoglossus aus. Die Dermoidzysten liegen vor
-ii langen Halsmuskeln ganz oberflächlich, während die Kropfzysten
eist tiefer hegen. Kropfzysten gehen scheinbar oft von dem Isthmus
is in Wirklichkeit aber meist von einem der Seitenlappen. In
opfreichen Gegenden finden sich Dermoide und Kropfzysten ziern-
n gleich häufig im Jugulum, in kropffreien überwiegen die Der¬
male Kropfzysten können gelegentlich tuberkulös entarten
-rinoide schwerlich. Die von den Rippenansätzen und den Lymph-
usen in der Umgebung der Vena jugularis interna ausgehenden
Müschen tuberkulösen Geschwülste (oder Abszesse) liegen mehr
itheh im Jugulum; eine in der Mittellinie desselben liegende tuber-
i ose Zyste wird sich von einer substernalen Struma oder wahr-
leinhcher von der tuberkulösen Thymusdrüse, event. auch von
ii uiandulae mediastini anterioris aus entwickeln. Beschreibung
,es cisentumlichen Falles, wo wahrscheinlich die tuberkuiöse
'Mmisdruse den Ausgangspunkt für ein entzündliches Infiltrat mit
ntralem zystenähnlichen Zerfall bildete.
Ir Dnkultu “kalt’KÖnigSberg: DaS Aussterben der »Krankheiten
Von den Impfgegnern wird der Rückgang der Pocken gern durch
s Aussterben der „Krankheiten der Unkultur“, wie Flecktyphus,
l,"ld Kekurrens erklärt. Verf. weist auf den grossen Unterschied
; bc‘ diesen letzten Krankheiten ein ganz bestimmter tier-
Cr ebcrlrager (Läuse, Ratte) bekannt ist, dessen Ausrottung
'iiständfmfehltS Ke mgt’ während bei den Pocken diese Möglichkeit
L H i r s c h f e I d und R. K I i n g e r - Zürich : Ueber eine Ge-
1 nimgsreaktion bei Lues.
. Nähere Ausführungen zu dem auf dem Kongress für innere
uzin vorgetragenen Verfahren. S. Bericht M.m.W. 1914 S. 1193.
’ dadefekt r 6 e"^remen: Die (-)perationen Zlir Deckung grösserer
Verf. hat das von Brandes angegebene Verfahren zum Aus-
7 Krosserer Tibiadefekte mittels Transplantation der zugehörigen
i LT einern Fal1 angewendet, wo bei einem 12 jährigen Mädchen
. Z Zerstörung der unteren Tibiaepiphyse eine starke Längen-
uenz und Bd^tungsdeformätion drohte: Mobilisierung des
^ren Knöchels mit Periost und Einpflanzung desselben in den
„i7 , lbiarest oder den Talus, gabelförmige Längsspaltung des
, c la tes der Höhe des Endes des Tibiastumpfes und Ein-
li iTICses Reriostknochenspahnes mit seinem oberen Ende in
nv'Ir M>im de? unteren Schienbeinendes. Der Erfolg war durch
> S(: Nekrose infolge ungünstiger Zirkulationsverhältnisse einiger-
■ (en ecinträchtigt. Mit Rücksicht auf die Spannung des medialen
n- unu Muskelnarbengewebes empfiehlt sich die Operation mög-
;7 ' , naKl' Abheilung der Osteomyelitis. Bemerkungen und
^en betr. Modifikation des Verfahrens in besonderen Fällen.
■ c r s - Kopenhagen : Ueber die operative Behandlung des
auhrmagens.
Bezüglich der Diagnostik — abgesehen von der zuverlässigsten
Röntgenuntersuchung — macht P. u. a. folgende Bemerkungen (15
Kranke) : Beim Lufteinblasen trat 8 mal ein gurgelndes oder pfeifen¬
des Geräusch an der Kardia auf, 5 mal waren zwei durch eine Furche
gctiennte Hervorwölbungen zu konstatieren. Nach dem Wasserein-
giessen blieb 6 mal das Wasser ganz oder zum Teil im Magen, 3 mal
trübte sich plötzlich das anfangs klare Ausheberungswasser. In
einem ral e war wiederholt nach scheinbar völliger Ausheberung der
i robemahlzeit noch eine Portion zu erhalten, die gegenüber der ersten
lortion eine entgegengesetzte Reaktion zeigte. An 13 Kranken wurden
olgende Operationen gemacht: 7 mal die Gastrogastroanastomose
Rezidive mit Ulcussymptomcn), 3 mal die Gastroenterostomose
J". u f1 j. 3 mal die beiden Operationen (1 Rezidiv). Verf. be¬
dachtet die Gastrogastroanastomose als die entsprechendste (die
Rezidive traten erst nach 5 bzw. 7 Jahren ein), wo wegen Alters,
^.chwachc oder Arteriosklerose die Resektion nicht möglich ist. Im
übrigen verdient die B i 1 1 r o t h sehe Resektion II als radikales Ver¬
fahren mit guten Endresultaten den Vorzug.
. d: d\ N j t z e s k u - Bukarest: Die Schutzfermente gegen das
Maisenveiss (Zeine) im Blut der Pellagrösen.
Zusammenfassung: Das Blut der Pellagrösen enthält Fermente,
die anscheinend elektiv auf Zeine reagieren, zeinolytische Fermente.
Uer Pellagröse unterliegt bei ununterbrochener Maiskost einer Intoxi-
kation durch die Zeine. Die genannten Fermente bleiben noch lange
Zeit im Blut nach Schwinden der Symptome und Kostwechsel. Die
Feimentreaktion kann in zweifelhaften Fällen die Diagnose unter¬
stützen.
H. B o r u 1 1 a u - Berlin: Zur innerlichen Kalktherapie.
Nach B.s Untersuchungen ist das Calcedon, eine Kombination
von Kalk mit dem Pflanzeneiweiss Edestin, zur länger dauernden
inneren Kalkbehandlung geeignet; u. a. ergab sich auch, dass das
Präparat beim Kaninchen, per os gegeben, die Pituitrinwirkung auf
die Atmungskurve aufhebt, wie das Kays er bei subkutanen Clilor-
kalziuminjektionen beobachtet hat.
R. Meyer- Halle a. S.: Larosan beim Erwachsenen, insbe¬
sondere beim Ulcus ventriculi.
Wo bei Ulcus ventriculi Schmerzen oder Blutungen eine längere
strenge Schonungsdiät erfordern, hat M. mit gutem Erfolg Larosan
(5:-6 Proz.) der Milch zugesetzt; ausser der Kalorienbereicherung
wird durch den Kalkgehalt des Mittels die Säurebindung erhöht und
die Gerinnungsfähigkeit des Blutes gesteigert. Im allgemeinen wird
der Geschmack gern ertragen, ev. wäre ein Zusatz von Kakao und
Zucker zu machen. Das Mittel ist auch verwendbar bei chronischen
Darmkatarrhen, Darmtuberkulose und für Mastkuren.
H. Schirokauer - Berlin Die Phenolphthaleinprobe auf ok¬
kultes Blut nach Boas. Erwiderung auf die Bemerkungen von
Boas in Nr. 29.
J. Boas- Berlin : Entgegnung.
G. K a t z - Berlin-Friedenau : Hexal in der Frauenpraxis.
Verf. hat an sich erprobt, dass das Hexal auch beim Gesunden
diuretisch -wirkt. Der Geschmack, in Zuckerwasser, ist gut, unan¬
genehme Nebenwirkungen fehlen. Bei 25 weiblichen Kranken,
(Zystitis, Urethritis, Ncphrolithiasis, Pyelonephritis) war die Wirkung
sehr befriedigend. Namentlich werden auch hartnäckige Zystitiden
gut beeinflusst, wofür allerdings anfangs bis zu 3 g im tage er¬
forderlich sind.
G. F r i t s c h - Grosslichterfelde: Die resorbierende Wirkung des
Jodozitins.
Verf. hat an sich nach 3 monatigem Jodozitingebrauch (täglich
1 Tablette) eine deutliche Klärung des getrübten Gesichtsfeldes und
Besserung eines leichten Asthma bronchiale feststeilen können.
G. F 1 a t a u - Berlin: Bemerkungen über mechanische Mittel zur
Behebung der Impotenz.
F. verhält sich nicht ganz absprechend gegen die in dieser
Richtung gehenden Behandlungsvcrsuche, hält aber die bisher kon¬
struierten und empfohlenen Vorrichtungen nicht für genügend
brauchbar und unschädlich.
A. Rördans z-Charlottenburg: Eichung medizinischer Spritzen.
Abdruck der Bekanntmachung betr. Eichung von medizinischen
Spritzen (4. Reihe der Mitteilungen der Kaiserl. Normaleichungs¬
kommission S. 62) und Erläuterung derselben. Das Bestreben geht
dahin, dass von beamteten Aerzten und in Krankenhäusern nur noch
geeichte Spritzen verwendet werden sollen.
E n g e 1 e n - Düsseldorf: Apparat zur Lichtbehandlung der Lunge.
Der Apparat trägt auf einem der Thoraxform anzupassenden,
gut anliegenden Gestell eine Reihe von kleinen, röhrenförmigen
Glühlampen. Firma Louis und H. Löwenstein, Berlin N, Ziegel¬
strasse 28/29.
Adam-Köln: Die französische Kriegskrankenpflege.
Wird in der Fcldärztlichen Beilage besprochen.
B c r g e a t - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 33. G u r a r i - St. Petersburg: Eine neue Methode der Be¬
handlung der Syphilis des Nervensystems.
Ausgehend von der Beobachtung, dass die perivaskulären
Lymphräume der Hauptsitz der Spirochäten sind, muss man auch
darnach trachten, in die Lymphwcge die antisyphilitischen Heilmittel
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 35.
1882
einzubringen; hierfür stellt der subarachnoidale Raum, welcher die
Zerebrospinalflüssigkeit enthält, den besten Weg dar und er ver¬
mittelt zugleich den besten Zugang der Medikamente zum Zentral¬
nervensystem. Nach den Versuchen von Swift und Ellis hat das
Serum von mit Neosalvarsan behandelten Patienten die Eigenschaft,
die Spirillen zu töten und lässt sich therapeutisch verwerten. Dem¬
entsprechend ist Verf. vorgegangen. 1 Stunde nach intravenöser In¬
jektion von Neosalvarsan (0,6, neuerlich 0,45 g) wurden aus der Vene
4Q_50 ccm Blut entnommen; wenn man dabei, nachdem die Nadel
ohne Spritze in die Vene gestochen, die vorher stark angezogene
Stauungsbinde lockert und zugleich bei gesenktem Arm aktiv oder
passiv die Finger bewegt werden, fliesst das Blut im Strahl rasch
ab. In einer Glasschale mit breitem Boden bleibt das Blut 24 Stun¬
den kühl gehalten. Das so gewonnene reine Serum wird J4 Stunde
auf 56" erwärmt, dann 12—15 ccm davon mit physiologischer NaCl-
Lösung auf 30 ccm verdünnt. Diese Lösung wird dann nach Ab¬
fassung etwa der halben Menge von Zerebrospinalflüssigkeit in den
Lumbalkanal des sitzenden Kranken eingebracht, der dann 48 Stun¬
den in dem am Fussende durch Backsteine erhöhten Bett verbleibt.
Diese Behandlung wurde an 45 Kranken vorgenommen; bei 10 hoff¬
nungslos chronisch Kranken konnten wiederholte Untersuchungen der
Zerebrospinalflüssigkeit vorgenommen werden (Myelitis 5, Tabes 1,
Lues cerebrospinalis 4); die Zahl der Injektionen betrug 2 bei 2. 3 bei 3,
5 bei 1 Kranken. Der Injektion folgte eine etwa 12 ständige Reaktion
mit einer Temperatur von meistens 38,0 — 38,5, mit Schmerzen im
Kopf, Kreuz und den Beinen und in einigen Fällen auch mit Harn¬
retention. Der subjektive Erfolg bestand nur in der Besserung der
Schmerzen und Sensibilitätsstörungen, dagegen war objektiv mit
einer Ausnahme eine günstige Veränderung der Zerebrospinalflüssig¬
keit festzustellen in Form der bedeutenden Verringerung der Pleo¬
zytose, die in 3 Fällen fast normalen Verhältnissen Platz machte, fast
parallel veränderte sich die Non ne sehe Reaktion, während die
Lange sehe und die Wassermann sehe Reaktion sich am läng¬
sten erhielten. 10 Krankengeschichten.
A. Plunger-Linz a. D.: Zwei Fälle von isolierter Mondbein¬
fraktur.
Krankengeschichten. Verf. weist auf die Bedeutung der dorsalen
Hyperflexion der Hand für das Entstehen der isolierten Fraktur des
Mondbeins hin. In veralteten Fällen empfiehlt sich die Exstirpation
des Mondbeins.
J. S a p h i e r - München: Ueber die Herstellung der haltbaren
Kollargolpräoarate von Spirochäten und Hyphomyzeten.
Die von Nit sehe empfohlene Verwendung kolloidaler Metalle
an Stelle der Tusche bei Burripräparaten ergibt nur wenig haltbare
Präparate. Verf. empfiehlt folgende Verbesserung; Das luft-
getrocknete Ausstrichpräparat wird mit Kollargollösung beschickt,
nach 2 — 3 Minuten wird der Objektträger senkrecht gestellt und an
der Luft getrocknet. Dieses Kollargolpräparat bleibt einen, am besten
2—3 Tage liegen. Dann kommt es kurz in eine 2 proz. Lösung von
Fixiernatron, wird in Wasser abgespült und getrocknet. Statt braun
ist nun das Präparat stahlgrau glänzend und gibt sehr schöne scharfe
Bilder. Die Haltbarkeit ist unbegrenzt. Am besten werden 1 — 2 proz.
Kollargollösungen verwendet. B e r g e a t - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Greifswald. Juli und August 1914.
Köhnke Fritz: Ueber Divertikelsteine der Harnblase.
Krüger Alfred: Ein Fall von Keratoma palmare et plantare lieredi-
tarium.
P a e t z Alexander: Bekämpfung uteriner Blutungen durch Einwirkung
auf die Ovarien.
Gurr Ernst: Der Volvulus des Zoekum.
Langel iiddeke Albrecht: Ueber die Einwirkung einiger Medika¬
mente auf die Lebensdauer einiger pathogener Bakterien. .
Schweitzer Walter: Ueber Degeneratio retinae bei Siderosis
bulbi.
Dütschke Hans: Der Impfzwang. (Jurist. Diss.)
Pieper Ernst: Die Lebensfähigkeit der Typhusbazillen im Wasser
des Greifswalder Boddens mit besonderer Berücksichtigung der
Kanalisationsfrage.
Hotnerczyk Theodor: Sind die „Nebenträger“ der Diphtherie-
bazillen für die Verbreitung der Diphtherie bedeutungslos? Eine
kritische Studie.
Straszewski Max: Salizylsäure und Gelenkrheumatismus.
Jahn Theodor: Der Geburtenrückgang in Pommern (1876 — 1910).
Grub er t Ernst: Ein Dolichozephaius mit Hydrozephalie und Spina
bifida.
Universität Würzburg. Juli 1914.
Abcrt Theodor: Beiträge zur partiellen Rhinoplastik.
Emnet Karl: Klinische und serologische Untersuchungen über die
Ursache der Alopecia areata.
Flach Werner: Die Anwendung der Zange an der Kgl. Universitäts-
Frauenklinik zu Wtirzburg in den Jahren 19Q1 — 1911.
Meyer Max: Zur Frage der Tuberkelbazilleninvasion durch die
Zähne hindurch. jjin
V i e r h e i 1 i g Joseph: Die subkutane Bronchuszerreissung.
Vereins- und Kongressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 27. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer i. V.: Herr Zander.
Herr Adolf Schmidt: Laparoskopie und Thorakoskopie nach
J a k o b ä u s. . . • . . ~
Herr Sch. demonstriert die Thorakoskopie an einem Patienten
mit spontanem Pneumothorax und bespricht ihre Indikationen, sowie
die Technik. Ueber die Laparoskopie sind die Akten noch nicht ge¬
schlossen, wenn auch zurzeit wenig Aussicht besteht, ihren Anwen¬
dungsbereich über die Fälle von Aszites wesentlich zu erweitern.
Das Verfahren ist jedenfalls mehr als eine Spielerei und verdient wei¬
tere Beachtung.
Herr Grund: Ueber Oesophagusdllatationen.
Nach einer kurzen Zusammenstellung der verschiedenen Formen
von Oesophagusdilatationen und der für sie in Betracht kommenden
Ursachen stellt der Vortragende 2 Fälle vor, bei denen eine eigen¬
artige Verknüpfung von organischer Oesophaguserkrankung mit einer
diffusen Erweiterung vorlag.
1. 45 iähriger Werkmeister leidet seit 10 Jahren an heftigen
Schmerzattacken links oben seitlich im Leib mit starkem Erbrechen.
Seit 3 Jahren treten während des Essens zeitweilig plötzlich Druck¬
gefühl in der unteren Brustgegend, Schluckstörungen und Regurgi¬
tation von Speisen auf. Diese Schluckbeschwerden gehen unter dem
Gefühl des Lösens ebenso plötzlich vorüber. Im Jahre 1912 und im
März 1914 trat fast eine Woche lang vollständige Schluckunmöglich¬
keit ein, so dass Pat. rapid herunterkam.
Der Befund bei der Aufnahme ergab starken Rückstand
im Oesophagus, mit reichlichem Milchsäuregehalt, Boas-
O p p 1 e r - sehen Bazillen. Bei der Spülung fasste der Oeso¬
phagus 350 ccm. Mit einiger Mühe gelang es, den Schlauch in den
Magen einzuführen, was mit einem ziemlich plötzlichem Ruck geschah.
Der Magen fasste 950 ccm Flüssigkeit. Nach Eingabe eines Probe-
friihstückes wurden keine freie Salzsäure und Spuren von Milcn-
säure nachgewiesen.
Die Röntgenuntersuchung ergab eine starke diffuse Dilatation des
Oesophagus, die Kardia war etwas nach links und oben verzogen.
Ebenso schien der Anfangsteil der kleinen Kurvatur etwas nach links
verdrängt.
Im ösophagoskopischen Bilde wies die hintere Wand mehrere un-
gleichmässige, runde, nichtulzerierte Höcker auf, während die vor¬
dere Begrenzung glatt erschien.
Die Diagnose ist mit Wahrscheinlichkeit einmal auf ein hoc'i-
sitzendes Magenulcus zu stellen, worauf die bereits seit 10 Jahren
bestehenden Magensymptome zurückzuführen sind. Beim Ueber-
greifen auf die Kardia selbst ist Oesophagusspasmus hinzugetretei.
der seinerseits zu der diffusen Dilatation des Oesophagus geführt hat.
Die Möglichkeit einer malignen Entartung der Ulcusnarbe muss be¬
sonders in Anbetracht des ösophagoskopischen Bildes in Rechnung
gezogen werden. ' ;
2. 43 jähriger Arbeiter, in die Klinik aufgenommen am 19. re-
bruar 1914, hatte bereits vor 20 Jahren ab und zu das Gefühl als
wenn die Speisen nicht in den Magen gingen, namentlich gegen Ende
der Mahlzeit. Durch Nachtrinken von Flüssigkeit wurden die Be¬
schwerden besser. Seit 6 Jahren besteht öfter schmerzhafte.'
Drücken in der Gegend des Schwertfortsatzes. Seit Juli 1913 haben
die Beschwerden an Intensität zugenommen, das Drücken ist heftiger
und dauernder geworden, auch bestehen dabei Wtirgreiz und Aui-
stossen, aber niemals wirkliches Erbrechen oder auch nur Regurgi-
tieren von Speisen. Seit dieser Zeit Gewichtsabnahme.
Die Untersuchung ergab rechts hinten unten neben der Wirbel¬
säule eine schmale Dämpfungszone. Das Herz war etwas nach links
verbreitert. Die ohne besondere Mahlzeit vorgenommene Durch¬
leuchtung ergab einen breiten Schatten, der das ganze Mediastinum
cinnahm und zunächst den Eindruck eines Mediastinaltumors er
weckte. . .
Die Sondierung mit dem Magenschlauch und Röntgendurch¬
leuchtung nach Bariummahlzeit klärten den Fall dahin auf. dass der
Mediastinalschatten durch eine kolossale Dilatation des Oesophagus
vorgetäuscht war. Dieselbe fasste 1200 ccm Flüssigkeit. Eine Son¬
dierung der Kardia war unmöglich. Der Bariumschatten lief unten
spitz in die Kardia aus, wobei die Füllung des Magens zu verschie¬
denen Zeiten sehr mangelhaft oder mit mässig verzögerter Geschwin¬
digkeit vor sich ging. Die vordere Begrenzung oberhalb der Kardia
war etwas gezackt. .
Im oberen Teile des Oesophagus, bis fast unter den Kehikopi
reichend, war eine Luftblase sichtbar, von annähernd denselben Di¬
mensionen, wie sie sonst im Magen zu beobachten ist. Die den Oeso¬
phagus füllende Flüssigkeit war gegen diese Luftblase durch einen
horizontalen, bei Bewegungen tanzenden Flüssigkeitsspiegel abge-
grenzt. n
Die Oesophagoskopic ergab eine enorme Erweiterung des Oeso¬
phagus. Oberhalb der Kardia war an der linken Wand eine zwei¬
markstückgrosse Wucherung mit gelbem Belage zu sehen, wenn
man bei der Oesophagoskopie im Sitzen Flüssigkeit in den Oeso-
September 1914.
MUFNCHFNFR MEDIZIN ISCHE WOCHENSCHRIFT.
1883
igus goss, so bildete sich ein horizontaler hin und her glitzernder
issigkeitsspiegel.
Am 30. März kam Pat. unter Erscheinungen von Lungengangrän
n Exitus, nachdem vorher die Tumorbildung oberhalb der Kardia
;h röntgenologisch einwandsfrei nachgewiesen worden war.
Die Sektion bestätigte die gestellte Diagnose. Es fand sich eine
rrme Dilatation des Oesophagus mit einem eigrossen, stark ulze-
rten Karzinom, in der vorderen Wand oberhalb der Kardia,
hrend die Kardia selbst keine Veränderungen aufwies. Die Mus-
n des Oesophagus waren im ganzen unteren Teil stark hyper-
phisch. Nach oben gegen den Kehlkopf hin hörte die Dilatation
tzlich auf, so dass man den Eindruck eines klappenartigen Vcr-
lusscs erhielt.
Der Eall ist jedenfalls so zu deuten, dass eine primäre Dilatation
vielen Jahren bestand, während das Karzinom erst im Juli vori-
i Jahres in Erscheinung getreten ist. Die Ursache des Entstehens
Dilatation ist schwer zu geben. Die Erklärung durch Kardio-
smus erscheint unbefriedigend, weil einwandfreie Symptome von
diospasmus nicht beobachtet worden sind und niemals Regurgi-
on von Speisen stattgefunden hat. Wenn diese auch in letzter Zeit
ch den klappenförmigen Verschluss des Oesophagus nach oben ver-
dert worden sein kann, so würde fiir die erste Zeit der Dilatations-
stehung dieses Moment als Erklärung der fehlenden Regurgitation
lt in Betracht kommen. Der Vortragende glaubt deshalb hier
:n Erschlaffungszustand des Oesophagus jedenfalls sehr wesentlich
die Entstehung der Dilatation mit verantwortlich machen zu
ssen. Naheliegend ist auch der Verdacht, dass bei Dilatationen so
en Grades angeborene Verhältnisse mitspielen.
Diskussion: Herr Winternitz: Ich berichte in aller
: ze über einen Fall meiner Beobachtung, der sich als Pendant von
erem Typus den beiden besürochenen Fällen gegenüberstellt.
Es handelt sich um eine idiopathische sackförmige Oesophagus-
ederung kardiospastischer Natur bei einem 17 jährigen Mädchen.
Patientin leidet seit 2 Jahren an Magenbeschwerden, die sich an-
.s in Aufstossen nach dem Essen und starkem, schmerzhaftem
ckgefuhl in der Magengrube nach den Mahlzeiten äusserten. Die
isen gingen nur schwer herunter, so dass sie meist Wasser nach-
ken musste. Hemmnis und Schmerzen wurden anfänglich in der
te des Sternums, später in der Höhe des Schwertfortsatzes be¬
eiltet.
Diese Klagen, namentlich die Verlegung des Hindernisses in die
te des Sternums, Hessen zuerst an ein Oesophaeusdivertikel den-
. Vor einem halben Jahre stellte sich Erbrechen ein, und zwar
I öhnlich abends vor dem Zubettgehen, doch auch frühmorgens
item. Im Erbrochenen fanden sich Speisereste vorn vorhergehen-
i aber auch noch von früheren Tagen her. In den letzten 3 Wo-
i machte sich nun eine Zunahme der Beschwerden, insbesondere
I I des Erbrechens, geltend, und es erfolgte starke Gewichts¬
ihme.
Ein Probefrühstück ergab vergorenen Inhalt mit Soeiseresten
i Tage vorher, freie Salzsäure 15, Gesamtazidität 45. Der Magen
de nach erfolgter Expression — es war übrigens beim Einführen
Magenschlauches in den Oesophagus schon Erbrechen erfolgt —
'tandig rein gespült. Die Einführung des Magenschlauches ge-
ubrigens stets ohne Schwierigkeit; ungefähr 43 cm von der Zahn-
3 entfernt machte sich allerdings ein Hindernis geltend, das aber
it zu überwinden war. Eine Stunde nach der Magenspülung
de der Magenschlauch neuerdings eingeführt, und nun wurde,
n ehe der Schlauch die Kardia passiert hatte, vergorener Inhalt
usgepresst, der aber im Gegensatz zum Probefrühstück keine
Salzsäure enthielt. Dieses Verhalten bestärkte den Verdacht
L'in Oesophagusdivertikel. Andererseits ist zu betonen, dass der
ne Magenschlauch ebenso wie starke Sonden sich nie in einem
. verfingen. Dies und andere klinische Zeichen machten doch eine
se Erweiterung der Speiseröhre wahrscheinlich, was durch die
genaufnahmen (Demonstration) sichergestellt wurde. Insbeson-
lasst die Röntgenaufnahme nach Wismutmahlzeit mit gleich-
ger Einführung einer mit Quecksilber gefüllten Sonde keinen
'je* über eine Oesophagusdilatation mehr zu.
In therapeutischer Hinsicht ist naturgemäss der vorliegende Fall
anders zu beurteilen als die vorher geschilderten Krankheits-
flier kommt die Dilatation der Kardia. am besten von oben
mit einer Ballonsonde — wir verwendeten die G e i s s 1 e r -
tsteinsche Sonde — in Betracht. Die Sondierung von unten
nach Vornahme der Gastrostomie bietet keine Vorteile und wird
r nur die Ausnahme bilden. Trotz Besserung der Passage zeigen
BiIdesPatere RöntKenaufnahmen in der Regel keine Veränderung
frese: In dem zweiten Fall halte ich das Vorliegen einer
atmschen Dilatation nicht für wahrscheinlich und glaube, dass
’ vorneherein ein organisches Hindernis an der Kardia bestanden
L auernder nervöser Kardiospasmus findet sich bei ösophago-
ischer Untersuchung sehr selten.
Herr S c h m i e d e n vertritt den Standpunkt, dass doch vermut-
,uer hochgradigen Dilatation und Muskelhypertrophie der Speise-
•• im vorgestellten Fall eine funktionelle Stenose der Kardia zu-
e liegen müsse, vermutlich ein Kardiospasmus und glaubt, dass
icnerweise das an so abnormer Stelle entstandene Oesophagus-
nom auf dem Boden eines alten Geschwürs entstanden sein
könne, welches seinerseits den Kardiospasmus hervorgerufen habe.
Damit würde eine Erklärung für das sonst ätiologisch dunkle Leiden
gegeben sein. Der Begriff der idiopathischen Dilatation der Speise¬
röhre sollte besser fallen gelassen werden.
Herr Beneke: Die in der heutigen Diskussion ebenso wie in
der Literatur hervortretende Unsicherheit bezüglich der Genese der
spindelförmigen Oesophagusdilatationen veranlasst mich, bei dieser
Gelegenheit auf eine verjährte Abhandlung von mir über diesen
Gegenstand zurückkommen, welche in der Literatur fast unbekannt
geblieben ist. Sie beruhte auf der Beobachtung eines Mannes, der
als kräftiger junger Soldat im Anschluss an das Verschlucken eines
heissen Kartoffelstückes an nervösem Kardiospasmus erkrankte und
nach vieljährigem Siechtum an spindelförmiger Oesophagusdilatation
durch Verhungern zugrunde ging. Ich konnte damals nachweisen,
dass ein charakteristischer Klappenmecha¬
nismus an dem untersten Abschnitt des
Oesophagus zustande gekommen war; der
Oesophagus bildete einen Sack, an welchem
die letzten 2 cm vor der Kardia schräg an¬
setzten; füllte sich der Sack mit Speise¬
resten, so komprimierte er in der Richtung
des Pfeiles das Endstück vor der Kardia.
Ich habe daran die Hypothese geknüpft,
dass dieser Klappenverschluss in manchen
Fällen, bei denen sich ursprünglich infolge
eines Kardiospasmus eine spindelförmige
Dilatation entwickelt hatte, im Spätstadium
die Weiterbildung der letzteren auf Grund
eines derartigen Klappenmechanismus auch
ohne fortbestehenden Kardiospasmus er¬
folgen könne. Die Sektionserfahrungen,
welche ich seitdem gemacht habe, haben mich
im ganzen in dieser Annahme bestärkt —
so auch der von Herrn Grund vorgetragene Fall — , wenn sie auch
nicht immer ganz überzeugend waren. Es kommt auf eine sehr ge¬
naue Sektionsmethode an. Regelmässig findet sich das letzte Oeso-
phagusstück (2 cm) frei von Hypertrophie und Dilatation; es ist
schlaff, weich und sehr leicht seitlich zu verschieben, so dass Klappen¬
verschluss oberhalb des Zwerchfells zustande kommen kann; für
einen solchen Verschluss kommt es ja nur auf das schräge Ein¬
setzen des Abgangstückes vom erweiterten Oesophagus an.
Bezüglich der Entwicklung der Einzelheiten der Oesophagus¬
dilatation möchte ich an der Auffassung, dass mechanische Abfluss¬
hemmung und chemische Wandreizung durch die zersetzten Speisen
die Hauptrolle spielen, festhalten; eine Entwicklung der Hypertrophie
aus einer „primären Erschlaffung“ der Muskulatur vermag ich mir
ebensowenig wie Herr Schmieden zu erklären; auch die Vagus¬
degeneration habe ich in 2 untersuchten Fällen nicht finden können.
Die Wandveränderung besteht in einer allgemeinen Hypertrophie aller
Bestandteile: mächtige Entwicklung des Epithels in dicken Schichten.
Wucherung und derbe Verdichtung des Bindegewebes begleiten in
der Regel die Hypertrophie der Muskulatur. Dadurch entsteht ein
ganz typisches Bild; es wäre nicht ganz undenkbar, deren Entwick¬
lung im Sinne des Herrn Schmidt auf einfache Entzündungsreize
zurückzuführen, doch glaube ich. dass die Kombination mit der
mechanischen Hemmungstheorie die Tatsachen am besten erklären
möchte. Die chemische Reizung des Epithels kann zu Wucherungen
blastomatöser Natur führen; deshalb habe auch ich von Anfang an
den Fall des Herrn Grund in dem Sinne gedeutet, dass die chro¬
nische, typische Dilatation der Entwicklung des Karzinoms lange
vorausgegangen ist.
Mit der Entwicklung der allgemeinen Dilatation des untersten
Endes des Oesophagus im Sinne eines „Vormagens“ hat die „spindel¬
förmige Dilatation“ gar keine Aehnlichkeit. „Vormagen“ habe ich
häufig beobachtet; sie finden sich namentlich bei viel brechenden
Kindern mit schlaffer weiter Kardia und enden gewöhnlich ziemlich
scharf in der Höhe der das Lumen des Oesophagus beengenden Bi¬
furkation.
Wahrscheinlich füllt der untere Oesophagusabschnitt sich häufig
im Schlafe bei Erschlaffung der Kardia bis zu dieser mechanisch
verengten Stelle mit überfliessendem Mageninhalt, ähnlich wie es in
der Leiche so leicht zu beobachten ist, bis zuletzt demgemäss eine
allgemeine Erweiterung erfolgt.
Herr Winternitz: Ich stehe auch auf dem Standpunkt, spe¬
ziell was den besprochenen Fall betrifft, dass ein eigentlicher Kardio¬
spasmus dabei keine wesentliche Rolle spielt. Ich habe ja auch
betont, dass die Ueberwindung des Hindernisses an der Kardia stets
ohne Schwierigkeiten gelang. Wenn ich von kardiospastischer Dila¬
tation sprach, so wollte ich nur der gängigen Nomenklatur folgen
und ausdrücken, dass es sich um eine sog. idiopathische Dilatation
handelt, bei der eine narbige Stenose oder dergl. nicht vorlag. An¬
dererseits glaube ich, dass bei der Entstehung mechanische
Hindernisse den Ausschlag geben, und ich möchte hier — speziell
auf Grund meiner Bilder — den eigentümlich gewundenen Verlauf
des Endteiles des Oesophagus — bzw. der Kardia — dafür verant¬
wortlich machen, der zweifellos ein solches Hindernis abgibt. Das
sind Verhältnisse, die erst durch die Röntgenaufnahmen aufgedeckt
wurden. Dann wollte ich noch darauf hinweisen, dass meiner Mei¬
nung nach in vielen Fällen der Dilatation eine Rumination oft jahrc-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1884
lang vorhergeht und dass Rumination «nd Regurgitation als Sym¬
ptome einer Oesophagusdilatation wohl zu beachten sind.
An der Diskussion beteiligte sich noch Herr Ad. Schmidt.
(Schluss folgt.)
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Royal Academy of Medicine in Ireland. Section of Surgery.
Sitzung vom 20. März 1914.
Einige Erfahrungen mit der C r i 1 e sehen Methode des schockfreien
Operierens.
W. d. C. Whceler hat seit einigen Monaten seine Patienten nach
den C r i 1 e sehen Vorschriften zur Operation vorbereitet. Obwohl
manche Details noch der Verbesserung fähig sind, ist er mit dem
Verfahren, das auf eine Ausschaltung jeglichen Schocks beim Ope¬
rieren hinzielt, sehr zufrieden. Man sucht möglichst jede psychische
Erregung und Angst vor dem chirurgischen Eingriff auszuschalten
und gibt als Vorbereitung kurz davor Omnopon und Skopolamin.
Jegliches zu durchtrennende Stück Gewebe wird vorher mit einer
Vs. proz. Lösung von Novokain und Adrenalin injiziert, und vor dem
Schluss der Operation wird eine 0,75 proz. Lösung von Harnstoff
und Chinin ausgiebig in die Gewebe in der Umgebung des
Operationsgebietes injiziert. Dieses letztere Verfahren hat
den Zweck, die Wirkung des Novokains weiter auszudehnen
und während der nächstfolgenden Tage alle Nervenreizung auf¬
zuheben. Gerade dieses Moment bildet neben der Kombination
von allgemeiner und lokaler Anästhesie eine wesentliche Errungen¬
schaft bei dieser Neuerung.
Stoney wendet ein, dass die grösste Gefahr einer Schock¬
wirkung gerade bei dringlichen Operationen an den Därmen besteht,
bei Verschluss durch Kompression, Knickung usw. Man könne doch
nicht die ganze Radix mesenterii infiltrieren, schon wegen der Länge
der dafür nötigen Zeit.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
In der Behandlung der Bronchektasien und der
chronischen Bronchitis hat Gustav Singer- Wien her¬
vorragende Erfolge mit einer milde durchgeführten Trocken kur
erreichen können. Singer gibt den betreffenden Patienten reich¬
lich Gemüse und Obst und sorgt auf die Weise dafür, dass die Flüssig¬
keitsentziehung keine zu scharfe ist. Bei einer methodisch durch¬
geführten Durstkur in der obenerwähnten milden Art stellt sich sehr
bald eine auffallende Verminderung der Sputummemre ein. Der
Hustenreiz lässt nach, und das Verschwinden der vorher so reich¬
lichen Rasselgeräusche zeigt an, dass der Prozess in der Lunge wirk¬
lich zum Ausheilen kommt. Nach seinen günstigen Erfahrungen in
24 Fällen kann Singer die Behandlung aufs wärmste für alle Bron¬
chialerkrankungen, die mit abundanter Expektoration einhergehen,
empfehlen. (Ther. Mh. 1914 H. 5.) Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 29. August 1914.
Der Hannoversche Provinzialverein zur Bekämpfung der
Tuberkulose hat ein Merkblatt zur Förderung des Stil¬
lens herausgegeben. Das Blatt weist in drastischer und allgemein
verständlicher Form auf die grossen Schäden hin, welche die Flaschen¬
ernährung der Gesundheit unseres Volkes bringt und stellt die inni¬
gen Beziehungen falscher Ernährung zur englischen Krankheit und
zur Tuberkulose dar. Das Merkblatt ist bestimmt zur Verteilung
durch die Standesämter bei Anmeldung der Geburten, durch die Heb¬
ammen, bei den Impfungen, öffentlichen Vorträgen und durch die Für¬
sorgestellen. Es soll auch zugleich Propaganda für die im Kreise be¬
reits bestehenden Einrichtungen machen, welche sich der Säuglings¬
pflege widmen. Zu diesem Zweck ist am Kopf des Merkblattes ein
freier Raum gelassen, der den Stempelaufdruck der verteilenden
Stelle aufnehmen soll. Der Preis des Merkblattes beträgt: 1 Stück
5 Pf., 50 Stück 2.— M., 100 Stück 3.— M., 500 Stück 9 M„ 1000 Stück
15.— M.
— Durch Erlass des preuss. Medizinalministers werden die Medi¬
zinaluntersuchungsanstalten aufgefordert, sich unverzüglich mit einem
ausreichenden Vorräte von Nährböden, Chemikalien und für die
Untersuchungen erforderlichen Gerätschaften (Glasschalen usw.) zu
versehen, damit beim Ausbruche von Epidemien keine Betriebs¬
stockung eintritt.
— Die für Ende August und Anfang September in Bern an¬
gesetzte Versammlung der Freien Vereinigung für Mikro¬
biologie findet nicht statt.
— Cholera. Türkei. Die Gesamtzahl der in der Türkei vom
März bis 24. Juli festgestcllten Erkrankungen (und Todesfälle) betrug
9 (5). — Straits Settlements. In Singapore vom 31. Mai bis 27. Juni
60 Erkrankungen und 52 Todesfälle.
Nr. 35.
— Pest. Vom 13. bis 19. Juli wurden in Bassra 4 Erkrankungen
(und 2 Todesfälle), in Smyrna 1 (1) gemeldet, insgesamt in der Türkei
seit März 33 (21). Zufolge Mitteilung vom 27. Juli sind in Beirut in
den letzten Wochen 2 neue Pestfälle festgestellt worden. — Straits
Settlements. Vom 31. Mai bis 27. Juni auf der Ouarantäneinsel bei
Singapore 1 tödlich verlaufener Pestfall. — Niederländisch Indien.
Vom 15. bis 28. Juli wurden 556 Erkrankungen (und 489 Todesfälle)
gemeldet. Für die Zeit vom 1. bis 14. Juli sind nachträglich aus dem
Bezirk Malang noch 26 Todesfälle und aus Magetan 1 Erkrankung
mitgeteilt worden. — Brasilien. In Pernambuco vom 1. bis 15. Mai
2 Todesfälle, in Bahia vom 17. bis 23. Mai 1. — Ecuador. In Guaya¬
quil im Mai 3 Erkrankungen und 1 Todesfall.
— In der 36. Jahreswoche, vom 2. bis 8. August 1914. hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Thorn mit 32,3, die geringste Bielefeld mit 3,1 Todesfällen pro Jahr
und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb
an Scharlach in Brandenburg, an Diphtherie und Krupp in Bottrop,
an Keuchhusten in Gleiwitz. Vöff. Kais. Ges.A..
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Die venia legendi für Gynäkologie und Geburtshilfe
wurde dem Assistenten an der Universitäts-Frauenklinik Dr. Kurt
Warnekros erteilt. Dr. Warnekros ist Vorstand der Rönt¬
gen- und Radiumabteilung der Frauenklinik, (hk.)
Breslau. Der am 1. August zum Rector magnificus gewählte
Direktor der Universitäts-Frauenklinik, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Otto
K ü s t n e r, ist vom Kultusminister bestätigt worden und tritt am
15. Oktober sein Amt an.
Frankfurt a. M. Die Universität Frankfurt a. M. wird zum
Beginn des bevorstehenden Wintersemesters ihre Vorlesungen, wenn
auch in bescheidenerem Umfange als geplant war, aufnehmen. Nach¬
dem bereits am 10. Juni durch Allerhöchsten Erlass die Universität
errichtet wurde, sind von Seiner Majestät vor seiner Abreise zum
Kriegsschauplatz die Universitätsstatuten noch unterschriftlich voll¬
zogen worden, und zwar mit dem historisch-denkwürdigen Datum vom
1. August. Der Kultusminister hat durch Erlass vom 18. August den
derzeitigen Rektor der Akademie, Prof. Dr. Wachsmut h, zum
ersten Rektor der Universität ernannt, (hk.)
Leipzig. Der Privatdozent für Hygiene und Bakteriologie
und Assistent am hygienischen Institut der Universität Leipzig Prof.
Dr. Hugo Selter ist zum a. o. Professor ernannt worden, (hk.)
München. Als Privatdozenten wurden bestätigt: Dr. Erich
Benjamin für Kinderheilkunde, Dr. Karl L e x e r für Chirurgie und
Dr. Hermann Straub für innere Medizin, (hk.)
Köln. Dr. E b e 1 e r, Sekundärarzt der gynäkologischen Klinik
der Akademie (Prof. H. Füth) erhielt die venia legendi für Gynäko¬
logie.
Prag. Der mit dem Titel eines a. o. Professors bekleidete Pri¬
vatdozent Dr. Rudolf Winternitz wurde zum ausserordentlichen
Professor für Dermatologie und Syphilis an der deutschen Universi¬
tät ernannt, (hk.)
Zürich. Dr. Otto Steiger, erster Assistenzarzt an der medi¬
zinischen Klinik erhielt die venia legendi für innere Medizin, (hk.)
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 32. Jahreswoche vom 9. bis 15. August 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 5 (141), Altersschw. (über 60 Jahre) 2(4), Kindbettfieber — (-),
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft 1 ( — ), Scharlach 2 (— ),
Masern u. Röteln — ( — ), Diphtherie u. Krupp — (— ), Keuchhusten 2 (1 ),
Typhus (ausschl. Paratyphus) — ( — ), akut. Gelenkrheumatismus 1 (— ).
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) — (— ), Starrkrampf — (— )>
Blutvergiftung 2 ( — ), Tuberkul. der Lungen 14 (24), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 6 (2), akute allgem. Miliartuberkulose — (— ), Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 12 (8), Influenza — (— ), veneri¬
sche Krankh. 2 (1), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfieber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel-
fieber usw. — ( — ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) 2 (3), Alkoholis¬
mus 1 ( — ), Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 3 (— ), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane 2 (1), organ. Herzleiden 13 (9), Herzschlag, Herz¬
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 3 (3), Arterienverkalkung
3 (3), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 1 (2), Gehirnschlag 5 (4).
Geisteskrankh. 3 (1), Krämpfe d. Kinder — (1), sonst. Krankh. d. Nerven¬
systems 4 (5), Atrophie der Kinder 4 (4), Brechdurchfall 4 (2), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 14 (12), Blinddarm¬
entzünd. — (3), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 2 (2), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 6 (2), Nierenentzünd. —(5),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 3 (3), Krebs 27 (14), sonst.
Neubildungen 4 (4), Krankh. der äuss. Bedeckungen — <3), Krankh. der
Bewegungsorgane 1 (— ), Selbstmord 11 (7), Mord, Totschlag, auch
Hinricht. — ( — ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 1 (11)»
andere benannte Todesursachen 1 ( — ), Todesursache nicht (genau)
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (1)-
Gesamtzahl der Sterbefälle: 167 (159).
‘) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
daktion : Dr. B. Spatz,
iinchen, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 35. 1. September 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 4.
chirurgische Beobachtungen vom Kriegsschauplatz.
Von Generalarzt Prof. Dr. P. K r a s k e.
Den 18. August 1914.
Sehr geehrter Herr Kollege!
Kurz vor meinem Ausrücken aus Freiburg erhielt ich
en Brief, in dem Sie mich um Beiträge für die „Feldärzt-
ie Beilage" der M.m.W. ersuchten. Rascher, als erwartet,
für mich die Gelegenheit gekommen, kriegschirurgische Be¬
ichtungen und Erfahrungen zu machen, die ich Ihnen gerne
Verfügung stelle; dass ich in den folgenden Mitteilungen
meide, Angaben über Oertlichkeiten des Kriegsschau-
tzes und über die fechtenden Truppenteile zu machen, ver-
it sich in diesem Stadium des Krieges wohl von selbst.
In den (jefechten vom 9. und 10. August sah ich auf einem
Hauptverbandplätze eine grössere Anzahl Verwundeter.
; Schicksal der meisten von ihnen, sowie das vieler
erer, denen anderwärts der erste Verband angelegt
rden war, konnte ich in den nächsten Tagen in den Feld-
iretten und den Zivilspitälern, verfolgen. Die Zahl der Ver¬
ödeten, die ich sah, beläuft sich auf etwa 600. Weitaus
meisten Verwundungen, die ich beobachtet habe, waren
ch Infanteriegeschosse gesetzt, französische und deutsche,
sich nach E'orm, Grösse und Kaliber und auch in bezug
ihre Wirkung nicht wesentlich von einander unterscheiden,
h den Angaben der Verwundeten waren die Verletzungen
st aus mittleren Entfernungen (400—600 m) erfolgt. Eine
gesprochene Sprengwirkung war im allgemeinen bei diesen
ussverletzungen deshalb auch nicht vorhanden. Die Ver-
ldungen an den langen Extremitätenknochen waren, so-
t sich das feststellen liess (zu Röntgenuntersuchungen
te selbstverständlich in den ersten Tagen Zeit und Ge-
inheit vollständig) im ganzen verhältnismässig einfach,
h die penetrierenden Schüsse durch die grossen Körper¬
len zeigten in der grossen Mehrzahl wenig ausgedehnte
reissungen. Von den etwa 30 durch die Brust Ge-
»ssenen, die ich gesehen habe, hatten eine, ganze Anzahl
rhaupt kein Blut gehustet und auch der Bluterguss im
rax hielt sich in mässigen Grenzen, obwohl der Pneumo-
ax und das Zellgewebsemphysem, das ich in einigen
en bis zum Skrotum und den Oberschenkeln sich aus-
ien sah, die Lungenverletzung sicher bewies. Bei den
orierenden Unterleibs- und Darmschüssen handelte es sich
nehreren Fällen um zwar mehrfache aber glatte Durch-
erungen des Darms, die bei der später ausgeführten
ration einfach durch die Naht geschlossen werden konnten,
meisten zeigte sich eine grössere Sprengwirkung auch der
ischüsse wohl bei den Schädelverletzungen. Viele von
in den Kopf Geschossenen sind wohl auf der Stelle tot
esen. Ich habe auf dem ersten Verbandplätze am Abend
9. August nur zwei solcher penetrierender Kopfschüsse
'ausgedehnter Zertrümmerung der Schädeldecken und Pro-
des zertrümmerten Gehirns gesehen, die beide moribund
ebracht wurden. Im Lazarett sah ich zwei Tage später
n Mann mit relativ gutem Befinden und fehlenden Hirn-
Ptomen, dem ein Projektil am Schädeldach rechts neben
Mittellinie eingedrungen war, den rechten Stirnlappen
hsetzt, den N. opticus durchtrennt hatte, und vor dem
wieder ausgetreten war. Hier war eine erhebliche
Sprengwirkung nicht vorhanden; wahrscheinlich war auch
das Projektil aus grösserer Entfernung gekommen. Bei
einigen 20 Leuten sah ich Schädelschüsse, die den Kopf mehr
tangential getroffen, die Schädeldecke ' rinnenförmig zer¬
trümmert und die üehirnoberfläche stark gequetscht hatten.
Merkwürdigerweise betrafen bis auf 2 dieser Verletzungen
alle die linke Kopfseite, wie denn auch in mehreren Fällen
neben der Lähmung des rechten Fazialis, des rechten Arms
und Beins, ausgesprochene Aphasie bestand. Das erklärt sich
wohl ohne Zweifel daraus, dass die Leute sämtlich getroffen
worden waren, während sie im Liegen mit nach rechts ge¬
neigtem Kopfe im Anschläge lagen, zielten und feuerten.
Gegenüber den auf grössere Entfernung gesetzten Ver¬
letzungen waren die aus der Nähe zustande gekommenen in
der Minderzahl. Immerhin sah ich auch genug Verwundungen
dieser Kategorie. In der Nacht vom 9/10. hatte der Feind,
der am Abend vorher schon bald nach Beginn des Gefechtes
zurückgegangen war, wiederholt Vorstösse gemacht, wobei
es dann auch zum Nahkampf gekommen war. Die Verwun¬
dungen, die hierbei zustande kamen, erwiesen sich im allge¬
meinen als sehr viel ernster. Selbst bei einfachen Weichteil¬
schüssen sah ich ausgedehnte Zerreissungen und weite Aus¬
schussöffnungen. Bei einem aus der Entfernung von wenigen
Metei n erfolgten Schüsse durch die Bauchdecken eines ziem¬
lich korpulenten Mannes, bei dem Ein- und Ausschuss etwa
25 cm auseinander lagen, waren, ohne dass das Geschoss
selbst in die Peritonealhöhle eindrang, alle Gewebe der Bauch-
decken unter der Haut in der schwersten Weise zertrümmert
und das Peritoneum parietale weit aufgerissen, ohne dass der
Darm lädiert war. Bei einem in diagonaler Richtung aus
näherer Entfernung durch den Unterleib Geschossenen war
die Ausschussöffnung in der linken Lumbalgegend etwa hand-
tcllergross, so dass ein ganzes Konvolut Dünndarm pro-
labierte. Zwei Oberarmschüsse zeigten eine derartige Zer¬
trümmerung des Knochens und der Weichteile, dass die pri¬
märe Amputation, das eine Mal sofort auf dem Verbandplätze,
das andere Mal am nächsten Tage im Lazarett gemacht
werden musste.
Neben den durch Kleingewehrprojektile gesetzten Ver¬
wundungen traten die durch andere Waffen hervorgerufenen
an Häufigkeit sehr zurück. Auf dem Teile des Gefechtsfeldes,
den ich übersehen konnte, hatte das feindliche Geschützfeuer
offenbar nur geringe Wirkung. Ich hatte zudem den Eindruck,
als ob die französischen Schrapnells in zu grosser Höhe kre¬
pierten. Die wenigen durch Schrapnellkugeln gesetzten Ver¬
wundungen, die ich gesehen habe, waren auch alle verhältnis¬
mässig leicht; die Durchschlagskraft der Geschosse war ge¬
ring, so dass sie im Körper stecken blieben und mehrfach,
dicht unter der Haut liegend, schon auf dem Verbandplätze
entfernt wurden. Auch Granatsplitterverletzungen habe ich
nur wenige gesehen, ebenso nur einzelne Fälle von Ver¬
wundungen durch die blanke Waffe.
Was die Verteilung der von mir gesehenen Verletzungen
auf die einzelnen Körpergegenden betrifft, so standen die Ex-
b emitätenschüsse an erster Stelle. Sie betrugen nach meiner
Schätzung 4 — 5 Sechstel aller Verwundungen. Hier handelt
es sich natürlich um die verschiedenartigsten Verletzungen:
einfache Weichteilschüsse, Schussfrakturen, Gelenkver¬
letzungen (ich sah 3 Kniegelenksschüsse ohne nachweisbare
1886
feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
Nr. 3'
Knochenverletzung, jedenfalls ohne Kontinuitätstrennung der
Knochen); relativ häufig kamen Schussverletzungen der linken
Hand vor (wohl die Folge der exponierten Lage dieser Hand
beim Feuern); zweimal sah ich Verletzung des N. radialis am
Oberarm ohne Knochenverletzung, einmal mit gleichzeitiger
Fraktur des Humerus. Von Verletzungen grösserer Gefäss-
stämme sah ich nur einmal eine- Läsion der V. femoralis
dicht unter dem Poupart sehen Bande: einen mehrere Zenti¬
meter langen Längsriss, der wohl nicht unmittelbar durch das
Geschoss, sondern indirekt durch Sprengwirkung zustande
gekommen war (die Blutung stand durch den auf dem Ver¬
bandplätze angelegten Kompressivverband, am nächsten Tage
wurde der Riss genäht; nach 2 Tagen sah ich den Verletzten
wieder bei gutem Befinden, ohne jede Zirkulationsstörung am
Bein). Von den Verletzungen des Schädels sprach ich schon
vorher. Auch Verwundungen des Gesichtsschädels sah ich
eine Anzahl, darunter eine überaus schwere, die in einer Zer¬
trümmerung beider aufsteigender Unterkieferäste bestand.
Bei einem Verletzten sah ich einen Schuss quer durch die
Zunge ohne jede Knochenverletzung. Auch die penetrierenden
Brustschüsse erwähnte ich bereits, und ich möchte noch ein¬
mal hervorheben, dass in den meisten Fällen die Erschei¬
nungen auffallend wenig schwer waren. Wenn nicht nach
der Lage der Schussöffnungen, nach dem Hämatopneumo-
tborax und nach dem oft sehr ausgedehnten Zellgewebs-
emphysem eine Lungenverletzung absolut sicher gewesen
wäre, hätte man wohl einen Konturschuss annehmen können.
Ich konnte das Schicksal der meisten Lungenschussver¬
letzten in den einzelnen Lazaretten und Spitälern mehrere
Tage verfolgen und fand sie bis auf einen in so gutem Zu¬
stande, dass ich die Prognose auch für den weiteren Verlauf
durchaus günstig zu stellen mich für berechtigt hielt. Nach
diesen meinen Erfahrungen möchte ich glauben, dass man
die nicht durch besondere andere Verletzungen komplizierten
Lungenschüsse zu den minder schweren Verwundungen
rechnen darf. Dreimal sah ich allerdings solche Kompli¬
kationen bei Brustschüssen, und zwar eine Komplikation der
schwersten Art, nämlich gleichzeitige Verletzung des Rücken¬
marks. Das Geschoss, das den Mann in liegender Stellung
traf, war unterhalb der Klavikula eingedrungen, hatte die
Lunge durchsetzt und Wirbelsäule und Rückenmark im
unteren Hals- und oberen Brustteil durchbohrt. Von den
vielen traurigen Eindrücken, die ich gehabt habe, war der Ein¬
druck, den diese Rückenmarksverletzten auf mich gemacht
haben, wohl mit der traurigste. — Von Verletzungen des
Unterleibes und seiner Organe sah ich einige 20, die meisten
nur vorübergehend; einige betrafen lediglich die Bauchdecken,
mehrere die Lebergegend und wohl zweifellos auch die Leber
selbst ohne stärkere Blutung und ohne Verletzung des Dar¬
mes; ferner sah ich einen Verwundeten, der einen Schuss
durch die Blase mit Verletzung des Peritoneums, aber ohne
Darmverletzung erlitten hatte, einen Bajonettstich, der die
vordere Magenwand durchtrennte und eine Anzahl von pene¬
trierenden Bauchschüssen, bei denen zweifellos der Darm ver¬
letzt war. Von diesen letzteren habe ich nur einen Teil wieder¬
gesehen. Es wurden bei einer Anzahl von ihnen Laparotomien
gemacht. Leider konnte die Operation, was ja durch die Ver¬
hältnisse bedingt war und wohl fast immer bedingt sein wird, erst
verhältnismässig spät, 20—24 Stunden nach der Verletzung,
bei bereits bestehender Peritonitis ausgeführt werden, so dass
die Prognose von vornherein sehr ungünstig war. Immerhin
sah ich drei Operierte (zwei mit multiplen Dünndarmper¬
forationen und einen mit einer Perforation der Flexura sig-
moidea), die sich am dritten Tage nach der Operation in so
gutem Zustande befanden, dass man die beste Hoffnung auf
Genesung haben konnte.
Ueberhaupt kann ich, wenn ich die Erfahrungen und Be¬
obachtungen überblicke, die ich in den wenigen ereignisreichen
Tagen bis zu meinem Weggange vom ersten Schauplatze
machen konnte, nur sagen, dass meine wahrlich nicht sehr
hoch gespannten Erwartungen in bezug auf die Versorgung
und Behandlung der Verwundeten durchaus übertroffen
worden sind. Freilich lagen die Verhältnisse insofern günstig,
als ein sehr grosser Teil der Verletzten in ein glänzend ein¬
gerichtetes modernes Krankenhaus geschafft werden konnten
zu einem vortrefflichen Chirurgen, der mit grösstem Eife
und äusserster Hingabe sich und sein Können zur Verfiigun
stellte und die nötigen Operationen ausführte. Auf de
anderen Seite aber waren doch auch bei der Bergung de
Verwundeten die grössten Schwierigkeiten zu überwindet
Die hereinbrechende Dunkelheit und das auch während de
Nacht fortgeführte Gefecht machte das Aufheben der Ver
wundeten ungemein schwierig. Und hier muss ich saget
haben unser ärztliches Personal, die Sanitätsmannschafte
und unsere gesamte Feldsanitätseinrichtung die erste Prob
vortrefflich bestanden. Ich wüsste nicht, wie die grösste
Schwierigkeiten besser hätten überwunden werden könnet
als es hier geschehen ist. Vor allem habe ich mit Freude fest
stellen können, dass auf dem Verbandplätze die grösste Ruit
und Ueberlegung herrschte, und dass nichts von jenem Uebetj
eifer zu bemerken war, der früher unseren Verwundeten s
oft verhängnisvoll geworden ist. Der Grundsatz der eit
fachen Okklusion der Wunde ist, so viel ich gesehen hub
überall und immer in verständnisvollster Weise durchgefüh
worden. Von den segensreichen Folgen habe ich mich hit
länglich überzeugen können. Dass die allergrösste Mehrza!
der Verletzungen, auch der schweren Schussfrakturen, ohn
progrediente Entzündung, ohne Fieber, ohne Schmerzen un
ohne Störung des Allgemeinbefindens verlaufen könnten, liätt»
ich nicht für möglich gehalten. Auch wenn sich, was ja woli
nicht ausbleiben wird, bei einem Teil der Verwundeten noi
nachträglich Störungen im Wundverlaufe einstellen, so wir
das an dem allgemeinen guten Eindrücke nicht viel änder
den ich in den hinter mir liegenden Tagen gewonnen habe.
Aus der kgl. bakteriologischen Untersuchungsstation Landa
Ueber die Verbreitung der Y-Dysenteriebazillen.
Von Stabsarzt Dr. Otto Mayer, Leiter der Station.
Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahren eigen
lieh nur unter der Militärbevölkerung grössere Häufungen vc
Ruhrfällen beobachtet wurden, soll im folgenden über eii
kleine Dysenterieepidemie berichtet werden, welche als Bi
spiel dafür dienen kann:
1. dass die Ruhr auch in unserer Gegend offenbar häufig'
ist als zur Kenntnis der Behörden kommt;
2. warum sie sich sehr oft dem Bekanntwerden, namen
lieh der offiziellen Anzeige entzieht.
Ein Angehöriger der Sanitätsschule des kgl. Garniso:
lazaretts Landau wurde wegen seines schlechten Aussehei
vom Verfasser nach seinem Befinden gefragt und auf die A
gäbe, dass er seit mehreren Wochen an Durchfällen leide, ohi
sich krank gemeldet zu haben, veranlasst, der Station Stuf
proben zur Untersuchung einzuschicken.
In der ersten eingesandten Stuhlprobe wurden Dyscnteri
bazillen vom Typus Y (Pseudodysenterie Kruse H) am 6. II.
nachgewiesen.
Der Kranke war bis zur ersten Feststellung des Infektion
Verdachts auf der äusseren Station des kgl. Garnisonlazaret
Landau beschäftigt gewesen.
In der Nacht vom 10. auf 11. II. 14 traten bei 13 Kranki
der äusseren Station des Lazaretts Durchfälle auf, welcl
fast alle nach 24 Stunden ohne ärztliche Behandlung sistierte
Ein Patient hatte ruhrartige Krankheitserscheinungen ui
schleimig blutige Darmabgänge.
Da darauf hin angenommen werden musste, dass ei»
Ausstreuung von Dysenteriebazillen im Bereiche des B
riihrungskreises des Ersterkrankten schon stattgefunden nah
wurden ausgedehnte Isolierungen und Durchuntersuchungen
dessen Umgebung vorgenommen.
Es wurden 428 Stuhlproben bei 215 Personen ausgefüh
Die Untersuchung der Stuhlentleerungen der rühm
dächtigen Kranken der äusseren Station fiel mit einer Au
nähme negativ aus. In dem einen positiven Falle wurde fe;
gestellt, dass der betreffende Kranke am Tage der Unti
suchung einen leichten Ruhrrückfall hatte.
Unter den Sanitätsschülern wurde ein gesunder Dy
enteriebazillenträger ermittelt, welcher' 10 Tage lang Dy
enteriebazillen ausschied.
Fcldärztliche Beitage zur Münch. med. Wochenschrift.
1887
. September 1914.
Der Ersterkrankte selbst schied nachweislich 7 Wochen
mg Dysenteriebazillen aus.
Dies konnte nur dadurch festgestellt werden, dass im Ver-
tufe der 3 monatlichen Beobachtungszeit, welcher er unter¬
worfen wurde, die sämtlichen Stuhlentleerungen im Stech¬
ecken unmittelbar nach der Entleerung zur bakteriologischen
ntersuchung gelangten.
Verfasser konnte bei diesen Untersuchungen ebenso wie
ei der Dysenterieepidemie in Fürth im Jahre 1909 feststellen,
ass das Aussehen der Dannentleerungen, in denen sich
ingere Zeit nach der Erkrankung die Dysenteriebazillen vor-
inden. sich von dem normaler Stuhlentleerungen nicht
nterschied.
Im vorliegenden Falle fanden ebenfalls in Uebereinstim-
lung mit den Beobachtungen in Fürth grössere Pausen in der
usscheidung statt und zwar eine in der Dauer von 6, eine
on 7 Tagen, eine von 4 Wochen und eine von 10 Tagen.
Bei der vom kgl. bayerischen Kriegsministerium vorge-
;hriebenen fortlaufenden Untersuchung des in den Garnisonen
er Pfalz zu Küchen und Kantinen kommandierten Personals
urde ausserdem noch festgestellt, dass sich der Infektionsstoff
otz der ausgedehnten Vorsichtsmassregeln doch schon über
in Bereich des Lazaretts hinaus verbreitet hatte und es nur
egen der geringen Infektiosität desselben nicht zu weiteren
rkrankungen gekommen war.
Am 5. III. 1914 wurden nämlich in den Darmentleerungen
nes für die Küche einer Bataillonskaserne in Landau be-
immten Soldaten Dysenteriebazillen gefunden.
Bei der Durchuntersuchung der Zimmergenossen desselben
nden sich noch zwei gesunde Dysenteriebazillenträger.
Da auch die letzteren Stämme durch Pseudodysenterie¬
tzillenserum Kruse H stark agglutiniert wurden, war schon
js dem agglutinatorischen Verhalten der Stämme die An-
ihme berechtigt, dass es sich um einen Zusammenhang
vischen den neugefundenen Bazillenträgern und den Erkran-
jngen in dem Lazarett handeln könne.
Dieser Verdacht wurde noch erhärtet durch die Best¬
ellung, dass ein Sanitätsschüler im gleichen Zimmer mit den
azillenträgern kaserniert hatte.
Bei diesem sind allerdings nie Dysenteriebazillen festge¬
eilt worden, jedoch ist bei den raschen Passagen von Dys-
lteriebazillen durch den menschlichen Körper, die hier bei
.‘Sunden und leicht kranken Personen beobachtet wurden
bei den Bazillenträgern in der Kaserne wurden bei zahl-
ichen Untersuchungen nur einmal im Stuhle Dysenterie-
izillen nachgewiesen — der Schluss erlaubt, dass der
initätsschüler die Dysenteriebazillen aus dem Lazarett in die
iserne verschleppt hatte, zur Zeit seiner Untersuchung aber
hon wieder bakterienfrei war.
Man sieht, dass die Ausscheidung von Dysenteriebazillen
t eine so kurzdauernde sein kann, dass bakteriologische Re-
ltate bei gesunden Dysenteriebazillenträgern und Leicht¬
anken einen Zufallsbefund darstellen, wenn nicht täglich
tersucht und das Material unmittelbar nach der Entleerung
kteriologisch verarbeitet werden kann.
Da dies nur in Internaten, wie Heil- und Pflegeanstalten,
nderasylen, Gefängnissen, Kasernen usf. durchgeführt
^den kann, so finden sich zusammenhängende Unter-
chungen über Dysenterie vorwiegend nur aus solchen An-
dten.
Wenn nun auch in Internaten zur Verbreitung der Ruhr
-hr Gelegenheit gegeben ist, wie im Privatleben und deshalb
tufungen von Ruhrfällen in diesen leichter eintreten wie im
rgerlichen Leben, so ist doch anzunehmen, dass die Ruhr,
Gleicht mit Ausnahme einiger Heil- und Pflegeanstalten, stets
die Internate eingeschleppt wird und dass daher in der
Öffentlichkeit mehr Ruhr Vorkommen muss, als nach den
etlichen Anzeigen bekannt ist.
Im bürgerlichen Leben geht eben die Dia-
• ose Dysenterie fast ausnahmslos verloren.
Die Erkrankungen kommen in unseren Gegenden ent-
’ der gar nicht in ärztliche Behandlung, oder sie verlaufen zu
1 ch, als dass seitens der Aerzte Material eingesandt wird,
>er das Material ist zu alt und daher ungeeignet zur Unter-
;>:hung.
Ein Streiflicht auf die Richtigkeit der letzteren Be¬
hauptung wirft die Mitteilung Löwenthals, dass im ganzen
Jahre 1911 in Berlin nur 5 Ruhrerkrankungen polizeilich ge¬
meldet wurden, während er allein unter 628 Blutproben, die
dem städtischen Untersuchungsamte in Berlin aus den ver¬
schiedensten Anlässen zur Untersuchung zugingen, 130 fest¬
stellen konnte, die eine ausgesprochene positive und etwa
ebensoviele, die eine stark angedeutete Agglutinationsreaktion
gegenüber Y-Dysenteriebazillen ergaben.
Bei einer ganzen Reihe der betreffenden Personen konnte
ei nachträglich auch die Y-Bazillen in den Fäzes nachweisen.
GeorgM ayer fand bei der Durchuntersuchung der Militär¬
bevölkerung Münchens ebenfalls Dysenteriebazillenträger.
Die Annahme, dass die Y-Dysenteriebazillen viel weiter
verbreitet sind, als gegenwärtig festgestellt ist, erscheint nach
solchen systematischen Untersuchungen berechigt.
Kruse und Knöpfei mach er haben schon vor
längerer Zeit gefordert, dass jede follikuläre Enteritis bei
Kindern wenigstens den Verdacht auf Ruhr erwecken müsse.
Diese Forderung muss angesichts der obigen Mitteilung
neuerdings erhoben werden. Vielleicht lässt sich eine Ver¬
minderung der Säuglingssterblichkeit auch durch Ausschaltung
eines Teiles der Säuglingsdurchfälle, welche auf Ruhr beruhen,
erreichen.
Die piaktischen Aerzte sollten den Untersuchungsanstalten
viel mehr Material von Kinderdurchfällen einsenden, als dies
zurzeit geschieht.
Wenn eine mehrmalige Ausscheidung von Dysenterie¬
bazillen nach hartnäckigeren Erkrankungen festgestellt ist,
sollte die Beobachtung nicht unter 3 Monaten geschlossen
werden.
Aus dem Garnisonlazarett zu Halle a. S.
Zur Gonorrhöebehandlung mit Gonokokkenvakzin Men zer.
Von Stabsarzt Dr. F. Becker.
Sowohl in der Fachpresse als auch auf Kongressen ist
dje Behandlung der Gonorrhöe in den letzten Jahren ein
Gegenstand lebhafter Erörterung, woraus hervorgeht, dass wir
von einer sicher erfolgreichen Behandlung derselben noch weit
entfernt sind. Als von Neisser und seiner Schule die
Argentumtherapie eingeführt und ein Präparat immer durch
ein höherwertiges abgelöst wurde, schien man dem erwähnten
Ziele nahe gekommen zu sein, doch gibt es wohl kaum eine
Krankheit, bei welcher auf Kosten der Therapie soviel Rück¬
sicht auf Verheimlichung des Leidens genommen und dadurch
einer gründlichen Ausheilung selbst in gebildeter, Kreisen ent¬
gegengewirkt wird. Gerade der Militärarzt hat leider recht
oft Gelegenheit, darüber Beobachtungen zu sammeln, ist doch
die Zahl der alljährlich mit Geschlechtskrankheiten einge¬
stellten Rekruten recht erheblich, obwohl die aus Gross¬
städten stammenden meist vorher ärztlich behandelt worden
waren. Nach v. Schjerning1) wurden unter den Berliner
Rekruten 40 Prom., unter denjenigen aus Hamburg und Altona
30 Prom. bei der Einstellung geschlechtskrank befunden, meist
handelte es sich um Gonorrhöe. Welche nachteiligen Folgen
die Verseuchung mit Geschlechtskrankheiten für das Heer und
im Mobilmachungsfalle für die Landessicherheit hat, beweist
der Umstand, dass allein im Jahre 1912 im Bereich der Land¬
wehrinspektion Berlin 2) 7709 Reservisten und Landwehrleute
deswegen ihre militärischen Uebungen nicht ableisten konnten!
Naturgemäss werden von militärärztlicher Seite alle Fort¬
schritte in der Gonorrhöetherapie aufmerksam verfolgt und hat
hierbei der Militärarzt den Vorteil, dass sich ihm nicht wie in
der Privatpraxis oder in Krankenhäusern die Patienten nach
ihrem Belieben entziehen und dass sie später jederzeit nach¬
untersucht werden können, ob auch wirklich Dauerheilung vor¬
liegt. Die durchschnittliche Behandlungsdauer der Gonorrhöe
in Militärlazaretten wird aus diesem Grunde stets länger sein,
zumal damit zu rechnen ist, dass der Militärdienst mit seinen
*) v. Schjerning: Sanitätsstatistische Betrachtungen über
Volk und Heer. Berlin 1910.
;!) Hecker: Zur Verbreitung der Geschlechtskrankheiten unter
den Mannschaften des Beurlaubtenstandes. D. rnilitärärztl Zschr
1913 Nr. 22.
1888
Feldärztlichc Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 35.
Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit jedes
Einzelnen keinerlei Schonung gestattet.
Bei der lokalen Behandlung der Gonorrhöe durch Injek¬
tionen dürfte wohl allgemein nach dem N e i s s e r sehen
Grundsatz erstrebt werden, dieselbe bis zum völligen Ver¬
schwinden der Gonokokken fortzusetzen [Rosen fei d3)
u. a.). In neuerer Zeit ist mehr und mehr die Vakzinetherapie
Gegenstand der Forschung geworden, deren Erfolge wohl
hauptsächlich bei Epididymitis gelobt werden. Einzelne
Autoren wie Bardach4 * * 7) berichten über gute Erfolge intra¬
venöser Injektionen, während von anderer Seite subkutane
oder intramuskuläre Einspritzungen bevorzugt werden, auch
über die Höhe der Dosierung schwanken die Ansichten
noch sehr.
Schon seit Jahren hatte Menzcr im Garnisonlazarett zu
Halle mit einem von ihm selbst aus frischen Originalstämmen
bereiteten Gonokokkenvakzin akute und chronische Gonor¬
rhöen mit gutem Erfolge behandelt, wie seine Mitteilungen “)
darüber beweisen. Reiter'1) fordert nun in seinem Sammel¬
referat über die Ergebnisse der Vakzinetherapie und Vakzine¬
diagnostik weitere kritische Beobachtungen, ob die von
Menzcr ausgesprochenen Anschauungen bezüglich der
akuten Gonorrhöe berechtigt sind. Da ich teils unter seiner
Aufsicht, später nach seinen Angaben die diesbezügliche Gonor¬
rhöebehandlung fortgesetzt habe, dürften meine Erfahrungen
mit dem Gonokokkenvakzin Menzer einiges Interesse bieten.
I. Von akuten Fällen wurden in 2 Jahren 27 ') genau be¬
obachtet, bei allen war bereits auch der hintere Teil der Harn¬
röhre mit ergriffen, 21 mal auch die Vorsteherdrüse, obwohl
die Leute gewöhnlich bald nach der Infektion — durchschnitt¬
lich etwa 2 Wochen danach — sich krank meldeten, ein Be¬
weis, wie schnell bei körperlichen Anstrengungen die Infektion
fortschreitet. Von diesen 27 Fällen zeigten deutliche Reaktion
auf Einspritzung von Vakzin Menzer, welches stets subkutan
in Dosen von 0,5— 1,0 ccm (5—10 Mill. Gonokokken) verabfolgt
wurde:
a) mit Erhöhung der Temperatur und vermehrtem Ausfluss
1 1 Fälle,
b) ohne Erhöhung der Temperatur, aber vermehrtem Aus¬
fluss 10 Fälle,
c) keinerlei örtliche oder allgemeine Reaktion 6 Fälle.
Der Ausfluss wurde etwa 24 Stunden nach der Ein¬
spritzung stärker, der Harn trüber, auch zeigte er vermehrten
Bodensatz, die Zahl der Gonokokken im Präparat war erhöht.
Etwa ein Drittel der Fälle gaben auch subjektive Störungen
des Allgemeinbefindens, wie allgemeine Unruhe und Kopf¬
schmerzen an. Gewöhnlich klang die Reaktion von selbst in
1—3 Tagen ab und setzte nach der nä'chsten Vakzination
wieder ein, vielfach in schwächerem Grade, doch liess sich
hierbei keine Regelmässigkeit feststellen, mitunter war bereits
durch die erste Einspritzung die Reaktion darauf erschöpft.
Die Einspritzungen wurden im allgemeinen alle 3 Tage
vorgenommen, über die Dosis von 10 Millionen wurde nie
gegangen, da bei höheren Dosen ebensowohl wie bei intra¬
venöser Anwendung unangenehme Folgen nach den bisherigen
Erfahrungen noch nicht unter allen Umständen auszuschliessen
sind, in einigen wenigen Fällen wurden bei höherem Fieber
oder sonstigen Komplikationen auch geringere Mengen (0,2 bis
0,3 ccm Vakzin) verwendet, üble Zufälle kamen daher nie vor.
Dass nicht alle Fälle auf die Einspritzungen reagierten, mag
zum Teil durch die zu geringe Dosierung zu erklären sein, wie
dies auch von anderen Vakzins (Gonargin) berichtet worden
ist, teilweise dürfte das Ausbleiben der Reaktion daran liegen,
dass manche Gonokokkenstämme sich dem Vakzin gegenüber
refraktär verhalten, obwohl dasselbe stets aus einer grösseren
Anzahl frischerer Stämme (mindestens 6) bereitet wird.
3) Rosenfeld: Fortschritte in der Argentumtherapie bei der
Gonorrhöe des Mannes. D.m.W. 1913 S. 1992.
’) Bardach: Zur therapeutischen Anwendung intravenöser
Arthigoninjektionen. M.m.W. 1913 S. 2622.
•'*) Menzer: M.m.W. 1911 Nr. 46 u. 49 und 1912 Nr. 2.
“) Reiter: Ergebnisse der Vakzinetherapie und Vakzine¬
diagnostik. D.m.W. 1913 S. 2207.
7) Es sind nur diejenigen Fälle berücksichtigt, bei welchen
Gonokokkenvakzin Menzer während der ganzen Behandlung gegeben
worden ist, was aus äusseren Gründen oft unterblieb.
Ausser den 27 wurden noch 3 akute mit Epididymitis kom¬
plizierte Fälle behandelt, von denen 2 auf das Vakzin mit Tem¬
peratu rsteigerung bis 39,4 und 39,5 reagierten, wobei in dem
einen Fall das Fieber erst am 3. Tage danach abfiel, ln dem
3. Fall, in welchem erst nach Abklingen der akuten Entzün¬
dungserscheinungen injiziert wurde, erfolgte keinerlei Tem¬
peraturanstieg oder Reaktion.
Die sonstige Behandlung bestand in 2 — 3 Wochen Bett¬
ruhe, reizloser Kost, nach Abklingen der akuten Erscheinungen
vom Ende der 2. Woche an wurde örtliche Wärme in Gestalt
warmer Sitzbäder (35 — 40") von 15 Minuten Dauer verordnet,
ferner Prostatamassage und von der 3. Woche an gewöhnlich
J a n e t sehe Spülungen mit Kal. permangan. 1 : 5000. Die j
Dauer der Behandlung betrug dabei durchschnittlich 49,5 Tage.
Mit Ausnahme derjenigen Kranken, welche nach Abschluss der
Behandlung zur Reserve entlassen wurden, fanden Nachunter¬
suchungen statt, welche sich teilweise bis fast zu 2 Jahren
erstreckten, dabei wurde 1 Rückfall festgestellt, obwohl der
Mann 57 Tage behandelt worden war. 2 Tage später, nach¬
dem er anstrengenden Dienst getan hatte, bekam er wieder
gonokkokenhaltigen Ausfluss, welcher nunmehr durch 19 tägige
Behandlung endgültig verschwand und bei späteren Unter¬
suchungen nicht mehr gefunden wurde. Der 3 mal unter¬
nommene Versuch, die etwas lange Dauer der Behandlung
durch Einspritzung leichter adstringierender Lösungen in die,
Harnröhre (Zinc. sulfur. 0,5:200) abzukürzen, hatte keinen Er-
folg.
II. Von chronischer Gonorrhöe wurden 13 Fälle genau
beobachtet, deren durchschnittliche Behandlungsdauer 39,6
Tage betrug. Nur in einem Falle war die Prostata nicht ver¬
ändert, sonst stets beträchtlich vergrössert, meist war sie gar
nicht untersucht worden. Es handelte sich bei diesen chro¬
nischen Fällen hauptsächlich um Einjährig-Freiwillige oder Re¬
kruten, welche sich vor dem Diensteintritt angesleckt hatten,
die Infektion lag angeblich meist 1 Jahr, in einem Falle
6 Jahre zurück. Sämtliche Kranke waren mit Einspritzungen
von Silbersalzen, 2 ausserdem noch mit Zinc. sulfur. oder Kal.
permang. behandelt worden, die grosse Mehrzahl spezialistiscli.
nur 2 waren ungeheilt entlassen worden, alle übrigen geheilt.
Mit Vakzinebehandlung wurde — ausser aus äusseren Grün¬
den in 1 Fall — sofort begonnen und gewöhnlich zuerst 5 Mil¬
lionen, dann 10 Millionen injiziert. Positive Reaktion auf die
Einspritzung, und zwar:
Temperatursteigerung und vermehrten Ausfluss zeigten
7 Fälle,
keine Temperatursteigerung, aber vermehrten Ausfluss!
zeigten 5 Fälle,
keinerlei Reaktion 1 Fall.
Manche chronischen Gonorrhöen sollen nach Menzer
deshalb nicht reagieren, weil sie durch Staphylokokken oder
Bact. coli mit bedingt sind. Ausser Vakzination bestand die
Behandlung in 2 wöchiger Bettruhe, reizloser Kost, Sitzbädern,
J a n e t sehen Spülungen gewöhnlich vom Beginn der 2. Woche
an und Prostatamassage, die Vorsteherdrüse hatte sich bis auf
1 Fall danach gut zurückgebildet.
Bei 3 Patienten traten Rückfälle ein. Ein Einjährige-Frei williger,
welcher 39 Tage behandelt worden war, zeigte 3 Tage später nach
einer anstrengenden Uebung wieder Ausfluss, jedoch ohne Gono¬
kokken. Erneute Behandlung im Lazarett 27 Tage, auf Vakzin jetzt
keinerlei Reaktion. Ausfluss seitdem verschwunden, Harn klar. —
Ein von ausserhalb überwiesener Rekrut, welcher schon 1 Jahr die
meisten üblichen Behandlungsmethoden und Argentumpräparate ge¬
braucht hatte, reagierte auf Vakzin mit Temperaturanstieg bis 38",
später allmählich geringer. Nach 34 Tagen mit klarem Harn ent¬
lassen. Nachdem er 14 Tage wieder Dienst getan hatte, erneut Aus¬
fluss mit Gonokokken. — Ein seit Jahren chronisch kranker Berliner
„Arbeiter“, welcher in vielen Grossstädten und 1 Jahr vorher mehrere
Monate in einem grossen Militärlazarett mit wohl sämtlichen
spezialistischen Behandlungsmethoden behandelt worden war, zeigte'
auf Vakzination vermehrten Ausfluss, aber keine Temperatur¬
steigerung. Nach 58 tägiger Behandlung, wobei er in den letzten
2 Wochen bei Biergenuss bereits an Haus- und Gartenarbeit sich
beteiligt hatte, mit klarem Urin entlassen. 14 Tage, nachdem er
wieder Dienst getan hatte, erneut Ausfluss, darin aber nie Gonokokken
gefunden. Der Mann war wieder in seine auswärtige Garnison
zurückgeschickt worden. Ob bei diesem vielfach vorbestraften
Menschen der nicht gonokokkenhaltige Ausfluss vielleicht auf andere
Weise selbst hervorgerufen war, liess sich nachträglich nicht fest¬
stellen.
1. September 191-L
Fcldärztliclic Beilage zur Mimcli. med. Wochenschrift.
1889
Jedenfalls beweisen diese Fälle, dass das Menz e r sehe
Gonokokkenvakzin bei chronischer Gonorrhöe in der grossen
Mehrzahl der Fälle spezifische Reaktion und Erfolg erzielt und
y-u diagnostischen Zwecken sehr gut zu verwenden ist.
Ausser bei den 13 chronischen Gonorrhöen wurde das Vak¬
zin noch bei 8 mit Epididymitis komplizierten chronischen Fäl ¬
len verwendet, wobei meist erhebliche Reaktion eintrat und
die auch von anderen Vakzins hierbei gewonnenen günstigen
Erfahrungen bestätigt Werden konnten, so dass eine weitere
Beschreibung sich erübrigt. Bei gonorrhoischer Arthritis hatte
ich keine Gelegenheit, das Vakzin anzuwenden.
Es liegt nicht in der Absicht dieser Zeilen, das Menz e r -
sehe Gonokokkenvakzin als etwas Besonderes hinzustellen,
obwohl auch weniger zahlreiche, aber genau beobachtete und
über einen längeren Zeitraum verfolgte Fälle ein Urteil über
ein Mittel erlauben. Doch möchte ich darauf hinweisen, dass
es sowohl bei akuter als auch bei chronischer Gonorrhöe in
den meisten Fällen spezifische Wirkung entfaltet und in dia¬
gnostischer wie auch im Verein mit anderen altbewährten Me¬
thoden in therapeutischer Hinsicht Gutes leistet. Der Pres
der Behandlung stellt sich, da ein Fläschchen Vakzin zu 5 ccm
mit 50 Millionen Gonokokken 1.50 M. kostet und für 1 Fall
etwa 10 Einspritzungen notwendig sind, im Verein mit den
J a n e t sehen Spülungen sehr gering, was für Krankenhaus¬
behandlung von Wichtigkeit ist. Es wird bei dieser Therapie
allerdings keine Schnellheilung, wohl aber eine gründliche Aus¬
teilung erstrebt und es wäre dringend wünschenswert, dass
nein und mehr durch Aerzte und Presse die Anschauung im
Volke verbreitet würde, dass auch die Gonorrhöe eine Krank-
teit ist, welche ebenso wie andere gründlich behandelt wer¬
ten muss. Ob durch neuere Methoden, wie z. B. die Caviblen-
herapie eine .schnelle und sichere Ausheilung der Gonorrhöe
erreicht werden wird, muss erst die Erfahrung nach einem läu¬
teren Zeitraum beweisen.
leuchtungsapparat mit ganz einfachen Vorrichtungen direkt an
die Untersuchungsinstrumente hingesteckt werden kann.
Der Augenspiegel des Besteckes (Fig. 2) besteht aus dem stab-
tormigen Beleuchtungsapparat und einem aufgesteckten Halter mit
zwei federnden Spangen, in welche eine Diopterscheibe und event.
Korrektionsgläser analog dem bekannten Li e b r e i c h sehen Spiegel
eingesetzt werden können. Derselbe Halter wird auch für den
elektrischen Ohren- und Nasenspiegel benützt. Der Ohrtrichter bzw.
das Nasenspekula setzt man dabei in eine der Spangen ein und dreht
een Stab so, dass die Ocffnung des Trichters voll beleuchtet wird
I ig. 3). Der kleine Leuchtstab lässt noch genügend Platz, um mit
Instrumenten über ihm hinweg zu hantieren. Ein besonderer Vorteil
dieses elektrischen Ohrenspiegels ist, dass bei richtiger Haltung des
Ohrtrichters jeder Beschauer, auch der ungeübte, ein gleichgutes
Bild des I rommelfellcs erhalten muss.
Bei dem Kehlkopfspiegel (Fig. 4) wird der Beleuchtungsapparat
in einen nach allen Seiten im Kugelgelenk drehbaren Halter am Griff
des Spiegels eingesetzt und das Licht in der Richtung der Blicklinie
auf den Spiegel gerichtet. Es mag zugegeben werden, dass diese
Art des Kehlkopfspiegelns einigemale probiert sein will; aber im all¬
gemeinen gelingt es meist leicht, ein deutliches Bild des Kehlkopfes
bzw. des Nasenrachenraumes zu gewinnen.
•in neues elektrisches Untersuchungsbesteck für Auge,
Ohr, Nase und Kehlkopf.
Von Dr. Pleikart Stumpf in München.
Der Grundgedanke dieser Konstruktion war, einen uni-
’ersell anwendbaren Beleuchtungsapparat zu schaffen, mit dem
nan alle einfacheren endoskopischen Untersuchungen aus-
ühren kann. Es sind in den letzten Jahren verschiedene elek-
risehe Augenspiegel, Ohrenspiegel, Nasen- und Kehlkopfspiegel
eröffentlicht worden, deren Konstruktion hinlänglich bekannt
ein dürfte. Bei den meisten ist jedoch der Beleuchtungs-
ipparat so voluminös, oder den Spezialzwecken so angepasst,
lass ein universeller Gebrauch nicht möglich ist. Bei dem
euen Universalbesteck (Fig. 1) hat der Beleuchtungsapparat
ie Gestalt eines dünnen Stabes, in dessen vorderes Ende ein
Iciner Spiegel eingebaut ist, der den Lichtkegel senkrecht zur
ichtung des Stabes austreten lässt. Die geeignete Helligkeit
Rd durch eine Linsenkombination im Innern des Stabes cr-
-icht. Die Stabform hat den Vorteil, dass nun der Be-
Fig. 4.
Item Besteck ist eine Brille beigegeben, damit man den Be¬
leuchtungsapparat auch vor dem Auge des Untersuchers befestigen
und die Untersuchungen in analoger Weise wie mit einem Reflektor
vornehmen kann (füg. 5). Für das Augenspiegeln gewährt dies ganz
besondere Vorteile. Es erübrigt sieb das Halten des Spiegels, so
dass man z. B. beim Spiegeln im umgekehrten Bild eine Hand frei
hat, auf welche man den Patienten zu sehen heisst. Man kann auf
diese Weise den Blick des Patienten beliebig dirigieren, die Papille
mit Sicherheit einstellen und den ganzen Hintergrund systematisch
absuchen. Auch fiir das Spiegeln von Ohr, Nase und Kehlkopf kann
die Brille verwendet werden; diese Untersuchungen gestalten sich
dann analog der Anwendung einer Stirnlampe oder eines Reflektors.
Obige Instrumente sind in einer Federtasche untergebracht die
sicli bequem in der Rocktasche tragen lässt (Fig. I).
Noch einige andere Anwendungsformen des Beleuchtungs¬
apparates, die mehr fiir den Augenspezialisten in Betracht kommen,
seien liier erwähnt. Fs lassen sich, wie Fig. 6 zeigt, die meisten der
1890
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 35.
gebräuchlichen Refraktionsaugenspiegel durch Vorsetzen des Be¬
leuchtungsapparates vor den Spiegel ohne weiteres in elektrische
Augenspiegel umwandeln. Derartige Vorrichtungen zum Anstecken
des Beieuchtungsapparates sind leicht anzubringen; sie stören auch
beim gewöhnlichen Gebrauch des Spiegels in keiner Weise. Man
hat also, falls einmal die elektrische Beleuchtung versagen sollte,
immer noch eine Reserve in dem gewöhnlichen Reflektor.
Besonders gut eignet sich der Beleuchtungsapparat wegen
seines konzentrierten Lichtes zur Ausführung der seitlichen Be¬
leuchtung. Um nun auch kleinere Operationen, wie Entfernung von
Fremdkörpern, Kauterisation, Diszission etc. bei dieser idealen seit¬
lichen Beleuchtung ausführen zu können, setzt man den kleinen Licht¬
stab mittels einer Klammer dem Patienten auf die Nase (Fig. 7). Der
Halter ist im Kugelgelenk gelagert, so dass die Einstellung des
Lichtps beliebig erfolgen kann. Die Klammer wird direkt unter dem
Nasenbein aufgesetzt und das Scharnier auf den Nasenrücken gelegt,
so dass der Halter also in drei Punkten unterstützt ist. Die Nasen¬
atmung wird bei dieser Art der Anbringung in keiner Weise gestört.
Bemerkt sei noch, dass der Beleuchtungsapparat seiner Ver¬
wendung entsprechend entweder an eine Taschenbatterie, am besten
in einer Hülse mit Drehkontakt, oder event. auch an eine stationäre
Lichtleitung angeschlossen werden kann.
Die beschriebenen Apparate werden von der Firma R. Jung,
ü. m. b. H., Heidelberg fabriziert und geliefert.
Seekriegschirurgie und kriegschirurgische Dogmen.
Von Marineoberstabsarzt Dr. M. zur Verth in Kiel.
(Schluss.)
Bei den grundlegenden Verschiedenheiten zwischen See¬
krieg und Landkrieg überrascht es einigermassen, dass die
Zahlen der Qesamtverluste in beiden ziemlich die¬
selbe Höhe erreichen. Wenn mit R. Köhler die Gesamt¬
verluste r’) in den grossen europäischen Kriegen seit 1859 mit
ungefähr 10 Proz. angenommen werden — die Verluste im
japanischen Heere und auch im russischen während des
Krieges 1904/05 waren höher (im Feldkrieg 16,6 und 18,3; ein¬
schliesslich Belagerungskrieg 21,2 und 16,0 Proz.) — , so passt
sich der japanische Seekrieg") mit 10,2 Proz. Gesamtvcrlusten
dieser Durchschnittszahl vorzüglich an. Der Gesamtverlust
der japanischen Marine setzt sich zusammen aus 8,7 Proz. Ge¬
fallenen oder Verletzten und 1,5 Proz. an Krankheiten Ge¬
storbenen.
Zerteilt man nun diese Gesamtzahlen, so treten allerdings
nicht unwesentliche Verschiedenheiten im Seekrieg und Land¬
krieg zutage. Während das Verhältnis der Toten zu den Ver¬
letzten im Landkrieg etwa 1 zu 5 ist (1870/71 auf deutscher
Seite 1 zu 5,8, 1904/05 im Landkrieg auf japanischer Seite
1 zu 3,7, auf russischer Seite 1 zu 4,9), stellt sich im japanischen
Seekrieg auf 1 zu 0,9. Der japanische Seekrieg
brachte also mehr Tote als Verletzte.
Als Ursache dieser schweren Lebensverluste kommt vor¬
züglich die Minenwirkung7) in Betracht. Für die Minen stellt
sich die Zahl der Toten zu den Verletzten (die Ertrunkenen mit
eingerechnet) wie 1 zu 0.21, während sie sich für die Artillerie
wie 1 zu 2,6 und zwar für direkte Geschosse (Granaten und
ihre Splitter) wie 1 zu 1,7 und für indirekte Geschosse wie
1 zu 6,7 stellt.
Auch für den Landkrieg hat der Einfluss der Kriegs-
seuchen auf die Vcrlustgrösse bedeutend abgenommen.
Während noch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
die Kriegsheere etwa 6 mal so viele Menschen durch Krank¬
heiten verloren, als durch Waffen, fiel diese Zahl für die zweite
Hälfte des Jahrhunderts auf 2 zu 1 und drehte sich in unserem
Kriege 1870/71 zum ersten Male (abgesehen von kleinen Kriegs¬
zügen), so dass etwa nur die Hälfte von allen an Waffen zu¬
grunde Gegangenen durch Krankheiten starb. Ganz ähnlich
war das Verhältnis auf japanischer Seite zu Land 1904/05 mit
r>) Summe der auf dem Schlachtfeld Gefallenen, der Vermissten,
der Verwundeten und der an ihren Wunden oder Krankheiten
Gestorbenen.
,:) Für die Zahlen des Seekrieges steht nur der russisch¬
japanische Seekrieg zur Verfügung, da es sich bei allen anderen neu¬
zeitlichen Seekriegen nur um Einzelgefechte handelt.
') Der Torpedo (eine bewegliche Mine) spielte im russisch-
iapanischen Kriege eine unverhältnismässig geringe Rolle. Seine
Wirkungen werden sich in einem künftigen Kriege vielleicht den
Störungen durch Minen im russisch-japanischen Kriege an die Seite
stellen lassen.
1 zu 0,5. Der Seekrieg 1904/05 übertraf diese Zahlen noch,
indem auf japanischer Seite auf 1 durch feindliche Waffen Ge¬
töteten nur 0,36 an Krankheiten Gestorbene kamen.
Zwar mögen auch im Landkrieg die Gefahren des Kriegs¬
handwerks (Bedienung der eigenen Waffen usw.) Verluste er¬
zeugen, doch sind sie im Verhältnis so gering, dass sie den
eben erläuterten Ursachen von Verlusten gegenüber ganz zu¬
rücktreten. Beim Seekrieg kommen dazu die nicht unwesent¬
lichen Gefahrmomente der Seefahrt an sich, die durch den
Krieg selbst beträchtliche Zunahme erleiden (Abgeblendet¬
fahren bei mangelnden Seezeichen u.a. m.). Nahezu ein Viertel
der Seekriegstodesfälle (einschliesslich der Ertrunkenen) und
ein gleicher Anteil der Seekriegsverletzungen auf japanischer
Seite gingen 1904/05 auf diese Gefahren des Seekriegshand¬
werkes zurück.
Während die bis dahin erläuterten Zahlen in erster Linie
militärisch-nationalökonomischen Wert haben und das ärztliche
Gebiet nur mittelbar berühren, sind die Verlustzahlen
des einzelnen Schiffes im Einzelgefecht von
unmittelbarem ärztlichen Interesse. Sie stellen die Grund¬
lagen dar, auf denen die Friedensvorbereitungen für die Ver-
letztenversorgung im Seekrieg aufbauen.
Auch für die Aufstellung der Einzelverlustzahlen sind
grundlegende Unterschiede zwischen Kriegsführung an Land
und zur See vorhanden. Während theoretisch an Land das
ganze kämpfende Heer 8) aufgerieben werden kann, so dass
dem hinter der Linie erhaltenen Sanitätspersonal die Riesen¬
aufgabe der Versorgung aller nicht Getöteten zufällt, hat die
Zahl der zu versorgenden Verletzten im Seekrieg Grenzen
nach oben. Es gibt eine obere Grenze für den Ausfall an
Kriegsschiffsmannschaften, bei deren Ueberschreitung das
Kriegsschiff aktionsunfähig wird. Das aktionsunfähige Kriegs¬
schiff aber fällt sicherer Vernichtung anheim. Mit der Ver¬
nichtung des Kriegschiffes hört aber auch die Möglichkeit der
Verletztenversorgung auf. Natürlich sind Ausnahmefälle
denkbar; aber nach Ausnahmefällen können dieVorbereitungen
nicht getroffen werden. Diese Grenze hält Stokes11) für ge¬
geben, wenn etwa ein Drittel bis die Hälfte der Besatzung
ausgefallen ist. Die Zahl wechselt wohl je nach der Organi¬
sation des Dienstbetriebes an Bord. Das Eine lässt sich sicher
schliessen : es gibt an Bord unähnlich dem Land¬
gefecht eine nicht allzu hohe Grenze, über die
hinaus eine Verletztenversorgung im allge¬
meinen wegfallen wird, eine Vorbereitung
und Ausrüstung also überflüssig ist.
Viel einschneidender aber als in der Zahl sind die Unter¬
schiede in der Art der Verletzung. Wenn auch die
Beteiligung der einzelnen Waffenarten an den Ausfällen in
den Landkriegen schwankt, so sind überall (bis auf wenige
Ausnahmen im Festungskrieg) die Kleinkaliberverletzungen
bei weitem in der Mehrzahl, meist so sehr, dass Geschützver¬
letzungen demgegenüber vollkommen verschwinden. An
Bord fallen von den nicht tödlichen eigentlichen Seekriegs¬
verletzungen durch feindliche Waffen 76,4 Proz. der Artillerie,
19,1 den Minen zu, der Rest verteilt sich auf verschiedene
Ursachen. Als Artilleriegeschosse werden in den meisten
Marinen nur Granaten verwendet, das Schrapnell wird nur
noch unter bestimmten, selten gegebenen Voraussetzungen
gebraucht. Bei den Artillerieverletzungen aber wie bei den
Minenverletzungen, also bei der allergrössten Anzahl aller
Seekriegsverletzungen zeigen sich als charakteristische Eigen¬
schaften der Wunden Quetschung, Zermalmung und Zer-
reissung, während für den Landkrieg — natürlich auch mit
Ausnahmen — die glatte Schnitt- oder stichförmige Verletzung
als Regel angesehen werden muss.
Ungefähr 20 Proz. der Seekriegsverletzungen (etwa L
der Artillerieverletzungen und der Minenverletzungcn)
gehen auf indirekte Geschosse zurück. Ungleich den Ver¬
hältnissen im Landkrieg, wo Gemäuer, Geröll, Erde und ähn¬
liches vielfach hochinfektiöses (Tetanus) Material als in-
K) In der Schlacht bei Cannä fielen auf seiten der Römer 92 Proz.
der Kämpfer, in der Schlacht bei Salenkemen verloren die Türken
(einschliesslich 10 000 in die Theihs Gedrängter) nahezu 94 Proz.
ihrer Streitkräfte (A. Kühle r).
") Generalstabsarzt der amerikanischen Marine.
I. September 1914.
Fcldärztliche Beilage zur Miinch. mcd. Wochenschrift.
1891
direktes Geschoss fortgeschleudert wird, sind es an Bord in
erster Linie Teile des Schiffskörpers, also auf einem neuzeit¬
lichen Schiff meist Metallstücke, deren für die Wundinfektion
verhältnismässig günstige Eigenschaften eben schon erörtert
wurden.
Auch auf den Sitz der Verletzungen wirken die Verhält¬
nisse des Seekrieges in besonderer Art ein und zwar sind
abere und untere Gliedmassen im Seegefecht geringer be¬
troffen. als irn Landgefecht. Die Ursache dafür liegt fraglos
Jarin, dass im Infanteriegefecht der zielende Arm und das in
iegender Stellung über die Deckung herausragende Bein be¬
sonders dem Kugelregen ausgesetzt sind. Vielleicht spielt bei
len geringen Zahlen für das Bein auch der Granatenspreng-
<cgel eine Rolle.
Aus ebenso natürlichen Gründen erklärt sich auch die
schlechtere Prognose, die den Bauch- und Beinschüssen im
Seekrieg gegenüber dem Landkrieg eigen ist 10). Die Eigen-
ümlichkeiten der Seekriegsverletzung zeigen in den Weich¬
eilen des Oberschenkels, wie bei den Bauchorganen ganz be¬
sonders ihre verheerende Wirkung.
Steckschüsse, mit denen man bei der Armee in 5—10 Proz.
ier fälle rechnet, sind an Bord weitaus häufiger und wegen
ler zackigen und unregelmässigen Form des Geschosses, das
’ielfach Kleiderfetzen mitreisst, auch weitaus unangenehmer.
Der Transport des Kriegsverletzten, dem im Land-
, eiecht besonders organisatorische Massnahmen gewidmet
ind. liegt an Bord ausserhalb des Sorgenbereichs des Sanitäts¬
offiziers. Zwar nicht ganz einfach wegen des Mangels von
erbindungen der einzelnen Gefechtsstationen untereinander
nd mit dem Gefechtsverbandplatz und wegen der Unzugäng-
chkeit mancher Gefechtsstationen und vieler Verbandplätze,
d es an Schwierigkeit mit dem Transport im Landgefecht
icht zu vergleichen. Es ist eine Friedensaufgabe des Marine-
anitätsoffiziers, jeden Mann der Besatzung, insbesondere
Iffiziere und Unteroffiziere über die Art, die Zeit und den
\eg des Transportes zu unterrichten. Nach dem Gefecht
doch lastet eine so schwere Aufgabe auf den Schultern des
larinearztes, dass die Leitung des Transportes ihm ge-
ommen werden muss und tatsächlich genommen ist. Die
eit, die der Transport eines einzelnen benötigt, ist an Bord
o kurz, dass das Fehlen von ärztlicher Hilfe während des
ransportes nicht in Betracht kommt.
Die Grundsätze der Verletzt enversorgung
n Land und an Bord sind naturgemäss dieselben. Indes ergeben
ie besonderen Verhältnisse und das Vorherrschen von be-
mderen Verletzungsarten an Bord im einzelnen doch tief¬
reifende Unterschiede, die für das Vorgehen des Arztes von
edeutung sind.
Die erste Versorgung 4er Verletzten verteilt sich am
aride auf die Truppenverbandplätze, Hauptverbandplätze und
eldlazarette. An Bord ist alles zusammengedrängt auf dem
efechts Verbandplatz. Wenn nun schon die Land-
tnee eine organisatorische Teilung des Hauptverbandplatzes
eine „Empfangsabteilung“ und „Verbandabteilung“ vor-
mmt, so ist diese Teilung an Bord um so wesentlicher, als
auch die Aufgaben des Feldlazaretts dem Hauptgefechts-
-■rbandplatz an Bord zufallen. In Ansehung dieser Er¬
eiferung der Aufgaben der „Verbandabteilung“ habe ich für
^ an ^orcl den Namen „Versorgungsabteilung“ Vor¬
schlägen n), während ich für die ersterwähnten den Namen
-mpfangsabteilung“ beibehalten habe.
Da an Bord die kämpfende oder zu neuen Kämpfen be-
unmte Mannschaft in enger Fühlung mit den Verletzten
eibt, steht neben der rein chirurgischen Versorgung ihrer
unden die Befriedigung ihrer Wünsche und Bedürfnisse im
ndergrund der ärztlichen Pflichten. Stillung der Schmerzen
. Durststillung ist also eine wesentliche ärztliche Aufgabe.
L> «Abteilung verabreicht wahllos jedem Verletzten
e Maximaldosis Morphium unter die Haut. Zur Durst-
Tlung, der ja auch die Morphiumspritze dient, sind besonders
r * Ausführlichere Zahlen s. zur Verth: Gefechtssanitätsdienst
°r u r- ' ^6- Handbuch der Gesundheitspflege an Bord von
u-Ksschiffen. B. 1.
) zur Verth: Zur Organisation der ärztlichen Tätigkeit auf
ui nauptgefechtsverbandplatz. Marine-Rundschau 1911, H. 3.
auf den Lagerungsplätzen ausreichende Getränkmengen an¬
gehäuft.
In der chirurgischen Versorgung der Verletzungen ist
insofern der wesentlichste Unterschied gegeben, als kleine
Aus- und Einschussöffnungen mit Schusskanälen zu den
Ausnahmen gehören, als aber die bakterielle Infizierung der
Verletzungen, besonders, sofern sie durch indirekte Geschosse
hervorgerufen sind, hinter der Infizierung der Granatver¬
letzungen am Lande zurückbleibt. In der chirurgischen Aus¬
stattung ist der Hauptgefechtsverbandplatz an Bord den Ver¬
bandplätzen am Lande fraglos überlegen. Er ist etwa der
Ausrüstung eines Feldlazarettes vergleichbar. Von dieser
Seite aus können also auf dem Gefechtsverbandplatz alle Ein¬
griffe vorgenommen werden, zu denen das Feldlazarett be¬
fugt ist.
Auch im Seekrieg ist der erste Verband von
allergrösstem Einfluss für das Schicksal des
Verletzten. Die Neigung zum aktiven Eingreifen im
Sinne der Desinfektion scheint im Seekrieg in Anbetracht der
reichlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel recht gross zu
sein. Trotzdem den japanischen Aerzten reine Asepsis vor¬
geschrieben war, haben sie vielfach antiseptische Massnahmen
angewendet. Wenn auch das Aussehen der japanischen See¬
kriegsverletzungen sich vorteilhaft von dem der russischen
unterschied, so glaube ich doch, dass durch reine Asepsis weit
mehr zu erreichen ist. Die Unterlagen dafür teile ich an
anderer Stelle mit. Bei der Wundbehandlung hat also der
Seekriegschirurg vorzusorgen, dass die Möglichkeit zur An¬
wendung künstlicher Massnahmen ihm nicht zur Gefahr wird,
dass er nicht durch Vielgeschäftigkeit schadet, wie es bei den
Japanern stellenweise der Fall gewesen zu sein scheint. Die
Fragestellung, ob die Seekriegsverletzung, wie die Verletzung
an Land als primär infiziert zu. betrachten ist, ist unglücklich.
Aus vielfachen Erfahrungen ist es erlaubt, zu schliessen, dass
die Kriegsverletzung an Bord wie am Lande, wenn sie nicht
sekundär geschädigt wird, primär, d. h. ohne Eiterung heilt.
Die Vernichtung etwa eingedrungener Erreger kann also an
Rord wie am Lande nicht unsere Aufgabe sein. Einzig
und allein die Verhütung späterer Schädi¬
gung ist die Pflicht des Kriegschirurgen. Not¬
wendig dazu ist die sterile Abdeckung der Wunden gegen das
Eindringen von Keimen und die Ruhigstellung des verletzten
Körperteiles. Die sterile Abdeckung muss so geschehen, dass
der Verband nicht scheuert und das etwaige Wundsekret ab¬
dunsten kann.
Der sterile fertige Verband ist der beste
Wundverband. An Stellen, an denen auch bei guter Ver¬
bandtechnik das Scheuern sich nicht sicher ausschliessen lässt,
also am Rumpf, in der Mitte der Glieder und am Schulter- und
Hüftgelenk, kann statt des fertigen Verbandes steriler Mull,
der mit Heftpflaster festgelegt wird, verwendet werden. Masti-
sol ist ein guter Heftpflasterersatz. Doch ist seine Brauchbar¬
keit bei den häufig recht grossen Wunden des Seekriegs nicht
zweifelsfrei. Das Bestreichen der Wundumgebung mit Jod¬
tinktur ist wie alles Ueberfltissige nicht empfehlenswert, im
allgemeinen aber fraglos nicht schädlich.
Zur Ruhigstellung des verletzten Körper¬
teiles ist an Bord der Gips das souveräne
Mittel. F r i e d r i c h 12) hat für die Kriegslazarette am
Lande die Vorherrschaft des Gipses zu erschüttern versucht
und statt dessen dem Extensionsverband den Preis zuerkannt.
Seine Vorschläge erfreuen sich zwar auch für den Landkrieg
nicht allgemeiner Anerkennung, an Bord aber ist der Ex-
tensionsverband unbrauchbar. Die Enge des Raumes und die
Bewegungen des Schiffes schliessen seine Verwendungen aus.
Für die Ruhigstellung des Gliedes ist der gute Gipsverband
jeder Schiene überlegen. Da die Bordverhältnisse eine Ein¬
schränkung des Gips- und Wasservorrates, also der beiden
zum Gipsverband unbedingt notwendigen Hilfsmittel, nicht be¬
dingen, liegt im Gegensatz zum Landgefecht eine Ver¬
anlassung nicht vor, zugunsten des Gebrauchs von Schienen
den Gipsverband einzuschränken. Jedes ernstlich Seekriegs-
Friedrich
Saloniki und Athen
M.m.W. 1913 H. 45—47
Aus den griechischen Kriegslazaretten zu
am Ausgange des zweiten Balkankrieges
S. 2497, 2570 und 2628.
1892
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
Nr. 35.
verletzten harrt in späteren Tagen noch die Ausschiffung von
Bord. Sie stellt, besonders wenn sie in See bei unruhigem
Wasser geschieht, ein technisches Problem dar, jedenfalls ist
sie nirgends so einfach, wie der horizontale Transport an
Land. Bei dieser Ausschiffung besteht wohl die grösste Ge¬
fahr der Wundschädigung durch Störung des Prinzips der
Ruhe. Auch für die vermehrte Beanspruchung bei dieser Ge¬
legenheit ist der Gipsverband jedem anderen Stützverband
überlegen.
Gerade wegen des schon erwähnten Zusammenlebens der
Verletzten mit der noch streitbaren Besatzung ist auf die
Schmerzverhütung bei jeglichem chirurgischen Ein¬
griff der grösste Wert zu legen. Oertliche Schmerzbetäubung
verlangt Zeit und wegen des Wechsels in der Betäubungs- und
Operationsfolge Platz und reichliches Hilfsmaterial. Alle drei
aber stehen an Bord nicht zur Verfügung. Für alle Eingriffe
bei der ersten Versorgung der Gefechtsverletzten ist also die
Allgemeinbetäubung an Bord das einzig brauchbare Mittel.
So lange das elektrische Licht leuchtet und die künstliche
Lüftung die nötige Luftneuerung auf dem üefechtsverband-
platz sichert, ist der Aether- oder auch der Chloräthylrausch
empfehlenswert. Brennen indes bei Zerstörung der elektri¬
schen Anlagen offene Lichter, so ist der Aether wegen der
ihm innewohnenden Feuer- und Explosionsgefahr durch
Chloroform zu ersetzen.
Bei den vielfach gequetschten und zermalmten Wunden
ist eine Wundherrichtung, die vor allem in der Entfernung der
zerquetschten Teile besteht, bei einem grossen Teile der Ver¬
letzungen kaum zu umgehen. Bei glattrandigen Hautver¬
letzungen hat sich die Wundnaht mannigfach bewährt: die
geschlossene Haut stellt den besten Schutz gegen das Ein¬
dringen von Eitererregern dar. Besonders bei Verletzungen
der Gesichtsteile ist sie nützlich.
Gelegentliche Luftröhrenschnitte, Harnröhrenschnitte, Ge-
fässunterbindungen sind ohne Zögern auszuführen. Die Pro¬
gnose primär vorgenommener Sehnen- und Nervennähte ist
so viel besser, als die bei sekundärer Naht, dass auch diese
Operationen, wenn eben möglich, primär auf dem Gefechts¬
verbandplatz zu erledigen sind.
Im Gegensatz zum Landkrieg ist die sofortige Ent¬
fernung der Fremdkörper anzuraten. Auf dem
schon im Frieden hergerichteten Gefechtsverbandplatz ist die
Asepsis besser gewährleistet, als im Feldlazarett. Da Schuss¬
kanäle durchaus selten sind und die Tiefe der Wunde im Ver¬
hältnis- zum Durchmesser der Einschussöffnung gering ist, ist
die Technik der Fremdkörperentfermmg bei der Seekriegs-
verletzung einfacher als das Land. Durchschneidung undurch-
trennter Gewebsschichten wird dabei seltener in Betracht
kommen. Aber auch das Bedürfnis zur Entfernung des
Fremdkörpers ist bei der Seekriegsverletzung ungleich
grösser. Zunächst neigt die stärker gequetschte Seekriegs¬
verletzung mehr zur Eiterung, vermag also den Schädigungen
des Fremdkörpers weniger Widerstand entgegenzusetzen.
Dann aber auch ist das steckende Geschoss meist ein Granat¬
splitter oder ein losgerissenes Metallstück des Schiffskörpers.
Beiden ist im Gegensatz zum häufigsten Geschoss des Land¬
krieges eine zackige, buchtige, unregelmässige Form eigen.
Aber gerade von unregelmässig gestalteten Fremdkörpern im
Gewebe gehen die grösseren Gefahren aus. Endlich reisst
das Geschoss gerade wegen seiner Zacken und Unregel¬
mässigkeiten vielfach Teile der Kleidung mit in die Tiefe.
Wurden doch von den Japanern alle Lagen der die Schuss¬
verletzung bedeckenden Kleider in regelrechter Reihenfolge
unter dem Geschoss in der Tiefe der Wunde wieder entdeckt.
Dass aber Zeugfetzen als Fremdkörper in den Geweben un¬
günstiger wirken als Geschossteile, ist durch die Erfahrung
erwiesen. Aus allen diesen Gründen ist die primäre Ent¬
fernung von Fremdkörpern bei der Seekriegsverletzung nütz¬
lich. Natürlich ist es nicht gestattet, auf das Suchen nach
Fremdkörpern übermässig viel Zeit zu verwenden. Bringt
der scharfe Haken ohne Anwendung des Messers den Fremd¬
körper nicht zu Gesicht, so darf auf weiteres Suchen füglich
verzichtet werden. Seine Entfernung, erleichtert durch die
Anwendung von Röntgenbildern, ist dann einer späteren Zeit,
in der die Arbeit weniger drängt, zu überlassen.
Aus diesen grundlegenden Unterschieden in der Ver-
letztenversorgung an Bord und am Lande die Schlussfolge¬
rungen im einzelnen zu ziehen, erübrigt sich. Sie werden er¬
leichtert durch die klare Einsicht, wo bewusst von dem fest¬
gefügten und erprobten Gebäude der Verletztenversorgung
am Lande abgewichen werden muss.
Orientierungskurse für freiwillige Kriegsärzte in Berlin.
Berichterstatter: L)r. M. S c h w a b - Berlin-Wilmersdorf.
Es finden zurzeit, veranstaltet vom Zentralkomitee für das ärzt-'
liehe Fortbildungswesen in Preussen unter Förderung des Krieg.-,-
ministeriums, im Kaiserin-Friedrich-Hause zu Berlin Kurse für frei¬
willige Kriegsärzte statt. Der erste Kurs dauerte vom 17. bb>
20. August 1914, die übrigen werden für diejenigen Aerzte, die der;
zahlreichen Meldungen wegen erst der Reihe nach berücksichtigt:
werden konnten, in weiterer Folge mit dem gleichen Programm ab¬
gehalten.
Der erste Abend wurde durch eine Einleitungsrede des Gen.-
Arztes Dr. P a a 1 z o w, Chefs der Medizinalabteilung des Kriegs¬
ministeriums, eröffnet, in welcher derselbe die Bereitwilligkeit der
deutschen Aerzteschaft, die auch ohne Dienstpflicht sich in so grosser:
Zahl der Heeresbehörde zur Verfügung gestellt habe, mit -warmer
Worten des Dankes anerkannte, sodann eine Uebersicht des Pro¬
gramms, das in schulmässiger Weise mit der Anatomie, der Zu¬
sammensetzung des Heereskörpers und des Sanitätskorps beginne,
um dann auf die Physiologie und Pathologie überzugehen, gab, daraui
dem Gedächtnis des grossen Kriegschirurgen Ernst v. Bergmann
verehrungsvolle Worte der Pietät widmete und dessen Wort: .Nur
nicht müde werden!“ der Aerzteschaft als die augenblicklich gegebene
Devise in die Erinnerung rief.
Danach wurden die eigentlichen Vorträge, anhebend mit der
„Anatomie“, gehalten:
1. Dr. Holzhauer, Stabsarzt an der Kaiser-Wilhelms-
Akademie:
1. Organisation der Armee mit besonderer Berücksichtigung der
Organisation des Sanitätskorps.
a) Personal: Chef des gesamten Sanitätswesens im Kriege
ist der Generalstabsarzt der Armee, im Kriege „Chef des Feld-
sanitätswesens“ genannt; er befindet sich im grossen Haupt¬
quartier.
Das Heer zerfällt in mehrere Armeen, jede mit einem Armee¬
arzt an der Spitze. Jede Armee hat mehrere Armeekorps, jedes mit
einem Korpsarzt an der Spitze, dem ein beratender Chi¬
rurg und ein beratender Hygieniker zur Seite stehen
Jedes Armeekorps hat mehrere Divisionsärzte; jede Division
ihre Regimentsärzte usw.
Jedes Armeekorps hat 3 Sanitätskompagnien, die mit der fechten¬
den Truppe marschieren und aus ca. 200 bis 220 Krankenträgern
und einem Assistenzarzt bestehend, von einem Rittmeister befehligt
werden. Ausserdem Hilfskrankenträger, Sanitäts-j
man lisch aften etc. bei den verschiedenen Sanitätsformationen
b) Material: Jeder Soldat hat sein Verbandpäckchen; jeder
Sanitätsoffizier seine Instrumententasche; die Sanitätsmannschaftci
tragen Sanitätstaschen, Labeflaschen und Sanitätsverbandzeug; jedes!
Infanteriebataillon hat einen Infanteriesanitätswagen, in dem wollene!
Leibbinden, Krankendecken, Labcflaschen, Sanitätstaschen, Kranken¬
tragen und das Truppenbesteck mitgeführt werden; in ähnlicher Weise
haben die analogen und die grösseren Heeresformationen ihre Satii-
täts-, Vorrats-, Gerätewagen.
2. Heeressanitätsdienst.
A. Im Gefecht:
a) Truppenverbandplatz: Zur allerersten Versorgung der Vcr-!
wundeten.
b) Hauptverbandplatz: Mit verschiedenen Abteilungen (Ernp-
fangsabteilung, Verbandabteilung, Warteplatz, Kochplatz.
Platz für Sterbende, Platz für Tote usw.); hier Sortierung
der Verwundeten in marsch fähige, transport¬
fähige und nichttransportfähige Verwundete
mit Hilfe von Wundtäfelchen (weisse Papptafcln mit 2 afn
trennbaren roten Längsstreifen): Nichttransportfähige er¬
halten ein Wundtäfelchen mit den 2 roten Streifen: Trans¬
portfähige ein solches, von dem ein roter Streifen abgetrennt
ist, also ein Täfelchen mit 1 roten Streifen, und Marschfähige
ein weisses Täfelchen ohne roten Streifen.
c) Feldlazarett: Pro Armeekorps 12, jedes für 200 Kranke ein¬
gerichtet, zur Pflege der nicht marschfähigen Verwundeten
d) Sanitätsstaffel: Zur Versorgung der Verwundeten in und
nach dem Gefecht.
e) Leich tvcrwundctcn-Sammelplatz.
B. Im Etappengebiet (Etappe ist das Bindeglied zwischen
Heimat und Armee zum Nach- und Rückschub von Personal und Ma¬
terial): jede Armee hat eine besondere Etappeninspektion mit einem
Etappeninspekteur und einem Etappenarzt an der Spitze; letzterem
steht ein beratender Hygieniker zur Seite; zur Unterstützung des
Etappenarztes dient ein Kriegslazarettdircktor. Die Lazarette der
Etappe heissen K r i e g s 1 a z a r e 1 1 e, wenn sic aus Feldlazaretten
. September 1914.
Peldärztlidic Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
1-893
Der Nachschub von Material zum Heere
tsdepot, den Sanitätsdepots usw.
C. Im Heimatgebiet befinden
zaretten, die im Kriege Reserve
:dere Reservelazarette.
II. Dr. Neu mann, Stabsarzt in der Medizinalabteilung des
iegsministeriums:
sich
a z a
ausser
rette
den Garnisons¬
heissen, noch
3. Verwendung des nichtdienstpflichtigen Zivilarztes im Dienste
r Armee, sein persönliches Verhalten und Ratschläge für seine Aus-
stung.
Der nichtdienstpflichtige Zivilarzt kann verwendet werden bei
n Ersatztruppen, Reservelazaretten, Kriegslazarettabteilungen,
appenlazaretten. Er erhält Gebührnisse, je nach dem Rang 9 15
. 21 M. innerhalb des Wohnortes; 12, 18, 21, 24 M. ausserhalb.’ Er
tt in ein vertragliches Verhältnis in i t der Heeresbehörde. Seine
isrüstung besteht atn besten aus einer geeigneten Uniform, den
listigen nötigsten Bekleidungsstücken und einer Verbandtaschc.
Aus den Zivilärzten werden auch die beratenden Chirurgen und
gieniker entnommen, die aber militärischen Rang haben. Ferner
nnen ehemalige Sanitätsoffiziere reaktiviert werden und Studen-
i der Medizin vom 7. Semester ab als Feldunterärzte angenommen
:rden.
III. Dr. Holzhäuer, Stabsarzt an der Kaiser- Wilhelms-Aka-
ime: Dm freiwillige Krankenpflege und ihre Verwendung im Kriege.
Nicht jeder ist zur freiwilligen Krankenpflege berechtigt, sondern
r die Deutschen Vereine vom Roten Kreuz, die Ritterorden und
sondere Vereinigungen, die vom Kriegsministerium die Erlaubnis
ulten haben. Die freiwillige Krankenpflege wird vollständig und
allen Teilen von der Militärbehörde geleitet und organisiert. Nur
Eintritt des einzelnen ist freiwillig, der Dienst dann aber nicht.
■ Angehörigen der freiwilligen Krankenpflege unterstehen der Dis-
linargewalt (leichter Verweis, strenger Verweis, Entfernung) und
relde den Kriegsgesetzen.
Aufgabe der freiwilligen Krankenpflege: Krankenpflege, Kranken¬
nsport und Depotdienst, vorwiegend im Etappengebiet; im spe-
Hen: Vermehrung des Pflege-, Transport- und Verwaltungspgrso-
s; Einrichtung von Krankenstellen, Erfrischungsstellen; Aufstellung
i Lazarett- etc. Zügen; Bereitstellung von kaufmännischem Per-
»al; Uebernahme des Verwaltungs- und Schreibdienstes in den
Baretten usw.; Dienst in den Nachweisebureaus.
Dies erfordert eine straffe Organisation: An der Spitze steht der
serhehe Kommissar und Militärinspekteur der freiwilligen Kran-
ipflege, der sich im grossen Hauptquartier befindet. Seine Unter-
ane sind die Delegierten (Etappendelegierte, Delegierte bei der
; inKentransportabteilung, Territorial-, Festungs-Reservelazarett-
legierte u. a. m.).
Personal im einzelnen: Lazaretttrupp (Pfleger, Pflegerinnen,
■ he, Köchinnen) zum Dienst im Bereich der Kriegslazarettabtei-
•ten; Iransporttrupp (112 Krankenträger); Begleittrupp; Depot-
; tp.
Im Heimatgebiet ähnliche Formationen; hier ausserdem Errich-
tg besonderer Lazarette, „Vereinslazarette“ (von mindestens
Betten) und von Privatpflegestätten.
!}.■ Dr. v- Oettingen: Allgemeine Gesichtspunkte für
chirurgische Tätigkeit in Front, Etappe und Heimat.
Der mit Erfahrungen aus 3 grossen modernen Feldzügen aus-
.attete Kriegschirurg des russisch-japanischen, serbisch-türkischen
serbisch-bulgarischen Krieges gab in fesselnder Darstellung einen
iss der modernen Kriegschirurgie, nachdem er einen kurzen histo-
nen Rückblick auf die Entwicklung derselben geworfen hatte,
das Resultat der letzteren will er die Verwirklichung des Satzes
E. v. Bergmann: „Ich wünsche im Felde keine Freiheit der
andlung, das Individualisieren hat hier der Schablone zu weichen“,
estrebt sehen.
Es folgt eine gedrängte Uebersicht der Wirkung der Waffen im
• ^eu^rwaffcn : a) Handfeuerwaffen, b) (jeschütze (Granaten
Schrapnells), 2. kalte Waffen (Säbel, Bajonett etc.) und eine
'zierung der Schussverletzungen des menschlichen Körpers und
1 r Folgen.
Die Frage : „ W as entscheidet das Schicksal eines
jrwundeten?“ ist nicht dahin zu beantworten, dass dies der
Cr u ™ se‘ (was höchstens für die Extremitäten gilt), sondern
JDgesehen von der Wichtigkeit des getroffenen Organs und der
were der Verletzung — die Tatsache, ob eine Infektion ein-
oüer nicht. Dabei ist der Begriff der Infektion nicht im patho-
wn-hakteriologischen Sinne aufzufassen (jede Wunde enthält
ne, jedoch wird bei nicht zu grosser Zahl und Virulenz derselben
^nwehrkraft des Organismus häufig anstandslos mit ihnen fertig),
lern im klinischen Sinne. Man kann 3 Arten der Infektion unter¬
en. a) Infektion eo ipso, wenn z. B. infiziertes Material (z. B.
Holzsplitter, Kleidungsstücke etc.) mit dem Geschoss in die Wunde
hineingetrieben wird; b) primäre; c) sekundäre Infektion. Letztere
wud hervorgerufen durch fehlerhafte Massnahmen (Sondieren,
1 amponade, Waschen und Spülen der Wunde oder ihrer Umgebung,
lockere Verbände, die sich dann verschieben, nichtsterilisierte Ver¬
bandstoffe, Schwächung der Körperkräfte durch Anwendung starker
Antiseptika, Mangel der Fixation, Anfassen der Wunde mit den Fin¬
gern etc.) und durch Nichtverbinden der Wunden.
Die Infektion zeigt sich in 4 Formen:
a) örtliche Reizung (Therapie: Suspension),
b) Phlegmone,
c) Abszess (vereitertes Hämatom oder Fremdkörperabszess),
dl Verhaltung, akut oder chronisch.
Dazu kommt noch die allgemeine Infektion (Sepsis, Pyämie) und
die spezifische (Erysipel, Pyozyaneus, Tetanus, Gasphlegmone etc.).
Grundsätze der Therapie: In der Front und auf der
Etappe tritt neben der Anlegung des Verbandes und der Fixation die
zweckmässige Organisation der Beförderung (Evakua-
tion) in den Vordergrund des Handelns.
,, Als Verbände kommen in Betracht: a) Notverband,
■U ausc‘lv.erband, c) Dauerverband, die sich nicht nach der Art
ihres Materials, sondern nach der Zeit, die sie liegen bleiben können
und sollen, unterscheiden.
P'e Fixation wird in 4 Arten, je nach der Verletzung einzeln
für sich oder in variabler Kombination miteinander angewandt, aus-
geführt:
a) Fixation der Bakterien in der Wundumgebung und der Ver¬
bandstoffe (hier verwirft Oe. die Jodtinktur aus verschiedenen
Gründen, sondern empfiehlt klebende Stoffe, schon deshalb,
■ weil diese die Bakterien und die Verbandstoffe zugleich
fixieren).
b) Fixation der Blutung: Unterbindung, Druckverband; selten
Tamponade und Druckverband notwendig.
c) Fixation der Knochen: Schienenverbände, Gipsverband, Exten¬
sionsverbände.
d) Fixation des Verwundeten an sein Lager: am besten so, dass
der Verletzte bis zu seiner Genesung die erste Trage, auf die
er gebettet wurde, nicht zu verlassen braucht.
Die Beförderung erfolgt zu Fuss, auf der Trage, mittels
Wagens.
Dies sind die Richtlinien für das Verhalten des Arztes in
der Front und in der Etappe; erst in der Heimat kommt die grosse
Chirurgie in wesentlicheren Betracht.
Eine Reihe von instruktiven Biidern erläuterte diese Auseinander¬
setzungen^ und gab Gelegenheit, auch über die spezielle Kriegs¬
chirurgie Einzelheiten einzuflechten, wovon hier nur betreffs Indikation
zur Amputation erwähnt werden möge, dass dieselbe viel seltener
als früher gegeben und nicht von der Ausdehnung oder gar von dem
Vorhandensein einer Verletzung der Knochen, sondern von der Ver¬
letzung der Weichteile und der grossen Gefässe (auch bei Nicht¬
bestehen einer Knochenläsion) abhängig ist.
(Schluss folgt.)
Referate.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Aus Nr. 33, 1914.
A. N e i s s e r - Breslau. Venerische Krankheiten bei den im Felde
stehenden Truppen.
Die Frage, ob eine Allgemeinbehandlung der Syphilis beim
marschierenden und im Felddienst stehenden Soldaten durchführbar
ist, wird vom Verf. unbedingt bejaht. Für die Quecksilber-
*,.,0 1,u^s emPfielllt sich Oleum cinereum (Merginol, Engelsapo-
theke Breslau), wöchentlich einmal Vio bis höchstens 14 ccm injiziert
Maximaldosis Hg wöchentlich 0,14 g, Gesamtdosis für die Kur 0,7 g.
icfe subkutane Injektionen oben aussen in der Glutäalgegend sind
so gut wie schmerzlos und hindern nicht beim Marschieren und Rei¬
ten. Mundpflege! Wichtiger und wirksamer ist das Neosalvarsan,
am besten in der bei guter I echnik absolut schmerzlosen intravenösen
Injektion (Lösung in 6—10 ccm möglichst sorgfältig und frisch ab¬
gekochten (destillierten) Wassers, 1. Injektion 0,4 g, 2. Injektion nach
8—10 lagen 0,6 g, 4. und 5. Injektion in 8 tägigen Abständen 0,9 g.
riir eventuelle tief subkutane Injektionen (auf die Faszie, nicht
intermuskulär), welche aber oft recht schmerzen, wäre die Joha-Salbe
am besten. Immer ist die Quecksilber- und Salvarsanbehandlung zu
kombinieren, die Injektionen lassen sich an demselben Tag machen.
Die Behandlung ist möglichst früh zu beginnen, sowie eine auch nur
verdächtige Ulzeration vorhanden ist.
Ulcera mollia sind mit unverdünnter Karbolsäure ge-
nauestens auszuwischen, darauf lOproz. Jodoformvaseline oder Ung.
Zinci mit 20 Proz. Perubalsam zu geben. Erweichende Bubonen wer¬
den inzidiert, die Höhle mit lOproz. Jodvaseline ausgefüllt und letz¬
teres durch ein Pflaster in der Höhle festgehalten.
Die Gonorrhöe ist am beschwerlichsten. Bei stärkerer Ent¬
zündung möglichst absolute Ruhe. Für eine Abortivbehandlung dient
die tägliche vorsichtige Injektion (durch den Arzt vorzunehmen) einer
4 proz. Protargollösung mit Zusatz von 2 Proz. Al.vpin resp. 5 Proz
Antipyrin. Sonst sind täglich 2 mal Injektionen von K— 'A proz. Pro-
1894
Nr. 35.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
targollösung mit A proz. Alypin- oder 3 proz. Antipyrinzusatz zu
machen, 20 Minuten in der Harnröhre zu halten. Suspensorium nach
N e i s s e r aus obengenannter Apotheke.
Zur Abortivbehandlung ist auch zu empfehlen die täglich zwei¬
malige Einspritzung der vorher zu erwärmenden Novinjectol-
Salbe (event. aus genannter Apotheke) (Protargol_ 6,0, Aqu. dest.
24,0, Alypin 2,0, Eucain. anhydr., Adip. lan. anhydr. ää 35,0); die ein¬
zuspritzende Menge beträgt 6—10 ccm, und soll durch einen guten
Verband 8—10 Stunden in der Harnröhre gehalten werden. Gelingt
dies, so lässt sich in den allermeisten Fällen die Gonorrhöe mit
1 — 2 Einspritzungen definitiv heilen.
Zur Verhütung von Komplikationen dienen Gonosan und ähnliche
Balsamika; die Gonokokkenvakzine hat keinen prophylaktischen
Wert, leistet aber bei Epididymitis und Arthritis sehr Gutes.
Unter den Massnahmen zur Verhütung von Geschlechtskrank¬
heiten (z. B. Einfettung der Genitalien beim Mann und Weib) emp¬
fiehlt Verf. da, wo sich Prostitutionsherde bilden, grundsätzlich die
präventive bzw. abortive Behandlung jeder Prostituierten mit Sal-
varsan. Bgt.
Zentralblatt für Chirurgie. Aus Nr. 31, 1914.
Dr. E. A. L ii k e n - Leipzig: Ueber Trikotschlauch-Mastisol-
Extensionsverbände.
An der Leipziger Klinik werden fast alle Frakturen an den Ex¬
tremitäten mit Trikotschlauch und' Mastisol extendiert. Die einfache
Technik gestaltet sich folgendermassen: man bestreicht den Teil der
Extremitäten, an dem der Verband angelegt werden soll, ganz dünn
(um Ekzem zu vermeiden) mit Mastisol und lässt es 1 Minute
trocknen; über den mit Mastisol bestrichenen Teil zieht man den
Trikotschlauch, der sofort fest haftet und belastet werden kann; für
Streckverbände bei Eingerbrüchen nimmt Verf. die Fingerlinge von
Trikothandschuhen. An der Hand von 7 Skizzen ist die Technik der
Verbandanlegung bei den verschiedenen Frakturen an den Extremi¬
täten erläutert. Die Vorteile dieser Form von Extension liegen darin,
dass 1. der Verband auch da angelegt werden kann, wo wegen zu
kurzer Angriffsfläche ein Heftpflasterverband nicht möglich ist, 2. dass
er einen steten, vollkommenen Ueberblick über die Stellung der
Extremität gestattet, 3. dass durch die zirkuläre Anlegung eine Re¬
traktion der Muskeln sicherer vermieden wird, 4. dass er reizlos und
gefahrlos ist.
Kleine Mitteilungen.
Die französische Kriegskrankenpflege.
Nach einem Aufsatz von Stabsarzt Dr. Adam in Köln
(D.m.W. Nr. 32).
I. Personal.
Die gesamte technische Leitung des Feldsanitätsdienstes ist den
Militärärzten übertragen. Diese sind Offiziere und bekleiden in den
höchsten Stellen (Armeeärzte) den höchsten vorhandenen militäri¬
schen Rang eines Divisionsgenerals. Ihnen unterstehen die pharma¬
zeutischen Offiziere (Apotheker) und Verwaltungsoffiziere (Inspek¬
toren). Ausserdem gehören zum Sanitätspersonal die Unterärzte
(teilweise Studenten der Medizin), die Krankenpfleger (infirmiers),
welche den deutschen Sanitätsmannschaften und Krankenwärtern ent¬
sprechen, und die Krankenträger (brancardiers).
Im Etappen- und Heimatgebiet wird der Sanitätsdienst haupt¬
sächlich durch die neuerdings mehr zentral organisierte freiwillige
Krankenpflege (ein Männer- und zwei Frauenvereipe vom Roten
Kreuz) versehen.
II. Material.
Soweit das Sanitätsmaterial nicht offen (Krankentragen, Zelte)
transportiert wird, ist es gruppenweise je nach dem Zweck in Körben
(Nr 1 — 15), Kasten (Nr. 1 — 5) und Ballen (Nr. 1 — 8) verpackt, weniger
zur möglichsten Rauinausniitzung als zur raschen und bequemen
Verwendung.
Das Verbandzeug hat grösstenteils die Form fertiger trockener
und aufsaugender Schnellverbände, welche in den meisten Fällen
auf die unberührte Wunde ohne wesentliche Reinigung der Haut
(event. nach Abschneiden der Haare) gelegt werden sollen und über
welche zum Schutz die vorher aufgeschnittenen Kleider wieder zu¬
sammengelegt werden. Bei dem genannten fertigen Verbandzeug
hat man wie in Deutschland den Grundsatz der Aseptik angenommen
und von antiseptischer Imprägnierung abgesehen. Es sind drei Mo¬
delle von verschiedener Grösse eingeführt worden, wovon das grösste
für grosse Wunden, hauptsächlich des Rumpfes dienen soll. Die Be¬
standteile sind Mull, Watte und Binden (Nadeln sind entbehrlich),
die Hülle soll annähernd wasserdicht sein, Pergament oder Leinen
(event. imprägniert). Die Packung ist zylindrisch oder kantig; von
einer Pressung wird zur Erhaltung der Aufsaugefähigkeit abgesehen.
Zu den fertigen Verbänden rechnet auch das jedem Angehörigen der
Armee zugeteilte Verbandpäckchen.
Bei den Arzneimitteln ist wie in Deutschland auf möglichst kom-
pendiöse Form und Einschränkung der Flüssigkeitsmengen geachtet.
Chloroform und Chloräthyl in Röhren von 30 bzw. 15 g. Ampullen;
Kokain ä 0,0025 und 0,005 g, Aether, Strychin sulf., Atropin, Koffein.
Morphium (0,01 g). Tabletten: Antipyrin, Chinin, Opium, Kalomel.
Sulfonal, Hydrarg. oxycyan. Jodtinktur wird in Lösung mitgeführt.
In dem auf je ein Bataillon, Pionierkompagnie, fahrende Ab
teilung treffenden IVA kg schweren Sanitätstornister findet sich
neben einigem Verbandzeug und Arzneien eine Rolle zur Wieder¬
belebung, enthaltend einen Flanellmantel, zwei Fausthandschuhe zum
Frottieren und eine Reibebürste, dazu die Gebrauchsanweisung. Zum
Material für Fixationsverbände gehören auch Knochenbruchbinden
(Drillichbänder mit Schnallen) zum Befestigen der Schienen.
III. Organisation.
A. Im militärischen Operationsgebiet.
a) Truppensanitätsdienst.
Das Truppensanitätspersonal teilt sich in zwei Hälften, von denen1
die eine in der Feuerlinie und bei den angesammelten „Verwuudeten-
nestern“ die erste Hilfe leistet, die andere Hälfte den Truppen¬
verbandplatz (poste de secours) einrichtet, der ausserhalb dev
Gewehrteuerbereiches gelegen sein soll.
b) Feldsanitätsformationen.
1. Die Krankenträgerkompagnien (groupes de bran¬
cardiers) zu 213—318 Mann, je eine bei jeder Division, haber
hauptsächlich die Verwundeten zu sammeln und nach rückwärts zu
schaffen. Line solche Kompagnie, welcher eine Abteilung für Hygiene.-
und Desinfektion (section d’hygiene et de prophylaxie) beigegeben
ist, steht ausserdem noch zur Verfügung eines jeden Armeekorps.
2. Die Ambulanzen (60 MannJ richten die Hauptver¬
bandplätze ein und pflegen die Verwundeten bis zu ihrer Rück¬
kehr zur t ruppe oder ihrer Weitergabe an die Etappen.
3. Lazarettgerätetrupps (sections d’hospitalisation)
(7 — 8 Mann); diese führen auch das nötige Lazarettmaterial mit sich,
um die Ambulanzen event. auch als Feldlazarette auszustatten.
Jedes Armeekorps hat für jede Division 4 Ambulanzen und
3 Lazarettgerätetrupps zur Verfügung, die nach Bedarf abgegeben
und sofort aus dem Etappengebiet durch neue verwendungsbereite
Formationen ersetzt werden.
4. Bei jedem Armeekorps besorgt eine Sanitätskraftfahr¬
abteilung (section sanitaire automobile) die tägliche Kranken¬
abfuhr.
B. Im Etappengebiet.
1. Die Evakuationslazarette (höpitaux d'evacuation)
(66 Mann), von denen eines auf jedes Armeekorps trifft
übernehmen, sondern und verpflegen die Verwundeten und geben sit
nach der Heimat ab; hierfür stehen jedem dieser Lazarette viel
planmässige Hilfslazarettzüge zur Verfügung.
2. Bei jedem Armeekorps acht Etappenambulanzen unc
sechs Etappenlazarettgerätetrupps in der unter b 3 angegebenen Zu¬
sammensetzung.
3. Krankenstuben längs der Eisenbahn-, Land- oder
Wasseretappenlinien dienen zur Versorgung, und Erfrischung der
durchkommenden Kranken.
4. Immobilisierte Ambulanzen und Lazarett-1
gerätetrupps, event. als Seuchenlazarette verwendbar.
5. Ständige oder neuerrichtete Krankenanstalten im be¬
setzten Gebiet.
6. Spitäler der freiwilligen Krankenpflege.
7. Genesungsabteilungen
8. Die Sanitätspersonal- und Materialreserve der
Armee. Zur Sanitätspersonalreserve zählen auch die beratender,
Aerzte, Hygieniker und Chirurgen.
9. Sanitätsabteilungen der Sammelstationei
versorgen die genannte Sanitätsmaterialreserve (Ziff. 8) und haber
für jedes Armeekorps eine Sammeleinheit (unite collective), weicht
sowohl für ganze Sanitätsformationen, als auch für Teilausrüstunger
das Material bereithalten.
Aus den Materialübersichten seien hier nur einige kürzere Pro¬
ben wiedergegeben.
Korb 6 („Passe-partout“), 26 kg schwer, enthält: 1 Operations¬
besteck, 1 Injektionsspritze, 3 Druckbinden, 2 Fiebermesser, 3 Ver¬
bandschalen, 1 Operationsleuchter, 1 Spirituslampe, 2 Operations¬
mäntel, 2 dreieckige Tücher, 12 Knochenbruchbinden, 2 Bürsten zur
Aseptik, Yi kg Seife, 1 Röhrchen Nähseide, 2 m Drain, 10 Gazebinden
50 Mullkompressen, 10 Tupfer, 500 g gewöhnliche Watte, 250 g ent¬
fettete Watte, 50 Verbandpäckchen; 10 Kokain-, 10 Koffein-, 10 Mor
phiumampullen; in Tabletten 50 g Chinin, 100 g Opium, 200 g Queck
silberoxyzyanid. 120 g Chloroform, 60 g Chloräthyl, 150 g Wismut
nitrat, 600 g Natriumsulfat, 200 g Weingeist, 100 g Melissengeist
40 g Ipekakuanha, 400 g Jodtinktur, 50 g Vaseline, Schreibmaterajien
Kasten 13, 76 kg schwer, enthält an Desinfektionsmitteln: 5 kg
Kresol, 25 kg Kupfersulfat, 5 kg Formaldehyd, 1 kg Kal. hypermang
1 kg Schmierseife, 15 kg Schwefel in Stangen.
Kasten 15, 62 kg schwer, enthält 100 Büchsen Formalinpastillen
Ballen 1, 12 kg schwer, enthält Drahtschienen.
Von Korb 6 befinden sich beispielsweise sechs, von Kasten 1
drei, von Kasten 15 zwei, von Ballen 1 ein Stück bei der Ergänzungs¬
ausrüstung eines Armeekorps. Bgt.
1. September 191*4.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. ined. Wochensch, if t.
1895
Heilig sind die Frauen!
Von ür. Max Nassauer in München.
1.
Heilig sind die schwangeren Frauen!
f.° i(:b ^iesen Tagen eine schwangere Frau sehe, kommt
mr die alte jüdische Sitte vor Augen:
Alt und Jung lässt die schwangere Frau vorausgehen und
rweist ihr die Ehren einer Königin, einer Heiligen: „Vieleicht trägt
ie den Messias, den Erlöser, unter dem Herzen'"
So oft ich eine schwangere Frau sehe in diesen Tagen, denke ich
n den ungeborenen Messias, an den Heiland, an den Erlöser der
eran wachst unter den Herzen der deutschen Frauen: An die Zu-
.uift an die Macht und Herrlichkeit der deutschen Zukunft die
ie Welt erlösen soll von Hinterlist und Tücke!
Heilig sind die schwangeren Frauen!
2.
Heilig ist die Frau, die seit sieben Jahren kinderlos in ihrer Ehe
bte und die heute zum Arzte kommt: „Mein Mann zieht dieser Tage
nt hinaus in den Krieg. Sieben Jahre sind wir verheiratet. Wir
aben kein Kind. Ich hätte wohl schon früher kommen sollen...“
Nun w ul sie von ihrem Manne ein Kind hinterlassen haben und
’ lhm bewahren und behüten mit all ihrer Liebe, und will es ihm
ltgegenstrecken, wenn er wieder kommt ... und die Frau unter-
eht sich sofort einem schmerzhaften Eingriff, um heute noch unter
chmerzen das Kind zu empfangen von dem Manne, der hinauszieht
den Kampf
Heilig ist die deutsche Frau!
3.
Heilig ist die schwangere Frau!
Die schwangere Frau, die stündlich ihrer Entbindung entgegen-
j1, !”(.er ers*ei] Entbindung, schleppt mühsam ihren schweren Leib
i der Sommerglut dieser Augusttage in das Zimmei des Arztes-
lerr Uoktor, in 5 Tagen muss mein Mann fort ins Feld. Ich komme
shalb zu Ihnen damit er nichts davon erfährt: ich flehe Sie an
hrnen Sie mir das Kind künstlich, vorher, schon jetzt, heute, da-
1 1 . n|ieineni Manne noch zeigen kann, ehe er weggeht Damit
sein Kind noch gesehen hat, ehe er ins Feld zieht ... machen Sie
len Eingriff, eine künstliche Geburt, ich bitte Sie, ich flehe Sie
Und sie erhebt bittend die Hände, ihre Wangen glühen, und von
ein schweren Leib strömt die Glut der Mutterschaft aus, wie von
r fruchtschwangeren Erde...
,Xiebe Frau, das würde eine sehr schwere Operation sein und
ie Gefahr für Sie, eine Lebensgefahr ... es ist ja nur noch ganz
rze Zeit bis zur Geburt ..."
Sie aber erwidert leidenschaftlich: „Wenn es keine Gefahr für
■s Kind bedeutet, tun Sie es, Herr Doktor, tun Sie es, ich will
i mein Manne noch das Kind schenken ... er soll es noch sehen
i wie haben wir uns gefreut...“
Wahrend das Herz des Arztes bebt, spricht sein Mund mit
i uger zuversichtlicher Stimme: „Liebe Frau, Sie werden Ihrem
i.me das Kind entgegenstrecken, wenn er zurückkommt. Zeigen
mm jetzt eine heitere Miene und sagen Sie ihm mit Zuversicht,
■>s bie ihm das Kind behüten werden und ihm in den Arm legen
' rden, wenn er zurückkommt...“
nmt1 m“rmelt sie: ”Ja’ wenn er zurückkommt! Wenn er zuriiek-
Heilig ist die schwangere Frau!
4.
Heilig ist die Mutter!
Unter der. qualvollsten Schmerzen liegt die Frau in Wehen, um
Kind zu gebaren.
Cc ^raSSe Junten der Lärm der aufgeregten Menge, der
n»!! u Soldaten, die heute am ersten Tage hinausziehen ... der
i un.d gebende Gesang der begleitenden Bevölkerung
dazwischen der Klageruf der gebärenden Frau.
er junge Ehemann steht bleich am Bette seines gebärenden
mes. das sich in Schmerzen windet. Sein Herz steht fast still
ii Anblick dieses Jammers ... und jetzt der Jubelruf der jungen
u, nach ddn letzten Schmerz ... das Kind ist geboren, das erste
d,HldS'rhei‘SSursehl]te. • • • Vnd der Jubelruf wird iibertönt vom Klin-
oes I elephons drüben im anderen Zimmer.
ai#.ernEbe™a"n , gebt ans Telephon, während die junge Mutter
d!.as Kind, hörst Du, das Kind, mein Kind ... unser Kind
- n Mädchen . . Mann, Schatz, hörst Du, wir haben ein Kind . . .“
uer junge Mann kommt zurück, bleich, fahl und sieht das Kind
nerzverzerrt lächelnd an und spricht nichts.
Da weint die junge Mutter laut: „Verzeih, verzeih, lieber Mann,
> es ein Mädchen ist ... ich weiss, Du wolltest einen Buben
• freu ’ Dich dochZei'“daSS CS e‘n Mädchen ist und freu I)ich doch
■ ,?Är ™Vrmelt: ..Ich freue mich ja, mein Kind, ich freue mich
p doch nicht so töricht ... wie ich mich freue . . .“
,uCr oeuKt sich auf die junge Mutter und das Kind und küsst
neri sehe ,lfgt den *n den Kissen, damit man nicht seine
müsse 7ns1 FplHh hh * ,tlTn gesagt dass er morgen einrücken
v H Feld, sehr weit weg, an die Front ... und alles muss er
verlassen, das Weib, das Kind ...
Und draussen sagt er zum Arzt: „Das Kind, das Mädchen muss
lüimn? ne[nmal ‘n ?Cn Krieg ich aber zie,ie nun’ gerne
Hinaus, bald komme ich wieder!“
Heilig ist die Mutter!
ö.
Bl.it Mn be*igen Mütter, Ihr Frauen der Millionen Männer, die ihr
hr 777 tr^KCn aufs Sch|achtfeld, das Vaterland zu verteidigen
BlutÄ? ™rtn' Unter Eurcm Herzen «Priesst schon das junge
Sehe^ und E^h mrap’0Kn 1 B!Ut der Kinder- deren Väter Uinaus-
das 7777^ h- 9 tr,be bmterlassen haben, das Ihr behütet, und
das erstarken wird, um d a s zu geniessen, was ihre Väter ihnen be-
Gütern*1 und sÄl““ “nd heil,s:e Va,"la”d
die ihurkunK'Den„SiandSThrt d“ Q“‘ “*"" E“rem Herzcn! Wa,"-t
HpilIb7,Man"er beugt das Knie vor den heiligen
deutschen Frauen und lasst sie voran gehen wie
eme Königin, eine Heilige: Unter ihrem Herren
reift heran der Erlöser für Deutschlands Glück'
Heilig sind die Frauen! u'
Der Alkohol in der Kriegssanitätsordnung.
4,6-„ Der Alkoho1 wirkt zwar anfangs belebend, beim Ge¬
nüsse grosserer Mengen aber bald erschlaffend. Die Erfahrung lehrt
stdmn ntha tSamC Sodaten den Kriegsstrapazen am besten wider-
i ^ , Aucb v,erfübrt Alkoholgenuss leicht zu Unmässigkeiten und zur
Lockerung der Mannszucht. ur
Alkoholische Getränke sind daher nur mit grösster Vorsicht zu
gewahren und auf dem Marsche ganz zu vermeiden. Bei Kälte Alko-
Wirkung^ist trügerisch. geniessen’ Ehrlich. Seine erwärmende
Dem Beschränken des Alkoholgenusses ist von
allen Dienststellen fortgesetzt die ernsteste Auf-
merksamkeit zuzuwenden. ieAUI'
blasigen cPhalrn B'e.rK ist-klar un^ erzeugt einen dichten, klein-
a liszusch iiess en!** ' °der Sa“res Bier ist vom üc"“ss
c ,418-, Saareii oder iungen Wein, auch Fruchtwein, hat man be¬
sonders bei Verdauungskrankheiten zu meiden.
Therapeutische Notizen.
Ein einfacher Verband bei länger dauernden Eite¬
rungen.
c , HaadeJl e,s sicJ1 ,um jänger dauernde Eiterungen, so ist eine ein¬
fache Verbandmethode gewiss erwünscht.
Ich habe ein solches Verbandmaterial hergestellt durch Ueber-
giessen von Hemdentuch, in mehrfachen Lagen zusammengelegt, mit
Walriit, welches in einer Pfanne geschmolzen war. Ist die Masse
recht heiss, so dringt sie beim Uebergiessen durch viele Lagen von
Hemdentuch auf einen Teller und fettet dieselben ein, indem sie zu¬
gleich desinfiziert.
Eine Lage wird dann abgenommen und ein Stück in der Grösse
dascs na<rh allen Seiten die eiternde Stelle um 1 cm überragt, auf
dieselbe gelegt, nachdem sie mit Verbandwatte gereinigt ist.
T}. i ie Befestigung geschieht mit einer ein- oder mehrköpfigen
Binde, event. mit Heftpflasterstreifen. pngen
7W .Je ,nach d„er,.Stark.e der Eiterabsonderung wird der Verband
zwei- oder mehrstundlich erneuert.
Walrat hat sich mir als das indifferenteste Material erwiesen
nachdem ich vorher Paraffin, Talg und Unschlitt gebrauchte.
)a die letzteren Materialien auch im Kriege leicht zu haben sind,
kann man sich leicht ein indifferentes Verbandmaterial herstellen,
welches nahezu einen I rockenverband bildet und sich durch
Sauberkeit auszeichnet.
Dr. med. K. C. 1 h 1 d e r, Bozen-St. Magdalena (Südtirol.
Ueber K o a g u 1 e n - Kocher-Fonio berichtet E. Juliusbur-
g e r aus dem Stadt. Wenzel-Hancke-Kratikenhause in Breslau. .1. ver-
ifTn i6,-?1”6 5T10Pr?f: LösunS von Koagulen in physiologischer
Kochsalzlosung, die 5 Minuten lang in Wasser gekocht und wovon
unhltriert 20 ccin in die Ellbogenvene injiziert wurden. In einer Reihe
von bullen v°n Hämoptoe und Hämatemesis zeigte sich die styptische
|r kung des K. eklatant, so dass J. zu dem Schlüsse kommt, dass
das Präparat besonders bei intravenöser Applizierung eine hervor¬
ragende Waffe gegen Blutungen aller Art darstellt. — Th. v. Mut-
s c hen bacher berichtet über die Stillung der parenchv-
m a t o s e n B'uiungeii mit Koagulen-Kocher-Fonio
(aus der II. Chirurg. Klinik in Pest). Er wendete das Mittel in 5 und
lOproz. und konzentrierterer Wasserlösung an den blutenden Stellen
1896
Nr. 35.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med, Wochenschrift.
lokal an, indem es auf die blutende Wunde gespritzt wird, oder indem
darin eingeweichte Tampons aufgedrückt werden. Parenchymatöse
Blutungen kommen so in etwa 20 — 30 Sekunden zum Stehen, auch
blutende Venen von Heftnadelstärke werden in einigen Minuten
thrombosiert. Besonders eignet sich das K. zur Blutstillung in den
Körperhöhlen und in nach Operation entstandenen toten Höhlen.
(D.m.W. 1914 Nr. 34.) R- S.
Nachrichten.
München, den 31. August 1914.
— ln die glänzenden Siegesnachrichten, die auch die 4. K r i e g s -
woche in reicher Zahl brachte, mischte sich eine Trauerkunde, die
in ganz Bayern die schmerzlichsten Empfindungen ausgelöst hat; der
jugendliche Erbprinz Luitpold, der älteste Sohn unseres Kron¬
prinzen Rupprecht, ein überaus sympathischer, 13 jähriger Junge, ist
einer blitzartig verlaufenen Poliomyelitis zum Opfer gefallen.
Ueber die Infektionsquelle ist nichts bekannt. In Berchtesgaden, wo
der Prinz seit der Abreise des Vaters zur Armee weilte, scheinen
sonstige Fälle nicht vorgekommen zu sein; dagegen ist es, wie man
aus der in Nr. 51, S. 2833, 1913 d. Wschr. veröffentlichten Sammel¬
forschung der Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde über die
H e i n e - M e d i n sehe Krankheit weiss, leider eine Tatsache, dass
diese heimtückische Seuche in Bayern, und besonders in Oberbayern,
in nicht unerheblichem Grade endemisch ist. Wurden doch in knapp
einem Jahr 197 Fälle aus dem Königreich, davon 80 aus Ober¬
bayern (44 aus München) gemeldet. Leider stehen wir der Krank¬
heit noch völlig machtlos gegenüber, wenn auch durch die Entdeckung
ihres Erregers durch F 1 e x n e r wenigstens die Aussicht eröffnet ist,
dass Mittel und Wege zu ihrer Bekämpfung gefunden werden. Die
Anstrengungen, auf diesem Wege vorwärts zu kommen, werden
durch den jetzt vorgekommenen traurigen Fall einen neuen Anspofn
erhalten.
Von den Siegesbotschaften der Woche — Namiir, Longwy, Mau¬
beuge, Manonviller etc. — hat ganz zweifellos die Meldung von
der vollständigen Niederlage der englischen Armee bei St. Ouen-
tin den grössten Jubel hervorgerufen. Das deutsche Volk erblickt
in der englischen Regierung den eigentlichen Anstifter des gegen¬
wärtigen Krieges; nichts wird daher grössere Genugtuung erwecken
können, als die Niederwerfung dieses perfiden Gegners.
— ln Luxemburg ist durch Stiftungsurkunde vom 8. August 1914
die „Gesellschaft des luxemburgischen Roten Kreu-
z e s“ ins Leben gerufen und durch Grossherzoglichen Beschluss vom
9. August staatlich anerkannt worden. Das luxemburgische Rote
Kreuz hat die Zulassung zur Mitwirkung bei der deutschen freiwilligen
Krankenpflege nachgesucht. Von der deutschen Regierung ist dieses
Anerbieten mit bestem Danke angenommen worden.
— Der Vorstand der Medizinischen Gesellschaft zu
Leipzig hat aus dem verfügbaren Kapital 300 M. als Kriegsnot¬
spende dem Leipziger Verband für Armenpflege und Wohltätigkeit
überwiesen. Anderweitige Spenden sind in Aussicht genommen.
— Dem Beispiele Röntgens folgend hat auch Geh. Rat L e -
n a r d, der Heidelberger Physiker, auf die ihm von der Royal Society
verliehene Goldene Medaille verzichtet. Er tut dies mit folgender
Zuschrift an das Heidelberger Tageblatt: „Als ein Zeichen meines
Abscheus vor der in diesen Tagen so deutlich gewordenen Eigenart
englischer Denkweise habe ich beschlossen, eine einst (1896) von der
„Royal Society“ in London erhaltene goldene Medaille von mir zu
tun. Ich habe ihren Geldwert (ca. 1000 M.) zum Besten bedürftiger
1 iterbliebener der gefallenen badischen Kämpfer nutzbar gemacht.
Ich stelle diese Mitteilung zur Verfügung, da ich glaube, dass ihre
Verbreitung nützlich sein könnte.“
— Man schreibt uns: Bessere Kennzeichnung der
Kriegsärzte. Als ich gestern abends unter den Verwundeten
einen kläglich zugerichteten Arzt bemerkte, drängte sich mir der Ge¬
danke auf, dass diese Männer durch die blosse Armbinde auf der
feldgrauen Uniform keineswegs hinreichend gekennzeichnet er¬
scheinen, um auf grössere Schussweite — denn man darf doch nicht
annehmen, dass stets in der Nähe teuflisch boshaft auf sie gefeuert
wercje — vom Feldsoldaten unterschieden werden zu können. Hier
wäre, um der Sache der Menschlichkeit willen, eine Aenderung wohl
zu erwägen. F. K.-München.
_ Kriegsärztliche Abende. Unter Mitwirkung einer
Reihe hervorragender Aerzte aus den Militär- und Zivilkreisen sowie
von Vertretern des Ministeriums des Innern und des Kriegsmini¬
steriums ist gestern Abend unter obigem Namen im Kaiserin-Fried-
rich-Hause in Berlin eine lose Vereinigung begründet worden. Die
Vereinigung soll einen Sammelpunkt für alle im Dienste der ver¬
wundeten und erkrankten Krieger tätigen Aerzte schaffen und zugleich
zum Austausch von Erfahrungen und zur Förderung kriegsärztlicher
Kenntnisse dienen. Es sind in wechselnder Folge alle 8 Tage Vor¬
trags- und Demonstrationsabende vorgesehen. Erstere finden im
Langenbeckhause, letztere in den zu Reservelazaretten umgewandel¬
ten grösseren Berliner Krankenhäusern statt, und zwar der erste
Vortragsabend am 8. September 8 Uhr. Zum Vorsitzenden wurde
Geheimer Rat Trendelen bürg, zum stellvertretenden Vorsitzen¬
den Generalarzt Grossheim, zum Schriftführer Prof. Adam und
zum Kassierer Dr. Löwin gewählt. Mitglieder können alle reichs-
deutschen und österreichischen Aerzte und Acrztinnen gegen Zahlung
eines Beitrages von 2 M. werden.1 Karten vom 1. September ab im
Kaiser in-Friedrich-Hausc (Luisenplatz 2—4) erhältlich.
_ Von dem im vorstehenden Artikel über Seekriegschirurgie
mehrfach erwähnten „Handbuch der Gesundheitspflege
an Bord von Kriegsschiffe n“, herausgegeben von z u r V e r t h.
B e n t m ann, I ) i r k s e n und Rüge (Verlag von Gustav Fischer,
Jena) ist jetzt der 1. Band, Allgemeine Gesundheitspflege, erschienen.
Der 2. Band, der die Krankheitsverhütung an Bord von Kriegsschiffen
behandelt, wird in 8 Tagen herauskommen. Der 1. Band umfasst
1028 Seiten; zu den Mitarbeitern zählen ausser den Herausgebern
die bekanntesten Marineärzte und -hygieniker Deutschlands. Schon
aus diesen Tatsachen ergibt sich, dass man es hier mit einem ebenso
gründlichen wie inhaltlich wertvollen Werk zu tun hat. Eine ein¬
gehendere Besprechung wird folgern Der Preis für das vollständige
Werk beträgt M. 40. — , geb. M. 45; — .
(Todesfall.)
In München starb im 75. Lebensjahr nach längerer Krankheit Ge¬
heimrat Prof. Dr. Hubert v. Grashey. Der Verstorbene war Nach¬
folger Quddens auf dem Lehrstuhl der Psychiatric in München. 189b
wurde er als Nachfolger Kerschen Steiners Leiter des baye¬
rischen Medizinalwesens. Eine als Forscher wie als Mensch gleich
ausgezeichnete Persönlichkeit ist mit ihm dahingegangen. Ein Nach¬
ruf wird folgen.
Amtliches.
(P r e u s s e n.)
Erlass, betr. Typhusschutzimpfung der Aerzte und Pflegepersoifen in
Krankenanstalten, vom 7. August 1914 — M 11 597 — .
Bei etwaigen Typhusepidemien, mit denen in der Kriegszeit ge¬
rechnet werden muss, wird dem Schutz des gefährdeten ärztlichen
und Pflegepersonals in den allgemeinen Krankenhäusern besondere
Aufmerksamkeit zuzuwenden sein.
Es empfiehlt sich daher, durch Vermittlung der Krankenhausvor¬
stände den Aerzten und Pflegepersonen anheimzugeben, sich freiwillig
der Typhusschutzimpfung zu unterziehen. Zu diesem Zweck wird
Typhusimpfstoff von dem Königlichen Institut für Infektionskrank¬
heiten „Robert Koch“ in Berlin N. 39, Föhrerstrasse, bereit gehalten
und mit einer Gebrauchsanweisung — von der ein Abdruck beigefügt
ist — unentgeltlich abgegeben.
Ew. pp. ersuche ich hiernach ergebenst, ungesäumt das Erforder¬
liche zu veranlassen.
Berlin, den 7. August 1914.
Der Minister des Innern.
Im Aufträge : Kirchner.
Anlage.
Anweisung für die Benutzung des Typhusimpfstoffes.
Der Impfstoff, welcher aus einer 0,25 Proz. Trikresol enthaltenden
und auf Sterilität geprüften Aufschwemmung von abgetöteten Typhus¬
bazillen in physiologischer Kochsalzlösung besteht, ist bis zum Ge¬
brauch kühl aufzubewahren, womöglich im Eisschrank.
Unmittelbar vor dem Gebrauch ist der Impf¬
stoff gut umzuschütteln, damit die zu Boden gesunkenen
Bakterienkörper sich wieder gleichmässig in der Flüssigkeit verteilen.
Als Injektionsstelle wird die Brust- oder die Rückenhaut (zwi¬
schen den Schulterblättern) empfohlen, wo der Impfstoff mit steriler
Spritze nach sorgfältiger Reinigung der Haut subkutan eingespritzt
wird.
In der Regel werden 3 Injektionen, die durch einen Zwischen¬
raum von mindestens 8 Tagen voneinander zu trennen sind, aus¬
geführt. Bei der ersten Injektion sind 0,5 ccm des Impfstoffs einzu¬
spritzen, bei der zweiten und dritten Injektion je 1,0 ccm.
Den Einspritzungen folgt häufig eine ausgesprochene allgemeine
und lokale Reaktion (Erhöhung der Körpertemperatur, Kopfschmerz,
ev. Erbrechen, Rötung, Schwellung und Druckempfindlichkeit der In¬
jektionsstelle); die Erscheinungen gehen aber in 1—2 Tagen völlig
zurück.
Deutsche Aerzte!
Verschreibt nur deutsche Präparate und Spezialitäten!
Die „Feldärztliche Beilage“ ist bestimmt, allen im Felde stehen¬
den oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten der deutschen
und österreichischen Armee und Flotte unentgeltlich geliefert zu wer¬
den. Herren, welche sie nicht erhalten, werden um Angabe ihrer
Adresse ersucht.
Beiträge für die „Feldärztliche Beilage“ werden nach erhöhten
Sätzen honoriert.
Selbstverständlich wird unseren im Feld stehenden Abonnenten
auch die Wochenschrift selbst an jede uns angegebene Adresse nacn-
geliefert. J. F. Lehmanns V e r I a g-_
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
Die Münchener Medixinliche Wochenechrift enchemi wöchentlich
m Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. . Prei» der einzelnen
Nummer 80 • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
M 6.—. » übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag
MÜNCHENER
Zusendnngen sind zu adressieren:
POrdie Redaktion Amulfstr.26. Bflrozeit der Redaktion SV,— 1 Uhr.
Für Abonnement an I. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 21
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse S.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
fr. 36. 8. September 1914.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Raul Heysestrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliess.iche Rech, der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
lie experimentellen Beweise für das Vorkommen von
ibwehrfermenten unter verschiedenen Bedingungen*).
Von Emil Abderhalden in Halle a. S.
Meine Damen und Herren! Ich habe die grosse Ehre ge-
abt. Ihnen vor ungefähr 2 Jahren zu berichten, dass es
eglückt sei, die Schwangerschaft aus dem Verhalten des
erums gegenüber koaguliertem Plazentagewebe festzustellen.
war dies die erste Mitteilung, die über diese Feststellung
rfolgt war und die in der Oeffentlichkeit bekannt geworden
t. Seitdem ist nun eine Zeitspanne vergangen, während der
2hr viel auf allen möglichen Gebieten auf Grund meiner
leen und Methoden gearbeitet worden ist. Ich bin dem Herrn
orsitzenden sehr dankbar dafür, dass er mir Gelegenheit
ietet, einen Ueberblick über die Entwicklung der ganzen
orschung zu geben. Ich will zunächst ganz kurz mitteilen,
elches die Grundlagen der ganzen Forschung gewesen sind
ie folgende einfache Fragestellung bildet den Ausgangspunkt
2S ganzen grossen Forschungsgebietes. Welche B e -
ieh ungen bestehen zwischen den zu sam¬
engesetzten Bestandteilen unserer Nah-
u ng und den Bestandteilen unserer Zellen?
ie chemische Forschung und das Studium der Vor-
inge bei der Verdauung, sowie die Feststellungen des
erhaltens des tierischen Organismus nach parenteraler
-fuhr von Nahrungsmitteln, ergaben in eindeutiger Weise,
iss von direkten Beziehungen dieser Stoffe zu den
Hlbestandteilen keine Rede sein kann. Stets werden
e zusammengesetzten Nahrungsstoffe im Darmkanal in ihre
Wachsten Bausteine zerlegt. Es entstehen aus den hetero-
rnsten Kohlehydraten, Fetten, Eiweissstoffen usw. stets ganz
eichartige Bausteine in wechselnden Mengen, d. h. den Zellen
ird immer wieder das gleiche Material zur Verfügung ge¬
eilt. Die Zellen können diese Stoffe in der mannigfaltigsten
eise verwenden. Sie können es abbauen, umwandeln oder
tien bestimmten Bau daraus zimmern.
Auf diese Weise wird verhindert, dass die
usammensetzung des Blutes fortwährend
ch ändert und die Körperzellen andauernd
mz verschiedenartigen Stoffen gegenüber
e h e n. Es wird ihnen im Gegenteil immer das gleiche Ge-
sch von Nahrungsstoffen zugeführt. Jede Körperzelle mit
■sonderen Aufgaben hat einen besonders gearteten Bau.
iner müssen innerhalb eines Organismus die einzelnen Zellen
rschiedenartig sein. Es gilt dies auch von ihren Bestand-
len. Man muss arteigene resp. körpereigene und -fremde
standteile unterscheiden (Hamburger) und ferner zwar
teigene, jedoch zelleigene und zellfremde Stoffe. Endlich
■ nn man von bluteigenen und -fremden Produkten sprechen.
Ausgedehnte Versuchsreihen, die sich auf weit
ehr als tausend einzelne Versuche stützen,
Den ergeben, dass der tierische Organismus in gleicher
e‘se, w*e im Darmkanal, Fremdartiges beseitigen kann, wenn
‘ Iches in seiner Blutbahn auftritt. Er produziert Fermente,
t ihrer Hilfe wird das blutfremde, zusammengesetzte
• »terial abgebaut, bis der charakteristische Bau zerstört ist.
Dreh parenterale Zufuhr von zusammengesetzten Kohlc-
draten,^von Fetten, von Eiweissstoffen, Nukleinsäuren usw.
*) Wrtrag, gehalten in der 6. ordentlichen Sitzung des Vereins
’ Aerzte zu Halle a/S. am 8. Juli 1914.
Nr. 36.
ist der tierische Organismus absichtlich unter Bedingungen
gestellt worden, die sich unter normalen Verhältnissen
nicht finden. In allen Fällen traten nach einiger Zeit im Blute
rei mente auf, welche diese Produkte abzubauen vermochten.
Diese Erscheinung hat nichts wunderbares an sich. I n
der gesamten Organismenwelt nivellieren
die Zellen die verschiedenartigsten, zu¬
sammengesetzten Stoffe durch Hydrolyse
mittels Fermenten. Die Beobachtung, dass blutfremde,
zusammengesetzte Stoffe durch Abbau aus dem Blute ent¬
fernt werden, gibt eine Art der Verteidigung des Organismus
gegen fremdartige Stoffe wieder.
Derartige Versuche sind nun seit 5—6 Jahren ohne Unter¬
brechung in meinem Institute ausgeführt worden. Jeder
Tag bringt die Bestätigung der Richtigkeit
meinerAnschau ungen. Ich wagte nicht, zu behaupten,
dass die blutfi emden Fermente stets ganz spezifisch auf diejenige
Verbindung eingestellt seien, durch die sie ins Blut „gerufen“
wurden. Erst die fortschreitende Erfahrung ergab die Be¬
weise. Ich möchte nicht unterlassen, auf die schönen Ver¬
suche von Kafka, Frank, Posenthal, Biberstein,
Zimmermann, Hirsch u. a. hinzuweisen, durch die
immer wieder experimentell bestätigt wurde, dass die blut¬
fremden Fermente in aussergewöhnlich spezifischer Weise auf
bestimmte Substrate eingestellt sind.
Es müsste jeder einzelnen klinischen
Untersuchung der Tierversuch vorausgehen.
Ich kann dies nicht genug betonen. Es liegt ein gewaltiges
Forschungsgebiet vor. Pharmakologische, therapeutische,
experimentell-pathologische Fragestellungen sind in aus¬
gezeichneter Weise geeignet, um die Grundlagen des ganzen
Forschungsgebietes zu erweitern.
Die weitere Fragestellung war die, ob es nicht Zum
stände innerhalb des Organismus gibt, diT'’
in Parallele mit der parenteralen Zufuhr von
blutfremden Stoffen zu setzen sind. Gibt es
Organe, die von sich aus Stoffe an das Blut
abgeben, die noch die charakteristischen
Eigenschaften jener Zellen haben, aus denen
sie her stammen? Diese Frage konnte sofort
für die Plazenta bejaht werden. Wir finden
während der Schwangerschaft im Blute blutfremde Fermente,
die auf Plazentastoffe eingestellt sind. Von diesen sind bis
jetzt die auf Plazentaeiweiss wirkenden genau studiert.
Die Tatsache, dass es gelingt, Blutserum,
das von einer Schwangeren stammt, von
solchem zu unterscheiden, bei dem weder
eine Schwangerschaft existiert, noch eine
Geburt kurze Zeit vorausgegangen i s t, noch
endlich ein Chorionepitheliom vorhanden ist,
ermunterte zu weiteren Fragestellungen. Es
wurde die Frage aufgeworfen, ob es nicht auch Stö¬
rungen in der Funktion einzelner Organe gibt,
bei denen es zum Uebergang von zell¬
eigenen Stoffen oder von zelleigenen Fer¬
menten oder beiden zugleich kommt. Selbstver¬
ständlich kann es sich hierbei nur um die Feststellung von
Störungen bestimmter Art handeln. Ein Organ kann in seinen
Funktionen auf unendlich viele Arten geschädigt sein. Man
wird nur dann mittels des Nachweises blutfremder Substrate
und blutfremder Fermente Störungen erkennen können, wenn
ein Uebergang von solchen Stoffen in das Blut stattgehabt hat.
1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1898
Ich hebe das so scharf hervor, weil es eine Ge¬
dankenlosigkeit bedeuten würde, wenn man
von der Annahme a u s g i n g e, als könnte man
jetzt eine Serodiagnostik aller Störungen
von Organfunktionen begründen. Davon war
natürlich nie die Rede. Es müssen selbstverständlich die
notwendigen Bedingungen erfüllt sein, falls die sogen. Ab¬
wehrfermentreaktion eintreten soll. Es kann sich um Dys¬
funktionen aller Art, aber auch um Hyperfunktionen handeln.
Stets liegt das Bestreben vor, qualitativ und quantitativ nicht
ins Blut gehörende, zusammengesetzte Stoffe zu beseitigen.
Ich will heute nicht auf die Natur der Abwehr¬
fermente und die Ansichten über ihre Herkunft ein-
gehen. Bemerken will ich nur, dass ich nicht der Meinung bin,
dass die Leukozyten bei der Bildung der Abwehrfermente
nicht in Frage kommen. Im Gegenteil, ich bin immer noch
der Ansicht, dass sie von grosser Bedeutung sind. Ausserdem
können jedoch auch die einzelnen Organzellen blutfremde
Fermente abgeben. Auch Guggenheimer vertritt diese
Meinung.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch auf einen anderen
Punkt richten. Man vermag mit den vorliegenden
Methoden nicht nur blutfremde Stoffe mittels
der blutfremden Fermente zu erkennen, son¬
dern man kann auch unter Umständen auf
er Stere fahnden. Es könnte uns z. B. interessieren, ob
in der Zerebrospinalflüssigkeit Eiweissstoffe enthalten sind,
welche noch zelleigen sind und z. B. dem Gehirn entstammen.
Würden wir die Zerebrospinalflüssigkeit auf Tiere übertragen
natürlich parenteral — , dann würde die Tatsache, dass nun¬
mehr das Blutserum des Versuchstieres Gehirnsubstanz ab¬
baut, beweisen, dass jene Flüssigkeit Gehirnzelleneiweiss ent¬
hielt. Selbstverständlich müssen derartige Versuche mit allen
möglichen Kontrollversuchen zusammen durchgeführt werden,
sollen die Beweiskraft erhalten. Es wäre sehr zu begrüssen,
wenn nach dieser Richtung mehr als bisher gefahndet würde.
Man muss in der Entwicklung jeden Forschungsgebietes
verschiedene Perioden unterscheiden. Zunächst handelt es
sich um rein theoretische Feststellungen. Es gilt ein grosses
Material zu sammeln. Erst viel später kommt dann die Frage,
ist eine Methodik und ein Ideengang auch praktisch wertvoll.
Es kann zurzeit wohl kaum die Rede davon sein, was meine
Methoden und Forschungen praktisch leisten. Vielmehr wird
erst geprüft, in welchen Fällen und mit welcher Regelmässig¬
keit blutfremde Fermente bei bestimmten Prozessen anzu¬
treffen sind. Es ist von allen Seiten eifrig geforscht worden.
Ich will den erhaltenen Resultaten nicht vorausgreifen und es
den Herren überlassen, über klinische Erfahrungen zu be¬
richten, die sich in dankenswerter Weise zur Diskussion ge¬
meldet haben. Ich will gleich hervorheben, dass sie alle ganz
unabhängig von mir gearbeitet haben, und ich genau so, wie
Sie alle, ihre Resultate zum erstenmal vernehme.
Ich will nur ganz kurz erwähnen, dass zurzeit in meinem
Institute ganz besonders viele Untersuchungen durchgeführt
werden. Wir werden bald über ein ganz gewaltiges Material
von Tumorträgern verfügen. Es sind wohl bis jetzt über 200U
bis 3000 Fälle aller Art in meinem Institute untersucht worden.
Da wir für ganz verschiedene Kliniken und Aerzte Unter¬
suchungen angestellt haben, so können nun schon sehr viele
Herren sich ein Urteil über unsere Untersuchungen bilden.
Endlich möchte ich mit aller Vorsicht mitteilen, dass
ich versucht habe, ein Serum zu bereiten, das
gegen Tumoren eingestellt ist. Ich hoffte
erstens Besserungen herbeiführen zu können
durch fermentative Entfernung, der im Blute
kreisenden blutfremden Stoffe, und dann war
die Möglichkeit gegeben, dass es gelingt, die
Tumorzellen selbst zu beeinflussen. Die bis¬
herigen Erfahrungen haben gezeigt, dass in einzelnen
Fällen das Allgemeinbefinden und in ganz
vereinzelten auch der Tumor (Karzinom) gün¬
stig beei'nflusst worden sind. Es liegt ein Ob¬
duktionsbefund vor, der sicher beweist, dass das angewandte
Serum auf das vorhandene Karzinom energisch eingewirkt hat.
Selbverständlich ist mir wohl bekannt, dass man gerade auf
Nr. 36
diesem Gebiete sehr vorsichtig sein muss. Es liegt mir fern
von Heilungen, ja auch nur von wirklichen Besserungen zi
sprechen. Die Beobachtungszeit ist ja auch viel zu kurz. Dii
Tatsache, dass Tumoren von in bestimmter Weise zubereiteten
Serum überhaupt beeinflusst worden sind, erscheint mir an um
für sich bemerkenswert. Vielleicht gelingt es auf dem ein
geschlagenen Wege vorwärts zu kommen.
Ich komme nun zur Methodik! Ich will nicht die mög
liehen Fehlerquellen wiederholen und ihnen auch keine Einzel
heiten über die Technik der einzelnen Methoden vortragen, E
liegt mir nur daran. Ihnen an Hand der Fülle von Apparaten
welche Sie hier sehen, zu zeigen, dass der Vorwurf ganz siche j
nicht berechtigt ist, das von mir errichtete ForschungsgebäuT
stehe auf schwachen Füssen! Sie sehen hier alle „Fiisse“ vo(
sich (der Redner weist auf die auf drei grossen Tischen auf’
gebauten Apparate hin).
Ich beginne mit dem ältesten Verfahren, der sog. op
tischen Methode. Sie erfordert sehr sorgfältige Zu
bereitung des Substrates (Pepton aus Eiweissstoffen resp
Organen) und einen Polarisationsapparat, der Ablesungen vo:
0,01 0 gestattet. Um dem Einwurf zu begegnen, der übrigen
so gesucht als nur möglich ist und jeder Begründung entbehr
dass die Ablesung der Drehungsänderungen subjektiv beem
flusst sein könnte, habe ich gemeinsam mit Herrn Dr. Will
d e r m u t h zwei objektive Methoden ersonnen. Einmal sehe
Sie hier vor sich einen ganz gewaltigen Apparat mit vieler
Uhrwerken. Er dient zur photographischen Regi
strierung der Drehungsveränderung des Gemisches Serur
r Pepton. Ferner haben wir das Auge durch Kalium
zellen (Elster und Geitel) ersetzt. Diese Zellen sind emp
findlicher als unsere Augen. Sie können Helligkeitsunter
schiede wahrnehmen, wo unser Auge schon versagt. Dies
Zellen liefern bei Belichtung Potentialdifferenzen. Diese lasse
sich am stromnachweisenden Instrument erkennen. Sind di
Halbschatten des Polarisationsapparates genau gleich hei
oder noch verschieden, so zeigen das die Kaliumzellen gan
objektiv an. Es ist somit die optische Methode durch Me
thoden ergänzt worden, die den Beobachter während des Ver
suches ganz ausschalten. Ueber die Resultate dieser Unter
suchungen wird bald berichtet.
Hier folgt das bekannte Dialysierverfahren. E
ist kombiniert mit der Vordialyse der Sera. Sie sehen hie
alle Einzelheiten und auch zahlreiche richtig vorbereitet
Organe. Erwähnen will ich, dass zurzeit das Dialysat ersten
mittels der Biuretreaktion auf Eiweissabbaustufen ge
prüft wird, ferner mittels der Ninhy drinprobe, ferne
durch Mikrostickstoffbestimmung (der Apparat ü
hier noch einfacher gestaltet, als in der kürzlich erfolgten Be
Schreibung). Erwähnt sei, dass wir jetzt stets das Amtnonial
unter Erhitzen des Kölbchens übertreiben. Endlich führen wi
seit einiger Zeit Aminostickstoffbestimmunge
nach der Methode von van Slyke aus.
Ferner Enteiweissen wir nach Michaelis um
R o n a und auch nach der von F 1 a t o w neuerdings modi
fizierten resp. richtig beschriebenen Methode. Die Ent
eiweissung gelingt jetzt nach letzterem Verfahren manchma
jedoch bei weitem nicht immer, wenn man mit Toluol in de1
Wärme schüttelt (eine bereits bekannte Methode, verg;
Be ch hold: Die Kolloide in Biologie und Medizin). Feme
arbeiten wir mit Peptonen und Serum und, bestimmen de,
Aminostoff.
Endlich haben wir auch schon seit einiger Zeit unabhängi
von Bornstein und Deetjen mikroskopische Bel
ob ach tu ng en an gefärbten Schnitten vor und nach er
folgtet- Einwirkung von Serum durchgeführt. Alle mögliche:
Apparate sind weiterhin von uns in den Dienst der Forschu tr
gestellt worden : das Ultramikroskop, der R e f r a k t o
mete r, das Polarisationsmikroskop usw.
Nun hat dieser Tage Paul Hirsch in Jena mitgeteih
dass er mit Hilfe des Interferometers von Loewc
also mit einer ganz neuen Methode, jede Einzelheit unsere
Forschungsergebnisse und namentlich auch die Spezifität de
Abwehrfermente bestätigen kann ‘).
’) Auch ich habe seitdem mit dem Apparat mit bestem Erfolg
gearbeitet.
8. September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1899
Alle angeführten Methoden haben genau
zu den gleichen Ergebnissengeführt. Es ist dies
sehr beruhigend. Es liegt nicht der geringste Grund zu
Zweifeln an der Richtigkeit der vorliegenden Forschungs¬
ergebnisse vor. Ich glaube nicht, dass es viele biologische
Methoden gibt, die so gut fundiert sind, wie die Methoden der
Abwehrfermentforschung.
Endlich will ich noch anführen, dass zahlreiche b i o-
I ogis che Versuche ausgeführt worden sind und zum Teil
noch im Gange sind. Sie bestätigen durchaus die auf anderen
Wegen erhaltenen Ergebnisse.
Die ganze Methodik hat ganz gewiss eine
Schwäche, die ich selbst immer hervorge¬
hoben und sehr hoch bewertet habe. Wir wollen
streng spezifische Reaktionen nachweisen und haben keine
streng spezifischen Substrate in der Hand oder besser ausge¬
drückt, wir sind zurzeit nicht so weit, dass wir auf chemischem
oder physikalischem Wege feststellen können, ob ein be¬
stimmtes Substrat spezifisch ist. Es liegt dies daran, dass die
chemische Forschung vor den hochmolekularen Stoffen zu¬
sammengesetzter Natur einstweilen noch Halt machen muss.
Es bleibt uns, da wir immer eine Summe von Substraten in
den Geweben und Zellen verwenden, nichts anderes übrig, als
jedes Substrat histologisch genau zu untersuchen und es bio¬
logisch einzustellen. Unter Umständen muss die Einstellung
über den Tierversuch gehen. Wer heutzutage noch mit unge¬
eichten Geweben arbeitet, begeht einen der schwersten Kunst-
fehler und nimmt seinen Versuchen zum voraus jeden Wert.
Es wird gewiss bald die Zeit kommen, in der jegliche Arbeit
verschwinden wird, in der uneingestellte Organe Verwendung
gefunden haben. Ich gebe zu, dass es vieler Mühe und Arbeit
bedarf, bis man über eine Sammlung zuverlässiger Substrate
verfügt. Es darf dies jedoch kein Grund sein unter Nicht¬
erfüllung der elementarsten Forderungen einer Methodik mit
gänzlich unbrauchbaren Substraten zu arbeiten. Ich bin jetzt
ganz sicher davon überzeugt, dass nicht Hülsenfehler es sind,
welche zu paradoxen Resultaten führen, sondern wohl immer
Organfehler.
Bei jeder Methode wird es von entscheidender Bedeutung
sein, ob eine Fehlerquelle mit Sicherheit umgangen werden
kann oder nicht. Ich kann auf Grund meiner Erfahrungen und
denen einer sehr grossen Anzahl von Forschern mit Bestimmt¬
heit behaupten, dass jede einzelne Fehlerquelle meiner Me¬
thoden zu umgehen ist. Es beweisen dies die zahlreichen
Mitteilungen über gute experimentelle und klinische Ergebnisse.
Zum Schluss möchte ich nochmals betonen, dass die ganze
Forschung, soweit sie sich auf die Untersuchung von Sera von
Kranken erstreckt, in die Hände des Klinikers und Arztes gehört.
Sie kann ihm zurzeit nur ein Hilfsmittel sein. Erst nach langer
Zeit wird man beurteilen können, was die einzelnen Methoden
Neues gebracht haben. Ich möchte selbst so energisch als nur
möglich vor weitgehenden Schlussfolgerungen warnen. Je
sorgfältiger geforscht wird und je zurückhaltender die ein¬
zelnen Forschungen in der Beurteilung ihrer Ergebnisse sind,
um so lieber ist es mir.
Jeber die Differenzierung der drei Genera Cladothrix,
Streptothrix und Aktinomyces.
Von Prof. Dr. W. Rullmann in München.
Angeregt durch verschiedene Neuerscheinungen in der
'akteriologischen Literatur, welche beweisen, dass die Cha-
akteristik obiger drei Genera immer noch nicht genügend be¬
sannt ist, soll der Versuch wiederholt werden, die Möglichkeit
iner leichten Unterscheidung derselben herbeizuführen.
Vorausgeschickt sei, dass die meisten in den letzten Jahren
-owohl in der deutschen als auch in der ausländischen Literatur
geschriebenen Fälle der sogen. Pseudotuberkulose auf
’ie schädigende Einwirkung eines fälschlich als Strepto-
hrix bezeichneten Fadenpilzes zurückgeführt wurden. Da
'änz besonders die praktischen Aerzte in ihrer Tätigkeit am
läufigsten Gelegenheit haben, von den feststehenden Unter-
cheidungsmitteln Gebrauch machen zu können, so sei der Re¬
aktion der in ärztlichen Kreisen ganz besonders viel gelesenen
Münch, med. Wochcnschr. für Verbreitung der nachstehenden
Zeilen herzlichst gedankt.
Um bei Bearbeitung des Themas der hiesigen botanischen
und hygienisch-bakteriologischen Fachautoritäten sicher zu
sein, habe ich unter Vorlage des beweisenden Materials die
Frage mit den Herren Geheimen Räten Prof. Dr. v. Goebel
und v. Gr über besprochen und nach erzielter Uebereinstim-
mung erhielt ich auf Anfrage auch von dem Berliner Botaniker
Herrn Universitätsprofessor Dr. Ben ecke zustimmende Mit¬
teilung, die im Wortlaut später folgt. Gestützt hierauf, seien
zuerst einige ältere und auch ganz neue Literaturangaben ge¬
bracht, um dann an der Hand beweisenden Materials auf den
heute allgemein angenommenen Standpunkt überzugehen.
zuerst sei aus 1891 H. L p p i n g e r 1) erwähnt, welcher über
eine neue pathogene Cladothrix und eine durch sie hervor¬
gerufene Pseudotuberculosis cladothricha berichtet.
Diesem folgte 1893 E. Y. Acosta, F. Grande Rossi2 *) mit: Des-
u r-!)P ci,.?,n ^e.un nu°vo Cladothrix invulnerabilis. In
beiden Fällen wird schon das allgemeine Charakteristikum der Aktino-
myzeten betont, dass die kleinen runden Kolonien auf der Oberfläche
er Nährböden so fest haften, dass sie beim Abnehmen zerreissen;
Vladothr. invulnerabil. aber widersteht hohen Temperatur¬
graden. Gasperini’) bringt 1894 bereits eine Synonymenzu-
sammenstellung vom Genus actinomyzes.
Namen
Beobachter
Synonym
Beobachter
Actinomyc. bovis sulfur.
Rivolta
Actin. bovis?
„ Foersteri
Cohn
Streptothr. Foersteri
,, bovis farcin.
„ cati
Nocard
Rivolta
Bacill. farcin.
„ bovis albas
Gasperini
Strephtothr. 1, 2, 3
,, alb.
Cladothr. asteroides
Streptothr. „
,, Eppinger
Almquist
Rossi-Doria
,, asteroides
Eppinger
Gasperini
Rossi-Doria
„ chromogenes
,, luteoroseus
Gasperini
Gasperini
„ chromogena
„ nigra
Oospora Metschnikowi?
„ Guignardi?
Sauvagean et Radiis
„ cuniculi
Schmor!
Streptothr. cuniculi
i, Hoffmanni
Gruber
Micromyces Hoffmanni
„ albido-flavus
Rossi-Doria
Streptothr. albido-flava
,, violaceus
,, violacea
,, carneus
,, citreus
„ pluricoior?
,, arborescens
,, ferrugin.
M ,
Gasperini
Terni
Edington
Naunyn
,, carnea
Wir ersehen aus diesem Verzeichnisse Gasperinis, dass
schon damals die unrichtige Bestimmung zweifelloser Aktinomyzeten
erkannt war und 1895 teilte Acosta4) mit, dass die 1893 beschrie¬
bene Cladothr. invulnerabilis auch der Austrocknung wider¬
steht und dass eine steinhart gewordene Kartoffelkultur ihre Luft-
gonidien nach mehr als einem Jahre, auf frisches Nährsubstrat ge¬
bracht, wieder aufkeimen lasse. Rull mann5 * 7) hatte Gelegenheit
dieselbe Beobachtung zu machen; er teilte 1895 das Auffinden
eines Fadenpilzes mit echten Verzweigungen (Fig. 1) mit, der in Rein¬
zucht auf allen organischen Nährböden „E r d g e r u c h“ bildet. Der
anfangs fälschlich als Cladothrix odorifera bezeichnete Fa¬
denpilz ist gleichfalls ein zweifelloser Aktinomyzete, welcher
sich häufig in der Erde, der Luft und ganz besonders auf den ver¬
schiedenartigsten Gramineen findet. Von demselben Autor“) wur¬
den dann mehrere Jahre lang im ausgehusteten wässerigen Sputum
einer Dame immer wieder Körnchen gefunden, welche gleichfalls einen
Fadenpilz mit echten Verzweigungen enthielten, der gleichfalls zuerst
als Streptothrix hominis irrtümlich beschrieben wurde. Die
Züchtung desselben bereitete anfangs grosse Schwierigkeit, nachdem
jedoch auf Löffler schein Blutserum Vermehrung eingetreten war,
gelang auch die Kultur in Nährbouillon, wobei sich Stäbchen mit Diph¬
theriebazillen ähnlichen kolbigen Verdickungen zeigten. Ueber den
klinischen Verlauf berichten gemeinschaftlich Bull in g und Rull¬
mann '). In der sich über 8 Jahre ausdehnenden Beobachtungzeit
wurde schliesslich der Fadenpilz als Aktinomyces hominis be¬
stimmt und die Richtigkeit dieser Benennung ergibt sich unschwer
aus den bereits 1902 veröffentlichten Abbildungen (Fig. 2 u. 3).
Flexner8) beschreibt dann 1897 einen ähnlichen Fall,, wel¬
cher klinisch für Lungentuberkulose gehalten wurde, bei dem aber
kein Sputum ausgehustet und auch keine Tuberkelbazillen nach¬
gewiesen wurden. Die Obduktion ergab teilweise Zerstörung der
Lungen, Kavernen enthaltend, ferner war das Lungengewebe ödema-
’) H. Eppinger: Ziegler und Nauwerck, 1891. Beiträge S. 287.
*’) E. Y. Acosta, F. Grande Rossi; Zbl. f. Bakt. 1893 S. 14.
:i) Gasperini: Zbl. f. Bakt. 1894 S. 684.
4) Zbl. f. Bakt. 1. 1875, Refer. 465.
5) R u 1 1 m a n n: Dissertation, München 1895.
“) Ru 11 mann: M.m.W. 1898 Nr. 29, 1899 Nr. 13, 1902 Nr. 22.
7) Bulling und Ru 11 mann: B kl.W. 1907 Nr. 42.
8) S. Flexner: Pseudo-tuberculosis hominis streptothricha
(J. Hopkins Hospital Bulletin 1897; Ref. Zbl. f. Bakt. 1. 1898, p. 83).
1*
1900
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 36.
tös, geschwollen und von tuberkelähnlichen Knötchen durch- I
setzt, auch Leber und Milz enthielten ähnliche Knötchen. In den auf
Tuberkelbazillen gefärbten Ausstrichpräparaten zeigten sich keine
Bakterien, dagegen konnten zahlreiche, sich schwach mit der Ziehl-
schen Lösung färbende verzweigte Bakterienfäden nachgewiesen
werden. Kulturversuche blieben erfolglos; der lange
verzweigte Fadenbazillus wuchs auf keinem der verwendeten
Nährböden. Auch diesen Organismus benannte der Autor fälsch¬
lich als Streptothrix hominis. Dann finden sich im Jahre
1897 von dem auf dem Gebiete der Aktinomyzetenforschung sehr be¬
kannt gewordenen Berestnew8) hochinteressante Angaben,
welche durch das der betr. Publikation beigegebene photographische
Material überzeugend beweisen, dass die bisher meist als Clado-
t h r i x und Streptothrix bezeichneten Arten unverkennbare
Aktinomyzeten sind und schlägt dann auch Berestnew ge¬
meinsam mit G a s p e r i n i diese Bezeichnung für die Gruppe vor,
deren morphologische Eigenschaften auf S. 707 präzisiert werden.
Ferner hat Berestnew durch Begiessen von Stroh mit s t e - |
r i 1 e m Wasser und Einlegen in eine bedeckte Glasschale, Stehen-
aus 1914 kurz erwähnt, welche beweisen, dass die unrichtigen Be¬
zeichnungen immer noch weitergehen. So findet sich von Thöni11)
in den „Untersuchungen über die hygienisch-bakteriologische Be¬
schaffenheit der Berner Marktmilch“ das Vorkommen von Strep-
tothr. chromogenes, albus und n i g e r erwähnt, welche
gleichfalls schon lange als Aktinomyzeten erkannt sind und Bern¬
hardt12) bespricht im Februar 1914 in der Berliner Mikro¬
biolog. Gesellschaft eine aus Lumbalpunktat isolierte Strepto¬
thrix, bei welcher er selbst echte Verzweigung und die charak¬
teristische Eigenschaft der Aktinomyzeten, des Festsitzens der Kolo¬
nien auf den Nährböden und deren schwere Zerteilung behufs mikro¬
skopischer Präparation angibt. Nach erbetener Zusendung von Prä¬
paraten konnte Schreiber dieser Zeilen die Zugehörigkeit des Faden¬
pilzes zu den Aktinomyzeten konstatieren.
Mit der Charakteristik der drei Genera jetzt beginnend,
sei angeführt, dass die neueste Auflage der bakteriologischen
Diagnostik von Lehmann und Neumann über Clado-
I thrix Cohn angibt, dass sie, zu der Gattung der Spalt-
Fig. 1.
Fig. 4. Cladothrix dichotoma Cohn
Deckglaspräparat aus 5-tägiger Zucht in Bouillon
von Dr. Hoeflich. Oelimmersion Vit Zeiss.
1000-fach vergrössert. Aufnahme von Dr. Rülke.
a = aus der Scheide freigewordene, zu neuen
Fäden auswachsende Olieder. b = noch in der
Scheide befindl. Olieder. c = entleerte Scheiden.
Fig. 7.
Fig. 6.
Fig. 9.
lassen im Brutschränke nach einigen Tagen erzielt, dass auf dem
Stroh neben einigen Schimmelpilzen sich weissliche und auch anders¬
farbige Wucherungen zeigten, welche kreideartig aussahen und nur
Sporen und einige Fäden zeigten. Steckt man diese Strohstückchen
von 5 — 6 cm Länge in sterilisiertem feuchten Sand wie vorher an¬
gegeben in eine überdeckte Schale, sondert täglich die verunreinigten
Stückchen ab, dann erhält man in kurzer Zeit Reinkulturen. So ge¬
lang B e r e t n e w die Isolierung von Actin. gramin., einer.,
niger, aromatic., albido-fuscus u. a. Nicht ohne Absicht
ist hier die weite Verbreitung der Aktinomyzeten erwähnt; man
weiss jetzt, dass von den vielen beschriebenen Fällen menschlicher
Aktinomykose die meisten wohl dadurch entstanden, dass das Sto¬
chern mit Stroh- und Grashalmen im Munde und ganz besonders am
Zahnfleische Verletzungen hervorrief, in welche unbeachtet die auf¬
sitzenden Aktinomyzeten eindrangen, ihren Nährboden fanden und
die Schädigungen ausübten. Verf. hat schon des öfteren auf diese
gefährliche Spielerei aufmerksam gemacht. Trolldenier10) be¬
richtet dann, 1903 über eine bei einem Hunde gefundene patho¬
gene Streptothrix, welche er selbst in seiner Arbeit schliess¬
lich als einen unzweifelhaften Aktinomyces bezeichnet und auf
Vorschlag von Harz Actin. bicolor nannte. Diese älteren
Literaturangaben mögen genügen und seien nur noch zwei Angaben
B) Berestnew: Dissertation, Moskau 1897; Ref. Zbl. f. Bakt.
1. 1898. p. 706 u. ff.
10) Trolldenier: Zschr. f Thierfned. 1903 p. 81 u. ff.
algen gehörig, Fäden mit Scheiden und pseudo-
dichotomer Verzweigung besitzt (siehe Abb. 4). Wir
haben also mit dem Nachweise einer echten Verzweigung
den Beweis in Händen, dass es sich keinesfalls um
eine Cladothrix handeln kann. Bei diesen falschen Ver¬
zweigungen 13) sieht man, dass an irgend einer Stelle eines
Fadens die Verbindung zweier Zellen sich lockert und die letz¬
teren sich gegeneinander verschieben, worauf die beiden oder
auch nur eine der einseitig freiwerdenden Polzellen selbständig
weiterwachsen, meist ohne sich an der Teilungsstelle ganz von
einander zu trennen. So entstehen vielfach verästelte und ver¬
schlungene Fadenmassen, welche jedoch mit echten Ver¬
zweigungen nichts zu tun haben, aber wie gezeigt,
immer noch zu Verwechslungen beitragen. Uebergehend auf
Streptothrix, ist in den angeführten Beispielen, welche
nur einen kleinen Teil der darüber erschienenen Literatur bil¬
den, der Beweis der immer noch herrschenden Verwirrung
erbracht und doch liegt die Sache ganz einfach. Es sei hier
u) Thöni: Mitt. a. d. Schweiz. Ges.A. 1914 H. 1 p. 40 u. ff.
12) Bernhardt: B.kl.W. 1914 Nr. 25.
13) Lafar: Technische Mykologie II, Bd. III, Rull mann,
p. 198, Morphologie der Gattung Cladothrix.
8. September 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
auf Lafar”) verwiesen und das dorten Niedergelegte kurz
wiederholt: „Es ist daher um so erfreulicher, dass jetzt endlich
Harz mit seiner Ansicht über diese Gattungen durch¬
gedrungen ist, welcher sich Berestnew, Lubarsch,
Gasperini, Lachner-Sandoval u. a. angeschlossen
haben. Harz18) klärt mit wenigen Worten die verwickelte
Lage auf; nach ihm begründete Cor da im Jahre 1839 die
Gattung Streptothrix zunächst durch eine Art, S t r e p t o-
thrix fusca Corda. Wie aus der nebenstehenden Fig. 5
ersichtlich ist, hat man es hier mit einem zweifellosen Schim¬
melpilz zu tun, aus dessen Myzel sich baumartig ver¬
zweigte, aufrechte Hyphen erheben. Diese zeigen meist einen
sympodialen Aufbau und tragen teils sitzende, teils ge¬
stielte Sporen. Es handelt sich also hier um wirkliche
Schimmelpilze, wie Aspergill. glauc., Penicillium crustac. u. a.
Nun wurde die entstandene Verwirrung durch mehrere For¬
scher hervorgerufen, welche ganz andere Organismen,
F a d e n b a k t e r i e n, als Streptothrix bezeichneten und dabei
ibersahen, dass Corda schon lange Jahre vorher diesen
Namen vergeben hatte.“
Wäre die hier beigegebene Abbildung aus der Pracht-
lora für Schimmelpilze (Prag, 1839) allgemeiner be¬
sannt gewesen, dann würde ganz gewiss die Verwirrung keine
o ausgedehnte und andauernde geworden sein. — Auf die Cha-
akterisierung der A k t i n o m y z e t e n übergehend, führe ich
lieselbe an, wie ich solche seinerzeit in Lafar18) entwickelt
iahe: Die Gruppe der Aktinomyzeten zeichnet sich bei ihrem
A achstum auf festen Nährböden durch Bildung von erhabenen
Kolonien aus, welche von derber Beschaffenheit und mehr oder
veniger knorpelig faltig sind und fast in dem Nährboden an-
sachsen. Sie bilden sämtlich lange, dünne gestreckte Myzel-
äden mit echten monopodialen Verzweigungen. Die
Ireite der Fäden beträgt 0,6 (J, die Länge bis 200 ß und mehr.
)ic verschiedenen Arten unterscheiden sich durch ihr Ver¬
alten auf den verschiedenen Nährböden und wachsen auf
iesen unter Bildung oft lebhaft gefärbter Kolonien. Alle
ehmen Anilinfarbstoffe gut auf, ganz besonders aber ver¬
mintes Karbolfuchsin; für Differenzierung empfiehlt sich die
i r a m sehe oder die Weigert sehe Fibrinfärbemethode.
11 n g e Zuchten zeigen häufig nur unverzweigte Stäbchen, die
ich durchaus nicht von gewöhnlichen Spaltpilzen unter-
jheiden. Die Fortpflanzung erfolgt ausser durch Gonidien-
uktifikation, durch Teilung des Fadeninhaltes und Querteilung
on Fadenstrecken; einzelne Arten zeichnen sich durch ein auf-
illiges, flockiges Luftmyzel aus. In Betreff der Fortpflanzung
■t die Gonidienfruktifikation von grösster Wichtigkeit, ebenso
ire Widerstandsfähigkeit gegen Erhitzen und A u s -
r o c k n e n. Nach Kruse17) ist es noch zweifelhaft, ob ein
rinzipieller Unterschied zwischen der Segmentation (Sporen-
ldung) in Luftfäden und der Fragmentation in feuchtem Nähr¬
ten besteht. So ziemlich für alle Aktinomyzesarten ist die
lit dem Alter der Zucht sich steigernde weisse, kreideähnliche
erfärbung (Abbildung 6) der einzelnen Kolonien charak-
ristisch, indem sich ein verzweigtes Myzel mit reichlichen
uftfäden bildet; diese Kolonien erhalten sich sehr lange
eit fortpflanzungsfähig. In vielen Fällen unter¬
st die Membran der Fäden eigenartigen Veränderungen, die
üher missdeutet und erst durch Bostroem18) und B a -
es10) richtig erkannt wurden. Es entstehen häufig an den
uden, aber auch in der Mitte der Fäden, durch Vergallertung
-r Membran keulen- oder kolbenförmige Anschwellungen; sie
nd als Degenerationserscheinungen anzusehen (Abb. 7 u. 8).
In gleichem Sinne äussern sich Lehmann und Neu-
a n_n in ihrer neuesten Auflage der Bakteriol. Diagnostik
• 158, 622— 624); sie sagen: „ein Hauptcharakteristikum der
Ginomyzeten in kultureller Beziehung ist das derbe, meist
(orpeligc oder lederartige Wachstum auf der Oberfläche des
ihrbodens; im Alter sind die Kolonien, wie mit Kalkpulver
”) Ebenda: Rullmann, p. 202.
) Harz: Vortrag in der Gesellschaft für Morphologie und
ysiologie. München 1890.
,B) Lafar: Technische Mykologie II, Bd. II, p. 205. Gustav
1 scher, Jena 1904.
r u s e, in Flügge, Mikroorganismen, 3. Aufl., 1897.
Bostroem: Zieglers Beitr. 1891 Bd. 9.
) Babes: Zschr. f. Hyg. 4. 1888. p. 173.
1901
bestaubt (Fig. 9). — In Kolle-Wassermann!0) ist die
Streptothrixfrage durch Petruschky bearbeitet
worden, welcher sich daselbst ganz im Sinne der von Harz
aufgestellten Sätze äussert. — Zum Schlüsse kommend, seien
noch die zustimmenden Zeilen des Berliner Botanikers, Herrn
Universitätsprofessor Dr. B e n e c k.e, angeführt, welcher mir
unter dern 12. Juni 1914 schreibt: „Ich bin ganz Ihrer Meinung,
dass die Benennung der betr. Formen als Aktinomyzeten die
zutreffende ist. Jedenfalls haben sie mit Streptothrix
fusca Corda gar nichts gemein. Die Gattung
Streptothrix Cohn (Streptothrix Foersteri) ist, das kann
man aus der Abbildung (Cohns Beitr. z. Biol. Bd. I, Taf. V,
rig. 7) wohl mit Bestimmtheit entnehmen, ebenfalls ein Aktino-
myzes, allenfalls könnte es sich auch um ein Mykobakterium
handeln. Cohn hat ja seine Form zweifellos gar nicht
zu i Gattung Streptothrix Corda rechnen, sondern
eine neue Gattung Streptothrix aufstellen wollen,
ohne zu wissen, dass dieser Namen durch Corda bereits
einem Fungus i m p e r f e c t u s“ gegeben worden war.
Ich selbst habe übrigens gelegentlich auch Streptothrix
odorifera, thermophila usw. drucken lassen, gebe
aber zu, dass dieser Name aus historischen Gründen falsch
J s t. E)a sich diesem Urteil auch die eingangs genannten
hiesigen Autoritäten anschliessen, so dürfte wohl zur endlichen
Richtigstellung der Bezeichnung der drei Genera ein weiterer,
hoffentlich nicht ganz nutzloser Schritt geschehen sein.
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Würzburg
(Geh. Rat H o f m e i e r).
Erfahrungen mit Lumbalanästhesie.
Von Dr. Gfroerer, Assistenzarzt.
Wenn bis heute noch die Lumbalanästhesie eine ziemlich
beschränkte Verbreitung besitzt, so liegt der Grund hierfür ins¬
besondere wohl in der Scheu vor den Schwierigkeiten der
Technik und den Komplikationen, die sich intra- oder post
operationem ereignen können. Ihre Vorteile der Allgemein¬
narkose gegenüber sind ja hinreichend bekannt. Da nun heute
aber auch die Technik und die ganze Methode der Rücken¬
marksanästhesie derartig ausgebildet ist, dass sich uner¬
wünschte Zwischenfälle auf ein Minimum reduzieren lassen,
so ist ihre weiteste Anwendung zu wünschen und die Be¬
trachtung der von uns erreichten Resultate scheint uns einige
Berechtigung dazu zu geben.
Die Lumbalanästhesie wurde 1907 bei uns aufgenommen
und erfreut sich, wie die Zunahme um 12,5 Proz. in den letzten
2% Jahren beweist, steigender Beliebtheit. Insgesamt wurde
sie in 1223 Fällen ausgeführt, wobei es sich nur um grössere
vaginale bzw. abdominale Operationen handelte, die in A aller
Fälle mehr als eine Stunde in Anspruch nahmen. Von der
Anästhesie ausgeschlossen haben wir nur Patientinnen mit
Rückenmarksleiden, Lues, schwerer Tuberkulose, Neigung zu
heftigen Kopfschmerzen und Aufregungszuständen, Gegenindi¬
kationen, die uns nur selten zur Abstandnahme von der
Lumbalanästhesie nötigten. Naturgemäss waren die Resultate
zu Beginn schlechter, bessern sich aber mit der Ausbildung der
Methode von Jahr zu Jahr. Ohne auf die früheren Erfahrungen
näher einzugehen, teile ich nur kurz die Resultate der ersten
Jahre mit. Todesfälle, die der Lumbalanästhesie zur Last
fielen, waren niemals zu beklagen. Unter Zugrundelegung
eines Schemas, in dem
Grad I = dauernd bis Schluss der Operation oder über 45 Minu¬
ten bedeutet,
Grad II = eine Dauer zwischen 30 und 45 Minuten,
Grad III = 15 — 30 Minuten,
Grad IV = völliges Versagen bzw. eine Dauer bis zu 15 Minuten,
ergaben sich für die erste 272 Fälle umfassende Serie folgende
Resultate: Stovain Tropakokain
Grad I: 76,7 'Proz. Grad I: 66 Proz.
- IV: 5,8 „ „ IV: 10 „
Für die nächstfolgenden 500 Fälle
Stovain Tropakokain -
Grad I: 82,6 Proz. Grad I: 85 Proz.
_ .. IV: 6,5 „ „ IV: 4 ,
20) Kolle-Wassermann 1. Aufl., II. Bd., p. 834—836.
1902
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 36.
Es ist also bereits in der 2. Serie ein wesentlicher Fort¬
schritt zu erkennen, einerseits in der V erwendung von Tropa¬
kokain liegend, andererseits in dem Umstand, dass wir in dieser I
Serie die Vorbehandlung der Patientinnen mit Morphium-
Skopolamin einführten.
Die 3. Serie, über die ich mich ausführlicher verbreiten
möchte, umfasst 500 Anästhesien, reichend bis September 1913
und verkörpert unseren heutigen Stand.
Auf Grund der letzten guten Erfahrungen benützten wir
in diesen 3 Jahren ausschliesslich 5 proz. Tropakokain mit
0,6 proz. steriler Kochsalzlösung, wie sie von Merck in
Darmstadt in Ampullen von 1 ccm in den Handel gebracht
werden. Eine Stunde vor der Operation werden 0,6— 0,8 ccm
einer Lösung von 0,01 Morphium und 0,0004 Skopolamin in¬
jiziert. Wir haben diese einmalige Injektion, die gegenüber
früher eine geringere Dosierung bedeutet, für vollkommen ge¬
nügend befunden. Die bei zu grosser Skopolamingabe auf¬
tretenden Erregungszustände wurden nicht mehr beobachtet
und der für das Gelingen der Anästhesie wichtige schläferige
Zustand der Patientinnen auch mit dieser geringeren Dosis in
genügendem Grade erreicht.
Zur Injektion benutzen wir eine 10 ccm fassende Rekordspritze,
die trocken sterilisiert wird. Wird die Spritze z. B. mit Soda aus¬
gekocht, so können durch das noch anhaftende Antiseptikum die Me¬
ningen gereizt, ferner das Anästhetikum selbst in seiner chemischen
Zusammensetzung alteriert werden. Bei Kochen mit Wasser oder
Kochsalzlösung allein lässt sich auch bei sorgfältiger Reinigung ein
allmählicher Ansatz von Rost nicht vermeiden. Die Spritze wird
mit dem Anästhetikum beschickt und die Pat. in geeigneter Weise
gelagert.
Wir lagern die Pat. in der Weise, dass sie mit dem Rucken ganz
an der Kante des Fahrbetts liegt, die Knie stark angezogen, der Kopf
stark gebeugt. Nun wird die Haut gründlich mit Azeton-Alkohol ab¬
gerieben, zwischen 2. und 3. Lendenwirbel genau in der Mittellinie
die Kutis unter Chloräthylspray mit einem lanzettenförmigen Messer
eingestochen und die mit Mandrin armierte Punktionsnadel senkrecht
zum Verlauf der Wirbelsäule mit etwas nach oben gerichteter Spitze
eingeführt. Hat man das charakteristische Gefühl, die Dura zu durch¬
bohren, so darf die Punktionsnadel nicht mehr weiter vorgeschoben
werden. Der Mandrin wird entfernt und ca. 2 ccm Liquor abgelassen.
Sodann wird so langsam wie möglich, um Wirbelbildungen und plötz¬
liche Drucksenkungen zu vermeiden, 8 ccm Liquor angezogen und
dann, ohne die Lage der Kanüle im geringsten zu verändern, ganz
langsam injiziert.
Die Anästhesie pflegt bereits nach 2—3 Minuten auf¬
zutreten. so dass die folgende Desinfektion des Bauches mit
Azetonalkohol nicht mehr als unangenehm empfunden wird.
Kommt die Patientin auf den Operationstisch, so ist in den
ersten 10 Minuten jede steile Beckenhochlagerung zu ver¬
meiden.
Gelingt die Punktion zwischen 2. und 3. Lendenwirbel
nicht, so kann man, wenn man einen Wirbel tiefer geht, zum
Ziele kommen. Kommt statt Liquor Blut, so kann die Punktion
an einer anderen Stelle wiederholt werden, fliesst auch dann
noch Blut ab, so hat man gewöhnlich eine der zahlreichen
Venen zwischen Periost und Dura angestochen und die In¬
jektion unterbleibt am besten. Steht der Liquor unter so
niedrigem Druck, dass sich nur bei Hustenreiz einige Tropfen
entleeren lassen, dann haben wir auch in diesem Falle ruhig
injiziert und damit ebenfalls ausgezeichnete Resultate erzielt.
Eine Punktion in sitzender Stelle haben wir nur dann ange¬
wendet, wenn sie in der Seitenlage unmöglich war und uns
viel an dem Gelingen der Anästhesie lag.
Als Resultate ergaben sich folgende Werte:
Grad I: 437 An. 89,54 Proz.
Grad II: 7 , 4.43 ,
Grad III: 11 , 2,24 „
Grad IV: 33 „ 6,76 ,
Die vollkommen ausreichenden Anästhesien sind um
4,34 Proz., die Versager um 1,26 Proz. gestiegen. Die Miss¬
erfolge haben sich also vermehrt, jedoch nur dadurch, dass,
um das Bild möglichst objektiv zu gestalten, alle Anästhesien,
die Chloroformnarkose benötigten, als Versager gerechnet
wurden. In der Tat figurieren darunter 4 Anästhesien, wobei
die Patientinnen von vorneherein bei guter Anästhesie leiden¬
schaftlich Chloroform verlangten. 4 weitere betreffen tech¬
nische Versager, bei welchen kein oder nur eine ganz geringe
Menge Liquor abfloss. Zieht man diese Reihe von Fällen ab,
so ergeben sich nur 4,9 Proz.
Die grösste Wichtigkeit für das Gelingen besteht in der
peinlichsten Beachtung der Technik. Daneben können jedoch
noch andere Faktoren eine gewisse Rolle spielen, die eine
richtig ausgeführte Anästhesie zunichte machen. Ausser dem
Umstand, dass das Nervensystem eine geringere Affinität zu
dem Anästhetikum haben kann und somit eine ungenügende
Wirkung auftritt, kann auch die Injektionsflüssigkeit selbst
chemisch verändert sein und wir glaubten in einer Reihe von
Fällen diesen Punkt als Ursache von Misserfolgen ansprechen
zu können. Endlich spielt die individuelle Empfindlichkeit der
Patientinnen eine nicht geringe Rolle, finden wir doch Versager
in 72 Proz. bei Frauen unterhalb des 45. Lebensjahres, in einer
Zeit, wo die Eindrucksfähigkeit des Menschen noch eine
stärkere ist. Betrachten wir die Art der Erkrankungen in Be¬
ziehung zu den Misserfolgen der Anästhesie, so entfallen
45 Proz. auf Adnextumoren und Tubargraviditäten, Opera¬
tionen, bei denen zur Lösung der Adhäsionen ein kräftiges
Ziehen am Peritoneum nicht zu vermeiden ist und dadurch
höher gelegene Bezirke in Mitleidenschaft gezogen werden,
die das Anästhetikum nicht oder nur in ungenügendem Masse
erreicht hat.
Die Dauer der Anästhesie betrug in 28,5 Proz. 46—60 Mi¬
nuten, in 55,4 Proz. 60—75 Minuten, gewiss eine für das Wohl
der Patientinnen nicht gleichgültige Tatsache einer Allgemein¬
narkose gegenüber von der gleichen Länge.
Die häufigsten Störungen i n t r a operationem be¬
stehen in Wiirgreiz und Erbrechen. Wir beobachteten es in
38 Fällen = 7,8 Proz. Nur in 1,4 Proz. musste aus diesem
Grunde Allgemeinnarkose eingeleitet werden. In einer
grösseren Anzahl dieser Fälle muss das Erbrechen lediglich als
Nachwirkung einer vorangegangenen Narkose aufgefasst
werden, da unser Material in ausgiebigster Weise Demou-
strationszwecken dient und wir bei anschliessender Operation
wenn irgend möglich die Lokalanästhesie ausführen. Ernstere
Komplikationen intra operationem ereigneten sich 9 mal. 3 mal
traten stärkere Erregungszustände auf, die auf eine Ueber-
dosierung des Skopolamins zurückzuführen sind. In einem
Falle, wo wegen Versagens der Lumbalanästhesie Chloroform
gegeben wurde, handelte es sich um eine Asphyxie. In einem
weiteren Falle kollabierte die Patientin und kam 18 Stunden
später zum Exitus. Wie die Obduktion ergab, waren bei einer
Fisteloperation, die 8 Tage vorherging, beide Ureteren unter¬
bunden bzw. in Mitleidenschaft gezogen und der tödliche Ver¬
lauf als urämisches Koma zu erklären. Nur in 4 Fällen
= 0,8 Proz. ist ein intra operationem auftretender Kollaps der
Lumbalanästhesie zuzuschreiben, einmal verbunden mit auf-
steigender Lähmung der Thoraxmuskulatur. Die Schuld daran
ist einer zu raschen Injektion bzw. zu raschen Beckenlagerung
zuzuschieben. Alle Patientinnen erholten sich in kurzer Zeit
und ohne dauernden Schaden zu nehmen.
Unter den postoperativen Störungen treten am
häufigsten die Kopfschmerzen in den Vordergrund. Sie werden
7 mal verzeichnet — 1,4 Proz. und zwar wurde 6 mal der
Schmerz in typischer Weise am Hinterkopf angegeben. Dieses
ausgezeichnete Resultat glauben wir in erster Linie dem Wes¬
fall des früher üblichen Adrenalinzusatzes und der ausschliess¬
lichen Benutzung von Tropakokain zu verdanken, wobei wir
allerdings bemerken, dass nur nachhaltigere und das Allge¬
meinbefinden beträchtlich störende Kopfschmerzen registriert
wurden.
Postoperatives Erbrechen, das bei der Allgemeinnarkose
zum mindesten am ersten Tag zur Tagesordnung gehört,
wurde in nur 0,8 Proz. festgestellt.
Von Lähmungserscheinungen wurde am 10. bzw. 13. Tag
post operationem eine Abduzenslähmung beobachtet. Wir
müssen sie wohl der Lumbalanästhesie zuschreiben, jedoch
ist nach anderweitigen Erfahrungen anzunehmen, dass auch in
diesem Falle eine Restitutio ad integrum eintrat.
Endlich trat einmal, eine halbe Stunde nach der Operation,
eine Psychose in Form von Verfolgungswahn auf. Nach
Pantopon-Skopolamin beruhigte sich die Patientin wieder, um
am folgenden Tag völlig normal zu erscheinen. Einen nach¬
haltigen Schaden hat Patientin, wie wir uns vor einigen
Wochen überzeugen konnten, nicht erlitten.
September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1903
Von sämtlichen mit Lumbalanästhesie operierten Frauen
nd 20 gestorben, keine aber unter dem Einfluss der Narkose
id grösstenteils solche Patientinnen, bei denen infolge ihres
istandes die Lumbalanästhesie ein rettendes Moment gegen-
nr der für Herz und Lungen nicht gleichgültigen Allgemein-
irkose darstellte.
Die ernsteren Kollapserscheinungen hätten sich jedenfalls
i langsamer Injektion und Vorsicht in der Beekenhoch-
gerung zum Teil vermeiden lassen.
In 78 Proz. aller Operationen wurde die Lumbalanästhesie
isgefiihrt und diese Zahl wäre wohl noch eine höhere, wenn
is nicht äussere und didaktische Gründe zwängen, teilweise
r Narkose zu greifen.
Pie Vorteile, Wegfall der Schädigung von Herz und
iigen. Freibleiben des Sensoriums, vereinzeltes Auftreten
m Uebelkeit und Erbrechen, die Möglichkeit intra operat.
it der Patientin konferieren zu können, sowie das Sparen
les geschulten Narkotiseurs, gepaart mit der durch unsere
sultate aufs Neue bewiesenen Güte und Ungefährlichkeit
r Methode. lassen es berechtigt erscheinen, die Lumbal-
ästhesie zur weitesten Benutzung zu empfehlen.
Literatur.
Cuny: Inaug.-Diss. Würzburg 1914. 500 Fälle von Luinbal-
othesie.
s dem pathologischen Institut des Allgemeinen Kranken¬
hauses Hamburg-Eppendorf (Prof. Dr. E. Fraenkel).
Todesursachen bei Aortenaneurysmen.
Von Dr. med. P o h r t.
Die einzige bisher über dieses Thema veröffentlichte Arbeit
enigstens der deutschen Literatur) ist eine von Max Baer
' dem Jahre 1912 aus der medizinischen Klinik im städti-
f ien Krankenhaus zu Frankfurt a. M.: „Ueber die Todes¬
ache beim Aortenaneurysma“, in der er über 26 Fälle be¬
lltet. Von diesen gingen 7 durch Perforation zugrunde,
urch komplizierende Erkrankung, 15 unter dem Bilde eines
onischen Herz- und Lungenleidens. Baer tritt an der
i nd dieser Zusammenstellung der Anschauung entgegen, dass
häufigste Ausgang des Aneurysma die Perforation sei.
' ier die Todesursachen bei Aortitis luica besitzen wir ver-
i iedene Aufstellungen.
So berichtete z. B. Deneke 1910 über 46 Fälle von Aortitis
a. von denen 13 im Krankenhaus verstorben und seziert waren,
waren von ihnen zugrunde gegangen an:
Selbstmord . .... 1
Tabes (mit Aorteninsuffizienz) . 1
Tuberkulose (und Aneurysma) . 1
Ruptur eines Aneurysmas . 2
Kompression des linken Hauptbronchus und der
Trachea durch Aneurysma . 1
Relative Aorteninsuffizienz . 3
Fmbolie der Arteria mesenterica aus einem Aneu¬
rysma der Aorta ascendens . 1
Absolute Aorteninsuffizienz und Verengerung der
Kranzarterien . 3
- Jahre später berichtete Deneke über 118 Patienten mit
^ :itis luica, die in den Jahren 1909 — 1911 in seine Behandlung ge-
J -n waren. Von ihnen waren zur Zeit des Vortrages (Ende 1912)
n2 Proz.) gestorben. Von diesen 118 Patienten leiden oder
i n an:
^ itis ohne Aneurysma und Aorteninsuffizienz 6 (t 2 oder 33 Proz.),
' er Aorteninsuffizienz . 64 (+ 40 oder 62,5 Proz.,
' eninsufnzienz mit Aneurysma . . . 34 (t 23 „ 67,6 „ ),
' urysma ohne Aortenfehler .... 14 (t 9 „ 64,3 „ ).
Wenn über unser Thema so wenig veröffentlicht ist, so
das daran, dass bis vor kurzem die Aetiologie des Anett¬
es ganz im Mittelpunkt des Interesses stand, und dass
i Klärung dieser Frage sich das Interesse der Therapie
andte. Dazu kommt ferner, dass unser Thema scheinbar
ein theoretisches Interesse bietet. Das ist aber nur schein-
\ ^er Lall, denn wie wir sehen werden, birgt es eine ganze
v ie von Anregungen für Diagnose und Therapie. Ich habe
-*r auf Anregung von Herrn Prof. Dr. Fraenkel 50 in
1 Jahren 1908—13 hier behandelte, verstorbene und sezierte
■ e von Aortenaneurysma zusammengestellt und im Sinne
; obigen Themas verwertet.
Lm gleich mit dem bekanntesten Ausgang des Aneurysmas zu
beginnen, so hatten wir unter unseren Fällen 12 Perforationen. Die
Aneurysmen sassen hier mit einer Ausnahme an dem Anfangsteil der
Aorta. 2 mal waren sie zylindrisch, sonst sackförmig, zwischen der
Grosse einer Walnuss und eines Kindskopfes schwankend. In 3 Fällen
waren mehrere Aneurysmen vorhanden, von denen eins (in 2 Fällen
clas kleinere. Iiasel- resp. walnussgrosse) perforiert war. Je nach
üem Wachstum nach verschiedenen Richtungen und des Risses an
verschiedenen Stellen war auch die Blutung in verschiedene Räume
erfolgt, und zwar: 5 mal in die linke Pleurahöhle, je 1 mal in den
linke n Lungenunterlappen und von da in den linken Pleuraraum, in
den linken Hauptbronchus, in die Trachea, in den Oesophagus, ins
I erikard, in die rechte Pleurahöhle und ins Abdomen.
r . djes®n Fällen waren 3 Aneurysmata spuria. Bei einem
dieser Falle fanden sich bei der Sektion in der Hinterwand der Aorta
unmittelbar unter dem Durchtritt durch das Zwerchfell 2 neben¬
einander liegende, unregelmässig zackig begrenzte, je 2 cm lange
Kisse. Hier war der Blutstrom in die Gefässwand eingedrungen und
hatte einen gut faustgrossen Sack gebildet, der sich nach oben über
das Zwerchfell durchgewühlt hatte und durch ein über fünfmarkstück¬
grosses Loch in die linke Pleurahöhle perforiert war. In einem
anderen Fall handelte es sich um ein eineinhalbfaustgrosses dicht
unterhalb der Durchtrittsstelle durch das Zwerchfell gelegenes
Aneurysma, das sich noch 6 cm weit über das Zwerchfell hinüber
eisti eckte. Die Perforation war ins Abdomen erfolgt, man hatte eine
Laparotomie gemacht; der Patient war bald hinterher gestorben
Ueber den 3. Fall siehe weiter unten.
In 3 Fällen war die erste Blutung sofort tödlich. Sie waren
sämtlich in die linke Pleurahöhle resp. durch den linken Lungen-
, unterlappen in diese erfolgt. 2 mal fand man bei der Sektion 3,5 Liter,
1 mal 2 Liter Blut. Ein Fall eines ins Abdomen rupturierten Aneu¬
rysmas (siehe oben) hatte eine Laparotomie noch überstanden. Die
anderen gingen nicht an der ersten Blutung zugrunde. Hier traten,
bevor die tödliche Blutung in die Trachea resp. den linken Haupt-
brcnchus erfolgte, in 2 Fällen wenigstens, 14 resp. 15 Tage vorher
blutiger Auswurf ein. In 3 anderen Fällen war mehrere Tage vor
dem Tode Blut im Pleuraraum nachgewiesen worden. Bei einem
dieser Fälle wurden am 2. Tage 200 ccm, am 4. 900 ccm. am 5.
3011 ccm stark getrübter, Staphylokokken enthaltender, blutiger
Flüssigkeit entleert. Bei der Sektion am 6. Tage enthielt die Pleura¬
höhle 1,5 Liter blutige Flüssigkeit. In einem 2. Fall fand sich bei
einer Probepunktion flüssiges Blut. Bei der Aufnahme war bereits
die ganze linke Lunge gedämpft gewesen. Bei dem 15 Tage nach der
Aufnahme erfolgten Tode enthielt die linke Pleurahöhle 2—3 Liter
Blut. In einem 3. Fall erfolgte 4 Tage vor dem Tode unter Dämpfung
der ganzen linken Lunge eine Blutung in die linke Pleurahöhle.
2 Tage später wurden davon 800 ccm punktiert. Bei der Sektion
wurden 3,5 Liter gefunden. In diesen Fällen war offenbar die Per¬
forationsöffnung zunächst klein gewesen, oder sie war durch
Thromben wieder verstopft worden, oder der Blutstrom hatte sich
durch dicke Thrombenmassen durchwühlen müssen. So war eine
geringe aber stetige Blutung erfolgt, und diese, oder zum Schluss
eine akute heftige, hatte den Exitus herbeigefiihrt.
Wie lange nach Entstehung des Aneurysmas der Tod er¬
folgte, darüber lässt sich bei unseren Fällen im allgemeinen
sehr schwer etwas Sicheres aussagen. Wir finden zwar an¬
gegeben, dass die Patienten seit einer bestimmten Zeit an
Stichen in der Brust litten, kurzatmig wurden usw., doch lässt
sich aus diesen Angaben der Beginn der Entwicklung des
Aneurysmas aus der Gefässerkrankung nicht bestimmen.
Doch haben wir einen Fall, bei dem sich dies genau feststellen
lässt. Es handelt sich hier um einen früheren Konzertsänger, der
am 27. III. 11 hier aufgenommen wurde und angab, er sei bis 1901
vollkommen gesund gewesen. 1901 habe er dann beim Essen plötz¬
lich einmal das Gefühl gehabt, als wenn ihm der Bissen im Halse
stecken bliebe. Nach einigen Tagen habe sich Heiserkeit eingestellt.
Später sei die Stimme zeitweise hin und wieder normal gewesen,
bis sie definitiv heisser geworden sei. Vor 6 Jahren habe sich eine
Vorbuchtung der linken Brustseite gezeigt, es seien Herzschmerzen
eingetreten. Seitdem habe sich sein Zustand allmählich ver¬
schlechtert. Sei der Sektion fand man ein mannsfaustgrosses Aneu¬
rysma spurium der Aorta ascendens, ein strausseneigrosses der Aorta
descendens und eine Degeneration des linken Nervus recurrens. Hier
sind also von dem ersten Auftreten der Schädigungen durch das
Aneurysma bis zur Ruptur 10 Jahre vergangen, eine ungewöhnlich
lange Zeit. Schätzt doch R o m b e r g die Lebensdauer des Aneu¬
rysmas in der Hälfte der Fälle nur auf Va—VA Jahre. Uebrigens
hatte der Patient 1901, 1908 und 1909 spezifische Kuren durchgemacht.
War in den Krankengeschichten die raumbeengende Wir¬
kung des Aneurysmas, auch zweier so grosser wie in dem
zuletzt geschilderten Fall, nicht auffällig, wenigstens nicht
lebensbedrohend, hervorgetreten, so lag das an der Richtung
ihres Wachstums. Zwei Organe der Brust sind es, die eine
Pression durch das Aneursma vertragen können, ohne dass
lebensgefährliche Erscheinungen auftreten, das sind die Lungen
und die Knochen. Denn wie der Mensch einen sehr grossen
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
19M
TeQ seiner atmenden Lunker pberüä ehe verlieren kann, ohne
der rpv"~\''- - "T1 „ r ersredroher. rer Meise leidet, so
bringt in auch e.ne ■ orbuchtung ocer schliesslich sog^. eine
Usv der Rippen — h der M irbelkörper nicht in Geiahr, voraus- |
gesetzt. dass sie riebt ü'jer ein gewisses .Mass hmansgeht.
Wächst also ex Ar urysma nach einer dieser beiden Rich-
t^in ih— kommen lebensbedrobende Schädigungen nicht
zustande. Immerhin aber erhöht ein Aneurysma in iecem Fa!!
den Druck im Brus träum und dieser fuhrt zur Beeinträchtigung
der Atmung und der Herztätigkeit in gewissen Grenzen.
Wächst aber ein Aneurysma gegen die Organe des Media
cmns, dann kommt es. sobaid dieses resp. der Teil cer Aorta,
an dein das Aneurysma sitzt, nicht ausweichen können (der
Anfangsteä der Aorta verfügt über eine ge Beweglich- :
keitk zu Kompression der Organe, der Trachea, des Oeso¬
phagus oder der grossen Gefasse.
Auf > che Weise haben 9 unserer Fälle geendet, und zwar:
e rer durch ein .Aneurysma der Aorta ascencens. das die Arten 2
prinufe za Sichetiont komprimiert hatte, 2 durch Kompression
des Oesit'igus. Von den letzteren wurde einer mit hochgradigster
Inarit:' miribuad hier anrger immer. 27 cm hinter der Zahr.rethe
s ress man mit der Oesoptagussoude auf ein unüberwindliches
Hmderms. Bei der Sdtko stellte es sich heraus, dass hier ein wal-
uussgr.sses, mit dicken Thrcmbenniederschlägen versehenes Areu-
rrsra des Arfarrsteüs der Aorta desceudens die hintere Wand des
Oesophagus vonrölbte. Bei dem 2. Fad lag ein halbkugeliges Areu-
- cer rechten W and des Arkus vor. das nach nieten gewachsen
- ar m: den imker Earrtbroccbus und den Oesophagus komprimierte.
Dieser Druck bare zu einem Druckgeschwür des Oesophagus, zu
einem Durchbruch seiner V* an c unc der anlieger.cen cer Tracnea.
eine* jauchigen Brt-nchitis und einem Gangriüiherd :m «öberlappen
der linken Lunge geführt. Die übrigen 6 Fälle erlagen einer Kom¬
pression der Trachea, cie sich in 5 der Fa_e be: Lebzeiten :n einem
lauten Stridor manifestiert har e. Bei einem 6. Fad war durch die
Pression eine Tracheitis prcliterans entstancen. Diese Bemncerung
- ar nicht hpchgrad.z genuz gewesen, um Stridor her -erzürnen, hatte
aber eine deutliche Hemmung der Exspiration verursacht.
Vor anderen Folgen der Pression der Trachea konnten registriert
« erden: In einem Fall war die eine seitdehe Wand cer Tracnea im
Bereit" re* : — 12. Y~ tmels eirgedrüc-:'- die Frachea hatte cacurcn
ci'ty've" — hekotnrnen. cas Lumen * ar bis auf Oo cm ver-
sc'm - lern *1 -rderu In anderen Fällen hatte eme Erw eichung oder
Scc und re* Knorpel r der Stelle des Ftruciies eurer cas Aneurysma
1 tatt gef ur d em damit tra* nitirt nur e;r Flattern cer A arc bei den
Alembewe gern gen ein. sondern das Lumen - urdc letzt scrocungs. ' s
durch das Aneurysma eingeengt. 5 Patienten gingen durch Er-
'titkunc zugrurte: bei dreier wurce c:e Entstehung von Broncho¬
pneumonien durch Behinderung der Exspiration begünstigt, wodurch
das Erde beschleunigt - erde. Y erschiecenreit ces Ausgangs-
p.mktes der Form und Grosse hatten in dieser. Fällen die Art urc
W eise, • e die Kumprevsoa zustande gekommen war. stark variiert.
F'~— ai handelte es sich um ein kiudskopf grosses Aneurysma der
hinteren Fläche des Arcus aortae. das nach hinten und unten ge-
. achver war und. i -dem es den unteren Teil cer Trachea stark nacr
links gedrückt hatte, eure" Vorbcchtung der Wand das Lumen ein¬
geengt hatte elr andere; Mal um etr. faustgrosses cer Aorta ascen-
dens und des Arkus, das die Trachea säbelscfceidenarcg zusammen-
gedrüc*: harte e - drir.es Mal hatte e re kugelige Ausbuchtung der
Arteria awzr.rma diese hähebcheidenform durch halbkugelige Ein-
rtüpimr der Wand kn Bereiche des 5.— 12. Trachea Iknorpeb bervor-
gerufer und das Lener his au: 5 cm verengert Giere oben); ir
einem 4 Fall handelte es er um ei- er. fast faustgrossen Sack, der
in Höhe der Arteria aron: ma. der Karotls und Subclavia sinistra
aus der hinterer Wand des Arkus entstanden war und. sich hinter
den genannten GefLsser. in die Höhe schiebend- die Trachea kom¬
primiert harte: ein fünftes Mal um eir. 16 cm im Umfang messendes
Aneurvsma de- Aorta testendem- das nach rechts gewachsen war
und eher, oberhalb der Btfurcatki die linke Ward der Trachea vor-
bocktete: ei- sechstes V.al um eir. überfaust grosses Gebilde am Ueber-
gar.g der Aorta descendems in cer. Arkus, das. indem es sich gegen
das M mdiinm sterri anstemmte. die Organe des Mediastinums
gegen cie Wirbelsäule anpresste. Unter diesem Druck hatte die
Trachea vorwiegend gelitten, doch -ar der Oesophagus nicht un-
bebdfigt ge hieben, und cer Parier.: hatte ir. der letzter. Zeit vor dem
Tode feste Nahrung nur sc '-locker vierer - enr. er hinterher trank.
Wenn wir nun zu der. beirr Aneurysma beobachteten
Kreislaufstörungen übergehen, so muss zunächst betont
we-detu dass unter unseren 51 Fällen keiner war. der durch
die durch das Aneurysma an sich verursachten Kreislauf-
tör.-.ger. zugrunde ging, wenn wir von der r. Tod durch Kom¬
pression der grossen Gefässe absehen. Diese durch das
Aneurysma ar sich gesetzten Schädigungen sind einmal die,
das eir Teil des Blutstroms, in einen Sack mit starren Wan-
d uriger gepresst aus diesem in einem gewissen Winkel zu
Nr3f
dem normaler. Blutstrom austretend, den letzteren hemmt ;
. veranlasst. Onenbar wird diese Schädigur t
s« grösser sein, je grösser der Sack und vor allem die
irur.i:a:.cr. mit der Aorta ist. Solche Schädigungen we
beirr, zy. r.dnschen Aneurysma sehr viel geringer sein.
zweite Schädigung ist die oben schon erwähnte, dur.
Vermehrung des intrathorakalen Druckes zustande kommt .
Nun werden aber beim Aneurysma eine ganze 1-i .
anderer. Schädigungen der Kreislauiorgane beobachtet, 0 r_
“hm r.ur mehr oder weniger nahe Beziehungen haben, bse
werden einmal durch die Aneriosklerose und Lues, die ja ;c:
den Boder. rer das Aneurysma bilden, veranlasst: die Star . ,
des Aortenrohres durch luische und arteriosklerotisch t ::r-
krankung. die lutschen und aneriosklerotischen Verändermer
der Kranzarterien, vor allen Dingen der luischen. die zu er-
schluss oder Einengung des Abgangs der Koronarartce-
rühren: irische Veränderungen der Aortenklappen, die ne
absolute Aorteninsufnzienz veranlassen und schliesslich ae
Er» eiterur.g ces Aortenostiums, die zu einer relativen Aoeu-
insumzienz führt.
Eine ganze Reibe unserer Fälle (17) sind Kreislaufstoncer
■siehe aber ober.) erlegen. Im einzelnen Falle war niemals eii ce
per. genannten Schädigungen allein Ursache des Todes, dot be¬
herrschte in jedem einzelnen Falle eine so sehr das Bild, dassmp ,
fiese als cie Todesursache bezeichnen konnte.
Um nun mit der relativen Aorteninsufnzienz zu beginne so
war es kein Zufall, dass unsere 12 Fälle, die daran endigten, sanier
cir.e zylindrische oder spindelförmige Erweiterung der Aorta ge*- 4
fers oder auch des weiteren Verlaufs der Aorta aufwiesen, lsnm
gtz~- unger anzunehmen. dass ein sackförmiges Aneurysma an ner
Stelle der Aorta entsteht, an der die Wand besonders stark irefe
der pathologischen Prozess geschädigt ist. wobei dann noch disog.
iirandrrgslirie eir.e Rolle spielen mag. so kann man nicht umh. ot:
der Z-. lir.drischen Erweiterung eine gieichmässige Wandschäcic.
ar.zurehmer.. bwohl es nicht gelang, aus den in den Sektionsotc-
k Iler riedercelegten Befunden eine Verschiedenheit der nur-
skopisch sichtbaren Veränderungen der Aortenwand bei zylindrirer
und sackf -rr.iger Aneurysmen naebzuweisen. Hier ule dort t a
der eher iecenden Mehrzahl der Fälle eine Kombination va» j
luischen urf arteriosklerotischen Veränderungen vor (3 Patnieu
die in hohem Alter mit einem Aneurysma verstorben waren, »ses
r.ur arteric sklerotische, keine luischen Veränderungen auit. .äe i
solche gfcichmässige Schädigung der ganzen \\and. die w aa-
nehmer ir 1. ssen, führt zu einer gleichmässigen Erweiterung, iu ar
fieser nimm: dann auch der Anfangsteil der Aorta, das Aonenos*.
re:!. Die Folge ist eine mehr oder weniger hochgradige reime
AorreninsufLzienz. I In unseren Fällen, die dadurch endigten, hkt
irr. ad gemeinen Masse des Aortenostiums.) Ueber den Gr; ue*
Erweiterer c des Aortenostiums in unseren Fällen vermögen w i
allgerr.ei r.en keine präzisen Angaben zu machen (einmal wun der
Umfang der Aorta an ihrer Abgangsstelle mit 9.5 cm gemessen)
f.r.der angegeben, dass das Ostium in die Aorta gegossenes vvssc
durchlaufen lässt. In 2 Fällen ist die Aorta dicht oberha «s
Ostiums mit 9 resp. l*-5 cm. 1 mal 2 cm über ihm mit 14 c ge¬
messen.
Ar. Komplikationen wiesen diese Fälle von relativer A r
Insuffizienz auf: 4 mal Verengerung resp. \ erschloss der 1
arrerier. durch der. luischen Prozess. 2 mal war die rechte eripac»
verengt. 1 mal völlig verschlossen; 1 mal war die linke verseng
und die rechte r.ur für einen feinen Faden durchgängig.
■aarer. Veränderungen der Aortenklappen selbst: ln 5 Fällen not*
sich absolut intakte Klappen, in den anderen zeigten sitojt
Fer ■■•erur.g. sk'ero’isrhe Veränderungen. Schrumpfung durch Is--
N’eränderungen 'in 4 Fällen), welche letzteren zu der relative t-
absolute Aorteninsufnzienz hinzufügten. In allen Fällen wa e
Dilatation de? linken Ventrikels, zum Teil eine sehr hochgradig ea-
ge treten, die in 5 Fällen mit einer mehr oder weniger hoch',"
Hypertrophie sich vergesellschaftete. 5 mal war auch derj cl
Ventrikel erweitert. In 3 Fällen erfolgte ein plötzlicher To.. ^
trat er unter zunehmender Kreislaufschwäche ein.
Jn einem, der Fälle waren wir in der Lage iestzustellen. üs
wenigster 17 Monate an seinem Aneurysma gelitten MW
Diagnose war am 4. VII. 09 gestellt worden, der Tod eriolc --
10. XIL 10). _ ,
Der Rest unserer 17 Fälle, die Kreislaufstörungen er.az'
g -g durch syphilitische Erkrankungen der Kreislauiorgane -
«cie mir dem Ar.eurr ma nur insofern verwandt waren, als Sten¬
derns eiben Bo-fer. er.: ach er waren). Ein Patient endigte --
hochgradigen Ve- .-i der Abgangsstelle seiner beiden Kot
arrerier. die beide noch gerade für eine Stecknadel pas:-’-
waren. Die 4 anderen gingen durch syphilitische Erkrank«:
Aortenklappen die bekenntermassen eine Retraktion, unregelr.'
Verdickung und Derbheit der Klappen, dadurch eine absolute A -
Insuffizienz hervorruft. Das Krankheitsbild unterschied sic
zir eil nicht von dem bei den obengenannten an relativer Insu; j
zugrunde gegangenen Fällen. Dyspnoe, mehr oder weniger
S September 1914, _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Stauungserscheinungen. zum Teil keine, zum Teil hochgradige
•cdeme. das waren die Erscheinungen der letzten Zeit, und der
Tod erfolgte entweder unter zunehmender Herzschwäche oder aus
inem gewissen Wohlbefinden heraus plötzlich. Bei der Sektion fand
-*ch immer, ganz wie bei den früheren Fällen, eine geringe bis
-chgradige Dilatation des linken Ventrikels, in 2 Fällen vergesell-
chartet mit Hypertrophie, die bei einem Fall, in dem neben einer
osofiizienz auch eine Stenose bestand, hochgradig war (die Dicke
er Wand des linken Ventrikels betrug bis zu 23 mm). In den
Jlen. die mit schweren Stauungserscheinungen endigten, fand man
uch den rechten Ventrikel dilatiert. An Komplikationen wiesen die
Fälle von relativer Aorteninsuftizienz auf: einmal Verschluss der
echten Koronararterie: einmal starke Verengerung der rechten (nur
ir eine feine Sonde durchgängig) und weniger starke der linken.
Die Stauung im kleinen Kreislauf, die bei einer ganzen Anzahl
.on Aneurysmakranken als Folge der obengenannten Affektionen der
vreislauforgane eintritt. manifestiert sich meist auch in einer hart-
ackigen Bronchitis. Kommt dazu eine \ erengerung der Trachea,
ann treten infolge Behinderung der Exspiration leicht tödlich endi-
ende Bronchopneumonien auf (siehe oben). Aber auch anderen In-
ektioner. öffnet die Schädigung der Widerstandsfähigkeit des
ungengewebes Tur und Tor, so ist es wohl nicht als Zufälligkeit
nzusehen, wenn 3 Patienten kruppösen Pneumonien erlagen.
Eine zu dem Aneurysma selbst in engster Beziehung stehende
.cesursache ist hier noch im Anschluss an die eben genannten Fälle
- erwähnen: der Tod durch Embolie aus Aneurysmathromben. Wir
aben unter unseren Fällen kein Beispiel dafür.
Auch bei den anfangs angeführten Aufstellungen über Todes-
's^chen bei Aneurysma und Aortitis luica ist diese Todesursache
eiten: Baer hatte unter seinen 26 Fällen kein Beispiel dafür,
•eneke nennt einmal unter 13 Fällen an Aortitis luica einen Todes-
tii an Embolie der Arteria mesenterica aus einer hühnereigrossen,
-ickförmigen Ausbuchtung nahe dem Klappenringe, die mit älteren
“d frischen Gerinnseln gefüllt war. Die Folge war ausgedehnte
’armgangrän und tödliche Peritonitis. 1912 zählt Deneke unter
s Todesfällen an Aortitis luica 2 Fälle von Darmgangrän auf emboli-
. er Grundlage mit denselben Folgen.
Die Seltenheit einer Embolie aus Aneurysmathromben ist nicht
erwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Thrombosierung des
neurysmas meist in Schicht weisen, schalenförmigen Anlagerungen
n die W and erfolgt, die sich schwer losreissen.
Schliesslich starben 8 unserer Patienten an interkurrenten Er-
-ankungen. 3 starben am Senium 70. 73 und 91 Jahre alt. Als
teressante Einzelheit sei noch erwähnt, dass sich bei einem dieser
-die ein faustgrosses Aneurysma der Aorta ascendens fand, das mit
er Arteria^ pulmonalis durch einen linsen- und zwei stecknadelkopf-
rcsse Oeirnungen kommunizierte Ein Patient erlag einer iortge-
-hrittenen Lungentuberkulose, ein anderer einer akuten Blutung aus
>ei irischen, linsengrossen Geschwüren des Pylorus. Es ist schwer
: entscheiden, ob man die Aneurysmathromben, die sich bei der
ektion fanden, für die Entstehung der Ulzera verantwortlich machen
Q- Es fanden sich jedenfalls sonst nirgends Thromben, die eine
mbolie der Pylorusarterien hätten machen können. Ein anderer
arb an ausgedehnten Lungeninfarkten aus marantischen Herzohr-
romben (starke Koronararteriosklerose. Myodegeneratio cordis
iiposa); ein anderer an einer Streptokokkämie mit unbekannter
ntrittspforte. In einem Falle war das Aneurysma am Zustande¬
mmen des Todes mittelbar beteiligt: es handelte steh da um eine
".eumokokkämie. ausgehend von einem Pneumokokkenempyem der
nken Pleurahöhle. Es erfolgte eine Infektion der Aneurysma-
romben. die dann septische Infarkte der linken Niere und der Milz
lachten.
Fassen wir nun die Resultate vorstehender Unter-
ehungen zusammen, so gingen zugrunde an:
I. Ruptur .
12
(24
Proz.)
!. Kompression von Organen der Brusthöhle
9
(18
„ )
I. Krankheiten der Kreislauiorgane .
17
(34
., )
a) relative Aorteninsumzienz
12
(24
.. )
b) sonstige .
5
(10
.. )
. Lungenerkrankungen infolge Stauung im
kleinen Kreislauf .
3
(6
. Embolie aus .Aneurysmenthromben .
0
(0
)
I. Interkurrente Erkrankungen .
9
(18
„ )
Vergleichen wir unsere Prozentzah! der
dur
ch
Ruptur
.endeten Fälle mit den sonst genannten (M a 1 m s t e n
1 Proz., Arnold 53 Proz., Baer 27 Proz.. G i b s o n
' Proz.). so hält sie sich weit unter der Mitte. Am häufigsten
ma!) erfolgte die Blutung in die linke Pleurahöhle. Dreimal
ar die erste Blutung soiort tödlich, in den anderen Fällen
ndelte es sich um chronische Blutungen. 1 Fall starb nach
ner Laparotomie.
Wächst das Aneurysma gegen die Trachea oder den Oeso-
•ages. dann droht der Tod durch Kompression dieser Organe.
9 aut diese Weise zugrunde gegangenen Fällen war 6 mal
r Tod durch Kompression der Trachea erfolgt. 2 mal durch
Nr 36.
1005
Kompression des Oesophagus, 1 mal durch Kompression der
Arteria pulmonalis.
Die durch das Aneurysma an sich hervorgerufenen Kreis¬
laufstörungen genügen nicht, um den Tod herbeizuführen. Erst
wenn es bei zylindrischer Erweiterung des Aortenrohres zu
einer relativen Aorteninsuffizienz kommt, tritt eine leben¬
bedrohende Schädigung ein (12 unserer Fälle). Bei anderen
5 Iodesfällen infolge Erkrankungen der Kreislauforgane war
1 mal eine Verengerung der Koronararterien, 4 mal eine ab¬
solute Aorteninsuffizienz infolge Lues der Aortenklappen die
Todesursache.
3 Patienten erlagen einer kruppösen Pneumonie. Eine
Stauungsbronchitis hatte hier der Infektion die Wege geebnet.
Tod durch Embolie aus Aneurysmenthromben ist selten,
da die Thromben der Aneurysmawand fest ansitzen. Wir
hatten unter unseren Fällen keinen solchen.
8 Fälle endeten an interkurrenten Erkrankungen, das
Aneurysma spielte als Todesursache hier nur eine Nebenrolle.
Literatur.
Bär: Ueber die Todesursachen beim Aortenaneurysma. Frankf.
Zschr. f. Pathol. 1912. - — Deneke: Zur Klinik der Aortitis luica.
Dermatologische Studien 21. 1910. — Deneke: Ueber Aortitis syphi¬
litica. Yerhandl. d. Hamburger med. Gesellschaft 1912. — Rom¬
berg: Die Aneurysmen. Handbuch der prakt. Medizin 1905. —
His: Ueber das sackförmige Aortenaneurysma. Deutsche Klinik des
20. Jahrhunderts. — Kaufmann- Lehrbuch der spez. pathol. Ana¬
tomie. — Benary: Beitrag zur Lehre vom Aortenaneurysma. In¬
auguraldissertation Kiel 1912.
Darf bei weichen Schankergeschwüren prophylaktisch
Salvarsan angewandt werden?
Erwiderung auf den Artikel von Prof. Erich Hoffmann
in Bonn.
Von Dr. Hugo Müller in Mainz.
In Nr. 23 dieser Wochenschrift habe ich die Verallgemeinerung
der von N e i s s e r für ganz bestimmte Fälle von Ulzera unsicherer
Herkunft empfohlenen Salvarsantherapie auf typische Ulcera mollia
vorgeschlagen, da trotz sorgfältigster Untersuchungen gelegentlich
die P a 1 1 i d a sich der Beobachtung entziehen könne. Ich beriet
mich auf Gelehrte aus der Zeit vor der Spirochätenentdeckung, um
deren rein anatomisch-klinisches Urteil wiederzugeben, und suchte
einen Zusammenhang zwischen deren Auffassung und unseren
modernsten Forschungsergebnissen herzustellen. Einer wie sorg¬
fältigen Spirochätenuntersuchung es bei dubiösen Ulzera bedarf, er¬
gibt die bei zunächst negativem Dunkelfeldbefund besonders betonte
Notwendigkeit von explorativer Geschwürsexzision und Leisten¬
drüsenpunktion. Aber es bleibt die Tatsache bestehen: Trotz exak¬
tester Methoden ist bei Primäraffekt zwar in den meisten
Fällen, jedoch nicht mit absoluter Sicherheit in jedem
Fall von Luesinfektion die P a 1 1 i d a festzustellen.
Hoffmann gibt das zu und empfiehlt daher im Gegensatz zu
meinem Vorschlag der Salvarsanprophylaxe in diesen besonderen
Fällen abzuwarten, bis zum Auftreten einer positiven Wassermann¬
blutreaktion, eventuell auch auf Kaninchenhoden zu impfen, was
natürlich ebenfalls einen Zeitverlust ergibt.
Dieses ist der Angelpunkt der ganzen Frage.
Meine .Arbeit ist hervorgegangen aus den Beobachtungen der emi¬
nenten Erfolge unserer Abortivkuren in der noch negativen Wasser¬
mannreaktionsperiode des Frühprimärstadiums. Schon Ende 1912
konnte ich Serien von bis zu 2 Jahren beobachteten Heilungen von
100 Proz. mit ganz wenigen Salvarsandosen zusammenstellen *)- Ich
habe die Ueberzeugung. dass es etwas anderes ist, einen noch nega¬
tiven Fall bei negativer Reaktion zu erhalten, als einen schon posi¬
tiv gewordenen durch ganz eminent starke Therapie wieder negativ
zu gestalten. Die von Hoffmann u. a. hier inaugurierte und mit
grosser Energie durchgeführte Intensiv behandlung, die auch
als Abortivkur bezeichnet wird, muss besonders anerkannt werden.
Demgegenüber stehen, wie eben gesagt, die im negativen Frühstadium
mit ganz wenigen, mittleren Dosen erzielten glänzenden Erfolge, d. h.
also in der für die gefürchteten Hirnkomplikationen am allerwenig¬
sten disponierten Kr^nkheitsperiode
Demnach spitzt sich die Frage auf die folgenden, wenigen
Punkte zu:
1 Ist nicht, trotz der Erfolge der Intensivkur im positiven Früh¬
stadium, die Behandlung der noch negativen Frühestperiode anders
zu bewerten?
2. Ist das reine Ulcus molle wirklich, wie Er. Hoffman n
meint, so häufig, dass die „prophylaktische Salvarsantherapie“ ver-
hältnisn: ssu oft in Anwendung kommt?
l) Hugo Müller: Dauererfolge der Salvarsanabortivkuren der
Jahre 1910—11. M.m.W. 1913. Nr. S.
2
}t)06 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ _ _ Nr. 36.
3. Ist Salvarsan ungefährlich genug, um in dubiösen ballen als
Prophylaxe zu dienen?
Ad 1. Abgesehen von den zum grössten Teil vermeidbaren
grösseren Gefahren der Salvarsananwendung im positiven Früh-
stadium, ist der ideale Begriff einer Abortivkur darin zu finden, dass
der Patient überhaupt nicht in das positive Stadium hineinkommt.
Er behält einfacli seine normale Blutreaktion. Erst die Jahre
müssen lehren, ob bei den einmal positiv gewordenen Fällen die
wiedergewonnene negative Reaktion eine bleibende Eigenschaft ge¬
worden ist. Die Aussichten hierfür scheinen günstig, aber kritische
Bobachtung ist noch vonnöten.
Ad 2. Wären die reinen Ulcera mollia freilich so häufig, wie
Hoff mann annimmt, dann wäre der Einsatz unserer modernen
spezifischen Salvarsantherapie gegenüber der Chance, überhaupt
keine Lues zu haben, entschieden zu hoch.
In Mainz, wo Einwohnerzahl und sexuelles Sichausleben
durchaus grossstädtisch ist, war das reine Ulcus molle früher viel
häufiger. Jetzt tritt es ganz sporadisch auf, und nur gelegentlich
schafft eine unreine Quelle mehrere Infektionen. Soweit mir jetzt
Zahlenmaterial zur Verfügung steht, folgen hier die Angaben.
Die Spezialabteilung des Garnisonlazaretts
Mainz (leitender Arzt: Stabsarzt Dr. R i s s o m) ver¬
zeichnet innerhalb von 15 Monaten 70 Schanker. Davon waren
60 syphylitischer Natur. Unter den übrigen 10, bei denen keine Spiro¬
chäten zu finden waren, traten später in 2 Fällen noch Allgemein¬
erscheinungen auf; bei beiden bestand Zweifel an Diagnose Ulcus
molle. Man sieht hieraus, dass der weiche Schanker eine relative
Seltenheit ist, und dass bei bestehendem Genitalgeschwür die Hoff¬
nung für den Kranken, der Syphilis entgangen zu sein, sehr gering
ist.“ (Zitiert nach Rissom; Weitere Erfahrungen über Behandlung
der Syphilis mit Salvarsan. M.K1. 12. Nr. 13.)
Diese Lazarettstatistik hat deshalb besonderen Wert, weil in
den letzten Jahren die überwiegende Mehrzahl venerischer Erkran¬
kungen des Unteroffiziers- und Soldatenstandes in der Spezialabtei¬
lung des Garnisonlazaretts zur Behandlung kam. Zugleich ist die
Garnison hinreichend gross, um einen Rückschluss auf den ein¬
schlägigen Krankheitsstand in Mainz zu gestatten.
Demgegenüber braucht die relative Wertlosigkeit der Zivilkran¬
kenhausstatistik für Ulcus molle nicht besonders betont zu werden.
Abgesehen von der unzureichenden Länge der hier möglichen Kon-
trollzeit sucht ja der an Ulcus molle Erkrankte ohne Eintreten von
Komplikationen seltener das Spital auf. Um Fehldiagnosen zu meiden,
wird daher irri hiesigen städtischen Kranken hause keine
Statistik über Ulcus molle geführt. Doch sind laut Mitteilung des
leitenden Arztes der inneren Abteilung (Oberarzt Dr. Cursch-
m a ii n) reine Ulcera mollia recht selten. St. Vincenzspital
(S.-R. Dr. Metzger) verzeichnet neben 77 Lueszugängen 7 Ulcera
mollia. Diese Zahlen werden hier nur der Vollständigkeit wegen
verzeichnet. Der Garnisonlazarettstatistik aber gleichwertig sind
die Zahlenangaben meiner Privatklientel in Beziehung auf genügend
langdauerndc Kontrolle. Ich hoffe bei Gelegenheit grössere und damit
beweiskräftige Zahlen aus Privatklientelen zu bringen.
Eigene Fälle 1913: Primäraffektc 25, Ulcera niixta 2,
reine Ulcera mollia 2.
Summa Garnisonlazarett + Privatklientel ergibt: Primär¬
affekte 95, Ulcera mixta 4, reine Ulcera mollia2) 10.
Diese Zahlen bestätigen für Mainz meine Behauptung, dass eine
Salvarsanprophylaxe bei reinem Ulcus molle verhältnismässig selten
in Frage kommt.
Ad 3. Ca. 1000 Salvarsaninjektionen wurden ohne dauernde
Schädigung, abgesehen von der überwundenen Neurorezidivära 3) bei
meiner Klientel vorgenommen. Es fanden sich neben dermato¬
logischem Luesmaterial zahlreiche Fälle von Herzlues und Zentral¬
affektionen. Wohl ist einleuchtend, dass die Tatsache
selbst, kein ernstes Salvarsan Unglück erlebt zu
haben, bei dem Vorschlag, zur Salvarsanprophylaxe für dubiöse
Fälle ermutigend wirkt. Dazu kommt, dass heute von zahlreichen
Kollegen das Salvarsan bei harmlosen Hautkrankheiten etc., wo ich
es meiden würde, unbedenklich angewendet wird.
Eine auf anderem Gebiet liegende Frage muss nunmehr noch
angeschnitten werden.
H o f f m a n n wartet in zweifelhaften Fällen bis zum Positiv¬
werden der Blutreaktion. Es gilt als Dogma, dass diese eintreten
muss, sofern eine Luesinfektion erfolgt ist. Wie steht es in den
Fällen, wo auf ein Ulcus hin etwa ein Jahrzehnt lang keine mani¬
festen Symptome auftreten, bis dann eine schwere zentrale Nerven-
affektion erscheint. Ist hier für alle einschlägigen Fälle als wissen¬
schaftlich unverrückbare Tatsache festgestellt, dass vorher die B 1 u t -
reaktion -stets positiv gewesen sein muss? Kann sie nicht nur ganz
vorübergehend — und dann für den Praktiker ausserhalb der Klinik
kaum greifbar - — positiv auftreten, oder kann sich die Infektion in
diesen Zentralnervenluesfällen nicht ausschliesslich in positiver Re¬
aktion der Lumbalflüssigkeit zeigen? (Vgl. Rissom: Zur Früh¬
diagnose der syphilitischen und metasyphilitischen Erkrankungen des
Nervensystems. M.m.W. 1914 S. 1588.) Wenn diese Frage nicht
2) Ob nach der Entlassung vom Militär hier nicht gelegentlich
noch Allgemeinerscheinungen aufgetreten sind, ist nicht zu ent¬
scheiden.
3) Hugo Müller: Ueber Abortivkuren sowie über Neurorezi-
dive. M.m.W. 1912 Nr. 1.
absolut entschieden ist, wäre bei einem Ulcus-molle-Fall und ab¬
wartender Therapie auch die Lumbalpunktion notwendig. So
unentbehrlich im übrigen dieser Eingriff ist. möchte ich ihn doch beim
„Ulcus molle“ durch prophylaktische Salvarsaninjektion ersetzt sehen.
Wenn Hoffmann meint, dass man nach meiner Auffassung
die Prophylaxe auch auf die unvorhergesehenen Harnröhrenprimär-
aft'ekte im Verlauf der Gonorrhöe ausdehnen müsste, so ist hier nur
zu entgegnen: Beim Ulcus molle sehen wir verhältnismässig häufig
einen mit Lues komplizierten Verlauf; dagegen tritt der Harnröhren-
schar.ker mit Gonorrhöe vergesellschaftet doch so viel seltener auf,
dass die beiden Dinge kaum zu vergleichen sein dürften.
Meine Zusammenfassung ergibt demnach:
1. Das Ideal der Syphilisabortivkur ist heute die denkbar früheste
Beseitigung der Spirochäten, bevor sic im Blut durch die WaR. oder
durch Tierimpfung nachweisbar ist. ln diesem negativen Frühest¬
stadium sind die an und für sich nicht zu hoch zu veranschlagen¬
den Salvarsangefahren am geringsten. Daher ist es auch beim Ulcus
molle unbedenklich prophylaktisch anzuwenden.
2. In Mainz ist das unkomplizierte Ulcus molle selten, und daher
mein Vorschlag praktisch nicht sehr häufig anzuwenden.
3. Für den Praktiker, zumal bei Spitalsbehandlung, ist es rat¬
samer, gelegentlich überflüssigerweise Salvarsan zu injizieren, als
den günstigsten Moment zu versäumen, eine vielleicht schon bei
seinem Patienten vorhandene Erkrankung im Keime zu ersticken.
Diese rein praktischen Bemerkungen tun den wissenschaftlichen
Erörterungen keinen Abbruch. Sie wollen dem Therapeuten für sein
tägliches Handeln eine Richtschnur geben.
Eine wissenschaftliche Verwirrung wird nicht angerichtet, da
ja der strenge pathologische und biologische Unterschied zwischen
Ulcus molle und syphilitischem Primäraffekt durch meinen Vorschlag
nicht im entferntesten tangiert wird.
Wenn aber durch die Salvarsanprophylaxe bei Ulcus molle die
Statistik der syphilitischen Primäraffekte wirklich um ein Geringes
verschoben werden kolltc, so wird dieser Mangel reichlich aufgehoben
durch die zahlreichen Fälle von Tertiär- und Metalues, welche bisher
im Primärstadium der Diagnose entgangen sind.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Fortschritte in Diagnose und Therapie der chirurgischen
Tuberkulose.*)
Von Prof. Fritz König, Direktor der chirurgischen Uni¬
versitätsklinik zu Marburg a. L.
M. H.l Der ehrenvollen Aufforderung, vor Ihnen über ein
aktuelles chirurgisches Thema zu sprechen, gern folgend, habe ich
geglaubt, ein solches in der chirurgischen Tuberkulose
wählen zu dürfen. Auf dem Gebiete der Lymphdrüsentuber-
k u 1 o s e, sowie der Tuberkulose der Knochen und Ge¬
lenke gibt es ohne Zweifel viel des Interessanten und Neuen. In¬
dem ich von einem Eingehen auf die Literatur absehe, will ich mich
auf eine Reihe von eigenen älteren und vor allem von den Be¬
obachtungen stützen, die ich an der Marburger chirurgischen Klinik
habe machen können. Eine „Stichprobe“ am 13. Mai d. J. hat er¬
geben, dass unter den 200 stationären Kranken der Klinik 51 =
25,5 Proz. wegen Tuberkulose behandelt wurden; ein Beweis, dass
Material zu diesen Beobachtungen in hinreichender Fülle vorhan¬
den ist.
Zu einem sicheren Urteil über die Behandlungserfolge gehört die
Gewissheit, dass die Fälle wirklich Tuberkulosen gewesen sind.
Diese scheinbar so selbstverständliche Forderung ist in den meisten
Statistiken nur in recht bescheidenem Masse erfüllt. Die alte
klinische Diagnostik, so sorgsam sie ausgearbeitet war, ge¬
nügt dazu nicht; wir werden uns deshalb mit ihr hier nicht weiter
beschäftigen. Nur einen Zuwachs hat die „Klinik der Tuberkulose“ in
den letzten Jahrzehnten erhalten, der sehr ernster Beachtung wert
ist, das ist die Röntgenphotographie. Wir konnten in den
letzten Jahren eine ganze Reihe von granulierenden Herden wie
von keilförmigen Sequestern an den Knochen konstatieren. Am
besten zugänglich sind natürlich die Finger, Zehen und die Meta¬
tarsen; schon beginnende Spina ventosa ist an der periostalen Ver¬
dickung kenntlich und im weiteren Verlauf der Knochenzerstörung
oder Heilung zu verfolgen. Die seltenen Schafttuberkulosen der
langen Röhrenknochen sind der Osteomyelitis gegenüber ausge¬
zeichnet durch die relativ dünne Periostschale; gut erkennbar die des
Unterkiefers. Unregelmässig verändert sind tuberkulöse Rippen,
verbreitert, weniger kompakt als die normalen Teile. An den Wirbei-
körpern sehen wir die Kompression an der Vorderfläche, aber auch
an den Seiten; Abszesse an ihnen werden durch überbrückende
Knochenspangen und wohl auch durch ovalen Schatten erkennbar.
An den platten und kurzen Knochen, am Darmbein, am Schädel, wird
nicht selten die perforierende Tuberkulose in Gestalt runder Lö¬
cher im Bilde sichtbar und erklärt den Ausgang von Senkungs¬
abszessen. Auch der Kalkaneus zeigt diese Perforationen.
*) Nach einem am 13. Juni 1914 in München gehaltenen Vortrag.
September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
t<klf
Die kleinen 1 usswurzel- und Handknochen sind inehr angc-
essen, zernagt, diese Befunde am Kalmhein von Hand und Fuss
i den Keilbeinen sind wichtige Feststellungen.
Von grosser Bedeutung sind Knochenherde an den Gelenk-
den, welche noch keine Gelenktuberkulose erzeugt haben. Wir
'Unten solche an den unteren Femurkondylen, am Olekranon u a
cliweisen. Andere reichen bis in das Gelenk
Sie führen über zur röntgenologischen Diagnostik der Gelenk-
: b e r k u I o s e. Denn ihre vitale Form geht immer mit starker
t‘verL rherapie eine Probeexzision aus dem Gelenk gemacht wurde,
me I uberkulose ergab. Auch bei einem Soldaten unseres Jäger-
bataillons, der im Anschluss an ein Trauma einen Kniehydrops be-
kam, der allen Heilversuchen trotzte, bei dem die Reaktionen auf
I uberkulose vorläufig negativ waren, zeigte die schwere Knochen-
atroplne zuerst die Natur des Leidens an.
Wichtiger und beweisender ist es, wenn dazu sich Ober-
I I a c h e n v e r ä n d e r u n g im Gelenk gesellt. Diese Verände-
i urigen im Röntgenbild können bei Synovialtuberkulosen lange Zeit
Fig. 1. Extraartikulärer Herd,
xtraartik. Granulationsherd bei Tuberkulose.
Fig. 2. Artikularer Herd.
X Käsiger Herd, bis ins Gelenk reichend
f Fig 3. Keilsequester.
X Keilförmiger Sequester (Tuberkulose).
X
Störung im Gelenkende einher. Wir sehen Fälle, in denen der
lenkelhals, der Schulterkopf zum grossen Teil von Tuberkulose
genommen ist; in einem Fall erscheint die Kopfoberfläche noch un-
ändert, im anderen ist sie schon ganz unregelmässig zerfressen
-h das Vorhandensein mehrerer Herde im Gelenk konnten wir bei
weren Tuberkulosen konstatieren.
Charakteristisch tritt gelegentlich die Keilform des tuberkulösen
luesters hervor, öfter mehr abgestumpft, manchmal aber auch in
itiger Spitzform.
vollständig fehlen, ln anderen Fällen sehen wir Unregelmässigkeiten
der Knorpeloberfläche, die nicht so glatt wie gewöhnlich erscheint.
Man sieht das wohl an der Pfanne des Hüftgelenks, doch muss man
bei Kindern besonders vorsichtig sein, da hier die normale Knochen¬
entwicklung solche Unregelmässigkeiten Vortäuschen kann. Unver-
kennbai ist es, wenn Teile des Knorpelüberzugs viel-
leicht mit einer dünnen Knochenschicht, sich abheben/ Solche
Bilder, wie wir sie am Knie bei Kindern wiederholt gesehen haben,
no?"_^azu Knochenatrophie, lassen sehr bestimmt die Diagnose
auf Tuberkulose zu.
Fs kommen dann weiter Defekte, tuberkulös-granulierende
F'g. 4. Kniegelenktuberkulose. Fig. 5. Subakute Osteomyelitis
XX Auffaserung und Abhebung (schematisch). Bei X Knochenabszess, bei XX periostale Auflagerung.
Fig. 6 Arthritis deformans, vereitert).
X Ausgesprengte Knorpel. — Knochenstück.
Schon bei den Knochenherden, mehr noch bei den Gelenken,
neint eine diffuse Veränderung, die sog. Knochenatrophie,
begleitendes Symptom der Tuberkulose. Die Knochen gleichen
itten, ihre Knorpelränder treten als scharfe zarte Linien hervor,
Innern finden sich hier und da Verdichtungen. Man kann be-
-hten, dass diese Atrophie, die wohl als chemischer Prozess an-
1 hen ist, die einzig nachweisbare Röntgencrschei-
‘g bei tuberkuloseverdächtigen Gelenken bildet. So haben wir
bei einem 14 jährigen Jungen mit Schwellung des Fussgelenks
1 der Kalkaneusgegend behandelt, bei dem im Lauf der konserva-
Ulcera, wie wir sie sehr schön an der Ulnagelenkfläche eines Mäd¬
chens als bohnengrossen Defekt gesehen haben. Es kommen dazu die
Schultertuberkulosen, bei denen langsam die Kopfoberfläche schwin-
.Jfop* im üdlenk höher steigt; die Tuberkulose der
Hüfte. Hier kann einmal der Kopf seiner Oberfläche in gleicher
Weise verlustig gehen, er wird kleiner und steigt ebenfalls in der
Pfanne, die selbst wenig verändert ist, aufwärts; oder die Pfanne
wird zerstört, der Umfang wächst, der Kopf steigt in der Erweite¬
rung (Pfannenwanderung) aufwärts am Hüftbein in die Höhe oder
rückt tief ins Becken, bis zur Perforation.
2
1908
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 36.
In späteren Stadien ist die Form ganz verändert, sind die Gelenk¬
enden verschwunden; oder völlige Synostose trat ein. An Hand- und
Eusswurzelknochen verschwimmen die Grenzen, cs geht alles in
eine atrophische Knochenmasse über.
Zur röntgenographischen Diagnostik gehört noch die Möglichkeit,
durch A u s 1 ü 1 1 e n von Fistelgängen mit Wismutauf-
schwcm m u n g, z. B. der Beck sehen Faste, den Ursprung der
Fistel festzustellen. Es ist uns auf diese Weise gelungen, von Fisteln
am Oberschenkel aus tuberkulöse Erkrankungen am Becken und an
der Wirbelsäule zu finden.
So zahlreich die hier skizzierten Befunde sind, welche die Rönt¬
gendiagnostik tuberkulöser Knochen-Gclenkerkrankungen ermög¬
lichen, zahlreiche Irrtümer sind doch auch möglich. Schon die
scheinbaren Höhlen, welche die Fossa intercondylica femoris, die
Fossa olccrani am Humerus vortäuschen, sind zu beachten. Die
normale Epiphysenentwicklung — Froc. posterior calcanei! — und
die abnorm vorhandenen Sesambeine kommen dazu. Unter unseren
Bildern ist ein charakteristisches, bei dem das Scsambein der Knie¬
kehle, die Fabella, bei der Aufnahme von vorn nach hinten einer
durch Nekroseherd bedingten Knochenverdichtung sehr ähnlich ist.
Und nun kommen die Verwechslungen mit anderen patho¬
logischen Frozessen! Die lokalisierte Feriostverdickung bei der be¬
ginnenden Spina ventosa hat viel Aehnlichkeit mit Kallus¬
bild u n g, und das fällt bei den oft latenten Metatarsusfrakturen
sehr ins Gewicht. Nur das Verhalten des Knochens kann hier die
röntgenologische Schwierigkeit heben. Besond.ers schwer liegt auch
die Frage bei den subakut verlaufenden Knocheneite¬
rungen. Wir beobachteten einen jungen Mann, bei dem sich ohne
. äusseren Anlass allmählich eine schmerzhafte Auftreibung am unteren
Radiusende entwickelt hatte. Das Röntgenbild gab in seltener Klar¬
heit einen Knochenherd wieder, fast ohne Verdickung von Kortikalis
und Periost; und die Tatsache, dass der junge Mensch kurz vorher
in einer Lungenheilstätte behandelt war, schien die Annahme der
Tuberkulose hinreichend zu stützen. Bei der Operation fand sicli
aber ein alter Knochenabszess, aus dem Staphylococcus aureus in
Reinkultur gezüchtet wurde, und nichts von Tuberkulose. Eine ganz
ähnliche Beobachtung habe ich bei einem 10 jährigen Mädchen ge¬
macht, bei dem eine ganz chronisch entstandene Schwellung an der
Aussenseite oberhalb des Fussgelenks durch einen Knochenherd an
der fibulären Kante der Tibia gebildet war, der bei der Operation als
subakut osteomyelitisch erkannt wurde.
Interessante Erfahrungen habe ich über die röntgenologische
Diagnose bei Arthritis deformans gemacht. Ein kräftiger
Arbeiter von 40 Jahren hatte an einem längst kranken Knie eine
akute Verschlimmerung mit Schwellung unter Fiebererscheinungen
bekommen. Auch hier schien die chronische Entwicklung, die Kon¬
traktur, die Form der Gelenkschwellung, vor allem aber der Nach¬
weis eines ausgesprochen keilförmigen Sequesters an der Gelenk¬
fläche des Femur für die akute Vereiterung eines tuberkulösen Ge¬
lenks zu sprechen. Freilich wiesen uns die etwas ausladenden Ge-
lenkenden aucli auf Arthritis deformans. Bei der Resektion fand sich
ein schwer vereitertes, von Tuberkulose völlig freies Gelenk mit
chronisch deformierender Arthritis; Nekrosen, Absprengungen hatten
sich dabei ereignet und waren in einer Weise wieder angeheilt, dass
das Röntgenbild dem tuberkulösen Sequester ungemein ähnlich wer¬
den musste. Wenn es mir die ausladenden Gelenkenden an der
Hüftpfanne oberhalb des Kopfes in einem schwierigen Fall möglich
gemacht haben, bei einer etwa 40 jährigen Dame mit schwer heredi¬
tärer Tuberkulosebelastung mit Recht Arthritis deformans anzu¬
nehmen, so hatten bei einer Patientin mit doppelseitiger Kniegelenks¬
erkrankung gerade die Röntgensymptome der Arthritis deformans
den Arzt lange Zeit getäuscht, und als ich neben der Arthritis de¬
formans die ostale Tuberkulose erkannte, da war die Erkrankung
am einen Knie schon soweit vorgeschritten, dass erst die Amputation
der alten Dame Linderung gab.
Die Röntgenographie ist in der Diagnose der Knochen- und Ge¬
lenktuberkulose ein hervorragendes, unentbehrliches Hilfsmittel ge¬
worden. Aber auch sie kann die Aufgabe nicht restlos lösen; auch
sie lässt Fälle übrig, bei denen die Diagnose entweder un¬
sicher bleibt oder erst durch die Operation entschieden
w i r d. Solcher Erlebnisse erinnern wir uns wohl alle. Ein kleiner
Knabe hatte ein chronisch entstandenes Lymphdrüsenpakct am Halse,
das nach allem als tuberkulös angesprochen werden musste und ex-
stirpiert wurde. Die mikroskopische Untersuchung der hyperplasti¬
schen Lymphdrüsen ergab keine Spur von Tuberkulose — ein Bei¬
spiel der früher als skrophulös bezeichneten Affektion. Ein Herr jen¬
seits des 50. Lebensjahres bekam eine rasch wachsende weiche, mit
dem Sternokleido verwachsene Geschwulst, als Sarkom angesehen
und exstirpiert. Die mikroskopische Untersuchung zeigte auf der
Schnittfläche zahlreiche frische Tuberkel ohne Verkäsung. Die Fest¬
stellung der eitrig gewordenen Arthritis deformans genu habe ich
erst eben erwähnt.
Diese mikroskopische Kontrolle der durch Ope¬
ration gewonnenen Teile gehört zu unseren aller¬
sichersten diagnostischen Hilfsmitteln. Durch die
Operationen hob sich die Annahme Tuberkulose zur Gewissheit oder
wurde verworfen; je weniger operiert wird, desto mehr
Irrtümer in der Diagnose sind möglich. Es erscheint
deshalb voll berechtigt, fortan, wenn weniger operiert werden sollte,
mehr von der Probeexzision zur mikroskopischen
Untersuchung Gebrauch zu machen. Wir haben oben
schon von einem Fall berichtet, bei dem wir aus dem Fussgelcnk
eine solche Exzision gemacht haben. Bei dem geringen Risiko,
welches bei unserer heutigen Asepsis ein solches Vorgehen bietet, ist
es ganz sicher berechtigt — jedenfalls wenn wir auf Grund der in
Frage kommenden Fälle Statistik machen wollen.
Man kann gar nicht genug betonen, dass jede Gelegenheit,
objektives Beweismaterial für den tuberkulösen
Charakter einer Erkrankung zu gewinnen, ausgenutzt werden
soll. Dazu gehören Granulationen auf Geschwüren und die Um¬
randungen von Fisteln. Ein positiver Befund von Tuberkeln bei der
mikroskopischen Untersuchung macht hier jeden Zweifel schwinden.
Unter Umständen muss die Entnahme des Materials wiederholt
werden. Wir haben erst vor kurzem wieder eine junge Frau mit
einem Glutäalabszess beobachtet, der bei ihrer Aufnahme schon
inzidiert war, und bei dem es nur bei der Vermutung der Tuber¬
kulose blieb, bis eine wiederholte Untersuchung von Granulationen j
Sicherheit brachte. Ebenso wie die Auslöffelung oder die Exzision i
von Fistelgängen gehört die Exstirpation und Untersuchung von
regionär geschwollenen Lymphdrüsen zu den wichtigsten Mitteln des
Tuberkulosenachweises.
Ein weiteres bedeutsameres Beweismittel liefert uns die sachge-
mässe Ausnutzung tuberkuloseverdächtiger seröser oder eitriger Ex- j
sudate und Abszesse. In zweifelhaften Fällen soll kein
Exsudat entleert, kein Abszess gespalten werden,
ohne dass die Flüssigkeit nach allen Regeln zur
Untersuchung auf Tuberkulose benutzt wird. Wie
oft bekommen wir Abszesse nach der Spaltung erst in Behandlung; .
dann ist das Resultat nicht mehr einwandfrei.
Der Inhalt eines noch unberührten „kalten Abszesses"
wird zuerst zur zytologischen Untersuchung benutzt, ein
Trockenpräparat gefärbt. Er enthält Detritus und relativ spärliche!
Zellelemente, meist mononukleärer Form. Dagegen ist der Eiter eines
akuten Abszesses sehr reich an Zellen, und die polynukleären Formen
wiegen vor. Allerdings gibt es auch akute Formen der Tuberkulose
und hier ist das histologische Bild dem der pyogenen Infektionen ähn¬
licher. Aber während wir bei diesen zwischen den Zellen die schon
gefärbten Staphylo- oder Streptokokken entdecken, fehlen sie bei
der Tuberkulose. , , ,
Natürlich werden auch sofort Kulturen angelegt, auf denen
bei der Tuberkulose keine Kolonien aufgehen. Wenn die Kultur aus
dem Eiter steril bleibt, so ist die Annahme Tuberkulose um einen
Grad wahrscheinlicher.
Die Flüssigkeiten werden sofort weiter benutzt zur tier¬
experimentellen Prüfung. Sie werden in die Bauchhöhle
vom Meerschweinchen injiziert, und nun wird nach längeren Wochen
nachgesehen, ob Tuberkulose entstand oder nicht. Die etwas lange
Wartezeit hat man abzukürzen versucht! Bloch injzierte in oie
vorher manuell gequetschte Leistengegend von Meerschweinchen.
Bei günstigem Verlauf treten nach 9 Tagen, frühestens, ev. später.
Schwellungen der Drüsen auf, und man kann nun durch Exzision
und Untersuchung feststellen, ob Tuberkulose vorliegt. Andere Male
geht die Infektion durch die Drüsen durch, es kommt gleich zu allge-
meiner Infektion. Der Nachweis ist dann, wie bei der alten Pen-
tonealmethode erst nach Wochen, durch Sektion und Untersuchung
der Organe zu erbringen. _ .. , . .
Neuere Bestrebungen gingen dahin, die Umstandlicnkcn
dieses Nachweises zu verringern. Die für uns wich-;
tigen Verfahren beruhen auf Beobachtungen, die P. Ro einer in
seiner Marburger Tätigkeit gemacht hatte; er stellte fest, dass Meer¬
schweinchen, welche durch Impfung mit Tuberkulose hochempfindlich
gegen Tuberkulin geworden waren bei intrakutaner Injektion von
Tuberkulin eine ganz charakteristische Hautreaktion zeigten ln
intensivstem Typus tritt innerhalb 18—24 Stunden eine lokale Schwel¬
lung der Haut auf, im Zentrum eine blaurote Verfärbung, um sie ein
porzellanweisser Ring, der wiederum von einem entzündlich geröteten
Hof umgeben ist. Weniger typischer Verlauf zeigt nicht den blau¬
roten Mittelpunkt, der übrigens später nekrotisch wird, und bei ge¬
wissen Fällen kommt es nur zu einer entzündlichen Schwellung,
die sich 2 Tage hält und dann in einen 10 Tage fühlbarem Knoten
übergeht. , , , ...
Sobald bei dem Versuchstier die Tuberkulose ausgebrochen ist.
kann sie durch das Auftreten dieser Herdreaktion erkannt werden
Wir würden hierdurch zwar die Notwendigkeit der Tötung des
Tieres bzw. Drüsenexzision und nachfolgender Untersuchung sparen
— wären aber auch so erst in der üblichen Wartezeit, mindestens
10 Tage nach der Tierimpfung, imstande, nachzuweisen, ob der
Abszesseiter, das Exsudat etc. tuberkulös war oder nicht. •
Diese Zeit abzukürzen, das ist nun durch eine ingeniöse Aende-
rung meinem ersten Assistenten Hagemann gelungen. Bei seinen
Experimenten fand H., dass tuberkulöser Eiter oder Exsudat w
hochempfindlichen Meerschweinchen die gleiche Reaktion erz.eitci
wie das Tuberkulin: er spritzte also stets diesen die ver¬
dächtigen Flüssigkeiten selbst intrakutan ein. i»
48 Fällen hatte Hagemann bei seiner Veröffentlichung dieses
Verfahren angewendet; u. a. hatte er 4 mal (bei 2 Knicgelenhv
ergüssen. 1 Aszites, 1 Lymphdrüseneiterung) eine positive ReaKiioi
erhalten, während alle anderen Arten des Nachweises der ulur
kulose versagt hatten. Auch anderweitig sind diese Befunde be¬
stätigt, besonders ihr Wert bei Aszites und Gelenkhydrops.
S. September 1914. _ MUENCFIENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Wir können also mit dem Hage m a n n sehen Verfahren, voraus¬
gesetzt, dass wir tuberkulöse Meerschweinchen vorrätig halten, durch
intrakutane Injektion von 1 ccm der Exsudate innerhalb v o 11
?4 Stunden die tuberkulöse Natur dieser Flüssig-
weiten feststellen. Die praktische Bedeutung dieses Ver-
ahrens liegt auf der Hand.
Die Römer sehen Versuche hatten uns bereits zu dem Nach¬
weis der Tuberkulose im Körper mit Hilfe der spezifischen
Reaktionen auf Tuberkulin geführt. Viel näher liegend ist
natürlich ihre Anwendung auf den tuberkuloseverdächtigen Kranken
■elbst. Die für den praktischen Arzt zunächst wegen ihrer Ein-
achheit bedeutsamste Form ist die K u t a n r e a k t i o n nach v. P i r-
luet. Von 4 Impfstrichen werden zwei mit recht frischem unver-
liinntem Alttuberkulin beschickt. Die ausgesprochene Reaktion tritt
nn er halb der ersten 24 Stunden als starke Quaddelbildung auf, eine
'chuppung hinterlassend, die Wochen und Monate bestehen bleibt
Flg. 7. V. Pirquctsche Kytanreaktion.
Nach öfter wiederholten systematischen Untersuchungen an grös-
erem Material bin ich der Ueberzeugung, dass bei kleinen Kindern
is zum 10. Jahre, oft noch weiter, der positive Ausfall für Tuber-
ulose in aktivem Zustand beweisend ist. Beim Erwachsenen spricht,
• ie auch neuere Untersuchungen Hagemanns ergeben haben, eine
tark positive und rasch auftretende Reaktion im ganzen ebenfalls
afiir. Ausbleiben der Reaktion finden wir gelegentlich auch ohne
rsichtlichen Grund bei tuberkulösen Kindern, doch haben wir die
ngabe von W i I m s nicht bestätigen können, wonach dies in auf-
illigem Masse bei Gelenkfungus Vorkommen soll.
Die Pirquetimpfung hilft uns in vielen Fällen weiter, aber zumal
ei Erwachsenen gibt sie keinen genügenden Anhaltspunkt, dass nun
erade der in Frage kommende Krankheitsherd tuberkulös ist. Dies
->1! bei der alten diagnostischen subkutanen Tuberkulin -
njektion die Herdreaktion ersetzen. Sie wird in immer
iherem Masse wieder herangezogen und ist für Gelenktuberkulose
iletzt von K e p p 1 e r an der Bier sehen Klinik an der Hand von
l Fällen unklarer Hüftgelenkserkrankung empfohlen. K. fand 16
jsitive Herdreaktionen und glaubt unter den 25 negativen von 19
^erzeugt sein zu dürfen, dass keine Tuberkulose vorlag. Nach
iseren Erfahrungen scheint mir dieser Schluss recht un-
icher zu sein. Wir wenigstens haben auch bei Tuberkulose
einem beträchtlichen Prozentsatz die Herdreaktion vermisst — also
chmerzen, Schwellung, Bewegungsstörung. In einigen Fällen, so
B. am Fussgelenk, haben wir sie auch gefunden. Ich glaube im
-.uzen, dass die heute gebräuchlichen Injektionsmengen zum Auf-
eten einer starken Herdreaktion wohl zu gering sind. An der
B e r g m a n n sehen Klinik mit den hohen Dosen jener Zeit habe
h sehr starke Herdreaktionen gesehen. Sog. „Stichreaktionen“,
so an der Stelle der Injektion, haben wir öfter beobachtet, es trat
emperatursteigerung auf, aber die eigentliche Herdreaktion fehlte.
|r Unsere Dosierung entsprach der von Röpke-Bandelier,
ir begannen mit 2/iomg Alttuberkulin, stiegen zu 1 mg, bei Aus¬
eiben der Reaktion zu 3, 5, höchstens 10 mg. Höher wie 5 mg
ld wir gerade wie K e p p I e r selten gegangen.
Im ganzen erfüllt die subkutane diagnostische Tuberkulin¬
aktion bezüglich der Herdwirkung also n i c h t die a n s i e ge¬
hüpften Hoffnungen.
Um die diagnostischen Mittel noch einmal z u -
immenzufassen, so haben wir ausser den alten klinischen
ethoden zürn Beweis chirurgischer Tuberkulose die Röntgeno-
aphie, die mikroskopische Untersuchung bei Gelegenheit von
Jerationen, event. auch bei Probeexzisionen. Dazu gehören Ex-
'ionen von regionären Lymphdrüsen, von Granulationen, Fistel¬
ngen zur mikroskopischen Untersuchung. Exsudate aus Gelenken
d der Bauchhöhle, Eiter aus kalten Abszessen sind teils zu zyto-
dscher und bakteriologischer Untersuchung, teils zur Tierimpfung
verwerten. Bei anderweitig tuberkulös gemachten Meerschwein¬
en sind die erwähnten Flüssigkeiten zur H a g e m a n n sehen Ku-
ueaktion — d. h. zu einer spezifischen Schnellreaktion — zu ver-
erten. Als spezifische Reaktion kommt ferner bei Kindern die
Pirquet sehe Kutanimpfung, beim Erwachsenen die subkutane
t Tuberkulin zur Anwendung, die letztere auch zur Erzielung der
<alen „Herdreaktion“.
Es wäre das Ideal einer Statistik über Behandlung unserer
iberkulosen, wenn diese vielfachen diagnostischen Hilfsmittel, rich-
ange wendet, die Diagnose in allen Fällen gegen jeden Zwei-
1 sicherstellten. Leider ist das in einigen noch immer nicht hin-
ichend, und eine ganz sichere Statistik wird einmal
le die hier noch nicht restlos aufgeklärten Fälle
issch alten müssen. (Schluss folgt.)
Bücheranzeigen und Referate.
B. H e i n e - München: Operationen am Ohr. Die Operationen
bei Mittelohreiterungen und ihren intrakraniellen Komplikationen.
* .1, neubearbeitete Auflage. Mit 29 Abbildungen im Text und
7 Iafeln. Berlin, S. Karger, 1913. Preis 7.60 M.
Von der beliebten Operationslehre Heines ist nach 7 Jahren
eine neue Auflage erschienen, die manche Aenderungen und Er¬
gänzungen bringt. Das Kapitel über die Labyrinthoperation, das sich
immer noch in Fluss befindet, ist gänzlich umgearbeitet worden. Im
ganzen kann man den etwas zurückhaltenden Standpunkt des Ver-
tassers billigen. Mit Recht wendet er sich gegen die frühzeitige
Aufmeisselung bei der akuten Mittelohreiterung und gegen die pri¬
märe Naht^ nach der einfachen Aufmeisselung. Als Ursache für die
grossere Gefahr der Otitis media acuta bei alten Leuten stellt er
vY.ied?r, wie in d(rn früheren Auflagen die Osteosklerose hin. Tat¬
sächlich finden sich aber im Alter im Gegenteil besonders häufig
grosse pneumatische Zellen. Die Erklärung Heines stimmt auch
mcht mit der latsache überein, dass die einfache chronische Mittel-
ohreiterung, bei der bekanntlich Osteosklerose die Regel bildet,
weniger gefährlich ist, als die akute Mittelohreiterung. Von der
diagnostischen Verwertung der Röntgenaufnahme bei Mastoiditis hält
er nicht viel. Im Gegensatz zu wohl allen Operateuren hat Heine
nach der konservativen Radikaloperation mit Erhaltung der Gehör¬
knöchelchen in keinem einzigen Falle Heilung gesehen.
Bei der Frage der Jugularisunterbindung wendet er sich be¬
sonders gegen eine Arbeit Schneiders aus der Klinik des Refe¬
renten. Wenn er dabei die Worte gebraucht „einen prinzipiellen
Unterschied zu machen zwischen akut und chronisch, und danach*
die Indikation zu stellen, halte ich für sehr gefährlich“, so hat er den
Verfasser total missverstanden. Schneider bespricht nur das
Vorgehen bei der akuten Mittelohreiterung und rät auf Grund unserer
Erfahrungen die Jugularis nur dann zu unterbinden, wenn sie selbst
miterkrankt • ist. Von unserem Vorgehen bei der chronischen
Eiterung spricht er mit keiner Silbe. Heine macht Schneider
auch den Vorwurf, dass er seine Schlüsse im Verhältnis zur Zahl der
mitgeteilten Fälle zu sehr verallgemeinere. Um dies zu beweisen,
führt er einen Satz desselben in Parenthese an und erweckt damit
den Glauben, dass er ihn wörtlich anführt. Das ist aber nicht der
Fall. Er lässt gerade den einschränkenden Passus „auch nach unserer
Erfahrung“ aus demselben weg und druckt dafür einen anderen
Passus, der im Text nicht hervorgehoben ist, mit fetten Lettern.
Wenn man einen Satz in Parenthese anführt, so ist es aber üblich,
ihn auch wörtlich zu zitieren. Der Vorwurf ist also unberechtigt,
und wir halten daran fest, dass nach unserer Erfahrung die Jugularis¬
unterbindung in fast allen Fällen von Sinusthrombose nach akuter
Mittelohreiterung überflüssig ist. S c h e i b e - Erlangen.
A. v. Szily: Die Anaphylaxie in der Augenheilkunde. Unter
Mitarbeit von A r i s a w a. Mit 13 Tafeln und 4 Textabbildungen.
317 Seiten. Stuttgart. Enke 1914. Preis 24 M.
Nach einer klaren und übersichtlichen Einführung in die Grund¬
prinzipien der allgemeinen Anaphylaxielehre, behandelt der Autor in
dem breit angelegten speziellen Abschnitt die toxischen Eigenschaften
der Augengewebe, die Ergebnisse der generellen Anaphylaxiever¬
suche mit Augengeweben, die Sensibilisierung des Organismus vom
Auge aus, sowie die Teilnahme des Auges an der allgemeinen
Anaphylaxie und die spezifischen Eigenschaften der Augengewebe und
ihre Beziehung zur Anaphylaxie, wobei besonders die kontroversen
Ansichten bezüglich der Organspezifität des Linseneiweisses kritisch
beleuchtet werden.
Es folgt die eingehende Darstellung der Erscheinungen der ex-
pei imentell-anaphylaktischen Erkrankungen am Auge, insbesondere
der lokalen Anaphylaxie der Hornhaut auf Grund der Versuche von
Wessely und v. Szily.
In den Kapiteln „die sympathische Ophthalmie als anaphylak¬
tische Uveitis“ und „die Keratitis parenchymatosa auf anaphylak¬
tischer Basis“ werden Probleme erörtert, die einen breiten Raum in
der wissenschaftlichen Ophthalmologie der letzten Jahre eingenommen
haben.
Aus dem Schlusskapitel, das der pathologischen Anatomie der
anaphylaktischen Entzündungen des Auges gewidmet ist, erscheint
besonders bemerkenswert, dass Verf. in voller Uebereinstimmung mit
Reis, A. Fuchs und Meller die prinzipielle Verschiedenheit der
anaphylaktischen Uveitis von der sympathisierenden Entzündung be¬
tont, sie vielmehr ins Gebiet der „Endophthalmitis“ verweist.
Das mit vorzüglichen Abbildungen ausgestattete Buch orientiert
umso zuverlässiger über alle einschlägigen Fragen, als Verf. sich
davon frei gehalten hat, auf diesem jungen Wissensgebiete gesichertes
Gut und Hypothetisches zu vermengen. Gilbert.
Lehrbuch der ärztlichen Sachverständigentätigkeit für die Unfall-,
Invaliden-, Hinterbliebenen- und Angestelltenversicherungsgesetz¬
gebung. Bearbeitet von Dr. L. Becker, Geh. Medizinalrat und
Kgl. Kreisarzt a D., Gerichtsarzt beim Oberversicherungsamt Gross-
Berlin. 7. umgearbeitete und vermehrte Auflage. Berlin 1914. Ver¬
lagsbuchhandlung von R. Schötz. Preis 15 M. 623 Seiten.
Das bekannte Becker sehe Werk musste, um den durch In¬
krafttreten der Reichsversicherungsordnung eingetretenen Verände-
1910
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 36.
rungcn gerecht zu werden, in vielen Stücken ergänzt und erweitert
werden, wie ja selbstverständlich auch die Fortschritte in rein incdi-
'zinischer Hinsicht einen Stillstand nicht zulassen. Der Charakter
des nunmehr schon in 7. Auflage vorliegenden Werkes, das seinen
Platz durch mancherlei Vorzüge, darunter auch den eines nicht über¬
mässig grossen Umfangs, neben den grossen Werken dieser Ait
rühmlich behauptet, braucht hier nicht mehr besonders auseinander¬
gesetzt zu werden; es ist in seiner Neubearbeitung auf seine
spezielle Art nun wieder ein der Zeit angepasster, zuverlässiger und
erprobter Führer für den ärztlichen Praktiker auf dem grossen Felde
der ärztlichen Begutachtung. Dr. Karl G rassma n n - München.
Prof Arnaldo Cantani e Dott. Guido Arena; 11 pneumo-
torace artifieiale nella eura della tisi e di altre affezioni dell’ apparato
respiratorio. Ricerche cliniche, sperimentali e anatomo-patologiche
Napoli 1914. P. VII. 255. „ , . IT * ^ ,
Die Frage ist in eingehendster Weise besprochen. Unter Grund¬
lage der Statistiken der Autoren und der eigenen Erfahrungen kommen
die Verfasser zu dem Schlüsse, dass die günstige Wirkung des künst¬
lichen Pneumothorax auch bei der jetzigen ungünstigen Auswahl der
Fälle augenscheinlich ist, dass die direkten Heilerfolge sich aber
sicher erhöhen werden, wenn man auch leichte und mittelschwerc
Fälle heranzieht. Die Gefahren der Operation sind nicht derart, dass
man von einer ausgedehnteren Anwendung abstehen soll. Auch wenn
die Indikation nicht sicher gestellt werden kann, kann man den Ver¬
such machen, der je nach dem Erfolg fortgesetzt oder unterbrochen
wird. Der Pneumothorax braucht nicht vollständig sein. Die Be¬
handlung muss sich auf mindestens 2 Jahre erstrecken. Während
dieser Zeit kann der Kranke auch einer intensiveren hygienisenen und
medikamentösen Kur unterworfen werden. D a 1 1’ A r m i - München.
Neueste Journalliteratur.
Archiv für klinische Chirurgie. Bd. 101, Heft 4, 1913.
B. Heile- Wiesbaden: Der epidurale Raum.
Unsere Vorstellungen über den epiduralen Raum sind dahin zu
revidieren, dass wir ihn in seiner ganzen Länge vom Hinterhaupts¬
loch bis zur Höhe des 2. Sakralwirbels sagittal in 2 Hälften, ent¬
sprechend der betreffenden Körperhälfte, teilen müssen. Er hört nicht
am Hinterhauptsloch auf, sondern setzt sich im Schädelinnern bis an
den Ansatz des Tentoriurns fort. Will man eine reine Sakralein¬
spritzung machen, so genügt das Vorschieben der Nadel nach Durch¬
stechen der Sakralfontanelle um etwa 2 — 4 cm. Will man eine
Hälfte des epiduralen Raumes treffen, so ist die Kanüle mindestens
7 — 8 cm tief einzuführen. Verf. injiziert in den Epiduralraum durchs
Foramen intervertebrale, wofür technische Vorschriften gegeben wer¬
den. Er hat bei Wurzelischias, Ischias scoliotica und Lumbago bei
dieser Form der Injektion und bei sakraler Einspritzung von hypo¬
tonischer Kochsalzlösung gute Erfolge gesehen. Besonders eignen
sich hierfür die Fälle, wo sich ein Reizzustand im Verbreitungsgebiet
des Nerven (Druckempfindlichkeit in der Höhe des 5. Lendenwirbels)
nachweisen lässt. Hohe operative Anästhesien für Bauchoperationen
lassen sich (mit Ausnahme der Sakralanästhesie) vom Epiduralraum
aus noch nicht ausführen.
ü o e b e 1 - Breslau: Kriegschirurgische Erfahrungen auf der 1 ri-
polisexpedition des Deutschen Roten Kreuzes.
Die chirurgischen Fälle waren häufig mit Typhus kompliziert,
was eine raschere Heilung oder tatkräftigeres, schnelleres Eingreifen
verhinderte. Schwerere Infektionen der Wunden fehlten, was wohl
auf das heisse austrocknende Klima zurückzuführen ist. Das Charak¬
teristische der Bombenverletzungen war ihre Multiplizität, das vor¬
wiegende Befallensein der unteren Extremität und des Stammes und
der Verlauf des Wundkanals von unten nach oben. Der Hauptwert
der Expedition lag in den Erfahrungen, die über Transport, Aus¬
rüstung, Organisation und Aufstellung eines Kriegslazaretts in einem
Kolonialkriege gemacht werden konnten. Der Röntgenapparat ver¬
sagte zunächst, weil die Röhren zersprungen ankamen und die Mo¬
toren versandeten. Sehr bewährt haben sich Mastisolverbände.
C o 1 m e r s - Coburg: Ueber die Wirkung des Spitzgeschosses.
Die Unterschiede des Spitzgeschosses von dem ogivalen besteht
in einer erheblich grösseren Geschwindigkeit und Rasanz in den
ersten 1200 m der Geschossbahn, in dem grösseren Energieverlust
auf weite Entfernungen, in dem Formunterschiedc (steile Spitze, glatt¬
stumpfes eiförmiges Ende) und der erheblichen Rückwärtslagerung
des Schwerpunktes. Dieser letzte Umstand bedingt eine grosse Nei¬
gung des Spitzgeschosses, den Schwerpunkt im Widerstande nach
vorn zu werfen, d. h. sich um seine quere Achse zu drehen. Hier¬
durch wird der Aktionsradius im Verlaufe des Schusskanales grösser,
was Einfluss auf das Zustandekommen von Gefäss- und Nervenver¬
letzungen zu haben scheint. Aus demselben Grunde kommt es bei
Schussfrakturen häufig zu Steckschüssen, bei denen das Geschoss
Deformationen erleiden kann. Bei tangentialen Schädelschüssen ist
durchweg eine erhebliche Splitterung und ein vergrösserter Knochen¬
ausschuss vorhanden. Sonst unterscheiden sich die durch das Spitz¬
geschoss gesetzten penetrierenden Wunden im wesentlichen nicht
von den durch andere gleichkalibrige Mantelgeschosse hervor¬
gerufenen Schusswunden.
G. A. Waliaschko und A. A. L e b e d e w : Zur Prophylaxe
der Hernien und Vorstülpungen post laparotomiam. (Abt. f. operat.
Chirurgie u. top.'Anat. am Med. Institute f. Frauen in Charkow.)
Verf empfehlen, in die Bauchwunde ein Stück Faszie zu trans¬
plantieren das in der Tiefe mit dem Peritoneum auf der Oberfläche
mit der Aponeurose, in der Mitte mit den Muskelschichten vernäht
wird. Einzelheiten der Technik werden angegeben. Der Hauptwert
der Faszienplastik soll darin liegen, dass die bedeckten Gewebe der
Bauchwand vom Granulationsprozess verschont bleiben.
H Bure k har dt: Ueber Infektion der Brusthöhle. (Chirurg.
Klinik der Charitee in Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Hildebrand.)
Die experimentellen Versuche des Verf. haben ergeben, dass der
Pneumothorax die Brusthöhle im höchsten Masse zur Injektion dis¬
poniert. Von praktischer Bedeutung ist, dass nicht nur der totale
sondern auch der partielle Pneumothorax diese Wirkung hat. B. in¬
jizierte Tieren mit dünner Kanüle Luft in die Pleurahöhle und dann
Staphylokokkenkulturen nach. Er erzeugte so fast stets eine eitrige
Pleuritis, während diese bei den Tieren ohne Pneumothorax meist
ausblieb.
M. Tiegel: Ueber Spontanheilung von Lungenwunden.
(Chirurg. Abteil, des städt. Luisen-Hospitals in Dortmund, Prof.
Heul e.)
Ein Spannungspneumothorax lässt sich leicht durch ein ein¬
gelegtes Ventildrain beseitigen, ein Zellgewebsemphysem, auch ein
solches des Mediastinums lässt sich bequem von einem kleinen Schnitt
im Jugulum aus vermittels einer B i e r sehen Saugglocke und ein.i
damit verbundenen Wasserstrahlpumpe absaugen. Für letztere Tat¬
sache wird ein beweisender Fall mitgeteilt. Versuche mit künstlich
gesetzten Lungenwunden an Hunden ergaben, dass Lungenwunden
eine überaus grosse Tendenz zur Spontanheilung besitzen und das'-
auch starke Blutungen aus denselben spontan in kurzer Zeit zum Still¬
stand gelangen. , J
B. K. Finkeis tein-Baku: Zur Chirurgie des Diekdarms
ausser dem Mastdarm.
Statistik. Maligne Tumoren kommen am häufigsten (44 Proz
aller Fälle) am S romanum vor dann folgt mit 20 Proz. das Zoekum.
Die zweckmässigste Operationsmethode bei Undurchgängigkeit des
Darmes ist die Anlegung einer Kotfistel und später die einzeitige oder
zweizeitige Resektion je nach Lage des Falles.
E. Rehn: Die Verwendung der autoplastischen Fetttransplaii-
tationen bei Dura- und Hirndefekten. (Chirurg. Klinik in Jena, Geh.
Rat. Prof. Dr. l.exer.)
Das transplantierte Fettgewebe heilt nach den Tierversuchen des
Verf. sehr schonend ein. Ein guter Teil geht, ohne auch nur die ge¬
ringste Veränderung zu erfahren, in den endgültigen Besitz des Emp¬
fängers über. Nach aussen erhält der Duradefekt durch der über¬
pflanzten Fettlappen dadurch einen exakten Abschluss, dass sich am
Transplantat eine den Duradefekt kontinuierlich überspannende ba¬
sale Bindegewebsplatte bildet. In der Hirnchirurgic ist bei Verwen¬
dung der Fettplastik L e x e r insofern einen Schritt weitergegangen,
als er die Fettlappen auch zur Ausfüllung von Hirndefekten mit ver¬
wendet. Mitteilung eines entsprechenden Falles.
Ch. Girard-Genf: Dysphagia und Dyspnoea lusoria.
Die früher als Dysphagia lusoria bezeichneten Schlingbeschwer¬
den infolge abnormen linksseitigen Ursprungs der Art. subclavia dextra
sind kein hypothetisches Krankheitsbild, sondern können wirklich
Vorkommen. Bei prätrachealem Verlaufe der betreffenden Arterie
kann es auch zu einer Dyspnoea lusoria kommen. Es ist in gewissen
Fällen möglich und indiziert, diese Zustände operativ zu beseitigen.
Bei prätrachealem Verlauf der Subklavia ist die Arteriopexie gegen
das Sternum mittels eines streifenförmigen Lappens aus dem linken
M. sternomastoideus ein ungefährliches und nützliches Operations-
Verfahren. Bei retrotrachealem oder namentlich bei retroösopha-
gealem Verlauf, dürfte die Unterbindung und Trennung der Sub-
klavia das sicherste Mittel sein, um die Beschwerden zu heben.
M. Schewandin: Endresultate der L e x e r scheu Arthrodese
am Sprunggelenk. (Kgl. Chirurg. Klinik in Berlin, Geh. Rat Prof.
B i e r.) . ...
Die Nachuntersuchung von 5 Fällen ergab, dass der durch den
Kalkaneus in die Tibia eingetriebene Knochenbolzen stets resorbiert
wird. Die erstrebte knöcherne Ankylose gelingt selten, die teilweise
Bewegungsbeschränkung wurde nur in einigen Fällen erreicht, lbe
Mehrzahl der Fälle war wieder auf Apparate und orthopädische - tie¬
fe! angewiesen. Die Fixation bleibt gesichert, solange der Bolzen im
Gelenk nicht der Resorption anheimgefallen ist. Sobald aber der Bol¬
zen verschwindet, entsteht eine beschränkte Beweglichkeit und diese
gibt dann rasch nach, so dass der Fuss fast immer wieder vollständig
herabsinkt. Günstiger liegen die Verhältnisse im Talo-Kalkaneiis-
gelenk. . /rUr
Quieke: Ueber penetrierende Brust-Bauchverletzungen. W
Klinik in Strassburg i. E., Prof. Madelung.)
Bei allen Brust-Bauchverletzungen mit grösseren Wundkanaun
hat der Eingriff transpleural zu erfolgen. Nach Erweiterung «.er
Wunde sind etwaige Läsionen der Bauchorgane zu versorgen und das
Zwerchfell zu nähen. Wenn irgend möglich, ist die Wunde pnmar
durch die Naht zu scliliessen. Liegt Verdacht vor, dass weiter ab¬
wärts gelegene Eingeweide oder retroperitoneal fixierte Organe ver¬
letzt sind (lange Waffen), so soll die Laparotomie ausgeführt oder nin-
zugefügt werden. Bei Brust-Bauchverletzungen durch* Schuss ode
feine Instrumente, die ganz enge Wundkanäle hinterlassen, soll,1"
allgemeinen nur laparotomiert werden. Eine Naht solcher Zwerchte -
wunden ist gewöhnlich nicht nötig.
8. September 191-4.
1911
MUENCHENER MEDIZINISCHE W ( )CHENSCHRIFT.
S p r e n g e 1 - Braunschweig: Die Wahl des Narkotikums hei
Operationen wegen akut entzündlicher Prozesse in der Bauchhöhle.
Nach Ansicht des Vcrf. ist die Wahl des Narkotikums die Ur¬
sache einer nach Appendizitisoperationen zuweilen beobachteten,
meist zum I ode führenden Komplikation, die darin bestellt, dass
Ikterus, Unruhe, Unklarheit, Benommenheit und Schlafsucht auftreten.
Es handelt sich um eine Spätwirkung des Chloroforms. Es ist daher
rationell das Chloroform überhaupt für die Narkose aufzugeben und
an dessen Stelle die Aethernarkosc, unterstützt durch Morphium und
Atropin, zu setzen.
O. Nordmann: Transjejunale Hepatlkusdrainage. (II. chirurg.
Abteil, des Stadt. Auguste Victoria-Krankenhauses in Berlin-Schöne¬
berg.)
In einem Falle von operativer Durchschneidung des Ductus
hepaticus war es zu einer äusseren üallengangfistel gekommen. Eine
neue Verbindung zwischen Gallengang und Jejunum wurde in der
\\ eise erzielt, dass ein Drain in den Duct. hepaticus gelegt und mit
dem anderen Ende in das Darmlumen hinein und an einer anderen
Stelle herausgeleitet wurde Dann wurde das Hepatikusende mög¬
lichst an den Darm herangenäht und die Ein- und Austrittsstelle des
Drains durch W i t z e 1 sehe Nähte abgedichtet. Der Fall kam zur
Heilung.
W. J. Rasumowsky - Saratow : Zur Frage der chirurgischen
Behandlung der kortikalen (traumatischen und nichttraumatischen)
Epilepsie.
Das Verfahren des Verf. besteht darin, dass nach der Trepanation
durch bipolare Reizung das Zentrum der für den Anfall charakte¬
ristischen Bewegungen bestimmt und dann die Substanz der Hirn¬
rinde an dieser Stelle schichtweise abgetragen wurde. Die Ab¬
tragung der Hirnsubstanz wurde solange fortgesetzt, bis bei Reizung
der Schnittfläche mittels eines gleich starken Stromes keine epilep¬
tischen Kontraktionen mehr auftraten oder bis letztere hierbei nur
noch schwach ausgesprochen waren. In anderen Fällen wurden nur
diejenigen Stückchen Hirn entfernt, woselbst sich die Zentren für die
Muskelgruppen befanden, deren Kontraktionen im vorliegenden. Falle
den epileptischen Anfall einzuleiten pflegten. Diese Operation wurde
14 mal anlässlich der Jackson sehen (nichttraumatischen) Epilepsie
ausgeführt. Mehrfach wurden im Gefolge der Operation vorüber¬
gehende motorische und sensible Lähmungen beobachtet. In bezug
auf die Epilepsie waren in mehr als der Hälfte der Fälle positiv
gute Resultate, 3 — 4 mal waren die Resultate negativ. Bei der Kos-
b e w n i k o w sehen Epilepsie wurde in 3 Fällen mit gutem Erfolg
das Armzentrum abgetragen.
F. V o e 1 c k e r - Heidelberg: Operationen an den Samenblasen.
Verf. beschränkt die Operation der tuberkulösen Samenblasen
auf diejenigen Fälle, wo man durch Fieber, Abszesse, Fistelbildung,
Schmerzen oder Blasenerscheinungen dazu gedrängt wird. Je einmal
hat er ein Myom der Samenblase und ein auf diese übergegangenes
Prostatakarzinom operiert. Ein anderer Fall, wo nach der Entfernung
der beiderseitigen Prostatalappen und der Samenblasen Nierenkoliken
verschwanden, brachte den Beweis, dass es durch Druck der Samen¬
bläschen aufs untere Ureterende zu Nierenkoliken kommen kann.
Dreimal wurden mit gutem Erfolg die Samenbläschen wegen chro¬
nisch rheumatischer Beschwerden entfernt, die mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit auf versteckte gonorrhoische oder Pneumokokken-
herdc in den Samenbläschen bezogen wurden. Durch die Entfernung
der Samenbläschen wird die Facultas generandi zerstört, die Potentia
coeundi bleibt erhalten.
C. Ritter: Ueber die Verminderung des Blutgehaltes bei Spät¬
operationen. (Chirurg. Abteil, des städt. Krankenhauses in Posen.)
Verfasser hat an drei Patienten für Operationen am Schädel
und am Gehirn die Blutzirkulation dadurch unterbrochen, dass
er beiderseits die Arteria carotis mit einer Klemme temporär
verschloss. Die Klemmen lagen im ersten Falle (Impressions-
iraktur an der linken Scheitelbeingegend) 20 Minuten, im zwei¬
ten (eitrige Mastoiditis mit Cholesteatombildung) 35 Minuten, im
dritten (Trepanation wegen Verdachtes auf Hirntumor) 30 Min. lang.
Nach seinen bisherigen Erfahrungen ist die doppelseitige temporäre
Karotidenabklemmung zum Zweck einer blutsparenden Operation bei
uneröffnetem Schädel in der Zeit zum mindesten bis 30 Minuten voll¬
kommen unschädlich, bei eröffnetem Schädel dagegen mit der Gefahr
einer zu grossen Schädigung der Hirnoberfläche verbunden.
L ä w e n - Leipzig.
Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 34, 1914.
Carl H e 1 b i n g- Berlin: Zur Frage des Heftpflasterverbandes
hei Hasenschartenoperationen.
Verf. hält bei der Hasenschartenoperation jeden Heftpflaster-
verband für überflüssig; er verzichtet überhaupt auf jeden Verband,
legt auch keine Salben auf, sondern lässt die Nahtstelle unter dem
Schorf heilen. Den Hauptwert legt er auf exakteste Naht der zarten
Haut, am besten abwechselnd je eine tiefergreifende und eine Adap¬
tionsnaht, im Notfälle eine versenkte Entspannungsnaht mit dünnem
Silberdraht.
Hermann Matti-Bern: Zweckmässiger Verband nach Hasen¬
schartenoperation.
Verf. macht einen Kollodialstreifenverband: 2 Streifen vom Unter-
kieterrand über die Nasenwurzel fast bis zur Stirnhaargrenze, die
sich über der Nasenwurzel kreuzen; über die Nahtlinie zieht ein Quer¬
streifen; in die Nasenlöcher kommt ein antiseptischer Tampon, um
das Nasensekret aufzusaugen. Bis die Streifen fcstgeklebt sind,
muss ein Assistent den Mund des Pat. seitlich zusammengedrückt
erhalten. Ein Verband ist in situ abgebildet
Ernst ü e 1 i n s k y - Berlin: Die Drahtextension am Kalkaneus.
Die Methode des Verf.s besteht darin, dass er mit dem Draht
nicht den Knochen durchbohrt, sondern oberhalb des Kalkaneus durch
den Ansatz der Achillessehne geht, deren straffe Fasern den Draht
fcsthalten; die Drahtenden werden über einem Fussbrett geknüpft,
das der Sohle anliegt und mit Heftpflasterstreifen am Vorderfuss be-
festigt wird; der Gewichtszug wird in der Richtung der Unterschen¬
kelachse am Fussbrett angebracht. So vermeidet Verf. jede Knochen¬
verletzung; das seitliche Einschneiden des Drahtes wird durch eine
Zwischenlage von Schusterspan zwischen die durch Mull geschützte
Haut und Draht verhütet.
E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 32/33.
B. S c h w e i t z e r - Leipzig: Die bisherigen Erfolge der Meso¬
thoriumbehandlung beim Gebärmutter- und Scheidenkrebs.
Bericht über 31 Fälle. Die I. Bestrahlungsserie erreichte eine
Mesothoriumquantität von höchstens 3 — 4000 mg-Stunden, dann 3 bis
4 Wochen Pause und Wiederholung nach Bedarf. Das Material der
II. Serie umfasst 7 Fälle, davon 6 gebessert, der III. Serie 3 Frauen
mit 3 Besserungen, der IV. Serie 6 Frauen mit 1 Besserung und 5 Hei¬
lungen. In 7 Fällen gilt die Behandlung unter Vorbehalt als ab¬
geschlossen. Das Mesothor bedeutet sicherlich einen grossen Ge¬
winn in der Behandlung des inoperablen Uterus- und Scheiden¬
karzinoms.
A. H ö r r m a n n - München: Chorionepitheliom und Strahlen¬
therapie.
44 jährige Vl.-para mit typischem Chorionepitheliom. Zunächst
vaginale Totalexstirpation des Uterus und der Adnexe nebst Ex¬
zision der äusseren Geschwulstmetastasen. Schon nach 14 Tagen
Rezidiv der letzteren, die nun mit Mesothor behandelt wurden. Die
Knoten verschwanden danach, doch erlag Pat. inneren Metastasen.
M. Hirsch- Berlin: Röntgenstrahlen und Eugenetik.
Bei der Strahlenbehandlung drohen den Keimdrüsen und damit
der Nachkommenschaft Gefahren. Sie darf nach H. nur in den Fällen
angewendet werden, in welchen man auf Fortpflanzung endgültig ver¬
zichten darf und dauernde Sterilität herbeiführen will.
G. S c h u b e r t - Beuthen : Tupferkontrolle bei gynäkologischen
Laparotomien.
Sch. schliesst die Bauchhöhle durch ein Stopftuch ab, das durch
einen „Stopftuchhalter“ festgehalten wird. Ein Uebersehen von
Tupfern soll hierdurch ausgeschlossen sein. Näheres s. im Original
mit Abbildung.
C. H o 1 s t e - Stettin: Ein wasserdichter Nabeldauerverband für
Neugeborene.
H. benutzt zur Bedeckung des Nabelschnurrestes den Stoff, der
zur Anfertigung von Regenmänteln dient und für Wasser undurch¬
lässig ist, dabei aber die Verdunstung nicht verhindert. So kann das
Kind mit dem Verband gebadet werden. Letzterer wird mit Leuko¬
plast (Beiersdorf) befestigt und am 6. Lebenstage abgenommen.
Die Erfolge waren gut.
A. G e n t i I i - Cagliari: Ueber die innere Sekretion der Dezidua
im Hinblick auf die Arbeit von J. Schottländer: „Zur Theorie
der Abderhalden sehen Schwangerschaftsreaktion“.
Die Schottländer sehen Ideen befinden sich bereits aus¬
geführt in einer Arbeit von G. im August 1913. Das Verdienst, die
innere Sekretion der Dezidua erkannt zu haben, gebührt danach dem
Lehrer G.s, Sfameni, das Verdienst, den experimentellen Beweis
für diese Ansicht erbracht zu haben, G. selbst.
J affe- Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 34, 1914.
Franz: Praktische Winke für die Chirurgie im Felde.
Karl F r i t s c h - Breslau: Netztorsion mit Einschluss einer Darm¬
schlinge.
Kasuistischer Beitrag.
Ehrmann - Berlin: Ueber Rückfluss und röntgenologische Anti¬
peristaltik des Duodenums als Folge von Adhäsionen.
Aus den mitgeteilten beiden Fällen ergibt sich, dass es auch ohne
Verengerung des Duodenums zu einer Antiperistaltik mit starker Er¬
weiterung des Duodenums und Fältelung des Organs kommen kann.
Die Ursache der Antiperistaltik muss wohl in Spasmen gesucht wer¬
den, die durch Adhärenzen am Duodenum bedingt waren.
J. P 1 e s c h - Berlin: Ueber die Verteilung und Ausscheidung
radioaktiver Substanzen. (Vortrag, gehalten in der Berl. physiol.
Gesellschaft am 13. Juni 1914.)
Die Untersuchungen des Verf. zeigen, dass das hämatopoetische
System eine starke Affinität zu den radioaktiven Substanzen hat und
dass die letzteren hauptsächlich durch den Darm sezerniert werden.
Bernhard Zondek und Walter F r a n k f u r t h e r - Berlin: Die
Beeinflussung der Lungen durch Schilddrüsenstoffe.
Die Schilddrüsenstoffe üben eine bronchokonstriktorische Wir¬
kung auf die Lungen aus; hieraus lassen sich manche klinische Er¬
scheinungen bei Schilddrüsenerkrankungen erklären.
Dr. Grassmann - München.
1912
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 36.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 33, 1914.
Grob er- Jena: Behandlung bedrohlicher Zustände bei der
Angina pectoris. Klinischer Vortrag.
0. Küstner und F. H e i m a n n - Breslau: Ergebnisse der
Strahlenbehandlung der Karzinome.
Bericht über 98 längere Zeit beobachtete, hauptsächlich nur in¬
operable Fälle und Rezidive. Von 5 Vulvakarzinomen sind 4 nach
Operation und folgender Bestrahlung rezidivfrei geblieben, ein in¬
operables Rezidiv wurde nur unregelmässig bestrahlt, anfangs mit,
später ohne Erfolg. Von 44, meist bei der Laparotomie als inoperabel
erkannten Uteruskarzinomen sind 8 während oder nach der Strahlen¬
behandlung gestorben, bei je 3 war die Behandlung eifolglos, oder
musste abgebrochen werden oder wurde weiterhin verweigert, bei
den übrigen 28 wurde eine, teilweise ausserordentliche Besserung
erzielt, zum Teil mit Schwinden aller nachweisbaren lokalen Erschei¬
nungen. Weniger augenscheinlich sind die Erfolge bei den Rezidiv¬
fällen: sie bedürfen besonders hoher Bestrahlungsdosen. Von 17 Fäl¬
len ist einer gestorben, 2 trotz Bestrahlung sehr verschlechtert, die
übrigen leidlich gut, 2 erstaunlich gut beeinflusst. — Ueber die sogen,
prophylaktischen Bestrahlungen gegen Rezidive ist ein Urteil noch
nicht zu gewinnen. — Bei 3 manifest operablen Fällen wurde wegen
Diabetes oder wegen Alters und Schwäche nicht operiert und mit der
Bestrahlung ein sehr guter Erfolg erzielt, indem keine karzinomatöse
Affektion an der Portio mehr nachweisbar ist. Ausserdem lässt sich
bei operablen Fällen die Bestrahlung verwenden, um vor der Opera¬
tion jauchende Geschwüre und auch die Infiltration des parametranen
Gewebes zu beheben, also die Operation zu erleichtern, event. den
Fall erst operabel zu machen. Die Meinung, dass durch die Be¬
strahlung die Operation und Heilung erschwert werde, fanden die
Verff. nicht bestätigt. — Zur Technik sei nur erwähnt, dass die kom¬
binierte Röntgen- und Mesothoriumbehandlung angewandt wird
(Apexinstrumentarium und Duraröhre von Reiniger, Gebbert
& Schall) und jeder Fall auch bezüglich der Behandlungs¬
dauer genauer Individualisierung bedarf. Unter anderen Neben¬
erscheinungen sind die schmerzhaften Tenesmen besonders lästig, sie
werden oft durch Suppositorien mit Isoamylhydrokuprein günstig be¬
einflusst.
Im allgemeinen stellt die Strahlenbehandlung einen sehr grossen
Fortschritt dar, wenn auch nicht feststeht, ob Karzinome, die durch
Operation gut heilbar sind, auch mit der Bestrahlung geheilt werden
können. Namentlich bei den oft erst nach der Operation als hoch
hinaufreichend erkannten Kollumkarzinomen ist das durchaus nicht
wahrscheinlich. Bei dieser Unsicherheit der Beurteilung halten die
Verff. an der Operation der operablen Fälle fest. Unschätzbar ist bei
den nichtoperablen Karzinomen die Beseitigung und Verhütung von
Jauchungen und die Erhaltung der Pflege- und Familienfähigkeit der
Kranken.
E. K o s m i n s k i - Berlin: Zur Behandlung der Amenorrhoe mit
Hypophysenextrakten.
Infolge der inneren Beziehungen zwischen der Funktion der
Hypophyse und des Ovariums ist auch für manche Menstruations¬
störungen eine Beziehung zur Hypophyse anzunehmen; hierfür spre¬
chen auch die Erfolge der Hypophysenbehandlung bei einer Reihe
von ätiologisch nicht klaren Fällen von Amenorrhoe, die wahrschein¬
lich auf einer Unterfunktion der Hypophyse beruhen. Verf. hat
24 Patientinnen mit Injektionen von Pituitrin, Pituglandol oder Hypo-
physin behandelt, bei 20 nach längerer Pause den Wiedereintritt der
Menses, bei 6 eine dauernde Heilung erzielt. Durchaus erfolglos war
die Behandlung nur bei 3. wovon 1 an Bauchfelltuberkulose litt, 2 vor
einiger Zeit Typhus gehabt hatten. Es betrafen 7 Fälle angeborenen
Infantilismus, 3 Subinvolutio uteri, 3 Adipositas. 3 präklimakterische
Amenorrhoe (bei diesen wurde auch Ovaradentriferrin gegeben),
5 Neurasthenie bzw. Hysteroepilepsie. 5 Oligomenorrhoe. Im all¬
gemeinen wurde die Injektion jeden 2. Tag gegeben, nach 10 Injek¬
tionen eine Woche ausgesetzt, der Urin wurde kontrolliert. Da die
Behandlung unschädlich ist (es tritt nur bisweilen Schwindel und
Ohrensausen auf), ist ein Versuch mit derselben sehr zu empfehlen.
A. Neumann-Graz: Therapeutische Versuche mit Embarin
bei Nervenkrankheiten.
Das Embarin ist ein Quecksilberpräparat, das gut resorbiert
wird, energisch wirkt, keine Schmerzen verursacht und auch von
Frauen, schwächlichen und alten Personen gut vertragen wird. Nach
des Verf.s Erfahrung (8 Krankengeschichten) erweisen sich u. a. be¬
sonders die Anfangszustände von Tabes und die Neurasthenie im Be¬
ginne der progressiven Paralyse einer guten Beeinflussung durch das
Mittel zugänglich.
M. C o r d e s - Berlin: Verbesserung der Technik der Embarin-
behandlung.
Um die mehrfach, auch von ihm selbst in 2 Fällen beobachteten
unangenehmen Nebenerscheinungen zu vermeiden, empfiehlt Verf.
den Beginn mit kleinen Dosen und langsamer Steigerung derselben
(k Spritze subkutan in der Lumbalgegend, dann nach 3 Tagen
Vi Spritze, dann jeden 2. Tag 1 Spritze); bei dieser Darreichung
kommt die gute Wirkung des Mittels ohne Nachteil zur Geltung.
J. B a r u c h - Berlin: Ueber Bandwurmbehandlung.
Nach Erfahrungen an 15 Fällen empfiehlt B. angelegentlich die
Einführung des Filmarons in die Kassenpraxis trotz des höheren
Preises wegen des nicht unangenehmen Geschmackes und Geruches,
der geringen notwendigen Menge und des prompten Erfolges des Mit¬
tels bei fehlender Giftwirkung. Es empfiehlt sich, kein Abführmittel
vor der Kur zu geben, sondern erst wenn nach VA — 2 Stunden kein
Stuhlgang erfolgt, ein Glas Bitterwasser. Nützlich ist. dem Kranken
vorher an einem Präparat den Kopf eines Bandwurmes zu zeigen.
A. Deutsch- Frankfurt a. M.: Zur Bekämpfung der Säuglings¬
sterblichkeit. , , ...
Beschreibung eines verkleinerten Soxhletapparates, der in eine
Kochkiste eingesetzt wird und in dem die Milch nach Belieben in
heisser oder nach Abkühlung auch längere Zeit (event. Tage) auf
niedriger Temperatur erhalten werden kann. Firma B. B. Cassel,
Frankfurt a. M., Preis 12.50 M.
F. B r u n k - Berlin-Charlottenburg: Noch einmal zur Frage der
paternen Vererbung der Syphilis.
Erwiderung auf die Bemerkungen F. Lessers in Nr. 29.
A. N c i s s e r - Breslau: Venerische Krankheiteil bei den im Felde
stehenden Truppen.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage Nr. 4.
B e r g e a t - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Rundschau.
Nr. 21. H. B e r 1 1 i c h - Bochum: Schwangerschaft und Geburts¬
störungen bei Missbildung des Uterus, speziell bei Uterus bicornis.
Verf. beschreibt 5 Fälle von Uterus bicornis und bearbeitet sie
mit 00 solchen aus der Literatur seit 1905 klinisch-statistisch.
Nr. 22. H. R o h 1 e d e r - Leipzig: Die künstliche Befruchtung
beim Menschen.
R. tritt entschieden für die grössere Verbreitung der künstlichen
Befruchtung ein. Unbedingte Voraussetzung für dieselbe ist, dass
durch genaue Untersuchung die normale, gesunde Beschaffenheit der
Zeugungsprodukte festgestellt ist und nur eine mechanische Unmög¬
lichkeit der Vereinigung derselben besteht: ferner sollen alle anderen
Mittel zur Behebung der Sterilität der Ehe erschöpft sein. Dann
ist die künstliche Befruchtung ein medizinisch einwandfreies Mittel,
gegen welches auch keine moralischen Bedenken bestehen. Die Er¬
folge sind relativ günstige (am meisten empfiehlt sich die uterine
Methode oder deren Verbindung mit der vaginalen Methode), indem
unter 65 Fällen (bis 1910) 21 = 30 Proz. Schwangerschaften erzieh
wurden. Bei der Verbesserung der Auswahl und Technik sind die
Aussichten noch bessere.
Nr. 23/24. M. M o r t i e r - Berlin: Ueber Adhäsionen nach Kai¬
serschnitt, zugleich ein Beitrag zur Lehre vom queren Fundalabschnitt
nach Fritsch.
Bericht über 7 Kaiserschnitte der Heidelberger Klinik, darunter
4 mit dem queren Fundusschnitt nach Fritsch. Im ganzen scheint
diese Methode dem Längsschnitt gleichartig zu sein ohne absolute
Vorzüge vor demselben, Im einzelnen Fall wird man die Auswahl
treffen, so z. B. wird bei einer Dehnung des unteren Uterinsegmentes
der Querschnitt, bei im Fundus sitzender Plazenta der Längsschnitt
bevorzugt werden.
Nr. 25. L. L i c h t e n s t e i n - Pistyan: Ein akuter Gichtanfall
von seltener Lokalisation.
Bei einem seit längerer Zeit an Gicht Leidenden trat ein akuter,
typisch ablaufender Anfall von Schmerzhaftigkeit Rötung und Schwel¬
lung an der Tuberositas tibiae auf.
Nr. 27. M. B 1 ü w s t e i n - Basel : Zur Frage der Beziehungen
der Epithelkörperchen zur Paralysis agitans.
Anatomische Untersuchungen an 3 Fällen von Paralysis agitans.
Bei zweien fanden sich normale Epithelkörperchen. Bei dem dritten
bestand in den Epithelkörperchen starke Fettdurchwachsung und eine
geringe Zahl von Hauptzellen; in den 2 untersuchten Epithelkörper¬
chen waren oxyphile Zellen nicht zu finden, was aber auch bei nor
malen Menschen vorkommt. Vorliegende Befunde sprechen nicht da¬
für, dass morphologische Veränderungen der Epithelkörperchen den
Boden für die Entstehung der Paralysis agitans bilden.
B e r g e a t - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Jena. August 1914.
Pape Carl: Beiträge zur Anatomie von Sacabranchus fossilis
(G ii n t h e r)
H i n r i ch s Gustav: Ueber eine neue Methode zur Diagnose der bös¬
artigen Geschwülste.
Brünger Hermann: Ueber Operationstod bei Thyreoiditis chronica.
(Gleichzeitig ein Beitrag zu den Beziehungen zwischen Base¬
dow scher Erkrankung und Thyreoiditis.)
Fröhlich Arthur: Ueber lokale gewebliche Anaphylaxie.
Schubert G. Friedrich: Ein Fall von totaler Thrombose der Aorta
abdominalis und ihrer Aeste.
Su st Otto: Ein Beitrag zur Frage: Hysterie oder Simulation.
Fischer Fritz: Portiomyom als Geburtshindernis.
Universität Würzburg. August 1914.
Fuchs Anton: Ueber schmerzlindernde Mittel in der Geburtshilfe
mit besonderer Berücksichtigung des Laudanon.
Müller Emil: Ein Beitrag zur Frage der Peritonitis im Wochenbette.
Rossmann August: Synechien und Atresien der Nase und des
Pharynx.
■ September 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Vereins- und Kongressberichte.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. Hfl.
(Offizielles Protokoll.)
'79. ausserordentliche Sitzung vom 29. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Quincke.
Schriftführer: Herr B a e r w a 1 d.
Eingänge:
Die Pockenkommission (Referent Herr N e i s s e r) beantragt:
er ärztliche Verein möge besch Hessen, die Auf-
erksanikeit der Aerztekammer auf den Umstand
inzulenken, dass impfgegnerische Aerzte Imp¬
ulsen ausführen.
Diskussion: Herr Lehmann: Es ist zu erwägen, ob nicht
taktische Erwägungen, 2. auch tatsächliche Bedenken gegen ein
lilches Vorgehen sprechen. Ein Teil der impfgegnerischen Aerzte
• Pft ja aus Ueberzeugung ga r nicht, andere — gegen die sich
iser Antrag an die Aerztekammer richtet — , die also impfen, be¬
enden dies nämlich damit, dass s i e die Impfung deshalb ausführen,
eil sie sofort darnach durch Schwitzbäder etc. — aber übrigens
cht durch Abwischen der Lymphe — die Schädlichkeiten zu v e r -
i adern suchen. Es ist also meines Erachtens den betreffenden
erren mit dem Vorwurf unmoralischen Vorgehens nichts anzuhaben,
id so könnte unser Antrag ohne Erfolg bleiben und unserem An-
hen dann Abbruch geschehen. Die Regierung weiss von solchen
ingen und kann gegen die betreffenden Aerzte nach dem Gesetz
irgehen.
Herr Hanau hat Bedenken dagegen, da es doch, falls es sich
ir um Scheinimpfungen handelt, in erster Linie Sache der Polizei¬
hörde ist, sich darum zu bekümmern. Weiterhin hat die Sache
nen denunziatorischen Beigeschmack und es besteht auf Grund
:s Impfgesetzes keine Möglichkeit, den impfgegnerischen Aerzten
e Ausführung der Impfung zu untersagen.
Herr Neubürger hat Bedenken gegen diesen Antrag.
Herr Neisser: Wer öffentlich als Arzt erklärt: „impfen ist
hädlich“ und danach trotzdem impft, dessen Tun widerspricht dem
irenkodex. Der Anfrag der Kommission ist nicht denunziatorisch,
soll nur prophylaktisch wirken. Die Herren Impfgegner brauchen
nicht zu impfen!
Herr Fromm: Mir ist nicht bekannt, dass die Kgl. Regierung
:zu bereits Stellung genommen hat, jedenfalls erscheint es ganz
wünscht, wenn auch die Aerzteorganisationen sich an der Be-
inpfung der Missstände beteiligen. Vom Kgl. Polizeipräsidium
rd den Impfungen impfgegnerischcr Aerzte die erforderliche Auf-
irksamkeit geschenkt und es geschehen diejenigen Schritte, die
Reichsimpfgesetz vorgesehen und zulässig sind.
Die Herren Neubürger und Lehmann bleiben bei ihren
denken.
Herr B a e r w i n d t beantragt Schluss der Debatte. Der Antrag
rd angenommen und der Antrag der Pockenkommission mit allen
gen 3 Stimmen angenommen.
Demonstrationen:
Herr J. Feucht wange r demonstriert:
L Ein jetzt 8 jähriges Kind, das bei der Geburt 1970 g schwer
d 36 cm lang, mit 4 Wochen 1015 g schwer war, und jetzt körper-
lh und geistig durchaus seinem Alter entspricht, nur Zeichen iiber-
mdener Rachitis aufweist. Das Kind war infolge Hydrorrhoea
: “ri gravidi amnialis gesund, aber zu früh geboren.
2. Plazenta von Hydrorrhoea Uteri gravidi amnialis herrühren-
Kind wurde 40 cm lang totgeboren. An der Plazenta hingen nur
i hr mazerierte Fetzen der Eihäute.
3. Nachgeburt eines Falles von spontaner Nabelschnurruptur bei
pilage und spontaner Geburt in Rückenlage im Bett. Lebendes
1 id.
4 Intrauterine Skelettierung eines ca, 3 monatigen Fötus.
5. ca. 4 monatigen Fötus mit amniotischer Verwachsung. Von
J 1 linken Fingerspitzen zieht ein amniotischer Faden zu den Ei-
1 iten. dabei die Nabelschnur in der Mitte treffend und mit ihr ver-
' chsend. Dadurch entstehen 2 Löcher, die begrenzt sind einerseits
'n Fötus mit linkem Arm, amniotischem Faden und fötalem Teil
Nabelschnur, andererseits Plazenta, plazentarem Teil der Nabel-
mur und amniotischem Faden. Der plazentare Teil der Nabel-
nur zeigte ca. 20 Drehungen, woraus hervorgeht, dass der Fötus
tensooft durch dieses letztere Loch schlüpfte und, indem er sich
Blutzufluss abdrehte, sich selbst tötete. Sonst keine Miss-
‘ Jungen am Fötus.
Herr Amberger demonstriert:
L Fall von traumatischer Pseudozyste des Pankreas.
Junger Mann erlitt am 16. X. 13 eine Quetschung durch einen
' mbkarren in der Magengegend. Zunächst keinerlei Anzeichen
i er intraabdominellen Verletzung. Völliges Wohlbefinden während
' agen, innerhalb deren Pat. zu Bette liegt. Beim ersten Aufstehen
urechen, das sich in den nächsten Tagen mehrfach wiederholt.
- ichzeitig bildet sich in der linken Oberbauchgegend eine deutliche
r Wölbung aus, die perkutorisch völlige Dämpfung aufweist,
j’ntgenbild zeigt den Magen stark nach rechts und oben verdrängt.
U. kommt in den folgenden Tagen auffallend herunter.
Diagnose: Flüssigkeitserguss in die Bursa omentalis, viel¬
leicht vom Pankreas herrührend.
1. XI. 13 Operation. Vorderwand der Bursa omentalis mit Peri¬
toneum parietale verlötet. Bursa von grossem Erguss ausgefüllt,
der stark blutig gefärbt sämtliche Pankreasfermente enthält.
Pankreas bildet die Hinterwand der Höhle, zeigt einige nekrotische
I artien, auch in der Flüssigkeit einige nekrotische Fetzen. Drainage
und 1 amponade der Höhle. In der Folgezeit starke Entleerung (bis
1400 ccm täglich) von Pankreassekret aus der Drainage. Pat. kommt
während dieser Zeit stark herunter. W o h 1 g e m u t h sehe Diät ohne
ersichtlichen Einfluss. Dann ganz plötzlich nach ca. 1 Monat
spontaner Schluss der Fistel. Danach rapide Erholung. Gegenwärtig
ist Pat. völlig gesund und beschwerdefrei. Fistel ist dauernd ge¬
schlossen geblieben. Pat. ist arbeitsfähig.
2- Fall von Thorakoplastik nach Empyenifistel.
38 jährige Frau, im Juli 1913 wegen metapneumonischen Empyems
operiert Fistel trotz aller Bemühung nicht zum Schluss zu bringen.
Deshalb 22. X. 13 Thorakoplastik nach Schede. Ausgedehnte
Resektion von 6 Rippen, Wegnahme der Interkostalmuskulatur, sowie
der Pleura costalis, die enorm schwartig verdickt ist. Dekortikation
der Lunge nach D e 1 o r m e. Heilung völlig glatt und ohne Fistel.
Gute Erholung der Patientin.
Schluss der Sitzung 8% Uhr.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 27. Mai 1914 (Schluss).
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer i. V.: Herr Zander.
Herr David: Mitteilungen zur Kenntnis der Ozonwirkung.
Schon bald nachdem Schönbein das Ozon entdeckt hatte,
wurde es eifrig medizinisch-therapeutisch zu verwenden gesucht. Die
Anwendung gründete sich vor allem auf der Annahme, dass 03 ein
normaler Bestandteil des Blutes sei und man hoffte durch 03-Zufuhr
dem Organismus einen lebenswichtigen Stoff zu geben. Diesen,
namentlich durch Lender übermässig propagierten Bestrebungen
trat Pflüger energisch entgegen dadurch, dass er die wissenschaft¬
liche Haltlosigkeit dieser Annahme nachwies. Weiter hat dann
namentlich Binz die 03-Wirkung auf eine wissenschaftliche Basis zu
stellen gesucht. Exakte Untersuchungen über den Einfluss auf die
tierischen und pflanzlichen Fälle liegen nur wenige vor, so dass
Z u n t z noch 1906 schreiben konnte „für heute kann man von physio¬
logischen Grundlagen einer Ozonsauerstofftherapie kaum reden“.
Am meisten noch ist über den Einfluss auf Bakterien gearbeitet
worden, doch hatte dies im wesentlichen zu negativen Resultaten
geführt, d. h. man fand keinen irgendwie deutlichen Einfluss auf
pathogene Keime. Auch zeigte sich, dass kleine Tiere, namentlich
Kaltblüter, unter 03-Wirkung nicht leiden (Sigmund). Von schäd¬
lichen Einflüssen waren schon früher namentlich Veränderungen in
den Lungen aufgefallen, die besonders in Oedem, Bronchitis und
Peribronchitis (Schultz) zum Ausdruck kam. Eine gewisse
Schwierigkeit hatte es früher gemacht, ganz reines Ozon anzuwenden,
da bei den meisten Methoden auch andere Produkte wie Stickstoff¬
oxyde entstanden. Mit einwandfreier Methodik wurden vor kurzem
die Untersuchungen an den Lungen wieder aufgenommen von Hill
und Fla ck; aber auch sie kamen zu dem Ergebnis, dass bereits sehr
geringe 03-Mengen schwere Veränderungen in dem Lungengewebe
hervorrufen können. Wir haben mit Hilfe eines handlichen Apparates,
den die Firma Siemens & Halske gebaut hatte und der gleichzeitig
eine Dosierung der erzeugten Os-Menge erlaubt, diese Versuche
wiederholt. (Es folgt eine Demonstration der Konstruktion und Funk¬
tion des Apparates und einiger erforderlicher Hilfsutensilien.)
Auch wir sahen bei Versuchstieren schwere Schädigungen au
den Lungen auftreten. Wir haben dann diese Versuche auf andere
Gewebe ausgedehnt und konnten hierbei feststellen, dass sich alle
anderen Gewerbe des Körpers wesentlich anders verhalten, selbst in
den höchsten Dosen von 03 ergaben sich keine Reizerscheinungen.
Kaninchen und Hunde vertrugen 03 intrapleural, intraperitoneal und an
den verschiedensten Stellen des Magen- und Darmkanals ohne
schwerere Schädigung. Dieses gegensätzliche Verhalten, das viel¬
leicht mit dem Flimmerepithel des Respirationstraktus zusammen¬
hängt, war bisher nicht bekannt.
Aufbauend auf die Versuche Pfannenstiels, der aus per os
verabreichtem Jodkali in lupösen und tuberkulösen Gewebe durch
Ozon Jod abzuspalten suchte und dabei gute therapeutische Erfolge
erzielt hat, haben auch wir diese Frage experimentell angeschnitten,
in gemeinsamer Arbeit mit Dr. Ishiguro konnte ich nachweisen,
dass sich eine solche Jodabspaltung in den meisten Organen mit
Ausnahme des unteren Darmkanals erzielen lässt: namentlich in den
Lungen liess sich ein starker Jodgehalt nachweisen. Damit haben
wir experimentell bewiesen, dass eine entsprechende Therapie sich
auf richtige Voraussetzungen aufbaut. Dementsprechend sind wir
auch in der menschlichen Therapie vorgegangen. Ueber die hierbei
gesammelten Erfahrungen werde ich mir erlauben später zu berichten.
Diskussion: Herr W i n t e r n i t z : Vielleicht gewinnt die
Ozonisierung für die interne .1 o d k a 1 i t h e r a p i e tertiärluetischer
Manifestationen Bedeutung. Ich denke in erster Linie an gummöse
1914
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 36
Prozesse in der Leber oder an anderen leicht zugänglichen Stellen.
Wenn es durch die Ozonisierung gelingt. Jod in statu nascetidi am
eigentlichen locus rnorbi in grösseren Mengen frei zu machen, so ist
zu erwarten, dass die therapeutische Einwirkung des Jodkaliums oder
anderer Jodpräparate in derartigen Fällen eine viel energischere sein
wird.
Herr Benckc: Nach dem mikroskopischen Bild der Lunge
handelt cs sicli vorwiegend um (Jedem und kleine Blutungen *).
An der Diskussion beteiligte sich auch Herr Ad. Schmidt.
Sitzung vom 10 Juni 1914.
Vorsitzender: Herr B e n c k e.
Schriftfiiher: Herr Stieda.
Auf Vorschlag des Vorsitzenden wird in Beantwortung einer
Anfrage des „Vereins zur Förderung des Zeichenunterrichts in den
Schulen“ folgender Beschluss gefasst:
Der ärztliche Verein zu Halle a. S. erkennt die Bestrebungen
des „Breslauer Vereins zur Förderung des Zeichenunterrichtes“ als
sehr bedeutungsvoll für die Erziehung zum Studium der Naturwissen¬
schaften und der Medizin an Je früher die Tätigkeit zu genauer
Beobachtung der Formen- und Farbenwelt entwickelt und geschult
wird, um so mehr wird das Verständnis der Naturobjekte erleichtert,
welche den Gegenstand des naturwissenschaftlich-medizinischen
Studiums bilden.
Diese Fähigkeit aber kann nur durch die von früh auf systema¬
tisch durchgeführte Uebung im Zeichnen erworben werden, welche
für das plastische Denken soviel bedeutet wie das Auswendiglernen
von Worten und Formen für das Sprachverständnis. Ausgiebiger
Zeichenunterricht führt auch passiv mindestens ebenso vollkommen
in das ästhetische Verständnis der Welt ein, wie der Unterricht in
Sprache und Literatur: er hat dabei den Vorteil, die manuelle Ge¬
schicklichkeit nicht nur für das Zeichnen selbst, sondern auch für
andere Zwecke zu erhöhen. Für das medizinische Studium bildet das
Zeichnen eine durchaus notwendige technische Grundlage: die Tat¬
sache, dass heute nur sehr wenig Studierende der Medizin leidlich
zeichnen können, macht viele Schwierigkeiten im Unterricht und
Mängel in deren Resultaten begreiflich.
Mit Sicherheit darf erwartet werden, dass eine gründliche Vor¬
bildung im Zeichnen auf den 3 vorbereitenden Schulen für die Absol¬
vierung des medizinischen Studiums eine wesentliche Verbesserung
mit sich bringen wird. Deshalb schliesst sich der Verein vom Stand¬
punkte des ärztlichen Interesses aus den Bestrebungen des „Bres¬
lauer Vereins zur Förderung des Zeichenunterrichtes“ nachdrücklich
an und ermächtigt den letzteren zur Verwendung dieser Meinungs¬
äusserung im Interesse der angeregten Sache. Nur das Bestreben
des Breslauer Vereins, das Zeichnen auch in die Reihe der Examens¬
fächer aufnehmen zu lassen, erscheint dem ärztlichen Verein als zu
weit gegangen.
Herr Niklas (a. G.): Ueber Dickdarmmelanose.
Vortr. demonstriert 2 Fälle von Dickdarmmelanose, die in allen
wesentlichen Punkten anatomisch mit dem von Pick aufgestellten
Typus übereinstimmen. Mikrochemisch weicht das Pigment der
Dickdarmmelanose in einigen Punkten von dem echten Melanin, wie
es in der Haut und in der Retina vorkommt, nicht unwesentlich ab,
so dass der Vortr. übereinstimmend mit Hu eck und Henschen
und Bergstrand demselben eine Zwischenstellung zwischen
echtem Melanin und Lipofusein anweist. Vortr. geht sodann auf
die Biologie der Melanine ein und bespricht die Tyrosinasen. Eine
solche konnte er auch im melanotischen Dickdarm nachweisen, der
einmal die Fähigkeit besitzt noch relativ lange nach dem Tode bei
steriler Autolyse bei 56® nachzudunkeln durch aktive fermentative
Pigmentneubildung; des weiteren konnte die Oxydasenwirkung nach¬
gewiesen werden am makroskopisch normalen frischen Darm, der
nur mikroskopisch erkennbare Mengen von Melanin enthielt, und
schliesslich gelang auch der direkte Nachweis im physiologischen
Kochsalzauszug des Dickdarmes einer 51 jährigen marantischen Frau.
Eingestellt war diese Oxydase nur auf Tyrosin, Versuche mit
Tryptophan und Adrenalin fielen negativ aus.
Klinisch-ätiologisch kommt bei der in den ausgesprochenen
Graden nur seltenen, im übrigen aber relativ häufigen Affektion nach
den Untersuchungen von Henschen und Bergstrand neben
vorgerücktem Alter und dem nur selten fehlenden Marasmus höchst¬
wahrscheinlich die chronische Obstipation in Betracht. Vortr. hält
dabei vorläufig weniger eine quantitative oder qualitative Ver¬
änderung der aromatischen Aminosäuren, die als Farbbildner
fungieren, als vielmehr den exzessiv gesteigerten Fermentgehalt der
Dickdarmmukosazellen für das Wesentliche.
(Erscheint ausführlich im Archiv für Verdauungskrankheiten,
siehe auch die vorläufige Mitteilung M.m.W.)
Diskussion: Herr Beneke: Die von Herrn Niklas aus¬
*) Bald nach dem Vortrag hatte Herr Dr. David die Güte, mir
einen Hund, der durch wiederholte Ozonatmung getötet war, zur
Sektion zu überweisen. Ich fand starkes Lungenödem, auffallende
Entwicklung und Abstossung myelinfetthaltiger Alveolarepithelien,
hier und da etwas Fibrin in den Alveolen, viel Leukozyten in den
Lungenkapillaren; starke Verfettung der Tub. contort., der Nieren.
(Der Versuch hatte nur wenige Stunden gedauert; der Hund war
ca. 8 Stunden danach krepiert.)
gesprochene Vermutung, dass ich unter etwa 700 Fällen je 1 Fai
schwerer Dickdarmmelanose gesehen hätte, stimmt vielleicht nicli
ganz, ich halte die Fälle für noch seltener. Herr Kollege Schreibe
in Königsberg, dessen reiche romanoskopische Erfahrung bekannt ist
teilte mir mit, dass er noch nie einen Fall in vivo beobachtet habt
Herr Keller: 1.3 Geschwülste der rechten Anhänge mit älui
liehem Untersuchungsbefunde vor der Operation:
a) Parovasientumor.
b) Tubentumor.
c) Tubargravidität bei gleichzeitiger regelrechter Schwanger
schaft im 3. Monat. (Vor 4 Wochen operiert; die normale Schwanger
schaft besteht weiter!)
2. Luftemphysem der Haut der rechten Körperhälfte nach Bauch
schnitt, infolge heftigen Brechens.
3. Fremdkörper:
a) hühnereigrosser Blasen-Harnröhrenstein um eine grosse Haar
nadel herum.
b) Intrauterinpessar, das lange Zeit (3 Jahre) gelegen hat. et<|
c) Kuriosa:
a) Verschluckte Gegenstände, nach 1 Jahr (von Geh. Ra
Oberst) aus dem Magen entfernt durch Laparotomie*
ß) 2 Schieferstiftspitzen, von denen die eine etwa 14 Jahr
in der Hohlhand, die andere etwa 5 Jahre unter der Kopt
haut lag,
y) Schlüssel am Penis zur Verhütung der Konzeption.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburc
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr A 1 1 a r d.
Schriftführer: Herr v. Engelbrecht.
Herr Lohfel dt: Ueber einen Fall von ungewöhnlich hoch
gradiger Spondylitis detormans der Lendenwirbelsäule.
An der Hand eines demonstrierten Diapositivs von einer Wirbe
aufnahme aus dem Hafenkrankenhause wird der Fall eines 53 jäh
Arbeiters besprochen, der früher nie über Beschwerden seiten
seiner Wirbelsäule zu klagen hatte, der als Schauermann täglic
schwere Lasten heben musste, bis er im März d. J. in einen Schiff:
raum fiel und sich einen Bruch des XII. Brustwirbels sowie de
Proc. transv. sin. des II. Lendenwirbels zuzog. Die Röntgenau
nähme zeigte diese Wirbelverletzungen einwandfrei, daneben (an
sich eine Spondylitis deform, der unteren Brustwirbel in der Haup
sacke links und sehr grosse spondylitische Spangenbildungen recht
am 1., II. und III. Lendenwirbel. Die schwere Spondylitis deformar
hatte dem Patienten also vor seinem Unfall nie Beschwerden ge
macht. Eruiert wird nun folgendes: 1. Die Bewertung der Spot
dyliiis deform, bei der Bemessung einer Unfallrente, man soll nicl
bei jeder (auch posttraumatischen) Spond. def. eine Dauerrente gebe;
da zwar die Veränderung nicht heilbar, aber die Beschwerden wo!
zu bessern sind. 2. Die Intensität der Beschwerden steht nicht ii
Verhältnis zur Schwere der Wirbelveränderungen. 3. Die Form dt
Skoliose (oben rechts konvex, unten links konkav und die Zacke
und Spangen an der Konkavität) gibt vielleicht einen Anhalt für d
Entstehung durch statische Veränderungen. 4. Wenn Verdacht ai
irgendwelche Wirbelverletzungen oder auch nur Quetschung de
Rückens besteht, soll man stets Röntgenaufnahmen der betr. Wirb
machen, um keine schon vorhandene Spond. def. später für eine pos
traumatische erklären zu müssen.
Diskussion: Herr Plate warnt auch seinerseits davor, ai
dem Grade der Veränderungen im Röntgenbilde einen Schluss i<
ziehen auf die Arbeitsfähigkeit des Trägers. Die Bedeutung dt
statischen Moments zeigt sich an der stärkeren Beteiligung dt
rechten Seite der Wirbelsäule am Krankheitsprozess und die B<
obachtung, dass im Tierreich die Krankheit nur bei Tieren mit au
rechter Körperhaltung vorkommt, spricht in gleichem Sinne.
Baudonin hat 1912 in der Pariser Acad. des cienccs iE
Krankheit, die älteste bekannte Krankheit genannt. Er fand sie ■
typischer Weise an den Wirbelsäulen von Höhlenmenschen und vcj
den vorhandenen Tieren nur beim Höhlenbären.
Bei den Männerskelettcn waren besonders die untersten Brus
und die Lendenwirbel befallen, bei den Frauenskeletten die Har
Wirbelsäule mit stärkerem Befallensein der linken Seite. Vielieic.
rührt das daher, dass die Frauen Lasten so auf dem Kopfe trüge
dass sie mit einer Hand stützten und dadurch eine Seite mehr b
lastet wurde.
Unter den zahlreichen, recht naturalistischen Zeichnungen, e
man in solchen Höhlen findet, konnte P. keine Bilder von Fr auf
finden, die so Lasten trugen.
Herr H a e n i s c h.
Herr Simmonds: Auch die anatomische Erfahrung bestäti
die sehr grosse Häufigkeit der Spondylitis deformans bei Männeii
jenseits des 50. Jahres. Oefter trifft man schwere Veränderung:
bei Individuen an, die bis kurz vor ihrem Tode ihre volle Arbeit
fähigkeit besessen haben. Eine allzu grosse Bewertung des Befund'
intra vitam ist also im allgemeinen abzulehnen. Andererseits weis;
aber doch die Erfahrungen an anderen Körperabschnitten darauf In
dass pach Traumen an Gelenken mit deformierender Arthritis vi
S. September 1914.
MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1915
hartnäckigere Störungen sielt ansehliessen; und es ist daher anztt-
iiehmen, dass Individuen mit Spondylitis deformans auf ein Trauma
der Wirbelsäule schwerer reagieren als andere.
Herr L o h f e I d t (Schlusswort).
Herr Simmonds: Ueber Veränderungen der Hypophysis bei
Meningitis tubcrculosa.
Hie Hvpophysis ist bei tuberkulöser Meningitis fast immer be-
tciligt. Meist beschränkt sich der Prozess auf eine Umscheidung des
Micks durch eine mehr oder minder breite Infiltrationsschicht und
eine Infiltration der Drüsenumhüllung. In manchen Fällen greift aber
der tuberkulöse Prozess von der Umgebung auf die äussersten
Schichten des Organs über, in derselben Weise, wie ja auch die Hirn¬
rinde sich oft an der tuberkulöse der Meningen beteiligt. Wenn
auch die tuberkulöse Infiltration dabei niemals weiter in die liefe
des Hirnanhangs eindringt, so wäre es doch möglich, dass diese
Oberflächenerkrankung und besonders die Umscheidung des für den
Sekretabfluss so wichtigen Stiels Sekretionsstörungen veranlassen.
Neben der Erkrankung der Oberfläche kommen aber auch im
Innern der Hypophysis bei 1 uberkulose des Hirns und seiner Häute
Miliartuberkeln vor. Diese bisher nie erwähnten feinen Knötchen,
die nur als Tcilerscheinung einer allgemeinen Miliartuberkulose auf-
zufassen sind, finden sich sowohl im Vorder- wie Hinterlappen. In
ersterem sind sie seltener und kleiner, in letzterem grösser und
häufiger.
Ob all die geschilderten Veränderungen klinische Erscheinungen
auslösen, ist bei der grossen Ausbreitung der meningealen Ver¬
änderungen im Zentralnervensystem schwer zu sagen. Mit der Mög¬
lichkeit ist jedenfalls zu rechnen; es empfiehlt sich daher in Fällen,
die sich durch besondere klinische Eigentümlichkeiten auszeichnen,
abnorm tiefe Temperatur, erhöhte Diurese usw. den Hirnanhang
histologisch zu untersuchen.
Herr G r i s s o n und Herr D e I b a 11 c o: Monströser Tumor der
üenitalgegend.
Im Anschluss an die Demonstration im Hamburger Acrztlichen
Verein am 6. Dezember 1910 (D.m.W. 1911 Nr. 14, Vereinsbeilage
>. 669) berichtet Herr Qrisson über das weitere Schicksal des
Kranken.
Mikroskopische Untersuchungen von exzidierten Stücken und
exstir pierten Drüsen lieferten widersprechende Ergebnisse:
Prof. Simmonds fand keine malignen Stellen und hielt die
Prognose für günstig.
Dr. Del bau co erklärte: Spitze Kondylome liegen weder
Klinisch noch mikroskopisch vor, cs handle sich um ein „sehr gut¬
artiges Karzinom“.
Bei diesem Widerspruch konnte (i. sich zunächst nicht zu einer
xadikaloperation entschlossen, da diese zu vollständiger Emasculatio
uhren musste. Es wurden deshalb austrocknende Mittel, Aetzungen
salvarsan, Röntgenstrahlen, scharfer Löffel, Kaustik und harte
schmirschlinge versucht.
Ohne jeden bleibenden Erfolg.
Weitere mikroskopische Untersuchungen blieben wider¬
spruchsvoll.
Prof. Simmonds: Benigne epitheliale Neubildung, nicht Kar-
dnom. Prognose günstig.
Dr. Delbanco: Spitze Kondylome mit Bestimmtheit aus¬
geschlossen. Epitheliale Neubildung mit sehr suspekten Epithel-
•' Bänderungen. Später: Hoffnungsloses Karzinom.
Der Tumor wuchs durchaus nach Art eines Karzinoms, führte
ui einer Harnröhren-, später auch zu einer Darmfistel, drang tief ins
wavum ischio-rectale und zwischen die Muskulatur des Ober- I
ichenkels ein und arrodierte das Schambein.
Eine am 16. X. 1911 ausgeführte grosse Radikaloperation mit
masculatio und eine nochmalige Rezidivoperation waren erfolglos.
Kr Kranke starb nach 2Vz jährigem Aufenthalt im Krankenhaus;
iber 8 Jahre nach Beginn des Leidens.
Die Sektion ergab, dass der Tumor ganz wie ein Karzinom ge¬
wachsen war, aber keinerlei Metastasen in Drüsen oder anderen
•rganen gemacht hatte.
Es war also klinisch ebenso widerspruchsvoll wie mikroskopisch.
Ein offenbar ganz gleicher Fall ist jetzt in Kiel von Konjetzny*)
icobachtet und beschrieben worden.
(Demonstration von Photogrammen und einer Moulage.)
Herr D e I b a n c o hatte Gelegenheit, den Tumor, welcher ihm
deich bei der ersten Vorstellung als Morbus sui generis imponiert
'atte, zu verschiedenen Zeiten zu untersuchen. Die noch im De-
unber 1910 gewonnenen Präparate hatten ihn trotz einer stellen-
\eisc nicht einmal geringen Aehnlichkeit das „spitze Kondylom“
tblehnen lassen. D. rekapituliert den derzeitigen Stand der Dia¬
gnostik des Condyloma acuminatum. Der neuerliche Vorstoss von
'«■ouquist (Malmö 1912), den Ausgangspunkt der Wucherung
wieder in das Bindegewebe zu verlegen, wird abgelehnt. — Neben
lCn Y°n' spitzen Kondylom trennenden Momenten waren es eine zum
ttreheinander der Zellen vielfach führende Unruhe der tieferen Lagen
Ics Akanthoms, eine Neigung der Stachelzellen zur Erweichung, zur
jyalinen Degeneration und Perlcnbildung, welche I). veranlassten,
ler fremdartigen Wucherung die Zeichen einer eben beginnenden
ualignität zuzusprechen. Unna folgte D. in der Ablehnung des
mndyloms acuminatum, nicht in der Diagnose einer malignen Neu¬
bildung, empfahl vorderhand von einem Epitheliom grossen Stils zu
sprechen.
D. erinnert an die Referate von Darier, Ford y c c und
■I ad a s s oh n auf dem Londoner Kongress über die benignen und
malignen Epitheliome der Haut. Die Dermatologie kann des Epi¬
thelioms nicht entraten, welches die Pathologen viel enger fassen
unci mit welchem die dermatologischen Schulen der verschiedenen
Lander keine einheitlichen Begriffe verbinden.
Die Röntgenbestrahlung hatte vorübergehend und stellenweise
die Epithellager zur Abstossung gebracht. Der freiliegende Binde-
gewebskörper wurde schnell epithelisiert. Ebenso schnell geriet die
Epitheldecke in Wucherung mit dem Ergebnis der ursprünglichen
Geschwulstbildung. Im Bindegewebe zu allen Zeiten der Unter¬
suchung eine stärkst ausgebildete chemisch entzünd-
1 1 c h e R e i z u n g mit starker Erweiterung der Venen. Die Röntgen¬
bestrahlung kann nicht Ursache sein, dass schon Ende 1911 die Ge¬
schwulstbildung durchweg das mikroskopische Bild des ausge¬
sprochenen Plattenepithelkrebses aufwies, ohne dass klinisch
die Wucherung als solche ein anderes Aussehen
annahm.
Wie in der Mehrheit der Fälle die karzinomatöse Wucherung
der Haut über die grössere Spanne ihres zeitlichen Bestandes in
Zusammenhang bleibt, ist es auch hier nirgends zu einer Abschnürung
von Epithel gekommen trotz hochgradiger Metaplasie der Stachel-
zel en, Verlustes der Architektur der Haut, alles Zeichen einer
malignen Degeneration, ln der Wahrung des Epithelzusammen¬
hanges in Verbindung mit der kräftigen Reaktion des Bindegewebes
beruht wohl auch hier die relative Gutartigkeit des Tumors, welcher
per contignitatem das Os pubis usurierte, aber selbst die meist ge¬
fährdeten Lymphdrüsen nicht infizierte. In Schnitten durch
diese nicht eine Krebszelle.
Auffällig in den Präparaten ist die Erweichung des Krebs¬
gewebes. Bei schwacher Vergrösserung denkt man an Querschnitte
eitrig infiltrierte Bindegewebspapillen mit isolierten Epithelien. Die
geschwollenen Krebszellen haben durch Aufnahme von Leukozyten
in ihrem verflüssigten Protoplasmateil bizarre Formen angenommen.
Delbanco erinnert an B. Fischers Untersuchungen über
Scharlachrot und atypische Epithelwucherung. Wer Hypothesen
liebt, mag beim Studium der zahlreichen demonstrierten Präparate
denken, welche vom Bindegewebe aus die Epitheldecke in
Wucherung brachten — und auch wieder in Schranken hielten.
E i s c h e r s Arbeiten haben W a 1 1 i c h in Prag zu geistvollen
Studien angeregt. Er brachte Scharlachrot unter' die Keimscheibe
von Hühnerembryonen, erzeugte dadurch Epithelwucherungen und
Vervielfachungen des Medultarrohres. (Arch. f. Entwicklungsmechanik
38. Bd.)
Diskussion: Herr Simmonds: Wie Sie an dem pro¬
jizierten Mikrophotogramm erkennen können, war der histologische
Befund an dem vor 4 Jahren von mir untersuchten Stück nicht von
der Art, dass man ein Karzinom diagnostizieren durfte, und es freut
mich zu hören, dass auch ein so erfahrener Kenner der Hautpatho¬
logie, wie Unna, damals sich in gleichem Sinne geäussert hat. Auch
bei einem kürzlich veröffentlichten, dem vorliegenden stark ähnelnden
Tumor lehnte Konjetzny die makroskopisch gestellte Diagnose
Krebs auf Grund des histologischen Befundes ab, und Lu barsch
unterstützte nachträglich diese Auffassung. In den von Herrn
Delbanco jetzt vorgelegten Präparaten findet sich zweifellos
krebsiges Gewebe, und ich kann daher nur annehmen, dass im Laufe
der 4 Jahre seit meiner ersten Untersuchung sich eine maligne Um¬
wandlung des Tumors vollzogen hat. Auffallend bleibt es ja immer,
dass ein Karzinom von dieser enormen Ausdehnung nach 5 jähriger
Dauer keine Metastasen, vor allem auch keine Drüsenmetastasen,
veranlasst hat. Das unterstützt gewiss die Annahme einer eigen¬
artigen, ursprünglich nicht krebsigen Neubildung.
Herr Plate hat in der Krankengeschichte eine Angabe ver¬
misst, ob eine Gonorrhöe vorhanden war. Gerade in dieser Gegend
ist doch die Benetzung der Haut mit gonorrhoischem Sekret die
häufigste Ursache der spitzen Kondylome.
Dass die Berührung der Haut mit infektiösem Sekret auch beim
Gesunden spitze Kondylome erzeugen kann, scheint P. durch eine
Beobachtung bewiesen, die er vor einigen Jahren gemacht hat. Ein
Kind wird in Steisslage geboren, nachdem längere Zeit das Wasser
abgegangen war und der Stciss längere Zeit tief in der Scheide ge¬
standen hat. Nach einiger Zeit zeigen sich bei der Mutter, die
massigen Ausfluss hat, dessen bakteriologische Untersuchung aus
äusseren Gründen unterblieben ist, spitze Kondylome am Introitus
vulvae.
Bald darauf bilden sich auch mitten auf der Haut der Nates
einer Seite beim Kind, das keine Zeichen einer vaginalen Infektion
darbot, spitze Kondylome, die die Grösse einer Kastanie erreichten.
Bei I rockenbehandlung verschwand der Tumor, ohne eine Narbe
zu hinterlassen.
Herr Engelmann: Eine w'ohl gleichartige Affektion ist der
von L u c a e beschriebene Krebs des Gehörganges. Nach der von
den Herren Delbanco und Grisson gegebenen Schilderung ist
es wohl dasselbe — auch ein Epitheliom. Das Leiden verläuft nur
lokal bösartig, macht nie Metastasen. E. sah einen derartigen Fall,
auch hier war die Aehnlichkeit mit spitzen Kondylomen auffallend.
Nach der, nicht genügend ausgiebigen Operation — auch der Knochen
war befallen — Rezidiv, das mit gutem zeitweisem Erfolg mit
*) Konjetzny: M.m.W. 1914 Nr. 16 S. 9U4.
1916
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 36.
Alaun und Summitates Sabinae (von Lucae angegeben) behandelt
wurde. Schliesslich wurde dem Patienten, der sein Leiden nicht
für ernst hielt, die Sache zu langweilig und er blieb fort.
Herr A r n i n g.
Herr Jacobsthal.
Herr Qrisson (Schlusswort).
Herr Delbanco (Schlusswort) schliesst sich allen Aus¬
führungen des Herrn Ed. A r n i n g über das spitze Kondylom an.
Einen Fall von spitzen Kondylomen der Kopfhaut demonstrierte er
selbst in dieser Sektion. Dreyers viel zu wenig beachtete Befund
von Spirochäten in Schnitten durch das spitze Kondylom vermochte
er nicht zu bestätigen.
Herr Oehlecker: Lieber ein neues Verfahren, um normale
und pathologische Hohlräume des Körpers wie auch Telle des Ver¬
dauungsschlauches im Röntgenbild darzustellen.
Das Verfahren besteht darin, dass ein kleiner Ballon aus
feinstem Kondomgummi in den Hohlraum (z. B. alte Empyemhöhle)
eingeführt und mittels eines dünnen mit dem Ballon fest verbundenen
Katheters mit Kollargol gefüllt wird. Bei entsprechend geformten
Ballons gelingt es auch, den Nasenrachenraum sowie Teile des Oeso¬
phagus auf diese Weise im Röntgenbild sichtbar zu machen. Vortr.
weist darauf hin, dass dieses Verfahren keineswegs andere bewährte
Methoden verdrängen soll, empfiehlt es jedoch für gegebene Fälle
als nützliches diagnostisches Hilfsmittel. Demonstration zahlreicher
Photogramme, die in sehr schöner Weise die betreffenden Höhlen
im Röntgenbild sichtbar machen. Dies Verfahren wurde vom Vortr.
auf dem letzten Chirurgenkongress in Berlin demonstriert. (Die aus¬
führliche Veröffentlichung erfolgt anderen Orts.)
Deutsche medizinische Gesellschaft in Chicago.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. Februar 1914
Vorsitzender: Herr Lieberthal.
Schriftführer: Herr Reich mann.
1. Herr Heinrich Schmitz: Die Röntgentiefentherapie in der
Gynäkologie.
2. Herr Adolph Hartung: Viszeroptosis im Röntgenbilde.
Herr Schmitz schildert in kurzen Worten die biologischen
Grundlagen der gynäkologischen Röntgentiefentherapie und beschreibt
die Technik derselben, einschliesslich des Gebrauches des Härte¬
messers, der Strahlenfilterung, der Vielfelderbestrahlung und Dosie¬
rung, welch letztere er mit der Holzknecht-Sabouraud-Noiree-Skala
bewerkstelligt.
Seine eigene Technik besteht in dem Gebrauche von Röhren
von 8 Heinz-Bauer, einer Fokusdistanz von 20 — 22 cm, einer 3 mm-
Aluminiumfilterung, einer Belastung von 4 — 5 Milliamp. und 6 bis
12 Eintrittspforten von 5 qcm. Die Gesamtdosis einer Sitzung beläuft
sich auf 200—240 X. Amenorrhoe wird nach durchschnittlich 4 bis
6 Serien erreicht. Er kann nur von Primärerfolgen sprechen, da
seine Fälle alle in dem letzten Jahre behandelt wurden. Im Portio-
und Korpuskarzinom hat er gar keine Beeinflussung gesehen trotz
energischster Strahlung bis zu 2000 — 3000 X. Sobald er im Besitz
von Radium ist, wird er seine Behandlungen erneuern. Zwei Fälle
von tuberkulöser Adnexitis wurden behandelt. Die Patientinnen
waren unverheiratet — 32 Jahre alt — hatten ausgesprochene
Dysmenorrhöen und Menorrhagien, sowie profuse Leukorrhöen.
Beide waren vor 4 resp. 3 Jahren operiert worden. Die rechten
Adnexe und die Appendix wurden entfernt. Die linken dagegen
zeigten keine grösseren Veränderungen und wurden deshalb zurück¬
gelassen Die eine Patientin bekam S Serien, jede von 25 — 30 X,
nach welchen Amenorrhoe eintrat. Die subjektiven Beschwerden
schwanden vollständig. Die andere Dame findet sich noch in Be¬
handlung; die subjektiven Beschwerden sind jedoch verschwunden.
Bei Uterusmyomen und hämorrhagischen Metropathien folgt Vor¬
tragender den Indikationen von K r ö n i g und Menge. Zum Schlüsse
schliesst er sich ganz dem Menge sehen Standpunkt an, dass der
Gynäkologe selbst die Technik der Röntgentiefentherapie erlernen solle.
Herr R e i c h m a n n berichtet über einige gynäkologische Fälle,
die er mittels Röntgenstrahlen behandelt. Es handelte sich um 6 Fälle
von Myomen und 3 Fälle von klimakterischen Blutungen. Es wurde
nach Albers-Schönbergs Methode behandelt und in allen
Fällen den Blutungen Einhalt getan. Reichmann betont die Not¬
wendigkeit einer innigen Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen und
Röntgenologen, da man nur so zu dem gewünschten Resultate ge¬
langen könne.
Herr Carl Beck gibt seiner Befriedigung Ausdruck, dass die
Röntgentherapie in gynäkologischen Fällen von einem Gynäkologen
in Angriff genommen wurde, denn nur ein solcher könne betreffs
Indikation und Prognose eine endgültige Entscheidung abgeben, eine
Fähigkeit, die den meisten Röntgenologen abgehe.
Ad 2. Herr Reichmann betont die Ueberlegenheit der Schirm¬
untersuchung des Verdauungstraktes gegenüber der Plattenaufnahme,
obgleich er letztere in keinem Falle missen möchte, namentlich in
Fällen, bei welchen die Schirmuntersuchung irgendwelche patho¬
logische Veränderungen erkennen lässt. Doch auch bei diesen Unter¬
suchungen ist eine Zusammenarbeit des Klinikers und der Röntgeno¬
logen unerlässlich, da sich die Untersuchungen beider ergänzen,
während in den meisten Fällen weder eine klinische noch eine rönt¬
genologische Untersuchung für sich allein eine für das richtige thera¬
peutische Handeln ausschlaggebende Diagnose ergebe.
Herr Carl Beck betont ebenfalls die Wichtigkeit der Schirm¬
untersuchungen. erwähnt Fälle, bei denen er bei der Laparotomie
nichts von den Veränderungen finden konnte, die er nach den Be¬
funden der Röntgenplatte zu finden hoffte.
Sitzung vom 5. März 1914.
Vorsitzender : Herr Lieberthal.
Schriftführer: Herr Reichmann.
Herr Emil Ries:
a) Bericht über einen Fall von Danntumor mit Intussuszeptlon
mit gleichzeitiger Demonstration des betreffenden Präparates.
b) lieber Pyosalpinx und deren Folgen.
Herr J. Holinger: Gesichtsskelett und seine Beziehungen
zu Nasenaffektionen.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Zur Behandlung des Herpes zoster.
Von Dr. med. A 1 1 h o f f in Attendorn i. W.
Unter Herpes zoster,, Gürtelrose, verstehen wir Bläschen-
bildungen mit wasserhelleni, dann sich trübendem und vertrocknen¬
dem Inhalte, welche dem Nervenverlauf entsprechend, meist dem
Sitz der Interkostalnerven folgend, fast stets einseitig auftreten. Die
Krankheit ist oft sehr schmerzhaft, dauert manchmal wochenlang und
hinterlässt nicht selten örtliche Störungen der Sensibilität. Das All¬
gemeinbefinden ist fast immer gestört. Auf Grund der Beobachtung
von zahlreichen Fällen der Gürtelrose scheint mir eine akute Infek¬
tionskrankheit vorzuliegen; dementsprechend möchte ich die nach¬
folgende Behandlung, welche sich mir in allen Fällen bewährt hat, di«.
Krankheitsdauer abkürzt, die Schmerzen und das Jucken lindert, sehr
empfehlen. Die Behandlung soll möglichst frühzeitig beginnen.
Man gebe 3 mal täglich: Urotropin, Aspirin aa 0,5 in einem halben
Glase Wasser und lasse 1 Tasse heissen Thee nachtrinken. Die er¬
krankte Körperstelle erhält 2 mal täglich einen Salbenverband mit:
Thymol
Ac. carbol. liq. ää 1,0
Vaselin, alb. ad 100,0
MDS.: äusserlich.
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 33. Jahreswoche vom 16. bis 22. August 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 13 (51), Altersschw. (über 60 Jahre) 5 (2), Kindbettfieber 3 (— )•
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft 1 (1), Scharlach — (4
Masern u. Röteln — (— ), Diphtherie u. Krupp 3 (— ), Keuchhusten 2 (2t,
Typhus (ausschl. Paratyphus) — (— ), akut. Gelenkrheumatismus 2 (1),
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut.
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) 1 (— ), Starrkrampf — (— ).
Blutvergiftung 1 (2), Tuberkul. der Lungen 23 (14), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 3 (6), akute allgem. Miliartuberkulose — - (— ).Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 5(12), Influenza — (—), veneri¬
sche Krankh. 1 (2), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfieber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel
fieber usw. — ( — ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) — (2), Alkoholis¬
mus — (1), Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 2 (3), sonst. Krankh
d. Atmungsorgane — (2), organ. Herzleiden 14 (13), Herzschlag, Herz¬
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 4 (3), Arterienverkalkung
3 (3), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 8 (1), Gehirnschlag 6 (5).
Geisteskrankh. — (3), Krämpfe d. Kinder 1 (— ), sonst. Krankh. d. Nerven¬
systems 2 (4), Atrophie der Kinder 1 (4), Brechdurchfall — (4), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 12 (14), Blinddarm¬
entzünd. 3 ( — ), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 3 (2), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 4 (6), Nierenentzünd. 4( ),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 2 (3), Krebs 17 (27), sonst.
Neubildungen 2 (4), Krankh. der äuss. Bedeckungen 3 (— ), Krankh. der
Bewegungsorgane — (1), Selbstmord 7 (11), Mord, Totschlag, auch
Hinricht. — ( — ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 3 (1)>
andere benannte Todesursachen 4 (1), Todesursache nicht (genaui
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— )•
Gesamtzahl der Sterbefälle: 168 (167).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 36. 8. September 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 5.
Prophylaxe und .Therapie der Ruhr im Felde1)
Von Geh.-Rat Prof. Dr. Ad. Schmidt in Halle a. S.
Die Gefahr der Ruhrepidemien (Bazillenruhr) im Felde ist
usserordentlich gross. Einzelne Fälle kommen in den
Sommermonaten wohl überall vor, zumal bei unvorsichtiger
Nahrungsaufnahme. Sie werden nicht erkannt, weil sie keine
schwereren Erscheinungen machen und sind auch nicht ge-
ährlich, solange der Kranke imstande ist, den Stuhl ins Klo-
ett resp. an einem unschädlichen Ort zu entleeren und die
vVäsche resp. seine Finger rein zu halten. Das ist im Krieg
iel schwerer durchführbar als im Frieden und deshalb sollte
eder mit heftigem Stuhldrang einhergehende Durchfall ge¬
neidet und vom Arzt nachgesehen werden. Zeigt sich, dass
iie Entleerung blutig, d. h. blutigschleimig oder blutig-eitrig
mssieht und fiebert gar der Mann, so muss er sofort krank
;eschrieben und wenn möglich isoliert werden. Auf das Er-
;ebnis der bakteriologischen Untersuchung des Stuhles oder
ler Agglutination zu warten, ist nicht angängig.
Vor allem sind die Stuhlentleerungen und die Wäsche zu
lesinfizieren. Kommen mehrere Fälle im Lazarett zusammen,
o ist für eine genügende Zahl von Unterschiebern zu sorgen,
!a die Schwerkranken keine Zeit haben, bis aufs Klosett zu
.ehen; sie entleeren sonst den Stuhl ins Bett und damit wächst
Iie Gefahr der Weiterverbreitung. Dass sich Aerzte und
^eger, überhaupt jeder, der mit den Kranken zu tun hat,
'urch besondere Schürzen oder Mäntel, Gummihandschuhe
nd womöglich auch Gummischuhe schützen muss, versteht
ich von selbst. Sehr wichtig ist weiterhin die Fernhaltung
er Fliegen von den Patienten und noch mehr von ihren Ent¬
erungen. Neben geeigneten Deckeln auf allen Gefässen und
liegenfängern hat sich mir die Verwendung von Steifgaze
ls Fliegenfenster sehr bewährt. Man schneidet resp. näht
Tücke von der Grösse der Fensteröffnungen zusammen,
lappt den Rand etwas um und spannt das ganze mit Pappe-
treifen und Reisszwecken auf diejenige Seite der Fenster¬
ahmen, nach -der die Fensterflügel nicht schlagen. Derartige
iazefenster werden durch Regen und mässigen Wind nicht
eschädigt.
Für die Therapie kommt in erster Linie das Ruhr-
erum in Betracht, und zwar am besten das polyvalente
erum (Höchst oder Sächsische Serumwerke).
)enn es handelt sich nur in den seltensten Fällen um Infek-
onen mit reinen Stämmen (Kruse-Shiga, F 1 e x n e r,
. S t r o n g), vielmehr meist um Stämme, welche ihren Eigen-
chaften nach zwischen den erstgenannten drei Stämmen
tehen, oder auch um Mischinfektionen. Das polyvalente
erum wird von Pferden gewonnen, die mit allen Arten ge-
npft worden sind. Man infiziert möglichst früh-
eitig ein oder mehrmals je 10 ccm; in der Regel kommt
:an mit 3 Dosen (über 2 — 3 Tage verteilt) aus. Die Reaktion
eigt sich vor allem an dem Heruntergehen des Fiebers und
er Besserung des Allgemeinzustandes, der sich an dem Ver¬
alten des Pulses kontrollieren lässt. Ein kleiner und fre¬
uenter Puls ist auch bei niedriger Temperatur und verhältnis¬
lässig geringen Lokalerscheinungen prognostisch ungünstig.
l) Nach Erfahrungen bei einer gegenwärtig im Abklingen be¬
rittenen Epidemie in Gimritz bei Halle, über die an anderer Stelle
usführlicher berichtet werden wird.
Ungünstig ist auch häufiges Erbrechen, das bei leichteren
Fällen fehlt. Auf den Tenesmus und die Stuhlentleerung wirkt
das Serum weniger deutlich.
Gegen diese empfiehlt sich am meisten Bolus alba (3 mal
täglich 1 Esslöffel) oder ein Sirnarubadekokt (30:300, auf die
Hälfte eingekocht). Letzteres schmeckt schlecht und erregt
unter Umständen Uebelkeit. Emetin, subkutan injiziert,
welches bei der Amöbenruhr fast spezifisch wirkt, ist nach
meinen Erfahrungen bei der Bazillenruhr unwirksam. Abführ¬
mittel zu geben (Rizinus oder Kalomel), möchte ich selbst in
beginnenden Fallen dringend widerraten. Unzweckmässig
sind auch Darmspülungen mit Tanninlösungen oder Einläufe
mit Jodoformemulsionen und ähnlichem. Sie werden doch
nicht gehalten und sind schmerzhaft. Dagegen können
kleine Zäpfchen aus Belladonnaextrakt mit Opium (ää 0,02)
den unerträglichen Drang lindern. Gegen die in der Regel
nicht sehr erheblichen Koliken gebe man heisse Kompressen.
Bei Kollapsen spare man nicht mit Exzitantien (Kamp¬
feröl) und subkutanen Kochsalzinfusionen. Letztere wirken
momentan auffallend günstig. Die Nahrungszufuhr hat sich
im akuten Stadium auf warme Flüssigkeiten (Glühwein, Kakao,
Reissuppen) zu beschränken.
Man entlasse die Kranken nicht zu früh aus der Behand¬
lung, da Rückfälle auch nach 14 Tagen noch Vorkommen.
Auch finden sich die Bazillen oft noch lange in den Aus¬
scheidungen. Nachkrankheiten — es sind Gelenkschwellungen,
Konjunktivitis, Urethritis etc. beobachtet worden — sind nach
allgemein-therapeutischen Gesichtspunkten zu behandeln.
Aus der chirurgischen Klinik Würzburg (Prof. Dr. Enderlen).
Ueber stumpfe Darmverletzungen.
Von Privatdozent Dr. Lobenhoffe r.
Schon die ersten Mobilmachungstage, die Transporte von
Gütern und Pferden geben zu einer Reihe von Verletzungen
Anlass, die grössere operative Massnahmen sofort dringend
erfordern; es sind das meist Verletzungen durch Ueberfahren-
werden, Herabfallen schwerer Güter auf den Körper, Auf¬
schlagen des fallenden Körpers auf Kanten und ähnliches und
endlich durch Hufschlag, also Verletzungen durch Ein¬
wirkung stumpfer Gewalt. Im Felde kommt als weiteres
ätiologisches Moment das Aufschlagen eines matten Ge¬
schosses und der Kolbenstoss hinzu. Aus der Reihe dieser
Verletzungen seien hier diejenigen herausgegriffen, die den
Bauch treffen, und von den intraperitonealen Organen den
Darm verletzen, weil bei ihnen von der richtigen Diagnose und
sofortigen Operation das Leben der Patienten abhängt. Die
in den letzten Monaten in der hiesigen Klinik beobachteten
Fälle dienen als Grundlage. Die Verletzungen können ausser¬
dem noch betreffen Leber, Milz, Pankreas.
Von den Bauchorganen ist der Darmtraktus am häufig¬
sten verletzt und dabei wieder in der überwiegenden Mehr¬
zahl der Dünndarm. Die Statistik von P e t r y gibt unter 219
stumpfen Bauchverletzungen 172 mal den Dünndarm als Sitz
der Wunde an, davon 9 mal das Duodenum, 46 mal das Jeju¬
num, 85 mal das Ileum, während der Magen nur 21 mal, der
Dickdarm 26 mal betroffen war; unter den Dickdarmver¬
letzungen war wieder 7 mal das Zoekum, 8 mal das Colon
1918
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
ascendens, 4 mal das Colon transversum, 2 mal das Colon des-
cendens und 5 mal die Flexur verletzt.
Der Sitz der Verletzung entspricht wohl in den meisten
Fällen der Stelle der Gewalteinwirkung, doch gibt die Anam¬
nese sehr oft in dieser Hinsicht keinen genaueren Aufschluss,
oft fehlen ja auch Spuren der Gewalteinwirkung auf der
äusseren Haut, so dass die Angaben der Kranken nicht kon¬
trolliert werden können. Notwendig ist diese Korrespondenz
auch nicht; sie hängt von den mechanischen Umständen ab.
Diese lassen sich unterscheiden in 1. Quetschung, 2. Ab¬
reis s u n g und 3. B erst u n g. Nach den Untersuchungen
von P e t r y, Bunge, Sauerbruch u. a. nimmt die Darm-
quetschung an Häufigkeit die erste Stelle ein. Der Darm wird
dabei durch eine meist mit relativ kleiner Basis auf die Bauch¬
decken einwirkenden Gewalt gegen ein hartes Widerlager,
das Becken oder die Wirbelsäule gepresst; kaum je wird die
extrem gespannte Lendenmuskulatur eine stärkere Quetschung
des Darmes zulassen; sie wird dagegen bei Abreissungen vom
Mesenterium das Widerlager abgeben können. Die Ver¬
letzung der Darmwand kann die verschiedensten Bilder bieten,
ln den leichtesten Fällen tritt nur eine kleine blutige Sugillation
ein, die fast keine Symptome macht, oder kleine Schleimhaut-
defekte, die zum Ulcus und Blutungen ins Darmlumen führen.
Ferner können grössere Blutungen zwischen den einzelnen
Schichten der Darmwand entstehen, die je nach dem Sitz zu
verschiedenen Folgeerscheinungen Anlass geben können.
Wird die Schleimhaut durch das Extravasat abgehoben und
ausser Ernährung gesetzt, so können ebenfalls traumatische
Ulcera entstehen, in ganz seltenen Fällen hämorrhagische
Zvsten der Darmwand (Ziegler); sind dagegen alle Schichten
der Darmwand durch die Quetschung so geschädigt, dass zwar
die Kontinuität zunächst noch erhalten, aber das Gewebe nicht
mehr genügend ernährt ist und der Nekrose anheimfällt, so
kann späterhin Perforation eintreten. In anderen Fällen ist
nur die Serosa geschädigt, es kann, worauf Höchen egg auf¬
merksam macht, späterhin zu Adhäsionen mit Störungen in
der Darmbewegung kommen; ferner kann auch nur die Sero-
muscularis durchgequetscht und die Mukosa erhalten sein, sie
drängt sich dann wie eine Hernie aus der Wunde. Die Muskel¬
risse stehen längs und meist gegenüber dem Mesenterial¬
ansatz. Solche unvollkommene Darmrupturen führen, wenn
Heilung eintritt, leicht zu Stenosen (Schl off er).
Diesen nicht perforierenden stehen die perforierenden
Wunden gegenüber, bei denen das Darmlumen sofort auf
grössere oder kleinere Strecken eröffnet ist; es ist dann der
Darm entweder zirkulär abgequetscht oder cs sind noch Teile
der Darmwand, event. nur noch Serosastreifen erhalten, ähn¬
lich wie bei der Anwendung der Quetschzange. Neben diesem
Mechanismus der Durchtrennung der Darmwand kommt
auch noch die quere Abreissung des Darmrohres durch Zug
vor. Voraussetzung dafür ist, dass die verletzende Kraft
tangential angreift oder dass das betroffene Darmstiick fixiert
ist; Erichsen beschreibt einen Fall von querer Durch-
reissung des Pylorus, andere Fälle wurden an der Flexura
duodenojejunalis und vor der Valv. ileocoecalis beobachtet.
Diese Verletzung kann nur zustande kommen, wenn die Kraft
genau in der Längsachse des Darmes einwirkt, sonst reisst
viel eher das Mesenterium ein.
Ueber die Vorgänge bei Entstehung der Berstung des
Darmes herrschen verschiedene Meinungen. Vorbedingung
zu ihrem Zustandekommen ist Füllung der Darmschlinge und
Verhinderung der Abflussmöglichkeit nach beiden Seiten durch
Knickung, Adhäsionen, Angriffsfläche des Traumas (Sauer-
bruc h). Der intraintestinale Druck muss dabei grösser
werden als der auf der äusseren Darmwand lastende (Mo ty).
Das Zusammenwirken all dieser Umstände ist selten und daher
die reine Darmberstung überhaupt selten. Nach B u n g e kann
sie beim normalen Darm überhaupt nur eintreten an der Stelle,
wo das Rektum in den Levatorschlitz eintritt und an Bruch¬
pforten. Die Darmberstung ist eine indirekte Verletzung,
die Rissstelle in der Darmwand sitzt entfernt von der
Angriffsfläche der verletzenden Kraft.
Eine weitere Form der Verletzungen durch stumpfe Ge¬
walt ist der Abriss des Darmes vom Mesenterium entweder
ant Ansatz an dem Darm oder höher oben gegen die Radix
zu. Die Verletzung kommt gewöhnlich so zustande, dass die
Kraft schräg von oben nach unten wirkt, das Darmrohr vor
sich her schiebt und bis zum Reissen das Mesenterium an¬
spannt. Auch bei Fall auf die Fiisse sind Abreissungen am
Mesenterium beschrieben worden. Der Patient ist gefährdet
durch die Blutung, aber noch mehr dadurch, dass das im Ver¬
letzungsgebiet gelegene Darmstiick ausser Ernährung gesetzt
ist und nekrotisch wird. Die Ausdehnung der Nekrose nimmt
natürlich zu, je höher oben gegen die Radix mesenterii die
Gefässverletzung liegt.
Kombinationen dieser Verletzungsform mit anderen ist
nicht gerade selten. Ein charakteristischer Fall wurde vor
kurzem hier beobachtet:
L. R., 11 Jahre alt, Wiirzburg Eingetreten: 1. VIII. 14.
Heute Morgen 10 Uhr fiel dem Jungen beim Spielen ein schwerer
Balken auf den Leib; nach anfänglichem Schock erholt er sich bald
wieder. Von 12 Uhr nachmittags ab trat .Erbrechen auf, der Leib
wurde aufgetrieben und empfindlich. Klinik: 4 Uhr nachmittags.
Status: Blass, verfallen, Puls 96, klein. Abdomen auf getrieben,
sehr empfindlich, Haut der Unterbauchgegend blaurot verfärbt, keine
Peristaltik; etwas Flankendämpfung.
Operation (Dr. Porz eit): Mediane Laparotomie zwischen Na¬
bel und Symphyse. Im Bauch viel flüssiges Blut, kein Darminhalt.
Bei Absuchen des Darmes findet man eine Ileumschlinge, die etwas
gerötet ist und eine linsengrosse Perforationsöffnung gegenüber dem
Mesentcrialansatz trägt; sie ist fest kontrahiert, so dass nur ein
kleiner Schleimhautpfropf heraussieht. Handbreit unterhalb davon
ist die Serosa allein auf ca. 5 cm längs eingerissen und der Darm aui
ca. 10 cm vom Mesenterium abgerissen; die Gefässe sind thrombo-
siert, der Darm schwarzblau. Es wird die ganze geschädigte Dann¬
partie reseziert und eine Seit-zu-Seit-Anastomose angelegt. Bauch-
spülung. Naht; Drain an den untersten Wundwinkel. Ungestörter
Heilungsverlauf.
Klinisches Bild: Das klinische Bild ist bestimmt
durch 3 Symptomenkomplexe, die zeitlich aufeinander folge;;.
Die erste Zeit, sofort nach dem Unfall ist beherrscht durch
die Zeichen des Schocks, der bei erfolgter Darmverletzung nur
selten fehlt, aber doch nicht da sein muss. Der Puls ist meist
klein, frequent, unregelmässig, kann aber auch manchmal ver¬
langsamt sein (Vaguspuls). Nach einiger Zeit schwinden die
Symptome des Schocks und nun kommen auch die lokalen
Merkmale mehr in den Vordergrund und geben event. Hin¬
weise auf die Art der Verletzung. Jetzt muss entschieden
werden, ob dem Patienten die Gefahren der Darm- und Ge¬
fässverletzung drohen, oder ob man annehmen darf, dass der
Darm intakt ist, mit anderen Worten, ob man operieren muss
oder zuwarten darf. Für Darm- und Gefässverletzungen sind
die Symptome natürlich verschieden, weil dort die beginnende
Peritonitis hier die Anämie sich geltend macht. Die Peritonitis
braucht einige Zeit zur Entwicklung, es tritt deshalb, nament¬
lich bei kleineren Darmwunden nach Verschwinden des
Schocks eine gewisse Erholung des Patienten ein, die bei F.r-
öffnung des Darmlumens freilich nur von kurzer Dauer ist.
Diese Pause muss freilich nicht eintreten, es kann in beson¬
ders unglücklichen Fällen der Schock direkt in foudroyante
Peritonitis übergehen, ebensogut wie Schock fehlen kann. Einen
Beweis, wie die Peritonitis auch bei kleineren Darmver-
letzungen sofort auftreten kann, gibt beifolgende Kranken¬
geschichte :
Mich. Z., 58 Jahre alt. Eingetreten : 16. III. 14.
Pat. erhielt um 11 Uhr vormittags mit der Deichsel eines Göppcls
einen Schlag gegen den Leib; es stellte sich sofort Erbrechen ein.
das neben der kurz vorher eingenommenen Nahrung auch Blut ent¬
hielt. Es bestanden starke Schmerzen im Leib; Gase gingen nicht
mehr ab, Urin wurde nicht mehr entleert. Sofort Ueberfiihrung in
die Klinik.
Status: Kräftiger Mann; leichte Zyanose des Gesichtes.
Puls 84, etwas weich, Temp. 37,5. Abdomen diffus gespannt und
druckempfindlich, in den oberen Partien etwas mehr als unten, Dou¬
glas nicht vorgewölbt, aber auch empfindlich. Im Magen ca. 20 ccm
grünlicher Schleim, kein Blut. Urin ca. 100 ccm, klar, dunkel, ent¬
hält kein Blut.
Operation (ca. 5 Stunden post trauma) (Prof. E n d e r 1 e n). Me¬
diane Laparotomie. Aus der Bauchhöhle quillt trübgraue, etwas zähe
Flüssigkeit, die nicht sauer riecht; der Magen ist nicht verletzt, da¬
gegen findet sich ungefähr am Uebergang zwischen Jejunum und Heum
eine fingernagelgrosse Perforationsöffnung gegenüber dem Mesen¬
terialansatz und ausserdem 2 kleinere Serosarisse. Uebernähung.
Spülung, Drain. Heilung durch Fasziennekrose und Pleuraempyem
gestört.
September 191-4.
Hcldarztlichc Beilage zur Münch, mal. Wochenschrift.
1919
Es ist nun natürlich für den Patienten von der aller-
'ssteu ichtigfkeit, dass mau der vollen Ausbildung der
itonitis zuvorkommt; es muss, wenn irgend möglich, sofort
Diagnose gestellt weiden, ob eine Darmverletzung vor-
I ,t oder nicht, und der Patient dann gleich der Operation
erzogen werden. Wie sehr zuungunsten sich das Bild sich
längerem Zuwarten verändert, beweisen die oben ange¬
lten Krankengeschichten, denen hier noch einige bei-
igt seien.
J. W„ 33 Jahre alt. Eintritt: 9. VII.
Anamnese: Pat. wurde gestern nachmittags 3 Uhr von einem
d beim Einspannen auf den Leib geschlagen; er wurde nicht be¬
stlos, hatte aber sehr heftige Schmerzen im Leib; der Arzt ver¬
liefe Ruhe und Eisblase und gab Auftrag, ihn bei der geringsten
'Chlimmerung, besonders bei Eintreten von Erbrechen, zu rufen,
zdem abends Brechen eintrat, wurde er erst am andern Morgen
)lt; der Leib war bereits aufgetrieben und sehr druckempfindlich
ordnete sofortige Ucberführung in die Klinik an.
Status. Leib aufgetrieben, stark druckempfindlich, besonders
der rechten Seite; rektal nichts. Puls etwas weich, 110 Tem-
tur axillar 37,8, rektal 38,7.
Operation (ca. 18 Stunden nach der Verletzung) (Prof Ender-
). Abdomen diffus angefüllt mit Eiter und Darminhalt; die Darm-
ngen, besonders die unteren, mit Fibrin belegt und teilweise ver-
en; ca. 40 cm oberhalb der Klappe im Ileum findet sich eine
engrosse I erforation; sie wird übernäht; Kochsalzspülung, Drain
“n Douglas, Naht. Drain nach b Tagen entfernt; Pat. erholt sich
gut; Wundheilung durch Fasziennekrose gestört
L. Oe., 21 Jahre alt. Eintritt: 19. VII. 14.
kekam VIL A3 Uhr früh bei der Stalhvache von
n Pferd mit beiden Hinterhufen einen Schlag gegen den Bauch,
roch auf allen vieren weiter und wurde von einem Kameraden
“hoben und in das Zimmer geführt; es traten sehr heftige
lerzen und Aufstossen, aber kein Erbrechen auf; dann etwas
erung; in den nächsten Stunden verschlechterte sich der Zustand
verfiel, wurde etwas zyanotisch, die Atmung wurde oberfläch-
der Puls blieb gut. __ Ueberführung in die Klinik.
Status. Leichte Zyanose des Gesichtes, forcierte Atmung
Puls 78 — 82: kräftig. Temperatur axillar 37,3^
il 37,8 . _ Abdomen diffus gespannt und druckempfindlich, in den
en I artien mehr als in der Gegend der Leber und des Magens,
rall Dampfung, keine Undulation; keine Darmgeräusche zu
l, Douglas frei.
Operation (8 Stunden post trauma) (Prof. En der len). Me-
!* Laparotomie ober- und unterhalb des Nabels. Trüber Frguss
iauch, besonders zu beiden Seiten und im kleinen Becken ' In
Ileumschhnge, 40—50 cm oberhalb der Klappe, findet sich eine
nggrosse Perforation gegenüber dem Mesenterialansatz. Dop-
Emstiilpungsnaht. Revision des ganzen Darmes. Kochsalz-
ng, Drain in den Douglas. Etagennaht. 8. VII. Geheilt ent-
;n.
Sch., 21 Jahre alt. Eintritt: 7. VIII.
Wurde gestern abend 8 Uhr von einem Pferd auf den Bauch ge¬
igen. War benommen, erholte sich aber nach einiger Zeit wieder
wurde in das Lazarett gebracht. Im Lauf der Nacht langsam
:hlimmerung, gegen Morgen Aufstossen, Zunahme der Leib-
erzen, die gleich nach dem Hufschlag stark gewesen, dann aber
kgegangen waren. Brechen trat nicht auf, Gasabgang wurde
beobachtet. Einlieferung in die Klinik.
Status: Gesicht blass, etwas zyanotisch. Puls kräftig, 120.
i zeigt ausserheh keine Verletzung, überall gespannt und druck-
ndlich, am meisten links unten.
Operation (15 Stunden post trauma) (Dr. Loben hoffer).
inschnitt unterhalb des Nabels; im Bauch sehr viel hämorrha-
■ -eitrige rlüssigkeit; Dünndarm besonders in der unteren Bauch-
etwas seifig belegt, einige Ileumschlingen in der linken unteren
inalfte dick mit Fibrin belegt und verklebt; in einer dieser
>zen gegenüber dem Mesenterialansatz eine ca. 2 cm lange,
gestellte Perforationsöffnung mit herausgewulsteter Schleimhaut
etzigen, hämorrhagischen Rändern. Uebernähen; der übrige
ist intakt; Kochsalzspülung, Drains nach beiden Seiten und in
•ouglas.
dlgemeinbefinden hebt sich rasch; Heilung durch Fasziennekrosc
Vben angeführten Krankengeschichten geben in typi-
™e*se den Krankheitsverlauf wieder, wie er sich in der
fj1 ^”ebrzahl der Fälle abspielt. Nach Abklingen des
j-ks kommt erst ein Stadium der Erholung, das einige
len anhält, bis dann das dritte Stadium einsetzt, das der
onitis. Die Pause fehlt nur in besonders ungünstigen
•as Häufigere ist das Stadium der Erholung. Man hat
rund dafür geltend gemacht, dass die Darmwand sich so-
• acn der Verletzung um die Wunde herum auf das stärkste
1 ahiert und zunächst das Ausfliessen von Darminhalt ver¬
hindert; der Verschluss wird noch begünstigt dadurch, dass
die Schleimhaut sich wie ein Pfropf aus der Lücke heraus¬
drängt und sie ausfüllt; nach einigen Stunden erst tritt Er¬
schlaffung der Kontraktion ein und damit erst beginnt das
Ausfliessen grösserer Mengen Darminhalt und die Peritonitis.
„t diesem zeitweiligen Verschluss mögen auch die besonders
günstigen I alle erklärt werden, bei denen es durch sehr bald
aufgetretene Verklebungen nur zur lokalen Peritonitis und
Abszessbildung kam. Als begünstigende Momente muss aber
noch dazu kommen, dass der Darm leer war und wenig viru¬
lente Bakterien enthielt.
Es fiägt sich nun, ob es nicht möglich ist, die Diagnose,
wenigstens die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Darmver¬
letzung zu stellen, ehe die Symptome die Peritonitis unzweifel¬
haft machen und die Chancen für die Heilung durch ein mög¬
lichst frühzeitiges Eingreifen zu verbessern. Solche Früh¬
st mptome gibt es und sie werden sich bei genauer Unter¬
suchung wohl in den meisten Fällen feststellen lassen.
Vorausgestellt sei dasjenige Zeichen, dem allgemein heut¬
zutage das grösste Gewicht für die Frühdiagnose
e .! n ,c ^ entzündlichen Vorganges beigelegt wird,
nämlich die lokalisierte Bauchdeckenspannung, die „De-
ftnse musculaire , die noch vielfach ihren französischen
Namen trägt, weil französische Chirurgen zuerst auf
ihre Wichtigkeit hingewiesen haben. Sie ist charak¬
teristisch für jeden Entzündungsprozess in der Bauch¬
höhle überhaupt, für die Appendizitis ebensogut, wie für
eine lokalisierte Peritonitis aus anderen Ursachen, also auch
für die bei Darmruptur. Die Spannung entspricht der Stelle
der Organverletzung, ist bei einseitiger Verletzung zunächst
auch einseitig, breitet sich aber natürlich über den ganzen
Bauch aus, wenn multiple Verletzungen bestehen oder die
Peritonitis sich ausbreitet. T rendelenburg macht auf
die Mitbeteiligung des Kremaster aufmerksam. Täuschungen
können veranlasst werden durch Verletzungen der Bauch¬
muskeln selbst oder ein properitoneales Hämatom. Genaue
Untersuchung kann event. diese beiden Ursachen feststellen.
Intraperitoneale Blutungen verursachen die Spannung eben¬
falls. Die Annahme einer intraperitonealen Organverletzung
gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn die Spannung nach Ab¬
klingen des Schocks unverändert weiter besteht, oder eben¬
falls etwas zurückgeht und sich nach Stunden wieder ver¬
stärkt. Zu vermeiden ist dabei die Morphiuminjektion, die die
Lokalsymptome verwischt, v. Haffner macht darauf auf¬
merksam, dass die Entscheidung beschleunigt werden könne
durch ein heisses Bad; bestehe keine intraperitoneale Ver¬
letzung, so ginge die Intensität der lokalen Merkmale rasch
zuiück, blieben sie dagegen auch nach dem Bad unverändert
so sei das die Indikation zum Eingriff.
Der Bauchdeckenspannung gegenüber treten die übrigen
für die Diagnose in Betracht kommenden Momente mehr in
den Hintergrund, sie sind viel inkonstanter, ihr Vorhandensein
untei stützt sie, namentlich wenn mehrere Zusammentreffen,
ihr Fehlen ist aber nicht ausschlaggebend.
Dass aus der Art des Traumas und der Beschaffenheit der
Bauchdecken gewisse Schlüsse gezogen werden können, ist
sicher. Ein kräftiger, mit schmaler Basis angreifender Stoss
oder Schlag wird leichter zur intraperitonealen Organver¬
letzung führen, als ein mit breiter Fläche angreifender;
fettreiche bauchdecken schützen den Darm vor Verletzungen j
dagegen können schon bei leichteren I raumen Darmver¬
letzungen eintreten, wenn die Bauchdecken schlaff sind. Be¬
sondere Disposition besteht, wenn der Darm der schützenden
Musulatur überhaupt entbehrt, wenn er z. B. in einem
Bruchsack liegt. Dann genügt schon eine relativ geringe
Kraft, um ihn schwer zu schädigen. Folgender Fall ist dafür
charakteristisch.
M. B., 67 Jahre alt Eingeliefert: 6. VII. 14.
Pat. trägt wegen eines Leistenbruches ein Bruchband, das den
Bruch gut zurückhält. Gestern abend, als sie das Bruchband be-
rcits abgelegt hatte, stiess sie sich im Dunkel gerade mit dem Bruch
an einer I ischkante. Sie hatte sogleich heftige Schmerzen, repo-
merte den ausgetretenen Bruch und legte sich zu Bett. Uebcr Nacht
nahmen die Schmerzen zu, es trat öfter Erbrechen auf, weshalb sie
ca. 20 Stunden nach dem Unfall in die Klinik kam
Statu s: Bauch aufgetrieben, besonders in den unteren Teilen
druckempfindlich. Oberhalb des Lig. Poup. r. leere Bruchöffnung.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 3 6
1920
Operation (Prof. E n d c r I e n). Laparotomie in der Mittellinie
zwischen Nabel und Symphyse. Bauchdecken bereits etwas ödema-
tös; nach Eröffnung des Peritoneums quillt trübe, stinkende Flüssig¬
keit hervor; der Dünndarm ist z. T. fibrinbelegt, ln einer lleum-
schlinge findet sich eine hirsekorngrosse Perforationsstelle. Doppelte
Einstülpungsnaht. Kochsalzspülung. Bauchnaht, Gummidrain in den
Douglas. Günstiger Heilungsverlauf.
Aus dem Puls ist in den ersten Stunden nach der Ver¬
letzung kein brauchbarer Schluss zu ziehen für Darmver-
letzungen, anders allerdings für Blutungen. Bei der Blutung j
im Peritoneum bleibt der Puls von Anfang an klein und fre¬
quent, er geht in der Füllung immer weiter herunter; bei der
Darmverletzung dagegen wechselt er im einzelnen Fall ausser¬
ordentlich. Wo Schock vorhanden ist, ist er natürlich in der
eister Zeit dadurch beeinflusst, dann hebt er sich aber meist
wieder, um erst beim Ueberhandnehmen der Peritonitis wieder
an Frequenz zu steigen. Wo der Schock fehlt, ist oft auch
der Puls anfangs kaum verändert. Individuelle Eigenschaften
spielen hiebei eine grosse Rolle.
Das Verhalten der Temperatur ist sehr wechselnd;
namentlich in den ersten Stunden kann sie ganz normal sein,
kann sogar etwas sinken, wenn Schock vorhanden ist. Der
Beginn der Peritonitis wird vielfach angezeigt durch Tem¬
peratursteigerungen, oft nur um einige Zehntelgrade, oft durch
raschen Anstieg. Ein Hinweis auf entzündliche Vorgänge in
der Bauchhöhle ist gegeben, wenn die Temperatur im Rektum
die gewöhnliche Differenz zu der Axillartemperatur wesentlich
überschreitet, wie das zum Teil in den angeführten Kranken¬
geschichten der Fall ist. Doch muss betont werden, dass es
Peritonitiden gibt, die ohne Fieber einhergehen ebensogut,
wie solche, die von Anfang an hohe Steigerungen zeigen; eine
Regel ist also nicht aufzustellen.
Aehnlich ist es mit dem Aufstossen und Brechen. Sein
Fehlen beweist nichts gegen eine Darmverletzung, sein Vor¬
handensein in allem Anfang nichts für eine solche, es kann
Folge der Schockwirkung und Hirnanämie sein. Wichtigkeit
ist ihm jedoch beizulegen, wenn es nach Abklingen der
Schockwirkung bestehen bleibt, oder sich dann erst wieder
einstellt; dann stützt es die Diagnose wesentlich, v. Angerer
macht darauf aufmerksam, dass nach seinen Erfahrungen
bei perforierenden Darmverletzungen das Brechen häufig und
gallig sei, dass es dagegen bei nicht perforierenden Darm-
wunden meist nur 1 — 2 mal sich einstelle. Wie sehr auch
hierin die einzelnen Fälle mit ganz ähnlichem autoptischen Be¬
fund wechseln, beweisen schon die wenigen, hier angeführten
Krankengeschichten. ‘Man hat aus der Häufigkeit des Er¬
brechens, aus dessen Menge und Beschaffenheit eine Diagnose
auf den Ort der Verletzung aufbauen wollen; es soll nach
Magenperforationen relativ seltener sein, als nach Darmper¬
forationen, weil der Mageninhalt durch die Perforation in den
Bauchraum abfliessen könne. Ferner wurde das Vorhanden¬
sein von Blut im Erbrochenen für Magenverletzung in die
Wagschale geworfen. Es kann das nur für grössere Massen
gelten, kleinere, namentlich nur einmalige Blutbeimengungen
beweisen nichts (cf. Krankengeschichte II).
Von den lokalen Symptomen wurde das Wesentlichste
schon vorausgeschickt. Nach Brunner soll an der Perfo¬
rationsstelle zuweilen peritoneales Reiben zu fühlen sein.
Sind Gase ausgetreten, so sammeln sie sich in Rückenlage des
Patienten an der höchsten Stelle des Bauchraumes, im Epi-
gastrium, und hier ist event. die Gasblase perkutorisch nach¬
weisbar und verdrängt die Leberdämpfung, während stärkerer
Flüssigkeitserguss sich durch Flankendämpfung verrät. Die
Druckempfindlichkeit der Bauchdecken an der Verletzungs¬
stelle ist ein absolut unzuverlässiges Merkmal für eine intra¬
peritoneale Organverletzung, weil durch das Trauma die
Bauchdecken immer zuerst getroffen werden und eine Zeitlang
empfindlich bleiben müssen.
Von den angeführten Symptomen verdient die Bauch¬
deckenspannung die grösste Beachtung, sie wird in der
hiesigen Klinik in allen zweifelhaften Fällen als ausschlag¬
gebend angesehen. Die angeführten Krankengeschichten ent¬
halten ja nur Spätfälle, bei denen die Peritonitis bereits sich
ausgebreitet hatte, aber das Symptom hat sich schon bei so
vielen anderen Verletzungen, Appendizitiden, wo es als ein¬
ziges lokales Merkmal bestand, als sicher bewährt, dass uns
sein Vorhandensein stets als Indikation zur Operation dient
Ihm gegenüber treten die übrigen Merkmale an Wichtigkei
im einzelnen entschieden zurück, weil sie zu inkonstant um
zu wenig eindeutig sind. . !
Zur Sicherung der Diagnose wurde in letzter Zeit voi
F 1 o r e n c e und Ducuing die Punktion des Peritoneal
raumes vom Rektum bzw. dem hinteren Scheidengewölbe au;
empfohlen. Vor diesem Vorgehen ist entschieden zu warnen
weil die Asepsis nicht gewahrt werden kann; eine Probe
laparotomie ist viel ungefährlicher.
Die Therapie kann natürlich nur eine operative sein, wc
die Diagnose auf Darmruptur gestellt ist oder auch nur dei
Verdacht besteht. Der Eingriff soll sobald als möglich er
folgen, er soll der Peritonitis zuvorkommen. Und wenn ii
zweifelhaften Fällen eine Probelaparotomie gemacht wird'
ohne dass eine grössere oder überhaupt eine Organverletzunt
gefunden wird, so ist der Patient damit lange nicht dei
schweren Gefahr ausgesetzt, als wenn zugewartet wird und e
am nächsten Tage seine Peritonitis hat. Die Prognose win
von Stunde zu Stunde schlechter, und die beste Zeit ist ver
passt, wenn die Peritonitis erst manifest ist. Die Ver
schlechterung, die die Prognose mit dem Zuwarten stufen
weise bekommt, zeigt am besten folgende Tabelle;
Petry . 199 Darmrupturen mit 25 Heilungen = 12,5 Pro,
Tawaststjerna 173 „ , 41 , =23,6 ,
Hertle . 138 „ „ 32 „ — 23,. ,
Operiert nacli
0— 6 Stunden
7-12
13-24
24—48
später als 48
ohne Angabe der Zeit
geheilt
13 = 52 Proz
7 = 46 „
5=21 „
1=7 „
3 = 20 ,
_3 _
32
gestorben
12 = 48 Proz.
8 = 54 „
18 = 79 „
13 = 93 „
12 = 80 „
13
77
Zahl der
operierten Fäl
25
15
24
14
15
16
109
Die Operation besteht im Aufsuchen der Darmwundt
wobei man nicht ausser acht lassen darf, dass mehrere vor
handen sein können. Man muss also den ganzen Darm ab
suchen und sich nicht mit einer aufgefundenen Oeffnung zu
frieden geben. Kleinere Wunden werden mit zwei Ein
stiilpungsnahtreihen übernäht, grössere müssen reseziei
! werden; ebenso müssen Darmstücke, deren Ernährung ge
fährdet ist, entfernt werden. Bei bestehender Peritonitis h<
uns die heisse Kochsalzspülung (37 °) gute Dienste getar
neben der reinigenden Wirkung kommt ihr sicher auch ein
aiicilcptische zu»
Es ist ein günstiger Zufall, dass die hier in den letzte
Monaten operierten subkutanen Darmverletzungen alle ei
gutes Ende nahmen, trotzdem sie erst spät, zum I eil sei
spät, zur Operation kamen; es Hessen sich leicht eine Reihe vo
Krankengeschichten hinzufügen, wo das nicht so war. Di
Frühdiagnose und die Frühoperation ist und bleibt immer da
dringendste Erfordernis bei der stumpfen Bauchverletzun;
Es kommen natürlich immer wieder besonders glückliche Fäl
vor, wo frühzeitige Verklebungen das Auftreten der allg»
meinen Peritonitis verhindern, wo bloss Abszesse entstehet
! aber man hat niemals einen Anhaltspunkt, wann man m
diesem Rückfall rechnen darf; er darf also auch für das ärz
liehe Handeln nicht ins Gewicht fallen.
Aus der Friedrichstadtklinik für Lungenkranke zu Bei 1:
(dirig. Arzt; Dr. Arthur Mayer).
Die Bekämpfung der Tuberkulose in der Feldarmee
Von Dr. Arthur Mayer.
Die Bekämpfung der Tuberkulose, die immer wieder nei
Probleme bietet, stellt auch den Feldarzt vor neue Aufgabe
Denn so mancher brave Krieger, der in das Feld zog, ui
— wenn es sein muss — einen ehrlichen Soldatentod z
sterben, wird das Opfer des tückischen Tuberkulosegiitf
werden. Leider wissen wir nichts darüber, wieviele Soidati
in früheren Kriegen durch die Tuberkulose dahingerafft wordt
sind, weil naturgemäss die Diagnose und die Prophylaxe dt
Tuberkulose erst seit der Entdeckung des Tuberkelbaziilus
den Statistiken eine Rolle spielen kann. Desto genauer sir
wir aber darüber informiert, wie gross die Morbilität ur
8. September 1914. _ Feldärztlichc Beilage zur Miincli. med. Wochenschrift.
Mortalität an 1 nberkulose während der Friedenszeiten in
unserem Heer und in den Armeen unserer Gegner ist.
Da zeigt sich, wie auf so vielen anderen Gebieten, dass
auch hier Deutschland am allerbesten dasteht. Nach einer Zu¬
sammenstellung von Sforza*) beträgt die Morbidität in
Preussen 1,96, in England 3,16, in Oesterreich-Ungarn 3,22, in
Russland 4,69 und in Frankreich 7,30 auf 1000 der Präsenz¬
stärke der Armee. In Italien soll allerdings nach den An¬
gaben des Autors die Erkrankungsziffer noch etwas geringer
als in Preussen sein, wogegen aber allerlei Bedenken zu er¬
heben sind. Nach Untersuchungen von L e b e d e f f ist die
Tuberkulose in der russischen Armee noch viel verbreiteter.
Beinahe die Hälfte der russischen Soldaten sollen tuberkulös
sein, was allerdings in diesem Umfange von Sach ar off
bestritten wird **). Sehr ungünstig liegen übrigens die Ver¬
hältnisse auch bei der bulgarischen Armee, wo von allen
Sterbefällen etwa 60 Proz. auf Lungenkranke entfallen sollen.
Noch wichtiger und bemerkenswerter ist aber die Tat¬
sache, dass in unserer deutschen Armee die Zahl der Tuber¬
kulösen dauernd abnimmt. In der österreichisch-ungarischen
\rmee bestehen nicht unerhebliche Schwankungen, die aber
rotz alledem eine Tendenz zur Abnahme, besonders seit den
etzten 10 Jahren zeigen. In den anderen Ländern, ganz be¬
sonders aber in Russland und Frankreich besteht keine Ab-
lahme der Tuberkulosesterblichkeit2). Daher kehren auch
n dem französischen Senate fast alljährlich die Klagen wieder,
lass die Tuberkulosemorbidität in der französischen Armee
tuffallend hoch ist und bleibt 3). Aehnlich liegen übrigens auch
iach Angaben von No 11 et1) die Verhältnisse bei der fran-
’ösischen Marine. Im Arsenal von Brest sollen allein im
Durchschnitt 300 Tuberkulöse liegen. Diese Verhältnisse
verden auch neuerdings von Poresta5) bestätigt.
Bei all diesen statistischen Mitteilungen darf allerdings,
vorauf auch Möllers0) hinweist, nicht vergessen werden,
ass es bei den Angaben über verschiedene Heere, besonders
her die Frankreichs und Russlands nicht ersichtlich ist, ob die
'iagnose der Tuberkulose nur aus einem verdächtigen Lungen-
pitzenkatarrh oder aus dem Befund von Tuberkelbazillen ge¬
teilt ist. Bemerkt muss auch werden, dass die russischen
Statistiken mit dem Jahre 1907 aufhören.
Vielfach wird die Zunahme oder zum wenigsten die ge-
inge Abnahme der Tuberkulose in den Armeen unserer
iegner damit erklärt werden können, dass die Diagnose der
uberkulose durch unsere modernen Hilfsmittel jetzt häufiger
nd sicherer gestellt wird, als es früher geschehen ist
Troussaint 7)]. Demgegenüber ist aber zu bemerken,
ass sich die Tuberkulosezahlen in der Armee genau so ver¬
alten, wie die Zahlen bei der Zivilbevölkerung, und dass eben
ie I uberkulose in den Armeen der Völker abnimmt, bei denen
ie überhaut wirksam bekämpft wird8).
Im Feldheer wird nun aber die Tuberkulose zweifellos
unehmen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Z u -
ächst wird die Tuberkulose bei nicht
enigen Soldaten manifest werden, bei denen
ie bisher latent war oder die von ihrer
uberkulose „geheilt“ waren. Wenn auch im
■Jeden der Militärdienst auf viele schwächliche und ge-
ihrdete junge Leute einen guten Einfluss ausübt und
ch während der Dienstpflicht verdächtige Spitzensymptome
*) Sforza: Der Militärarzt, Rom 191 i. — „La Tuberculose dans
s armees.“ Vortrag auf dem 16. intern, med. Kongr. in Pest 1910.
**) N. A. Leb ed eff: Die Verbreitung der Tuberkulose in der
nuee. und: N. Sacharoff: Erwiderung. Intern. Zbl. f. d. ges.
aberk.-Literatur 1913.
*) Baracoff: La Tuberculose dans l’armec bulgare. La Tub.
ms la Pratique 1910.
*’) Otto v Schjerning: Sanitäts-statistische Betrachtungen
icr^Volk und Heer. Berlin 1910.
3) Schwiening: Ueber den Gesundheitszustand des frän¬
kischen Heeres. D.m.W. 1912.
0 Noll et: La tuberculose ä bord. Arch. de med. nav. 1909.
i ) Poresta: Gesundheitsverhältnisse der französischen Marine
1 Vergleich zur deutschen.
*) Möllers: Tuberkulose. Lehrb. d. Militärhygiene. Berlin
12.
) Troussaint: Der Gesundheitszustand der französischen
uiee. La Tuberculose dans la pratique 1910.
) Helm: Armee, Tuberkulose und Rotes Kreuz. 1909.
1921
verlieren, so liegen doch bei den ungleich grösseren Strapazen
des Krieges und bei den grossen psychischen Erregungen die
Dinge anders. Dazu kommt, dass gerade das erste Dienst¬
jahr, soweit Statistiken darüber vorliegen, bei allen Armeen
die höchste Krankheitsziffer zeigt. So hat z. B. auch für die
französische Armee Bouget festgestellt, dass 54,6 bis
60 Proz. der an Tuberkulose erkrankten Mannschaften eine
weniger als 6 monatliche Dienstzeit hinter sich hatten und für
die deutsche Armee hat Schultzen9) nachgewiesen, dass
die im 2. Dienstjahr stehenden etwa %, die länger Dienenden
etwas mehr als ‘/s aller derer ausmachen, die überhaupt an
Tuberkulose erkrankt sind. Die neu eingezogenen Mann¬
schaften und die Kriegsfreiwilligen sind demgemäss am
meisten gefährdet.
Aber nicht nur durch die Strapazen des Krieges wird so
manche latente Tuberkulose manifest werden, sondern auch
durch Traumen. Wir wissen ja aus der Friedenszeit hin¬
reichend, dass so manche Verletzung die auslösende Ursache
für die Entstehung einer Tuberkulose ist. Besonders werden
wohl Schussverletzungen der Lunge in Betracht kommen.
Ich verfüge u. a. über einen Fall, der für diese Verhältnisse
lehrreich ist.
M. F., 35 jähriger Schlächtermeister, kräftiger, muskulöser Mann,
der gedient und mehrere Uebungen gemacht hat. In der ganzen Fa¬
milie keine Tuberkulose. Vor 2 Jahren dringt ihm durch die Unvor¬
sichtigkeit eines Bekannten eine Teschingkugel in den Unterlappen der
rechten Lunge. Die damalige Verletzung heilte schnell, zunächst
ohne Komplikation. Seitdem leidet Patient unter sehr häufig wieder¬
kehrenden Bronchialkatarrhen und Pneumonien der rechten Lunge.
Seit 6 Monaten sind im Sputum Tuberkelbazillen nachzuweisen. Man
hört über der ganzen rechten Seite feinblasiges Rasseln; über einer
fünfmarkstückgrossen Stelle des Unterlappens, wo die Kugel sitzt,
Bronchialatmen; über dem Unterlappen ist der Schall verkürzt und
leicht tympanitisch. Im Röntgenbild sieht man eine Trübung der gan¬
zen rechten Seite, die nach unten zu beträchtlich zunimmt. In einer
von derben fibrinösen Strängen scheinbar abgekapselten Höhle sitzt
die Kugel.
Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass dieser kräf¬
tige Mann, der gedient und mehrereUebungen gemacht hat, vor
der Verletzung klinisch gesund war und dass die Schussver¬
letzung die Tuberkulose bei ihm ausgelöst hat. Uebrigens
braucht die auslösende traumatische Ursache keine Schuss¬
verletzung zu sein, sondern kann, wie das ja aus der Literatur
hinreichend bekannt ist, auch eine Quetschung des Brust¬
korbes, eine Pleurazerreissung, eine Rippen- oder Wirbel-
Fraktur, oder irgend ein peripheres Trauma sein. Derartige
Fälle sind hinreichend bekannt und werden zweifellos jetzt
den Feldarzt vielfach beschäftigen.
Eine zweite Gruppe umfasst diejenigen, die mit
offener Tuberkulose oder zum mindesten mit einer
sicheren tuberkulösen Affektion ins Feld gezogen
sind. Jeder Arzt wird die Erfahrung gemacht haben, dass
viele seiner Phthisiker trotz allen Abratens nicht mehr zu
halten waren und unter die Fahne eilten. So mancher war ein
armseliger Desperado, der ein schnelles Ende durch eine
feindliche Kugel einem langen Siechtum .vorzog. Viele aber
erachteten jetzt in diesem grossen Augenblick ihre Beschwer¬
den gering und wollten selbst mit ihren schwachen Kräften
das Vaterland verteidigen. Es ist ganz selbstverständlich,
dass manche dieser Tuberkulösen bei der ärztlichen Unter¬
suchung vor der Einstellung unerkannt geblieben sind, ganz
besonders die. die äusserlich sehr wohl aussahen, in einer
Lungenheilstätte gebräunt und gemästet waren und einen
relativ sehr geringen physikalischen Befund aufwiesen.
Eine dritte Gruppe, mit der der Feldarzt zu rechnen
haben wird, umfasst die Soldaten, die während des
Feldzuges infiziert worden sind. Dabei
können die Infektionsträger entweder tuberkulöse Sol¬
daten oder Tuberkulöse aus der Zivilbevölkerung, eventuell
auch Nahrungsmittel;. (Milch) sein. Man wird ganz be¬
sonders damit rechnen müssen, dass sich manche Feld¬
zugsteilnehmer in tuberkulös verseuchten Bürgerquartieren
infizieren. Wenn auch ohne weiteres zugegeben werden
muss, dass ein gesunder kräftiger Mann nicht tuberkulös wird,
wenn er in einem Bett schläft, in dem ein Phthisiker vorher
fl) Schujtzen: Die Bekämpfung der Tuberkulose in der
Armee. Kai). 13 der Denkschr. f, d. Int. Tub.-Konf., Paris 1905.
1922
Feldärztliche Beilage zur Münch, nied. Wochenschrift.
Ni. 36.
geschlafen hat oder von einer bazillenhaltigen Milch nicht ohne
weiteres infiziert wird, so hegen die Verhältnisse eben im
Kriege, wo man vielfach mit geschwächten Menschen, deren
Widerstandskraft herabgesetzt ist, zu rechnen hat, doch
anders. Wie sehr Hunger und Erschöpfung die Infektion mit
allen Bakterien begünstigt, ist von C h a r z i n und Rolle,
vor allem aber von Ficker 10) experimentell gezeigt wor¬
den u).
Es fragt sich nun, was können unsere Feldärzte
tun, um unsere Soldaten nach Möglichkeit
vor der Tuberkulose zu schützen! Das ist in
erster Reihe natürlich eine Heeres-hygienische Frage.
Sie wird aber auch zu einer allgemeinen sozfal-
hygienischen. Weil wir damit rechnen müssen, dass
auch unter der zurückbleibenden Zivilbevölkerung durch die
erschwerten Lebensbedingungen die Tuberkulose während
und nach der Kriegszeit zunehmen wird, die heimkehren-
den tuberkulösen Soldaten die Ansteckungsquellen vermehren
und die Zahl der Tuberkulösen überhaupt vergrössern. Dazu
kommt, dass zahlreiche Kriegsteilnehmer, die tuberkulös zu¬
rückkehren, Dienstbeschädig u ngsan spriiche er¬
heben werden, die vielfach wohl anerkannt werden müssen.
Denn in einem event. späteren Streitverfahren wird die
Frage, ob der Kriegsteilnehmer bereits vorher tuberkulös war,
häufig genug irrelevant sein oder unbeantwortet bleiben
müssen, weil man annehmen wird, dass im allgemeinen von
vornherein Tuberkulöse vom Militärdienst ausgeschlossen
worden sind.
Dass die deutsche Heeresverwaltung in Friedens-
Zeiten umfangreiche Massnahmen getroffen hat, um Sol¬
daten, die sich als tuberkulös erweisen, aus Heer und Flotte zu
entfernen, und dass sie andererseits vielfach mustergültige An¬
stalten unterhält, um in geeigneten Fällen Tuberkulöse, um
jede Härte bei der Entlassung zu vermeiden, zu behandeln, ist
hinreichend bekannt* 11*).
Das betrifft im wesentlichen länger gediente Unteroffiziere und
Kapitulanten, hier und da aber auch sonstige Mannschaften, bei denen
eine Besserung des Leidens bis zu einem niederen Grade der Invalidi¬
tät zu erwarten ist. Derartige besondere Lazarettabteilungen für
Lungenkranke bestehen mehrfach. Ausserdem verfügt die deutsche
Heeresverwaltung auf Grund besonderer Vereinbarungen in 16
deutschen Lungenheilstätten über eine Anzahl Betten, die für die
Mannschaften der benachbarten Korpsbezirke bestimmt sind. Auch
für inaktive Mannschaften stehen 32 Freistellen in Lungenheilstätten
zur Verfügung. Sogar für die Angehörigen von Unteroffizieren ist
mehrfach gesorgt.
Für erkrankte tuberkulöse Offiziere stehen die dem deutschen
Kaiser geschenkte Villa Hildebrandt in Arco am Gardasee und ver¬
schiedene Freistellen in Lungenheilstätten zur Verfügung.
Wenn auch vielfach in anderen Ländern für die tuber¬
kulösen Mannschaften und Offiziere gesorgt ist, so stehen doch
alle die Einrichtungen weit hinter den deutschen zurück.
Für den Krieg reichen naturgemäss alle diese Massnahmen
nicht aus. Es ist auch nicht möglich — was natürlich die
beste Prophylaxe wäre — bei dem Musterungsgeschäft alle
Tuberkulösen von der Dienstleistung auszuschliessen; auch der
Truppenarzt kann diese Aufgabe zunächst nicht lösen. Man
muss eben damit rechnen, dass mit der Bestanderhöhung der
Armee die Ansprüche an die Tauglichkeit herabgesetzt werden.
Das wird diejenigen Länder am wenigsten treffen, bei denen
die Bevölkerungsziffer in Zunahme begriffen ist oder wenig¬
stens nicht sehr erheblich sinkt, und die daher verhältnismässig
gesundes Material in die Armee nachschiessen können. In
Frankreich liegen die Verhältnisse gerade deswegen schlimm,
weil die Abnahme der Bevölkerungsziffer naturgemäss die
Heeresverwaltung zwingt, die Anforderungen an die körper¬
lichen Eigenschaften der Heerespflichtigen sehr herabzusetzen.
Nach ausgezeichneten Untersuchungen von Schwiening
,0) Ficker: Ueber den Einfluss des Hungers auf die Bakterien¬
durchlässigkeit des Intestinaltraktus. Arch. f _ Hyg. 54. — Ueber
den Einfluss der Erschöpfung usw. Ebenda 57.
11 ) In der Kriegssanitätsordnung, deren Lektüre jedem Arzte
dringend zu empfehlen ist, heisst es auch in Ziffer 353: „Eine Truppe,
die durch Anstrengungen erschöpft usw. ist, ist dem Eindringen und
der Ausbreitung von Heeresseuchen besonders ausgesetzt“.
11 *) Saar: Bekämpfung der Tuberkulose in der deutschen
Armee, und: Kirsch: Die Bekämpfung der Tuberkulose in der
Marine. Verh. d. III. intern. Tuberk.-Kongr. zp Washington.
(1. c.) braucht Deutschland nur 53 — 55 Proz. der Militärpflich¬
tigen, Frankreich dagegen 88—89 Proz. einzustellen!
Es zeigte sich in Frankreich schon im .lahrc 1894, als der Effek¬
tivbestand der Armee plötzlich um 30 000 Mann erhöht wurde, dass
die im Abnehmen begriffene Bevölkerungsziffer nicht mehr imstande
war, den erhöhten Bedarf an Rekruten zu decken, und dass dadurch
notwendigerweise die Auswahl zum Nachteil der Armee eine minder
sorgfältige werden musste 12) Nach neueren Mitteilungen von
Trouissaint, dem Inspektionsarzt der französischen Armee,
waren 65 Proz. der unter die Fahne berufenen jungen Leute tuber¬
kulös. 1910 sind von 5214 zurückgestellten Dienstpflichtigen 4314
tuberkulös gewesen, so dass das Heer gezwungen war, eine grosse
Zahl Leichtlungenkranker einzustellen. Neuerdings ist freilich ein
ministerieller Erlass ergangen, der eine bessere Auslese der Mann¬
schaft erstrebt12*). Ein Erfolg ist wohl aber jetzt noch nicht an¬
zunehmen.
Es ist natürlich technisch undurchführbar, die Tuber¬
kulösen bei der Musterung oder Untersuchung durch den
Truppenarzt durch Tuberkulinproben auszusondern. Die sub¬
kutane Tuberkulininjektion erfordert eine mehrtägige Beob¬
achtung, die unmöglich ist und die kutane Impfung (Pirquet)
beweist nichts. Die Aussonderung der Tuberkulösen wird
also zum Teil erst während des Feldzuges stattfinden können
und zwar in erster Reihe in den Lazaretten, hier und da auch
bei den vorgeschriebenen Untersuchungen durch den Truppen¬
arzt, Es wird sich dann — besonders bei genauen klinischen
Untersuchungen in den Lazaretten — zeigen, dass viele Tuber¬
kulöse sehr bald schwerer erkrankt sind, und dass bei anderen
tuberkulöse Erkrankungen als Nebenbefund festgestellt wer¬
den können.
Es erscheint indesssen sehr zweifelhaft, ob die Lazarettärzte
auch noch mit einer eigentlichen Fahndung auf Tuberkulöse
belastet werden können, denn ihre Aufgaben werden voraus¬
sichtlich sehr gross sein. Nach einer Statistik von K ü b 1 e r '')
kamen im Kriege 1870/71 auf einen Arzt 180 Mann der Kopf¬
stärke und 127 der in Lazaretten Behandelten. Wenn die Zahl
der Aerzte auch seitdem stärker zugenommen hat, als es der
Zunahme der Bevölkerung entspricht, so ist doch anzunehmen,
dass durch die vielfachen neuen Aufgaben, die dem Feldarzt
gestellt werden, die Zahl der im Lazarett Behandelten, die auf
den einzelnen Arzt kommen, nicht abgenommen, sondern im
Gegenteil zugenommen hat. Es ist ferner zu bedenken, dass
im Kriege 70/71 nach derselben Statistik von 1000 Mann der
Iststärke unseres Heeres nur 122,1 wegen Verwundungen,
dagegen 589,0 wegen Krankheit in Lazarettbehandlung ge¬
kommen sind.
Es ist also anzunehmen, dass auch jetzt die Aufgaben, die
unseren Feldärzten gestellt werden, ausserordentlich gross
sind, und dass sie nicht noch mit der Tuberkulosesanierung be¬
lastet werden können. Die Diagnosenstellung der
Tuberkulose wird auch vielfach besondere
Hilfsmittel notwendig machen (Röntgen'apparalt,
Sputumuntersuchungen), die aus dem Rahmen der laufenden
Tätigkeit in den Etappenlazaretten fallen.
Es wird sich daher empfehlen, für die
Tuberkulosesanierung besondere Aerzte
(freiwillige Zivilärzte) zu bestimmen, deren
Aufgabe es ist, die Tuberkulösen in den Laza¬
retten abzusondern und in besonderen Ab¬
teilungen nach der Heimat abzuführen.
Die Prophylaxe und die Sanierung der
Armee hat sich aber auch noch auf andere
Massnahmen zu erstrecken.
Wie bereits ausgeführt worden ist, werden manche
durchseuchte Bürgerquartiere erhebliche
Ansteckungsgefahren mit sich bringen. Es muss
daher dafür gesorgt werden, dass nach Möglichkeit derartige
Quartiere gemieden oder zum mindesten vor der Benutzung
desinfiziert werden, wie das auch in der KSO. Ziff. 354
und 454 vorgesehen ist.
In den deutschen Bürgerquartieren wird das vielfach mit
Leichtigkeit möglich sein, denn unsere vorzüglich organi¬
sierten Auskunfts- und Fürsorgestellen für
12) Kelch: La tuberculose dans l’armee. 1913.
12 *) G. H. L e v u s i n e: Ueber die Frequenz der Tuberkulose in
der Armee. Presse medic. 1909 und Revue de la Tuberculose 1912.
13) Kubier: Kriegssanitätsstatistik. Jena 1902.
1923
• September 1914. _ Fddärztlichc Beilage zur Münch. med. Wochenschrift.
jngenkranke kennen eine sehr grosse Anzahl derartiger in-
ierter Wohnungen. Wenn die Einquartierungsbehörden sich
it ihnen in Verbindung setzen, werden sich viele Quellen
:r Ansteckung in der Etappe verstopfen lasssen. Es ist
sher sehr wichtig, dass alle Auskunfts- und Fürsorgestellen
re Tätigkeit aufrecht erhalten. Das Präsidium des Deut-
hen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose hat
dankenswerter Weise bereits einen derartigen Aufruf er-
sssen M).
ln Berlin sind bereits diese Massnahmen ergriffen. Die
>n Pii 1 1 e r geleiteten Auskunfts- und Fiirsorgestellen haben
;h mit den massgebenden Behörden in Verbindung gesetzt
d werden dafür sorgen, dass nach Möglichkeit keine Ein¬
lagerung in solche Räume kommt, die als tuberkulosein-
iert angesehen werden müssen.
Es muss — worauf schon hingewiesen ist — ferner daran
innert werden, dass zwar die Tuberkulose hauptsächlich von
ensch zu Mensch übertragen wird, dass es aber auch un¬
eifelhaft gar nicht so wenig Fälle gibt, in denen Nahrungs¬
ittel, besonders Milch und Butter, die Quelle der An-
jckungsgefahr bergen (R a b i n o w i t s c h). Da in Frank-
ich die sanitätspolizeiliche Ueberwachung des Viehes ganz
Argen liegt und in Russland überhaupt nicht vorgesehen
. ist der Genuss roher Milch nicht nur wegen der Typhus¬
fahr, sondern auch aus diesem Grunde im Feindeslande
nz zu unterlassen!15) (S. auch Ziff. 384 KSO.) Auch
esen Verhältnissen wird der Tuberkulose-
iNdarzt seine Aufmerksamkeit widmen und
t dem konsultierenden Hygieniker und den Laboratoriums¬
tern in Verbindung treten müssen.
Wenn es so gelingt, viele Tuberkulöse aus dem Heere und
s den Lazaretten auszuscheiden und Ansteckungsquellen zu
rstopfen, so muss für die Kranken weiter gesorgt werden,
i müssen in eigens für sie bestimmte Abteilungen in der
imat untergebracht werden, wo sie fern vom Kriegsschau-
itz in zweckentsprechender Weise behandelt werden
nnen.
Es muss daher frühzeitig dafür Sorge ge-
agen werden, dass bestimmte Reserve- oder
ireinslazarette für diese Zwecke frei blei-
n. In erster Reihe werden sich dafür unsere Lungen-
lstätten eignen, vielfach auch Spezialabteilungen unserer
ankenhäuser oder Tuberkulosekliniken, in denen das ganze
senal der modernen Tuberkulosetherapie unseren tuber¬
ösen Kriegern zur Verfügung steht. Nach den frühe-
n Ausführungen werden sich aber besonders
den Armeen unserer Gegner sehr viele
' i b e rkulöse finden. Wenn diese, so weit
1 e in unsere Hände kommen, nicht sehr bald
aliert werden, erwächst unserem Vaterland
ne neue, erhebliche Gefahr. Ziff. 337 KSO.
treibt daher auch ausdrücklich vor, dass Kriegsgefangene,
•che an übertragbaren Krankheiten leiden, in den Lazaretten
er Beobachtungsstationen des Kriegsschauplatzes zurück-
talten und erst nach Beseitigung der Ansteckungsfähigkeit
1 nach Desinfektion ihrer Sachen den Kriegsgefangenen-
l>ots zugeführt werden sollen.
Die I ätigkeit der Tuberkulose-Feldärzte
sich also auch auf die Untersuchung der
Netzten, erkrankten und gefangenen
gner und auf die notwendigen desinfek-
rischen Massnahmen zu erstrecken. Die Zahl
Aerzte, die für diese Tätigkeit notwendig ist, kann nach
n, was wir über die Tuberkulosemortalität der feindlichen
neen wissen, nicht unerheblich sein, denn je schneller wir
' I uberkulösen isoliert haben, desto geringer werden auch
dieser Beziehung die gefährlichen Folgen dieses Krieges
u.
ln Ziffer 354 d. KSO. heisst es auch ausdrücklich, dass zur
tellung gefahrdrohender gesundheitlicher Missstände im Aut¬
sch- und Operationsgebiete des Feldheeres alle Ergebnisse der
rrieden angestellten Erhebungen verwertet werden sollen, Be-
i-!I .. raRt werden sollen usw.
) Selbst die schönen Laiterien in Belgien lassen in dieser Be-
ung viel zu wünschen übrig.
Einige wichtige Grundsätze zur Behandlung der
Schusswunden.
Von Generalarzt Professor Dr. Ernst Graser in Erlangen,
beratendem Chirurgen des III. Bayer. Armeekorps, und
Kgl. Bayer. Oberarzt der Reserve Prof. Dr. M. Kirschner
in Königsberg i. Pr.
Zum I eil angeregt durch die persönlichen Erfahrungen
von Prof. Kirschner im ersten Balkankriege 1912/13 haben
wir gemeinsam eine Anzahl von Grundsätzen für die Be¬
handlung der Schusswunden zusammengestellt, die zu Beginn
des gegenwärtigen Krieges durch den Korpsarzt Generalarzt
Dr. Soenning an die Aerzte des III. Bayer. Armeekorps
ausgegeben wurden. Diese Grundsätze erheben nicht den
Anspruch einer vollständigen Zusammen¬
stellung aller notwendigen Ratschläge. Sie sollen nur die
mit den modernen kriegschirurgischen Grundsätzen nicht ge¬
nügend vertrauten Kollegen vor gewissen prin¬
zipiellen Fehlern bewahren, die — wie die Er¬
fahrung lehrt — ganz besonders häufig gemacht werden.
1 . Das Abwaschen der Umgebung der Wund¬
öffnungen hat zu unterbleiben (kein Wasser, keine Seife!).
Angetrocknetes Blut soll nicht entfernt werden. Die Be¬
kehrung zu dieser vollkommen trockenen Wundbehandlung ist
nach unseren bereits gesammelten Erfahrungen bei vielen
Kollegen ganz besonders schwer.
2. Ist ausnahmsweise bei übermässig starker
Beschmutzung eine Reinigung der Umgebung dringend
wünschenswert, so wird sie mit Benzin oder Alkohol
ausgeführt, wobei die Wunde selbst durch oberfläch¬
liches Andrücken von Tupfern ohne Verletzung des Wund¬
schorfes geschützt wird. Niemals darf hierbei etwa
eine — wenn auch vorübergehende — Tamponade der Schuss¬
kanalöffnungen vorgenommen werden, wodurch infektiöses
Material eingeführt werden kann.
3. Die Wunde darf nie mit dem Finger berührt
werden. Sind ausnahmsweise an der Wunde oder in ihrer
unmittelbaren Umgebung Massnahmen erforderlich, so werden
sie mit sterilen Instrumenten ausgeführt. Die In¬
strumente werden durch Kochen (unter Umständen in
einem gewöhnlichen Kochtopf), nicht durch Einlegen in anti¬
septische Lösungen sterilisiert.
4. Jedes Sondieren der Wunde ist grund¬
sätzlich zu unterlassen.
5. Nur breit offene Wunden mit freiem Abfluss
dürfen tamponiert werden.
6. Bei kleiner Ein- und Ausschussöffnung ist die Tam¬
ponade wegen der Gefahr des Einbringens infektiösen Ma¬
terials und wegen der Behinderung des Wundabflusses (Blut,
Sekret) grundsätzlich zu unterlassen. Zur Stillung
der Blutung, die ohnehin in den allermeisten Fällen bald von
selbst aufhört, ist in diesen Fällen die Tamponade durchaus
ungeeignet.
7. Der beste W und schütz ist ein trockener,
aseptischer Verband, wie er durch sachgemässe Ver¬
wendung der Verbandpäckchen hergestellt werden kann.
Eine vorausgehende Desinfektion der Umgebung (Jodtinktur)
erscheint nicht notwendig. Bei ungestörtem Wundverlauf soll
der erste Verbandwechsel erst nach 8 bis 10 Tagen stattfinden.
8. Um das Verschieben dieses Verbandes beim Transport
möglichst zu verhüten, ist die vorausgehende Bestrei¬
chung der Wund Umgebung in grösserer Aus¬
dehnung mit einem Klebstoff (Mastixlösung,
M a s t i s o 1) äusserst wertvoll. Der grosse Wert dieser kle¬
benden Stoffe besteht vor allem in dieser Fixation der Ver¬
bandstoffe, weniger in der Arretierung der Keime.
9. Ein vorhandener Wundschorf (eingetrocknetes
Blut), der den sichersten Schutz gegen sekundäre Infektion
gewährt, soll nicht entfernt werden.
1 0. Das gleiche gilt, wenn Kleidungsstücke oder
'Teile eines Notverbandes in dem Schorfe fest-
gehalten sind. Sie werden am besten so ausgeschnitten,
dass das festgeklebte Stück am Körper verbleibt.
11. Der in der Friedenspraxis bei beginnender Infektion
vielfach beliebte, häufigen Wechsel erfordernde, feuchte
1924
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 36.
Verband ist in der Kriegspraxis der ersten Tage grund¬
sätzlich zu vermeiden, da er die Bakterienentwicklung be¬
fördert.
12. Bei der Verwendung dicker Wattelagen zur
Bedeckung stärker blutender Wunden bildet
sich über der Wunde leicht ein dicker, feucht bleibender
Blutkuchen. Es erscheint zweckmässiger, unter Weglassung
grosser Wattemengen das Blut durch die Kompressen durch-
sickern und eintrocknen zu lassen, als es sich unter einer
starken Wattelage in dicker Schicht ansammeln zu lassen.
13. Im Körper verbliebene Geschosse und
gelöste Knochensplitter heilen meistens ein.
Es ist daher in den allermeisten Fällen der Versuch ihrer Ent¬
fernung dringend zu widerraten.
14. Alle Knochenbrüche sollen vor einem Transport
durch Gips oder Schienen ausgiebig, d. h. unter Ein¬
beziehung der beiden Nachbargelenke, ru h i g gestellt
v/ e r d e n (also bei Oberschenkelbrüchen Verband vom
Knöchel bis auf den Rippenbogen!). Fehlt es an etatmässigem
Immobilisierungsmaterial, so empfehlen wir Strohschienen, die
an Ruhetagen in grossen Mengen vorbereitet werden können.
15. Bei Daueraufenthalt der Verwundeten sollen die
Schienenverbände möglichst bald durch Extensions¬
verbände ersetzt werden, wie sie mit Mastisol und Trikot¬
schläuchen äusserst einfach herzustellen sind. Diese Ex¬
tensionsverbände können zwar die eingetretene Verkürzung und
Seitenverschiebung nicht mehr ausgleichen (daher nur geringe
Belastung!), wohl aber eine Winkelstellung, und sie begegnen
der drohenden Gelenkversteifung und Muskelatrophie.
16. Mit Morphium soll — namentlich beim Transport
nicht gespart werden.
17. Schädel- und Bauchschüsse sollen in den
ersten Tagen möglichst nicht transportiert werden. (Wenn
möglich, Zelte errichten!)
18. Tangentiale S c h ä d e 1 s c h ü s s e sollen mög¬
lichst bald operativ angegangen werden wegen der bei ihnen
zumeist vorhandenen ausgedehnten Zertrümmerung des
Knochens und Zermalmung des Gehirns. Nach Spaltung der
Haut von der Ein- bis zur Ausschussöffnung werden die losen
Knochenstücke entfernt, und die Wunde wird locker tam¬
poniert.
19. B 1 u t a n s a m mlungen im Brustfellrau m
sollen nicht punktiert werden.
20. Bei Bauchschüsse n ist in den ersten Tagen Ent¬
haltung von Speise und Trank angezeigt.
21. Bei den Operationen können wir die Benutzung der
dicksten, im ff a n d e 1 überhaupt erhältlichen
Gummihandsch u h e dringend empfehlen. Sie lassen sich
sehr häufig auskochen, und sie können zwischen zwei Opera¬
tionen — ohne von den Händen entfernt zu
werden — durch gründliches Abwaschen und durch kurz¬
dauerndes Eintauchen in kochendes Wasser genügend keim¬
frei gemacht werden.
Schwere’ Kohlensäurevergiftung an Bord eines Lloyd¬
dampfers.
Von Sanitätsrat Dr. Brausewetter in Malaga.
Am 19. Mai d. J., nachmittags etwa 3 Uhr, wurde ich vom
1. Offizier des Schiffes „Schleswig“ dringend gerufen, er erklärte mir
im Wagen kurz, dass ein schwerer Unfall sich an Bord ereignet habe
und mehrere der Mannschaften in Gefahr seien. In 5 Minuten waren
wir an Ort und Stelle.
Ich schicke voraus, dass die „Schleswig“ als Touristendampfer
im Hafen von Mälaga lag. Ein Ausflug nach Granada hatte etwa
alle Passagiere auf 2 Tage entfernt, der Kapitän und der Schiffsarzt
waren mitgegangen, die Vertretung des letzteren hatte ich über¬
nommen.
Auf dem Schiffe .bot sich mir folgender Anblick:
Der mittlere Lagerraum war abgedeckt, in der Tiefe sah ich
einen Mann im Rauchhelm arbeiten, er versuchte gerade einen Kame¬
raden, der, wie es mir schien, schon Kadaver war, anzuseilen. Ich
hatte noch Zeit, Matratzen auf Deck legen zu lassen, die Mannschaften
zusammenzubringen, welche künstliche Atmung zu machen ver¬
standen und weitere Hilfsmittel zu bestellen, als der erste Ver¬
unglückte heraufgewunden wurde. Sein Herz arbeitete nicht mehr,
die Gesichtsfarbe war weiss, der Brustkorb eingefallen, kein Zeichen
des Erstickungstodes oder eines Todeskampfes. Ich machte selber
die ersten Rettungsversuche, um alles getan zu haben, Hess, als die
anderen heraufgewunden wurden, bei dem ersten die künstliche
Atmung fortsetzen und begab mich zu den übrigen 3 Verunglückten,
sobald sie nacheinander heraufgebracht wurden.' Bei allen die glei¬
chen Symptome, weisse Gesichtsfarbe, eingefallene Brust, das Herr
schlug nicht. Ein regelrechter Dienst mit Ablösung für künstliche
Atmung wurde eingerichtet und l'A Stunden durchgehalten. Das Ge¬
sicht der Opfer färbte sich allmählich bläulich, Rettungsversuche blie¬
ben erfolglos.
Ich hatte mich inzwischen informiert: Im Lagerraum lagen neben
Säckchen voll Reisschrot Fässer mit Maltakartoffeln, weiter nichts.
Um 2Vi Uhr wollte der Proviantsteward Kartoffeln aus dem Lager¬
raum holen lassen und beauftragte damit den Matrosen A. Der
stieg herunter bis zur zweiten Abteilung des Lagerraumes. Im Augen¬
blicke, als er das Seil um das Fass legen wollte und sich dazu bückte,
sank er leblos um. Der Matrose B„ welcher das sah, wollte, im
Glauben, sein Kamerad habe einen plötzlichen Ohnmachtsanfall er-|
litten, ihm zu Hilfe eilen, stieg ihm nach, kam ohne Beschwerde1
unten an, wollte das Seil um den Verunglückten schlingen und schrie,
als er sich dazu bückte, laut auf: „Hol üpp!“ Sofort wurde das Seil
hochgewunden und B„ dessen Arm sich darin verfangen hatte, herauf-
gebracht. Er fühlte sich noch etwas benommen, ging aber doch so¬
fort, sich den Rauchhelm aufzusetzen und das Rettungswerk fortzu-,
setzen, denn inzwischen hatte der Raum neue Opfer gefordert. Der
1. Offizier hatte den Befehl gegeben, dass niemand in den Lagerraum
herunterstiege und war dann gefahren, mich zu rufen, nachdem er das
Kommando einem anderen Offizier gegeben. Ehe es verhindert wer¬
den konnte, waren die Matrosen C. und D. und E. in den Laderaum,
hinabgesprungen, zu helfen, sie alle fielen um, sobald ihr Gesicht ir
das Höhenniveau des ersten Verunglückten kam, und blieben regungs¬
los liegen, E. versuchte sich noch aufzurichten, sank aber um und
gab kein Lebenszeichen von sich. Der Matrose F. endlich, welcher1
als Letzter den Lagerraum betrat, schrie plötzlich auf, wurde hoch¬
gewunden und so gerettet. Der Matrose B. hatte nun im Rauchhelrr
den Raum durchsucht und die 4 Opfer mit Aufbietung aller Kräh
nach oben gebracht.
Die Aussagen dieses und des anderen Geretteten F. sind
für die Beurteilung von grösster Wichtigkeit, beide Stimmer
völlig überein: B. sowohl, wie F. stiegen in den unteren Raum
ohne irgend welche Beschwerden zu fühlen, auch als sie auf¬
recht auf den Kästen und Kisten standen, haben sie nichts
wahrgenommen, was Herz, Atmung oder Sinne beeinflusst
hätte, erst als sie sich bückten und Mund und Nase etwa 60 cm
über dem Kopfe des ersten Verunglückten war, haben sie gam
plötzlich eine wahnsinnige zuschnürende Beklemmung gefühlt
sie schrieen auf und wurden im selben Augenblicke herauf¬
gewunden und fühlten sich sofort wieder frei.
Danach blieb keine andere Diagnose, als die der Ver¬
giftung durch Kohlensäure in starker Konzentration, nach cci
Erscheinungen über 25 Proz. Ein deutscher und ein spani¬
scher Chemiker wurden zugezogen. Da inzwischen Stundet
vergangen waren und die Räume reichlich ausgelüftet, so ver¬
sagten die Proben. Die Kalkwasserprobe verlief negativ um
ein heruntergelassenes Kaninchen blieb am Leben. Wit
schritten daher zur Untersuchung des vorderen Lagerraumes
der dieselbe Ladung enthielt und noch verschlossen war. Eint
mit Wasser gefüllte, 11 Liter enthaltende Flasche wurde v
einem Metallkübel in den untersten Lagerraum hinabgelassen
dann umgestülpt, so dass das Wasser in den Kübel ausflos‘
und das Grundgas in die Flasche einzog, diese wurde wiedet
heraufgewunden, versiegelt und zum Laboratorium geschafft
Der spanische Chemiker sagte mir, dass die Menge deij
Kohlensäure in der Flasche mehr als 60 Proz. betragen habe
Damit war alles erklärt, nur nicht die Anhäufung so un¬
glaublicher Mengen Kohlensäure in beiden Lagerräumen.
Das Schiff war erst 6 Tage unterwegs, in den Räumet
befand sich nichts als Kartoffeln und Reisschrot. Keimend.
Kartoffeln erzeugen Kohlensäure. Die Fässer wurden geöffnet
und keine keimende Kartoffel gefunden, der Inhalt war ir
tadellosem Zustande. Nun war es vor wenigen Tagen ir
Malaga vorgekommen, dass ein deutsches Schiff beanstande
wurde, weil seine Ladung, Reisschrot, welches nicht gan;
trocken war, sich erhitzt hatte und Feuersgefahr vorlag. Ds,
auch auf unserem Schiffe ein Teil des Reisschrotes bei Reger
geladen war, so wurden die Säcke heraufgebracht und dei
Verdacht bestätigte sich, die Temperatur im Inneren der Säcke
war bis 42°.
Am nächsten Morgen wurde die sämtliche Ladung ge¬
löscht und das Schiff konnte seine Fahrt am Abend fortsetzen
Der Fall bietet manches Lehrreiche. Es ist nicht häufig
dass die Wirkung der Kohlensäure in so konzentrierter Forn
Pcldarztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
September 1914.
|> genau beobachtet werden kann. Der Tod war bei den
er Opfern, welche in der Kohlensäure untergetaucht waren,
st momentan eingetreten. Vor allem aber dürfte es wenig
■kennt sein, dass Reisschrot, wenn es nicht ganz trocken ist,
gefährlicher Ladung gehört, für das Schiff durch die Ver-
ennung und für die Menschen durch die Verbrennungspro-
ikte. In geschlossenen Lagerräumen kann die aufge-
hichtete Kohlensäure den Brand verhindern, aber auch zu
itastrophen führen, wie in diesem Falle, und wieviel mehr,
enn die Lagerräume vielleicht nicht ganz dicht sind und die
ige aufgespeicherte Kohlensäure das Niveau der Kabinen
reicht.
is neue Wundpulver Scobitost (Scobis tosta cribrata).
Von Dr. F. Hammer in Stuttgart
Dieses bei mir am Katharinenhospital schon seit einigen
hren im Gebrauch befindliche Wundpulver (geröstetes
gmehl, s. M.m.W. 1913 Nr. 21) dürfte bestimmt sein, für die
iegschirurgie grosse Bedeutung zu erlangen. — Die glatten
n- und Ausschussöffnungen sind mit einem einfachen Ver-
nde zufrieden. Dagegen brauchen wir für die grösseren, mit
irker Zertrümmerung der Gewebe einhergehenden Wunden
i Verbandmittel, das die Infektion und Jauchung hintanhält,
nn meistens wird ja der erste Verband mehrere Tage liegen
üben müssen, bis der Verwundete in regelmässige Spital¬
ege kommt. Diesem Bedürfnis entspricht die Scobitost. Sie
reinigt die bekannten stark aufsaugenden Eigenschaften des
gemehles mit den antiseptischen der Kohle. Das Pulver
ausserordentlich leicht, massig und hält deshalb die Wunden
;t für den Sekretabfluss offen. Es regelt in äusserst gün-
ger Weise den Feuchtigkeitsgrad der Wunde, denn es
cknet nicht zu abschliessenden Krusten ein, unter denen
.h so leicht weiterschreitende Eiterung entwickelt, sondern
et die Sekrete in den Verband. Seine Billigkeit ermöglicht
Verwendung in grossen Mengen. Es wird einfach mit dem
ifel eingefüllt und noch etwas in die Wundspalten einge-
ickt. Darüber kommt der übliche Gazeverband. Wenn die
inde gereinigt ist, wird es besser weggelassen, da es
inchmal die Granulationen reizt. Für schon infizierte
inden empfiehlt sich die Beimengung von 10 Proz. Jodo-
m, welches in dieser Form ausgezeichnet wirkt. Der Ver-
ld muss aber dann mindestens 1—2 mal täglich erneuert
rden. Wenn nötig, kann man auch darüber noch Um¬
läge, z. B. mit essigsaurer Tonerde, in mehr oder weniger
diinntem Spiritus machen.
Das Pulver wird fabrikmässig dargesteht durch die
■isiawerke Dr. K r e u d e r - Wiesbaden.
ummischwammkompression gegen Schussblutungen.
Von Dr. W e r n e r - Venedig, derzeit Tübingen.
Eine erste Aufgabe des Feldarztes ist die Behandlung
r Blutung, der freien Blutung nach aussen wie der ins
are des Gewebes.
Ich spreche im folgenden nicht von Fällen, in denen
tzende Gefässe Unterbindung erheischen oder weit
ine, zerfetzte Wunden nur Tamponade verlangen. Bei
grossen Mehrzahl der Schussverletzungen handelt es
um kleinere Hautwunden mit oft grossen inneren Zer-
ungen. Besteht Blutung nach aussen, so ist deren Stillung
• selbstverständliche Notwendigkeit. Wichtiger ist, zu be-
1 ui, dass auch die innere Gewebsblutung, das
riatom, unterdrückt und vermieden werden sollte. Eine
blutung ins Gewebe — von Körperhöhlen abgesehen —
u ja kaum Vorkommen; das Hämatom hat aber vier wesent-
- Folgen:
1. Vermehrung der Schmerzen durch Spannung.
3. Bildung eines Nährbodens für Infektionen.
3. Gewebsnarben bei mangelhafter Resorption, die eine
funktionelle restitutio ad integrum verzögern oder ver¬
hindern.
T Aneurysmen nach Gefässschüssen.
Fassen wir Blutungen nach aussen oder innen bei kleiner
‘twunde zusammen, so ist die grundsätzliche Therapie dafür
1925
die Kompression. In der Not mit dem Finger, dann mit
der Gummibinde, die aber nur Palliativmittel ist, weil sie nur
beschränkte Zeit liegen bleiben kann (Goldtammer möchte
sie sogar ganz aus dem Tornister des Krankenträgers ver¬
bannen) und schliesslich mit dem Kompressionsverband von
seiner einfachsten Form bis zum aseptischen Gazewattever¬
band mit Mastisolfixierung.
Nun weiss jeder Chirurg, dass Kompressionsverbände eine
beschränkte Elastizität haben, und besonders wenn sie feucht
werden, die Fähigkeit, sich auszudehnen, rasch verlieren. Blu¬
tungen in den Verband kommen trotz aller Vorsicht vor. Die
Stillung der Blutung erfolgt oft mehr durch Austrocknung als
durch Gefässkompression, also oberflächlich, nicht in der Tiefe.
Ich habe seit einiger Zeit bei Fällen der kleinen Chirurgie
in ausgedehntem Masse den Gummischwamm als Kom¬
pressionsmittel verwendet. Er ist leicht sterilisierbar mit
aseptischen Flüssigkeiten, die durch Auspressen wieder entfernt
werden können, so dass der Schwamm wieder trocken wird;
gute Exemplare sind auch mehrmals auskochbar; er ist
leicht, ist überall zu bekommen und hat eine gleichmässig wir¬
kende andauernde Elastizität.
Wird bei einer Weichteiloperation mit schwieriger Blut¬
stillung nach der Hautnaht über die Gaze, die die Wunde be¬
deckt, in den Verband ein Gummischwamm eingebunden, so ist
ein Hämatom unter der Naht ausgeschlossen.
Wird bei einer frischen Fraktur oder Distorsion sofort auf
die Verletzungsstelle ein oder mehrere Gummischwämme
aufgebunden, so kann fast mit Sicherheit das sonst unausbleib¬
liche Hämatom vermieden werden. Die Weiterbehandlung mit
Zug- und Kontentivverbänden, Massage, passiven Bewegungen
wird dadurch ausserordentlich erleichtert und ohne Zweifel die
Wiedervereinigung der getrennten Bänder oder Knochen be¬
schleunigt.
Wird auf ein schon entstandenes, aber noch frisches
Hämatom bei den erwähnten Verletzungen eine elastische
Schwammkompression ausgeübt, so kann man die Schwellung
an dieser Stelle zurückgehen und bei der später entstehenden
hämorrhagischen Verfärbung genau die Konturen des Schwam¬
mes ausgespart sehen. An der Kompressionsstelle bleibt die
Haut viel heller, bisweilen ganz normal. Es wird dabei nicht
nur das Anwachsen des Hämatoms verhindert, sondern auch
das schon ergossene Blut weggepresst, wohl grossenteils in
die zerrissenen Gefässe zurück. Schon nach 24 Stunden
können wir annehmen, dass die Thrombose des zerrissenen
Gefässes eingetreten und damit die Quelle der Blutung ver¬
stopft ist.
Soweit die Anwendung bei geschlossenen Verletzungen.
Bei blutenden Verletzungen sah ich ebenfalls, wenn im Augen¬
blick Gefässunterbindung oder Wundnaht nicht möglich war,
die Wunde digital zusammengepresst, eine aseptische Kom¬
presse darauf und den Gummischwamm darüber gebunden. In
günstigen Fällen ist eine Wundnaht nachher überflüssig.
Eine ähnliche Rolle spielt die elastische Kompression bei
Verletzungen durch Gewehr- und Schrapnellschüsse. Die neue¬
sten Kriegserfahrungen zeigen, dass eine überwiegende Mehr¬
zahl davon reaktionslos verläuft, wenn auch die Schusskanäle
im Prinzip als infiziert anzusehen sind. Die Heiltendenz ist,
wie die Erfahrungen des Balkankrieges zeigen, bei diesen
Wunden, wenn sie nicht berührt werden, unter Ruhe, Immobili¬
sierung und aseptischem Verband ausserordentlich gross.
Wenn aber Infektion mit ödematöser Schwellung oder Eiterung
eintritt, so sind es gerade die Fälle mit starker Gewebszer-
trümmerung und Hämatomen, in denen die Eitererreger ihren
Nährboden finden.
Ich habe über die Verwendung des Gummischwammes bei
Schusswunden keine eigene Erfahrung, es erscheint mir aber
selbstverständlich, dass mit einer Unterdrückung oder Ver¬
hütung des Hämatoms vor allem im zertrümmerten Gewebe
viele Vereiterungen vermieden werden könnten.
Es handelt sich bei der Schwammkompression in keiner
Weise um Aufsaugung des Blutes aus der Wunde. Man kann
sich leicht überzeugen, dass ein zusammengepresster Gummi-
schwamm so gut wie keine Flüssigkeit mehr aufnimmt. Damit
ist auch eine Nachblutung in den Schwamm hinein aus¬
geschlossen.
1926
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschritt.
Nr. 3f
Die Schwammkoinpression kann je nach Bedarf dosiert
werden durch stärkeres oder geringeres Zusaminendriicken.
Nötigenfalls wird der Schwamm vor dem
Gebrauch zusammengerollt, damit er härter
wird, oder werden mehrere Schwämme übereinander ge¬
bunden. Die Wirkung ist ganz analog der Digitalkompression
und kann wie diese wohl kaum übertrieben werden. Sie
wirkt prinzipiell anders als die Gummibinde, nicht abschnürend,
sondern nur lokal ohne zirkulären Druck.
Die Möglichkeit der Anwendung ist beschränkt wie die des
Kompressionsverbandes auf das Skelett, d. h. auf Steilen, wo
die Knochen ein festes Widerlager, bilden. Es scheint aber
nicht ausgeschlossen, dass auch — freilich nur in gut aus¬
rüsteten Lazaretten — mit einem grossen Konvolut von
Schwämmen eine Aortenkompression an Stelle des Mom-
hurgschen Schlauches möglich wäre.
Nimmt man den Gummischwamm nach längerem Liegen
(ca. 24 Stunden) ab, so zeigt die Betrachtung der kompri¬
mierten Hautpartie, dass eine Ernährungsstörung des Gewebes
nicht stattfindet, dass offenbar die Kapillarversorgung des Ge¬
webes mit Blut nicht leidet. Ich glaube überhaupt, dass die
Stärke der Kompression nicht leicht übertrieben werden kann
und in diesem Sinne der Gummischwamm weit harmloser ist
als die Gummibinde, mit der er übrigens nur zum Teil in Kon¬
kurrenz tritt.
Was die praktische Verwendbarkeit im
Felde anbelangt, so ist zunächst sehr wichtig, dass er mit
der bisher erprobten Verbandtechnik nicht kollidiert. Asep¬
tischer Verband und darüber der Gummischwamm, der oft
grössere Mengen von Verbandmaterial erspart. Der Verband
hält mit dem Schwamm viel besser, verschiebt sich weniger.
Der Schwamm sollte trocken aufgebunden werden, feucht
nur nach einwandfreier Sterilisierung. Für gewöhnlich braucht
er aber, da er über den aseptischen Verband kommt, nicht
steril zu sein.
Ein Paket kleiner Gummischwämme, mässig komprimiert,
bedeutet keine Schwierigkeit für den Transport durch Gewicht
und Volum. Im übrigen ist es heutzutage ein Artikel, der
überall gefunden, also im Feindesland leicht requiriert werden
kann.
Wie die Blutstillung überhaupt, so gehört die Anwendung
der Gummischwammkompression in die vordersten Linien. Ob
sie schon auf den Truppenverbandplätzen angewandt werden
kann, ist eine technisch-organisatorische Frage; zum minde¬
sten käme sie für den Hauptverbandplatz in Betracht. Im Feld¬
lazarett könnte häufig der Schwamm ohne Schädigung der
Wunde nach 1 — 2 Tagen abgenommen und wieder verfügbar
gemacht werden. An seine Stelle kommt dann eine Watte¬
kompresse, die das Erreichte festhält.
Eine besondere Rolle dürfte die elastische Kompression
bei Gefässschüssen gegen die primäre Blutung, die Nach¬
blutung und das Entstehen von Aneurysmen spielen (immer
unter Ausschluss der ganz schweren Blutungen nach aussen).
In diesem Fall muss der Schwamm — unter Kontrolle — tage¬
lang liegen bleiben, um seine Aufgabe zu erfüllen, den Wider¬
stand der Gefässwand und des umgebenden Gewebes gegen
den Blutaustritt aus der Gefässwunde künstlich zu ersetzen.
Dass die Schwammkompression sich bei Hämatomen mit
frischen Entzündungserscheinungen von selbst verbietet,
braucht für den Chirurgen kaum eigens betont zu werden.
Ich erwähne nur kurz, dass im Kriege auch Schwellungen
und Ergüsse anderer Art, besonders in die Gelenke, dieser Art
der Kompression unterworfen werden können. Auf die viel¬
fache Gebrauchsmöglichkeit in der allgemeinen Chirurgie gehe
ich hier nicht ein; der Zweck dieser Zeilen ist, das Verfahren
im jetzigen Augenblick für geeignete Fälle in der Kriegs¬
chirurgie anzuregen.
Kurz zusammengefasst empfehle ich die Kom¬
pression mittels trockenen Gummischwammes gegen Blu¬
tungen nach aussen und vor allem gegen das traumatische
Hämatom, das damit oft nicht nur verhütet, sondern auch, wenn
noch nicht lange bestehend, stark reduziert werden kann. Ich
halte das Verfahren für besonders wertvoll bei Gefässschüssen.
Die üummischwammkompression ist kein neues Verfahren, ge¬
wiss schon oft improvisiert verwendet worden; doch finde ich es
bei einer raschen Durchsicht der neueren chirurgischen Literatu
nirgends generell empfohlen. Ich selbst möchte es als Hilfs
mittel nicht mehr vermissen und bin überzeugt, dass es übe
den Wert einer Improvisationstechnik hinaus einen dauernde
Platz in der konservativ-chirurgischen Therapie verdiente. I
welchem Umfang, muss die weitere Erfahrung lehren.
Orientierungskurse für freiwillige Kriegsärzte in Berlir
Berichterstatter: Dr. M. S c h w a b - Berlin-Wilmersdorf.
(Schluss.)
V. Oberstabsarzt Geheimrat v. Wassermann: Seuche:
bekämpfung im Kriege.
1. Die Bekämpfung der Kriegsseuchen ist von jeher ein intt
■griercnder Bestandteil unseres Heeressanitätswesens gewesen. Bi
der Besprechung eines solchen Themas ist es aber unmöglich, nicfj
des Namens und der Bedeutung eines Robert Koch zu gedenkei
An die Spitze seiner lichtvollen Darlegungen setzte daher der Voi
tragende den Satz des Altmeisters der Epidemiologie: „Jede In
f ektionskrankheit wird h e r v o r g e r u f e n durci
einen bestimmten Erreger, der von aussen in de
Organismus eindringt, sich im Gewebe ansiede!
und dort vermehr t.“
2. ln jedem Falle einer Infektion ist der davon betroffene Mensc
vorher mit einem anderen Menschen mit gleicher Infektion — direl
oder indirekt — im Zusammenhang gestanden gewesen. Für de
Epidemiologen gilt es daher, die Ouelle der Infektion herauszufinüe
und zu unterbrechen. Die Hauptsache der Prophylaxe von Krieg:
seuchen besteht also darin, die ersten Menschen, die infiziert worde
sind, ausfindig zu machen. Wichtiger als die klinisch Kranken sin
dabei oft die Keimträger (Bazillenträger), die für Menschen m
mangelnder Indisposition eine neue Ouelle werden. Daher die zweit
Kardinalregel : „Auch die ganze Umgebung desErkrank
ten als ansteckungs- oder bereits erkrankungsl
verdächtig zu betrachten und sie ebenso gena
bakteriologisch zu untersuchen!“
Zusammenfassend ist also zu sagen, dass im Frieden wie ii
Kriege die bakteriologische Untersuchung, besonders die des erste
Falles, von äusserster Wichtigkeit ist, weshalb in den Krieg tragbai
bakteriologische Laboratorien mitgenommen werden.
3. Die Gefahren, auf die wir in diesem Kriege besondei
gefasst sein müssen, sind, da bei der annähernd vollständige
Seuchenfreiheit unseres Landes dies mehr oder weniger vom Feine
abhängt, „ , , „ ,
a) von der Ostgrenze her: Cholera ,Pest, Rekurrens, Fleckfiebe
Typhus; ,
b) von der Westgrenze her: besonders Typhus. (Unsere Wes
grenze ist durch eine seit über einem Jahrzehnt begonnen
planmässig organisierte [Untersuchungsstationen!] Bekämpfur
des Typhus assaniert; die Franzosen haben vor mehrere
Jahren denselben Versuch gemacht, ihn aber wieder aufgegebc
und dafür die Typhusschutzimpfung ihrer Armee eingefülir
wodurch wohl eine ziemliche Typhusfreiheit der geimpfte
Truppen erzielt worden sein wird, letztere aber dafür u
so mehr als Bazillenträger, die zwar von der Krankheit nie!
befallen werden, trotzdem oder vielmehr eben deshalb ah<
Bazillen ausscheiden können, in Betracht kommen dürften;
Belgien ist gar nichts getan worden.)
4. Was kann nun seitens des freiwilligen Kriegsarztes zt
Herabminderung der Gefahren geschehen? Antwor
Beachtung der in der Inkubation befindlichen Verwundeten und di
Bazillenträger. Deshalb muss
a) in jedem Lazarett etc. ein Raum vorhanden sein, der als ls>
lierraum benützt werden kann und der von vorneherein da;
bestimmt ist, nicht erst anlässlich der ersten Fälle ne
gerichtet wird;
b) Die Isolierräume und überhaupt die Lazarette müssen (dun
Drahtnetze oder Verbandgaze in den Fenstern, durch Beham
lung von Tümpeln in der Nähe des Lazarettes mit Petroleun
möglichst mückenfrei gemacht werden (Choleraübertragu:
durch Fliegen!).
c) Anlegung von Latrinen.
d) Misstrauen gegen jedes Oberflächenwasser (das sichers
Wasser ist das Grundwasser, durch abessynische Brunin
herausgefördert; sonst Trinkwasserbereiter oder Abkochen u
Wassers!).
e) Anamnestische und sonstige Prüfung des Personals, besonde
des Küchenpersonals, hinsichtlich überstandenen Typhus od'
Paratyphus, vorausgegangener Pflege von Typhuskranken er
ganz besonders des weiblichen Personals, weil bei Typhus ui
Paratyphus Frauen viel häufiger Keimträger sind als Männe
5. Die Handhabung der Desinfektion geschieht:
a) durch physikalische Massnahmen: wo angängig und Vorhände
Dampfdesinfektion oder sonstige physikalische Mittel (Rur
n e r scher Apparat u. dergl.). Improvisation von Damptde
infektion: Waschkessel mit einem Drahtnetz darüber und eil
S. September 1914.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
daräufgcsetzte Tonne ohne Boden, deren Deckel 2 Oeffnungen
^m.e e.n Thermometer, eine für Ausströmung des Dampfes
hat; Abdichtung der Tonne am unteren Kunde mit Lehm
b) durch chemische Mittel:
a) Univcrsaldesinfektlonsmitte! für innerhalb des Lazarettes
(Wasche Badewannen, Injektionen etc.) ist die alte Kre-
s o 1 s e 1 f e n 1 ö s u n g, die in grossen Mengen, vom Anfang
der Einrichtung jedes Lazarettes an vorhanden sein oder
hergestellt werden muss und in irdenen Töpfen (für die
Wasche, die Dejektionen) zur Verwendung kommt
Kp. 950 Teile heisses Wasser, dazu
25 „ grüne Kalischmierseife und
25 „ Acid. carbol. crud.
ß) Ein zweites Universalmittel (für Fäzes, Abortgruben tisw.)
ist die Kalkmilch (gebrannter Kalk wird mit Wasser
bespritzt bis er zerfällt Igelöschter Kalk]; von diesem ge¬
löschten Kalk wird 1 1 eil mit 3 — 4 Teilen Wasser angerührt
hur Latrinen sind auf 2 Teile Grubeninhalt 1 Teil Kalkmilch
zu «eben (die Reaktion muss alkalisch sein), dann ist nach
o — 12 Stunden alles desinfiziert.
(Wäsche, Dejektionen etc. sofort innerhalb des Kran-
kenzimmers desinfizieren lassen, da sonst Verschleppung von
Infektionskeimen möglich! Alle Desinfektionsmassnahmen von
vorneherein vorbereitet haben, nicht erst nach Ausbruch der
Infektion damit beginnen!)
6. Verhalten den einzelnen Kriegsseuchen
egen über:
a' T i Pl’ 11 s ■ Erreger ein Bazillus mit obligater Eingangspforte;
i'il m if1*-18* e’ne metastabsche Infektionskrankheit, des-
lalb alle Abgänge des Kranken (Fäzes, Urin, Sputum) desinfi-
?ieru .Dia£n°se: Irr der ersten Woche durch Blutaussaat
(durch Aspiration gewonnenes Venenblut wird in Conradi-
sehe Gallenröhrchen, erhältlich in den Sanitätsdepots, auch bei
L a u t e ns c h I ä g e r - Berlin und Merck- Darmstadt, ge¬
bracht, die Bazillen werden dadurch angereichert (positiver
Erfdg m der ersten Woche in ca. 90 Proz. der Fälle). Die
Röhrchen an den beratenden Hygieniker des Armeekorps oder
an die sonstigen Untersuchungsämter, wie im Frieden, ein¬
schicken! Die Fäzes kommen von der 2. Woche an in Be¬
tracht, für Keimträger ausschliesslich. Einschicken in den be¬
kannten Entnahmegefässen (erhältlich in den Etappen-Sanitäts-
depot) oder Ausstreichen auf D r i g a 1 s k i - C o n r a d i sehen
Agar, fertig geliefert in trockenen Nährböden von den Etappen-
bamtatsdepots oder von L a u t e n s c h 1 ä g e r - Berlin und
M e r c k - Darmstadt. Rote Kolonien sind Kolibazillen. blaue
können Typhus, Paratyphus oder Ruhr sein; dann Einschicken
der mit Paraffm abgedichteten Platten zur Agglutinationsprobe!
77 Prophylaxe: Belehrung der Truppen und ähnliche allgemeine
Massregeln sind im Kriege ohne Erfolg. Deshalb eventuell
yphusschutzimpfung, deren Resultate nach den Erfahrungen
des Auslandes hervorragende sind. Ausführung: Zunächst
a* ccm bserum, das in grossen Mengen zur Verfügung steht,
subkutan in die linke Subklavikulargegend (nicht in den Arm
oder in den Rücken, weil öfters örtliche Reaktionen) in den
späten Abendstunden (weil öfters 1 emperatursteigerung) in¬
jiziert; die. Begleiterscheinungen sind am nächsten Tag ver¬
schwunden 7 Tage warten, dann 2. Injektion (weil eine nicht
genügt) in doppelter Dosis (1 ccm des offiziellen Impfstoffes);
eVif"!!nu noc!? Injektion. Injektionen sind vollkommen un¬
schädlich. Für den freiwilligen Kriegsarzt kommt in erster
Lime die Schutzimpfung des Wartepersonals in Betracht,
b) Dysenterie: Verdacht bei blutig-schleimigem Stuhlgang.
Lokale Infektion des Dickdarms, die lokal bleibt; deshalb Ba-
ziHen nur in den Dejektiopen zu finden. Zu beachten besonders
die Bazillenträger! Mit der Stuhlprobe sofort etwas Blut(serum)
einschicken zur Identifizierung des Erregers (Shiga-Kruse oder
rlexner oder Stamm Y). Mit der Therapie warten bis zur
Identmkation des Erregers, dann Ruhrserum (subkutan).
C ,aratyPhus: Hauptsächlich durch Nahrungsmittelinfektion
oder Bazillenträger. Verdacht bei gehäuften Brechdurchfällen.
lagnose durch Drigalski - Conradi sehe Agarplatten ;
genauere Diagnose durch den Bakteriologen,
d) Cholera: Diagnose wie im Frieden nach dem Reichs-Seuchen-
gesetz. Prophylaxe nach den Koc h sehen Regeln. Für mo¬
bile Truppen Choleraschutzimpfung (wird genau wie Typhus¬
schutzimpfung gemacht, aber nie mehr als 2 Injektionen. Re¬
aktionen weit geringer als bei Typhusimpfung. Erfolge nach
den Erfahrungen bei der griechischen Armee hervorragend.
e' ^ Formen (Bubonen- oder Lungenpest, letztere weit
gefährlicher). Verdacht schöpfen bei jeder Pneumonie, weil
(r(Fungenpest in den ersten 2 Tagen ebenso aussieht. Des¬
halb Sputumuntersuchung: Sputum auf Deckglas, lufttrocken
werden lassen, dann nicht in der Flamme erhitzen, sondern
einige Minuten mit absolutem Alkohol bedecken, dann durch
sc^wen^en und ausblasen; Färben mit dünner Me-
thylenblauiösung, wodurch die charakteristische bipolare Ge¬
stalt der Bazillen sichtbar wird. Einschicken des Deckgläs¬
chens nur an foljjende 3 Stellen angängig: Institut „Robert
Koch , Kaiser-Wilhelms-Akademie oder Reichsgesundheits-
aint' ~ Bei Bubonenpestverdacht (hohes Fieber, Drüsen-
1927
Schwellungen) Aspiration von Bubonensaft aus dem Bubo
Behandlung wie oben.
f) Flecktyphus: Fast ebenso gefährlich wie Pest. Das Kon-
tagium durch die Luft und durch Ungeziefer übertragbar.
Sehr infektiös für Aerzte und Personal. Einziges Mittel gegen
die Ansteckung ist ausser der schärfsten Isolation nach Koch
das Offenhalten der Fenster und Türen Tag und Nacht hin-
durch, einerlei ob kalt oder warm, Regen oder Schnee, um
durch die Verdünnung durch den Luftstrom die Infektionsgefahr
zu bannen; die Isolierräume müssen daher auf weite Distanz
(mindestens 40 — 50 in) von jeglichem anderen Raum entfernt
g) Rekurrens: Diagnose leicht aus dem Blute. Therapie-
Salvarsan. ‘
h) Epidemische Genickstarre: Diagnose leicht aus dem
Lumbalsekret (Meningokokken verhalten sich färbcrisch wie
die Gonokokken und sehen auch so aus). Therapie: Intra¬
lumbale Injektion von (20 — 30 ccm) Genickstarreserum (cf.
m • e Viy Erfahrungen mit Kolle-Wassermann schem
Meningokokkenheilserum; D.m.W. 1908 Nr. 4 S. 139).
Meldung jeder Infektionskrankheit oder Verdachtes hierauf an
den Vorgesetzten Sanitätsoffizier zur Weitergabe!
In einem Schlusswort gab Generalarzt Dr. Grossheim
UehSSen;er SUbdvekut0r der Kaiser-Wilhelms-Akademie, einen
Ueberbhck über die Verbesserungen, die das Heeressanitätswesen
r em Knnege* ^/n 71 erfahren hat: damals hatte 1 Armeekorps
-02 1 ragen, heute 400; statt 37 2 Krankenträger hat es jetzt 600, statt
Krankenwagen jetzt 36 resp. 40; dazu kommen heute Kraft-
HiÜS(n’--felner dl? Möglichkeit der Verwertung der Mannschaftszelte,
die D o c k e r sehen Baracken. Verbessert hat sich auch die Be-
kostigung durch die Konserven etc., die chirurgische Therapie durch
die Fortschritte der Asepsis und die Schematisierung des Verbandes
die innere Medizin durch die exaktere Dosierung mittels der Tablet¬
ten, die zudem viel kompendiöser als Pulver sind und deshalb in
grosserer Menge als diese mitgenommen werden können.
Diese zurzeit hochaktuellen Kurse sind wohl mit das Beste,
was auf dem Gebiete des ärztlichen Fortbildungswesens geleistet
worden ist: nicht nur wegen der hervorragenden Qualität der Vor¬
tragenden, die ihrem jeweiligen Thema so glänzend korrespondierten
sondern auch wegen der Tatsache, dass der mitzuteilende Stoff so¬
wohl, den Bedürfnissen des Augenblicks entsprechend, meisterhaft
ausgesucht als auch bei Wahrung möglichster Vollkommenheit in
kürzester Zeit (4 Abende mit je Stunden Vortragsdauer) be-
- wurde. Diese „Orientierungskurse für freiwillige Kriegs¬
arzte können deshalb als Vorbild dienen für analoge Veranstal¬
tungen dm an allen Zentren ärztlicher Fortbildung inauguriert wer¬
den sollten damit möglichst viele Zivilärzte mit den Richtlinien, nach
denen sie bei der ihnen bevorstehenden schwierigen und verantwor-
tungsvollen Aufgabe handeln sollen, cito et jucunde vertraut werden
Und auch die Absicht, auch denjenigen, die fern von der Möglich¬
keit, solche Vorträge zu hören, ein Bild derselben zu geben recht¬
fertigt wohl neben den schon angeführten Gründen, die Ausführlich¬
keit dieses Berichtes.
Kleine Mitteilungen.
Feldpostbriefe.
Aus einem Feldpostbrief eines Oberarztes d. L. vom 22. August:
i"- ™ar von meiner Kompagnie getrennt, weil ich in Kl.
eine Leichtkrankensammelstelle errichten und die Patienten nach
lassen musste. Man hatte mir einen Radfahrer geschickt
mit der Meldung dass ich meine Leute in . . . wiederfinden würde.
Dieser Radfahrer fuhr um 343 Uhr früh ab, verirrte sich aber in der
Dunkelheit und kam anstatt 7 Uhr erst um 10 Uhr zu mir. Daher
and ich m . . - keine Spur mehr von meiner Kompagnie und da in¬
zwischen das Gefecht im vollen Gang und alles im Vorrücken war
stand ich vor der Aufgabe, in Begleitung des Radfahrers und meines
leners auf den mit Truppen vollgestopften Strassen meine Sanitäts¬
kompagnie zu suchen. Ein Bahnwärter konnte mir die Richtung des
binarsches sagen. Ich hätte sie aber trotzdem nicht gefunden, wenn
ich nicht einen Feldtelegraphisten entdeckt hätte, der eben mit dem
Armeekorpskommando sprach. Er erhielt sofort den Befehl nach
dem Standort niemer Division zu fragen und ich erfuhr so, dass
diese m ••■ war. Auf dem Wege dahin fand ich nach neun¬
stündigem Ritt in meine Leute glücklich wieder; der Radfahrer
war 18 Stunden auf den Beinen gewesen, mein Pferd musste ich die
m ZtC t,StUn u6 • führ.en’ weil es VÖI1‘£ erschöpft war. Auf diesem
Marsche sah ich den ersten Trupp von 24 gefangenen Franzosen.
Die Leute haben keine so neue und solide Ausrüstung wie bei uns, aber
durchaus nicht schlecht. In . . . war uns ein französisches Feldlaza¬
rett in die Hände gefallen und der medecin-major (Stabsarzt) von
echt französischer Beweglichkeit, war überglücklich, dass wir ihm
mit Morphium, Verbandstoffen, Konserven aushalfen, denn er war
mangelhaft ausgerüstet. Von unserer Seite waren 2 Lazarette er¬
richtet.
1928
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
Nr. 36.
Das Essen aus der mitgefahrenen Feldküche — eine grossartige
Einrichtung — ist sehr gut und enorm reichlich; die Stimmung unserer
prächtigen bayerischen Leute glänzend. Das Wetter ist herrlich, aber
die Nächte sind kühl, besonders gegen Sonnenaufgang. Wer einen
guten Magen (entschieden das wichtigste), ruhigen Schlaf und etwas
Gleichmut besitzt, kann dieses Leben wohl ertragen. . . .
Unser Mitarbeiter Dr. Fritz Loeb schreibt uns:
„Am 28. August stand unsere 3. San.-Kotnp. bei B. im Granat¬
feuer; 3 tödlich verwundet, 2 am gleichen Tage gestorben, sonst
14 Verletzte. Ich verdanke einem Zufall mein Leben; 3 m neben
mir schlug eine Granate ein, mich mit Erde und Steinen über¬
schüttend und mich zu Boden werfend. Sie krepierte zum Glück
nicht, sonst wäre der Vater des Dissertationsreferates wohl erledigt.
Ich war ca. 1 Sekunde bewusstlos. Bis jetzt unverletzt und sieges¬
zuversichtlich.“
Nachrichten.
München, den 7. September 1914.
— Das grosse Ereignis der 5. Kriegswoche war der
glänzende Sieg der deutschen Armee im Osten bei Tannenberg, wo
drei russische Armeekorps vernichtet wurden. Im Westen sind
unsere Truppen in unaufhaltsamem Siegeslauf bis in die Nähe von
Paris vorgedrungen. Erfreulich ist, dass trotz der unerhörten An¬
strengungen, die unsere Truppen auszuhalten haben, der Gesund¬
heitszustand ein günstiger ist. Eine amtliche Erklärung des
Chefs des Feldsanitätswesens besagt darüber folgendes: „Der Ge¬
sundheitszustand aller Teile unseres im Felde stehenden Heeres ist
gut. Seuchen sind bisher nicht aufgetreten. Freilich stehen unsere
Truppen zum Teil in Feindesland, das sich bis dahin keiner so
guten Aufsicht erfreute wie unsere Heimat, und dessen Bevölkerung
manche Träger von Keimen ansteckender Krankheiten in sich birgt.
Doch waltet auch gegen diese Uebelstände eine weitgehende
Vorsicht im deutschen Heere. Die Schutzpockenimpfung
ist streng durchgeführt und wird im Notfälle auch bei der feindlichen
Bevölkerung durchgesetzt. Typhus-, Cholera- und Ruhrunter¬
suchungsgeräte sowie Schutzimpfungsstoffe werden mitgeführt. Sach¬
verständige Hygieniker befinden sich in den Reihen unserer Militär¬
ärzte. Leider wurde auch von ihnen schon einer bei einer vor¬
sorgenden Brunnenuntersuchung hinterrücks von Einwohnern er¬
schossen. Im I n 1 a n d e sind nennenswerte Häufungen übertrag¬
barer Krankheiten ebenfalls nicht zu verzeichnen. In dieser Hin¬
sicht werden besonders scharf die Kriegsgefangenen über¬
wacht. Die von den regelrechten Heeresgeschossen gesetzten Wun¬
den zeigen ein durchweg gutes Heilungsbestreben. Das
deutsche Verbandsverfahren, insbesondere die Anwendung der
deutschen Verbandspäckchen, hat sich bewährt. Die in den vorder¬
sten Linien angelegten Verbände sassen auch noch zur Zeit der
ferneren Rücktransporte den Verwundeten gut. Ein grosser Teil der
zurückbeförderten Verwundeten ist bereits in der Genesung und
drängt wieder nach der Front zurück.“
— Das Direktorium der Farbenfabriken vorm. Fried r.
Bayer & C o. in Leverkusen hat 100000 M. gestiftet, die in folgen¬
der Weise Verwendung finden sollen: 1 Nationalstiftung für die
Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen 50 000 M. 2. Zweigverein
vom Roten Kreuz Kreis Solingen 20 000 M. 3. Provinzialverein vom
Roten Kreuz zu Koblenz 10 000 M. 4. Zentralkomitee des Preussi-
schen Landesvereins vom Roten Kreuz zu Berlin 10 000 M. 5. Zweig¬
verein vöm Roten Kreuz für die Stadt Elberfeld 5000 M. und 6. Verein
für das Deutschtum im Auslande, für die mit harter Not kämpfen¬
den, vertriebenen oder von ihrer Heimat abgeschnittenen Ausländs¬
deutschen 5000 M. Ferner hat Geheimrat Prof. Dr. Duisberg,
Generaldirektor in Leverkusen, persönlich 10 000 M. gestiftet und
zwar für das Rote Kreuz 6000 M. und für die Hinterbliebenen der
im Kriege Gefallenen 4000 M.
— Herr Prof Dr. Sauerbruch, Direktor der chirurgischen
Universitätsklinik in Zürich wmrde als beratender Chirurg des
15. Armeekorps gewählt und ist am 6. August nach Strassburg
abgereist.
— Im Verlag von Reiniger, Gebbert & Schall A.G.,
Berlin-Erlangen ist eine kleine Broschüre: „Praktische Winke
zur Anfertigung von Röntgenaufnahmen an Kriegs¬
verwundete n“ erschienen, die allen Aerzten, die ein Interesse
daran haben, auf Wunsch unentgeltlich zugestellt wird.
— Zu dem Artikel von N e i s s e r (D.m.W. Nr. 33, ref. M.m.W.
S. 1893) über venerische Krankheiten bei den im Felde stehenden
Truppen wird die Herstellungsvorschrift der Noviinjektolsalbe wie
folgt richtiggestellt (D.m.W. Nr. 34): Prötargol 6,0 aufzustreuen auf
Aq. dest. 24,0, stehen lassen bis zur Lösung, beizufügen Alypin
nitr. 2,0, auf Wasserbad bei 30 — 40° zu lösen und zu mischen mit
Eucerin, anhydric., Adipis lan. aa 35,0. Bgt.
— Cholera. Türkei. Vom 10. — 24. Juli wurden in Eski-
Chehir 2 Erkrankungen (und 1 Todesfall), in Vize 1 (— ) gemeldet.
— Russland. Im Gouv. Podolien vom 19.— 24. August 104 Erkran¬
kungen, davon 98 mit tödlichem Ausgange.
— Pest Türkei In Beirut wurde am 2. August ein neuer
Pestfall festgestellt. — Aegypten. Vom 25.-31. Juli erkrankten (und
starben) 4 (1) Personen, davon 2 (1) in Alexandrien und 2 (— ) in
Port Said. — Britisch Ostafrika. In Mombassa im Juni 1 Pestfall.
— Griechenland. Im Piräus sind seit einiger Zeit zuerst vereinzelt,
zuletzt aber häufiger Pestfälle vorgekommen. Bis zum 28. August
sollen 22 Erkrankungen, darunter 4 mit tödlichem Ausgang, festge¬
stellt worden sein. — Vereinigte Staaten von Amerika. In New-
Orieans wurden vom 18.— 27. Juli 8 Pestfälle festgestellt, im ganzen
seit dem 28. Juni 13, auch wurden 14 Pestratten gefunden. Die
Zahl der in der Stadt wöchentlich gefangenen und untersuchten
Ratten wird auf 8—10 000 angegeben. — Ecuador. In Guayaquil im
Juni 3 Erkrankungen und 2 Todesfälle. ,
— In der 33. Jahreswoche, vom 16. bis 22. August 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Halberstadt mit 36,4, die geringste Altenburg mit 5,1 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Masern und Röteln in Colmar, an Diphtherie
und Krupp in Berlin, Pankow, Bottrop, an Keuchhusten in Flensburg.
— In der 33. Jahreswoche, vom 16. bis 22. August 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Metz mit 40,0, die geringste Berlin-Friedenau mit 3,3 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohnern. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬
storbenen starb an Scharlach in Königshütte, Pforzheim, an Diph¬
therie und Krupp in Lehe. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Wien. Hof rat Prof. Dr. Julius Hochenegg wurde zum General¬
stabsarzt ernannt. — Hofrat Frhr. v. Eiseisberg fungiert schon seit
Jahren als Adm.-Stabsarzt a. D. und als Gen.-Chefarzt des deutschen
Ritterordens. — Dem Dr. Josef Winter, Stabsarzt i. d. E„ wurde
wegen seiner Verdienste um die Ausgestaltung der Hilfsmittel des
Ocsterr. Roten Kreuzes der Adel verliehen.
(T o d e s f ä 1 1 e.) .
ln Frankenthal starb Dr. Karl G ö t e 1, kgl. Regierungs- und Geh.
Medizinalrat a. D„ ein verdienter ehemaliger Medizinalbeamter der
Reichslande. .
In Halle starb Geh. Rat Dr. Theodor Weber, früher Direktor
der med. Klinik daselbst, 85 Jahre alt. Eine Würdigung seiner Per¬
sönlichkeit brachten wir in Nr. 33, 1899, anlässlich seines 70. Geburts¬
tages.
Fürs Vaterland starben:
Dr. Friedrich L a u k, Stabsarzt d. Res., Arzt in Ellingen, am
20. August. ...... , , u
Dr. Georg Ritter v. Boxberger, Marinestabsarzt d. Res.,
Arzt in Bad Kissingen, am 28. August mit S. M. S. „Ariadne“.
Karl Wolf, Ein.-Freiw. Unteroffizier, Zahnarzt, am 26. August.
Hans v. Blomberg, cand. med., Eberswalde, am 22. August.
Paul D i e 1 1, cand. med., München, am 22. August.
Ludwig G o p p e 1 1, cand. med., am 2. September.
Auf der vorstehenden Ehrentafel werden wir die uns be¬
kannt werdenden Namen derjenigen Aerzte und Studierenden der
Medizin verzeichnen, die in dem heiligen Krieg für das Vaterland ge¬
fallen sind. Wir bitten unsere Leser, zur Vervollständigung der Liste
beitragen zu wollen.
Bekanntmachungen.
Ansuchen.
Alle Lazarette, städt. Krankenhäuser, Privatkliniken und Pflege¬
stätten der freiwilligen Krankenpflege, jeder Arzt sowie alle Herren
Aerzte, welche Offiziere behandeln, die wegen Verwundung oder
Erkrankung aus dem Felde oder Feindesland hieher zurückgekehrt
sind, werden ersucht, die betreffenden Offiziere zu benachrichtigen,
dass jeder Offizier usw. alsbald nach Ankunft in München der Kom¬
mandantur Meldung über sein Eintreffen zu erstatten habe. Die
Meldung kann mündlich (beliebiger Anzug) oder schriftlich (5-Pfg.-
Postkarte) geschehen. Sie soll enthalten:
Vor- und Zuname, Dienstgrad, Truppenteil.
Tag und Art der Verwundung oder Krankheit.
Pflegestätte und Wohnung.
Angabe, ob ein Ersatz-Truppenteil benachrichtigt ist.
Auf Grund dieser Meldung wird für nicht hier im Stand¬
ort befindliche Offiziere Zuteilung zu einem Ersatztruppenteil für
Verpflegung und allenfallsige Bedürfnisse erfolgen.
In deutlicher
Schrift.
Deutsche Aerzte!
Verschreibt nur deutsche Präparate und Spezialitäten!
Die „Feldärztliche Beilage“ ist bestimmt, allen im Felde stehen¬
den oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten der deutschen
und österreichischen Armee und Flotte unentgeltlich geliefert zn wer¬
den. Herren, welche sie nicht erhalten, werden um Angabe ihrer
Adresse ersucht.
Beiträge für die „Feldärztliche Beilage“ werden nach erhöhten
Sätzen honoriert.
Selbstverständlich wird unseren im Feld stehenden Abonnenten
auch die Wochenschrift selbst an jede uns angegebene Adresse nacli-
geliefert. J. F. Lehmanns Ver! aj^
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
nl« M,.ncke"*r M*d(il*l»cli€ Wochen »chrift enchemf w8ch«n<ITcfi
im Umfar- — — — * • “ — ■
Nummer
M 6.
Zotendnngen rind zu adreitleren;
rOrdte Redaktion Amulfstr.26. Bürozeit der Redaktton 8V.-I Uhr.
Für Abonnement an 1. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 24.
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 3.
MÜNCHENER
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 37. 15. September 1914.
Originalien.
Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie in Frank¬
furt a.M. (Direktor: Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. Paul Ehrlich).
Halbspezifische Desinfektion.
Von Prof. Dr. H. B e c h h o I d, Mitglied des Instituts.
Zwischen den Stoffen, mit welchen der Organismus die
Bakterien abtötet, und den von der Chemie erzeugten besteht
ein charakteristischer Unterschied; die ersteren sind streng
spezifisch, die letzteren von allgemeiner Wir¬
kung. Das Lysin der Cholera z. B. wirkt nur auf den
Choleravibrio, das Typhusagglutinin nur auf Typhusbazillen;
hingegen tötet Karbolsäure den Choleravibrio ebensogut wie
den Typhusbazillus und Sublimat vernichtet Staphylokokken
nicht weniger sicher wie Tuberkelbazillen. — Zwar gibt es
höchst widerstandsfähige Keime, z. B. Milzbrandsporen und
Tuberkelbazillen, doch sind diese widerstandsfähiger gegen
alle chemischen Eingriffe1, während andere Krankheitserreger,
nv ie Choleravibrionen, Gonokokken, den meisten chemischen
Desinfektionsmitteln leichter unterliegen.
Vor einigen Jahren x) war nun dem Verfasser dieser
Zeilen eine Gruppe von chemischen Substanzen aufgefallen,
die wesentlich von dieser Regel abweichen: es handelt sich
um die Halogen-/?-Naphthole, die ich in Verfolg einer
früheren Arbeit von P. Ehrlich und dem Verfasser2)
auf ihre Desinfektionswirkung untersuchte.
Behandelt man A-Naphthol in geeigneter Weise mit
Chlor oder Brom, so kann man Substanzen gewinnen, die
1 (Mono-), 2 (Di-) oder 3 (Tri-) Chloratome in der Naphthol-
molekel enthalten; von Bromderivaten kennt man sogar, ab¬
gesehen von Isomeren, 5 verschiedene Produkte: Mono-, Di-,
Iri-, Tetra- und Penta-Brom-ß-Naphthol. — Es sind gelbliche
bis weisse, feste Körper, die teils geruchlos sind, während den
niederen Chlornaphtholen ein leichter Geruch anhaftet. In
kaltem Wasser sind sie fast unlöslich, in Alkohol, Fett und
anderen organischen Lösungsmitteln leicht löslich; ebenso
sind sie gemäss ihres sehr schwachen Säurecharakters in Al¬
kalien löslich und lassen sich durch ähnliche Mittel, wie
Phenol, Kresole etc., in Lösung bringen.
Als ich die entwicklungshemmende und keimtötende Wir¬
kung der Halogennaphthole gegen verschiedene Bakterien und
Kokken prüfte, zeigte sich folgende merkwürdige Erscheinung:
Es fanden sich unter den Derivaten einige, wie z. B. Tribrom¬
naphthol, die gegen gewisse Bakterien (Staphylokokken,
Streptokokken, Diphtheriebazillen) eine enorme Wirkung aus¬
übten, die kaum hinter der des Sublimats zurückblieb, während
.sie gegenüber anderen, wie Paratyphus N und Bacterium coli,
keine wesentlich höhere Desinfektionskraft als Kresol be-
sassen. — Nebenstehende Tabelle 3) lässt uns manche inter¬
essante Einblicke gewinnen.
Betrachten wir zunächst die Standardsubstanz Kresol
Am leichtesten werden von ihr Diphtheriebazillen, am schwer¬
sten Paratyphus N geschädigt; zur Entwicklungshemmung
von Paratyphus N braucht man die 50 fache Konzentration
H Zschr. f. Hyg. 64. S. 113—142.
, ' Bechhold und Ehrlich: Beziehungen zwischen chemi¬
scher Konstitution und Desinfektionswirkung. Zschr. f. physiol. Chem.
47. S. 173—199.
• r, ^ habe bier nur ^‘e Entwicklungshemmung notiert, da diese
sich sehr übersichtlich wiedergeben lässt. Die Abtötungszeit ist
etwas komplizierter.
Nr. 37.
wie bei Diphtheriebazillen. Viel grösser aber ist der Unter¬
schied bei Tri- und Tetrabromnaphthol; hier werden Di-
phtheriebazillen bereits durch den 250. Teil der Substanz¬
menge geschädigt, die für Paratyphus N erforderlich. _ Der
Chemiker versteht unter „Konzentration“ das Molekular¬
gewicht in Grammen gelöst in 1 Liter. Zieht man diese „Kon¬
zentration“ in Betracht, so bekommt man Zahlen, die ich als
„molekulare Desinfektion“ (1. c.) bezeichnet habe.
Diese Zahl gibt an, wieviel Molekeln einer Substanz erforder¬
lich sind, wenn der gleiche Effekt erzielt werden soll wie mit
1000 Molekeln Kresol.
Molekulare Desinfektion bei Paratyphus
Kresol iooo
Tribromnaphthol 70
Tetrabromnaphthol 115
Diphtheriebazillen
1000
3,4
2,8
Hier tritt die spezifische Wirkung des Tri- und Tetrabrom¬
naphthol gegen Diphtheriebazillen noch markanter hervor. Sie
•ist aber nicht spezifisch wie die eines Lysins oder Agglutinins,
sondern sie dehnt sich auf eine gewisse Gruppe von Mikro¬
organismen aus, in diesem Fall auf Staphylokokken, Strepto¬
kokken und Diphtheriebazillen. Aus diesem Grund wurden
solche Desinfizientia „h a 1 b s p e z i f i s c h“ genannt.
Staphylo¬
kokken
Strepto- Diphtherie¬
kokken bazillen
Paratyphus
N.
Bacterium
coli
Lysol (auf den Kresol-
gehalt bezogen) ... 1
/?-Naphthol ... 1
Chlor-^-Naphthol ... 1
Dichlor-/S-Naohthol . l
Trichlor-y3-Naphthol . 1
Brom-/?-NaphthoI . . 1
Dihrom-/j-Naphthol . . l
Tribrom-/J-Naphthol . 1
Tetrabrom-/?-Naphthol . 1
Pentabrom-/(-NaphthoI . 1
Die Zahlen bezeichnen
entwicklungshemmend wirken
3000
6000
2« 000
40000
50000
1 : 10000
1 : 8000
1 : 20 000
1 : 30000
ca. 1 : 20000
20000 jca. 1:20000
80000 ca. 1 : 20000
250000 1 ; 60000
250000 1:60000
50 000 ca. I:40u00
1 : 20000
1 : 10000
1 : 10000
1 : 20000
1 : 20000
1 : 10000 1 : 4000 1 : 8000
1:40(100 1:4000 1:32000
1:400003 1 : lnüO 1:1300
1:200000 1:800 1:800
1 : 150C00 1 : 800 1:400
die höchste Verdünnung, in der die betr Substanzen noch
1 Zum Vergleich ist Kresol (Lysol) herangezogen.
1 : 400
1 : 4000
1 . 4000
1 : 4000
1 : 400
1 : 800
1 : 8000
1 : 12000
1 : 16000
1 : > 20000
Durchmustern wir unsere Tabelle, so finden wir ausser
der erwähnten halbspezifischen Wirkung des Tri- und Tetra¬
bromnaphthol gegen Staphylokokken, Streptokokken und
Diphtheriebazillen noch eine ähnliche halbspezifische Wirkung
von Dibrom-ß-Naphthol gegen Bacterium coli. Unsere
Reihenversuche zeigen uns ferner, dass diese halbspezifische
Eigenschaft nicht plötzlich bei einer chemischen Substanz er-
i eicht wiid, sondern dass sie das Resultat einer sukzessiven
Veränderung ist, deren Optimum eben den halbspezifischen
Körper darsteüt. Am schönsten zeigt dies die Bromreihe an
Diphtheriebazillen. Hier steigt die Desinfektionswirkung mit
Eintritt je eines Bromatoms in den Naphtholkern von 1: 10 000
auf 1:40 000, erreicht im Tribromnaphthol sein Optimum mit
1 . 400 000, um dann mit Eintritt weiterer Bromatome auf
1 : 200 000 und 1 : 150 000 zu sinken.
Im Gegensatz zu den halbspezifischen Desinfektions¬
mitteln stehen die allgemeinen Desinfizientia, für welche
Kresol typisch zu sein pflegt: ihre Wirkung erreicht keine auf¬
fallende Höhe, aber sie wirken so ziemlich auf jeden Mikro¬
organismus. Noch viel typischer als allgemeines
Desinfiziens und dabei von höherer Wirkung als Kresol
erweist sich das Chlor-ß-Naphthol. Während bei
Kresol der Unterschied in der Empfindlichkeit zwischen Di¬
phtheriebazillen und Paratyphus noch fünfzigfach, ist er bei
Chlornaphthol nur mehr 234 fach.
Um diese Ergebnisse auf eine noch breitere Grundlage
zu stellen, habe ich zwei besonders resistente Bakterien ge¬
wählt, Pyozyaneus und Tuberkelbazillen, und an
1
1930 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 37.
ihnen die beiden Antipoden, Monochlor-^-Naphthol und 1 ri-
brom-^-Naphthol geprüft 4). — Monochlornaphthol
wirkte gegen Pyozyaneus noch in einer Verdünnung
1:2000 entwicklungshemmend5), während Tribrom-
naphthol selbst bei 1 : 1000 keinerlei Wirkung hat. — Eine
Tuberkelbazillenemulsion wurde von 2X> proz. Monochlornaph-
thollösung in der Zeit von > 2X Stunden und < 8 Stunden ab¬
getötet, während eine Tribromnaphthollösung gleicher Kon¬
zentration selbst bei 25 ständiger Einwirkung nicht die ge¬
ringste Verminderung der Virulenz bewirkte.
Prüfen wir von dem hier dargelegten Gesichtspunkte die
Ergebnisse früherer Forscher, so finden wir, dass eigentlich
kein chemisches Desinfektionsmittel als ein allgemein gleich-
mässiges anzusprechen ist, dass allen eine „Zehntel- oder
Hundertstelspezifität“ innewohnt. Aber so markante Unter¬
schiede wie zwischen Monochlornaphthol und Tribromnaph-
thol waren doch bisher, selbst unbewusst, nicht zu ver¬
zeichnen. Monochlornaphthol wirkt fast gleichmässig auf alle
untersuchten Mikroorganismen, auf die empfindlichen Strepto¬
kokken wie' auf die ungemein resistenten Tuberkelbazillen.
Tribromnaphthol hat auf letztere nicht den mindesten Einfluss,
schädigt hingegen die als resistent angesehenen Staphylo¬
kokken selbst noch in einviertelmillionenfacher Verdünnung.
Ja sogar die bisher als resistenteste Keime geltenden Milz¬
brandsporen werden von 1 proz. Tribromnaphthollösung
binnen 2 Stunden bis auf wenige Keime vernichtet6).
Die Halbspezifität des Tribromnaphthols legte es
nahe, weitere Vorversuche behufs event. medizinischer Ver¬
wendung zu machen, zumal auch F. G o e b e 1 ') bei anderer
Prüfungstechnik zu dem Ergebnis gekommen war, dass „Tri-
brom-/LNaphthol“ zweifellos ein vorzügliches Desinfektions¬
mittel ist, das rasch, sicher und regelmässig wirkt, wenn man
es nicht schwächer als in 1 proz. Lösung anwendet. Die unter¬
suchten Erreger tötet es binnen einer Minute zuverlässig ab."
Der Tierversuch zeigte, dass es praktisch ungiftig ist.
— Stabsarzt Lehmann8) und Verfasser nahmen das
Pulver messerspitzenweise ein, ohne irgendwelche Erschei¬
nungen zu konstatieren. — Im Gegensatz zu Naphthol, sämt¬
lichen Chlornaphtholen und dem Mono- sowie Dibromnaphthol
wirkt es nicht hämolytisch.
Dies Verhalten gab sogar ein wichtiges analytisches
Mittel an die Hand, um den event. Gehalt von Tri¬
bromnaphthol an Dibromnaphthol zu bestim-
m e n. Vermittels der hämolytischen Methode ist es möglich,
noch einen Gehalt von 0,5 Proz. Dibromnaphthol zu erkennen
und 1 Proz. deutlich nachzuweisen. — Dieser Nachweis ist
praktisch von Bedeutung, weil Dibromnaphthol die Haut
reizt.
Wichtig ist auch, dass Tribromnaphthol Leukozyten
nicht verändert, dass es die Phagozytose (Versuche an
Staphylokokken) nicht beeinträchtigt, ja dass sogar
bei der Phagozytose einige Tribromnaphtholkriställchen mit-
phagozytiert wurden. Dies beweist, dass Tribromnaphthol in
einer Verwendung bei septischen Wunden etc. die Selbsthilfe
des Organismus durch Phagozytose nicht hindert (im Gegen¬
satz zu den meisten gebräuchlichen Wundantisepticis).
Versuche an Hunden wurden durch die Herren Stabs¬
arzt B e t h k e und Dr. Flamm (Chir. Klinik des städt. Kran¬
kenhauses zu Frankfurt a. M., Direktor Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Reim) ausgeführt. Es wurden am Nacken durch Abschä¬
lung der Epidermis Wunden gesetzt. Diese wurden teils mit
Staphylokokken, teils mit Schmutz aus Stubenkehricht in¬
fiziert. In anderen Fällen wurde vor der Infektion der Muskel
'■) Die ausführlichen Daten nebst darauf bezüglichen Unter¬
suchungen von rein wissenschaftlichem Interesse erscheinen später
in der Zschr. f. Hyg.
5) Es erweist sich somit auch dem Kresol weit überlegen, das bei
1:1000 noch nicht die geringste Entwicklungshemmung von Pyo¬
zyaneus bewirkt.
°) Auf die Ursachen (Theorie) der Halbspezifität werde ich in
einer späteren ausführlichen Publikation zurückkommen und dort auch
auf die interessante Arbeit von Eisenberg eingehen, welcher auf
Grund meiner ersten Veröffentlichung zahlreiche Substanzen (ins¬
besondere Farbstoffe) auf Halbspezifität untersucht hat.
7) Inaug.-Diss. (Ueber Desinfektion mit Sublimat und Tribrom-
/?-Naphthol), München 1913.
8) Beitr. z. klin. Chir. 74. S. 22 3
unter der Epidermis zerfetzt (Quetschwunde). Schliesslich
wurden mit dem Thermokauter Brandwunden zweiten und
dritten Grades erzeugt. Zum Vergleich wurde stets eine
Wunde steril verbunden, die andere mit Tribromnaphthol be¬
handelt. — Zusammenfassend sei gesagt, dass die Tribrom-
naphtholwunden keinerlei Reizerscheinungen zeigten, sich
schneller reinigten und meist weniger sezernierten, als die
steril behandelten Wunden, die meist speckig belegt, spiegelnd
waren, oder ein serös eitriges Exsudat ausschieden. — Be¬
sonders auffallend war die kräftige Anregung der
Granulationsbildun g. Allerdings empfahl es sich, jnit
der Behandlung aufzuhören, sobald die Wunde mit Granu¬
lationen bedeckt war, da die Epithelisierung nicht weiter ge¬
fördert wurde.
Ueber klinische Resultate, insbesondere bei der Wund¬
behandlung, werden im folgenden die Herren Geh. Rat
Prof. Dr. Leser und Dr. Ziegler berichten. Hier sei nur
erwähnt, in welcher Richtung auf Grund klinischer An¬
wendung seitens anderer Aerzte das Tribromnaphthol [Pro-
vidoform ")] Vorzüge vor anderen bisher verwandten Mitteln
besitzt und wo neue therapeutische Möglichkeiten sich zeigen.
Dabei ist zu wiederholen, dass es ein halbspezifisch es
äusseres Desinfiziens ist, dessen Wirkung sich be¬
sonders gegen Kokken, insbesondere Eitererreger, richtet. Von
den Herren Dr. med. Kirchberg, Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Leser, Geh. Sanitätsrat Prof. Dr. med. Neubürge r,
Prof. Dr. med. V o s s10) und Dr. med. August Weber werden
sehr befriedigende Erfolge über die Verwendung der 5 proz.
alkoholischen Lösung gegen Furunkulose berichtet. Be¬
sonders wird betont, dass bei Einpinselung der Umgebung
die so lästigen Rezidive vermieden werden. — Bei der Des¬
infektion des Operationsfeldes dürfte die 5 proz. alkoholische
Lösung von Tribromnaphthol (Providoformtinktur) berufen
sein, die oft reizende und unangenehm färbende Jodtink¬
tur zu ersetzen. — Schliesslich sei noch erwähnt, dass bei
der Desinfektion von Instrumenten und Geräten in der wässe¬
rigen Lösung diese keinerlei Schädigungen erfahren.
Es ist in obigem dargelegt und wird in den folgenden Auf¬
sätzen der Herren Leser und Ziegler weiter gezeigt, dass
wir ein halbspezifisches äusseres Desinfiziens
gefunden haben, das sich durch seine hohe Wirkung, Ungiftig-
und Reizlosigkeit, Geruchlosigkeit und geringen Preis aus¬
zeichnet und berufen ist, auf den verschiedensten Gebieten,
insbesondere aber der Wundbehandlung, bisherige weniger
wirksame Substanzen mit teilweise unangenehmen Neben¬
eigenschaften zu ersetzen.
Chirurgische Erfahrungen mit Providoform.
Von Geh. San.-Rat Prof. Dr. Leser in Frankfurt a. M.
Im Jahre 1912 wurde ich mit dem von Bechhold ge¬
fundenen halbspezifischen Desinfiziens Tribromnaphtol
bekannt, welches jetzt unter dem Namen Providoform
in den Handel kommt* *). Es ist ein schwach gelbliches, geruch-
und geschmackloses Pulver (Providoformstreupulver), das
sich in Alkohol leicht löst (Providoformtinktur) und aus dem
auch ein das Sekret gut aufsaugender und leicht ablösbarer
Mull hergestellt wird. Schliesslich bringt die Providolgesell-
schaft auch eine 2 proz. wässerige Lösung in den Handel,
die sich mit Wasser verdünnt, zum Auswaschen von Wunden,
Ausspülungen, sowie zur Desinfektion von Instrumenten
eignet. Das Präparat, welches mir von Kollegen Bechhold
zur Prüfung gegeben wurde, interessierte mich, da seine Un¬
giftigkeit, Geruchlosigkeit, neben höchster Desinfektions¬
wirkung gegen Eitererreger Eigenschaften in sich vereinigt,
die für die Chirurgie wertvoll werden konnten, wenn es sich
in der Klinik als brauchbar erwies.
fl) Das Tribromnaphthol wird unter dem Namen Provido¬
form von der Providol-Gesellschaft, Berlin NW. 21. Alt-
Moabit 104, in den Handel gebracht. Sie gibt es in Form von Streu¬
pulver, Mull, Tinktur (5 proz. alkoholische Lösung) und in wässriger
Lösung ab.
10) Prof. Dr. Voss bereitet eine Publikation darüber vor.
*) Es wird hergestellt von der Providol-Gesellschaft,
Berlin NW. 21, Alt-Moabit 104.
. September 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
lcli habe deshalb das Providoform in meiner Praxis an¬
wand! und wende es auch jetzt in geeigneten Fällen an.
Aus meinen Protokollen greife ich einige heraus, welche
r besonders typisch erscheinen:
1. E. Flächenhafte Quetschwunde am Ellenbogen und Unterarm
markierende handtellergrosse Druckgangrän der Haut. Die YVimd-
he ist mit schmierigen, missfarbenen Massen belegt. Nachdem
ividoformstreupulver angewendet wird, erfolgt sehr schnell eine
nigung der YYundfläche und es erscheint ein mit roten Granula-
len besetzter Grund.
-■ frauH. Kleinhandtellergrosse unregelmässig zackig be-
nzte W lindfläche über dein Brustkorb nuch uusjöcbi^er Aus-
tzuug und Ausmeisselung von abszedierenden Herden im Sternum
I den Kippenansätzen. Entfernung von eitrigen YVuche-
gen in dem Muskel- und Unterhautzellgewebe. Die Wundfläche
eruiert stark und ist init missfarbenen, gelblich-grünen Eiter-
'sen bedeckt. Nach Anwendung von Providolstreupulver schnelle
nigung der YY'unde. Es erscheint ein frisch geröteter, gereinigter
nd mit spärlichen Granulationen.
d. Herr Bl., Kaufmann. Schmutzig belegtes Narbenulcus am
:ten Unterschenkel, das schon wochenlang seiner Wrnarbung
ersteht. Nachdem 3 mal je 2 I age hintereinander Providoform-
upulver aufgestreut ist, reinigte sich die Geschwürsfläche ver-
iusmassig schnell und schickte sich zur raschen Vernarbung an
4. Fr!. Ei. Operierte alte Osteomyelitisnarbe in */»- Länge des
’ten Unterschenkels, die auf der Knochenfläche fixiert ist. Da sich
l der Exzision der Narbe trotz plastischer Lösung der Ränder die
teren nicht primär schliessen, kommt es zu einer allmählichen De-
enz der Wundränder, kompliziert durch randständige Nekrosen,
.‘ti sich Suppuration anschloss. Einige Providoformumschläge —
mir gesandte Lösung wurde in der 10 fachen Menge Wasser nach
schrift verdünnt — genügten, um nicht nur relativ schnelle Ab-
sung der nekrotisierten Wundränder zu bewirken, sondern vor
r, die Eiterung sehr schnell zu vernichten.
5. Auch bei inzidierten Furunkeln und Panaritien, die sich nur
sam reinigten, wurde ein etwas schnellerer Erfolg bei Anwendung
Providoform beobachtet. Diese letztgenannten Fälle sind natiir-
irweise nicht einzeln erörtert.
Fasse ich mein Urteil zusammen, so halte ich Providoform
ein Präparat, das besonders bei eiternden Wunden,
nutzig-schmierig belegten Geschwiirsflächen, hartnäckig
rnden Stellen der Haut und langsam heilenden Abszessen
günstig wirkt und die Bildung von gesunden Granu-
men kräftig anregt. Sehr zu bedauern ist, dass sich die
ungen kaum länger als 24 Stunden halten, sondern eine
setzung eintritt, die das Präparat unbrauchbar macht. Um
oedauerlicher ist dieses, da sich erfahrungsgemäss bei der-
t eitrigen Defekten feuchte Verbände besonders eignen,
h meiner Ansicht kann es jedoch einer Frage nicht unter¬
en, dass Providoform ein kräftiges, pathogene Mikro-
inismen abtötendes, auch ihre Stoffwechselprodukte un-
dlich machendes Mittel ist, das ich in derartigen Fällen,
oben skizziert, gerne appliziere.
Meine Erfahrungen mit Providoform.
Dr. J. Ziegler, prakt. und Bahnarzt in Kiefersfelden.
Im Jahre 1909 u.ff. stellte mir Herr Prof. Dr. Bechhold-
«kfurt a. M. eine grössere Menge Providoform*) zu
uchen in der ärztlichen Praxis zur Verfügung.
Die Resultate, die damals und in der darauf folgenden
im allgemeinen, namentlich aber bei der Behandlung von
den und deren Folgen erzielt wurden, ermutigten zu einer
edehnteren Erprobung dieses neuen Desinfektionsmittels.
Ri war es nicht uninteressant, bei der Vielgestaltigkeit der
'ichen lätigkeit eines praktischen Arztes auf dem Lande
der wahllosen Aufeinanderfolge der einzelnen Krankheits-
zu beobachten, inwieweit dieses Mittel gewissermassen
1 universellen Anwendung fähig ist.
.s besteht ein gewaltiger Unterschied einerseits zwischen
1 nassnahmen in einer chirurgischen Klinik und andererseits
Tdinationszimmer des praktischen Arztes. Letzterer hat in
•ter Folge jetzt eine gewöhnliche Angina, dann eine
isis pulmonum, dann ein Panaritium, darauf eine gynäko-
che Untersuchung unter den Händen, und es ist klar, dass
) Providoform ist die Handelsbezeichnung für Tribromnaplitol.
ts l von der Providol-Gesellschaft, Berlin NW. 21,
; oabjt 104 als Providoformstreupulver, Providoformmull, 5 proz.
otormtinktur und Providoform (wasserlöslich) in den Handel
1931
bei solchem Betriebe schon aus Mangel an Zeit die strengen
Forderungen der Klinik in bezug auf Antisepsis und Asepsis
oft unausführbar und unerfüllt bleiben müssen. Wenn es
daher gelänge, durch ein einfaches Verfahren diese Mängel
nach Möglichkeit auch in der Sprechstundenpraxis zu be¬
seitigen, so wäre damit für das Handeln des Arztes und seine
zu erwartenden Erfolge viel gewonnen.
Aus der Publikation von Bechhold wissen wir, dass
das 1 ribrom-/?-Naphthol noch in 1 proz. Lösung die Eiter¬
ei reger, Staphylokokken und Streptokokken innerhalb einer
Minute abtötet und in einer Verdünnung von 1:400 000 in
ihrer Entwicklung hemmt. Bechhold hat daraufhin ein
Verfahren ausgebildet (1. c.), das in der Tat geeignet erscheint,
die Haut absolut keimfrei zu machen.
Zur desinfekto rischen Vorbereitung der
Haut des Patienten bei chirurgischen Eingriffen hat die
Grossich sehe Methode mittels Bepinselung der Haut mit
Jodtinktur namentlich bei den praktischen Aerzten weite Ver¬
breitung und Anerkennung gefunden. Die diesem Verfahren
anhaftenden Mängel, wie Bräunung der Haut, die keine Venen
durchscheinen lässt, Reizung der Haut besonders bei Frauen
und Kmdern mit zartem Teint, Entstehung von Jodekzem, die
j r Patienten, Arzt und Assistenz oft lästige Entwicklung von
Joddämpfen etc. können meines Erachtens vollständig ver-
mieden werden, wenn man statt der Jodtinktur alkoholische
Providoformtinktur auf die Haut streicht. Dabei wird, che¬
misch reines Providoform vorausgesetzt, die Haut gar' nicht
gereizt, das Operationsfeld bleibt völlig ungefärbt, die Wäsche
wird durch daneben laufende Providoformlösung nicht be¬
schmutzt, die ganze Prozedur ist geruchlos und belästigt nicht
die Atmungsschleimhäute des Patienten und seiner Umgebung.
Ich habe unter diesem Verfahren stets Heilung per primam
bei reinen Wunden, meist auch bei infizierten Fällen gesehen.
Handelt es sich um stark verunreinigte Wunden,
imi Eiterherde (Abszesse, Furunkeln), so sah ich in einer
überaus grossen Anzahl von Fällen, die sich der bisherigen
Behandlung gegenüber (mit Sublimat, Vioform, Airol u. a.) re¬
fraktär verhalten hatten, bei Anwendung von Providoform oft
eine eklatante Wendung zur Besserung. In solchen Fällen
streue ich Providoformstreupulver in Substanz auf die vorher
möglichst vom Eiter befreiten Wundflächen auf und verbinde
mit steriler Gaze und Watte. Es hat sich dabei gezeigt, dass
im Verlaufe von mehreren Tagen von dem aufgestreuten Pro¬
vidoform nur sehr geringe Mengen von der Wunde aus gelöst
und resorbiert wurden, so dass es praktisch und ausreichend
erscheint, wenn man die Wunde und ihre nächste Umgebung
nur ganz leicht mit Providoformpulver bepudert. Dieses Be-
pudern ist besonders vorteilhaft bei ausgedehnten Brand¬
wunden, wo bei der Ungiftigkeit des Providoform selbst
bei sehr grossen Wundflächen eine Intoxikation
absolut nicht zu befürchten ist. Auch hatte ich
den Eindruck, dass Providoform die Granulation s-
bildung wesentlich anrege und dadurch den Heilungsver¬
lauf beschleunige. Gleiches gilt für die Behandlung der auf
dem Lande so weit verbreiteten Unterschenkel¬
geschwüre, die dem praktischen Arzte ein dankbares
Feld seiner Tätigkeit bieten.
Weniger eindeutige Erfolge hatte ich bei der Behandlung
unterleibskranker Frauen, wo ich in der sogen, kleinen
Gynäkologie (Fluor, Erosion der Portio, Endometritiden)
mit dem Providofonn vor anderen gebräuchlichen Mitteln
keinen in die Augen fallenden Vorsprung konstatieren konnte.
Dagegen war ich mit der Wirkung des Providoform aus¬
gezeichnet zufrieden bei vielen Fällen von Stomatitis,
Rhinitis, Angina, selbst Diphtherie, in welchen Fällen ich eine
1 proz. alkoholisch-wässerige Providoformlösung mittels eines
feinen Zerstäubers applizierte. Das durch den Alkohol er¬
zeugte Brennen auf den Schleimhäuten war nur von kurzer
Dauer und wurde selbst von Kindern ertragen. Hier möchte
ich bemerken, dass es mir für solche Fälle sehr wünschens¬
wert erschien, eine rein wässerige Providoformlösung zu be¬
sitzen (gewöhnliches Providoform ist in Wasser praktisch un¬
löslich). Herr Prof. Dr. Bechhold übersendete mir auf An¬
frage eine von ihm zu diesem Zwecke hergestellte 10 proz.
wässerige Lösung. Diese Lösung muss für den jeweiligen
1*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Gebrauch immer frisch bereitet werden. Ist dies schon ein
Nachteil, so hat sich ausserdem herausgestellt, dass selbst eine
1 proz. wässerige Lösung sowohl die Schleimhäute wie auch
Wunden stark reizt.
Wahrhafte Triumphe feiert das Providoform bei der Be¬
handlung von Eiterungen aus dem äusseren Gehör-
g a n g, ja selbst bei Mittelohreiterungen. Genügt es,
bei Eiterungen im äusseren Gehörgang nach dessen sorg¬
fältiger Reinigung eine lnsufflation mit feinstem Providoform-
streupulver (ähnlich wie mit Borsäure) zu machen, so sah ich
bei Mittelohreiterung nach spontaner Perforation oder Para¬
zenthese des Trommelfells eine in die Augen springende Ab¬
kürzung der Eiterungsdauer bei folgendem Verfahren: Sterile
Verbandgaze wird in ca. 1 cm breite und 10 cm lange Streifen
geschnitten und in 10 proz. rein alkoholische Providoform-
lösung, der eine geringe Menge Giycerinum puriss. beigefügt
war, getaucht und trocknen lassen. Der geringe Glyzerin¬
zusatz erhält die Providoformgaze nach dem Trocknen leicht
hygroskopisch und bewirkt, dass das Providoform in feinster
Verteilung besser an der Gaze haften bleibt. Man reinigt nun
das erkrankte Ohr, soweit möglich, mit sterilen Wattetupfern,
füllt den äusseren Gehörgang mit 3 proz. Wasserstoffsuper¬
oxydlösung an, wartet bis keine Gasbläschen mehr durch Ab¬
spaltung von Sauerstoff sich entwickeln, lässt die Lösung aus-
laufen, tupft den Gehörgang mit steriler Watte trocken und
stopft ihn lose mit einem Streifen Providoformmull aus, indem
man sich bemüht, damit möglichst nahe an das Trommelfell
heranzukommen. Ueber das Ohr kommt dann noch ein
Schutzverband aus Watte. Es ist erstaunlich, wie rasch bei
diesem Verfahren der übelriechende Ausfluss sich vermindert
und bald ganz sistiert.
Fasse ich meine Erfahrungen mit Providoform (Bech-
h o 1 d) zusammen, so möchte ich folgendes sagen:
1. Das Gro ss ich sehe Verfahren der Hautdesinfektion
mittels Jodtinkturanstrich vor operativen Eingriffen lässt sich
zweckmässig durch eine 5 proz. Providoformtinktur ersetzen,
wobei die unangenehmen Nebeneigenschaften des Jodes voll¬
ständig vermieden werden.
2. Providoformtinktur sowohl wie auch Providoformstreu-
pulver zeigt sich vielfach bei allen jenen Erkrankungen, die
auf septische Prozesse zurückzuführen sind (Staphylokokken,
Streptokokken) als wirkungsvoller, wie die bisher ange¬
wandten Wundlösungen und Wundstreupulver. Insbesondere
werden Ohreiterungen überaus günstig beeinflusst.
3. Providoform übt, wenn chemisch rein, in Substanz
keinerlei Aetzwirkung auf Wunden aus, es wirkt granulations¬
fördernd und desodorisierend, ist geschmack- und geruchlos
und als ungiftig für den Organismus anzusehen.
Aus der Prosektur der Landeskrankenanstalten in Salzburg.
Ueber den Nachweis der Wirkung spezifischer Abwehr¬
fermente im histologischen Schnitt.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Prosektor Dr. Humbert Rollet t.
Abderhalden studiert die Wirkung seiner Abwehr¬
fermente am Reaktionsgemisch, indem er das Auftreten von
Eiweissabbauprodukten in demselben feststellt. Meine Frage¬
stellung, die sich auf die Abderhalden sehen Fest¬
stellungen gründet, war die: „Lässt sich vielleicht auch durch
die mikroskopische Untersuchung des verwendeten Substrates
einerseits ohne Einwirkung von spezifischem Serum und
andererseits nach der Einwirkung von solchem Serum fest¬
stellen, dass hier eine Einwirkung von Fermenten statt¬
gefunden hat?
Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt. Ich
liess Serum von Schwangeren auf kleine gekochte Plazenta¬
stückchen durch 16 bis 24 Stunden einwirken. Ebensolche
Stücke wurden in der gleichen Weise in Sera von nicht
Schwangeren, bzw. Tiersera gelegt. Die Stückchen wurden
hierauf in Paraffin eingebettet, geschnitten und gefärbt. Es
zeigte sich nun, dass die aus mit Schwangerenserum be¬
brüteten Stückchen stammenden Schnitte von den Kontroll-
schnitten deutlich zu unterscheiden waren. Die Verände¬
rungen bestanden hauptsächlich in einem stellenweist
Schwund der Kerne, bzw. der Kernfärbbarkeit im Zotte
ektoderm und im Synzytium sowie in den Proliferationsinsel
also im spezifischen Gewebe der Plazenta. Dass die Plazent
Stückchen für meine Zwecke weder entblutet werden musst
noch gepresst werden durften, um ihre Struktur nicht zu se
zu verändern, sei nur nebenbei erwähnt. Versuche mit
verschiedenen Härtungsflüssigkeiten gehärteten Stückchen i
gaben bisher noch keine einwandfreien Resultate. Der Ve
such, Serum auf Paraffinschnitte von Plazenta einwirken
lassen ergab keinen Unterschied zwischen dem Serum Gr
vider und nicht Gravider. Offenbar greifen die Fermente
solchen mit so verschiedenen Reagentien bereits behandelt
Substraten nicht mehr an. Auch analoge Versuche mit Kret
serum und Krebsgewebe führten bisher nicht zu einwandfrei
Resultaten.
Ob die Methode als diagnostische Reaktion wird ang
wendet werden können, weiss ich nicht anzugeben. Der Ui
stand, dass die Methode neue Wege für eine Kombinat!
serologischer und histologischer Arbeitsmethoden zu eröffn
scheint, sowie der, dass es mir aus äusseren Gründen je
nicht möglich ist, die Arbeit zu Ende zu führen, veranlass
mich, trotzdem die Zahl meiner Versuche noch klein ist,
dieser vorläufigen Mitteilung. Die ausführliche Publikati
soll später erfolgen.
Aus der Kgl. Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf bei Dresd
(Direktor: Obermedizinalrat Dr. Schulze).
Ueber den Nachweis spezifischer peptolytischer Fermer
im Harn.
Von Dr. med. Wilhelm Sagel, Anstaltsarzt.
II.
Die weiteren Untersuchungen, die ich nach der in meir
ersten Mitteilung (M.m.W. 1914 Nr. 24, S. 1331) veröffentlich!
Methode angestellt habe, scheinen das Vorkommen spezifiscl
peptolytischer Fermente im Harn zu bestätigen.
Bei der Schwierigkeit, die zur Peptonbereitung erford
liehen grossen Mengen von Organen nur durch Sektionen
erhalten, habe ich mit gutem Erfolge auch Tierorgane ;
Gewinnung der Substrate benutzt.
Ich habe die Methode, um ihre Tauglichkeit zu prüf
nur bei diagnostisch klaren Fällen angewendet, und habe da
eindeutige Resultate erzielt.
Ich benutzte in der Hauptsache Gemische von Abend- u
Morgenurin, möglichst in der Menge von etwa 500 ccm.
auf rund 15 ccm im Vakuum bei 40 — 45 11 C eingeengt wurd
Sauer reagierender Harn wurde durch tropfenweisen Zus
von NaOH schwach alkalisch gemacht. Beim Vermiscl
des Urins mit den Zusätzen muss man Schaumbildung i
Schütteln vermeiden, da offenbar dadurch eine „Inaktivierur
der Fermentlösung stattfindet.
Bei jedem Versuche wurden ausser der eigentlic!
Reaktion: Urin 1,4 T Peptonlösung 1,0, noch als Konto
proben angesetzt: Urin 1,4 + physiol. Kochsalzlösung 1,0 i
physiol. Kochsalzlösung 1,4 + Peptonlösung 1,0, um fest
stellen, dass nicht Urin oder Peptonlösung allein schon
Tendenz zur Veränderung der ursprünglichen Drehung böt
und ferner hin und wieder noch: Urin 1,4 + „fremdes" S
trat 1,0, d. h. ein Pepton, dessen Abbau durch das im H;
enthaltene Ferment theoretisch ausgeschlossen war,
Plazentapepton beim Manne, oder Hodenpepton beim Mei
Ich bezeichne den Ausfall des Versuches als positiv, wi
die eigentliche Reaktion innerhalb von längstens 48 Stunt
eine Drehungsdifferenz von mindestens Vioo Grad aufweist, t
die Kontrollen dabei ihre Anfangsdrehung und Klarheit
behalten haben. Besonders die Proben Urin + physiol. Ko
Salzlösung neigten wiederholt zu Trübungen.
Es seien einige Beispiele angeführt:
Bei einem Fräulein, das an schwerer Lungenschwindsucht
einer geringen sekundären Demenz litt, baute der Harn Schwei
lungenpepton aber nicht Menschenhirnpepton ab. -
Der Urin eines weit niedergeführten aber lungengesunden
lytikers zeigte, mit denselben Peptonen zusammengebracht, um
September 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
t eine deutliche DrehungsänderunK des Menschenhirnpeptons
keine des Schweinslungenpeptons. (Siche Kurven.)
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er Harn einer im 7. Monate der Schwangerschaft stehenden
bewirkte mit Plazentapepton vom Rinde z-usammengebracht
»rehungsänderung von 7Ao» Grad, der einer Wöchnerin am
;e nach der Geburt von 4/ioo Grad, während der einer nicht-
1 ngeren Frau sich indifferent verhielt. Leichenurin von einem
i dessen Sektion unter anderem Encephalitis hämorrhagica,
' :ulosis pulmonum und Haemorrhagia pancreatis aufdeckte, be-
einen Abbau von Schweinsaortenpepton, Schweinslungen-
und Rinderpankreaspepton um je 6 100 Grad und Hess Rinder¬
itapepton unverändert. Die sich in der Encephalitis haemor-
T und Pankreasblutung ausdrückende Gefässschädigung lässt
bbau des Aortenpeptons trotz des Fehlens sinnfälliger Ver-
ngen in der Aorta erklärlich erscheinen. Auch der Urin eines
: tapoplektischer Demenz leidenden Mannes enthielt Fermente
Aortenpepton, während solche im Harn einer gesunden Frau
cht nachweisen Hessen.
-r Urin eines Paralytikers und eines Dementia-praecox-
n bauten Stierhodenpepton ab, während bei einem tief nieder¬
en Katatoniker dieser Abbau nicht beobachtet wurde.
h habe im ganzen bisher etwa 20 Fälle mit den ver-
tensten Peptonen untersucht. Ich bin mir bewusst, dass
; Zahl zur Entscheidung einer so wichtigen Frage, wie
nach dem Vorhandensein „spezifischer peptolytischer
mte im Harn“ ist, eine Frage, die auf nichts weniger als
Lösung des Problems einer fast allgemeinen Diagnostik
m Harn, zielt, bei weitem nicht genügt. Ich veröffent-
ber die Resultate, um zu ihrer Nachprüfung anzuregen,
• in der nächsten Zeit an der Weiterarbeit verhindert bin.
is der II. med. Klinik der Universität München
(Prof. v. Müller).
lagnostische Versuche mit Luetin-Noguchi,
Von Max C 1 a u s z.
I rr Professor N o g u c h i - New York hat in liebens-
- er Weise der II. med. Klinik neuerdings sein für dia-
' ehe Intrakutanreaktionen hergestelltes Spirochäten-
1 „Luetin ‘ zur Verfügung gestellt. Trotz des allmäh-
1 Anschwellens der Literatur sind die Erfahrungen mit
neuen Hilfsmittel der Syphilisdiagnose noch nicht so
dass sich nicht die Veröffentlichung neuer Unter-
^sreihen verlohnen würde1)- Gerne folgte ich daher
der Anregung des Herrn Privatdozenten Dr. K ä m m e r e r,
an geeigneten Fällen der II. medizinischen und der dermato¬
logischen Klinik (Prof. P o s s e 1 1) diagnostische Versuche mit
Luetin anzustellen. An dieser Stelle möchte ich nicht ver¬
säumen, den Herren Assistenzärzten meinen verbindlichsten
Dank für die freundliche Zuweisung des Krankenmaterials
auszusprechen.
Von den ersten Untersuchungen seien nur kurz folgende
erwähnt:
191 1 erfolgte die Mitteilung Noguchis über die Spezi-
itat semei neuen Intrakutanreaktion für Syphilis und deren
praktische Verwertbarkeit. Er erhielt bei hereditärer Syphilis
!n 1 qZ" bei tertiärer in 100 Proz., bei spätlatenter Lues
in )4 Proz., bei I abes und Paralyse in 60 Proz. positive
Luetinreaktion.
Die Untersuchungen von Nobl und Fluss- Wien aus
dem Jahr 1912 sollten nur Vorversuche darstellen und er-
streckten sich unter 100 Fällen hauptsächlich auf primäre und
sekundäre Syphilis ohne sicher nichtluetische Kontrollfälle; sie
vermögen daher ein Urteil über den spezifischen Wert des
Luetins nicht abzugeben.
Die in Amerika an 44 Fällen ausgeführten Versuche
Grad wohls aus dem gleichen Jahr ergaben positive Reak¬
tion bei tertiärer und bei spezifisch behandelter sekundärer
Lues in 100 Proz., wechselnde Reaktion bei unbehandelter
sekundärer und bei latenter Syphilis; negativ fiel bei ihm die
Luetinreaktion immer bei primärer Lues und bei Metalues aus.
, Die ersten in Deutschland an vorwiegend innerem Material'
(108 Falle) vorgenommenen Untersuchungen stammen von
Kämmerer; sie ergaben die völlige Ungefährlichkeit des
Luetins für den Patienten, die Spezifität für Syphilis, die
Häufigkeit negativer Reaktion bei sicheren Luesfällen gleich
welchen Stadiums, die Notwendigkeit einer 14 tägigen Be-
obachtungsdauer, die Tatsache, dass bei starker Reaktion der
JxT^r^i°nSS^e^e ^es Luetins auch die der Kontrollflüssigkeit
(Nährbodensubstanz ohne Spirochäten) oft in erheblicher
Starke mitreagiert. „Vielleicht, schliesst der Verfasser, ist die
Reaktion berufen, als brauchbare Ergänzung des Komplement¬
bindungsverfahrens und — einwandfreie fabrikmässige Her¬
stellung und Konservierung vorausgesetzt — auch dem
praktischen Arzt als wertvolles diagnostisches Hilfsmittel
zu dienen.“
In der Folgezeit erschien nun eine wahre Hochflut von
Arbeiten über die Luetinreaktion, deren Spezifität nur von
einer ganz verschwindenden Minderheit bestritten wurde. Da
inzwischen eine Arbeit aus der III. med. Klinik in Bukarest
von Nanu-Muscel, Alexandres cu-Dersca und
F r i e d m a n n in Nr. 23 der gleichen Wochenschrift erschien,
welche die Ergebnisse der meisten bisher erschienenen Ar¬
beiten zusammenstellt, kann ich mich hier mit einem Hinweis
darauf begnügen.
Wenn ich nun auf meine eigenen Versuche eingehe, so
möchte ich vorausschicken, dass ich von der gleichzeitigen
intrakutanen Injektion der Kontrollflüssigkeit am anderen Arm
des Kranken absah, da diese Frage wohl als erledigt gelten
darf; das Luetin wurde unverdünnt in einer Menge von
0,07 ccm, wo nicht ausdrücklich anders bemerkt, intrakutan
injiziert. Im übrigen hielt ich mich an die Angaben Noguchis
und benutzte bei der Aufzeichnung der Resultate die von
K ä tnmerer angegebenen Buchstabenzeichen.
Untersucht wurden im ganzen 111 Fälle; diese setzten
sich zusammen aus 71 Luetikern, 10 Syphilisverdächtigen und
30 Nichtluetikern. Diese „Kontrollfälle“ waren Kranke mit:
Gastroptose, Gastritis hyperacida bzw. anacida, Atonia ven-
triculi, Achylie, Ulcus ventriculi, Leberzirrhose, Kolitis,
Diabetes mellitus, Lumbago, multiple Sklerose, spinale Muskel¬
atrophie, apoplektische Beschwerden, Myelitis transversa,
Paralysis agitans, vasomotorische Neurose, Neuritis, Hysterie,
Carcinoma recti, Bronchitis, Pleuritis, Tuberkulose, Arthritis
rheumatica, Ikterus, Lupus, Erythema multifornie und
Gonorrhöe.
Eine Gefährdung des Patienten irgendwelcher Art trat
in keinem einzigen Falle auf: niemals wurde eine Temperatur-
') Eine ausführlichere Arbeit sei einer demnächst erscheinenden
Dissertation Vorbehalten.
1934
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 37
Steigerung von mehr als 0,3° (auch nicht bei höheren Dosen
von 0,15 ccm, die in 5 Fällen injiziert wurden) beobachtet; da¬
gegen wurde in 6 Fällen (Dosis 0,07) über leichte Kopf¬
schmerzen tags darauf geklagt, die sich am folgenden lag
wieder verloren. In einem sehr stark positiv reagierenden
Fall (intensive Rötung, starke Infiltration und Grosspustel¬
bildung) bei Dosis 0,15 ccm (cf. Nr. 26) kam es bei einer auch
sonst sehr empfindlichen Patientin zu einer ziemlich schmerz¬
haften Schwellung der regionären Lymphdriisen, die 3 Tage
anhielt, ohne mit Temperatursteigerung einherzugehen. Da
Patientin bestritt, die Insertionsstelle irritiert zu haben, Kon-
trollfälle des gleichen Tages in gleicher Dosis aber negativ
blieben, muss wohl auch an die Möglichkeit einer allergischen
Reaktion gedacht werden. Komplikationen anderer Art traten
nie auf.
Vo
positiv
negativ
n 8 Fällen primärer Syphilis reagierten:
mit Luetin 5 = 62,5 Proz., mit der Wassermann-
schen Reaktion
„ 3 = 37,5 „ mit der Wassermann-
schen Reaktion
(Wassermann fehlt bei 2 = 25 Proz.)
4 = 50 Proz.
2 = 25 „
positiv
negativ
mit
positiv
negativ
positiv
negativ
Von 14 Fällen sekundärer Lues:
Luetin 8 = 57 Proz., mit Wassermann 11 = 78,6 Proz.
„ 6 = 43 „ „ „ 1=7 „
(Wassermann fehlt bei 2= 14,4 Proz.)
Von 15 Fällen tertiärer Lues:
Luetin 5 = 33 Proz., mit Wassermann 1 1 = 73,3 Proz.
„ „ 10 = 67 „ „ „ 4 = 26,7 „
Von 9 Fällen latenter Lues:
mit Luetin 5 = 55,6 Proz.*), mit Wassermann 8 = 88,8 Proz.*)
” > ^ ~ »>)>>* ” . . , **s
„ „ fraglich r*)
mit
Von 22 Fällen sog. Metalues:
positiv mit Luetin 16 = 72,7 Proz., mit Wassermann 18 = 81,8 Proz.
negativ „ „ 6 = 27,3 „ „ „ 4=18,2 „
V o n 3 Fällen kongenitaler Syphilis:
positiv mit Luetin 2 = 66,7 Proz., mit Wassermann 3 = 100 Proz.
negativ „ „ 1 = 33,3 „ „ „
Von 10 Fällen mit Verdacht auf Lues:
positiv mit Luetin 5, mit Wassermann 3, (später 4)
negativ „ „ 5, „ „ 6, (später 5)
Von 30 Kontrollfällen:
posit. mit Luetin — mit Wassermann 1 = 3,3 Proz., fragl. 4,
negat. „ „ 30= 100Proz., Wassermann wurde nicht bei allen
Kontrollfällen angesetzt, obige 5 (frag¬
lich bzw. pos.) waren späterhin negativ.
Vor Ablauf von 14 Tagen entzogen sich der Beobachtung 12 Pa¬
tienten: 1 Sekundärluetiker, 4 Tertiärluetiker, 1 Spätlatenz, 4 Meta¬
lues, 2 Luesverdächtige. Sie werden bei obiger Tabelle mitauf-
gefiihrt.
Da verschiedene Autoren über den Einfluss der spezifisch¬
antiluetischen Behandlung auf die Luetinreaktion berichten,
möge hier noch eine Trennung der Fälle in unbehandelte und
behandelte mit Angabe des Ausfalles der Noguchi-Reaktion
Platz finden, wobei bemerkt sei, dass die 1 herapie zumeist
erst vor wenigen Wochen einsetzte. Da der Zeitpunkt, wo
die Wasser m a n n sehe Reaktion vorgenommen wurde,
nicht mit dem der Luetinreaktion zusammenfiel, in einigen
wenigen Fällen auch die antisyphilitische Behandlung ersi in
dieser Zwischenzeit einsetzte, konnten in der folgenden Auf¬
stellung die beiden Reaktionen nicht einander gegenüber¬
gestellt werden.
Primärstadium: 8 Fälle.
Unbehandelt waren 7, hievon reag. positiv 4, negativ 3
1 Salvarsan-Patient „ „ L „ —
Sekundärstadium: 14 Fälle.
Unbehandelt waren 4, hievon reag. positiv 2, negativ 2
von 9 Salvarsan-Patienten „ „ 6, „ 3
1 Hg-Patient „ .. — , „ 1
Tertiärstadium: 15 Fälle.
Unbehandelt waren 5, hievon reag. positiv 3, negativ
von 9 Salvarsan-Patienten „ „ 2, „
1 Jk-Patient „ „ 1 (stark), „
2
7
Lues Iatens: 9 Fälle.
Unbehandelt waren 3, hievon reag. positiv 1,
von 2 Salvarsan-Patienten
von 3 Hg-Patienten
1 Jk-Patient
2.
L
1 (stark),
negativ 2
>1
„ 2
Fäll e.
positiv 5,
3 (stark'
6 (stark),
ä 1 1 e.
1,
1,
1 (stark),
negativ 1
negativ
Metalues: 22
Unbehandelt waren 6, hievon reag.
von 8 Salvarsan-Patienten „
von 6 Hg-Patienten „
Lues hereditaria: 3 F
Unbehandelt war 1, hievon reagierte positiv
1 Salvarsan-Patient „
I Jk- u. Kontraluesin-Pat. „ »
Luesverdächtige: 10 Fälle.
Unbehandelt waren 8, hievon reag. positiv 5, negativ 3
1 Salvarsan-Patient „ „ — , »
1 Hg-Patient „ — » » 1
Insgesamt reagierten also von:
34 unbehandelten Luetikern (inkl. Lu-suspekte)
positiv 21 =61,8 Proz., neg 13 = 28,2 Pm
31 Salvarsan-Patienten „ 14 = 45,2 , » 17 = 54,8
II Hg-Patienten , 7 = 63,6 „ „ 4 = 36,4
4 JK- n , 4 =100 Proz.
Nach dieser Aufstellung möchte man beinahe den Eindruc
gewinnen, dass das Salvarsan doch imstande sei, einen gt
wissen Einfluss auf die Allergie der Haut auszuüben im Sir
eines negativen Ausfalles der Luetinreaktion; wobei bemer;
sei, dass das Verhältnis der negativen Reaktion zur positive
bei Fällen, wo die Salvarsantherapie mindestens ein halbe
Jahr zurücklag, 8 : 2 war, während bei Salvarsanbehandlur
in den letzten 6 Monäten sich ein Verhältnis 10 : 11 ergibt.
Einige Fälle, die vielleicht besonderes Interesse ve
dienen, möchte ich noch kurz anführen:
Nr. 12: Bei einem 54jährigen Patienten mit offenkundiger Hel
scher spinaler Querschnittsaffektion war die wiederholt vorg
nommenc Wa s s e r m a n n sehe Reaktion im Blute ändauert
negativ, im Liquor immer fraglich, das Lumbalpunktat ergab 8 Zelle
Die Luetinreaktion fiel mit Quaddel- und Pustelbildung sofort posit
aus trotz energischer JK - und Hg-Behandlung in den letzten Monate
die wenig Besserung brachte.
Nr. 13: Bei Arthritis urica und Adipositas eines 43 jährigen r
tienten war die Seroreaktion stark positiv, die Luetinreaktion sclii
anfangs negativ; erst nach 7 Tagen entstand auf eine Harnsäur
injektion hin eine Pustel und tiefe Nekrose; eine zweite nach di
weiteren Wochen angestellte Luetinreaktion fiel sofort stark posit
aus; die 11 Tage später nochmals angesetzte Wassermannsc
Reaktion war negativ: in der Zwischenzeit erhielt der Patient zw
*) Darunter 3 mit Sekundärlatenz.
**) Darunter 1 mit Sekundärlatenz.
Neosalvarsaninjektionen!
Nr. 26: Bei einer 24 jährigen Patientin mit Milztumor (zunact
fraglicher Genese) und Phlebitis fiel das Komplementbindungsvt
fahren negativ aus. Da wegen eines Abortps im 3. Monat und r w
Partus immaturi im 7. und 8. Monat Verdacht auf Lues bestar
wurde Luetin injiziert: nach 3 Tagen sehr starke Reaktion fl
regionärer Driisenschwellung (cf. oben unter Gefährdung): darauf)
wurde nach provokatorischer intramuskulärer Neosalvarsanmjekti
(0.3) noch zweimal die Wassermann sehe Reaktion angesetzt, i
aber beide Male wieder negativ ausfiel. Auf Bestrahlung der M
und 0.45 Neosaivarsan ging der Milztumor etwas zurück; man nal
hier später aleukämische Leukämie an.
Nr 27: Bei einer 56 jährigen Patientin mit sicherer Lues cerel
liess die zweimalige Wassermann sehe Reaktion im Stich. (
Luetinreaktion fiel sofort stark positiv aus.
Nr. 45: Bei einer 38 jährigen Patientin mit Meningitis basa
luetica war Wassermann im Blute dreimal negativ; die nach positiv
Luetinreaktion vorgenommene Seroreaktion des Liquor cerebi
spitialis fiel stark positiv aus.
Nr. 60: Bei einer 31 jährigen Patientin mit Icterus catarrlia
war die Wassermann sehe Reaktion im Blut stark positi' . <
Luetinreaktion negativ. Fin 6 Wochen später angesetztes Komp
mentbindungsverfahren ergab negatives Resultat (ohne dass irger
welche antiluetische Behandlung voransgegangen wäre).
Nr. 100: Bei einem anderen Fall von Icterus catarrhalis w
Wassermann zunächst fraglich ausgefallen bei negativer Lut
rcaktion, später negativ..
Nr. 101: Bei einer 57 jährigen Patientin (Adipositas, vor 3 Jam
rasch gebesserte Apoplexie (mit Aphasie) bestand Verdacht aut -
philis. Die Luetinreaktion war stark positiv bei negativer , e!
reaktion. . 7 ....
Nr. 68: Bei einem 47 jährigen Patienten mit typischen z.e.*)
progressiver Paralyse war Wassermann zweimal negativ. Lue
stark positiv; das Lumbalpunktat ergab 20 Zellen im Kubikmilhme
Nr. 94: Bei einem 56 jährigen Patienten mit Rektumkarzmi
hatte man Verdacht auf syphilitische Ulzerationen trotz nega |V
Wassermanns. Die Luetinreaktion fiel ebenfalls negativ aus und 1
klinische Verlauf bestätigte die obige Diagnose.
15. September 1914.
MUFNCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1935
ei"er 44 jähriKcii Patientin mit typischer Tabes dor-
salis fitl Wassermann negativ aus, die Luetinreaktion sehr stark
positiv.
Sog torpid eFäile waren (ausser Nr. 13):
r. 14. Bei 57 jälir. Pat. mit Aortitis luetica und Taboparalyse
^lc -coreaktion stark positiv; die Luetinreaktion ergab nacli
9 lagen starke Infiltration, starke Pustelbildung und intensive Rötung
an der oberen, starke Nekrosen an der unteren Insertionsstelle.
Nr. 31: Bei 42jahr. I at mit Tabes dorsalis entwickelte sich bei
starker W a ss e r m a n n scher Reaktion erst am 10. Tage an beiden
bi klu ng n SS 1 C e n stai"ke Infiltration mit Rötung und Grosspustel-
r> •* i' a"i' e‘nem 34jähr. Patienten mit Condylomata lata ad
genitale. Alopecia specifica und Sclerodermia universalis entstanden
bei stark positivem Wassermann erst am zehnten Tag an der oberen,
am !3. Tag auch an der unieren Injektionsstelle kleine Pusteln, die
ui den folgenden lagen sich zu grossen Pusteln mit starker Rötung
und Infiltration entwickelten.
Nr. 72: Bei einem 23jährigen Patienten mit Primäraffekt
schossen erst nach 9 Tagen kleine Pusteln auf, die ohne sich wesent¬
lich zu vergrossern, 6 bzw. 8 Tage anhielten.
Nr. 80: Bei einem 18jährigen Patienten mit Cephalalgie und Ulcus
mixtum hcss das Komplementbindungsvcrfahren zweimal im Stiche,
die Luetinreaktion zeigte erst nach 16 Tagen (ohne wahrnehmbaren
ausseren Anlass) deutliche kleine Pusteln, die nach 4 bzw 6 Tagen
eintrockneten: inzwischen war eine Schmierkur (Ungt. ein) einge-
leitet worden (die Insertionsstelle wurde natürlich geschont) die
spatere Seroreaktion war deutlich positiv.
Nr. 97: Bei 47 jälir. Patienten mit Tabes dorsalis fiel bei posi-
tivem Wassermann die Luetinreaktion erst am 9. Tage positiv aus,
es bildeten sich Pusteln von mittlerer Grösse, die 7 bzw 9 Tage
weiterbestanden.
Z u.s a m m e n f a s s u n g:
Aus diesen Ergebnissen dürfte ohne weiteres hervorgehen,
dass Noguchis Intrakutanreaktion als ein recht brauch¬
bares Hilfsmittel zur Syphilisdiagnose anzusehen ist, indem
positiver Ausfall beweisend ist, während negativer, wie bei
allen biologischen Methoden, nicht unbedingt gegen eine
luetische Infektion spricht. An ihrer Spezifität ist nach der
Bestätigung so zahlreicher Autoren nicht mehr zu zweifeln,
allerdings erfordert die Beurteilung einzelner Reaktionen
einige Uebung. Besonders wertvoll ist der Umstand, dass die
Luetinreaktion nicht selten gerade da charakteristische Reak¬
tionen gibt, wo uns das Komplementverfahren im Stiche lässt,
dass sie also dieses in willkommener Weise zu ergänzen im¬
stande ist. Wie der Verlauf der torpiden Fälle zeigt, ist stets
eine über 2 Wochen währende Beobachtungsdauer nötig.
Ueber den Einfluss der antiluetischen Behandlung, speziell des
Salvarsans, auf den Ausfall der Luetinreaktion lässt sich bei
den verschiedenen Ergebnissen der einzelnen Autoren heute
ein abschliessendes Urteil noch nicht abgeben. Weitere
Untersuchungen gerade in dieser Richtung sind sicherlich zu
begrüssen. Es wäre zu wünschen, dass die chemischen
Fabriken die Einführung des Luetins in weitere ärztliche Kreise
ermöglichten.
Aus der k. k. Universitäts-Kinderklinik (Vorstand: Professor
C. Freiherr v. Pirquet).
Beitrag zur Methodik der Diphtherieprophylaxe*).
i Von Dr. Karl Kassowitz.
Im folgenden möchte ich in aller Kürze über Erfahrungen
berichten, welche ich anlässlich einer Diphtherieepidemie in
einem Wiener Jugendfürsorgeverein, dem Verein Settle¬
ment in Ottakring, dessen ärztliche Ueberwachung ich über¬
nommen habe, zu machen Gelegenheit hatte. Es boten sich
mir hiebei weniger in epidemiologischer Hinsicht neuartige
Befunde, ich konnte aber zum ersten Male bei den Mass¬
nahmen zur Verhinderung weiterer Erkrankungen eine Me¬
thode praktisch erproben, welche wir bisher nur an der Klinik
in seltenen Fällen von eingeschleppten Diphtherieerkrankungen
in Anwendung gebracht haben. Es ist dies die kom¬
binierte b £ k Le r i o 1 o g i s c h - s c r o 1 o g i's c h e Prü¬
fung sä nft lieber Individuen mit nachfolgen¬
der fakultativer Isolierung und fakultativer
Ser um Prophylaxe.
■ Die Forderung nach einer gewissenhaften bakteriologi¬
schen Durchuntersuchung aller Personen, welche sich längere
*1 Nach einem in der Gesellschaft für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde iii Wien am 25. VI. gehaltenen Vortrag.
Zeit in der Umgebung von Diphtheriekranken aufgehalten
haben, ist allgemein anerkannt (S o b e r n h e i in, S e e 1 i g -
|!lan.n); Tr°tzdem begnügen sich noch immer manche
■ anitatsbehörden bei Schulepidemien mit der einfachen zwei-
wochenthchen Klassensperre mit nachfolgender Desinfektion,
emer Massregel, die trotz ihrer scheinbaren Rigorosität in
\ ielen Fällen nicht zum Ziel führen kann, da die unbekannt
.v.euienenen Infektionsträger auch noch nach zwei weiteren
Wochen die Quelle neuer Erkrankungen bilden können. D i e
Eliminierung der Bazillenträger wird immer
das oberste Prinzip jeder ernstlichen Diph-
t h e r i e p r o p h y 1 a x e b 1 e i b e n. Es ist selbstverständlich,
dass selbst der Ersatz der generellen bakteriologischen Unter-
suchung durch wahllose prophylaktische Serumbehandlung
sämtlicher gefährlicher Personen auf die Dauer nicht an¬
nähernd^ denselben Schutz vor weiteren Erkrankungen ge¬
wahrt. Trotzdem wird diese unrationelle und kostspielige Me¬
thode noch gelegentlich bei Epidemien im Heer oder in ge¬
schlossenen Anstalten angewendet (Otto). Während man
aber die Serumbehandlung einer diphtherieverdächtigen Er-
l t." Un^ n*c^ von dem Ausfall der bakteriologischen Prüfung
abhängig zu machen pflegt, sollte man die Indikation für die
Sei umpi ophylaxe nur nach dem erfolgten Nachweis von Diph-
thenebazillen auf den Schleimhäuten des fraglichen Individuums
stellen. Die Falle, wo ein nach wiederholter Untersuchung
als bazillenfrei erwiesenes Kind nach Entfernung der Infek¬
tionsträger dennoch erkrankt, dürften zu den allergrössten
Seltenheiten gehören.
Auf Grund der Arbeiten von Schick und seinen Mit-
ui weitern über die intrakutane Diphtheriereaktion als Ausdruck
des Schutzkörpergehaltes eines Individuums kann man aber
das Anwendungsgebiet der prophylaktischen Immunisierung
noch weiter beschränken. Eine als Bazillenträger erkannte
Person ist im allgemeinen als gefährdet anzusehen, denn eine
wiederholt auch von uns gemachte Erfahrung, _ z. B. bei
Schwestern der Diphtheriestation — lehrt, dass die lebenden
Keime oft erst nach Monaten im Anschluss an eine ander¬
weitige, häufig lokale Rachenerkrankung (Wegfall der lokalen
Immunität) die Diphktherieerkrankung zum Ausbruch bringen
können. Oft werden wir allerdings nicht imstande sein, das
auslosende Moment für den Beginn der Erkrankung zu er¬
kennen. Wir haben es aber in der Hand, mittelst der I. D. R.
in einer grossen Zahl solcher Bazillenträger den Grund für
die Indifferenz des Organismus gegenüber den Krankheits¬
erregern aufzudecken, indem wir durch den negativen Ausfall
der Toxinprüfung den bereits vorhandenen Schutzkörpergehalt
dci Körpersäfte die humorale Immunität des Organismus fest-
stellen und hiermit die Möglichkeit einer Erkrankung aus-
schliessen. In diesem Falle erübrigt sich selbstverständlich
wiederum das prophylaktische Verfahren.
Demnach gestaltet sich unser Vorgehen im Falle einer An-
stalts- oder Schulepidemie folgendermassen:
1. Bakteriologisch-kulturelle Untersuchung sämtlicher
gegenüber einem Kranken irgendwie exponiert gewesenen
Personen mit Wiederholung nach längstens einer Woche.
Zur Technik der Untersuchung ist zu bemerken, dass man sich
abgesehen von einer bereits verdächtigen Koryza darauf beschränken
kann, sorgfältig von den Krypten der Tonsillen abzuimpfen, da diese
namentlich bei Dauerausscheidern als Ausscheidungsorgan oft der
einzige Fundort der Bakterien sind. Die Kulturen auf Löfflerserum
werden bereits nach 18 Stunden Bruttemperatur in G r a m scher
und N eis s er scher Färbung untersucht. Es ist nicht zweckmässig,
bei bestehenden Verdachtsmomenten auf Grund dieser Untersuchung
mit dem Urteil der Infektiosität des betreffenden Individuums noch
weder zuruckzuhalten und erst das Resultat der Virulenzprüfung am
Meerschweinchen abzuwarten. Diese mag sich nach bereits vorge¬
nommener relativer Isolierung des Kindes zur näheren Charakteri¬
sierung des Virus anschliessen, und zwar auch am besten
in Form der so ökonomischen R ö m e r - N e i s s e r sehen Modi-
fikation (siehe Neisser, Verein f. Mikrob., Berlin 1913), doch
werden die Fehldiagnosen bei rein morphologischer Untersuchung in
einem sicher diphtherischen Milieu kaum sehr ins Gewicht fallen.
2. Sofortige Entfernung der bakteriologisch verdächtigen
Individuen.
3. Schliessung der Anstalt, aber nur bis nach Beendigung
einer gründlichen Desinfektion.
Hiermit sind die eigentlichen Massregeln zur Erstickung
1936
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 37.
der Epidemie erschöpft. Das weitere Vorgehen dient zur Be¬
handlung der Bazillenträger.
1. Intrakutane Toxininjektion (Technik derselben, siehe
Schick, d. Zschr. 1913).
2. Serumbehandlung nur der positiv Reagierenden.
3. Ständige ambulatorische Ueberwachung mit wieder¬
holter bakteriologischer und serologischer Kontrolle.
Therapeutisch haben sich die konsequent durchgefuhrten
Mund- und Rachenspülungen mit ziemlich starken Wasserstoff¬
superoxydlösungen 0,5 Proz. verhältnismässig noch am besten
bewährt.
Die Resultate, welche ich mit diesem Vorgehen in meinem
Falle zu verzeichnen hatte, möchte ich Ihnen nun zur Kenntnis
bringen. , T,. ,
Ende März d. Js. erkrankte ein Kind des Kindergartens an
Diphtherie. Nach ca. 3 wöchentlichem Aufenthalt im k. k.
Wilhelminenspital und einer weiteren Woche häuslicher Pflege
nahm das Kind den Besuch des Kindergartens wieder auf.
Nach 10 Tagen tritt nun der zweite Krankheitsfall, nach drei
weiteren Tagen noch zwei neue, auf, denen nach 2 Tagen eine
5. Erkrankung folgt. Die letzten 4 Fälle, welche an unserer
Klinik gelegen haben, waren bis auf eine mittelschwere Kehl¬
kopfdiphtherie typische, lokalisierte Tonsillardiphtherien
leichten Charakters. Ich ging nun unverzüglich an die bak¬
teriologische Durchuntersuchung der 52 Kinder der Kinder¬
gartengruppe, ferner auch aller Erwachsenen, welche im
Kindergarten beschäftigt sind. (NB. In den übrigen Kinder-
gruppen des Vereins, welche zwar mit dem Kindergarten nicht
in direkte Berührung kommen, wohl aber dieselben Räumlich¬
keiten benützen, ist bemerkenswerterweise nicht ein einziger
Erkrankungsfall beobachtet worden.) Das Ergebnis der Unter¬
suchung war folgendes: Unter den 52 Kindern gingen bei
8 Fällen in der Kultur des Tonsillenabstriches zweifellose
Diphtheriebazillen auf und zwar waren darunter das im März
erkrankt gewesene Kind, ferner 2 Geschwisterpaare und 3 ein¬
zelne Kinder. Von den Geschwistern dieser Infektionsträger,
im ganzen 9 Kinder, die ich ebenfalls durchprüfte, erwiesen
sich alle bis auf eines bazillenfrei. Diese Befunde sprechen in
gewissem Sinn für die grössere Bedeutung des Daueraus¬
scheiders für die Weiterverbreitung der Epidemie gegenüber
den einfachen Bazillenträgern im engeren Sinne.
Nachdem die Sperrung und Desinfektion der Anstalt an¬
geordnet worden war, ist nach Wiedereröffnung bisher kein
einziger Erkrankungsfall mehr vorgekommen, obwohl schon
alle früheren Bazillenträger bis auf 2 nach Konstatierung ihrer
Bazillenfreiheit wieder den Kindergarten frequentieren.
Aber auch unter den 8 Bazillenträgern gelang es, dieser
Erkrankung vorzubeugen. Nach Vornahme der Intrakutan¬
prüfung mit Ditoxin wurden nur bei positiv reagierenden
Kindern (3) prophylaktisch Seruminjektionen gemacht und
zwar von 50 I.-E. pro Kilogramm Körpergewicht.
' Auf diese Weise ist es gelungen, der Ausbreitung der
Epidemie von dem Momente des Einsetzens der prophy¬
laktischen Massnahmen Einhalt zu tun.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Leipzig
(Direktor: Geh. Med.-Rat Professor Dr. Payr).
Eine Kardiaabschlusssonde.
Von Dr. A. T. Juras z, Oberarzt.
Kausch hat 1903 (B.kl.W. 1903 S. 753) eine Magensonde
beschrieben, welche dem Zwecke dient, bei Ileusoperationen,
in denen eine Inhalationsnarkose notwendig ist, einen Ab¬
schluss der Kardia zu vermitteln und somit beim Erbrechen
eine Aspiration in der Narkose zu verhüten. Die Sonde be¬
steht aus einer gewöhnlich weichen englischen Magensonde,
an der oberhalb des von der Spitze entfernten Fensters ein
Gummiballon angebracht ist, von dem aus ausserhalb und
neben der Magensonde ein Gummischlauch entlang führt,
welcher zum Aufblasen des Gummiballons mit Luft dient.
Nahe an dem Ende dieses dünnen Schlauches ist ein zweiter
Gummiball von genau derselben Grösse und Wandstärke, wie
der erste Ballon, eingeschaltet. Vor der Narkose wird die
Sonde in den Magen eingeführt, der Gummiballon mit einer
Spritze mit Luft gefüllt, sodann abgeklemmt und die Sonde
zurückgezogen, bis der aufgeblasene Ballon sich fest an die
Kardia anpresst und hierdurch dieselbe verschliesst.
Wir haben dieses Instrument seit Jahren bei allen Fällen
von Operationen des Ileus angewendet und wir sehen in ihm
eines derjenigen kleinen technischen Hilfsmittel der operativin
Chirurgie, deren Anwendung und Wirkung uns von ausser¬
ordentlich grosser Bedeutung für den Erfolg der Operation
erscheint. Bekanntlich stehen bei vorgeschrittenem Ileus
Pylorus und Kardia weit offen. Infolge Anspannen der Bauch¬
presse fliesst der dünne Inhalt des paralytischen Darmes
rückwärts in den Magen, um bei einer gewissen Füllung des¬
selben erbrochen zu werden. Eine Spülung des Magens vor
der Operation ist also zwecklos. Die Inhalationsnarkose birgt
deshalb die grosse Gefahr in sich, dass bei dem geringsten
Pressen des Patienten oder bei dem durch die Reposition der
Dünndärme auf dieselbe ausgeübten Druck Darminhalt in den
Oesophagus nach oben strömt und aspiriert wird. Unvermeid¬
lich ist diese Gefahr bei Anwendung der Beckenhochlagerung.
Wer einmal einen derartigen plötzlichen Aspirationstod auf
dem Operationstisch erlebt hat, wird diesen Anblick nie
vergessen. , _ , . ..
Es ist deshalb verwunderlich, dass diese Sonde im all¬
gemeinen nur wenig bekannt ist oder sich nur relativ geringer
Beliebtheit erfreut. Wir möchten dieselbe warm in Emp¬
fehlung bringen und zwar in einer von uns modifizierten Form,
welche kleine Nachteile, die unserer Ansicht nach der ur¬
sprünglichen von K a u s c h angegebenen Sonde anhaften, ver¬
meidet und ihre Anwendung bequemer gestaltet.
Wir haben nämlich öfters erfahren, dass bei vor¬
springender kahnförmiger Epiglottis und
schmalen Halsorganen die Einführung der Sonde
trotz guter Einfettung nicht gelingen wollte, indem der in den
abschliessenden Kardiaballon einmündende äussere Luft¬
zuführungsschlauch an seiner Einmündungsstelle einen Vor¬
sprung bildet. — Hierdurch ist der Gesamtdurchmesser des
Schlauches nicht unerheblich vergrössert, was die Einführung
unmöglich machte. Ich selbst habe deswegen zweimal auf
die Hilfe dieser Sonde verzichten müssen.
Einen weiteren kleinen Nachteil sehe ich in der notwen¬
digen Abklemmung des zuführenden Schlauches nach Füllung
mit Luft, indem an der abzuklemmenden Stelle der Schlauch
entweder verklebt und nachher abgeschnitten werden muss,
oder sehr schnell brüchig wird und infolgedessen nicht selten
gerade dann, wenn man ihn braucht, sich in Reparatur befindet.
Und schliesslich glaube ich die Füllung des Ballons mit Luft
einfacher und sicherer als mittels einer Spritze durch ein mit
einem Ventil versehenes, dauernd an der Sonde sich befind¬
liches Handgebläse erzielen zu können. Die Sonde, die nach
meinen Angaben konstruiert wurde (Firma! A. Schädel, Leipzig),
besteht aus einem ovalen Magenschlauch. Oberhalb der
doppelt gefensterten Spitze ist der dem Kardiaabschluss
dienende Gummiballon angebracht. In denselben mündet der
Luftzuführungsschlauch von innen hinein, indem er an der
seitlichen Innenwand angebracht und von aussen daher
gar nicht sichtbar ist (Fig. 1). Die Füllung mit Luft geschieht
mittelst eines Handgebläses (Fig. 2), das aus einem Druckball
15. September I9M.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1937
und einem Windballon besteht. Der Druckball ist mit einem
gewöhnlichen Ventil versehen, das die Luft aufsaugt, aber
keine Luft nacli
hinten hinaustreten
lässt, zwischen
Druck- und Wind¬
ball ist ein Dreiweg¬
hahn eingeschaltet,
der in Parallelstel¬
lung (Fig. 3) zur
Zuführungsröhre die
c ... , , . Luft eintreten, in
Schragstellung nach hinten die Luft entweichen lässt und in
rechtwinkeliger Stellung die Luftzufuhr vollständig abschneidet.
Durch die ovale Form wird die Einführung in den
Oesophagus erleichtert. Die Anbringung des Luftzu-
fuhrungsschlauches innerhalb der Magensonde beseitigt den
oft störenden und die Einführung oft unmöglich machenden
Vorsprung an der Einmündungsstelle. Die Füllung mit Luft
geschieht mittelst eines einfachen Handgebläses, an dem, wie
an der Kausch sehen Sonde, der Kontrollballon angebracht
ist und uns infolge seiner gleichen Grösse mit dem Kardia¬
ballon (Fig. 2) jederzeit über den Aufblähungszustand des
letzteren unterrichtet. Die Anbringung des Dreiweghahnes
erspart uns den Klemmabschluss, indem in paralleler Stellung
desselben ein mehrmaliges Zusammendrücken des Hand¬
gebläses genügt, den Kardiaballon zu füllen, ohne dass die Luft
dabei entweichen könnte. Erst nach Erwachen des Patienten
aus der Narkose wird der Hahn in schräge Richtung nach
hinten gestellt, der Kardiaballon entleert und hierdurch die
Sonde ohne Schwierigkeit wieder entfernt. Nach Aufblähen
des Ballons muss derselbe unter ziemlich heftigem Druck an
die Kardia angepresst, d. h. solange zurückgezogen werden
bis man auf einen festen Widerstand stösst. Die Sonde wird
dann zum seitlichen Mundwinkel herausgeleitet, der Zug durch
Befestigung des Schlauches mit Heftpflasterstreifen im Ge¬
sichte während der Dauer der Narkose aufrecht erhalten.
Die Sonde habe ich als Kardiaabschlusssonde
bezeichnet, da ich ihre Anwendung nicht allein für die Nar-
■tose, sondern auch für alle mit Erbrechen einhergehende Zu¬
stände indiziert halte, in denen die normalen Schluckreflexe
lerabgesetzt oder das Bewusstsein getrübt ist, wie z. B. bei
schweren Gehirnerschütterungen oder anderen zerebralen
\nektionen.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
■ortschritte in Diagnose und Therapie der chirurgischen
Tuberkulose.
‘ on Prof. Fritz König, Direktor der chirurgischen Uni¬
versitätsklinik zu Marburg a. L.
(Schluss.)
Bei Besprechung der Behandlung der chirurgischen Tuberkulose
>erde ich mich bemühen, nur das, was neu, wichtig und gegen
rüher verändert erscheint, zu skizzieren. Die Chirurgie hat von jc-
er zwischen einer konservativen und operativen Behandlung unter-
enieden. Zur letzteren zählen wir bei Lymphdriisen die Exstir-
ation, bei Knochen und Gelenken die Resektion, Amputation und Ex-
rtikulation.
Den Standpunkt, auf welchem viele und ich selber bis vor
urzem bezüglich der Knochen- und Gelenktuberkulose gestanden
aben, kann ich nicht treffender schildern, als indem ich mich auf
as Referat des Bonner Chirurgen Garre vom Chirurgenkongress
913 stütze. Es basiert auf einer in 19 Jahren an 1000 stationär be-
hachteten Fällen gewonnenen Erfahrung.
Garre bekannte sich zu einer weitgehenden operativen Thera-
ie- Lokale Knochenherde werden exstirpiert; mit Ausnahme der.
ach Garre in den Resektionserfolgen ungünstigen Gelenke an Hand
nd Hüfte wird die Gelenkresektion gepriesen. Am Kniegelenk bei-
nelsweise schlägt Garre vor:
1. die Resektion auch auf Kinder auszudehnen;
2. alle schweren fungösen Formen mit Zerstörung des Gelenk¬
knorpels, die mit Subluxation und mit Sequestern, selbstver¬
ständlich alle eitrigen und fistulösen Fälle zu resezieren.
Konservativ will Garre die trockenen Formen des Fungus bei
itaktem Gelenkknorpel, den Hydrops tuberculosus und die ersten
Nr. 37.
Stadien der Erkrankung behandeln — endlich nichteiternde Tuber¬
kulosen bei älteren Personen.
i G a rr e berichtet über 268 Resektionen und 133 konservativ be¬
handelte Falle von Knietuberkulose.
hj krassem Gegensatz zu diesen Mitteilungen eines hervor¬
ragend erfahrenen und immer operativer gewordenen Chirurgen
stehen die Mitteilungen von R o 1 1 i e r - Leysin, die sich immerhin
auch schon auf eine 10 jährige Erfahrung stützen. Rolli er hat in
immer wachsendem Masse die Allgcmeinbehandlung mit der Be¬
sonnung in den hochalpinen Gegenden neben einfacher Ruhigstellung
zum 1 nnzip erhoben, und hat grosse Operationen schliesslich so gut
wie ganz ausgeschaltct. ln jahrelangem Bemühen hat er aus herunter¬
gekommenen Patienten durch die Heliotherapie blühende Menschen
gemacht; er hat lokale Tuberkulosen aller Art, an Drüsen, Knochen
und Gelenken, er hat fungöse und eitrige Formen zur völligen Hei-
d nSi ?eora.chL bat den Verschluss tuberkulöser Fisteln erreicht.
R o 1 1 1 e r ist der Ansicht, dass die Sonnenbehandlung im
Hochgebirge jede Form chirurgischer Tuberku¬
lose und in jedem Alter heilen könne.
Wenn ich Ihnen heute sage, dass in unserer Marburger Klinik
der Verlauf der Tuberkulose seit etwa VA Jahren
einen offensichtlichen Umschwung zum Günstigen
genommen hat, so können diese Erfolge nicht mit der alpinen Sonne
erreicht sein. Ebensowenig kann das der Tuberkulinbehandlung, die
wir neuerdings wieder mehr geübt haben, zugute geschrieben wer-
den. Ich habe auch früher Erfolge mit ihr gesehen. Aber sie waren
immerhin vereinzelt und konnten die Vornahme grosser operativer
Eingriffe in keiner Weise einschränken. Anders jetzt. Wir haben
noch im Jahr 1912 bei 79 chirurgischen Tuberkulosen 21 grosse
Operationen ausgeführt. Im Jahre 1913 sind es auf 85 Fälle 4, und
diese Aenderung ist ohne Schädigung der Patienten eingetreten. Wir
haben zurzeit 251 Tuberkulosen in stationärer und ambulanter Be¬
handlung. Wenn die Operationen so selten waren, so geschah es,
weil die progredienten Erscheinungen seltener wurden, welche uns
sonst das Messer in die Hand drückten.
. Da da| bei 114 jähriger Beobachtung meiner Meinung nach kein
opiel des Zufalls sein kann, so müssen wir als wahrscheinliche Ur¬
sache die veränderte Behandlung ansehen. Es sind 2 Dinge die wir
früher gar nicht oder in anderer Art geübt haben.
Als erstes muss ich die Bestrahlung mit der sogen, „künstlichen
Hohensonne , wie die modifizierte Quarzlampe nach Dr. Bach und
Nagelschmidt genannt wird, eingehend besprechen. Einmal ist
die systematische Dauerbestrahlung der chirur-
gisch Tuberkulösen mit diesem Apparat an einem grossen
klinischen Betriebe zuerst bei uns angewendet, und zweitens halte
ich sie tatsächlich für einen wichtigen Faktor.
Als das wirksame Agens dieser Quecksilberlampe werden die
ultravioletten Strahlen angesehen, die ihr an sich bläulich-graues
und kuhles Licht enthält. Sie sind es bekanntlich, denen man ganz
vorwiegend die Heilwirkung der alpinen Besonnung zuschreibt.
Immerhin kommen andere Dinge hinzu, und so ist es vor allem auch
erwünscht, die Bestrahlung unter Zutritt f-ischer Luft zu
machen. Einmal um die dazu notwendige Wärme zu schaffen, welche
dem kühlen Licht der gewöhnlichen Bach sehen Lampe fehlt, dann
aber auch, um die bei der alpinen Höhensonne doch auch nicht ganz
fehlenden roten Lichtstrahlen zu ersetzen, hat mein I. Assistent,
L r. Hagemann, die Lampe um einen Ring gewöhnlicher Glüh¬
birnen bereichert. Die ganze Lampe mit dem H a g e m a n n sehen
Ring ist von der Quarzlampen-Gesellschaft m. b. H. zu Hanau a M
zu beziehen.
Eine technische Bemerkung müssen Sie mir dazu erlauben. Wir
haben unsere Lampen über dem Bestrahlungstisch von der Wand
herunterhängen, so dass Lampe und Ring in einer dem Tisch paral¬
lelen Horizontalebene stehen. Die Quarzlampengesellschaft hat die
Lampe neuerdings an einem Stativ oder auch hängend schräg mon¬
tiert, dadurch steht auch der Ring schräg. Wir können diese Aende¬
rung um deswillen nicht gut heissen, weil dadurch bei der Allgemein¬
bestrahlung die einzelnen Lampen des Glührings in ganz verschie¬
denem Abstand wirken, und weil auch die Quarzlampe den Körper
nicht so gleichmässig trifft, wie bei der horizontalen Anbringung über
dem Körper des Liegenden.
Für Lokalbestrahlungen mag das gleichgültig sein. Aber
wir verwenden diese nur noch bei Hauttuberkulose, Lupus. Skrophulo-
derma, Hautabszessen. Für eine genau gleichmässige Abdeckung der
Umgebung mit Tüchern ist zu sorgen. Der Abstand von der Lampe
beträgt 30—40 cm, die Dauer der Bestrahlung beträgt 3 Minuten im
Anfang, steigt bis zu A Stunde, 3 mal und mehr in der Woche.
Die Hauptmethode ist die Allgeineinbestrahliuig, deren Technik
von Hag e m a n n und mir wiederholt beschrieben worden ist. Die
Patienten liegen auf niedrigen Tischen im Abstand von etwa 1 m
von der Lampe und möglichst in der Nähe des geöffneten Fensters;
die Luft im Zimmer soll möglichst kühl sein. Die Augen sind stets
durch eine dunkle Brille oder ein Tuch zu schützen: noch besser ist
es, über den Kopf einen Reifenbügel zu stellen, über den ein den
Kopf verdeckendes Tuch gehängt ist. Die auf den übrigens nackten
Körper einwirkende Bestrahlung dauert zunächst 5 Minuten. Es ist
gut. bei der individuell sehr verschiedenen Hautempfindlichkeit die
Wirkung dieser Probedosis am nächsten Tag zu kontrollieren.
Dann steigt man langsam an, bestrahlt Vorder- und Rückenseite, und
1938
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 37.
gelangt bis zur Dauer von 4 Stunden täglich. Bei Kindern lassen wir
mehrere, bis 6, zusammen unter der Lampe liegen, bei Erwachsenen
höchstens 2. Wir haben zurzeit 4 Höhensonnen in dauerndem Ge¬
brauch, 3 auf den Krankensälen, eine für die ambulante Bestrahlung;
ausserdem eine in der Privatklinik. In der Klinik werden oft täglich
bis zu 60 Bestrahlungen gegeben.
Fig. 8. Bestrahlung mit der Quarzlampe auf der Kindei-station.
Die Dauer richtet sich nach dem Verlauf der Erkrankung, er¬
streckt sich bei schwer Tuberkulösen auf lange Monate — sie soll
in jeder Weise der R o 1 1 i e r sehen Höhenbesonnung nachgebildet
werden.
Schädliche Dauerwirkungen haben wir, obwohl nunmehr bald
dreieinhalb Hundert Patienten in 1 H Jahren mit Tausenden von Ein¬
zelgaben bestrahlt sind, nicht gesehen. Da die Haut, wie gesagt,
sehr verschieden empfindlich ist, so kann es als Folge der frischen
Bestrahlung — wie auch bei der Höhensonne — zu sehr starker
Hyperämie, event. auch Blasenbildung, kommen. Man erkennt die
starke Empfindlichkeit an der Probedosis — ist es zweckmässig,
auch die Genitalgegend zu schützen, die jedoch immer in
gleichem Umfang abzudecken ist.
Fig.9u 10. D. B.,5J. Multiple fistulöse Knochentuberkulose. (Vorderarm links, Tibia links).
10. VI. 1913
vor der Bestrahlung.
31. VII. 1913
nach Quarzlampenbestrahlung.
Bei normalem Verlauf entsteht eine zunehmende, zuweilen mäch¬
tige Pigmentierung der Haut, die von Rolli er u. a. als günstiges
Zeichen genommen wird. •
Die Wirkung ist eine allgemeine; als ihren objektiven
Ausdruck kann man im Blut Veränderungen, besonders eine Steige¬
rung des Hämoglobingehalts, naclnveisen.
Die Wirkung wird meist durch eine mässige Abnahme des Kör¬
pergewichts unter starker Müdigkeit der Kranken in den ersten
Wochen eingeleitet. Dann beginnt die Hebung des Allgemeinbefin¬
dens, das Ruhigerwerden der Kranken, der bessere Schlaf, die Appc-
titvermehrung. die Gewichtszunahme — bei Erwachsenen haben wir
innerhalb einiger Monate solche von 24 Pfd. gesehen. Aber nicht die
gelegentliche Höhe der Zunahme, sondern die Regelmässigkeit der
Erscheinung, die H a g e m a n n in tabellarischen Kurven naclnveisen
konnte, ist die Hauptsache. Sie stellt sich auch bei Patienten ein.
die vorher in keiner Weise hoch zu bekommen waren; nur wenige
lassen sie vermissen.
Nachdem wir die Bestrahlung nunmehr bei 225 Tuberkulösen an¬
gewendet haben, möchte ich über unsere Beobachtungen folgendes
sagen: ,
Die örtliche Einwirkung der Lokalbestrahlung auf
oberflächliche Tuberkulosen ist von uns bestätigt worden. Wir
konnten nicht nur lupöse Stellen mit Ulzeration, besonders schön auch
die im Anschluss an Drüsenfisteln oder Operationen sich entwickelnde
Hauttuberkulose: das Skrophuloderma, sondern auch oberflächliche
Weichteiltuberkulosen zur Heilung bringen.
Tiefere Herde erreicht das Quarzlicht nicht; hier muss die
Allgemeinbestrahlung eintreten. Da sie auch eine All¬
gemeinwirkung entfaltet, so kann die Besserung oder Ausheilung
naturgemäss erst nach einiger Zeit erwartet werden.
Fig. 11.
L. B., 2 J. Spina ventosa an beiden Mittelfingern, links an Phalanx I u. II, rechts ebenso.
Erstes Bild: Vor der Bestrahlung; man beachte auch die Weichteilverdickung.
Zweites Bild: 1 y, Jahr später. Nur Quarzlampenbehandlung.
Die lokale Ausheilung lässt sich am schönsten rönt¬
ge nographisch am Knochen nachweisen. Wir sehen Spina
ventosa, bei der unter der Behandlung die krankhaften Verdickungen
am Periost verschwinden. Wir sehen eine Ellbogentuberkulose bei
einem 4 jährigen Kinde, das ich ein Jahr vorher an Tuberkulose am
Unterkiefer und Metatarsus operiert hatte. Die Knochen zeigen die
bekannte Atrophie, in der Fossa sigmoidea ulnae sitzt ein bohnen-
grosser Herd. 3 Monate später ist die Struktur in der bekannten
Weise dicker, gröber geworden, der Herd hat sich ausgeglichen. Die
Schwellung ist gleichzeitig zurückgegangen, der Arm in massigen
Grenzen beweglich. An der Rippe sehen wir die krankhafte Form
sich wieder abrunden, während die klinischen Erscheinungen bei dem
mit tuberkulösen Drüsen behafteten jungen Mann verschwinden.
Auch die Oberflächendestruktion an den Gelenkenden sehen "ir
im Röntgenbild zurückgehen. So finden wir bei einem 5 jährige'1
Jungen mit schwerer fungöser Knietuberkulose deutlich die Abhebung
der Oberfläche an den Gelenkrändern durch die tuberkulöse Granu-
!. September 1014.
MUFNCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1939
ion. Ein paar Monate später ist, während der Fungus klinisch
li zurückbildet, die Oberfläche glatter geworden, die Abhebungen
id nicht mehr zu sehen.
M . 5 J. Ellbogentubcrkulosc. Erstes Bild: Oranulierender Herd in der Fossa
sigmotdea ulnae: Knochenatrophie. (Oberarmgelenkende!)
des Bild: Nach dreimonatlicher Quarzlampenbestrahlung; Atrophie im Rückgang
Defekt im Ausheilcn.
Fig. 13. 16. I. 14. Fig. 14. 2. IV. 14.
Weniger objektiv, aber deutlich genug, sind die klinischen
■ i c h e n, wie das z. B. an einem Teil unserer 18 Wirbeltuberku-
n hervorgeht. So bekamen wir einen 1 1 jährigen Knaben aus
. Aer tuberkulöser Familie, den ich irn Vorjahr wegen Tubercul.
: ni operiert hatte, mit frischer tuberkulöser Spondylitis dorsalis
Jer. In einem halben Jahr war der Kranke wieder schmerzlos,
: ohne Apparat umher und hat sich ausserordentlich gekräftigt.
Auch mit den schwereren Formen von destruierendem
gus sahen wir Erfreuliches. Wiederholt haben wir den Rückgang
in Progredienz begriffenen schwer schmerzhaften Koxitis gesehen,
auffallendsten war mir ein 22 jähriges Mädchen, das mit äusserst
merzhaftej destruierender Tuberkulose des Kniegelenks mit Sub-
tion der I ibia zu uns kam, und bei dem in etwa einem Vieteljahi
Abschwellen, Schmerzloswerden bei Erhalten einer gewissen Be-
1 ichkeit erzielt wurde. Ich kann versichern, dass ich dieses
i noch ein Jahr vorher — wie es ja auch Gar re empfiehlt —
ziert hatte.
Es kommen weiter die eiternden Fälle. Es kommt unter
Bestrahlung gelegentlich zur Entstehung von Abszessen. Bei
itn 8 jährigen Knaben mit schwerer Wirbcltuberkulose haben wir
u, dass am Hals Drüsen anschwollen und vereiterten, später aber
Heilung kamen. Diese und andere Abszessbildungen sind dann
i den üblichen Injektionen geheilt, Koxitis mit Abszess zurtick-
■det, ein tuberkulöser Abszess am Schläfenbein völlig verschwun-
Auch beim Erwachsenen ist die Heilung von Senkungsabszessen
igen.
Von besonderer Wichtigkeit sind die fistulösen Formen
ire Reaktion ist verschieden. Die Fisteln sezernieren zuweilen
i'Sal unter der Bestrahlung, di^ Absonderung lässt dann nach
kommt in günstigen Fällen zum Schluss. Wir haben das am Vor-
rm, am Fuss, am Jochbein, an der Hüfte gesehen, besonders auch
Jen unangenehmen Fisteln nach Resektion. Sowohl bei Kindern
| bei Erwachsenen haben wir Heilung beobachtet. Aber in anderen
i n sind die Fisteln uns ein Kreuz geblieben. Bei einer Reihe von
'.'nten. mit soweit sehr erfreulicher Besserung, haben sich die
1 In erhalten; wenn auch einzelne sich schlossen, sezernierten die
ren weiter und waren auch anderen Mitteln unzugänglich.
Einen günstigen Einfluss scheint die Bestrahlung auch auf die
i hinfektion, die Reinigung der Granulationen zu haben.
Bisher habe ich Beobachtungen wiedergegeben, bei denen eben
-Quarzlampe als das wirksame Agens in der Behandlung er-
| nen musste. Aber wir sind natürlich nicht so einseitig gewesen,
tuf diese Therapie zu versteifen. Es bleiben Fälle, wie schwere
1 ose Beckentuberkulosen, schwere Gelenktuberkulosen, zumal bei
en Personen, bei denen sie keinen Erfolg zeigten.
ir haben hier die bewährten Mittel in geeigneter Weise überall
i wandt, aber der einzige, ausser der Quarzlampentherapie für uns
i Faktor war die systematische Röntgenbestrah-
?. die wir besonders seit Einrichtung der Tiefentherapie wieder
i-dehnter zur Anwendung gebracht haben.
Wir haben bisher 107 Tuberkulosen mit Röntgen behandelt.
■Jings nur wenige Fälle rein, z. B. Lupus und Drüsen. Meist wurde
’oen noch mit der Quarzlampe bestrahlt, welche Kombination also
'aus zulässig ist.
Besonders I s e 1 i n - Basel hat die Röntgentherapie chirurgischer
rkulose auszubauen versucht, und hat darüber ebenfalls im
Frühjahr 1913 berichtet. An den grossen Gelenken der Schulter,
Hüfte, im Becken hatte er keine Erfolge, an Ellbogen, Hand und Fuss
dagegen Heilungen, und hatte auch Verschluss von Fisteln gesehen.
Daneben bedeutende Gewichtszunahmen. Er empfiehlt das Verfahren,
das bei Kindern wegen Schädigung der Epiphysenlinie ausgeschlossen
sei, bei Erwachsenen und alten Leuten, oft auch nach der Operation.
Garrc konnte die günstigen Erfolge auch für die kleinen Ge¬
lenke, besonders die Hand, nicht bestätigen. Verschluss von Fisteln,
Gewichtszunahme hat auch er gesehen.
Wir haben z. T. mit dem alten Instrumentarium, seit diesem
Winter auch mit der Tiefenbestrahlung gearbeitet. Da Iselin
noch nach 1 34 Jahren Spätschädigung der Haut sah — nichtheilende
ulccra schwerster Form — so ist Vorsicht geboten.
E>as Gelenk wird möglichst von 2, 3 oder 4 Seiten bestrahlt.
Jedes Feld erhält 15 — 20 X, so dass zuweilen in einer Sitzung 80 X
gegeben werden. Die Strahlenfilterung geschieht mit 1 mm dickem
Aluminiumblech. Unsere meisten Gelenke erhielten so etwa 180 X.
Die Bestrahlung wird alle 14 Tage bis 3 Wochen wiederholt.
Bei der I uberkulose der Drüsen haben wir gleich anderen
Erfolg gesehen. Oft kommt cs zur Erweichung und Eiterung, man
muss injizieren, exkochleieren etc. Auf alle Fälle dauert die Heilung
lange, und nicht alle Patienten haben Zeit und Lust zu dem Ver¬
fahren. Auf jeden Fall aber haben wir damit ein Mittel, das mir be¬
sonders bei den weitverbreiteten multiplen Drüsen ebenso wie even¬
tuell zur Nachbehandlung nach Operationen zweckmässig erscheint.
Beim Erwachsenen verwenden wir hier Röntgenbestrahlung und
Quarzlampe, während wir bei Kindern nur die Quarzlampe in der
Allgemeinbestrahlung verwenden.
Bei der Knochen - und Gelenktuberkulose haben wir
t fast ausnahmslos die lokale Röntgen- mit der allgemeinen Quarz¬
bestrahlung kombiniert. Im ganzen habe ich nicht den Eindruck, dass
das Hinzutreten der Röntgentherapie überraschende Erfolge gehabt
hätte. An Hand- und Fussgelenk hatten wir einige Erfolge, die wohl
auf die Röntgenbestrahlung geschoben werden müssen. Auch sind
einige Fisteln geheilt, die vorher mit der Quarzlampe allein nicht zur
Heilung kamen. In anderen Fällen, bei welchen uns diese im Stich
gelassen hatte, z. B. am Kreuzbein, haben auch die Röntgenstrahlcn
keinen Fortschritt gebracht.
Bei Durchbruch eitriger Tuberkulose an den Gelenken
’ I entschiedener Progredienz, auch bei hinzugetretener
Misch infektion habe ich in mehreren Fällen einen beson¬
deren Weg eingeschlagen. Bei mehreren Fuss- und Ell¬
bogengelenken Erwachsener, z. T. älterer Personen, habe ich von
der Stelle der Eiterung bzw. den Fisteln aus eine breite Eröffnung
mit partieller Exkochleation gemacht, tamponiert und dann alsbald die
Wundflächen mit Quarzlampe und Röntgenstrahlen behandeln lassen.
Der Erfolg war in mehreren Fällen von sehr schwer eitriger Knochen-
Gelenktuberkulose Erwachsener ein recht guter, die Wunden reinig¬
ten sich, so dass der Prozess der Heilung entgegengeht — ohne Re¬
sektion. Auch bei der sehr schweren Mischinfektion einer nach Re¬
sektion fistulös rezidivierten Ellbogentuberkulose einer alten Frau
kam es zum Stillstand, schliesslich zur Heilung der Fisteln, und die
Amputation konnte vermieden werden.
Diese Beobachtungen erscheinen mir wichtig, einmal weil man
in diesen Fällen früher immer regelrecht reseziert hätte, und weil ein
solches partielles Ausräumen eitrig tuberkulöser Gelenke mit Tam¬
ponade sich früher häufig schwer rächte. Vielleicht ist der hervor¬
gehobene günstige Einfluss der Quarzlampe bei Mischinfektionen zu¬
sammen mit der Röntgenbestrahlung der offen zutage liegenden
tuberkulösen Erkrankung in der durch die Auslöffelung verdünnten
Schicht imstande, für diese schweren Fälle einen gangbaren Weg zu
führen.
Ich habe eine Reihe günstiger Erfolge bei unserer Behandlung
der chirurgischen Tuberkulose geschildert, und obwohl ich nicht
verschwiegen habe, dass auch Misserfolge bleiben, habe ich vielleicht
manchem von Ihnen ein zu rosiges Bild entworfen. Deshalb will ich
nochmals betonen: nicht die einzelnen guten Erfolge, sondern der
immer gleichmässige Eindruck der letzten 114 Jahre bestimmen mich,
zu glauben, dass wir es wirklich mit einem Fortschritt in der Be¬
handlung zu tun haben. Wenn ich 27 K n i e t u b e r k u I o s e n be¬
handle, von denen ich nur eine reseziere, so ist das anders
wie früher. Wie weit die Annahme, dass die syste¬
matische Behandlung mit der Quarzlampe, und
mit der Röntgentherapie an diesem Erfolg Anteil
hat, zu Recht besteht, das muss erst die Zukunft
erweisen.
Nur für die isolierten ohne Verstümmelung radikal entfernbaren
Tuberkuloseherde bin ich auch heute noch unbedingt für
Operation. Einen noch nicht ins Gelenk oerforierten Knochen¬
herd an gut erreichbarer Stelle, auch an der Ripne, entferne ich so
gut wie die isolierten Lymphdriisenpakete, am Hals, in der Sub-
maxillargegend. der Achselhöhle etc. Nichts dankbareres als solche
Eingriffe. Die örtliche Tuberkulose ist eliminiert; es ist eine absolut
unbeweisbare Hypothese von W i I m s, dass die Entfernung dieser
Drüsen dem Träger die Widerstandskraft gegen neue Tuberkulose
nähme, welche er bei der Resorption unter der Röntgentherapie ge¬
winnen soll.
Die Gelenktuberkulosen aber operiere ich nicht mehr so wie
früher, allein aus dem Grunde, weil Knochenherde oder Destruktion
2*
1940
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3
der Gelenkenden mit Subluxation da sind, oder weil Vereiterung ein¬
getreten ist. Nur bei den schwer entzündlichen mehr akuten Formen,
auch mit Mischinfektion, operiere ich, aber vorläufig ohne Resektion,
mit Exkochleation, Tamponade und folgender Röntgen- und Quarz¬
bestrahlung. Nur bei wirklichem weiteren Fortschreiten würde ich
mich zur Resektion, bei alten Personen zur Amputation entschliessen.
Vorhandene Fisteln ändern zunächst nichts an diesem Vor¬
gehen — abgesehen vielleicht von direkt septischer Infektion.
Bei den übrigen Fällen wird, unter Ruhigsteilung — in Schienen¬
oder Extremitätenverband, selten in Gips — die örtliche Be¬
handlung auf Einspritzen von Jodoformglyzerin in Gelenke und
Abszesse, seltener Inzision und Exkochleation, beschränkt; bei den
Gelenken Erwachsener in Kombination lokaler Röntgenbestrahlung.
Zur Allgemeinbehandlung wird häufig Tuberkulin verwendet.
Wir nehmen dazu die Bazillenemulsion (Neutuberkulin) in 3 Formen;
!. langsame Kur: von 0,001 mg ansteigend bis 600 mg;
2. mittlere Kur, von 0,001 mg bis 1000 mg;
3. schnelle Kur, von 0,05 mg bis 1000 mg.
Die Injektionen werden wöchentlich 2 mal, bei den höheren
Dosen 1 mal gemacht, zur Vermeidung von Fieberreaktionen.
Dazu kommt dann die Allgemeinbehandlung mit der Quarzlampe,
mit Aufenthalt in der Luft und Sonnenbädern.
Mit diesem ganzen Apparat ist aber die Kur noch nicht ge¬
schlossen. Wir werden zu keiner definitiven Heilung der chirurgi¬
schen Tuberkulose kommen ohne Dauerkontrolle der
Patienten. Wie bei der Syphilis jeder Kranke sich
selbstverständlich der Nachuntersuchung unter¬
zieht, weil er über den Charakter seiner Erkran¬
kung aufgeklärt ist, so muss es auch bei unseren
Tuberkulösen werden. Wir haben schon in grösserem Mass-
stabe Kontrolltage eingerichtet. Wiederholt haben wir dabei zu¬
fällig einen neuen Krankheitsherd, eine Verschlimmerung der Tuber¬
kulose entdeckt, die nun wieder in rechtzeitige Behandlung genommen
werden konnte.
Deshalb muss ein Verzeichnis aller Tuberkulösen angelegt
werden, und sind sie zuerst alle Viertel-, später alle Halbjahr oder
mehr zu untersuchen. Und darin können die Herren Kollege- in
Stadt und Land die Anstalten unterstützen. Erst wenn diese Dauer¬
überwachung dafür sorgt, dass die mit den neuen Methoden erreichten
Erfolge anhalten oder wiedergewonnen werden, ist eine wirksame
Therapie auch der chirurgischen Tuberkulose zu erwarten.
Bücheranzeigen und Referate.
Spezielle Pathologie und Therapie innerer Krankheiten in
10 Bänden. Herausgegeben von Friedrich Kraus und Theodor
Brugsch. Verlag von Urban und Schwartzenberg.
Seit Ankündigung der ersten Lieferungen des grossen Werkes
in der M.m.W. sind jetzt weitere Lieferungen erschienen. Da die
Lieferungen in sehr verschiedene Kapitel hineingreifen, sie zum
grossen Teil auch noch nicht vollenden, so ist eine eingehendere Be¬
sprechung noch nicht möglich. Diese soll nach Erscheinen des ganzen
Werkes erfolgen. Ich begnüge mich bis dahin nur die Verfasser
und den Inhalt der einzelnen Abhandlungen anzugeben. Es sind
neuerdings erschienen Lieferung 25 — 39, enthaltend : Hoffendahl-
Berlin; Erkrankungen der Mundhöhle; B r u g s c h - Berlin: Erkran¬
kungen der Mundspeicheldrüsen; R i d d e r - Falkenstein: Die Er¬
krankungen der Speiseröhre; Fuld- Berlin: Physiologie der Magen-
und Darmverdauung; Zweig- Wien: Grundzüge der zweckmässigen
Ernährung und Ernährungskuren bei Magenkrankheiten; Licht¬
witz-Göttingen: Ueber die Bildung von Niederschlägen und Kon¬
krementen im Harn und in den Harnwegen; B r u g s c h - Berlin:
Fettsucht (1. Hälfte); S t r a s s e r - Wien: Erysipel; Schilling-
Berlin: Tropenkrankheiten I; E 1 s n e r - Berlin: Magenuntersuchungs¬
methoden: v. B e r g m a n n - Altona: Die Röntgenuntersuchung des
Magens; R ey h e r - Berlin: Keuchhusten; D e y c k e - Lübeck: Die
Lepra. V o i t - Giessen.
M. Kassowitz: Gesammelte Abhandlungen. In Verbindung
mit Büttner, Hochsinger, Holitscher, Mautner heraus¬
gegeben von Dr. Julie Kassowitz. Berlin. Verlag Julius Sprin¬
ger. 34 Bogen, 1 Porträt. Preis 12 M.
Die vorliegende Sammlung enthält lange nicht das ganze Lebens¬
werk des vor Jahresfrist als Siebziger verstorbenen Wiener Kinder¬
arztes und Biologen, aber sie bietet, von sachkundiger Hand zu¬
sammengestellt, einen recht umfassenden und viele wohl überraschen¬
den Einblick. Mancher, der die einleitenden grossen Worte der
Herausgeberin nur ihrem pietätvollen Empfinden zugute halten wollte,
mag darüber bei der Durchsicht und gar beim eingehenden Studium
der Abhandlungen allmählich anderer Ansicht geworden sein. Das
Lebenswerk dieses Mannes ist in der Tat imposant.
Gegen 50 Publikationen von Kassowitz befassen sich mit
Fragen der normalen und pathologischen Ossifikation, insbesonders bei
Rachitis und mit der Therapie dieses Zustandes. Eine Blütenlese
von mehreren dieser — zum Teil an wenig zugänglichem Orte er¬
schienenen — Arbeiten lehren uns den Verf. kennen als fleissigen und
bewanderten Knochenhistologen, als feinen ärztlichen Beobachter und
erfolgreichen Finder auf therapeutischem Gebiet. Ein weiterer A
schnitt „zur Diphtherie-Heilserumfrage“ zeigt uns den glänzend
Polemiker und Dialektiker, der auch dort lehrreich und interessa
ist, wo er offenkundig irrt. Ohne Zweifel hat K. zur Beurteilung d
hier behandelten Themas mehr beigetragen als hundert andere, i
in breiten Phrasen lange schon leergewordenes Stroh nachdresch
zu sollen vermeint haben.
Von den Abhandlungen „aus verschiedenen Gebieten der Kindt
heilkunde“ sei nur jene über den grösseren Stoffverbrauch des Kind
erwähnt, weil sich hier heute schon bewahrheitet, was die Herai
geberin prophezeit, dass nämlich allerjüngste Forschungen bestätig
werden, was K. fast isoliert gegen hervorragende Autoritäten s
Jahren vertreten hat (vergl. z. B. Benedict und Talbot: T
Gaseous Metabolism of infants, Carnegie Instittuion 1914).
Dieses Thema leitet über zu Abhandlungen, die die Erkennt,
der Lebenserscheinungen im Lichte einer neuen Theorie behände
Gemeint ist des Verf. metabolische Stoffwechsellehre und seine g;
gliozentrische oder Reflexkettentheorie, ein geistvoll gefügtes b
logisches System, das mit der Kalorienlehre, mit der Isodynamie c
Nahrungsstoffe bricht und völlig neue Gedanken einführt. „Das b
logische Lehrgebäude von K. ist vielleicht dazu berufen, eine ne
Aera der Wissenschaft zu inaugurieren, die wieder den Mut ■>
Hypothese hat und bewusst konstruktiv zu Werke geht, um ein i
schlossenes mechanisches Weltbild aufzubauen.“ Schreibtischtbes
finden ja heute weit weniger Kredit als solche, die frisch aus c
Bürette gezupft wurden. Aber auch Wahrheiten letzterer Gent
sind sehr oft ephemer. Vielleicht lehrt das Schicksal von Kass
witz’ Metabolismus in der Tat, dass das Produkt aus dem Idet
laboratorium eines grundgescheitcn. ausgereiften Mannes von u
fassendem Wissen mit den Produkten anderer Laboratorien erio
reich in Konkurrenz treten kann. Pfaundler
Ph. B o c k e n h e i m e r - Berlin: Allgemeine Chirurgie. Leipj
Klinkhardt, 1914. 3 Teile. Preis gebunden 33 M.
Das grosse Gebiet der allgemeinen Chirurgie in einem nicht
un angreichen Werke zum Gebrauch für Studierende und Aer
I zusammenzustellen, erfordert intensive Arbeit und reiche Erfahru
Die allgemeine Chirurgie hat so ausserordentlich viel Beziehung
zu anderen wichtigen Disziplinen, zur pathologischen Anatomie,
Bakteriologie, zur inneren Medizin, dass ihre Darstellung neben ein
umfangreichen Wissen eingehende Vorarbeiten auf den verschied
sten Gebieten erfordert. Dem Verfasser ist diese schwere Aufgi
in dem vorliegenden Werke in vortrefflicher Weise gelungen. Er
es verstanden, aus der Fülle des Stoffes das Wesentlichste hera
zuwählen und dem Leser in kurzer und präziser Form darzustell
Durch seine langjährige Erfahrung als akademischer Lehrer sch
er zu dieser Arbeit in besonderem Masse befähigt.
Das Werk gliedert sich in 3 Teile. Der erste behandelt
chirurgische Operationslehre, der zweite die allgemeinen chirui
sehen Erkrankungen und der dritte die Geschwülste und Zysten.
Bei der Darstellung ist überall das Bestreben erkenntlich,
für die praktischen Bedürfnisse brauchbares Werk zu schaffen, d
den Leser schnell über alles Wissenswerte zu unterrichten und da
doch das Buch auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung
halten. Wesentlich gefördert wurde diese Absicht durch die Beig,
von sehr zahlreichen Abbildungen, die zum Teil der eigenen reic!
Sammlung des Verfassers entstammen, zum Teil anderen Wer!
entlehnt sind. Die Mehrzahl derselben muss als recht gut bezeich
werden. Nur die Röntgenbilder fallen gegen die anderen Figu
erheblich ab und lassen zum Teil sehr wenig von den betreffem
Veränderungen erkennen. Dieser Mangel wird in einer neuen P
läge leicht zu beheben sein. . Kreclu
Ernst Pagen Stecher: Ueber das Vorkommen des ende
sehen Kropfes und der Schilddrüsenvergrösserung am Mittelrhein
in Nassau. Mit einem Vorwort von Geh. Med.-Rat Proi.
K. Garre in Bonn a. Rh. Verlag: J. F. Bergmann, Wiesbac
1914.
In einer Zeit, in der die Bodentheorie und die Infektionsthe<
der Kropfentstehung noch unentschieden miteinander kämpfen,
jeder statistische Beitrag über Kropfhäufigkeit in bestimmten g
graphischen Gebieten wertvoll.
In der vorliegenden Schrift von Pa gen Stecher ist das
biet des Mittelrheins und von Nassau einer Bearbeitung unterzo
worden. Pagenstecher kommt auf Grund seiner Zusamm
Stellungen zu einer gewissen Bestätigung des B i r c h e r sehen
setzes: Wo devonischer Schiefer, also alte marine Bildung allein \
liegt, ist die Häufigkeit des Kropfes am stärksten, wo Süsswas'
bildung sich auf ihm abgelagert hat, fehlt Kropf im allgemeinen;
ringe Häufigkeit ist vorhanden, wo alluviales Gerolle Süsswas:
bildung durchsetzt oder wo sich Devon, tertiäre marine und -
wasserschichten berühren oder überlagern und Juramuschelkalk
zukommt.
Unerklärt und mit dem B i r c h e r sehen Gesetz nicht verein
ist jedoch die Häufigkeit des Kropfes im Neuwiedener Becken,
von vulkanischem Bimsstein hoch überschichtet ist. Vulkanische
biete sollten von Kropf nach B i r c h e r frei sein.
Oberndorfer - Münchei
, September_1914. _ MUKNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Die menschliche Intelligenz und ihre Steigerung. (Eine Anleitung
,n rationellen Denken.) Von Dr. med. A. Lorand. Verlag
erner Klink har dt. Leipzig 1914 S. 413. M 5 —
Nach mancherlei vorbereitenden Arbeiten über das Altern“
c rationelle Ernährungsweise“ u a. hat L. es jetzt unternommen!
cli die menschliche Intelligenz einer empirisch-medizinischen Betrach-
igsweise zu unterwerfen und unsere gesamte Geistestätigkeit bis
ihre einzelnen I unktionen des Denk- und Schlussvermögens, der
I obachtungsgabe und des Gedächtnisses vorn ontogenetischen Stand-
1 ^ te aus zu beleuchten. Obschon L. gleich im Vorwort sowohl für
.Methode seiner Betrachtungsweise als auch für den Inhalt seiner
, beit den einfachen gesunden Menschenverstand als Gegenstand
nes Interesses kennzeichnet, so ist die Aufgabe, die er sich stellt
m dem Einfluss der Zirkulationsverhältnisse im Gehirn bis zu
nen Vorschlägen zur modernen Schulreform) für den Raum eines
händigen \\ erkes fast zu kühn. Dennoch gelingt es der klaren
1 an belegen reichen Deduktion, uns nach und nach von der
1 rwirklichung seiner Theoreme zu überzeugen.
Eine besondere Gründlichkeit und Liebe ist der methodischen
:iehung unserer Jugend zugewendet. Die Kapitel über die Wichtig-
,i der Sinnesübungen, die Kunst des Vergessens, über rationelles
nen und Studieren gehören zu dem Besten, was ich über diesen
ft bisher gelesen habe. Die Abschnitte „von grossen Männern,
i kränkliche Kinder oder schlechte Schüler waren“ fesseln durch
Fülle der Beispiele und ihre geistvolle Diktion. Mit grossem
'•er und grosser Eindringlichkeit redet der letzte Teil des Werkes
der Reform unseres Schulunterrichts, von der Notwendigkeit der
dwerklichen Unterweisung neben der geistigen Paukarbeit, von
\ erbesserung des vernachlässigten deutschen Sprachunterrichts
i der Notwendigkeit der Erziehung genialer Kinder der Armen
der Heranziehung neuer Lehrgegenstände wie: die Biographien
sser Männer. Es ist der Grundriss zu einer Pädagogik grossen
es, wie sie Montessori begonnen und auch Ardigho ge-
t hat; auch wenn man der systematischen Entwicklung dieser
i lankengänge des Verfassers folgt, so erscheint die Verwirklichung
"er Vorschläge nicht nur durchaus möglich und wahrscheinlich
Gern sogar notwendig.
Man möchte von diesem Buche mit Leibniz’ Vater sagen
i er dem Sohn seine Bibliothek öffnete, „tolle, lege!“
Wolf- Meissen.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 128 Bd., 3.-4. lieft.
P. Sick: Weitere Erfahrungen mit kombinierten Narkosen.
s der chirugischen Abteilung des Diakonissenhauses in Leipzig.)
Sick wendet weiter mit bestem Erfolge die Skopolamin-
phiuminjektion vor der Narkose an. Wichtig ist, das Morphium
auch das Pantopon nicht mehrmals mit dem Skopolamin zu
•n, die kumulierende Wirkung kann zum Exitus führen, an dem
üblich das Skopolamin unschuldig ist. In dringenden Fällen wird
i 'Pin-Morphium in einmaliger Gabe verwendet. Der Verbrauch an
;ier ging mit dieser Methode auf % der früheren Menge zurück;
echen nur in 0,5—1 Proz. der Fälle (1000 Narkosen).
Bruno Storch: Ueber Magen- und Dünndarmsarkome. (Aus
: äusseren Abteilung der Evangelischen Diakonissen-Kranken-
i alt zu Posen.)
4 Fälle von Magensarkom (3 Rundzellensarkome, 1 Lympho-
om). Nach der Literatur sind die Rundzellensarkome am häufig-
; Je ein Fall des Verfassers war am Pylorus, an der grn <en
atur, an der kleinen Kurvatur, an der Vorderwand lokal,, ert.
Sarkome metastasieren im allgemeinen weniger und später wie
; Karzinome des Magens. In einem Falle des Verfassers ent-
elte sich das Sarkom vielleicht auf dem Boden eines polypösen
oids. Die sichere Diagnose kann nur auf Grund der mikro-
ischen Untersuchung von Tumorteilen oder Metastasen gestellt
'tn. 2 Fälle von Dünndarmsarkomen: zystisch erweichtes Spin-
llensarkom des Jejunum und Rundzellensarkom des Jejunum,
sch findet sich meist das Bild der chronischen Enteritis, ein
■ iKteristisches Symptom existiert nicht.
Herbert Mosenthin: Seltenere Komplikationen der multiplen,
laginären Exostosen. (Aus der chirurgischen Abteilung der evan-
chen Diakonissenanstalt Posen.)
ln der Familie, aus der die beiden Patienten stammten, fanden
multiple kartilaginäre Exostosen vererbt bei mehreren Familien¬
iedern; in dem einen Falle hatte sich über einer Exostose ein
rysma ausgebildet, das durch üefässnaht unter Erhaltenbleiben
Zirkulation exstirpiert wurde, in einem 2. Falle war eine Exostose
' ne chondromatös degeneriert und machte Kompressionserschei-
'cn. Literatur.
Sy ring: Klinisches und Experimentelles zur Oesophagusplastik.
' der chirurgischen Universitätsklinik zu Bonn.)
Bei einer Oesophagusplastik nach Roux-Lexer wegen nar-
• Uesophagusstenose wurde die zur Plastik benutzte Jejunum-
ige antiperistaltisch gelagert. Verfasser musste nun im Gegen-
zu den Literaturberichten die Erfahrung machen, dass nach Ein-
J ng von Nahrung in den Magen eine so starke Peristaltik der
nge einsetzte, dass aller Mageninhalt wieder herausgepresst
e- Durchtrennung der Jejunumschlinge analwärts von der
oenterostomie, Durchtrennung des zuführenden Mesenteriums
fh!rnhtem dCin Zli-tanl mir se,lr wenig- Die Patientin starb an einer
iw*-- * In,an'tl01n begünstigten Lungentuberkulose. Unter keinen
Sphiin^eü *dar • demnach bei einer Oesophagoplastik die benutzte
bcnlmge antiperistaltisch gelagert werden. Speziell „Vagotoniker“
Ä"^rC ,*antiPerist;dtische Darmverlagerung bei Oesophago-
k*On kHgefahrdet scm‘ Durch Ausschaltung der Reizlcitung braucht
keine Hemmung dieser gefährlichen Peristaltik einzutreten (Wirkung
ei^U|rbachSChe,n Plexus)‘ Die klinischen Erfahrungen und
uf ” n'XPeumen ,e d<Ts Verfassers zeigen, dass in gleicher Weise
v’plUrm [)esopha8°P|ast|l< aus der grossen Kurvatur nach J i a n u eine
Pp^mL*h ’ nam oben gerichtete Peristaltik auftreten kann, die das
schal teil fmacht; Gelingt nicht> diese Peristaltik auszu-
S .«Vf-- :sc.horf/l!nK der Serosa + Muskularis, Torquierung, Atro-
p iüir iv i r die Des°P hauoplastik die isoperistaltische Verlagerung
einer Dunndarmschhnge das gegebene Verfahren.
Ho., v' Dossen; Ueber Vererbung familiärer Merkmale, speziell
den Vcrerbungsmodus der Bluterkrankheit und Versuch seiner Er-
Klärung.
f , ,Die Vererbung der Hämophilie in der Bluterfamilie Mampel er-
Fr au p n 3 n h p r f 01 Ges^z: ”Pie Anlage zu Blutungen wird nur durch
Eau„ern ubertragen, die selbst keine Bluter sind. Nur Männer sind
heh-ntpnVHriprbRin*abier’ «le Prauen aus blutgesunder Familie
eiraten, die Blutanlage nicht. Zur Klärung des gynephoren Ver¬
erbungssystems der Familie nimmt L. an, dass 1. die Blutanlage, wenn
Me in der befruchteten Eizelle sich befindet, eine unteilbare Erbeinheit
ist, 2. die Erbeinheit der Bluteranlage in der Familie M. sich immer
nur emmai in der befruchteten Eizelle findet und hierbei von dir
Mutter stammt; 3 beim Auswachsen der befruchteten Eizelle der
Bluterkeim entweder in die Körperanlage (Ursomazelle) oder in die
rortpflanzungsanlage (Urgeschlechtmutterzelle) übergeht, welche der
Beginn der Keimbahn und Keimanlage darstellt, 4. der Bluterkeim
meist mit der Determinante für das männliche Geschlecht verkettet
ist und damit auswächst. Erwähnung anderer Bluterfamilien, die
z. i. „zw eikeimige Bluter repräsentieren. Durch Röntgenbestrah-
mng geringen Grades würde es vielleicht gelingen, den dominanten
Bluterkeim in einen rezessiven zu verwandeln und damit die Nach¬
kommenschaft gesund zu machen.
Fritz R i s: Beitrag zur Kenntnis des chronischen „Rotzes“ beim
Menschen. (Die Wirkung verschiedener therapeutischer Mass¬
nahmen.)
Ausführliche Krankengeschichte eines Veterinärs, der sich bei
der mikroskopischen Untersuchung von Präparaten eines rotzkranken
Bierdes infizierte. Die Diagnose wurde bakteriologisch gestellt, die
Inkubation betrug 6 Tage, die Krankheit zeigte sich in folgenden
1 hasen: 1. Pleuritis, 2. Muskelabszesse, 3. Bronchitis, 4. Pharyngo-
Laryngitis, 5. Septikopyämie. Sämtliche sonst verwandte Medi¬
kamente: Jod, Arsen, Schwefel, Kollargol Hessen im Stich. Neu ist
die Anwendung der Röntgentherapie gegen die Affektionen des Pha-
r,ynxWLfynx’ der Dhren, der Nase gegen die spezifischen Abszesse;
die Wirkung war eine entschieden günstige, ebenso wurden Salvar-
saninjektionen gut vertragen und beeinflussten das Leiden günstig.
Es kam nicht zur Heilung, der Kranke lebt noch, ist aber durch das
schwere Leiden hochgradig geschwächt.
Esau: Weitere Beiträge zur Appendizitis. (Aus der chirur¬
gischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Oschersleben.)
Appendizitische Eiterungen und Polyarthritis acuta. Der Auf¬
fassung einiger Autoren, dass die rheumatische Affektion für die
dizitis prädisponiert, kann man nicht beipflichten, in dem von
E. ucobachteten Fall war das Zusammentreffen der beiden Erkran¬
kungen ein rein zufälliges Ereignis.
Totalgangrän der Appendizitis (Sequestrierung), die total gan¬
gränöse Appendix schwamm in dem eröffneten Abszess. Ausheilungs¬
zustände (Defekte in der Kontinuität und Selbstamputationen). Echte
Steine, Bandwürmer und Fremdkörper in der Appendix (Birnenkern
und eine Nadel). Karzinom der Appendix (Resectio ileocoecalis w'egen
Verdacht auf Tuberkulose, mikroskopisch findet sich ein Carcinoma
scirrhosum der Appendix. Die extraperitoneale Appendix (nur die
Spitze lag intraperitoneal), retroperitoneale Lage der appendizitischen
Eiterung (ein interessanter Fall mit Beugekontraktur des Hüftgelenks
als Symptom), subfasziale Eiterung der Appendix (alle 4 Fälle zeig¬
ten eine scheinbare Mitbeteiligung des Hüftgelenks, diagnostisch wich¬
tig ist vermehrter Druckschmerz bei gestreckt erhobenem Bein), fer¬
ner Erwähnung eines Falls von Wanderung eines appendizitischen
Abszesses unter dem Lig. Poupartii durch zum Oberschenkel. Magen¬
darmblutungen nach Appendizitis (Blutung 12 Tage nach der Opera¬
tion). Fisteln nach Operationen wegen Appendizitis. Appendizitis
und Chorea (1 Fall), Appendizitis und akute Halluzinose. Differential¬
diagnostisches zur Appendizitis (Pneumonie unter dem Bilde der aku¬
ten Appendizitis, appendizitische Peritonitis unter dem Bilde der
Brucheinklemmung).
Grisson: Bauchdeckenplastik. (Aus der chirurgischen Ab¬
teilung des Freimaurerkrankenhauses in Hamburg.)
Wo Gr. genötigt war, bei einer Appendektomie zu tamponieren,
bleibt die Wunde ganz offen und es folgt später eine Bauchdecken¬
plastik: die Hautnarbe wird exstirpiert, die oberflächliche Faszie
parallel dem Hautrande durchschnitten und ihr Rand mobilisiert, der
stehengebliebene Streifen mitsamt der tiefen Faszie vernäht. Naht
der tiefen Faszie, Naht der oberflächlichen Faszie mit Duplikatur.
Instruktive Abbildungen. Auf 34 kontrollierte Operationen nur ein
*iy42
MUENCtiENfcfc MmZftrtSCBfc XVOcB^SitiW'T. _
Rezidiv (Wie N a r a t h und Verfasser mit Recht betonen, wird das
Verfahren wohl sicher von anderer Seite schon angewandt, die
Klinik Fnderlen wandte es schon vor Jahren an, ebenso Ret.)
AI H a g e n t o r n : Ein Beitrag zur Operation der Blasenektopie.
(Aus dem städtischen Krankenhaus in Kowno, Russland.)
11 schlägt vor. das lleum mit seinem Mesenterium entsprechend
der Anastomose zwischen A. ileocolica und Mesent. sup. quer zu
durchtrennen, dann mit dem zentralen lleum eine lleozoekostomie
auszuführen, den peripheren Ileumabschmtt nebst Mesenterium duren
einen Spalt im rechten M. rect. zu ziehen und die mobilisierte Blase
mit der Dtinndarmschlinge zu vereinigen.
A. K ö h 1 e r - Berlin: Ueber den Zucker und den Kohleverband.
Wie K. in einer historisch-medizinischen Abhandlung zeigt, geht
die Wundbehandlung mit Zucker (neuerdings wieder von Magnus
u a empfohlen) schon auf das Jahr 300 bis 600 n. Ohr. (Indien) zu¬
rück. Der Kohleverband (neuerdings wieder von Hammer emp¬
fohlen) ist jüngeren Datums.
Erich Fabian: Zur Behandlung der Fractura condyli exterm
liumeri mittels Exstirpation des freien Fragments. (Aus dem chirur¬
gisch-poliklinischen Institut der Universität Leipzig.)
1 mal wurde die totale, 1 mal die partielle Exzision des üondylus
cxt. ausgeführt. Wenn die Adaptierung der Fragmente nicht sicher
gelingt, so ist die Exstirpation die beste Methode.
Walter Carl: Eigenartiger Heilungsvorgang bei suprakondylaren
Humerusfrakturen im Kiiidesalter. (Aus der chirurgischen Klinik der
Universität in Königsberg i. Pr.) , , ,
Bei 2 suprakondylären Humerusbrücken bei Kindern mit starker
Verlagerung zeigte sich, dass von dem peripheren Fragment aus,
sich ein neuer Humerus ausbildete und dass der alte dislozierte Schaft
allmählich sich stark zurückbildete und ausser Kurs gesetzt wurde,
so dass das funktionelle Resultat schliesslich ein recht gutes war.
C. nimmt an, dass der Humerus bei der Fraktur seines Periost¬
schlauches entblös'st wurde, der mit dem peripheren Fragment in Zu-
sammenhang blieb, so dass sich ein neuer Röhrenknochen entwickeln
konnte.
Kurze Mitteilungen. ,
Rittershaus: Ueber das primäre Karzinom der Vulva. tAus
dem Herzoglichen Landkrankenhause zu Koburg.)
3 Fälle von primären Vulvakarzinomen mit Besprechung der
Häufigkeit (268 Fälle) der Klinik und der Therapie.
Flörcken - Paderborn.
Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 35, 1914.
A. T. J u r a s z - Leipzig: Die Paravertebralanästhesie im Dienste
der Gallensteinchirurgie.
Verf. schildert an der Hand von 2 Fällen, bei denen völlige An¬
ästhesie erzielt wurde, genau die Technik der einseitigen Paraverte¬
bralanästhesie: in linker Seitenlage bei angezogenen Beinen wird zu¬
erst etwa 3 cm von der Dornfortsatzlinie entfernt ein linearer Haut¬
streifen anästhetisch gemacht; dann geht er innerhalb dieses Streifens
in der Höhe der Spitze des 6. Dornfortsatzes mit einer feinen Nadel
ein und sucht sich den unteren Rand des Querfortsatzes auf; dicht
unter ihm führt er die Nadel J4— 1 cm tiefer ein und tastet so lange,
bis der Pat. einen nach vorne ausstrahlenden Schmerz äussert; hier
werden dann 5 ccm einer 1 proz. Novokain-Suprarenin-Lösung ein¬
gespritzt; ebensolche Injektionen werden an den Austrittsstellen des
7. Dorsal- bis zum 2. Lumbalnerven gemacht, so dass im ganzen
40 ccm einseitig eingespritzt werden. Wichtig ist, dass die Ein¬
spritzung in die Nähe des Foramen intervertebrale gelangt. Mit
diesen Mengen, einseitig eingespritzt, hat Verf. öfters schon völlige
Anästhesie der Bauchdecken, des Bauchfelles und der rechtsseitigen
Bauchorgane erzielt. Diese Methode eignet sich vor allem für Opera¬
tionen an Gallenwegen bei solchen Pat., bei denen die Allgemein¬
narkose kontraindiziert ist.
R. G u t z e i t - Neidenburg: Technisches zur Erleichterung der
Varizenexstirpation.
Verf. benützt, um sich die kleinen Krampfadern gut sichtbar zu
machen, einen vorher sterilisierten Tintenstift und zeichnet auf der
vorher mit Alkohol abgeriebenen Haut die sichtbaren Hautvenen nach.
Dann erfolgt Pinselung der Haut mit Jodtinktur; die Venen erscheinen
darnach schwarz auf braunem Grunde und bleiben während der
Operation gut zu erkennen.
E. Heim- Oberndorf b/Schweinfurt.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 34, 1914.
H. Albrecht - München: Die Anwendung des Koagulen Kocher-
Fonio in der Gynäkologie.
Das von Fonio empfohlene Koagulen ist eine gerinnungsför¬
dernde Substanz, die aus Tierblutplättchen dargestellt wird. (Fabri¬
kant: Gesellschaft für chemische Industrie Basel.) Es bewirkt eine
Beschleunigung und Verstärkung der Blutgerinnung. A. hat das Mit¬
tel bei einer Reihe von vaginalen und abdominalen Operationen lokal
angewendet. Es wirkte prompt bei flächenhaften parenchymatösen
Blutungen, versagte aber bei allen arteriellen und venösen Blutungen.
Auch bei essentiellen Menorrhagien in subkutaner Anwendung sah A.
keine Erfolge. Das Mittel kommt in Pulverform in den Handel; zum
Gebrauch dient eine frisch bereitete 10 proz. Lösung in physiologischer
Kochsalzlösung, die auf die blutende Stelle aufgespritzt wird.
E. M e y e r - Frankfurt a. M.: Der Gummifäustling zur Leitung
der Sp°ntangehU jer Qurnrnj|iarKiscjmhc Gummifäustlinge, d. li
Fausthandschuhe zur Leitung der Spontangeburt besonders für Heb-
ammen geeignet. Sie werden zur Vorbereitung der Kreissenden, beim
Kürzen der Haare, Sekretentnahme, Katheterismus, Dammschutz und
Abnabeln des Kindes benutzt. Zur inneren Untersuchung sind sie
nicht verwendbar. Ihr Hauptvorzug liegt in einer grösseren Haltbar¬
keit und leichteren aseptischen Anwendung, als bei den Gummihand¬
schuhen M.s Erfahrungen stammen aus der städtischen Frauenklinik
in Frankfurt, wo sie sich seit Jahren gut bewährt haben.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 79. Band, 6. Heft.
E Moro: Ueber den Einfluss der Molke auf das Darmepithel
(Aus der Heidelberger Kinderklinik.) I. Mitteilung. (Hierzu 9 Text¬
abbildungen.) ...
Aus den schon von Lamby angestellten Ernahrungsversuchei
bei Säuglingen mit Frauen- und Kuhmolkengemisch liess sich die
Ueberlegenheit des ersteren Gemisches im Ernährungserfolg erkennen
Verf zieht aus seinen Versuchen allerdings nur den Schluss, das:
unter Umständen die Art der Molke allein den Ernährungseiiek-
offenkundig zu beeinflussen vermag. Den direkten Einfluss der Molki
auf das Darmepithel des Säuglings studierte Verf. einmal mittels de
Methode der „vitalen Färbung“ — die aber keine befriedigende
Resultate ergab. Nach der Methode der „Zellatmung“ konnte Verf
dagegen feststellen, dass die Rinderdarmzellen im Medium der lionm
logen Kuhmolke einen wesentlich höheren Oxydationswert erreichet
als im Medium der heterologen Frauenmolke. Dieses Verhalten tra
gesetzmässig auf. Die beschriebene Methode lässt nach Moro gut»
Verwertbarkeit zur experimentellen Inangriffnahme der in den folgen
den Mitteilungen bearbeiteten Spezialfragen erhoffen.
H. Hahn und E. Moro: Ueber den Einfluss der Molke auf da
Darmepithel. II. Mitteilung. Zur Frage nach der Artspezifität de
Molkenwirkung auf Darmzellen.
Die mitgeteilten Versuche ergaben folgendes Resultat: „De
Oxydationseffekt der Darmzellen verschiedener Tierarten war in
homologen Molkenmedium durchwegs grösser als in der Menschen
mölke. Die Unterschiede waren stets sehr deutlich ausgeprägt, be
sonders stark in den Versuchen mit Hundedarmzellen. Geringe
waren die Differenzen gegenüber Kuhmolke. In den Versuchsreihe
Schwein und Ziege zeigten sich gegenüber Kuhmolke zumeist über
haupt keine Unterschiede. Darmzellen von älteren Kindern und vo
künstlich genährten (nicht primär ernährungsgestörten) Säuglinge
ergaben ungefähr gleich grosse Oxydationswerte in Kuh-, Ziegen
und Frauenmolke. Zu den Versuchen mit dem Darmepithel von Früh
gebürten und Neugeborenen trat hingegen ein deutlicher Unterschie
zugunsten der homologen Frauenmolke zutage.“
D. Hayashi: Ueber den Einfluss der Molke auf das Darm
epithel. III. Mitteilung. Kolostrumversuche.
Aus diesen Versuchen geht hervor, dass eine die Dannzell
atmung des neugeborenen und jungen Kalbes begünstigende Wirkun
der Kolostrahnolke im Vergleich zu gewöhnlicher Kuhmolke mit diese
Methodik nicht nachweisbar ist. Ebensowenig liess sich in diese
Hinsicht ein Unterschied zwischen Erstkolostrum und älterer Koh
stralmolke ermitteln.
L. Klocman und E. Moro: Ueber den Einfluss der Molke ai
das Darmepithel. IV. Mitteilung. Untersuchungen über die an de
Verschiedenheit der Wirkung von Kuh- und Menschenmolke auf Kä'
berdarmzellen wesentlich beteiligten Faktoren.
Diese Versuche ergaben, dass sich analoge Unterschiede in de
Wirkung von Kuh- und Frauenmolke auf Kälberdarmzellen auch b
abdialysierten, salzfreien Rückstand nachweisen lassen. Die Ver
schliessen daraus, dass neben der „Salzwirkung“ oder vereint mit ili
der Einfluss einer weiteren Komponente anzunehmen ist. Diese
Stoff ist nach dem Verf. vermutlich eine lipoide Substanz, die durc
spätere Versuche noch näher charakterisiert werden soll.
E. Freudenberg und G. Sch of man: Ueber den Einflu:
der Molke auf das Darmepithel. V. Mitteilung. Resorptionsversueh
am überlebenden Kälberdarm.
Die Verf. konnten feststellen, dass aus Frauenmolke absolut un
prozentual wesentlich geringere Zuckermengen im überlebenden K:i
berdarm verschwinden als aus Kuhmilchmolke. Diese Beobachten
kann nicht durch Diffusionsvorgänge erklärt werden. Ein Nutzeffel
seitens der Kuhmolke für den Kalbsdarm wird ausgeschlossen, den
aus Milchzuckerlösungen resorbiert dieser fast geradeso gut wie an
Kuhmolke; auch aus eiweissfreier Molke so gut wie aus genuine
Dagegen wird gezeigt, dass der Frauenmolkc ein durch Kaolinad^iri
tion entfernbares schädigendes Prinzip für den Vorgang der Mild
zuckeresorption im Kalbsdarm anhaftet, also wohl ihrem Eiweis
Eiweissfreie Frauenmolke ist für den Darm so günstig wie Kuhinollv
Auch verdaute Molken beiderlei Art lassen keine Unterschiede hei
vortreten.
Ernst Freudenberg und Ludwig Klocman: Untei
suchungen zum Spasmophilieproblem. (Aus der Heidelberger Kindei
klinik.) II. Mitteilung.
Die Verff. verbreiten sich über die Darstellung und Eigenschafte
der durch komplette Oxydation von Lebertran gewonnenen Substar
des Oxylebertranes. Durch Bindung von Ca in ihren Oxygruppc
15. September 1914.
stellten sie das „Lipocalcin“ her, welches den Zellen das Kalzium
in hpoider Form zuführen soll, wodurch gegenüber der flüchtigen
des als ü alz zugeführten Ca, eine protrahierte Wirkung erzielt wer-
den sollte. Analysen und Versuclisprotokoll. Der theoretisch ein-
leuchtenden Kombination sollte die praktische Erprobung des Prä-
parates bei Spasmophilie folgen.
Eds E ö v e g r e n - Helsingfors (Fiiiland): Weitere Blutbefunde
bei Melaena neonatorum.
Kasuistische Mitteilung.
Vereinsberichte. Literaturbericht von A. N i e m a n n - Berlin.
Rommel- München.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 35 u. 36, 1914.
li. L o c n e n - Breslau : flandkrebs als Spätfolge einer Kriegs¬
wunde. Ä
Kasuistischer Beitrag.
Iheodor K oh r s -Lübeck: Das zytologische Bild der Intrakutan-
reakt.onen mit den D e y c k e - M u c h sehen Partialantigenen der
Tuberkelbazillen und dem Alttuberkulin.
Mikrobiologischer Beitrag.
0. B Meyer- Würzburg: Ueber Neuralgia brachialis und ein
eigentümliches Symptom bei derselben.
Bei Rasierstellung des Kopfes tritt ein Arm-(Schulter-)schmerz
aut, welchem bezüglich der brachialen Neuralgie diagnostische Bedeu¬
tung zukommt. Bei hartnäckigen und besonders schweren Formen
dieser trkrankung sollten stets Röntgenaufnahmen der Halswirbel¬
saule und der Plexusgegend gemacht werden, mit Rücksicht auf die
chirurgische I herapie bei eventuellen Neubildungen. Als ein neues
Vntineuralgikum hat sich das Algokratin gut bewährt. Für die
schweren Armneuralgien kommt die Injektionstherapie mit paraverte-
hralen bzw. epiduralen Injektionen an der Halswirbelsäule oder an
den peripheren Nerven in Frage.
Lungenspitzen11 a n n ^er^n' ^Ur D*asnostik ^er Erkrankungen der
Nach den Untersuchungen des V erf. scheint es wahrscheinlich
dass bei ein- oder doppelseitiger Affektion der Lungenspitzen viel
mutiger als bei gesunden Lungen eine verschiedene Reizbarkeit des
Musculus dilatator pupillae besteht, die durch Lähmung des Musculus
oculomotorius nach Einverleibung von Atropin oder Belladonna per os
erst deutlich in Erscheinung tritt.
Nr. 36.
Lothar D r e y e r - Breslau: Die jetzige Gestaltung des Druck-
Merenzver ahrens (Vorgetragen auf dem 43. Kongress der
■deutschen Gesellschaft für Chirurgie.)
Cf. Spezialreferat der M.m.W. 1914.
H. E c k s t ei n - Berlin: Ueber einige unbekannte Wirkungen der
Kontgenstrahlen und ihre therapeutische Verwertung. (Vortrag ge-
lalten in der Berl. med. Ges. am 8. Juli 1914.)
Cf. S. 1589 der M.m.W. 1914.
i d"" a 11 J e n 6 e r g - Berlin-Lichterfelde: Klinische Anwendung
ler Kontgenphotographie der Leber und Milz. (Nach einem Vortrag
n der Berl. med. Ges. am 1. Juli 1914.)
Cf. S. 1533 der M.m.W. 1914.
O. H e i n e m a n n - Berlin: Ueber Lupus syphiliticus. .
\ i, fu bfr'chtet über einen Fall von Lupus syphiliticus, der grosse
Uhniichkeit mit Lupus vulgaris hatte und als solcher lange Zeit
1 ?i°!..behudflt wurde- Eine spezifische Kur brachte in 6 Wochen
ollstandige Heilung.
W. Kiel- Berlin: Eine Vorrichtung zum Auffangen und Trans-
ortieren von Stuhl für klinische Untersuchungen (Faecontenor).
Der Apparat besteht aus einer Glasschale mit einer Metall-
assung des Bodens, die mit Gurten leicht im Innern des Klosetts auf-
. “hangen ist. Ein mit einer Dichtung versehener Blechdeckel er-
nogheht einen sicheren Verschluss. Dr. G r a s s m a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 34 u. 35, 1914.
( i r o b e r - Jena: Die Behandlung bedrohlicher Zustände bei den
amorrhagischen Diathesen, bei der akuten Leukämie und Pseudo-
eukamie.
Klinischer Vortrag.
- R* edel -Jena: Ueber einen vor 22 Jahren operierten Fall von
vropttuberkulose mit deutlichen klinischen Erscheinungen.
Kurze Krankengeschichte eines 1892 operierten Falles. Kleiner
r 5r’ Oesophagus und Trachea fest umschliessender Kropf mit
h enDVerwachsungen- Nach 9 jährigem Stillstand entwickelte sich
i aen Kesten der Seitenlappen ein wahrscheinlich tuberkulöses Re-
rY- .. Bei 2 weiteren Fällen war Tuberkulose gleichfalls wahr-
-nunheh. Vielleicht beruhen Kropfrezidive öfter, als man annimmt,
unerkulose. Daher sollten häufige genaue histologische Uuter-
uenungen gemacht werden.
E. Juliusberger-Breslau: Koagulen Kocher-Fonio.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage Nr. 4.
M » t s c h e n b a c h e r - Pest : Die Stillung der par-
nchymatosen Blutungen mit Koagulen Kocher-Fonio.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage Nr. 4.
p. Dr eye r- Breslau: Beitrag zur Gefässchirurgie.
i,,.:1" Embolus in der Art. femoralis war nach einer Prostatektomie
ich entstanden. Nachdem die Extraktion von einem Längs-
MUFNCHhNKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1943
scbndt antprl'alb d°s P o u p a r t sehen Bandes nicht gelungen war,
wurde die Arterie im Adduktorenkanal geöffnet und schliesslich durch
ninspritzung von Kochsalzlösung durch einen Drain der 28 cm lange
verzweigte Pfropf zu der ersten oberen Arterienöffnung herausbeför-
dert. Die Naht war durch Arteriosklerose sehr erschwert. Schon
wahrend der Operation traten neue Emboli auf. Die Sektion ergab
aortaeSPrUngS°rt der Bmboden e*nen mächtigen Thrombus im Arcus
n.M ..S ph.u rJ. 1 übingen: Die Behandlung des Ulcus corneae ser-
pens mit Optochm (Aethylhydrocuprein).
hvHr Die experimentell festgestellte energische Wirkung des Aethyl-
inrd RCuPre!in E’°,pt0CIh,ln‘ ) auf Pneumokokken veranlasste Versuche
foc Pfi,fndlang des Vlcus corneae serpens an der Tübinger Klinik
Mischinferktion)WahrSChem 1ChC Fälle V°n PneumokokkenuIcus- 2 von
ist ^ÄeStel!ter Diagnose — bei anderen Arten von Infektionen
st das Mittel wirkungslos — wird das Geschwür etwa 1—2 Minuten
Vwftteh! d!e 2proz- sterile Lösung des Optochin getauchten
leicht^ Trnh, betup!t’, bls dlc nachste Umgebung des Geschwüres
;r.ubunS. zeigt; ausserdem 1—2 stündlich Instillationen der
2proz. Losung m den Bindehautsack, bis die Reinigung des Ge-
efnemUTLeis’teIh1tttdP MpSt ‘St d5f, Erf°ig erstaunlicli gut, schon nach
einem I ag steht der Prozess still, nach etwa 5—8 Tagen ist das Ge-
etell Thremigt'- v°T dCr Behandlung des Ulcus werden etwa
eiternde Thranensacke exstirpiert, sie sind durch Optochin nicht zu
beeinflussen. Zur Nachbehandlung dient die gelbe Salbe oder 3 bis
wurden 30 h n°'l d,fn 35 sicheren Pneumokokkenfällen
urclen 30 nur durch das Optochin geheilt, eigentlich versagt hat das
reaciLtTn nrnmmem HFa-- : *die , wahrscheinlichen Pneumokokkenfälle
Ieagierten Prompt und günstig, bei den Mischfällen war die Wirkung
weniger energisch und wurde noch eine Zinkbehandlung nötig.
Gegen die begleitende Iritis wirkt im ganzen das Optochin nicht
RUPh!,enhHiiend .gunsilg- — Am günstigsten wirkt eine frühzeitige
Behandlung der Geschwüre, notwendig ist die Verwendung frischer
Losungen, daher sind nur kleinere Mengen vorrätig zu halten. Bei
empfindlichen Kranken ist Kokainisierung angezeigt. — Ist die bak-
teriologasche Untersuchung nicht möglich oder ohne bestimmtes Er¬
gebnis, so kann der Praktiker zunächst gleichzeitig prophylaktisch
LPrl*Zh °Ptophm- and Proz. Zinklösung einträufeln, da die meisten
verursachtewlrnde?eSChWUre V°n Pneumokokken oder Diplokokken
A. Schneider und v. T e u b e r n - Bonn : Untersuchungen mit
d6r ^ Pkeno|PhthaleinProbe auf okkultes Blut in den Fäzes.
, • n?luCh den Erfakrungen der Verff. ist die Boas sehe Phenolphtha-
lemprobe ein sehr geeignetes und sicheres Mittel zum Nachweis
okkulter Blutungen in den Fäzes; sie ist an Feinheit der Web er¬
sehen und der Aloinprobe überlegen.
Schwangerschah!1 1 u n g ' GöttinSen: Behandlung der ektopischen
Klinischer Vortrag.
M. Rohde-Mülhausen (Els.)-Jena: Beitrag zur Bewertung der
Wassermann sehen Reaktion. s aer
Angaben über den Ausfall der W assermann sehen Reaktion
z. B. besonders bei nichtluetischen Nervenleiden, haben erst dann
nrho'iw0 en aWert\ Wenn4ZU ersehen ist< mit welchen Extrakten ge-
arbehet wurde. Ausserdem kann der Vergleich der verschiedenen
Reaktion bei Verwendung verschiedener Extrakte gewisse' diagnosti-
ni/m Be uem-Unn erl^Iten- Verf- Pflegf nebeneinander die Proben mit
Ihtschen Organextrakten und alkoholisch-syphilitischen Ex-
tiakten zu machen; daneben wird noch meist eine dritte beliebige
Hp angesetzt. In jedem Fall wird durch einen Vorversuch
der Ambozeptor austitriert; ferner wendet Verf. oft auch verstärkte
Serumdosen an (neben der üblichen Menge von 0,1 auf 2,5 ccm
Rohrchemnhalt auch Mengen bis zu 0,4) und bestätigt die von anderen
Vorigem 5 ff 1®”+ zuveDässigen Resultate in zweifelhaften Fällen.
Vor allem unterstützt er Kronfelds Forderung, dass derjenige, der
im Laboratorium die Proben anstellt und beurteilt, auch den klini-
aUfndeSvCa CS kennen so11 (Bespiel durch eine Kranken¬
geschichte). Die Was s ermann sehe Reaktion ist teils abhängig
p°n deil Sfnrochaten, teils von der Wirkung der durch fettspaltende
Fermente bewirkten Iipoiden Zerfallsprodukte. Es ist wichtig die
reine Lipoidreaktion der Organextrakte mit einer spezifischen Re¬
aktion zu vergleichen Verf. fand in vielen Fällen eine starke Reak-
!°n niu. Drganextrakten bei völlig fehlender oder geringer Hemmung
des alkoholisch-syphilitischen Extraktes und zwar fast stets bei
organischen nichtluetischen Prozessen des Zentralnervensystems wie
I unioren, schweren Intoxikationen, die das Nervensystem betreffen
(I seudotabes u. a ). Es werden eben auch bei diesen Prozessen
Lipoide freu che nur mit Organextrakten, aber nicht mit wässerig-
oder alkoholisch-luetischen Extrakten Reaktionen geben.
Aphasie 0 0 e b e 1 ‘ Hirschberg (Schlesien): Ueber Amusie und
Schlussergebnis: Die Anlage verschiedener Erinnerungs- und
Vorstellungszentren einerseits für Musik, andererseits für die Sprache
ist zuruckzuführen auf das Vorhandensein verschiedener Aufnahme¬
apparate für Töne, d. h. für regelmässige Schallwellen, und für
jcrausche, d. h. regellose komplizierte Schallbewegungen (wie sie
bei der Sprache vorwiegend in Betracht kommen).
1944
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 37.
Hosemann -Rostock: Schädeltrauma und Lumbalpunktion.
Neben einer Anzahl von Schädeltraumen mit mehr oder weniger
typischer und diagnostizierbarer extraduraler Blutung gibt es viele
Fälle von subduralen Blutungen, die kaum zu lokalisieren und viel¬
fach kaum zu diagnostizieren sind. Bei diesen gibt die Lumbal¬
punktion oft guten Aufschluss durch den Nachweis des bluthaltigen
Liquors; die gelbliche Färbung des zentrifugierten Liquors
und die blasse Farbe der ausgelaugten roten Blutkörperchen
eilaubt die Unterscheidung von etwaigen irischen bei der Punktion
erfolgten Blutbeimengungen. Hervorzuheben ist, dass dieser Blut¬
gehalt nicht nur bei Frakturen des Schädels oder der Wirbelsäule,
sondern auch einige Male nur bei wahrscheinlicher Hirnkontusion zu
finden war. Mancher Fall von „Commotio cerebri“ wird auf diese
Weise als Meningealblutung erkannt. Weiter erörtert Verf. die im
Anschluss an subarachnoideale Hämatome sich entwickelnden Er¬
scheinungen der Meningitis serosa und der Blutdrucksteigerung.
Schliesslich finden durch die Lumbalpunktion und Druckmessung
manche Fälle von Unfallsneurose und „Simulation“ nach Kopfver¬
letzungen (Kopfschmerz, Schwindel, Gedächtnisschwäche, Schlaflosig¬
keit usw.) eine Aufklärung. Beim Nachweis einer subarachnoidealen
Blutung ist eine sorgfältige Behandlung mit langer Schonung und
Ruhe einzuhalten. Neben dieser diagnostischen Bedeutung hat die
Lumbalpunktion oft eine sehr günstige therapeutische Wirkung. In
schweren Fällen von Verwirrtheit und langanhaltender Bewusst¬
losigkeit nach Schädel- oder Wirbeltraumen tritt nicht selten während
oder nach der Punktion (dieselbe ist nicht vor dem dritten
Tage zu machen und eventuell zu wiederholen; es braucht
oft nur ein Teil des Ergusses entfernt zu werden) ein Nachlassen
der Kopfschmerzen, Klärung des Bewusstseins, Schwinden etwaiger
motorischer Störungen ein. Weitere klinische Einzelheiten sind im
Original einzusehen.
L. S c h 1 i e p - Berlin: Ueber Blasenspalten.
Uebersicht über die Operationsverfahren. Krankengeschichte
eines Knaben von 8 Monaten mit der seltenen Fissura vesicae
superior. Erfolgreiche Operation mit direkter Vereinigung der Spalt¬
ränder.
A. Falk-Berlin; Zur Behandlung des Tetanus mit subkutanen
Magnesiuminjektionen.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage Nr. 6.
W. F o r n e t - Berlin; Ueber Fortschritte in der Schutzimpfung
gegen Typhus und Cholera.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage Nr. 6.
Adam-Köln: Das deutsche, österreichische, französische, russi¬
sche und englische Militärsanitätswesen.
Fortsetzung folgt. B e r g e a t - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1914. Nr. 28 30.
Nr. 28. H. Matti-Bern: Kombinierte Behandlung der Varizen
der unteren Extremität.
Verf. gibt einen sehr ausführlichen Ueberblick über die Literatur,
diskutiert die einzelnen Behandlungsmethoden und beschreibt dann
seine eigene Methode, bei der die hohe Ligatur der Vena saphena mit
der Exzision grösserer variköser Venenplexus kombiniert wird unter
gleichzeitiger Anwendung von Karbolinjektionen zur Thrombosierung
der Zwischenstrecken und Anastomosen. Das Verfahren wird im ein¬
zelnen beschrieben und durch 7 Krankengeschichten erläutert.
M. Roch: Ueber die Vereinheitlichung der Arzneimittelreklame.
Verf. schlägt vor, dass die Fabriken einheitliche Reklamekarten,
von denen er ein Muster beigibt, einführen, die der Arzt sammeln
und mit Notizen versehen kann, so dass er rasch sich aus seiner
Sammlung über ein neues Heilmittel orientieren kann. Die Karten
sollen Namen, Zusammensetzung, Preis, Dosierung des Mittels ent¬
halten.
A. B u r c k h a r d t - Basel: Nochmals der Doktortitel des Para¬
celsus.
Bericht über ein neues Dokument, aus dem hervorgeht, dass
Paracelsus in Ferrara zum Doktor promovierte.
Nr. 29. A. Müller: Ueber Prostataatrophie.
Blasenstörungen bei kleiner atrophischer Prostata sind relativ
häufig, durch kleine Adenome oder Schrumpfungen des Sphincter
intern, hervorgerufen. Verf. bespricht ausführlich die verschiedenen
Behandlungsmethoden. Literaturverzeichnis.
E. B i r c h e r - Aarau: Zum Kropfproblem. Polemik.
Nr. 30. E. W a 1 1 h e r - Zürich: Die physikalischen und bio¬
logischen Grundlagen der Strahlentherapie.
Uebersichtsreferat. L. J a c o b - Würzburg.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 34. K. Kofi er- Wien: Perseptale Operationen an der
lateralen Nasenwand.
Prinzip und Zweck des Verfahrens ist das Gebiet der lateralen
Nasenwand zur Untersuchung und zu operativen Eingriffen durch eine
im Septum angelegte Oeffnung (Resektion des Knorpels) zugänglich
zu machen. Ist z. B. die rechte laterale Nasenwand erkrankt, so
wird von der linken Nasenhöhle aus zuerst die Schleimhaut des Sep¬
tums in einem grösseren trapezförmigen Lappen zurückgeschlagen,
dann eine Oeffnung im Knorpel angelegt, schliesslich die der rechten
Nasenhöhle angehörige Septumschleimhaut in einem entsprechenden
Lappen zurückgeschlagen. Durch die Septumöffnung lässt sich nun
das Nasenspckuluin weiter nach hinten als bei der gewöhnlichen
Untersuchung einführen und die laterale Nasenwand mehr „en face“
sichtbar machen. Für eine Reihe operativer Eingriffe bietet dieser
Weg entschiedene Vorteile; u. a. ermöglicht er die Korrektur von
Septumdeformitäten und Operationen an der lateralen Nasenwand
in einer Sitzung; auch wird die Umgehung von normalen oder patho¬
logischen Hindernissen ermöglicht oder erleichtert. 8 Kranken¬
geschichten.
J. K o 1 1 a r i t s - Pest: Krieg und Tuberkulose.
Die Anstrengungen und Schädlichkeiten eines Feldzuges werden
bei vielen Soldaten die Entstehung der Tuberkulose oder das Her¬
vortreten einer bisher latenten tuberkulösen Erkrankung, insbeson¬
dere der Lungen herbeiführen. Verf. schlägt vor, für deren Behand¬
lung die von Fremden leerstehenden Sommerfrischen in den Bergen
mit ihren vielen Unterkunftsräumen und Betten heranzuziehen. Durch
gründliche Desinfektion könnte jede Gefahr für spätere Bewohner
ausgeschlossen werden.
Nr. 35. H. K eit ler und K. L i n d n e r - W'ien: Ueber den
Einfluss der Strahlenbehandlung auf die sog. Abderhalden sehen
Abwehrfermente.
Die Beeinflussung der Abderhalden sehen Abwehrfermente
durch Röntgen- bzw. Radiumbestrahlung lässt sich an Kaninchen
nachweisen, denen Plazentarbrei injiziert wird. Bei den nichtbe-
strahlten Tieren fanden die Verfasser ausnahmslos positive Reaktion
auf Plazenta, dagegen fehlte diese Reaktion bei allen bestrahlten
Tieren. Jedenfalls wird die Bildung der Abwehrfermente durch die
Bestrahlung mindestens verzögert Für die Praxis folgt aus den
Versuchen, dass da, wo eine Strahlenbehandlung im Gange ist, der
negative Ausfall der Reaktion nicht gegen ihre Verlässlichkeit spricht.
Andererseits kann eine negative Reaktion bei bestrahlten Krebsfällen
auch als Beweis gelten für den Eintritt einer anatomischen Heilung.
Nr. 36. Th. B a r s o n y - Pest: Ueber die Diagnose des gleich¬
zeitigen Vorkommens von Magen- und Duodenalgeschwüren.
Das gleichzeitige Bestehen von Magen- und Duodenalge¬
schwüren ist nicht selten, wird aber selten richtig festgestellt. Verf.
beschreibt. 8 Fälle, wobei die Kombination der Symptome für ein
gleichzeitiges Bestehen sprach, aber doch nur ein isoliertes Magen¬
oder Duodenalgeschwür vorhanden war. Mit Vorsicht sind sogar
bei der Operation gefundene Narben auf der Serosa des Duodenum
zu deuten, ihnen entspricht nicht immer ein Geschwür der Schleim¬
haut. Bei isolierten Magengeschwüren spricht öfters die Anamnese
für duodenale Erscheinungen, ohne entsprechenden Röntgenbefund ist
daher die Anamnese nicht hinreichend für die Diagnose eines Duo¬
denalgeschwürs. — Bei Sanduhrmagen, die auf Grund eines Magen¬
geschwürs entstehen, können die von der Einschnürung aboral
liegenden Teile charakteristische Röntgenzeichen für Duodenalulcus
zeigen, ohne dass im Duodenum irgend eine Veränderung vorliegt.
— Bei isoliertem Duodenalulcus kann gleichzeitig ein spastischer
Sanduhrmagen bestehen.
In einem der Fälle war der für kombinierte Geschwüre charak¬
teristische Symptomenkreis vollständig, es fand sich aber nur ein
Ulcus des Magens und eine grössere Serosanarbe des Duodenums;
vielleicht ging von dieser ein Teil der Symptome aus.
M. K ah an e- Wien: Vorschläge zur Organisation der spezial¬
ärztlichen Dienstleistung in Kriegszeiten.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage Nr. 6.
B e r g e a t - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Freiburg. August 1914.
R netten Felix: Experimentelle Untersuchungen über Phagozytose.
Willrich Georg: Das Blutbild bei Diphtherie als Hilfsmittel für die
Diagnose und Prognose.
Universität Halle a/S. Juli — August 1914.
Budnick Paul: Ein Fall von R o b e r t schem Becken.
Dienemann Rudolf: Ueber Kaptitis im Kindesalter.
F a b e 1 i n s k i Lasar: Ein Fall von Ulcus rodens vulvae.
Franke Martin: Ueber die Wirkung von Neosalvarsan bei Lues des
inneren Ohres.
Merkel Curt: Ueber Molluscum contagiosum.
Müller Erich: Ein Beitrag zur Graviditas ovarica.
Noack Fritz: Der Uebergang der mütterlichen Scheidenkeime auf
das Kind w'ährend der Geburt.
Sercarz Konrad: Zur Kenntnis der Allgemeininfektionen mit
Streptococcus viridans.
Storch Bruno: Ueber Magen- und Dünndarmsarkome.
Strumpf Paul: Ueber eine neue Modifikation der v. Pir quet¬
schen Hautreaktion.
Universität Jena. August 1914.
Müller Fritz: Ein klinischer und experimenteller Beitrag zur Frage
der sogen, reflektorischen Anurie.
Koch Erich: Ueber chronische Entzündung der pylorischen Magen¬
wand als Grundlage der gutartigen Pylorushypertrophie des Er¬
wachsenen.
5. September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1945
Vereins* und Kongressberichte.
65. Versammlung der American Medical Association.
(Eigener Bericht.)
Der amerikanische Aerztcverband hielt seine diesjährige Ver-
jmmlung V0If| ~2-— 26. Juni in Atlantic City ab. Ueber 3500 Mit-
Üecer aus allen Staaten der Union waren anwesend. Noch nie
uvor war die Versammlung so zahlreich besucht worden.
Das Delegiertenhaus, der geschäftsleitende Ausschuss des Ver-
andes, trat am 22. Juni vormittags zusammmen. Die Berichte der
erschienenen Kommissionen legen Zeugnis ab von der weitrcichen-
en Tätigkeit und der Energie, welche der amerikanische Aerzte-
erband zur Hebung des Medizinalwesens, zur Förderung der öffent-
chen Hygiene und zum Schutze seiner eigenen Interessen entfaltet
Der erste Bericht wurde vom Rechtsrat vorgelegt. Derselbe
e richtet, dass in letzter Zeit die tägliche Pressse vielfach als Re-
lamemittel einzelner Aerzte und Chirurgen benutzt worden sei in
er W eise, dass seltene und schwierige Operationen oder die Bc-
andlung hervorragender Persönlichkeiten mit grossem Pomp in der
iglichen I resse breitgetreten worden seien. Es wird zugegeben,
.iss es geziemend sei, das Volk mit hervorragenden Leistungen und
eri Fortschritten auf dem Gebiete der Medizin bekannt zu machen
ber es soll nicht in einer Weise geschehen, dass solche Presse-
rzeugnisse als Reklame dienen. Es wird beschlossen in jedem
taate eine besondere Kommission zu ernennen, die darüber zu
achen hat, dass die ethischen Regeln des Aerztestandes nicht in
roher Weise verletzt werden.
Ferners wird berichtet, dass während der amerikanische Aerzte-
.rband bisher immer den Grundsatz befolgt habe, dass chirurgische
istrumente und andere Apparate, welche von Aerzten und Chi-
irgen eifunden worden, von den Erfindern nicht patentiert und
isgebeutet werden sollen, es sich herausgestellt habe, dass solche
sti umente, namentlich wenn sie sich als gewinnbringend erweisen,
m den Besitzern der Werkstätten, in denen sie hergestellt werden,
itentiert und zu hohen Preisen an die Aerzte und Chirurgen ver-
mft werden. Auf Antrag der Kommission wurde beschlossen, dass
;r Aerzteverband wichtige Erfindungen dieser Art von den Er-
idem übernehmen und selbst patentieren solle, so dass die Aerzte
ane übermässigen Preise zu bezahlen haben.
Von besonderem Interesse ist der Bericht der Kommission für
rentliche Hygiene und Aufklärung des Volkes. Die Tätigkeit dieser
'mmission ist auch im vergangenen Jahre sehr fruchtbringend ge-
esen, indem durch öffentliche Vorträge hervorragender Aerzte,
rch Flugschriften und durch zahlreiche Artikel, die in der täglichen
esse veröffentlicht wurden, das Volk mit den hygienischen Fragen
t Zeit bekannt gemacht wurde. Dabei haben sich die Wander-
ldervorträge besonders wirksam erwiesen, das Volk für solche
agen zu interessieren.
Von grosser Wichtigkeit sind die Resultate einer Untersuchung
r hygienischen Verhältnisse in den Land- und Stadtschulen. Nach
m Berichte gibt es mehr kranke und gebrechliche Kinder in den
tndschulen, obgleich die gesundheitlichen Verhältnisse in den
adtschulen noch mangelhaft sind. Man fand, dass von 294 427
hulkindern in Pennsylvanien 75 Proz. ärztlicher Behandlung unter-
irfen werden mussten, während von 287 469 Kindern der Stadt
:w York nur 72 Proz. ärztlich behandelt wurden. Lungenkrank-
uen waren in New York mit 1 Proz. vertreten, während das Land
Proz. aufwies. An Unterernährung litten in der Stadt 23 Proz.,
i dem Lande aber 31 Proz. der Kinder. Die Untersuchungen er-
eckten sich jedoch nur auf verhältnismässig wenige Landdistrikte
d es wäre gewagt, diesen Zahlen allgemeine Geltung zuzuschreiben.
Da in einer Anzahl von Staaten noch Tausende von Kindern
ter 16 Jahren in Fabriken. Bergwerken und anderen Arbeiten ver¬
endet werden, wodurch deren Gesundheit und Lebenskraft unter-
iben wird. wurde auf Antrag der Kommission beschlossen, in allen
laten, welche noch keine diesbezüglichen Gesetze haben, dahin zu
wirken, dass die Kinderarbeit gesetzlich verboten werde. Der
itrikanische Aerzteverband soll auch seinen Einfluss darauf ver¬
enden, dass eine diesbezügliche Bill, die gegenwärtig dem Kon-
.‘sse vorliegt, zum Bundesgesetz erhoben werde.
Die Kommission für medizinische Bildung berichtet auch dieses
^ir über erfreuliche Fortschritte auf dem Gebiete des medizinischen
^ns in allen Staaten. Die Vorkenntnisse der zum Studium
Medizin sich Meldenden sind überall erhöht worden. Die Zahl
! medizinischen Schulen ist auch dieses Jahr wieder reduziert
rden In dieser Richtung hat namentlich der Süden, der früher den
rdstaaten weit zurückstand, grosse Fortschritte gemacht. Vor
'Jahren waren in den Südstaaten noch 41 grössere und kleinere
uizinische Schulen. Gegenwärtig bestehen deren nur noch 24,
beinahe alle ebenso hohe Anforderungen zum Eintritt stellen als
Schulen der Nordstaaten.
Die Rote Kreuz-Kommission wurde im Jahre 1912 ins Leben ge-
211 dem Auftrag, in allen Staaten lokale Rote Krcuz-Kommis-
ien zu organisieren, um im Kriegsfälle und in Zeiten grosser
| astrophen eine Anzahl geeigneter Aerzte bereit zu haben, die ge-
lt sind, ihre Dienste dem gemeinen Besten zu widmen. Solche
nmissionen sind denn auch im letzten Jahre überall organisiert
rden.
Die Kommission für Nomenklatur und Klassifizierung der
Krankheiten berichtet über Unterhandlungen mit der gleichnamigen
Kommission des Royal College of Physicians of London, um eine
einheitliche Nomenklatur der Krankheiten in der englischen Sprache
zu erzielen. Ein bestimmtes Resultat ist indessen noch nicht er¬
reicht worden.
Eine Spezialkommission legt der Versammlung einen Bericht
, er ein beabsichtigtes Denkmal in Panama vor. Dieses Denkmal,
,s. ^on dem amerikanischen Aerzteverband errichtet werden wird,
so den Triumph der Wissenschaft über die Krankheit darstellen
und in zweiter Linie soll es ein Denkmal des fortschrittlichen Geistes
der amerikanischen Medizin sein, aus der die Männer hervorge¬
gangen, deren Wissen, Iatkraft und Ausdauer das grosse Werk des
Kanalbaues möglich machte. Das Denkmal wird die Namen des
Obersten Gor gas und aller Aerzte tragen, welche ihm in seinen
Arbeiten behilflich waren.
• B'e Generalversammlung wurde am 23. Juni vormittags vom
zurucktrctenden Präsidenten Dr. Wi t h e r s p o o n - Nashville er-
onnet. Nach verschiedenen Begriissungsreden übergab der
n umv im j^am2n des amerikanischen Aerzteverbandes Herrn
Ui. William C Gor gas, Generalstabsarzt der amerikanischen
Annee eine goldene Ehrenmedaille in Anerkennung seiner grossen
er dienste um die Wissenschaft und die Erbauung des Panama-
Kanals. Der so Geehrte nahm die Medaille mit den bescheidenen
v\ orten entgegen, dass er die Ehre mit der grossen Anzahl von
Aerzten teilen müsse, die ihm in seinen Arbeiten so getreulich zur
beite standen und die Erbauung des Kanals möglich machten.
Hierauf hielt Dr. V a u g h a n - AnnArbor, der diesjährige Prä¬
sident, eine ausgezeichnete Rede, in welcher er auf die grossen
Verdienste der medizinischen Wissenschaft um den Fortschritt der
menschlichen Kultur hinwies. „Die Geschichte der Medizin ist die
Geschichte der Menschheit" sagte er. In einem raschen Ueberblick
vergangenen Zeiten zeigte er, wie die Aerzte in allen
Jahrhunderten die Träger des Lichtes, der Aufklärung und des Fort-
s cli ritt es waren. Grosses hat die moderne Medizin geleistet, aber
vieles bleibt noch zu tun übrig. Noch immer gedeiht die Quack-
salberei zum Schaden des Volkes, noch ist die Unwissenheit und
Aberglaube stark. Das Land von diesen Uebeln zu befreien ist
die Aufgabe der jungen Vertreter der medizinischen Wissenschaft
Bei den Neuwahlen wurde Dr. William L. R o d m a n - Phila¬
delphia zum Präsidenten für das kommende Jahr erwählt. Die
nächste Versammlung wird in San Francisco bei Anlass der dortigen
Weltausstellung stattfinden.
Eine überaus reiche wissenschaftliche Ausstellung, welche wäh¬
rend der vier Tage allen Besuchern offen stand, legte Zeugnis ab
von dem gesunden und fortschrittlichen Geiste, der in der ameri¬
kanischen Medizin herrscht. Besonders sehenswert waren die Aus-
stellungsgegenstände in der experimentellen Medizin, namentlich
über Krebs, Magengeschwür, Tumorwachstum, Pneumonie usw.
A. A 1 1 e m a n n.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 24. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
Vor der Tagesordnung:
.. Herr Niklas (a. G.) demonstriert als Nachtrag zu seinem
Vortrag über Dickdarmmelanose 2 makroskopische Präparate, näm¬
lich ein Stück Zoekum eines 37 jährigen an Morbus Addisonii ge¬
storbenen Patienten, dessen Sektion in jeder Beziehung typische
Büder ergeben hatte. Interessanterweise war auch die Dickdarm¬
schleimhaut von einer gleichmässig blass graubraunen Farbe; da¬
neben waren bei genauestem Zusehen feinste helle Pünktchen zu er¬
kennen. Mikrochemisch wurde das die Färbung hervorrufende Pig¬
ment der Mukosa als Melanin identifiziert. Vortr. hat mit diesem
Darm Autolyseversuche, wie er sie in seinem Vortrag besprochen
hatte, angestellt und dabei eine hochgradige Dunklerfärbung der
Schleimhaut erzielt, die jetzt den echten Melanosefällen in jeder Be¬
ziehung gleicht, besonders auch, weil auf dem dunkeln Untergrund
die hellen Follikel nun deutlich hervortreten. Autolyse mit den
zyklischen Aminosäuren wirkte rascher und intensiver als die mit
einfacher physiologischer Kochsalzlösung. Nebennierenpräparate als
Autolysenflüssigkeit ergaben das gleiche Resultat, allerdings nicht in
dem Verhältnis, wie es beim normalen Darm zutage trat.
Herr Igersheimer: Krankendemonstration.
Die 18 jährige Patientin, die ich Ihnen demonstriere, hat vor
allem aus 2 Gründen allgemeineres Interesse. Sie wurde am
29. V. 14 wegen einer linksseitigen Iritis luetica in die Augenklinik
aufgenommen und bot auch sonst Symptome sekundärer Lues.
WaR. ++++. Während der Augenhintergrund in den ersten Tagen
der Behandlung normal war, zeigte sich am 3. VI. 14 eine P a p i 1 1 i -
t i s am rechten Auge, die ganz das Bild der Stauungspapille ophth.
darbot, aber mit einem relativen zentralen Scotom einherging.
S. — "U. Schon dieses Skotom sprach gegen eine reine Stauungs¬
papille und weiter sprach dagegen, dass bei der Lumbal¬
punktion nur ein Druck von 60 mm gefunden wurde. Im übrigen
bestand Lymphozytose, positiver Nonne und positive WaR. (bei
1946
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 37.
0,8 ccm) im Liquor. Die Prominenz der Papille betrug zwar etwa
3 Di. und war also nicht durch erhöhten Hirndruck bedingt. Der
2. Punkt von Interesse waren die in der Nacht vom 4. auf 5. VI.
plötzlich eintretenden erheblichen Hämorrhagien um die Papille
herum. Die plötzliche hochgradige Veränderung des ophth. Bildes
war sehr frappant. Mir scheint aber weniger das ophth. Bild hier
von Bedeutung als vielmehr die Tatsache, dass die Patientin nicht
mit Salvarsan behandelt worden war. Sie hatte nur einige wenige
Quecksilbereinreibungen durchgemacht. Wieviele Autoren hätten
wohl diese Netzhauthämorrhagien auf eine Wirkung des Arsens be¬
zogen, wenn die Patientin ein Arsenpräparat erhalten hätte!
Tagesordnung: 1
Herr M. Kochmann: Ueber die Wirkung von Arznei¬
gemischen, unter besonderer Berücksichtigung der Lokalanästhetika.
K. berichtet über Versuche, die er mit einer Reihe von Mit¬
arbeitern, besonders Herrn A. Hoff mann, Oberarzt an der chirur¬
gischen Klinik in Greifswald, angestellt hat. Es wird durch die am
Tier und Menschen unternommenen Versuche gezeigt, dass Chloro¬
form und Aether im Verhältnis von 1 Teil flüssigem Chloroform auf
6—7 Teile Aether miteinander gemischt eine Wirkungsverstärkung
über das arithmetische Mittel, eine Wirkungspotenzierung, be¬
dingen, während Mischungen von 1 : 2 und 1 : 8 eher eine Ab¬
schwächung zur Folge haben.
Schon daraus ergibt sich, dass es nicht möglich ist, wie B ü r g i
es tat, allgemeine Gesetze über die Wirkung von Arzneigemischen
aufzustellen, sondern es muss von Fall zu Fall experimentell unter¬
sucht werden, in \vclcher Weise sich zwei chemische Substanzen in
ihrer Wirkung auf den Warmblüterorganismus gegenseitig beein¬
flussen; ja sogar die Mischungsverhältnisse, also die verhältnis¬
mässige Gabengrösse kann für die Wirkung bestimmend sein.
ln der Reihe der Lokalanästhetika lässt sich in ebenso ein¬
deutiger Weise zeigen, dass durch Kombinationen ganz eigenartige,
gar nicht im voraus zu bestimmende quantitative Wirkungsände¬
rungen eintreten können, denen vorderhand jede Gesetzmässigkeit zu
fehlen scheint. Kokain, Novokain, Akoin und andere wirkliche Lokal¬
anästhetika addieren sich lediglich in ihrer lokalanästhetischen Fähig¬
keit. In Verbindung mit den gleichfalls lokalanästhesierenden Kali¬
salzen ergibt sich jedoch, dass Kokain + Kaliumsulfat, Novokain
+ Kaliumsulfat sich gegenseitig in ihrer Wirkung potenzieren,
Kokain und Novokain in Verbindung mit Kaliumnitrat sich nur
addieren. Weiter ergibt sich, dass Kaliumsulfat in Verbindung
mit anderen Lokalanästheticis, z. B. Stovain, Alypin, einen negativen,
mit anderen wieder, z. B. Eukain, nur einen additiven Synergismus
entfalten.
Die Kombination Novokain + Kaliumsulfat wurde von Hoff-
mann und Krehmann auch klinisch erprobt und gute Erfolge da¬
mit erzielt. An Stelle der 0,5proz. Novokainlösung genügt eine
0,25 proz., wenn ausserdem 0,4 Proz. Kaliumsulfat zugesetzt werden.
Schliesslich geht der Vortragende auf eine einfache Methode der
Wertbestimmung der Lokalanästhesie ein, der folgender Gedanke zu¬
grunde liegt: Der Wert (W) ist umgekehrt proportional der gerade
noch anästhesierenden Konzentration (K) und direkt proportional der
letalen Dosis (L): denn je geringer die Konzentration ist, die noch
anästhesiert, desto wertvoller ist ein Lokalanästhetikum und das
gleiche tritt ein, je grösser die Gabe ist, die ein Tier tötet. Es er¬
gibt sich mithin W = ^ • L. Es wird an der Hand von Kurven dieser
Wert W von den gebräuchlichen Substanzen dieser Gruppe demon¬
striert. Am geringsten ist W für Alypin, am grössten für die Kom¬
bination von Kaliumsulfat + Novokain. W wird in einfachster Weise
durch Quaddelversuche am Menschen und Feststellung der tödlichen
Gabe beim Meerschweinchen bestimmt. So lässt sich schnell ein
orientierendes Urteil darüber gewinnen, ob ein neues Arzneimittel
als Lokalanästhetikum in die Praxis einzuführen sich verlohnt.
Diskussion: Herr Härtel: M. H.l Die Lokalanästhesie ist
für die Chirurgie von immer zunehmender Bedeutung geworden. In
der hiesigen chirurgischen Klinik wurden im letzten halben Jahr von
ca. 1000 klinischen Operationen 41 Proz. in Lokalanästhesie, 7 Proz.
in Lumbalanästhesie und nur noch 53 Proz. in Narkose ausgeführt.
Diese zunehmende Bedeutung der Lokalanästhesie beruht in
erster Linie auf der Verbesserung des Injektionsmittels. Wenn nun
auch die Einführung der isotonischen suprareninhaltigen Novokain¬
lösung uns ein in jeder Hinsicht brauchbares Anästhetikum an die
Hand gegeben hat, so sind weitere Versuche, die Wirksamkeit des
Mittels noch mehr zu steigern, aufs dankbarste zu begrüssen.
Wir haben nun in letzter Zeit die von Kochmann und Hoff-
mann empfohlene Lösung versucht und bisher über 100 Operationen
damit ausgeführt. Ich resümiere unsere Erfahrungen wie folgt:
Die Herstellung der Lösung geschieht nach Braun sehr einfach
so, dass man zur Lösung der Novokain-Suprarenintabletten statt der
bisherigen physiologischen NaCl-Lösung eine Mischung von 4 Kali
sulf. : 7 NaCI: 1000 Wasser verwendet.
Ein Herabgehen mit der Novokainkonzentration unter 0,5 Proz.
können wir gleich Braun, auch bei erhöhtem Suprareninzusatz,
nicht empfehlen, weil dadurch die Sicherheit der Anästhesie leidet
und die Zeit des Eintritts der Anästhesie hinausgeschoben wird.
Dagegen erscheint es, gestützt auf den Zusatz von Kali sulf.
tunlich, die Verwendung höherer Konzentrationen zur Leitungs¬
anästhesie einzuschränken und statt der 2 proz. mit 1 proz. Lösungen
zu arbeiten. So konnten wir Leitungsanästhesien des N. ischiadicus
und Femoralis statt wie bisher mit 2 und 4 proz., mit gleichen Mengen
1 proz. Lösung durchführen und grosse Knochenoperationen am Unter¬
schenkel schmerzlos ausführen.
Im ganzen machten wir bei der Verwendung der Kali-sulf.-hal-
tigen Lösung die Wahrnehmung, dass die Anästhesien intensiver
waren und länger anhielten. Auch der Nachschmerz scheint geringer
und seltener zu werden, wenn er auch jetzt noch nicht immer zu ver¬
meiden war.
Unter den Operationen, die wir mit der neuen Lösung anästhe¬
sierten, sind besonders hervorzuheben: Nierenfreilegung, Laminek-
tomie, Trepanationen, Amputatio marmnae, ein Tonsillarsarkom mit
Kieferdurchtrennung und grosser Drüsenausräumung, neben zahl¬
reichen Strumen, Hernien und Extremitätenoperationen. Die An¬
ästhesie war stets vollständig.
Nebenerscheinungen wurden nicht beobachtet, nur bei Verwen¬
dung hoher Dosen der 2 proz. Lösung sahen wir in 3 Fällen unerheb¬
liche Allgemeinwirkungen, so dass wir raten, bei grossen Leitungs¬
anästhesien künftig von dieser Konzentration abzusehen und 1 proz.
Lösungen zu verwenden, was unter Kali-sulf.-Zusatz sehr wohl mög¬
lich ist.
Die Erfahrungen der Praxis decken sich somit nicht ganz voll¬
ständig mit dem, was die Theorie verheisst, aber soviel ist sicher,
dass wir in dem Zusatz von Kalium sulfuricum zum Novokain einen
wesentlichen Fortschritt zu erblicken haben.
Herr Frese: Es ist bisher nur von der Injektionsanästhesie
berichtet» worden. Es wäre interessant, ob auch bei der Schleim-
h a u t anästhesie eine Verbesserung der Wirkung zu erzielen wäre
durch Zusatz von Kal. sulf. Bisher liegen die Verhältnisse in der
Laryngologie und Rhinologie so, dass das Kokain trotz seiner höheren
Giftigkeit durch keines der neueren Anästhetika völlig hat ersetzt
werden können. Es dringt schneller in die Schleimhaut ein und er¬
zeugt in geringerer Konzentration eine stärkere und länger anhaltende
Unempfindlichkeit als die anderen Präparate.
Herr Heyne mann fragt nach etwaigen Erfahrungen mit
Magnesiumsulfat, das von den Amerikanern zur Narkose und
Anästhesie und von R i s s m a n n und G u g i s b e r g bei der
Eklampsie in Anwendung gebracht ist. Veranlasst durch Kochers
Erfolge bei der Tetanusbehandlung haben sie mehrere Kubikzenti¬
meter einer 15 proz. Magnesiumsulfatlösung intralumbal injiziert, um
die Krämpfe bei der Eklampsie zu unterdrücken. Das Verfahren
erwies sich aber als sehr gefährlich für das Atemzentrum.
Herr B e n e k e fragt den Herrn Vortragenden, ob die dargelegte
Wirkung des Kalisulfates eine Funktion des Sulfates sei oder aus
welchen physikalisch-chemischen Verhältnissen sie zu verstehen sei.
Herr Kochmann (Schlusswort): Die Anfrage von Herrn Geh.
Rat Beneke kann ich leider nur dahin beantworten, dass unsere
Versuche, eine Erklärung für die beobachteten Tatsachen zu geben,
bisher fehlgeschlagen sind; das Sulfat-Ion ist dafür aber nicht ver¬
antwortlich zu machen, da andere schwefelsaure Salze sich als un¬
wirksam erwiesen haben und auch das Kaliumsulfat nur mit einigen
Anästhetika einen potenzierten Synergismus aufwies, mit anderen aber
eine Abschwächung bedingt. Vielleicht ist die schwere Diffusibilität
der Sulfate für die langandauernde Wirkung der Anästhesie zur Er¬
klärung heranzuziehen, die Herr Härtel als einen Vorzug unserer
Methode angibt. Ob bei der Oberflächenanästhesie der Schleimhäute
eine Kombination mit Kaliumsulfat eine Verminderung der Kokain¬
menge zulassen würde, diese Anfrage des Herrn Frese muss ich
zu meinem Bedauern dahin beantworten, dass hier nach meinen Ver¬
suchen an der Konjunktiva des Kaninchens die Kombination keinen
Vorteil gewährt. Die Möglichkeit, auch die Wirkung des Magnesium¬
sulfats durch Zusatz einer anderen Substanz zu potenzieren und da¬
durch die Gefahren der Anwendung des Magnesiumsulfats zu ver¬
ringern, ist bisher noch nicht experimentell geklärt worden; eigene
Erfahrung besitze ich nicht, so dass ich die Anfrage von Herrn
Heynemann nur dahin beantworten möchte, dass vielleicht die
entgiftende Wirkung von Ca-Salzen benutzt werden könnte, um die
Gefahren der Magnesiumsulfatanwendung zu mindern.
Herr Lehnerdt berichtet über einen Fall von Lithiasls im
Säuglingsalter.
Bei einem jetzt 1 Jahr 7 Monate alten Knaben bestand seil
ca. 1 Jahr eine Zystitis; ausserdem litt das Kind an einer schweren
Rachitis und einer chronischen rezidivierenden Pneumonie, weshalb
sich das Kind mit nur relativ geringen Unterbrechungen fast die
ganze Zeit hindurch in stationärer Behandlung befand. Im Urin
wurden sehr reichlich Leukozyten, Blasenepithelien und Kolibazillen,
dagegen keine Zylinder gefunden. Der Leukozytengehalt des Urins
wechselte ziemlich stark; anfangs gelang es unter der eingeleiteten
Therapie (Urotropin, Salol, Neohexal) den Urin für eine zeitlang
leukozytenfrei zu bekommen, später trotzte die Zystitis jeder Be¬
handlung. Nachdem die Zystitis schon ein Jahr bestanden
hatte, trat plötzlich unter hohem Fieber und starkem Verfall des
Kindes eine Urinretention auf. Das Präputium war stark geschwollen
und konnte nicht zurückgeschoben werden. Da es auch md
Sonde und Katheter nicht gelang, das Orificium urethrae zugänglich
zu machen, wurde das Kind zur Phimosenspaltung in die chirurgische
Klinik geschickt, wo nach Spaltung der Phimose in der Harnröhren¬
mündung eingeklemmt ein länglicher Stein von 0,18 g Gewicht ge¬
funden wurde. Nach Beseitigung desselben konnte wieder spontan
Urin gelassen werden und alle alarmierenden Symptome gingen sofort
zurück. Die chemische Untersuchung des Steines ergab, dass es sich
15. September 191-4.
MUkNCHeNKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1947
um einen Harnsäurestein handelte, der ausserdem noch Phosphate
enthielt. Vortr. weist darauf hin, dass in unserer Gegend die
Lithiasis im Kindesalter und speziell bei Säuglingen relativ selten ist.
Weiter ist der Fall von Interesse wegen der Symptome, unter denen
der Steinabgang erfolgt war. Das Hindernis der Harnentleerung
schien zunächst durch eine akut entstandene Phimose vielleicht ent¬
zündlicher Natur bedingt zu sein und erst durch die Spaltung des
Präputiums wurde der wahre Sachverhalt aufgedeckt. Akute
Schmerzanfälle, Harnretention oder sonstige Symptome, die für das
Vorhandensein eines Steines hätten sprechen können, waren nie beob¬
achtet worden. Was die Ursache der Steinbildung in dem vor¬
liegenden Fall betrifft, so kann die Zystitis das Primäre gewesen
sein und zur Steinbildung Veranlassung gegeben haben. Mehr Wahr¬
scheinlichkeit scheint die zweite Möglichkeit für sich zu haben, dass
ein Harnsäureinfarkt der Niere die primäre Ursache darstellt, und
dass aus der Niere verschleppte Konkremente die erste Grundlage
zur Steinbildung abgegeben haben. Die Zystitis würde dann erst
sekundär durch die Steinbildung bedingt gewesen sein.
Diskussion: Herr David: Das Vorkommen von Blasen-
steinen bei Kindern jenseits des Säuglingsalters ist doch nicht ganz
so selten. Wir konnten in der letzten Zeit in der med. Klinik 5 Fälle
bei Kindern zwischen dem 3.— 10. Jahre beobachten und zwar waren
die Kinder sämtlich männlichen Geschlechts. Bei den älteren Kindern
gingen die Beschwerden vielfach bis in das frühe Kindesalter zurück
Charakteristischerweise beobachten wir die Steine häufiger seitdem
wir systematisch bei allen Kinderzystitiden von der Blase Röntgen¬
aufnahmen hersteilen lassen.
Herr Beneke bestätigt die Angabe des Herrn David be¬
züglich des Vorkommens von Steinen im Kindesalter; allerdings beob¬
achtete er bei den Sektionen der letzten 3 Jahre (ca. 2400) keine
Blasensteine, wohl aber wiederholt Steinbildung im Nierenbecken,
einmal auch im Ureter. Diese Steine entstehen unverkennbar im
Anschluss an die Harnsäureinfarkte der Nierenpapillen, welche be¬
kanntlich in den ersten Lebenstagen einzutreten pflegen und bis¬
weilen zu Papillenspitzennekrose führen. Abgestossene Spitzen¬
teilchen dienen dann als Kerne für Nierenbeckensteine, welche durch
Anlagerung von Uraten wachsen. Dass die Steinbildung nicht häufiger
ist, beruht wohl auf der Lösung der einmal ausgefallenen Harnsäure¬
konkremente durch die Einwirkung des normalen Harns. Diese
Lösung vermag wohl auch grössere Mengen zum spurlosen Schwin¬
den zu bringen. In dieser Beziehung war ein kürzlich beobachteter
Fall eines mehrere Monate alten Kindes von Interesse: die Papillen¬
spitzen desselben waren deutlich nekrotisch bzw. abgestossen, boten
also das gewöhnliche Bild der Folgen eines hochgradigen Harnsäure-
Infarktes; sie zeigten aber keine Spur von Harnsäure mehr, auch
fehlten Nierenbeckenkonkremente; dagegen waren die Papillenspitzen
intensiv gelb gefärbt durch sehr reichliche grosse Bilirubinkristalle,
welche unverkennbar gleichfalls — wie so häufig — mit der Harn¬
saure in den Papillen zur Ausscheidung gelangt und kristallinisch
gewachsen waren, während die Harnsäure gelöst wurde; der Unter¬
schied ist in Anbetracht der Schwerlöslichkeit der Bilirubinkristalle
leicht verständlich.
Herr Veit fragt den Vortragenden, warum er nicht die ganze
Krankheit von dem Gesichtspunkte der Koliinfektion betrachtet. In
der jeburtshilfe kennt man die Kolipyelitis und nimmt ihren Ausgang
vom Darmkanal an. Warum nicht eine gleiche Genese auch hier
angenommen werden muss, scheint doch zum mindesten der Er¬
örterung wert. Koliaufnahme in das Nierenbecken, Pyelitis, stein-
bildender Katarrh und das Krankheitsbild mit seinen dunklen Fieber¬
erscheinungen etc. ist erklärt.
Herr Beneke: Die Annahme des Herrn Kollegen Veit, dass
Infektionen bei der Nierenbeckensteinbildung eine wesentliche Rolle
spielen, teile ich nicht; sie sind wohl von Bedeutung für das
c 1 s e n eines Harnsäuresteins durch Anlagerung von Nieder¬
schlagen (Tripelphosphat u. ä.) auf zersetztem Harn, zur Ent-
„ ® “ n S der Harnsäuresteine aber nicht erforderlich und tat¬
sächlich auch nicht nachweisbar. Natürlich können auch einmal durch
und Nierenentzündungen bakterieller Natur Steine bei
Kindern wie bei Erwachsenen entstehen, doch scheint dies Vor¬
kommnis relativ seltener zu sein.
i werr Lehn er dt (Schlusswort) erwidert auf die Bemerkungen
des Herrn Geheimrat V e i t, dass die Möglichkeit eines infektiösen
Ursprunges der Zystitis von ihm sehr wohl erwogen worden ist,
dass aber die Frage, welche der erwähnten beiden Möglichkeiten
m dem vorliegenden Fall als ätiologischer Faktor anzusehen ist, nicht
entschieden werden kann. (Schluss folgt.)
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr A 1 1 a r d.
Schriftführer: Herr v. E n g e 1 b r e c h t.
I. Demonstration.
Herr Stamm: Zur Melaena neonatorum.
Von 5 im Wöchnerinnenheim beobachteten Fällen von Mel. vera
neonatorum starb ein mittels Zange geborenes Kind. Die Sektion
_ rgab ausser Anämie aller Organe, subpleuralen und epiduralen
-Kchymosen im Duodenum, 1 cm unterhalb des Pylorus, ein Schleini-
hautulcus von 0,5 cm Länge, das mit nekrotischen Fetzen bedeckt war.
Ob dieses Geschwür die alleinige Blutungsquelle abgegeben und den
profusen Charakter der Darmblutung in diesem Falle allein erklären
kann, lässt sich ohne weiteres nicht annehmen, da wenigstens makro¬
skopisch die Arrosion eines grösseren Gefässes nicht zu erkennen
war,
Von den 5 Fällen betrafen 4 Knaben; bis auf den zur Sektion
gekommenen Fall war bei allen die Geburt normal verlaufen. Das
Einsetzen der Blutung fand statt 1 mal am 1. Tage, 1 mal am 2. Tage,
-mal am 3. Jage und 1 mal am 4. Tage post partum. Blutbrechen
OTeunur .ln ^ Lalle, vorübergehende Temperatursteigerung bis
ebenfalls nur in 1 Falle beobachtet bei relativem Wohlbefinden.
Die Blutentleerungen dauerten 2—3 Tage.
Sämtliche Fälle wurden mit Gelatine (M e r c k) per os, per
Klysma und subkutan behandelt. Einzeldosis 10—20 g. Auf Grund
des befriedigenden therapeutischen Effektes wird die Annahme einer
Stoiung der Koagulationsfähigkeit des Blutes als ätiologisches Mo¬
ment erörtert.
Die Melaena stellt eine klinisch einheitliche Erkrankung nicht
dar und infolgedessen muss auch die Therapie verschieden sein: bei
denjenigen Fällen aber, die nicht auf allgemeiner Sepsis oder Lues
beruhen, sollte die Gelatinetherapie stets angewandt werden
Diskussion: Herr E. Fraenkel fragt, ob das Kind Blut
gebrochen hat und ob frisches Blut im Stuhle gewesen ist. Die
Frage wird von Herrn Stamm bejaht.
Flerr Simmonds: Die Melaena neonatorum ist kein einheit¬
liches Krankheitsbild; sie kann ganz verschiedenen Störungen ihre
Entstehung verdanken. In einem Falle traf ich dabei eine Nabel¬
sepsis, in einem anderen eine kongenitale Atresie des Duodenum,
m einem dritten einen angeborenen schweren Herzfehler, in einem
vierten multiple hämorrhagische Erosionen des Magens. Auch die
Mitteilungen in der Literatur bestätigen die Mannigfaltigkeit der
Aetiologie. Endlich ist an die Angabe von Gynäkologen zu erinnern,
dass übermässig rasche Abnabelung der Neugeborenen bisweilen an¬
zuschuldigen ist.
Herr E. Fraenkel: Massenhafte hämorrhagische Erosionen im
Magen genügen, ein Kind anämisch zu machen. Er erwähnt einen
Fall, bei dem die Defekte bis auf die Muskularis gingen. Als Ur¬
sache hierfür sieht er spastische Kontraktionen, Ischämie, Nekrosen,
Herren Fahr, Allard, Simmonds und Stamm (Schluss¬
wort).
Herr E. Fraenkel: Zur chronischen Wirbelsäulenversteifung.
Erscheint ausführlich in den Hamb. med. Ueberseeheften.
Herr Weissbrem: Ueber einen Fall von hochgradigem Oedem
mit Pneumokokkenbefund.
Vortr. gibt eine kurze Uebersicht über die durch Pneumokokken
liervorgerufenen erysipelatösen Erkrankungen und berichtet über ein
auf der medizinischen Abteilung des Israelitischen Krankenhauses bei
einem 84 jährigen Manne am 3. Tage einer kruppösen Pneumonie
beobachtetes hochgradiges Oedem des Gesichtes und der Lippen¬
schleimhaut. Während sich das Blut bei der von Herrn Dr. Plaut
vorgenommenen bakteriologischen Untersuchung als steril erwies,
wurden in der Oedemflüssigkeit Reinkulturen von Pneumokokken
nachgewiesen. Der Fall erinnert an das sehr selten beobachtete
Pneumokokkenerysipel, doch fehlten für das Erysipel wichtige dia¬
gnostische Kriterien.
Diskussion: Herr Reiche.
Nach dem projizierten Photogramm handelt es sich um ein Ery¬
sipel. Rötung und scharfe Abgrenzung sind nicht immer vorhanden.
Herr Korach.
Herr E. Fraenkel hält die Ausführungen des Herrn Korach
nicht für beweisend. Er würde aus diesen nur schliessen, dass ein
durch Pneumokokken hervorgerufenes Erysipel andere Erschei¬
nungen macht als ein durch Streptokokken bedingtes.
Herr Jacobsthal und Herr Schillin g-Hamburg St. Georg:
Versuche über Resistenz, Anpassungsvermögen und Durchgängigkeit
roter Blutkörperchen.
Demonstration folgenden Versuches: In 6 ccm konzentrierte
(30 proz.) Kochsalzlösung werden je 2 Tropfen einer dicken Emulsion
mit physiologischer Kochsalzlösung gewaschener roter Blutkörper¬
chen getropft und zwar wird ein so getropftes Röhrchen sofort um¬
geschüttelt, ein zweites nach einer Minute, ein drittes erst nach
5 Minuten geschüttelt. Im ersten Röhrchen tritt komplette Hämolyse
ein, im zweiten nur geringe und im letzten gar keine. Dieser frap¬
pante Unterschied beruht darauf, dass die Blutkörperchen sich sehr
schnellen osmotischen Schwankungen offenbar nicht anpassen können.
Blutkörperchen verschiedener Tierarten verhalten sich hierin ver¬
schieden; so zeigen Meerschweinchenblutkörperchen das Phänomen
besonders stark, Menschenblutkörperchen aber weniger ausge¬
sprochen.
Die Erfahrung legt die Frage nahe, ob auch bei weniger konzen¬
trierten Salzlösungen durch Vermeidung starker osmotischer Schwan¬
kungen eine gewisse Anpassung erzielbar wäre? In der Tat gelang
es durch ganz langsames, durch Stunden fortgesetztes Verdünnen
physiol. Kochsalzlösung die in ihr suspendierten roten Blutkörperchen
ohne allzu starke Hämolyse in eine 0,2 proz. ja 0,18 proz. Kochsalz¬
lösung zu überführen. Die Verdünnung geschah entweder durch Zu¬
fügen niedrigprozentiger Kochsalzlösung mit eingeschaltetem Zentri¬
fugieren, so dass die Lösung auf 0,875, 0,85 usw. übergeführt wurde,
oder durch vorsichtiges Auftröpfeln von destilliertem Wasser auf die
1948
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 37.
Oberfläche und langsames Mischen durch Drehen und Schwenken
des Gefässes, dann wieder Hinzufügen neuen Wassers, oder durch
automatisches Zutröpfeln von Verdünnungsflüssigkeit im Schüttel¬
apparat oder durch lange fortgesetztes Dialysieren gegen fliessendes
Wasser. Es zeigte sich, dass die verschiedenen Blutkörperchenarten
sich aucn verschieden verhalten. Mit Menschenblut gelang das Ver¬
fahren verhältnismässig leicht, mit Hammelblut kaum. Die ersteren
sind offenbar leicht durchgängig für Salze, die letzteren kaum oder
gar nicht. Mit den so „entsalzten“ Blutkörperchen vom Menschen
in 0.2 proz. Kochsalzlösung sollte nun versucht werden, ob sie für
Traubenzucker durchgängig war. Sie wurden dazu in eine etwas
hypertonische Traubenzuckerlösung gebracht: waren sie durch¬
gängig, so mussten sie bei nachheriger Ueberführung in die 0,2 proz.
Kochsalzlösung liämolysiert werden, waren sie undurchgängig, so
durften sie durch 0,2 proz. Kochsalzlösung nicht geschädigt werden.
Das Resultat war eine partielle Hämolyse, d. h. also eine partielle
Durchgängigkeit, gegen Traubenzucker. Das bedeutet eine Bestä¬
tigung der auf anderem Wege erhobenen Befunde M a s i n g s. Auf
noch andere, einfachere Art geling der Beweis, dass die Blut¬
körperchen des Hundes für Traubenzucker und Salz, die des Hammels
für keines von beidem durchgängig sind. Vergleicht man nämlich
die Blutkörperchenresistenz dieser Tiere gegen abfallende Salz¬
lösungen, vor Nacheintragen der roten Blutkörperchen in physio¬
logische (5 proz.) Traubenzuckerlösung, so sieht man, dass die
Hammelblutkörperchen in jeder Beziehung unverändert geblieben
sind. Die Blutkörperchen des Hundes dagegen werden zwar in etwas
durch die Traubenzuckerlösung an sich geschädigt, aber ihre Re¬
sistenz gegen Kochsalzlösung ist durch die Behandlung mit Trauben¬
zucker beträchtlich erhöht worden, so dass sie jetzt in 0,15 proz.
Kochsalzlösung nicht einmal völlig isoliert wurden. Erklärung des
Phänomens: die Traubenzuckerlösung entzieht dadurch, dass das
Salz der Hundeblutkörperchen in sie hinein defundiert, diesen das
Salz. Daher sind sie bei nachherigem Einbringen in niedrigprozentige
Kochsalzlösung relativ salzarm, weswegen kein Grund zu einer
Quellungshämolyse vorhanden ist. Der in ihnen vorhandene Trauben¬
zucker aber ist nicht so osmotisch wirksam, so dass es nicht zu einer
akuten Quelle kommt.
Schliesslich wurden noch je 2 Verdünnungsserien von Kochsalz¬
lösung mit Traubenzuckerlösung mit gewaschenem Hammel- resp.
Hundeblutkörperchenbrei betropft. Die Ablesung nach wenigen Mi¬
nuten ergab, dass die roten Blutkörperchen des Hammels, viel eher
hämolysiert wurden als die des Hundes. Nach 18 Stunden aber war
das Bild völlig verändert. Die Hundeblutkörperchen in Trauben¬
zuckerlösung werden nun nämlich fast völlig hämolysiert. Die an¬
deren Serien waren unverändert. Wie erklärt sich nun die Hämo¬
lyse der roten Blutkörperchen des Hundes in „physiologischer“ und
hypertonischer Kochsalzlösung ? Eine befriedigende Erklärung hier¬
für ist bisher auch von Masing nicht gegeben. Vielleicht bringt
uns folgende Ueberlegung in dieser Beziehung weiter: wir wissen,
dass bei den für Traubenzucker durchgängigen Blutkörperchenarten
der Traubenzucker zum grössten Teile wenigstens innerhalb 30 Mi¬
nuten eingedrungen ist, ferner, dass die durchgängigen Blutkörper¬
chen ein glvkolytisches Ferment enthalten. Da nun die Hämolyse
durch physiologische Traubenzuckerlösung nicht innerhalb 30 Minuten
eintritt, so liegt es nahe, diese Hämolyse mit dem glykolytischen
Ferment in Beziehung zu bringen? Wenn z. B. Stärke in Zucker
aufgespalten wird, so sind die dadurch entstehenden kleineren Mole¬
küle osmotisch wirksamer als die Stärke. So könnten auch die durch
Glykolyse aus dem Traubenzucker entstehenden Zersetzungspro¬
dukte durch ihre osmotische Wirksamkeit die Blutkörperchen zur
Quellung bringen. Ev. könnten auch bei der Glykolyse entstehende
intermediäre Abbauprodukte (die wir bisher allerdings nicht kennen),
z. B. Alkohol von dem Blutkörperchensubstanzen, wie z. B. dem
Lipoid im Entstehen sozusagen abgefangen werden und dadurch zur
Hämolyse führen. Weitere Untersuchungen sind im Gange. Unter¬
dessen haben wir durch Einwirkung von Inaktivierungstemperaturen
durch Kälte und fermenthemmende Reagentien (Fluornatrium) es
ziemlich sichergestellt, dass bei der Traubenzuckernachhämolyse
Fermente wirken.
Diskussion: Herren Cohn heim, Kafka und Jacobs¬
thal (Schlusswort)
Aus den französischen medizinischen Gesellschaften.
Soci6t6 francaise de Dermatologie et de Syphiügrapliie.
Sitzungen vom Mai bis Juli 1914.
Zur Wassermann sehen Reaktion.
Milan erhebt sich energisch gegen die Schlüsse von Prof.
Nicolas- Lyon, nach welchem 39 Proz. positiver Seroreaktionen
ausserhalb der Syphilis vorkamen. Er hat bis jetzt mehr als 8000
Reaktionen ausgeführt und immer ermöglichte eine positive Reaktion
die Sicherung der Syphilisdiagnose.
Goucher hebt gleicherweise die Tatsache hervor, dass man
positiven Wassermann bei Leuten, die mit irgend einer Affektion
behaftet sind, beobachten kann, ohne dass aber bei diesen Syphilis in
Abrede gestellt wird. Die Wassermann sehe Reaktion ist sicher
eine Methode ersten Ranges zur Diagnose der Syphilis.
S o 1 1 r a i n ist ebenfalls über den Prozentsatz von 39 bei nicht¬
syphilitischen Kranken erstaunt; selbst die Fälle von Scharlach. Lepra
und anderen Spirillosen eingerechnet, bei welchen oft die Reaktion
positiv ist, kommt er bei mehr wie 5000 Reaktionen zu keiner so
hohen Verhältniszahl. Vielleicht hängt dies mit der Häufigkeit
latenter oder unbekannter oder hereditärer, erscheinungsloser Sy¬
philis. die man bei den Krankenhauspatienten findet, zusammen.
Leredde und Rubinstein glauben, dass die Wasser¬
mann sehe Reaktion, mit peinlicher Technik ausgeführt, in klinischer
Beziehung spezifisch ist, nicht aber in ätiologischer, da ausser Sy¬
philis mehrere Krankheiten, wie Malaria, Lepra, Febris recurrens,
Scharlach, eine positive Fixationsreaktion geben können. Um sich
vor jedem Irrtum in der Erklärung der Resultate zu hüten, muss
man die Fixationsreaktion ebenso mit dem erhitzten wie mit frischem
Serum vornehmen; nur die Verbindung dieser beiden Methoden er¬
möglicht, den positiv schwachen Reaktionen eine Bedeutung zu geben.
Unumgänglich notwendig ist auch, die Serumuntersuchung nach
Wassermann erst vorzunehmen, wenn man sich durch vorherige
Prüfung vergewissert hat, dass das hämolytische System (Alexine.
Ambozeptor, rote Blutkörperchen) vollständig in Ordnung ist; inan
titriere das Alexin in Gegenwart der Antigene und führe die Re¬
aktion mit mehreren Antigenen aus.
Ikterus infolge von Salvarsananwendung.
M i 1 i a n glaubt, dass der Ikterus, den man zuweilen nach den
Salvarsan- und Neosalvarsaninjektionen auftreten sieht, keinswegs
dem Mittel selbst zuzuschreiben, d. i. keineswegs eine toxische Er¬
scheinung ist, sondern von der Syphilis herstammt, wovon er ein
Symptom, ein Rezidiv ebenso wie die nervösen Erscheinungen ist.
Der Ikterus entwickelt sich dreimal so häufig nach, wie während
der Kur, etwa in der 8. — 10. Woche nach der letzten Injektion, oft
gleichzeitig mit anderen syphilitischen Erscheinungen vorkommend.
Der Ikterus nach Salvarsan wird besonders bei hartnäckigen Fällen
von Syphilis beobachtet und heilt sehr rasch durch antisyphilitische
Behandlung.
Q u e y r a t glaubt, dass man bezüglich des Ikterus, der ziem¬
lich oft nach Salvarsananwendung vorkommt, wahren und Pseudo-
ikterus unterscheiden muss. Nicht selten beobachtet man den von
M. beschriebenen Ikterus, aber ziemlich oft auch 2—3 Tage nach der
dritten Injektion eine leichte subikterische Verfärbung gleichzeitig
mit heftigen Halsschmerzen und Schwellung der Mandeln: Der Urin
ist schwarz, enthält Pigmentfermente, oft nur Urobilin, Leber und
Milz vergrössert Diese Erscheinungen dürften nicht von der Sy¬
philis an sich herstammen, sondern werden bei alten Malariakranken
oder Alkoholikern, deren Leberzellen schon vorher angegriffen waren,
beobachtet.
F e r n e t sah ähnliche Formen von Ikterus nach Injektionen von
Zvanquecksilber entstehen.
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 34. Jahreswoche vom 23. bis 29. August 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 8 (13 H» Altersschw. (über 60 Jahre) 4(5), Kindbettfieber — (3),
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft — (1), Scharlach — (— ),
Masern u. Röteln — (— ), Diphtherie u. Krupp 1 (3), Keuchhusten 2 (2),
Typhus (ausschl. Paratyphus) — (— ), akut. Gelenkrheumatismus — (2),
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. — (—), Rose (Erysipel) 1 (1), Starrkrampf - (— ),
Blutvergiftung 1 (1), Tuberkul. der Lungen 22 (23), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 4 (3), akute allgem. Miliartuberkulose — (— ), Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 6 (5), Influenza — (— ), veneri¬
sche Krankh.— (1), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfieber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel¬
fieber usw. — ( — ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) 6 ( — ), Alkoholis¬
mus — ( — ), Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 1 (2), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane — (1), organ. Herzleiden 14 (14), Herzschlag, Herz¬
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 3 (4), Arterienverkalkung
2 (3), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 3 (8), Gehirnschlag 9 (6),
Geisteskrankh. 1 (— ), Krämpfe d. Kinder — (1), sonst. Krankh. d. Nerven¬
systems 10 (2), Atrophie der Kinder 5 (1), Brechdurchfall 3 (— ), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 13 (12), Blinddarm¬
entzünd. 2 (3), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 4 (3), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 9 (4), Nierenentzünd.4 (4),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 1 (2\ Krebs 21 (17), sonst.
Neubildungen 3 (2), Krankh. der äuss. Bedeckungen — (3), Krankh. der
Bewegungsorgane 1 ( — ), Selbstmord 2 (7), Mord, Totschlag, auch
Hinricht. — (— ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 9 (3),
andere benannte Todesursachen 1 (4), Todesursache nicht (genau)
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— ).
Gesamtzahl der Sterbefälle: 176 (168).
') Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
Mönchen, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
Mönchen, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 37. 15. September 1914.
Die ersten Kriegsverletzungen im Reservelazarett B
in München.
Von Dr. A. K r e c k e, Oberstabsarzt a. D.
Im Reservelazarett B München, das sich in den Räumen
der Kriegsschule, der Kriegsakademie und der Marsfeldschule
befindet und im ganzen für etwa 1100 Betten eingerichtet ist,
sind die ersten Verletzen in der Nacht vom 20.— 21. August
eingetroffen. Ein zweiter Verwundetentransport ist in der
Frühe des 23. August und ein dritter am 25. August an¬
gekommen.
Die am erstgenannten Tage angekommenen Verletzten
hatte sämtlich nur leichte Verwundungen und hatten alle im
Sitzen befördert werden können. Die Verletzungen stammten
aus den Gefechten bei Mülhausen und bei Lagarde Die mit
aen Lazarettzügen am 23. und 25. August eingetroffenen Ver¬
wundeten zeigten durchweg schwere, zum Teil sehr schwere
Verletzungen. Diese Verwundungen stammten sämtlich aus
der grossen Schlacht vom 20. August in den Vogesen. Ein
grosser Teil der Krieger war am 20. August vom Schlachtfeld
aufgelesen, hatte die erste Nacht in einem notdürftig her¬
gerichteten Gebäude, einer Scheune oder einer Kirche zu¬
gebracht und war dann sofort am nächsten Tage nach
München befördert worden. Ein Verletzter mit einer Ober¬
schenkelzersplitterung hatte sogar 30 Stunden auf dem
Schlachtfelde gelegen, bis ihm die erste Hilfe zuteil wurde.
So hatten wir Gelegenheit, die Verletzungen fast zur selben
Zeit nach der Verwundung zu sehen, wie es sonst nur im
Feldlazarett oder im Kriegslazarett möglich ist.
Dadurch, dass das Lazarett B dank dem Entgegenkommen
des Kollegen Sielmann mit einem Röntgenapparat
ausgestattet ist, und der genannte Kollege uns seine grosse
Erfahrung in liebenswürdigster Weise zur Verfügung gestellt
hat, war es möglich, von den wichtigeren Knochenver¬
letzungen sofort nach der Aufnahme eine Röntgenphotographie
anzufertigen. Das Zusammenarbeiten mit einem erfahrenen
Röntgenologen steigert die Freude und das Interesse an der
kriegschirurgischen Tätigkeit in hohem Grade.
Der allgemeine Zustand der Schusswunden
war ein recht befriedigender. Der grösste Teil war von den
Kameraden mit Hilfe des Verbandpäckchens sofort verbunden
und weiter nicht mehr berührt worden. Nur da, wo eine
starke Nachblutung erfolgt war, war ein Verbandwechsel am
Verbandplatz oder im Hilfslazarett vorgenommen worden.
Eine irgendwie starke Reaktion zeigt keine der so ver¬
bundenen Verletzungen. Eine entzündliche Reizung war nur
dort nachweisbar, wo eine der Oeffnungen des Magendarm¬
kanals oder des Harnapparates aufgerissen war, so bei Ver¬
ätzungen der Mundhöhle, das Mastdarms, der Blase und der
Harnröhre.
Die Immobilisierung bei Knochenverletzungen war
im allgemeinen eine recht befriedigende. Flank derselben
waren die Frakturen der oberen Extremität durchweg voll¬
kommen reaktionslos. Auch bei den Oberschenkelfrakturen
war eine grössere entzündliche Reizung in keinem Falle nach¬
weisbar. Nur einige derselben zeigten eine leichte wässerig¬
eiterige Sekretion aus der Ausschussöffnung. Nur bei einem
musste bisher eine Ausräumung der Knochensplitter vorge¬
nommen werden.
Die Weichteilverletzungen durch Infan¬
teriegeschosse zeigten durchweg einen durchaus harm-
losen Charakter. Die Einschussöffnungen sowie die Aus¬
schussöffnungen waren in allen Fällen reaktionslos, die Ein¬
schussöffnungen meist ausserordentlich klein, die Ausschuss-
Öffnungen etwas grösser. Nur in wenigen Fällen zeigt sich
die Ausschussöffnung stark zerfetzt, was vielleicht darauf
zurückzuführen ist, dass das Geschoss beim Durchschlagen
eine Drehung erfahren hat. Sehr merkwürdig war eine Ver¬
ätzung der Gesässgegend, in der das Geschoss auf der linken
Gesässseite eingedrungen, in der Afterspalte ausgetreten und
dann in die rechte Gesässhälfte eingedrungen war und die¬
selbe durchschlagen hatte. Auf der linken Seite war Ein- und
Ausschuss ganz klein, auf der rechten Seite über markstück-
gross.
Wesentlich schlimmere Verhältnisse zeigten die nicht
sehr zahlreichen Granatspli. tterverletzungen der
Weichteile. Die so entstandenen Wunden waren oft beträcht¬
lich gross, vielfach zerfetzt. Die in der Tiefe freigelegte Mus¬
kulatur war weit zerrissen und nekrotisch. Die Sekretion
dieser Wunden war einige Male eine recht beträchtliche und
übelriechende. Eine stark entzündliche Reaktion der um-
gebenden Teile fehlte aber auch in diesen Fällen.
Sehr schlimme Weichteilverletzungen sahen wir dann,
wenn der Granatschuss auch zu Knochenver¬
letzungen geführt hatte. Am rechten Vorderarm fand
sLh in einem solchen Falle die Streckmuskulatur in mehr als
Abb. 1.
Handtellergrösse zer¬
rissen und der Ra¬
dius ausgedehnt zer¬
trümmert (Abb. I).
Bei einer Verletzung
des Gesichtes fand
sich die ganze Ober¬
lippe, ein grosser Teil
der Nase und der Wange vollkommen zerstört und die beiden
Oberkiefer bis zum weichen Gaumen nahezu gänzlich heraus¬
gerissen. Eine gleichzeitige tiefe Zerreissung der Zunge gab zu
wiederholten Nachblutungen Anlass, die zunächst mit Koagulen
und später mit Unterbindung beider Linguales bekämpft
Abb. la.
1950
Nr. 37.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
werden mussten. — In einem dritten Falle, der das rechte
Fussgelenk getroffen hatte, waren die Weichteile an der
Aussenseite des Gelenks in Zweimarkstückgrösse zerstört,
der Grund nekrotisch belegt und die gebrochenen Knochen
lagen frei in der Wunde.
Derartige schwere Granatsplitterverletzungen werden in
der ersten Linie natürlich noch viel häufiger sein als in den
Lazaretten. Bei ihrem Anblick schwindet die so oft aus¬
gesprochene Meinung von der humanen Wirkung der mo¬
dernen Geschosse.
Eine ausgedehnte Zertrümmerung der Weichteile war in
zwei Fällen dadurch zustande gekommen, dass das Infanterie¬
geschoss auf die mit Patronen gefüllte Hosen¬
tasche des betreffenden Mannes aufgeschlagen war und
diese Patronen zur Explosion gebracht hatte. In beiden
Fällen waren die Weichteile an der Vorderseite des Ober¬
schenkels bis weit in die Muskulatur hinein zerrissen.
Von Verletzungen des Schädels kamen bisher
nur zwei Fälle zur Beobachtung.
In dem einen Falle handelt cs sich um einen Mann, der einen
Tangentialschuss in der Hinterhauptsgegend er¬
litten hatte. Einschuss oberhalb der Protuberantia occipitalis extern^,
Ausschuss 10 cm weiter nach vom und aussen. Die Einschussöffnung
war etwa bohnengross, ganz reizlos, mit trockenem Schorf bedeckt.
Die Ausschussöffnung war etwa markstückgross und mit vorge-
fallencn breiigen Gehirnmassen und einigen Knochensplittern ausge-
fiillt. Irgendwelche Allgemeinerscheinungcn fehlten. Im leichten
Aetherrausch wurden beide Wunden durch einen Kreuzschnitt er¬
weitert, die zahlreichen Knochensplitter und vorgefallenen Gehirn¬
massen abgetragen. Die Rinne des knöchernen Schädels war etwa
8 cm lang und 1 cm breit. Der Verletzte ist leider (8 Tage nach
dem Eingriff) noch nicht ausser Gefahr. Es besteht noch hohes
Eieber mit ziemlich starken Erregungszuständen. Die Wunden sind
reizlos.
In einem zweiten Falle bestand ein 5cm langer oberfläch¬
licher Schusskanal auf der Höhe des linken Schei¬
telbeines. Der Mann war 8 Stunden lang bewusstlos gewesen
und zeigte noch ziemlich beträchtliche allgemeine Gehirnerschei-
nungen: heftige Kopfschmerzen, schwer gedrückte Stimmung, Schlaf¬
losigkeit. Pulsverlangsamung. Eine Revision der Wunde ergab, dass
die Galea stark zerrissen, das Periost aber intakt war. Zu einer
Eröffnung des Schädels lag keine Veranlassung vor.
Von den Verletzungen des knöchernen Gesichts-
schädels zeigte eine mit ausgedehnter Weichteilverletzung
komplizierte Verletzung des Oberkiefers auffallend geringe
Reaktion.
Eine ziemlich beträchtliche phlegmonöse Schwellung der
Zungenbasis hatte sich bei einer Verletzung der Unterlippe
entwickelt, die die linke Hälfte der Unterlippe und die linke
Zungenhälfte aufgerissen hatte und bei der das Geschoss im
Gebiete des Nackens stecken geblieben war. Infolge der Er¬
schwerung des Schluckaktes war es zu einer schweren fieber¬
haften Bronchitis gekommen. Der Patient befindet sich jetzt
wohl.
8 Verletzungen der Lunge zeigten die aus den
zahlreichen Veröffentlichungen bekannten Bilder. Der eine
der Verletzten war schon am 3. Tage nach dem Schuss nicht
mehr im Bett zu halten; bei den 7 anderen hatte sich ein
Hämatothorax entwickelt, in einem Falle leichter Art, in den
anderen schwerer Art mit ziemlich beträchtlicher Dyspnoe.
Unter konservativer Behandlung werden voraussichtlich auch
diese Fälle reaktionslos verlaufen.
5 Bauchschüsse, bei denen die Penetration des Ge¬
schosses durch die Peritonealhöhle mit Sicherheit aus dem
Verlauf des Schusskanals zu schliessen war, zeigten kaum
eine Spur von peritonealen Reizerscheinungen.
Bei einem Patienten war das Geschoss von der linken Hüftseite
aus eingedrungen und war röntgenologisch oberhalb der Symphyse
nachweisbar. Bei einem anderen Kranken war das Geschoss an der
Aussenseite des linken Oberschenkels eingedrungen, hatte den linken
Oberschenkel zertrümmert (Abb. 2), war dann durch die seitliche
Beckenwand in die Bauchhöhle eingedrungen und unter den Bauch¬
decken rechts von der Mittellinie etwas unterhalb Nabelhöhe liegen
geblieben. Es wird sich hier nach einiger Zeit leicht entfernen
lassen.
Bei einem anderen Kranken war das Geschoss links von der
Mittellinie im Epigastrium eingedrungen, der Ausschuss befand sich
im rechten 10. Interkostalraum in der Skapularlinie. Es ist wohl
zweifellos, dass der Magen von diesem Geschoss zweimal und viel¬
leicht auch die Pleura verletzt worden war. Der Patient zeigte keine
Spur von Reizerscheinungen, weder von seiten des Peritoneums noch
von seiten der Lunge oder der Pleura.
Ein Patient mit einem Bauchschuss rechts oberhalb der bchoss-
fuge gab an, noch am Abend der Schlacht auf dem 1 ruppenverband-
platz Iaparotomiert worden zu sein. Ob bei der Operation eine
Darmverletzung festgestellt worden sei, konnte er nicht sagen. Er
kam am vierten T;ige nach der Verletzung hier an und zeigte eine
10 cm lange Operationswunde in der rechten Darmbeingrube. Die
Wunde war vollkommen reaktionslos, auch zeigte er keinerlei Reiz¬
erscheinungen von seiten des Bauchfelles.
Trotz des günstigen Verlaufes dieses Falles bestätigen
die erfolgreich konservativ behandelten Fälle die allgemein
gültige Regel, dass bei Bauchschusswunden ein
abwartendes Verfahren unter den Verhält¬
nissen des Krieges das beste ist.
Ein fünfter Verletzter mit Bauchschuss trat am 5. Tage nach
der Verletzung in meine Behandlung. Einschuss unterhalb des
rechten Rippenbogens in der Pararektallinie, Ausschuss in der rechten
Lendengegend. Er hatte die ersten Tage gut verbracht (die erste
Nacht im Freien!) und hatte erst auf der Fahrt hierher heftige
Schmerzen und Erbrechen bekommen. Der Leib war ziemlich
aufgetrieben, die Bauchdecken leicht gespannt, nicht besonders emp¬
findlich. Temperatur 38,1, Puls 112. Deutliche Bauchdeckenatmung.
Es schien uns auch in diesem Falle gerechtfertigt, die bisherige
konservative Behandlung fortzusetzen. Bei einer frischen ähnlichen
Friedensverletzung würde man natürlich sofort Iaparotomiert haben.
In Anbetracht der schon verflossenen 5 Tage und des relativ guten
Allgemeinbefindens schien es mir besser zuzuwarten. Der weitere
Verlauf hat unsere Erwartung bestätigt.
Einen Uebergatig zu den Becken Verletzungen
stellte ein Fall dar, bei dem die Kugel nach hinten vom linken
Hüftgelenk eingedrungen (Foramen ischiadicum) und im
Körper stecken geblieben war. Der Verletzte hatte alsbald
nach dem Schuss Urindrang verspürt und einen leicht blu¬
tigen Urin entleert. Die Urinbeschwerden und die leicht
blutige Verfärbung des Urins hielten noch einige 1 age an. Bei
der Röntgenuntersuchung (Dr. S i e 1 m a n n) sah man das
Geschoss zwei Querfinger oberhalb der Schossfuge, und man
darf wohl annehmen, dass es bis zur Blasenwand vor¬
gedrungen war, dieselbe aber nur gestreift hatte.
Eine sehr schwere Verletzung der Becken¬
organe wies ein Soldat auf, der einen Granatschuss in die
Dammgegend erhalten hatte. Der Mastdarm war voll¬
kommen abgerissen, die Harnröhre in der Pars
tnembranacea durchgerissen; der kavernöse Teil
der Harnröhre hing wie ein blutdurchsetzter Tumor in die
Wunde hinein, der linke absteigende Schambeinast und der
aufsteigende Sitzbeinast fanden sich eingeknickt. Bei der
Ankunft des Kranken im Lazarett bestand eine völlige Urin¬
verhaltung, die Blase bis zum Nabel gefüllt und eine aus¬
gedehnte phlegmonöse Schwellung des Dammes. Die
Buchten der grossen Wunde wurden sorgfältig gespalten, das
zentrale Harnröhrende aufgesucht und ein Verweilkatheter
eingelegt. Der Patient hat sich gut erholt und gibt uns Hoff¬
nung, dass er am Leben bleiben wird.
Zwei schwere Verletzungen betrafen das S k r o t u m
und die Hoden. In einem Fall waren beide Hoden, im
anderen nur der eine durchschossen. In den nekrotischen
Hautwunden lagen die betreffenden 1 estikel zum 1 eil gan¬
gränös vor. Die ausgedehnten Weichteildefekte werden
später eine Plastik nötig machen.
Von den G e f ä s s - und Nervenverletzungen
sind vier Lähmungen des Nervus radialis zu
erwähnen, die sich alle gleichzeitig mit Frakturen des Ober¬
und Vorderarmes vorfanden. Die Radialisverletzungen sind
bekanntlich eine häufige Beigabe der Armschussverletzungen.
Die Prognose ist, wenn es sich nur um Quetschungen oder
teilweise Zerreissungen handelt, nicht ganz schlecht. Mit den
operativen Eingriffen soll man immer mehrere Wochen zu¬
warten.
Eine Verletzung der Arteria tibialis postica
fand sich gleichzeitig mit einer Fraktur der Tibia. Die Ver¬
letzung führte zu einer Gangrän des Unterschenkels bis zum
oberen Drittel, und es wurde die Absetzung des Gliedes nach
der Methode von G r i 1 1 i notwendig.
Die zahlreichsten Verletzungen stellten die Schuss¬
wunden der Extremitäten. Von den Weichteilver¬
letzungen zeigten 2 Wadenschüsse die auch aus anderen Mit¬
teilungen bekannten heftigsten Schmerzen. Die Ursache
15. September 1914.
Fcldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
1951
dieser heftigen Schmerzen muss in den ausgedehnten Muskel-
zerreissungen bei solchen Wadcnschiissen gesucht werden.
Die Sc hussverletzungen der Knochen wiesen
die mannigfachsten Verhältnisse auf. Von dem einfachen
Lochschuss und dem einfachen Schrägbruch bis zur nahezu
vollkommenen Zertrümmerung des Gliedes fanden sich alle
möglichen Uebergänge. Ausgedehnte Zertrümmerungen und
Zersplitterungen bildeten weitaus die Mehrzahl der Ver¬
letzungen. sowohl bei Infanteriegeschossen, wie besonders bei
Jen Granaten- und den Schrapnellverletzungen. Ein reiner
Loehschuss fand sich nur an der Epiphyse des Ellbogens, die
genau oberhalb des Olekranons von dem Geschoss durch¬
schlagen war (Abb. 3).
An den Fingein sah man wiederholt ausgedehnte Zer¬
trümmerung der Phalangen (Abb. 4). Auffallend war, dass in
)er Humerus war in der mannigfachsten Weise ge¬
brochen und zertrümmert. Einen relativ einfachen Bruch stellt
die Abb. 8 dar. In 6 zur Beobachtung gekommenen Fällen
waren die Hautwunden völlig reaktionslos, die Sekretion war
nur in 2 Fällen eine stärkere.
Von den Knochenverletzungen der unteren Extremitäten
fanden sich die meisten am Femur und an der Tibia.
Von Femurschussverletzungen haben wir zur¬
zeit Id in Behandlung. Sie zeigen die mannigfachsten Ver¬
letzungen des Knochens an den verschiedensten Stellen, vom
einfachen Sprung (Abb. 9) bis zur schwersten Zertrümmerung
wie sie schon in Fig. 2 abgebildet ist. Fast alle kamen, ob¬
wohl sie zum Feil nicht geschient waren, in einem recht
guten Zustande hier an. Nur bei einem Patienten mit ziemlich
giosscm Ausschuss hatte sich ein leicht entzündliches Oedem
Abb. 10.
Abb. 12
Abb. 3.
'-•seu Eällen die Festigkeit des Fingers eine recht ordentliche
ar< was wohl daraus zu erklären ist, dass das Periost seinen
'■sammenhang behalten hatte.
An dem Metakarpal - und Metatarsalknochen
men wir neben einfachen Schrägbrüchen ohne jede Split¬
ting ausgedehnte Zertrümmerungen. In der Abbildung 5
vht man neben der Knochenverletzung noch das Geschoss.
Eine sehr ausgedehnte Zertrümmerung zeigten mehrere
-Nutzungen des Radius und der Ulna, von denen zwei
ispiele abgebildet sind (Abb. 6 und 7). Beide waren durch
tanteriegeschosse zustande gekommen. Eine ganz ähnliche
-rletzung des Knochens fand sich bei einem in Fig. 1 ab-
bildeten Schrapnellschuss, der eine ausgedehnte Verletzung
r Weichteile hervorgerufen hatte.
der Umgebung gebildet. Es steht zu hoffen, dass dieses ent¬
zündliche Infiltrat unter der ruhigstellenden Behandlung sich
verliert.
Nur bei 2 Femurschüssen, die wohl gut geschient, aber erst
10 läge nach der Verletzung hier ankamen, bestand stärkere
Eiterung.
Zur Behandlung benutzten wir bei den meisten Fällen den
Streckverband und verwendeten dabei mit Vorteil den von
der Leipziger Klinik empfohlenen Tri kotschlauch, der
mit Mastisol angeklebt wird. Diese sehr zweckmässige Art
des Streckverbandes dürfte für die Kriegspraxis grosse Be¬
deutung gewinnen.
Der Streckverband gestattet eine gute Kontrolle der
Wunden. Legt man einen Gipsverband an, dessen Zweck-
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 37.
1952 -
mässigkeit gerade bei Schusswunden ausser Zweifel steht, so
muss man eine entsprechende Fensterung anbringen.
Von den Verletzungen der Tibia und Fibula kamen die
mannigfachsten Formen zur Beobachtung (Abb. 10). Auch
hier zeigte sich wiederholt nur der eine Knochen gebrochen
und daraus erklärt sich die in diesen Fällen relativ geringe
Verschiebung der Bruchenden.
Auf eine schwere, durch einen Granatschuss verursachte
Zertrümmerung der ’I ibia und Fibula oberhalb des Fuss-
gelenkes wurde schon in den allgemeinen Bemerkungen hin¬
gewiesen.
Von den nicht gerade häufigen Fusswurzelver-
letz ungen sei ein Bruch des Kalkaneus und des Talus
erwähnt (Abb. 11), der bei einem Patrouillenritt durch einen
Querschuss entstanden war.
Bei den in der Nähe der Gelenke sitzenden
Schussverletzungen war immer ein Erguss in dem
betreffenden Gelenke nachweisbar. Die meisten derartigen
Verletzungen betrafen das Kniegelenk, das auch bei zahl¬
reichen, den Knochen intakt lassenden Schusswunden ausser¬
ordentlich häufig beteiligt war. Zu einer operativen Er¬
öffnung des Gelenkes ergab sich bisher keine Veranlassung.
Wenn auch das Gelenk sich einige Male recht heiss anfiihlte,
so nahm die Reaktion unter einem immobilisierenden Ver¬
bände immer in kurzer Zeit ab. Es kann nicht genug auf die
Wichtigkeit der Immobilisierung bei allen Gelenkverletzungen
hingewiesen werden, mit deren Hilfe sich die früher so sehr
häufigen Resektionen werden umgehen lassen. Einen sehr
schweren Fall von Schrägschuss durch das rechte Kniegelenk
stellt die Abbildung 12 dar; sowohl das Femur, wie die Tibia
waren in ausgedehntem Masse zertrümmert.
Die ersten Verwundetentransporte haben uns schon
ausserordentlich zahlreiche Verletzungen der mannigfachsten
Art gebracht. Es konnte nur kurz über das wichtigste be¬
richtet werden, da noch keine Gelegenheit war, die Fälle so
zu sichten, wie es erforderlich wäre.
Wenn noch eine Allgemeinbemerkung erlaubt ist, so kann
sich keiner, der unsere Soldaten zu behandeln hat, der Be¬
wunderung entziehen für die Standhaftig¬
keit und Schmerzverachtung unserer wehr¬
fähigen Männer. Ich habe auch nicht einen getroffen,
der geklagt oder irgendwie sein Schicksal bejammert hätte.
Alle nahmen ihr Schicksal mit wahrhaft heldenmütiger Er¬
gebung hin und hatten nur den einen Wunsch, bald wieder
gesund zu werden und zu ihrem Regiment zurückkehren zu
können. Einen solchen prächtigen Menschenschlag zu be¬
handeln, ist eine nicht mindere Auszeichnung, wie die, ihn in
die Schlacht zu führen.
Kriegschirurgische Erfahrungen über Pfeile als Wurf¬
geschosse*).
Von Unterarzt Johannes Volkmann.
M. H.l Zu den mannigfachen Waffen, mit denen sich die
Völker der Jetztzeit in blutigem Ringen zu bekämpfen suchen,
ist als der neuesten eine das Flugfahrzeug getreten, das ja
nicht nur zur Aufklärung dienen, sondern auch Tod und Ver¬
derben in die Reihen der Gegner schleudern soll. Nahm man
bisher an, dies geschähe hauptsächlich durch Bomben, so
haben doch die Ereignisse gelehrt, dass man in Frankreich und
neuerdings auch in Deutschland ein altes Geschoss, wenn auch
in neuer Form, hat aufleben lassen: ich meine den Pfeil.
Dadurch reiht sich in das gewohnte Bild der Kriegsverletzungen
durch Gewehr, Granate, Schrapnell und Bajonett ein neues
ein, das zwar an sich keine grossen Besonderheiten etwa
gegenüber einfachen Stichverletzungen im Frieden zeigt, aber
doch immerhin mancherlei Interessantes in der Art seiner
Wirkung bietet. Eine kurze Mitteilung darüber machte vor
einigen Tagen die Runde durch die Zeitungen, sie wird auch
dem einen oder anderen von Ihnen aufgefallen sein. Heute
bin ich nun in der glücklichen Lage, über 13 derartige Fälle
*) Nach einem am kriegschirurgischen Abend des Stuttgarter
Aerztevereins gehaltenen Vortrag.
berichten zu können, von denen ich 4 an hiesigen Lazaretten
selbst zu beobachten dank der Liebenswürdigkeit der leitenden
Aerzte Gelegenheit hatte, während mir über die 9 anderer
nur die mündlichen Berichte zur Verfügung stehen.
Lassen wir nun zuerst einmal die Betroffenen selbst vor
dem Vorgang erzählen. Sie geben etwa folgendes an:
Unser .... Regiment lag am 1. September, nachm. 5 Uhr
in der Nähe von L. am Rastplatz, die Bataillone in Kompagnie¬
front mit etwa 8 Schritt Zwischenraum zwischen jeder Kom¬
pagnie, das 1. Bataillon in der Mitte, das 2. links und das 3
rechts davon, während zwei Flieger in etwa 1200—1500 tr
Höhe über uns kreisten. Plötzlich fühlte ich, so berichtet der
eine, einen stechenden, Schmerz im rechten Fuss dicht ober¬
halb der Ferse. Im ersten Augenblick glaubte ich, von einen
Nachbar aus Versehen gestochen worden zu sein, wurde aber
sofort eines Besseren belehrt; denn um mich herum schrieer
fast gleichzeitig noch andere auf, auch die Pferde eines Pack¬
wagens wurden scheu. Als ich meinen Fuss betrachtete, steckte
ein eiserner Pfeil etwa 1 % cm darin, den ich sofort herauszog
auch ungefähr 15 Kameraden um mich waren von denselbei
Geschossen getroffen worden, der eine durch beide Waden
der andere wurde mit seinem Fuss dadurch an den Bodei
gespiesst, einem Dritten war der Pfeil in die Backe und der
Mund gegangen, auch ein Pferd war dicht über dem Äugt
getroffen. Nachdem sich unser Erstaunen etwas gelegt hatte
konnten wir erst entdecken, woher wir beschossen worder
waren. Wir konnten nur von den Flugzeugen aus so über
schüttet worden sein. Alle unsere Verwundungen waren nich
schwer, so dass wir bald verbunden waren. So gut es ging
kroch nun jeder unter die Wagen, um sich zu schützen.
Soweit der eine Bericht. Dazu ist aus anderen Er
Zahlungen noch zu entnehmen, dass etwa 50 Geschosse nieder
gingen, die vor allem das am weitesten rechts liegende 3. Ba
taillon trafen, dagegen nur einen Mann des 1. Stimmt dabe
die Angabe, dass etwa 15 Mann verletzt wurden, so ergäbt
das ein Verhältnis von 33 Proz. Treffern, doch ein sehr be
friedigendes. Man kann also diesen, Geschossen, wenn sie it
dicht gedrängte, vor allem liegende Abteilungen treffen, eint
gewisse Wirkung nicht absprechen, die zum mindesten bei de
Neuheit der Geschosse sich in Verwirrung äussern muss, ab
gesehen davon, dass auch tödliche Verletzungen vorge
kommen .sind. Versuche über die Durchschlagskraft uni
Grösse der auftreffenden Gewalt anzustellen, war mir leide
wegen der Kürze der Zeit nicht möglich, zumal da der ein
Pfeil sofort vom Generalkommando eingefordert wurde. Ei>
anderer kleinerer wurde mir noch in letzter Minute freund
liehst von Herrn Dr. P f e i f f e r - Göppingen zur Verfügun;
gestellt, so dass ich Ihnen wenigstens das Corpus delict
zeigen kann. Es handelt sich, wie Sie sehen, um einen 10 cn
langen Stift aus Pressstahl von 8 mm Dicke, dessen untere
Drittel massiv ist und in ein fast nadelspitzes verjüngtes End
ausläuft, während die beiden oberen nur ein Gerippe voi
4 dünnen Stäben stehen lassen, so dass sich auf dem Quer
schnitt ein sternförmiges Bild ergibt. Durch diese Verminde
rung der Metallmasse an ihrem Ende sausen die Pfeile mit de
Spitze vornweg hinab und bestreichen wohl dank de
Schnelligkeit des Fahrzeugs einen verschieden grossen Raun
der sich in dem einen Fall über 4 Kompagnien erstreckte. Si
haben ein Gewicht von 16 g und werden wohl kaum in s<
grossen Massen neben den sonstigen notwendigen Dingen in
Luftfahrzeug mitgefiihrt werden können, dass eine wirksam
Beschiessung möglich wäre. Ausser diesem Pfeil sah ich noc.
einen grösseren, der 5 cm länger war, sonst aber ähnlich
Verhältnisse bot. Ob diese Geschosse aus einer Art Köche
einfach ausgeschüttet werden oder, wie von anderer Sei!
mitgeteilt wurde, in Bündeln ausgestreut werden, ist mir ur
bekannt. Jedenfalls wurde hier ausserdem noch eine Batterie
die weiter rückwärts stand, sowie ein zweites Regiment be
schossen.
Die Verwundungen bei den beiden Infanterieregimentcr
möchte ich, soweit sie mir bekannt wurden, einzeln anführei
1. J. G., 1. Komp. (Reservelazarett II Stuttgart). Das Geschoß
durchbohrte die Wade und musste durch eine Inzision entfernt
den. Die Wunde sezerniert jetzt noch ein wenig; keine Entzündun,
I trockener Verband.
1953
September 19 14. _ Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2. X. K., 10 Komp. (Reservelazarett II). Stich in den rechten Fuss
oberhalb der Ferse von aussen, etwa \'A cm tief; Pat. zog den
selbst wieder heraus. Wunde 'bereits verschorft.
3. F. S., 10 Komp. (Ludwigsspital). Eintritt des Pfeils in den
n Fuss von aussen unterhalb des Knöchels Durchbohren der
liteile unter der Achillessehne und Ausschuss innen etwas höher
ier Einschuss. Hämatom am Einschuss, geringe Schwellung
as Geschoss den Fuss vollständig durchdrang, verband der Sani-
efreite nur die Wunden.
4. L. H„ 12. Komp; (Ludwigsspital). Einschuss am linken Fuss
dem Knöchel, Schwellung, Entzündung einiger Fusswurzel-
ke, Jodanstrich.
5. 1 Mann, 11. Komp.: Pfeil in den Nacken,
i. 1 Mann, 12. Komp.: Schuss in den Arm;
7. 1 Mann, 12 Komp.: durch beide Unterschenkel (Waden);
je I Mann durch die Kopfhaut, ohne den Knochen zu ver-
). in den Schädel an der linken Schläfenseite, Ausschuss an der
en Koronarnaht, sofortiger Exitus;
10. durch die Backe in den Mund;
11. zwischen Zeige- und Ringfinger;
(2. durch einen einzelnen Finger und
3. durch die Ferse. Dieser Mann wurde dadurch an den Boden
piesst, zog aber sofort den mit Erde beschmutzten Pfeil durch
■ unde zurück und heraus: die ersten 4 Tage ist ihm dies gut be-
ien, über sein weiteres Befinden war nichts zu erfahren
Vusserdem wurde ein Pferd über dem Auge getroffen ein
es in den Körper.
'Joch ein Wort zu den gesetzten Wunden: bei den vier,
;h 2 bzw. 5 Tage später zum ersten Male sah, handelte
ch fast durchweg um glatte Weichteilwunden mit guter
i.horfung, kaum dass sich in der nächsten Umgebung eine
ge Rötung und Schwellung zeigte, geschweige denn
ere Reizerscheinungen, die an eine Vergiftung der Pfeile
-n Hessen, etwa wie man es von den Infanterie-
tossen, durch einen Lackring irregeführt, anfangs ver¬
te. Grosse Gefässe oder gar Knochen scheinen selten
tzt worden zu sein, nur bei dem einen Kopfschuss trat
:t der Tod ein, einmal bildete sich am Einschuss ein
itom, während in einem anderen Fall eine Entzündung
:r Fusswurzelgelenke hinzutrat. Dass überhaupt die
en Extremitäten mit 6 von 12 Wunden bei weitem die
en Körperteile übertreffen, ist vielleicht zum Teil daraus
rklären, dass die Mannschaften in einer halbliegenden
ng mit etwas aufgerichtetem Oberkörper waren.
*ie Behandlung war die denkbar einfachste: ein steriler
ind; nur eine Verletzung wurde mit Jodtinktur gepinselt,
:r Reihenversuche von trocken und mit Jod behandelten
len anstellen; es scheint mir schon jetzt fast, als heilten
it Jodtinktur behandelten besser und rascher, doch sind
rgebnisse noch nicht sicher zu verwerten,
ergegenwärtigen Sie sich noch einmal, m. H., die an-
rten Fälle, so bietet sich Ihnen immerhin ein buntes Bild
Verletzungen, die vorläufig vielleicht weniger ihrer
■chirurgischen Wertigkeit als ihrer Neuheit wegen Inter-
verdienen, aber doch bei häufigerem Auftreten auch
Vorkommen können. Ich möchte deshalb zum Schluss
tte aussprechen, mir gegebenenfalls, wenn möglich, eine
■ Mitteilung zukommen zu lassen, besonders wäre ich
: ür Uebersendung eines der Pfeile für eingehendere Ver¬
dankbar.
isber einige chirurgische Erfahrungen aus dem
II. Balkankriege.
Von Prof. Dr. R. Klapp in Berlin.
■ H.! Zu Beginn des zweiten Balkankrieges bin ich
ner Anzahl von Aerzten, und zwar den Herren Privat¬
en Dr. Adam, Dr. H i n t z e, Dr. M a a s s, Dr. v. Goe-
■Br. v. Lukovicz und stud. med. Kohlrausch,
■Belgrad gegangen und habe da die eine Hälfte des
hospitals übernommen, die mir zur Leitung übertragen
■ Die andere Hälfte wurde von Herrn Oberst Dr.
g j e w i t s c h geführt. Das serbische Sanitätswesen
Ti grossen und ganzen ausgezeichnet organisiert. Zu
1 Freude kann ich sagen, dass uns die serbischen
■ stern sehr gute Dienste geleistet haben. Sie alle haben
■ in den I ageszeitungen und den medizinischen Zeit¬
en gelesen, dass die Schwestern im Balkankriege zum
I eil nicht gut beurteilt wurden. Z. B. ist die Aeusserung von
dein österreichischen Stabsarzt Dr. B r e i t n e r, der seine Er¬
fahrungen in einem anderen Lande gemacht hat, sehr bekannt
geworden, der geradezu vom „Debacle der Frau“ gesprochen
hat. Wir können nur sagen, dass die Damen der Belgrader
Gesellschaft, die bei uns als Kriegsschwestern tätig waren,
mit grösster Pflichttreue und vorbildlicher Hingabe gearbeitet
und alles das geleistet haben, was man billigerweise von
ihnen verlangen konnte.
Was die Wärter angeht, so waren diese zunächst ganz
imgeschult. Die geschulten Wärter waren mit ins Feld ge¬
nommen, und was von Wärtern da war, waren gewöhnlich
über 40 und 50 Jahre alte Leute, Bauern vom Lande, unter
dtnen sich allerdings auch intelligente Menschen befanden,
die sich als sehr brauchbar erwiesen.
Die Patienten, die wir bekamen, stammten weniger
von grossen Transporten her, sondern sie gingen uns zumeist
aus den 35 Reservespitälern zu, die in Belgrad ausser
unserem Hospital bestanden. In diesen Reservespitälern, die
in Schulen und grösseren Privathäusern eingerichtet waren,
war nicht überall Operationsgelegenheit. Es ziehen bekannt¬
lich auch nicht nur Chirurgen in den Krieg, sondern auch
manche andere Aerzte müssen da Chirurgie treiben, und diese
waren gewöhnlich froh, wenn sie schwerere chirurgische
Fälle los wurden. So kam es, dass wir bald ein sehr
schweres Krankenmaterial bekamen und eine unverhältnis¬
mässig grosse Menge von Operationen ausführen mussten.
Wenn das Material nicht in der beschriebenen Weise zu¬
sammengekommen wäre, wäre das nicht möglich gewesen,
und die vielen Operationen würden an und für sich, ohne diese
Fi klärung beti achtet, ein falsches Bild von der chirurgischen
Tätigkeit im Felde geben.
Die Patienten selbst waren ausserordentlich bescheiden
und genügsam. Sie waren leicht zufrieden zu stellen, wenn
man ihnen nur den einen Wunsch erfüllte, dass sie rauchen
konnten. Sie waren starke Zigarettenraucher, und es war ein
eigenartiges Bild, wenn man schwer verletzte Leute mit
Bauch- oder Rückenmarkschüssen, mit Lähmungen von
Blase, Mastdarm und unterer Extremität ganz gemütlich im
Bett liegen und Zigaretten rauchen sah.
Aus den Anamnesen haben wir entnommen, dass viele
von diesen Leuten nach der Verwundung noch ganz ausser¬
ordentliche Leistungen zustande gebracht haben. Aus dem
russischen Feldzuge ist es ja bekannt, dass Verwundete nach
Lungenschüssen zum 1 eil noch lange Zeit marschiert sind, bis
sie die erste Hilfe bekamen. Dasselbe haben wir auch z. B.
bei Bauchverletzungen gesehen. Ich nenne nur kurz folgende
Beispiele:
Ein Mann bekommt eine Kugel aus 300 m Entfernung in den
Bauch. Er ist dann mit dieser Verletzung noch eine Stunde zu Fuss
gelaufen, ist dann hingefallen und wurde später gefunden.
Ein zweiter bekommt einen Schuss in den Bauch, 2 Querfinger
oberhalb der Spina ant. sup. Er wurde später mit schwerer Peri-
tonitis bei uns eingeliefert. Nach der Verwundung stürzte er zu
Boden, kroch auf allen Vieren 100 m zurück, stand wieder auf und ging
noch 5 Stunden, bis er h infiel und von Krankenträgern gefunden
wurde. Dann hat er noch einen ziemlich schwierigen Transport
durchgemacht. Er wurde im Sanitätswagen eine ganze Nacht durch,
dann weiter in einem Arbeitswagen 24 Stunden lang gefahren Unter¬
wegs bekam er zu trinken und zu essen: Milch. Thee, Brot und
Kognak.
Der Mann, der wohl am meisten durchgemacht hat, war ein Unter¬
offizier, dem eine Granate den Unterschenkel zerschmettert hatte und
der erst nach 7 Tagen gefunden wurde. Er hatte sich wie ein ver-
wundetes Tier zu einer Quelle geschleppt, wo er so lange gelegen
hatte.
Nun fragt es sich: sind denn die Kriegsverletzten, wenn
sie in unsere Hände kommen, gegenüber den chirurgischen
Eingriffen sehr widerstandsfähig? Das ist keineswegs der
Fall. Ich halte die Leute für ausserordentlich labil, wenigstens
in der ersten Zeit, bis sie sich ordentlich ausgeschlafen und
erholt haben und über die ersten Schwierigkeiten hinweg¬
gekommen sind. Sie sind durch die Strapazen, die den Leuten
im Kriege zugemutet werden, stark heruntergekommen.
Wenn ich Ihnen den ersten Eindruck schildern soll, den
man als Friedenschirurg in der kriegschirurgischen Tätigkeit
hat, so wundert man sich über die ausserordentliche Viel¬
gestaltigkeit der Krankheitsbilder, die man zu sehen bekommt.
1954 Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift. _ _ Nn
und weiter gelangt inan zu einer wachsenden Bewunderung
iiir die Leistungsfähigkeit des ganzen Körpers. Ich habe
Ihnen vorhin schon gesagt, dass die Leute, die man in die
Hand bekommt, eigentlich sehr labil sind. Sie können spätere
Blutverluste z. B. gar nicht vertragen, und sie weisen doch
bei der Wundheilung Leistungen auf, über die man sich wun¬
dern muss.
ln Belgrad habe ich Gelegenheit gehabt, einmal einen Vor¬
trag zu halten über die Grenzen der konservativen Behand¬
lung. Die konservative Behandlung darf entschieden nicht
übertrieben werden. C 1 a i r in o n t hat sich darüber einmal
in einer Weise ausgesprochen, wie sie leicht missverständlich
ist. Er sagt: „Wenn sich uns bei den Verletzungen aller
übrigen Körperregionen das konservative Verfahren unbedingt
und immer bewährt hat und kein Abweichen von dieser
Grundregel gestattet ist. so scheinen beim Schädel mit seinem
Inhalt doch andere Bedingungen vorzuliegen.“ M. H., das
kann leicht zu Missverständnissen Veranlassung geben. Man
soll gewiss im Kriege schematisieren, aber man muss auch
wissen, wann man davon abzugehen hat. Z. B. bei den Bauch¬
schüssen, die doch im allgemeinen als die Paradigmen konser¬
vativer Behandlung zu gelten pflegen, muss man hiervon ganz
entschieden bei gewissen Gelegenheiten abgehen, und man
muss sehr aufpassen, dass man den richtigen Zeitpunkt der
operativen Inangriffnahme nicht versäumt. Wir haben z. 13.
gesehen, dass sich die peritonitischen Abszesse mit einer un¬
heimlichen Latenz entwickeln. Zuerst haben wir das bei
einem Manne gesehen, der einen etwa 2 Liter haltenden Ab¬
szess im Douglas bekam, und der, obgleich er einen voll¬
ständig weichen Bauch hatte und weder morgens noch abends
Temperaturerhöhungen aufwies, doch mehr und mehr
herunter kam. Nachdem wir diese Erfahrungen gemacht
hatten, habe ich den Ukas ausgegeben, jeden B a u c h ver¬
letzten alle zwei Tage rektal zu untersuchen.
Wir haben dann auch noch einen weiteren Bauchverletzten
gefunden, der ebenfalls grosse Abszesse hatte und dadurch
gerettet wurde, dass man diese rechtzeitig vom Douglas in
der Flanke aus entleerte. Also ich wollte damit nur betonen:
man soll .an dem konservativen Prinzip nicht zu starr fest-
halten, sonst steht man manchmal vor unangenehmen Ueber-
raschungen.
Was die Infektionen im Krieg angeht, so tut man gewiss
gut, nicht jede Sekretion aus dem Schusskanal als eine
schwere Infektion anzusehen. Die Infektionen sind — ich
möchte sagen — beinahe zu 99 Proz. ganz unschuldig. Aber
was dann übrig bleibt, sind zum Teil ganz ausserordentlich
schwere Infektionen. Ich habe Gelcnkinfektionen gesehen, so
schwer wie man sie kaum im Frieden erlebt, wo nur die
radikalste chirurgische Inangriffnahme zum Ziele geführt hat.
Wie soll man sich bei infizierten Splitterfrakturen ver¬
halten? Soll man da von vornherein mit grossen Frei¬
legungen. Spaltungen vom Trochanter zum Knie herunter, Vor¬
gehen. oder soll man mässigere Schnitte ausführen? Wenn
man grosse Inzisionen macht, dann verzichtet man von vorn¬
herein auf das Einheilen sämtlicher Splitter. Die Splitter sind
zum Teil periostlos, und wenn sie von Weichteilen entblösst
werden, in der Wunde frei liegen und mit den Verbänden in
Berührung kommen, stossen sie sich nekrotisch aus, und wir
bekommen später Pseudarthrosen. Wir sind noch am weite¬
sten gekommen, wenn wir m ä s s i g e Inzisionen ge¬
macht haben, allerdings so, dass der Eiter gut entleert wurde.
Weiter hat sich uns die Stauung gut bewährt, vor allen
Dingen bei Gelenkinfektionen, und das von Dönitz ange¬
gebene Terpentinöl, das manchmal überraschende Wirkungen
gehabt hat.
Es ist schon häufig die Frage aufgeworfen worden, ob
es sich bei den Schussverletzungen in der Hauptsache um
primäre oder um sekundäre Infektionen handelt, und diese
Frage ist früher von Bergmann und nachher von Bren¬
tano u. a. bekanntlich dahin beantwortet worden, dass die
sekundäre Infektion eine viel grössere Polle spielt als die pri¬
märe. In neuerer Zeit ist das bezweifelt worden. Man hat
gesagt: wenn das in der Tat der Fall wäre, dann müssten die
Verwundungen mit kleinem Einschuss und Ausschuss doch
keine Infektion oder nur selten Infektionen aufweisen, was
aber nach den Beobachtungen einiger nicht zutrifft, vor al
Dingen nicht nach denen von Reyher und neuerdings \
Meyer. Wir haben diese Infektionen bei kleinem Einsclr
und Ausschuss auch gesehen. Bei schon verklebtem Einsclr
und Ausschuss haben wir grosse Abszesse gesehen. Ander
seits haben wir doch die grösseren Infektionen gesehen
Leuten mit grossem Ein- und Ausschuss. Ich glaube, d,
doch die Ansicht von Bergmann und Brentano
Recht besteht, dass die sekundären Infektionen, die dui
mangelhaftes Verbinden, durch langen und schlechten Tra
port usw. zustande kommen, die grössere Rolle spielen, wo
auch die anderen natürlich nicht auszuschliessen sind,
kommen eben beide Infektionsmodi in Betracht. Dass ke
Wunde nach der Verletzung wirklich steril ist, ist dabei 1
selbstverständlich anzusehen; darauf kommt es abei wenn
an, als auf die richtige Feststellung, dass sie primär
weitaus der grössten Zahl praktisch als ase,
tisch anzusehen sind. In diesem modifizierten Sii
möchte ich mich zu v. Bergmanns Ansicht bekennen.
An die Besprechung der Infektionen schliesse ich die Besprech
eines Falles von Gasphlegmone. Fs handelte sich um einen Mc
der erst etwa am 13. Tage zu uns gelegt wurde, nachdem er bis da
in einem Belgrader Reservehospital gelegen hatte. Er kam am letz
Tage zu uns und starb unmittelbar darauf am selben Tage. Fs h
delte sich um einen Rinnenschuss durch die Ferse. Aus der i
gelieferten Krankengeschichte ergab sich, dass die Wunde ania
sehr schön granuliert hatte, dass die Chirurgen aber — es hamh
sich um eine ausländische Mission — es nicht hatten fehlen las
an Aetzmitteln und antiseptischen Mitteln. Eins nach dem and
hatten sie versucht, bis schliesslich die Gewebe so stark chemisch
schädigt waren, dass eine Gasphlegmone sich entwickeln konnte,
werde Ihnen, wenn ich nachher noch Zeit haben sollte, die bei
Bilder zeigen.
Weiter haben wir einen merkwürdigen Fall von langliegend
Blutleere gesehen, der uns sehr interessiert hat. Es handelte >
um einen Komita, der einen Schrapnellschuss in das Kniegelenk
halten hatte. Das Gelenk war später schwer infiziert, und wir habet
breit spalten müssen. Dem Manne war nach der Verwundung
sehr stark angezogener Gummischlauch oberhalb des Knies her'
gewickelt worden. Als wir später den Mann sahen, war eine nel
tische Zone an der Stelle sichtbar, wo die Blutleere gelegen h;
(Demonstration des Bildes). Es war auch, solange der Patient
Blutleere gehabt hat, keine Blutung aufgetreten. Wir vermuten i
halb, dass es in der Tat eine richtige Blutleere gewesen ist.
hat diese Blutleere 28 Stunden ohne irgendwelche Schädigung
tragen. Mancher von Ihnen wird den Kopf schütteln und sagen:
ist keine Blutleere, sondern eine Stauung gewesen. Dann hätte
aber doch weiter bluten müssen, was nicht der Fall gewesen
Ich will Ihnen dazu einen parallelen Fall aus der Friedenschii
gie anführen. Der Oberwärter einer Klinik hat mir vor Jahren
zählt, dass vor einer Reihe von Jahren ein Patient zu ihm gckoim
sei mit der Frage, ob denn das Band, was er seit gestern um
Arm hätte, immer noch darum bleiben müsse. Es war in dem F
vergessen worden, die Blutleere abzunehmen. Auch dieser Fall
ohne Schaden verlaufen. Es ist ganz interessant, solche Fälle
hören, weil es auch neuerdings in der medizinischen Literatur n
nicht still geworden ist von Fällen, die schon nach kurzer Blutle
Ncrvcnschädigungen aufgewiesen haben
Was den W e r t d e r Extension bei der Behandli
von Schussfrakturen betrifft, so ist dieser neuerdings ai
angezweifelt worden. Man hat gesagt, dass die Extensio
behandlung ganz wegbleiben könnte; höchstens wäre sie
einem Standlazarett am Platze, die übrigen Lazarette kän
jedenfalls mit Gipsverbänden aus. Ich muss sagen, dass:
die Extensionsbehandlung nicht missen möchte. Wenn ges
wird, dass die Oberschenkelfrakturen und auch andere Fr
turen keine grosse Dislokation aufwiesen, weil die ’l
schmetterung und Zerreissung der Muskulatur so gross w;
dass eine Retraktion nicht zustande käme, so können wir
nach unseren Erfahrungen nicht sagen. Wir haben s
anständige Retraktionen gehabt, bis zu 12, 13 cm, und W'
man diese einfach eingegipst hätte, wäre kein gutes Resu
dabei herausgekommen. Es ist doch nicht zu vergessen, d
die Retraktion oder die Dislocatio ad longitudinem nicht al
auf der .Kontraktion der Muskulatur beruht, sondern auch
entzündlicher Retraktion. Und so schwere Zerreissung
Muskulatur, dass sie nicht durch Kontraktion die Fragme
dislozieren könnten, sieht man gar nicht häufig.
Eine merkwürdige Erfahrung haben wir mit der Ko
solidation von Frakturen gemacht. Wir haben z.
Oberschenkelfrakturen mit starken Splitterungen sch
15 September 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
li .1 c h 14 1 a K e n v o 1 1 k o in men fest werden sehen.
Ich \\ eiss nicht, ob das in früheren Feldzügen auch schon be¬
obachtet ist; jedenfalls ist es merkwürdig. Man hat immer
gedacht, die starke Zersplitterung würde zu einer Verlang¬
samung der Kallusbildung führen. Jedenfalls geschieht letz¬
teres nicht in allen Fällen, sondern manchmal sieht man diese
sein irjihzeitige Verknöcherung. Fs kommt einem beinahe so
vor, als ob da auch kleine Dosen von Infektion
g cradezu eine n Anreiz für die Knochen n e u -
b i Idung, für die Kallusbildung, darböten, ähnlich wie es bei
chemischen Finflüssen geschieht, wo kleine Dosen anregen
grosse aber stark schädigen und lähmen. (Schluss folgt.)
1955
Zur intravenösen Antitoxinbehandlung des Wundstarr¬
krampfes.
Von Dr. Ludwig Kirchmayr in Wien.
, . Experimente haben es zur Gewissheit gemacht, dass es
bei Deren in manchen Fällen gelingt, bereits ausgebrochenen
letanus durch Seruminjektion zu heilen, ln Hinsicht auf die
Wirksamkeit der Starrkrampfbehandlung des Menschen mit
Antitoxin gehen die Meinungen recht sehr auseinander. Auf
der einen beite sind eine grosse Zahl von Heilungen nach
S e ru in an w e n d u n g veröffentlicht worden, auf der anderen Seite
steht eine Reihe erfahrener Autoren, welche die Antitoxin-
behandlung des ausgebrochenen Tetanus beim Menschen für
nutzlos ha! t. Fs ist gewiss ungemein schwer, sich über eine
ßehandhingsmethode am Menschen ein sicheres Urteil zu
m. den, da die ein und derselben Behandlungsart unterworfenen
Falle speziell beim Tetanus so ausserordentlich verschieden
schwer sind. _ Fast alle Autoren stimmen darin überein, dass
jene etanustalle prognostisch günstiger liegen, bei welchen
die Inkubationszeit eine lange ist, die nur geringe Temperatur¬
steigerungen zeigen und bei denen die Pulszahl nicht wescnt-
lich erhöht erscheint. Natürlich sind auch Art und Zahl der
Anfälle, sowie das Ausbreitungsgebiet der Zuckungen resp
der Starre von grossem Belang für die Prognose.
... geltere Autoren z. B. Rose [l] berechnen die Mortalität
rtu den Wundstarrkrampf mit 84,4 Proz. (103 Fälle) und für
Tetanus überhaupt mit 88 Proz. (716 Fälle). Von neueren Ar¬
beiten verzeichnen: H o h 1 b e c k [2] bei 14 Fällen im russisch¬
japanischen Kriege 92,85 Proz. Mortalität; Man dry [3] bei
15 ohne Serum behandelten 80 Proz., bei 11 mit Serum be-
undetceünoI3Tfr0Z-;,Fricker [4> bei 18 ohne Serum behan-
delten 88,88 Proz., bei 22 mit Serum behandelten 59,09 Proz.
ortahtät; K e u t z 1 e r [5] berechnet für 564 mit Serum be¬
handelte Fälle eine Sterblichkeit von 36,88 Proz. und für 47
wahrend der ersten 36 Stunden mit Serum behandelte mit meist
Kurzer Inkubation 61,7 Proz.; H o f m a n n [6] findet bei 13 aus¬
schliesslich subkutan mit Serum behandelten Fällen 53 Proz.,
<ei 16 subdural, subkutan und endoneural behandelten
Sterblichkeit; Koslowski [7] bei 19 Fällen
n4,l6 t roz. bei 12 mit Behringserum behandelten 50 Proz.;
'■lag ula L8J bei 19 ohne Serum behandelten 73,68 Proz;
,n£-nnecke [9) bei 14 Fällen 57,14 Proz.; Huber [10] bei
69 Fallen 77,5 Proz. Mortalität, wobei er sagt, dass trotz
- eriimanwendung die Sterblichkeit nicht geringer geworden sei.
Die grosse Zahl einzelner Beobachtungen von Tetanus¬
heilung durch dieses oder jenes therapeutische Verfahren ist
w°hl pur in der statistischen Reihe verwertbar und auch da
nur mit Vorsicht, da die Gegenwerte fehlen. Speziell bei jenen
Fallen, welche eine längere Inkubationszeit aufweisen, wird
man sich ohne grosses Material kaum ein klares Urteil bilden
können, da ja schon Rose angegeben hat, dass ihre Mortalität
■uich ohne Serumgabe zwischen 53 und 50 Proz. schwankt.
Dabei darf man nicht vergessen, dass es wohl auch von Be-
;a "g lst* ’n welcher geographischen Breite sich der Tetanus-
all ereignet, da wir z. B. von Italien wissen, dass dort die
Mortalität des Tetanus auch ohne spezifische Behandlung
-U TToz. kaum übersteigt (Rose). Zweifellos für die günstige
irkung der Serumbehandlung sprechen nur jene Fälle, bei
i T?-,dne ras.cbe und auffallende Veränderung des Krank-
leitsbildes vorliegt, die anderweitig nicht zu erklären ist. Im
folgenden soll eine Krankengeschichte berichtet werden,
welche meines Erachtens die Serumwirkung bei einem
I etanusfall klar aufzeigt.
Josef Tr., 55 Jalirc alt.
Der Kranke hatte mit 30 Jahren einen Typhus, mit 45 Jahren
einen Gelenkrheumatismus überstanden. Am 22. Juli 1913 stürzte
!n„Uu i -u uaclnnittags von einem Wagen so unglücklich, dass ihm
i"1 Kau über den Kopf ging. Trotz der heftigen Blutung lenkte er
aen Wagen noch selbst heimwärts und machte sich kalte Umschläge
t KmPf- Dr- Bartsch sah in der Wunde Haare und
kleine Kohlenstuckchen und spülte die Wunde mit mehreren Litern
lauer Lysofonnlosung aus. Zirka 3 Stunden nach der Verletzung
mit iSl.JfJ! Kinken. Status praesens: Kräftiger, mittelgrosser Mann
mit gesunden Organen. Auf der linken Kopfseite über dem Scheitel-
peine sieht man eine stumpfwinkelige Lappen wunde mit der Basis
nach hinten und oben, deren Schenkel 12: 10 cm messen. Die Wund-
fCtZ!K z.eri;.is1sen’ 1" der Tiefe der Wunde sieht man stark
FWmewC-htes’ “hwarzhch gefärbtes Gewebe. Nirgends sind grössere
sichtbar. Das Periost des Schädels ist abgerissen und
an den Rändern stark gequetscht, so dass in einem etwa kleinhand¬
tellergrossen Bezirke der Knochen freiliegt.
,nnrnie ^ wird mit sterilen Tupfern getrocknet und mit
wh h’ JTodtinktur ausgiebig bestrichen. Durch 2 Situationsnähte
TrockenerVerband'11 ^ b,ossliegenden Knochen zu decken, fixiert.
ter Verband Starke Anschwellung der linken Gesichtshälfte. Feuch-
. ^Tu!'; Gesicht bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen. Häma-
LUer links Mittags klagt der Kranke über Ziehen in der
Gegend der Kaumuskeln.
27. Juli Der Kranke hat die Nacht über geschlafen; von 6 Uhr
an bemerkt er, dass er den Mund nicht mehr öffnen kann
und klagt über heftige krampfartige Schmerzen in den Kaumuskeln.
Als ich den Kranken um 'A 2 Uhr nachmittags sah, hatte er hef¬
tige, schmerzhafte Krämpfe in den Masseteren und konnte den Mund
nur A-~ i cm weit öffnen. Die Krämpfe in den Kaumuskeln wieder-
lolen sich häufig, ohne äusseren Anlass, erscheinen aber jedesmal
auf Beklopfen des Muskels. T. 38,6, P. 86. Es werden sofort die
w Nahte entfernt und der Lappen aufgeklappt. Auf Druck entleert sich
von der Schlafe her etwas dickflüssiger Eiter, der einige wenige
lasblasen führt. Nachdem nekrotisches Gewebe mit Pinzette ent¬
fernt und die Wunde trockengetupft ist, wird ein halbes Fläschchen
getrockneten 1 etanusserums (für 70 ccm aus .dem k. k. serotherap.
Institute Hofrat Paltauf) eingestreut und in alle Nischen verteilt.
Hierauf werden an 4 Stellen um die Wunde je 5 ccm Pa 1 tauf -
sches I etanusantitoxin subkutan und intrakutan eingespritzt und
30 ccm in eine Vene des linken Armes injiziert. ■
• i ‘/ub‘ 4' ^'5; I. 38,1, P. 88; T. 38,5. Die Schwellung des Ge¬
sichtes hat stark abgenommen. Die Kiefer sind krampfhaft ge-
scnlossen und können nicht geöffnet werden. Es liegt eine periphere
Fazialislähmung links vor. In der Nacht hatte der Kranke starke
" i" ne1rzein infolge der heftigen Krämpfe in den Kaumuskeln, die mit
sekundenlanger Dauer in Pausen von 5—15 Minuten auftraten. Es
waren auch heftige Zuckungen in den Extremitäten zu beobachten;
gleichzeitig klagte der Patient über Schmerzen in den Bauchmuskeln.
li Kran , 'st wje gebadet in Schweiss und hat gar nicht ge¬
schlafen. Intravenöse Injektion von 50 ccm Paltaufserum in den
rechten Vorderarm.
29. Juli. T. 37,4; T. 38,7, P. 96; T 38,5
.. . 29. Juli T. 37,4; 1. 38,7, P. 96; T. 38,5. Die Schwellung der
mken Gesichtshälftc hat weiter abgenommen. Die Lähmung des
linken Fazialis unverändert. Die Krämpfe in den Masseteren sind
!n grösseren Pausen und mit geringerer Heftigkeit aufgetreten, Zuk-
MUngj ni-in Extremitäten sind nur mehr selten zu sehen. Der
. Mund lässt sich ca. 'A cm weit öffnen. Patient schwitzt sehr stark
am £ailzen Körper und ist gänzlich schlaflos. Intravenöse Injektion
von 50 ccm Paltaufserum in den rechten Vorderarm. Abends 0,02 Mor¬
phium subkutan.
30. Juli. T. 38,8; I. 39,5, P. 96; T. 38,8, P. 90. Schwellung des
Gesichtes nur mehr gering. Fazialislähmung unverändert Die
Krämpfe in den Kaumuskeln und die Zuckungen in den Extremitäten
haben völlig aufgehört. Der Mund kann etwa VA cm weit geöffnet
werden. Der Kranke schwitzt nur mehr wenig und hat etwas ge-
. schlafen. Er ist eigenartig apathisch, gibt auf Fragen keine Antwort
und führt Befehle langsam und ungeschickt aus.
31. Juli. T. 36,6; I. 37,3. P. 100; T. 36,1. Patient hat etwas ge-
schlafen, schwitzt nicht mehr und ist frei von Schmerzen. Der
Mund wird etwa 2 cm weit geöffnet. Die Fazialislähmung besteht
unverändert fort. Abends 0,01 Morphium subkutan.
1. August. T. 37,5; T. 37,6, P. 104. Der Kranke sitzt völlig
apathisch da und stiert vor sich hin. Auf Fragen bleibt der Kranke
stumm. Lauten Aufforderungen, etwas Bestimmtes zu tun, kommt er
eigenartig ungeschickt nach. Vom Tetanus ist bis auf die völlig un¬
veränderte Fazialislähmung und die Starre in den Kaumuskeln jetzt
und in der Folge nichts mehr nachzuweisen. Am 3. August musste
noch ein Abszess ad nates gespalten werden, der aus einem Häma¬
tom entstanden war. Die Stare der Masseteren verschwand völlig
erst nach 3, die Fazialislähmung nach 5 — 6 Wochen.
Am 27. Oktober sah ich den Kranken wieder. Die Wunde am
Schädel ist bis auf eine 3 zu 5 cm messende granulierende Fläche
1956
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 37.
gut vernarbt. In der Tiefe sieht man zwischen den Granulationen
einen Knochensequester. Da es nicht absolut auszuschliessen war,
dass sich im Sequester oder in seiner Umgebung Tetanuskeime vor¬
finden, wurde eine subkutane Injektion von 10 ccm Tetanusantitoxin
Paltauf in den linken Vorderarm gemacht. Tags darauf liess sich ein
lamellöser Sequester von 5: 2: 0,2 cm leicht aus der Wunde ent¬
fernen, die sich nun rasch völlig schloss. Zu dieser Zeit war weder
von der Fazialislähmung, noch von der Muskelstarre etwas nach¬
weisbar. Am 28. Oktober liess ich mir auch den Wagen zeigen,
dessen Rad die Verletzung verursacht hatte. Es war ein Leiterwagen,
der häufig zum Mistführen verwendet wurde. An den Speichen der
Räder und an der Peripherie des Rades war massenhafter Mist
inkrustiert und man konnte Pferde-, Kuh- und Gänsemist deutlich
erkennen. Es wurden von der Peripherie des Rades an mehreren
Stellen Mistteilchen mit dem Messer abgeschabt. Am 30. Oktober
Vi 8 Uhr abends machte ich 2 weissen Mäusen eine Inzision an der
Rückenhaut nahe der Schwanzwurzel und brachte in die subkutane
Hauttasche je eine kleine Messerspitze der gemischten Mistproben
ein und verschloss die Wunde mit einer Klammer. Die erste Maus
verendete am 1. November um 1 Uhr mittags, die zweite am 2. No¬
vember um 11 Uhr nächst an typischem Tetanus. Zwei weiteren
weissen Mäusen wurden in gleicher Weise wie oben mehrere Teil¬
chen des Sequesters subkutan eingebracht; beide Tierchen blieben
bei vierwöchentlicher Bobachtung völlig gesund.
Im vorliegenden Falle handelt es sich also um einen, nach
nicht ganz 5 tägiger Inkubation ausgebrochenen Fall von
typischem Kopftetanus. Die kurze Inkubation, sowie die er¬
höhte Temperatur Hessen den Fall prognostisch ungünstig er¬
scheinen. Die Behandlung bestand nach Ausbruch des Starr¬
krampfes in Trockenlegen der Wunde, Einstreuen und genauem
Verteilen von trockenem Antitoxin in derselben, weiter in
subkutaner und intrakutaner Injektion von 20 ccm flüssigen
Tetanusantitoxins in die Wundumgebung und schliesslich in
intravenöser Injektion von 30 ccm Antitoxin. Innerhalb der
nächsten 2 Tage wurden je 50 ccm Tetanusantitoxin intravenös
eingespritzt. Nach der dritten Injektion waren keine Zeichen
eines noch virulenten Tetanus nachweisbar; die schwere Er¬
krankung war geheilt, wenn auch Kieferklemme und Fazialis¬
lähmung noch fortbestanden. Das Pal tauf sehe Tetanus¬
antitoxin ist mindestens 5 fach normal. Es waren demnach in
die Wunde ca. 150 Antitoxineinheiten, intrakutan 100 und intra¬
venös 650 eingebracht worden.
Die prinzipielle Frage, ob die Antitoxinbehandlung des aus¬
gebrochenen Tetanus Aussicht auf Erfolg habe oder nicht,
wurde sowohl vom theoretischen Standpunkte, als auch aus
der Erfahrung verschieden beantwortet. Wilms [ 1 1 ], Ull¬
rich [121, Mandry [3], Pochhammer [13], Huber [10]
u. a. fanden, dass sich kein günstiger Einfluss der Antitoxin¬
behandlung auf die Schwere des Krankheitsbildes nachweisen
lasse, resp. dass nach Ausbruch des Tetanus ein Nutzen der
Antitoxintherapie nicht zu erwarten sei. Andere Autoren lesen
aus ihren Erfahrungen den Schluss heraus, dass in vielen
Fällen ein zweifelloser Effekt der Serumtherapie zu erkennen
sei; dafür scheint auch die wesentlich geringere Mortalität der
eingespritzten Fälle in grösseren Statistiken zu sprechen.
Die Art der Serumeinverleibung war eine sehr ver¬
schiedene. Intrazerebrale, lumbale, endoneurale, intravenöse,
subkutane und rektale Injektionen wurden gemacht. Von den
intrazcrebralen Einspritzungen steht fest, dass sie gefährlich
und anscheinend nicht wirksamer sind als die anderen. Welche
andere Art der Einverleibung man wählen wird, hängt wohl
im wesentlichen von der Erfahrung und von bestimmten theo¬
retischen Ueberlegungen ab. Betrachtet man die Unter¬
suchungsresultate von B ii d i n g e r [14], Schnitzler [15],
Fr ick er [16], Reinhardt und Assim [17] und Poch¬
hammer [18] so wird man daran zweifeln dürfen, dass die
Hauptmenge des Tetanustoxins auf neuralen Bahnen weiter¬
schreitet. Ueber die Art der Giftverankerung ist uns auch
noch viel zu wenig bekannt, um daraus sichere Schlüsse ziehen
zu können und deshalb entschied ich mich für die intravenöse
Serumanwendung. E. v. G r a f f s [19] Arbeit hatte mich durch
ihre Erfolge der intravenösen Antitoxintherapie bei Tieren
auch stark nach dieser Richtung hin beeinflusst. Unser ganzes
Trachten bei der Behandlung des ausgebrochenen Tetanus
kann wohl nur dahin gerichtet sein, 1. das Gift am Entstehungs¬
orte abzufangen, und dadurch den Nachschub unmöglich zu
machen, 2. das bereits zirkulierende Gift zu neutralisieren.
Der dritten und wesentlichsten Forderung, das bereits an
Nervenelemente gebundene Toxin unschädlich zu machen.
können wir bisher nicht gerecht werden. Anscheinend ist es
durch Injektionen von Magnesiumsulfat nach Meitzer und
Auer möglich, die Krämpfe zu beeinflussen und damit dem
Kranken den Zustand wesentlich zu erleichtern, und vielleicht
da und dort sogar lebensrettend zu wirken. Die erste For¬
derung an die Therapie kann man nach Behring [20] und
C a 1 m e 1 1 e [21 1 dadurch zu erfüllen trachten, dass man die
Wunde selbst und die Wundumgebung mit Antitoxin be¬
handelt. Auch Suter [22] hat in seinen Fällen trockenes oder
flüssiges Serum in die Wunde eingebracht, ln unserem Falle
wurde trockenes Antitoxin eingestreut und flüssiges Antitoxin
in die Wundumgebung injiziert. Die Bindung des zirkulieren¬
den Toxins scheint uns am vollkommensten erreichbar durch
die intravenöse Injektion. Knorr [23] schlägt auf Basis
seiner Tierversuche vor, 8 Immunitätseinheiten pro Kilo Kör¬
pergewicht einzubringen. In unserem Falle betrug die Menge
jedesmal 3,5, im ganzen ca. 10 Einheiten pro Kilo Körper¬
gewicht. Was mir in unserem Falle von wesentlichster Be¬
deutung erscheint, ist der Umstand, dass die Injektion bereits
lYi Stunden nach Auftreten des Trismus erfolgte. Wenn die
Ansicht von Beck [24] richtig ist, dass die Inkubationszeit
von der Menge der eingebrachten Keime abhängt, so müsste
man sich wohl vorstellen, dass im vorliegenden Falle eine
grosse Menge Giftstoff noch in der Zirkulation war und diese
unschädlich gemacht wurde. Irgendwelche Schädigung durch
die grossen intravenösen Serumgaben wurden nicht be¬
obachtet, der Temperaturanstieg auf 39,5 wird wohl auf das
Serum zurückzuführen sein, war aber bedeutungslos. Zweifel¬
los erscheint es uns, dass in dem vorliegenden Falle das rasche
Verschwinden der Symptome eines virulenten Tetanus einzig
auf die intravenöse Serumbehandlung zurückgeführt werden
kann, welche schon sehr bald nach Ausbruch des Starr¬
krampfes eingeleitet wurde.
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Kriegsbriefe aus der Kriegslazarettabteilung
I. Bayr. Armeekorps.
Von Generalarzt Prof. Dr. Klaussner.
Erster Brief (8. — 28. August).
17. August 1914.
Am 8. August, abends 8/4 Uhr, ging unser Zug von
München-Laim ab, um uns auf dem Umwege Würzburg-
Heidelberg zunächst nach Zweibrücken zu bringen. Dieser
Umweg musste genommen werden, da die direkten Bahnlinien
für die Militärzüge frei zu halten waren. Es war eine
lange, ermüdende Fahrt, aber keiner von uns hätte sie missen
wollen. Die Begeisterung, mit der wir allerorts empfangen
wurden, machte auf jeden von uns einen unauslöschlichen Ein¬
druck; überall wehende Fahnen, brausende Hochrufe, die
Plattform der Bahnhöfe dicht besetzt von Leuten, welche uns
zuwinkten und zujubelten. Dabei Liebesgaben in Hülle und
Fülle.
Nach 40 stündiger Fahrt in Zweibrücken angekommen,
wurde uns hier (12. August) nach mehrtägigem Aufenthalte
der Befehl übermittelt, sofort in die Front vorzurücken.
Während der Fahrt dorthin wurde uns zum erstenmal der
15. September 1914.
Fcldärztliche Beilage zur Aliinch. med. Wochenschrift.
1957
Ernst des Krieges zum Bewusstsein gebracht. Ueberall end¬
lose Züge mit I ruppen und Munition auf den Landstrassen, die
Proviantkolonnen mit starker Bedeckung, an jeder Haltstelle
die wildesten Gerüchte von Siegen, Verlusten, von Greueltaten
der Franktireurs.
*n . sahen wir zum erstenmal Verwundete. Im
Wartesaal des Bahnhofs hatte man sie auf Stroh gebettet.
Junge Leute, noch in der grauen Felduniform, so lagen sie mit
ihren Notverbänden auf dem Boden, die meisten still und
ruhig, einzelne stöhnend und sich umherwerfend. Ein Ver¬
wundeter war von einem Schrotschusse ins Gesicht getroffen
worden; letzteres war mit einem Tuche zugedeckt, um die
furchtbare Zerstörung zu verhüllen, aber auch um die Fliegen
abzuhalten, welche sich in diesem fliegenreichen Lande
scharenweise auf jede offene Wunde niederzulassen pflegen
Einen sehr kriegerischen Eindruck machte der Ort .... !
Aus den eingeschlagenen Fenstern sahen die Köpfe von
Pferden heraus; auf der Plattform überall aufgebrochene
Kisten, der ganze Boden mit Papierfetzen bedeckt. Der
Ort selbst wimmelt von Soldaten aller Waffengattungen,
alle standen noch unter dem Eindrücke der letzten Ge¬
fechte; auf jedem Gesichte war Zuversicht und Kampfes¬
freude zu lesen. Die Restauration dem Bahnhof gegenüber
war überfüllt von Offizieren, das Büfett wurde förmlich ge¬
stürmt. Hier sahen wir auch den ersten französischen Ge¬
fangenen, einen jungen Unteroffizier, mit den historischen
roten Beinkleidern und kurzem, schwarzem Mantel.
v°n . aus brachte uns der Zug nach . .
welches wir gegen 5 Uhr abends erreichten. Vom Bahnhof
aus sahen wir die Dorfstrasse hinunter; linkerseits ein altes
Schloss mit einem weiten Parke, rechterseits die kleinen
weissgetünchten Häuser sich hinabziehend; in der Mitte der
Strasse ein mit Leichtverwundeten beladener Bauernwagen,
eskortiert von Infanterie mit aufgepflanzten Seitengewehren,
im Hintergrund Kavallerie, in eine Staubwolke gehüllt, von
einer Patrouille zurückkehrend; beiderseits vom Orte dicht¬
bewaldete Höhen. Das Ganze überstrahlt vom Glanze der
untergehenden Sonne; ein Bild, wie es eindrucksvoller nicht
gedacht werden kann.
In . .... war unseres Bleibens nicht lange. Der Ort
war für ein Kriegslazarett zu nahe der fechtenden Truppe.
Schon nach zweistündigem Aufenthalte wurden wir wieder
einparkiert und gelangten um 1 Uhr nachts in . an;
hier endlich konnten wir uns ärztlich betätigen. Wir über¬
nahmen interimistisch das bisher in dankenswerter Weise von
einigen Zivilärzten versorgte Garnisonlazarett sowie die be¬
nachbarte Kaserne, welche für Krankenzwecke notdürftig
eingerichtet war. Mit Hilfe von zwei ausgezeichneten
Gelsenkirchener Operationsschwestern, die wir bereits vor¬
fanden, wurde neben dem vorhandenen Operationssaal ein
zweiter eingerichtet. In der Zeit vom 12.— 14. August ver¬
sorgten wir etwa 1500 Verwundete. Die Räume waren be¬
reits bei unserer Ankunft stark belegt. Dazu kamen mehrmals
im Tage neue Transporte von Verwundeten; so hatten wir am
1. Tage bis tief in die Nacht hinein zu verbinden und not¬
wendige Operationen auszuführen; inzwischen mussten trans¬
portfähige Patienten evakuiert werden, um Platz für Neu¬
angekommene zu schaffen. Gerade diese plötzliche Ueber-
flutung mit Verwundeten, welche in möglichst kurzer Zeit
unter oft ungünstigen äusseren Verhältnissen in befriedigender
Weise versorgt werden müssen, ist dasjenige Moment,
welches die grössten Ansprüche an die Nerven, die Ausdauer
und die Aufopferungsfreudigkeit des Arztes stellt.
Als es endlich gelungen war, Ordnung in das bestehende
Chaos zu bringen und sich allmählich die Möglichkeit eines ge¬
ordneten ärztlichen Betriebes in der Ferne zeigte, erreichte
uns die Mitteilung, dass . aus taktischen Gründen ge¬
räumt werden müsse. Mit wirklich schwerem Herzen trennten
wir uns von unseren Verwundeten. Eine grosse Beruhigung
für uns alle war jedoch der Gedanke, dass wir noch vor
unserer Abreise alle Deutschen heimatwärts abtransportieren
konnten. In . wurde ganz unerwarteter Weise ein
Iransport Verwundeter gemeldet. Als Lazarett wurde
das Schulhaus ausersehen, ein Raum im Erdgeschoss 1
nächst Jem Eingänge wurde zum Operationsraum um¬
gewandelt: zwei lange, schmale Tische, in die Mitte des
Raumes gerückt, und mit Matrazen, Bettüchern und Kissen
versehen, wurden für Operationen und schwierigere Verbände
bestimmt. An die eine Wand wurde eine lange Bank gestellt,
auf der sich unter der Obhut einer eigenen Schwester
Schüsseln zum Waschen sowie für antiseptische Lösungen be¬
fanden. Gegenüber war ein grösserer Tisch, auf dem die aus
uer Apotheke requirierten Verbandstoffe ausgebreitet wurden
Zwei Schwestern waren ausschliesslich für die Verteilung der
Verbandstoffe bestimmt. Eine Anzahl von Stühlen diente als
Sitzgelegenheit für Leichtverwundete. Die Mannschaften der
Sanitätskolonne hatten zahlreiche Schienen aus Pappe und
Holz zu improvisieren. Mehrere Schwestern, welche über
den Saal verteilt brennende Lampen hielten, ersetzten die
fehlende Beleuchtung; als Krankenzimmer wurden mehrere
grössere Räume im Schulhaus und in Wirtshäusern ein¬
gerichtet. An Stelle der fehlenden Betten wurden im Ort
requirierte Matrazen und Kissen auf den Boden gelegt; event.
musten die Betten mit Hilfe von Stroh und Latten völlig im¬
provisiert werden.
Auf diese Weise vorbereitet, gelang es uns, im Zeitraum
von 3 Stunden etwa 200 Verletzte mit den notwendigsten Ver¬
bänden zu versehen (20. August 1914).
Am 22. August wurden wir abermals nach . vor¬
geschoben. Dieser Platz war inzwischen von den Franzosen
besetzt und geräumt worden. Das Stadtbild hatte sich dabei
wesentlich verändert. Schon beim Verlassen des Zuges fiel
ein penetranter Brandgeruch auf. Die Gasleitung funktionierte
nicht mehr infolge der vorausgegangenen Beschiessung. An
den Wänden der Häuser waren vielfach die Spuren der Ge¬
schosse zu bemerken; die schon erwähnte Kaserne war
teilweise niedergebrannt. Die Behandlung der ausnahmslos
französischen Verwundeten im Garnisonlazarett, welch letz¬
teres wir zu übernehmen hatten, befand sich bei unserer An¬
kunft noch in Händen französischer Militärärzte, welche mit
ihrem Personal zurückgeblieben waren. Dieselben wurden
sofort von uns abgelöst. Die hygienischen Verhältnisse im
Lazarette spotteten jetzt jeder Beschreibung: Sämtliche Säle
waren auf das dichteste belegt, auf den Korridoren lagen die
Verwundeten auf Mänteln und Stroh ungeordnet durch¬
einander, der Gestank in den Sälen und auf den Gängen war
geradezu unerträglich, bedingt durch Schmutz und blutige
Kleider, durch eiternde Wunden, durch Urin und Exkremente,
die sich überall voifanden; auch die Versorgung der Wunden!
besonders die Schienung der Extremitätenschüsse, liess vieles
zu wünschen übrig.
Dem unendlichen Fleisse unserer Sanitätsmannschaften
im Vereine mit den opferwilligen Schwestern war es zu
danken, dass dieser scheussliche Zustand innerhalb zweier
Tage beseitigt wurde und sich wieder ein annähernd sauberes
Lazarett gestaltete, in dem der Betrieb wieder einigermassen
regelmässig vor sich gehen konnte.
Mit Genugtuung können wir konstatieren, dass uns von
den Verwundeten, insbesondere den Franzosen, viele Dankes¬
worte über unsere Behandlung, Wartung und Pflege ge¬
spendet wurden, während die Aeusserungen über ihre eigenen
Aerzte keineswegs schmeichelhaft klangen.
Wir freuten uns, dass nunmehr ein regulärer Kranken¬
hausbetrieb möglich war, dass man allmählich sich um die ein¬
zelnen der vielen Verletzten mehr annehmen konnte, dass
man endlich in der Lage war, Krankenbogen anzulegen und
die vielen ärztlich so interessanten Fälle auch klinisch zu be¬
obachten und wissenschaftlich zu verwerten, den Verletzten
auch menschlich etwas näher treten zu können — siehe da:
all diese Freude war uns nicht vergönnt, da der Befehl ein¬
traf, dass das Kriegslazarett durch das Personal des Reserve¬
lazaretts heute abzulösen sei; damit ging der ganze organi¬
satorische und ärztliche Betrieb in andere Hände über.
Ueber die Anforderungen, die an ein Kriegslazarett unter
Verhältnissen herantreten, wie wir sie hier bei unserer
zweiten Anwesenheit in . vorfanden, kann sich tat¬
sächlich nur derjenige eine Vorstellung machen, der solche
Situation wirklich miterlebt hat.
Obwohl das von uns abgelöste Feldlazarett schon
am 22. August über 500, zumeist französische Verwundete in
1958
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 37.
Richtung . evakuiert hatte, mussten in den !
weiteren 2 Tagen — 23. und 24. August — unsererseits wei¬
tere ca. 700, zum grossen Teil Schwerverwundetc und zu¬
meist wieder französische Verwundete abtransportiert
werden, um auch dann noch die gesamten Gebäude des La¬
zarettrayons, der Stadthalle, des Gymnasiums etc. mit schwer
und sehr schwer Verwundeten bis auf das letzte Bett belegt
zu haben.
Die hierin begründete überreiche Arbeit der Aerzte wurde
uns doppelt fühlbar unter der nebenbei bestehenden dringend¬
sten Notwendigkeit, aus unbeschreiblichen allgemeinen
hygienischen Zuständen wieder eine wirkliche Krankenanstalt
zu schaffen.
Nach dieser kurzen, die Situation im allgemeinen wieder¬
gebenden Schilderung soll in den nächsten Briefen über unsere
speziellen feldärztlichen Erfahrungen berichtet werden.
Referate.
Der Militärarzt.
Aus Nr. 17. H o c h e n c g g - Wien: Die Scharpie als Verband-
mittel.
H. hat untersucht, ob bei dem ungeheuren, kaum zu deckenden
Verbrauch an Verbandstoffen nicht durch geeignet präparierte Schar¬
pie ein teilweiser Ersatz geschaffen werden kann. Die ohne jede
Vorsicht durch Zerzupfen von alter Leinwand und Perkal ge¬
wonnene Scharpie erwies sich als ein verhältnismässig keimarmes
und durchgehends nur mit gutartigen Saprophyten behaftetes Ma¬
terial, das durch die übliche Sterilisierung, auch wenn es vorher
mit pathogenen Mikroorganismen infiziert wurde, vollkommen keim¬
frei wurde. Bei der Verwendung am Verletzten zeigte sich die
Scharpie infolge ihrer grossen Elastizität und Anschmiegsamkeit so¬
wie ihres grossen Aufsaugevermögens für verschiedene Sekrete als
ein ausgezeichnetes, als Ersatz der weissen Gaze und entfetteten
Watte sehr geeignetes Verbandmittel. Um das Ankleben der Fäden
zu vermeiden, soll die Scharpie in Gaze eingeschlagen als „Bäusch-
chen“ verwendet werden. Verf. hofft so eine grosse Ersparnis an
Verbandstoffen zn erzielen und fordert zur Einsendung möglichst
grosser Mengen von Scharpie an seine Klinik auf. Damit wird der
gemeinnützigen Betätigung von Frauen und Kindern ein wichtiges
Feld geboten. Ausserdem soll viel alte weiche Leinwand u. ä.
Material eingesandt werden zur Verwendung für Salbenverbände bei
Schusswunden
Wiener klinische Wochenschrift.
Aus Nr. 36. M. Kahane-Wien: Vorschläge zur Organisation der
spezialärztlichen Dienstleistung in Kriegszeiten.
Ausser den hauptsächlichen, den chirurgischen Erkrankungen
bringt der Krieg auch eine grosse Zahl der verschiedensten Leiden
mit sich. Auch für diese soll den Soldaten die vollkommenste Hilfe
mit Aufwand aller spezialistischen Kunst und Heilbehelfe zuteil
werden. Es sollten daher in den grösseren Städten Uebersichten
über die vorhandenen Spezialärzte und der Spezialheilanstalten her¬
gestellt werden. Wo es der Fall erfordert, soll auf Wunsch der
Lazarettärzte den Spezialisten die ganze Untersuchung und Behand¬
lung übertragen werden, in anderen Fällen sollen die Spezialärzte
zur Konsultation herangezogen werden. Schliesslich sollen geeignete
Fälle den Spezialheilanstalten auch zur ambulanten Behandlung zu¬
gewiesen werden. Zur Durchführung dieser Massnahmen könnte
eine besondere Organisation der Spezialärzte geschaffen werden.
Bergeat - München.
Kleine Mitteilungen.
Das deutsche Feldsanitätswesen.
Um vielfachen Anfragen zu entsprechen wird mitgeteilt: Das
Feldsanitätswesen ist im ganzen Reiche einheit¬
lich geregelt. Der Sanitätsdienst beim Feldheer und der Etappe
untersteht dem Chef des Feldsanitätswesens; nur der Sanitätsdienst
im Heimatgebiet dem Kriegsministerium.
Die Zahl der bei der mobilen Feldarmee verwendeten Aerzte
ist eine planmässig genau festgelegte. Alle Stellen sind besetzt.
Jeder Abgang wird sofort ersetzt.
Bei der Stellenbesetzung wird genauestens darauf geachtet, dass
den Anforderungen des Feldheeres (an Chirurgen, Internisten,
Hygienikern) entsprochen wird.
Als Ersatz kommen in erster Linie vollkommen felddiensttaug¬
liche Aerzte in Betracht; zunächst die in einem bestimmten Militär¬
verhältnisse stehenden (Militärärzte der Reserve und Landwehr, Er¬
satzreserve und landsturmpflichtige Aerzte), dann erst Zivilärzte
ohne militärisches Verhältnis (für Verwendung im Heimatsgebiet und
bei der Etappe). Als Unterärzte und Feldunterärzte ver¬
wendete ältere Medizinstudierende werden im allgemeinen
nur unter Aufsicht von Aerzten verwendet.
Die Zahl der benötigten Militär apotheker und Zahn¬
ärzte bei der mobilen Armee ist ebenfalls dem Bedarf entsprechend
planmässig festgelegt. Bei Ersatzbedarf kommen bei den in grosser
Zahl zur Verfügung stehenden Apotheken nur Militärapotheker des
Beurlaubtenstandes in Betracht. Der Ersatz der Zahnärzte geschieht
durch Vermittlung des Vereins bayerischer Zahnärzte. Inwieweit
militärpflichtige Dentisten in Reservelazaretten mitverwendet
werden können, entscheidet nach dem auftretenden Bedarf der stell¬
vertretende Korpsarzt.
Die Ausstattung der Truppen mit Verbandmaterial ist
in der ganzen deutschen Armee unter Zugrundelegung der grössten
Verluste der letzten Feldzüge einheitlich geregelt und hat ihre Gren¬
zen in der zulässigen Grösse der Bagagen. Das verbrauchte Ma¬
terial wird von der Etappe (Etappensanitätdepots) her ersetzt; die
Vorräte der Etappe werden auf Anfordern fortwährend vom Heimat¬
gebiet her (Sanitäts-, Hauptsanitätsdepots) und von den im Etappen¬
gebiet angelegten Güterdepots ersetzt. Den besonderen Bedürfnissen
für Verwundetenversorgung, wie sie die Eigenheit des modernen
Krieges zeitigt, wird durch Neubeschaffungen von Krankenauto-
mobilen etc. entsprochen.
Zur Rückbeförderung der Verwundeten in das Heimatgebiet
stehen Lazarettzüge, Hilfslazarettzüge und Krankenzüge zur Ver¬
fügung.
Die Lazarettzüge sind geschlossene Formationen mit stän¬
digem Personal und schon im Frieden vollständig bereitgestellter Ein¬
richtung. Sie unterstehen dem Chef des Feldsanitätswesens und einer
Etappeninspektion.
Die Hilfslazarettzüge sind zur vorübergehenden Be¬
nützung bestimmt, werden nach Möglichkeit aus den leer zur Heimat
zurückkehrenden Wagen aufgestellt und mit Geräten des Etappen¬
sanitätsdepots für den Transport auch liegender Verwundeter ein¬
gerichtet. Ausserdem werden Hilfslazarettzüge planmässig im Hei¬
matsgebiete aufgestellt und ähnlich wie Lazarettzüge verwendet.
Soweit die Hilfslazarettzüge keine Küchenwagen haben, geschieht die
Verpflegung an eigenen Verpflegsstationen. Den genannten Zügen
ist eine entsprechende Zahl von Aerzten. Sanitätsunteroffizieren und
Militärkrankenwärtern beigegeben. In Ausrüstung und Verwendung
entsprechend sind die Hilfslazarettzüge der freiwilligen Kranken¬
pflege.
Die Kranken züge werden nach Bedarf wenn irgend mög¬
lich nur aus Personenwagen zusammengestellt und dienen dem Trans¬
port Leichtverwundeter und Leichtkranker. Sie haben dement
sprechend keine ärztliche Begleitung. Pflegepersonal der freiwilligen
Krankenpflege ist beigegeben. Verpflegung auf Verpflegsstationen.
Nachts wird die Fahrt unterbrochen in eigenen Uebernachtungs-
stationen. Etwa notwendige ärztliche Hilfe an Verbandstellen und
auf Veranlassung der Bahnhofkommandanturen an den grösseren Auf¬
enthaltsstationen.
Die Verpflegung und Behandlung kranker Kriegsgefan¬
gener ist die gleiche wie die der Kranken der eigenen Armee, nur
werden unseren eigenen Leuten naturgemäss alle Erleichterungen
und Vergünstigungen vor allen zugewendet .
Frauen als Pflegerinnen und Helferinnen können im
Operationsgebiete überhaupt nicht, im Etappen- und Heimatgebiet
grundsätzlich nur im Rahmen der Organisation des Roten Kreuzes
und der vom Kriegsministerium ausdrücklich zugelassenen Vereini¬
gungen verwendet werden. Zur Pflege kranker Kriegsgefangener
wird in der Regel männliches Pflegepersonal verwendet.
In den Reservelazaretten ist die Zahl der verwendeten
Aerzte nach der Zahl der Kranken festgesetzt. Für Zuweisung von
spezialistisch ausgebildeten Aerzten sorgen die stellvertretenden
Korpsärzte. v. S.
Aus Feldpostbriefen.
Einem Privatbrief des Herrn Geheimrat Lange aus seinem
Etappenlazarett entnehmen wir folgendes:
„... Endlich ein Wort über das Verbinden der Wunden! Eine
gründliche Desinfektion der Hände ist bei dem Massenandrang von Ver¬
letzungen unmöglich. Gummihandschuhe sind nur spärlich vorhanden.
Sehr bewährt hat sich mir folgendes Verfahren: Während des Ver¬
bindens tragen w:r e i n Paar Gummihandschuhe, um unsere Hände
möglichst sauber zu halten Der Verbandwechsel wird nur mit Schere
und Pinzette vorgenommen, das schmutzige Verbandzeug wird nur
mit Pinzette, die Wunde nur wenn ein besonderer Anlass ist, mit
dem Finger berührt. Bei jedem Kranken werden frisch ausgekochte
Pinzetten benützt Auf diese Weise lässt sich auch in den Kranken¬
sälen ohne Waschgelegenheit der Verbandwechsel in einwandfreier
Weise vornehmen.
Tatsächlich sind unsere Wundresultate ausserordentlich befriedi¬
gend. Ich habe hier gegen 70 Knochen- oder Gelenkschüsse in Be¬
handlung. 1 Mann ist an Tetanus gestorben; 1 Mann musste wegen
Tetanus amputiert werden und ist jetzt anscheinend ausser Gefahr
einen Mann habe ich mit schwerer Sepsis übernommen, er wird
wahrscheinlich derselben erliegen; alle anderen sind fieberfrei und
es besteht die beste Aussicht auf Erhaltung des Lebens und der
durchschossenen Glieder. Glänzend hat sich die sorgfältige Fixierung
der Knochenschüsse bewährt. Temperaturen von 39 — 40° gingen
2 — 3 Tage nach Anlegung der Schienen zur Norm zurück. P'e
Schienen haben sich als erster Verband ausgezeichnet bewährt.
Noch besseres leisten die gefensterten Gipsverbände, die wir als
Gehverbände anlegen, und mit denen die Patienten auch bei starker
Zertrümmerung der Knochen sofort völlig schmerzfrei stehen können.
: September _1914. _ Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift
1959
Die Zahl der Operationen ist viel geringer, als ich gedacht hatte,
habe bisher eine Amputation, eine Unterbindung der Axillaris
eine Anzahl Gegenöffnungen wegen Verhaltung etc. gemacht.
. uifalls spielt die Orthopädie — d. h. das Anlegen eines richtigen
, Kindes bei den Schussfrakturen — numerisch eine viel wichtigere
i i als die Chirurgie der Operationen. Sehr wichtig wird auch die
• jpädische Nachbehandlung. Wenn die Sanitätsbehörde auf
en Vorschlag eingeht und alle Gelenkschüsse nach München zur
: ibehandlung in die orthopädische Klinik überweist, so werden
bei vielen Gelenken eine Beweglichkeit erzielen können, die
1 1 sicher versteifen.
Wir haben viel Arbeit, aber ich habe das Gefühl, dass ich mit
i ein Freunde I r u in p p, der mich treu unterstützt, zurzeit an der
. igen Stelle stehe.“
Verwundetentransport.
Am Bahnsteig wartet die Kolonne schon.
Der Zug rollt langsam in die Station.
Die Männer steh’n, die Bahren, Schicht bei Schicht,
Und jeder dient in Stille seiner Pflicht.
Und jeder tut das Seine unverwandt ,
Mit starken Armen und mit weicher Hand.
... Dahinter wogt das liebe Publikum
Und schwatzt und renkt sich schier die. Hälse krumm.
Und immer neue Gaffer strömen her,
Als ob da ein Kamel mit Affen war’.
Als böte, sich ein Festspektakel dar.
So drängeln sie sich um die TraggrscTiar.
Die alte Menschenbestie wittert Blut, • • <-
Will „etwas seh’n“ und „meint es ja so gut!“
. . 0 seid mir doch mit eurem „Mitleid“ still!
Mitleid ... was taugt’s, wenn es nicht helfen will?
Was taugt die Phrase der Barmherzigkeit,
Wenn euch die Neugier aus den Augen schreit?
s dem „Simplicissimus“.) Dr. O w 1 g 1 a s s.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 14. September 1914.
- Die sechste Kriegswoche brachte wichtige Waffen-
e im Osten wie im Westen, u. a. den Fall der französischen
lg Maubeuge, hauptsächlich aber diente sie der Vorbereitung
•:r Entscheidungen, die bei Lemberg und bei Paris demnächst
warten sind. Mit Ruhe und Zuversicht sieht man diesen Er-
;sen in Deutschland entgegen. An der grossen Zahl von Opfern
‘ nschenleben, die der Krieg fordert, scheint der Anteil der Aerzte
erhältnismäsig grosser zu sein. Das wird Zusammenhängen
er mangelhaften Beachtung, welche die Bestimmungen der
ir Konvention Ln diesem Kriege seitens unserer Gegner finden.
- mpörende Verletzung völkerrechtlicher Vereinbarungen ist auch
iihrung von Dum-Dum-Geschossen, die der französischen
iglischen Armee jetzt einwandfrei nachgewiesen ist. Ob Ver¬
engen, die auf diese Geschosse mit Sicherheit zurückzuführen
i beobachtet wurden, ist uns nicht bekannt; jedenfalls werden
t! Feldärzte darauf achten. Eine in diesem Kriege zum ersten-
uftretende, allerdings harmlosere Waffe sind die Wurfpfeile,
- sich die französischen Flieger bedienen und über deren Wir-
• vir an anderer Stelle dieser Nummer die erste Mitteilung brin-
uebereinstimmend heben die bisherigen Berichte den guten Zu-
hervor, in dem die Verwundeten in die Lazarette kommen und
atten Heilungsverlauf der meisten Verletzungen. Der guten
' Versorgung der Wunden mit dem deutschen Verbandpäckchen
;t dabei ein beträchtliches Verdienst zuzukommen. Nur der ■
etanus bei Granatverletzungen ist eine leider häufiger vor-
;nde Wundkrankheit. Angesichts der Preissteigerung der Ver-
aterialien und der Knappheit der vorhandenen Baumwollvor-
erdient der Vorschlag Hocheneggs (d. Nr. S. 1958), die
ark in Misskredit gekommene Scharpie wieder zu verwenden,
" unf- Es ist kein Zweifel, dass die heutige Desinfektions-
>. leicht in der Lage ist did Scharpie absolut keimfrei zu machen;
' her wäre sie wegen ihrer Weichheit, ihrer Aufsaugefähigkeit
er Billigkeit ein geradezu idealer Verbandstoff. Die Hilfstätig-
|e das Los unserer Verwundeten und der Hinterbliebenen
r Gefallenen erträglicher zu gestalten bestimmt ist, wird im
Reiche mit unverminderter Energie fortgesetzt. Dazu tritt
>ch der Aufruf, auch zur Stärkung unserer finanziellen Kriegs-
: nach Kräften beizutragen. Auch dieser Aufruf wird bei den
'■n n*cht ungehört verhallen. Wir sind kein reicher Stand,
Oi wird fast .jeder von uns in der Lage und gewillt sein, mit
en oder kleineren Summen sich an der Kriegsanleihe zu bc-
O um das Reich in die Lage zu versetzen, den Krieg zum glück¬
ende zu führen. Auch hier soll es heissen: der ärztliche Stand
1 oran an Gemeinsinn und Opferfreudigkeit.
Zur Widerlegung von Gerüchten, dass die Fabriken chemisch¬
pharmazeutischer Erzeugnisse bedeutende Preisaufschläge ihrer Pro¬
dukte hatten eintreten lassen, lässt der Verband der Fabriken
von Markenartikel n durch seinen Syndikus Justizrat Dr. G a -
b r i e | erklären, dass eine Erhöhung der Verkaufspreise tiir fabrik-
massig hergestellte Zubereitungen in Originalpackung nicht vorge¬
nommen wurde Nur drei Firmen hätten die Verkaufspreise für
einzelne Artikel wegen ganz enormer Steigerung der Preise der
Rohmaterialien erhöht.
. Die Verteilung der Nobelpreise wird auch in diesem
•lahre, trotz des Krieges, wie gewöhnlich stattfinden. Nur die Aus¬
zahlung der Geldbeträge wird erst im Sommer 1915 erfolgen.
— Das Bestehen eines Morphiummangels, der die preuss
Regiei ung veranlasst hat, die Aerzte zur grössten Zurückhaltung bei
der Verordnung von Morphium zu ermahnen (S. 1864), wird von der
Firma L. Me r c k, Darmstadt, die wohl die grösste Morphiumprodu-
zentin in Deutschland ist, bestritten. Die Firma schreibt in der
I harm. Ztg. Nr. 69: „Die deutsche Industrie ist in der Lage, einen
\\ eitgehenden Bedarf an Morphium und Kokain sowie an allen anderen
wichtigen Arzneistoffen zu decken. Es bedarf auch nicht der Zufuhr
durch das Ausland, weil etwa unerhörte Preissteigerungen den Bezug
im Inland unmöglich machten. Die in Betracht kommenden Fabriken
haben keine Preissteigerungen eintreten lassen, die nicht nach Lage
der Verhältnisse, d. h. durch Verteuerung der Rohstoffe geboten und
als normal zu bezeichnen sind . Es mögen im Zwischenhandel
hier und da Preissteigerungen über die Norm vorgekommen sein; viel-
fach werden sie ihre Begründung darin gehabt haben, dass vom
Kleinhandel eine für die jetzige Zeit zu weitgehende Kreditgewährung
in Anspruch genommen worden ist. Es darf wohl die bestimmte
Hoffnung ausgesprochen werden, dass die Behörden in Reich und
Bundesstaaten die jetzt so schwer belastete Grossindustrie, die wahr-
lich auch in der freiwilligen Unterstützung der öffentlichen und pri¬
vaten Hilfseinrichtungen nicht zurückgeblieben ist, mit ihren Mass-
nahmen fördern und nicht schädigen, wie es durch das geplante Vor-
gehen des preussischen Ministeriums (Morphium aus dem Auslände
zu beziehen) der Fall sein würde.“
, .. T~ In, Anlehnung an das Deutsche Zentralkomitee zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose hat sich bei der Zentralstelle des
Roten Kreuzes' für Kriegswohlfahrtspflege ein be¬
sonderer Tuberkuloseausschuss gebildet, der es sich
angelegen sein lässt, nach jeder Richtung hin für die Aufrechterhai-
tung der Tuberkulosefürsorge während der Kriegszeit zu sorgen.
Zunächst hat dieser Ausschuss, um die in den Heilstätten und Für¬
sorgestellen durch Abgaben von Personal für die Kranken- und Ver¬
wundetenpflege des Heeres entstandenen Lücken auszufüllen, einen
Nachweis für Aerzte, Schwestern und sonstiges
Pflegepersonal, die bereit sind, an solchen Stellen
zu arbeiten, errichtet. Anmeldungen für derartige Stellen sind
an die Zentralstelle für Kriegswohlfahrtspflege,
1 uberkuloseausschuss, Berlin NW. 7, Reichstagsgebäude
Portal V zu richten.
— Der Medizinalabteilung des Kgl. Kriegsministeriums wurden
zur Unterstützung des grossen Liebeswerkes von der chemisch-phar¬
mazeutischen Fabrik Kn oll & Co., Ludwigshafen ä/Rh„ grössere
Mengen des bekannten Beruhigungs- und Schlafmittels Bromural
im Werte von über 20 000 M. zur Verwendung im Felde und zur Be¬
handlung und Pflege der verwundeten Krieger als Spende zur Ver¬
fügung gestellt. Mit Zustimmung des Kriegsministeriums und nach
Weisungen des kaiserlichen Kommissars für die freiwillige Kranken¬
pflege erfolgte die Verteilung an die einzelnen Plätze.
— Wir werden aus Pest um die Veröffentlichung der folgenden
Zeilen ersucht:
Unter dem Protektorate des kaiserlich deutschen Generalkonsuls
Grafen Fürstenberg-Stammheim hat sich ein Komitee ge¬
bildet zur Unterstützung der Familien derjenigen
Reichsdeutschen, die in Ungarn leben und die zur Ver¬
teidigung des Vaterlandes einger tickt sind. Die gesamte
ungarische Kultur, insbesondere aber die ungarische medizinische
Wissenschaft ist der mächtigen, blühenden deutschen Wissenschaft
vielen Dank schuldig. Von Jahr zu Jahr schicken wir unsere Söhne
unsere Schüler nach Deutschland, um ihren Gesichtskreis zu er¬
weitern und aus der unerschöpflichen Quelle deutscher Wissenschaft
zu schöpfen.
Wir glauben unsere Pflicht zu tun, wenn wir dem Aufrufe des
Komitees folgend, die Sammlung eröffnen und unsere Landsleute, in
erster Linie unsere Kollegen, bitten, unserem Beispiele zu folgen.
Gott segne unser Bündnis, welches nun mit blutiger Waffen¬
brüderschaft befestigt, für ewig befestigt ist.
Prof. Baron Koloman Müller, Prof. Leo v. Liebermann, Pro.f.
Baron Alexander v. Koran yr Prof. Emil v. Grosz.
Folgt Verzeichnis der bisher eingegangenen beträchtlichen
Spenden.
— Im Kgl. preuss. Sanitätskorps wurden für die Dauer des mo¬
bilen Verhältnisses angestellt: der Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Fried¬
rich Kraus, Direktor der zweiten medizinischen Klinik der Charitee
in Berlin, als Generalarzt; Geheimer Rat Prof. Dr. Ludolf v. K r e h I.
Direktor der medizinischen Klinik in Heidelberg und Geh. Medizinal¬
rat Prof. Dr. Wilhelm H i s, Direktor der ersten medizinischen Klinik
der Charitee in Berlin, als Generaloberärzte. Der Oberstabsarzt der
Reserve Prof. Dr. Erich Hoffmann, Direktor der Klinik und Poli-
1960
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
Nr.
klinik für Hautkrankheiten in Bonn wurde zum Generaloberarzt be¬
fördert. (hk.)
— Das Verbot der Ausfuhr und Durchfuhr von Ver¬
band- und Arzneimitteln und von ärztlichen Instrumenten
und Geräten (s. S. 1767) hat durch eine neue Bekanntmachung im
Reichsanzeiger eine bedeutende Erweiterung erfahren. Es fallen
jetzt unter das Verbot: Aloe, Arekolin, auch bromwasserstoffsaures,
Chinarinde, Chinin, auch salzsaures und schwefelsaures, Chloroform.
Formaldehydlösungen, Paraformaldehyd, Galläpfel, Gerbsäure, Tan¬
nin, ipecacuanhawurzel, auch emetinfreie, Jod, rohes Jod, Jodkalium
und Jodnatrium, Jodoform, Karbolsäure, reine, Phenol, Kodein, auch
phosphorsaures, Koffein, Kresolseifenlösungen, Lysol, Mastix und
Mastixpräparate wie Mastisol, Morphin, auch salzsaures und schwe¬
felsaures, Opium und Opiumzubereitungen, wie Opiumpulver, Opium¬
tinkturen, Opiumextrakt, Pantopon, Quecksilber und Quecksilber¬
salze, auch in Zubereitungen, wie Salben, Sublimatpastillen,
Salvarsan, Neosalvarsan, Simarubarinde, Weinsäure, Weinstein¬
säure, Wollfett, Lanolin, Zitronensäure, Verbandwatte, Verband¬
gaze und andere Verbandmittel, Gummi für Gummischläuche, Drai¬
nagen, üummibinden u. ä., chirurgische und andere ärztliche Instru¬
mente und Geräte, ausgenommen geburtshilfliche und zahnärztliche,
bakteriologische Geräte, Material für bakteriologische Nährböden,
wie Agar, Pepton, Lackmusfarbstoff, Schutzimpfstoffe und Immun¬
sera, wie Schutzsera, Heilsera, diagnostische Sera, Versuchstiere.
— Wegen des Krieges fallen die im Oktober von der Berliner
Dozentenvereinigung für ärztliche Ferienkurse geplanten Herbst¬
kurse aus.
— Cholera. Russland. Zufolge Mitteilung vom 30. August
ist in Warschau die Cholera ausgebrochen.
— Pest. Türkei. In Haiffa wurde am 29. August ein tödlicher
Pestfall festgestellt. — Aegypten. Vom 1. bis 7. August erkrankten
(und starben) 6 (1) Personen, davon 3 (— ) in Alexandrien und 3 (1)
in Kafr Ebri. — Cuba. In Santiago vom 30. Juni bis 3. August 7 Er¬
krankungen und 1 Todesfall, in der Umgegend von El Caney am
4. August 2 Erkrankungen.
— ln der 34. Jahreswoche, vom 23. bis 29. August 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Metz mit 36,2, die geringste Berlin-Friedenau mit 5,5 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬
storbenen starb an Scharlach in Brandenburg, an Masern und Röteln
in Kolmar. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Der Geh. Medizinalrat Dr. Friedrich Busch, a. o.
Professor der Zahnheilkunde an der Berliner Universität, beging am
9. September seinen 70. Geburtstag, (hk.)
Bonn. Dem Privatdozenten für Psychiatrie und Mitgliede des
Medizinalkollegiums der Rheinprovinz Prof. Dr. Robert T h o m s e n
ist der Charakter als Medizinalrat verliehen worden, (hk.)
Erlangen. Als Nachfolger von Prof. H. Merkel ist der
Privatdozent an der Universität Königsberg Dr. Martin Nippe vom
1. Oktober d. J. ab zum etatsmässigen ausserordentlichen Professor
für gerichtliche Medizin an der Universität Erlangen ernannt wor¬
den. (hk.)
Halle a. S. Als Nachfolger von Prof. Eugen v. Hippel auf
dem Lehrstuhl der Augenheilkunde ist der ordentliche Professor
Dr. Franz S c h i e c k - Königsberg i. Pr. in Aussicht genommen, (hk.)
Leipzig. Geheimrat Prof. Dr. Hubert Sattler feierte am
9. September seinen 70. Geburtstag, (hk.)
Lemberg. Der Privatdozent Dr. Ladislaus Mazurkie-
w i c z wurde zum a. o. Professor der Pharmakologie ernannt.
Prag. Der mit dem Titel eines a. o. Universitätsprofessors
bekleidete Privatdozent Dr. Vladislaw Mladejovsky wurde zum
a. o. Professor für Balneologie und Klimatologie an der czechischen
Universität ernannt.
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Dr. G u t b i e r, Oberarzt d. Res. im Sächs. Inf.-Reg. Nr. 103.
Ernst Hellmuth, Einj.-Freiw. 9. b. Inf.R., st. med., 20. Aug.
Dr. Walther Kern, prakt. Arzt und Bahnarzt in Windsbach,
Oberarzt d. Res., am 5. September.
Dr. Julius Kramer, Ass.-Arzt d. Univers.-Augenklinik Berlin,
am 26. August.
Dr. Eduard Müller, Stabsarzt im Kgl. bayer. 13. Inf.-Reg.,
am 25. August.
Dr. Martin Neumeister, Feldunterarzt im Untereis. Inf.-
Reg., am 20. August.
Dr. Oluf R i i s, Oberarzt d. Res., Arzt i. Tingleff i. Schleswig-
Holstein.
Dr. Oskar Schmitt, Oberstabsarzt, Germersheim, am 5. Sep¬
tember.
Dr. Max S t a m e r, Ulanenregiment 19, Arzt in Neresheim.
Dr. T'h eien, Marinestabsarzt, mit dem Kreuzer Magdeburg.
Dr. Otto Wieck, Oberarzt d. Res., Arzt in Berlin, am
25. August.
Arnold Z e n e 1 1 i, c. med., Vizewachtmeister, München, 31. Aug.
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26 —
(T o d e s f a 1 1.)
ln Utrecht ist der ordentliche Professor und Direktor
psychiatrisch-neurologischen Klinik der dortigen Reichsuniven
Dr. Karl He i 1 b r o n n e r, im 44. Lebensjahre infolge eines H
Schlages gestorben. Prof. Heilbronner war ein geborener N
berger, Schüler von Prof. W e r n i c k e an der psychiatriv
Klinik zu Breslau, (hk.)
Amtliches.
(Bayern.)
Nr. 5285c 27. München, 29. August 19’
Kgl. Staatsministerium des Innern.
An die Bayerischen Aerztekammern.
Betreff: Versorgung mit Arzneimitteln.
Infolge des Darniederliegens der Einfuhr müssen die Apothi
ihren Bedarf an Opium und seinen Alkaloiden, besonders an !
phium, aus den Vorräten des Inlandes decken. Der Preis des
phiurns hat durch die plötzliche Steigerung der Nachfrage
wesentliche Erhöhung erfahren. Es ist daher notwendig, die Vo:
an diesen Arzneimitteln tunlichst zu schonen.
Die Aerztekammern werden deshalb ersucht, auf die At
dahin einzuwirken, dass sie Opium und dessen Alkaloide, beson
Morphium, nur bei unbedingter Notwendigkeit verschreiben, un
geeigneten Fällen Ersatzmittel anwenden. I. A.: Hei
Bekanntmachungen.
Zeichnet die Kriegsanleihen!
Wir stehen allein gegen eine Welt in Waffen. Vom neuti
Ausland ist nennenswerte finanzielle Hilfe nicht zu erwarten, aucl
die Geldbeschaffung sind wir auf die eigene Kraft angewiesen. 1
Kraft ist vorhanden und wird sich betätigen, wie draussen vor
Feinde, so in den Grenzen des deutschen Vaterlandes jetzt, w
gilt, ihm die Mittel zu schaffen, deren es für den Kampf um s
Existenz und seine Weltgeltung bedarf.
Die Siege, die unser herrliches Heer schon jetzt in West
Ost errungen, berechtigen zu der Hoffnung, dass auch diesmal
einst nach 1870 71 die Kosten und Lasten des Krieges schlies
auf diejenigen fallen werden, die des Deutschen Reiches Fri
gestört haben.
Vorerst aber müssen wir uns selbst helfen.
Grosses steht auf dem Spiele. Noch erwartet der Feind
unserer vermeintlichen finanziellen Schwäche sein Heil. Der E
der Anleihe muss diese Hoffnung zerstören.
Deutsche Kapitalisten! Zeigt, dass Ihr vom gleichen ü
beseelt seid wie unsere Helden, die in der Schlacht ihr Her,
verspritzen! Deutsche Sparer! Zeigt, dass Ihr nicht nur für 1
sondern auch für das Vaterland gespart habt! Deutsche Kon
tionen, Anstalten, Sparkassen, Institute, Gesellschaften, die Ihr t
dem mächtigen Schutze des Reiches erblüht und gewachsen
Erstattet dem Reiche Euern Dank in dieser schicksalsschw
Stunde! Deutsche Banken und Bankiers! Zeigt, was Eure glänz
Organisation, Euer Einfluss auf die Kundschaft zu leisten veri
Nicht einmal ein Opfer ist es, was von Euch verlangt v
Man bietet Euch zu billigem Kurse Wertpapiere von hervorrage
Sicherheit mit ausgezeichneter Verzinsung!
Sage Keiner, dass ihm die flüssigen Mittel fehlen! Durcl
Kriegsdarlehenskassen ist im weitesten Umfang dafür gesorgt,
die nötigen Gelder flüssig gemacht werden können. Eine vori
gehende kleine Zinseinbusse bei der Flüssigmachung muss 1
jeder vaterländisch gesinnte Deutsche ohne Zaudern auf sich neh
Die deutschen Sparkassen werden den Einlegern gegenüber, die
Sparguthaben für diesen Zweck verwenden wollen, nach Möglic
in weitherziger Weise auf die Einhaltung der Kündigungsfristen
zichten.
Näheres über die Anleihen ergibt die Bekanntmachung un:
Reichsbankdirektoriums, die heute an anderer Stelle dieses Bl
erscheint.
Deutsche Aerzte!
Verschreibt nur deutsche Präparate und Spezialitäte
Die „Feldärztliche Beilage“ ist bestimmt, allen im Felde st»
den oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten der deuts
und österreichischen Armee und Flotte unentgeltlich geliefert zu
den. Herren, welche sie nicht erhalten, werden um Angabe
Adresse ersucht. . .
Beiträge für die „Feldärztliche Beilage“ werden nach erm
Sätzen honoriert
Selbstverständlich wird unseren im Feld stehenden Abonni
auch die Wochenschrift selbst an jede uns angegebene Adresse i
geliefert. J. F Lehmanns V er IJ
Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
Dif Münchener Medtxm*%chr Woehentcbnft erscheint wöchentlich
Zosendnngen ifnd zu *drefs«ercnr
Pürdie Redaktion Amulfstr.26. Bürozeit der Redaktion SV« — i (Jhr.
Pflr Abonnement an J. P. Lehmann*? Verlag, Paul Mevsestra^e 2V
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mössc, riieatinerstrasse i
im Umfang von durchschnittlich 7 Bogen. • Preis der einzelnen % Jf VV w y m „
MÜNCHENER
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 38. 22. September 1914.
Originalien.
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Strassburg.
Resorptionsfieber oder Retentionsfieber*).
Von Privatdozent Dr. A. Ham m.
Wenn uns Gynäkologen manchmal vorgehalten wird, dass
wir mit unseren Patientinnen das Schicksal der Unterwerfung
unter die Mode teilen, so gilt dies sicher nicht für die Ge¬
schichte unserer Lehre vom Kindbettfieber.
Es ist merkwürdig zu sehen, mit welcher Zähigkeit auf
diesem Gebiete an dem einmal aufgestellten Dogma fest-
gehalten wird, es ist geradezu erstaunlich zu beobachten, wie
oft neue Entdeckungen den alten Vorstellungen angepasst
\\ erden sollen, bloss damit das so bequeme und Heb gewordene
Schema aufrecht gehalten werden kann.
Aehnlich wie Bondy [l] bereits in klarer Weise gezeigt
lat. dass es sich bei dem alten Streit um die Möglichkeit der
.Selbstinfektion“, grosse-nteils vielmehr um einen Streit um
Worte als um Tatsachen handelte, scheint auch die Lehre von
ier puerperalen Wundintoxikation, vom Resorptionsfieber, in
.'inen Streit um Worte auszuarten.
Ich glaubte zwar in meiner Monographie „über die puer-
)erale Wundinfektion“ [2] den einwandfreien Nachweis dafür
erbracht zu haben, dass wenn die Voraussetzung, auf der die
canze Spiegel berg-Duncan sehe Saprämielehre auf-
cebaut war, nämlich das Unvermögen der diese Intoxikations-
ustände hervorrufenden Keime, ins lebende Gewebe und ins
|lut einzudringen sowie Metastasen zu bilden, wenn diese
rämisse als fehlerhaft und unhaltbar erwiesen sei, damit auch
!as bisherige Dogma der „putriden Intoxikation“ in sich selbst
usammenstürzen müsse; aber durch einige seither erschienene
^blikationen sehe ich mich doch veranlasst, meinen damals
ertretenen Standpunkt nochmals zu präzisieren und aufGrund
er inzwischen gemachten experimentellen Erfahrungen über
Vundinfektion zu rechtfertigen.
W enn wir als wesentlich für den Begriff der „Infektion“
egeniiber dem der „Intoxikation“ daran festhalten, dass bei
er In f e k t i 0 n die Keime ins lebende Gewebe und eventuell
is Blut Vordringen, während die reine Wund intoxikation
adureh zustande kommen soll, dass auf der Wundoberfläche,
in Wundsekret sowie im abgestorbenen Gewebsmaterial
Mikroorganismen wuchern, denen jegliches Penetrationsver-
lögen abgeht, die aber dadurch giftig wirken, dass ihre Stoff-
echselprodukte, vielleicht auch die durch sie erzeugten Zer-
dlsprodukte der abgestorbenen Gewebszellen trotz
r e i e n Abflusses des eitrig jauchigen Materials und trotz
-•stehender reaktiver Entzündung an der Uebergangszone ins
1 ende Gewebe hineindiffundieren, so lässt sich die Frage,
) wir eine als _r eine W u n d i n 1 0 x i k a t i o n, als puer-
erales „Resorptionsfieber“ im bisherigen Sinn aufzufassende
rkrankungsform auch heute noch anerkennen können, auf
^derlei Weise beantworten, nämlich erstens durch die
linisch-bakteriologische Beobachtung, die
is Aufschluss darüber verschafft, ob cs tatsächlich derartige
ikroorganismen, sog. „Saprophyten“ gibt, die befähigt sind,
;n menschlichen Organismus unter natürlichen Verhältnissen
ank zu machen, ohne dabei aber auch die Fähigkeit zu he¬
tzen. gegebenenfalls ins lebende Gewebe selbst vorzudringen
Kl dort weiterzuwachsen — zweitens lässt sich jene Frage
) Nach einem in der mittelrheinischen Gesellschaft fiir Gynäko-
L,le zu rrankfurt a. M. am 3. Mai 1914 gehaltenen Vortrag.
Nr. 38.
beleuchten durch die experimentell-biologische
r o i s c h u n g, vermöge deren wir zur näheren Kenntnis jener
Bakteriengifte gelangen, von denen der Kliniker so viel spricht,
c.ie aber experimentell bisher überhaupt kaum nachweisbar
und somit ihrer Natur nach nur ungenügend' bekannt waren.
Betreffs der ersten Frage glaube ich mich kurz fassen zu
können; denn durch die zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre
von Jeannin, S c h o 1 1 m ü 1 1 e r, Bondy, Römer,
Sachs, mir und vielen anderen dürfte der endgültige Be-
weis dafür erbiacht sein, dass all die Keime, die man früher
als Ei i eger der „putriden Intoxikation“ angesprochen
natte, gelegentlich auch im Blut sowie in nietastatischen Ab-
szessen nachweisbar sind; sie vermögen also nicht bloss auf
totem Nährmaterial weiterzuwachsen, sondern unter ge¬
eigneten Umständen gelangen sie auch im lebenden Gewebe
zu so üppiger Entwickelung, dass sie sich dem Organismus
gegenüber wie echte Parasiten verhalten. Da aber nach d e
Barys grundlegender Nomenklatur die „Saprophyten“ da¬
durch charakterisiert sind, dass ihnen die Fähigkeit der Ver¬
mein ung im lebenden Organismus abgeht, ist es heutzutage
nicht mehr angängig, dieser ganzen Gruppe von Keimen, meist
Anaerobiern, die man früher — bei ungenügender Methodik _
bloss im toten Gewebsmaterial nachweisen konnte, als „Sapro¬
phyten" eine besondere, prinzipiell verschiedene Stellung im
System der Wundinfektionserreger zuweisen zu wollen. Wir
haben vielmehr bei jeder Wundinfektion, auch der puerperalen,
bloss mit einer Kategorie von Keimen zu rechnen, nämlich
den „pathogenen Mikroorganisme n“, die, wie
gleich noch zu erörtern sein wird, allein praktisch als krank-
heitsauslösende Keime in Betracht kommen. Damit soll die
verschiedene Bedeutung der einzelnen Keimarten für die
Pathogenese der Wundinfektion selbstverständlich in keiner
Weise bestritten werden, bloss dürfen wir nicht, wie das bis¬
her vielfach üblich war, in den Fällen, wo es beim Nachweis
von pathogenen Mikroorganismen auf einer puerperalen
Wunde nicht zur manifesten Infektion dieser Wunde kommt,
kurzweg diese Keime zu „Saprophyten“ stempeln oder gar sie
als „obligate Saprophyten“ hinstellen, wir müssen uns viel¬
mehr immer vergegenwärtigen, dass das Zustandekommen der
Infektion abhängig ist einmal von der jeweiligen Virulenz des
betreffenden Bakterienstammes und ferner von der lokalen
und allgemeinen Disposition des befallenen Individuums. Fin
klassisches Beispiel hierfür hat Walthard [3] seinerzeit in
'seinen Beobachtungen über die bakteriotoxische Endometritis
angeführt (cf. seine Beobachtung I: Bei einer 42 jährigen Frau,
die vor 19 Jahren geboren hatte und damals ein fieberhaftes
Wochenbett durchgemacht haben soll, wird wegen fixierter
Retroflexio mit heftigen dysmenorrhoischen Beschwerden
operiert. Abdominale Totalexstirpation des Uterus. Am
5. Tage post operat. Exitus an Peritonitis. Im Uteruskavum
wie im Peritonealeiter die gleichen Keime: Streptococcus
pyogenes +, Bacterium coli +, ein dem Bacillus oedematis
maligni ähnliches Stäbchen.)
Das waren nach unserer heutigen Nomenklatur keine in¬
fektiös gewordenen „Saprophyten“, die seit 19 Jahren in
jenem Uterus ihr Leben gefristet hatten, sondern echt patho¬
gene Keime, die bei der durch die Operation geschaffenen
Gewebsdispositiön so schnell virulent wurden, dass innerhalb
5 Tagen die Frau der Infektion erlag.
Da wir heute wissen, dass derartige Keime in der Vagina
von etwa zwei Drittel der Schwangeren und Kreissenden und
noch etwas häufiger in den Scheiden- und Uteruslochien vor-
1
1962
f MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 38.
handelt sind, dürfen wir uns eigentlich nicht mehr darüber
wundern, worauf W a 1 1 h a r d mit Recht bereits vor über
10 Jahren hingewiesen hat. dass trotz aller modernen Asepsis
und Antisepsis selbst in den best geleiteten üebäranstalten
die Wochenbettsmortalität immer noch 10 bis 20 Proz. be¬
trägt; denn wenn das Zusammentreffen von pathogenen
Mikroorganismen mit den Qeburtswunden allein schon ge¬
nügte, um eine Infektion zu setzen, so müssten wir folgerichtig
bei mindestens 75 Proz. unserer Wöchnerinnen einen fieber¬
haften Wochenbettsverlauf erwarten. — Die Kürze der mir
zu Gebote stehenden Zeit verbietet mir natürlich, hier noch
näher einzugehen auf die mancherlei Gründe, die zum Aus¬
bleiben der Infektion in der Mehrzahl der Fälle beitragen;
das Wesentliche war mir zu zeigen, dass die mangelnde
Virulenz der Keime hierfür nicht als einzige Ursache an¬
geführt werden darf, besonders aber nochmals zu betonen,
dass wir mit dem Begriff des „Saprophytismus“ der Scheiden¬
keime endgültig aufräumen müssen.
Was lehrt nun das Tierexperiment über die Wir¬
kung der Bakteriengifte, was sagt die biologische For¬
schung zu der vom Kliniker aufgestellten Vermutung, dass
es Bakterien gibt, sogen. „Saprophyten“, die durch ihr
blosses Wuchern in offenen Körperhöhlen oder auf granu¬
lierenden Wundflächen eine Erkrankung des Organismus ver¬
mittelst der von ihnen gebildeten Gifte herbeiführen?
Es dürfte zur Genüge bekannt sein, dass die frühere
strenge Scheidung der Bakterien in echte Toxinbildner, die
bloss durch ihre Toxine pathogen wirken (Bacillus botulinus,
Diphtherie- und Tetanusbazillen) und in die „Endotoxin-
bildner“ heute fallen gelassen ist, und dass auch für die Di¬
phtherie neuerdings durch Beyer1) der einwandfreie Beweis
erbracht werden konnte, dass sie „so gut wie jede andere
Infektionskrankheit“ mit einer Bakteriämie einhergeht.
Andererseits haben die durch Friedberger und seine
Mitarbeiter inaugurierten Forschungen über das Bakterien-
anaphylatoxin ergeben, dass nicht bloss die Parasiten,
sondern auch die echten Saprophyten beim Kontakt mit kom¬
plementhaltigen Körpersäften (in vitro und in vivo) ein stark
wirkendes Gift, eben das sogen. „Anaphylatoxin“ liefern.
A priori ist also auf jeder Wundfläche, mag sie nun mit para¬
sitären oder mit saprophytischen Keimen besudelt sein, die
Gelegenheit zur Anaphylatoxinbildung gegeben. Ferner
konnten D o 1 d und R a d o s durch ausserordentlich exakte
Versuche im U h 1 e n h u t h sehen Institut nachweisem dass
sogar im normalen Konjunktivalsack dieses Gift in Spuren
vorhanden ist, und dass es durch Einbringen abgetöteter Bak¬
terien in den Konjunktivalsack vermehrt werden kann. Die
Giftwirkung kommt allerdings erst zur Geltung bei Verletzung
des Auges, wo sie dann eine ausgesprochen entzündungs¬
erregende Reizung der Wunde verursacht.
Es steht uns leider bisher keine Methode zur Verfügung,
dasselbe Gift in ähnlicher Weise auch nachzuweisen in der
Scheide, deren Schleimhaut ja mit viel zahlreicheren Mikro¬
organismen überzogen ist als der Konjunktivalsack und deren
Sekret, wenigstens vom Moment des Blasensprunges an,
sicher genügend wirksames Komplement enthält, um den
fermentativen Abbau des vorhandenen Bakterieneiweisses in
die Wege zu leiten. Aber am Vorhandensein von Anaphyla¬
toxin im normalen Lochialfluss, und zwar wahrscheinlich
sogar in grosser Menge, wird man keinen Moment zweifeln
dürfen, noch viel weniger natürlich am Anaphylatoxingehalt
des Gewebssaftes retinierter Eireste oder des infizierten
Fruchtwassers.
Auch mir lag es ferne, die Produktion dieser durch fer¬
mentativen Abbau des Bakterieneiweisses entstehenden gif¬
tigen Zwischenprodukte ausschliesslich in das lebende Ge¬
webe verlegen zu wollen, vielmehr dachte ich dem Gedanken
Ausdruck zu verleihen, dass das Bakterienanaphylatoxin nur
dann im Organismus pathogene Bedeutung ge¬
winnt, wenn es innerhalb des lebenden Gewebes selbst ge¬
bildet wird und so in den Kreislauf gelangt. Auf die Be¬
rechtigung dieser in der Form wohl etwas zu weit gefassten
Anschauung werde ich gleich noch zurückkommen.
*) M.m.W. 1913 S. 240.
Hingegen habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen
(S. 145). dass die Endotoxine, speziell die Streptokokkenendo¬
toxine — und ich berief mich dabei auf die ausgedehnten
Versuche Zangemeisters — bloss im lebenden Gewebe
abgegeben werden. Auf diesen Unterschied hat auch Bold
dem es ja jetzt gelungen ist, die Endotoxinwirkung von der
Anaphylatoxin Wirkung sicher zu trennen, jüngst erneut auf¬
merksam gemacht. Er hebt wörtlich hervor [4], dass zum
Nachweis der Endotoxinwirkung die Endotoxine, d. h. die
Bakterienleibsubstanzen einem tierischen Organismus einver¬
leibt werden müssen, so dass also der Gedanke einer
Resorption von Endotoxinen von totem Ge-
websmaterial her uneingeschränkt und end¬
gültig aufzugeben sein dürfte.
Schwieriger gestaltet sich nun die Frage der Resorp¬
tion des Anaphylatoxin s, das auf den puerperaler
Wunden zweifellos in nicht unbedeutender Quantität gebildet
wird. Kann dieses Gift nicht vom puerperalen Endometrium
ja kann es nicht vielleicht sogar schon von der normaler
Scheidenschleimhaut resorbiert werden? Um über dies,.
Frage Aufklärung zu gewinnen, stellte ich im Laboratoriun
von Herrn Geheimrat Prof. U h 1 e n h u t h mit gütiger Unter
Stützung von Herrn D o 1 d Versuche am Meerschweinchen ar
derart, dass ich zunächst die Resorptionskraft der Scheiden¬
schleimhaut für normales Pferdeserum prüfte, um dann, nad
dem deutlich positiven Ausfall dieser Versuche, die Aufnahmt
von Bakterieneiweiss von der Vagina aus festzustellen. Auel
diese Versuche, die mit Parasiten, wie mit Halbparasiten, wit
mit Saprophyten angestellt wurden, führten mit Ausnahme
der Streptokokkenversuche zu einem durchweg einwandfrei
positiven Ergebnis: die durch mehrmaliges Einbringen vor
Bakterienaufschwemmung in die unverletzte Vagina sensibili¬
sierten Meerschweinchen zeigten bei der Reinjektion in dit
Jugularvene nach 6—10 Wochen deutliche anaphylaktische
Symptome, während die Kontrolltiere nichts derartiges zi
erkennen gaben. 2 Tiere, die im frisch puerperalen Stadiun
sensibilisiert worden waren, zeigten keine stärkere Reaktior
als die übrigen. Wenn also schon die normale Scheiden¬
schleimhaut Bakterieneiweiss zu resorbieren vermag, so wirc
der puerperalen Vagina, besonders aber dem puerperaler
Endometrium erst recht diese Fähigkeit zuerkannt werdet
müssen.
Die Resorptionskraft der Scheide für chemische Sub¬
stanzen ist ja eine seit langem bekannte Tatsache. Coei
und L e v i haben bereits vor 20 Jahren nachgewiesen, das*
das Resorptionsvermögen der Vagina bei Schwangeren
Wöchnerinnen und Fiebernden gesteigert ist unc
M e n g e s konstatierte eine Steigerung der Resorption durcl
auftretende Entzündung der Scheidenschleimhaut.
Wir stehen also jetzt vor der Frage: wie kommt es, das;
wir nicht häufiger im Wochenbett die Symptome von ßak
teriengiftresorption feststellen, da wir doch annähernd u
jedem Lochialsekret die Anwesenheit von Bakterienanaphyla
toxin vermuten und andererseits die Möglichkeit der Re¬
sorption dieses Giftes selbst von der unverletzten Schleim
haut aus durch meine obigen Versuche experimentell er¬
wiesen ist?
Die Antwort kann bloss eine hypothetische sein: offen
bar gelangt das Gift normalerweise oben doch nur in so ge
ringer Menge zur Resorption, dass der Gesamtorganismm
davon unbeeinflusst bleibt. Dies wird besonders immer dam
der Fall sein, wenn das Wundsekret völlig freien Abfluss hat
wenn im Sinne der bekannten Experimente F r i e d r i c h '
über die Bedeutung der innergeweblichen Drucks für das Zu¬
standekommen der Wundinfektion keinerlei „Druck um
Gegendruck“ im infizierten Wundgebiet stattfindet, mit einen
Worte, wenn keinerlei äussere oder innere Stauung des ana
phylatoxinhaltigen Wundsekrets besteht.
Nicht die Möglichkeit der „Resorption“ ist also der aus
schlaggebende, veranlassende Faktor für die Entstehung jenei
leichten Temperatursteigerungen, die ausnahmsweise woli
auch einmal ohne lokale Gewebsentzündung vorkommei
mögen, sondern die Retention.
Ich freue mich, feststellen zu können, dass ich mich prak
tisch hiermit durchaus der Anschauung nähere, die V/alt
§??Lcnlhcr |()l4' MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1963
li a i il U. c. -69) früher aussprach, indem er schrieb: „der
klinische v erlauf der bakteriotoxischen Endometritis puer-
peralis ist stets ein milder, ja bei gutem Abfluss der
Sekrete sogar ein symptomlose r.“
Es genügt also die Anwesenheit der Bakteriengifte und
deren Resorbierbarkeit ebenso wenig zur Auslösung von
Krankheitssymptomen wie die Gegenwart von Krankheits¬
erregern und deren Penetrationsvermögen, es muss vielmehr
ein disponierendes Moment die Aufnahme, die krankmachende
Resorption in den Organismus herbeiführen, und eines dieser
Momente ist eben die Behinderung des freien Sekretabflusses
die Stauung, die Sekretretention.
Es scheint mir daher logisch und zur Vermeidung von
ruchtlosen Wortgefechten unumgänglich notwendig, den Aus¬
huck „Kesorptionsfieber mit seiner historisch eindeutig fest-
;elegten Bedeutung ganz fallen zu lassen und derartige Tem-
leratm Steigerungen im Wochenbett, wie z. B. bei Pyometra,
lie nicht als direkte Folge einer Entzündung, sondern lediglich
ds Folge einer Sekretretention anzusehen sind, als „Re-
ent ionsfieber“ zu bezeichnen; denn da der klassische
jegriff des „Resorptionsfiebers“ mit der speziellen Vorstellung
erkniipft war, dass es sich um Resorption von Stoffwechsel-
Hodukten nicht pathogener Keime handele, während wir
leute wissen, dass jene sogen. Saprophyten zu den patho-
;tnen Mikroorganismen gehören, andererseits aber selbst aus
chten Saprophyten giftige Abbauprodukte des körperfremden
lakterieneiweisses gebildet und resorbiert werden können,
v äre die Beibehaltung des Terminus „Resorptionsfieber“
benso gefährlich und irreführend, wie es das Festhalten an
em Worte „Selbstinfektion“ war.
Nach unseren heutigen Kenntnissen lässt sich mit dem
usdruck „Resorptionsfieber“ überhaupt kein typischer Krank-
eitsprozess mehr kennzeichnen; werden doch bei jeder
ikalen Entzündung toxische Stoffe (D o 1 d s „Phlogistine“)
esorbiert und treten u. U. in solcher Menge im Kreislauf
uf, dass sie an anderer Stelle bei geeigneter Gewebs-
isposition eine sterile Entzündung hervorrufen können. Die
rt der primären Entzündungserreger scheint dabei a priori
anz gleichgültig zu sein, während der weitere Verlauf der
ntzündung, je nach der Virulenz und je nach dem Pene-
ationsvermögen des Infektionserregers sich natürlich ver¬
mieden gestalten wird. Jedenfalls lehren die Experimente
3*n Bold und Ra dos [5], dass bei jeder Infektion, bei
dem Kampf zwischen lebendem Gewebe und Mikroorganis-
en entzündungserregende Stoffe, wenn wir uns allgemeiner
isdrücken wollen, „Bakteriengifte“ in den Kreislauf auf-
mommen, „resorbiert“ werden und zwar gleichgültig, ob
eses Gift von Putreszenz- oder Eiter- oder Sepsiserregern
rrührt. Diese Versuche liefern den experimentellen Beweis
r die klinisch längst anerkannte Tatsache, dass „Infektion“
io 1 „Intoxikation“ immer vergesellschaftet sind: „keine
lfektion ohne Intoxikation!“
Und ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich be-
upte, dass wir für unsere klinischen Vorstellungen heute
SSen Satz getrost umkehren dürfen und sagen: „keine
itoxikation ohne Infektion“; denn niemand wird
ignen wollen, dass der Wochenfluss, der Inhalt einer Pyo-
-jtra, das Fruchtwasser beim Fieber unter der Geburt, end-
h die retinierten Eihaut- und Plazentarreste infiziert
‘id und dass die Intoxikationserscheinungen lediglich durch
'* Retention dieser infektiösen Massen ausgelöst werden.
Lassen wir daher die veralteten Begriffe des „R e -
r p t i o n s f i e b e r s“, der „p u t r i d e n I n t o x i k a t i o n“,
r „S a p rämi e“, der „Saprophy thämi e“, der „T o -
nämie" usw. fallen und bezeichnen wir, mehr aus kli-
sch-therapeutischen als aus theoretischen Griin-
n, mit „Retentionsfieber“ jene nicht allzu häufigen
ankheitsformen, die lediglich durch Re¬
gion infizierter Massen im Organismus
sgelöst werden und die nach Beseitigung
e s ® r Retention glatt a b h e i 1 e n, dann werden
r für jene vielumstrittene Frage eine Lösung gefunden
ben, die nicht nur unseren theoretischen Vorstellungen so-
e den Ergebnissen unserer experimentellen Forschung nicht
nr widerspricht, sondern die auch dem Praktiker eine er- j
dürfte51^6 ^asis fiir sein therapeutisches Handeln geben
Literatur.
Ion m ü^Boi^dAy:u,Zum Problein der Selbstinfektion. Zbl. f. Qyn.
lir io,, ~ ■?' h' 1,1 : D,e Puerperale Wundinfektion. J. Sprin-
7 i Walt har d: Die bakteriologische Endometritis
di? R.L?ebUr,Shi ml 41; S- -’«• - Uold und Hanau: Uebw
uic Beziehungen des Anaphylatoxins zu den Endotoxinen. Zsclir f
l.nmunTOTsch, 19 1913 S. 34. - 5. D o I d und R a d o s: Ueber ent-
, J L lm art' und körpereigenen Serum und Oe-
webssaft. Zsch. .f d. ges. exp. M. 2. 1913. S. 192. — Dieselben-
sierfmer 6 zSfh syiTpathlsc*ie- spezifische und unspezifische Sensibili¬
sierung. Zschr. f. Immun. Forsch. 20. 1913. S. 273.
uci iiieuizimscnen Klinik zu Wiirzburg.
Zur Entstehung der Oedeme bei der Nephritis.
Von Priv.-Dozent Dr. E. Magnus-Alsleben.
Die Ui sache der bei Nephritikern vorkommenden Reten-
Uonen wurde früher vorzugsweise in einer Ausscheidungs-
unfahigkeit der Niere gesucht; die neueren Forschungen neigen
dazu die Mitwirkung extrarenaler Momente mehr zu betonen
Für die Oedembildung weist Volhard1) im Gegensatz zu
der Lehre, welche die Oedeme als Folge einer renal bedingten
Kochsalzretention ansieht, nachdrücklich auf die Rolle der
Kapillaren hin; in deren Funktionsstörung sieht er die aus¬
schliessliche Ursache der Oedeme. Ein gestörtes Wasseraus¬
scheidungsvermögen der Nieren führe nur zu einer intravas-
kularen Wasserretention, zu einer Hydrämie, während
Oedeme, d. h. eine extravaskuläre Wasserretention, auch bei
intakter Wasserausscheidung der Nieren Vorkommen. Der
ergleich zwischen dem Ausfall eines Wasserversuches d h
einer einmaligen grossen Wasserzufuhr per os, und dem’ einer
intravenösen Wasserinjektion erlaubt hier öfters eine Ent-
Scheidung zu treffen insofern, als nur bei intravenöser Injek-
ti°n Zugeführte sicher an die Nieren herankommt; bei Dar¬
reichung per os kann das Wasser schon vorher irgendwo fest¬
gehalten sein. Wenn also im letzteren Falle, d. h. bei Applikation
pei os, eine Retention, nach intravenöser Zufuhr dagegen eine
Ausscheidung erfolgt, so ist damit bewiesen, dass keine Aus-
scheidungsunfähigkeit der Nieren vorliegt; nur wenn es in beiden
Fällen retiniert wird, darf man die Störung in die Nieren ver¬
legen. Ueber einige derartige Untersuchungen möchte ich
berichten.
So fanden wir bei einer Patientin mit einer akuten Ne-
phritis, dass 1 Liter Thee quantitativ retiniert wurde, während
800 ccm NaCl-Lösung zürn grössten Teil binnen 5 Stunden
ausgeschieden wurden.
Wasserversuch :
Morgens um 7
Harnmenge
ccm
Uhr 1 Liter Thee.
Spezifisches
Gewicht
9 Uhr
80
1014
H „
60
1013
1 ,,
95
1014
3 „
50
1015
NaCl
Proz.
0,36
0,32
0,30
0,28
Versuch mit intravenöser Injektion:
1 Uhr 800 ccm NaCl-Lösung intravenös.
Harnmenge
Spezifisches
NaCl
ccin
Gewicht
Proz.
350
1016
0,55
_ _
550
1017
0,58
—
d
1,23
1,19
Das gleiche Verhalten war schon in einem [v.Nonnen-
br u chs) publizierten] Fall beobachtet worden; dort handelte
es sich freilich um eine Stauungsniere bei einem dekompen-
sieiten Vitium cordis. wo Oedeme bei intaktem Wasseraus¬
scheidungsvermögen bestanden; hier dagegen konnte das
gleiche auch bei einer Nephritis festgestellt werden. Doch
darf dies sicher nicht als ausnahmslos gelten: bei einer Kranken
inii ein onischer Nephritis trat weder nach Wasserzufuhr per
os, noch nach intravenöser Injektion eine Vermehrung der
Harnmenge auf. Hier darf also tatsächlich eine Störung des
Wasserausscheidungsvermögens angenommen werden.
Kurz erwähnt sei noch folgende Beobachtung: Bei einer
Schrumpfnierenkranken mit leichtem, diffusem Hautödem trat
d y°lhard und Fahr: Die B r i g h t sehe Nierenkrankheit.
Berlin 1914.
-') Arch. f. klin. Med. 110. 1913. S. 162.
r
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 38.
1964
iin Anschluss an eine Konjunktivitis ein ganz ausgedehntes, ;
starkes Hautödein auf, wie es der Geringfügigkeit der Augen-
afrektion durchaus nicht entsprach; mit dem Abklingen der
Konjunktivitis verschwand es wieder. Es wird hier wohl die
Konjunktivitis den Anstoss zu der zirkumskripten Oedem-
bildung gegeben haben.
An eine Reihe anderer Beobachtungen, welche Ger¬
hardt schon vor einigen Jahren (Wiesbadener Kongress
1909 und 1911) mitgeteilt hatte, sei im Zusammenhang mit diesen
Fällen noch einmal erinnert. So wurde eine analoge Diver¬
genz in der Ausscheidung des per os und des intravenös Zuge¬
führten, wie es die obigen Fälle für Wasser dartun, damals
schon für Kochsalz gezeigt: ln Fällen akuter Urämie (bei
Scharlachnephritis) wurde das intravenös injizierte Salzwasser
prompt ausgeschieden, während sonst die Salzausscheidung
stark vermindert war. Ferner wurden beträchtliche Unter¬
schiede in dem Andauern der einzelnen nephritischen Stö¬
rungen gefunden: Fälle, in denen die Ausscheidungsunfähig¬
keit für Kochsalz nur 1 oder 2 Tage, die Albuminurie und
Zylindrurie aber wochenlang anhielt; gelegentlich blieb die
Erhöhung des Rest-N und die abnorme üefrierpunktsernied-
rigung unverändert bestehen, auch wenn alle urämischen
Symptome für Wochen zurückgingen. Alle derartigen Vor¬
kommnisse weisen darauf hin, dass einzelne Partialfunktionen
der Nieren gesondert gestört sein können und rechtfertigt die
Annahme, dass man bei der Nephritis auch mit ausserhalb der
Niere gelegenen Momenten zu rechnen hat. Und in dem
Rahmen der Anschauungen, die jetzt über Nephritis so viel¬
fach diskutiert werden, dürften neben den obigen neueren
auch diese älteren Beobachtungen wieder einiges Interesse
verdienen.
Die kolorimetrische Eiweissbestimmung als exakte analy¬
tische Methode und ihre Verwendung fürAutenrieths
Kolorimeter.
Von Dr. M. Claudius, Oberarzt am Frederiksberg-Hospital
in Kopenhagen.
In Nr. 41 1912 der M.tn.W., worauf ich in betreff der
Einzelheiten verweise, habe ich eine Methode zur kolori-
metrischen, quantitativen Albuminbestimmung veröffentlicht.
Das Prinzip der Methode ist, dass das Eiweiss mit einer
Lösung von Trichloressigsäure und Gerbsäure gefällt wird,
wozu Säurefuchsin gesetzt ist. Indem das gefällte Eiweiss
sich einer Menge des Säurefuchsins bemächtigt, die in einem
bestimmten Verhältnis zur Eiweissmenge steht, wird die
Farbenstärke des Filtrates massgebend für die Eiweiss¬
menge. Die Farbenstärke wird durch Vergleich mit einer
Standardfarbe bestimmt, indem ein bestimmtes Volumen des
Filtrates mit einer besonderen „Verdünnungsflüssigkeit“ ver¬
setzt wird, die mit Pikrinsäure gelb gefärbt ist, bis sie die¬
selbe Farbe hat wie die Standardfarbe. Die Eiweissmenge
wird direkt an dem Glas abgelesen, in dem die Verdünnung
stattfindet.
Zur Ausarbeitung dieser Methode führte ich ca. 200 Ge¬
wichtsanalysen aus, und ich habe später zahlreiche Analysen
ausgeführt, wo die Albuminmenge gleichzeitig durch Gewicht
und kolorimetrisch bestimmt wurde; einige der Analysen sind
in der obengenannten Nummer der M.m.W. veröffentlicht.
Nach meinen Erfahrungen arbeitet die Methode mit einer Ge¬
nauigkeit von XA Prom. Albumin. Meine Methode ist in Ge¬
meinschaft mit anderen Methoden von Emil Pfeiffer
(B.kl.W. Nr. 15, 14. IV. 1913) umfassenden und vorzüglichen
Versuchen unterworfen worden; er äussert sich sehr aner¬
kennend darüber. Es ist Pfeiffers grosses Verdienst, dass
er die kontrollierenden Gewichtsanalysen in Fresenius’
Laboratorium unter persönlicher Leitung der beiden berühmten
Analytiker Wilhelm Fresenius und G r ü n h u t ausführen
liess; die Resultate gewinnen dadurch die absolute Unangreif¬
barkeit, welche die als Chemiker arbeitenden Aerzte der
Sachlage gemäss ihren Resultaten nicht verleihen können.
Pfeiffer hebt kräftig hervor, dass es auch gewisse
Grenzen für die Gewichtsanalyse gibt, innerhalb derer ihre
Zuverlässigkeit schwankt, was der Erinnerung wohl wert ist.
Er hat nun kolorimetrische Bestimmungen der Eiweiss¬
menge. davon einige Parallelbestimmungen, in 45 Harnproben
ausgeführt, deren Inhalt durch das Gewicht bestimmt worden
war. und geht man von der Gewichtsanalyse als der absolut
richtigen aus (was man ja. wie oben erwähnt, nur bis auf
einen gewissen Grad tun kann), so besass die kolorimetrische
Bestimmung eine Genauigkeit von durchschnittlich 0,22 Prom.
Albumin, was ja so genau, wie man es wünschen kann, mit
meinen Angaben stimmt.
Bei meinen Versuchen zeigte es sich, dass die Farben¬
absorption ausser von der Eiweissmenge vom spezifischen
Gewicht und der Reaktion der Lösun'g abhängig ist; die
Temperatur- und Zeitmomente ergaben sich als bedeutungslos.
Die Lösung muss deshalb ganz schwach sauer oder neutral
sein und ihr spezifisches Gewicht ca. 1,015 betragen, indem
die Methode für diesen Wert ausgearbeitet ist. Ich habe dies
für die Klinik annäherungsweise zu erreichen gesucht durch
meine Anweisung, die Albuminlösung prinzipaliter mit dem
gleichen Volumen einer 2 proz. CINa-Lösung zu mischen, die
ja ein spezifisches Gewicht von 1,015 hat, bevor die Be¬
stimmung des Eiweisses stattfindet, indem man aber
das spezifische Gewicht von 1,015 genauer
überwacht, wird die Methode ganz exakt.
Dass das spezifische Gewicht und nicht der osmotische
Druck entscheidend ist, liess sich leicht nachweisen.
Lösungen von
1 Proz. CINa + 2 Proz. Traubenzucker
1 „ CINa + 2 „ Harnstoff
3 „ CbMg
2 „ KNOs
2 ,, CaCh
2 „ NaCl
6 „ Harnstoff
haben sehr annäherungsweise alle das spezifische Gewicht
1.015, und wenn diese Lösungen die gleiche Menge Albumin
enthielten, ergab die kolorimetrische Analyse auch immer das¬
selbe Resultat.
Das spezifische Gewicht der Albuminlösung soll also be¬
stimmt werden, und ist es höher als 1,015, verdünnt man mit
Wasser; die Menge, x, die in dem Falle zu 1 Volumen der
Albuminlösung gesetzt werden muss, damit das spezifische
Gewicht der Lösung 1,015 betragen kann, lässt sich leicht aus
der Formel ^4^ = 1,015 finden, wo A das spezifische Ge¬
wicht der Albuminlösung bezeichnet. Ist dagegen A kleiner
als 1,015, wird mit einer 3 proz. CINa-Lösung (spez. Gew.
1,022) verdünnt nach der Formel A +T-V2 x — 1,015, und die
in diesen derart verdünnten Lösungen gefundene Albumin-
menge mit 1 + x multipliziert, ergibt dann den Albumingehalt
der ursprünglichen Lösungen. Zu empfehlen ist, ca. 20 bis
25 ccm der verdünnten Lösungen zu bereiten, damit man
event. Parallelbestimmungen machen kann. Mit der Methode
lassen sich nicht grössere Albuminmengen als 5 Prom. in den
bereiteten Lösungen bestimmen; ist der Inhalt grösser, was
ja recht selten der Fall sein wird, verdünnt man die bereitete
Lösung vom spezifischen Gewicht 1,015 noch mehr in ein¬
fachen Verhältnissen mit 2 proz. CINa-Lösung, die eben ein
spezifisches Gewicht von 1,015 hat.
Die kolorimetrische Eiweissbestimmung lässt sich mit Vor¬
teil in Autenrieths Kolorimeter anwenden. Die Standard¬
farbe ist in einem der gewöhnlichen Keile angebracht; hinter
diesem ist aber ein anderer, ebenso grosser und gleichförmiger
Keil gekittet (angebrannt), so dass sie eine Wand gemein haben
und die Basen in entgegengesetzter Richtung kehren; der
andere Keil ist mit „Verdünnungsflüssigkeit“ gefüllt. Dadurch
erreicht man, immer genau auf dieselbe Nuance einstellen zu
können, indem das Licht immer dieselbe Schichte von Ver-
diinnungsflüssigkeit passiert. Bei der Bestimmung wird
folgendermassen verfahren: Zu 5 ccm der nach den oben
beschriebenen Prinzipien verdünnten Albuminlösung werden
5 ccm des Fällungsreagens gesetzt; die Mischung wird einige¬
mal energisch geschüttelt, und wenn man sieht, dass das ge¬
fällte Albumin sich zu deutlichen Flocken agglutiniert hat.
filtriert man durch ein trockenes Filter von gewöhnlichem
Filtrierpapier ca. 10 cm Durchmesser, mischt 0,20 ccm des
Filtrates mit 9,8 ccm „Verdünnungsflüssigkeit“, füllt diese
Mischung in den Trog des Kolorimeters und stellt nun ein,
22. September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1965
bis die Farben in den beiden Fenstern genau dieselben sind.
Uni eine besonders genaue Bestimmung zu erhalten, nimmt
mau gewöhnlich die mittlere Zahl mehrerer Einstellungen. Da
nun am Massstabc 100 Einteilungen der ganzen Länge des
Keiles entsprechen und der Zeiger, wenn er auf den Nullpunkt
zeigt, angibt, dass die Schneide des Farbenkeiles sich hinter
dem Fenstei befindet, werden folgende Zahlen den daneben
verzeichneten Albuminmengen entsprechen.
J0 . . .
0,25 Prom. Albumin
42-43
13 . . .
. 0,5
V
40 .
7 .
. 0,75 „
37 .
72 . . .
• 1,00 „
»«
34 .
>7 . . .
1,25 „
•»
32
>2 . .
1,50 „
11
30 .
17 . .
2 . .
• 1,75 „
11
28 .
2,00 „
11
26
8 . . .
• 2,25 „
1 •
24 .
5 . .
• 2,50 „
11
22 .
2.75 Prom. Albumin
3,00 „ ,,
3.25 .,
3.50
3.75
4,00
4.25
4.50
4.75
5,00 „
Wenn man mit der genügenden Genauigkeit nach den
regebenen Anweisungen arbeitet, ist die kolorimetrische Ei-
veissbestimmung ebenso genau wie die Gewichtsanalyse und
labei viel schneller und leichter.
Da das Säurefuchsin, das ja aus Mischungen von sauren
Vinmonium- und Natriumsalzen von Rosanilin- und Para-
osanilintr isulfosäure besteht, sich in betreff der Farbenstärke
ils recht variabel ergeben hat, auch wenn man es aus der-
elben Fabrik bezieht, und da man deshalb stets dessen Titer
n voraus bestimmen muss, habe ich, um sicher zu sein, dass
il Reagentien immer dieselbe Farbenstärke haben, der be-
aimten Firma Grübler &. Co. in Leipzig die Herstellung
er Reagentien (Fällungsreagens, Standardfarbe und Ver-
iinmmgsfliissigkeit) übertragen, und dieselben sind, in gelben
laschen aufbewahrt, gegen das Licht geschützt, im prak-
schen Sinne von unbegrenzter Haltbarkeit. Die für Auten-
. e t h s Kolorimeter bestimmte Standardfarbe trägt das Kenn¬
eichen „für Autenrieths Kolorimeter“.
us dem Invaliden- und Genesungsheim Ichenhausen
er Landesversicheningsanstalt Schwaben (dirig. Arzt:
Dr. Herrligkoffer).
ine einfache Probe zum Nachweis von Gallenfarbstoff
und Hämoglobin im Harn.
Von Hans L i p p - Waldstetten.
Der Nachweis des Gallenfarbstoffes kann auf
.rschiedene Weise geführt werden. Am gebräuchlichsten ist
onl die Chloroform- und Gmelin sehe Probe. Für klinische
vecke eignet sich am meisten die Jodprobe: Man über-,
lnchtet den Harn mit verdünnter Jodtinktur (1 Teil Jod-
lktur und 9 Teile verdünnten Alkohol). Bei Anwesenheit
>n Gallenfarbstoff entsteht an der Berührungsfläche ein
üner Ring.
Bei Hä moglobinurie wäre es, um ganz sicher zu
in, gut, in erster Linie die spektroskopische Untersuchung
•rzunehmen. Denn die chemischen Proben sind sehr unzu¬
lässig, weil sie nicht eindeutig sind und weil ihre An-
-llung absolut peinliches Arbeiten erfordert. Das gilt spe-
; '11 von der beliebten Guajakprobe, welche nicht ohne Vor-
1 handlung angestellt werden soll.
Durch Analogieschluss ist es mir nun gelungen, eine Me-
1 >de ausfindig zu machen, die es dem Arzt ermöglicht, auf
‘ s c hn e liste und sicherste Weise Gallenfarbstoff
i Hämoglobin im Harn nachzuweisen. Dabei ging ich aus
1 n, der. sehr handlichen Modifikation der Gmelin sehen
obe. die in ihrer Ausführung einfach ist:
Man bringt auf eine Platte aus unglasiertem weissen Ton
ige Tropfen Harn. Während die Flüssigkeit in die Platte
dringt, bleibt das Bilirubin als gelber Belag an der Ober-
-he und gibt beim Betupfen mit dem Salpetersäuregemisch
s bekannte Farbenspiel. Ich benützte nun statt der Ton¬
te eine ca. 3 — 4 cm dicke, auf einem Teller ausgebreitetc
■ flicht möglichst weissen Sandes und bringe darauf ein
* u°n- dem verdächtigen Urin. War im Harn Farbstoff.
‘ bleibt in dem weissen Sand ein Fleck zurück, der bei
imoglobingehalt braun, bei Gallenfarbstoff
ll!lt c 1 ’’ e m S t ich i ns grünliche ausgezeichnet ist. Die
Methode, die ich die Sandprobe nennen möchte, ist sehr
zuverlässig und hat den grossen Vorzug, dass sie ohne um¬
ständliche Vorbereitung, ohne Chemikalien, ohne Filter und
ohne Spektroskop durchgeführt werden kann.
Aus der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses
Augsburg.
Beitrag zur Pathologie des Paratyphus abdominalis.
Von Dr. W. Glaser, Sekundärarzt.
In den Lehrbüchern der inneren Medizin und der patho¬
logischen Anatomie fanden bisher die Paratyphuserkrankungen
wenig Berücksichtigung. Daraus darf man jedoch nicht etwa
auf die Seltenheit der Infektion mit Paratyphusbazillen
schliessen. Die Erkrankungen an Paratyphus scheinen nach
unseren Erfahrungen häufiger zu sein, als gemeinhin ange¬
nommen wird. Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass die
auf Paratyphusinfektion beruhenden Krankheiten, wie bekannt,
unter sehr verschiedenartigem klinischem Bilde verlaufen
können und infolge dieser Vielgestaltigkeit der Erscheinungs-
foimen ihrer Aetiologie nach wohl des öfteren gar nicht fest¬
gestellt werden.
Abgesehen aber von einer ganzen Anzahl spezieller, in
der Literatur zerstreuter Arbeiten über Klinik und Pathologie
des Paratyphus B J), verfügen wir auch über eine Reihe zu¬
sammenfassender Darstellungen, unter welchen ich die Schil¬
derung des Paratyphus von H. Schottmüller* 2) besonders
hervoi heben möchte. Einen guten Ueberblick namentlich
über die Klinik gewinnt man u. a. auch aus der Monographie
von Meinertz3).
Unter den gastrointestinalen Paratyphuserkrankungen
sieht man Fälle, die als akute Magendarmkatarrhe ohne er¬
hebliche Temperatursteigerung und ohne sonstige bedrohliche
Ei scheinungen verlaufen. Sie bieten daher wohl selten Ver¬
anlassung zu bakteriologischen Untersuchungen. Eine be¬
sondere Gruppe bilden die ebenfalls häufig durch den Para¬
te phusbazillus verursachten Fälle von Cholera nostras. Inner¬
halb einiger Jahre sahen wir hier von 4 derartigen Fällen
zwei tödlich enden. Die Sektion ergab ausser der auffälligen
I rockenheit der Muskulatur keine besonderen Organver-
ändei ungen. Eine weitere Gruppe, vielleicht die wichtigste,
stellen die Paratyphusinfektionen dar, die mit dem Typhus
abdominalis die grösste Aehnlichkeit haben. Man findet in der
Literatur vielfach die kurze Angabe, dass der „Paratyphus
abdominalis , wie Schottmüller diese Krankheitsform
nannte, einem leichten oder mittelschweren Typhus abdomi¬
nalis gleiche. Auch wir konnten entsprechende Fälle mit
günstigem Verlauf wiederholt beobachten.
Durch die Gutartigkeit dieser Fälle wird es auch be¬
gründet, dass pathologisch-anatomische Befunde4) von Para¬
typhus abdominalis nur in verhältnismässig geringer Zahl be¬
kannt geworden sind.
Die Angabe Schottmüllers aber, dass die Pro¬
gnose dieser Krankheit „eine durchaus gute“ ist, scheint durch
die 4. Fälle von Paratyphus abdominalis, die während des
letzten halben Jahres im hiesigen Krankenhaus in meine Be-
obachtung kamen, eine gewisse Einschränkung zu erfahren,
wenn auch diese Fälle als Ausnahme von der Regel ange¬
sehen werden mögen.
Es handelt sich um zwei sporadische Erkrankungen mit
letalem Ausgang. Die Diagnose wurde bei beiden Patienten
durch den bakteriologischen Befund sichergestellt. Die Einzel¬
ergebnisse der bakteriologischen Untersuchung finden sich in
den Krankengeschichten vermerkt. Da pathologisch-ana¬
tomische Befunde bei Paratyphus, wie erwähnt, bis jetzt nur
in ziemlich geringer Anzahl beschrieben wurden und auch die
) Besonders möchte ich auf die Arbeit von B r i o n und
Kays er, I). Arch. f. klin. M. 85, verweisen.
-) Handb. d. inn. Medizin von Mohr und S t a e h e I i n Bd 1
Berlin 1911 (hier ausführliches Literaturverzeichnis)
•*) Beiheft zur M.K1., VI. Jahrg., H. 9.
4) Vergl. M. A s k a n a z y in Patholog. Anatomie v. L. A s c h o f f
Bd. 1. Jena 1913; ferner W. Rolle und H. H e t s c h, Exper Bak¬
teriologie u. Infektionskrankheiten, Berlin-Wien 1911.
1966
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 38.
Klinik dieser Krankheit in weiteren Aerztekreisen noch wenig
bekannt ist, so lasse ich die Krankengeschichten und Ob¬
duktionsbefunde dieser beiden sorgfältig beobachteten Fälle
im Auszug hier folgen.
1 A St Dienstmädchen, 20 Jahre alt, wurde am 4. XII. 13 auf
die innere Abteilung aufgenommen. Abgesehen von einem Kropf, der
vor einem Jahr operiert wurde, war sie nie krank gewesen. 5 rage
vor Eintritt in das Krankenhaus war sie mit stechenden Schmerzen
in der linken Brust- und Bauchseite erkrankt, konnte ihre Arbeit
aber noch bis zum Tage vorher verrichten. Bei der Aufnahme hatte
sie wenig Husten und Auswurf, die Atmung war sehr schmerzhaft.
Pat fühlte sich matt, klagte über Kopfschmerzen, schlechten Schlaf
und Appetitlosigkeit. Seit 3. XII. hatte sie Durchfälle, aber kein Er¬
brechen.
Die erste Untersuchung ergab folgendes: Guter Ernährungs- und
Kräftezustand, stark gerötetes Gesicht, Nasenflügelatmen, leichte
Somnolenz. Rötung der Konjunktiven und der Rachenschleimhaut.
Zunge in ihrer hinteren Hälfte weiss belegt. An Herz und Lungen
keine nachweisbaren krankhaften Veränderungen. Puls regelmässig,
kräftig, 120. Milz nicht palpabel, Milzgegend sehr druckempfindlich.
Leib im übrigen weich. Auf der linken Bauchseite 2 kaum linsen¬
grosse. hellrote Fleckchen (Roseolen?). Urin eiweiss- und zucker¬
frei, Diazo negativ. Leukozyten 6800; Stuhl dünnflüssig, bräunlich,
von fäkulentem Geruch, mit Schleim vermischt. Temperatur 39,7.
5. XII. Diazo positiv. Milz nicht palpabel. Agglutination auf
Typhus negativ. 2 Durchfälle.
6. XII. Zunehmende Somnolenz, zeitweise unklar. Puls ziem¬
lich weich. Milz nicht palpabel. Diazo +. 3 Durchfälle
7. XII. Im Stuhl vom 6. u. 7., sowie im Blut keine Typhusbazillen.
3 Durchfälle. _ ,
8. XII. Auf Rumpf und Oberschenkel mehrere Roseolen. 1 Durch¬
fall. Agglutination auf Typhus negativ.
9. XII. Zahlreiche Roseolen. Kein Stuhl. Diazo Eiweiss
negativ. Im Blut (Gallenanreicherung) keine Typhusbazillen.
10. XII. Psychisch etwas frischer. Kein Stuhl. Agglutination
auf Typhus negativ, auf Paratyphus B positiv (1:100, makro¬
skopisch sehr stark).
11. XII. Leukozyten¬
zahl 4700. GeformterStuhl.
12. XII. Körperlich
und geistig wesentlich
frischer, Puls regelmässig,
mässig kräftig, 72.
13. und 14. XII. Puls
weich, 64. Keine Klagen.
15. XII. Nach ruhigem
Schlaf bis etwa morgens
4 Uhr Erwachen mit Atem-
beschwerden,Unruhe.Ver-
fallenes Aussehen, kleiner
weicher Puls, Exzitantien
ohne Wirkung. Nach V*
Stunde Exitus letalis
(unter den Erscheinungen
der Herz- und Vaso¬
motorenschwäche).
Sektionsbefund: Muskulatur und Fettpolster gut ent¬
wickelt. Muskulatur sehr trocken. Milz etwas vergrössert, über¬
ragt den Rippenbogen nicht. Kapsel glatt, Gewebe fest, dunkelblau¬
rot. Follikel dick, treten auf der glatten Schnittfläche sehr deutlich
hervor. Leber gross, schlaff, Vorderrand abgestumpft. Linke
Hälfte mit dem Zwerchfell fest verwachsen. Gewebe braunrötlich,
trüb, brüchig. Zeichnung undeutlich. Gallenblase o. B. Nieren,
U r e t e r e n, Blase, Genitalien, ohne sichtbare Veränderungen,
ebenso Nebennieren. Mit der linken Nierenkapsel verwachsene
haselnussgrosse Nebenmilz. Magen enthält gelblichen Schleim,
Schleimhaut stark gefaltet, verdickt und gerötet. Pankreas o. B.
Mesenterialdrüsen stark geschwollen,, z. T. hyperämisch.
Schnittfläche graurot. Darm: Schleimhaut des Dünndarms gerötet
und mässig geschwollen, einzelne vergrösserte Follikel, kein Defekt.
Im Zoekum und im Colon transversum mehrere (nicht zahlreiche)
pfennigstückgrosse runde Geschwüre mit stark vorspringenden, wall¬
artigen Rändern. Kehlkopf, Oesophagus und Trachea
o. B. Schilddrüse (operativ entfernt): Kleiner Teil des linken Lappens
vorhanden. Thymus: Drüsengewebe erhalten, reicht als dünner
Lappen bis auf den Herzbeutel herab. Tracheale und bron¬
chiale Lymphdrüsen stark geschwollen. Herzbeutel ent¬
hält Spuren klarer, gelber Flüssigkeit. Herz nicht vergrössert, Mus¬
kulatur rotbraun, derb, keine Schwielen; Klappen intakt. Aorta: In¬
tima zeigt unregelmässige, leicht erhabene gelbliche Streifung. Lun¬
gen: Linke Lunge seitlich flächenhaft mit der Pleura costalis ver¬
wachsen. Gewebe beiderseits gut lufthaltig, ziemlich blutarm und
trocken. Nirgends Verdichtungen oder Einlagerungen. Hirn:
Weiche Häute zart, durchsichtig. Hirnsubstanz teigig-fest, trocken,
spärliche Blutpunkte.
Die bakteriologische Diagnose wurde in diesem Fall postmortal
vervollständigt durch Züchtung von Paratyphus-B-Bazillen aus dem
Blut, sowie aus Stückchen der Darmschleimhaut und der Milz.
II. Der zweite Krankheitsfall, der hier aufgeführt werden soll,
betraf einen 18 Jahre alten Schmiedgehilfen G. K. Ausser Masern
hatte er früher keine Krankheiten durchgemacht. 4 Tage vor Eintritt
in das Krankenhaus war er mit Appetitlosigkeit, vorübergehenden
Kopfschmerzen und Durchfällen (täglich 4 — 5) erkrankt. Kein Er¬
brechen, keine Leibschmerzen.
Bei seiner Aufnahme klagte er lediglich über allgemeine Mattig¬
keit. sowie Trockenheit im Munde.
Befund (20. IV. 14): Körperbau nur mässig kräftig, geringes Fett¬
polster, blasse Gesichtsfarbe. Zunge weisslich belegt. Atmung ruhig,
tief. Herz und Lungen ohne krankhaften Befund. Puls klein, regel¬
mässig. 76. Der Leib war eingezogen, rechts etwas druckempfindlich.
Milz nicht fühlbar. Urin enthielt Eiweiss. Diazo +. Temperatui
39.9.
21. IV. Nicht geschlafen, grosse Mattigkeit, Durstgefühl. Zwei
Stühle: dünnflüssig, gelblich, übelriechend, enthalten reichlich Schleim.
kein Blut _
22. IV. Leukozyten 8200. Zwei Durchfälle. Viel Durst, zeit¬
weise benommen. Auf der Bauchhaut einige kleine rote Fleckchen
(Roseolen?). Milz nicht palpabel.
23. IV Agglutination auf Typhus und Paratyphus B negativ.
Ein Durchfall.
24. IV. Im Stuhl weder Typhus- noch Paratyphusbazillen. Zwei
Durchfälle. Einige Roseolen.
25. und 26. IV. Grosse Blässe, Puls klein, weich, unregelmässig,
88. Leib flach, links etwas schmerzhaft. Milz fühlbar. Kein Husten.
Drei bzw. zwei Durchfälle.
27. IV. Klar. Keine besonderen Klagen. Puls wieder regel¬
mässig. mässig kräftig. Auf Brust und Bauch linsengrosse Roseolen.
Diazo +. Agglutination auf Paratyphus B +, auf Typhus negativ
Zwei Durchfälle.
28. IV. Stechen unter dem linken Rippenbogen. Leib flach,
etwas gespannt. Im Blut (Galleanreicherung) Paratyphus¬
bazillen. Drei Durchfälle.
29. IV. Leib flach, stark druckempfindlich. Milz palpabel.
Stechen in der Milzgegend. Vereinzelte Roseolen. Drei Durchfälle
mit Blutbeimengung. Grosse Blässe.
30. IV. Leib flach, diffus druckempfindlich. Gesicht leicht ge¬
rötet. Puls ziemlich klein. Im Stuhl Paratyphusbazillen
(diese Untersuchung wurde in der Kgl. bakteriologischen Unter¬
suchungsanstalt in München ausgeführt). Drei Durchfälle.
1. V. Keine Durchfälle.
2. und 3. V. Keine Schmerzen, kein Stuhl.
4. V. Leib nicht druckempfindlich. Milz nicht palpabel, keine
Roseolen. Puls regelmässig, ziemlich klein. Eiweiss negativ, Diazo
negativ. Geformter Stuhl.
5. V. Leibschmerzen, mehrere Durchfälle. Puls klein und weich.
6. V. Wiederholte Darmblutungen. Leib eingezogen. Puls klein.
Verwirrt, halluziniert.
7. V. Während der Nacht mehrere Darmblutungen. Leib stark
eingezogen. Haut sehr blass. Wangen eingefallen. Puls nicht füM-
oar. Eiweiss negativ. Diazo negativ, Urobilinogen positiv. Be¬
nommenheit. Ohne weitere Aenderung des Krankheitsbildes gegen
Abend Exitus letalis.
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,
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4
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..
60
Kurve 2.
Sektion 'S befund: Fettpolster sehr spärlich. Muskulatur
trocken, braunrot. In der Bauchhöhle keine freie Flüssigkeit. Zwerch¬
fellstand rechts und links 5 Rippe. Im Herzbeutel ca. 10 ccm klare,
gelbliche Flüssigkeit. Milz: Wenig vergrössert, Oberfläche mit dem
Zwerchfell locker verklebt. Auf der unteren Hälfte findet sich eine
talergrosse, dicke gelbliche fibrinöse Auflagerung, in der Mitte der
Oberfläche ein ca. markstückgrosser Kapseldefekt, der in eine un¬
gefähr kirschgrosse, mit grau-weisslichen, weichen Massen aus-
gefüllte Höhle führt (erweichter Infarkt). Schnittfläche der Milz jdah-
dunkel blaurot. Das Gewebe ist fest, die Follikel sind deutlich. Le¬
ber: (ilatte Oberfläche. Parenchym leicht getrübt, rötlich-gelb.
Zeichnung erkennbar. Konsistenz kaum vermindert. Die Gallen¬
blase ist prall gefüllt mit flüssiger dunkler Galle, die, wie Impfung von
Drigalskiplatten ergab. Paratyphusbazillen B in grosser Zaj i
enthielt. Nebennieren: blutreich. Nieren: Kapsel schlecht
abziehbar. Parenchym gelb-braunrot, trüb. Rinde und Colutnnae
Bertini quellend. An Pankreas, Ureteren, Blase kehle sicht¬
baren Veränderungen. Magen enthält spärliche, bräunliche Flüssig-
September 19 14, _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
keit. Schleimhaut leicht diffus gerötet, deutlich geschwollen Mesen¬
terialdrüsen: erbsen- bis bohnengross, Schnittfläche graurot. D a r m:
Dünndarm vereinzelte Follikelschwellungen, im unteren Ileum mehrere
insen- bis pfennigstückgrosse, rundliche, z. T. auch unregelmässig
gestaltete Geschwüre mit dunkelroter Grundfläche. Die rötlich ver¬
erbten Ränder springen teilweise kaum vor, teilweise sind sie dick
ivulstig, wallartig. Der Dickdarm enthält reichlich eingedicktes Blut
)ie Innenfläche des gesamten Dickdarms bis zum Rektum hin übersät
,on linsen- bis markstückgrossen Geschwüren, die teilweise weit in
lic liefe, einige bis auf die Serosa eindringen. Entsprechend diesen
etzteren ist die Serosa auf der Aussenseitc fleckweise blutig im-
'ibiert. Kehlkopf, I rache a, Oesophagus zeigen keine
. eränderungen. H i 1 u s - und Bifurkationsdrüsen erbsen-
>is bohnengross, Schnittfläche schwarz. Thymus 4 cm lang
chmal. Drüsengewebe erhalten. Schilddrüse: Beide Seitenlappen
aubeneigross. Lungen. Keine Adhäsionen: Pleura glatt Gewebe
■lut- und saftarm, lufthaltig, keine Verdichtungen. Herz- Von ent-
prechender Grösse. Muskel kräftig, derb, rotbraun. Klappen intakt
vorta: Innenfläche glatt. Hirn: Weiche Häute an Basis und Kon-
exitat tieck weise leicht milchig getrübt. Gefässe der Oberfläche
eichlich mit Blut gefüllt. Ependym der Ventrikel getrübt Fliissig-
eit nicht vermehrt. Hirnsubstanz fest.
Wie aus dem vorstehenden Auszug aus den Krankenge-
chichten und Sektionsprotokollen zu ersehen ist, haben wir
Fälle von Paratyphus abdominalis vor uns, die ihrem Ver¬
tut nach mit dem gewöhnlichen Unterleibstyphus die grösste
vehnlichkeit haben und nur in einigen Erscheinungen vom
epischen Typhus abweichen. Bei beiden Kranken fanden
’ir im Beginn neben Allgemeinerscheinungen Appetitlosigkeit
nd Durchfälle, die im einen Fall alsbald durch Obstipation
bgelöst wurden, im anderen nur von einigen Tagen mit Ver-
.opfung unterbrochen bis zum tödlichen Ende der Erkrankung
nhielten. Die Stühle waren dünnflüssig, meist bräunlich ge-
irbt, mit Schleim vermengt und im Gegensatz zu diar-
töischen Typhusentleerungen ausgesprochen übelriechend,
emerkenswert waren die ausgeprägten Schmerzen in der
»ilzgegend. Die Milz war bei Fall I kaum, bei Fall II etwas
ergrössert und fühlbar. Im übrigen fanden sich Roseolen
ii I und II. Die Leukozytenzahl war beidemale im Verlauf
-r Krankheit vermindert. Die Diazoreaktion war positiv,
as Fieber zeigte bei I lytischen Abfall, bei II eine Kontinua
in mehreren Tagen mit plötzlicher Temperatursenkung zur
dt der ersten Darmblutung, der sich dann noch unregel¬
ässiges Fieber anschloss.
Der anatomische Befund entspricht ebenfalls im wesent-
:hen den für Typhus charakteristischen Veränderungen,
ebereinstimmend mit früheren Beobachtern möchte ich auf
e ausgeprägten, katarrhalisch entzündlichen Erscheinungen
l Magen und Darm und auf die mässige Schwellung der
mphdrüsen hinweisen. Die Mesenterialdrüsen zeigten auch
diesen Fällen auf der Schnittfläche rötliche Farbe. Im
Fall war noch auffallend die aussergewöhnlich grosse Zahl
r Darmgeschwüre und ihre weite Ausbreitung im unteren
inndarm und im gesamten Dickdarm.
Die beiden geschilderten Fälle lehren, dass der Paratyphus
dominalis trotz einiger Besonderheiten mit dem gewöhn-
hen Typhus klinisch und pathologisch-anatomisch in so weit-
hender Weise übereinstimmen kann, dass die Diagnosen-
-llung mit Sicherheit nur durch Zuhilfenahme der bakterio-
kischen Untersuchung möglich ist.
is der chirurgischen Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses zu St. Georg in Leipzig (leit. Arzt: Prof. L ä w e n).
eber den Wert intravenöser Arthigoninjektionen bei
gonorrhoischen Prozessen.
in Dr. A. Arnold und Dr. H. H ö 1 z e 1, Assistenzärzten
der Abteilung.
Die von Bruck und Sommer [1, 2] ausgearbeitete
.•thode der intravenösen Applikation von Gonokokken-
'kzinen zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken hat
den verschiedensten Kliniken und Krankenhäusern lebhaftes
eresse wachgerufen und Anlass zu weitgehenden Nach-
ifungen gegeben. Die damit erzielten Resultate klingen auf
einen Seite recht günstig (K y r 1 e und M u c h a [3],
■ w i n s k i [4j, F r ü h w a I d [5], Rost [6l), auf der anderen
ite wird der diagnostische Wert des Verfahrens mehr oder
niger bestritten (Klause f7], Schumacher [8],
1%7
Asch [9], Habermann [10]). Auf Anregung von Professor
L ä w e n haben wir kurz nach der Publikation der Bruck
imd Sommer sehen Arbeit mit der Nachprüfung dieser Me¬
thode an^ dem der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses
zu St. Georg zur Verfügung stehenden Materiale begonnen.
Die an den ersten 26 Fällen gemachten Erfahrungen hat be¬
reits Prof. Läwen im Oktober 1913 auf der 3. Tagung der
Freien Vereinigung sächsischer Chirurgen besprochen1). In¬
zwischen hat sich unser Material wesentlich vermehrt, und
wir können jetzt über 84 Fälle berichten, bei denen 266 In¬
jektionen vorgenommen wurden.
Bei den Injektionen hielten wir uns im wesentlichen an die
Originalvorschrift von Bruck und Sommer [1]; nur in-
sofern wichen wir davon ab, als wir das Arthigon vor der
Injekuon im Verhältnis von 1 : 5 mit physiologischer Koch¬
salzlösung verdünnten und dann je nach der zu verabreichen¬
den Dosis ein entsprechend grosses Fliissigkeitsquantum in¬
jizierten. Wir glaubten bei diesem Vorgehen eine exaktere
Dosierung zu erhalten. Als Anfangsdosis wählten wir bei
Männern 0,1, bei Frauen gewöhnlich 0,05, seltener 0,025 und
0,075 Arthigon. Die Injektionen wurden in den frühen Morgen¬
stunden vorgenommen und die Temperaturschwankungen
stündlich bis zu den Abendstunden des nächsten Tages ver¬
folgt. Die damit erzielten Resultate sind auf den folgenden
drei Tabellen wiedergegeben.
In der ersten Tabelle handelt es sich um Fälle, bei denen
mit wenigen Ausnahmen der Nachweis von Gonokokken bak-
tei iologisch eibracht wurde; die wenigen Ausnahmen boten
klinisch das Bild einer sicheren Gonorrhöe. Auf der zweiten
Tabelle finden sich die klinisch wie bakteriologische sicher nicht
gonorrhoischen Fälle, während die dritte Tabelle all jene Fälle
zusammenfasst, in denen die Genese der Erkrankung zweifel¬
haft war.
Der praktisch-diagnostische Wert der Temperatur¬
erhöhung nach Arthigoninjektionen, den Bruck und
Sommer als erstes und wichtigstes Merkmal für gonor-
hoische Prozesse hervorheben, dürfte sich aus unseren Ta¬
bellen im wesentlichen bestätigen lassen. Wir finden bei den
sicher gonorrhoischen Fällen stets ausgesprochene Tem¬
pel aturerhöhungen von 1,5 bis 4,5°; nur in einem Falle er¬
folgte auf die Anfangsdosis von 0,05 Arthigon eine Temperatur¬
steigerung um 1 0 — es handelte sich hier um eine 4 Monate
ulte., schon anderweitig ausgiebig behandelte Coxitis gonor¬
rhoica, die sonst keinerlei Zeichen einer manifesten Gonorrhöe
mehr bot. Bei den sicher nicht gonorrhoischen Fällen haben
wir nur Reaktionen gesehen, die unter dem von Bruck und
Sommer [l] angegebenen Grenzwert von 1,5° blieben.
Nicht ganz so günstig liegen die Verhältnisse bei den kli¬
nisch zweifelhaften Fällen. Hier haben eine Reihe von
Patienten ziemlich stark mit Temperaturanstieg reagiert, bei
denen sich klinisch keinerlei Anhaltspunkt für das Bestehen
einer Gonorrhöe fand. Ob hierfür vielleicht der Grund in der
durch anderweitige Erkrankung stark geschwächten Kon-
stitution (wie Fall 2, Tabelle 3) oder vielleicht in der für Frauen
etwas zu hoch gewählten Anfangsdosis von 0,075 Arthigon zu
suchen ist, mag dahingestellt sein. Jedenfalls haben wir nach
diesen Beobachtungen den Eindruck, dass die vonBruck und
Sommer [ 1 j angegebene Grenze der Temperaturerhöhung
um 1,5° nicht durchweg so scharf gezogen werden darf, son¬
dern dass vielmehr in den zweifelhaften Fällen der ganze
Ablauf, der Reaktion mit all seinen Neben¬
erscheinungen die Diagnose bestimmen muss.
Jugendliches Alter, geschwächter Kräftezustand. Bestehen
irgend einer chronischen Infektion — vorwiegend Tuberku¬
lose — sind zweifellos Faktoren, die die Temperaturreaktion
in positivem Sinne beeinflussen können. Unter Berücksichti¬
gung dieses Gesichtspunktes haben wir aber auch unter diesen
Fällen recht brauchbare diagnostische Resultate gewonnen,
namentlich was die Differentialdiagnose zwischen gonor¬
rhoischer Adnexerkrankung und subakut verlaufender Appen¬
dizitis anlangt. Wir sehen darin ein gerade für den Chirurgen
äusserst wertvolles, differentialdiagnostisches Hilfsmittel, was
die Indikationsstellung zur Operation in vielen Fällen be¬
stimmen wird.
*) Vergl. Zbl. f. Chir. 1914 Nr. 12.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. JS.
1968
Tabelle 1 . Sichere Fälle von Gonorrhöe.
Z Person
Diagnose
.22
(A "
O
•o
o C
St
'_E
j
S-o
3 2
f°
ä. e
V
JjC
Ü
n
o
a
Allgemein¬
reaktion
Herdreaktion
< |h
')
Q
. Mädchen
i 19 J.
Frische gonorrhoische Adnex¬
erkrankung
0,075
2,6
+ I
1
stark
stark
,1 Frau
2 32 J
do.
0,075
0,025
2,2
3,5
+
+
sehr stark1)
sehr stark t
rst b. d 4. Inj.-J-
_ Mädchen
J 22 J.
Coxitis gonorrh.,
akute Gonorrhöe
0,075
2.4
+ |
stark
mässig stark
, Mann
4 V5J ■
Gororrhöe, Appendizitis
0,1
3,6
+ |
stark
-
, Mann 1
1 21 J. , 1
Arthritis gon.,
Lvmphangitis, Gonorrhöe
0,1
1,8 |
- 1
sehr stark
sehr stark
Mann
6 24 J
Gonorrhöe,
Schussverletzung am Kopf
0,1
2,7
-
schwach i
—
- .Mädchen
1 18 J. 1
Bartholinitis gonorrh.
0,075
2,4
9
(+)l
mittel
—
„ Mädchen
8 17 ].
Urethral und Zervlkalgonor- 1
rhöe, Bursitis praepatellaris !
0,075
3,2
+ 1
mittel
-
Q Mädchen
y 31 J.
Pelveoperitonitis gonorrh., 1
Cystitis
0,075
1,7
+
mittel
-
,n Mädchen
10 18 j
Coxitis gonorrhoica
(4 Monate alt)
0,05 1
0,1
1,0 1
1,8
+
schwach
stark
, , i Mädchen
11 24 J. 1
Bartholinitis gonorrh.
0,05
!|9 j
(+)
mittel
ausgesprochene
Leibschmerzen
Mädchen
1 21 J
Urethral- u.Zervikalgonorrh.,
Gravidität
0,05
3,1
+
mittel
-
Mädchen
U| 25 J. |
Gonorrh. Adnexerkrankung
0,05
4,5
+ 1
stark
—
, . ! Mädchen
14 22 J.
Endometritis gonorrh.
0,05
2,5
+
stark
—
Frau
15| 29 J.
Peritonitis gonorrh.
0,025
2,0
(+)
mittel
—
Frau
I6i 30 J. 1
Pyosalpinx, Peritonitis gon.
0,05
1,5
+
sehr schw.
—
Mädchen
17 29 J.
Tendovaginitis gonorrh.
0,075
1,8
-
stark
-
J Frau
18 38 J.
Gonorrh. Adnexerkrankung
0,05
1,7
+
mittel
Mädchen
19 19 J.
Arthritis gonorrh.
(3 Monate altl
0,05
1,7
—
mittel
—
*| 3 U.
Peritonitis gonorrhoica,
Polyarthritis rheum., Vitium
cordis
0,05
1,8
(+)
mittel (Herz-
beschwerd.)
oi 1 Frau
21 24 J
Peritonitis gonorrh.
(3 Monate alt)
0,05
2,4
—
mittel
bei höheren
Dosen +
' Mann
22 21 J.
Akute Gonorrhöe,
Ptattfüsse
0,1
2,4
+
-
—
Mädchen
23| 22 J.
Gonorrh. Adnexerkrankung
0,075
2,6
+
stark
angedeutet
Mädchen
24| 22 ].
Appendizitis,
Arthritis gonorrhoica
0,05
2,3
|(+>
mittel (Herz¬
störung)
+
'i Mädchen
25! 20 J.
Parametritis
0,05
2,6
-
mittel
+
Mädchen
2Ö| 20 J.
Gonorrh. Adnexerkrankung
0,05
1,5
1
mittel
b. höh. Dosen
1 +
07 Frau
27| 47 J
Gonorrh. Salpingitis
und Oophoritis
0,05
2,4
1 +
mittel
-
„c Mädchen
28 26 J.
Peritonitis gonorrh.
0,05
1,6 | +
mittel
_
Mädchen
19 J.
Bartholinitis gonorrh.
1 0,05
1,6
(+)
mittel
—
or, Mädchen
30l 26 J
Endometritis,
Salpingitis gonorrh.
0,05
2,1
| +
stark
—
, , Mann
31 18 ].
Alte Gonorrhöe,
latente Lues
! o,i
2,0
—
schwach
-
Mädchen
32 19 j.
Peritonitis gonorrh.
0,05
2,4
1 —
stark
,, Mädchen
33 20 ].
Salpingitis gonorrh.
0,05
1,8
1 —
—
,. Mädchen
34 21 J.
Retrofkxio uteri,
Salpingitis gonorrh.
0,05
2,2
1 +
gering
stark
,, Frau
38 36 ].
do.
0,05
1 2,4
| +
stark
mittel
», Mädchen
30 22 J.
Salpingitis gonorrh.
|
0,05
1,8
I
| +
stark (Herz
beschwerd.
Cyanose)
stark
Mann
37 21 J.
Tendovaginitis gonorrh.
0,1
2,0
| +
stark
1 +
„„ Mädchen
38 18 J.
Gonorrh. Adnexerkrankung
| 0.03
3,3
sehr stark
+
Mädchen
3J 21 |.
Tendovaginitis gonorrh
0,025
0,05
1 1,1
2.1
1 +
| 4-
stark
stark
... Mädchen
40 24 J.
do.
0,05
i,c
—
stark
stark
Mädchen
4 2r J
Gonorrh. Adnexerkrankung
| 0,05
2.C
mittel
stark
. — Mädchen
42 12 j
Salpingitis gonorrh.
0,05
2,<
|(+
) sehr stark
—
.,1 Mann
43 25 ].
Bubo inguinalis,
akute Gonorrhöe
0,1
1 2,1
|(+
) mässig
—
. Mädchen Endometritis gonorrh.,
44 25 ). periproktitischer Abszess
0,025
2,8
(-f ) | sehr stark
-
>1 Herzerscheinungen.
) Doppelzacke angedeutet.
Tabelle 2. Sicher nicht gonorrhoische Fälle.
h
z
Person
Diagnose
Arthigondosis
Temp. -Reaktion
in Grad
Doppelzacke
Allgemein¬
reaktion
e
o
*
E
■o
E
V
y
1
Mädchen, 18 J.
Erysipelas pedis
0,075
0,6
0
-
-
2 | Mann, 22 J.
Traumatische Psychose
0,1
0,3
0
—
—
3
Mann, 52 J.
tuberkul. des Nebenhodens
0,1
1,2 l(+)
—
—
4
Mädchen, 25 J.
Appendizitis chron.
0,05
0,6
0
etwas Kopiweh
5
Mädchen, 19 J.
Appendizitis, Obstipatio
0,05
0,8
0
—
—
6
Mädchen, 23 j.
Tendovag. der Fusstrecker
0,075
0,7
0
-
-
7
Frau, 30 J.
Retroflexio uteri,
Prolapsus vaginae
0,05
0,2
-
-
8
Maden en, 20 J.
Haemorrhoiden
0,05
0,8
0
—
-
~ 9~
| Mädchen, 20 J.
Appendizitis
1 0,05
0,7
0
etwas Unbehagen
—
10
Mädchen, 24 |.
Cystitis, Pyelitis (Coli)
0,05
1,2 | 0
leichtes Uebelsein
—
11
Mädchen, 21 J
Appendizitis levis
0,05
0,5
0
—
-
12
Mann, 18 J.
Fractura cruris
0,1
1,3 | 0
—
—
13
| Mädchen, 25 J
Appendicitis subacuta
0,05
0,4
0
—
-
14
| Mädchen, 19 J.
Appendizitis
0,05 | 0,8
0
—
-
Was die Höhe der für diagnostische Zwecke zu verab¬
reichenden Anfangsdosis anlangt, so glauben wir, dass die von
Bruck und Sommer vorgeschlagene Dosis von 0,1 iiir
Männer und 0,05 für Frauen das Richtige trifft. Zwar haben
auch wir, worauf Ql ingar [12] besonders hinweist, schon
bei Applikation von 0,025 Arthigon bei Frauen sehr aus¬
gesprochene Reaktion gesehen (Fall 2, 15, 44 der Tabelle 1).
glauben aber dies nicht verallgemeinern zu dürfen, da etwas
ältere gonorrhoische Erkrankungen weniger stark zu reagieren
scheinen, ein Umstand, der uns veranlasste, gelegentlich bei
den Injektionen mit 0,075 zu beginnen. Eine nur geringe Re¬
aktion zeigte ferner bei der diagnostischen Injektion ein Fall
von wahrscheinlicher Qonorrhöe, die anderwärts wegen Ar¬
thritis des linken Ellbogengelenkes ausgiebig mit Arthigon be¬
handelt worden war (Fall 11, Tabelle 3). Diese Beobachtung
bildet ein interessantes Analogon zu den von uns gar nicht
selten gesehenen Fällen, wo trotz steigender Arthigondosis ein
Qeringerwerden der Reaktion in ihrem ganzen Ablauf zu kon¬
statieren war. Bruck erklärt diese Erscheinung als ein Sym¬
ptom der eintretenden Immunisierung des Körpers.
Die Auffassung Haberm a n n s [10], dass der von
B ruck und Sommer [l] als spezifisch angesehene prompte
Temperaturanstieg in den ersten Stunden nach der Injektion
nichts Spezifisches für Qonorrhöe biete, sondern dass vielmehr
ein diagnostischer Wert der fieberhaft erhöhten Abend¬
temperatur beizumessen sei, hat sich durch unsere Beob¬
achtung nicht bestätigen lassen. Wir haben diese Art des all¬
mählichen Temperaturanstieges nur recht selten gesehen
(unter den 44 sicheren Qonorrhöefällen 5 mal), die meisten Fälle
stiegen sehr rasch, innerhalb der ersten drei Stunden post in-
jectionem auf ihr Temperaturmaximum meist unter Schüttel¬
frost und schwerer Alteration des Allgemeinbefindens. Da¬
gegen erreichte der eine Fall von Hodentuberkulose, der als
sicher nicht gonorrhoisch angesprochen werden muss, seine
Höchsttemperatur von 38" erst gegen Abend, 9 Stunden nach
der Injektion, obwohl er in den vorhergehenden Tagen nie
gefiebert hatte. (Fall 3, Tabelle 2.)
Als weiteres diagnostisches Merkmal führen Bruck und
Sommer [l] bei intravenösen Injektionen das Auftreten dei
sogen. Doppelzacke an. Ueber ihr Zustandekommen
äussern dieselben die Vermutung, dass beim Eintritt des Qono-
kokkenvakzins in die Blutbahn eine Abtötung der Gonokokken
stattfindet, worauf der kranke überempfindliche Organismus
mit dem ersten Temperaturanstieg antwortet, und dass dann
diese abgetöteten Gonokokken bei ihrer Resorption gleichsam
als zweite Vakzinedose wirken und den zweiten Temperatur¬
anstieg veranlassen. Dieser Theorie zufolge musste der
Doppelzacke eine hohe diagnostische und therapeutische Be¬
deutung zukommen. Wegen der Inkonstanz ihres Auftretens
jedoch wird dieser Wert vielseitig bestritten. Während
Bruck und Sommer [l] dieselbe fast regelmässig hei
gonorrhoischen Erkrankungen (unter 15 Fällen 13mal) zu ver¬
zeichnen hatten, sah sie Hab ermann [10] nur 6 mal unter
32 sicheren Qonorrhoikern, B a r d a c h [13] nur 9 mal bei über
160 Injektionen. An unserem Material wurde sie in etwa zwei
22. September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1969
1 Mädchen, 29 J
2 Mann, 34 J.
3 Mann, 30 J. | Balanitis, traumat. Hämatome im Muse, pector
Rechtsseitige Adnexerkrankung
Polyarthritis deformans
Mädchen, 25 J. [ Adnexerkrankung, Dysmenorrhöe
i Mädchen, 25 J. |
6 Mädchen, 25 J.
Dysmenorrhöe, Adnexerkrankung?
Peritonitis, Lues
Mädchen, 23 J.
Parametritis exsudativa
Frau, 38 J.
Mädchen, 24 J.
Mann, 21 J.
Adnexerkrankung^Appendiritis ?~
Bursitis praepatellaris, Schwellung des
entsprechenden Kniegelenks
11 Mädchen, 22 J.
16
17
Mädchen, 22 J
Mädchen, 24 J.
^iubo inguinalis
Retroflexio Uteri, Fluor
Adnexerkrankung
Mädchen, 18 J.
Mädchen, 19 J.
Distorsio pedis, Scabies. Endometritis
Zystitis (Koli)
Mädchen, 17 J
Adnexerkrankung
Mädchen, 24 J.
Adnexerkrankung (?)
Mädchen, 23 J. |
Adnexerkrankung
Mädchen, 17 J. |
20 | Mädchen, 21 J.
Parametritischer Abszess
Adnexerkrankung ?
21
Mädchen, 21 J.
Adnexerkrankung
Parametritis
22 | Frau, 32 J.
23 | Mädchen, 29 J.
Salpingitis (Appendizitis?)
24
I
Frau, 40 J.
Tuberculosis genu sin.
Pyonephrose (Koli)
Mädchen, 22 J.
Mädchen, 19 J.
Adnexerkrankung
Hydrosalpinx
1,0
2,0
gering
0
(+)
gering
0,05
0,8
I früher angebl. Eicheltripper, bleibt unklar
I bleibt unklar
' klinisch wahrscheinlich Gonorrhöe
0,075
0,8
gering
gering
0,05
0,1
1,3
1,2
(Leibschmerzen)j bleibt unklar
klinisch keine Gonorrhöe
klinisch keine Gonorrhöe
I 0,05 | 2,0
+
+
gering
0,075
0 | ziemlich stark |
2,2
+
mittel
I 0,1 | 1,5
I klinisch wahrscheinlich Oonorrhöe
klinisch keine Gonorrhöe
0,075
0 _ |_ganz gering
1,1
mittel
bleibt unklar (im Bubo Eiter Staphyloc. aureus)
+
0,05
1.1 I (+)
mittel
klinisch wahrscheinl. Gonorrhöe (war anderweitig
mit Arthigon intramuskulär vorbehandelt)
0,05
I 0,05 |
I 0,05 f
J,6_
1,3
1,6
0
(+>
stark
I bleibt unklar
T
mittel
klinisch wahrscheinlich Gonorrhöe
| _ 0,05 | 0,2
mittel
J bleibt unklar
0,05 | 1,2 |
0 | ganz gering
I klinisch wahrscheinlich Gonorrhöe
0,05 [ 1,2 |
| schwach |
klinisch keine Gonorrhöe
I 0,05 | 1,0
I
mittel
do.
0,05
stark
I 1,7 |
mittel
+
do.
do.
0,05
0,1
I 0,05
0,075
1,0
1,0
1,8 | 0 f
ganz gering
klinisch wahrscheinlich Gonorrhöe
1,6 I +
stark
mittel
klinisch keine Gonorrhöe
+
! klinisch wahrscheinlich Gonorrhöe
0,05
0,1
1,5
1,4
0
+
0,05
1,4
mittel
(Herzklopfen)
klinisch keine Gonorrhöe
0,05
stark
bleibt unklar
0,9
I gering
wahrscheinlich Gonorrhöe
bleibt unklar
Drittel der sicheren Gonorrhöefälle — wenn auch gelegentlich
iur angedeutet — beobachtet. Ob dieser Doppelzacke eine
bsolute Spezifität zukommt, möchten wir nicht ohne weiteres
agen, denn wir sahen sie auch vereinzelt in typischer Weise
>ei Patienten auftreten, die klinisch keinen Anhaltspunkt für
jonorrhöe boten. Es waren dies Fälle von Zystitis, nicht
onorrhoischer Parametritis und Tuberkulose (Fall 14, 7
nd 23, Tabelle 3). Immerhin muss doch betont werden, dass
je Doppelzacke in unseren sicheren Gonorrhöefällen im
legensatz zu den anderen Fällen recht häufig beobachtet
. urde und dass ihr Auftreten bei der Diagnose der Gonorrhöe
me beachtenswerte Rolle spielt. Der therapeutische Effekt,
er nach Bruck und Sommer [l] beim Auftreten der Doppel-’
acke besonders eklatant sein soll, war nach unseren Be-
bachtungen nicht grösser als bei den Fällen ohne Doppel-
acke.
Ziemlich konstant und meist auch recht ausgesprochen
ihen wir bei unseren Gonorrhoikern nach den intravenösen
ljektionen die sogen. Allgemeinreaktion. Im Gegen-
itz zu den Nichtgonorrhoikern, welche kaum irgendwie in
(rem Allgemeinbefinden alteriert wurden, trat hier fast regel-
tässig 14—2 Stunden nach der Injektion prompt die Reaktion
n m‘t Schüttelfrost, Kopfschmerz, Mattigkeitsgefühl und
ebelkeit, gelegenlich wurden auch Erbrechen, Ohrensausen
id Störungen von seiten des Zirkulationsapparates, wie Herz-
opfen und Pulsveränderungen beobachtet. Auf letzteren
unkt kommen wir später noch einmal zu sprechen.
Weit seltener wie die Allgemeinreaktion fand sich unter
iseren Fällen die Herdreaktion, d. h. das Auftreten von
chmerzen in den gonorrhoisch erkrankten Körperteilen, eine
rscheinung, die schon bei der intramuskulären Methode
lunger beobachtet worden war (Reiter [14]). Diese Herd¬
aktion scheint bei den frischeren Gelenk- und Sehnen-
neidenaffektionen ausgesprochener zu sein als bei den Adnex¬
krankungen. Besonders lehrreich war nach dieser Richtung
n eine Beobachtung, die wir bei einem an Tendovaginitis
inorrhoica erkrankten Studenten machen konnten. Hier
aten an der befallenen linken Hand schon kurze Zeit nach
‘r Injektion ziehende Schmerzen und ein unangenehmes
ärmegefühl mit Schweissausbruch auf; diese Erscheinungen
eiten etwa 24 Stunden an, um dann vollkommen zu schwin-
Jj- Objektiv war nach dieser Zeit ein deutliches Zurück-
hen der Schwellung und Herabsetzung der Druckempfind-
hkeit an der Beugeseite des Handgelenkes zu konstatieren. —
Nr. 3S.
Unter den gonorrhoischen Adnexerkrankungen waren es
namentlich die frischeren Fälle, welche die Herdreaktion in
Eorm von Leibschmerzen zeigten. Wir glauben aber, den
Wert dieses Symptomes insofern etwas einschränken zu
müssen, als man dabei zu sehr auf die subjektiven Angaben
der Patienten angewiesen ist, die, namentlich bei Frauen mit
ihrem häufig recht labilen Nervensystem, grossen Schwan¬
kungen unterworfen sind.
Bedeutungsvoller als diese einfache Herdreaktion er¬
scheinen uns die objektiv nachweisbaren, durch die Vakzine¬
behandlung hervorgerufenen Progressionen und P r o -
pagationen. Als solche sind beschrieben worden das Auf-
treten einer Prostatitis, Epididymitis und Tendovaginitis;
Rost [6] sah während der intravenösen Kur eine Gelenk¬
schwellung mit Erguss entstehen. Wir haben etwas derartiges
bei unseren Fällen n i e beobachtet. Das einzige was wir
sahen, war ein Stärkerwerden des Ausflusses im Laufe der
Arthigonbehandlung. Ein Wiederauftreten von Gonokokken
in Sekreten, die längere Zeit hindurch gonokokkenfrei waren
wurde einigemale einwandfrei beobachtet. Im allgemeinen
scheint aber dieser Befund recht selten zu sein, worauf unter
anderem namentlich Asch [9] hinweist. Derselbe hat aus
diesem Grunde eine besondere Methode ausgearbeitet, die es
ermöglicht, die durch die Vakzinebehandlung hervorgerufenen
Reaktionen besser auszunützen. Er verband die intramusku¬
läre Injektion mit urethroskopischen Untersuchungen und fand
damit, dass in Fällen latenter Gonorrhöe meist schon nach
24 Stunden, manchmal aber auch erst 3 Tage nach der Injektion
urethroskopisch-pathologische Veränderungen auftraten, die
eine vorher ganz normale Harnröhre tiefgreifend alteriert er¬
scheinen liessen.
Dass das Arthigon kein ganz so unbedenkliches und harm-
loses Mittel ist, wie Bruck und Sommer [lj hervorheben,
zeigen eine Reihe von Fällen in der Literatur, bei denen
schwere Schädigungen von seiten des Zirkulationssystems be¬
obachtet wurden. So sah Föckler [15] nach der ersten
intramuskulären Arthigoninjektion epileptiforme Anfälle auf¬
treten. Fischer [16] berichtet über einen Fall, wo sich nach
2,0 Arthigon intramuskulär ein schwerer Anfall zerebraler Er¬
krankung einstellte; Lewinski [4] bekam nach Applikation
von 0,05 Arthigon intravenös bei einem Patienten mit Vitium
cordis bedrohliche Herzinsuffizienzerscheinungen. Auch wir
haben dergleichen Schädigungen beobachten können. Bei einer
herzkranken Patientin traten nach der ersten Injektion von
1970
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 38.
0,05 heftige Schmerzen in der Herzgegend, verbunden mit
Tachykardie, Dyspnoe und leichter Zyanose auf. In einem
zweiten Falle sahen wir an einem klinisch gesunden Herz
Geräusche und Insuffizienzerscheinungen entstehen. Wir
geben in Kürze die Krankengeschichte wieder:
22 jähr., mittelkräftiges Mädchen, welches am 26. XI. 13 unter
der Diagnose einer akuten Appendizitis operiert worden war. ln dem
gleichzeitig bestehenden Ausfluss wurden Gonokokken nachgewiesen.
10 Tage post operationem traten schmerzhafte Schwellungen an den
Fingergelenken und linkem Ellbogengelenk auf, die auf die gebräuch¬
lichen Antirheumatika (Aspirin-Pyramidon) nicht reagierten. Am
6. XII. 13 wurde eine Dosis von 0,05 Arthigon intravenös verabreicht;
darnach unter Schüttelfrost prompter Temperaturanstieg auf 38,5;
gegen Nachmittag Abfall der Temperatur zur Norm. Die Temperatur
stieg dann wieder langsam an, um am nächsten Tage gegen Mittag
ihr Maximum von 39,2 zu erreichen. Zu dieser Zeit klagte Pat. über
starkes Herzklopfen und Stechen in der Herzgegend. Der Puls betrug
124 und war leicht irregulär. An dem früher völlig gesunden Herzen
fand sich ein deutlich vermehrter Spitzenstoss und ein lautes
systolisches Geräusch an der Spitze und nach der
B a s i s z u. Nach etwa 24 Stunden wieder subjektives Wohlbefinden;
die Geräusche am Herzen, sowie eine ziemlich leichte Reiz- und
Erregbarkeit des Herzens blieben bis zur Entlassung am 2. II. 14
konstant bestehen.
Wir glauben mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen zu
dürfen, dass es sich hier um eine leichte Endokarditis ge¬
handelt hat, für deren Zustandekommen die Arthigoninjektion
möglicherweise als auslösendes Moment in Frage kommt. Wir
haben in dem beschriebenen Fall wegen des günstigen thera¬
peutischen Effektes auf die Gelenkveränderung mit dem
Arthigon nicht ausgesetzt, sondern nur die Dosis reduziert,
ohne weiterhin nennenswerte Störungen vom Herzen aus zu
beobachten. — In 3 weiteren Fällen traten erst bei höheren
Dosen 0,1 — 0,25 unangenehme Herzstörungen in Form von
Herzpalpitationen, Pulsbeschleunigung mit Irregularitäten auf,
die uns veranlassten, die Arthigonkur auszusetzen. Auf Grund
dieser Beobachtungen lässt Prof. L ä w e n die Arthigon-
injektionen nur mehr bei herzgesunden Individuen vornehmen
und sobald auf die erste diagnostische Injektion eine starke
Reaktion von seiten des Herzens erfolgt, die Dosis reduzieren
oder die Kur abbrechen.
Was die therapeutische Wirksamkeit des Arthigons an¬
langt, so haben wir entschieden den Eindruck, dass durch
intravenöse Injektionen frischere Adnexerkrankungen und Ge-
lenkkomplikationen günstig zu beeinflussen sind. Wir nahmen
die Injektionen in Intervallen von 4—7 Tagen und in steigenden
Dosen vor, nur selten häufiger als 6 mal bei einem Patienten;
als obere Grenze wählten wir wegen der nicht abzuleugnenden
Gefährlichkeit des Mittels 0,3 Arthigon. Nebenher wurden
stets die sonstig üblichen therapeutischen Massnahmen er¬
griffen, wie Bettruhe, Spülungen, Kälte- und Wärmeapplikation
sowie Lokalbehandlung mit Argentum. Bestehendes Fieber
haben wir im allgemeinen nicht als Kontraindikation aufgefasst
und haben hierbei gerade mitunter recht eklatante Heilerfolge
durch die Vakzinebehandlung gesehen. So trat z. B. bei einem
26 jährigen Mädchen mit schwerer Zervikalgonorrhöe und
rechtsseitiger Adnexerkrankung, welches ca. 14 Tage lang
zwischen 38,5 und 39,2 gefiebert hatte, nach der 2. Injektion
von 0,1 Arthigon ein prompter Temperaturabfall zur Norm ein.
Die vorher dagewesenen ziemlich heftigen Leibschmerzen
schwanden auffallend rasch, und die Temperatur blieb dauernd
normal. Einen deutlichen zerstörenden Einfluss aber auf die
Gonokokken haben wir entgegen den Beobachtungen von
Bruck und Sommer [l] weder in diesem noch in ähnlichen
Fällen beobachten können. Inwieweit die intravenöse Appli¬
kationsweise des Arthigons in therapeutischer Hinsicht einen
wesentlichen Fortschritt gegenüber der intramuskulären bietet,
entzieht sich unserer Beurteilung, da wir ausschliesslich intra¬
venös injizierten; in diagnostischer Hinsicht hat nach unseren
Erfahrungen jedoch die Methode im wesentlichen das gehalten,
was sich Bruck und Sommer [l] von ihr versprachen.
Literatur.
1. Bruck und Sommer: M.m.W. 1913 Nr. 22. — 2. Bruck:
Med. Kl. 1914 Nr. 2. — 3. K y r 1 e und Mucha: W.kl.W. 1913 Nr. 43.
— 4. Lewinski: M.m.W. 1913 Nr. 50. — 5. Frühwald: 82. Vers.
Deutscher Naturforscher und Aerzte Wien 1913, Derm. Sektion. —
6. Rost: M.m.W. 1914 Nr. 13. — 7. K 1 a u s e: B.kl.W. 1913 Nr. 39.
— 8. Schumacher: D.m.W. 1913 Nr. 44. — 9. Asch: Zschr. f.
Urologie 1914 1. Beiheft. — 10. Habermann: M.m.W. 1914 Nr. 8
UI1(j 9. — ii. Läwen: Zbl. f. Chir. 1914 Nr. 12. — 12. G Ungar:
Zschr. f. Urologie 1914, 1. Beiheft. — 13. Bar dach: M.m.W. 1913
Nr. 47. _ 14. Reiter: Sammelreferat D.m.W. 1914 Nr. 43. —
15 Föckler: Derm. Wschr. 1912 Nr. 46. — 16. Fischer: Derm.
Wschr. 1913 Nr. 29,
Kollargol und Arthigon bei gonorrhoischen Komplikationen.
Von Marine-Stabsarzt Dr. Renisch.
Durch die moderne Behandlung gonorrhoischer Kompli¬
kationen mit Arthigon scheint das Kollargol als Spezifikum bei
solchen Erkrankungen in kurzer Zeit gänzlich verdrängt zu
werden. Es erscheint daher zweckmässig, auf das besondere
Anwendungsgebiet des Kollargol hinzuweisen, wo Arthigon
unangenehme, ja oft bedrohliche Nebenerscheinungen macht.
Bekanntlich reagieren alle mit Arthigon behandelten
Patienten mit teilweise recht beträchtlichen Temperatur¬
erhöhungen und mit geringeren oder schwereren Nebenerschei¬
nungen wie Mattigkeit, Kopfschmerzen, Uebelkeit, Erbrechen,
Herzklopfen, Atemnot usw. Diese Nebenerscheinungen treten
auf infolge der spezifischen Gewebsreaktion, ob man nun intra¬
venös oder intramuskulär injiziert, wenn vielleicht auch bei
der letzteren Methode die Reaktion weniger stürmisch verläuft.
Es scheinen sich nun in letzter Zeit die Misserfolge zu mehren,
bei denen sich infolge der zu stürmischen Herdreaktion eine
akute gonorrhoische Entzündung eines Gelenkes, des anderen
Nebenhodens oder der Prostata, die vorher nicht befallen
waren, anschliessen. Bei Samenstrang- und Samenbläschen¬
entzündung sind äusserst heftige Reizerscheinungen des Bauch¬
fells beobachtet worden. Rost erwähnt sogar einige Fälle
gonorrhoischer Salpingitis, die an der sich entwickelnden Peri¬
tonitis zugrunde gegangen sind.
Infolgedessen ist man jetzt mit der Dosierung des Arthi¬
gons immer vorsichtiger geworden und L e w i n s k i will
dessen Anwendung sogar nur auf sonst körperlich völlig ge¬
sunde und kräftige Individuen beschränkt wissen. Rost stellt
die Vorbedingung, dass bei Anwendung der Vakzine das akute
Stadium der Komplikation seinen Höhepunkt überschritten
haben muss.
Wie soll man sich nun mit der Vakzine in die entzündlich
veränderten Gewebe gewissermassen einschleichen, ohne allzu
stürmische Reaktionen befürchten zu müssen? Da möchte
ich erneut auf die schon vielfach empfohlene Kollargolbehand-
lung frischer Komplikationen hinweisen. Nach Gennerich
hat sie sich aufs glänzendste bewährt bei gonorrhoischer
Zystitis, Prostatitis und Arthritis, insbesondere aber bei Epi-
didymitis. Herr Marine-Oberstabsarzt Dr. Gennerich war
so liebenswürdig, mir im März d. J. seine zahlreichen Fälle
von Epididymitis vorzustellen, bei denen sämtlich ein prompter
Erfolg der Kollargolbehandlung zu verzeichnen war. Man ist
erstaunt, wie milde sich der Verlauf bei Kollargolbehandlung
gestaltet. Früher sah man faustgrosse Hodentumoren ent¬
stehen, jetzt gehen die Schwellungen sofort zurück, der Neben¬
hoden bleibt scharf vom Hoden abgesetzt. Alle übrigen Be¬
handlungsmethoden, wie Hodenpunktion, Spaltung der Albu-
ginea, werden überflüssig, nur in den allerseltensten Fällen
tritt ein Erguss auf, der eine Punktion erforderlich machte.
Zur Illustration diene in Kürze ein Fall von doppelseitiger
Epididymitis:
Ein Mann erkrankte 3 Wochen nach seiner Lazarettaufnahme
wegen Trippers an rechtseitiger Nebenhodenentzündung. 2 Tage
danach erhielt er 0,2 g Kollargol intravenös. Prompter Abfall der
Temperatur von 39,2 0 auf 37,6 °. Nachlassen der Schmerzen, enorm
schneller Rückgang der ca. hühnereigrossen Schwellung. Nach einer
wiederholten Injektion derselben Dosis nach 6 Tagen völliger Rück¬
gang sämtlicher Erscheinungen, Nebenhodenkopf nur noch derb anzu¬
fühlen. Pat. konnte bald danach aufstehen. 14 Tage nach dem Auf¬
stehen erkrankte plötzlich der linke Nebenhoden. Eine diesmal sofort
vorgenommene Injektion von 0,2 Kollargol intravenös bringt Schwel¬
lung und Schmerzhaftigkeit fast augenblicklich zurück, ebenso fällt die
Temperatur von 38,2° am nächsten Morgen auf 36,6°. Irgendwelche
Reizerscheinungen treten nicht auf.
Reizerscheinungen hat Gennerich, abgesehen von ge¬
ringen anfänglichen Temperatursteigerungen, nie auftreten
sehen, nachdem zur Vermeidung des Wasserfehlers immer
frisch destilliertes Wasser zur Lösung verwendet wurde. Es
22. September 1914.
MlJhNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ist zudem ein Krosser Vorteil der Kollargolbehandlung, dass
von einer antiseptischen Lokalbehandlung der Harnröhre aus
keine schädliche Reizung stattfindet. Es kann natürlich nicht
Aufgabe der Kollargolbehandlung sein, den entstandenen Folge-
zustand zur Norm zurückzubringen. Auch nach Beseitigung
aller Entzündungserscheinungen bleiben selbstverständlich ge¬
wisse Rückstände, die der heissen Kataplasmen- etc. Behand¬
lung bedürfen.
Es scheint heute, wie es immer mit einem neuen Aufsehen
erregenden Mittel gemacht zu werden pflegt, zu sehr kritiklos
init Vakzine gearbeitet zu werden, in der Annahme, dass jede
lripperkomplikation, auch in akutem Zustande, Feld der
Vakzinebehandlung wäre. Beide Methoden, Kollargol wie
\ akzine sind ausgezeichnet, aber beide haben ihre bestimmte
Indikation.
. Kollargol ist nur am Platze bei ganz frischen Kompli¬
kationen, wo es durch spezifische Einwirkung, im Sinne
Neissers, die Infektionserreger abtötet und den Rückgang
der akuten Entzündungserscheinungen besorgt. Nach Be¬
seitigung dieser hat die Kollargolbehandlung ihre Grenze
erreicht.
Vakzine hat vollen Erfolg nur, wie besonders Gennerich
betont, wenn der akute Entzündungszustand durch Kollargol
intravenös bekämpft war. Die Verwendung der Vakzine
kommt demnach in Betracht
1. In allen älteren Epididymitisfällen, wo nach Kollargol
seit mehreren lagen keinerlei Reizerscheinungen mehr be¬
stehen. Da Vakzinebehandlung immer zu einer entzündlichen
Raktion spezifischer Art an dem vorliegenden Herd führt,
kommt es auch nach vorhergegangener Kollargolbehandlung
zu dieser, jedoch verläuft sie sehr milde, und es erfolgt darauf
eine ausserordentlich starke Abnahme des vorhandenen Krank¬
heitszustandes.
2. Bei einer akuten eitrigen Prostatitis kann die durch die
Vakzination zunehmende Entzündung direkt lebensbedrohlich
sein, wenn es zu einem Durchbruch des Eiters nach innen
kommt. Ist dagegen Kollargol vorher gegeben, so kommt es
innerhalb 24 Stunden zu einem erstaunlich schnellen Rückgang
der Entzündung, die das ganze kleine Becken ausfüllt, und Ab¬
nahme der Beschwerden. Ferner kann man schon am folgen¬
den 1 age mit Massage beginnen, was sonst kontraindiziert
wäre.
3. Bei Samenstrang- und Samenbläschenentzündung dürfte
.‘S nach vorheriger Kollargoldarreichung infolge der Vakzi-
lation kaum zu einer peritonealen Reizung mit entsprechenden
Beschwerden kommen.
4. Kontraindiziert ist Vakzine überhaupt bei akuten gonor-
hoischen Prozessen des kleinen Beckens, speziell der Salpin¬
gitis, wo es auch trotz Kollargolbehandlung zu einer tödlichen
Jeritonitis kommen kann.
5. Nur bei Arthritis kann man unbeschadet um reaktive
mtzündung in den meisten Fällen mit Vakzine anfangen, aber
luch hier ist es zweckmässig, mit Kollargol zu kombinieren,
im besser akut entzündlichen Vorgängen entgegenzuarbeiten.
6. Die Vakzine hat unbestritten eine grosse diagnostische
Bedeutung.
In Kürze noch die Dosierung:
Kollargollösung wird 1 proz. in kaltem, frisch destilliertem
Vasser hergestellt, dann 10 Minuten im Wasserbad sterilisiert
nd nach Abkühlung 5 — 10 ccm jeden Tag 8 — 14 Tage lang
ntravenös injiziert.
Arthigon wird bei intramuskulärer Injektion mit 0,25 be-
onnen und in 4 tägigen Abschnitten auf 2,0 gesteigert, intra-
enös wird von 0,025 auf 0,2 gegangen, im ganzen höchstens
Injektionen.
Die kombinierte Kollargol-Arthigonbehandlung dürfte heut-
utage die beste Behandlungsmethode gonorrhoischer Kompli-
ationen darstellen.
Die Anzeigepflicht bei venerischen Krankheiten ist
leicht durchführbar!
Eine gut durchgeführte Anzeigepflicht ansteckender Krankheiten
ist eine conditio sine qua non für eine kräftige Bekämpfung derselben,
icn habe in der Hygienischen Rundschau 1902 Nr. 14 eine Methode
angegeben, wie man die Anzeigepflicht bei venerischen Krankheiten
durchfuhren kann.
Leider hat dieser Vorschlag bis jetzt noch keine Beachtung ge¬
rn”1' <i7- ■ \° saf\*e Bla sch ko in der 13. Sektion, Diskussion Nr 3
des 17. internationalen medizinischen Kongresses in London 1913-
.. »Eine generelle Anzeigepflicht, wie sie bei den übrigen Infek¬
te^ krailMheitenu als Ausgangspunkt für alle weiteren prophylak¬
tischen Massnahmen geübt wird, ist bei den venerischen Krank¬
heiten aus verschiedenen Gründen nicht durchführbar. (Selbst
kffaN?i-Weegtn u"d DaJnemark< wo eine solche für Patienten, die auf
öffentliche Kosten und in öffentlichen Krankenhäusern verpflegt wer¬
den, besteht, fehlt sie für die Privatklientel.)“
c ,, ln ^?.te{.r.ei,ck bereitet sich ein neues Epidemiegesetz vor.
Selbstverstandhch soll dasselbe auch auf die venerischen Krankheiten
Bedacht nehmen. Der oberste Sanitätsrat beantragte in dem Ge¬
setzentwürfe die Anzeigepflicht für venerische Krankheiten nicht,
v ui- 1S* ^er zweite Grund, warum ich noch einmal auf meine
Vorschläge zu sprechen kommen möchte. Es seien also meine jetzi¬
gen Bemerkungen zum Teil auch als eine Ergänzung zu meinen An¬
gaben aus dem Jahre 1902 aufgefasst.
Was die Technik anbelangt, so stehen mir hiefür Erfahrungen
zu Gebote, die ich vor vielen Jahren im Grazer Stadtphysikate er-
worben habe, wo mh einige Zeit freiwillige Dienste leistete und spe¬
ziell bei der Bekämpfung von drohenden Blattern- und Masernepi¬
demien wesentlich mithelfen konnte. Ich habe die dortigen Einrich¬
tungen als äusserst nachahmenswert kennen gelernt und meine Vor¬
schläge beruhen wohl auch zum Grossteil auf der Annahme, dass
andere Aemter in gleicher Weise vorgehen.
Für jede der ansteckenden Krankheiten sind daselbst einzelne
Bücher in Verwendung, die sich im Laufe der Jahrzehnte natürlich zu
Banden reihten. In diese Bücher werden die einzelnen Anzeigen ge¬
nau eingetragen. Welch enorme Arbeit das mit sich bringt, kann
nur der ermessen, der beispielsweise während der seinerzeitigen
grossen Influenzaepidemien die Eintragungen, die täglich vor¬
genommen wurden, selbst nachgesehen hat, oder sie gar selbst be¬
sorgen musste. Ausser dem Namen und dem Alter ist auch der an¬
zeigende Arzt genannt; es ist ferner zu ersehen, ob der Erkrankte zu¬
gereist war, ob also die Erkrankung in der Stadt Graz selbst er¬
worben wurde.
Mein Vorschlag ging nun dahin, für die venerischen Krankheiten
3 neue Bücher anzulegen. Eines für die Gonorrhöe, ein zweites für
che Syphilis und ein drittes für die Helkosen. Letzteres Buch wird
natürlich zuweilen Fälle von Ulcus Simplex, zuweilen auch solche von
beginnender Syphilis, oder von vorgeschrittener gummöser Syphilis
wahrscheinlich auch von nicht deutlich erkannten Sekundärfällen ent¬
halten.
Von einer Anzahl von Kranken wird die .Anzeige mit vollem
Namen geschehen können, so ganz sicher z. B. bei Arrestanten
Wahrscheinlich aber auch bei Spitalskranken; zumindest von solchen"
die in öffentlichen Krankenhäusern auf öffentliche Kosten verpflegt
werden. Die Nennung des Namens verbürgt natürlich die Verhütung
einer Doppelzählung.
Alle anderen Kranken — und das ist das Wesentliche
und Durchführbare meines Vorschlages — können
aber vor der Behörde in einer Weise gekennzeichnet werden, dass
erstens Doppelzählungen hintangehalten werden; zweitens, dass die
Personen gekennzeichnet sind, ohne dass man ihren Namen oder
Beruf erführe; und drittens kann für sie eine Einreihung gefunden
werden, so dass man sie sofort, ohne ihren Namen zu kennen, in
eine gewisse Folge stellen kann, die ähnlich wie die alphabetische
Einreihung der Namen eine leichte Auffindbarkeit gewährt.
Die Methode beruht auf der einfachen Annahme, dass von den¬
jenigen Personen, die an einem bestimmten Tage in einem bestimmten
Orte geboren werden, kaum je in einem zweiten Orte 2 wegen
venerischen Krankheiten zur Anzeige gelangen werden. Ein Beispiel:
Von den am 26. April 1890 zu Pruggern bei Gröbming in Steiermark
geborenen Personen dürften in der Bezirkshauptmannschaft Schwaz
im Jahre 1913 kaum mehr als eine Person wegen venerischer Er¬
krankung zur Anzeige kommen. Um das Unterbleiben von Doppel¬
zählungen nach dieser Methode an einem Beispiele festzustellen, habe
ich im Jahre 1902 von 2 Parallelklassen eines Gymnasiums — also
ziemlich gleichaltrige Personen und noch dazu desselben Geschlech¬
tes — die Daten gesammelt und bei 77 Schülern glich nicht eine An¬
gabe der anderen. Es waren beispielsweise wohl 2 Schüler am
16. Januar 1890 geboren, der eine aber in Graz und der andere in
Wien. In grösseren Städten kann überdies noch der Geburtsbezirk
zu einer Unterscheidung verhelfen.
Die Einreihung — an Stelle der alphabetischen — könnte also
im Buche zunächst nach den 12 Monaten erfolgen. Diesen würde
(auf verschiedenen Seiten) der Monatstag folgen, dann auf derselben
Seite das Geburtsjahr, der Geburtsbezirk und das Geschlecht.
Der Index würde aber statt der Einteilung in Buchstaben eine
Einteilung nach den 12 Monaten und deren Tagen (365 Seiten) geben.
2*
1972
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 38.
Selbstredend ist einer neugierigen Seele die umständliche Möglichkeit I
gegeben, durch Vermittlung des Pfarramtes herauszubringen, wie
etwa das männliche Kind heisst, das am 22. Juni 1887 zu Grubbach
bei Riegersburg in Steiermark geboren wurde und das im Jahr
1913 mit Tabes beim Stadtphysikate Olmütz angezeigt wurde. Aber
praktisch dürfte sich dieser Fall wohl nicht ereignen.
Ich wiederhole aus meinen Mitteilungen des Jahres 1902, dass
ich blennorrhoische Augenaffektionen von dieser Statistik ausschloss,
dass ich genau begründete, warum ich mir die Anzeigepflicht in den
3 genannten Kategorien am zuverlässigsten vorstelle und habe an
Beispielen erörtert, wie etwa die betreffenden Drucksorten aus¬
zusehen hätten.
Es wäre zu wünschen, dass mein Vorschlag Beachtung finde und
dass dadurch eine wesentliche Eindämmung der venerischen Krank¬
heiten möglich würde. Prof. Dr. Ludwig Merk- Innsbruck.
Bücheranzeigen und Referate.
R. Tigerstedt: Handbuch der physiologischen Methodik.
L.eipzig, S. Hirzel. Dritter Band, erste Hälfte, Abteilung III b.
Geheftet 8 M.
Mit der Ausgabe dieser Lieferung, die lang genug auf sich hat
warten lassen, ist das Handbuch der physiologischen Methodik end¬
lich zum Abschluss gelangt. Wie immer in einem Sammelunter-
nehtnen sind die Teile ungleich in Plan und Ausführung, alle aber
nützlich und wertvoll. Das Werk ist eine höchst beachtenswerte,
ja unentbehrliche Inventarisierung der physiologischen Methodik von
heutzutage und der Entwicklung, die sie in den letzten 38 Jahren
— seit Erscheinen von Cyons Methodik — genommen. Der Unter¬
schied gegenüber dem eben genannten Buche ist deutlich. Damals
standen die vivisektorischen Eingriffe im Vordergrund des Interesses
und die Beschreibung von Operationen beherrscht das Buch. Jetzt
sind die Aufgaben und die Mittel zu ihrer Lösung viel reicher und
mannigfaltiger, die Methoden des Stoffwechsels, der Kalorimetrie, der
physikalischen Chemie, der Sinnesphysiologie und Psychophysik be¬
anspruchen einen breiten Raum und die Kritik der Instrumente, da¬
mals in den Anfängen, ist eine sehr eingehende geworden.
Die vorliegende Lieferung enthält zwei Beiträge. In dem ersten
gibt J. R. Ewald eine Darstellung der Operationsverfahren zur
Entfernung des ganzen Labyrinths sowie zur Ausschaltung und Rei¬
zung einzelner Teile desselben. Hauptversuchstier ist die Taube. An
der Ausbildung dieser Verfahrungsarten ist bekanntlich der Verfasser
des Beitrages in hervorragendem Masse beteiligt gewesen.
In dem zweiten Beitrag behandelt K. L. S c h a e f e r die
akustischen Funktionen des Ohres. Hiebei wird ausführlich einge¬
gangen einerseits auf die Entwicklung der physikalisch-technischen
Hilfsmittel zur Untersuchung der fraglichen Funktionen und ander¬
seits auf alle Vorsichtsmassregeln, die bei ihrem Gebrauch zu physio¬
logischen und otiatrischen Zwecken beachtet werden müssen. Phy¬
siker, Physiologen, Psychologen und Ohrenärzte werden aus dieser
sehr sorgfältigen Darstellung grosssen Nutzen ziehen können.
. v. F r e y - Würzburg.
Technik der speziellen klinischen Untersuchungsmethoden,
Unter Mitwirkung von Dr. K. Br ahm -Berlin — Priv.-Doz. Dr.
W. Frey- Königsberg i. Pr. — Obering. Fr. Janus- Berlin — Priv.-
Doz. Dr. Fr. Meyer-Betz - Königsberg i. Pr. — Prof. Dr. Fr.
Müller- Berlin — Prof. Dr. G. Nicolai- Berlin — Priv.-Doz.
Dr. J. Pie sch -Berlin — Prof. Dr. H. Schade-Kiel — Prof.
Dr. J. S c h m i d - Breslau — Priv.-Doz. Dr. Th. Stumpf- Breslau —
Prof. Dr. W. Weich ardt - Erlangen — Dr. G. Wiedemann-
Königsberg i. Pr. herausgegeben von Prof. Dr. Theodor B r u g s c h
und Prof. Dr. Alfred Schittenhelm. 2 Teile. 1078 Seiten,
574 Abbildungen. Verlag Urban & Schwarzenberg, 1914.
Preis geb. 40 M.
Die Verfasser haben in der 1911 erschienenen 2. Auflage ihres
Lehrbuches klinischer Untersuchungsmethoden eine Teilung des
Stoffes vorgenommen, indem sie „diejenigen wissenschaftlichen Me¬
thoden, die nur in gut eingerichteten Laboratorien und von gelernter
Hand ausführbar sind, dem Lehrbuch entnommen und ihre Darstellung
für eine Ergänzung jenes Lehrbuches unter dem Titel: Technik
klinischer Untersuchungsmethoden aufgespart haben.“ Dieses Werk
ist jetzt als 2. Bapd des genannten Lehrbuches in 2 Teilen erschienen.
Der 1. Teil enthält: Hämodynamik, Kymographik, Pneumographik,
Röntgenologie, bakteriologische Untersuchungsmethoden und Immuno-
diagnostik, die wichtigsten pathologisch-histologischen Unter¬
suchungsmethoden, optische Untersuchungsmethoden. Der 2. Teil:
Stoffwechselmethodik, spezielle chemische Untersuchungsmethoden,
Fermente und einige klinisch wichtige experimentelle Methoden,
funktionelle Untersuchung des vegetativen Nervensystems, Technik
der medizinisch wichtigsten physiko-chemischen Untersuchungs¬
methoden, Körpermessung. — Sachregister.
Die von den Verfassern vorgenommene Abtrennung der haupt¬
sächlich für das Laboratorium in Betracht kommenden Methoden
von den praktisch allgemein üblichen erscheint dem Ref. als ausser¬
ordentlich glücklicher Griff. Es hat dadurch sowohl die Einheitlich¬
keit des 1., 1911 erschienenen Bandes als auch die Vollständigkeit
des jetzt vorliegenden 2. Bandes, der auch zurzeit noch in Ent¬
wicklung begriffene Methoden enthält, wesentlich gewonnen. Die
Verfasser haben nämlich auch derartige Methoden in ihre Darstellung
aufgenommen, da sie — nach Ansicht des Ref. sehr mit Recht —
davon überzeugt sind, dass noch in Entwicklung begriffene bio¬
logische Methoden vorn wissenschaftlich arbeitenden Kliniker sehr
gefördert und so der experimentellen Pathologie dienstbar gemacht
werden können. Die Art der Darstellung und die weitgehende Heran¬
ziehung physiologischer Methoden zu klinischen Zwecken entspricht
der schon in der 1. Auflage des Lehrbuchs ausgesprochenen Absicht
der Verfasser, die klinische Diagnostik nach Möglichkeit auf den
Lehren der Physiologie aufzubauen sowie der grundlegenden Be¬
deutung, welche die pathologische Physiologie jetzt für die innere
Medizin besitzt. Zur Bewältigung des Stoffes haben die Verfasser
eine Reihe von Mitarbeitern herangezogen; es wurde dadurch mög¬
lich, das riesige Material in gründlicher und übersichtlicher Weise
zur Darstellung zu bringen. Für manche Methoden sind nur die
Grundlagen angegeben, jedoch unter genügender Anfügung von
Literatur, so dass man sich leicht und rasch orientieren kann. Das
Verständnis des Textes ist durch eine grosse Zahl guter Abbildungen
erleichtert. So erscheint die Absicht der Verfasser, mit ihrer „Technik
der speziellen klinischen Untersuchungsmethoden“ „ein Novum zu
schaffen, nämlich die Zusammenfassung einer Anzahl Methoden aus
den verschiedensten Spezialdisziplinen unter dem gemeinsamen
Gesichtspunkte ihrer Zusammengehörigkeit zur wissenschaftlichen
Klinik“ als ausserordentlich dankenswert und in der Ausführung
glänzend gelungen. Toeniessen - Erlangen.
W. Bateson: Mendels Vererbungstheorie. Aus dem
Englischen übersetzt von Alma W i n c k I e r. Mit einem Begleitwort
von R. v. Wettstein, sowie 41 Abbildungen im Text und 6 Tafeln
und 3 Porträts von Mendel. B. G. T e u b n e r 1914.
Es ist ein grosses Verdienst, dass dieses wichtige, grundlegende
Werk über die Vererbungstheorien endlich ins Deutsche übersetzt ist
und damit einem grösseren Leserkreise zugänglich wird.
In klaren Zügen werden die Lehren Mendels entwickelt, die
Widerstände, die sich ihm entgegenstellten und sein Werk fast ver¬
nichteten. Wie dann die beinahe völlig in Vergessenheit geratenen
Ideen später doch zu ihrem Rechte kamen und grundlegend wurden
für unsere Anschauungen über die Vererbungsgesetze. Durch ein?
grosse Anzahl von praktischen Experimenten im Tier- und Pflanzen¬
reich wird vom Verf. immer wieder die Richtigkeit des „Mendelns“
bewiesen, auch wenn äusserlich scheinbar die Sache nicht so klar auf
der Hand liegt. Zugleich gewinnt man aus allem den Eindruck, dass
noch ungeheuer viel Arbeit zu leisten ist, um alle Fragen auf diesem
Gebiete restlos zu lösen. Dennoch kann der Tier- und Pflanzenzüchter
schon heute aus den bisher gewonnenen Resultaten sicher Nutzen
ziehen, wenn er sich nur an die bis jetzt feststehenden Tatsachen hält
und nicht unmögliches verlangt. Ein kurzes Kapitel macht uns mit
Mendels Leben bekannt. Knapp und anschaulich ist geschildert,
welche äusseren Einflüsse für die Werke des Mannes bestimmend
waren, dessen Anschauungen unser Jahrhundert beherrschen.
Ueber die Uebersetzung ist nur Lobenswertes zu sagen. Sic ist
mit Sorgfalt durchgeführt und findet stets den rechten Ausdruck, den
Inhalt dem Leser klar zu schildern. Die Abbildungen und Tafeln sind
von grosser Klarheit und bringen vieles dem Verständnisse naher.
Das Buch wird sicher auch in Deutschland bald die Anerkennung
finden, die es in England gefunden hat. H. Koegel-Jena.
F. Müller-Lyer: Soziologie der Leiden. Verlag Albert
Langen, München 1914. 22 6 Seiten. Preis geh. M. 3. — , geb.
M. 4.—.
Miiller-Lyers Gesellschaftslehre weist für die Entwicklung
der Kultur ähnliche Gesetze nach, wie sie uns die Naturwissen¬
schaft für die Natur, wie sie uns besonders H a e c k e 1 im bio¬
genetischen Grundgesetz gab. Und das Kennen führt zur sinnvollen
Arbeit, zur Kulturbeherrschung. Im Gegensatz zu den Lehren der
meisten anderen Soziologen (S i m m e t etc.) ist Miiller-Lyers
Soziologie induktiv, sie ist exakt im Sinne der Naturwissenschaft.
In der Soziologie der Leiden, der Pathologie des Gesellschafts¬
körpers, erkennen wir das Leiden, das menschliches Leben störende
und mindernde Element, als begründet in der Entwicklung der
menschlichen Kultur, als voraussehbar, beherrschbar und in letzter
Ferne vermeidbar. Im Gegensatz zum Leiden stehen die natürlichen
Widerstände, die nötig sind zur Erhaltung unserer Kraft.
Dem Arzt ist das Buch ein Spiegel der engen Grenzen seiner
Kunst. Doch gerade dadurch zeigt es ihm seinen Ehrenplatz im
Kampf gegen menschliches Leiden. Es weitet seinen Blick und führt
ihn wie jeden Leser zu einem arbeitsfrohen Optimismus.
Koebner - München.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medizin. 80. Band, 3. u. 4. Heft-
L. Dünner: Zur Klinik und pathologischen Anatomie der an¬
geborenen Herzfehler. (Aus der I. med. Abteilung und dem pathol.-
anatom. Institut des städt. Krankenhauses Moabit in Berlin.)
Der Verfasser beschreibt 2 Fälle von angeborenem Herzfehler:
der erste betraf ein 10 Wochen altes Kind, bei dem klinisch Kurz¬
atmigkeit. Oedeme an den Augenlidern und an den Füssen bestand
i neben geringgradiger Zyanose, welche im Liegen stärker war als
22. September 1914.
MUFNüliFNER MEDIZINISCHE WQCM liNSCHRl KT.
1973
hei aufrechter Haltung. Die Röntgenuntersuchung ergab eine be¬
deutende \ ergrosserung; der Verdacht auf ein perikardiales Exsudat
wurde durch den Ausfall der Probepunktion nicht bestätigt, so dass
sc 1ICSS IC..1 ni,r ^ie Annahme eines kongenitalen Vitiums übriß blieb,
dessen nähere Art festzustellcn unmöglich war. Die Sektion ergab
dt‘!in„arUMh V u*mon?j.ven®n’ 2 Foramina ovalia, 1 gemeinsame Ven-
»«• i •ij e’ jranip?1sitl0!1,d5r Gefässe, offenen Ductus arteriosus Bot.,
Missbildung der 1 nkuspidalis und Verlagerung der beiden Herzohren,
Befunde, die nur auf Störungen in der Entwicklung zurückzuführen
sind. Der 2. Fall betraf ein 3 wöchentliches Kind mit Broncho¬
pneumonie und starker Zyanose, welche aber erst vom Halse ab¬
wärts bestand, den Kopf dagegen freiliess. Die Diagnose wurde auf
kongenitales Vitium oder Endo- und Perikarditis gestellt. Die Sek¬
tion ergab I ersistenz und Erweiterung des Ductus arteriosus Bot.,
1 cisistenz des Foramen ovale und Stenose des Isthmus aortae neben
ausgedehnten bronchopncumonischen Herden. Durch diese letzteren
kam es zu einer Stauung im kleinen Kreislauf, welche zu einer Mehr-
beförderung von Blut durch den Ductus arteriös, in die Aorta und
damit zu einer Zyanose der vom Hals abwärts gelegenen Partien
führte.
C. Sonne: Ueht das Antithyreoidin eine spezifische Wirkung
gegenüber dem Morbus Basedowii aus? (Aus dem Statens Serum¬
institut in Kopenhagen.)
Kaninchen und Meerschweinchen, welche mit Pillen aus Schild¬
drüse und Blut von thyreoidektomierten myxödematösen Ziegen ge-
iittert wurden, zeigten die gleiche Gewichtszunahme wie in der Zeit,
ii welcher statt des Antithyreoidins Blut von normalen Ziegen ge-
iittei t wurde. Es hatte die Blutfütterung überhaupt keinen Einfluss
luf die I hyreoideawirkung. Fütterung mit Thyreoidea ruft nach
i u n t bei Mäusen eine erhöhte Resistenz gegen Vergiftung mit
Azetonitrit hervor. Antithyreoidin übte gar keinen Einfluss auf
die durch das Thyreoideapräparat vergrösserte tödliche Dosis aus
‘ on 80 Basedowkranken, welche ebenfalls mit Antithyreoidintabletten
>el andelt werden, erhielten 23 neben Tabletten von Serum aus thyreoi-
iektomierten, myxödematös gewordenen Ziegen oder Pferden, auch
I abletten von Serum von operierten Tieren, die trotz der Operation
•esund geblieben waren. Ein Unterschied in der Wirkung der beiden
Mten von Tabletten war nicht zu beobachten. Es ist somit nicht
celungen, irgend eine spezifische Wirkung des sog. Antithyreoidins
lachuzweisen.
Karfunkel- Breslau: Einige während längerer Beobachtungs-
eit festgestellte elektrokardiographische Veränderungen.
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
W. I.ier: Ueber Neurofibromatose. (Aus der II. Abteilung für
laut- und Geschlechtskranke im Allgemeinen Krankenhaus in Wien )
Der Verfasser beschreibt einen Fall von universeller Neurofibro¬
matose bei einem 9Vz i jährigen Knaben, bei welchem ausserdem die
harakteristischen Zeichen einer Hypophysenveränderung, nämlich
röhlichscher Typus (Dystrophia adiposogenitalis, Zurückbleiben
es Skelettwachstums, Hypertrophie des subkutanen Fettgewebes,
(ypoplasie der Genitalien bei mangelnder Scham- und Achselhöhlen-
ehaarung) mit Sehnervenatrophie nachweisbar war und bei dem
,e Röntgenuntersuchung eine deutliche Depression der Sella turcica
rgab. Die Schilddrüse war auffallend klein und es bestand auch
ine deutliche Vermehrung der mononukleären Leukozyten. Der
anze Prozess, die Neurofibromatose, samt den übrigen Erschei-
ungen legt die Annahme einer kongenitalen Systemerkrankung
ahe. bei der die Störungen der inneren Sekretion auf ein Befallen¬
en der Hypophyse, oder des chromaffinen und des Sympathikus-
V’stems bezw. auf die vikariierende Beteiligung der endokrinen
rüsen zu beziehen sind.
D. I). P I e t n c w - Moskau: Ueber den Basedowsyndrom, ein¬
etend mit akuten infektiösen Thyreoiditiden und Strumitiden.
Im Verlauf verschiedener Infektionskrankheiten kommen als
nmplikation akut entzündliche Erkrankungen gesunder, kropfig ver-
iderter und Basedowdrüsen vor. Die entzündlichen Veränderungen
innen sowohl durch rein lokale, als auch durch thyreotoxische Er-
lieinungen hervorgerufen werden, die das Basedowsyndrom charak-
risicren. In derartigen Fällen ist nicht von Hyperthyreoidismus,
■ndern von Dysthyreose zu sprechen. Die toxischen Momente üben
igcnscheinlich einen Einfluss aus, nicht nur auf die Schilddrüse allein,
ndern auch auf andere Drüsen mit innerer Sekretion, so dass man
derartigen Fällen eine „Affection pluriglandulaire“ der französi-
hen Autoren annehmen kann.
P a w i n s k i - Warschau: Ueber den Einfluss unmässigen Rau-
iens (des Nikotins) auf die Gefässe und das Herz.
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
A. Landau und A. Reasnicki: Klinische Untersuchungen
,er die Leistungsfähigkeit des Pankreas. I. Mitteilung. (Aus der
iv. Klinik von Grosglik, Hertz und A. Landau in Warschau.)
Der Mageninhalt nach dem Probefrühstück enthält in 55 Proz.
er Fälle nennenswerte Mengen von Trypsin, in diesen Fällen ist
rch die gewöhnliche Magensondierung eine ausreichende äussere
kretion des Pankreas festzustellen. Der Trypsinnachweis gelingt
er bei niedrigen als bei hohen Säurewerten des Mageninhaltes.
>m klinischen Standpunkt aus sind nur positive Untcrsuchungs-
mltate massgebend; Nichtgelingen des Trypsinnachweises im
tgeninhalt ist kein genügender Beweis für krankhafte Störungen
|r äusseren Pankreassekretion. In Fällen, in welchen im Magen-
lialt wenig oder gar kein Trypsin nachgewiesen werden kann, ist
die Einhornsche Duodenalsonde einzuführen, die direkte Unter¬
suchung des Duodenalinhaltes auf das Vorhandensein der Pankreas-
lermente gibt sicheren Aufschluss über die äussere Pankreassekretion
Ute bekretion von Trypsin, Diastase und Lipase geht im Pankreas
ment gleichmassig vor sich, es muss daher bei genauen Unter¬
suchungen der Duodenalinhalt auf den Gehalt an allen drei Fermenten
geprüft werden.
... A Landau und A. Reasnicki: Klinische Untersuchungen
uber ® Leistungsfähigkeit des Pankreas. II. Mitteilung. (Aus der
priv. Khnik von Grosglik, Hertz und A.Landauin Warschau.)
Versuche mit Pankreassekret, das von einem Fall von trau¬
matischer I ankreasfistel stammte, ergaben, dass die Pankreas-
mstase in der gleichen Weise wie die Speicheldiastase auf Magen-
f-i / o Salzsäure reagiert. Eine minimale Menge freier HCl
tuhrt die Diastase in den inaktiven Zustand über und die sofort
ausgetuhrte Neutralisation ist nicht imstande, diese Inaktivierung
zu verhindern. Die Einwirkung des Magensaftes ist vom physio¬
logischen Standpunkte aus gleichbedeutend mit der Vernichtung der
Diastase. Man ist in Fällen, in denen man im Mageninhalt Diastase
findet, nicht imstande zu sagen, woher diese Diastase stammt, aus
ucmhpeicliel oder aus dem Pankreas. Die Untersuchung des Magen¬
inhaltes auf Diastase behufs der Diagnostik von Pankreasaffektionen
und zum Nachweis einer Regurgitation von Duodenalinhalt entbehrt
jeglicher klinischen Bedeutung.
. M. Schatzmann: Untersuchungen über die Hämatologie der
Variola und der Vakzine. (Aus der med. Klinik in Bern.)
Schon im Inkubationsstadium der Variola besteht eine jedenfalls
polv nukleäre Leukozytose. Im Eruptionsstadium (St. papulosum der
Vanola) ist die Zahl der Gesamtleukozyten eher vermindert; vom
vesikulösen Stadium an findet man eine mehr oder weniger hoch¬
gradige Gesamtleukozy tose, vorwiegend auf einer Vermehrung der
Lymphozyten beruhend; eine relative Lymphozytose besteht noch
nach Wochen fort. Ein ausgesprochenes Vorwiegen der poly¬
nukleären Leukozyten weist im allgemeinen auf eine Komplikation
hin In der Rekonvaleszenz sieht man zuweilen die eosinophilen
Zellen, die nie völlig verschwinden, sich vermehren. In schweren
Fällen treten T ii r k sehe Reizungsformen, Myelozyten und Erythro-
bh.sten auf; als prognostisch ungünstiges Zeichen darf das Vor¬
kommen einer bedeutenden Zahl von Myelozyten und kernhaltigen
roten Blutkörperchen, namentlich bei einer geringen Gesamtleuko¬
zytose angesehen werden. Die langdauernde Lymphozytose kann für
die retrospektive Diagnose von Wert sein. Bei Vakzine findet sich
eine im allgemeinen mässige Vermehrung der Gesamtleukozyten
während der ersten Tage nach der Impfung. Zur Zeit, wo’ die
lokalen und allgemeinen Symptome ihren Höhepunkt erreicht haben,
fällt die Gesamtleukozytenzahl ab, zuweilen bis auf unternormale
Werte. Nach dieser Zeit kommt es zu einer nochmaligen Er¬
hebung der Gesamtleukozytenzahl. Die erste Leukozytose ist
eine polynukleäre, die zweite beruht auf Vermehrung der
Lymphozyten. Auch bei Vakzinierten kommen bei früheren
oder späteren Untersuchungen am häufigsten in der zweiten
Woche T ii r k sehe Reizungsformen und Myelozyten vor, aber nur
vorübergehend und in geringer Zahl. Mit dem Ablauf der Blut¬
reaktionserscheinungen kommt es zuweilen zu einer leichten Ver¬
mehrung der Eosinophilen. Es besteht also zwischen dem Blutbild
der Variola und demjenigen der Vakzine eine Analogie sowohl in
bezug auf die quantitativen Verhältnisse der Gesamtleukozyten als
auch in bezug auf das Verhalten der einzelnen Zellarten. Die Unter¬
schiede sind nur graduell. Es entspricht das der Anschauung, dass
Variola und Vakzine im Wesen dieselben Prozesse sind.
O. Roth: Ueber isolierte linkseitige Vorhofstachysystolie (links¬
seitiges Vorhofflackern). (Aus der med. Klinik in Zürich.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
G. Brückner: Ueber die sog. granuläre Form des Tuber¬
kulosevirus, zugleich ein Beitrag zum Eiweissgehalt des Sputums.
(Aus dem med.-poliklinischen Institut in Berlin.)
Die modifizierte Gramfärbung zur Darstellung der sog. Mncli-
schen Granula im Sputum ist für die Diagnose der Lungentuber¬
kulose nicht zu verwerten, da sie zu Täuschungen Anlass gibt;
das gilt in erster Linie für den Ausstrich, aber auch für die An¬
reicherung. Lediglich Körnerreihen in deutlicher Stäbchenform sind
im Sputum als I tiberkulosevirus anzuerkennen. Diese fanden sich
aber stets nur dann, wenn nach Ziehl färbbare Tuberkelbazillen
nachweisbar waren. Eine besondere neue Form des Tuberkulose¬
virus in Gestalt der sog. M u c h sehen Granula ist nicht anzuer¬
kennen. vielmehr sind die Körnerreihen und Körner nichts anderes,
als durch eine modifizierte Gramfärbung dargestellte echte Koc fi¬
sche Tuberkelbazillen. Die Eiweissreaktion des Sputums steht bei
der Lungentuberkulose in einem gewissen Verhältnis zum Grade
der Krankheit und ist bei den vorgeschritteneren Fällen stark positiv.
Sie kann unter Umständen differentialdiagnostischen Wert gegenüber
nichttuberkulösen Lungenerkrankungen besitzen, da diese meist
keine oder nur eine geringe Eiweissreaktion zeigen.
G. Guli: Ein Fall von leukämischer Lymphomatöse bei
paroxysmaler Hämoglobinurie. (Aus der inneren Abteilung des
Pester Spitals.)
Bei einem 49 jährigen Mann fand sich neben einer typischen
Kältehämoglobinurie mit positiver D o n a t h - L a n d s t e i n e r scher
Reaktion eine leukämische Lymphomatöse mit vorwiegender Ver¬
mehrung der kleinen Lymphozyten. Der Verfasser nimmt an, dass
1974 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 38.
die paroxysmale Hämoglobinurie und die Leukämie durch denselben
infektiös-toxischen Prozess hervorgerufen sind.
Lindemann - München.
Zentralblatt für Innere Medizin. Nr. 30 — 36, 1914.
Nr. 30. Ohne Originalartikel.
Nr. 31. J. S. Schwarzmann-Odessa: Die klinische Be¬
deutung der Feststellung des systolischen und diastolischen Blut¬
druckes bei Infektionskrankheiten.
Hoher diastolischer Blutdruck zeigt bedeutende Schwere des
Falles an, nämlich paretischen Zustand der grösseren Abdominal-
gefässe mit Ansammlung der Hauptmasse des Blutes in denselben.
Abnahme des systolischen Blutdruckes bei gleichzeitiger Ab¬
nahme des diastolischen Blutdruckes zeigt an, dass man die
Abnahme des systolischen Blutdrucks nicht auf Nachlassen der Herz¬
kraft, sondern auf Nachlassen des Gefässtonus zurückführen muss.
Abnahme des systolischen Blutdrucks bei gesteigertem diastoli¬
schem Blutdruck zeigt Abnahme der Herzenergie an.
W. Schoetz: Sammelreferat aus dem Gebiete der Otiatrie.
(Januar bis Juni 1914.)
Nr. 32. Ohne Originalartikel.
Nr. 33. Ohne Originalartikel.
Nr. 34. O. Seifert: Sammelreferat aus dem Gebiete der
Rhino-Laryngologie. (April bis Juli 1914.)
Nr. 35. W. Sternberg: Der Geschmack.
Der Geschmack setzt sich aus den Qualitäten von drei Sinnen
zusammen: Tast-, Geruch- und Geschmacksinn. Es folgen nähere
Ausführungen, in welcher Weise die Analyse des Begriffes Geschmack
zu erfolgen hat. Die Aufgabe der Küche ist es, den ärztlichen An¬
forderungen an den Geschmack gerecht zu werden.
Nr. 36. Ohne Originalartikel. W. Zinn- Berlin.
Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. D r u n s.
93. Band, 1. Heft. Tübingen, Laupp, 1914.
Erwin Schwarz: Eine typische Erkrankung der oberen
Femurepiphyse.
Schwarz bespricht eine in gewissem jugendlichen Alter am
Schenkelkopf vorkommende, häufig an ein kleines Trauma (Fall und
Stoss) sich anschliessende, mit Hinken einsetzende Erkrankung, die
mit einer Abflachung des Kopfes durch subchondrale Destruktions¬
herde (Ernährungsstörung im Innern des Gelenkkopfes) einhergeht
und klinisch durch deutliches Hinken und beträchtliches Hervortreten
des Trochanter major charakterisiert ist, sowie durch Hemmung der
Abduktion und gewisser Drehbewegungen bei völlig freier Flexion
und Abduktion. Das positive T r e n d e 1 e n b u r g sehe Symptom
erklärt die Ursache für den hinkenden Gang (Insuffizienz der pelvio-
trochanteren Muskelgruppe). Zuweilen geht ein schmerzhaftes,
spastisches Stadium voraus, jedoch nur von kurzer Dauer. Die un¬
gestörte Flexion lässt diese Affektion von Koxitis leicht unterscheiden.
Das Röntgenbild lässt im Beginn kleine Aufhellungsherde in der Epi¬
physe erkennen, die allmählich konfluieren. Unter dem Druck des
Pfannendaches wird die weich und nachgiebig gewordene Epiphyse
stark abgeflacht und nach aussen hin über dem Schenkelhals bis nahe
zum Trochanter Inn ausgerollt und kann durch den destruierenden
Prozess die Kopfkappe ganze Partien völlig verlieren, andere können
in grössere und kleinere Bruchstücke oder Knochenknäuel zerfallen,
die sich mitunter durch einen verstärkten Kalkreichtum kennzeichnen.
Im Schenkelhals kommt es zu einer leichten Aufhellung oder Auf¬
lockerung der obersten Partien, die sich gegen die gesunden unteren
mit sehr deutlichen scharfen girlandenartig angeordneten Bogen¬
linien abgrenzen. Im weiteren Verlauf verdickt sich der Schenkel¬
hals, verkürzt sich auch etwas durch den die Juxtaepiphyse, be¬
sonders die laterale obere Kollumecke arrondierenden Prozess und
biegt sich unter dem Drucke der Körperlast etwas zur Coxa vara ab.
— Die fortschreitende Deformierung der Epiphyse geht keineswegs
mit einer Verschlimmerung des klinischen Bildes Hand in Hand, es
kann bei zunehmender Zerstörung der Kopfkappe zu einer Besserung
des Ganges und der Gelenkbeweglichkeit kommen; aus dem klini¬
schen Bild allein kann man nie auf die Schwere der pathologischen
Veränderungen schliessen. Diese Erkrankung kann nach jahrelangem
Bestehen ganz von selbst ausheilen und zwar in bestimmten charak¬
teristischen Formen (lange, flache, den dicken Schenkelhals in weiter
Strecke überziehende Kopfkappe, flache Pfanne) — oder aber sie
kann in einen Zustand übergehen, der dem Bilde der Arthritis defor-
mans juvenilis ähnlich wird, während im übrigen diese Erkrankung
von der Arthritis deformans infantilis zu trennen ist. Die Erkrankung
ähnelt in ihrem ganzen Bilde, auch im Röntgenbefund, anderen Hüft-
erkrankungen (tuberkulöser Kollumherd, Coxa vara), besonders in den
Frühstadien oft so sehr, dass die Diagnose oft schwierig und das
Röntgenbild von grösster Bedeutung ist Die Therapie kann durch
Massage und gymnastische Uebungen den Bewegungshemmungen
entgegenarbeiten. Im schmerzhaften Stadium und bei Abduktions¬
kontraktur sind event. Korrektion in Narkose und Gipsverband oder
Extensionsbehandlung am Platz. Schw. schildert kurz 22 Fälle
dieser Erkrankung und gibt die schematischen Röntgenbilder in den
verschiedenen Stadien der Erkrankung.
P. Kornew gibt aus der chir. Klinik des med. Instituts für Frauen
(Prof. Zeidler) in St. Petersburg eine Arbeit über die operative Be¬
handlung der wahren Unterkieferanchylosen mit Anwendung der freien
Faszientransplantation, bespricht die bisherigen Methoden hiebei
(Anwendung gestielter Muskelklappen etc.) und empfiehlt im An¬
schluss an 3 mitgeteilte Fälle für die Behandlung der wahren
knöchernen Unterkieferanchylosen die Resektion des Köpfchens mit
darauffolgender Interposition von frei transplantierter Faszie (von der
Fascia lata) als den besten, zweckmässigsten und einfachsten Eingriff.
Friedr. Bode gibt aus dem allgemeinen Krankenhause Hom¬
burg v. H. einen Beitrag zur Aetiologie des runden Magen- und
Duodenalgeschwürs. B. hat sein Material darauf hin durchgesehen,
ob die Anschauung R ö s s 1 e s betr. Zusammenhang dieser Affektion
mit vorausgegangener Appendizitis, Hernieneinklemmung etc. zu¬
treffend ist und teilt 16 betr. Krankengeschichten mit, abgesehen von
5 Fällen (2 mal Typhus, 1 mal Ohrenleiden, rechtsseitigen Leisten¬
bruch, eine nicht operierte Appendizitis) Waren von den 16 an 11
vor dem Auftreten der ersten Erscheinungen des Ulcus chirurgische
Eingriffe vorgenommen (9 mal an Organen der Bauchhöhle und
Nieren), in einigen Fällen traten die Erscheinungen unmittelbar an¬
schliessend an die vorausgegangenen Affektionen auf. Zur Erklärung
hält B. bei einen Teil der Fälle die v. E i s e 1 s b e r g sehe Ansicht,
dass Verstopfung der Venen durch retrograde Embolie abgelöste
Thrcmbosemassen oder fortgeleitete Thrombosen von Netz und den
Mesenterialvenen eine Rolle spielen, für zutreffend, bei anderen muss er
aber auch auf Vagusschädigungen etc. hindeuten, nachdem es experi¬
mentell gelungen, durch Vagusreizung typische Erosionen und Ulze-
ratienen im Bereiche des Magens und der Duodenalschleimhaut zu
erzeugen.
E. Crone berichtet aus der Klinik zu Freiburg i. Br. über
Strumametastasen und fasst im Anschluss an 6 in Krankengeschichten
mitgeteilte Fälle seine Ansichten dahin zusammen, dass meta¬
statische Tumoren einer nicht krankhaften Schilddrüse bislang nicht
nachgewiesen, dass bei allen 6 Strumametastasen der Kraske sehen
Klinik ein primärer Tumor der Schilddrüse nachgewiesen wurde.
Die metastasierenden Strumen sind meistens ziemlich hart und knotig
und weisen klinisch häufig keine ausgesprochenen Symptome für
Malignität auf. 3 mikroskopisch untersuchte Fälle der Kraske-
schcn Klinik boten alle Zeichen, die für Malignität sprechen, wenn
auch die Bösartigkeit histologisch nicht inner leicht nachzuweisen ist.
Nach gründlicher Exstirpation der Metastase ist ein lokales Rezidiv
nicht so sehr zu befürchten, daher wird schonendes, operatives Vor¬
gehen angeraten. — Diese Art Strumen mit ihren Metastasen nehmen
eine Art Mittelstellung zwischen benignen und malignen Tumoren
(ähnlich dem Riesenzellensarkom) ein, trotzdem müssen wir sie nach
klinischem und histologischem Verhalten zu den Karzinomen zählen
und dementsprechend behandeln. Für den primären Tumor will Cr.
die v. E i s e 1 s b e r g sehe Bezeichnung Adenokarzinom beibehalten,
für die Metastasen schlägt er die Bezeichnung Strumametastase oder
„Tumor thyreogener Natur“ vor.
Ed. Bundschuh gibt aus derselben Klinik Beiträge zur
Chirurgie des primären Leberkarzinoms und bespricht im Anschluss
an 2 näher mitgeteilten Fälle, Aetiologie, pathologische Anatomie,
klinische Symptome etc. dieser Affektion, er erklärt die schlechten
Operationsresultate dadurch, dass die meisten Fälle zu spät erkannt
und operiert wurden, allerdings kommt für die Resektion nur die
massive und knotige Form des primären Leberkrebses in Betracht,
auch die Strahlentherapie verdient entsprechende Anwendung.
Joh. Weiss berichtet aus dem Diakonissenhause zu Leipzig-
Lindenau über den Anus anomalus vulvo-vestibularis und seine
chirurgische Behandlung. W. bespricht im Anschluss an einen durch
Operation geheilten Fall die verschiedenen Operationsmethoden
dieser Missbildungen (Dieffenbach, Riggoli, Kroemer.
N i e s s n e r) und schildert die von Sick angewandte Operation, bei
der zunächst an Stelle des die Afteröffnung andeutenden Grübchens
eine Inzision gemacht, der Sphinkter vorsichtig gedehnt und das
darunter gelegene Gewebe stumpf auseinander gedrängt wurde.
Darauf wurde von der Vulva aus der unterste Abschnitt des Rektums
vorsichtig ringsum isoliert und von der hinteren Vaginalwand ge¬
trennt, dann die zwischen der normalen Afterstelle und der Vulva
liegende Brücke unterminiert und mittelst Gazestreifen etwas ab¬
gehoben, dann der in Gaze gehüllte und mittels Zangen gefasste,
losgetrennte Mastdarmteil nach hinten zu verlagert und in die In¬
zisionswunde mittels Nähten fixiert (so dass der Schleimhautrand
etwas iibersteht) Verband mit Noviformsalbe.
Hans K o 1 a c z e k berichtet aus der Tübinger Klinik über die
aktinomykotische metastasierende Allgemeininiektion und teilt zwei
operativ behandelte Fälle dieser Erkrankung mit.
H. v. Tappeiner berichtet aus der Greifswalder Klinik
Zur Frage der Pylorusausschaltung (experimentelle Untersuchungen;
und kommt durch seine experimentellen Studien zu dem Schluss, dass
Zweifel an der Brauchbarkeit der Faszie bzw. Aponeurose zur Her¬
stellung von Strikturen nicht berechtigt sind, während er die Ver¬
wendung breiter und dicker Fremdkörperligaturen nicht für ratsam
hält. Es entstehen auch keine Verwachsungen, wenn man den strik-
turierenden Aponeurosenring noch mit einer einwandfreien Serosa-
bekleidung versieht. Da der Hundepylorus sich mit ungeschniirten
Aponeurosenstreifen eng genug und dauernd stenosieren lässt, so
lässt sieh auch vom menschlichen dies erwarten (wie klinische Be¬
obachtungen bestätigt haben).
Richard W e 1 z e 1 gibt aus der Prager Klinik (Prof. Schloffer)
eine Arbeit über Rezidivhernien, worin er über die in der betr.
Klinik 1903 — 1911 beobachteten 77 Rezidivhernien (64 Rezidiv^ bei
22. September 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1975
männ hchen, - bei weiblichen Leistenhernien, 5 Doppelrezitlivc bei
männlichen Hernien, 2 Rezidive nach Kruralhcrnien) berichtet und
je nach den verschiedenen Operationsniethoden (B a s s i n i W ö 1 f -
ler. Kocher etc.) die Fälle bespricht und die Ursachen der Rezi-
di\e erörtert Unter den Rezidivoperationen waren 69 nach unge¬
störter Wundheilung, S nach Eiterung, so dass die Eiterung, die zum
Verschluss der . Bruchlücke verwendeten Gewebe nicht sehr be-
deutend zu schädigen scheint. Bei den p. pritn. Heilungen ist in
34 der balle das Rezidiv innerhalb der ersten 9 Monate aufgetreten.
Betr. der lechnik nach Rückfallbrüchcn sind einfache Massnahmen am
Platz, I lastikcn kommen nicht zur Anwendung. Bei Rezidiven nach
Bassi ni wird der Verschluss durch neuerliche Naht des Muskels
an das Leistenband erreicht oder die Lücke verschlossen und auch
der Kcktus noch an das Lig. Poup. angenäht, ersteres besonders in
dem Fall, wo die erste Bassininaht zur Hauptsache nach ge-
halten hat und das Rezidiv im Bereich des Samenstrangs entstanden.
In Fallen mit grossen Bruchlücken und solchen mit schwacher und
leicht nachgiebiger Bassiniplatte wurde zum Verschluss stets der
Muse, rectus hinzugezogen, der M. rectus wurde nach vorheriger
Naht der Lücke entweder über den Samenstrang oder zugleich mit
dem M. obl. int. unter demselben ans P o u p a r t sehe Band genäht
Beide Methoden stellen eine Kombinatbnsnaht der Wölf ler sehen
und B a s s i n i sehen Radikaloperation dar. 8 so operierte Fälle
blieben rezidiv- und beschwerdefrei. Die Bedingung guter End¬
resultate liegt meist ausschliesslich in einer exakten Technik vor¬
sichtigem Vorgehen und exakten Nähten.
Theod. Herrmann berichtet aus dem Augustakrankenhaus zu
Bochum über Luxationen im L i s f r a n c sehen Gelenk, teilt 2 betr.
Fälle mit entsprechenden Röntgenogrammen mit, ergänzt die bis¬
herige Statistik durch Anführung neuer Fälle aus der Literatur und
bespricht sowohl Einzelverrenkungen als solche mehrerer Mittelfuss-
knochen. H. geht auf die Resultate der nicht reponierten Fälle und
speziell auf die operativen Resultate näher ein, danach bietet bei Ver¬
gleich der Ergebnisse die operative Behandlung der Li sfr an c-
schen Luxationen eine sehr aussichtsreiche Behandlung für die Fälle,
die sich primär nicht reponieren lassen und die nach Reposition ein
schlechtes oder nur mässiges Resultat ergeben.
Josef \ i e r h e i 1 i g gibt aus der Würzburger Klinik eine Arbeit
nber die subkutane Bronchuszerreissung im Anschluss an einen mit
Bronchusnaht behandelten Fall von Zerreissung eines Bronchial¬
astes 2. Grades bei Lungenriss eines 2V& Kindes. V. geht auf die
Entstehung derartiger Verletzungen, deren anatomisches Bild, Sym¬
ptome und Verlauf ein und plädiert in ähnlichen Fällen für die von
I i e g e 1 an Tieren erprobte Bronchusnaht, die im betr. Fall vom
Rücken aus vorgenommen wurde. Um das Eintreten eines Span¬
nungspneumothorax zu verhüten, empfiehlt V. eine Dauerdrainage
m tiefster Stelle bis ca. 8 Tage und rät danach die Wunde durch
saht zu verschliessen und dann mittelst eines an anderer Stelle ein-
;estochenen Troikarts die noch im Innern des Pleuraraums befind¬
liche Luft zu entfernen. Bei der schlechten Prognose der Bronchus-
'eireissung, die besonders durch die Gefahr des Spannungspneumo-
horax und die der inneren im Vordergrund stehen, erfordert diese
Iringend die Thorakotomie. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 36.
K. H. G i e r t z - Stockholm : Ueber Exstirpation von Lungen und
. ungenlappen mit Versorgung des Bronchialstumpfes durch freitrans-
lantierte Fascia lata.
Verf. berichtet über seine an Hunden bis zu 45 kg Gewicht an-
estellten Versuche, eine Lunge zu exstirpieren, und schildert genau
eine Technik: Die Operation erfolgt bei Morphium-Chloroform-
arkose in Ueberdruck; nur bei der Naht der Brustwand kommt
nterdruck in Anwendung. Nach Unterbindung der Lungenarterie
nd -venen mit Seide wird der nicht freipräparierte Bronchus mög-
chst oral durch eine federnde Zange abgequetscht und das ge-
uetschte Wandstück sehr exakt mit feinen Seidenmatratzennähten
er einigt. Dann wird über diese Stumpfnaht ein freies Faszienstück
aus der Fascia lata) durch Knopfnähte, die die Bronchuswand und
eribronchiales Bindegewebe ganz oberflächlich fassen, befestigt. Nun
>ird der Stumpf in das mediastinale Bindegewebe versenkt und die
leura genau über ihm vernäht. Zuletzt vollständige Naht der Brust-
and *n Etagen. Die Tiere überstanden den Eingriff auffallend leicht
nd liefen schon am Tage nach der Operation wieder herum. Weitere
ersuche folgen. E. Heim- Oberndorf b/Schweinfurt.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 35 u. 36, 1914.
E. G e r s t e n b e r g - Berlin-Wilmersdorf : Konzentriertes For-
ialin, das am schnellsten und sichersten wirkende chemische Mittel
ur Behandlung klimakterischer Blutungen.
• schon im Jahre 1900 unverdünntes Formalin gegen klimak-
-rische Blutungen empfohlen. Das Mittel hat sich seit 14 Jahren
e\v ahrt. Er benutzt mit Watte umwickelte Playfairsonden, und
war in einer Sitzung, die zusammen bis zu 50 Sekunden liegen blei-
tn. Nach Entfernung der Sonden werden für 3—12 Stunden Tupfer
, Ta vor d*e Portio gelegt. Der einzige Zufall, den G. fürchtet,
t das Ver ieren der Watte im Uterus. Koliken, Ohnmächten, In-
• Ktionen oder Stenosen hat er nie gesehen.
G. G e 1 1 h o r n - St. Louis: Ueber Azetonurie im Gefolge der
Pinalanästhesie.
G. fand unter 35 Fällen 33 mal Azetonurie, die also als regel¬
massige Folge von Operationen in Spinalanästhesie angesprochen
werden kann. In lA der Fälle war die Spinalanästhesie mit Aether
kombiniert. Die Azetonurie hielt 5 Tage an und verschwand dann
spontan. Eine besondere klinische Bedeutung kommt ihr hier im
Gegensatz zum Auftreten bei Diabetes nicht zu; alle 33 Fälle sind
glatt genesen. J a f f 6 - Hamburg.
Zeitschrift für Kinderheilkunde. XI. Band. Heft 4. 1914
Herbert K o c h - Chicago-Wien: Die Beziehungen der Masern
zu anderen pathologischen Prozessen.
^*e. Maserninfektion hat einen oft beobachteten Einfluss auf
anderweitige Kraukheitsprozesse; während das durch Leukopenie ge¬
kennzeichnete Prodromalstadium vor allem solche entzündlich-exsuda-
uven Charakters (Eiterungen etc.) hemmend beeinflusst, macht sich
huITIftliS-chen, Stadium eine Einwirkung auf allergische Pro-
j,? u • hnreaktion) geltend; die postexanthematische Periode
n d 1C . 1S* charakterisiert durch eine Resistenzverminderung des
, rgamsmus, die die Entstehung und Ausbreitung sonstiger patho¬
logischer Prozesse begünstigt.
* r yssab°n-Berlin : Ueber Erythrocyturia minima im
bauglmgs- und Kmdesalter.
t1PiiPrMMLinf,°1S? vo\lnfel<ten, aber auch auf der Basis dispositio¬
neller Momente, kommt es bei gut gedeihenden Säuglingen nicht sel-
r/1 +)Z-U eine/ wochenlang dauernden Ausscheidung spärlicher roter
Blutkörperchen im Urin; sie hat augenscheinlich in leichtester toxi-
scher Schädigung der Nieren ihren Grund, wird manchmal auch vor
oder nach Pyelitiden beobachtet und hat mit Morbus Barlow nichts
zu tun.
.■ J' Hl,ie nekens- Minneapolis-Berlin: Die Azidität des
Mageninhaltes im Säuglings- und Kindesalter bei milch- und fleisch¬
haltiger Probenahrung.
m;i ^!^ei-*VOn,v ^,0n.a,te.1? b's 3 Jahren (5 Versuchskinder) ist nach
iilchmahlzeiten die Azidität des Mageninhaltes sehr gering, etwas
hoher nach einer aus Suppe und Gemüse bestehenden Probemahlzeit;
nach emer Mahlzeit aus Suppe, Fleisch und Gemüse war sie bei
den Kindern unter 1/? Jahren so gering, dass eine peptische Ver-
cauung des Fleisches nicht wohl vor sich gehen konnte.
^U1 * Morgenstern- Strassburg: Elektrokardiographische
X", frs/u®hunge? über die Beziehungen des Herzmuskels zur Spasmo-
philie (Tetanie) im frühen Kindesalter.
Die Untersuchungen des Verfassers scheinen zu erweisen, dass
auch der Herzmuskel bei Spasmophilie sich abnorm verhält- bei 17
spasmophilen Kindern war im Elektrokardiogramm die J -a -Zacke
sehr stark ausgeprägt, fast so gross wie die J.-Zacke, was bei ge¬
sunden Kindern nicht der Fall ist. Auch F. a. ist meist stärker als
normal ausgesprochen. (Ableitung von beiden Armen.)
it x Erwb? T h o m a s - Berlin: Ueber die Beziehung chronischer
Unterernährung zur Infektion und die klinischen Zeichen der herab¬
gesetzten Immunität.
Chronische Unterernährung allein (Paradigma : Pylorusstenose
ohne Ernährungsstörung) führt nicht zu den bekannten Infektionen
die als Zeichen herabgesetzter Immunität gelten (Hauteiterungen,
boor, Grippe etc.); Gewichtsstürze an sich disponieren nicht zur
Entstehung von Pneumonien.
Bei ta E r I a n g e r : Zur Kenntnis des angeborenen lymphangiek-
tatischen Oedems.
4 monatlicher weiblicher Säugling mit angeborenen teigigen
Schwellungen der Füsse, Unterschenkel, Hände, sowie Cutis laxa
am Nacken und Rücken. G ö 1 1
Archiv für Hygiene. 82. Band, 5.-7. Heft. 1914.
r ? ' ^trassburg: Geber Schwefelwasserstoffbildung
aus Zystin durch Bakterien.
Die Ergebnisse der Untersuchungen über Schwefelwasserstoff-
bildung aus Zystin durch Bakterien werden dahin zusammengefasst
dass alle zum Versuch benützten Arten aus Zystin Schwefel¬
wasserstoff bildeten. Aus T a m i n dagegen wird kein Schwefel ab¬
gespalten. Der Intensität des Wachstums der Bakterien geht die
Menge des gebildeten Schwefelwasserstoffes parallel. Aus Zystin
midet sich auch in sulfatfreien Nährlösungen Schwefelwasserstoff.
Merkaptanbildung konnte nicht beobachtet werden.
A. Lode- Innsbruck: Ueber die Möglichkeit der Gewinnung von
I rinkvv asser aus den Dohlen der Talsperren der Wildbachverbauung.
Luter Wildbach verbauungen versteht man Mauer-
an lagen in Felshöhlen der Alpen, die nach Art der Talsperren
aufgeführt sind. Sie sind aber nicht in erster Linie errichtet,
um. wie bei unseren üblichen Talsperren das Wasser auf¬
zustauen, sondern um das vom Gebirge in grossen Massen herab¬
gespülte Steinmaterial aufzuhalten und die Untcrlieger vor Ver¬
wüstung und Verschüttung zu bewahren. Diese Wildbach Verbau¬
ungen erreichen im Laufe der Zeit unter Umständen eine nicht
unbedeutende Höhe und das Wasser, welches sich oben auf die
Verbauungen ergiesst, sickert in dieselben hinein, um entweder an
der Sohle wieder hervorzutreten oder aus sog. Dohlen, Ent¬
wässerungskanälen oder Entwässerungsschlitzen in grösserer Menge
herauszusprudeln und dann weiter im Tale herabzufliessen. Das
Abflusswasser ist nun kein Oberflächenwasser mehr, sondern kann
eher in die Kategorie der künstlichen Grundwässer eingereiht wer-
1976
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 38.
den, da es eine Filtration und mehr oder weniger weitgehende
chemische Veränderungen durchgemacht hat.
Verf. hat eine derartige Verbauung, die Sperre bei Pont a 1 1 o
und ihre Vorsperre alla Madruzza bei Trient, die gegen die
Wildwässer des aus dem Fersentale kommenden Fersenbaches er¬
richtet ist, zum Objekt seiner Untersuchungen gemacht und weist
durch chemische und bakteriologische Analysen genau nach, dass
der Reinigungs- und Filtrationseffekt beim Hinsickern des Wassers
durch das angestaute Gerolle ein sehr vollkommener ist. Es konnte
mit ziemlicher Gewissheit festgestellt werden, dass das Wasser aus
Grundwasser des Fersenbaches und aus versickertem Bachwasser
sich zusammensetzt. Weitere derartige Untersuchungen über
Dohlenwasscr aus Wildbachverbauungen sind erwünscht, um auch
über die hygienische Bedeutung ihres Wassers Kenntnis zu erhalten.
Jean Louis B u r c k h a r d t - Würzburg: Untersuchungen über
Bewegung und Begeisselung der Bakterien und die Verwendbarkeit
dieser Merkmale für die Systematik. I. Teil. Ueber die Veränder¬
lichkeit von Bewegung und Begeisselung.
Es wurden in ausführlichen Untersuchungen die Verhältnisse der
Beweglichkeit und der Begeisselung der Bakterien studiert. Neben
einer Reihe spezieller Ergebnisse ist die Feststellung von Bedeutung,
dass die beweglichen Bakterien, teils infolge von sichtbaren Schä¬
digungen, teils unter Umständen, die für uns nicht erkennbar sind,
ihre Bewegungen zeitweise oder — anscheinend — dauernd ein¬
stellen. Weiterhin ergab sich, dass die Beweglichkeit und die Be¬
geisselung eine der konstantesten Eigenschaften ist, da sie bei jahre¬
lang fortgezüchteten Stämmen nur sehr selten wechselt und offenbar
fast nur bei solchen, welche die Bedingungen unserer Kulturen schlecht
ertragen. Damit zeigt sich auch die Bewegung und Begeisselung als
einer der beiden Anhaltspunkte für die Systematik. Es wird betont,
dass man ein Bakterium gar nicht lange genug unter den ver¬
schiedensten Bedingungen untersuchen kann, bevor man behaupten
darf, dass es unbeweglich ist. R. 0. N e u m a n n - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 37, 1914.
Friedrich W o 1 1 e r - Hamburg: Ueber die Rolle der Kontakt¬
infektion in der Epidemiologie der Cholera. (Auf Grund der bisher
über das Auftreten der Cholera auf dem Kriegsschauplätze des
Balkankrieges 1912/13 vorliegenden Berichte.)
Nach Ansicht des Verf. ist nicht sowohl die Kontaktinfektion
als die örtlich-zeitliche Bedingtheit der Seuchenentstehung das ent¬
scheidende Moment für das epidemische Auftreten der Cholera.
H. C o e n e n - Breslau: Hypernephrom des Zungengrundes.
Kasuistischer Beitrag.
R e n n e r - Breslau: Behandlung der Blasentumoren mit Hoch¬
frequenzströmen. (Vortrag, gehalten in der Sitzung der Schles. Ges.
f. vaterl. Kultur zu Breslau am 26. VI. 1914.)
Verf. glaubt die Behandlung der Blasentumoren mit Hoch¬
frequenzströmen als einen Fortschritt empfehlen zu können.
Max Kunreuth er -Berlin: Ueber Methodik der Schwanger¬
schaftsunterbrechung und gleichzeitiger Sterilisation bei Lungen¬
tuberkulose.
Bei dem Zusammentreffen von Lungentuberkulose und
Schwangerschaft ist bei Mehrgebärenden, falls eine Verschlimmerung
der Lungenerkrankung cingctreten oder zu befürchten ist, die Unter¬
brechung der Schwangerschaft mit gleichzeitiger Sterilisation indi¬
ziert. Als bestes Verfahren hierfür ist die abdominale hohe supra¬
vaginale Amputation des Uterus unter Zurücklassung der Adnexe zu
empfehlen.
Piorkowski - Berlin: Trockennährböden.
Nach Angaben des Verf. hält die Deutsche Schutz- und Heil-
sci umgesellschaft. Berlin NW. 6, Luisenstrasse 45, ein Nährpulver
vorrätig, aus welchem sich leicht und billig Nährböden herstellen
lassen.
0. B. M e y e r - Wiirzburg: Nachtrag zu der Abhandlung: Ueber
Neuralgia brachialis und ein eigentümliches Symptom bei derselben.
Algocratine von E. Lancosme - Paris ist nichts weiter als ein
Gemisch von 50 Phenazetin, 10 Koffein und 40 Pyramidon. Man
wird daher nicht mehr das teure französische Präparat, sondern die
angegebene Mischung mit dem gleichen Erfolge verordnen.
Dr. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 36, 1914.
H. Strauss - Berlin : Diätbehandlung von Hvperazidität, Hyper¬
sekretion und Ulcus pepticum.
Klinischer Vortrag.
D. Kulenkampff - Zwickau: Neuere Fortschritte auf dem Ge¬
biet der Inhalationsanästhesie.
Zusammenfassung: Einen Hauptfortschritt der allgemeinen Nar¬
kosetechnik bilden die Apparate, welche die maximale Dampfkonzen¬
tration von der Willkür des Narkotisierenden unabhängig machen und
durch kleine luftdurchlässige oder mit Atmungsventilen versehene
Masken jede Kchlensäureanhäufung vermeiden. Die Hauptsache ist
freie Luft-, nicht Sauerstoffzufuhr. Am sichersten und zweckmässig-
sten ist die Narkose mit Dampfgemischen: Aethernarkose mit Chloro¬
formbeigabe nach den Witzel-Hoffmann sehen und Braun-
schen Vorschriften mit dem Braun sehen Apparat, in der Klinik
auch mit dem Roth-Dräger-Krönig sehen Apparat. Die Nar¬
kosen werden durchgehends oberflächlicher, an der Grenze des Exzi¬
tationsstadiums (v. Brunn) im Stadium der Narkosenreife (Koch-
m a n n) gehalten: intermittierende Narkosen mit rasch schwankender
Dampfkonzentration sind zu verwerfen. Die wichtigste Vorbedingung
einer guten ungefährlichen Narkose ist gutes Aussehen und freie
Atmung des Patienten. Bei guter Kontrolle dieser Zeichen ist die
Kontrolle des Pulses und der Pupillen in der Regel überflüssig und
unzweckmässig. Die innere Ruhe des zu Narkotisierenden — ev.
durch vorherige Schlafmittel oder Morphium zu unterstützen — ist
viel wichtiger als die „äussere“ Ruhe der Umgebung. Die beste
und einfachste Rauschmethode ist die alte T h i e r s c h sehe Unter¬
haltungsnarkose. Sehr wichtig ist die jetzt erreichte weitgehende
Möglichkeit, bei Bedenken gegen die allgemeine Inhalationsnarkose
diese durch Lokal-, Lumbal- oder Venenanästhesie zu umgehen.
J. T sch er tk off- Charlottenburg: Indikanämie und Urämie
(Azetonämie).
Bei Gesunden und bei Kranken ohne Niereninsuffizienz ist. un¬
abhängig von der Diät, im Serum niemals Harnstoffretention oder
Indikan zu finden. Bei Nierenkranken, die im Serum eine erhebliche
Harnstoffretention haben, findet sich regelmässig Indikanämie. Bei
einem Harnstoffgehalt von ca. 1,5 Prom. ab fehlte sie nie. Bei
chronischer Nephritis ist Indikanämie und eine Harnstoffretention von
1,5 Prom. ab ein ungünstiges, schwere, nicht ausgleichbare Nicren-
veränderung anzeigendes Symptom. Als einziges Zeichen der Nieren¬
insuffizienz bleibt die Indikanämie auch da bestehen, wo die Azeton¬
ämie durch äussere alimentäre Einflüsse bis zur Norm herabge¬
mindert ist.
G. H a f e m a n n - Beringhausen: Ueber den Eiweissgehalt itn
Sputum Tuberkulöser. . n.
Die Fortsetzung der von Gelderblom in Nr. 41 der D.m.W.
1913 veröffentlichten Untersuchungen bestätigte deren Ergebnis. Als
Hauptregel kann gelten: Enthält das Sputum kein Eiweiss, so sind
keine Bazillen vorhanden, enthält das Sputum Bazillen, dann ist auch
Eiweiss vorhanden (bei geschlossenen Fällen nur Eiweiss). Ziemlich
allgemein anerkannt ist bis jetzt auch der Satz: .Ein einmaliger
positiver Eiweissbefund gestattet noch keine sicheren Schlüsse, ein
einmaliger negativer Befund schliesst Tuberkulose aus. Ausser der
Annahme, dass das Eiweiss im Sputum Serumalbumin sei und aus den
feinen Bronchial- und Alveolargefässen stamme, neigt Verf. noch zu
der Annahme, dass das Eiweiss den Stoffwechsel- und Zerfallspro¬
dukten der Bazillen selbst entstamme.
R. W. R a u d n i t z - Prag: Erdnussmilch statt Mandelmilch.
Zum Ersatz der Mandelmilch in der Behandlung von Säuglingen
eignet sich die sechsmal billigere geröstete und geschälte Erdnuss
und zwar die chinesische, javanische oder afrikanische Art. Die
Mandel- bzw. Erdnussmilch lässt sich gut verwenden: 1. bei Neuge¬
borenen wegen Milchmangels der Mutter, auch alkalinisiert bei Gelb¬
sucht der Neugeborenen; 2. bei vorübergehendem Mangel verläss¬
licher Tiermilch für den Säugling: 3. bei allen Durchfällen der Säug¬
linge ohne anhaltendes Erbrechen und ohne Vergiftungssymptomc
nach oder ohne vorherige Wasserernährung. Nach Bedarf wird
Zucker, Eichelkaffeeabsud, Mehl, Malzextrakt zugesetzt, durcl:
steigenden Zusatz von Tiermilch wird zur gewöhnlichen Ernährung
zurückgekehrt.
Aram-Köln: Das deutsche, österreichische, französische, russi¬
sche und englische Militärsanitätswesen. (Schluss aus Nr. 35.)
II. Oesterreich-Ungarn.
Feuilleton. V. C z e r n y - Heidelberg: Aus Verwundeten¬
lazaretten. Bergeat - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Rostock. August 1914.
Eymann Leo: Kontaktkarzinom der Conjunctiva palpebrae und der
Kornea. ,
Reid George: Beiträge zur Kenntnis der chemischen Natur unü
des biologischen Verhaltens des Rizins.
Bulkowstein Itzko (Isaak): Beiträge zur Kenntnis der Wir¬
kungen und Bestandteile der Hauhechelwurzel.
Stahnke Ernst: Tätigkeit der Niere während der Geburt.
David Adolf: Ueber zwei neue Quecksilberverbindungen.
Felke Johannes: Ueber die Giftstücke der Samen von Jatroplia
Curcas L.
Hotzen Adelbert: Ueber die Dauererfolge der operativen Therapie
bei Extrauteringravidität auf Grund von 82 in der Rostocker
Universitäts-Frauenklinik operierten Fällen.
Pr ein Fritz: Die Entwicklung des vorderen Extremitätenskelettes
beim Haushuhn.
Heinrich P(aul): Einige Beiträge zur Kenntnis des biologischen
Verhaltens von Convolvulin und Jalapin.
Hesse! Ewald: Beiträge zur Kenntnis der Bestandteile und Wir¬
kungen der Strophanthusdrogen.
Univerität Würzburg. August 1914.
Hohmann Adolf: Ueber Zysten des Larynx.
Rabanus Ernst: Beitrag zur diffusen Meningealkarzinose.
Schulte H.: Ueber die Gefahr einer Quecksilbervergiftung hei
Zahnärzten.
Suzuki Shigenobu: Zur Frage der Selbständigkeit der Langer-
hans sehen Inseln.
22. September 191-4.
MUFNCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1977
Vereins- und Kongressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 24. Juni 1914. (Schluss.)
Vorsitzender: Herr Bencke.
Schriftführer: Herr S t i c d a.
Herr Lehnerd t: Zur Kenntnis der Rumination im Säuglings-
iltcr.
\ortr. teilt einen Fall von Rumination bei einem Säugling mit,
er im Altei von 7 Monaten mit einem Gewicht von nicht ganz 3 kg
ur Aufnahme kam. Das Kind soll sich die ersten 3 Monate bei Brust-
rnährung leidlich entwickelt haben, doch soll schon von Geburt an
tuas Erbrechen bestanden haben. Nach dem Absetzen von der
b.itterbrust wurde das Kind mit Schweizermilch ernährt; bei dieser
lahrung trat fast nach jeder Mahlzeit Erbrechen auf. das Kind kam
nrner mehr herunter und auch ein 2 Monate später vorgenommener
\echsel der Nahrung konnte das Erbrechen nicht beseitigen und die
irtschreitende Atrophie nicht aufhalten. Die Untersuchung ergab
usser der hochgradigen Atrophie an den inneren Organen keine
(esonderheiten. . Der Bauch war eingesunken und auf den dünnen
>auchdecken zeichneten sich die Konturen der Darmschlingen ab.
i schcinungen von Pylorospasmus (Pylorustumor, Magenversteifung
nd von links nach rechts über das Abdomen verlaufende peristaltische
y eilen) wurden nicht beobachtet. Nach der Aufnahme auf die Säug-
ngsstation war die Nahrungsaufnahme anfangs sehr schlecht. Wir
atten zunächst den Eindruck, dass das Kind schlecht schlucken
onnte; wie die Untersuchung mit der Sonde ergab, lag aber ein
indernis nicht vor. Ausserdem wurde z. T. schon während des
rinkens, z. T. gleich nach der Nahrungsaufnahme fast alles Ge-
assene wieder herausgebracht. Eine genaue Beobachtung ergab,
ass es sich dabei nicht um ein eigentliches Erbrechen handelte,
indem um einen Vorgang, der sich am besten mit dem Wieder¬
auen vergleichen lässt. Das Kind machte kurze Zeit nach der
arhungsaufnahme eigentümliche Kaubewegungen, bei denen der
nterkiefer mehrere Male stark nach abwärts bewegt wurde, bis
is eben Genossene wieder in die Mundhöhle zurückgeflossen war
enn das Kind bei dem geschilderten Vorgang auf der Seite lag,
i floss ein Teil des Inhaltes der Mundhöhle heraus, der Rest des-
Iben wurde unter Kaubewegungen allmählich wieder herunter-
■schluckt. Meist trat dieses Wiederkäuen sehr bald nach der
ahi ungsaufnahme auf, seltener erst längere Zeit nach derselben,
it dem typischen Erbrechen hatte dieser Vorgang nichts gemeinsam:
ne Mitbeteiligung, der Bauchpresse konnten wir nicht beobachten.
• ist klar, dass bei diesem Modus ein grosser Teil der aufgenommenen
ihrung in Verlust ging und fast gar keine Nahrung in den Magen-
rmkanal gelangte. Infolge dieser ganz minimalen Nahrungs-
fnahme war die Urinsekretion sehr gering und die Stühle zeigten
s Aussehen und die Konsistenz typischer Hungerstühle. Wir
achten, nun einen Versuch mit der Zufütterung breiiger Nahrung in
r Hoffnung, durch eine festere Konsistenz der Nahrung das stets
hr leicht vor sich gehende Zurtickfliessen des Mageninhaltes in den
md zu verhindern und gingen, als tatsächlich bei dieser konsisten-
-en Nahrung das Ruminieren nachliess, dazu über, durch Zusatz
n Mondamin auch der Flaschennahrung eine festere Konsistenz zu
rleihen. Unter dieser Therapie stiegen die Trinkmengen an, das
»rpergewicht nahm zu, die Stühle wurden besser und die Urin-
cretion reichlicher. Sehr auffallend war, dass es gelang, das Kind
rch Drohen am Ruminieren zu verhindern. Auch an dere Beob-
tungen ergaben, dass es sich zweifellos um ein neuropathisches
id handelte. Trotz der zweifellosen Besserung ging das Kind, das
rch die seit 4 Monaten bestehende Ernährungsstörung offenbar
ion zu schwer geschädigt war, nach 10 tägigem Aufenthalt in der
nik an einer relativ geringfügigen Bronchopneumonie zugrunde,
i der Sektion konnten im Oesophagus, Magen und Dünndarm
endwelchc pathologische Veränderungen nicht festgestellt
rden. Im Anschluss an die geschilderte eigene Beobachtung be-
icht Vortr. die übrigen 14 bisher in der Literatur niedergelegten
Je von Rumination im Säuglingsalter. Das eigentliche Wesen und
Aetiologie der Säuglingsrumination ist noch nicht geklärt. Vortr.
eilte mit der Mehrzahl der Autoren die sog. Ruminatio der Säug¬
te als eine in ihrem Wesen noch ungeklärte Motilitätsneurose des
gens auffassen.
Herr Beneke: Ein Fall von Pcnicillium glaucum in der Lunge.
Die Aspergillusmykosen der Lunge sind seit langer Zeit bekannt;
:h andere Pilzformen (Mucor, Oidina) sind gelegentlich in der
ige beobachtet worden. Ich hatte Gelegenheit, kürzlich eine
'ke Entwicklung von Penicillium glaucum in einer Lungengangrän
sehen; da anscheinend die Literatur einen ähnlichen Fall noch
1 nt aufweist, so erlaube ich mir ihn hier mitzuteilen.
Es handelte sich um einen 59 jährigen Arbeiter, dessen Körper
Anschluss an Nephritis und chronischen Darmkatarrh hochgradig
emagert war. Die rechte Lunge enthielt im überlappen einen
I s seren Zerfallsherd gangränöser Beschaffenheit, welcher allem
'Chein nach auf Grund einer Embolie der zugehörigen Lungen-
tne entstanden war; Infarzierung der Lunge lag nicht vor. Der
d bildete eine mässig grosse Kaverne mit fetzigen Rändern; dic-
,e enthielt eigentümlich dicke, an zusammengerollte Pflaumen¬
schalen erinnernde dunkelgelbgraue Ballen, welche unmöglich in
dieser Grösse durch die Bronchi in die Kaverne gelangt sein konnten.
Ine Diagnose wurde demgemäss auf Pilzwucherung gestellt, obwohl
die charakteristische Aspergillusfärbung nicht vorlag. Die Ballen
lagen locker auf der eiterreichen Kavernenwand; eine Einwucherung
in das Lungengewebe bestand nirgends. An anderen Stellen der
Lungen wurde nichts ähnliches beobachtet.
Hie mikroskopische und kulturelle Untersuchung ergab, dass cs
j1., l,m , Penicillium glaucum handelte. Ausserordentliche
dichte 1 ilzrasen bildeten die Ballen; eine Entwicklung der Pilze in
das Lungengewebe hinein fand sich nirgends.
Die Beobachtung bestätigt die bei Äspergillenmykosen von mir
regelmässig festgestellte,, auch in der Literatur mehrfach hervorge-
^obene Beziehung des Schimmelpilzwachstums zu einer vorherigen
Schädigung des Lungengewebes durch Arterienembolie. Wie weit im
vorliegenden Falle die eitriggangränöse Entzündung auf die Wirkung
der P’ilzrnassen zurückzuführen war, Hess sich nicht entscheiden.
Dass die letzteren von Bedeutung sein konnten, war mir nicht wahr-
scheinlich. Denn die Pilzfäden erinnerten in hohem Masse an einen
Fall von Fadenpilzmykose des Magens (Geschwürsbildung), welchen
ich vor einigen Jahren beobachtet habe (Frankf. Zschr. f. Pathol. VII.
1911), und welcher ein Pendant zu einem gleichzeitig von Mar-
chand beschriebenen Fall (Verhdl. d. D. pathol. Gesellsch. 1910.
AlV.) darstellt. Die eitererregende und nekrotisierende Wirkung der
Pilze auf das Magenwandgewebe fiel damals in beiden Fällen auf;
die Natur der Pilze war beide Male kulturell nicht festgestellt worden’.
Die mikroskopische Aehnlichkcit der damals beobachteten Pilzfäden
mit den Wucherungen in der Lunge ist auffallend genug, um die Ver¬
mutung einer Identität zu rechtfertigen, so dass der Gedanke nicht
fern liegt, dass die in das durch die arterielle Embolie geschwächte
Lungengewebe gelangten Pilzkeime hier den Autor zu dem eigen¬
tümlichen gangränösen Zerfall gegeben hätten.
Dass die Lungenembolie von Bedeutung für die Pilzwucherung
war, ist mindestens sehr wahrscheinlich. Sind auch die Lungenab¬
schnitte mit arterieller Embolie scheinbar meist ganz frei von ana¬
tomischen Veränderungen, vor allem Infarzierungen, so scheinen doch
chemische Veränderungen in den betr. Gebieten vorzukommen.
Darauf deuten m. E. die gerade in solchen Gebieten bisweilen nach¬
weisbaren sog. Kalkmetastasen der Lunge; die lokalisierte
Kalkablagerung in solchen Fällen deutet wohl auf eine besondere che¬
mische Attraktion der anämisierten Gewebeteile. Diese Verände¬
rung schafft vielleicht auch einmal für die Entwicklung von Pilzsporen
günstigen Boden.
Naturwissenschaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sektion für Heilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 16. Juli 1914 in der chirurgischen Klinik.
Vorsitzender: Herr Lexer:
Schriftführer: Herr Berger.
Vor der Tagesordnung:
Herr Berger: Ueber Gehirnfieber.
Eine 26 jährige, bis dahin gesunde Arbeiterfrau erkrankte am
30. V. 14 unter epileptiformen Anfällen und wurde am 9. VI. der
psychiatrischen Klinik überwiesen. Es bestand der Verdacht eines
Tumor cerebri, und auf Grund der Perkussionsempfindlichkeit und
anderer Lokalsymptome wurde zur Klärung der Diagnose für eine
eventuelle Operation am 4. VII. 14 die Hirnpunktion über dem Stirn-
hirn ausgefiihrt. Es wurde bei der Patientin beiderseits etwas nach
aussen von dem Tuber frontale punktiert und je ein langer Hirn¬
zylinder gewonnen, dessen mikroskopische Untersuchung ein nor¬
males Aussehen ergab. Es fand sich aber bei der Punktion eine
ziemlich beträchtliche Flüssigkeitsmenge im Subarachnoidealraum,
während die Ventrikel nicht erweitert erschienen.
Bei der Patientin, die bis dahin kein Fieber gehabt hatte und am
Abend nach der Punktion schon 37,4 in der Achselhöhle mass, stellte
sich am nächsten Morgen hohes Fieber bis zu 38,8 ein, das sich auf
ziemlich gleicher Höhe erhielt und erst am Morgen des 10. VII. (am
6. Tage nach der Punktion) rasch zu der Norm abgefallen war.
Während des Fiebers bot die Patientin keinerlei meningitische Er¬
scheinungen dar, und bestanden keine sonstigen körperlichen Er¬
scheinungen, die das Fieber hätten erklären können. Patientin fühlte
sich im Gegenteil sehr wohl, so dass ich immer wieder an dem Vor¬
handensein des Fiebers zweifelte, von dem ich mich aber durch die
unter allen Vorsichtsmassregeln ausgeführten Thermometer¬
ablesungen überzeugen konnte.
Bekannt ist, dass im Tierexperiment der sogen. Wärmestich
— eine Punktion des Nucleus caudatus — die Gehirnhyperthermie
hervorruft. Bei der Patientin ist auf die Hirnpunktion auf der rechten
Seite, wo tiefer cingegangen wurde, um die Weite der Seitenventrikel
festzustellen, der Nucleus caudatus getroffen worden. Der daselbst
genommene Hirnzylinder enthält nämlich auch graue Substanz, deren
Nervenzellen bei einer Vergleichung sich unschwer als dem Nucleus
caudatus zugehörig erkennen lassen. Irgendwelche Folgeerschei¬
nungen haben sich bei der Patientin nicht eingestellt.
Tagesordnung:
Herr Werner: Ueber den fazialen Typus der Leukämie.
Vortr. berichtet über einen Fall von einseitigem Exophthalmus,
der sich im Laufe von 4 Wochen entwickelte und bedingt war durch
1978
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 38.
einen von der linken Tränendrüse ausgehenden Tumor. Die Eltern
der 5 jährigen Patientin hatten erst kurz vor der Einlieferung in die
Augenklinik bemerkt, dass das Kind sehr matt und ruhig war und
auffallend blass aussah. Das Blutbild zeigte das typische Bild einer
akuten lymphatischen Leukämie: 40 Proz. Hämoglobin, 1 648 000
Erythrozyten, 33 400 weisse Blutkörperchen, davon 92 Proz. Lympho¬
zyten, 6 Proz. polymorphkernige Leukozyten, 2 Proz. Uebergangs-
formen. Unter den Lymphozyten waren nur sehr wenig kleine zu
finden, meist waren es sehr grosse atypische Zellformen mit sehr
grossen schwach färbbaren Kernen, auch waren einzelne Rieder¬
formen vorhanden.
Auffallend war, dass ausser dem linksseitigen Orbitaltumor und
einigen sehr kleinen Drüsen am Hals keine Vergrösserung der
Drüsen, auch im Röntgenbilde, nachweisbar waren. Ebenso waren
Milz und Leber nicht nachweislich vergrössert.
Da der Exophthalmus sehr schnell zunahm und die Lider den
Bulbus nicht mehr bedecken konnten, so wurde trotz der infausten
Prognose ein operativer Eingriff vorgenommen, um das noch sehende
Auge vor dem Zugrundegehen zu schützen. Es wurde die linke
Tränendrüse und der grösste Teil des Tumors unter Erhaltung des
Auges entfernt, so dass der Bulbus in die Orbita zurückgelagert
werden konnte. Der Verlauf der Erkrankung war sehr progressiv.
Es kam zu einem rapiden Kräfteverfall, Purpura ähnliche Hämor-
rhagien, sowie geringe Drüsenschwellungen am ganzen Körper traten
auf. Die Krankheit verlief unter dem Bilde einer pyogenen Allgemein¬
infektion. Der Hämoglobingehalt sank bis auf 15 Proz., während der
Zellgehalt des Blutes fast der gleiche blieb: erst einige Tage vor
dem Tode trat eine myeloische Metaplasie auf. 10 Tage ante mortem
waren ausgedehnte Netzhautblutungen nachweisbar.
Merkwürdig war der histologische Befund des exstirpierten
Tumors. In einem Teil war normales Tränendrüsengewebe mit
starker Hyperplasie des lymphatischen Gewebes yorhanden, während
der eigentliche Tumor das Bild des Epitheloidzellensarkoms bot.
Da die Eltern das Kind gegen unseren Willen aus der Klinik
nahmen, so konnte leider der Fall nicht bis zuletzt beobachtet werden,
vor allem fand der Zusammenhang zwischen Tumor und Blutbild
keine volle Klärung. Aber man ist geneigt nach dem hämatologischen
und histologischen Befund den Fall als eine Leukosarkomatose
Sternbergs aufzufassen. Nach Mitteilung des behandelnden
Arztes starb das Kind wenige Tage nach der Entlassung; die Er¬
krankung hatte in 2 Monaten zum Tode geführt.
(Eine ausführlichere Mitteilung wird an anderer Stelle er¬
scheinen.)
Diskussion: Herr Stock: Obgleich die Patientin uns aus
der Klinik gegen unseren Willen fortgeholt worden ist, möchte ich
die Mitteilung des Krankheitsbildes doch für erlaubt halten.
Wenn man das Krankheitsbild der Leukosarkomatose (Stern¬
berg) anerkennt, so gehört dieser Fall ganz sicher in diese
Kategorie. Zuerst Tumor in der Orbita — typisches Sarkom nach
der anatomischen Untersuchung — bei subjektivem Wohlbefinden.
Dann Müdigkeit, schlechtes Aussehen, also Allgemeinsymptome erst
später. Es liegt sehr nahe anzunehmen, dass das Sarkom in die
Blutbahn eingetreten ist und zu einer Sarkomatose des Blutes ge¬
führt hat.
Herr H i 1 1 m a n n: Ueber Vergiftungen durch Nitrosedämpfe.
(Der Vortrag erscheint als ausführliche Arbeit an anderer Stelle.)
(Schluss folgt.)
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 26. März 1914.
Vorsitzender: Herr Habs.
Herr Kamann demonstriert ein durch Laparotomie bei einer
21 jähr. Frau gewonnenes mehrkammeriges Cystadenoma ovarii von
35 Pfund Gewicht. Die Trägerin hatte 8 Wochen vorher ein reifes
Kind geboren.
K. berichtet ferner über einen Fall von Hämatokolpos und bis
zum Nabel reichender Hämatometra ohne Hämatosalpingen bei einem
16 jährigen Mädchen. Laparotomie, Inzision der vaginalen Atresie.
Heilung.
Herr Hilger: Ueber Suggestion. Beeinträchtigt die Suggestion
die Freiheit des Urteils und des Willens?
I. Vortr. geht von der Betrachtung des psychischen Reflexes aus.
Unter psychischem Reflex verstehen wir (im Anschluss an R i c h e t
und Moll) eine Reflextätigkeit, die nicht durch den direkten körper¬
lichen Reiz, sondern durch die Vorstellung, das Erinnerungsbild eines
solchen körperlichen Reizes hervorgerufen ist. Z. B. ist die Speichel¬
sekretion, die beim Zerkauen einer Speise entsteht, im wesentlichen
auf einen körperlichen Reflex zurückzuführen, während die Speichel¬
sekretion, welche beim Anblick einer solchen Speise vor sich
geht, einem psychischen Reflex ihre Entstehung verdankt. Nach den
Forschungen von J. P. P a w 1 o w und seinen Schülern ist das Produkt
der Sekretion — der entstandene Speichel — in beiden Fällen genau
dasselbe. Hierher gehört auch folgender Versuch der Pawlow-
schen Schule. Man liess experimenti causa bei jeder Fütterung der
Versuchshunde eine Glocke ertönen Es zeigte sich dann, dass
fernerhin, auch wenn man dem Versuchshunde keine Speise reichte
oder vorzcigte, lediglich durch den Ton der Glocke eine Speichel¬
sekretion ausgelöst wurde. Die Wahrnehmung des Glockentones
hatte sich durch die Gewohnheit, die Einübung so fest mit der Vor¬
stellung, dem Erinnerungsbild der Fütterung verankert, dass diese
Wahrnehmung genügte, um das Erinnerungsbild der Fütterung an¬
zuregen und hierdurch den psychischen Reflex zur Auslösung zu brin¬
gen. Die Wirkung der Gewohnheit tritt beim Menschen am augen¬
fälligsten hervor bei den störenden Gewohnheiten, z. B. wenn
jemand die Gewohnheit hat, nur in ganz bestimmter Umgebung, im
warmen oder im kalten Zimmer, im dunklen oder im hellen Zimmer
zu schlafen und, falls diese Bedingungen nicht erfüllt sind, absolut
nicht einschlafen kann. Oder wenn jemand die fatale Gewohnheit
hat, etwa nachts seinen Stuhlgang verrichten zu müssen oder Urin
zu entleeren usw. Auch bei unseren Bewegungsorganen beobachten
wir die Wirkung schlechter Gewohnheiten.
Durchaus analog der Gewohnheit wirkt das Vorbild. Das all¬
täglichste Beispiel eines durch das Vorbild ausgelösten psychischen
Reflexes bietet die „ansteckende“ Wirkung des Gähnens. Der An¬
blick eines gähnenden Menschen erweckt in uns die Vorstellung des
Gähnreflexes und diese Vorstellung löst in uns den Reflex aus. Das¬
selbe gilt unter ähnlichen Umständen vom Brechreflex, vom Husten¬
reflex (s. z. B. Czerny: Ther. Mh. 22. H. 12), von der „anstecken¬
den" Wirkung der Chorea, des Stotterns.
Das Studium der psychischen Reflexe, speziell auch der durch
die Gewohnheit, das Vorbild ausgelösten, ist in besonderem Masse
geeignet, die psychologische Tatsache zu illustrieren, dass jedes Er¬
innerungsbild, jede Vorstellung bis zu einem gewissen Grade die Ten¬
denz hat, selbständig ihre Wirkung zu entfalten. Toute idee tend ä
se realiser (Bernheim).
Es ist wichtig, bei einer Diskussion über die Suggestion sich
dieser Verhältnisse zu erinnern. Es ist wichtig, sich klar vor Augen
zu halten, dass wir hier Reaktionen vor uns haben, die durch das
Geistesleben zustande kommen, die aber keineswegs einer Ueber-
legung oder Willenstätigkeit entspringen, sondern eben durch reine
Assoziationswirkung mechanisch, automatisch entstehen.
Zugleich ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass alle diese
Reaktionen nicht nur als Störungen auftreten, sondern dass es
auch gute Gewohnheiten (z. B. das regelmässige Auftreten des
Schlafes zur bestimmten Stunde, das pünktliche Auftreten des Stuhl¬
ganges zur bestimmten Zeit (unabhängig oder in hohem Grade un¬
abhängig von der genossenen Nahrung) und gute Vorbilder (z. B.
das „Vormachen“ des Vorturners, das Verhalten jedes standhaften
Menschen) gibt, und dass wir diese guten Gewohnheiten und guten
Vorbilder zur Behandlung unserer Patienten zu Hilfe nehmen können.
II. Dieselbe Rolle wie bei der Auslösung von Reflexen und Be¬
wegungen kann das Erinnerungsbild bei der Bildung eines Urteils
spielen. Denken wir an den Fall z. B. bei dem Mediziner im ersten
Semester, der auf dem anatomischen Institut an dem Muskelfleisch
der stinkenden Leiche gearbeitet hat und nun, wo er zum Frühstück
stück geht, findet, dass das rohe Fleisch, das er sonst gerne gegessen
hat, ihn anwidert. Oder nehmen wir an, es setzt uns jemand unsere
Mahlzeit in einem Geschirr vor, das momentan zwar frei von frem¬
den Bestandteilen ist, aber für gewöhnlich unappetitlichen Zwecken
dient (z. B. einem Nachtgeschirr). Nach ihrer objektiven Beschaffen¬
heit ist unsere Speise genau dieselbe wie vorher, aber das wider¬
wärtige Erinnerungsbild (im einen Falle der Leiche, im anderen Falle
des Urins etc.) ist überwertig geworden, und es kann so stark sein,
dass wir nicht bloss sagen: mir ist es, als wenn die Speise widerlich
wäre, sondern dass wir ganz bestimmt das Urteil aussprechen: diese
Speise ist mir widerlich, oder dass wir sogar behaupten, dass dies
an der Speise liegt und sagen: die Speise ist widerlich. Ein solches,
durch das Erinnerungsbild beeinflusstes Urteil nennen wir ein sub¬
jektiv bedingtes oder befangenes Urteil, im Gegensatz zu dem ob¬
jektiven oder freien, unbeeinflussten Urteil.
Eine besondere Bedeutung für die subjektive Beeinflussung
unseres Urteils hat nun die Sprache. Sie ist Träger von Erinnerungs¬
bildern. So wie das Glockensignal bei dem zitierten Versuche der
P a w 1 o w sehen Schule dem Versuchstiere die Vorstellung der Füt¬
terung ins Bewusstsein ruft, so rufen Worte wie Leiche, Urin etc.
die Vorstellung der entsprechenden widerwärtigen Objekte dem In¬
dividuum ins Bewusstsein. Deshalb spricht auch ein wohlerzogener
Mensch bei Tische nicht von solchen Objekten. „So etwas nimmt
man bei Tische nicht in den Mund.“ Die Sprache bietet uns akustische
Symbole, sie ist Ausdrucksb'ewegung. Sie ist aber nicht nur Aus¬
drucksbewegung für die Erinnerungsbilder einzelner Objekte, sie ist
vielmehr auch Ausdrucksbewegung für ganze psychische Zustände.
Der klagende Ton des Trauernden, Leidenden, der wegwerfende Ton
dessen, der Abscheu fühlt, der charakteristische Ton des Gclang-
weilten, der bestimmte Ton des Ueberzeugten resultieren aus Aus¬
druckbewegungen, die durchaus analog auf uns wirken, wie das
Gähnen des gelangweilten Gähnenden, wie das Ausspeien oder gar
Erbrechen dessen, der Abscheu od£r Ekel fühlt. Diese Ausdrucks¬
bewegungen sind dieselben, die wir selbst in demselben Geistes¬
zustände äussern würden und sie sind psychisch in uns so fest mit
den entsprechenden Vorstellungen verankert, dass sie imstande sind,
in uns den entsprechenden Geisteszustand mit derselben oder noch
grösserer Kraft zu erwecken, wie es z. B. der Anblick eines ent¬
sprechenden Gegenstandes tun würde. Das ist der Kernpunkt der
Psychologie der verbalen Suggestion.
22. September 1914.
MUhNCHHNER MEDIZINISCH!: WOCH ENS C M R I FT.
1979
Vortr. schliesst sich hier durchaus der Definition von Th. L i p p s
in: „bin suggeriertes Urteil ist ein Urteil ohne stichhaltige, objektive
aründe . (Uebngens beabsichtigt Vortr. auf die Definition des Be-
rriffcs Suggestion noch in einem ferneren Aufsatze zurückzukommen.)
Die Suggestion wirkt also durchaus analog der Gewohnheit (der
::niibung). Beide wirken lediglich durch Assoziation automatisch,
eilektonsch, instinktiv. Sie gehören beide zum sogen, niederen
ieistesleben. Natürlich können wir unser höheres Geistesleben,
aisere Kritik, unseren Verstand, unsere Logik den Einwirkungen der
Suggestion entgegensetzen. Dies geschieht, indem wir uns „zu-
ammennehmen . d. h. unsere psychische Kraft den Gegenvorstel-
ungen zuwenden, also in unserem Falle der Gegenvorstellung, dass
iie Speise doch eine gute ist. Immer aber werden wir mit diesen
aktoren des niederen Geisteslebens zu rechnen haben, und es gibt
alle, wo diese Faktoren des niederen Geisteslebens stärker sind
:e unsere Logik, wie unser Wille. Selbstverständlich können aber
uch die Ausdrucksbewegungen anderer unser Urteil zugunsten einer
•peise beeinflussen. Wenn wir andere so recht mit Behagen eine
•peise verzehren sehen, oder wenn wir sie dieselbe so recht von
lerzen lojen hören, so kann das dazu führen, dass wir von da ab
uch selbst oiese Speise gern essen. Dies ist sicher mit ein Grund,
/eshalb es Nationalgerichte und Provinzialgerichte gibt — es wird
ben das Wohlgefallen an der Speise suggestiv von einer Familie
j ^ m von einer Generation auf die andere übertragen,
nd natürlich können wir auch diese Tatsache für die Behandlung
nserer I atienten verwerten. Wir können eben auch einem Men-
:heii. der an krankhafter Abneigung gegen eine für seine Ernährung
otwendige Speise leidet, diese Speise durch gutes Zureden wieder
nnehmbai machen. Wir können so sein durch Idiosynkrasien etc.
efaiigenes Ihteil wieder freimachen. Aus diesen Ausführungen folgt:
ic Freiheit des Urteils kann durch die Suggestion beeinträchtigt
erden, sie kann aber auch durch die Suggestion gefördert werden
- es kommt darauf an, wie und was suggeriert wird.
III. Da aus unseren Werturteilen die Motive für unsere Willens-
itigkeit resultieren, so ist mit der Beeinflussung der Werturteile
;lion eine Beeinflussung unseres Willens gegeben. Unter freiem
ulen \ erstehen wir einen solchen Willen, bei dem die höheren
ertvolleren Motive frei die Willenshandlung bestimmen, unbeein-
acntigt durch die niederen, minderwertigen Motive, unbeeinträchtigt
)er auch ourch schlechte Gewohnheiten, schlechtes Vorbild, mangel-
1 teiL ^ • s*Yer^raueiE Vorherrschen der niederen minderwerti-
.n Motive finden wir bei dem Trunksüchtigen. Selbstverständlich
erden wir bei der Behandlung der Leidenschaft des Trinkers, die ihn
i einem unfreien Menschen macht, an das höhere Geistesleben des
identen appellieren, wo immer dies nur angeht. Wir werden ihm
ine Flüchten gegen seine Familie etc. ins Bewusstsein rufen, wir
er Jen ihn über die Schädigungen aufklären, die der Alkohol an-
-r.ten kann und schon angerichtet hat. Wir werden mit dieser
n, Wirkung auf das höhere Geistesleben in manchen Fällen zum
eie kommen. Da, wo wir damit nicht zum Ziele kommen, müssen
ir die raktoren des niederen Geisteslebens anwenden. Schon wenn
lr den Trinker in eine Trinkerheilstätte aufnehmen, wenden wir
len sehr wesentlichen Faktor des niederen Geisteslebens, die Ge-
ohnheit an. Wir gewöhnen den Trinker wieder an eine alkohol-
ue Lebensweise. Und in der Trinkerheilstätte oder auch in einem
istinenzverein lassen wir gleichzeitig auf den Trinker das Vorbild
ier alkoholfreien Umgebung wirken — wir unterwerfen ihn sugge-
yen Einflüssen. Daneben können wir nun auch mit besonderem
tolge die verbale Suggestion anwenden. Wir können durch die ver-
le Suggestion dem Trinker den Genuss seines narkotischen Giftes
ekt verekeln. Gleichzeitig können wir aber auch durch die Sug-
stion das Urteil des Trinkers über sich selbst, sein Selbstvertrauen
nstig beein.lussen, wir können ihm Mut machen.
Wir finden also auch in bezug auf den Einfluss, den die Sug-
:stion auf die Willenstätigkeit ausüben kann, dass es ganz darauf
jkommt, was man suggeriert. Es gibt schlechte und es gibt gute
• ggestionen, so wie es schlechte und gute Gewohnheiten gibt. Man
nn durch schlechte, böswillige Suggestionen die Freiheit des Wil-
is bei einem Menschen beeinträchtigen und man kann durch gute,
'hlwollende Suggestionen die Freiheit des Willens fördern.
Einige Autoren, z. B. D u b o i s - Bern, haben sich befleissigt,
; ' Ausdruck Suggestion nur da anzuwenden, wo es sich um schlechte
ggestionen, z. B. pathogene Autosuggestionen handelt. Dies ist
5 terminologische Verirrung. Man kann unmöglich einer, und den-
nen psychischen Mechanismus mit verschiedenen Ausdrücken be¬
kennen. Wollte man nur in den Fällen von Suggestion sprechen,
' üer suggestive Einfluss entgegen den Interessen des Individuums
ne Wirkung entfaltet, so wäre das dasselbe, als wenn man nur
jenigen Gewohnheiten als solche bezeichnen wollte, welche einen
’iaaiichen Einfluss auf das Handeln des Individuums ausiiben oder
wenn man einem Wasserlaufe nur dann Strömung zuerkennen
‘ te- wenn man sieht, wie er imstande ist, der Fahrt eines Motor-
> es entgegenzuwirken — nicht aber dann, wenn das Motorboot
. 1 denJ »trome fährt. Im letzteren Falle ist die Wirkung des
-omes kerne so auffällige und kleine, schwächere Strömungen wer-
• a-r da? des Laien möglicherweise nicht sichtbar werden,
i. wissensc^aftliche Betrachtung sind aber beide Wirkungen
h Massgabe der Naturgesetze absolut gleich
Pc PCir y^rtraK wird in extenso in der Zschr. f. Psychother. u. med.
Psychol. (F. Enke, Stuttgart) erscheinen.
Herr Vogt: Die Behandlung der Lungentuberkulose Im Kindes¬
alter. (Ist erschienen im Juniheft 1914 der Ther. d. Gegenwart.)
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10. Juni 1914.
Vor der Tagesordnung:
Herr Herzog: Demonstration eines Falles von allgemeiner Be¬
haarung und Frühreife bei 3 jährigem Kinde.
Diskussion: Herr L i s s m a n n, Herr Herzog.
/*r , err v" Notthafft: Aus der modernen Gonorrhöetherapie.
(Vortrag erscheint in der M.m.W.)
Poe Pv^y.55^0";. Herr Nassauer berichtet in Kürze über die
Kesultate, die ihm die nunmehr seit 6 Jahren geübte Pulverbehand-
d!rr w.e 1 bl. Chen Gonorrhöe ergeben hat. Er freut sich, dass
nach den Ausfuhrungen des Redners die konservative Behandlung
tUhClSei ,3er Qonorrhöe der Männer an Ausbreitung zuzunehmen
Tnn Ho war bei der Begründung der Pulverbehand-
lung der weiblichen Gonorrhöe von der Bolus alba ausgegangen.
Analog den Anschauungen des Vortragenden hat er in den letzten
“",etb 'en anderen auch mit den Silberpräparaten Versuche
Ä d -Jq-iu61 deu. (J°norrhöe der weiblichen Kranken und
auch Kinder mit Silberverbindungen der Bolus sehr gute Resultate
gezeiügt. Er verwendet eine von der Farbenfabrik Bayer- Elber¬
feld hergestellte Silberbolusverbindung, die unter dem Namen Argobol
2 proz. in den Handel gelangt. Ausserdem ein Protargolkolloid 5 proz
der Verwertungsgesellschaft für Montan- und chemische Industrie,
Mainz. Diese feinen Pulver werden mittels des S i c c a t o r s in die
Scheide zerstäubt. Er verweist noch auf Kolloide von Holzessig;
das schon bekannte 20 proz. Lenizetboluspulver, das die Wirkung der
essigsauren Tonerde zur Geltung bringt und viele andere Pulverver¬
bindungen. In nunmehriger 6 jähriger Erfahrung mit der von ihm
angegebenen Pulverbehandlung des weiblichen Ausflusses, insbeson¬
dre der Gonorrhoe, vermittels des Siccators hat Nassauer die
totale Aushei ung, auch der Ansteckungsmöglichkeit gesehen. In
einer ausführlichen Zusammenstellung seiner Erfahrungen auf dem
Gebiete der weiblichen Gonorrhöe will er demnächst berichten.
h r?-e7 v-‘ N 0 V h a f f t (Schlusswort) stimmt den Ausführungen
des Diskussionsredners zu.
Aufgenommen durch Beschluss der Aufnahmekommission die
n^a fy e ^ Prof- Merkel, Dr. P 1 a n g e, Dr. B a q u e s, Dr. D a 1 1 -
Schluss 10/4 Uhr.
Sitzung vorn 23. Juni 1914.
Herr v. Notthafft: Demonstration (Paraffininjektion).
Diskussion: Herr Hecht.
Herr Craemer: Der biologische Unterricht an den bayerischen
Gymnasien und die neue Schulordnung. (Erscheint in d W )
Diskussion: Herr v. R o m b e r g, Herr Reh.
Herr Dr acht er: Die Gaumenspalte und deren operative Be¬
handlung. (Mit Lichtbildern.) (In Nr. 29, S. 1624 erschienen.)
Durch Beschluss der Aufnahmekommission aufgenommen die
Herren: Drachter, Re usch, Bernhart.
Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.
tnigener Bericht.)
Gemeinsame Tagung mit den südwestdeutschen Kinder¬
arzt e n auf deren 22. Versammlung in Stuttgart, 5. — 7. Juni 1914.
AVU ffenheiraer: Gibt es einen „schädlichen Nahrungs¬
rest beim Säugling? (Erscheint in dieser Wochenschrift )
rrff Diskussion: Herren M o r o, Grosser, Lust und
Uffenheimer (Schlusswort).
Herr Benjamin: Weitere Untersuchungen zum Eiweissnähr¬
schaden des Säuglings.
v jni0r (Ehrung der über denselben Gegenstand in der Zschr. f.
Kindhlk. X, H. 2 — 4 mitgeteilten Untersuchungen. — Die groben Kasein-
klumpen T a 1 b o t s bedeuten nur eine unter dem Einfluss der Roh-
milchernährung auftretende Form der Ausscheidung von Nahrungs-
eiweiss. Es ergab sich bei einem neuen Stoffwechselversuch, dass
der prozentische N-Gehalt des Stuhles annähernd gleich blieb, wenn
von der abgekochten zur rohen Milch übergegangen wurde, und
wenn damit die Entleerung der Klumpen einsetzte. — Die beim
kranken Säugling beobachteten grossen N-Retentionen beruhen
n i c h t auf der Unfähigkeit der Niere, Schlacken des Eiweissstoff-
wechsels zu eliminieren. Funktionsprüfungen mit Harnstoff ergaben
ein dem gesunden Erwachsenen entsprechendes Verhalten. —
Leberernährung mit Eiweiss führte bei jungen Hunden zu einer durch
die Gesamtanalyse der Tiere feststellbaren, wenn auch nur gering¬
gradigen Verschiebung der chemischen Körperzusammensetzung im
Sinne einer Wasseranreicherung. — Es gibt beim Säugling ein durch
grössere Gaben von Plasmon auslösbares Ei weissfieber.
1980
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 38.
Diskussion: Herren Nöggerath, Grosser, Camerer,
Benjamin (Schlusswort).
Herr Siegfried W o 1 f f - Wiesbaden: a) Luftschlucken als
Todesursache.
Es handelte sich um einen 3 Monate alten Säugling.
b) Zur Behandlung des Skierems der Neugeborenen.
Es wird eine Ueberhitzung der Kinder auf 40— 42 " (bei ge¬
nauester Beobachtung und häufiger Messung, um eine länger
dauernde Hitzeschädigung zu vermeiden) empfohlen. Ueber Heilung
in 3 Fällen wird berichtet.
Diskussion: Herren Ibrahim, Koppe, Sieger t,
W o 1 f f (Schlusswort).
Herr Husler: Beitrag zur Kenntnis der intermediären Krampf¬
anfälle.
Unter „intermediären Anfällen“ verstehen wir nach Oppen¬
heim jene funktionellen Krampfformen, die weder genau dem Typus
der Epilepsie noch dem der Hysterie entsprechen. Wegen der Eigen¬
art des kindlichen Organismus, pathogene Reize bei gegebener endo¬
gener Determinierung mit Krämpfen, Bewusstseinsverlust etc. zu be¬
antworten, müssen wir den Begriff der „intermediären Anfälle“ sehr
breit fassen, ln diese Sammelgruppe rechnen wir ein Syndrom, das
charakterisiert ist durch die Kombination des lordotischen Sym-
ptomenkomplexes mit Krampfzuständen verschiedener Art. Wie aus
einer Anzahl Krankengeschichten sich erweisen lässt, ist diese Kom¬
bination nicht eine zufällige Koinzidenz, sondern beruht auf innerem
Zusammenhang der Erscheinungen. Epilepsie lässt sich ausschliessen
durch das Fehlen jeglicher degenerativer Stigmata, hereditärer Be¬
lastung und geistiger Defekte; für Hysterie bestehen keinerlei see¬
lische oder körperliche Anhaltspunkte. Betroffen sind meist Knaben
im Schul- oder Pubertätsalter. Hereditäre Belastung und Neuro¬
pathie fehlen fast immer. Stets sind es vasomotorisch labile Indi¬
viduen, die zu Krämpfen und Bewusstseinsverlust neigen. Die
Kiämpfe selten: etwa alle paar Wochen bis Monate, setzen nach
stehender Beschäftigung ein, aber auch ohne ersichtliche Ursache,
ab und zu auch auf psychischen Anlass. Therapeutisch unbeeinfluss¬
bar weder durch Brom noch Arsen. Prognose anscheinend günstig.
Diskussion: Herten Moro, Sieger t, v. Pfaundler,
Rosenhaupt, Rohmer.
Herr Börger: Ueber 2 Fälle von Arachnodaktylie.
Vergl. die Sitzungen der Gesellschaft vom 28. Nov. 1913,
27. Febr. und 24. April 1914. Zusammenfassende Uebersicht über das
Krankheitsbild mit zahlreichen Demonstrationen. Es handelt sich bei
der Arachnodaktylie um einen angeborenen und partiellen Riesen¬
wuchs, der durch eine mangelhafte Anlage und vielleicht frühzeitige
Erschöpfung des Gesamtorganismus, speziell der Blutdrüsen und
event. des Knochenmarks, bedingt ist.
Diskussion: Herren S i e g e r t und Börger (Schlusswort).
Herr R o h m e r - Marburg: Zur Kenntnis des Asthma cardlale
beim Kinde.
Bericht über einen Fall (6 jähr. Kind; Mitralinsuffizienz, Cor
bovinum). Auftreten des Asthmas 3 Tage vor dem Tod. Eigen¬
artiger Sektionsbefund in einem Herd der rechten Lunge (Ver¬
dichtung, entstanden durch hyaline, die Wände der Alveolargänge
auskleidende Massen).
Herr Gött: Zur Klinik der postdiphtherischen Lähmung.
4 Fälle von postdiphtherischer Polyneuritis zeigten neben mehr
oder weniger schweren paretischen, paralytischen und ataktischen
Erscheinungen ein äusserst lebhaftes Fazialisphänomen sowie sehr
gesteigerte Bauchdcckcn- und vor allem Kremasterreflexe, derart,
dass bei Reizung der reflexogenen Zone des Kremasterreflexes eine
intensive Bauchdeckenkontraktion eintrat. Diese Erhöhung der
reflektorischen, vielleicht auch der mechanischen Erregbarkeit be¬
stimmter Nerven ist wahrscheinlich parallel zu setzen der bei
leichteren Fällen postdiphtherischer Neuritis bereits beobachteten,
der Areflexie vorausgehenden Steigerung der Patellarreflexe, und
aufzufassen als Manifestation einer zunächst noch im Sinne eines
Reizes wirkenden Beeinflussung bestimmter Nervengebiete durch
das Diphtheriegift. Wie überraschend häufig diese Diphtheriegift¬
wirkung aber ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass in einem grossen
Prozentsatz von Fällen ganz glatter Diphtherierekonvaleszenz die
nämlichen Reflexsteigerungen, auch das Fazialisphänomen, für kür¬
zere oder längere Zeit zur Ausbildung gelangen.
Diskussion: Herren Lust und Goett (Schlusswort).
Herren v. M e 1 1 e n h e i m e r - G ö t z k y - Frankfurt >a. M.:
Lues und Schwachsinn.
Bei der Untersuchung von 275 Kindern einer Hilfsschule in
Frankfurt wurden 10 Proz. der Kinder als kongenital luetisch krank
befunden. Um diesen Kindern eine notwendige Behandlung zu teil
werden zu lassen, wurden der Schulbehörde folgende Vorschläge
unterbreitet;
1. Bei der Untersuchung aller Volksschulen ist mehr, wie bisher,
von den Schulärzten auf erbsyphilitische Merkmale zu achten, da
es darauf ankommt, die Krankheit so früh wie möglich zu erkennen
und zu behandeln. Vor allem sind die anamnestischen Daten der
Familien möglichst darauf hin zu prüfen, ob Anhaltspunkte für Lues
vorliegen. (Polymortalität, Aborte, spezifische Erkrankungen des
Nervensystems.)
2. Ganz besonders ist bei der Aufnahme der Kinder in die Hilfs¬
schulen auf Merkmale luetischer Erkankung von seiten des Hilfs¬
schularztes zu fahnden event. unter Zuziehung eines Spezialarztes.
Wünschenswert wäre die Vornahme der Wassermannreaktion bei
allen aufzunehmenden Hilfsschülern (unter Mithilfe einer Schul-
schwester oder einer ähnlichen geeigneten Vertrauensperson).
3. Der Hilfsschularzt muss das Recht und die Pflicht haben,
in geeigneter taktvoller Weise mit den Vätern der als luetisch er¬
kannten Kinder zu sprechen, eine spezifische Behandlung anzuraten
und sich die Durchführung einer zweckentsprechenden Kur von seiten
eines Arztes bescheinigen zu lassen.
Lässt sich dies nicht durchsetzen, so hat eine zwangsweise Be¬
handlung dieser kranken Kinder einzutreten. Die Berechtigung
hierzu ist herzuleiten aus § 1666 des BGB., dessen wesentliche Vor¬
aussetzung ist:
]. die vorliegende Gefährdung des Kindes,
2. das Verschulden des Vaters.
Die Kosten der Behandlung muss das Armenamt übernehmen,
ohne dass der Vater dadurch seine bürgerlichen Rechte einbiisst.
Die Kinder sind als „skrofulös“ den Spitälern zu überweisen. Dabei
ist möglichst zu vermeiden, dass Laien Kenntnis von dem Leiden
dei betreffenden Kinder erhalten.
Diskussion: Herren Nöggerath, Schlesinger,
Koeppe, v. Metten heim er (Schlusswort).
Herr L u s t - Heidelberg: Erfahrungen mit dem Friedmaiin-
sehen Tuberkulosemittel.
Vortr. kommt sowohl auf Grund klinischer Erfahrungen als theo¬
retischer Ueberlegungen zu dem Resultat, dass dem Fried mann-
schen Tuberkulosemittel keinerlei prophylaktische oder therapeutische
Bedeutung zuzuerkennen ist. Die zuweilen beobachteten Besserungen
im Anschluss an die Injektionen waren nicht derartige, dass not¬
wendigerweise ein Kausalzusammenhang angenommen werden
musste, zumal die Fälle mit völlig unverändertem lokalen Befund in
der Ueberzahl waren und nicht selten eine frische Aussaat tuber¬
kulöser Produkte bald nach der Injektion beobachtet wurde, die ein¬
mal sogar zu einer tuberkulösen Meningitis führte. Der Vortr. be¬
zweifelt, dass den Friedmann sehen Bazillen überhaupt ein spezi¬
fischer Einfluss zuzuschreiben ist, da Pirquetisierungen mit einein
Schildkrötcnbazillentuberkulin auch bei vorbehandelten Kindern stets
negativ ausfielen. Daraus ist aber der Schluss zu ziehen, dass di*
Fried mann sehen Bazillen gar keine Antigeneigenschaften im
menschlichen Organismus entfalten, mithin auch zu einer An¬
reicherung von Tuberkulose-Antikörpern gar nicht den Anstoss geben
können. Sie sind wohl nichts anderes als säurefeste Stäbchen, die
dem Menschen gegenüber nur Saprophyteneigenschaften besitzen,
wie sic auch früher schon aus Kaltblütertuberkulosen gezüchtet wurden.
Diskussion: Herren Noeggerath und Lust (Schlusswort).
Herren Noeggerath und Z o n d e k - Freiburg: Ueber
Nephropathien im Kindesalter. (Erschienen in dieser Wochenschrift
Nr. 31 S. 1719.) (Schluss folgt.)
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 35. Jahreswoche vom 30. August bis 5. September 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 10 (8 1), Altersschw. (über 60 Jahre) 6(4), Kindbettfieber — (-),
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft — - (— ), Scharlach — (— ),
Masern u. Röteln — (— ), Diphtherie u. Krupp — (1), Keuchhusten 3 (2),
Typhus (ausschl. Paratyphus) 1 (— ), akut. Gelenkrheumatismus - (-),
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. — (— ), gose (Erysipel) — (1), Starrkrampf — (-),
Blutvergiftung — (1), Tuberkul. der Lungen 15 (22), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 5 (4), akute allgem. Miliartuberkulose — (— ),Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 3 (6), Influenza — (— ), veneri¬
sche Krankh. 1 (— ), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckficber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel¬
fieber usw. — (— ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.)3(6), Alkoholis¬
mus _ ( — )t Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 2 (1), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane 4 ( — ), organ. Herzleiden 12 (14), Herzschlag, Herz-
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) — (3), Arterienverkalkung
4 (2), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 4 (3), Gehirnschlag 7 (9),
Geisteskrankh. 1 (1), Krämpfe d. Kinder 8 (—), sonst. Krankh. d. Nerven¬
systems 6 (10), Atrophie der Kinder 1 (5), Brechdurchfall 5 (3), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 13 (13), Blinddarm-
entzünd. 1 (2), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 2 (4), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 2 (9), Nierenentzünd. * (4),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 5 (1), Krebs 19 (21), sonst.
Neubildungen 1 (3), Krankh. der äuss. Bedeckungen 2 ( — ), Krankh. der
Bewegungsorgane — (1), Selbstmord 4 (2), Mord, Totschlag, auch
Hinricht. — (— ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 27 (9),
andere benannte Todesursachen 4 (1), Todesursache nicht (genau)
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) 2 (— ).
Gesamtzahl der Sterbefälle: 185 (176).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
München, AmuHstraase 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 38. 22. September 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 7.
Aus der I. medizinischen Klinik München.
Die Behandlung des Unterleibstyphus.
Von Ernst R o m b e r g.
Die Verhütung weiterer Ansteckung ist im Felde die wich-
igste Aufgabe bei Behandlung des Unterleibstyphus. Durch
lie vorbeugende Tätigkeit der Sanitätsoffiziere und der be¬
atenden Hygieniker wird es hoffentlich gelingen, grössere
ieuchen durch keimhaltiges Trink wasser, durch Milch u. dergl.
u verhindern oder in den ersten Anfängen zu ersticken. Aber
ast noch mehr als im Frieden gilt im Felde der Satz
Kochs, dass der einzelne Kranke oder der Keime beher-
ergende Mensch die Hauptquelle des Unterleibstyphus ist.
lur bei der Bekämpfung der Ansteckung im einzelnen dürfen
/ir hoffen, dass unser Heer keine zu grosse Zahl von Typhus-
rkrankungen aufweisen wird. Besonders ist der Zustand der
ivilbevölkerung auch in dieser Beziehung zu beachten.
Die Art der wirksamen Verhütungsmassregeln will ich hier
icht besprechen. Die Schutzimpfung wird sich kaum all¬
emein durchführen lassen. Ihre Erfolge sind ja ermutigend ‘),
:e erfordert aber zu viel Zeit. So bleibt die Vernichtung der
om Menschen ausgeschiedenen Keime namentlich in den
tuhlgängen durch Kalkmilch, die Vermeidung des Verschlep-
ens an den Händen der Aerzte und Wärter durch sorgfältiges
\aschen oder, wenn das unmöglich, durch Ueberziehen von
andschuhen bei Beschäftigung mit den Kranken, sowie ge¬
inte Unterbringung der Kranken event. in Seuchen-
izaretten am wichtigsten.
Die Voraussetzung wirksamer Vorbeugung ist die mög¬
est frühzeitige Erkennung der Krankheit. In den
'sten lagen der Erkrankung scheiden bereits 15,6, in der
weiten Woche 23,4, in der dritten 33 Proz. der Kranken
yphuskeime mit dem Stuhl aus 2).
Bei der Unbestimmtheit der subjektiven Beschwerden, bei
-m Auftreten der klassischen Typhuszeichen, der Milzschwel-
ng und der Roseola, erst am Ende der ersten oder im Beginn
-*r zweiten Krankheitswoche, bei dem oft noch späteren Er-
•heinen oder dem nicht seltenen Fehlen der erbsensuppen-
tigen Durchfälle, bei den vielen Fällen mit uncharakte-
stischem Fieberverlauf ist es notwendig, an die Möglichkeit
nes Unterleibstyphus bei jeder fieberhaften Erkrankung zu
■nken, bei der nicht ein eindeutiger Befund diese Annahme
isschliesst. Ein wichtiger Hinweis auf Typhus schien mir
-‘rsönlich meist das Aussehen der Zunge. Schon in der ersten
rankheitswoche ist sie eigentümlich dunkelrot, geschwollen,
esonders an der Spitze und an den Rändern, die vom Belag
^nächst frei bleiben, tritt das hervor. In der späteren Zeit,
imentlich wenn in der dritten Woche bei gut gepflegten
anken der Belag sich ablöst, ist das Aussehen der Zunge
eniger typisch.
I)as sicherste Kennzeichen ist aber der Nachweis der Ba¬
ien im Blute, der von den ersten Fiebertagen bis gegen Ende
r Krankheit bei richtigem Vorgehen fast ausnahmslos gelingt,
mentlich ist es möglich, die bakteriologische Ausrüstung der
j) Bis: Med. Kl. 1914 Nr. 37 S. 1464.
. ^ c h ° 1 1 m ü 1 1 e r : Mohr-Staehelins Hb. d. inn. Med. 1011.
beratenden Hygieniker im Etappengebiet, der Hygieniker bei
den Korpsärzten und der ins Aufmarschgebiet vorausbeförder¬
ten Sanitätsoffiziere weitgehend für die Frühdiagnostik des
Typhus nutzbar zu machen.
Aus einer Armvene, oder wenn das unmöglich, aus dem sorg¬
lich gereinigten Ohrläppchen werden etwa 2— 3 ccm Blut, bei
niedrigem Fieber besser mehr entnommen und sofort in die von
M e r c k - Darmstadt oder L a u t e n s c h 1 ä g e r - Berlin gelieferten
(jallerohrchen gebracht. Im Notfall kann das Blut auch in einem
sterilen Olasröhrchen geronnen zur Untersuchung verschickt werden.
Bei Aufbewahrung irn Brutschrank oder an einem sonstigen ge-
eigneten Platz mit Körpertemperatur sind nach etwa 24 Stunden be¬
wegliche Stäbchen im hängenden Tropfen nachweisbar, deren weitere
bakteriologische Bestimmung natürlich erwünscht ist, die aber doch
die Annahme eines Typhus nahezu sicherstellen.
Viel weniger regelmässig gelingt der Nachweis der Typhus¬
keime in den Stuhlgängen (s. oben) und erst nach lVs— 2 Wochen
fällt die Agglutination positiv aus.
Bei der grossen Häufigkeit der durch Paratyphus-,
besonders Paratyphus-B-Keime verursachten ansteckenden
Magendarmerkrankungen, bei der Möglichkeit, dass diese
Gastroenteritis paratyphosa bei anderen Menschen wirkliche
Allgemeinerkrankungen an Paratyphus mit allen Erscheinungen
des echten Typhus hervorruft, sind auch sie sorglich im Auge
zu behalten. Wurst- und Fleischwaren sind die häufigsten
Ueberträger. Merkliches rasch eintretendes Fieber, sichere
Milzschwellung legen den Verdacht nahe. Auch Herpes und
Gelbsucht sind dabei häufig. Die Zunge hat hier oft nicht
das charakteristische Aussehen. Die Keime finden sich meist
reichlich in den Stuhlgängen, aber viel seltener im Blute. Die
Entleerungen verdächtiger Kranker sind ebenso wie die
Typhuskranker zu behandeln. Aerzte und Wärter haben sich
in gleicher Weise wie beim Typhus zu verhalten.
Auf die grosse Bedeutung der Dauerausscheider
und der völlig gesunden Keimträger für die Verbreitung
des Typhus und des Paratyphus sei nur kurz hingewiesen.
Bei der Behandlung des einzelnen Typhus¬
kranken ist die genügend reichliche Ernährung
für den Erfolg geradezu massgebend. Es muss von Anfang an
alles aufgeboten werden, dem Kranken ausreichende Nahrungs¬
mengen beizubringen. 35 Kalorien pro Kilo und Tag sind das
Mindestmass der erforderlichen Zufuhr. Wünschenswert ist
stets die Aufnahme von 40, 50, bisweilen mehr Kalorien. So
schwierig die Aufgabe oft ist, so ist sie doch mit Hilfe einer
intelligenten Krankenpflege fast immer zu lösen. Es ist er¬
staunlich, wie das Bild des I yphus sich dadurch günstig ver¬
ändert hat. Die früher so gefürchtete Gewichtsabnahme ist
viel geringer oder fehlt ganz, auch ohne dass eine nennens¬
werte Wasserzurückhaltung im Körper erfolgt. Dadurch bleibt
der Kräftezustand viel besser. Das bedrohliche Nachlassen
des Kreislaufs, in Wirklichkeit oft nur die Folge unzureichender
Ernährung, schwerere Erscheinungen an den Lungen. Durch¬
liegen, Furunkel sind viel seltener als früher. Nachschübe und
Rückfälle, Darmblutung und Bauchfellentzündung sind sicher
nicht häufiger. Es ist das Verdienst von Fr. v. Müller 3)
und von Lenhartz4), entsprechend dem Vorgehen ausländi-
) Er. v- Müller: Ther. d. Gegenw. Jan.-Febr. 1904.
) Lenhartz: Zitiert nach S c h 0 1 1 m ü 1 1 e r, Mohr-Staehelin
Hb. d. inn. Med. 1911. 1. S. 506.
1982
Nr. 38.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
scher Aerzte, auch in Deutschland auf die Wichtigkeit aus¬
reichender Ernährung hingewiesen zu haben.
Die erforderlichen Kalorien werden nach meinen persön¬
lichen Eindrücken am besten in flüssiger oder dünnbreiiger Kost
zugeführt. Vor allem gibt man täglich 2 — 2/4 Liter Milch,
event. dazu % Liter Rahm. 4—5 Eier, lässt die Milch z. T.
mit reichlichem Mehl verschiedener Art abrühren, auch dünne
Breie herrichten, gibt Zucker, am besten Milchzucker, zu 30 bis
50 g hinzu. Der Geschmack der Milch kann durch Zusätze
wechselnd gemacht werden. Alkohol ist nur bei Menschen
notwendig, die grössere Mengen gewohnheitsmässig genommen
haben.
Aber auch gegen gewiegtes Fleisch, eingeweichten Zwie¬
back, durchgetriebenes grünes Gemüse habe ich keine grund¬
sätzlichen Bedenken. Im Darm sind alle diese Nahrungsmittel
in den mechanisch sicher unschädlichen Chymus verwandelt.
Nur hatte ich bei den meisten meiner bisherigen Kranken den
Eindruck, dass sie derartige Nahrungsmittel schwieriger
nehmen. Hier bestehen aber wohl grosse individuelle und
regionäre Verschiedenheiten. Die Hauptsache bleibt stets die
genügende Menge von Nahrung. Ist es möglich, gewichts-
mässig die Zufuhr zu kontrollieren, so soll das geschehen.
In der Erholung von der Krankheit kann rasch mit der
Nahrung gestiegen werden.
Eine gute Mundpflege, zweimaliges Putzen der Zähne
mit der Zahnbürste, namentlich am Zahnfleischansatz der Vor¬
der- und Hinterfläche, gründliche Reinigung der Zunge und
der Backentaschen erleichtert die Ernährung durch Erhaltung
des Geschmacks für die Speisen bei allen nicht schwer be¬
nommenen Kranken wesentlich und beugt der unangenehmen
Zahnkaries nach dem Typhus weitgehend vor.
Dass grösste R u h e für den Kranken während des Fiebers
und in der ersten Erholungszeit erforderlich ist, dass auch Be¬
suche, anhaltendes Lesen u. dergl. möglichst zu verbieten sind,
braucht nicht erwähnt zu werden. Nach schwerem Typhus
soll der Kranke etwa 3 Wochen fieberfrei sein, bevor er auf¬
steht. Bei leichteren Erkrankungen kann diese Zeit verkürzt
werden.
Bei schwerem Typhus mit merklicher Trübung des Be¬
wusstseins ist eine gute Lagerung sehr wichtig. Wasser¬
kissen werden im Feld selten zu haben sein; dass sie nicht ge¬
faltet werden dürfen, muss dem Personal immer wieder ein¬
geschärft werden. Luftringe erfüllen bei unruhigen Fieber¬
kranken selten ihren Zweck. Einen vortrefflichen Ersatz bil¬
den weich gefüllte Hirsekissen, über die man noch ein Rehfell
legen kann, um eine möglichst glatte Unterlage für das Bett¬
tuch zu bekommen.
Die Wasserbehandlung spielt heute mit Recht für
die meisten Aerzte beim Typhus eine geringere Rolle als vor
etwa 20 — 25 Jahren. Sie tritt jedenfalls hinter der Bedeutung
ausreichender Ernährung zurück. Die Höhe der Körperwärme
erscheint uns nicht mehr als Grund einer Wasseranwendung,
wenn nicht übermässige Grade, über 41,5° erreicht werden.
Durch vorübergehende Herabsetzung des Fiebers erzielen wir
keine Verbesserung des Verlaufs und üben keinen nützlichen
Einfluss auf die bedrohlichen Organveränderungen. Die durch
Arzneien herbeigeführte Verminderung der Temperatur wirkt
sogar, wenn sie anhaltend durchgeführt wird, unmittelbar
schädlich. Dagegen schätzen wir die Wasserbehandlung sehr
hoch, um einen Kranken aus seiner Benommenheit zu er¬
wecken und um bei ausgedehnten oder stärkeren Erkrankungen
der Bronchien und der Lungen die Atmung anzuregen und so
der weiteren Ausdehnung dieser Störungen entgegen zu wir¬
ken. Diese Anzeigen für die Wasseranwendung sind oft auch
bei mässigem Fieber und nicht immer bei hoher Körperwärme
gegeben.
Am wirksamsten sind Bäder von 32 — 28° C und 5 — 15 Minu¬
ten Dauer mit kurzem, ganz kaltem Uebergiessen von Nacken,
Kehlgegend, Achselhöhlen, Magengrube am Schluss. Sind Bä¬
der nicht zu beschaffen, oder handelt es sich um sehr schwäch¬
liche, blutarme Menschen, erreicht man annähernd dasselbe
durch halbstündige Einpackungen des ganzen Körpers, unter
Umständen auch nur des Rumpfes in nasse Laken von der¬
selben Temperatur mit einer Wolldecke darüber. Auch Ab¬
waschungen können als mildeste Einwirkung verwendet wer¬
den. Mehr als 1 — 2, höchstens 3 Wasseranwendungen am Tage
sind fast nie erforderlich.
Von den zahlreichen Massnahmen, welche durch b e -
sondere Erscheinungen notwendig werden können
will ich nur wenige wichtigere hervorheben.
Wird der Puls schlecht, so spreche man nicht gleich vor
Kreislaufschwäche, sondern überzeuge sich zunächst
ob es sich nicht um eine Folge von Unterernährung handelt
Dann ist durch sofortige reichliche Ernährung auch der Kreis¬
lauf am wirksamsten zu verbessern. Liegt ein Mangel ir
dieser Beziehung nicht vor, gebe man Coffeinum natrobenzoi-
cum (subkutan 2 — 3 mal täglich 0,1 — 0,2), Kampferöl (intra¬
muskulär 2— 3 mal täglich 1,0) oder das bisweilen vortrefflich
wirksame Strophanthin (intravenös höchstens alle 36 — 48 Stun¬
den 0,5 — 0,75 mg).
Bei schwachem Herzen gebe man von vorneherein 3ma.
täglich 0,05 Pulv. fol. Digital, titrat., 0,5 ccm Digalen odt-i
M Tablette Digipurat.
Bei Darmblutung ist, wenn möglich, einen Tag nui
Eismilch in geringer Menge zu geben, während mehrerer Tagt
die Nahrungszufuhr zu beschränken und sind 4 — 5 mal täglich
10 — 15 Tropfen Opiumtinktur zu verabreichen. Zu anregender
Mitteln greife man nicht sofort, weil die erste Blutung fast nie
Gefahr bringt und jede Verstärkung des Kreislaufs die Blutung
erneuern kann. Wirken wiederholte Blutungen zu schwä¬
chend, mache man eine intravenöse oder subkutane Eingiessunt
physiologischer Kochsalzlösung, umwickle die Glieder unt
lagere Kopf und Rumpf niedriger.
Bei Bauchfellentzündung ist so rasch wie mög¬
lich chirurgisch vorzugehen. Jedes Zuwarten verschlechten
die Aussichten, die allerdings auch bei raschestem Eingreifer
zweifelhaft, aber doch wesentlich besser sind.
Die quälende Schlaflosigkeit der ersten Wocher
wird durch Kälteanwendung auf den Kopf, durch 0,3 Pyramiden
0,25 Phenazetin oder Laktophenin am Abend oft sehr wirk¬
sam bekämpft. Genügt das nicht, können kleine Menge Vero-
nal, Luminal oder dergl. unbedenklich gegeben werden. Be
erregten Trinkern sind 2,0 Kal. bromat. mit 10 Tropfen Opium-
tinktur ein empfehlenswertes Beruhigungsmittel.
Von spezifischen Einwirkungen oder einei
gegen den Typhus als solchen gerichteten arzneilichen Be¬
handlung ist nichts zu erwarten.
Das dürften die wichtigsten Gesichtspunkte bei der Be¬
handlung des Unterleibstyphus sein. Möge es vor allem dei
zielbewussten Arbeit der Aerzte gelingen, durch vorbeugende
Massnahmen die gefährliche Kriegsseuche nicht aufkommen zi
lassen.
Differentialdiagnose der Ruhr gegenüber anderen
ähnlichen Darmkrankheiten.
Von Geh. Rat Prof. Dr. Ad. Schmidt in Halle.
Einem Wunsche der Redaktion folgend will ich im An¬
schluss an meinen Aufsatz über „Prophylaxe und Therapk
der Ruhr im Felde“ (Nr. 36 dieser Wochenschrift, Feldärztl
Beil. Nr. 5) noch kurz die Differentialdiagnose dieser mit Rech
gefürchteten Feldseuche besprechen.
Das entscheidende Merkmal, die bakterioskopische Fest
Stellung des Erregers, erfordert, wie schon in jenem Artike
erwähnt, eine Reihe von Tagen, selbst wenn auf die Fest
Stellung der Wachstumsverhältnisse des aus den Fäzes isolier
ten Stammes verzichtet und lediglich sein Verhalten gegeniibe:
den verschiedenen (fertig zu beziehenden) agglutinierende!
Seris geprüft wird. Schneller auszuführen ist das Widalver
fahren mit dem Serum des Patienten selbst, aber es gibt, wk
ich mich überzeugt habe, in den Anfangsstadien ebenso wk
beim Typhus nicht selten zweideutige Resultate. Das einfach«
mikroskopische Präparat reicht auch dann zur Diagnose nich
aus, wenn es Massen von Kurzstäbchen erkennen lässt. Dann
soll natürlich der Wert der bakterioskopischen Diagnostik nich
bestritten werden. Sie auszuführen ist Sache der bakterio
22. September 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
logischen Untersuchungsstationen, aber nicht des Feldarztes,
der vor allem dafür zu sorgen hat, dass verdächtige Fälle
schnell isoliert werden.
Der Verdacht wird erweckt durch ziemlich plötz¬
lich einsetzende, mit heftigem Tenesmus ver¬
bundene diarrhöische Entleerungen, die sich
in kurzen Zeiträumen folgen, aber stets nur
wenig Material zutage fördern. Dieses Ma¬
terial, in der allerersten Zeit vielleicht noch
uncharakteristisch, nimmt alsbald eine eigen¬
tümliche Beschaffenheit an: es sind flüssige
durch Blutbeimengung hellrot gefärbte, oft
nur mit spärlichen Kotpartikelchen ge¬
mischte „Spritzer , in denen weissliche Flok-
ken auffallen, die gewöhnlich als kleine „Ge-
vvebsfetzen“ angesprochen werden, aber” bei
mikroskopischer Betrachtung als Detritus
nekrotisches Epithel) erscheinen. Die Stühle
taben einen leimartigen Geruch. Die Entleerungen sind völlig
inabhängig von der Nahrungsaufnahme und erfolgen ohne
lennensu erte Kolikschmerzen. Wenn über Schmerzen geklagt
.vird, so handelt es sich immer nur um den Stuhlzwang, der
i0 heft'£ werden kann, dass er die Kranken auch in den Zwi-
■chenzeiten zwischen den Entleerungen nicht verlässt, so dass
;ie kaum von dem Nachtgeschirr herunterkommen, Ueberfällt
:r sie, während sie liegen, so bleibt oft nicht die Zeit bis zum
Nachtgeschirr zu gelangen, so dass häufig die Wäsche, das
iett und der Fussboden beschmutzt werden.
Fast immer fiebern die Kranken gleichzeitig, sie brechen
ber in der Regel nur einmal im Anfang und der Appetit ist
eineswegs immer in erheblichem Masse beeinträchtigt. Der
-eib ist eingezogen, nicht oder nur ganz wenig in der Gegend
er Flexur druckschmerzhaft. In schwereren Fällen ist das
jesicht eingefallen und blass, der Puls frequent und klein.
Von den Krankheiten, die zur Verwechslung führen
önuen, lassen sich die akuten infektiösen Gastro-
n t e r i t i d e n (Brechdurchfall, Sommerdiarrhöe, akute Para-
v phusinfektionen, Cholera nostras) meistens schon
urch die Stuhlbesichtigung unterscheiden:
i allen diesen Fällen, und auch beim Typhus und bei der
:hten Cholera, ist der Stuhl zwar ebenfalls flüssig, aber meist
eichlich und von fäkulenter resp. wässeriger Färbung. Es
eh len die hellrote Färbung durch verdünntes
lut und die weisslichen Flocken; es fehlt
erner der sehr bezeichnende Tenesmus. Hier
andelt es sich eben um Dünndarmdiarrhöen, während bei der
uhr die Erkrankung meistens ausschliesslich den Dickdarm
■greift, und zwar in Gestalt einer schweren diffusen Entzün-
Jng, deren Produkte in den Entleerungen wieder erscheinen.
Schwieriger abzutrennen sind folgende Zustände:
1. Die einfache, nichtspezifische Colitis
c u t a, die auch mit leichtem Fieber und blutig gefärbten Ent¬
erungen einhergehen kann. Sie verrät sich durch das Vor-
tndensein mehr oder minder reichlicher Schleimbei-
engungen zum Stuhl, gelegentlich besteht der ganze
uhl nur aus Schleim von stellenweise blutiger Färbung. Bei
t echten Ruhr fehlen grössere Schleimmassen, aus dem ein-
chen Grunde, weil das schleimbildende Epithel nekrotisch zu-
unde geht. Das Allgemeinbefinden ist bei der Colitis acuta
der Regel nicht sehr erheblich gestört, der Tenesmus fehlt
tweder oder erreicht doch nicht den hohen Grad wie bei
r Ruhr. An seine Stelle treten kolikartige Leibschmerzen
n den Entleerungen.
2. Die ebenfalls un- spezifische Colitis sup-
Urativ.a (gravis, ulcerosa). Sie ist zwar vornehmlich ein
'ronisches Leiden, kann aber auch akut einsetzen und stellt
|nn gewissermassen eine schwere Form von akuter Kolitis
i r~ Uie Blutbeimengungen zum Stuhl können sehr reichlich
Tden, daneben ist Schleim und weiterhin als entscheidendes
|-rkmal Eiter in mehr oder minder erheblicher Menge im
•uhl vorhanden. Die Entleerungen folgen sich nicht so schnell
'e bei der Ruhr, ihre Begleiterscheinungen sind dieselben wie
’i der akuten Kolitis.
198,3
3. Die akute Proktitis ist fast immer ein sekundärer
rozess, bedingt durch sehr harte Kotballen, Hämorrhoiden,
Polypen, Fremdkörper etc. Heftiger Sphinkterkrampf mit Zu¬
rückhaltung des an sich normalen Stuhles. Dazwischen Ab¬
sonderung kleiner Mengen von Entzündungsprodukten.
Die hier genannten, nichtspezifischen Affektionen des
Kolons treten fast immer nur vereinzelt auf. Von den in ge¬
häufter Form vorkommenden Affektionen wäre nur noch die
Pseudodysenterieinfektion zu nennen, die sich nur auf baktcrio-
skopischem Wege von der Bazillenruhr abtrennen lassen.
Zur Behandlung des Darmprolapses im Felde.
Von Professor F. Rieding er, Generalarzt ä 1. s.
^m. GeSensatz zu den weit auseinander gehenden Ansichten
über die primäre Laparotomie im Felde, die noch immer eine
ungelöste Frage darstellt, zeigen die Prinzipien über die Be¬
handlung der Verletzungen, die mit Prolaps von Eingeweiden
kompliziert sind, eine erfreuliche Uebereinstimmung. Man ist
sich darüber klar, dass hier unter allen Umständen und so
schnell wie möglich eingegriffen werden muss. Der Prolaps
kommt häufiger bei Schnitt- und Stichverletzungen als bei
Schusswunden vor. Meist hält er sich in bescheidenen Gren¬
zen. Bei ausgiebiger Verletzung der Bauchdecken, wie bei
langentialschüssen und bei Verletzungen mit Spreng¬
geschossen, Granaten etc. kann er aber auch sehr voluminös
werden. Desgleichen bei Querschlägern, die bei
unserem jetzigen Geschoss nicht selten sein werden, denn
dieses hat die Eigentümlichkeit, dass es sich durch den gering¬
sten Widerstand zu drehen versucht. Infolge der eigenartigen
langspitzigenForm befindet sich die Schwerpunktslage bekannt¬
lich hinter der Geschossmitte. Was anfangs durch die ausser¬
ordentlich hohe Mündungsgeschwindigkeit — 855 ms gegen
640 unseres früheren Gewehres — verhindert wird, stellt sich
im weiteren Weg bei relativ geringen Widerständen ein,
nämlich die Tendenz, eine günstigere Schwerpunktslage zu er¬
zwingen, also die Bodenfläche schliesslich nach vorne zu
werfen. Diese Eigenschaft führt zu den sogen. Querschlägern
die bei Verletzungen am Unterleib grosse Zerreissungen des
Darmtraktus bewirken können, besonders wenn er gefüllt ist
und die hydrodynamische Wirkung zur Geltung kommt. Nicht
selten bleibt es im Körper stecken. Das französische Projektil
ist massiv, besteht aus Kupfer mit geringem Zinkgehalt, hat
eine torpedoähnliche Spitze, ist länger als das deutsche —
39,9 gegen 27,8 mm — , hat ein Kaliber von 8,0, wiegt 13,2 g,
ist also schwerer als das unsere, hat eine geringere Anfangs¬
geschwindigkeit — 730 statt 860 ms — , eine minder glatte Ra¬
sanz, ist abei flugbeständiger und auf weitere Entfernung wirk¬
samer. Querschläger sind deshalb seltener. Wie weit die Ver¬
suche mit Wolfram geführt haben, weiss man nicht. Das
russische Geschoss hat ein Kaliber von 7,62, das englische ein
solches von 7,7. Beide sind, wie das unsere, Mantelgeschosse
und habep eine Mündungsgeschwindigkeit von 890 resp. 825,
werden also beide ähnliche Wirkung aufweisen1). Der Darm
ist gefährdeter als bei den früheren Geschossen; Ziegler
fand ihn unter 10 Versuchen 8 mal verletzt.
Kein Verwundeter mit einem Prolaps dürfte eigentlich, ohne
dass vorher der Darm oder das Netz reponiert wurde, auf den
Transport kommen. Die Reposition darf aber nur vollzogen
werden, wenn der Darm intakt und in gutem Zustand ist und
die Umstände es gestatten. Es ist sehr merkwürdig, dass,
obwohl diese Prozedur nicht selten in keineswegs einwand¬
freier Form — manchmal von den Verletzten selbst _ vor¬
genommen wurde, vielfach glatte Heilung erfolgte. Beinahe
ein Hohn auf unsere sonst so peinlichen Vorsichtsmassregeln.
Jedenfalls sollte der Darm vor der Reposition exakt gereinigt
werden. Ob man das auf dem Truppenverbandplatz
m befriedigender Weise ausführen kann, ist fraglich. Von
mancher Seite wurde deshalb geraten, die Reposition des pro-
labierten Darmes auf dem Hauptverbandplatz oder erst im
Feldlazarett zu vollziehen. In der Regel wird man sich mit
dem Abtupfen mit Gaze begnügen müssen. Steht allerdings
warmes sterilisiertes Wasser oder eine physiologische Koch-
‘) cf. Riedinger: Ueber Wirkung moderner Projektile, 1909.
1984
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 38.
Salzlösung zur Verfügung, so ist die Reinigung damit allem
anderen vorzuziehen. Fieber empfiehlt neuerdings 3 proz.
Wasserstoffsuperoxydlösung. Durch Jodtinktur hat er Nekrose
am Darm beobachtet. Er glaubt, dass dies durch Tiefen¬
wirkung des Mittels resp. durch Thrombose zustande komme.
Nicht selten entstehen auch wegen des Missverhältnisses
zwischen der Darmschlinge und der Oeffnung in der Bauch¬
wandung Schwierigkeit, und man ist gezwungen, ein Debride-
ment vorzunehmen. Das geschieht am besten in querer
Richtung, v. O e tt i n g e n schlägt für den Eingriff, den man
tatsächlich nicht als eine Laparotomie betrachten soll, die Be¬
zeichnung Freilegung vor. Ich glaube nicht, dass sich das ganz
mit dem! was man unter Debridement versteht, deckt und
meine, man sollte die alte, wenn auch fremdsprachliche Be¬
zeichnung beibehalten oder, wenn man das nicht will, das
Wort Erweiterung wählen. Vorgefallenes Netz geht so gut
wie nie ohne diesen Ausweg zurück. Es hat die Neigung,
rasch infolge Stauung anzuschwellen, besonders wenn eine Art
Inkarzeration in der Bauchdeckenöffnung stattgefunden hat.
Bei stärkerer Veränderung empfiehlt es sich, dasselbe en masse
oder in mehreren Partien mit Katgut zu ligieren und abzu¬
tragen. Es ist von manchen Seiten auch so vorgegangen
worden, dass man das Netz, besonders wenn es Neigung zur
Gangrän zeigt, liegen liess, bis es sich von selbst abstiess. In
der vorantiseptischen Zeit war dieses Vorgehen beliebt und ein
guter Ausweg. Die Gangräneszierung wurde hart an der Aus¬
trittsstelle durch Umschnürung mit einem Faden beschleunigt.
Als sehr zweckmässig erweist sich, wie auch v. Oet-
t in gen erwähnt, bei der Reposition die beiden Wundränder
mit stumpfen Haken in die Höhe zu ziehen. Die Reposition
vollzieht sich dann besonders bei Beckenhochlagerung nicht
selten ohneweitereNachhilfe. Ichwar damit immer zufrieden und
habe es auch so bei meinen Experimenten gemacht. Interessant
ist die Mitteilung v. Oettingens über einen Fall, wo die Re¬
position des prolabierten Darmes unter die unterminierte Haut
gemacht worden war. Ich selbst habe gesehen, dass bei einer
Stichverletzung in der linken Bauchhälfte das prolabierte Netz,
von dem ein Stück unmittelbar nach der Verwundung abge¬
tragen worden war, nicht in die Peritonealhöhle zurück¬
gebracht wurde, sondern vor dem Schlitz im Peritoneum vis¬
cerale lag. Es hatte sich eine allgemeine eitrige Peritonitis
entwickelt. Nach 30 Stunden machte ich auswärts unter primi¬
tiven Verhältnissen die Laparotomie in der Linea alba, trug
noch einen Teil des missfarbigen Netzes ab, reponierte den
Stumpf, tupfte mit Jodoformgaze die Nischen aus sowie den
Darm ab und schloss die Wunde. Die Stichkanäle eiterten, es
bildete sich nach etwa 8 Tagen ein Abszess in der rechten
Inguinalgegend, der inzidiert wurde. Darnach erfolgte glatte
Heilung mit guter Narbenbildung und ohne Hernie.
Ist der vorgefallene Darm aber verletzt, so darf man den¬
selben natürlich nicht vor der Naht event. Resektion repo-
nieren. Das muss im Lazarett gemacht werden. Ist die Oeff-
nung im Darm klein, so kann man nach entsprechender Reini¬
gung desselben die Oeffnung mit einigen Wundklammern
provisorisch verschliessen. Liegt Verdacht vor, dass sich die
Schlinge zurückziehen könnte, so muss sie irgendwie fixiert
werden. Das ist besonders bei ausgedehnteren Wunden der
Bauchdecken der Fall, wie sie bei Querschlägern vom S-Ge-
schoss und Granatsplittern etc. Vorkommen. Ist der vor¬
gefallene Darm ausgiebig zerrissen, so wird zweckmässig der
zuführende und abführende Teil mit Katgut provisorisch abge¬
bunden und ebenfalls fixiert. Das geschieht entweder mit zwei
Nähten oder dadurch, dass man durch das Mesenterium zwi¬
schen beiden Schenkeln mit einer Pinzette einen Gazestreifen
oder einen Docht durchschiebt, den man an beiden Enden mit
Mastisol (v. 0 e 1 1 i n g e n) oder mit Leukoplast festklebt.
Diese Fälle müssen sofort nach Einbringung ins Lazarett
operiert werden. Eine Sicherheit, dass nicht auch noch
weitere Verletzungen anderer Darmteile vorliegen, haben wir
leider nicht. Manchmal ist das vorgefallene Darmstück nicht
verletzt, sondern ein Abschnitt innerhalb des Peritonealraums.
Eine Revision der Bauchhöhle durch Erweiterung der Oeffnung
in den Bauchdecken ist also dringend nötig. In einem Fall von
Stichverletzung des Dünndarmes habe ich nach Naht und
Reinigung die Schlinge reponiert, nachdem ich sie vorher noch
ziemlich weit vorgezogen und kontrolliert hatte. Der Ver¬
letzte ging an Peritonitis zugrunde. Bei der Obduktion fand
sich eine weitere kleine Oeffnung im Darm ziemlich weit ent¬
fernt von der ursprünglichen Verletzung. Der Patient wäre
vielleicht zu retten gewesen, wenn man das Loch gesehen
hätte.
Manchmal kommen auch Verletzte an, bei denen das
prolabierte Darmstiick infolge starker Einschnürung be¬
ginnende Gangrän oder doch starke Ernährungsstörungen zeigt.
Hier kann auch die Frage eines Anus praeternaturalis in Frage
kommen, wenn man es nicht vorzieht, eine Anastomose beider
Schenkel nach H e Lf e r i c h anzulegen.
Zu einem baldigen Eingriff kann auch der Austritt einer
Tänie oder eines Spulwurms veranlassen, v. Oettingen
gibt eine anschauliche Abbildung einer eigenen Beobachtung,
wo eine Tänie aus der Oeffnung in den Bauchdecken heran -
ragt. Er rät. die Tänie auf der Bauchhaut zu fixieren, aui
dem Hauptverbandplatz aber die Wunde in der Abdominal¬
wand zu erweitern, die Tänie mit dem Finger zu verfolgen,
den verletzten Darm vorzuziehen und die Oeffnung zu ver¬
nähen, nachdem man den Bandwurm vorsichtig entfernt hat
Auch Fremdkörper, die in der Wunde stecken geblieber
sind, sollen sobald als nur möglich entfernt werden. Ist der
Darm verletzt, so muss er vorgezogen und vernäht werden
Ich glaube, es wäre besser, wenn wir in beiden Fällen
den vorgelagerten Darm in der Wunde fixieren und dann im
Feldlazarett das weitere besorgen würden.
Wie soll man nun die prolabierte Darm¬
schlinge während des Transports bedecken?
Am gebräuchlichsten ist wohl die Bedeckung derselben mit
steriler Gaze, die man in der Peripherie des Prolapses mi'
Mastisol oder mit Leukoplast fixiert. Darüber wird mar
zweckmässig eine Binde wickeln.
Nun ist es aber bekannt, dass trockene Gaze die Seros;
des Darmes stark reizt. Antiseptisch imprägnierte Verband¬
stoffe tun das natürlich noch weit mehr. Es ist das dann be
der Reposition oder Operation nicht angenehm. Ich glaube
dass man es vermeiden kann und bin der Frage experimentel
nähergetreten. Der Gang der Versuche war immer dei
gleiche. Als Versuchstiere dienten Kaninchen. Ich will dk
Ergebnisse der Versuche in aller Kürze mitteilen
In der Linea alba etwa in der Mitte zwischen Nabel und Sym¬
physe wurden nach entsprechender Vorbereitung unter aseptischo
Kautelen eine etwa 2 cm lange Inzision gemacht, das Peritoneun
durchtrennt und dann eine Dünndarmschlinge vor die Wunde ge
zogen. Um das Zurückgleiten zu verhüten, wurde die Inzisionswundi
durch ein oder zwei Nähte etwas verkleinert.
Dann folgte die Bedeckung des Darms mit den unten anzuführen
den Mitteln. Darüber kam ein Schutzverband. In der Regel wurdi
derselbe mit Kollodium fixiert, einigetnale mit Heftpflaster und dar
über eine Gazebinde gelegt. Trotz genauer Applikation rutschte ue
letztere einmal ab. Dieses Tier ging ein. Bei Kollodium entstam
einigemale eine oberflächliche Hautgangrän in der Peripherie, an de
Stelle, wo das Mittel die enthaarte Bauchdecke überzog. Masuso
ist besser. . _ ...
Nach 24 Stunden wurde der Verband entfernt, die Darmschhngi
reponiert und die Wunde geschlossen. Mit wenigen Ausnahmei
wurden die Tiere nach 8 Tagen getötet. Eines ging am 4. tage
eines am 9. und eines am 12. Tage ein.
Versuche: I. Bedeckung des Darmes mit steriler Gaze
Bei der Reposition erwies sich derselbe als stark gerötet und gereizt
Das Kaninchen wurde nach 16 Tagen getötet. Es fanden sich leicnt'
Adhäsionen des Darmes an der Wunde. Sonst war alles normal.
II. Bedeckung mit 1 prom. Kampferöl. Am anderen Moigei
hatte sich das Kaninchen den Verband (Bindenverband) abgestrem
Die Schlinge lag einige Zeit frei, wurde aber wieder mit Kampferöl
gaze bedeckt. Der Darm war stark gereizt, missfarbig, stellenweisi
mit Fibrinbelag versehen. Reposition nach 24 Stunden. Eingiessei
von Kampferöl in die Peritonealhöhle. Das Tier geht am 12. lag'
nach der Operation ein. ^ , , . ni
Sektion: Trockener, käsiger Abszess in der Bauchdeckc.
Darmschlinge ziemlich ausgiebig mit der Bauchdecke verwachsen
etwas trübe seröse Flüssigkeit in der Peritonealhöhle.
III. Nach Eröffnung des Peritoneum drängte sich eine Dun
darmschlinge vor, zog sich aber sofort spontan zurück. Daran
wölbte sicii ein Stück Dickdarm vor. Nach Reposition desseine
wird dann eine Dünndarmschlinge vorgeholt und wie gewohniic
fixiert. Die Bedeckung geschah diesmal einer Anregung v. Beste
meyers entsprechend mit Glyzerin. Kollodiumverband,
der Reposition sieht der Darm tadellos frisch aus. Nur an den Ais
trittsstellen an der Bauchwand, war er leicht gerötet. Bei der eu
forcierten Rücklagerung platzte die Serosa. Naht derselben
22. September 1914.
1 985
j_cldürztliche Beilage zur Muncli. meü. Wochenschrift.
ragen. Der Riss
auf etwa 2 etn
in der Serosa verheilt,
leicht verlötet. Alles
Katgut. Getötet nach 8
Das lleum und Zoekutn
andere normal.
|y. Bedecken der Schlinge mit Vaseline. Kollodiumver-
hand. Bei der Reposition, die sehr glatt vor sich ging, sieht der
I arm sehr gut aus und ist nur leicht gerötet. Kaninchen nach 8 Tagen
getötet. adelloser Befund. Die vorgelagerte Schlinge ist nicht
mehr zu eruieren.
■ u.'j Bedecken mit .) odofor m g 1 y z e r i n. Bei der Reposition
Mcht der Darm nicht gut aus, ist trocken, an einzelnen Stellen rniss-
larbig. An der Bauchdeckenöffnung ist er stark verklebt Einge-
g mgen am 9. I ag. Bei der Obduktion findet sich, dass die Wunde
gut vei heilt war und dass die Schlingenschenkel miteinander ver-
klebt sind, ebenso mit anderen anliegenden Dünn- und Dickdarm-
schlmgen und mit der Bauchwand. Sonst keine besonderen Ver¬
änderungen.
Bedecken mit sterilem Olivenöl. Bei der Reposition
rindet sich der Darm trocken, welk, samtartig gewulstet, an der
Wunde verklebt. Nach 8 Tagen getötet.
Ob du k t i o n: Kleiner, käsiger Abszess in der Wand. Die prohi¬
bierte Schlinge mit sich und mit benachbarten Dünndarmpartien ver¬
klebt. Sonst keine besondere Veränderung.
VII. Bedecken mit Wasserstoffsuperoxyd. Bei der
Reposition sieht der Darm etwas trocken aus, eingegangen nach
4 lagen.
O b d u k t i-o n: Peritonitis.
VIII Bedecken mitParaffinumliquidu m. Bei der Repo-
ution sieht der Darm sehr frisch aus. Getötet nach 8 Tagen Tadel-
ose Verhältnisse. Die Stelle des Prolapses nicht mehr zu eruieren.
Von den 3 Eingängen darf der eine auf den Umstand zu-
rückgeführt werden, dass infolge Abstreifens des Verbandes
Jie Schlinge längere Zeit freilag und infiziert wurde (II. Ex¬
periment, Kampferöl).
Das Eingiessen von Kampferöl vermochte die Schädigung
licht auszugleichen und den letalen Ausgang abzulenken.
Der zweite Fall (Experiment V, Jodoformglyzerin) ist nicht
tanz aufgeklärt. Die Verlötung der Darmschlinge kann nicht
ils ausschlaggebend für den letalen Ausgang betrachtet
\ erden. Der dritte Fall (Experiment IV, Wasserstoffsuper¬
oxyd) zeigte ausgesprochene Peritonitis. Das Mittel trägt
vohl keine Schuld, wahrscheinlicher ist eine Infektion bei der
fperation. Dieser sowie der erste hätten vielleicht vermieden
verden können.
Was den Erfolg anlangt, so sind weitgehende Schlüsse aus
len wenigen Experimenten nicht zu machen. Doch darf man
äsen, dass die Bedeckung des Darmes vor allein mit P a r a f -
in um liquidum, das auch leicht zu beschaffen ist, dann
nit Glyzerin und Vaseline als gute Mittel sich erwiesen.
Graffinum liquidum ist nun auch von Chrysospathes
ls Wundverband besonders, mit einem Zusatz von 2 bis
Teilen Jodoform empfohlen worden.
Bei den Experimenten besteht der Vorteil, dass die Darm-
chlingen sofort nach der Verletzung versorgt werden,
rührend dies bei den Verletzungen im Felde natürlich erst
päter möglich ist. Ich glaube aber, dass auch hier die Ver-
orgung mit den oben angeführten Mitteln während des Trans¬
ortes Gutes leisten könnte, und dass ein Versuch damit zu
mpfehlen wäre.
Eine besondere Aufmerksamkeit wird in diesem Kriege
uch der Frage der primären Laparotomie gewidmet werden.
>ie kühne Idee Senns, auf dem Schlachtfelde zu operieren,
nd der Versuch der Japaner, eigene Laparotomiespitäler zu
1 richten und sie so weit als möglich an die Front vorzuziehen,
nd gescheitert. Die Japaner haben sämtliche Operierte ver-
nen. v. Dettingen hat sich über das organische Kunst-
tückchen der Japaner lustig gemacht und geraten, das dafür
'igelegte Geld für einen besseren 'Transport zu verwenden,
er au°h in der Tat den Kernpunkt unserer Tätigkeit im Feld
stellt. Er ist der Ansicht, das mindesten 50 Proz. der Bauch-
erletzungen bei der streng konservativen Behandlung und Ruhe
erettet werden können und MacCormacs Ausspruch: ein
’irch den Bauch Geschossener stirbt, wenn man ihn operiert
nd bleibt am Leben, wenn man ihn in Ruhe lässt, ist zum ge¬
iigelten Wort geworden.
Diese Ansicht wird nun wohl einer Revision unterzogen
erden, denn die Chirurgen finden sich noch nicht gerne mit
esem Standpunkte ab. Sie werden von neuem versuchen,
e Prinzipien der Friedenspraxis auf die Feldtätigkeit zu iiber-
‘igen. Dazu ist aber nötig, dass vor allem die Verwundeten
1 kürzester Frist — manche Chirurgen nehmen als äusserste
Gienze nur 6 Stunden an — in das Feldlazarett, wo die La¬
parotomie gemacht werden soll, kommen. Ob dieses Haupt-
postulat erfüllt werden kann, ist fraglich und damit steht und
fällt die ganze Angelegenheit. Nicht die Verletzung allein, Ort
und Umstände erweitern oder begrenzen die Indikationen zur
Laparotomie (v. S e y d e 1).
Eine Feldtrage.
Von Obergeneralarzt Dr. Reh.
In den letzten Kriegen ist das Wort geprägt worden, dass
dei erste Verband auf dem Schlachtfelde in sehr vielen Fällen
das weitere Schicksal des Verwundeten entscheidet. So sehr
ich von der Richtigkeit dieses Satzes überzeugt bin, muss ich
coch hinzufügen, dass die Art und Weise des dem Verband
vorausgehenden oder ihm folgenden Transports und der
Lagerung hieran in hohem Grade beteiligt ist. Hiebei stehe
ich nicht allein, schon Generalstabsarzt v. Vogl, unser Alt¬
meister Generalarzt Port und in allerletzter Zeit v. Oet-
t i n g e n haben das gleiche gesagt; letzterer hat hierüber weit¬
gehende Erfahrungen gesammelt und sie in seinem Leitfaden
der Kriegschirurgie niedergelegt.
Der Rücktransport Verwundeter zum Hauptverbandplatz,
zu den Feldlazaretten und — mit Land- und Bahntransport _
zu den Reservelazaretten erfordert, da das vorhandene
I ragenmaterial der Sanitätsformationen immer wieder für die
fechtende Truppe verfügbar gemacht werden muss, häufiges
Umladen. Dies bringt für Verwundete viele Unannehmlich¬
keiten mit sich. Hier habe ich besonders Schusswunden des
Schädels, der Brust, des Bauches, sowie Schussfrakturen des
Beckens und Oberschenkels im Auge. Ich enthalte mich aller
weiteren Ausführungen und sage nur, wenn man bedenkt,
dass, nachdem eine Sanitätskompagnie nur über 72 Tragen
verfügt, bei einem Gefechte einer Division 1000 und mehr
Verwundete anfallcn können, die liegend transportiert werden
sollen, so gibt das eine Vorstellung von der Arbeit, die nötig
ist, diese bis zum Feldlazarett zu bringen. Angenommen eine
Division hätte 4 Feldlazarette zu je 200 Betten, bestehend aus
Strohsäcken und Decken, so sind dies 800 Lagerstellen, die für
den Anfall von, Verwundeten nach grösseren Gefechten aber
nicht ausreichen. Dazu muss berücksichtigt werden, dass die
Sti ohsäcke mit Stroh, Heu, Moos, Holzwolle, Hobelspänen usw.
gefüllt sein müssen, um wirklich eine Lagerstelle zu sein. Das
Füllmaterial ist vielleicht bei der ersten Schlacht noch in hin¬
reichender Menge vorhanden, bei der zweiten und dritten aber
schon nicht mehr; der grösste Teil der Verwundeten wird
also ohne genügende Lagerstelle sein. Diese bedauerlichen
Zustände nach Möglichkeit zu mildern, muss unser Be¬
streben sein.
Das, was mir seit langem vorschwebt, ist eine Kranken¬
trage, auf die der Verwundete, wenn möglich schon auf dem
Schlachtfelde kommt und auf der er bleibt, bis er endlich in
der Heimat im Reservelazarett angekommen ist. Eine solche
I rage muss leicht, dabei dauerhaft, zusammenlegbar, billig,
rasch herzustellen und bequem für den Verwundeten sein.
Sie muss ihm für lange das Bett ersetzen. Diesen Forde¬
rungen kam unsere alte bayer. Feldtrage, die im Jahre 1870
noch ihre Dienste leistete, ziemlich nahe, ebenso die
v. O e 1 1 i n g e n sehe Trage, die nahezu diese alte bayerische
wiedergibt, doch ist sie weniger stabil und die Holmen sind,
wie ich aus der Zeichnung schliesse, zu schwach, sie hat aber
Dettingen nach seinen Berichten hervorragende Dienste
geleistet. Die französische Feldtrage ist aus Eichenholz, ziem¬
lich ähnlich konstruiert, aber zu kurz; doch hat auch sie bis
jetzt viel geleistet. Nach reiflicher Ueberlegung schlage ich
nachstehende Krankentrage vor, die auch nur eine Verbesse¬
rung der beiden genannten sein soll.
Die I rage muss eine Länge von 250 cm und eine Breite von
57 cm entsprechend unserer Feldtrage haben. Die Holmen oder Trag¬
stangen müssen aus astfreiem, ganz trockenem Fichten-, Tannen-
Fohren- oder Lärchenholz hergestellt sein; Hartholz, wie Eschen,
Buchen, ist zwar fester, aber zu schwer; Bambus würde sich beztig-
lieh der Iragfähigkeit und Leichtigkeit ganz hervorragend eignen,
wenn es keine Knoten besässe. Der Querschnitt der Tragstangen ist
quadratisch mit abgerundeten Ecken und einem Durchmesser von
5 cm, die Handgriffe sind aussen und innen um je 0,5 cm scnwächer
1986
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 38.
und scharfkantig abgesetzt, damit Kopf- und Fussgestell festhalten,
wozu noch ein Vorstecker aus 0,5 cm starkem Draht kommt. Das
Fussgestell wird ebenso wie das Kopfgestell aus Latten von 10 cm
Breite, 57 cm Länge und 2—3 cm Dicke verfertigt. An den beiden
Enden findet sich ein rechteckiger 4 X 5 cm Ausschnitt, in den die
Griffe der Holmen genau passen. Der Ausschnitt sowie die beiden
Gabelenden werden von einem 2 — 3 cm breiten, 2 — 3 mm starken
Bandeisen, das mit etwa 4 versenkten Holzschrauben befestigt wird,
überspannt (s. Zeichnung!).
Fuss- und Kopfgestell erhält je 2 nach unten aussen gehende,
30 cm lange, 5 cm breite Füsse mit 4 Holzschrauben aufgeschraubt,
deren äusserer unterer Abstand genau 57 cm haben muss. Das Kopf¬
gestell erhält ausserdem genau in derselben Weise 2 Latten auf der
anderen Fläche befestigt, die nach . aufwärts sehen und an ihrem
oberen Ende eine breitköpfige Schraube tragen. Das wäre das
leicht auseinandernehmbare Gestell.
Nun wird aus Drell, Segel- oder Sackleinwand oder ähnlichem
festen Stoffe, der beim Nasswerden nicht eingehen und durch Zug
nicht nachgeben darf, die Tragfläche gefertigt, so dass dieselbe
eine Länge von 190 cm bei einer Breite von 57 cm erhält. Die Breite
des Stoffes muss, um einen Schlauch für die durchzusteckenden Hol¬
men zu gewinnen, ungefähr 45 cm grösser genommen werden. Durch
feste Naht werden diese 2 Schläuche auf 160 cm hergestellt; der
restliche Teil wird zum Kopfpolster verwendet, gesäumt und an den
beiden oberen Ecken mit Ringen versehen, die in die Kopfschrauben
des oberen Teils des Kopfgestells eingehakt werden.
Soweit wäre die Trage von der alten bayerischen, der v. Oet-
t i n g e n sehen und französischen nicht sehr weit verschieden. Was
wesentlich abweicht ist folgendes: Wenn man bedenkt, dass viele j
Schwerverwundete zur Verrichtung ihrer Notdurft auf die Leib¬
schüssel gesetzt, also aufgehoben und darnach wieder in horizontale !
Lage gebracht werden müssen, was für Verletzte mit Schussfrakturen
der unteren Extremitäten und des Beckens sehr schädlich ist, so
kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, dass in dieser Richtung
Abhilfe geschaffen werden muss. Und es kann dies geschehen: Der
Verletzte muss im Liegen den Darm entleeren können und dies er¬
reicht man dadurch, dass in der Gesässgegend, also in einem Ab¬
stande von 70 cm vom unteren Ende des Stoffes ein ovaler Aus¬
schnitt von 25 cm Höhe und 20 cm Breite hergestellt wird. Dieser
Ausschnitt muss von unten her durch eine etwa 30 cm breite, auf der
einen Seite festgenähte, auf der anderen abnehmbare Klappe aus dem¬
selben Stoffe festgeschlossen werden, dass sie mittragen hilft. Dies
geschieht durch 3 je 3 cm breite Gurten und Schnallen. Gerade diese
Vorrichtung halte ich für Verletzte bei erwähnter Art für die ersten
Tage für sehr wichtig und verspreche mir entschiedenen Erfolg.
Die Herstellungskosten dürften sich nach meiner Schätzung auf
höchstens 10 M. per Stück erstellen, während das Gewicht einer
solchen T;age nur etwa 12—15 Pfd. erreichen wird. Wenn man rnir
einwirft, dass die Feldtrage infolge ihrer Eisenkonstruktion unver¬
wüstlich ist, so halte ich das geringe Gewicht der von mir aus¬
gedachten Trage gegenüber und sage, dass auf einem Leiterwagen
etwa 100 Stück mitgeführt werden können, dass diese zusammen
etwa 15 Ztr. wiegen, also von einem Pferde sogar fortgebracht wer¬
den können. Diese Trage hat den Vorteil, dass sie ganz auseinander¬
genommen, rasch zusammengesetzt, gereinigt und desinfiziert, dass
ein zerbrochener Teil leicht ersetzt, dass die Trage aiich improvisiert
werden kann. Bedingung ist, dass die Trage genau nach den an¬
gegebenen Massen angefertigt wird, so dass jeder Holm in jedes
Kopf- oder Fussgestell passt und umgekehrt; dann haben wir eine
Einheitstrage, die, in Massen angefertigt, ausserordentlich segensreich
wirken kann.
Ich sehe davon ab zu beschreiben, wie sie auf Hilfs¬
lazarettzügen, in Feldlazaretten usw. Verwendung findet, ich
möchte nur darauf hinweisen, dass das Etappensanitätsdepot
grosse Mengen erhalten und diese soweit als irgend möglich
nach vorne schieben müsste. Jede Sanitätskompagnie und
jedes Feldlazarett müsste 1 oder 2 Leiterwagen mit je etwa
100 Tragen erhalten.
Für jede Trage wäre meines Erachtens noch 1 Decke von
160X100 cm notwendig, um den Verwundeten das Bett zu
ersetzen.
Der Transport der Tragen erfolgt am besten so, dass
Kopf-, Fussgestell und Holmen — diese in den Drellbezug ge¬
rollt — zu je 10 Stück mit Bindfaden zusammengebunden, auf¬
geschichtet werden.
Ich vollende dies unter dem Donner schwerer Geschütze
und unter dem unvergesslichen Eindrücke des Elends, das
ich nach dem ersten Gefecht unserer Armee, in dem sich auch
unsere bayerischen Korps befanden, bei Lagarde, Bourdon-
naye und Dieuze gesehen. Mögen diese meine Zeilen auf
fruchtbaren Boden fallen und möge eine kräftige Hand meinen
Ruf nach Krankentragen bald, recht bald, in die Tat umsetzen;
Hunderte von Aerzten, Pfleger und Pflegerinnen und Tausende
von Verwundeten werden ihr dankbar sein.
Zur Anfertigung von Gipsschienen.
Von Privatdozent v. B a e y e r in München.
Eine der wesentlichsten Tätigkeiten des Feldarztes ist
die Fixierung der verletzten Teile. Den besten Halt gibt nach
dem Urteil der meisten modernen Kriegschirurgen der Gips¬
verband. Die zirkuläreForm diesesVerbandes bewährt sich u. a.
deshalb nicht, weil durch das öftere Wechseln des behandeln¬
den Arztes, wie es der Krieg mit sich bringt, ein Abnehmen
des Kontentivverbandes nach kurzer Zeit meist vorgenommen
wird. Deshalb ist eine gut anliegende und abnehmbare Gips-
hohlrinne entschieden vorzuziehen, vorausgesetzt, dass sie
haltbar und billig ist. Da in diesen Beziehungen die mir be¬
kannten Gipsrinnen nicht genügen, so schlage ich folgende
einfache Technik vor.
Will man eine Schiene z. B. für das Bein machen, so schneidet
man sich aus Rupfen 2 Streifen. Der eine ist von etwa 1 — 2 Hano
breit grösserer Länge und Breite wie die gewünschte Schiene. Dei
andere Streifen ist etwas kürzer und schmäler wie der erstere, aber
immer noch länger und breiter wie die Schiene.
Nachdem man die beiden Rupfenstreifen gründlich in Wasser
durchweicht hat, legt man den grösseren auf den zu schienenden
Körperteil und reibt ihn mit Gipsbrei ein. Dann kommt der zweite
Streifen auf den ersten, und zwar so, dass überall der grössere
noch hervorragt. Man streicht nun auch den zweiten Streifen mit
Gips ein. und häuft den Ginsbrei besonders dort in dem Falz an.
wo der spätere Rand der Schiene sein soll. Klappt man nun die
22. September 1914.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
1987
Ränder der Rupfenstreiien seitwärts und oben und unten um so
erhält man eine Hohlrinne mit verdickten, festen Rändern,
jie nicht aufblättern können und keine weitere Verarbeitung brauchen
Legt man in den Falz
nach dem Einstreichen
mit Gips und vor dem
Umklappen noch ein dtin- / r ll.Strelfen
nes Bandeisen, so wird die / - — 7 /
Schiene so fest, dass man / .11 J.öine/fen
;ie kaum abbrechen kann.
Fenster in der Schiene
Falz
Falz
assen sich durch Aufschneiden des Rupfens vor dem Hartwerden des
lipses und durch Umklappen der Ränder ohne Schwierigkeit an
eder beliebigen Stelle anbringen. Für die Anfertigung der Hohl-
äume für das Bein lässt man meist den Patienten sich auf den
^atich legen. Will man eine Armschlinge hersteilen, so ist es zweck-
nassig, die Rupfenstreifen vor dem Anlegen an das Glied mit Gips-
»rei zu imprägnieren, die Ränder umzuschlagen und dann das Ganze
nit einer Mullbinde am Arm und Schulter anzuwickeln.
Diese aus billigstem Material schnell herzustellenden, nicht
edernden Schienen (ganzes Bein in 4—5 Minuten, Materialwert
0 Pf.) fixieren sehr gut, weil sie jeder Stellung und Konfiguration
es verletzten Körperteiles genau auf weite Flächen hin entsprechen
msserdem sind sie sehr fest infolge des Randwulstes und können an
en Rändern nicht aufblättern.
Sanitätsmerkblatt für das Verhalten im Seegefecht*).
Von Marineoberstabsarzt Dr. M. zur Verth.
(Beim Ausbruch eines Krieges an die Mannschaft zu verteilen.)
I. Vor dem Gefecht.
1 Halte deinen Körper und deine Kleider rein vor dem Gefecht!
on unreinen Kleidern und unreiner Haut gehen Wundkrankheitskeime
1 Verletzungen über. Lasse im Kriege jede, auch die kleinste, Ver-
.tzung oder Wunde vom Arzte behandeln!
2. Trinke keine alkoholischen Getränke vor dem Gefecht! Sie
lachen deinen Geist unklar, deine Sinne unscharf und deine Hand
nsicher.
3. Fülle deinen Magen nicht zu sehr vor dem Gefecht! Du
rbeitest ruhiger bei nicht überfülltem Magen. Bauchverletzungen
erlaufen leichter, wenn der Darm leer ist.
II. Während des Gefechtes.
1. Deine erste Pflicht, zugleich das sicherste Mittel zu deiner
igenen Erhaltung ist die Vernichtung des Gegners.
2. Kleine Verletzungen achte nicht, bedecke sie mit dem Inhalt
eines Verbandpäckchens, wie du es gelernt hat, ohne die Ver-
tzung oder das bedeckende Mullstück mit den Händen zu berühren.
3. Ist einer bei einer schweren Verletzung nicht mehr auf seiner
efechtsstelle zu verwenden, aber noch in der Lage, sich fortzu-
.wegen, so holt er die Erlaubnis seines Vorgesetzten ein und ver-
iclit nach erhaltener Erlaubnis sich auf den Hauptgefechtsverband-
atz zu begeben. Sind die Zugangswege geschlossen, so wartet er
1 geschützter Stelle in Feuerluv bis zur Gefechtspause.
4. Ist einer bei einer schweren Verletzung nicht mehr imstande,
ch fortzubewegen, so hilf ihm bis zu dem nächsten geschützten
uitz möglichst in Feuerluv, an dem er die Gefechtstätigkeit nicht
ört.
5. Die Wunden werden erst auf dem Hauptgefechtsverbandnlatz
munden. Während des Gefechtes hat keiner Zeit dazu. Auch ist
r sofortige Verband in den meisten Fällen nicht unbedingt von
itzen. Versuche nicht. Geschosse oder Fremdkörper aus der Wunde
1 entfernen!
6- Wenn die Wunde sehr stark blutet, besonders wenn hell-
>tcs Blut stossweisc im Strahl herausspritzt, so schnüre das
utende Glied mit der Gummibinde so fest ab. bis die Blutung steht.
1 die Gummibinde zu Ende und die Blutung hört noch nicht auf,
lose sie nicht wieder, sondern lege eine zweite darüber.
, J- Eist du verwundet, so bedenke, dass dein Heil im Heile deines
nirfes liegt und bleibe gefasst. Je ruhiger du dich verhältst, desto
emger störst du deine kämpfenden Kameraden.
Nach dem Gefecht oder in der Gefechtspause.
1. Hilf deinen schwer verwundeten Kameraden, die nicht im-
andc sind zu gehen, wenn du nicht am Geschütz gebraucht wärst.
*) Zweiter, auf Grund von Anregungen des Marineoberstabs-
z‘es Vr- M ö h I m a n n verbesserter Entwurf. Der erste Entwurf
-nt jn Kapitel IX des „Handbuchs der Gesundheits-
C|^ C m 11 ^ °-r ^ v 0 n Kriegsschiffen“. Das Merkblatt ist
1 der Marine in mehreren Tausend Exemplaren verteilt worden.
Halte dich nicht damit auf, Wunden zu verbinden. Nur wenn die
wunde beim Transport unmittelbar mit unsauberen Gegenständen
Uieck, dein Arm) in Berührung kommt, verbinde die Wunde vor
dem 1 ransport mit dem Gefechtsverbandpäckchen, wie du es gelernt
hc\st.
r. . -• Mle Verletzten werden mittels Handtransport über die
uieitbahnen auf den vorgeschriebenen und bezeichneten Wegen zum
Hauptgefechtsverbandplatz gebracht. Nur bei Brüchen der Wirbel¬
knochen, der Unter- und Oberschenkelknochen und bei Verletzungen
der Baucheingeweide benutze die Transporthängematte. Sei beim
li unsport so behutsam, als wenn du selbst der Verletzte wärst und
doppelt vorsichtig bei Verletzungen des Unterleibes.
ri * am s c h w e r s t e n Verletzten, bei denen du wegen einer
Blutung die Gummibinde umlegen musstest, transportiere zuerst!
Oieb dem den Vorrang, dessen Leben für das Schiff am wert¬
vollsten ist!
4. Für Tote sorge zuletzt. Sie kommen nicht auf den Gefechts-
vei bandplatz. Sie werden an einen besonders bestimmten Platz
gebracht.
5. Bist du selbst leicht verwundet, so gehe auf den Reservc-
gefechtsverbandplatz; dort wird deine Wunde verbunden.
6. Bist du schwer verwundet, aber imstande zu gehen, so begieb
dich auf den Hauptgefechtsverbandplatz! Du bekommst dort vom
Arzt, nachdem deine Wunden verbunden sind, weitere Befehle.
Kochsalzlösungen zur subkutanen und intravenösen An¬
wendung, hergestellt aus gewöhnlichem Brunnen- oder
Leitungswasser und Kochsalz.
Von Dr. Friedrich Hercher, Oberarzt der chirurgischen
und gynäkologischen Abteilung des St. Vinzenzhospitals in
Ahlen i. Westf.
Nach grossen Blutverlusten, bei Erlahmen der Herzkraft, zur
schnellen Ernährung von Patienten, die durch Verletzungen, grosse
Operationen oder lange schwere Krankheit stark geschwächt sind,
wird man gern zu subkutanen oder intravenösen Kochsalzinfusionen
greifen. Selbstverständlich benutzt man in der Friedenspraxis im
Krankenhaus oder wenn irgend möglich indifferente isotonische Koch¬
salzlösungen, hergestellt aus destilliertem Wasser und chemisch
reinem Kochsalz mit oder ohne Zusatz von Digalen, Pituitrin, Natrium
bicarbonicum, Traubenzucker etc. Da wohl auch im Felde Indika¬
tionen zu Kochsalzinfusionen genug gegeben sein werden, steriles,
frisch destilliertes Wasser und chemisch reines Kochsalz aber manch¬
mal fehlen dürfte, so teile ich folgende Erfahrung mit. In der Aussen-
praxis war ich einmal bei einer Frau, die infolge geplatzter Eileiter¬
schwangerschaft fast völlig ausgeblutet war, ein anderes Mal bei
einem Manne, der durch immense Darmblutungen infolge eines Duo-
denalulcus fast moribund war. gezwungen, aus gewöhnlichem Wasser
und Küchensalz eine Kochsalzlösung herzustellen. Ich setzte zu einem
Liter Wasser 2 kleine J heelöffel fein pulverisiertes Küchensalz, liess
die Lösung Yi Stunde kochen, filtrierte sie durch sterile Watte und in¬
fundierte sie intravenös. Mit dem Erfolg war ich sehr zufrieden;
die Patienten vertrugen diese Lösungen ohne schädigende Neben¬
wirkung und blieben am Leben. Trotzdem mir die Arbeiten von
Wechselmann und Ehrlich über den sogen. „Wasserfehler“
bei intravenösen Salvarsaninjektionen bekannt waren, habe ich dann
auch wiederholt im Krankenhause ohne Schaden abgekochtes gewöhn¬
liches Leitungswasser zu subkutanen und intravenösen Infusionen be¬
nutzt. Es trat wohl hin und wieder eine leichte Fieberreaktion, zu¬
weilen auch ein leichter Schüttelfrost auf, aber diese Erscheinungen
treten ia auch vereinzelt nach Infusionen mit frisch destilliertem stc-
rilem Wasser auf. Der Zweck dieser Zeilen ist, darauf hinzuweisen,
dass man in Fällen der Not erstens ohne Scheu zu Kochsalzlösungen,
auch den intravenösen, gewöhnliches Brunnen- oder Leitungswasscr
benutzen darf, das '{• Stunde gekocht hat und dann filtriert ist zwei¬
tens dass man in genannten Fällen auch ohne Schaden eine nicht
ganz genau isotonische Lösung benutzen darf. Letzteres steht auch
im Einklang mit der Erfahrung, dass man seit langer Zeit bei Hämop¬
toen mit bestem Erfolg bis 3 mal am Tage intravenöse Injektionen
von 10-15 proz. Kochsalzlösung verwendet.
Reservelazarette und vorhandene Krankenbetten.
Von Dr. St eimann in Dortmund.
IJer Krieg, der auf allen Gebieten wie mit einem Zauberschlage
aller Orten Hilfsquellen über Hilfsquellen erweckt hat, hat wohl jede
Ciemeinde und mag sie noch so klein sein — mit wirklich gross-
ziigiger Selbstverständlichkeit ihr Bestes an Menschen und Mittein
geben lassen. Und auch weiterhin wird man freudig zu weiteren und
grösseren Opfern bereit sein, denn die eigentlichen Opfer werden
noch erst folgen, vorläufig gibt noch der Ueberfluss.
In der ersten Freude des Gebens und Helfenwollens ist da sicher¬
lich auf manchen Gebieten ein Zuviel geschehen, das um dessentwillen
zu bedauern ist, weil die hier aufgewandten Mittel zu anderen Zwek-
ken besser verwandt werden konnten oder zum Glück noch können.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 38.
1 9iSS
Wohin man hört und sieht, kaum eine grössere Gemeinde hat
oder will es sich nehmen lassen in Schulen, Sälen, Turnhallen Re¬
servelazarette einzurichten. Soviel man aus einem Vergleich der
Zeitungsnotizen aus verschiedenen Orten entnehmen kann, ist das
Verhältnis etwa so, dass Städte — es sollen hier vorerst nur alle
Stadtgemeinden über 10 000 Einwohner berücksichtigt werden
von 10—20 000 Einwohner im Durchschnitt zur Herrichtung von
100 Reservebetten bereit sind, bzw. diese bereits zur Verfügung ge¬
stellt haben. Rechnet man nun für je 10 000 Seelen 100 weitere
Betten, so wird sich hier zwar zunächst für die Städte über 20000
Einwohner im allgemeinen ein Zuviel ergeben, das jedoch für das End¬
resultat nicht allzu erheblich ins Gewicht fällt, da einmal die Anzahl
der Städte mit höherer Einwohnerzahl schnell fällt — nach der Volks¬
zählung vom 1. XII. 1910 gibt es 305 Städte mit 10—20 Tausend Ein¬
wohner, 98 mit 20—30 Tausend, 51 mit 30—40 Tausend, 18 mit
40—50 Tausend usf. — , auf der anderen Seite für die wirkliche Zahl
der vorhandenen Reservebetten alle von kleineren Gemeinden und
auf Land- und Schlossgütern zur Verfügung gestellten Betten nicht
mit erfasst sind. Die so gefundene Zahl ergibt, dass in deutschen
Städten an neu hergerichteten Reservebetten 231 500 zur Verfügung
stehen würden. Annähernd wird diese Zahl den tatsächlichen Ver¬
hältnissen entsprechen, sie soll aber weiterhin mit lediglich 200 000
in Anrechnung kommen.
Nun sind nach dem letzten vorliegenden Ausweis aus dem Jahre
1910 in öffentlichen, privaten (soweit sie über 10 Betten haben) und
Universitätsinstituten (nicht eingerechnet sind Irren- und Entbindungs¬
anstalten) in Deutschland 263 814 Betten vorhanden. Mit dem Zugang
der letzten 4 Jahre — der durchschnittliche Jahreszugang der letzten
9 Jahre hat 8097 betragen — sind dies rund 300 000 Betten, von
denen zurzeit — gering gerechnet — der dritte Teil für Zwecke der
Verwundetenpflege bereitgehalten wird.
Weiter stehen die ganzen Betten der noch nicht einberechneten
Militärlazarette und alle im Felde vorhandenen Betten zur Ver¬
fügung, die schätzungsweise noch einmal mit 100 000 anzusetzen sind,
so dass sich eine Gesamtzahl von ca. 400 000 Betten ergeben würde.
Wieviel Betten werden nun tatsächlich demgegenüber im voraus¬
sichtlich ungünstigstem Falle gebraucht werden?
Die Etatsstärke des deutschen Heeres und der Flotte beträgt
nach dem Entwurf des Reichsbaushaltsetats für das Rechnungsjahr
1914: 880 003 Mann. Unsere Kriegsstärke lässt sich naturgemäss nur
schätzungsweise angeben, es dürften aber eben 6 Millionen Mann
bei den Fahnen sein. Sieht man nun die Statistik des Krieges 1870/71,
sowie die des Russisch-Japanischen Krieges 1904/05 durch, so findet
man, dass über 50 Proz. der Gesamtkopfstärke allein wegen Krank¬
heit behandelt wurden. Zeiten und Land garantieren diesmal eine
soviel bessere hygienische Sicherung des Heeres, dass mit dermassen
exorbitanten Zahlen kaum zu rechnen sein wird. 25 Proz. für je
4 Wochen bettlägerig Kranke (nicht Verwundete!) dürften bereits
reichlich hoch gegriffen sein. Naturgemäss muss die Zahl der Er¬
krankungen auf die Gesamtdauer des Feldzuges annähernd gleich-
mässig verteilt werden. Bei einer mutmasslichen Dauer des Feld¬
zuges von 6 Monaten würde durch Erkrankte ein Bedarf von 200 000
Betten bedingt werden. Von dem 6 Millionenheer werden schätzungs¬
weise 3 Millionen wirklich ins Feuer kommen und Verwundungen
ausgesetzt sein. Der nach dem Durchschnitt der letzten grossen
Kriege sich ergebende Prozentsatz an Verwundeten beträgt
ca. 20 Proz. Das sind 600 000 Mann. Die Heilungsdauer einer Ver¬
wundung soll im Durchschnitt mit 6 Wochen angesetzt werden, so
dass wieder unter Voraussetzung einer Feldzugsdauer von 26 Wochen
weitere 125 000 Betten für Verwundete zur Verfügung stehen müssten.
Insgesamt würde sich also ein Zuviel von ca. 100 000 Betten ergeben.
Dementsprechend ist hier in unserer grossen, mit reichen Hilfsmitteln
versehenen Stadt auch bereits die Einrichtung einer grossen Schule
als Reservelazarett abgelehnt worden, kleinere Gemeinden, noch dazu
weiter im Binnenlande, werden daher gut tun, einstweilen von Ein¬
richtung von Reservelazaretten, zumal wenn sie ein Krankenhaus be¬
sitzen, ganz abzusehen. Sie können sich damit zumindest die Ent¬
täuschung ersparen, die man empfindet, wenn man für Gäste alles
aufs Beste eingerichtet hat, die aber ausbleiben.
Ueber einige chirurgische Erfahrungen aus dem
II. Balkankriege.
Von Prof. Dr. R. Klapp in Berlin.
(Schluss.)
Ich komme dann zu einer kurzen Besprechung der Qe-
fässverletzungen. Wir haben 16 Aneurysmen be¬
obachtet. In der Einteilung der Aneurysmen nach Suh¬
lt o t i t c h - Belgrad, die mir am einfachsten und zweck-
massigsten erscheint, gruppieren sich diese 16 Aneurysmen
wie folgt:
An. a r t. circumscr. : 5 (Brachialis, Iliaca ext., Femoralis,
Poplitea 2).
An. a r t. diffusum: 6 (Femoralis 2, Poplitea 2, Inteross.
antibr., Tibial. post.).
An a r t. - v e n. directum: 1 (Femoralis).
An art.-ven. in dir ec tum: 3 (Carotis comm.. Femoralis,
Profunda fern.).
V a r i x aneurysmaticus: V. j u g u 1. int.
~~ Zur Behandlung der Aneurysmen kommt in Betracht die
Ligatur mit Exstirpation des Aneurysma, die Ligatur am
Orte der Wahl, die Naht und schliesslich die Aneurysmo-
rhaphie nach M a 1 1 a s. Um mit der letzteren zu beginnen,
so habe ich einmal einen Versuch mit der Aneurysmorhaphie
gemacht. M a 1 1 a s empfiehlt sie sehr, und die amerikanischen
Chirurgen haben gewiss recht, wenn sie die Mattassehe
Operation häufiger ausführen. Ich glaube, der von mir
operierte Patient war ein etwas untauglicher Fall. Es handelt
sich um ein aus dem Winterfeldzuge stammendes Aneurysma
der A. brachialis. Ich habe den Aneurysmasack zum Teil
abgetragen, so dass sich aus dem überstehenden Rest noch
eine gute Wand bilden liess. Sobald ich die Höpfnerklemme los-
liess, ging der Blutstrom gut durch die aneurysmorrhaphierte
Stelle durch. Nur in einem kleinen Teile des Sackes, der
übrig geblieben war, fing sich der Blutstrom. Da ich nicht
sehen konnte, woran das lag, habe ich aus Sicherheitsgründen
die Resektion angeschlossen und unterbunden. Aber ich
möchte glauben, dass die Aneurysmorrhaphie in Zukunft eine
gewisse Rolle spielen wird.
Die wichtige Frage, ob man ein Aneurysma exstirpieren
und unterbinden oder ob man es nähen soll, ist kürzlich wieder
abhängig gemacht worden von dem sogen. Kollateral-
Zeichen. Vor allen Dingen hat Coenen neuerdings auf
das Kollateralzeichen wieder aufmerksam gemacht, nachdem
es schon früher von Lexer, He nie und auch von älteren
Chirurgen gebraucht worden war. Unter dem Kollateral¬
zeichen versteht man, kurz gesagt, folgendes (Demonstration
an der Tafel): Wenn man oberhalb und unterhalb des Aneu¬
rysmas unterbindet, weiter peripher eine Klemme anlegt,
zwischen peripherer Ligatur und Klemme durchschneidet, nun
die Klemme einen Moment lüftet und es dann aus dem peri¬
pheren Stamme heraus hellrot blutet, so is das Kollateral¬
zeichen nach Coenen u. a. positiv, und man kann ruhig das
Aneurysma unterbinden ohne Gefahr zu laufen, dass das Glied
brandig wird oder dass Ernährungsstörungen Vorkommen.
Nun fragt es sich: ist das Zeichen richtig? Ich möchte da
zunächst auf eine Aeusserung v. Frisch’ eingehen, der
kürzlich noch ein anderes Zeichen hinzugefügt hat; es lassen
s;ch dann beide Zeichen besser zusammen besprechen. Er
sagt: erstens sieht man bei Operationen, dass es aus_ dem
peripheren Ende einer durchschnittenen Arterie blutet. Zwei¬
tens beweist nach v. Frisch eine mässige arterielle Blutung
nicht, dass das auf kollateralem Wege einmündende Blut auch
bis in die Peripherie der Extremität vordringt; denn tatsäch¬
lich fand er vor den Operationen keinen Puls an den peri¬
pheren Arterien. Er legt grosses Gewicht auf eine sicht¬
bare Blutstauung distal der abgeklemmten
Hauptvene und glaubt, dass aus dem Kapillarbezirk der
Extremität Blut nachströmt, dass also das auf kollateralem
Wege e i n strömende Blut bis in die Endverzweigungen des
Gefässes vordringt, und „es bedürfe wohl keiner weiteren Er¬
örterung, dass der Nachweis eines venösen Rückflusses ein
wesentlich sichereres Zeichen für die periphere Durchblutung
darstelle, als die arterielle Blutung“.
Das soll ein zweites Zeichen für genügende Blutversor¬
gung sein. Dieses zweite Zeichen von v. Frisch ist, glaube
ich, nicht richtig. Wir sehen eine venöse Rückstauung doch
sogar bei vollständigem Fehlen jeder Zirkulation. Z. B. ist
es von der E s m a r c h sehen Blutleere bekannt, dass die Ge¬
webe das noch im Gliede vorhandene Blut in die grösseren
Venenstämme auspressen. Dann weise ich auf folgendes hin:
wenn Glieder bis auf eine schmale Brücke abgetrennt sind,
dann leiden sie unter einer ungeheuren Blutstauung, so dass
sich N o e s s k e schon genötigt gesehen hat, Inzisionen in das
Glied hinein zu machen, damit es sein venöses Blut los wird.
Ich kann also v. Frisch, was dieses venöse Zeichen anbe¬
trifft, gar nicht beistimmen.
Nun fragt es sich: wie ist es mit dem arteriellen Kollateral¬
zeichen? Stimmt das für alle Fälle? Nun, ich glaube, dass
v. Frisch insofern recht hat, als es kein Beweis ist, das>
der ganze Gefässbaum auch wirklich kräftig durchblutet wird.
Wenn man bei einem gesunden Hunde die Arteria femoralis
22. September 1014.
1 c ldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschi ift.
reilegt und das KoIIateralzeichen einmal prüft, also an einer
, stelle unterbindet, unterhalb eine Klemme anlegt, zwischen
, i.ecd tut und Klemme durchschneidet und daun die Klemme
littet, so sieht man, dass es aus dem arteriellen Kohr u n t e r
Milsation hellrot blutet. Die Pulsation hat
_,oenen aber nicht verlangt. Ich würde ohne
veite res zustimmen, wenn das KoIIateralzeichen so ver¬
landen würde, dass es unter Pulsation hellrot
'luten muss. Das würde eine richtige Triebkraft der
vollatcralen voraussetzen. Ich glaube, dass sich auch fol-
.endes noch gegen dieses KoIIateralzeichen einwenden lässt.
•\ ir haben öfters gesehen, dass bei Wandverletzungen der
ietasse und Aneurysmenbildung ein Teil des Blutes das
uieuijsma passiert und durch dieses hindurch nach unten in
!ie peripheren Gefässe hinein geht. Das haben wir nicht
ur bei den arteriellen Aneurysmen, sondern auch bei arteriell-
enösen Aneurysmen gesehen. Ich verweise da z. B. auf die
irbeit \ on Ney ), der für die arteriell-venösen Aneurysmen
achgewiesen hat, dass da gewöhnlich drei Blutströme zu-
tande kommen (Demonstration an der Tafel). Von der
,rtciic biegt der Hauptblutstrom gleich in die Vene um. Er
■ ird in die Vene angesaugt, so dass die Vene gewöhnlich
usscroi deutlich dick ist. Dann geht ein zweiter Blutstrom
i den peripheren Venenteil.
Man hat also bei vielen Aneurysmen noch damit zu
sehnen, dass der periphere Arterienteil durch
as Aneurysma hindurch gespeist wird. Unter-
indet man, legt die Klemme an und prüft das Kollateral-
eichen, so kommt beim Lüften der Klemme das Blut hellrot
gratis. Dai aus schliesst man, dass das KoIIateralzeichen
ositiv ist, unterbindet und schneidet damit eine, eventuell
ich eine für die Ernährung vielleicht wichtige Blutquelle,
Imlich die Passage durch das Aneurysma ab.
Also sind eine Anzahl von Gründen, die gegen dieses
ollateralzeichen sprechen. Aber auch meinetwegen ange-
sinmen, es handle sich hier wirklich um ein wichtiges
eichen, man soll ruhig unterbinden können, wenn dies Kol-
teralzeichen positiv ist, so fragt es sich doch: ist die Ligatur
ich die ^ beste Behandlungsmethode für die Aneurysmen
irchweg? Das glaube ich doch nicht. Wenn wir das Kol-
teralzeichen prüfen, so tun wir das nur am ruhenden
liede; wir prüfen nur anatomisch — wollen wir einmal
gen — , wir wissen aber doch genau, dass ein funk-
onierendes Glied sehr viel mehr Blut ge¬
bucht als ein ruhendes. So habe ich mich denn
ich gar nicht gewundert, dass ich in dem vorigen Kriege in
n früheren Kriegen unterbundene Aneurysmen zum Teil
einem wenig guten Zustande gesehen habe. Die Leute
itten Atrophien, Parästhesien, Anämie und wenn sie
0 Schritte gegangen waren, so bekamen sie ziemlich er¬
bliche Muskelkrämpfe. Dann haben sie nachher ihr Glied
inalie verwünscht. Ich glaube, dass wir uns jedenfalls vor-
hen müssen, ein derartiges Zeichen einfach ohne jede
eitere Diskussion in das Bewusstsein der Chirurgen iiber-
hen zu lassen. Ich meine, dass sich vorher noch eine ganz
'liebliche Kritik mit einem solchen Zeichen beschäftigen
iss; denn wenn wir jetzt vor einem Kriege ständen, würden
r doch ohne weiteres alle nach diesem KoIIateralzeichen
'gehen und würden unterbinden. Damit würde aber jeden-
’ ls einer ganzen Reihe von Patienten ein gewisser Schaden
' rursacht.
Für eine gewisse Anzahl von Fällen kommt doch wohl
;oh die Gcfässnaht resp. die Aneurysmorrhaphie in Betracht,
eiche Fälle kommen da in Frage? Von vornherein scheiden
s viele diffuse Aneurysmen. Die diffusen Aneurysmen, wie
' Hämatome müssen frühzeitig in Angriff genommen werden,
mit man keine von den bedrohlichen Nachblutungen be-
mmt, an denen man sonst die Patienten verliert. Auch hier
■ d Wandverletzungen, wie ich gesehen habe, häufig gut mit
-r Naht zu behandeln. Es kommen aber mehr die zirkum-
- ipten Aneurysmen in Betracht. Die aber können ruhig
mten; sie können sogar in die Friedenszeit übergehen, sie
'men irgendwelchen Chirurgen zugeführt werden, die die
*) E. Ney: Lieber die Bedeutung der Venen bei arteriell-venösen
-urysmen. Arcli. f. klin. Chir. lüü. 1913. S. 531.
1989
Gcfässnaht beherrschen, und sie können in Verhältnisse ge¬
bracht werden, wo die Gcfässnaht ausgeführt werden kann.
Von der Gefährlichkeit der Kriegsaneurysmen, vor allen
Dingen was die diffusen Aneurysmen angeht, gibt die eine
kleine Niederschrift, die ich mir damals gleich in meinem
lagebuch von den diffusen Aneurysmen und den grossen
Hämatomen gemacht habe, gerade unter dem Eindruck eines
grossen Hämatoms, das zu mehrfachen Nachblutungen Ver¬
anlassung gegeben hatte, ein Bild. Da man diese Art von
Hamatomen in der Friedenschirurgie nicht sieht, möchte ich
kurz voi lesen, was ich damals aufgeschrieben habe:
Das Hämatom wühlt sich in der Nachbarschaft der Ge¬
lasse, rücksichtslos in die Trümmerhöhle der Muskulatur vor¬
dringend, den Knochen oft auf lange Strecken freilegend, ein
nesiges Bett. Die Weichteile und ihre Gefässe werden zwi¬
schen Haut auf der einen und Hämatom auf der anderen Seite
einem grossen Druck ausgesetzt. Wenn man unter Blutleere
das Hämatom ausräumt, die mehr oder weniger derbe Kapsel
entfernt und die Blutleere abnimmt, so erwartet man nach
den Erfahrungen der Friedenschirurgie eine erhebliche Blu¬
tung aus den Wänden der grossen Weichteilwunde. Hier ist
man erstaunt, eine diffuse Blutung aus den Wänden der
rrümmerhöhle nicht zu finden. Die ganze Weichteilwunde
blutet nicht, da alle Gefässe komprimiert, zurückgezogen und
thrombosiert sind. Die umgebenden Gewebe der Bluthöhle
sind ausserordentlich matschig und mürbe. Auf die momen¬
tane Blutstillung ist kein Verlass. Nach und nach, oft erst
nach Tagen, stellt sich die Zirkulation wieder her, und plötz¬
lich gibt es eine gewaltige Nachblutung, an der die schon ge¬
schwächten Patienten leicht zugrunde gehen.
Derartige Fälle haben wir verschiedentlich gesehen, und
ich glaube, wir haben sie vielfach gesehen, weil ich in einem
Vortrag in Belgrad mein Interesse gerade für diese Aneurys¬
men gezeigt hatte und sie uns infolgedessen von allen Seiten
zugeführt wurden.
Wenn ich Ihnen nun kurz die Aneurysmen schildern will,
so kann ich im Rahmen dieses Vortrags natürlich nicht auf
jeden einzelnen Fall eingehen; ich möchte aber einzelne ganz
besonders interessante Fälle, vor allen Dingen auch die Todes¬
fälle nach der Naht hier genauer erwähnen. In einem Falle
handelte es sich um einen Varix aneurysmatieus der V. jugu-
laris interna. Ich hatte bis dahin niemals einen derartigen
Varix aneurysmatieus gesehen, und ich glaube, die Mehrzahl
von Ihnen auch nicht. Der Fall lag etwa folgendermassen:
Der Einschuss befand sich an der vorderen Haargrenze der linken
Nackengegend nahe dem Ohrläppchen. Der Schuss war von da aus
durch den einen Mundwinkel herausgegangen, wobei er eine Anzahl
von Zahnen herausgeschlagen hatte. Es bildete sich nun hinter dem
Kieferwinkel ein äusserst schmerzhaftes Hämatom, das pulsierte,
allerdings kein Schwirren aufwies. Wir nahmen an, dass es sich um
ein Aneurysma eines der Karotidenäste handelte. Als der Mann Blu¬
tungen in die Mundhöhle bekam, legte ich erst die Carotis communis
dann die beiden Aeste frei, fand hier aber keine Verletzung. Als
ich min auf das Hämatom losging, stürzte mir eine dunkel venöse
Blutinenge entgegen, aus der es unaufhaltsam blutete, und zwar lag
die Quelle der Blutung hoch oben an der Schädelbasis. Wie es bei
den Aneurysmenopcrationen meistens geht, so ging es mir auch hier:
man fährt meist mit dem tamponierenden Finger in das Loch des Ge¬
fäßes hinein. Hoch oben an der Schädelbasis fand ich das Loch
in der V. jugularis int. und konnte es mit dem Finger verstopfen An
Uinstechen war gar nicht zu denken. Ich habe eine Klemme in die
Höhe geschoben, die Vene gefasst und diese 5 Tage liegen lassen
Der Patient ist geheilt.
Von Aneurysmen der Halsgegend habe ich noch ein
Aneurysma der Carotis communis, behandelt. Ich schildere
diesen Fall ebenfalls einigermassen genau, weil Aneurysmen
an der Carotis communis doch immerhin sehr selten sind und
mit Glück, glaube ich, kaum einmal genäht sind.
Es handelte sich da um einen Patienten, bei dem der Einschuss
nahe neben dem Kehlkopf, der Ausschuss neben dem zweiten Brust¬
wirbel lag. Er kam zu uns mit einem grossen Aneurysma der Carotis
communis, das ich dann mit einem muskuloplastischen Lappen unter
lokaler Anästhesie freigelegt habe. Ich will hinzufügen, dass ich
sämtliche Aneurysmen unter lokaler Anästhesie oder unter Rücken¬
marksanästhesie operiert habe. Diese Verfahren bieten eine grosse
Erleichterung. Ich wüsste nicht, wie ich unter Narkose dieses riesige
Halsaneurysma hätte operieren sollen. Allerdings war der Patient
durch das Leiden vollständig stillgestellt. Er wurde durch das
Sausen und Brausen in seinem Kopfe so ungeheuer verstört, dass
1990
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 38.
u wie ein verschüchtertes ! ier dalag, ohne überhaupt eine Bewegung
zu machen. Ich habe die Carotis communis unterhalb, die beiden
Aeste oberhalb freigelegt und, weil wir nicht genügend Klemmen
hatten, mit losen Fäden gesichert. Dann ging ich auf das Aneurysma
los und fand da eine Verletzung, die in der vorderen Wand lag. Die
Jugularis war ganz durchschossen. In der vorderen Wand der
Arterie war ein bohnengrosses Loch. Diese Wandverletzungen ziehen
sich, der Längsrichtung der üefässe entsprechend lang, so dass alle
Lochschüsse eine ovale Gestalt haben. In der Friedenschirurgie kennt
man solche Wandverletzungen der Arterien mit Defekt weniger als
schlitzförmige Wunden. Fs macht grosse Schwierigkeiten, solche
Wanddefekte in der Längsrichtung zu nähen, was natürlich geschehen
muss. Dieses Zufiicken der Löcher ist m. E. schwerer als die zirku¬
läre Naht. Aber die zirkuläre Naht war wegen des kurzen Stammes
unmöglich. Nun musste man also einmal dieses Loch sehr schön frei¬
präparieren, die Adventitiafetzen abschneiden, und dann ging die
Näherei los. Gerade an einem so kurzen Stück ist das ganz ausser¬
ordentlich schwer. Ich habe mit lauter Längsnähten genäht, nur zum
Schluss musste ich eine Quernaht machen. Nach der Operation
ging es dem Patienten sehr gut. Wir fühlten sofort den Puls an der
Ternporalis, er ist auch weiter sehr gut geblieben. Der Mann ist ge¬
heilt.
Im ganzen habe ich in 7 Fällen von Aneurysmen genäht.
Darunter hatten wir 2 Todesfälle. Ueber diese möchte ich
Ihnen gleich berichten.
In einem Falle handelte es sich um einen stark ausgebluteten
Mann mit einem Aneurysma der Arteria femoralis. Er kam in sehr
schwerkrankem Zustande zu uns und konnte, da er halb benommen
war, keine genauen Angaben über die Art seiner Verletzung machen.
Von ihm und seinen Kameraden wurde folgendes berichtet: Er war
am 9. VII. 13 bei Kisselitza durch 13 Schrapnellkugeln verletzt und
hatte sehr viel Blut verloren, da seine stark blutende Wunde erst
nach 3 Tagen verbunden wurde. Bewusstlos ist er bis dahin nicht
gewesen. Während des weitern Transportes soll eine starke Blutung
erfolgt sein, durch die er für längere Zeit bewusslos wurde. Am
17. VII. bei der Aufnahme macht er einen schwerkranken, müden,
anämischen Eindruck. Er fühlte sich benommen im Kopf, klagte über
Schmerzen in der Brust. Puls 120, Temperatur 39,5°. Ueber der
rechten Brustseite bestand Dämpfung, verschärftes Atmen, verein¬
zeltes Rasseln. Bei der Abnahme des fest einschnürenden Verbandes
im oberen Überschenkeldrittel zeigte sich eine starke Schniirstelle
und inmitten dieser der Einschuss. Die Zehen waren kalt und blau.
Wir haben dann dieses fortwährend wässrig-blutig sickernde Aneu¬
rysma freigelegt, reseziert und zirkulär genäht, was ohne weiteres
sehr gut ging. Die Diastase war ziemlich gross. Aneurysma und
Naht lagen knapp vor dem Abgänge der Profunda femoris. Es er¬
folgte dann 2 Tage später der Exitus. Bei der Sektion fand sich
eine Hepatisation des rechten Ober- und Unterlappens, Anschoppung
im rechten Mittellappen, Anämie aller inneren Organe, fettige De¬
generation der Nieren. Die Gefässnaht war fest, das Gefäss absolut
durchgängig. Von der Naht ab hat es auch nicht einen Tropfen ge¬
blutet. M. H., diesen Fall kann man nicht der Gefässnaht in die
Schuhe schieben. Der Mann musste trotz des schwerkranken Zu¬
standes operiert werden, weil sein Aneurysma permanent blutete.
Ich glaube nicht, dass man hier mit der Unterbindung mehr erreicht
hätte.
Bei dem zweiten Falle von Gefässnaht, den wir auch verloren
haben, handelte es sich um ein Aneurysma art. diffusum der Arteria
poplitea. Als wir das Aneurysma freigelegt hatten, haben wir es ge¬
näht, was auf keine Schwierigkeit stiess. Es handelte sich um eine
Wandverletzung. Als wir nun die Wunde weiter von dem Hämatom
säubern wollten, brach aus der Wade unter dem Soleus heraus, wo¬
hin ein zweiter Schrapnellschuss gegangen war, eine Eiterung in die
Kniekehle durch — natürlich ein sehr unangenehmes Vorkommnis.
Das ist eine Komplikation, wie man sie sich schlimmer gar nicht den¬
ken kann. Ich hatte den Mann unter Rückenmarksanästhesie operiert
und fragte ihn, ob er sich das Bein abnehmen lassen wollte. Dies
verweigerte er, wie das meistens geschah (Die Amputationsver¬
weigerung war geradezu eine grosse Plage. Wir hätten mehr Leute
dprchbringen können, wenn sie sich rechtzeitig zur Amputation ent¬
schlossen hätten. Diese wurde meist verweigert mit der Erklärung,
sie wären Landleute und könnten mit einem Bein zu Hause nichts
anfangen. In Bulgarien ist das übrigens auch so gewesen; da hat
schliesslich der Generalstabschef Fitscheff den Befehl gegeben, man
solle sich um diese Einsprüche nicht kümmern, sondern mit den
Leuten anfangen, was man für richtig hielte.)
In dem obigen Falle konnte ich nichts anderes tun als
schliesslich den Dingen ihren Lauf lassen. Ich habe den Ab¬
szess von der Wade aus drainiert und nun bekam der Patient
3 Tage später aus der Wade eine Blutung, genau wie man
sie aus einer anderen Abszesshöhle auch bekommt. Auch hier
hatte — merkwürdigerweise, muss ich sagen — die Gefäss¬
naht absolut gehalten. Es ist natürlich sehr schwer, in einem
grossen Krankenhause zu Kriegszeiten die Aufsicht so zu
organisieren, dass jeder Blutende sofort behandelt wird. Wenn
man den Verdacht der Blutungsmöglichkeit hat, lässt man
natürlich über seinem Bette einen Gummischlauch hängen und
eine Wache aufstellen. Unsere Gummischläuche waren zum
Teil etwas brüchig, so dass wir oft zu den Hosenträgern
greifen mussten. Das war noch das sicherste Material.
Meine Herren, das sind die beiden Todesfälle, die ich bei
der Gefässnaht gehabt habe. Ich möchte trotzdem glauben,
dass die Naht in den zukünftigen Kriegen eine gewisse Rolle
spielen muss. Erst wenn wir die für die Naht passenden Fälle
auch der Naht zuführen, befinden wir uns auf einem Boden,
wie er dem gegenwärtigen Stande der Chirurgie entspricht**).
Was die Technik 'der Gefässnaht angeht, so kann
die einfache C a r r e 1 sehe Naht bei der Brüchigkeit der Ge-
fässe infolge von Blutinfiltration nicht als sicher genug gelten.
Schon die Haltefäden reissen leicht aus und schlitzen die
Wand durch. Ich habe deshalb die Gefässnaht dadurch mo¬
difiziert, dass ich einen Doppelstich angewandt habe, der
die Wand zweifach durchsticht und niemals ausgerissen ist.
Die Nadeln haben wir z. T. aus einem Manufakturwarenladen
erworben, z. T. haben wir feine Sticknadeln von der Gemahlin
des deutschen Gesandten bekommen. Mit diesen sind wii
sehr gut ausgekommen. Ich habe immer mit geraden Nadeln
und ohne Handschuhe genäht.
Zum Schlüsse möchte ich Ihnen an einem Präparat zeigen,
wie ich vorschlage, die Nageiextension im Kriege nachzi:
ahmen. Die Nagelextension ist ja im Frieden ein sehr brauch¬
bares Verfahren. Im Kriege scheitert sie daran, dass inan
nicht genügend Nägel oder Bohrer hat. Da habe ich zu dem
Mittel der Drahtextension am Knochen gegriffen. Ich
möchte das ganz kurz skizzieren. (Demonstration an der
Tafel.) Dabei ziehe ich einen Draht quer durch den Kalkaneus
und steche die Drahtenden nach der Fusssohle wieder heraus,
damit man nicht beim Zuge an den Drahtenden die Hautteile
einklemmt. Sie sehen die Drahtextension hier an dem Prä¬
parat ausgeführt. (Demonstration.) Das Instrumentarium ist
sehr einfach. Es besteht aus einem Bohrer mit genügend
langem Ansatz, um den Kalkaneus zu durchbohren, kräftigem,
doppelt zu nehmendem Draht und zwei grossen Nadeln. Man
kann einen sehr starken Zug an dem Draht ausüben und hat
genau die Vorteile der Nagelextension. Ich glaube, das Ver¬
fahren ist insofern vorteilhafter als ‘die Nageiextension, als es
keine Fistelbildungen gibt, die bei der letzteren daher kommen,
dass der Nagel oder Bohrer recht dick ist und Weichteil- und
Knochenkanal in einer Ebene liegen. Hier ist aber eine recht¬
winklige Knickung vorhanden; infolgedessen kommt eine
Fistelbildung nicht zustande.
Nachschrift. Als ich vor etwa 6 Wochen den obigen
Vortrag hielt, dachte noch niemand an einen uns so nahe
bevorstehenden Krieg. Jetzt können wir an unseren eigenen
Verwundeten verwerten, was wir auf fremdem Kriegsschau¬
platz gelernt haben. Der Chirurg kann jetzt mit dem er¬
hebenden Bewusstsein in den grossen Krieg ziehen, dass er
imstande ist, in ganz anderer, vollkommenerer Weise als in
früheren Kriegen zu helfen und zu heilen zum Segen unseres
teuren Vaterlandes.
Kleine Mitteilungen.
Die Ernährung der deutschen Zivilbevölkerung im Krieg.
Der Präsident der französischen Republik hat in den letzten
Tagen in einem Aufrufe an das französische Volk den Plan der
Triple-Entente enthüllt, vermittelst der englischen Flotte die Ver¬
bindungen Deutschlands und Oesterreich-Ungarns mit der übrigen
Welt abzuschneiden, d. h. uns auszuhungern. Dank der ausgezeich¬
neten Ernte des Jahres 1914 ist dieser Plan nahezu aussichtslos. Bis
zum Jahre 1916 ist ein Nahrungsmangel in Deutschland nicht zu
befürchten, nichtsdestoweniger ist es zweckmässig, unsere Reserven
an Nahrungsmitteln zu vermehren, schon deshalb, weil wir dadurch
in der Lage sind, grössere Preissteigerungen zu verhindern. Es
könnte ja auch möglicherweise das Jahr 1915 uns eine schlechte Ernte
liefern, dann würden uns, wenn der Krieg noch nicht beendet wäre,
unsere Reserven sehr nützlich sein. m
Empfehlenswert ist jedenfalls die Einschränkung des Konsums
von Weizenmehl (Weissbrot, Semmeln, Milch- und Mürbgebäcke).
Deutschland erzeugt mehr Roggen, als es zu seiner Ernährung not¬
wendig hat, dagegen nur etwa zwei Drittel seines Bedarfes an
**) Es werden dann eine Reihe von Lichtbildern demonstriert
und kurz besprochen.
22. September 1914.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
1991
Weizen. Bis jetzt hatten wir eine erhebliche Ausfuhr von Roggen,
was jetzt wegfällt. Unsere Unterbilanz in bezug auf Weizenproduk¬
tion wurde im Frieden durch die Einfuhr gedeckt, die jetzt nicht
mehr stattfindet. W ir müssen also mehr oder richtiger fast nur
Kornbrot geniessen. Ein Schaden für die Gesundheit entsteht dadurch
nicht, im Gegenteil, für die Mehrzahl der gesunden Menschen ist das
Roggenbrot gesünder, da es die Tätigkeit des Darmes besser an¬
regt. Diese günstige Einwirkung auf die Darmtätigkeit kann noch
weiter dadurch gesteigert werden, dass man auch die Kleie zum
Backen verwendet. Bei der bisher üblichen Art des Mahlens
wurden 20—30 Proz. Abfälle erzielt, die mit dem Namen Kleie be¬
zeichnet und zur Viehfütterung verwendet wurden. Diese Kleie
besitzt infolge ihres Reichtums an Eiweisssubstanzen einen sehr
grossen Nährwert. Einen grossen Teil dieser Kleie kann man unter
bestimmten Voraussetzungen zum Backen verwenden. Wenn wir
also ein derartiges kleienhaltiges Vollbrot statt des bisherigen Brotes
essen, so haben wir beträchtlich mehr Brot im Lande. Das kleien¬
hallige Brot kann so billig wie das Kommisbrot hergestellt werden
Es ist dieses kleienhaltige Brot in vielen Gegenden Deutschlands
unter dem Namen „Graubrot schon seit vielen Jahren gebacken
worden; solche Brote wurden schon in Friedenszeiten verschiedent¬
lich hergestellt und von vielen, namentlich auch von wohlhabenden
Leuten, seit langer Zeit gerne gegessen. Dunkle Brotsorten sollen
nicht frisch genossen werden, sondern mindestens 1—2 Tage alt sein.
Derartige Brotsorten sollten die bisher üblichen Brote soweit möglich
verdrängen. Der Verkauf der Kleie zu Zwecken der Viehfütterung ist
möglichst einzuschränken. Im Falle einmal Mangel an Mehl ein-
treten sollte, werden wir uns sehr freuen, wenn wir eine Mischung
von Roggenmehl mit der sog. Kleie herstellen können. Die Bäcker
sollen veranlasst werden, in diesem Sinne das Publikum zu beein-
rlussen, Gastwirte sollten in den Gastwirtschaften statt des Weiss¬
brotes kleienhaltiges Roggenbrot aufstellen, Weissbrot sollte nur
auf Verlangen abgegeben werden.
Der Verbrauch von Fleisch hat in den letzten Jahrzehnten
in Deutschland kolossal zugenommen. Wir haben nach England
Jen grössten Fleischkonsum in Europa. Zurzeit kommt auf den
Kopf der Bevölkerung per Jahr das grosse Quantum von 107 Pfund.
Oie allzureichliche Ernährung mit Fleisch hat gesundheitliche Nach¬
teile im Gefolge Es empfiehlt sich deshalb, in aller; Familien den
leischgenuss auf eine Portion pro Tag zu verringern und auch diese
Portion nicht sehr gross zu nehmen. Es ist die Pflicht gerade
lei reichen Leute, hier mit gutem Beispiel voranzugehen. Auch in
lotels und Restaurationen sollte bei den Speisenfolgen nicht mehr
ds höchstens eine Portion Fleisch abgegeben werden. Auch für die-
enigen, die nach der Karte speisen, sollte zu einem Stück Fleisch
-'in grösseres Quantum Kartoffel, breite Nudeln u. dgl. beigegeben
■'■erden. Der Genuss von Kalbfleisch sollte während des Krieges
:anz oder fast ganz aufhören. Das Kalbfleisch kann in den meisten
* allen durch Rindfleisch oder Schweinefleisch ersetzt werden; in
len Gastwirtschaften sollten die Kalbfleischgerichte, die aus Kalb-
leisch bereiteten Würste etc. gestrichen werden. Auch das Schlach-
en von jungen Schweinen ist eine grosse Verschwendung und
ollte ebenfalls vollständig aufhören. Eine mässige Verminderung
es Viehbestandes durch Schlachten von Stieren und Rindern dürfte
Ich für das Jahr 1915 empfehlen. Wir können dann einen Teil der
Jeefelder, die bisher das Viehfutter erzeugten, dazu benützen, Ge-
reide für die Menschen anzubauen.
In vielen Gegenden, z. B. im Allgäu, ist zurzeit Käse und
ius lassbutter in grossen Mengen vorhanden und sehr billig,
s ist daher zweckmässig, das zur Ernährung der Menschen not¬
wendige Eiweiss statt aus dem teuren Fleische lieber aus dem
illigen Käse zu gewinnen, denn Kleienbrot, Milch, Käse und Kartoffel
md eine ausgezeichnete Ernährung. Es sollte auch mehr Gemüse
ngebaut werden; vor allem Bohnen, Erbsen, Linsen, Kraut, Wir-
ng, Kohlraben. Spinat, Endivien, Feldsalat, Blumenkohl, Winterkohl,
arotten, rote Rüben; namentlich Erbsen, Linsen, Bohnen enthalten
dchlich Eiweiss und sind ein billiger Ersatz für Fleisch. Bezüglich
der dieser Dinge leistet die „Uebersicht über den Anbau der wich-
gsten Gemüsearten“ von dem Kgl. Landinspektor für Obst- und
Gartenbau (zu beziehen durch die Buchdruckerei Gotteswinter in
lünchen, Theatinerstrasse 18, pro Stück 15 Pfg.) gute Dienste.
Jetzt, wo die Getreideernte vorbei ist, sollte auf manchen Ge-
eidefeldern Gemüse gesät werden. Die betreffenden Felder
iissten. soweit der Boden es gestattet, dann zu Frühlingsgetreide
erwendung finden. In den Städten sollte auf brachliegenden Gründ¬
lichen und in Privatgärten Gemüse gebaut werden; auch die Rasen-
ldien sollen für den Bau von Wintergemüse Verwendung finden,
e Rasenflächen sind meist fruchtbar, das ausgestochene Gras dient
s Dünger.
Die Verwendung von Mais als Viehfutter soll möglichst einge-
hränkt werden. Aus Mais lassen sich ausgezeichnete Speisen für
;n Menschen bereiten. In vielen südlichen Gegenden ist ja Mais
is Hauptnahrungsmittel. Auch wir können uns daran gewöhnen,
ehrmals wöchentlich Polenta zu verspeisen. Es sollte auch mög-
hst rasch dafür gesorgt werden, dass viel Erbsen, Linsen, Bohnen,
ais, Reis, Kastanien etc. aus den neutralen Staaten eingeführt wer-
:n’ denn alle diese Nahrungsmittel besitzen einen grossen Nähr-
ert.
Kastanien werden als Bratkastanien, als Kastanienpüree
dergl. eine sehr nahrhafte Speise darstellen. Die Verwaltungen
der Stadt sollten ebenso wie die grossen Kolonialwarenhandlungcn
jetzt grössere Mengen von Erbsen, Linsen, Bohnen, Mais, Reis,
Kastanien usf. ankaufen und für den Notfall aufheben.
Die Fabrikation von Bier sollte wesentlich verringert werden.
Die Bevölkerung muss sich daran gewöhnen, während des Krieges
zur Stillung ihres Durstes in der Regel Wasser zu trinken. Dieses
Opfer ist sehr gering im Verhältnis zu dem, was unsere Soldaten
leisten müssen. Der grössere Teil der Gerste sollte zu Ernährungs¬
zwecken aufgehoben werden. Aus Gerste lassen sich sehr nahr¬
hafte Suppen, Breie usw. hersteilen. Gerstenmehl lässt sich dem
Roggenmehl bei der Brotbereitung beimischen bis 10 Proz., ohne
dass es besonders den Geschmack verändert. Es würde sich dazu
eine kleine Beimischung von Bohnenmehl empfehlen, die das bei
Gerstenmehlzusatz eintretende Trockenwerden des Brotes verhindert
Auf diese Weise wird das Roggenmehl gespart.
Reichlicher Anbau von Kartoffeln ist besonders erwünscht. Die
Mästung des Viehs mit Kartoffeln sollte zunächst unterbleiben. Die
Verwendung von Kartoffeln zur Fabrikation von Spiritus und Schnaps
soll möglichst eingeschränkt werden. Durch den Zusatz von Kar¬
toffelmehl zum Roggenbrot lassen sich ebenfalls sehr gutschmeckende
Brotarten hersteilen. Kartoffelmehl unter das Brot gemischt, macht
es sehr schmackhaft und hält es länger frisch. Auch die Verspeisung
von Kartoffelkuchen, Kartoffelnudeln usw. ist sehr empfehlenswert.
Wenn wir den Verbrauch unseres Roggenmehles durch Zusatz
von Kleie, ev. von Kartoffelmehl und Gerstenmehl einschränken, so
können wir auf diese Weise ungefähr 20 Proz. des heuer geernteten
Roggens für das Jahr 1916 aufheben und hiedurch die Folgen einer
etwaigen Missernte im Jahre 1915 ausgleichen. Ein Nahrungsmangel
ist dann also auch in den kommenden Jahren nicht zu befürchten.
Manche Erläuterungen zu dem Gesagten finden sich in dem
Aufsatz von Prof. Dr. Max Gruber „Mobilisierung des Ernährungs¬
wesens“ im Septemberheft der „Süddeutschen Monatshefte“, dessen
Studium dringend empfohlen wird.
Dr. H e c h t Dr. Hohmann Prof. Kerschensteiner
Hofrat K r e c k e Dr. L u k a s Dr. S c h o 1 1
Aerztlicher Kriegsausschuss München.
Hofrat C r ä m e r, Hofrat Decker, Dr. K r ii c h e, Geh.-R. Prof,
v. Müller, Hofrat Oppenheimer, Prof. v. Romberg, Hofrat
T h e i 1 h a b e r, Hofrat Uhl.
Dr. med. Georg Kollibay, Spezialarzt für Ohren-, Nasen-,
Halskranke in Glatz schreibt uns:
Ich fertige mir eine Anzahl von kleineren Instrumenten, Sonden
jeder gebräuchlichen Stärke, Zungenspatel, Haken usw. aus dem käuf¬
lichen Nickelindraht an, Stärke 1—3 mm (zu haben bei K 1 e i n i g
& Blasberg, Leipzig); aus umsponnenem Nickelindraht kleine
Rheostaten. Nickelindraht ist bedeutend besser als Neusilberdraht,
hat gerade die richtige Widerstandskraft, lässt sich aber durch Glühen
auch weicher machen, falls man ihn leicht biegsam braucht. Lötung
mit dem weichen Silberlot der Zahnärzte sehr leicht (nicht mit Zinn).
Für Kanülen und Drainröhren lässt sich Zinnrohr von etwa 6 mm
Durchmesser, 1 mm Wandstärke benutzen, es lässt sich oval drücken,
ich habe es auch schon zu Lufteintreibung in die Luftröhre benutzt,
auch zur Narkose.
Das (meist nicht nötige) Anrauhen des Nickelindrahts geschieht,
ausser mit dem Stichel oder der Feile, durch flüssige Chromsäure
oder rauchende Salpetersäure.
Ausmerzung fremdsprachiger Fachausdrücke.
Landauf, landab lesen und hören wir, dass fremdsprachige Be¬
zeichnungen von Geschäften und Sachen ausgemerzt werden und dass
wir uns auf unser gutes Deutsch besinnen.
Nur auf unserm ureigensten Gebiete blüht nach wie vor der Miss¬
brauch solcher Ausdrücke. Manche Arbeiten wimmeln davon.
Wenn schon ein Ding in reiner Gelehrtensprache bezeichnet wer¬
den soll, so greife man doch zurück auf die griechische oder latei¬
nische als in der ganzen Welt verständlich. Man erlasse aber den
Lesern den Genuss der französischen, englischen usw. Bezeichnungen,
die sich recht gut in bestem Deutsch wiedergeben lassen.
Die betr. Herren Verfasser wollen sich wohl mit dem Mantel
tiefster Gelehrsamkeit umgeben? Sie scheinen nicht zu ahnen, dass
sie durch ihre Manie das Gefühl stärkster Ablehnung im Leser her-
vorrufen — das muss einmal offen gesagt werden.
Also meine lieben schriftstellernden Kollegen: schreibt Deutsch
und notabene möglichst gutes Deutsch! F u o s s - Giengen a/Brz.
Die Redaktion der M.tn.W. war schon immer bemüht, in den ihr
zugehenden Manuskripten die eingemischten französischen und engli¬
schen Fachausdrücke zu verdeutschen. Das ist jedoch nicht immer
einfach. In vielen Fällen ist es schwer, einen deutschen Ausdruck
zu finden, der den Begriff ebenso gut deckt wie der zu ersetzende
fremdländische; oft sind auch die Autoren mit solchen Bestrebungen
nicht einverstanden und leisten ihnen Widerstand. Der einzelne wird
hier nicht viel erreichen können. Um eine durchgreifende Besserung
zu erzielen wäre es nötig, eine Kommission von Fachmännern zu
bilden, die die vorkommenden neusprachigen Fachausdrücke syste-
1992
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 38.
ma tisch zu sammeln und Vorschläge fiir ihre Verdeutschung zu
machen hätte. Diese Vorschläge wären in der Fachpresse zu ver¬
öffentlichen und die Autoren zu ersuchen, sich ihrer zu bedienen.
Vielleicht gibt eine der grossen deutschen Fachgesellschaften, etwa
der Kongress fiir innere Medizin, die Anregung zu einem solchen
Unternehmen. Red-
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 21. September 1914.
— Die siebente K r i e g s w o c h e hat die Entscheidung der
grossen Schlacht, die nordöstlich von Paris zwischen Oise und
Maas tobt, noch nicht gebracht; doch liegen Teilerfolge vor, die
einen für unsere Waffen glücklichen Ausgang zuversichtlich erwarten
lassen. Im Osten hat Oeneraloberst v. Hindenburg sein Ver¬
nichtungswerk gegen die russische Armee fortgesetzt und vollendet,
ganz Ostpreussen vom Feinde befreit und bereits die Offensive im
Feindesland aufgenommen. Die dankbare Universität Königsberg hat
ihm für diese Ruhmestat die Doktorwürde ihrer vier Fakultäten ver¬
liehen. Im Innern versprechen die Zeichnungen auf die Kriegsanleihe
ein glänzendes Ergebnis; auch die Aerzteschaft hat nach ihrem Ver¬
mögen zu dem Erfolg beizutragen gesucht. Wie wir hören, haben ge¬
zeichnet- der Aerztliche Verein München 30 000 M., der Pensions¬
verein für Witwen und Waisen bayerischer Aerzte 30 000 M„ der
Verein zur Unterstützung invalider Aerzte 30 000 M., der Sterbe¬
kasseverein bayerischer Aerzte 10 000 M„ der Münchener Aerzte-
Verein für freie Arztwahl 30 000 M. und das Herausgeber-Kollegium
der Münchener Medizinischen Wochenschrift 70 000 M.; zusammen
also von 6 bayerischen Vereinen 200 000 M., eine ansehnliche Leistung.
Am 16. ds. fand in München der 1. Kriegschirur¬
gische Abend des Aerztlichen Vereins statt. Die in den Mün¬
chener Reservelazaretten tätigen Aerzte (v. St üben rauch.
Kr ecke, Fessle r, Gebele, Sielmann, v. Hösslin,
Kästle u. a.) berichteten an Hand eines sehr grossen Materials
über ihre Erfahrungen und Beobachtungen. Die Vorträge waren von
zahlreichen ausgezeichneten Projektionsbildern begleitet. Eine ähn¬
liche Veranstaltung fand in Berlin am 15. ds. statt; Ministerial¬
direktor Dr. Kirchner hielt den 1. Vortrag über ärztliche Friedens¬
tätigkeit im Kriege.
— Mit Bezug auf „Scharpie als Verba n d m a t e r i a 1“
schreibt uns Herr Med.-Rat Dr. (irassl in Kempten, dass auf seine
Veranlassung Ende der 90 er Jahre das Bayer. Rote Kreuz durch
Hofrat Dr. B r u n n e r, damals chirurgischer Oberarzt im Kranken¬
haus München r. d. I., Versuche anstellen liess, die ein sehr günstiges
Ergebnis hatten. Es sei damals auch eine Doktorarbeit über das
Thema erschienen. Er glaubt, dass die Scharpie ein sehr brauch¬
bares Verbandmaterial darstellt.
Oesterreichische Universitätsprofessoren
als Militärärzte. Von Kaiser Franz Joseph wurden im öster¬
reichischen landwehrärztlichen Offizierskorps auf Kriegsdauer er¬
nannt: die ord. Professoren für Hygiene, Obersanitätsrat Dr. Arthur
Sc hatten froh an der Wiener Universität, Dr. Anton B u j w i d
au der Universität Krakau und Dr. Paul K u c e r a an der Universität
Lemberg zu Oberstabsärzten erster Klasse, der a. o. Professor der
Chirurgie an der Universität Wien. Primararzt im Allgem. Kranken¬
hause, Dr Konrad B ü d i n g e r zum Oberstabsarzt zweiter Klasse,
der Ordinarius der Anatomie an der Wiener Universität Prof. Dr.
Julius Tandler und die a. o. Professoren daselbst Dr. Arthur
Klein (Interne Medizin). Dr. Alexander Pilcz (Psychiatrie und
Neurologie), Dr. Karl Sternberg (Pathologische Anatomie),
Dr. Egon Ranzi (Chirurgie), Dr. Erwin Straus ky (Psychiatrie
und Neurologie), Dr. Walther Pick (Dermatologie und Syphilido-
logie), Dr. Walter Zweig (Innere Medizin), Dr. Robert Christo-
f o 1 c 1 1 i (Geburtshilfe und Gynäkologie), Dr. Hugo Leischner
(Chirurgie) und Dr. Otto Porges (Interne Medizin) zu Regiments-
ärten, schliesslich die Privatdozenten an der Universität Wien Dr. Karl
Funke (Chirurgie), Dr. Friedrich Wechsberg (Innere Medizin),
Dr. Nikolaus Ritter v. Jagic (Interne Medizin), Dr. Emil Glas
(Laryngo- und Rhinologie) und Dr. Albert Herz (Interne Medizin)
zu Oberärzten, (hk.)
Im Aufträge des österr. Ministeriums des Innern begab sich
der Professor der pathologischen Anatomie an der Prager deutschen
Universität, Obersanitätsrat Dr. Anton Gohn, in epidemiologischen
Diensten nach Dalmatien. Eine zweite wissenschaftliche Expedition
leitet der Hygieneprofessor derselben Hochschule, Dr. Oskar Bail,
der in Begleitung der Privatdozenten Dr. Edmund Weil und Dr. Wil¬
helm Spät mit einem mobilen Feldlaboratorium nach dem nörd¬
lichen Kriegsschauplatz abgegangen ist. (hk.)
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. E. S c h m i d t, Professor der Pharma¬
kologie an der Universität Marburg a. L„ hat die ihm seinerzeit von
englischer Seite verliehene Goldene Hanbury-Medaille, die
einen Goldwert von 500 M. repräsentieren soll, dem Roten Kreuz zur
Verfügung gestellt.
Von dem „Handbuch der Gesundheitspflege an
Bord von Kriegsschiffen, herausgegeben von zur Verth,
B e n t m a n n, D i r k s e n und Rüge (Verlag von G. Fischer in
Jena) ist jetzt der 2. Band: „Krankheitsverhütung“ er¬
schienen. Besprechung folgt.
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26.
In der 35. Jahreswoche, vom 30. August bis 5 September
1914, hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Trier mit 66,7, die geringste Barmen mit 5,4 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬
storbenen starb an Scharlach in Zabrze, an Diphtherie und Krupp
in Worms, an Keuchhusten in Flensburg, M.-Gladbach.
Vöff. Kais. Ges.A.
_ Pest. Niederländisch Indien. Vom 29. Juli bis 25. August
wurden 1004 Erkrankungen (und 947 Todesfälle) gemeldet. — Cuba,
ln Santiago vom 4.— 13. August 6 Erkrankungen und 1 Todesfall.
Brasilien ln Bahia vom 26. Juni bis 11. Juli 2 Erkrankungen
und 2 Todesfälle.
(Hoch sch ulnachrichten.)
Breslau. Die Eröffnung des Wintersemesters 1914 15 erfolgt
am 15. Oktober. Da das grosse Universitätsgebäude als Lazarett
eingerichtet wird und die meisten Hörsäle mit verwundeten und
kranken Soldaten belegt werden, können die Vorlesungen nur in den
Hörsälen der naturwissenschaftlichen und medizinischen Institute
und der Technischen Hochschule aufgenommen werden.
F r e i b u r g i. Br. Dem Privatdozenten fiir innere Medizin.
Dr. Wilhelm Hildebrandt, ist der Titel ausserordentlicher Pro¬
fessor verliehen worden, (hk.)
Königsberg. Der Befreier Ostpreussens, Generaloberst
v. Hindenburg, wurde von allen vier Fakultäten der Albertus-
universität zu Königsberg einstimmig zu ihrem Ehrendoktor promo¬
viert. Diese Ehrung steht in der Geschichte der Königsberger Uni¬
versität einzig da.
Münster i. W. Aerztliche Vorprüfung. In dem ver¬
gangenen Prüfungsjahr (1. Oktober 1913 bis 30. September 1914 '
haben im ganzen 136 ärztliche Vorprüfungen stattgefunden. Darunter
waren 17 erste Wiederholungsprüfungen und 4 zweite Wiederholungs¬
prüfungen. Von den 136 Prüflingen haben 103 bestanden, 4 traten
mit genügender Entschuldigung von der begonnenen Prüfung zurück.
Von denen, die bestanden, erhielten das Gesamtprädikat sehr gut 22.
das Gesamtprädikat gut 55 Kandidaten, die übrigen genügend. —
Zahnärztliche Vorprüfung. In dem vergangenen Prüfungs-
jahr (1. Oktober 1913 bis 30. September 1914) haben im ganzen 17
zahnärztliche Vorprüfungen stattgefunden. Darunter waren 3 erste
Wiederholungsprüfungen. Von den 17 Prüflingen haben 13 bestanden.
Das Gesamtprädikat sehr gut erhielten 8 Kandidaten, die übrigen das
Prädikat gut.
Würzburg. Prof. Hofrat Dr. Ferdinand R i e d i n g e r. K. b.
Generalarzt ä la suite des Sanitätskorps, feiert am 19. September
seinen 70. Geburtstag, (hk.)
Prag. Dr. Ottokar Rybak wurde als Privatdozent Dir
Pharmakologie an der medizinischen Fakultät der tschechischen Uni¬
versität zugelassen.
Wien. Dr. Otto Sachs hat sich als Privatdozent für Der¬
matologie und Syphilodologie, Stabsarzt Dr. med. und phil. Erhard
Glaser als Privatdozent für Hygiene und Mag. pharm, und med.
Dr. Richard W a s i c k y als Privatdozent für Pharmakognosie an der
med. Fakultät habilitiert.
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Dr. D e h m e 1, Stabsarzt im Inf.-Reg. Nr. 30.
Fritz v. Ewald, cand. med., Darmstadt.
Erich G 1 ä s e 1. stud. med., Einj.-Gefreiter im 19. bayer. Inf.-
Reg. am 25. August.
Dr. Werner Mayer, Stabsarzt d. L., Celle, am 23. August.
Dr. Molkenbuhr, Einj.-Arzt der Marine.
Dr. Artur Scherschmidt, Stabsarzt, am 3. September
Dr. Franz Seiler, Stabsarzt d. Res., prakt. Arzt in Gersheim
(Pfalz), in Lüttich.
Dr. Seyberlich, Marineassistenzarzt, am 28. August.
Dr. Strassner, Marinestabsarzt, mit S. M. S. Köln.
Heinz W e 1 t z, Feldunterarzt.
Dr. Otto Xylander, Stabsarzt, beratender Hygieniker beim
Generalkommando XII. (durch einen Franktireurschuss in
Belgien).
Deutsche Aerzte!
Verschreibt nur deutsche Präparate und Spezialitäten!
Die „Feldärztliche Beilage“ ist bestimmt, allen im Felde stehen¬
den oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten der deutschen
und österreichischen Armee und Flotte unentgeltlich geliefert zu wer¬
den. Herren, welche sie nicht erhalten, werden um Angabe ihrer
Adresse ersucht.
Beiträge für die „Feldärztliche Beilage“ werden nach erhöhten
Sätzen honoriert
Selbstverständlich wird unseren im Feld stehenden Abonnenten
auch die Wochenschrift selbst an jede uns angegebene Adresse nacn-
geliefert. J. F. Lehmanns Verlag
Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Die MühOmer MedlxiniKhe Wochen. chrift er.chemt wöchentlich
,m Umfing von durchschnittlich 7 Bogen. . Prei. der einrr nen
Nummer 80 4. . Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
m 6.—. . Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag
Zusendnngen sind zu adressieren:
POr die Redaktion Amulfstr.26. Börozeit der Redaktion 8V.-1 Uhr.
rOr Abonnement an j. P. Lehmann’s Verlag, Paul Meysestrasse 2V
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse i.
MÜNCHENER
^ ■» — ...»»*»( .uvMijftauuK 3«
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Originalien.
Aus dem Zentralröntgenlaboratorium im k. k. allgemeinen
krankenhause in Wien (Vorstand: Primararzt Prof. Holz¬
knecht).
Vereinfachung der klinischen Duodenalschlauch¬
untersuchung. V
Von Holzknecht - Wien und Lippman - Chicago.
Als wir ursprünglich daran gingen, zum Zwecke der Rönt¬
genuntersuchung in das Duodenum Kontrastmittel durch den
Duodenalschlauch einzuspritzen *), haben wir es bald sehr stö¬
rend empfunden, dass im allgemeinen eine recht ge¬
raume und dabei ungemein wechselnde Zeit
vergehen muss, bis der Schlauch in das Duo-
J cii u m ge langt ist, d. h., bis aus demselben ausschliess-
ich neutrales oder alkalisches Sekret fliesst. Damit ist aber
he Methode, sowohl für diesen Zweck als auch im allgemeinen
ur die Untersuchung der Sekrete und des übrigen Duodenal-
nhaltes praktisch auf das liegende und nicht eilige Material
leschränkt und dadurch in ihrem Werte degradiert. Bei dem
. orwiegend pathologischen Material, das uns zur Röntgen-
intersuchung zugewiesen wird, haben wir die Ursache dieses
ästigen Umstandes nebst etwaigen Fehlern der Technik der
schlaucheinführung zunächst den pathologischen Zuständen in
ue Schuhe geschoben (Stenose, Pylorusspasmus etc.), die ja
elbstverständlich gelegentlich die Einführung unmöglich
Hachen können; bald aber mussten wir uns überzeugen, dass
n den meisten misslungenen oder nicht in kurzer Zeit ge-
ungenen Fällen das Hindernis keineswegs in pathologischen
erhältnissen gelegen war. Wir mussten daher unsere Tech¬
nik beschuldigen. Bei genauerem Studium der in der Literatur
liedergelegten Techniken ergab sich, dass unsere Schlauch-
mführungsverfahren einerseits nicht wesentlich von der all¬
gemein geübten abweicht, andererseits dass unsere Einführungs¬
eiten eigentlich gar nicht länger waren, als die der Autoren,
um grossen Teile sogar kürzer, und dass wir bloss Grund
atten mit der Dauer des Verfahrens im allgemeinen unzu-
rieden zu sein und dies ist begreiflich, da wir ausschliesslich
mbulantes Material zur Verfügung hatten. Während die
lUtoren angeben, dass sie den Schlauch z. B. abends einführen
nd morgens untersuchten oder frühmorgens einführen um
uttags zu untersuchen, eine Zeit, die sich für manche
alle nur selten auf eine Stunde oder darunter herabdrücken
isst, mussten wir, für die die Schlaucheinführung nur ein vor-
ereitender Akt sein sollte, kürzere Zeiten verlangen, und da
' ir unsere Versuche nur für den Fall fortzuführen gesonnen
aren, dass sich das Verfahren zu einer relativ einfachen, ins
ietriebe einer Ambulanz einfügbaren, also expeditiven ge¬
lten lässt, in der langen Dauer der Einführung ein bedenk-
ches Moment sehen. Wir hätten daraus unsere Konsequenzen
•-zogen, wenn nicht auch wir in einzelnen Fällen ungemein
isch das Duodenum erreicht und angenommen hätten, dass die
1 diesen Fällen vorliegenden Besonderheiten vielleicht in allen
ergestellt werden können, wodurch wir unser Ziel erreicht
aben würden. Wir waren uns dabei bewusst, dass mit einer
sichen Vereinfachung des Verfahrens nicht nur der engere
weck der Röntgenuntersuchung des Duodenums, sondern
u c h d i e Verwendung desDuodenalsch laue h es
) Diese Methode wird seit 3 Jahren in Amerika geübt und
ammt nicht von David, sondern von E. H. S k i n n e r. (The Arch.
Internal Medicine, Nov. 1911, Vol. VIII.. S 574 )
Nr. 39.
zui diagnostischen Gewinnung von Duodenal-
sekret und zu therapeutischen Zwecken ge¬
fordert wäre, welche aus einer klinischen in eine
ambulatonschc umgewandelt würde. Es ist ja nicht
zweifelhaft, dass Kompliziertheit des Weges in einem prak¬
tischen Gebiete, wie die Medizin, sehr häufig auf das Ziel ver¬
zichten lässt, auch wenn es sehr wichtig ist. Wir selbst hatten
durch Umfrage Gelegenheit zu erfahren, dass schon jetzt die
Duodenalschlauchuntersuchung vielfach eingeschränkt und
selbst fallen gelassen wurde, und dass als Grund die Unzu-
verlässlichkeit der wechselnden kurzen und langen Ein¬
führungszeiten angegeben wurden. Wir gingen daher mit
unseren Versuchen sozusagen an den Ausgangspunkt derselben
zTiiiick und haben, weil doch über den Mechanismus der Be-
fördeiung der Sonde auf ihrem Wege vom Oesophagus ins
Duodenum nichts sicheres bekannt war, das Schicksal der
Sonde ähnlich wie Skalier auf den Schirm verfolgt und da¬
bei zu erkennen gesucht, welches die wirklichen treibenden
Kräfte seiner Fortbewegung und welche die Hindernisse sind.
Die dabei gemachten Beobachtungen ergaben sehr bald, dass
die treibende Kraft im Oesophagus die Peristaltik, im Magen
die Schw e r e der endständigen Olive des Schlauches, im
Bereiche des Pylorus ein noch nicht klarer wenig differenter,
rasch arbeitender, wohl aktiver Mechanismus und im Duo¬
denum wieder die Schwere der Olive ist. Als wir soweit
hielten, war es klar, dass das massgeblichste Moment für die
Ueberwindung der einzelnen bekanntlich in recht verschie¬
denen Richtungen gelagerten Abschnitte die L a g e r u n g des
Kranken ist. Die entsprechende Lagerung zu finden, dabei den
individuellen Verschiedenheiten (Rinderhorn- und Hacken¬
magen, ptotisches und gut getragenes Duodenum etc.) Rech¬
nung zu tragen, und schliesslich das Ganze zu vereinfachen,
indem wir versuchten, an Stelle zweier sich ergebender Lage-
i ungen eine einzige, sozusagen resultierende zu setzen, war
unsere nächste Aufgabe. So sind wir zu einer Technik gelangt,
welche uns fast ohne Niete in rund 25 Minuten ans Ziel führt!
und die auch in pathologischen Fällen von der absoluten Un¬
möglichkeit abgesehen, gleich gut funktioniert. Sie wird bei
uns von einer Krankenschwester nach einstündigem Unter-
Uchte durchgeführt und dieselbe kann zwei Patienten zugleich
und zwölf an einem Vormittag besorgen.
Wir möchten zunächst die Beobachtungen schildern, welche den
Mechanismus der Passage, soweit notwendig, aufgeklärt
haben. Wir bedienen uns hierzu eines Protokolls. J. K. 9. X. 13 (30)
25 jähr. Mann, früher immer gesund, seit 6 Wochen magenleidend,
Magendrücken, Druckgefühl, leichte Schmerzen vor und eine Stunde
p. c., Hungerschmerz, essen lindert die Schmerzen, kein Erbrechen,
Stuhl regelmassig, Nikotin +, objektiv nihil, insbesondere kein Druck-
punkt. P. F. 48—78, zur Röntgenuntersuchung zugewiesen von der
Abteilung Prof. Schütz, die uns in liberalster Weise in unseren
Bemühungen unterstützt hat, mit der engeren Fragestellung: Röntgen¬
untersuchung des Magens und Duodenum. Der Röntgenbefund war
normal bis auf sehr ausgeprägte Rinderhornform (Hypertonie des
Magens. Der (i r o s s sehe Schlauch (siehe unten) wurde mit der
U ive in den Rachen geschoben und die grosse, am Schirm sichtbare
Olive gelangte unter allmähligem Nachfolgen des lose gehaltenen
Schlauches, während der Patient über unsere Anweisung ständig
schluckte, langsam in die Pars cardiaca. Dort blieb die Olive liegen
bis der nachgeschluckte Teil des Schlauches eine Schlinge von etwa
drei Fingerlängen gebildet hatte und nun sah man bei der Durch¬
leuchtung des aufrechtstehenden Patienten die Olive plötzlich fast
so schnell wie im freien Fall, bei nachträglicher Schätzung doch
langsamer, etwa in 1 cm-Sekunden-Tempo an den kaudalen Pol des
Magens fallen, von wo sie in den nächsten Minuten, die damit ver¬
gingen, dass wir den Patienten Wismuthwasser einspritzten, an die
rechte Begrenzung der Wismuthfüllung des Rinderhornmagens ge-
1
1994
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
langte. Nun war es klar, dass die Lokomotion der Olive im Magen
mehr durch ihre Schwere gefördert wird, als durch die Peristaltik und
wir überlegten schon, dass die Peristaltik umsoweniger leisten würde,
je weiter das Magenvolumen und je weniger tief die Wellen sind.
In diesem Sinne konnten wir überzeugt sein, dass im Bereiche des
kaudalen Sackes, insbesondere beim Hackenmagen, die Peristaltik ein
meist insuffizierter Motor für die Olive ist, wenn nicht gerade in
dem betreffenden Falle hoch beginnende und fast vollkommen ab-
schnürende (ballenförmige) Peristaltik besteht. Tatsächlich findet
man bei Benützung einer sinkenden Wismuthkapsel, dass die Peri¬
staltik die am kaudalen Pole liegenden Kapseln nach Art einer Bagger¬
maschine zwar in die Nähe des Pylorus bringt, dass sie dann aber
offenbar über den nun schon vertikal liegenden Gipfeln der Wellen
in den kaudalen Sack zurückfallen. Naturgemäss werden diese Ver¬
hältnisse umso günstiger, die Magenperistaltik vermag die Kapseln
um so sicherer zu erfassen und vorwärts zu bringen, je mehr wir die
Olive des Schlauches mit anderen Mitteln dem Pylorus nähern, weil
dort das Magenlumen am engsten, die Peristaltik am tiefsten und
die Muskulatur am stärksten ist. Wir haben daher dem Patienten
mit Rücksicht darauf, dass er einen Rinderhornmagen hatte und dass
nach unseren Kenntnissen die Pars superior duodeni in der gleichen
Horizontalebene liegt wie die Pars pylorica ventriculi, dass also diese
beiden Strecken, in deren Mitte der schwierigst zu überwindende
Punkt des Pylorus gelegen ist, einen horizontal gelegenen, im wesent¬
lichen von vorn nach hinten ziehenden Halbkreis beschreibt, dessen
wichtigste Strecke schräg von links vorne nach rechts hinten zieht, in
halbrechte Seitenlage gebracht. Nach 5 Minuten erhielten wir alkali¬
sches Sekret, das nicht wieder sauer wurde.
An dem Prinzip, die Schwere mittels der Lagerung zu¬
gunsten der Lokomotion zur Geltung zu bringen, festhaltend,
haben wir überlegt, dass der Rinderhornmagen in dieser
Richtung besonders einfache Verhältnisse bietet. Wir haben
ferner konstatiert, dass in den bisherigen Fällen, in denen wir
manchmal nach kurzer Zeit ins Duodenum gelangten, manch¬
mal nach Stunden noch im Magen waren, die ersteren meist
Rinderhornmagen hatten und wir haben daher beschlossen,
bei Hackenmagen nacheinander aufrechte Stellung, rechte
Seitenlage, halbrechte Seitenlage und schliesslich Beckenhoch¬
lagerung einnehmen zu lassen, um so auch bei Hackenmagen
an das vorläufige Ziel zu kommen, nämlich, dass die Olive
sich dem Pylorus anlagert. Der Erfolg blieb nicht aus. Da
wir jedoch von Durchleuchtungen im Liegen her wissen, dass
jeder, und wäre es der. elongierteste Hackenmagen im Liegen
durch Emporrücken des ganzen Bauchinhaltes und Erweite¬
rung der unteren Thoraxapertur sich der Form eines Ueber-
gansmagens nähert, so haben wir zwar die Beckenhoch¬
lagerung beibehalten, aber den Versuch gemacht, die halb-
rechte Seitenlage durch die Rückenlage zu ersetzen. Dabei
haben wir auch bedacht, dass bei elongierten Hackenmagen in
allen Rechtslagen sich nicht nur der Inhalt des Magens nach
rechts verschiebt, sondern der ganze Magen mit dem Inhalt
nach rechts wandert, so dass dann in der auf der rechten
Seite gelagerten Patienten die Pars pylorica zum Teil wieder
ein steil nach aufwärts ziehendes Rohr bildet, was natürlich
ungünstig wäre. So kamen wir zu folgenden, in der Reihe
der Ausführung einander folgenden Lagen, Einführung in
sitzender Stellung, hierauf erklimmt der Patient den Tisch
unter Vorbeugen des Oberkörpers, sozusagen auf allen Vieren,
wobei das Hindernis der nicht seltener Pseudosanduhrmägen
(Krümmung der Achse der Pars cardiaca und media mit nach
hinten unten gerichteter Konkavität) überwunden wird, und
begibt sich über die sitzende in die rechte Seitenlage mit
leicht erhöhtem Oberkörper, wo er (wir führen hier gleich die
aus der Praxis gewonnenen Zeiten ein) nach Einführung bis
70 cm noch 5 Minuten bleibt und nimmt hierauf Rückenlage
mit Beckenhochlagerung ein, in welcher der Patient, ohne sich
aufzusetzen, mittels unterschieben desselben Keilpolsters,
welches in der ersten Stellung zur Erhöhung des Oberkörpers
diente, gebracht wird (10 Minuten). Diese Technik hat sofort
und bis heute die guten, unten näher zu schildernden Resultate
gegeben.
Wenn wir die Schlauchtechniken der Autoren überblicken, so
ergibt sich, dass Gross1) einen dünnwandigen Schlauch von Nr. 20
französisches Kaliber und eine schwere grosse Olive im Ende des
üummischlauches (ca. 10 g schwer und 1,5 cm lang) verwendet. Er
lässt die Olive nüchtern im Sitzen schlucken, bis 45 cm des Schlauches
aufgezehrt sind, worauf der Patient rechte Seitenlage einnimmt. In
dieser schiebt er, ohne dass der Patient schluckt, ganz sachte den
Schlauch hinein, mehr dem fühlbaren Zug der Metallkugel folgend,
bis zur Marke 70. Bei 70 cm hält der Patient den Schlauch mit
den Zähnen fest und bleibt so in der rechten Seitcnlage bis '% Stunden
liegen und fängt dann an, durch Absaugung vom Sekret auf Alkales-
zenz zu prüfen, welche in normalen Fällen oft schon zu dieser Zeit
besteht. Wir bemerken hier, dass wir in Befolgung dieser Technik
bei vielen auch nicht grob pathologischen Fällen sehr häufig bis
3 Stunden und auch da ohne Resultat zugewartet haben. Ein¬
horn--) verwendet eine ca. 3 g schwere Olive von 2 cm Länge
und einen dünnen Schlauch (Nr. 8 französisch) mit dickem Rand und
daher engem Lumen. Er lässt eine X* Stunde nach einem kleinen
Frühstück schlucken und halbstündig Thee nachtrinken. Die Olive soll
meistens nach 3 Stunden im Duodenum sein, ln einer anderen Modi¬
fikation lässt Einhorn den Schlauch abends schlucken und aspiriert
morgens. Wir bemerken hier, dass wir bei Verwendung eines dem
Einhorn sehen nachgebildeten Schlauches auch sehr lange Zeiten
erhielten, jedenfalls längere als mit dem Gross sehen Schlauch mit
seiner schweren Olive. Wir mussten von diesem Schlauch auch
deshalb abgehen, weil sein enges Lumen bei der für unsere Zwecke
notwendigen Einspritzung von Kontrastmitteln sich nicht allzu
selten verstopfte. Auch für nicht rein flüssigen Duodenalinhalt wäre
er ungeeignet. Skalier11 3) verwendet den Einhorn sehen
Schlauch und die Einhorn sehe Methode, lässt die Patienten aber
fortwährend schlucken und behauptet nach 10—25 Minuten, längstens
bis in 1 Stunde, das Duodenum zu erreichen, allein das trifft für die
meisten der häufigen Hackenmägen nach unserer Erfahrung nicht zu
Wir haben den grössten Teil der Untersuchungen mit dem Ori-
ginal-Grossschen Schlauch gemacht, dessen schwere
Kugel unbedingt beibehalten werden muss. Erst gegen Ende unserer
Untersuchungen haben wir das Kaliber des Schlauches etwas redu¬
zieren lassen, aber die geringe Wandstärke und den weichen
Kautschuk des Gross sehen Schlauches beibehalten.
Unsere Schlauchdimensionen sind aussen 6,2 mm (Ch. 18).
in Lichten 4,2 mm, Wanddicke 1 mm. Die eiförmige Blei¬
kugel ist die Gross sehe mit einer grossen distalen und
vielen kleinen siebförmigen Durchbohrungen mit Kupfer und
Nickel galvanisch überzogen (Instrumentenfabrik Leiter,
Wien IX, Mariannengasse). Zubehör: Aspirationsspritze von
75 ccm Inhalt, kongo und blaues Lackmuspapier. Ein Keil¬
polster zur Erhöhung des Körpers, 20 — 25 cm Rückenhöhe.
Nützlich eine Minutenuhr mit Signalschlag.
Palefsky4) nimmt von Gross die grosse schwere Kapsel
(7 g schwer, 1 cm lang) und von Einhorn den dünnen Schlauch
(Nr. 8 französisch), lässt nüchtern schlucken und in rechter Seitcn¬
lage bis 50 cm, dann, wenn er nicht gleich Magensaft bekommt, den
Schlauch mehrmals 10 cm zurückziehen. Er gibt 1 — 2 Stunden als
gewöhnliche Zeit für normale Fälle an.
Daraus ergibt sich, dass sowohl unsere Technik, als unsere
Resultate wesentlich von denen der Autoren abweichen. An
Stelle der Zeit über Nacht oder drei und mehr Stunden haben
wir es anfangs auf 40 Minuten, und durch Abkürzung der ein¬
zelnen Perioden auf ca. 25 Minuten gebracht. Was die Tech¬
nik anbelangt, so liegt das wesentliche Neue der unseren in der
Hinzufügung der Rückenlage mit Beckenhoch¬
lagerung, und diese entsprang der Erkenntnis, dass die
rechte Seitenlage zwar sehr geeignet ist, die Olive,
die ihrer Schwere folgt, die kleine Kurvatur aller Mägen
herabgleiten zu lassen, dass sie dadurch aber in rechter Seiten¬
lage nur bei den Rinderhornmägen an den Pylorus gelangt,
bei den Hackenmägen jedoch im kaudalen Sack liegen bleibt,
welcher nämlich in rechter Seitenlage den tiefsten Punkt des
Magens einnimmt; dagegen verläuft die Pars praepylorica bei
Rückenlage mit Beckenhochlagerung in der Richtung der
Körperachse und gegen den Pylorus hin, mehr minder schräg
absteigend, wozu nicht nur die Beckenhochlagerung, sondern
auch die Form der hinteren Abdominalwand im Bereiche der
Wirbelsäule und seitlich von ihr beiträgt. Aus dem gleichen
Grunde fallen schwere Ingesten, welche die Pars pylorica noch
nicht erreicht haben, in Rückenlage in die Pars cardiaca zurück.
Die Wirbelsäule ist eben bei Rückenlage der Wasserscheide
gleich, von der die Gerinne im Magen nach rechts und links sich
verteilen. Würde man daher die rechte Seitenlage nicht ver¬
wenden und direkt von der aufrechten Stellung in die Rücken¬
lage mit Beckenhochlagerung übergehen, so würde die bei
Uebergangs- und Hackenmägen etwas links im kaudalen Pol
liegende Kapsel in die Pars cardiaca zurückfallen. So sehen
wir in der Aufeinanderfolge von sitzender Stellung,
rechter Seitenlage, Rückenlage, dann diese
2) B.kl.W. 1910 Nr. 12 und Med. Record, 15. Januar 1910.
3) B.kl.W. 1912 Nr. 45: Zur Technik meiner Behandlungsmethode
des Dünndarmes mit vernebelten Medikamenten.
4) NewYork Med. Journal, 18. Okt. 1913.
O M.m.W. 1910 Nr. 22 und W.kl.W. 1912 S. 152.
20. September 1914 _ MUFNCHeNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
mit Beckenhochlager 11 n g ein Verfahren, welches
allen \ a r i a n t e n der Magenform, -grosse und -läge gerecht
wird, und es möchte scheinen, dass nur noch patho¬
logische Verhältnisse Schwierigkeiten machen können.
I rotzdein haben wir, abgesehen von Stenosen, auch bei vielen
pathologischen Fällen die gleichen kurzen Zeiten bekommen,
darunter auch bei sehr hohen Säurewerten und sogar bei
Pj lorusspasmus und vermutlicher Stenose mit röntgenologisch
nachgewiesener hochgradiger Motilitätsstörung.
, ^ l;'hr- Mädchen, 21. X. 13 (30). Seit 1 Jahr krank, seit
o Wochen Magenschmerzen, 1 Stunde vor dem Essen, auch morgens,
nie nachts. Essen lindert die Schmerzen. Erbrechen, saures Auf-
stossen, Stuhl regelmässig, nachträglich gibt sie an, einmal
schokladefarbig erbrochen zu haben. In der Mitte des Epi-
gastrium eine druckempfindliche Stelle. Probefrühstück 74—100.
Morphologisch normaler Hackenmagen bis 4 Querfinger unterhalb des
Nabels reichend, 6 Stunden nachher etwa ein Sechstel
der Mahlzeit noch im Magen, eine nicht bedeutende, aber
nicht zu vernachlässigende Motilitätsstörung. Schlauch
nüchtern bis zu 45 cm im Sitzen, in rechter Seitenlage rasch bis
70 cm 10 Minuten so liegen lassen, dann 10 Minuten Rückenlage,
dann Beckenhochlagerung. Fast augenblicklich erscheint galligsaurer
Inhalt auf dein Reagenzpapier in der Schale, die sauere Reaktion
nimmt ab und ist in 10 Minuten dauernd alkalisch. Durchleuchtung:
Olive in der ersten Jejunumschlinge5). Nach Zurückziehen in der
I ars inedia (mittelst Einspritzung von etwas Kontrastmittel) lokali¬
siert. Auch in einem Falle vermutlicher leichter Stenose (6 Stunden
p. c. ein Viertel de.r Mahlzeit im Magen, bei Wiederholung mit
Papavarin 0,06 ein Sechstel Rest) bewirkt in offenkundiger Weise die
Beckenhochlagerung die Entrierung des Pylorus. Der Pat. hat schon
■Ji Stunden mit rechter Seitenlage und Rückenlage verbracht und
bisher stets saueren, klaren Magensaft geliefert. Als wir dann den
Keilpolster unter sein Becken schoben, kam sofort galliges Sekret
Auch David erwähnte einen Fall von gelungener Sondierung bei
leichter Stenose.
In der Absicht, auf Verkürzung der Einführungszeiten hatten von
allen Mitteln die Beckenhochlagerung den grössten Effekt. Wir
konnten aber die Durchschnittszeit von 35 Minuten noch um weitere
10 Minuten abkürzen, also auf 25 Minuten (meistens 17—23), indem
wir nach folgender Ueberlegung die Verwendung der einfachen
Rückenlage beiseite Hessen und von der rechten Seite mit erhöhtem
Oberkörper direkt iii die Rückenlage mit Beckenhochlagerung über¬
gingen.
Da die rechte Seitenlage die Olive, die ihrer Schwere folgt, schon
bis in die rechte Hälfte des kaudalen Sackes bringt, so besteht keine
Gefahr mehr, dass sie bei Beckenhochlagerung wieder in die linke
Magenhälfte zurückfällt, sie fällt vielmehr direkt an den Pylorus. Tat¬
sächlich zeigte es sich, dass die Rückenlage entbehrlich ist. Hier
zwei Verlaufsbeispiele der Schlaucheinführung mit und ohne ein¬
fache Rückenlage.
Fall 16. X. 13 (31). Schlaucheinführung im Sitzen bis 45 cm
4 Minuten) in rechter Seitenlage bis 70 cm (5 Minuten). Kongo und
Liegenbleiben (5 Minuten). Rückenlage (10 Minuten), Becken¬
hochlagerung (10 Minuten), ständig neutrales Sekret. Durchleuchtung
im Stehen: Olive im Genu inferius, Gesamtzeit 34 Minuten.
Fall 13. XI. 13 (30). Einführen im Sitzen bis 45 cm (5 Mi¬
nuten), in rechter Seitenlage bis 70 cm (5 Minuten). Kongo und
Liegenbleiben (5 Minuten), Beckenhochlagerung (10 Minuten), ständig
alkalisch. Durchleuchtung im Stehen. Olive im Genu inferius. Ge-
samtzeit 25 Minuten. Die kürzeren Zeiten, welche sich häufig finden,
entstehen dadurch, dass schon in rechter Seitenlage oder in den ersten
Minuten der Beckenhochlagerung ständig alkalisches Sekret und die
Olive im Duodenum gefunden wird. Das Erstere ist insbesondere
vei Rinderhornmägen der Fall, wie wir das ja erwarten mussten, da
wir die Beckenhochlagerung eben für die Fälle mit Hackenmagen in
Jen Gang der Einführung eingefügt haben. Die häufigen Hacken-
nägen sind es daher auch, die früher den Gang der ersten Einführung
»o schleppend gestaltet haben.
Eine weitere Verbesserung, die aber keine Verkürzung bedeutet,
latte folgende Ursache. In 3 Fällen hatte die Olive nicht das Genu
nierius erreicht, sondern war in der Pars superior geblieben. In
;inem Falle fiel sie sogar auf dem Wege vom Einführungstisch zur
Jurchleuchtungsstelle in den Magen zurück (konstant neutrales Se¬
kret, dann wieder salzsaures Sekret, Durchleuchtung: Olive im
nagen). Zugleich sah man, dass die Schlauchlänge von 70 cm ohne
■wesentliche Krümmungen aufgebraucht war. 70cm schien also nicht
tenügend zu sein. Wir haben daher weiterhin nach den ersten 5 Mi¬
nuten Beckenhochlagerung den Schlauch auf 80 cm eingeschoben und
Jamit auch diese gelegentliche Störung vermieden. Hier ein Verlaufs-
>eispiel der Einführung bis 70 und 80 cm.
Fall 18. XL 13 (30). Einführung im Sitzen bis 45 cm (5 Minuten),
n rechter Seitenlage bis 70 cm (3 Minuten), Kongo und Liegenbleiben
p Minuten), Beckenhochlagerung ohne weitere Einführung des
Schlauches, kein konstant alkalisches Sekret (durch weitere 20 Mi¬
nuten), jetzt Nachschieben des Schlauches auf 80 cm, in 5 Minuten
lauernd alkalisches Sekret.
B) 1. Studienreise der Deutschen Röntgengesellschaft nach Wien.
1995
Zur Ausbildung der Methode haben wir auf die verschiedenen
i Hasen der Entwicklung verteilt 120 Fälle benützt, welche uns in
freundlicher Weise, besonders aus dem reichen Material der Ab¬
teilung I rof. Emil Schütz, ferner der übrigen Stationen des k. k. all-
gemeinen Krankenhauses zugewiesen wurden.
Wir wollen aus unseren Schirmbetrachtungen noch zwei Details
hervorheben. Praktisch wichtig ist die Beobachtung, dass bei der
Einführung auf 80 cm (meist auch bei 70 cm) die Olive nach dem Auf¬
stehen immer im Genu inferius duodeni befunden wird und diese
Lage im Liegen und Stehen bei leerem und gefülltem Duodenum mit
und ohne Peristaltik desselben dauernd beibehält, eine irgendwie
offenbar mechanisch begründete Tatsache. Man kann daher bei An¬
wendung unserer Methode ziemlich sicher sein, dass man Sekret
aus dem Genu inferius, also hinter den Einmündungsstcllen der
grossen Drüsen gewinnt, der Patient soll daher nicht liegen bleiben.
Bei Herumgehen wandert die Olive weiter. Oefters freilich bleibt die
]l‘ve Genu superius und in einem Teile dieser Fälle (3 von
120 Fallen) kann es Vorkommen, dass man fortdauernd salzsaures
- ekret bekommt, wodurch uns während der Einführutlg verborgen
bleibt, dass die Olive schon im Duodenum ist. Auch würde die
chemische Verarbeitung der Sekrete darunter leiden. Lässt man in
diesem Falle sitzende Stellung einnehmen, dann fällt die Olive ins
Genu inferius. Nachher lasse man die Patienten weiter liegen, da
sie im Sitzen zu würgen pflegen. Auch im Stehen würgen sie eben¬
sowenig wie im Liegen. Die Ursache der Erscheinung ist, dass die
Olive im Bulbus duodeni bleibt, und, dass offenbar reichlich Magen¬
sekret in das Duodenum geschafft wird. Interessant ist die nicht
seltene Beobachtung (siehe auch Fall 21 X. 13 (30), dass sofort nach
dem Uebergehen von der rechten Seitenlage in die Rückenlage das
Ausfhessen des Sekretes von saurer Reaktion in neutrales oder alkali¬
sches umschlägt, die Olive also förmlich durch den Py¬
lorus fällt oder wenigstens sehr rasch durchgetrieben wird
Jedenfalls ist von einer selektiven Zurückhaltung dieses groben
Fremdkörpers seitens des Pylorus oder des Antrum — eine ver¬
breitete physiologische Anschauung — keine Rede und das ist wohl
der Hauptgrund, warum es überflüssig ist, bei Anwendung der rich¬
tigen Lagen lange Wartezeiten für die Schlaucheinführung zu ge¬
brauchen. Mit Gross sind wir für das Einführen im nüchternen
Zustand und empfehlen die Patienten vorher nicht rauchen zu lassen
Bei der Schlaucheinführung empfiehlt es sich bei auftretendem
Würgen die Patienten durch energische Aufforderung zu taktmässigem
Atmen abzulenken und zu beruhigen.
Zusammenfassend ergibt sich also:
Man erreicht mit dem Schlauch von Gross oder dem
unserigen in 17—25 Minuten, wenn nicht Stenosen bestehen,
das Genu inferius duodeni, wenn man folgendermassen ver¬
fährt: Der Kranke schluckt nüchtern unter Nachhilfe des
Fingers des Arztes die Olive des eingeölten Schlauches i n
sitzender Stellung, abwechselnd mit taktmässigen
tiefem Atemholen bis zur Marke 45 cm und klemmt dann den
Schlauch mit den Lippen fest. Hierauf besteigt er, sich vorn¬
überneigend, sozusagen auf allen Vieren den Tisch und
legt sich in rechter Seitenlage mit erhöhtem
Oberkörper (Keilposter). Nun schiebt man den Schlauch
sachte mehr dem Gewichte der Olive und den Atemzügen
folgend bis zur Marke 70 ein0), aspiriert etwas Sekret und
bekommt auf Kongopapier die Reaktion des Magensaftes. Nun
lässt man den Patienten noch 5 M i n u t e n mit abgeklemmten
Schlauch liegen. Dann legt er sich auf den Rücken, der
Keilpolster wird zur Becken h o c h 1 a g e r u n g verwendet
und nach 5 Minuten wird der Schlauch bis 80 cm einge¬
schoben. Der Patient liegt so noch 5 Minuten. Jetzt erhält
man alkalisches oder neutrales Sekret. Wenn ausnahmsweise
[3 Proz. unserer Fälle7)] nach 15 Minuten in Beckenhoch¬
lagerung noch salzsaurer Saft erhalten wird, lasse man den
Patienten aufsetzen und nach einigen Sekunden wieder
hinlegen. Bei Entfernung des Schlauches lasse man den
Patienten nicht anfassen und lasse ihm bei fühlbaren Hinder¬
nissen (Kardia, Rachen) schlucken.
Will man für andere Zwecke mit dem Duodenalschlauch
oder mit anderen Apparaten, z. B. schwere Kugeln an Fäden
etc. bloss in die inhaltführenden Teile des
Magens gelangen, so verwendet man den ersten Teil
unserer Einführungstechnik bis an die dort gekennzeichnete
Stelle.
*) Für Gewinnung von Mageninhalt ist nur das Bisherige nötig.
) Unsere diesbezüglichen Fälle waren insoferne schlecht, als
sie nicht nüchtern waren, was die Einführung auch sonst sehr ver¬
zögern kann.
1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
1996
Aus dem Institut für Krebsforschung in Heidelberg
(Direktor: Exzellenz Czerny).
Untersuchungen mit der Meiostagminreaktion (As coli
und Izar).
Von N e h e m i a B 1 u m e n t h a 1 und Dr. Ernst Frankel.
I. DiagnostischeVerwendbarkeit.
Ueber die ersten mit der Reaktion ausgeführten Unter¬
suchungen am hiesigen Institut wurde bereits vor längerer Zeit
von R o o s e n und von BlumenthaP) berichtet. Es sei im
folgenden kurz das Resultat der weiteren Untersuchungen zu¬
sammengefasst, die ausführlich noch von Blumenthal an
anderer Stelle berichtet werden. Als „Antigen“ diente auch
hier wiederum das Gemisch von Linol- und Rizinolsäure
(Schuchhardt), meist in der Menge von 0,01. Jedoch
wurde die richtige Mischung und die Dosis erst durch Aus¬
titrieren mit Normalserum und Aszitesflüssigkeit festgestellt,
wobei sich später eine Mischung von 0,5 g Linolsäure und
0,2 g Rizinolsäure in 10 ccm Alkohol absolut als vorteilhaft
erwies. Das „Antigen“ wurde alle 8 Tage neu gemischt, da
es mitunter sehr rasch unbrauchbar wurde. Untersucht
wurden 318 verschiedene Sera, darunter 106 autoptisch oder
klinisch sichere Karzinome, 24 fragliche Karzinome, 20 normale,
31 Gravide und 118 verschiedene andere Erkrankungen.
Unter den letzteren waren 19 Sarkome, 19 Tuberkulose,
19 Luesfälle, 4 chronische Knochenaffektionen, Diabetes,
Urämie etc. 5 Sera ohne Diagnose und 19 mit einem schwachen
Antigen untersuchte seien nur nebenher erwähnt.
Die folgende Tabelle gibt Aufschluss über das Ergebnis
der Meiostagminreaktion, wobei Ausschläge von 1,5 Tropfen
an meist als schwach-positiv, von 2 Tropfen an als positiv
gerechnet werden. T „ h „ , . i
Diagnose
Zahl
der
Fälle
positive -f-
schwach +
negative —
Zahl
Proz.
Zahl
Proz.
Zahl
Proz.
Sichere Karzinome . .
106
79
74,5
12
11,3
15
14,2
Fragliche Karzinome . .
27
20
88,3
3
2,5
1
4,2
Gravidität ...
31
29
93,6
1
3,2
1
3,2
Normale
20
0
0
1
5,0
19
95,0
Sarkome .......
19
4
21,1
5
26,3
10
52,6
Tuberkulose ...
19
9
47,9
0
0
10
52,1
Lnes ....
19
2
10,5
6
31,6
11
57,9
Andere Erkrankungen . .
59
12
20,4
3
5,1
44
74,5
Unter der letzten Rubrik befinden sich folgende Fälle mit
positiven Reaktionen: 2 Verletzungen, 1 mal Hautausschlag mit
gleichzeitigem Bestehen der Menses, 1 mal Luesverdacht,
1 Urämie, 2 mal Diabetes mellitus, 2 mal Cirrhosis hepatis,
1 Scharlach und 1 malignes Granulom. Schwach positiv rea¬
gierte eine Pneumonie, 1 Prostatahypertrophie, 1 perniziöse
Anämie. 8 verschiedene Darmaffektionen reagierten negativ,
ebenso Hämorrhoiden, Gallensteine etc.
Betrachten wir das Ergebnis der Tabelle, so springt be¬
sonders die diagnostisch verwendbare positive Re¬
aktion der Gravidensera in die Augen. Bei der
Gravidität dürfte nach unseren Erfahrungen
bereits in einem sehr frühen Stadium eine
positive Reaktion zu finden sein, die beson¬
ders in Anbetracht der negativen Reaktionen
bei den normalen, nicht menstruierenden
Frauen von Bedeutung ist.
In pathologischen Fällen hingegen wie bei Tuberkulose,
Lues, Stoffwechselerkrankungen verliert die Reaktion ihre
praktische Bedeutung für die Diagnose, weil sie bei allen diesen
Erkrankungen nicht selten ein positives Resultat ergibt.
Wie stellt sich nun die Verwendbarkeit der
Reaktion für die Tumordiagnose? Die nur in ge¬
ringem Prozentsatz (30 — 45 Proz.) positiv reagierenden Sar¬
kome fallen dabei von vornherein weg. Trennt man dagegen
die sicherenKarzinome (106 Fälle, davon 74,5 Proz. +,
11,3 Proz. + — , 14,3 Proz. — ) in mehrere Gruppen, so finden
wir, dass die Hautkarzinome nicht, die des weib¬
lichen Genitaltrakt us nur schlecht, und die
Mammakarzinome mit 87 Proz. positiven Resul¬
taten nicht gerade gut mit Hilfe der Reaktion erkennbar sind.
Dagegen finden wir unter 40 Karzinomen des
Magendarmtraktus 37 positive = 92,5 Proz. und
nur 3 negative = 7,5 Proz. Dieses Resultat ist um so
günstiger, als gerade eine Anzahl der hier differential¬
diagnostisch in Betracht kommenden Er¬
krankungen negativ reagierte (verschiedene
Magenleiden, Hämorrhoiden, Gallensteine). Bei Verdacht auf
Leberzirrhose, bei Diabetes etc. dagegen ist die Reaktion
differentialdiagnostisch nicht zu verwenden.
Von 18 operierten Karzinomen waren 13 posi¬
tiv (68,4 Proz.), 2 + (10,5 Proz.) und 4 negativ (21,1 Proz.).
Unter den letzteren befanden sich 2 operierte Mammakarzi¬
nome ohne erkennbares Rezidiv, 2 mit beginnendem Rezidiv.
Dass Tuberkulose und chronische Knochenerkrankungen häufig
positiv reagieren, beeinträchtigt den diagnostischen Wert der
Reaktion sowohl für die Graviditäts- wie für die Tumor¬
diagnose.
II. Theorie der Reaktion.
Die ursprüngliche Antigen-Antikörpertheorie der Meiostag¬
minreaktion verlor ebenso wie die der Wasser mann-
reaktion ihren Boden, als sich Alkoholextrakte aus normalen
Organen als brauchbares „Antigen“ erwiesen. Damit fiel auch
die Wahrscheinlichkeit einer Spezifität fort, und es blieb die
Möglichkeit quantitativer oder qualitativer, chemischer oder
physikalischer Veränderungen im Serum übrig. Noch mehr
war dies der Fall, als sich gewisse Fettsäuren den übrigen
„Antigenen“ als ebenbürtig, ja in mancher Hinsicht als über¬
legen herausstellten. Trotzdem auch bei uns meist das Linol
Rizinolsäuregemisch zu den diagnostischen Untersuchungen
verwendet wurde, schien es doch von Interesse zu sein, da¬
neben eine Analyse der wirksamen Bestandteile bei den alko¬
holischen Tumorextrakten vorzunehmen* 2). Es stellte sich
heraus, dass bei der Trennung der Extrakte aus Kar¬
zinom und Sarkom in verschiedene Fraktionen, wie sic
von Klein und Fränkel3) bei der Wassermann¬
reaktion angegeben wurde, im wesentlichen die
antigenen Eigenschaften im azetonlöslichen
Teil des Aetherextraktes enthalten sind. Aber
auch der azetonunlösliche Teil und die beide Teile enthaltende
ätherlösliche Fraktion aus dem alkoholischen Extrakt zeigte
eine, wenn auch schwächere, antigene Wirkung. Dagegen
erwies sich der ätherunlösliche Teil meist
als völlig unwirksam. Wir neigen zu der Auffassung,
dass die Wirksamkeit des azetonlöslichen Teiles vor allen
den darin enthaltenen Fettsäuren, vielleicht auch noch in
geringem Masse ihrer Kombination mit Cholesterin und Phos-
phatiden zukommt. Dass die azetonunlösliche
Fraktion, welche im wesentlichen die Phos¬
phat i d e enthält, bei der Meiostagminreaktion
als schwächer wirkend gefunden wurde, ver¬
dient hervorgehoben zu werden, da anderer¬
seits die antigene Wirksamkeit dieses Ex¬
traktanteils bei der WaR. feststeht (Noguchi.
Klein und Fränkel). Eine ganz exakte Trennung der
lipoiden Teile von der ätherunlöslichen Fraktion (Salze, Ei¬
weissabbauprodukte) scheint bei, den Tumorextrakten aui
Schwierigkeiten zu stossen (Klei n).
Untersuchungen über die Haltbarkeit des Linol-
Rizinolsäuregemisches ergaben, dass häufig nach
1 Monat die Wirkung schwächer wird, dass sich aber oft
schon in 5 — 8 Tagen eine Abschwächung des Antigens ein¬
stellen kann, die nur durch die Mitführung von Kontrollsera
erkennbar ist. Deshalb empfiehlt es sich, spätestens alle
8 Tage eine neue Antigenmiscbung herzustellen.
Wie nun die Wirkung dieser Fettsäuren auf das Serum
zu deuten ist, steht noch nicht absolut fest. Wir glauben am
ehesten, in Analogie mit anderen serologischen Reaktionen,
eine Haftlockerung der Kolloide im Sinne einer Globulinfällung
als Ursache der Reaktion annehmen zu dürfen. Nachdem von
Blumenthal angestellte Versuche über den Einfluss des
Cholesterins, der Peptone des Eiweisses und anderer kapillar
reaktiver Stoffe im Serum negative Resultate ergeben hatte,
zeigte es sich, dass wir durch verschiedene Bedingungen eine
*) Die Anregung hierzu sowie die technische Ausführung ver¬
danken wir der gütigen Mitarbeit von Dr. med. et phil. W. Klein.
3) M.m.W. 1914 Nr. 12.
*) D.m W. 1914 Nr 12.
29. September 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1997
Erhöhung: der Tropfenzahl des Serums allein oder der Differenz I
heim Zusatz von Fettsäuren erzielen konnten: 1. durch Er¬
höhung der H-Ionenkonzentration im Serum beim Zusatz von
organischen oder anorganischen Säuren, während eine
erhöhte OH-lonenkonzentration keine Erhöhung, sondern
bisweilen sogar eine Verminderung der Tropfenzahl verur¬
sachte; 2. durch Verdünnung des Serums mit Wasser
(Hydrämie) während Einengung die Tropfenzahl herabsetzte:
durch Erhitzen des Serums auf 54 0 3 4 Stunde lang und
■}• durch Schütteln des Serums bei Zimmertemperatur (X bis
6 Stunden). In dem letzten Falle, der die physikalisch-chemi-
sehe Natui der Reaktion am deutlichsten hervortreten lässt,
zeigte sich ebenso, wie bei den anderen Massnahmen, Erhitzen,
Verdünnen und Ansäuerung oft schon eine Erhöhung der
Oberflächenspannung und Tropfenzahl im Serum allein, oft
ober erst bei Zusatz der Linol-Rizinolsäureniischung. Es liegt
nahe, bei all diesen Vorgängen als gemeinsam wirkenden
Faktor Veränderungen im physikalischen Zustand der Kolloide
inzunehmen und in dieser den eigentlichen Grund für das Auf-
reten einer erhöhten Reaktionsfähigkeit zu erblicken. Welche
Rolle dabei die Reaktion und speziell der CO^-Gehalt des
Serums spielt, müssen weitere Versuche zeigen. Wir würden
iann auch verstehen, dass die Reaktion nicht spezifisch sein
;ann. sondern, dass eine Reihe von Veränderungen im Serum
Hydrämie, Abnahme der Alkaleszenz, Erhöhung des Gehaltes
in Fettsäuren etc.) zu dem gleichen Effekt führen, was mit den
chmschen Erfahrungen gut übereinstimmt. Ein quantitativer
'der vielleicht sogar qualitativer Unterschied der Sera scheint
ich beim Verhalten gegenüber dem Erhitzen insofern zu
eigen, als bei manchen bereits die Tropfenzahl des Serums
in sich erheblich ansteigt, die Differenz bei Zusatz von Linol-
«hzmolsäure jedoch die gleiche bleibt, oder doch nur unerheb-
ich wächst, bei anderen dagegen die Tropfenzahl des Serums
n sich nicht so sehr ansteigt, wie die Differenz bei Zusatz
on Linol-Rizinolsäure.
ms der med. Klinik des städtischen Krankenhauses zu Frank-
irt a. M. (Direktor: Professor Dr. Schwenkenbecher).
leber die Bedeutung der von Doehle beschriebenen
Leukozyteneinschlüsse für die Scharlachdiagnose.
Von Dr. R. I s e n s c h m i d und Dr. W. S c h e m e n s k y.
Seitdem im Jahre 1911 Doehle1) darauf hingewiesen
at, dass sich in den Leukozyten der in den ersten Tagen
ines Scharlach stehenden Patienten regelmässig Einschlüsse,
orperchen von verschiedener Form, durch besondere Färbe¬
erfahren darstellen lassen, ist eine grosse Zahl von Nach-
ntersuchungen veröffentlicht worden.
D o e h 1 e selbst erklärte im folgenden Jahre 2) die Kör¬
erchen für Spirochäten und für Zerfallsprodukte von solchen,
ach dieser Auffassung wäre ihre diagnostische Bedeutung
esonders gross, würden sie doch die Anwesenheit des spezi-
-chen Erregers beweisen, der Spirochaete scarlatinae.
Fast alle Nachuntersuchungen haben bestätigt, dass in
-n ersten Tagen des Scharlachs im Protoplasma der poly-
ikleären, neutrophilen Leukozyten Körperchen von mannig-
cher Form in so gut wie allen Fällen zu finden sind, auch
men die Untersuchungen übereinstimmend ergeben, dass
ch ^ in vielen anderen Krankheiten, besonders Infektions-
ankheiten, gleichgeformte und gleich färbbare Körperchen
mehr oder weniger grosser Zahl finden.
Trotzdem also in der Hauptsache, in den tatsächlichen
^Stellungen, Uebereinstimmung herrscht, gehen die Urteile
;er den diagnostischen Wert der Körperchen so weit aus-
nander, als es überhaupt möglich ist. Als für Scharlach
tzifisch werden sie allerdings nur von vereinzelten Unter-
ehern ■’) angesehen. Andere ’) leugnen die diagnostische
_‘) Leukozyteneinschlüsse bei Scharlach. Zbl. f. Bakt. 61. 1911.
( Kieler med. Gesellschaft, Mai 1912, ref. M.m.W. 1912 S. 1688.
I Gromski: Pregled pedgatigasny 4. 191 2, ref. Zbl. f. d. gcs.
^7.1913. — Amato: Sperimentale Jg. 67, 1913; ref. Zbl. f. inn.
*) Iskender Ahmed: B.kl.W. 1912 S. 1232. — G 1 o rn s e t: Journ.
uifect. dis. 1912 S. 468; ref. Zbl. f. d. ges. inn. M. 4. 1912. — Pr e i -
eh: Bkl.W. 1912 S. 771.
Bedeutung der Einschlüsse gänzlich. Die meisten Autoren
neigen dazu, ihnen einen gewissen — grösseren oder ge¬
ringeren — diagnostischen Wert beizumessen.
Die Untersucher haben verschiedene Färbungen benutzt.
Die von Doehle selbst empfohlenen Färbemethoden sind
auffallenderweise nur von den wenigsten gebraucht worden.
Die meisten färbten mit Methylenblau nach Manson,
während andere mit der Färbung nach Giemsa r’), ja auch
mit der M a y - Grünwald sehen °) Färbung zum Ziele ge¬
langten, Färbungen, deren Brauchbarkeit zu diesem Zwecke
andere Autoren leugnen. Wir vermuteten anfänglich, dass
die grossen Unterschiede in der Beurteilung, welche zwischen
den einzelnen Untersuchern bestehen, im wesentlichen auf
den Leistungsdifferenzen der verschiedenen Färbemethoden
beruhen könnten.
Aber für alle Fälle konnte das nicht zutreffen. Führte
doch ein und dieselbe Färbeme^thdde den einen zu einer
günstigen Beurteilung ') des diagnostischen Wertes, andere
zu einem verwerfenden Urteil s).
Da es uns nicht gelang, uns an der Hand der Literatur mit
ihren vielen widersprechenden Angaben ein Urteil über die
diagnostische Brauchbarkeit der Doehle sehen Körperchen
zu bilden, unternahmen wir eigene Untersuchungen.
Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Professor
Doehle hatte der eine von uns Gelegenheit, an Ort und
Stelle Präparate und Färbetechnik kennen zu lernen.
Wir benutzten zu unseren Untersuchungen vorwiegend
zwei Färbungen:
1. Da sKarboI-Methylgrün-PyroninnachPappen-
lieim-Unna. Da diese Färbung manche Autoren, z. B. K r e t s c h -
m e r, nicht befriedigt hat, wir sie aber, wie Doehle, für besonders
brauchbar halten, wollen wir auf die Einzelheiten kurz eingehen.
Die lufttrockenen Ausstriche wurden sofort in Aethyl- oder Methyl¬
alkohol fixiert und gewöhnlich etwa 2 Stunden im Brutschrank bei
37 in der Farblösung stehen gelassen. In höher temperierten Schrän¬
ken, z. B. in Paraffinöfen, genügt eine kürzere Färbung. Die Farb¬
lösung bezogen wir direkt von Grübler, Leipzig. In der Apotheke
hergestellte Hess uns ausnahmslos im Stich, während die aus Leipzig
bezogene mit Ausnahme einer einzigen Flasche sehr gut färbte. Die
Lösung wird unverdünnt benutzt und kann mehrmals zur Färbung
dienen. Woran es liegt, dass die Farblösung verschiedener Pro¬
venienz an Wirksamkeit ungleich ist, vermögen wir nicht zu sagen
Jedenfalls ist nicht das Alter der Lösung massgebend. Gute Lösung
konnte monatelang immer wieder von uns benutzt werden, ohne an
Färbekraft wesentlich einzubüssen. Die Einschlüsse färben sich leuch¬
tend rot, während das Protoplasma ganz blass rosa bleibt. Die Kerne
werden gewöhnlich braun-violett, ausnahmsweise nehmen sie einen
grünlichen Ton an.
2. Die Färbung mit Borax-Methylenblau nach
Manson benutzten wir neben der anderen vor allem, weil sie so
einfach in ihrer Handhabung ist (mehrere Sekunden bis Minuten, je
nach der Konzentration der angewandten Lösung, bei Zimmertempera¬
tur zu färben) und sie von den meisten Autoren bevorzugt wurde
Wir empfehlen diese Methode nicht, jedenfalls nicht als Normalver¬
fahren. Bei frischem Scharlach gibt sie allerdings die gleichen Re¬
sultate wie das Methylgrün-Pyronin, an späteren Krankheitstagen ist
sie dieser manchmal sogar überlegen, sie färbt aber auch bei anderen
Krankheiten oft mehr Einschlüsse als die Methylgrün-Pyroninlösung.
Wenn es sich also um Unterscheidung des Scharlach von anderen
Krankheiten handelt, treten die Unterschiede bei der Methylenblau-
farbung manchmal weniger deutlich zutage als bei der Färbung nach
Pappen heim- Unna. Ein weiterer Nachteil der Methylenblau¬
färbung liegt darin, dass sie sowohl die Einschlüsse als auch die
Kerne blau färbt. Wenn ein Körperchen dem Kern nahe liegt, kann
es für einen Bestandteil desselben gehalten werden. Der Farbton
in welchem Kern und Einschlüsse sich färben ist allerdings auch bei
dieser Färbung für die genaue Betrachtung nicht ganz derselbe. Es
ist deshalb auffallend, dass so manche Untersucher5 * 7 8 9) die Doehle-
schen Einschlüsse mit recht grosser Bestimmtheit für Kernfragmente
erklärten.
Der Gebrauch der Differentialfärbung nach Unna-
Pappenheim, welche die Einschlüsse grell rot, die Kerne
gewöhnlich bräunlich-violett färbt, lässt den Gedanken an
Kernfragmente gar nicht aufkommen.
Wir haben ungefähr 80 typische frische Scharlachfälle
untersucht und die Einschlüsse in den neutrophilen poly-
5) Nicol 1 und Williams: Arch. of ped. 29. 1912.
°) Beläk: D.m.W. 1912 S. 2454.
7) Kretschmer: D.m.W. 1912 S. 2163 und B.kl.W. 1912
S. 499
8) Bongartz: B.kl.W. 1912 S. 2124 u. a. m
) Ahmed: I. c., Bongartz: 1. c., u. a.
i
1998
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
nukleären Leukozyten niemals vermisst.. Die Körperchen sind ;
sehr vielgestaltig wie die meisten Autoren betont haben. Wir |
möchten aber auf bestimmte Formen besonderes Gewicht
legen, weil wir sie viel seltener als andere Formen bei „Nicht¬
scharlachkranken“ angetroffen haben. Die länglich drei¬
eckigen, bimförmigen, in einen langen Schwanz auslaufenden
Körperchen sind für Scharlach viel charakteristischer als die
auch bei dieser Krankheit in grösserer Zahl vorkommenden ,
kleinen und kleinsten kugeligen und punktförmigen Gebilde.
Charakteristisch sind auch Paare von kleinen Körperchen,
welche eine gewisse Aehnlichkeit mit Diplokokken aufweisen.
Die beiden Körperchen liegen, im Gegensatz etwa zu Diplo¬
kokken, nicht auf gleicher Höhe, sondern sie erscheinen aus¬
nahmslos gegeneinander etwas verschoben. Auch Paare von
nebeneinander liegenden Stäbchen, die ebenfalls gewöhnlich
eine etwas schräge Lage zueinander einnehmen, haben wir
bei Scharlach recht häufig angetroffen. In einigen Fällen
haben wir endlich Gebilde von der Form langer Fäden mit
zackigem Rande gesehen, welche uns die Frage aufdrängten,
ob es sich vielleicht um etwas veränderte Spirochäten han¬
delte. Die Form dieser Fäden war nie eine so regelmässige,
der Rand kein so scharfer, dass wir sie nicht anders denn als
Spirochäten hätten deuten können. Wir dachten dabei eher
an Gerinnsel im Protoplasma, die vielleicht bei der Fixation
ausgefallen sein konnten. Die Form dieser Fäden allein konnte
uns weder von der Spirochätennatur überzeugen, noch gab sie
uns anderseits das Recht, diese Auffassung ohne weiteres
abzulehnen.
Die in einer D o e h 1 e sehen Publikation 10) abgebildete
Spirochäte ist, anscheinend durch Unvollkommenheit der Re¬
produktion, unkenntlich geworden, so dass sie wohl nicht
viele Leser von ihrer Spirochätennatur überzeugt hat. Herr
Professor D o e h 1 e hatte aber die Freundlichkeit, dem einen
von uns die Photographie eines solchen Präparates zu zeigen.
Form und Begrenzung dieses Gebildes waren so durchaus
typisch und scharf, dass es nicht wohl möglich war, an seiner
Spirochätennatur zu zweifeln.
Eine andere Frage ist, ob man die anders geformten Ein¬
schlüsse als Zerfallsprodukte eines solchen Parasiten auf¬
fassen darf.
D o e h 1 e machte darauf aufmerksam, dass, wenn auch die Kör¬
perchen bei anderen Krankheiten Vorkommen, es sich doch meistens
um Krankheiten handelt, welche Ulzeration im Verdauungstraktus
aufweisen (Anginen, Diphtherien, Darmtuberkulosen etc.), dass also
die Möglichkeit des Uebertritts von Spirochäten in die Blutbahn immer
Vorgelegen hat. Damals war aber das häufige Vorkommen bei krup¬
pöser Pneumonie noch nicht bekannt. Wir werden noch darauf zu¬
rückkommen, möchten hier aber betonen, dass uns das Vorkommen
bei kruppöser Pneumonie zu verbieten scheint, die Mehrzahl der
Körperchen als Umwandlungsprodukte von Spirochäten aufzufassen.
Sollten nicht eher die vereinzelten, wirklichen Spirochäten, welche
D o e h 1 e im Scharlachblut gesehen hat, zufällige Nebenbefunde sein,
indem etwa banale Mundspirochäten durch Ulcera im Rachen den
Weg ins Blut gefunden haben?
Wir unserseits möchten dazu neigen, die Körperchen für
Verdichtungen im Protoplasma der Leukozyten zu halten, zu
deren Bildung die infektiöse Noxe irgendwie Veranlassung gibt.
Da wir die Körperchen bei frischen, typischen Scharlach¬
fällen ausnahmslos gefunden haben, schliessen wir uns
den Autoren an, welche dem negativen Befund eine diagno¬
stische Bedeutung beimessen. Bei Patienten, die erst
vor wenigen Stunden oder Tagen fieberhaft
erkrankten, schliesst das Fehlen von Doehle-
schen Einschlüssen Scharlach aus. Man muss
dabei allerdings im Auge behalten, dass in einzelnen, besonders
leichten Scharlachfällen die Körperchen spärlich und klein sind.
Aber man wird immer einzelne von den oben beschriebenen
charakteristischen Formen unschwer finden. Findet man nur
kleinste, kugelige und punktförmige Gebilde, betrachten wir
den Befund als negativ und schliessen frischen Scharlach aus.
Was das Verhalten der Körperchen im Verlauf des Scharlach
betrifft, so können wir nur die Angaben anderer Autoren bestätigen. In
uen meisten Fällen werden sie vom 4. bis 5. Tage an spärlicher und
schlechter — d. h. blasser — färbbar, auch sind sie schon weniger
scharf konturiert und verschwinden in den folgenden Tagen, bald
früher, bald später, vollkommen. In einzelnen Fällen halten sie sich
lü) Zbl. f. Bakt. 65. 1912. H. 1/3.
mehrere Wochen lang, auch wenn keine Komplikationen auftreten
Durchschnittlich haben schwerere Fälle zahlreichere und grössere
Einschlüsse als leichtere, doch haben wir schwere Fälle mit wenigen,
leichte Fälle mit zahlreichen Einschlüssen angetroffen. Dass auch
Fälle ohne Exanthem und bereits Entfieberte reichlich Einschlüsse
aufweisen können, haben wir zu bestätigen. Auch mit dem Auftreten
von Urobilin im Harn konnten wir kein regelmässiges Parallelgehen
feststellen. Reichliches Auftreten von Urobilin und von Körperchen
ist ja allerdings am häufigsten bei schweren Fällen und fällt
deshalb häufig zusammen.
Wir haben das Blut von ungefähr 80 an anderen Krank¬
heiten leidenden Patienten und von einigen gesunden Menschen
untersucht.
In 5 Fällen von kruppöser Pneumonie fanden wir
4 mal reichlich Einschlüsse von typischer Form und Färbbar¬
keit, So dass wir nicht daran zweifeln konnten, dass es sich
um die gleichen Gebilde wie bei Scharlach handelte. Wir be¬
finden uns damit in voller Uebereinstimmung mit anderen
Autoren “). Gegenüber kruppöser Pneumonie können also
positive Befunde von Körperchen zur Differentialdiagnose des
Scharlachs nicht herbeigezogen werden.
Diphtherie gibt ja besonders häufig Veranlassung zu
differentialdiagnostischen Erwägungen gegenüber Scharlach.
Die Angaben der Autoren über Befunde von Einschlüssen
gehen aber gerade bei dieser Krankheit besonders weit ausein¬
ander. Wir haben 16 frische Diphtheriefälle untersucht. Nur
in einem einzigen Falle fanden wir reichlich typische Ein¬
schlüsse in grosser Zahl, wie wir sie bei Scharlach zu sehen
gewohnt sind. In 6 weiteren Fällen fanden sich in geringerer
Zahl Einschlüsse, die zum grössten Teil kleiner waren, zum
geringen Teil aber an Form und Grösse mit den bei Scharlach
vorkommenden völlig übereinstimmten. Diese 6 Fälle wiesen
also einen Befund auf, wie wir ihn in leichtesten Scharlach¬
fällen ab und zu gesehen haben. 9 Diphtheriefälle zeigten
teils keine Einschlüsse von charakteristischer Form, teils
überhaupt keine Körperchen.
Zur Differentialdiagnose von Scharlach
gegenüber Diphtherie können die Körper¬
chen also nur beitragen, wenn sie ganzfehlen,
— Scharlach ist dann ausgeschlossen — oder
aber wenn sie in sehr grosser Zahl vorhanden
sind — , Scharlach ist dann viel wahrschein¬
licher als Diphtherie.
Aehnlich verhalten sich gewöhnliche lakunäre An¬
ginen. Von 13 Fällen zeigten zwei, wenn auch in sehr ge¬
ringer Zahl, Einschlüsse von der gleichen Form, wie sie bei
Scharlach zu finden sind, die anderen 11 zeigten nichts den
D o e h 1 e sehen Körperchen ähnliches. Bei 8 fehlten Ein¬
schlüsse ganz, bei dreien waren äusserst kleine, punktförmige
Körperchen vorhanden, die wir nicht als positive Befunde
rechnen.
Wir vermuten, dass die grossen Unterschiede, welche zwischen
den Angaben verschiedener Autoren über die Zahl der positiven Be¬
funde bei Diphtherie bestehen, zum guten Teil darauf beruhen, dass
manche auch diese kleinsten, punktförmigen Gebilde, welche beson¬
ders mit der M a n s o n sehen Färbung in vielen Diphtheriefällen allein
zu finden sind, als positive Befunde rechnen, während andere mit
anderen Färbungen und anderer Beurteilung zu einer geringeren Zahl
von .positiven Befunden gelangen. Geben doch Bongartz12) und
B e 1 ä k 13) an, in allen untersuchten Diphtheriefällen Einschlüsse ge¬
funden zu haben, während Kretschmer14) u. a. betonen, dass
die bei Diphtherie auffindbaren Körperchen klein und weniger poly¬
morph sind als die für Scharlach charakteristischen.
Ros an off15), welcher die grösste Zahl (144) von Diphtherien
untersucht hat, gibt 38 Proz. positive Befunde an. Das entspricht
auch ungefähr unseren Erfahrungen. Wenn man aber eine solche
Zahl gelten lässt, muss man hinzufügen, dass darunter nur sehr wenige
sind, welche typisch geformte Einschlüsse in gleich grosser
Zahl aufweisen wie ein durchschnittlicher Scharlachfall.
In 6 Fällen von Röteln haben wir stets negative Be¬
funde gehabt. Da N i c o 1 1 1B) bei 40 — 50 Fällen von Röteln
“) Johanna Schwenke: M.m.W. 1913 S. 75 2. — Kretsch¬
mer: B.kl.W. 1912 S. 499.
’•-) B.kl.W. 1912 S. 2124.
13) D.in.W. 1912 S. 2454.
14) D.m.W. 1912 S. 2163.
15) Arch. f. Kindhlk. 62. 1914. S. 321.
lß) Arch. of pediatr. 30. 1913, ref. Zbl. f. d. ges. inn. M. <
1913. S. 60.
1 999
29. September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ebenfalls niemals positive Befunde erhoben hat, ist also
der positive Befund zur Differential <dia-
snose zwischen Scharlach und Röteln unbe¬
dingt zu verwerten.
Wir haben 9 Fälle von Masern untersucht, von welchen
einige durch Bronchopneumonien kompliziert waren und
haben niemals Einschlüsse gefunden, welche wir mit den bei
Scharlach vorkommenden hätten verwechseln können. Wir
möchten also den positiven Befund gegen Masern sprechen
lassen. Wir können aber nicht verschweigen, dass andere
Untersucher an unserer Klinik in einzelnen Fällen von Masern
Gebilde angetroffen haben, die von den D o e h 1 e sehen Kör¬
perchen nicht zu unterscheiden sind. Auch haben Ahmed,
T r o m s k i, Rosanoff, Oranger und K i n g s 1 e y,
Pole17), bei Masern bald mehr, bald weniger positive Be-
unde erhoben. Wir möchten trotzdem die Anwesenheit von
'ehr reichlichen typischen Körperchen als Argument
iir Scharlach und gegen Masern gelten lassen.
Von Keuchhusten mit und ohne komplizierende Broncho-
meumonie haben wir in 8 Fällen negative Befunde erhoben,
benso bei 5 Phthisen ohne Fieber. Von 6 fieberhaften Phthisen
iagegen zeigten drei in geringer Zahl typisch geformte Ein-
chlüsse. Positive Befunde haben wir ferner erhoben in einem
ori 4 Fällen von Cholangitis, in einem Fall von Pyelitis und
chliesslich bei einem von 6 gesunden Menschen.
Negativ waren je ein Fall von Typhus abdominalis, von
illgemeiner Sepsis (Streptokokken) und von Basedow.
Wir führen in folgendem einige Fälle an, in welchen die
’ntersuchung auf Leukozyteneinschlüsse uns erst die sichere
)iagnose ermöglichte.
1. A. M„ 9 jähriges Mädchen, lag an Diphtherie erkrankt auf der
»iphtherieabteilung. Am 2. Tag nach der Aufnahme zeigte sich eine
vide Verfärbung des Rachens und der Zunge mit Papillenschwellung,
b wie man es bei Scharlach zu sehen gewohnt ist; die Temperatur
ewegte sich um 38,5. Da wir bei dem Befund den Verdacht auf
eginnenden oder schon begonnenen Scharlach sine exanthemate
atten. so untersuchten wir das Blut auf D o e h 1 e sehe Körperchen,
ie Untersuchung fiel negativ aus, und so konnte die im anderen
alle mangels sicherer Diagnose wohl durchgeführte Isolierung unter¬
leiben. In der Folgezeit traten bei dem Kinde auch keinerlei Zeichen
ir Scharlacherkrankung auf.
2. Der 2. Fall betraf ein Kind, das uns von der Ohrenklinik zu-
.'legt wurde wegen Verdacht auf eine exanthematische Infektions-
"ankheit. Das Kind zeigte auf der Brust kleienförmige Schuppen;
rust und Rücken schienen am Abend bei künstlicher Beleuchtung ein
.'ringes, kleinmakulöses Exanthem, jedoch ohne follikuläre Anord-
ing zu zeigen. Am nächsten Morgen war nichts mehr davon zu
dien, so dass das Exanthem in suspenso bleiben musste. Der Rachen
•'igte eine Angina mit Tonsillarbelägen, jedoch keine livide Verfär-
ing. Auf diesen Befund hin war eine bestimmte Diagnose jedenfalls
cht zu stellen. Der daraufhin auf Doehlesche Körperchen unter¬
ste Blutausstrich ergab positiven Befund, so dass wir die Diagnose
;harlach zu stellen wagten und das Kind im Krankenhaus zurück-
ihielten und isolierten, während wir es im anderen Falle nach eini-
:n Tagen sicher entlassen hätten. Eine weitere Bestätigung für die
chtigkeit unserer Diagnose sahen wir am Ende der 3. Woche, als
i dem Kinde eine hämorrhagische Nephritis auftrat, so wie sie für
:harlach in Art und Zeit des Entstehens charakteristisch ist. Auch
er gab uns also der Blutbefund einen wichtigen diagnostischen Fin-
rzeig.
3. Der markanteste Fall ist wohl der 3. Ein erwachsenes Mäd-
en wurde auf unsere nichtinfektiöse Abteilung aufgenommen mit
ober um 40", Kopfschmerzen, Frostgefühl, starken Durchfällen. Die
Igemeinuntersuchung Hess eine Diagnose nicht stellen, man konnte
r sagen, dass es sich wahrscheinlich um eine Infektionskrankheit
ndle. Ein Exanthem war nicht zu sehen, der Rachenbefund jedoch
t seiner lividen Verfärbung auch des weichen Gaumens und den
likulären, gelbweissen Belägen der Tonsillen liess in uns den zu-
chst wenig begründeten Verdacht auf Scharlach aufkommen. Der
raufhin auf D o e h I e sehe Körperchen untersuchte Blutausstrich
igte massenhaft tvpische Einschlüsse, woraufhin Patientin isoliert
'rde. Am folgenden Morgen hatte Pat. ein typisches Scharlach¬
anthem.
Zwei weitere Fälle wurden in unsere Klinik mit einem scharlach-
nlichcn Exanthem ohne Angina eingewiesen. Wegen des negativen
fundes an D o e h 1 e sehen Körperchen verlegten wir sie nicht auf
“ Scharlachabteilung. In dem einen Falle fand sich ein tiefgelegener
’szess am Oberschenkel, im andern ein Zahnabszess als einzige Ur-
-he des Fiebers, vielleicht auch des Exanthems, ln beiden Fällen
jc*b Schuppung aus, so dass wir den einen bald entliessen. den
■dem ohne Empfehlung von Vorsichtsmassregeln nach der chirur-
! dien Klinik verlegen konnten.
,7) Brit. journal of child. dis. 10.
Aus dieser kleinen Auslese von Fällen geht wohl hervor,
dass den D o e h 1 e sehen Einschlüssen, obschon sie nicht spe¬
zifisch sind, in bestimmten Fällen ein diagnostischer Wert
zukommt.
Die wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchung für die
Diagnose lassen sich in die folgenden Sätze zusammenfassen.
Das Fehlen der Doe hie sehen Körperchen
bei einem fiebernden Kranken s c h 1 i e s s t
frischen Scharlach aus.
De r positive Befund von Körperchen
s c li 1 i e s s t Röteln aus und macht Masern un¬
wahrscheinlich.
Diphtherie und lakunäre Anginen macht
der positive Befund nur dann unwahrschein¬
lich, wenn sich typisch geformte. Einschlüsse
in sehr grosser Zahl vorfinder..
Aus der Universitäts-Kinderklinik Halle a. S.
(Prof. Dr. S t o e 1 1 z n e r).
Zur Bewertung des Thymus- und Lymphdrüsenabbaus
bei Abderhaldens Dialysierverfahren.
Von Dr. H. B e u m e r.
Abseits von der Frage der Spezifität der Abderhalden-
schen Reaktion im allgemeinen soll hier nur im Speziellen die
Frage nach der Bewertung des Thymusabbaues, d. h. des
positiven Ausfalles der Ninhydrinreaktion im Dialysierver¬
fahren mit Thymussubstrat kurz erörtert werden. Welche
Schlussfolgerungen ist man zu ziehen berechtigt aus einer mit
Thymusgewebe positiv ausfallenden Reaktion? Ist der posi¬
tiven Reaktion mit Thymus die gleiche Wertigkeit beizu¬
messen wie der positiven Reaktion mit anderen Organen, aus
der man mit Wahrscheinlichkeit eine Schädigung oder Funk¬
tionsstörung des abgebauten Organs ableiten darf? In dem
Aufwerfen dieser Frage liegt schon der Zweifel an der Spezi¬
fität, zu dem die meines Erachtens nach bei der Thymus be¬
sonders gelagerten Verhältnisse Veranlassung geben müssen.
Die Abderhaldensche Reaktion ist schon wiederholt dazu
verwandt worden, das Dunkel mancher pathogenetischer Zu¬
sammenhänge, insbesondere die der innersekretorischen
Drüsen mit Krankheitsprozessen zu durchleuchten. Gerade
die Möglichkeit einer neuartigen, unendlich feinen funktionellen
Diagnostik, die diese Methode der Klinik zu geben versprach,
erweckte die Hoffnung, bei den Drüsen der inneren Sekretion
Störungen und Dysfunktionen aufdecken zu können, die den
chemischen und anatomischen Prüfungen nicht zugänglich
waren. Im Verfolg dieser Fragen in Bezug auf die Patho¬
genese der Rachitis und Säuglingstetanie kam ich häufig in
die Lage, eine positiv ausfallende Thymusreaktion bewerten
zu müssen. Ich hatte, dank dem liebenswürdigen Entgegen¬
kommen Herrn Professor Abderhaldens, Gelegenheit,
die Methodik unter der freundlichen Anleitung seiner Assi¬
stenten in seinem Institut zu erlernen. Mit Hinsicht auf die
bekannten Arbeiten von Basch, Klose und Vogt und
M a 1 1 i, die bei Thymusexstirpationen der Rachitis sehr ähn¬
liche, wenn nicht identische Krankheitsbilder erzeugen
konnten, schien zunächst der Thymusabbau bei Rachitis und
der stets mit Rachitis kombinierten Tetanie ein willkommener
Befund, indem der naheliegende Schluss daraus gezogen
werden durfte, bei diesen Krankheiten eine Dysfunktion des
Thymus anzunehmen, was mit jenen experimentellen Arbeiten
sehr gut übereingestimmt haben würde. Der positive Befund
erschien um so angenehmer, als alle übrigen untersuchten
endokrinen Drüsen, Schilddrüse, Hypophyse, Nebenniere,
Hoden und Epithelkörperchen durchgehend negative Reak¬
tionen ergeben hatten J). Es zeigte sich jedoch bald, dass bei
der Bewertung der Reaktion mit Thymusgewebe einige Vor¬
sicht und Einschränkung beobachtet werden musste, indem
auch rachitisfreie Kinder und Erwachsene mit Thymus positiv
reagierten, andererseits schwerste floride Rachitiker ganz
negativ. Auch das Studium der Literatur mahnte zur Vor¬
sicht. In vielen Arbeiten, bei denen Thymussubstrat Ver-
‘) Das Dialysierverfahren Abderhaldens bei Rachitis und
Tetanie. Zschr. f. Kindhlk. 11. H. 2.
2000
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
Wendung gefunden hatte, war positiver Reaktionsausfall ver¬
zeichnet bei Fällen, bei denen keine manifesten Symptome auf
eine Störung der Thymusfunktion schliessen Hessen. Einige
speziell dem Thymusabbau gewidmete Arbeiten kamen zu
dem Ergebnis, dass Thymusgewebe in allen Fällen abgebaut
wurde. Man glaubte, hieraus schliessen zu dürfen, dass die
Involution, d. h. der Abbau der Thymus bis ins Qreisenalter
vor sich geht und also andauernd gegen das Thymusgewebe
gerichtete abbauende Fermente im Serum kreisen. Auf der
anderen Seite wurde der Thymusabbau als Anzeichen einer
bestehenden innersekretorischen Störung gewertet. Beispiels¬
weise schliesst v. Hippel *) aus den mittelst des Dialysier-
verfahrens gewonnenen Resultaten auf einen Zusammenhang
zwischen Keratokonus und Thymusdrüse. Grete Singer* * 3)
beweist mit der gleichen Methode die funktionelle Einheit des
thyreo-parathyreothymischen Systems. Andere Autoren regi¬
strieren nur ohne Erörterung neben anderen spezifischen
Reaktionen eine scheinbar unspezifische Thymusreaktion, wie
es z. B. in der sorgfältigen Arbeit von Zimmermann
geschehen ist. Es gibt aber Lagen, und dazu gehörte die
meine bei den Untersuchungen über Rachitis und Tetanie, die
zu einer bestimmten Stellungnahme zwingen. Die Theorie
von der ständig in Involution begriffenen Thymus, an der also
der Körper sein ganzes Leben lang abzubauen hätte, hat zu¬
nächst etwas Bestechendes und Einleuchtendes. Aber es
handelt sich doch hier um ein mit aller Gleichmässigkeit ab¬
laufendes physiologisches Geschehen, und solche Vorgänge
scheinen sich doch nach den übrigen, auch von Abder¬
halden geistvoll erwiesenen Erfahrungen streng innerhalb
der Organgrenzen abzuspielen, also mehr eine Privatsache
der Organe zu sein. Wäre es anders, hätte Flatow recht,
und es gäbe keine Abderhalden sehe Reaktion. Als einen
dem Thymusabbau analogen Vorgang könnte man z. B. die
im Senium erfolgenden Involutionen ansehen und müsste er¬
warten, auch bei diesen Fermente gegen sehr viele Organe im
Serum nachweisen zu können. Dies ist meines Wissens nicht
der Fall und erst nach dem Tode fallen die Schranken, mit
denen nach Abderhalden jedes Organ seine Fermente
einschliesst, und es tritt der treffend als Anarchie der Fer¬
mente bezeichnete Zustand hemmungslosen Abbaues ein.
Auf meine Fälle war die Theorie des dauernden Thymus¬
abbaues durch Serumfermente schon deshalb nicht anwendbar,
weil mein Material sich aus Kindern des ersten und zweiten
Lebensjahres zusammensetzte. Hier konnte also von Invo¬
lution keine Rede sein, da das Wachstum der Thymus bis zum
Ende des 2. Lebensjahres andauert, dann bleibt das Thymus¬
gewicht stationär und erst in der Pubertät beginnt die all¬
mähliche Involution.
Die Erklärung für den mittelst der Abderhaldenreaktion
so häufig nachweisbaren Thymusabbau muss nun meiner An¬
sicht nach eine ganz andere sein, die vor allem relative Ein¬
fachheit und nicht gewaltsame Auslegung der Tatsachen für
sich hat. Es ist bekannt, dass Abderhalden in allen
seinen Erörterungen über die Fehlerquellen der Methode eins
vor allem betont als Voraussetzung eines überhaupt zu
richtigen Ergebnissen führenden Arbeitens: Die Freiheit der
abzubauenden Substrate von Blutelementen. Diese Forderung
ergab sich aus der Erfahrung, dass bei bluthaltigen Organen
sehr häufig ein unspezificher Abbau erfolgte, woraus gefolgert
werden konnte, dass im Körper oft Fermente gegen Blut-
eiweiss vorhanden sind, was durch plötzlichen Untergang von
Blutkörperchen und folgender Resorption kleiner Blutextra¬
vasate durchaus plausibel erscheint und die Feinheit der
Methode beweist, indem oft selbst kleinste Reste von Blut¬
farbstoff in den Abbausubstraten zu schlechten Resultaten
führen können. Es muss nun die Frage gestellt werden, ob
sich ein diesen Forderungen Abderhaldens entsprechen¬
des Substrat aus der Thymus überhaupt herstellen lässt. Das
Thymusgewebe besteht bekanntlich, abgesehen von dem reti¬
kulären Bindegewebe, aus dem eigentlichen epithelialen
Thymusgewebe und den Thynnislymphozyten. Die Thymus¬
lymphozyten aber stammen nach den fast allgemein akzep¬
Kongress f. innere Medizin, Wiesbaden 1914. Referat der
jVLm-W. 1914 Nr. 20
3) Zschr f. Kindhik. 10. H. 1.
tierten Arbeiten Maximows direkt aus dem Blut und sind
aus diesem in die Thymus eingewandert. Mithin finden sich
also in der Thymus eine reichliche Menge dieser Elemente aus
dem Blut; jedenfalls ist es nicht gelungen, chemische und
morphologische Unterschiede zwischen Thymus- und Blut¬
lymphozyten einwandfrei sicherzustellen. Eine Trennung der
Thymuslymphozyten vom eigentlichen Thymusgewebe aber
ist ganz unmöglich. Im Substrat lassen sich immer massenhaft
Lymphozyten erkennen, es sei denn, dass man lange wäscht;
dann bleiben nur die feinen Bindegewebsfasern übrig. Bei
einigermassen ausdauerndem Waschen lässt sich leicht eine
Bindegewebsmasse erzielen, die vollständig frei von aller
epithelialen Elementen, also zur Verwendung bei der Abdcr-
haldenreaktion ungeeignet ist. Diese Argumente erscheinen
ausreichend, den so häufigen positiven Ausfall der Reaktion
mit Thymussubstrat zu erklären. Es lässt sich bei einer posi¬
tiven Reaktion nicht entscheiden, ob ein für den funktionellen
Zustand der Thymus nichtssagender Lymphozytenabbau oder
ein eine Dysfunktion anzeigender Abbau eigentlichen Thymus-
gewebes stattgefunden hat. Für die Richtigkeit dieser An¬
schauung sprechen vielleicht auch die Erfahrungen über
Lymphdrüsenabbau von G r o t h e und Schulz *). Diese
Autoren suchten einen spezifischen Lymphdrüsenabbau bei
Scharlach festzustellen. wie er bei den mit dieser Krankheit
einhergehenden Lymphadenitiden zu erwarten war. Sie
fanden aber auch bei anderen Krankheits- und physiologischen
Zuständen in vielen Fällen Lymphdrüsenabbau. Hierin ist nach
obigen Darlegungen nichts besonderes zu erblicken. Bei der
Lymphdriise liegen die Verhältnisse noch wesentlich einfacher,
als sie nur aus Bindgewebe und Lymphozyten bestehen. Man
wird also bei ihnen nie von einem spezifischen Organabbau,
sondern nur von einem Abbau von Blutelementen reden
können. Die Zusammensetzung der Lymphdriisen einerseits
aus Lymphozyten und Bindegewebe, der Thymus anderer¬
seits aus Lymphozyten, Bindegewebe und eigentlichem
Thymusgewebe lässt es möglich erscheinen, in gewissen
Fällen doch einen spezifischen Thymusabbau nachzuweisen.
Setzt man beide Organe zugleich an und erhält mit Thymus
positive, mit Lymphdriise negative Reaktion, so ist in diesem
Fall vielleicht die Entscheidung berechtigt, dass Abbau spezi¬
fischen Thymusgewebes stattgehabt hat, dagegen würde der
positive Ausfall beider für einen nicht verwertbaren Lympho-
zytenabbau sprechen.
Schlussfolgerung; Aus der Thymus lässt sich kein
den Anforderungen für die Abderhaldenreaktion gerecht
werdendes, von Blutelementen freies Substrat hersteilen.
Der positive Ausfall der Reaktion mit Thymusgewebe
ist demnach nicht ohne weiteres im Sinne einer Funktions¬
störung der Thymus zu verwerten.
Der Abbau von Lymphdriisen ist nicht als spezifischer
Organabbau anzusehen.
Durch Parallelversuche unter gleichzeitiger Anwendung
von Thymus- und Lymphdrüsensubstrat lässt sich vielleicht
der Nachweis eines spezifischen Abbaues von Thymusgewebe
ermöglichen.
Aus der Augusta-Viktoria-Knappschaftsheilstätte Beringhausen
bei Meschede i. W. (Chefarzt: Dr. med. F. Windrath).
Untersuchungen mit dem Abderhaldenschen Dialysier-
verfahren bei Lungentuberkulose.
Von Dr. med. W. Ammenhäuse r, I. Assistenzarzt.
Unsere Versuche erstrecken sich. auf die Zeit von März
bis Juni. Zur Untersuchung kamen Blutsera Lungenkranker
aller Stadien mit und ohne Bazillenbefund, daneben auch Ge¬
sunder zur Kontrolle.
Technisch hielten wir uns genau an die Vorschriften
Abderhaldens, die wir im physiologischen Institut zu
Halle zu üben Gelegenheit hatten. Aus diesem Grunde sind
wir auch nicht auf die technischen Schwierigkeiten gestossen.
die von anderer Seite wiederholt betont wurden, wie be¬
sonders „eine gewisse, ganz unerklärliche Launenhaftigkeit
M.m.W. 1913 Nr. 45.
Wie die vor jedem Versuch angesetzte Organprobe ergab,
•lieben die genau nach Vorschrift bereiteten Organe immer
.ut, d. h. frei von mit Ninhydrin reagierenden Stoffen und
a'i irden zu sämtlichen Versuchen verwandt.
Ebenso zeigten die einmal geprüften und für gut be-
unduien Hülsen stets Undurchlässigkcit fiir das grosse Ei-
.veissmolekül und, von geringen Schwankungen abgesehen,
tleielmnissige 1 Durchlässigkeit für Pepton, wie eine wieder-
lolte Kontrollprüfung ergab.
Das Blut wurde den Patienten in nüchternem Zustand ent-
lommen, und nur ganz klares, nicht hämolytisches Serum
erwandt. Als Antigene setzten wir an: normale Lunge,
ubeikulöse Drüsen, die wir bei Drüsenexstirpationen er¬
heben, Plazenta und tuberkulöses Sputuminfiltrat
Auf die Idee, als Antigen Sputumfiltrat anzusetzen, sind
vir durch unsere Untersuchungen über den Eiweissgehalt des
'Putums gekommen, die in unserem Laboratorium regel-
nässig angestellt werden.
Wir fanden nämlich, dass tuberkulöser Auswurf stets,
uberkclbazillenfreier Auswurf nur in seltenen F ä 1 -
en mehr oder weniger Eiweiss enthielt und erklärten mit
nderen diese Erscheinung mit dem Auftreten von Serum-
Ibumin im Sputum 2).
: Es lag aber auch nahe, anzunehmen, dass die Eiweiss-
örper im Auswurf Tuberkulöser von den Stoffwechsel- und
erfallsprodukten der Tuberkelbazillen herrührten und Tu-
erkelbazilleneiweiss zum Teil mit enthielten. Bekanntlich
ilden ja die I uberkelbazillen bei ihrem Stoffwechsel und Zer-
dl hochmolekulare Eiweisskörper, Nukleoalbumine und
ukleoproteine, die sich zweifellos im Auswurf wieder finden
lüssen.
So gelang es auch schon Weleminsky 3) durch eine
estimmte Züchtungsmethode bei zwei daraufhin untersuchten
uberkelbazillenstämmen die Bildung von Eiweiss und Muzin
stzustellcn. Nach ihm sind diese Substanzen spezifischer
atur und stellen Stoffwechselprodukte der lebenden Ba¬
llen dar.
Nahmen wir nun an, dass das tuberkulöse Sputum auchTuber-
.■Ibazilleneiweiss enthielt, so konnten wir auch ungezwungen
lnehmen, dass das Sputumeiweiss durch das Serum Tuber-
i loser abgebaut würde, zumal die Arbeiten von Abder-
a 1 d e n und Andryewsky4 * * *), F r ä n k e 1 und Q u m -
e r t z ), Lampe0), Jessen') und M e 1 i k j a n z 8) schon
wiesen haben, dass im Blute tuberkulöser Menschen und
iere spezifische proteolytische Fermente kreisen, die Tuber-
•Ibazilleneiweiss unter Peptonbildung zu spalten imstande sind.
Es galt nur zu prüfen, ob in dem Sputumeiweiss dialy-
ble Stoffe enthalten sind. Zu diesem Zwecke setzte ich fol-
ude Versuche an, die ich 16 Stunden dialysieren liess:
:cm destill. Wasser -f 0,5 ccm Sputumfiltrat (0,15 Alb.) = negativ
" » 4* L0 ccm „ . = negativ
” „ » 4-1,5 ccm , = negativ
.cm norm. Serum -j- 1,0 ccm „ = negativ
1 ccm » » 4" 1,5 ccm „ — negativ
Da sämtliche Dialysate mit 0,2 ccm Ninhydrin nach Vor-
hrift 1 Minute gekocht keine Spur von Violettfärbung
igten, war dadurch erwiesen, dass in dem tuberkulösen
uitumeiweiss keine dialysablen Stoffe resp. Eiweissabbau-
odukte enthalten sind. Es war dies a priori schon anzu-
hmen, da ja, wie oben erwähnt, im Sputum nur hochmole-
lare Eiweisskörper, Serumalbumine einerseits, Nukleo-
oteine und Nukleoalbumine andererseits enthalten sind.
Auch zeigte die mit jedem Sputumfiltrat vorher angc-
.‘llte Biuretreaktion, die nach Abderhalden für das
asse Eiweissmolekül am empfindlichsten ist, in sämtlichen
llen einen stark positiven Ausfall.
’) D.m.W. 1914 Nr. 27.
*) Gelderbio m: D.m.W. 1913 Nr. 41
3 ) D.m.W. 1912 Nr. 28.
*) M.m.W. 1913 Nr. 30.
4 D.m.W. 1913 Nr. 33.
") D.m.W. 1913 Nr. 37.
') Beitr. z. Klin. d. Tbk. 27. 1913. H 3.
) D.m.W. 1914 Nr. 27.
Nr. 39.
Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, setzten wir als
Antigen zu tuberkulösem Serum auch tuberkulöses Sputum-
nitrat an. Bisher wurden zu diesem Zwecke teils abgetötete
und mit Tetrachlorkohlenstoff entfettete Tuberkelbazillen, teils
Koch sehe Tuberkulinbazillenemulsion verwandt.
Ein für unsere Versuche brauchbares Sputumfiltrat er¬
hielten wir sein einfach auf folgende Weise: Der Patient be¬
kam eine gründlich gesäuberte und mit destilliertem Wasscr
ausgespülte Spuckflasche mit der strikten Weisung, jede Ver¬
unreinigung des Auswurfs durch Speisereste, Kautabak usw.
zu vermeiden. Der entleerte Auswurf wurde dann mit der
gleichen Menge destillierten Wassers gründlich durchge-
schüttelt und filtriert. Das Filtrat war stets ganz klar und
- wurde in jedem Falle vor Ansetzen des Versuchs auf seinen
Eiwcissgehalt geprüft. Zur Verwendung kamen nur stark ba-
zillen- und eiweisshaltige Sputa (0,1— 0,2 Albumen nach Auf¬
recht). Zusatz von Essigsäure ist zu vermeiden, da hier¬
durch das Eiweiss gefällt wird und für die Fermente nicht
mehr angreifbar ist, wie wir uns selber verschiedentlich über¬
zeugen konnten.
Die Versuchsanordnung bei unseren Versuchen war kurz fol¬
gende: 1,5 ccm Serum wurde mit Lunge, Drüse, Plazenta und 1,5 ccm
bputumfiltrat angesetzt. Ferner wurde in jedem Falle je 1 5 ccm
Serum und 1,5 ccm Sputumfiltrat allein zur Kontrolle mitangesetzt
Die Organe wurden vor jedem Versuche geprüft. Um ohne jede Vor¬
eingenommenheit an die Versuche heranzutreten, entnahm ich das
Dlut nicht selbst, sondern untersuchte das Serum, ohne zu wissen
von wem es stammte.
Das Resultat unserer Versuche ist aus folgender Tabelle
ohne weiteres ersichtlich:
Tabelle 1.
F 1 = schwach positiv, + 2 = mittelstark positiv, + 3 = stark positiv.
|Lfd. Nr.ii
Name, Alter
Klinische
Diagnose
Bazillen¬
befund
Lunge
Lymph-
drüse
Plazenta
Sputum-
Filtrat
Sputum-
Filtrat
allein
Serum
allein
Bemerkungen
1
V. P. 33 I.
Tbc. pulm. St. II
4- 3
4-
2
H. H. 32 1.
do.
-- 3
4-
_
3
4
Z. H. 48 J.
A. E. 31 1.
Tbc. pulm. St. III
do.
1
-- 2
4- 3
+ i
.
—
—
Hämoptoe
5
P. H. 33 J.
Tbc. pulm. St 11
T 2
_
do.
6
M. A. 30 |.
do.
_
4- 2
_
7
K. C. 30 j.
Spitzenkatarrh
—
4- i
_
8
D. K. 34 1.
o. B.
_
4- l
9
K. P. 40 J.
Tbc. pulm. St. II
+ 2
-F 3
T i
10
C. A. 23 J.
do.
-- 3
do.
11
B. A. 45 J.
Spitzenkatarrh
—
-- 1
—
_
_
_
12
A. W. 25 J.
o. B.
_
_
_
13
L. B. 33 J.
do.
_
_
_
14
B. A. 35 J.
Tbc. pulm. St. II
+ 2
4- 3
_
_
4- 2
_
do.
15
]• J- 42 J.
Spitzenkatarrh
T 2
—
_
_
16
17
D. St. 29 I.
S. W. 20 ].
Tbc. pulm. St. III
o. B.
+ 2
4- 1
-F 2
+~1
-M
—
—
Tbc. Drüse
18
L. P. 19 J.
Tbc. pulm. St. 111
-I- 1
4- i
_
4- 2
_
19
20
J. Z. 37 J.
O. A. 43 ].
do.
do.
-- 3
— 2
4- 3
+ 3
—
h
—
-
Hülsenprüfung
21
22
J. St. 25 J.
V. J. 28 J.
do.
Spitzenkatarrh
+ 2
4- l
—
—
E-1)
Pleuritisexsudat
23
24
K. A. 51 J.
H. K. 20 J.
Tbc. pulm. St. III
o. B.
+ 2
+ 2
-T"2
—
+ 1
—
Kaverne
25
K. F. 34 J.
Tbc. pulm. St. III
+ 2
4- 2
4- 3
_
4- 1
_
26
O. A. 21 J.
Tbc. pulm. St. 11
-- 2
-- 2
+ 3
_
-- 2
_
do.
27
K. A. 26 J.
Tbc. pulm. St. III
-- 2
-- 2
_
4- 2
28
K. P. 30 J.
do.
-- 3
4- 3
4- 2
_
-- 1
_
Kaverne
29
A. F. 20 J.
Spitzenkatarrh
—
4- 1
—
_
30
H. K. 22 J.
Tbc. pulm. St. II
+ 2
-F 2
4- i
—
4- 2
_
31
D. K. 34 J.
o. B.
-F i
_
cfr. Nr. 8
32
N. C. 27 J.
Spitzenkatarrh
33
R. A. 32 J.
Tbc. pulm. St. III
+ 3
-- 3
—
—
+ 1
—
_
Kaverne
34
35
B. O. 47 J.
L. X. 21 J.
do.
Tbc. pulm. St. II
4- 2
-F 3
— 3
4- i
4- 2
—
4- 2
—
—
Hämoptoe
Tbc. Drüse
36
N. C. 26 j.
Tbc. pulm. St. lÜ
4- i
1
_
4- 1
37
K. F. 34 J.
do.
4- 2
- 1
4- 3
_
_
38
S O. 33 J.
do.
-- 2
- 2
t 3
—
4- 3
—
_
Halsdrüse
39
B. H. 33 J.
do.
-- 3
*- 3
4- 3
—
4- 1
—
_
Tbc. Drüsen
40
M. J. 31 J
do.
- 1
-34-3
—
—
—
Hilusdrüsen
41
O. J. 41 |.
do.
- 3
—
—
—
4- i
—
_
Kaverne
42
43
R. J. 4/ J.
O. P. 29 J.
Tbc. pulm. St. II
do.
-- 3
-- 1
F 2 4- i
4- 2 —
4- 3
—
— ■
Halsdrüse
44
P. A. 41 |.
Bronchitis ehr.
F i
_
_
45
Z. St. 25 J. |
Tbc. pulm. St. II
4- 2
F 3
F 2
4- i
4- 2
_
do.
46
P. J. 19 J.
Spitzenkatarrh
“ ‘ 1
_
47
J. F. 18 J
• do.
F 2
_
_
_
48
O. W. 33 J.
Tbc. pulm. St. II
—
F l
_
_
_
49
B. W. 40 J.
o. B.
_
_
_ |
_
50
L. P. 19 J.
Tbc. pulm. St. II
F i
F i
_
_ L
F i
_
_
cfr. Nr. 18
51
St. j. 41 J.
Spitzenkatarrh
F i
—
_
—
_
_
52
O. j 25 J.
o. B.
—
—
_
_
_
weiblich
53
R. E. 19 J.
do.
_
_
_
_
_
_
do.
54
S. J. 33 |.
Tbc pulm. St. II
F 2
F 2
—
F i
_
_
55
M. E. 18 J.
o. B. -)
do
F i
F l
_
56
Sch. M. 17 J.
57
H. H. 18 J.
do.
_
_
_
_ __
_
do.
58
H. W. 32 J. ;
do.
_
_
_
59
L. 1. 25 j.
do.
_ 1
_
_
_
60
Ü. A. 20 J. 1 Tbc. pulm. St. III
F il
F-21
- 4-2
—
- 1
Tbc. Drüse
•) E. = Exsudat. — -) Die vorgenommene Untersuchung ergab Spitzenkatarrh und
Schwellung der rechten Submaxillardrüse.
29. September 1014.
Ml If :NCHENER MEDIZINISCHE W OCHENSCHR1FT.
2001
der Organe [B i s g a a r d und K o r s b j e r g1)] und Unzuver-
lässigkeit der Dialysierhülsen.
2
2002
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
Ueberblicken wir das Ergebnis unserer Versuche, so
finden wir, dass das Blutserum bei der Lungentuberkulose
spezifische Abwehrfermente enthält, die Lungengewebe und
tuberkulöses Sputumeiweiss spalten, dass dagegen bei Lungen¬
katarrh ohne Bazillenbefund nur Lunge und kein Tuberkel-
bazilleneiweiss abgebaut wird.
Von Lungenkranken im 3. Stadium mit positivem Ba¬
zillenbefund zeigten 3 (Nr. 19, 41 und 60) keinen Abbau von
Lunge, 3 (Nr. 37. 40 und 43) keinen Abbau von Sputumeiweiss.
In sämtlichen 6 Fällen handelte es sich um fortgeschrittene
Lungentuberkidose bei sehr massigem Kräfte- und Er¬
nährungszustand.
Zur Erklärung dieser Fälle möchte ich mich der An¬
schauung Lamp e s B) anschliessen, dass die Fermente im
Blut gegen Tuberkelbazilleneiweiss mit Fortschreiten der In¬
fektion verschwinden können. Dass in analoger Weise aber
auch die Abwehrfermente gegen Lungengewebe fehlen können,
zeigen unsere Versuche. Der Organismus ist dann eben durch
das lange Siechtum so geschwächt, dass er sich nicht mehr
zur Bildung von Abwehrfermenten aufraffen kann. Auffallend
bei unseren Untersuchungen ist, dass e i n spezifisches Fer¬
ment entweder gegen Lunge oder Sputumeiweiss auch in
den fortgeschrittensten Fällen stets noch nachzuweisen war.
In einem Falle von Lungentuberkulose mit Pleuritis ex¬
sudativa wurde statt Serum Exsudat angesetzt, zeigte aber
keinerlei fermentative Wirkung (cf. Nr. 21). Das Exsudat war
allerdings sehr stark hämorrhagisch und hatte schon 2 Tage
bei Zimmertemperatur gestanden.
Tuberkulöses Drüsengewebe wurde überall da abgebaut,
wo Drüsenerkrankungen, sei es durch Palpation, sei es im
Röntgenbild (Hilusdrüsen) schon vorher nachgewiesen waren.
In 3 Fällen (Nr. 8, 9 und 17 [31 j) zeigte auch Plazenta
einen geringen Abbau. Es ist dies von anderer Seite auch
schon wiederholt beschrieben worden und wird mit dem Auf¬
treten von nicht spezifischen Fermenten im Blute erklärt.
Besonders interessant sind Fall 7 und 55 der Tabelle, weil
hier zuerst mittels des Abderhalden sehen Dialysierver-
fahrens die Diagnose auf frische Lungenaffektion gestellt
wurde.
Im ersten Falle handelte es sich um einen Krankenwärter, der
vor 2 Jahren einmal an einer Spitzenaffektion gelitten hatte, die aber
vollständig ausgeheilt war. Trotzdem zeigte Lunge bei ihm einen
deutlichen Abbau. 3 Tage später meldete er sich krank und es
wurde wieder ein Spitzenkatarrh festgestellt.
Im zweiten Falle handelte es sich um ein Küchenmädchen, die
angeblich immer gesund war, deren Blutserum aber Lunge und Drüse
deutlich abbaute. Die infolgedessen vorgenommene Untersuchung
ergab starke Schwellung der rechten Submaxillardrüsen und rechts¬
seitigen Spitzenkatarrh., von dem sie selbst absolut nichts wusste.
Normale Sera wurden im ganzen 13 untersucht. Sämt¬
liche bewirkten abgesehen von 2 Fällen, wo Plazenta schwach
positiv war, keinerlei Abbau, enthielten also sicherlich keine
spezifischen Fermente.
Interessant war es nun noch zu prüfen, ob die Abwehr¬
fermente, die sich infolge ihrgendwelcher Prozesse im Blut
bilden, auch auf Gesunde übertragbar sind, ohne ihre Spezifität
zu verlieren und sich in deren Blutserum noch nach einiger
Zeit nachweisen lassen.
Zu diesem Zwecke stellten wir 3 Tierversuche an:
Meerschweinchen A wurde nicht vorbehandelt; Meerschwein¬
chen B bekam am 1. V. 14 4 ccm, Meerschweinchen C' am 22. V. 14
5 ccm Blutserum von je einem Tuberkulösen, deren Blut schon vor¬
her nach Abderhalden auf Abwehrfermente geprüft worden
w'ar (cf. Nr. 3 und 28 der Tabelle) intraperitoneal eingespritzt. Die
Meerschweinchen blieben gesund und nahmen an Gewicht zu. Meer¬
schweinchen B wurde 4, Meerschweinchen C 6 Wochen nach der
Injektion entblutet. Das Blutserum der 3 Meerschweinchen wurde
hierauf mit den entsprechenden Antigenen wieder angesetzt und
16 Stunden dialysiert.
Das Resultat der Versuche ist aus folgender Tabelle er¬
sichtlich:
Tabelle 2.
Meerschw.
Entblutet am
1
Lunge
Drüse
Plazenta
Sputum- i Sektions¬
filtrat Serum ^ befund
A
25. V. 14
—
_
— normal
B
28. V. 14
+ 3
+ 2
—
+ 1 — do.
C
7. VII. 14
+ 3
+ 2
—
+ 2 — | do.
’) D.in.W. 1913 Nr. 37.
Während demnach das Blutserum des nicht vorbehandel-
ten Meerschweinchens A keinerlei fermentative Wirkung
zeigte, fanden sich in dem Blute von Meerschweinchen B und
C dieselben Fermente wieder, die ihnen mit dem Serum der
beiden Phthisiker -3 resp. 6 Wochen vorher injiziert waren.
Da nun der Sektionsbefund in beiden Fällen vollkommen
normal war und weder Lunge noch Peritoneum irgendwelche
pathologische Veränderungen, die auf Tuberkulose hin¬
deuteten, zeigten, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die
Fermente von den Meerschweinchen selber gebildet sind. Fs
ist vielmehr anzunehmen, dass die Abwehrfermente durch das
Serum auf die Meerschweinchen übertragen wurden und auch
hier in dem fremden Blut ihre Spezifität nicht verloren haben.
Diese Versuche lassen wiederum zweifellos erkennen,
dass die proteolytischen Fermente nur gegen das Antigen
wirksam sind, unter dessen Einfluss sie im Körper entstanden
sind und liefern demnach wieder einen neuen Beweis für die
noch von manchen angezweifelte weitgehende Spezifität der
Abwehrfermente.
Da der Organismus sicherlich sogleich bei Beginn irgend
eines krankhaften Prozesses mit der Bildung von Abwehr¬
fermenten antwortet, so können unter Umständen schon z. B.
bei beginnenden Spitzenaffektionen spezifische Fermente im
Blut gebildet und darin nachgewiesen werden, bevor aus dem
physikalischen und röntgenologischen Befunde eine sichere
Diagnose gestellt werden kann. In Zweifelsfällen kann also
das Dialysierverfahren in diagnostischer Beziehung von aus¬
schlaggebender Bedeutung sein.
Schliesslich lassen die Abwehrfermente auch eine gewisse
Deutung bezüglich der Prognose zu. Ihr Vorhandensein kün¬
digt an, dass der Organismus noch imstande ist, sich zu ver¬
teidigen.
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen können wir in
folgende Sätze kurz zusammenfassen:
1. Sputumeiweiss ist zum Teil auch Tuberkelbazillen¬
eiweiss.
2. Bei der Lungentuberkulose enthält das Blut spezifische
Fermente, die Lunge und Tuberkelbazilleneiweiss abbauen.
3. In ganz vorgeschrittenen Fällen können diese Fermente
wieder verschwinden, was auf eine ungünstige Prognose
schliessen lässt.
4. Bei nicht spezifischem Lungenkatarrh wird nur Lunge
abgebaut.
5. Bei tuberkulösen Drüsenerkrankungen wird auch stets
tuberkulöses Drüsengewebe abgebaut.
6. Im Blutserum Gesunder befinden sich gewöhnlich keine
spezifischen Abwehrfermente.
7. Zur Frühdiagnose von Lungenaffektionen kann in
Zweifelsfällen das A b d e r h a 1 d e n sehe Dialysierverfahren
ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel sein.
Ein neues Mittel zur Behandlung der Diplobazillen-
konjunktivitis*).
Von L. K. W o 1 f f, Augenarzt, Assistent am Pathol.-anatom.
Institut der Universität Amsterdam.
Im vorigen Jahre hat C. Bruck1) ein neues Mittel be¬
schrieben zur Behandlung der Gonorrhöe, nämlich eine
Fluoreszein- (Uranin-) Silberverbindung, von ihm Caviblen ge¬
nannt.
Dieses Präparat lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf
die Fluoreszeinmetallverbindungen. Ich hatte nämlich früher
schon versucht, eine Fluoreszeinkupferverbindung herzustellen
für die Behandlung des Trachoms. Diese Verbindung war
aber unlöslich in Wasser.
Nach Lesung der Mitteilung des Herrn Bruck habe ich
die Sache wieder aufgenommen und versucht, eine Fluoreszem-
zinkverbindung darzustellen in der Hoffnung, dass selbige für
die Behandlung der Diplobazillenkonjunktivitis Nutzen bringen
würde. Dieses ist mir in der Tat gelungen. Durch doppelte
*) Nach einem Vortrag in der Niederl. Ophth. Gesellschaft zu
Arnhem am 14. Juni 1914.
’) D.m.W. 1913 S. 2073.
19. September 1014.
MUENCFIENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2003
Umsetzung von Fluoreszeinkalium, und Zinksulfatlösung be-
am ich ein rotgelbes Pulver mit folgenden Eigenschaften -).
Die Löslichkeit in Wasser bei Zimmertemperatur ist un-
efähr Eins auf Tausend. Das Pulver löst sich schnell in
Nasser auf; man bekommt dann eine rotgelbe, fluoreszierende
liissigküt, welche keine Zinkionen enthalt. Mit keinem eili¬
gen Reagens auf Zink ist dieses Metall in der Lösung naeli-
iweisen; nur nach Veraschung des Pulvers und Lösung der
sehe in verdünnter Salzsäure kann man das Zink leicht nach¬
eisen. Die Lösung gibt keine Niederschläge mit Säuren,
Ikalien, mit Serum oder sonstigen Eiweisslösungen. Sic
ffundiert leicht durch Pergament. Injiziert man eine grössere
uantität ins Peritoneum eines Meerschweinchens, so kann
an leicht die grosse Diffusibilität konstatieren, weil der
arn schnell nach der Injektion fluoresziert und nach Ein¬
impfung und Veraschung eine grosse Quantität von Zink
ithält.
Mein Präparat enthält 15,8 Proz. Zink (berechnet für
iCmHioOs 16,4 Proz.).
Ich habe dieses Präparat nun angewandt zur Behandlung
T Diplobazillenkonjunktivitis (Morax-Axenfeld). Wie
■kannt, findet man diese Konjunktivitis als eine vielfache
Implikation bei den Trachomkranken und verursacht deren
osse Unannehmlichkeiten. Klinisch ist diese Konjunktivitis
cht zu erkennen an den roten feuchten Augenwinkeln.
Das schwefelsaure (salizylsaure) Salz des Zink ist ein
•rzügliches Mittel zur Behandlung der Krankheit, jedoch in
eien ernsten Fällen, gerade bei Trachom, ist es nicht aus¬
gehend. Vielleicht ist die Nachlässigkeit der Patienten dann
d wann Schuld daran, aber sicher nicht immer. Viele
■rzte haben denn auch nach besseren Mitteln gesucht:
rumtherapie 3), Vakzination nach W right4) etc. Alle
ise Mittel sind aber ohne Erfolg geblieben 5).
Nachdem ich mich zuerst bei mir selbst und bei einer
-h dafür freiwillig anbietenden Person überzeugt hatte von
r Unschädlichkeit des neuen Mittels, habe ich dieses bei
.•inen Patienten mit Diplobazillenkonjunktivitis angewandt,
ts sehr fein geriebene Pulver brachte ich in den Kon-
lktivalsack und verteilte es dort soviel wie möglich mittels
nften Reibens. Ohne Ausnahme — ich habe mehr als
Fälle damit behandelt — war bei der folgenden Sprech-
inde die Konjunktivitis ganz geheilt oder wenigstens so ge-
ssert, dass eine nochmalige Einpulverung genügte zur
Higen Genesung des Patienten.
Zu meinem Bedauern habe ich in dieser Zeit keinen ein-
,en Fall von Diplobazillenulcus corneae zu behandeln ge¬
bt und auch in der Universitäts-Augenklinik (Direktor Prof.
Straub), wo das Mittel auch angewendet wird, ist in den
zten Monaten solch ein Fall nicht vorgekommen. Ich kann
o über den möglichen Erfolg bei dieser Komplikation nichts
Iden. Das Präparat hat eine kleine Unannehmlichkeit,
nlich die Farbe. Die Patienten weinen den Tag der An-
ndung gelbgrüne Tränen. Ich meine aber, dass dieses nicht
n grosser Bedeutung ist, weil das Mittel nur ein-, höchstens
eimal angewendet zu werden braucht.
Zweimal habe ich nach einigen Monaten ein Rezidiv ge-
ien, welches aber nach einer einmaligen Einpulverung
-der verschwunden war.
Man muss natürlich dafür sorgen, dass das Pulver äusserst
'i verteilt ist, damit die Patienten möglichst wenig Un-
lehmlichkeiten davon empfinden.
Ich werde jetzt versuchen, die gute Wirkung des Mittels
erklären.
Erstens muss genannt werden die geringe Löslichkeit des
■) Herr Dr. Suy ver, Apotheker. Amsterdam, hat es auf sich
Rommen, die Verbindung auf Anfrage zu liefern. Diejenigen, welche
1 } räparat selbst bereiten wollen, müssen daran denken, dasselbe
1 Zimmertemperatur schnell zu trocknen, da sonst eine Umsetzung
1 -'ne weniger lösliche Verbindung entstehen kann.
7 v. Reis: Klin. Mbl. f. Aughlk. 48 Bd. 2 1910.
> Allen: The Practitioner, Mai 1908. — v. Reis: Klin. Mbl.
ughlk. 1. c. — Tscherkowsky: Klin. Mbl. f. Aughlk. Bd. 2
‘) Ueber das Gemisch von Anilinfarbstoffen von v. Römer
G e b b, Arch. f. Ophth. Bd. 80, sind noch keine weiteren Mit-
mgen erschienen.
Präparates (1 : 1000), welche die Ursache ist, dass eine ge¬
sättigte Lösung davon stundenlang im Konjunktivalsack
bleiben kann.
Wir wissen aus einer Arbeit von Römer und G e b b ®),
wie schnell eine in den Konjunktivalsack gebrachte Lösung
verdünnt und weggeführt wird. Es kann uns alsQ nicht wun¬
dern, dass ein so wenig löslicher fester Stoff viel besser wirkt als
ein ins Auge gebrachter Tropfen einer Lösung. Dazu kommt
’jdass der Stoff nicht ionisiert ist und also als ganzer
diffundieren kann, nicht schädlich ist für tierisches Gewebe
und keine Niederschläge mit Eiweisslösungen gibt.
Wir haben hier also eine sehr glückliche Kombination
von Eigenschaften.
Wie wirkt nun der Stoff auf die Diplobazillen? Zur Be¬
antwortung dieser Frage habe ich erst untersucht, inwiefern
dei Stoff diiekt die Diplobazillen tötet, also wie seine bak¬
terizide Wirkung ist. Ich habe in einige Röhrchen mit
Aszitesbou lllon verschiedene Quantitäten Fluor, zinci (Sulf.
zinci etc.) getan und nachher in jedes Röhrchen eine Oese
einer verdünnten Bouillonkultur hinzugefügt (24 Stunden alt).
Der Stamm war von Kral.
Nach 5 Minuten,
jedem Röhrchen eine
platten ausgestrichen.
Diplobazillen (Stamm Kral)
1 Stunde und 24 Stunden wurde aus
Oese genommen und auf Aszitesagar-
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
Üj5 ,, do.
0,25 „ do.
Vsproz. Sulf. zinci
lA „ Salicyl. zinci
*/ s „ do.
Kontrolle
nach 5 Min.
1 St.
24 St.
g) 60 Kol.
+ 60
0
62
22
viel
21
15
viel
23
0
0
34
?
0
30
9
0
90
+ 100
sehr viel.
In gesättigter Lösung finden wir also beim Fluor zinci
eine deutliche Wirkung, bei Sulfas und Salicyl. zinci in den
obengenannten Konzentrationen aber eine viel stärkere. Die
Konzentration des Sulfas und Salicyl. zinci im Konjunktival¬
sack ist aber nur eine äusserst kurze Zeit eine so hohe,
während mein Präparat längere Zeit in gesättigter Lösung
wirken kann.
Die Literatur über die Wirkung des Zinksulfats auf die
Diplobazillen') hat nun gezeigt — und meine eigenen, hier nicht
wiedergegebenen Versuche haben dieses bestätigt — , dass die
Abtötung der Diplobazillen nicht direkt vom Zinksulfat ver-
ui sacht sein kann, da hierfür die Konzentration im Konjunktival¬
sack eine viel zu niedrige ist. Man hat denn auch noch andere
Erklärungen gesucht und Schneider* 7 8) hat wohl die beste
gegeben.
Schneider brachte bei Kaninchen Wattebäuschchen in
den Konjunktivalsack, nachdem er zuvor die Augen mit
Lösungen von Sulf. zinci, Nitr. argenti usw. eingetropft hatte.
Dann schloss er die Augen durch Zunähen der Augenlider und
nahm nach einer Stunde die Wattebäuschchen heraus. Diese
waren ganz von Tränenflüssigkeit und Konjunktival s e k r e t
durchzogen. Mittels einer Luftpumpe sog Schneider das
Sekret aus den Bäuschchen und bestimmte dann von dieser
Flüssigkeit die bakterizide Wirkung auf die Diplobazillen. Er
nahm natürlich Kontrollversuche mit Sekret aus nicht ein-
geti opften Augen und fand die bakterizide Wirkung dieser
letzten Flüssigkeit so ungefähr null, während sie bei den ein¬
getropften Augen sehr bedeutend war. Die eingetropfte
Flüssigkeit wurde stets ausgewaschen, bevor das Bäuschchen
hineingelegt wurde.
Diese Bakterizidie leitet Schneider her von den Se¬
kretionsprodukten der Leukozyten; aus dem Plasma (Serum)
kann sie nicht stammen, weil die Flüssigkeit ihre Wirkung be¬
hält nach Erwärmung bei 56°, während die Bakterizidie des
Serums, wenn anwesend, thermolabil ist.
Ich habe versucht, diese Experimente nachzumachen und
nun auch mit Fluor, zinci. Dieser letzte Stoff wurde natürlich
nicht ausgewaschen.
Bevor ich meine Resultate mitteile, muss ich bemerken,
dass wir es hier nicht mit ganz natürlichen Verhältnissen zu
v) Arch. f. Ophth. 1. c.
7) Siehe hierfür Axenfeld-Kolle und Wassermann:
Handbuch der pathogenen Mikroorganismen (2) 5. S. 608.
8) Arch. f. Ophth. 73. 1910.
2
Z004
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
Flüssigkeit 1 u. 2
3 . 4
.. 5 ■ 6
tun haben: nach einstündigeni Verweilen desW attebäuschchens
im Konjunktivalsack ist ja ein starkes Oedein der Konjunktiva
entstanden. Ich habe aber keine bessere Weise des Experi-
mentierens finden können.
L. Auge R. Auge
Kaninchen 176 Sulf. zinci !/2 Proz. Kontrolle
„ 191 Fluor, zinci 1 Prom.
193 do. als fester Stoff „
In jedes Auge kommt nach einer Viertelstunde ein Watte-
bäuschchen, welches eine Stunde liegen bleibt.
L. Auge R. Auge
Kaninchen 177 Sulf. zinci ‘/s Proz. Kontrolle: Flüssigkeit 7 u. 8
145 Fluor, zinci 1 Prom. „ , 9 „ 10
„ 161 do. als fester Stoff „ : „ 11 » 12
In jedes Auge kommt nach 5 Stunden ein Wattebäusch-
chen, welches eine Stunde liegen bleibt.
Wir bekommen also 12 Flüssigkeiten. In jede wurden
Diplobazillen getan (eine Oese einer verdünnten Aszites¬
bouillonkultur) und nach 5 Minuten, nach 4 Stunden und nach
24 Stunden geimpft und auf Aszitesagar gestrichen (1—12 1,
1—12 II, 1—12 III). Nach 48 Stunden wurden die Platten ge¬
zählt.
I.
II.
III.
von Be-
aber die
an den
Wirkung
Auf allen Platten ± 100 Kolonien.
„ , „ 100—300 „ , ausgenommen Platte 5
(Fluor, zinci als fester Stoff), welche 5 Kolonien zählte.
Auf allen Platten oo Kolonien, ausgenommen auf Platte 5,
welche 200—300 zählte.
Wir sehen also, dass die Flüssigkeit aus dem Auge des
mit festem Fluor, zinci eingepuderten Kaninchens eine deut¬
liche Bakterizidie besass, im Gegensatz zu sämtlichen anderen
Flüssigkeiten, welche diese entbehrten. Beim Kaninchen 161,
in dessen Auge 5 Stunden nach der Einpulverung ein Watte-
bäuschchen gelegt wurde, war die Bakterizidie schon ver¬
schwunden. Ich habe dieses Experiment noch einmal wieder¬
holt und genau dasselbe Resultat bekommen, nur waren jetzt
Platten 5 II und III ganz steril.
Ich bin also nicht glücklich gewesen beim Nachmachen
der Experimente von Schneider. In meinen Versuchen
(auch mit Stapln pyog. aur., weiche ich hier nicht mitteile)
habe ich keine Bakterizidie nach Einträufeln von Sulf.-zinci-
Lösung auffinden können. Hiermit will ich aber nicht
sagen, dass die Experimente des Herrn Schneider
falsch sind; cs könnten ja kleine Unterschiede bei Aus
führung der ziemlich schwierigen Experimente
lang sein. Aus meinen Experimenten kommt
bessere Wirkung meines Präparates deutlich
Tag. Ich bekam den Eindruck, dass diese
genügend geklärt werden konnte durch die Auflösung des
Stoffes bis zur Sättigung in die Konjunktivalflüssigkeit. Die
Flüssigkeit II, wo das Bäuschchen erst 5 Stunden nach der
Einpulverung des Präparates hineingelegt wurde, war nicht
mehr bakterizid und zugleich auch nicht mehr von Fluor,
zinci gesättigt; sie war viel weniger dunkel gefärbt. Dass
meine Meinung annehmbar ist und nicht nach Sekretions¬
produkten der Leukozyten gesucht werden muss (in meinem
Fall), geht aus dem folgenden Versuche hervor:
Einem Kaninchen wurden Wattebäuschchen in beide Augen ge¬
legt, einem andern ebenfalls, nachdem aber erst Fluor, zinci ein¬
gepudert war. Nach einer Stunde wurden die Bäuschchen aus¬
gedrückt und die Flüssigkeiten gesammelt. Ich nenne sie Flüssig¬
keit I (Kontrolle) und II (Fluor, zinci). Von I wurde die Hälfte mit
Fluor, zinci gesättigt (I b) und bekam dann dieselbe Farbe als II. Die
Hälfte von II wurde eine halbe Stunde auf 56° erwärmt.
Die 4 Flüssigkeiten wurden mit einer Oese einer Diplobazillen-
kultur geimpft und nach 5 Minuten, 1 Stunde und 24 Stunden auf
Aszitesagar gestrichen.
Nach 5 Min.: nach 1 Stunde: nach 24 Stunden
la 63 ± 100 oo
Ib ± 150 + 100 0
II a + 150 + 100 0
Hb 50 ±80 0
Die Erklärung der Wirkung des Fluor, zinci auf die Diplo-
bazillenkonjunktivitis meine ich auch in vivo einfach aus einer
antibakteriellcn Wirkung des Stoffes auf die Bazillen her¬
leiten zu müssen 9).
9) Nachdem ich diese Arbeit schon abgeschlossen hatte, bekam
ich 2 Arbeiten aus dem Laboratorium von Mora zu lesen, welche
Bücheranzeigen und Referate.
H. W 1 n t e r s t e 1 n: Handbuch der vergleichenden Physiologie.
Jena, G. Fischer. Lieferungen 39- 44, je 5 M.
Von diesem gross angelegten Werke sind seit Beginn des Jahres
6 weitere Lieferungen erschienen. Lieferung 39 (zur 2. Hälfte des
1. Bandes) enthält zunächst den Schluss des allgemeinen Teils über
die Atmung der Fische mit lesenswerten Betrachtungen über die
Tätigkeit der Kiemenatemzentren. Es schliessen sich an Mitteilungen
über besondere Atemmechanismen und der spezielle, die einzelnen
Ordnungen behandelnde Teil. Endlich enthält sie noch einen grös¬
seren Abschnitt über die Atmung der Amphibien, insbesondere des
Frosches. Die Darstellung ist von E. Babäk.
In den Lieferungen 40 und 41 (zur 2. Hälfte des 3. Bandes) bringt
G o d 1 e w s k i die Physiologie der Zeugung zum Abschluss. Gegen¬
stand der Darstellung sind die Befruchtungsvorgänge im Ei und das
Vererbungsproblem; hiebei finden die Versuche über künstliche
Parthenogenese, die Vererbung erworbener Eigenschaften, die Frage
nach den verschiedenen Vererbungstypen und deren Ursachen ein¬
gehende kritische Würdigung. Lieferung 41 enthält noch Titel, In¬
haltsverzeichnis und Register zur 2. Hälfte des 3. Bandes.
Die Lieferungen 42—44 (zur 1. Hälfte des 3. Bandes) enthalten
Fortsetzung und Schluss des von R. F. Fuchs bearbeiteten Ab¬
schnittes „Farbenwechsel und chromatische Hautfunktion der Tiere“
und die ersten (16) Bogen eines Abschnittes „Farbe und Zeichnung
der Insekten“ von W. B i e d e r m a n n. In Lieferung 42 wird die
Darstellung der chromatischen Hautfunktion der Fische zum Ab¬
schluss gebracht; dieselbe und Lieferung 43 behandeln die ent¬
sprechenden Vorgänge und Einrichtungen bei Amphibien und Rep¬
tilien. Die merkwürdigen Erscheinungen haben immer wieder das
Interesse der Forscher erweckt; die Zusammenfassung der festge-
stellten Tatsachen zeigt aber, wie verwickelt die Vorgänge sind und
wie schwer es ist, zu einem befriedigenden Verständnis zu gelangen.
W. B i e d e r m a n n weist in Lieferung 43 und 44 auf die Farben¬
pracht der Insekten hin und ermuntert die Physiologen dem wich¬
tigen und reizvollen Problem mehr Aufmerksamkeit als bisher zu
schenken. Er beginnt mit der Besprechung der chemischen Natur
der Pigmente und der Abhängigkeit ihrer Verteilung von inneren
und äusseren Einflüssen, wobei die vielerlei Versuche über die Wir¬
kung des Lichtes, der Feuchtigkeit, der Temperatur auf die Färbung
und die anschliessenden Erklärungsversuche ausführlich erörtert
werden. Er beginnt dann die Schilderung der Strukturfarben
(optische Farben) der Insekten, insbesondere der Schillerfarben, die
aber in Lieferung 44 nicht zum Abschluss kommt.
v. Frey- Würzburg.
Vorlesungen über Diätetik (Lectures on Dietetics) von Prof. Max
Einhorn, London, H. K. L a r c i s, 136 Gower-St. W. C. 1914.
Das kleine Werk in englischer Sprache ist aus Vorlesungen
hervorgegangen, die M Einhorn an der NewYork Postgraduate
Medical School über Diätetik zu halten pflegt. Es behandelt ii
8 Kapiteln auf verhältnismässig beschränktem Raum die wichtigster
Gesichtspunkte bezüglich der Ernährung bei den verschiedenen
Krankheitszuständen.
In der 1. Vorlesung werden die physiologischen Grundlagen
besprochen, in der 2. die Verdaulichkeit der Speisen, die Art des
Essens und der Einfluss derselben auf die Verdauung, dann die Diät
bei akuten Krankheiten. Die 3. Vorlesung gibt Vorschriften über Diät
bei akuten Krankheiten von längerer Dauer und bei chronischen
Krankheiten wie Tuberkulose, B r i g h t sehe Krankheit. Die 4. Vor¬
lesung ist der Diät bei chronischen Affektionen des Verdauungstraktus
gewidmet, die 5. behandelt die Diät bei chronischen Diarrhöen, die 6.
die Diät beim Diabetes mellitus, die 7. enthält die bekannten Diät¬
regimes und die 8. gibt die Indikationen für die Duodenalernährung
und die Beschreibung der Methode.
In der lebendigen Ausdrucksweise des Vortragenden (Einhorn
hat absichtlich an der Form nicht gefeilt, um dem Leser den Vorteil
des aktuellen Zuhörers zu gewähren) bringt der Verfasser seine
Anschauungen über die zweckmässige Ernährung bei den einzelnen
Affektionen zur Darstellung, weniger auf Grund von theoretischen
Erwägungen, als auf seiner reichen klinischen Erfahrung fussend.
Die ausgezeichnete kleine Monographie ist besonders dem viel¬
beschäftigten Praktiker zu empfehlen, er findet hier aus berufenem
Munde alles geschildert, was jeder moderne Arzt über das wichtige
Gebiet der diätetischen Therapie wissen muss.
Dr. Frdr. C r ä m e r.
Grundriss des Deutschen Aerzterechts. Für Studierende, Aerzte
und Verwaltungsbeamte. Von L>r. H. Joachim, Sanitätsrat und
Dr. A. Korn, Justizrat Verlag von Gustav Fischer, Jena. 1914.
220 S Brosch. 6 M., gcb. 7 M. JH
Die Verfasser bringen eine übersichtliche Zusammenstellung der
für den ärztlichen Beruf geltenden Rechtsgrundsätze unter Berück¬
sichtigung der wichtigsten Gesetze und Verordnungen des Reiche
und der grösseren Bundesstaaten. Es werden u. a. behandelt die
über die Wirkung des Zinks auf die Diplobazillen handeln. (D“'
verrier, Verry-Westphal: Annal. d’oeulistique, Sept. 1913.
S. 161 u. 165.) Auch dort wird noch keine endgültige Erklärung ge¬
geben über die Wirkung des Zinks auf die Diplobazillen.
>9. September 191-4. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
orbedingung der Approbation (ärztliche Vorprüfung, ärztliche Prii-
uiig. praktisches Jahr usw ), die Medizinalbehörden (Kaiscrl. Gesund-
icitsamt, Keichsgesundheitsamt usw.), der beamtete Arzt in der
okalinstanz, ferner der Arzt im öffentlichen Rechte (Steuerwescn
tiaf recht, 1 rozessrecht, Irrenwesen), dann der Arzt in der offen t-
dien Gesundheitspflege (Hafenärzte, Gewerbeärzte, Polizeiärzte,
iefangnisarztc, Eisenbahn- und Postärzte, städtische Mcdizinal-
camte usw.), Aerzte an öffentlichen Heilanstalten (Haftung der An-
i.ilt. Haftung der Aerzte), Bekämpfung ansteckender Krankheiten
l<eichsgesetz, einzelne Landesgesetze, Schutzpockenimpfung usw )
lalirungsmittelhygiene, Arzneimittelversorgung (Verkehr mit Arznei-
littcln ausserhalb der Apotheken, Abgabe stark wirkender
rzneimittel, Geheimmittel, Gifte, Dispensationsrecht der Homöo¬
athen usv\ .), Aerztliches Hilfspersonal, der Arzt iin Privatrecht
licnstvertrag, ärztliches Honorar etc.), Schadenersatzpflicht wegen
engelhafter Sorgfalt, Gebühren der Aerzte für privat- und amts-
rztiiche I ätigkeit. der Arzt in der Reichsversicherungsordnung etc.
Bei der ausserordentlich umfangreichen Materie konnten natur-
emass von den einzelnen Bundesstaaten nur die Verhältnisse der
rosseren Berücksichtigung finden und musste auch da die Behand-
mg eine mehr summarische sein, immerhin wird das Buch dem
tudicrenden der Medizin bzw. dem angehenden Arzte die nötigsten
uischlusse geben, wenn er sich in die Verhältnisse des Aerzte-
jehtes etwas einarbeiten und so für einen immerhin wichtigen Teil
.'ines Berufslebens vorbereiten will. Dr. S p a e t - Fürth.
Wilhelm Ostwald: Moderne Naturphilosophie. 410 Seiten,
kademische Verlagsgesellschaft. Leipzig 1914. Brosch 12 M
eb. 13.20 M.
O s t wa 1 d s „Vorlesungen über Naturphilosophie“, die im
ihre 1902 erschienen, kennt, wird aus dem vorliegenden Buche
nschwer eine sehr wesentliche Erweiterung des Horizontes er-
.'iinen, welche die Arbeit 0 s t w a 1 d s auf dem Gebiete der Philo-
»phie erfahren hat, andererseits hat seine „Naturphilosophie“ in
esem Bande dadurch eine Einschränkung aufzuweisen, dass sich
eselbe auf das Grenzgebiet zwischen Logik und Mathematik Ge¬
meldet. Somit haben wir es nicht mit einer umfassenden
Naturphilosophie zu tun, sondern im wesentlichen mit einer
ysternatik der elementaren Begriffe.
Dementsprechend umfassen die einzelnen Vorlesungen: die Er-
hrung. die Sprache, die Bildung der Begriffe, die zeitlichen Sinne,
e Raumsinne, die Logik oder Gruppenlehre, die Reihen, die Zahlen,
e Grössen und ihre Messung, Raum und Zeit. Es sind begriffliche
nalysen, die hier geboten werden, keine End punkte, sondern Aus-
mgspunkte einer Naturphilosophie. Das lässt denn auch den Wunsch
ge werden, dass recht bald die in Aussicht gestellten weiteren
iden Teile des Gesamtwerkes: Die energetischen Wissenschaften
id die biologischen Wissenschaften, erscheinen möchten.
Ob die Arbeit Ostwalds eine gründliche, erschöpfende
Naturphilosophie“ zu schaffen imstande sein wird, lässt sich bisher
eht ohne weiteres entscheiden, die Flut der Gedanken, wie wir sie
veifellos in dem hochbegabten Naturwissenschaftler antreffen,
heint mir der systematischen Ordnung gewisse Schwierigkeiten zu
weiten; der unverkennbare romantische Zug scheint mir ebenso
cht leicht vereinbar mit philosophischer Schärfe und umfassender
alektik, auch ist zu fürchten, dass die aller Empirie voranzu-
cllende Beherrschung erkenntnistheoretischer Disziplin die Ost-
a 1 d sehe philosophische Arbeit nicht in vollem Masse überschattet;
er trotz allem haben wir es mit origineller Schöpfung zu tun, mit
m Werk einer markanten Persönlichkeit, die in ihrer Auswirkung
r Welt neue Gedanken zu vermitteln berufen ist und gerade durch
- persönliche Note Kulturwege und Forschung befruchtet.
F. Köhler- Holsterhausen.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 116. Bd., 3. und
Heft.
J. Goldberg und R. Hertz: Ueber den Einfluss von Natrium¬
karbonat auf die Ausscheidung der Chloride und des intravenös ein¬
führten Milchzuckers. Ein Beitrag zu den Untersuchungen der
erenfunktionen. (Aus der inneren Abteilung von Primararzt
• 1 a n o w s k i im Kindlein-Jesu-Krankenhaus Warschau.)
Gaben von 10 — 20 g Soda innerlich verursachten eine mehr oder
niger ausgesprochene Chlorretention bzw. verlängerten die Aus-
icidungsdauer von intravenös eingeführtem Milchzucker, vermut-
™ infolge Herabsetzung des Ausscheidungsvermögens der Niere.
L. B o r e 1 1 i und P. Girardi: Versuche über den Kochsalz-
u Wasserwechsel beim gesunden Menschen. (Aus der Kgl. medi-
1 sehen Universitätsklinik zu Torino.)
, Per Organismus braucht bei einer bestimmten konstanten Diät,
ibhängig von ihrem NaCl- und Hi*ü-Gehalt, 3 — 4 Tage Zeit, um
eder ins Gleichgewicht zu kommen. Das erreichte Gleichgewicht
nie ein vollständiges, sondern, je nach den Tagen, Schwankungen
Sinne grösserer oder kleinerer Ausscheidungen unterworfen. Es
somit für das Hl>0 wie für das NaCl keine tägliche, sondern nur
e Gesamtbilanz vorhanden, die von Individuum zu Individuum
j Je nach der Diät veränderlich ist. Es ist eine individuelle Maxi-
Igrenze in der Konzentration des Harns in bezug auf NaCl vor- I
2005
handen. Einer reichlichen eintägigen NaCl- und HsO-Einfuhr folgt
last stets eine Retention beider Elemente mit gleichzeitiger Steige¬
rung des Körpergewichts. Einer reichlichen 1 tägigen NaCl- und ge-
i mgen Müssigkeitseinfuhr folgt eine NaCl-Retention und eine Zu-
nahtne der Diurese. Nach Einnahme eines NaCl-Ueberschusses ändert
sich die Ausscheidung nicht, gleichgültig ob das NaCl fraktioniert im
Laufe des I ages oder nur während der Mahlzeiten eingenommen
'Vr ,• . e höchste Kochsalzmenge wird jedoch mit dem nach den
Mrin'u11 ausgeschiedenen Harne abgesondert. Führt man den
NaCLUeberschuss bei leerem Magen ein, so wird er langsamer aus-
geschieden, als wenn er w'ährend der Mahlzeit eingenommen wird.
Wahrend einer NaCI-armen Diät nimmt die NaCI-Retention sowohl
rv-- . u jlr e'ner Zulage, als auch bei Fortdauer der kochsalzarmen
Diät bedeutend zu; diese Retention ist nicht andauernd und kann von
e*nfj. j Perausscheidung gefolgt sein. Während einer, nur an 1 Tage
stattfindenden reichlichen HsO-Einfuhr scheidet der Organismus nicht
nur keine grössere Menge NaCl, sondern eine geringere aus, beson¬
ders bei vorangegangener knapper Wasserdiät. Dies wird bei koch¬
salzarmer, als auch bei normal kochsalzhaltiger Diät beobachtet.
Durch reichliche und wiederholte Wassereinfuhr wird die NaCl-Aus-
Scheidung gesteigert. (Weitere Ergebnisse sind nachzulesen.)
A. W. Hewlett: Reflexionen der primären Pulswelle im
menschlichen Arme. (Mit 5 Kurven.)
In vielen normalen Kurven tritt eine negative Rückbewegung
des Blutes in der A. brachialis sofort nach der primären Pulswrellc
auf, besonders aber in gewissen pathologischen Fällen, z. B. Nitro¬
glyzerinpuls, Pulsus celer der Aorteninsuffizienz, dikrotem Puls von
akuten Infektionen. Diese Rückbewegung ist von einer Reflexion der
primären Pulswelle im Arme verursacht.
ci- M a i 0 r : Ueber den Einfluss der Anaphylaxie auf den
Stickstoffwechsel bei Kaninchen. (Aus der II. med. Klinik in Mün¬
chen und dem pathol. Laboratorium der Stanford Univcrsity in San
Francisco.) (Mit 5 Kurven.)
Die Anaphylaxie hat einen bedeutenden Einfluss auf den Stick¬
stoffwechsel. Gleich nach dem anaphylaktischen Schock wird oft
eine Herabsetzung der N-Ausscheidung bemerkt, die aber nicht kon¬
stant ist. Kaninchen gehen oft erst mehrere Tage nach dem Schock
zugrunde. Während dieser Zeit schwankt die Ausscheidung des N,
die liere scheinen die* Fähigkeit zu verlieren, sich im N-Gleich-
gewicht zu halten. Sie erleiden einen bedeutenden Gewichtsverlust,
der teilweise aut verminderte Nahrungsaufnahme, grösstenteils auf
Zerstörung des Körpereiweisses zurückzuführen ist. Eine anatomische
Grundlage für diese bemerkenswerten Veränderungen des Stoff¬
wechsels Hess sich nicht finden.
/. U. Weiser: Eine Mitteilung über Störungen der Herzautomatie.
(Aus der I. deutschen med. Klinik, in Prag.) (Mit 7 Kurven.)
Die Arbeit bringt 4 Fälle von Störung der Herzautomatie bei
Nervösen, die auf Schwankungen in der Reizbildung im Keith-
rlack sehen Knoten beruhen.
d unn?: Ueber die Wirkung des Mikrokokkus von
rr.UCxr (Melitensis) und seiner Toxine auf das periphere und zen-
trale Nervensystem. Experimentelle Untersuchungen. (Aus der
' m\r ‘ i lm j der- kgl- Universität in Neapel.) (Mit Tafel I— IV.)
Nach subduraler und intravenöser Injektion des lebenden Mikro¬
kokkus und nach subduraler Injektion von sterilen Kulturen entstehen
Veränderungen am Nervensystem, die recht gut mit den klinischen
r r fahr un gen beim Maltafieber übereinstimmen. Die klinisch so häu¬
fig beim Maltafieber beobachteten Neuritiden sind begründet in der
zerstörenden Wirkung des Mikrokokkus auf die peripheren Nerven,
wahrend die pathogene Wirkung auf das Zentralnervensystem eine
weniger intensive ist.
i h' ikatId.d: Heker ^ie Palpabilität der Arterien. (Aus der
1. rned. Klinik der Universität zu München.) (Mit 4 Abbildungen und
5 Kurven.)
Zwischen dem Tastbefund der Arterien wand und ihrem ana¬
tomischen Zustand bestehen nur sehr lockere Beziehungen. Bei einer
grossen Zahl von rigide erscheinenden Arterien findet diese Rigidität
durch den anatomischen Befund keine Erklärung. Bei den meisten
Arterien, welche dickwandig erscheinen, ohne sklerotisch zu sein,
wird die Resistenz nicht durch eine Mediahypertrophie bedingt,
andererseits scheint die Mediahypertrophie, zumal bei Schrumpfniere,
ein raktor. zu sein, den man bei der Beurteilung des Palpations¬
befundes nicht ausser acht lassen darf. Abgesehen von den höchst-
gradigen „Gänsegurgelarterien“ ist es dem tastenden Finger unmög-
lich, zu scheiden zwischen einer durch Mediahypertrophie und einer
■[ r.|{ f'0Sp frose bedingten Verdickung der Arterienwand. Erst
mit Hilfe des Sphygmogramms lässt sich erkennen, welche unter den
dickwandigen Arterien anatomisch sklerotisch sind, und welche durch
Mediaverdickung rigide erscheinen, wenn auch eine absolute Ueber-
cinstimmung weder zwischen Sphygmogramm und anatomischem Ver¬
halten, noch zwischen Pulskurven und Tastbefund vorhanden zu sein
scheint. Was als vermehrte Rigidität fühlbar ist, ist verursacht durch
eine Veränderung der Eindrückbarkeit der Arterienwandung, also
ihrer Harte. Bei den wirklich sklerotischen Arterien ist diese Härte¬
zunahme bedingt durch eine Schädigung derjenigen Gewebselemente,
welche bei dem jeweiligen Gefässtypus am meisten beansprucht wer¬
den: also bei den muskulösen Arterien vorwiegend in einer Degenera¬
tion der glatten Muskulatur der Media, bei den elastischen Arterien
mehr in einem Untergang elastischer Fasern und ihrem Ersatz durch
2006
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
funktionell minderwertiges Bindegewebe zu suchen. Trotz des ver-
schiedenen anatomischen Bildes fühlen wir klinisch nur dieselbe Ver¬
änderung eine Zunahme der Härte der Arterienwand, die wohl als
Ausdruck der verschlechterten Dehnbarkeit solcher Arterien anzu¬
sehen ist. Bei den Arterien, die anatomisch nicht sklerotisch sind,
klinisch aber rigide erscheinen, kann die fühlbare Härte nicht ein¬
heitlich erklärt werden. «...
E. Grafe: Zur Genese des Eiweisszerfalls im Fieber. (Aus
der med. Klinik in Heidelberg.)
Eine toxische Steigerung des Eiweissumsatzes durch Ioxmwir-
kung und Fieber Hess sich beim Kaninchen nicht nachweisen, wenn
man das Verhalten des N-Minimums beim infektiösen Fieber bei
gleichzeitiger starker Kohlehydratzufuhr verfolgt. Für den Menschen
ist diese Frage noch offen, da ein Analogieschluss vom Kaninchen un¬
zulässig ist und grosse Kohlehydratgaben von fiebernden Menschen
meist nicht genommen werden.
P. Morawitz und A. Zahn: Untersuchungen über den Koro¬
narkreislauf. (Aus der med. Poliklinik in Freiburg und der med.
Klinik in Greifswald.) (Mit 5 Figuren, 8 Kurven und 18 Diagrammen.)
Die angegebene Methode der Sondierung des Koronarsinus am
lebenden Tier gestattet es, ein zutreffendes Bild von der Durchblu¬
tung des Herzens in situ zu erhalten. Die Durchblutung des Herz¬
muskels ist vom arteriellen Druck abhängig. Steigerung des arteriel¬
len Druckes durch Abdominalkompression, Infusion von Blut oder
Kochsalzlösung und Adrenalin vermehrt die Ausflussmenge aus den
Kranzgefässen. Ausserdem wirkt Adrenalin noch direkt dilatierend
auf die Koronargefässe. Es ist das wirksamste Mittel, eine Ver¬
mehrung der Durchblutung des Herzmuskels zu erreichen; trotzdem
scheint es bei der menschlichen Angina pectoris unwirksam zu sein.
Stark beschleunigte Herztätigkeit schafft ungünstige Bedingungen für
die Durchblutung des Herzens. Reizung des Accelerans cordis wirkt
dilatierend auf die Koronargefässe, Reizung des Nervus vagus ver¬
mindert meist die Ausflussmenge. Im Akzelerans sind Vasodilatatoren
für die Kranzgefässe. Ob im Vagus Konstriktoren verlaufen, ist noch
nicht sicher. Pituitrin und Nikotin verengen die Kranzgefässe.
H. Straub: Dynamik des Säugetierherzens. II. Mitteilung.
Dynamik des rechten Herzens, (Aus der I. med. Klinik München.)
(Mit 8 Kurven.)
Für die Dynamik des rechten Ventrikels ist bei Konstanz der
Beschaffenheit des Muskels die Grösse des venösen Zuflusses der
massgebende Faktor. Mit Zunahme des Zuflusses steigt entsprechend
der diastolische Druck. Zunahme des Widerstandes durch Verenge¬
rung der Strombahn des Lungenkreislaufes hat bei normalen Lungen-
gefässen innerhalb physiologischer Grenzen geringen Einfluss auf die
Dynamik des rechten Ventrikels. Die Systole des rechten Vorhofs
wird von denselben Gesetzen beherrscht wie die Systole der Kam¬
mern. Der Druckablauf im rechten Vorhof übt massgebenden Ein¬
fluss auf die Strömungsgeschwindigkeit in den grossen Venen aus.
Bei grossem venösen Zufluss kann in bestimmten Phasen der Herz¬
revolution ein vom Herzen weggerichtetes Druckgefälle im venösen
System entstehen. Die Schwankungen des Druckgefälles bewirken,
dass bei geringem venösen Zufluss die Füllung des rechten Herzens
während der ganzen Diastole nahezu kontinuierlich erfolgt. Bei
grossem venösen Zufluss erfolgt die Füllung des. Vorhofs vorwiegend
in den frühen Phasen der Diastole. Während der späteren Phasen
der Diastole kann infolge der starken Abnahme des Gefälles nur
wenig Blut mehr einströmen. Der Vorhof ist dadurch bis zu einem
gewissen Grade vor Ueberdehnung geschützt. Die absolute Höhe des
Pulmonalisdrucks hängt wesentlich von der Höhe des venösen Zu¬
flusses ab. Die Dynamik der einzelnen Herzabschnitte wird vor¬
wiegend durch das Verhalten der angrenzenden Teile des grossen
Kreislaufs bestimmt. Für die Dynamik des linken Herzens ist der
Aortendruck der in erster Linie bestimmende Faktor: er reguliert
Anfangsfüllung und Anfangsspannung im linken Ventrikel. Die Dy¬
namik des rechten Herzens wird vorwiegend bestimmt durch die
Grösse des venösen Zuflusses. Das Verhalten des kleinen Kreis¬
laufs hat für die Dynamik des Herzens erheblich geringere Bedeu¬
tung als das des grossen Kreislaufs. Bamberger - Kronach.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 128. Band. 5. bis
6. Heft.
A. Hagentorn: Ueber Schussverletzungen im Frieden. (Aus
dem städtischen Krankenhause in Kowno, Russland.)
Ca. 200 Beobachtungen, grösstenteils aus den Revolutionsjahren
1905 und 1906. Nur 10 mal lagen Selbsmordverletzungen vor (6 Kopf¬
schüsse, 4 Brustschüsse), über 100 Fälle betreffen Extremitäten¬
schüsse, 26 mal Kopfschüsse, 40 mal Brust- und Rückenschüsse, 16 mal
Bauchschüsse mit 3 Verletzungen, 1 Rückenmarkschuss, 3 Harn¬
röhrenschüsse, 1 Halsschuss. 9 mal Schussverletzungen grosser Ge¬
lenke. 11 Bauchschüsse, 4 Kopfschüsse, 1 Brustschuss verliefen töd¬
lich, 2 Weichteilschüsse und eine Schrotschusszerschmetterung des
Unterschenkels starben an Sensis, desgleichen starben 2 Tetanus¬
infektionen und der Riickenmarkschuss: 21 Todesfälle. 108 mal lagen
Revolver, 33 mal Schrotschüsse, 7 mal Sprengschüsse voF, 2 mal Bom¬
benverletzungen, 2 mal Teschingschiisse. Von besonderem Interesse
Ist das Kapitel der Harnröhren- und Blasenschüsse.
A. Tiedemann: Zur Therapie der Tuberkulose der Mund¬
schleimhaut und des Zahnfleisches. (Aus der Hals-Nasen-Ohrenpraxis
von Sanitätsrat Dr. Kreutzberg - Hannover.)
Beschreibung eines Falles von Mund- und Zahnfleischtuberku¬
lose, der durch Bestrahlung mit 5 mg Mesothor (Anästhesierung und
Anämisierung der Schleimhaut mit 10 proz. Kokain-Suprarenin-
Lösung, Staniolfilter; 20 Bestrahlung, je 2 pro Woche) zur Heilung
kam. , ,
Hans Finsterer: Zur Technik der Magenresektion. (Aus
der chirurgischen Klinik Hofrat Hochenegg in Wien.)
F. beschreibt zunächst seine Methode der Magenresektion. Da
beim Billroth II event. die Gefahr vorliegt, dass der eingestülpte
untere Bügel der Schnittfläche die Gastroenterostomie verlegt, so
wurde eine Reihe anderer Verfahren ersonnen: Reichel -Polya,
W i I m s, Sasse. F. macht nach Mobilisierung der grossen und
kleinen Kurvatur, wobei der Mitentfernung der Drüsenmetastase sehr
sorgfältig Rechnung getragen wird, die Durchtrennung des Duo¬
denums, gibt dann die oberste .lejunumschlinge durch einen Schlitz
im Mesokolon, Durchtrennung des kardialen Teils entsprechend einer
Linie Kardia — grosse Kurvatur bis auf die unteren 5 cm. Fixierung
des linken Randes des Mesokolonschlitzes an der hinteren Magen¬
wand, laterale Anastomose der ersten Jejunumschlinge mit dem nicht¬
verschlossenen Teil der Magenschnittfläche, Deckung der Anastomose
durch den vorderen Rand des Mesokolonschlitzes. Das Verfahren
ist ähnlich dem Hofmeister sehen, die Art der Fixation des Meso¬
kolonschlitzes ist neu.
Beim Uebergreifen des Karzinoms auf die rechte Oesophagus-
wand kann die Oesophagusnaht durch manschettenförmige Umhüllung
mit dem Magenfundus gesichert werden. Die (iesamtmortalität unter
27 Resektionen beträgt 29 Proz. Die Indikationsstellung kann nach
Ausschaltung der Allgemeinnarkose wesentlich erweitert werden, die
Operabilität kann nur durch Probelaparotomie festgestellt werden,
stets ist eine exakte Ausräumung aller regionären Drüsen durch¬
zuführen. Auch die palliative Resektion, die den Kranken von dem
jauchenden Geschwür entfernt, hat ihre Berechtigung.
Julius Dollinger: Suspension und Stützpunkte künstlicher
Glieder.
Vorgetragen und demonstriert am Deutschen Chirurgenkongres^
in Berlin 1913. (Vgl. Referat in der Mun.W.)
Fritz Kaspar: Ueber primäre Karzinome des mittleren
Jejunums. (Aus der II. Chirurgischen Universitätsklinik (Hofrat
Hochenegg).
Beschreibung zweier Fälle von echten primären Karzinomen des
mittleren Jejunums (Adenokarzinome, der 2. Fall mit Tendenz zur
Verschleimung).
Fritz Kaspar: Ein Zylindrom des Meckelschen Divertikels.
Ein Zylindrom am Ende eines freien Meckel sehen Divertikels,
ein Tumor, der am Darm erst einmal, am Meckelschen Divertikel
noch nicht beobachtet wurde, hat durch Abknickung des Darm¬
anhanges zu Divertikulitis, Perforation und sogen, gedoppelter In-
vagination des Ileum geführt. Flörcken - Paderborn.
Archiv für Hygiene. 82. Band. 8. Heft. 1914.
Josef Rocek-Prag: Beitrag zur Kenntnis der Bildung der
Immunnräzipitine im Tierkörper.
Aehnlich, wie Raysky in dieser Zeitschrift Bd. 82 berichtete,
wurde bei den vorliegenden Untersuchungen auch festgestellt, dass
bei der Reimmunisation selbst nach einer kleinen Serummenge eine
mächtige Präzipitinbildung eintritt und ferner, dass bei der Re-
irnmunisation eine kleinere Serumdosis intensivere Präzipitinbildung
hervorrufen kann, als es bei der grösseren, zur vorherigen Immuni-
sation benutzten Dosis der . Fall war. Das Verfahren, zwischen
den einzelnen Immunisationsakten lange Ruhepausen einzuschalten.
scheint gegenüber dem bisher üblichen wesentliche Vorteile zu
bieten
Wilhelm Kulka-Graz: Studien zur Frage der fäkalen Aus¬
scheidung darmfremder Bakterien.
Die Fiage, ob nach Immunisierung von Tieren mit körper¬
fremden Bakterien durch nachherige Einverleibung derselben per os
Bedingungen geschaffen würden, die ein längeres Verweilen solcher
Keime im Darmkanal ermöglichten, wurde von Raubitschek be¬
jaht, scheint sich jedoch nach den Untersuchungen vom Verf. nur
ausnahmsweise zu bewahrheiten. In keinem der angeführten Ver¬
suche, weder mit B a c t. prodigiosum noch- mit Vibrio
Metschnikoff war es gelungen, eine auch nur vorübergehende
stärkere fäkale Ausscheidung dieser „körperfremden“ Bakterien zu
erzielen, ganz gleichgültig, ob der intravenöse, intraperitoneale oder
subkutane Weg der Einverleibung gewählt wurde. Fleisch- und
Pflanzenfresser, sowie der Mensch (Verf. als Versuchsobjekt) ver¬
hielten sich gleich refraktär.
P. S c h m i d t - Giessen: Weitere Erfahrungen über die Brauch¬
barkeit des Berkefeidfilters zur Entgiftung bleihaltigen Leltungs-
wassers.
Bei weiteren Versuchen zur Entbleiung des Wassers ergab sich
dass bei der Dauerfiltration das im Filtrat allmählich erscheinende
Blei zunächst zunimmt und ca. nach 22 Tägpn und 3000 Liter Fil¬
trationsmenge ein Maximum erreicht. Nachher tritt eine stetige deut¬
liche Abnahme ein, welche bei unter 1 mg — den gesundheitlich noch
zulässigen Wert — geht. Dabei wird offenbar der Filtriereffekt
unterstützt, wenn das Wasser eine Spur eisenhaltig ist, da das Eisen
auf dem Filter eine brauchbare Filterschichte bildet. Das abfiltrierte
Blei sammelt sich, ähnlich wie bei der Bakterienfiltration, ganz ober-
2007
-9i ^September J914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
flächlich auf der Kerze an, während das Innere der Kerze völlig frei
Kd) Heben war Das Blei dürfte in der Hauptsache im Wasser als
Hydroxyd vorhanden sein. R. (). Neuin a n n - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 38, 1914.
Eduard Melchior -Breslau: Lieber den sog. arterio-mesen-
terialen Duodenalverschluss (Atonia gastro-duoderialis acuta) (Vor-
snÄ™“An,ÄSkH" d- sci,ics tks 1 *»•«
Schluss folgt
wr! » e.c^.arsuIIlm.er'1Be,rIin-Fric<Jrichshain: Lieber Belnleren.
Wahrend die vollentwickelten funktionstüchtigen überzähligen
Nieren ihre Selbständigkeit auch durch ihre von den beiden anderen
Nieren weit entfernte Lage dokumentieren, bleiben die rudimentären
oder Beinieren in topographischem Zusammenhang mit der gleich¬
seitigen Niere. Hierin, sowie in der Tatsache, dass sie jedesmal
dem oberen Pol aufs, zen, während die vollkommenen, überzähligen
Nieren stets beckenwärts gelegen sind, könnte eine besondere Ge¬
setzmassigkeit hegen Wie andere missgebildete überzählige Rudi-
mentarorgane neigen auch die Beinieren zur Tumorbildung.
W. Lublinski: Silbernitrat oder Silbereiweiss
. V^rf‘ i|t...durc.J Untersuchungen zu dem Resultate gekommen,
dem ahen S.Ibernitrat treu zu bleiben; die Ersatzpräparate haben
nicht seine Kraft, verderben ausserdem bei längerem Stehen in I ö-
sung und sind im allgemeinen als minderwertige Surrogate an
Zusehen.
H. Roedcr- Berlin: Ein Hilfsmittel für sportliche Diätetik und
I ruppenhygiene.
Das Präparat Maltyl Mate stellt eine Kombination eines Thee-
alkaloids mit einem trockenen Nährstoff, wie dem Malzextrakt dar
und bereichert unsere Hilfsmittel für die Zwecke und für eine Ver
besserung der sportlichen Diätetik.
... Emst J ege r- Breslau: Der gegenwärtige Stand der Blutge-
tasschirurgie. (Vortrag in der Sitzung der med. Sektion der schles
Ges. f. vaterl. Kultur am 12. Juni 1914.)
Schluss folgt. Dr. Grassmarin - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1914. Nr. 37.
A. B r e n t a n o - Berlin: Die Behandlung der Knochen- und Ge¬
lenk schlisse.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage.
Schäfer: Krlegschirurgische Erfahrungen im russisch-japani¬
schen Kriege.
; Abdruck eines im Jahre 1905 in der D.m.W veröffentlichten
Berichtes.
F. Cr on er: Trinkwassersterilisation im Felde.
Einwandfreies Trinkwasser wird in Frankreich und Russland
ncht gar häufig anzutreffen sein; Röhren- oder Abessinierbrunnen
assen sich vermutlich eher in Russland als in Frankreich anlegen.
-uiter den Arten der künstlichen Wasserverbesserung sind dir
cossen, aus Berkefeldfiltern hergestellten ..Armeefilter“ für stationäre
Anlagen wohl zu empfehlen und haben neben gewissen Nachteilen
eH;-ujUg’ dass -bei der. Filtration das Wasser seine Temperatur
lenalt oder noch kühler wird. Zur sicheren chemischen Sterilisierung
les Wassers eignet sich nur das Ozon, doch sind die Kriegserfah-
•imgen damit bisher noch wenig günstig gewesen. Die sicherste
5terihsierung bietet das Abkochen. Das deutsche Heer ist mit einer
crossen Zahl grosser und kleiner fahrbarer „Trinkwasserbereiter“
ler Firma Rud. A. Hart mann und anderer ausgerüstet.
Hoene- Mainz: Ein seltener Fall von Bechterewscher
vrankheit.
Krankengeschichte und Abbildungen eines Falles, bei dem ab¬
reichend von fast allen beschriebenen Fällen in auffallend kurzer
eit das Symptomenbild sich voll entwickelt hat.
K r o m a y e r - Berlin : Der Fehler in der Salvarsanbehandlung
ler Syphilis.
Uas häufig im Anschluss an eine Salvarsanbehandlung und sonst
ncht beobachtete Auftreten von schweren Syphilisrezidiven, be-
° ifr.s Neurorezidiven und auch von Todesfällen darf nur auf die
u hohe Dosierung des Salvarsans und nicht auf sonstige unbe-
eutende technische Fehler zurückgeführt werden. Daher empfiehlt
- nur kleine Dosen. 10—15 Gaben von je 0,1— 0.2. in 4—6 Wochen
isgesamt 2.0 — 3,0 g Altsalvarsan stehen in der Wirkung mindestens
uier intensiven Quecksilberkur gleich. Unangenehme Ncbcncrschci-
ungen fehlen, es wird das Allgemeinbefinden vielmehr günstig hc-
intlusst. Neurorezidive scheinen auszubleiben. Bei ganz vorsich-
Dosierung von 0,02 g (Altsalvarsan) an beginnend braucht man
• kt® VOn Ehrlich aufgestellten Kontraindikationen (Herz-, Ge-
iss-, Nieren- u. Gehirnerkrankungen) nicht einzuhalten. Die Kur ist
or oder nach einer Quecksilberbehandlung. nicht aber gleichzeitig
"rzunehmen. Bei dieser ..chronischen“ Anwendung entfaltet das
alvarsan alle seine guten Eigenschaften ohne seine Nachteile.
0 r 1 o w s k i - Berlin: Verursachen sterile Tripperfäden weissen
luss?
O. nimmt nach seinen Untersuchungen als wahrscheinlich an,
ass gonokokkenfreie Tripperfäden einen baktcrienfreien Zervix-
atarrh verursachen können. Bergeat - München.
Französische Literatur.
P. L. Couchoud: Der Kubisagari (G e r 1 1 e r sehe Krankheit).
(Revue de medecine, April 1914.)
9 c* kubisagari oder G e r 1 i e r sehe Krankheit kam bis jetzt nur an
w .T teilen der Erde zur Beobachtung, und zwar in einem französischen,
nahe der Schweizer Grenze, nächst dem Genfersee gelegenen Orte
(rerney- Voltaire) und in einem japanischen Distrikte (Aomori); in
diesen, so weit voneinander entfernten Gegenden hat die Krankheit
endemischen Charakter, befällt oft eine ganze Familie, und zwar zu
gestimmten Jahreszeiten, indem sie im Mai und Juni beginnt, beson¬
ders stark im Juli herrscht und fast vollständig im Oktober und
November verschwindet. Die Krankheit besteht darin, dass plötzlich
• r .mitten in der Arbeit — ein Gefühl der Schwäche in Armen und
einen auftritt, der Kopf herabsinkt, die Lider sich schliessen usw.;
wenn man zu gehen versuchte, schwankte man wie ein Berauschter
und wahrend eines solchen Anfalles fielen die Kranken zu Boden.
Alle Kranken klagten darüber, dass der Kopf wider ihren Willen sich
beugte und sie ihn nicht mehr erheben konnten. In den Fällen des
japanischen Beobachters war diese Krümmung (unvollständige Läh¬
mung der Halsmuskeln) so ausgeprägt, dass der Krankheit davon der
,..?.rne, gegeben wurde (Kubisagari = Nackenkrümmung). Die An¬
talle kommen nur bei Tage vor, dauern nicht länger als etwa 10 Mi¬
nuten, konnten aber rasch einander ablösen oder ineinander über¬
gehen und treten erst auf, wenn bereits eine gewisse Ermüdung sich
eingestellt hat, also viel häufiger nachmittags wie morgens. Ger-
1 e r beobachtete, dass die Krankheit besonders die Dienstboten und
Arbeiter befiel, dass sie fast vollständig die Hausvorstände und Frauen
verschonte und für die Schäfer eine besondere Vorliebe hatte. Nach
der Arbeit des japanischen Forschers handelt es sich hier um eine
Neurose, die wahrscheinlich infektiösen Ursprungs und neben Tetanus
l, | ,u.t cinzureihen ist: sie ist durch plötzliche Lähmungsanfälle
charakterisiert, ohne dass Intelligenz oder Allgemeinbefinden gestört
sind, zu der Haupterscheinung, der lähmungsartigen Schwäche ge¬
sellen sich noch Gesichtsstörungen und der spinale Irradiations¬
schmerz. Der Verlauf der Krankheit ist ein unregelmässiger: bald
kommen die Anfalle jeden Tag, bald alle 10—14 Tage: die Dauer er¬
streckt sich auf 1 — 5 Monate (der heissen Jahreszeit). Kubisagari
unterscheidet sich von Tetanus durch seine Gutartigkeit und seinen
/„..?niscben, Verlauf. Die Krankheit kommt auch bei Haustieren
(Hühnern, häufiger Katzen), aber mit Vorliebe im Winter, vor
Gouchard unternahm im Jahre 1912 umfangreiche klinische und
bakteriologische Untersuchungen in den japanischen Hauptherden des
Leidens, um die Hypothese G e r 1 i e r s und M i u r a s über den in¬
fektiösen Ursprung desselben nachzuprüfen. Er fand das oben be¬
schriebene klinische Bild völlig bestätigt und es gelang ihm auch,
einen spezifischen Mikroorganismus, der bei 2 Kranken völlig identisch
war, zu finden; dessen morphologische Eigenschaften, ebenso wie
die Reinzüchtung und Uebertragbarkeit (auf Katzen) werden genau
beschrieben. Während das klinische Interesse für Kubisagari kein
sehr erhebliches sein dürfte, da seine Ausdehntingsherde sehr be-
grenzte sind, so glaubt C„ dass das Studium dieser Krankheit einen
wichtigen Beitrag zur Kenntnis der bakteriellen Infektionen liefern
wird. Ueber das zeitliche Auftreten der Krankheit (im Sommer)
waren verschiedene Theorien noch offenliegend: entweder ent¬
wickelte sich der Mikroorganismus besonders in der heissen Jahres¬
zeit unter speziellen Temperaturbedingungen oder er wird besonders
um diese Zeit in die Ställe, z .B. durch frisches Heu gebracht oder
auch er entwickelt sich das ganze Jahr hindurch und ruft eine latente
Infektion hervor, die sich klinisch bei Gelegenheit der grossen Som¬
merarbeiten und Ermüdungszustände kundgibt. Erst die Feststellung
über den natürlichen Aufenthaltsort des spezifischen Erregers wird die
Auswahl zwischen diesen Hypothesen ermöglichen
J. Mollard und Antoine Dumas: Das galoppierende Herz-
gerausch im Verlauf des Typhus abdominalis und in der Rekonvales¬
zenz desselben nach einigen persönlichen Fällen, (Ibidem.)
Dieses (galoppierende) Herzgeräusch kommt fast ausschliesslich
1 in Verlaufe der schweren Typhusformen vor und ist mit einer leich¬
ten Form von parenchymatöser Myokarditis, der regelmässigen Kom¬
plikation jedes langdauernden und schweren Typhus verbunden, aber
nicht, wie früher angenommen wurde, das Symptom tödlich enden¬
der akuter Myokarditis. Gleichzeitig ist immer verringerter Blut¬
druck vorhanden, wofür wohl nicht allein die geschwächte Herzkraft,
sondern vielleicht auch die Insuffizienz der Nebennieren die Ursache
abgeben. Bezüglich der Pathogenese glauben Verfasser, dass das
galoppierende Geräusch nur die merkbare LJebcrtragung eines nor¬
malerweise nicht erkennbaren (insensiblen) Vorganges ist: die An¬
kunft des vom Herzohr in den Ventrikel getriebenen Blutes. Wenn
das Geräusch in einer vorgeschrittenen Periode eines schweren, sich
lange hinziehenden Typhus auftritt, so ist der Beweis eines ver-
minderten Herz-Gefäss-Druckes. der grossenteils mit Atrophie des
Myokards zusammenhängt; logischerweise müsste cs Anfälle von
Synkope oder sogar den plötzlichen Tod vorahnen lassen, aber in den
veröffentlichten Fällen wurde nichts dergleichen gefunden. Wenn
das Geräusch im akuten Stadium auftritt. so besagt es zwar eine
Affektion des Myokards, aber nur den ersten Grad derselben und wird
erst in Zusammenhang mit anderen, eventuell später sich einsfellenden
Zeichen von Herzschwäche, wie Dämpfung der Geräusche, Embryo-
kardie usw. eine prognostische Bedeutung haben; an sich ist das
jnns
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
galoppierende Geräusch, wie L c p i n e schon seit langem hervor¬
gehoben hat, nur ein Zeichen ganz relativer Herzschwäche.
A. Therre- Vichy: Die Mineralwasserbehandlung der Gallen¬
steinkolik. (Revue de inedecine, Mai 1914.)
Verfasser rühmt die Erfolge des Vichywassers bei der unkompli¬
zierten Gallensteinkrankheit und erklärt, die Anwendung der alka¬
lischen Wässer sei die Methode der Wahl bei der Behandlung der¬
selben. Seine Statistik umfasst 211 Fälle, welche nach einer einzigen
Kur, und 68 Fälle, welche nach mehreren (bis zu 5) Kuren zur Heilung
gekommen sind. Th. führt weiterhin Beispiele an, wo Rheumatismus
und Arthritis interkurrierend mit Gallensteinkolik vorkamen und ein
Zusammenhang zwischen diesen beiden Arten von Erkrankungen
zweifellos annehmen Hessen. Fs wird damit die Wichtigkeit illu¬
striert, bei einem Arthritiker, der Erscheinungen von Leber-Gallen-,
Affektion zeigt, frühzeitig mit der Darreichung von Alkalien zu be¬
ginnen, um seine Leber gegen die zahlreichen Infektionserreger, die
unaufhörlich sie zu befallen drohen (vom Darme oder Blute aus) in
Verteidigungszustand zu setzen; um zu vermeiden, dass die Krank¬
heit sich nicht mit schlimmen Komplikationen erneuere, ist wieder¬
holter Gebrauch der Kur notwendig.
Hardouin; Klinische und experimentelle Studie über die trau¬
matischen Luxationen des Knies nach hinten. (Revue de Chirurgie,
Dezember 1913, März und April 1914.)
Monographische Darstellung dieser, im allgemeinen seltenen
Form von Luxation; während die Luxation des Kniegelenkes an sich
schon selten ist (= 2,44 Proz. aller Luxationen), kommt diese Varietät
nach einer Statistik von C r a m e r auf etwa ein Fünftel der Knie¬
gelenksluxationen. Symptome, Formen (unvollständige und voll¬
ständige direkt nach hinten erfolgte, nach hinten und seitwärts, nach
seitswärts mit Rotation gerichtete und schliesslich alte Luxationen),
Komplikationen (unmittelbare und später auftretende), Diagnose und
Behandlung werden genau beschrieben. Letztere muss bei frischen
Fällen in baldmöglichster Reposition bestehen und die Methoden
derselben müssen je nach dem Falle oft wechseln. Besondere Schwie¬
rigkeiten machen die irreponiblen Luxationen und die Frage, welche
Art Operation hier anzuwenden ist. Von Komplikationen sind die
hauptsächlichsten Frakturen, Gefässzerreissungen,- äussere Gelenks¬
eröffnung (blutige) und Zerreissung des Nervus ischiadicus, die aller¬
dings alle nur ganz selten Vorkommen, und als spätere Folgeerschei¬
nungen Gelenksschlaffheit und rezidivierende Luxation. Die 79 aus
der Literatur gesammelten Fälle werden kurz beschrieben und die
Literatur zusammengestellt.
Jean Walter-Sa llis: Die Leber bei der Appendizitis. (Re¬
vue de Chirurgie, Februar und Mai 1914.)
Die akute oder chronische, rein entzündliche oder eitrige Appen¬
dizitis vermag im Bereiche der Leber — sei es in deren Parenchym
oder in ihrer Umgebung oder in ihren Blut- oder Gallenwegen —
sehr wichtige und ausserordentlich verschiedene Veränderungen her¬
vorzurufen. Sie sind auf die Toxiinfektion, die vom Herde des Wurm¬
fortsatzes ihren Ausgang nimmt und meist ihren Weg durch die Pfort¬
ader einschlägt, zurückzuführen. Die Veränderungen, welche in der
Leber gesetzt werden, weichsein mit dem Grade der Toxiinfektion
und der Widerstandskraft, welche das Drüsengewebe der Leber den
schädlichen Stoffen bietet, und sind anatomisch durch Zellnekrose,
fettige Degeneration und wirkliche Eiterung charakterisiert. Klinisch
zeigt sich die Lebererkrankung unter der Form eines vorübergehen¬
den, gutartigen oder eines schweren Ikterus oder des Eiterungspro¬
zesses der Leber, seltener der Zirrhose. Die Prognose all dieser
Leberkomplikationen ist eine ernste, bei schwerem Ikterus, Eiterung
sogar meist tödlich. Da die Behandlung der verschiedenen Formen
von Leberkomplikationen (nach Appendizitis) noch völlig im Dunkeln
liegt, Vorbeugen auch besser ist wie heilen, so müssen die Kranken
möglichst bald von ihrer Appendizitis befreit werden, um sie gegen
die Leberkomplikationen, die ihnen letal werden können, zu schützen.
E. Quönu: Die Sporotrichose der Brustdrüse. (Revue de Chi¬
rurgie, Mai 1914.)
Qu. bringt als vierten bis jetzt veröffentlichten dieser scheinbar
seltenen Lokalisation der Sporotrichose folgenden selbstbeobachteten
und von Gougerot histologisch untersuchten Fall. Derselbe be¬
traf eine 58 jährige Frau, welche an der rechten Brust einen etwa
hühnereigrossen, harten, mit der Haut teilweise verwachsenen Tumor,
der seit ca. 6 Monaten vorhanden war und keinerlei subjektive Be¬
schwerden verursachte, zeigte. Achseldrüsen waren nicht ge¬
schwollen, aber es waren noch am rechten Ellenbogen und am Rücken
(linken unteren Rand des Schulterblattes) je ein ganz ähnlich ge¬
formter, mit der Haut verwachsener Tumor, beide etwa einen Monat
bestehend, und ausserdem noch am linken Hinterbacken eine ge-
schwürige Fläche von der Grösse eines 50 cm-Stückes und dem Aus¬
sehen eines tuberkulösen Geschwüres zu konstatieren. Die Indura¬
tion der Brust ging zwar auf Inzision und Kürettage zurück, aber die
kleine (ca. 2 cm lange) Wunde zeigte wenig Neigung zu Verheilung
und erst energische innere Jodbehandlung beschleunigte die Ver¬
narbung, ebenso wie Rückgang der beiden anderen Geschwülste und
Heilung der Geschwürsfläche. Differentialdiagnostisch kommt bei der
Lokalisation an der Brust vor allem Karzinom — was beim Vor¬
handensein anderweitiger ähnlicher Geschwulstbildungen im vor¬
liegenden Falle Qu. ausschliessen konnte — in Betracht, aber bei der
„Gumma“-ähnlichen Form der Knoten musste man auch an Syphilis
und an Tuberkulose denken. Die Unterscheidung ist nur durch den
Nr. 39.
mikroskopischen Befund in derartigen Fällen möglich. Derselbe ist
lür den vorliegenden Fall genau beschrieben, ebenso eine Zusammen¬
stellung der früheren Fälle beigefügt.
Hayem: Die Wunden des Kniegelenkes und ihre Behandlung
(mit Ausnahme der durch Kriegswaffen hervorgerufenen). (Ibidem.)
Auf Grund von 11 selbstbcobachteten Fällen tritt H. dafür ein,
dass in den meisten Fällen von penetrierender (Schuss-, Stich- usw.)
Verletzung des Kniegelenkes sofortiger blutiger Eingriff (Arthrotornie
mit Drainage) angezeigt sei; bei späterer Operation müsse man bei¬
nahe regelmässig mit dem Ausgang in Ankylose rechnen.
Laurent M o r e a u - Toulon: Anatomisch-chirurgische Unter¬
suchungen über die Aponeurosen der Achselhöhle in ihren Be¬
ziehungen mit den Adenophlegmonen dieser Gegend. (Revue de Chi¬
rurgie, Juni 1914.)
Die von den verschiedenen Autoren gemachten Beschreibungen
über die Achselhöhlenaponeurosen zeigen beträchtliche Unterschiede.
Die einen lassen keine spezielle Form einer Aponeurose zu, andere
konzentrieren ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Ligamentum Sus¬
pensorium, während die Untersuchungen des Verfassers dazu geführt
haben, die ganze Aponeurose der Achselhöhle als die Fortsetzung
der mittleren Halsaponeurose anzusehen, die in die Achselhöhle herab¬
steigt, um die Gefässe zu stützen und sich dann mit der Scheide
der tiefen Muskeln der vorderen Brustwand zu vereinen. Wenn es
auch bei den zahlreichen Lymphanastomosen, welche die verschie¬
denen Drüsengruppen der Achselhöhle miteinander verbinden, schwie¬
rig ist, die weitere Entwicklung einer anfangs auf eine bestimmte
Gruppe lokalisierten Phlegmone vorauszusehen, so glaubt M. doch,
folgende Regeln aufstellen zu können. Die Adenophlegmonen, welche
auf Kosten der brachialen Gruppe entstehen, werden Neigung haben,
gegen den Arm unter die Aponeurose sich zu verbreiten und manch¬
mal, wenn das Septum, welches das Langer sehe Foramen schliesst.
sehr klein ist oder fehlt, unter der Haut aufzubrechen. Jene Eite¬
rungen, die auf Kosten der Brustgruppe sich bilden, werden in vielen
Fällen Neigung haben, unter dem Pektoralis weiter zu gehen und jene,
welche von der zentralen oder intermediären Drüsengruppe ausgehen,
werden den Hohlraum der Achselhöhle ausfüllen und können den
subpektoralen Teil der Achselaponeurose durchbrechen, um in das
Spatium interpectorale zu gelangen oder noch seltener unter die Haut
durch die Ocffnungen des horizontalen Teiles der Achselaponeurose.
auf welcher die meisten Drüsen dieser Gruppe sitzen, sich zu ver¬
breiten. Eine Anzahl praktischer Beispiele illustrieren diese für die
Eiterungsprozesse in und an der Achselhöhle wichtigen Schluss¬
folgerungen. (Schluss folgt.)
Inauguraldissertationen.
Universität Heidelberg. Juli und August 1914.
Hass Ulrich: Medizinisch-wissenschaftliche Leichensektionen in
ihrem Verhältnis zum Recht. *)
Windel Karl: Ueber Verbrennungen des Auges.
Müller Wilhelm Anton: Ueber Epithelkörperchen und ihre hoinoio-
plastische Transplantation.
Rettig Heinrich: Zur Frage des toxogenen Eiweisszerfalls bei der
Phosphorvergiftung.
Wegerle Otto: Subakute Leberatrophie mit knotiger Hyperplasie
auf tuberkulöser Grundlage und über akute Leberatrophie iin Kin¬
desalter überhaupt.
Büschel Martin: Ueber schmerzlose Geburtswehen.
Eliasberg Wladimir: Anstaltsbummler.
Gadomski Heinrich: Neun Fälle von Hydrophthalmus congcnitus
an der Heidelberger Universitäts-Augenklinik (1. Oktober 1910 bis
1. Juni 1913).
Herberger Elisabeth: Ueber die in der Heidelberger Augenklinik
von Oktober 1910 bis Oktober 1913 vorgenommenen Magnet¬
operationen.
Häbler Stefan: Lokalanästhesie und Narkose bei Schädelopera¬
tionen. (Statistik aus der Heidelberger chirurgischen Klinik vom
Oktober 1910 bis Oktoher 1912.)
Molkenbur Gerhard: Ueber die Behandlung des Nachstares.
Kögel Eugen: Die operative Behandlung der Vorderarmfrakturen
mit Dislokation.
Ul 1 mann Johanna: Ein Fall von metastatischem Karzinom der
Chorioidea.
Sit zier Oskar: Ueber Struma ovarii.
Bachrach Moritz: Die Assimilationsbecken der Heidelberger Uni¬
versitäts-Frauenklinik.
Gürrbach Emil: Ueber Hernia obturatoria.
Middeler August: Beitrag zur Kenntnis der solitären Tuberkulose
der Chorioidea.
Roosen Rudolf: Ueber aseptisches Kathcterisiercn.
Rosenthal Karl: Versuche zur Verwendbarkeit des Amnions als
plastisches Material innerhalb des Bauchraumes.
Posern Fritz: Pathologisch-anatomischer Befund bei Feuerwerks¬
körperverletzung am Auge.
Hirschmann Bernhard: Otitis media und Hirntumor.
*) Ist Dissertation der juristischen Fakultät.
29. September 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
2009
Vereins- und Kongressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzungen vorn 8. und 15. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr Beneke.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
I.
Herr Abderhalden (a„ G.): Die experimentellen Beweise fiir
ias Vorkommen von Abwehrfermenten unter verschiedenen Bedin-
uuigen. (S. d. Wschr. Nr. 36 S. 1897.)
Diskussion: Herr Budde: Im folgenden möchte ich Ihnen
urz meine bei über 200 Untersuchungen gemachten Erfahrungen mit
cm Dialysierverfahren berichten.
Meine Versuche sind zum überwiegenden Teil zur Klarstellung
er Beziehungen zwischen der Beschaffenheit der Organe und dem
■palt vermögen der Fermente angestellt: ich kann — das Resultat
leiner bisherigen Arbeit vorwegnehmend — sagen, dass meiner
Überzeugung nach nicht das Fehlen spezifischer
er mente, sondern eher eine zu spezifische Ein-
t e 1 1 u ng derselben die Fehlresultate verursacht
a b e n, ii he r die in einer Reihe von Arbeiten seitens
". rer Autoren berichtet wird. Dass die schon morpho-
»gisch so verschiedenen Gewebe, die wir mit dem Sammelnamen
arzinom bzvv. Sarkom bezeichnen, sich chemisch gleich verhalten,
. h. von gleichartiger molekularer Struktur und daher für gleichartige
ennente angreifbar sein sollten, war mir von vornherein unwahr-
cheinlich.
Ich lasse nun zunächst einige allgemeine Beobachtungen und
)dann eine kurze Uebersicht über meine Resultate, unter Hervor-
ebung einiger besonders interessanter Fälle, folgen.
Uebergehen muss ich hier die Forderung des Autors bezüglich
er Beschaffenheit der Hülsen und des Serums. Im Anfang sind mir
inul Fehldiagnosen unterlaufen, die auf Eiweissdurchlässigkeit der
urückzufiihren waren; später konnte ich durch häufigere
achpriifung diesen Fehler ausschalten. Nicht scharf genug dagegen
mn ich Abderhaldens Forderung nach genauer Kenntnis der
stologischen Struktur der benutzten Organsubstrate unterstreichen.
Ganz allgemein spielt besonders bei den Tumorsubstraten der
indegewebsgehalt eine grosse Rolle. Als wertvoll für die Prüfung
■r Organe hinsichtlich ihres Bindesubstanzgehaltes erwies sich in
stcr Linie Serum von Furunkulose, Phlegmonen und Abszessen, also
rkrankungen, bei denen Bindegewebe zugrunde geht. Wenn man
B Magen- oder Darmschleimhaut präpariert, so bekommt man
e Submukosa und das Stroma der Zotten mit in das Präparat,
ruft man diese Substrate mit Serum einer der erwähnten Krank-
■iten, so bekommt man stets dann eine positive Ninhydrinreaktion,
din die Konzentration der Abbauprodukte des Bindegewebes ge¬
igend, d. h. die fiir den Versuch verwandte Substratmenge über
ne..®, re> *ur aie einzelnen Organe sehr verschiedene Grenze hinaus
■wählt ist.
Glücklicherweise liegt diese obere Grenze meist weit höher, als
e tur den Versuch geforderte Menge von %— K g. Welchen Schwie-
gkeiten man aber hier gelegentlich begegnen kann, erfuhr ich bei
m V ersuch, Material von Szirrhuskarzinom zu gewinnen.
Ich habe 6 derartige Krebse präpariert; 5 davon ergaben selbst
' Verwendung geringer Substratmengen Abbau mit Serum entzünd-
her Krankheiten. Ein einziger Scirrhus mammae, der sich histo¬
risch durch einen relativ grossen Gehalt an soliden Zellzapfen aus-
ichnete, erwies sich als brauchbar. Was davon aber nach der Prä-
ration übrig blieb, reichte kaum für 5 Versuche, von denen 2 allein
■ecks Eichung gegen unspezifischen Abbau angestellt werden
assten.
Da man nun gerade bei parenchymarmen Organen gezwungen
• möglichst grosse Substratmengen zu verwerten, so habe ich mich
•r Misserfolgen dadurch zu schützen gesucht, dass ich neben dem
luptversuch einen Kontrollversuch mit Seren andersartiger Erkran-
ingen, möglichst solchen, die aus den angeführten Gründen eine
itdeckung etwaiger Substratfehler ermöglichten, mitlaufen Hess.
Dm Prüfung der Organe auf ihren Gehalt an Blutbestandteilen
schient am besten mit dem Serum eines aseptischen Hämatoms,
|entalls unter Verwendung grosser Organmengen. Halten die
gane einer strengen Aichung stand, so kann man selbst dann gute
'»gnostische Resultate erzielen, wenn das zu untersuchende Serum
imolyse zeigt. Ich habe mehrfach solche hämolytische Sera zu dia-
ostischen Zwecken mit guten Resultaten untersucht; ein besonders
eressanter Fall sei erwähnt, weil er in eklatanter Weise die Re-
.^n,z °er Abwehrfermente gegenüber pathologisch veränderten
Kulationsverhältnissen zeigt. Es handelte sich um eine Frau mit
ier -chussverletzung, bei der ein abgekapselter Hämatothorax
l„epn- .ge .ästenden hatte, und als stark hämolytische, lackfar-
,le, Flüssigkeit durch Punktion entleert wurde; mit dem Punktat
irden eine Rdhe von Versuchen angestcllt. Die Dialysate, die
se Flüssigkeit allein und mit mehreren Organen gab, reagierten
lieli gleichmässig positiv. Nur der Versuch mit Plazenta zeigte
e viel intensivere Blaufärbung. Die Sektion ergab das Bestehen
■ er Gravidität.
Bei meinen Karzinomversuchen verwandte ich zunächst ein Sub¬
strat, das von einem sehr zellreichen Adenokarzinom des Magens
'.h^ sanz geringem Stroma stammte. Das sorgfältig von allen Magen¬
bestandteilen frei präparierte Krebsgewebc hat ausgezeichnete Re¬
sultate ergeben.
Es reagierte deutlich — teilweise sehr stark positiv — mit einer
Anzahl von Magenkarzinomen, die, soweit sie histologisch untersucht
sind, auch Adenokarzinome waren. Ferner ergaben 2 Fälle von
Adenokarzinom des Rektums, 1 Fall von Adenokarzinom der Schild-
Un^ e'ne ^nza^ von Mammakarzinomen positive Reaktion.
- Falle von ausgesprochenem Scirrhus mammae reagierten negativ.
L'r einc von diesen konnte mit dem vorher erwähnten Szirrhus-
substrat nachuntersucht werden, mit dem er positiv reagierte. Ebenso
verhielt sich ein Magentumor, der auf dem Röntgenbild in ausser-
0rC4j 1C^ Wpischer Weise das Bild eines Schrumpfmagens zeigte,
und dessen Serum mit Zylinderzellenkrebs vorher 2 mal negativ
reagiert hatte.
Da übrigens unter den mit dem Adenokarzinomsubstrat positiv
reagierenden Mammakrebsen sich ebenfalls mehrere szirrhöse Tu¬
moren befanden, so möchte ich zur Erklärung dieses verschieden¬
artigen Verhaltens nicht unterlassen, auf die Histologie der Szirrhen
ninzuweisen. Die Zellformen in ein und demselben Szirrhus können
sehr mannigfaltig sein. Neben Krebsen mit sehr spärlichen epithe-
lalen Anteilen, die sich als Bänder und Zapfen von platten bis kubi-
e en zwischen reichlichem Stroma finden, kommen häufig
Mischformen vor, die Uebergänge zum Adenokarzinom mit Zellen
vom lypus der Zylinderzellen zeigen. Manchmal finden sich ja auch
Ti en, Drüsenmetastasen üppige Zellwucherungen, vom Typus des
Adenokarzinoms in den Fällen, wo der Primärtumor typisch
szirrhös gebaut ist. Die Entscheidung, ob dieses wechselnde Ver-
halten der Morphologie auch von Einfluss auf die chemische Aktivi-
tat der Abwehrfermente ist, muss weiteren Untersuchungen Vorbehal¬
ten bleiben. Ich habe auch den Eindruck, dass die Intensität des Ab¬
baus nicht nur von der Form, sondern auch von der Lokalisation,
d. h. von dem Mutterboden der betreffenden Geschwülste abhängt.
.. Genaueres wird sich darüber erst sagen lassen, wenn es ge¬
lingt, eine grössere Anzahl histologisch gleichartiger Tumoren aus
verschiedenen Organen zu präparieren.
Mit meinem Adenokarzinom untersuchte ich noch eine Reihe
anderer Erkrankungen. Es reagierte negativ mit entzündlichen Er¬
krankungen, mit verschiedenen Sarkomen und mit 5 Fällen von Plat¬
tenepithelkarzinom; und gerade diese negative Reaktion war dia¬
gnostisch mehrmals von Wert. Leider ist es mir seither nicht ge¬
lungen, ein ähnlich scharf reagierendes Adenokarzinomsubstrat zu er¬
halten. Meine Erfahrungen mit Plattenepithelkarzinomeiweiss sind
noch mcht sehr gross, doch scheint gerade hier eine sehr strenge
Spezifität vorzuliegen. Als Substrat benutzte ich ein Plattenepithel-
Karzinom der Prostata und ein grosses verhornendes Kankroid der
Haut. Es reagierten damit positiv: 1 Oesophagustumor, 1 Pharynx- -
turnor, 1 Lippenkarzinom, 1 Zungenkarzinom, 2 grosse Kankroide.
Bei einem kleinen oberflächlichen Ulcus rodens habe ich keine Blau-
tarbung des Dialysats erhalten. Sämtliche Patienten hatten Platten¬
epithelkarzinome.
Bemerkt sei noch, dass das Zungenkarzinomserum auch mit
Zylinderzeilenkrebs schwachen Abbau ergab.
Von Sarkomen stand mir Material von einem sehr malignen,
rein spindelzelligen Angiosarkom zur Verfügung. Es reagierten damit
posdiv 5 Fälle von Spindelzellensarkom. Bemerkenswert ist, dass
bei diesen Versuchen 1 mal die Differentialdiagnose gegen Karzinom
und 1 mal gegen Gumma richtig gestellt wurde. Von 2 Riesenzellen¬
sarkomen ergab eine gutartige Epulis negativen, ein schnell gewach¬
senes Fasziensarkom — das neben Riesenzellen auch spindlige Ele¬
mente enthielt — positiven Abbau. Negativ reagierte das Serum eines
sehr kachektischen Patienten mit einem wohl sarkomatösen Tumor
der I onsille, sowie das Serum eines Patienten mit einem sarkomatös
entarteten Lymphdrüsenpaket einer Axilla. In dem 2. Fall handelte
es sich wahrscheinlich um ein Rundzellensarkom: leider fehlen mir
i Nahrungen mit Rundzellensarkomen noch völlig, da ich erst in letz¬
ter Zeit Material von einem solchen erhielt.
Von seltenerem Tumormaterial stand mir dann noch 1 knotiges,
rein adenomatöses Hypernephrom zur Verfügung; dasselbe reagierte
sehr spezifisch insofern, als es von Karzinomseren nicht angegriffen
wurde, ebenso von Seren zweier Patienten mit Verdacht auf Nieren-
lumor. Bei beiden ergab die Operation entzündliche Veränderungen
der Niere.
I ositive Reaktion erhielt ich 1 mal mit dem Serum eines Ham¬
mels, dem Hypernephromgewebe injiziert war; dieses Serum hat
übrigens 2 Karzinomsubstrate nicht angegriffen.
Schliesslich seien noch einige Untersuchungen mit Drüsen von
wähnt8 * * n SC^Cr Krankheit — echter Lymphogranulomatosis — cr-
,. Dieselben reagierten mit Sarkomseren stets negativ. 2 mal er¬
hielt ich durch Nachuntersuchung bestätigten schwachen Abbau mit
Karzinomserum. Es handelte sich beide Male um Mammatumoren
mit ausgedehnten Drüsenmetastasen.
1 heoretisch halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass infolge
Zugrundegehens lymphatischer Elemente beim Wachstum der Kar¬
zinome in den Lymphdriisen Fermente frei werden, die das örtliche
Lymphozytenmaterial der Hodgkindriisen zum Abbau bringen. Kon-
2010
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
stant ist dieses Verhalten jedenfalls nicht; dabei möchte ich erwähnen,
dass mein Hodgkinmaterial sicher sehr viel abbaufähige, spezifische
Substanz enthielt, denn das Serum eines klinisch sicheren Hodgkin-
falles ergab eine ungewöhnlich starke Ninhydrinreaktion, trotzdem
ich absichtlich eine sehr geringe Menge Material verwandte.
Meine Aufzählung wäre unvollständig, wenn ich nicht noch er¬
wähnen wollte, dass ich eine Zeitlang infolge gänzlichen Mangels an
eigenem Material gezwungen war, mit Substraten, die mir von
anderer Seite zur Verfügung gestellt wurden, zu arbeiten. Herrn
I)r. Weinberg verdanke ich Material von einer Lebermetastase
eines Adenokarzinoms des Magens. Dasselbe hat gut reagiert, doch
musste ich relativ grosse Mengen verwenden, um deutlichen Abbau
zu bekommen.
Mit anderen Karzinomen hatte ich weniger Glück; z. B. wurde
ein Uteruskarzinom, über dessen histologische Beschaffenheit ich
nichts erfahren konnte, von mehreren verschiedenen Karzinomen, dar¬
unter einem Gallenblasen- und einem Rektumkarzinom nicht an¬
gegriffen. Andererseits wurde z. B. ein Sarkom, dessen Qualität mir
ebenfalls unbekannt geblieben ist, vom Serum eines Mammakarzinoms
angegriffen. Mehrere ähnliche Fälle könnte ich noch anführen, wo¬
bei ich nicht zu entscheiden vermag, ob der Gehalt an unspezifischem
Gewebe, der Mangel an abbäufähigem Parenchym oder endlich die
histologische Verschiedenheit des untersuchten und des zur Unter¬
suchung dienenden Gewebes die Ursache für den Misserfolg war.
Alle diese Versuche haben mich jedenfalls in der Ueberzeugung
bestärkt, dass sich verwertbare Resultate nur mit einwandfrei unter¬
suchtem und geeichtem Material unter Kontrolle durch das klinische
Bild erreichen lassen, und ich möchte meine Ansicht über den klinisch-
diagnostischen Wert der Abderhalden sehen Methode in folgen¬
den Sätzen zusammenfassen:
1. Abgesehen von der einwandfreien Beherrschung des rein
technischen muss die genaue histologische Untersuchung der Organe
auf das peinlichste durchgeführt werden; denn die Feststellung der
Kongruenz bzw. Inkongruenz zwischen dem die Abwehrfermente her¬
vorrufenden, und dem zur Untersuchung dienenden Gewebe ist für
die Beurteilung der klinischen Anwendbarkeit der Methode von
grösster Bedeutung.
2. Sämtliche Organe müssen unter strengen Bedingungen geeicht
werden.
3. Als beweisend kann auch bei Beobachtung dieser Vorschriften
nur der positive Ausfall einer Reaktion angesehen werden; bei nega¬
tivem Ausfall stellen wir die Diagnose nur per exclusionem, da wir
bei der anscheinend sehr, strengen Spezifität der Abwehrfermente
nicht generell sagen können: Karzinom negativ oder Sarkom negativ,
sondern unser Urteil nur in bezug auf Tumoren von analogem Bau
wie die zur Untersuchung dienenden Substrate fällen können,
4. Es müssen möglichst viele Organsubstrate für die Unter¬
suchung verwandt werden; als massgebend für die Beurteilung der
Methode sind streng genommen nur diejenigen Fälle anzusehen, bei
. denen die histologische Untersuchung nach Operation oder Sektion
eine sichere Unterlage für den Vergleich zwischen Ursache und Wir¬
kung des fermentativen Abbaus ermöglicth. (Forts, folgt.)
Naturwissenschaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena,
Sektion für Heilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 16. Juli 1914 in der chirurgischen Klinik.
Vorsitzender: Herr Lex er:
Schriftführer: Herr Berger.
(Schluss.)
Herr Eden: Neuere Versuche zur biologischen Wirkung der
Röntgenstrahlen.
a) ln manchen Fällen maligner Tumoren, die sich gegen die
Wirkung der Röntgenstrahlen resistent verhalten, bedürfen wir noch
besonderer chemischer oder physikalischer Mittel zur Unterstützung
der Strahlenwirkung. Voraussetzung einer Unterstützung der
Strahlentherapie, die gewissermassen in der Nachahmung ihrer Wir¬
kung auf chemischem oder physikalischem Wege zu geschehen hätte,
ist aber eine bessere Kenntnis von der biologischen Reaktion und
Veränderung des lebenden Gewebes nach Einwirkung der Strahlen,
als wir sie bisher besitzen.
Vortr. bespricht die neueren Versuche zur Klärung der bio¬
logischen Wirkung der Strahlentherapie und geht besonders auf die
in diesem Jahre erschienene Arbeit Wermels ein, der aus seinen
Versuchen schloss, dass Blutserum und Blutkörperchen Röntgen¬
energie aufnehmen können und diese durch Photoaktivität verraten
Wermels Versuche, die Vortr. hinsichtlich ihrer Anordnung
und ihrer Ergebnisse — dieses aus klinischen Gründen — nicht ein¬
wandfrei erschienen, hat er zusammen mit Herrn Dr. Pauli, Privat¬
dozenten für Physik, in erweiterter und physikalisch einwandfreier
Weise nachgeprüft. Es ergab sich aus zahlreichen Versuchen, deren
Anordnungen demonstriert werden, dass den Röntgenstrahlen aus¬
gesetztes Blut gegenüber dem nichtbestrahlten ein nur sehr ge¬
ringes, graduell verschiedenes Vermögen zeigt, photographische Plat¬
ten zu schwärzen, und zwar kommt dem bestrahlten Blut die grössere
Fähigkeit zu. Die Schwärzung der photographischen Platte, die seit¬
her als eine Folge einer Eigenstrahlung des Blutes angesehen wurde,
ist auf eine chemische, durch die Bestrahlung beschleunigte Reaktion
zurückzuführen, welche ein Gas hervorbringt, das unter der Einwir¬
kung des Blutes mit dem Sauerstoff der Luft sich bildet. (Erscheint
ausführlich in den Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr.)
b) Weiter berichtet Vortr. über Untersuchungen, die er zu¬
sammen mit N i e d e n an bestrahlten Menschen und Tieren mit dem
Abderhaldenverfahren unternommen hat. Ziel der Untersuchungen
war, erstens einen Aufschluss zu gewinnen über den Vorgang des
Zerfalles direkt bestrahlten Gewebes bzw. über sich dabei ab¬
spielende fermentative Prozesse, und zweitens Kenntnis zu erhalten
über Allgemeinwirkung der Bestrahlung. Es war denkbar, dass bei
der Bestrahlung auch dem Orte der' Applikation ferner liegende
Organe — vor allem kommen hier Keimdrüsen, Leber, Gehirn und
andere besonders empfindliche Organe in Frage — mit beeinflusst
würden. Wir wissen, dass im Körper nach der Bestrahlung Stoffe
entstehen, bzw. die Körperzellen, Blut- und Körpersäfte unter dem
Einfluss von Röntgenstrahlen Umwandlungen erfahren, wodurch sie
spezifische, die Lebensvorgänge beeinflussende Eigenschaften er¬
halten. Die beobachteten Allgemeinerscheinungen nach Bestrahlung
lehren uns, dass solche Umwandlungen und die sogen. Röntgentoxine
nicht isoliert bleiben, sondern sich im Körper ausbreiten. Es könnten
daher besonders nach intensiver Bestrahlung sehr wohl vermehrter
Zerfall oder gar Schädigungen empfindlicher Organzellen entstehen,
auf die der Körper mit Bildung spezifischer Abwehrfermente re¬
agieren könnte. Endlich war es denkbar, in dem Auftreten oder Fern
bleiben von Lungengewebeabbau bzw. in dessen Grad ein Kriterium
für den Erfolg der Bestrahlung zu finden.
Es wurden im ganzen 10 Patienten und 3 Hunde zu verschiedenen
Zeiten nach verschieden intensiver Bestrahlung untersucht. Es han¬
delte sich um Patienten, die wegen chirurgischer Tuberkulose oder
wegen maligner Tumoren in Behandlung waren. Charakteristische
Aenderungcn der Abderhaldenreaktion, die irgendwelche Schlüsse in
den vorher angegebenen Richtungen zuliessen, traten nicht ein.
c) E d e n stellt zum Schluss eine Patientin vor, die wegen aus¬
gedehnter Aktinomykose der linken Gesichtshälfte und des Kopfes
mit sehr gutem Erfolge mit Röntgenstrahlen behandelt wurde. Die
zunächst eingeleitete rein chirurgische Therapie in Verbindung mit
innerlichen Gaben von Jodkali brachte die Aktinomykose nicht zur
Abheilung. Die Röntgenbestrahlung war erst dann von schnellem
Erfolg begleitet, als die anfänglich sehr geringen Dosen gesteigert
und die Strahlen filtriert wurden. Jodkali wurde während der Zeit
der Bestrahlung nicht gegeben. Die Patientin ist jetzt vollständig
geheilt und beschwerdefrei. Die Behandlungsdauer war 4¥: Monat:
Patientin wurde 11 mal mit zusammen etwa 200 X bestrahlt.
Diskussion: Herr Nieden geht noch weiter auf die mit
Eden ausgeführten Versuche ein, etwaige Fermentveränderungen
im Blute unter dem Einfluss der Röntgenbestrahlung mit Hilfe der
Abderhalden sehen Methoden festzustellen. Er berichtet zu¬
nächst über die Versuchsanordnung, nach der zunächst die 10 Fälle
(3 rezidivierende Mammakarzinome, 1 Struma und 6 chirurgische
Tuberkulosen) vor der Bestrahlung, dann teils direkt nach den Be¬
strahlungssitzungen, teils in mehrtägigen Pausen nach diesen unter¬
sucht wurden. Die Methodik hielt sich sowohl beim Dialysiervcr-
fahren wie bei der optischen Methode — mit der letzteren konnte
nur ein Teil der Fälle untersucht wurden — an die von Abder-
li aide n gegebenen Vorschriften. N. bespricht die einzelnen Fälle
und kommt zu dem Ergebnis, dass die Karzinomsera durch die Be¬
strahlung in ihren abbauenden Eigenschaften unverändert blieben.
Die Tuberkulosen zeigten teilweise schon vor der Bestrahlung -
ohne klinischen Befund — Abbau gegenüber einzelnen Organen. Eine
konstante Veränderung des Fermentgehaltes war auch hier unter
Röntgenbestrahlung nicht nachweisbar. Bei 3 Versuchshunden, bei
denen die Keimdrüsen mit hohen Dosen bestrahlt waren, trat bei den
Nachuntersuchungen Gehirnabbau auf. N. sieht darin, da die Hunde
narkotisiert worden waren, keine Wirkung der Bestrahlung, sondern
eine Folgeerscheinung der Narkose, wie sie auch von Ähre ns
u. a. beobachtet wurde. Er zeigt endlich die Kurve eines optisch
untersuchten Serums, das Fermente gegen Plazentarpepton enthielt
Der mit 50 — 60 X bestrahlte Teil des Serums zeigte die gleiche Kurve
wie das imbestrahlte Serum.
Herr Stromeyer: Zur Behandlung chirurgischer Tuberku-
losen. ?£.
St. hat bis jetzt an der chirurgischen Klinik in Jena 120 Fälle
von chirurgischer Tuberkulose mit Röntgenstrahlen behandelt.
Die Resultate sind äusserst befriedigend und erlauben, die In¬
dikation zur konservativen Behandlung so zu erweitern, dass Resek¬
tionen nur in den seltensten Fällen nötig werden. (Demonstration
von ca. 15 geheilten Fällen, darunter 2 Koxitiden, 3 Kniegelenkstuber¬
kulosen, 3 Ellbogentuberkulosen, Handgelenkstuberkulosen, tuber¬
kulöse Lymphome usw.).
St. hebt besonders die guten funktionellen Resultate hervor und
verweist an der Hand von Photographien auf die schönen kos¬
metischen Resultate selbst ganz veralteter fistelnder Drüsentuber¬
kulosen.
Röntgenschädigungen konnte der Vortragende weder an der
Haut noch an den Epiphysenlinien beobachten, was er auf seine vor¬
sichtige Dosierung und starke Filtrierung der Strahlen zurückführt.
Wegen der vorgeschrittenen Zeit konnte St. nur ganz kurz aut
die anatomischen und biologischen Veränderungen, die durch die
Röntgenstrahlen erzeugt werden, eingehen.
29, September 1914. MUENCHENHR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Zum Schlüsse wird eindringlich darauf hingewiesen, dass die
Röntgenstrahlen wohl ein bedeutender Faktor zur Heilung der Tuber¬
kulose seien, dass aber eine sorgfältige chirurgische Behandlung
mit fortwährender Kontrolle der Bestrahlungsresultate durch das
Röntgenbild mit der Bestrahlungsbehandlung Hand in Hand gehen
müsste, um schwere Schädigungen der Patienten zu vermeiden.
Disk ussion: Herr Lex er warnt vor kritikloser Anwendung
der Bestrahlungsbehandlung bei chirurgischen Tuberkulosen Chirur¬
gische Ueberwachung der Fälle ist stets notwendig. Die Bestrahlung
ist eine ausgezeichnete Beihilfe der bisherigen konservativen Me¬
thoden. Die verblüffenden Resultate der bisher gut beeinflussten
Fälle müssten natürlich nach entsprechender Zeit nachgeprüft werden.
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. April 1914.
Vorsitzender: Herr Habs.
Ilcir Edgar Meier: Tracheoskopische Demonstration eines
f aticnten mit intratrachealer, struinöser, akzessorischer Schilddrüse.
Patient 61 Jahre alt, seit 114 — 2 Jahren zunehmende, jetzt hoch¬
gradige Atemnot, viel Husten mit Blutspuren, geringe Gewichts¬
abnahme. Bei Laryngoskopie mehrere Zentimeter unter den Stimrri-
bandern an der vorderen 1 rachealwand leicht höckeriger Tumor.
Bei I racheoskopie 18 cm von der Zahnreihe mehr als haselnuss¬
grosser, weicher nicht ulzerierter, breitbasig an der Vorderwand
Jes 6.-8. 1 rachealringes aufsitzender Tumor, das Tracheallumen fast
. erschhessend. Exzidierte Tumorstücke von Prof R i c k e r unter-
;u.?ht .iB|f“.ndJ: »Ueb erzogen teils mit geschichtetem Plattenepithel,
eils mit Zylmderepithel, also subepitheliale Geschwulst. Sie besteht
mikroskopisch aus einem engmaschigen Kapillar- und Gefässnetz
liest mit etwas Kollagensubstanz, fasriger oder nahezu homogener.
?« Maschenräume ausgefüllt mit zwischensubstanzlosen (epi-
helialen) kleinen Zellen mit sehr regelmässigem Aussehen der Kerne
ind des gering ausgebildeten Protoplasmas. Also Bau der „Drüsen
'hne Ausführungsgang und zwar eines Epithelkörperchens oder
mch einer Schilddrüse.“ In zweiter Sitzung Exzision des Tumors
ns auf den jetzt demonstrierten Rest. Weiterbehandlung mit Röntgen-
lefenstrahlen. Jetzt vollkommen freie Atmung erreicht Intra¬
racheule Strumen^sind sehr selten. Rudolf Hoffmann referierte
909 in Zschr. f. Ohrhlk. LIX 16 histologisch gesicherte Fälle von
ntratrachealer Struma.
Herr Blick stellt vor:
1. einen an Pseudoleukämie (Hodgkin scher Krankheit) leiden-
len lo jährigen Kranken, der am 6. März 1914 auf die innere Ab-
ejlung der K ah lenberg sehen Stiftung aufgenommen, mit Arsen-
njektionen und mit Röntgenbestrahlungen behandelt ist Die Be¬
zahlungen wurden vom 6.— 14. März täglich, von da an ambulant
mal wöchentlich ausgeführt. Die Drüsentumoren haben sich ganz
•esentlich verkleinert, das Allgemeinbefinden, auch die Anämie haben
ich gebessert.
2. einen 40 jährigen Arbeiter, der am 9. März 1914 auf die
uiere Abteilung der Kahlenberg sehen Stiftung kam. bei dem
ieM-agn0Se 3U* e*nen Tumor mediastini gestellt wurde. Das am
März aufgenommene Röntgenphotogramm wird vorgelegt und zeigt
inen sehr grossen Tumor, der nach links hin besonders stark ent-
’ickelt ist, das linke Lungenfeld sehr stark verkleinert und das Herz
a^ u2*en und aussen disloziert hat. Patient litt an ganz erheb-
clien Druckerscheinungen: starker Dyspnoe, Insuffizienz der Herz-
itigkeit. Kompressionserscheinungen der Arteriae subclaviae und
chweren Stauungserscheinungen der oberen Hohlvene. Diese
tauungserscheinungen fehlten in der unteren Körperhälfte.
Der Kranke wurde mit Röntgenbestrahlungen behandelt. Ein
m 15. März aufgenommenes zweites Bild zeigt, dass der Tumor in
len Dimensionen etwas kleiner geworden ist.
Ein drittes, am 7. April aufgenommenes Bild zeigt, dass der
umor ganz wesentlich verkleinert ist. Die kugelige Vorwölbung
tsselben nach links hin ist verschwunden. Der Durchmesser des
enattens an der Stelle dieser Vorwölbung betrug bei der ersten
ufnahme 17lla'cm, letzt dagegen nur 12 cm. Die Druckerscheinungen
nd beseitigt. Das subjektive Befinden des Kranken ist jetzt gut.
Herr Hennig: Die Bedeutung der Serodiagnose der Syphilis
r d‘.e. Erteilung des Heiratskonsenses.
Für die Erteilung des Heiratskonsenses an Syphilitiker waren
slang massgebend: 1. das Ergebnis der körperlichen Untersuchung
n syphilitische Erscheinungen, 2. die Angaben des Patienten über
citpunkt der Infektion, über Krankheits- und Behandlungsverlauf,
eine Reihe empirisch erprobter Gesichtspunkte wie Zwischenraum
vischen Infektion und Eingehen der Ehe. Auftreten der letzten Er-
heinungen, Verlauf und Behandlung der Krankheit, Lebensweise,
-rufsart und allgemeiner körperlicher Zustand des Patienten, Vor-
mdensein sonstiger organischer Erkrankungen. Ein absolut sicherer
-weis über erfolgte Ausheilung der Syphilis konnte bislang nicht
bracht werden: somit war ein neues diagnostisches Hilfsmittel, die
-•rodiagnose willkommen. Ihren Wesen nach ein vorläufig noch
tselhafter Vorgang ist sie auf Grund ca. 7 Jahre langer Erfahrungen
ne ’ür Syphilis spezifische Reaktion und bei Erteilung des Heirats-
»nsenses von Wert und Bedeutung, jedoch nicht in dem Sinne, dass
»sitive Reaktion unbedingt von der Ehe ausschliesst, und negative,
selbst wiederholt negative, zur Ehe disponiert. Auf Grund tatsäch¬
licher Erfahrungen in der Praxis mahnt der positive Ausfall zu
grösster Vorsicht und genauester Prüfung des objektiven Befundes
und aller anamnestischen Momente, ebenso aber soll der negative
Befund, selbst in wiederholtem Ergebnis, nicht überschätzt werden.
Alle ehedem vorgenommenen Untersuchungsmethoden und Er¬
wägungen haben auch heute noch ihre Berechtigung. Die Wasser-
m » n n sehe Serodiagnose ist ein wertvolles Hilfsmittel für die Be¬
rn teilung der Heiratsfähigkeit eines Syphilitikers, aber nicht für sich
ahein, sondern nur im Verein mit den bisher geübten und durch die
Erfahrung erprobten Gesichtspunkte. — (Der Vortrag erscheint aus¬
führlich in den „Fortschritten der Medizin“.)
c .. ßisliUssion: Herr Völsch glaubt, den Personen in der
opatlatenz, welche trotz intensiver Behandlung positiven Wasser¬
mann behalten haben, von der Ehe prinzipiell abraten zu sollen,
, wahrscheinlich gerade diese Personen einen wesentlichen
le u ateÜaJs für die schweren spätsyphilitischen und meta-
s> plnlitischen Erkrankungen speziell des Nervensystems abgeben.
Gerade die von Herrn H e n n i g angezogene Statistik von Mattau-
schek veranlasst V., den Prozentsatz der Luetiker, welche an
schwerer zentraler Lues oder Metalues erkranken, auf 10, vielleicht
au‘ }f~] 15 Hroz. zu schätzen. — Die Prüfung der Lumbalflüssigkeit
auf Wassermann und Zellgehalt wird in manchen Fällen eine latente
Lues aufdecken können, in denen das Serum negativ reagiert.
l • er,r, Hahn: Ueber L.eukäniiebehandiung. (Erscheint ausführ¬
lich im Maiheft der Ther. Mh.)
Herr Sieden topf hält seinen Vortrag über Die Strahlen-
behaudlung der Myome des Uterus. (Derselbe wird in „Fortschr.
d. M.“ veröffentlicht werden.)
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 15. Juli 1914.
Herr Borst: Experimentelle Untersuchungen zur Gelenkver¬
pflanzung.
Diskussion: Herr F. v. Müller, Herr Borst.
i r Herr Schmincke: Ueber die Entstehung der Hämorrhoiden.
(In Nr. 32 S. 1769 d. Wschr. erschienen.)
Diskussion: Herr Oberndorfer: M. H.! Dass bei der
Entstehung der Hämorrhoiden der Druck bei der Defäkation und durch
ihn die Erschwerung der Entleerung der Hämorrhoidalvenen eine
grosse Rolle spielt, dagegen wird sich wohl kein Widerspruch er¬
heben dürfen. Ob er allein in Betracht kommt, ob nicht andere aus¬
losende Momente mitwirken, diese Fragen sind meines Erachtens
noch nicht vollständig erledigt. Sprechen doch manche Beobach¬
tungen am Lebenden dafür, dass Reize mannigfacher Art, abgesehen
von Defäkationsdruck, hier nicht ganz unwirksam sind. Doch dies
ist ein mehr klinisches Problem.
Dafür aber, dass die Wirkung der sich durch den Mastdarm
durchpressenden Kotsäule auf die Venenfüllung eine sehr beträcht¬
liche ist, scheinen nicht nur die Beobachtungen an den Hämorrhoidal-
venen, sondern auch solche an dem Venenplexus der Prostata und
der Samenblasen zu sprechen. Untersucht man sorgfältig die Venen
dieser Gegend, so findet man selbst bei verhältnismässig jugendlichen
Individuen häufig Thromben, Venenerweiterungen, Phlebolithen und
bei der mikroskopischen Untersuchung dieser Gefässe ist man iiber-
rascht von. den ausgedehnten Veränderungen, die hier vorhanden sind
Phlebosklerosen höchsten Grades mit frischen und älteren organi¬
sierenden Thromben kommen hier vor in einer Ausdehnung, wie sie
kaum in einem anderen Gefässgebiet festzustellen sind. Selbst die
Arterien dieses Gebietes zeigen häufig besonders frühzeitige Verände¬
rungen. Zur Erklärung muss man hier die gewaltigen Druckschwan-
kungen, die sich bei der Defäkation im kleinen Becken abspielen,
heranziehen. W enig in Betracht kommen die physiologischen Fül¬
lungsschwankungen der Gefässe der Sexualorgane,' denn sonst müss-
T.n ,^ir. Weib dieselben Veränderungen noch stärker finden; tat¬
sächlich sind aber die Gefässveränderungen der Parametrien, besonders
von 1 rauen, die nicht geboren haben, im Vergleich zu den Gefässen der
Prostataumgebung bei gleich alten Männern sehr viel geringer Von
Bedeutung ist hier offenbar die fixierte Lage der Prostata, an der sich
der Druck im Rektum besonders äussern muss. Die gefässschädi-
gende Druckwirkung bei der Defäkation greift also über die Rektum¬
wand hinüber auf das perirektale Gewebe und die angrenzenden
Sexualorgane.
Herr Schmincke: Schlusswort.
(Schluss folgt.)
Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.
(Eigener Bericht.)
Gemeinsame Tagung mit den südwestdeutschen Kinder¬
ärzten auf deren 22. Versammlung in Stuttgart, 5. — 7. Juni 1914.
(Schluss.)
Herr S i e g e r t - Köln: Zur Diagnose der latenten Thymus¬
hyperplasie.
S. bekämpft mit Schärfe die besonders auch von F i n k e 1 -
stein vertretene Lehre, dass es keinen „Thymustod“ gebe, dass
2012
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 39.
cs sich vielmehr bei den so plötzlich gestorbenen Kindern um schwer
im intermediären Stoffwechsel durch Ernährungsstörungen ge¬
schädigte handle, die im kritischen Moment der Ueberflutung des
kranken Stoffwechsels mit Abbauprodukten der Nahrung erliegen.
Er führt eigene Fälle an, die einen „Thymustod“ gestorben sind (ein
bis zwei Tage vor dem Exitus blühendes Brustkind, dessen gleich¬
falls blühende Schwester ca. 7 Jahre vorher dem Thymustod erlag
und eine zweite ganz ähnliche Beobachtung). Vollständiger Status
thymico-lymphaticus (Paltauf-Escherich) findet sich in den
ersten 3 — 4 Monaten nie, kommt aber schon im 5. — 6. Monat vor.
Hinweise auf die Thymushyperplasie sind: Thymustod, der sich
früher in der engeren oder weiteren Familie ereignet hat, Dysphagie.
Stridor, Labilität der Herzleistung, Neigung zu übermässiger Ge¬
wichtszunahme trotz knappster Ernährung und zur Obstipation bei
zweckmässiger Nahrung, extremer Dermographismus und übergrosse
Erregbarkeit — aber n i c h-t Spasmophilie. Den Beweis für die
Thymushyperplasie erbringen Perkussion und Radioskopie einwand¬
frei (meist beiderseits, besonders nach links das Sternum weit über¬
schreitende Dämpfung, in Inspiration und Exspiration über den Herz¬
schatten auf- und absteigend). Die Hyperplasie ist durch Röntgen¬
therapie ohne Schaden für das Kind weitgehend zu beeinflussen. —
Die demonstrierten Photogramme und Radiogramme entsprechen
nur Fällen von latenter Thymushyperplasie. — S. weist mit Nach¬
druck auf die diagnostische Wichtigkeit beider und die Förderung
der Frage der latenten Thymushypertrophie durch recht zahlreiche
solche Abbildungen hin.
Diskussion: Herren Moro, Gött, Götzky, Benjamin,
Lust, Grosser, Siegert (Schlusswort).
Herr M o r o - Heidelberg: Ueber Lebertrantherapie,
Mitteilungen über neue Versuche von Freudenberg und
Klocmann betreffend ihre Theorie der Lebertranwirkung.
Diskussion: Herren Grosser, Tripke, Koppe,
v. Pfaundler, Moro (Schlusswort).
Herr Pfaundler: Ueber Körpermasse von Schulkindern.
Der Vortragende hat, unterstützt durch einige Mitarbeiter, Er¬
hebungen über Körperlänge und Körpergewicht von Münchener
Schulkindern angestellt und die gewonnenen Daten nach den Prin¬
zipien der Kollektivmasslehre bearbeitet. Er legt die wichtigsten
Ergebnisse dieser Studien vor und verweist Interessenten auf die aus
seiner Klinik und im Verlage von Rudolf Müller und Steinicke in
München, Lindwurmstrasse, erschienenen Dissertationen der Herren
Riedel, Skibinsky, Dikanski. Mat usiewicz und Chose.
Diesen Vorträgen folgten am nächsten Tage (7. Juni)
Führungen und Demonstrationen innerhalb der
Hygieneausstellung, die an dieser Stelle ja bereits von A. Fischer-
Karlsruhe eingehender gewürdigt wurde.
Nach einem Führungsvortrag durch die volkstüm¬
liche Abteilung „Kind“ demonstrierte Herr Camerer-
Stuttgart im Lichtspielhaus der Ausstellung zunächst
einige statistische Tafeln und Tabellen, die sich auf die verschiedenen
Ursachen der Säuglingssterblichkeit, die Stilldauer, die Gründe des
Abstillens in einem Industrie- und landwirtschaftlichen Bezirk be¬
ziehen, ferner Tabellen über den Stoff- und Kraftwechsel beim Kind,
sowie Lichtbilder von Stuhlentleerungen und Magenaufnahmen. Es
folgten hierauf kinematographische Vorführungen eines
Falles von Pylorospasmus sowie eines Falles von extremen inspira¬
torischen Einziehungen bei einem halbjährigen, schwer rhachitischen
Kind mit Rippenfrakturen. Sodann wurden Bilderstreifen eines
Kindes mit kongenitaler Hüftgelenksluxation sowie eines Falles von
Chorea (aus dem Olga-Kinderspital, Dr. Fischer und Prof. Müller)
gezeigt, und endlich die ersten Kriech- und Gehversuche bei mehreren
Kindern vorgeführt. Hieran schloss sich ein Führungsvortrag
von Herrn Camerer durch die wissenschaftliche Abteilung „Säug¬
ling und Vorschulalter“, von Herrn G a s t p a r durch die Abteilung
„Schulgesundheitspflege“ und von Frau Dr. I n g e 1 f i n g e r durch die
Abteilung „Ernährung“.
Im Lichtspielhaus demonstrierte schliesslich noch
Herr S i p p e 1 - Stuttgart: Röntgendiapositive aus dem Gebiet
der Orthopädie:
a) angeborene Missbildungen der Wirbelsäule in grösserer
Anzahl;
b) 3 Fälle von angeborener versteckter Wirbelspalte, Spina
bifida occulta. Besonders häufig ergibt sich im Röntgenbild
Klaffen der Bogenteile des 5. Lendenwirbels. Neben der knöchernen
Missbildung handelt es sich um eine Missbildung bzw. Entwicklungs¬
hemmung des untersten Rückenmarksabschnittes, um eine kongenitale
Dysplasie desselben, mit wohl charakterisiertem Krankheitsbild. In
allen 3 Fällen entwickelte sich langsam fortschreitend zwischen dem
5. und 12. Lebensjahr eine spastisch-atrophische Lähmung der Beine,
die zur Ausbildung eines Klauenhohlfusses führte und mit um¬
schriebenen Sensibilitätsstörungen und Blasenschwäche einherging.
Der späte Beginn und die chronische Progredienz sind auf das
physiologische Aufsteigen der Medulla im Rückenmarkskanal, mit
Zerrung der bereits ausgebildeten Nervenelemente während des all¬
gemeinen Körperwachstums zurückzuführen. In Fällen, in denen
eine Leitungsunterbrechung durch Strangbildung bzw. eine manifeste
Drucklähmung vorlag, ist schon eine kausale Therapie versucht und
die operative Lösung von Strängen ausgeführt worden.
Aibert Uffenheimer - München.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
• Ueber einen Fall von durch Salvarsan besonders
günstig beeinflusster Tabes dorsalis berichten H. B e-
cher und R. K o c h - Frankfurt a. M. Es handelte sich um einen
rasch progressiven Fall von sog. marantischer Tabes, die erst 22 Jahre
nach der Infektion subjektiv wahrgenommene Erscheinungen gemacht
und dann schon in 8 Monaten zu einem schweren Siechtum geführt
hatte. Der an Armen und Beinen vollkommen paretischc Patient
wurde in der Zeit von einem halben Jahre 2 Salvarsankuren unter¬
worfen und in der Zwischenzeit täglich mit 4 — 5 g Jodkalium be¬
handelt. — Die Besserung war sehr augenscheinlich. Der bis dahin
bettlägerige Patient, der des Gebrauches seiner Hände und Beine
beraubt war, konnte ausser Bett sein und seine Hände gebrauchen
und machte unter fortdauernder Besserung so gute Fortschritte,
dass er nach Hoffnung der Aerzte noch einmal vollkommen arbeits¬
fähig werden wird. (Therapeutische Monatshefte 1914, 8.) Kr.
Ihre Erfahrungen mit dem Friedmannschen T u -
bcrkulosehcil mittel teilen H. Becker und H. W ä g e 1 c r -
Frankfurt a. M. mit. Sie behandelten mit dem Mittel 5 Fälle von
schwerer Tuberkulose. In 3 Fällen sahen sie überraschend günstige
Ei folge. In 2 Fällen dagegen kam es zu einem schnellen tödlichen
Ausgange des Leidens, in dem einen dieser Fälle trat der Tod unter
septischen Erscheinungen ein, in dem anderen wurde er durch Herz¬
schwäche herbeigeführt, die in der Nacht nach der Injektion akut
einsetzte und sicher auf die Injektion zurückgeführt werden muss.
Trotz dieser schlechten Erfahrungen können sich B. und W. nicht
entschliessen, ein Mittel abzulehnen, das andererseits so gute Erfolge
zeitigen kann, wie die 3 zuerst beobachteten Fälle. Sie verlangen
aber, dass nur solche Präparate in den Handel kommen, die garantiert
frei von Verunreinigungen sind. (Therapeutische Monatshefte
1914. 8) Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Korrespondenz.
Die Stimmgabelstethoskopmethode.
Erklärung.
Durch Herrn E. F u 1 d - Berlin auf die Arbeit Erich Schle¬
singers: „Die indirekte Phonometrie, eine exakte Methode zur
Bestimmung der Organgrenzen mittels der Stimmgabel“ (D.M.W.
1908 S. 2063) aufmerksam gemacht, stehe ich nicht an, zu erklären
dass nicht dem Engländer C a n 1 1 i e, sondern Herrn Schlesinger
die Priorität zukommt. Dr O 1 p p - Tübingen.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 36. Jahreswoche vom 6. bis 12. September 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 6 (10 4), Altersschw. (über 60 Jahre) 7 (6), Kindbettfieber — (—),
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft 2 (— ), Scharlach — (—)
Masern u. Röteln 1 ( — ), Diphtherie u. Krupp 1 (— ), Keuchhusten 4 (3),
Typhus (ausschl. Paratyphus) — (1), akut. Gelenkrheumatismus 2 (— ),
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) — ( — ), Starrkrampf — (— ),
Blutvergiftung 3 ( — ), Tuberkul. der Lungen 24 (15), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 3 (5), akute allgem. Miliartuberkulose — (— ),Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 7 (3), Influenza — (— ), veneri¬
sche Krankh. 1 (1), and. übertragbare Krankh. : Pocken, Fleckfieber,
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel¬
fieber usw. 2 ( — ), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) — (3), Alkoholis¬
mus — ( — ), Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 2 (2), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane 1 (4), organ. Herzleiden 16 (12), Herzschlag, Herz¬
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 4 ( — ), Arterienverkalkung
5 (4), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 4 (4), Gehirnschlag 10 (7),
Geisteskrankh.2(l), Krämpfe d. Kinder — (8), sonst. Krankh. d. Nerven¬
systems 3 (6), Atrophie der Kinder 8 (1), Brechdurchfall 2 (5), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 17 (13), Blinddarm-
entzünd. 2 (1), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 2 (2), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 3 (2), Nierenentzünd. 3(2),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 1 (5), Krebs 12 (19), sonst.
Neubildungen 2 (1), Krankh. der äuss. Bedeckungen 3 (2), Krankh. der
Bewegungsorgane 1 (— ), Selbstmord 1 (4), Mord, Totschlag, auch
Hinricht. — (—), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 21 (27),
andere benannte Todesursachen 3 (4), Todesursache nicht (genau!
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (2).
Gesamtzahl der Sterbefälle: 191 (185).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Redaktion: Dr. B. Spat*,
München, Amulfstrasse 26.
Verlag von J. f. Lehmann,
München, Paul Heyseatr. 26.
MÜNCHENER
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 39. 29. September 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 8.
Ueber Augenverletzungen.
Von Prof. Heine in Kiel.
Die Weltlage lässt es vielleicht gerechtfertigt erscheinen,
me kurze Darstellung der Erkennung und Behänd-
u n g der Augenverletzungen zu geben, welche nicht für den
pezia listen bestimmt ist, sondern fiir diejenigen, welche die
erletzten zuerst in die Hände bekommen, damit von dieser
eite sofort das Mögliche in die Wege geleitet werden kann,
lerade bei den Augenverletzungen kommt es vielfach darauf
11, die sachgemässe Behandlung möglichst schnell einzuleiten,
a sich mit jedem Tag die Prognose verschlechtert. Eine
.‘hrrciche Tabelle entnahm ich einer in meiner Klinik an-
efertigten Arbeit A Isens (Klinische Erfahrungen über
ugcnverletzungen : D. i. 1913, p. 39),
18
21
5
13
12
18
8
11
13
46
51
42
MV* » | .
2 —4. Tage nach d. Verletzung
5.-14.Tage nach d. Verletzung
„Aus diesen Zahlen erhellt der Wert einer möglichst
ildigen fachmännischen Behandlung nach der Verletzung
iseres wichtigsten Sinnesorganes. Eine Umrechnung obiger
ihlen in Prozente zeigt dies noch deutlicher. Besonders in
e Augen springend ist der Unterschied zwischen den gleich
n läge der Verletzung behandelten Fällen gegenüber den
läge später kommenden. Bei ersteren verblieb 39,3 Proz.
“ Sehschärfe von U und mehr, bei letzeren hingegen nur
»rroz. Bei 17,4 Proz. der frisch behandelten Fälle musste
r Bulbus entfernt werden, hingegen bei 30,9 Proz. der ver-
hleppten Falie. Bei den seit dem 1. Tage Behandelten ist
's Verhältnis der Patienten, die eine brauchbare Sehschärfe
hielten, zu den Erblindeten etwa 2: 1, während bei den erst
14; la&e kommenden sich das Verhältnis auf fast U 1
11t (Alsen).
Rechnen wir — wie es doch gerechtfertigt erschein* _
ch das Ulcus corneae serpens als Folgezustand zu den trau-
itischen Afrektionen, so ist eine Tabelle von Roscher*)
'U Interesse, welche den Wert der Frühbehandlung schla-
nd demonstriert.
Resultat
der Entlassung
Aufgenommen
am
1.-3. Tag
27 Fälle
Aufgenommen
am
4.-6. Tag
48 Fälle
Aufgenommen
nach
dem 6. Tag
55 Fälle
Datum
unbekannt oder
bereits ander¬
weitig behandelt
73 Fälle
indang . ,
■ermögen
1 = 3,7 Proz.
2 = 4,2 Proz.
12 = 21,8 Proz.
10 = 13,7 Proz.
unter V100 . .
ermögen
'/ioo bis >/io . .
ermögen
'/jo bis yt
ermögen
'■» und darüber
0 7 = 14,6 Proz.
8 = 29,6 Proz. 18 = 37,5 Proz.
11 =40,7 Proz. 8 =16,7 Proz.
7 = 26,0 Proz. 13 = 27,1 Proz.
16 = 29,1 Proz.
14 = 25,5 Proz.
8= 14,5 Proz.
5 = 9,1 Proz.
21 = 28,8 Proz.
22 = 30,1 Proz.
13= 17,8 Proz.
7 = 9,6 Proz.
„Mir scheinen diese Zahlen eine deutliche Sprache zu
en. Denn wenn von den frühzeitig in Behandlung ge¬
nmenen Fällen 3,7 Proz., von den nach dem 6. Tage ge¬
nmenen aber 51 Proz., über die Hälfte, mit einem Seliver-
sren unter ’/ioo der Norm enden, so kann man einen deut-
Es blieb eine Sehschärfe
von
3ei Palienten, welche kamen
Vs und
mehr
Weniger
als >/3
H.B. vor dem
Auge oder
Amaurose
Enukleation
und
Evakuation
Summe
v) Festschrift des Schics. V. z. H. a. A. Breslau 1901.
licheren Beweis für die ungeheure Wichtigkeit der Früh¬
behandlung dieser gefährlichen Krankheit schwerlich ver¬
langen4 (Roscher).
P>e wichtigste Frage betr. einer frischen Augenverletzung
ist die, ob es sich um eine harmlose oberflächliche, event.
aseptische, innerhalb von 1 — 2 Tagen spontan heilende oder
aber um eine perforierende oder septische, oder endlich um
eine Doppelpeiforation handelt. Die Behandlung ist je nach¬
dem diametral verschieden. Wir werden sehen, dass die Unter¬
scheidung dieser drei Gruppen durchaus nicht immer leicht
ist und oft einen erheblichen Apparat erfordert.
Zunächst ein Wort über den Wert der Anamnese;
Auch wenn eine Verletzung strikt in Abrede gestellt wird
verlasse man sich einzig auf das klinische Bild. Steht beides
nn Widerspruch, so entscheidet das letztere. So kam ein
I atient zu mir wegen einer Altersbrille: Er zeigte in der
Kornea eine lineare perforierende Narbe, ein Loch in der Iris,
eine partielle Linsentrübung mit einem metallischen glitzernden
Punkt. Eine Verletzung wurde aber bestimmt inAbrede gestellt
obwohl sie zweifellos stattgefunden hatte. Endlich besann sich
I atient, dass ei vor einer Reihe von Jahren bei einer Schiess¬
bude vorbeigegangen sei und damals einen momentanen
stechenden Schmerz im Auge verspürt habe. Er habe darauf¬
hin das andere Auge verdeckt, sich überzeugt, dass mit dem
schmerzenden Auge doch wohl nichts passiert sei und sei
beruhigt weitergegangen. In einem anderen Fall war von
ärztlicher Seite die traumatische Entstehung einer Katarakt im
„letzten Auge“ in Abrede gestellt, entgegen der Angabe des
Patienten, obwohl der objektive Befund zweifellos im obigen
Sinne diese Genese bewies. Man muss also sehr genau zu¬
nächst Kornea und Sklera mit dem binokularen Korneai-
mikroskop bei seitlicher Beleuchtung im Dunkelzimmer unter¬
suchen und auf den kleinsten verdächtigen Strich achten, denn
auch der kleinste Fremdkörper kann, wenn er scharf genug
ist, eine Perforation bedingen. Ein Fremdkörper war so klein,
dass er auf einer feinen chemischen Wage keinen Ausschlag
gab. Ich hatte ihn mit dem Kontaktmagneten extrahiert da
er die Verrostung des Augapfels eingeleitet hatte.
Auf gleiche Weise, wie den vorderen Bulbusabschnitt
und man auch die Bindehaut, besonders die des umgestiilpten
oberen Augenlides untersuchen, da sich Fremdkörper mit Vor-
liehe hiei festsetzen und durch Reiben auf der oberen Horn-
uauiliälfte Kiosionen und Geschwüre erzeugen können.
Dass es nicht immer leicht ist, zu entscheiden, ob ein
Corp. al. oberflächlich oder tief in der Kornea sitzt, leuchtet
ohne weitei es ein. Das binokulare Mikroskop erleichtert hier
sehr die Diagnose, zumal wenn man sich die durchsichtige
Hornhautoberfläche durch aufgepudertes Kalomel (Cave: Jod¬
kali) sichtbar gemacht hat. Man erkennt dann z. B. auch, ob
ein Fremdkörper in die vordere Kammer hineinragt, was ganz
besonders vorsichtiges Operieren erfordert, da man ihn sehr
leicht in die Vorderkammer hineinstossen kann. Seltener
finden sich Fremdkörper in der Vorderkammer selbst. In
einem Falle hatte sich an die Verletzung ein Hornhaut¬
geschwür angeschlossen mit erheblicher Eiteransammlung am
Boden der Vorderkammer; nachdem diese resorbiert war,
blieb ein Stein an derselben Stelle zurück, der reaktionslos
verheilte. Nicht so selten finden sich Zilien in der Vorder-
kammer durch den Fremdkörper mit hineinversprengt.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
201-4
Nr. 39.
Zeigt die Iris ein Loch im Stroma, was leicht init den
physiologischen Krypten verwechselt werden kann, so müssen
wir mit grösster Wahrscheinlichkeit eine perforierende Ver¬
letzung annehmen, wenn nicht spontane Lochbildung bei glau¬
komatöser oder sonstiger Irisatrophie zu diagnostizieren ist.
Gleichwohl wird man nach der perforierenden Hornhautwunde
in frischen Fällen gelegentlich vergeblich suchen, da eine
frisch verklebte Wunde kaum zu sehen ist. Sie wird deut¬
licher, wenn sie durch Vernarbung weisslich wird.
Demnach ist die Verletzung also bis in die hintere Kammer
oder gar bis in die Linse vorgedrungen. Wird die Linsen¬
kapsel eröffnet, so entsteht eine Linsentrübung, die um so
schneller total wird, je jugendlicher das Individuum und je
grösser die Wunde der Linsenkapsel ist, die um so öfter par¬
tiell bleibt, je älter der Patient und je kleiner die Wunde ist.
Kleinste Fremdkörper können, zumal im Kern der Linse,
reaktionslos einheilen, in der Peripherie lösen sie sich meist mit
der Zeit auf und bedingen das Bild der Cataracta ferrea:
bräunliche subkapsulär gelegene Trübungen, die man leicht für
Reste hinterer Synechien halten kann. Durchsetzt der Fremd¬
körper die ganze Linse, so ist es gleichwohl möglich, dass
diese ihre Durchsichtigkeit behält, meist wird sie sich aber
partiell oder total trüben. Gelegentlich sieht man eine leichte
Trübung die Linse kanalartig durchsetzen, und nimmt man
nun den Augenspiegel zur Hand, so erblickt man in der Ver¬
längerung der Flugbahn des Fremdkörpers die Anschlagstelle
in der Retina z. B. eine Blutung, neben der der Fremdkörper
sichtbar ist. Die Blutung kann aber auch ausgedehnter sein
und in Form des Hämophthalmus int. den Einblick verwehren.
Nun ist es ja aber nicht unbedingt nötig, dass bei einer der¬
artigen Verletzung ein Fremdkörper im Bulbus vorhanden ist,
denn der Stoss oder Stich mit einem spitzen Gegenstand kann
dasselbe klinische Bild hervorrufen: Ein schnellendes Draht¬
ende, ein längerer, spitzer Fremdkörper, der vom Patienten
selbst oder einem Helfer schon wieder herausgezogen ist. Im
Spiel hatte ein junges Mädchen einem Herrn ein Wollknäuel
ins Gesicht geworfen: eine in diesem steckende Stopfnadel
hatte die Sklera am Limbus perforiert, die Verletzung heilte
glatt, nur trat nach einigen Wochen Amotio ret. auf. Auch
kann ein Fremdkörper, der in den Bulbus eingedrungen ist,
wenn er genug Durchschlagskraft hat, den Bulbus wieder
verlassen und in die Orbita, ja selbst ins Gehirn eindringen.
Das letztere dürfte freilich nur Fremdkörpern in einer Grösse
von mindestens mehreren Millimetern möglich sein, während
Doppelperforation der Bulbushüllen auch kleinsten Fremd¬
körpern möglich ist. Sieht man mit dem Augenspiegel die
Anschlagstelle in der Retina, nicht aber den Fremdkörper
selbst, so kann Doppelperforation vorliegen, es kann aber
auch der Fremdkörper in der Retina oder der Aderhaut
stecken. Ist er von Stein, so ist aseptische Einheilung möglich,
ist er von Eisen, so führt er fast immer zur Siderosis, ist er
von Kupfer oder Messing, so veranlasst er — auch wenn er
aseptisch ist — auf chemischem Wege Suppuration. Da dem¬
nach auch die Therapie eine sehr verschiedene sein muss, ist
es wünschenswert, zu entscheiden: welcher Art ist der Fremd¬
körper und wo sitzt er? Zunächst sei auch hier nochmals
gewarnt, den Angaben des Patienten irgend welchen aus¬
schlaggebenden Wert beizulegen, zumal wenn sie mit dem ob¬
jektiven Befund in Widerspruch stehen. Oft wird angegeben,
der Hammer sei untersucht und vollständig intakt befunden.
Eisen könne es also nicht sein. Das Stück kann ja so minimal
sein, dass dem Hammer in der Tat nichts zu fehlen scheint.
Die Hilfsmittel, die uns eine objektive Diagnose gestatten, sind
Sideroskop (Magnetnadel), Riesenmagnet und Röntgen¬
strahlen. Prinzipiell ist es richtig, jeden Fremkörper zu lokali¬
sieren, dann erst event. therapeutisch anzugreifen, oder auch
als tioli me tangere zu betrachten. Gibt das Sideroskop, dessen
Handhabung keine geringe Technik verlangt, an einer Stelle
einen gewissen Ausschlag oben, unten, rechts und links davon
aber keinen, so ist die Ortsbestimmung ausgeführt, ein so
klares Resultat bekommt man aber nur dann, wenn der
Fremdkörper im vorderen Bulbusabschnitt sitzt, steckt er da¬
gegen hinter dem Aequator, so nimmt der Ausschlag zu, je
mehr man mit dem Ansatzrohr über den Aequator vorrücken
kann Man kann dann doch meist entscheiden, ob er oben
oder unten, temporal oder nasal zu suchen ist. Spricht die
Magnetnadel an, so ist zugleich erwiesen, dass es sich um
Eisen oder Stahl handelt. Kupfer und Messing beeinflusst die
Nadel nicht. Statt des Sideroskops kann nun auch sofort der
Riesenmagnet benutzt werden, um den Zugschmerz zur Lo¬
kalisation zu benutzen. Ich halte das bei frischen Ver¬
letzungen mit relativ grossen Eisenstücken (von 5 — 10 mm
Grösse) nicht für unbedenklich, da durch die plötzliche Wir¬
kung des Magneten das Auge erheblich geschädigt werden
kann (s. unten). Reagiert die Magnetnadel nicht, so kann
Kupfer, Messing u. a. oder aber Stein vorliegen. Telephoni¬
sche Sonden usw. haben sich noch nicht praktisch ein¬
gebürgert, sind auch vielleicht entbehrlich. In dubio ist ein
metallischer Fremdkörper meist wahrscheinlicher als ein
steinerner, da ersterer wegen seiner scharfen Kanten meist
die grössere Durchschlagskraft besitzen dürfte. Liegen die
klinischen Zeichen der perforierenden Verletzung mit Corp. al.
in bulbo vor, so müssen die Röntgenstrahlen entscheiden, oh
dieser Fremdkörper nicht vielleicht bis in die Orbita — oder
weiter — vorgedrungen ist. Zu diesem Zwecke sind die ver¬
schiedensten Verfahren vorgeschlagen, deren Beherrschung
eine erhebliche Technik voraussetzt, denn diese Kopfauf¬
nahmen gehören zu den schwierigsten Aufgaben; dass stets
zwei Aufnahmen gemacht werden müssen, um sich nicht durch
Plattenfehler irreführen zu lassen, ist das erste.
Zweitens ist es meist nötig, ausser zwei Seitenaufnahmen
auch eine oder zwei Frontalaufnahmen zu machen, um zwei
Richtungslinien für den Fremdkörper zu gewinnen.
Drittens ist es empfehlenswert, auf jeder Platte zwei oder
drei Aufnahmen nacheinander zu machen. 1. beim Blick
geradeaus, 2. beim Blick nach oben oder unten.
Schliesslich ist es gut, den Ort der Kornea durch ange¬
heftete Bleimarken oder Bleiglasschalen zu markieren. Ein
Fremdkörper, der mit Doppelaufnahmen bei Blicksenkung
einen zweiten Schatten weiter rückwärts gibt, muss in der
unteren Bulbushälfte liegen, ein solcher, der bei Blicksenkung
dagegen einen zweiten Schatten vor dem ersten gibt, muss
oben sitzen, das entsprechende temporal und nasal. Man ver¬
gesse aber nicht, dass ein Fremdkörper, der ausserhalb
des Bulbus sitzt, mit diesem aber durch einen Narbenstrang
in Verbindung steht, oder in einem Muskel sitzt, sich ebenso
verhalten kann. Der Bulbus müsste durch Röntgenstrahlen
der linearen Projektion wegen vergrössert erscheinen, wenn
er überhaupt einen Schatten gäbe. Da nun der normak-
Bulbus 24 mm lang ist, so muss, die Vergrösserung zu 10 Proz.
gerechnet, ein Schatten 26 mm hinter dem Schatten der Horn-
hautmarkierung für Sitz des Fremdkörpers im Auge sprechen.
War das Auge um 9 D. myopischer, so kämen noch 3 mm
hinzu. War es aber hyperopisch, so könnte schon bei einem
Abstand von 26 mm der Fremdkörper retrobulbär sitzen.
Die stereoskopische Röntgenphotographie und stereo¬
skopische Messung haben noch kein Verfahren gezeitigt, das
einfach genug und doch zuverlässig wäre.
Ich hoffe, dargelegt zu haben, dass die Unterscheidung
einer harmlosen oberflächlichen Verletzung „Corp. al. corneae“
von einer perforierenden „ferrum in bulbo“ nicht immer leicht
ist und einen recht komplizierten diagnostischen Apparat er¬
fordern kann. Da es nun ein praktisch bewährter Grundsatz
ist, immer das Schlimmste anzunehmen, um nichts zu über¬
sehen, und durch genauere Untersuchung ein Verdachts¬
moment nach dem anderen zu widerlegen, so kann eine
harmlose Verletzung gelegentlich so viel Arbeit erfordern,
dass deren Erledigung nur im Etappenlazarett oder noch
weiter rückwärts möglich ist. Aus der sogleich zu be¬
sprechenden Therapie und den oben wiedergegebenen Ta¬
bellen ergibt sich die Notwendigkeit schneller Einlieferung
solcher Verletzungen.
Behandlung.
Die Behandlung der Augenverletzungen ergibt sich aus
der Untersuchung in dem oben dargelegten Sinne in folgender
Weise: Ist keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme einer Per¬
foration der Augenhüllen vorhanden, sitzt der Fremdkörper
oberflächlich in der Hornhaut, so wird er unter Kokain¬
anästhesie mit dem Hohlmeissei oder der Fremdkörpernadei
entfernt. Die Hornhaut ist als aseptisch anzusehen, das hi-
2015
9. September 1914.
1 ekkirztliche Beilage /.nr Miinch. med. Wochenschrift.
trument mit Alkohol oder Hitze zu sterilisieren. Keineswegs
ind aber der Bindehautsack und die Iränenwege als keimfrei
nzusehen. Hat man eine auch nur einigermassen energische
lanipulation zur Entfernung des Fremdkörpers nötig gehabt.
> streicht man eine Hg-Sublimatsalbe (1:10 000) ein, oder
udert Xeroform oder ähnliches ein und macht für 1—2 Tage
erband. < irimdsätzlich soll man dies tun. wenn es sich um
n ..letztes Auge handelt.
Sitzt der Fremdkörper tief in der Kornea, ragt er gar in
e Vorderkammer hinein — da die Kornea in der Mitte ca.
;5 mm dick ist, handelt es sich hier um geringe Tiefen-
rferenzen — , so ist der Riesenmagnet das geeignete Hilfs-
!ttel. Es kompliziert die Behandlung nicht unwesentlich
enn durch ungeeignete Versuche mit dem Hohlmeissei, den
•erndkorper zu entfernen, dieser in die Vorderkamrncr hinein-
-■stossen wird. In diesem Falle muss die Vorderkammer
•rch Lanzenschnitt eröffnet und der Fremdkörper hier
agnetisch extrahiert werden. Ist die Kammer vorher ab-
: flössen, so ist das sehr schwierig und muss event auf
verschoben werden, bis sie sich wieder hergestellt
d. Dies hat aber für den Fall erhebliche Bedenken, dass
r Fremdkörper nicht aseptisch war. So kann schon der
tsüzende Hornhautfremdkörper technisch eine nicht ein-
che Aufgabe darstellen. Befindet sich der Fremdkörper in
r Vorderkammer, so muss diese durch Lanzenschnitt er-
'rnet und der Fremdkörper mit dem Riesenmagneten entfernt
2 . n, wenn er von Eisen ist, mechanisch, wenn er von
essing, Stein, Glas oder dergl. ist.
Sitzt der Fremdkörper in der Linse, so müssen wir Unter-
uede machen, je nachdem, ob es sich um eine frische oder
hon verheilte Verletzung handelt. Kommt die Verletzung
lerhalb der ersten 24 Stunden in Behandlung, so ist sofort
r Riesenmagnet in Anwendung zu bringen, da wir keine
ue Verletzung setzen, wenn wir den Fremdkörper durch
n noch offenen Kanal wieder herausziehen. Ist längere Zeit
rstrichen oder handelt es sich nicht um Eisen, so ist ab-
irtend zu verfahren, event. erst später die Linse zu ent-
nen, wenn sie sich spontan so weit getrübt hat, dass das
nere Sehen praktisch aufgehoben ist. Auch dann erfordert
■ txtractio lentis zwecks Mitentfernung des Corp. al. eine
sondere Technik. Sitzt der eiserne Fremdkörper in Glas¬
ier oder Retina, so muss er möglichst schnell entfernt
rden 15—30 Minuten nachdem der Patient die Klinik be¬
ten hat, soll das Eisen aus dem Auge entfernt sein. Be¬
irut man die Verletzung frisch in die Hand, so lässt sich
'er eiserne Fremdkörper extrahieren, und zwar auf dem-
ben Wege, auf dem er in das Auge hineingelangt ist. Aber
lon nach Stunden, mehr noch nach Tagen verschlechtern
h die Aussichten dadurch, dass erstens Keime, die durch
i Fremdkörper in das Auge hineingetragen sind, eine In- I
1 tion hervorrufen, zweitens dadurch, dass der Fremdkörper
wächst, drittens dadurch, dass der Schusskanal sich
hesst, und besonders, dass die Eintrittsstelle vernarbt,
r sind deshalb vielfach bei Sekundäroperationen ge¬
lungen, das Corp. al. auf anderem Wege herauszuholen, als
hineingelangt ist. Wir pflegen es am liebsten um den
jsenäquator herum in die Vorderkammer zu ziehen und
r mit Lanzenschnitt zu entfernen. Gelingt das nicht, sind
■ gezwungen, durch eine Skleralinzision zu extrahieren, so
grossem wir die Wahrscheinlichkeit der sekundären trau-
hschen Amotio ret., die noch nach Jahren eintreten kann.
i Magnetenansatz in den Bulbus selbst per scleram ein-
■ren soll man nur, wenn es dringend nötig ist zur Ent-
■ lung sehr kleiner eiserner Fremdkörper, die Kontakt-
kung erfordern.
Hat der Fremdkörper auch die hintere Bulbushälfte durch-
1 rt, sitzt er also in der Orbita, so ist jeder Eingriff kontra-
1 ziert, und das ist . eben die praktische Konsequenz der
erscheidung von einfacher und doppelter Perforation.
^Kleine Kupfer- oder Messingstücke, die keine magnetische
isnschaft haben, sind abwartend zu behandeln. Sie erregen
i chemischem Wege eine (aseptische) Eiterung, die zu einer
i.iullung des Fremdkörpers führt. Ist dieser Zustand inner-
■ > von einigen Tagen erreicht, so behandelt man den Ab-
:'S nach den üblichen Regeln, d. h. man inzidiert ihn. Dann
senkt sich der Abszess auf dem Inzisionsweg und mit ihm der
Fremdkörper — freilich nicht immer. Man wird also, wenn
irgend möglich, in der unteren Hälfte des Bulbus operieren,
um die Schwerkraft auszunützen. Einen frisch eingedrungenen
Knptersphtter sofort mechanisch aus dem Auge zu entfernen,
mutte sich nur ausnahmsweise empfehlen, besonders im hin¬
teren Bulbusabschnitt würde man wohl meist im Trüben fischen.
nanaelt es sich um einen grösseren Fremdkörper, d. h.
um solche, deren Dimensionen einige Millimeter übertreffen
so wird oft die sofortige Evakuation der Sklera — Entfernung
!vS H--.i?raiinh?ites — angezeigt sein. Uebertrifft die Wunde
die Haltte der Kornea, liegt die Iris breit vor, ist die Linse ver-
ictzt, so wird eine erhaltende Behandlung sich oft nicht lohnen,
da doch später die Evakuation oder Enukleation zu erfolgen
. ‘ ' ® ?,a,ch,der Qrösse der Verletzung muss sich ein Auge
m-?~A ™°chen wiedei- erholt haben, d. h. reizfrei sein,
wi ngenfalls ist es für das andere Auge nicht ungefährlich.
Kann sich der Patient nicht dazu verstehen, seine Einwilligung
zur Evakuation zu geben, ist das verletzte Auge vielleicht
sein besseres oder einziges (ultimus), so ist es ja schon eine
bache des Taktes, einige Zeit abzuwarten, zumal wenn die
Finanzlage und der Zeitverlust in den Hintergrund treten, bis
sich der Patient selbst überzeugt, dass wohl nichts mehr zu
Porten ist. Ist eine akute Infektion eingetreten, so wird die
»Stimmung zur Evakuation wegen des Schmerzes relativ
leicht zu erreichen sein. Ist die Infektion aber subakut oder
chronisch so ist die Gefahr der sympathischen Ophthalmie
um so näher liegend. In solchen Fällen müssen wir auf bald-
moghehe Entfernung des Auges hindrängen, sobald wir von
der Aussichtslosigkeit der Behandlung überzeugt sind und
zwar kommt nur die Enukleation in Frage, d. h. die Entfernung
des Auges mitsamt der Sklera, da diese Operation den
besseren Schutz gegen sympathische Ophthalmie bietet. Bei
akuten Infektionen (Panophthalmie) ziehen wir dagegen die
Evakuation voi, da dabei die Gefahr der Meningitis geringer
ist als bei der Enukleation, durch welche die Sehnerven¬
scheiden eröffnet werden, die ja in offener Kommunikation
mit dem Subduralraum stehen.
Jede Verletzung, auch die geringste und oberflächlichste
Kornealerosion kann sich infizieren. Da das geschichtete
Epithel dünner als Vio mm ist, so ist klar, dass schon eine
gelinge Gewalt das Stratum corneae freilegen kann, da es
bei seiner Gefässlosigkeit einer Infektion wenig Widerstand
entgegenzusetzen hat. Der Infektionserreger kann mit dem
verletzenden Gegenstand in die Kornea gelangen, so z. B. mit
der Grane der Aspergillus; er kann aber auch aus der Kon-
junktiva stammen, da sich oft in der normal erscheinenden
Konjunktiva pathologische Keime finden, oder aber er stammt
aus den Tränenwegen. Infiziert sich ein kornealer Substanz¬
verlust, so injiziert sich die Conjunktiva bulbi, die Pupille ver¬
engert sich, und es treten Schmerzen auf. Kann man den
Patienten stationär behandeln, sieht man ihn also täglich
zweimal, so darf man noch abwarten; selbst wenn sich ein
Hypopyon bilden sollte, kann man durch Einstreichen von
Sublimatsalbe, Xeroform, feuchten Verband noch Heilung er¬
zielen, nur darf man die Behandlung eines etwa vorhandenen
Tränenleidens nicht vergessen. Nimmt der Reizzustand aber
in 1—3 Jagen nicht ab, sondern zu, so ist die Kaustik mit der
galvanischen Schlinge angezeigt. Schwerer wird man sich
dazu entschliessen, wenn das Ulcus traumaticum gerade die
Hornhautmitte befallen hat. Hier wird man möglichst lange
medikamentös auszukommen suchen. Neuerdings wird das
Aethylhydrokuprein dafür sehr empfohlen. Bringt man mit
einer wiederholten Kaustik das Ulcus nicht zum stehen, so
ist die quere Durchschneidung oder Spaltung (nach Sae-
misch) ein gutes Mittel, wobei man aber das Schmalmesser
möglichst im Gesunden ein- und ausstechen soll, um nicht die
Infektionserreger in die Vorderkammer einzuimpfen. Greift
die Infektion auch auf die Iris über — was durch das Auf¬
treten eines (aseptischen) Hypopyons bekanntlich noch nicht
erwiesen ist — so wird es oft zur Evacuatio bulbi kommen.
Bilden sich Verwachsungen zwischen Iris und Hornhaut oder
Linse, so ist die Iridektomie angezeigt, tritt durch Linsen¬
quellung Drucksteigerung auf, so ist die Entbindung der Linse
vorzunehmen.
2016
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 39.
Entwickelt sich die Infektion dadurch, dass die Infektions¬
erreger direkt in den Glaskörper hineingelangen, so hängt es
von der Menge und der Virulenz der Keime ab, ob Panoph-
thalmie mit Vereiterung des Bulbusinhaltes oder Heilung ein-
tritt. Ein gutes Mittel sind hierbei die subkonjunktivalen In¬
jektionen, Yi Spritze von 1 — 5 proz. NaCl-Lösung.
Auch Punktionen der Vorderkammer kann man vor¬
nehmen, um ein zweites eiweissreicheres Kammerwasser zur
Absonderung zu bringen und so die Infektion zu bekämpfen.
Endlich ist noch die intraokulare Galvanokaustik als
ultimo ratio empfohlen. In der Tat kann man selbst mit
diesem reichlich brutalen Vorgehen in verzweifelten Fällen
vielleicht noch dieses oder jenes Auge retten, wenn auch
meist eine Amotio ret. sich anschliessen dürfte.
Eine besondere Methode der Behandlung sowohl per¬
forierender Verletzungen wie oberflächlicher Korneal-
ulzerationen stellt die Konjunktivalplastik dar: einen zungen¬
förmigen Lappen der Bindehaut präpariert man sich frei und
fixiert ihn durch geeignete Suturen über der zu bedeckenden
Stelle. Der leitende Gedanke ist der, die Konjunktivalgefässe
zur Heilung heranzuziehen, da die Kornea gefässfrei ist und
Infektionserregern den Eintritt durch eine offene Wunde zu
verbieten. In geeigneten Fällen gibt die Methode gute Re¬
sultate, doch scheint mir ihr Anwendungsgebiet ein relativ
beschränktes.
In den bisherigen Besprechungen handelte es sich um
Einwirkung spitzer oder scharfer Gewalten mit oder ohne
zurückbleibendem Fremdkörper und mit oder ohne Infektion.
Dieses Kapitel der Augenverletzungen dürfte das wichtigste
sein, jedoch gehören Einwirkungen stumpfer Gewalt keines¬
wegs zu den Seltenheiten, nur erforderten sie sehr viel
weniger aktives Eingreifen.
Trifft eine stumpfe Gewalt das Auge, so sind es der
Hauptsache nach zwei Folgezustände, die uns praktisch
interessieren, d. i. die Rupturen und die Linsen¬
luxationen.
Erstens die Rupturen: Die Zerreissung der Bindehaut
kann an der Stelle des Stosses oder des Gegenstosses er¬
folgen. Trifft der Stoss das Auge da, wo es am wenigsten
durch den Knochen geschützt ist, nämlich unten aussen, so
erfolgt die Ruptur entweder an eben dieser Stelle, oder oben
innen. 4—5 mm rückwärts vom Korneallimbus, wo ein locus
minoris resistentiae wegen der grössten Dünnheit der Sklera
vorhanden ist. Trifft der Stoss das. Auge mehr in sagittaler
Richtung, so kann Sklera event. mit Aderhaut und Retina auch
in der Gegend des hinteren Pols oder am Optikus reissen, so
dass ein Hämophthalmus int. entsteht. Bei den Rupturen am
Korneosklerallimbus kann die Konjunktiva mit einreissen oder
intakt bleiben, ln letzteren Fällen liegt die Gefahr der sym¬
pathischen Ophthalmie ja dann in viel weiterem Felde. Diese
subkonjunktivalen Rupturen kombinieren sich nicht so selten
mit subkonjunktivalen Linsenluxationen. Eine Kuh hat auf
diese Weise ihren Pfleger vom Star befreit. Die Behandlung
beschränkt sich auf Verband, bis sich das Auge beruhigt hat,
man entfernt dann die Linse, wenn sie unter der Bindehaut
liegt. Der Verlauf ist oft erstaunlich gutartig. Ist auch die
Bindehaut rupturiert, so muss sie baldmöglichst genäht
werden, um Infektionen zu verhüten, wenn nicht des aus¬
sichtslosen klinischen Bildes wegen primär evakuiert werden
muss.
Die traumatischen Luxationen der Linse oder
Subluxationen, gewöhnlich nach rückwärts in den Glaskörper
hinein, kennzeichnen sich durch Vertiefung der Vorderkammer,
Erweiterung der Pupille (Iridoplegie) Entrundung (wegen der
Sphinkterrisse) und Irisschlottern. Oft reagiert das Auge auf
einen solchen Insult mit Drucksteigerung, die man durch
feuchten Verband, Miotikum event. Punktion der Vorder¬
kammer zu bekämpfen hat. Iridektomie u. a. kommt wegen
der Gefahr des Glaskörperverlustes hierbei seltener in Frage.
Meist genügt mehrfache Punktion. Wird die Extraktion der
— sekundär getrübten — Linse nötig, so stellt dies meist einen
recht diffizilen Eingriff dar. Vollständige Luxation der Linse
in die Tiefe des Glaskörpers führt meist zur Erblindung durch
Drucksteigerung und zur Enukleation.
Abgesehen von den Verletzungen durch spitze und
scharfe Gewalt mit oder ohne Fremdkörper und abgesehen
von Schädigungen des Sehorgans durch stumpie Gewalt
wären noch besonders die Schussverletzungen her¬
vorzuheben, die sich indes ihrem klinischen Bilde nach und
was die Behandlung anbetrifft, teils in diese, teils in jene
Gruppe einreihen lassen.
Endlich wären noch chemische und thermische Verbren¬
nungen zu erwähnen.
Um eine kurze Ueb ersieht über das Häufig¬
keitsverhältnis der verschiedenartigen Verletzungen
_ für Friedenszeiten — zu geben, habe ich das Material der
Kieler Klinik für die Zeit von 3 Jahren zusammenstellen lassen.
Aus einem poliklinischen Material von ca. 20 000 Augen¬
kranken wurden stationär behandelt 2704, von diesen wegen
Verletzungen 474 = 17,5 Proz. und zwar 424 Männer
89.4 Proz., 50 = 10,6 Proz. weiblichen Geschlechts.
1. Perforierende Verletzungen durch spitze und
scharfe Gewalt wurden 81 beobachtet, zur Hälfte bei Kindern.
Etwa die Hälfte aller dieser Verletzungen verlief aseptisch. 7 von
diesen letzteren endigten durch Enukleation, in 32 Fällen blieb ein
Visus Wo — Y, 18 mal Ya und besser. Von den infizierten perforieren¬
den Verletzungen endigten 23 mit Exenteration oder Enukleation, bei
2 Pat. blieb Visus Wo und besser. Einer dieser Fälle hatte sym¬
pathische Ophthalmie im Gefolge.
2. Fremdkörperverletzungen.
a) Von 127 Fällen waren nicht nerforierend 70, davon 33 i. d.
Kornea, 23 i. d. Konjunktiva, 5 sub palp., 3 in Sklera usw.
b) Von 127 Fällen waren perforierend 55, davon eiserne im
hinteren Bulbusabschnitt 41. Messing und Kupfer 6, Fremdkörner
i. vord. K. und Linse je 2.
c) Von 127 Fällen waren doppelperforierend 2.
Von den 70 (sub. a) nicht perforierenden Fremdkörperver-
letzungen verliefen 30 nicht aseptisch und hinterliesscn entsprechende
Schädigungen des Visus.
Von den 41 (sub b) perforierenden Eisenverletzungen mit Fremd¬
körper im hinteren Bulbusabschnitt misslang die Magnetetraktion
einmal in einem Fall, wo ein grosser eiserner Fremdkörper im Seh¬
nervenkopf eingekeilt war, 9 mal wurde die Extraktion nicht versucht,
da sofort evakuiert wurde, 31 mal gelang die Extraktion mit Visus
Ai und mehr 8 mal, Visus V» — Wo 3 mal, Visus .Wo Handbe¬
wegungen in 1 m 5 mal, Formerhaltung 7 mal, Enukleation 8 mal.
Von den Messing- und Kupferverletzungen behielt Visus %
1 mal, Visus Var, 1 mal. Mit Enukleation oder Evakuation endigter: 4.
Von den 2 Poppelperforationen behielt die eine Visus Wo, die
andere “Vs.
3 Schussverletzungen.
Schussverletzungen kamen 27 zur Beobachtung, 5,7 Proz. der
Augenverletzungen, 16 davon betrafen Kinder, der Ausgang wo'
Enukleation 6 mal, Formerhaltung 4mal, Visus Wo — Ya 13 mal, Visus
A und besser 4mal.
4. Schädigungen durch stumpfe Gewalt.
Beobachtet- wurden 199 Fälle = 42 Proz. aller Augerver-
letzungen. Der Endausgang ergibt sich aus folgender Tabelle:
Verletzungen
durch stumpfe Gewalt
Sehschärfe von
Erblindung
mit
Formerhaltung
Enukleation
oder
Exenteration
Vs und
mehr
Va-’/so
< V„o
125 j den Bulbus nicht perfor.
39
41
14
9
22
56 direkte Ruptur ....
13
9
10
7
17
18 indirekte Ruptur . . .
2
2
1
3
..Hieraus ergibt sich die interessante Tatsache, dass bei den
nicht perforierenden Kontusionsverletzungen etwa Ya der Patienten
volle Sehschärfe oder bis A behielten, von den mit direkter Ruptu:
einhergehenden Verletzungen 14, hingegen von den indirekte Ruptur
aufweisenden Verletzten nur W der Betroffenen. Auffallend ist auch
die grosse Zahl der zur Erblindung bzw. Enukleation führenden Ver¬
letzungen mit indirekter Ruptur. Es sind mehr als W. Bei den
direkten Rupturen verloren W die Sehkraft oder das Auge, bei den
nicht perforierenden Kontusionsverletzungen hingegen nur * der
Verletzten.
Wie aus der Tabelle hervorgeht, wurde die Enukleation bzw.
Evakuation 49 mal vorgenommen und zwar 20 mal wegen ran-
ophthalmie, 1 1 mal wegen Phthisis bulbi, 11 mal wegen Glaukoms
und 7 mal wegen Amaurose oder Gefahr der sympathischen UP1'
Dreimal kam es nach Kontusionsverletzung zur sympathischen
Ophthalmie und zwar war in allen drei Fällen die BulbuskapNt'i
perforiert (A 1 s e n).“ .
Drucksteigerungen wurden dabei 32 beobachtet, 11 davon,
gesagt, enukleiert. Linsenluxationen wurden dabei 12 beobachte-
6 davon mit Glaukom. Linsensubluxationen wurden 3, Commoti''
retinae 2, Ulcus com. spl. u. serp. 46 beobachtet. Die übrigen stei
mehr oder weniger harmlos verlaufene Schädigungen dar.
5. Chemische Schädigungen. ,.
wMirHpn ?4 F ü 1 1 o 5 rlnrrh Säure. 16 dlircn KulK, ui
übrigen durch Soda, Terpentin, Kunstdünger.
September 1914.
1 eldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
2017
1; 1 mal durch „Säure , 1 mal durch Schwefelsäure, 3 mal durch
ilzsaure. Bemerkenswerter Weise heilten diese Fälle alle ohne
irkc - c ha di Rungen zu verursachen, obwohl sich auch eine „Jalousie“
runter befand.
2. Von den 16 durch Kalk verursachten, z. T. doppelseitigen
duu mit fast voller Sehschärfe 6 Augen, X—1 1/30 8 Augen, 1 bis
tigerzahlen 5 Augen, 0 oder fast 0 4 Augen, im Ganzen 23 Augen,
ivon 3 evakuiert wurden.
Hie 1 h e r a pi e beschränkt sich auf mechanische Reinigung,
ter besonderer Berücksichtigung der Uebergangsfalten, Ausspülen
1 1 Zuckerlosung spater Ammonium tartaricum (5— lOproz., stündlich
Tropfen) Kokain-Atropinsalbe.
b. Verbrennungen.
Verbrennungen endlich kamen 16 zur Beobachtung und zwar
aal durch glühendes Eisen, 1 mal durch kochendes Kolophonium,
er. bunken, Olasexplosion u. a„ 3 mal blieb die Sehschärfe normal,
ma ul- I 3 mal sehr gering. 1 mal musste evakuiert werden
'anophthalmie).
Aus dem Hygienischen Institut der Universität München.
Grotan und Festalkol zur Händedesinfektion.
ui Dr. Karl Süpfle, Privatdozent und Assistent am
Institut.
Bei jeder ambulatorischen Tätigkeit, namentlich im Feld,
d Desinfektionsmittel in fester Form von besonderem Wert,
sie leicht zu transportieren und bequem anzuwenden sind,
ine die Bedeutung und Brauchbarkeit anderer bewährter
sinfektionsmittel verkleinern zu wollen, erscheint es daher
gebracht, in der „Feldärztlichen Beilage1' auf zwei neuere,
te. fertig dosierte Desinfektionsmittel aufmerksam zu
chen, deren Wirksamkeit wir in eingehenden Unter-
. Innigen studiert haben. Ueberdies muss in Kriegszeiten
dei Möglichkeit gerechnet werden, dass einzelne Anti-
’tika überhaupt, oder wenigstens innerhalb gewisser Zeiten
1 Orte völlig verbraucht werden, so dass die rechtzeitige
mtnis geeigneter Ersatzmittel willkommen sein dürfte.
„ü r o t a n“ nennt die Firma Schülke&Mayr, Aktien-
icllschaft Hamburg, eine komplexe p-Chlor-m-Kresolver-
dung, die in Tabletten ä 1 g in den Handel kommt. Dem
itan wird von M. Schottelius hohe Wirksamkeit bei
: völliger Geruchlosigkeit, geringer Giftigkeit und Aetz-
kung nachgerühmt.
Die Tabletten lösen sich in warmem Wasser rasch auf
i ergeben eine leicht rosa gefärbte, tatsächlich nur schwach,
Unfalls nicht unangenehm riechende Desinfektionsflüssig-
! • Die Behandlung der Hände mit wässrigen Grotan-
i ingen erzeugte bei unseren Versuchen weder während
1 h nach der Einwirkung irgendwelche Relzempfindungen,
lange die Konzentration 0,5 Proz. nicht überstieg. Instru-
nte und Gebrauchsgegenstände werden von Grotan-
1 ingen nicht angegriffen.
Bei unseren Untersuchungen über die bakterizide Wirk¬
te1* des Grotans, über die später an anderer Stelle aus-
: lieber zu berichten sein wird, fanden wir, dass eine
oroz. Grotanlösung Suspensionen von Bact. coli innerhalb
1 r Minute abtötet. Staphylokokken, deren Resistenz gegen
loz. Phenol ca. 3 Stunden betrug, wurden von 0,3 proz.
■ tanlösung nach 8 Minuten, von 0,4 proz. Grotanlösung nach
spätestens nach 3 Minuten abgetötet.
Grotan in 0,4 proz. Lösung kann daher für alle jene
'e als rasch wirksames Desinfektionsmittel empfohlen
'den, in denen Sublimat oder Sublimatersatzpräparate an¬
endet zu werden pflegen: im Seuchendienst zur
idedesinfektion, zur Desinfektion infizierter Gebrauchs-
nstände der verschiedensten Art, sowie zur chirur-
chen Händedesinfektion, unter der Voraus-
'ung, dass die Hände mindestens 5 Minuten, wie üblich,
der Lösung ausgiebig gebürstet werden. Gegenüber
i imat, dessen bakterizides Vermögen in 1 prom. Lösung
| neueren, in unserem Institut bestätigten Untersuchungen
äerordentlich überschätzt wird, bietet Grotan noch den
'eil, dass es Metalle nicht angreift.
Die Handelspackung mit 12 'Tabletten ä 1 g wurde bisher
y E— verkauft. Auf unsere Anfrage teilt uns die her-
.nde Firma mit. dass sie für Kriegszwecke je 1000 Grotan-
' tten ä 1 g in Blechdosen lose verpackt zum Extrapreis .
von 15 M. abgibt; 1 Liter 0,4 proz. Grotanlösung kostet dem¬
nach 6 Pf.
.... Ersatz des flüssigen Alkohols zur chirurgischen
landcdesinfektion kann die feste Alkoholseifenpasta „Fcst-
alkor der chemischen Fabrik Dr. L. C. Marquart in
euel a. Rh. empfohlen werden. Je drei der zylindrischen
b ucke Alkoholseife im Gesamtgewicht von ca. 17 g, deren
Alkoholgehalt nach Untersuchungen in unserem Institut im
urclischnitt 80 Proz. beträgt, sollen laut Gebrauchsanweisung
nach Beendigung des Waschens mit Wasser und Seife eines
nach dem anderen mit den noch feuchten Händen zerdrückt
und sorgfältig verrieben werden. Ein Vorteil ist hierbei, dass
ue 1 rozedur eine gewisse Zeit (4 — 6 Minuten) beansprucht,
folglich die Desinfektionsdauer automatisch reguliert wird.
^ie vorausgehende Waschung mit Wasser darf nicht
unterbleiben, da erst die an den Händen haftende Wasser-
nienge mit dem Alkohol des Festalkols eine bakterizide Alko¬
holverdünnung ergibt; absoluter Alkohol ist bekanntlich
gegenüber trockenen Mikrobien wirkungslos. Bei Ein-
naltung der Gebrauchsanweisung und der bezeichnten Menge
. ilkoholseifenpasta ist die bakterizide Wirkung von Festalkol
eine sichere und rasche. Wir haben uns in zahlreichen, ander-
warts bereits veröffentlichten Versuchen davon überzeugt,
dass Wuchsformen auch widerstandsfähiger Keime (resistente
btaphylokokken) schon innerhalb 34 Minute abgetötet werden.
as Hygienische Institut hat daher dem bayer. Ministerium
restalkol als Ersatz des flüssigen Alkohols für die Heb¬
ammenpraxis empfohlen, ohne im übrigen den weiteren vor¬
geschriebenen Akt der Händedesinfektion — Bürsten der
Hände mit Lysollösung — fallen zu lassen.
In neuester Zeit sind auch von anderer Seite so günstige
V ei Suchsergebnisse über die Desinfektionswirkung dieses Prä¬
parates in der Fachpresse publiziert worden, dass man im
Zweitel sein könnte, ob es überhaupt unerlässlich sei, der
Alkoholbehandlung noch die Anwendung eines weiteren Des¬
infektionsmittels folgen zu lassen. Manche Autoren erachten
ui der lat die durch die Alkoholseifeneinwirkung erzielte
1 »esinfektion der Hände für ausreichend und lassen die Hände,
um sie von dem anhaftenden Seifenüberzug zu befreien, nur
noch in sterilem Wasser abspülen. Von anderer Seite wird
als ein Nachteil einer derartigen ausschliesslichen Alkohol-
seifendesinfektion gerügt, dass die Desinfektion der Unter¬
nagelräume und Nagelfalze unzureichend bleibe, da beim Ge-
brauch des Festalkols auf die unterstützende mechanische
Wirkung des Bürstens — im Gegensatz zur Anwendung
flüssigen Alkohols — verzichtet werden müsse. Allerdings
sind die Nagelräume überhaupt sehr schwer zu desinfizieren;
die Schwierigkeit, eine Desinfektionsflüssigkeit mit allen, auch
den in der Tiefe liegenden Keimen der Haut mit Sicherheit
in Kontakt zu bringen, ist der wunde Punkt aller Händedes-
infektionsverfahren — der Hauptgrund dafür, dass der mo-
derne Chirurg über die möglichst sorgfältig desinfizierten
Hände schliesslich sterile Gummihandschuhe überzieht. Immer¬
hin sind auch wir der Meinung, dass man sich, von Notfällen
abgesehen, nicht auf die Desinfektion mit Alkoholseife — so
Vorzügliches sie nach unseren Versuchen leistet — be¬
schränken sollte, sondern halten es im Interesse der Sicherung
des beabsichtigten Desinfektionseffektes für nötig, im An¬
schluss an die Einwirkung der Alkoholseifenpasta die Hände
mit einer geeigneten Desinfektionslösung unter üblicher An¬
wendung einer Bürste zu behandeln.
Für diesen Zweck kann die 0,4 proz. Grotanlösung ge¬
wählt werden. Es ist hierbei jedoch erforderlich, die an den
Händen nach Anwendung von Festalkol noch haftende Seife
zuerst mit bakteriologisch einwandfreiem (abgekochtem)
Wasser abzuspülen, ehe Grotan benutzt wird, damit die
Grotanlösung nicht seifenhaltig wird. Wir fanden nämlich,
dass die Wirksamkeit einer 0,4 proz. Grotanlösung, welche
widerstandsfähige Staphylokokken innerhalb einer Minute, im
ungünstigsten Falle nach 3 Minuten abtötet, durch Zusatz von
3 Stück Alkoholseife pro 1 Liter soweit herabgesetzt wird,
dass die Abtötung nach 3, im ungünstigsten Falle erst nach
5 6 Minuten vollendet ist. In Grotanlösungen höherer Kon¬
zentration macht sich die desinfektionsvermindernde Wirkung
dieser Seifenmenge immer weniger geltend; jedoch ruft eine
2018
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Woclicnscliriit.
Nr. 39.
0,5 proz. Grotanlösung hei Anwesenheit der bezeichneten
Seifenmenge schwache Reizwirkungen auf der Haut empfind¬
licher Personen hervor.
Sollte es mit Rücksicht auf Zeit und Wassermangel einmal
nicht durchführbar sein, die Hände nach der Festalkol-
anwendung in Wasser abzuspülen, so kommt als Ausweg in
Betracht: Desinfektion der seifenbedeckten Hände in
g lös seren Mengen, mindestens in \A Litern Grotan-
lösung, da die desinfektionsvermindernde Wirkung der Seife
um so geringer ausfällt, je kleiner die Seifenmenge im Ver¬
hältnis zur Menge der Grotanlösung gewählt wird. Auf Grund
unserer Versuchsergebnisse könnte die Kombination der Fest¬
alkoleinwirkung mit der Grotandesinfektion für solche Fälle
in der Weise empfohlen werden, dass die zur Händedesinfek¬
tion zu benutzende Menge der Grotanlösung mindestens
VA Liter beträgt. Der hierbei eintretende Seifengehalt
setzt einerseits den Desinfektionseffekt nicht wesentlich herab
und ist andererseits sehr wertvoll, da er die Grotanlösung, die
wie jede wässerige Lösung von der Haut abrollt, vorzüglich
b e n e t z e n d macht, so dass die Testierende Grotanwirkung
eine tiefer reichende wird, als ohne den Seifenzusatz. Fest-
alkol und Grotan können sich also bei geeigneter Anwendung
auf das willkommenste ergänzen.
Die gegenwärtige Handelspackung besteht in Glasröhren,
welche die zur einmaligen Hände- und Unterarmdesinfektion
erforderlichen 3 Stück Festalkol unter luftdichtem Verschluss
enthalten. Je 100 solche Röhrchen Festalkol werden für
Kriegszwecke zum Preis von M. 15. — abgegeben Für eine
Reihe Verwendungsarten des Heeresgebrauches wird auf eine
derartige Einzelverpackung im Interesse der Verbilligung ver¬
zichtet werden können. Auf unsere Anregung ist die her¬
stellende Firma bereit, billigere Massenpackungen zu liefern,
Flaschen mit je 110 Stück Festalkol zum Preise von M. 3.50,
so dass eine Desinfektion mit 3 Stücken auf ca. 9A Pf. zu
stehen käme; bei Rücksendung der Flaschen, die als „Leergut,
schon gefüllt die Bahn passiert“ versandt werden müssten,
will die Firma 25 Pf. für jede Flasche vergüten. Die Flaschen
sind mit einem eingeschliffenen Glasstopfen versehen, der mit
Lanolin eingefettet, fest zugedreht und mit einem Lack über¬
zogen ist. Nach Oeffnung der Flasche muss natürlich der
Glasstopfen sorgfältig eingedrückt und zugedreht werden,
damit der Alkoholgehalt der nicht benutzten Festalkolstiicke
erhalten bleibt.
Sparsam mit Ueberseedrogen!
Von Walther Straub in Freiburg i. Br.
Die wichtigsten Medizinaldrogen kommen aus Ländern,
mit denen wir zurzeit keine Verbindung haben und auf Wegen,
die zu betreten die Produzenten das Risiko nicht gerne auf sich
nehmen werden. Was noch nicht im Lande ist, wird schwer¬
lich mehr bis auf weiteres hereinkommen, denn auch die Liefe¬
rung durch neutrale Länder ist keine sichere, sie haben zum
Teil, wie z. B. die Schweiz, jetzt schon Ausfuhrverbot für die
wichtigsten Medikamente.
Inwieweit sich daraus für uns eine Kalamität entwickeln
kann, ist zurzeit nicht ersichtlich. Dass unser Heer mit dem,
was es in einem noch so langen Kriege braucht, ausreichend
versehen ist, darf als sicher angenommen werden, um so mehr
als jetzt auch die belgischen u. a. Bestände zugänglich sind.
Inwieweit aber die Versorgung des zivilen Restes von Deutsch¬
land allen Möglichkeiten gerecht werden wird, ist eine andere
Frage. Man wird die Notwendigkeit, sie zu lösen zunächst
durch rationelle Sparsamkeit hinauszuschieben trachten.
Wir Deutschen befinden uns in einer vergleichsweise
günstigen Lage dadurch, dass wir die leistungsfähigste pharma¬
zeutisch-chemische Grossindustrie der Erde besitzen. Dieser
glückliche Umstand sichert uns einmal als alleinigen Abnehmern
die Vorräte der Fabriken und Grossdrogenhäuser, denn Export
findet nicht statt, und andererseits hat uns eben diese Industrie
eine Fülle von Ersatzmitteln durch chemische Synthese ge¬
schaffen, deren Verwendung gerade jetzt eine erfreuliche
Schonung der unentbehrlichsten Ueberseedrogenbestände er¬
möglicht. Die Elemente dieser Synthesen bekommen wir in
beliebigen Quanten Im Lande, z. B. Benzol aus den Koke¬
reien, Salpetersäure aus Luft, Chlor aus den Salzlagern, kurz
dieser Teil der pharmazeutisch-chemischen Industrie ist boden¬
ständig.
Die folgende Zusammenstellung bezieht sich auf die wich¬
tigeren Ueberseedrogen der Pharmakopoe, bei denen die Mög¬
lichkeit besteht, dass sie im Laufe eines längeren Krieges knapp
werden könnten. Da der Arzt in Friedenszeiten keine Ver¬
anlassung hat, sich mit der Provenienz seiner Medikamente zu
beschäftigen, halte ich es für angebracht, auf diejenigen hin¬
zuweisen, mit denen sparsam umzugehen jedenfalls angebracht
ist. Ich bemerke, dass solche Mahnung für Drogen überflüssig
erscheint, von denen wir Bestände für mindestens ein Jahr
im Lande haben, inwieweit dies bei den einzelnen der Fall ist.
entzieht sich meiner Kenntnis, und für manche der folgenden
Aufzählung ist die Mahnung vielleicht überflüssig. Ich wäre
den Fabriken und Grossdrogenhäusern dankbar für Mitteilung
ihrer Bestände an Ueberseedrogen, unter der Voraussetzung,
dass ich sie zur weiteren Aufklärung an dieser Stelle ver¬
werten darf.
Aloe kommt aus Südafrika, wird von den Pillen konsumieren¬
den Engländern so geschätzt, dass sie dieses Abführmittel sicher
zurückhalteri werden. Als Ersatzdroge mit nahe verwandtem wirk¬
samem Bestandteil (Anthrachinonderivaten) könnte Cortex frangulac
in Frage kommen. Neuerdings ist unter dem Namen Istizin ein syn¬
thetisches Anthrachinonderivat mit Abfiihrwirkung in den Handel ge¬
bracht worden. Etwas andersartig, aber auch hierhergehörig, ist
die Wirkung des Phenolphthalein (Purgen etc.).
B a 1 s a tn u rn peruvianum stammt aus Südamerika. Bei
seiner grossen Bedeutung als kriegschirurgisches Mittel zur Anregung
der Wundheilung empfiehlt es sich, ihn für diese Indikationen zu
reservieren. Skabieskuren können auch mit Styrax gemacht werden
Es existieren eine Reihe von „Kunstbalsamen“ und Ersatzmitteln,
die wohl alle im wesentlichen Bestandteil Zimtsäureester in balsam-
ähnlichen Vehikeln enthalten, z. B. Peruscabin, Peruol. Diese können
synthetisch gemacht werden, ob sie ein vollwertiger Ersatz des
Perubalsams als Wundmittel sind, entzieht sich meiner Kenntnis.
Also jedenfalls sparsam mit Perubalsam.
C a m p h o r a. Da der künstliche Kampfer ebenso wirksam ist
wie der natürliche und zudem Kampfer wegen seiner riesigen Ver¬
wendung in der Technik in grossen Beständen vorhanden ist, wird
das kleine, medizinisch verwendete Quantum immer vorhanden sein.
Chinin. Der Stapelplatz für Chinarinde ist Amsterdam, die
Mehrzahl der Chininfabriken sind in Deutschland, an Chinin und
seinen sämtlichen Abkömmlingen wird also kein Mangel sein.
Cocain wird wie Chinarinde via Amsterdam importiert, jedoch
nicht ausschliesslich. Wenn auch die Fabriken grosse Bestände
haben werden, so ist hier eine Erschöpfung der Vorräte denkbar. Da^
Unglück ist indessen nicht gross, da synthetisch mehr als nötig
Ersatzmittel hergestellt werden. Man denke an Eukain, Novokain.
Alypin uam. Ebenso an die wasserunlöslichen anästhesierenden
Wundstreupulver wie Anästhesin, Orthoform etc.
C o d e i n vergl. Morphin.
Coffein wird in grossem Umfange synthetisch aus Harn¬
säure u. a. hergestellt, ist also stets zu haben, das Gleiche gilt %
Theobromin, Diuretin, Theocin.
Cortex Condurango wird als amerikanische Droge wohl
knapp werden, doch liegt bei der Bedeutungslosigkeit des Medi¬
kamentes nicht viel daran.
Cortex Simarubae. Von diesem Ruhrmittel, das wichtig
werden könnte, sollen grosse Lagerbestände vorhanden sein.
Cubeben kommen aus holländischen Kolonien. Die Zahl der
Antigonorrhoica ist so zahlreich, dass keine Verlegenheit aufkommeti
wird
Diazatylmorphin s. Morphin.
Flores Cinae s. Santonin.
Flores Kos so aus Abessinien sind wenig eingebürgert und
haben in den Präparaten aus Filix mas erprobte Stellvertreter.
Folia Sennae stammen aus Südindien, neue Zufuhren sind
nicht zu erwarten. Ueber die Grösse der Bestände habe ich keine
Vermutung. Wegen Ersatz vergl. oben bei Aloe.
Gummi arabicum wird zwar nicht mehr importiert werden,
kann aber leicht der Technik entnommen werden.
Hydra stininum wird jetzt synthetisch dargestellt.
.1 o d u m ward zwar importiert, doch ist seine technische Ver¬
wendung eine so ausgedehnte, dass die für medizinale Zwecke be¬
nötigten Mengen beschafft werden können.
Kamala wie Flores Kosso.
Morphinum hydrochloricum wie alle anderen Opium-
alkaloide und deren Abkömmlinge werden unbedingt knapp werden
Die Ernte wäre jetzt ungefähr importreif. Alle neutralen Länder
sichern sich ihre Bestände durch Ausfuhrverbote. Vielleicht er¬
möglicht die weitere Entwicklung der Lage am Balkan einmal die
Einfuhr der in Kleinasien angestapelten Bestände. Mit dieser Droge
muss also unbedingt rationell gewirtschaftet werden. Man reser-
). September 191-4.
Feldärztlichc Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2019
ere Morphin fiir seine Hauptindikation, die Schmerzstillung, ver-
dne die richtigen Dosen und bedenke, dass verzettelte kleine Dosen
_hts nützen, eher exzitieren. Für reine Schlafwirkung sind eine
hr grosse Menge von synthetischen Schlafmitteln, Chloralhydrat,
:ronal, Neuronal etc. vorhanden. Die schmerzbetäubende Wirkung
s Morphins ist durch keine andere Substanz zu erzielen. Morphin
unersetzlich. Ebenso Codein.
Oleum R i c i n i wird zwar zum grössten Teile in Indien pro¬
ziert, doch ist auch Italien ein ansehnlicher Lieferant, endlich be-
zt auch die Technik der Lackfabrikation grosse Mengen des Oelcs,
ndercr Qualität allerdings, doch im Notfälle noch fiir therapeutische
vecke zurichtbar.
Oleum Santali aus Indien. Vermutlich grosse Bestände in
,‘utschland auf Lager.
Opium wie Morphin. Als Ersatzmittel bei Durchfällen Tann-
lin, Bolus alba.
Physostigminum aus der afrikanischen Kalabarbohne.
egtn der starken Wirksamkeit und der einseitigen Verwendung
rften die Bestände ausreichen.
Pilokarpinuin vielleicht wie Physostigmin.
Radix Ipekakuanhae aus Brasilien. Die Droge ist ein
tropische Dysenterie bewährtes Medikament; sie könnte von
tueller Bedeutung werden, wenn uns diese Krankheit eingeschleppt
:rden sollte. M. W. war die Droge immer knapp, über die Grösse
r jetzigen Bestände bin ich nicht orientiert. Bei Bakteriendysenterie
id man sich nicht mit Versuchen mit Ipekakuanha oder Emetin
fhalten. Bolus alba innerlich, wie auch Klysmen von 0,5 proz.
tr. salicylicum werden neuerdings empfohlen. Bei Amöben-
scnterie ist auch an Chininklysmen zu denken.
Radix Sarsaparillae und
Radix S e n e g a e wie Cortex Condurango.
Resina Jalapae aus Mexiko. Eine gleichwertige ein-
imische Ersatzdroge ist nicht vorhanden, zur Not kann Rizinus
er Phenolphthalein verwendet werden (Purgen, Laxin etc.).
Rhizoma Hydrastis vergl. Hydrastinin. Die Droge
mint aus Nordamerika, sie und ihre galenischen Präparate, wie
üdextrakt u. a. können durch das synthetische Hydrastinin ersetzt
:rden.
Rhizoma Rh ei aus China. Der einheimische Rhabarber ist
wirksam. Vergl. oben Aloe.
Santonin um und Flores Cinae ist ausschliessliches
•nopol einiger südrussischer Produzenten, kommt also nicht mehr
Land. Gegen Askariden hat sich neuerdings das Oleum Cheno-
dii anthelminthici sehr bewährt
Sekale cornutum kommt meistens aus Spanien und Russ-
d. Es ist immer ein unsicherer Artikel gewesen nach Wirksamkeit
i Angebot. Geber die Bestände ist mir nichts bekannt. In neuerer
t werden einige im Mutterkorn enthaltene basische Bestandteile
ithetisch hergestellt, z. B. Tyrosinamin (Uteramin). Eingehend er-
•bt sind diese aber noch nicht. Die Hypophysenpräparate haben
<anntlich nicht ganz die Indikationen des Mutterkorns.
Strychnin um nitricum ist wohl in ausreichender Menge
-handen, da der Hauptkonsument, Australien, die fertigen Export-
ngen z. Z. nicht abnimmt.
Styrax aus Kleinasien. Bestände mir unbekannt.
Strophanthin und Semen Strophanthi aus Afrika. Da
h grosse deutsche Fabriken mit der Herstellung von Strophan-
l befassen, dürften auch die Strophanthinmengen des Weltexportes
:h zum guten Teil im Lande sein. Bekanntlich sind Folia Digitalis
1 deren Abkömmlinge kein gleichwertiger Ersatz für Strophanthin
1 umgekehrt. Speziell in der militärärztlichen Therapie wird die
avenöse Injektion von Strophanthin (0,001 g in 1 ccm) oft indiziert
i, da sie ihren Effekt sofort schafft, während man bei Digitalis mit
er vielstiindigen Inkubation rechnen muss. Das neuerdings ein-
ührte Cymarin dürfte dem Strophanthin gleichartig wirken.
Tropacocain vergl. Cocain.
Die Angaben beziehen sich nur auf die offizinellen Drogen
Pharmakopoe. Die nicht erwähnten Pharmakopöedrogen
d entweder bedeutungslos oder leicht beschaffbar. Meine
gaben sind unverbindlich, da ich mir eingehende Informa-
ten bei den jetzigen Zeiten nicht vorher verschaffen konnte.
Zur Seuchenprophylaxe.
n Dr. Franz Rosenthal in Berlin (Krankenhaus
Friedrichshain).
In letzter Zeit wurde vielfach darauf hingewiesen, dass
e Seuchengefahr kaum bestehe, denn erstens sei die Grenze
Jen Russland, von wo jetzt die Gefahr der Cholera droht,
arfer abgesperrt als je zuvor, ferner hätten wir die Schutz-
•fung gegen Cholera und Typhus und drittens hätte auch
hrend der vorjährigen Epidemien in Russland die Cholera
Grenze nie überschritten.
Alle diese Gründe sind aber durchaus nicht stichhaltig,
ii einer Grenzabsperrung kann gar keine Rede sein, im
Gegenteil war die Grenze niemals freier als jetzt, wo ständig
unsere Truppen in Feindesland einmarschieren und ständig
russische Deserteure und Gefangene die Seuche mit nach
Deutschland bringen können. Auch ist es nicht ausgeschlossen,
dass unsere Truppen durch Einrücken in verseuchte Orte in¬
fiziert werden. So soll in Sosnowice, das jetzt in unseren
Händen ist, eine starke Typhusepidemie *) geherrscht haben
und die Cholera kann durch die russische Mobilmachung aus
den schon vor dem Kriege bekannten Herden in unsere Nach¬
barprovinzen getragen sein und dort explosionsartig auf-
flackern. Dass sich diese Seuche im Innern Russlands mit
Macht ausdehnt, ist zweifellos; so wurden jüngst in Moskau
in einer einzigen Woche 56 2 Todesfälle an „akuter Magen¬
darmentzündung“ amtlich gemeldet *). Dass Deutschland jetzt
iin Kriegszustand den Seuchen einen viel günstigeren Boden
bietet als während der vorjährigen Epidemien, ist evident und
eine alte Erfahrungstatsache. Was nun die prophylaktische
Seruminjektion anlangt, so ist bekannt, dass diese der Pocken¬
schutzimpfung durchaus nicht gleichwertig ist und eine mehr-
tägige Krankheit mit oft sehr hohem Fieber erzeugt. Eine
Anwendung bei I ruppenteilen, die sofort ins Feld und gegen
den Feind rücken sollen, ist also völlig ausgeschlossen.
Es wäre also verderblich, sich in Sicherheit zu wiegen
und auf den Grenzschutz und die Immunität des Landes zu
bauen; doch ist es durchaus nicht Zweck dieser Zeilen, die
Bazillenangst zu schüren, die während der Balkankriege, wie
ich als Choleraarzt in Bulgarien sah, viele unnütze und über¬
triebene Massnahmen zeitigte. Vielmehr will ich zweck¬
mässige und auch praktisch durchführbare Ratschläge an¬
geben, die ich anderwärts * 2) näher begründet und ausgeführt
habe.
Zu einer wirksamen Bekämpfung der Seuchen hat der
Staat schon viele Schritte getan und wird beim Nahen der
Gefahr sicherlich noch weitere folgen lassen; zu einer erfolg¬
reichen Abwehr ist aber die Mitwirkung jedes einzelnen er¬
forderlich und dazu können besonders die Feldärzte durch
Aufklärung im Heer sehr viel Gutes stiften.
Als persönliche Vorsichtsmassregeln sind anzuraten:
1. Das Vermeiden aller ungekochten Getränke mit Aus¬
nahme von Wein, Bier und natürlichen Mineralwässern.
2. Das Vermeiden disponierender Momente, wie körper¬
licher Exzesse, Genuss von rohem Obst.
3. Das Ansäuern im Notfall doch roh genossener Getränke
(Acid. phosphoric., 20 Tropfen auf K Liter, oder Acid.
citric. 1 Messerspitze auf K Liter).
4. Gründliche Säuberung der Hände mit Wasser und Seife
vor jeder Mahlzeit.
Von staatlichen Massnahmen käme noch in Frage:
1. Aufnahmezwang jedes an profusen Durchfällen er¬
krankten Soldaten in die zur Verfügung stehenden La¬
zarette.
2. Staatliche Beaufsichtigung der Selterwasserfabriken.
(Verbot der Verwendung von nicht gekochtem oder
nicht destilliertem Wasser).
3. Einschränkung des Schnapsausschankes und Sclmaps-
verkaufs.
4. Verbot der Verabreichung von ungekochtem Wasser,
Limonade und Gefrorenem in Cafes, Restaurants und
auf der Strasse innerhalb von gefährdeten Bezirken.
Es ist verständlich, dass wegen der Gleichartigkeit der
Krankheitsübertragung diese Massnahmen für die Prophylaxe
des 1 yphus, der Dysenterie und der Cholera von gleich¬
grossem Wert sind.
Typhus und Dysenterie haben schon im Feldzug von
1870/71 viele Opfer gefordert und schon mit Rücksicht auf
diese beiden Erkrankungen wäre eine frühzeitige Isolierung
und klinische Behandlung aller an Durchfall erkrankten Sol¬
daten ein erstrebenswertes Ziel.
') Aerztl. Sachverst.Zts. 1914 Nr. 16.
2) M.KI. 1914 Nr. 35.
2020
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 39.
Ein improvisierbarer Gipstisch.
Von Dr. R. Pürckhauer, Stabsarzt im Reservelazarett
Fürstenfeldbruck.
Einen ideal einfachen, in jedem Lazarett und Verbandplatz
leicht in einigen Minuten improvisierbaren Gipsverbandtisch
habe ich mir auf meiner Abteilung des hiesigen Reservelaza¬
rettes hergestellt.
Von einer überall in Benützung stehenden einfachen Tragbahre
entferne ich das Scgelleinen, auf welchem die Verwundeten sonst
liegen, mit Ausnahme des Kopfteiles, spanne einen ebenfalls im Felde
in Benützung stehenden breiten Trägergurt quer vor einer Längs¬
stange zur anderen kräftig an. Auf diesen Quergurt wird der Ver¬
wundete mit dem Becken gelagert, während das Bein auf einen
zweiten Quergurt gelegt wird; der Verband wird ohne Rücksicht
auf den Quergurt angelegt. Nach Fertigstellung des Qipsverbandes
lässt sich der Gurt ohne Mühe aus dem Verband ziehen. Zur
Extension an der Extremität wird eine Riedel sehe Schlinge über
dem Fussrücken angelegt; der grosse freie Raum zwischen den
Längsbalken lässt Züge zur etwaigen Korrektion in jeder Richtung zu.
Ist man gezwungen einen starren Verband zur Fixation der
Wirbelsäule anzulegen, so entfernt man von der Tragbahre auch
noch den Kopfteil und spannt einen zu den Quergurten senkrecht
verlaufenden Längsgurt von einem Querbalken zum anderen, den man
nach Anlegung des Verbandes ebenfalls aus demselben ziehen kann.
Die Tragbahre wird, um das lästige Arbeiten in der Tiefe zu
vermeiden, auf 2 Stühle gestellt.
Die Vorteile des von mir angegebenen Verbandtisches liegen
in der grossen Einfachheit, der raschen Improvisationsmöglichkeit,
der ungehinderten freien Arbeitsmöglichkeit und der ideal einfachen
Beckenstütze.
Beiliegende Abbildung zeigt den einfachen Gipstisch.
Der Wert des Feldbausch-Rothschen NasenöfFners
im Kriege beim Ansaugen der Nasenflügel.
Von Sanitätsrat Dr. Franz Bruck in Berlin-Charlottenburg.
Eine häufige, aber recht oft übersehene Ursache
behinderter Nasenatmung ist das inspiratorische A n s a u g e n
mehr oder weniger schlaffer Nasenflügel gegen das
Septum, und zwar namentlich bei kräftigeren Atemzügen.
Dieses Leiden, das entweder für sich allein auftritt oder zu¬
sammen mit einer besonders durch Verbiegung
oder Verdickung des Septums erzeugten Stenose
im Naseninnern, wird sehr leicht durch den von
Feldbausch angegebenen, von Roth etwas
modifizierten Nasenöffner (s. Abb. 1) ge¬
hoben, natürlich nur so lange, wie dieser Apparat Abb i.
seine Wirkung auf die Nasenflügel ausübt.
Die E i n f ü h r u n g des Nasenöffners geschieht in der
Weise, dass man die beiden Knöpfchen vorn in die hinter der
Nasenspitze verborgenen Taschen bringt und dann unter
lieben des ganzen Instrumentes den queren Bügel so nach
hinten dreht, dass sich dessen nach unten abgebogener Teil
der Oberlippe anschmiegt (s. Abb. 2). Der kleine Apparat
muss dann genau in der Mittellinie liegen und darf nicht nach
einer Seite hin abweichen. Er muss ferner so fest sitzen, dass
eine Verschiebung bei Kaubewegungen ausgeschlossen ist.
Zur leichteren und schmerzlosen Einführung ist das Instrument
mit einer indifferenten Salbe mässig einzufetten. Eine kurze
Unterweisung durch den Arzt setzt den Patienten in den
Stand, den Nasenöffner jederzeit eigenhändig einzulegen. In
der Regel aus Silber hergestellt — Preis Mk. 1.25 oder 1.50 —
wird er von den meisten Instrumentenmachern in 3, von
einigen in 5 Grössen in den Handel gebracht. Gewöhnlich
kommt die mittlere Grösse zur Verwendung. Hat man die
für die Nase geeignete Nummer ausgewählt, so muss man sie
häufig noch besonders für den vorliegenden Fall passend zu¬
rechtbiegen. Die richtige Biegung zu finden, gelingt jedoch
nicht immer beim ersten Versuch. In wenigen Tagen aber
kommt man damit zum Ziel. Je nachdem der
Apparat drückt oder herausfällt, muss er ent¬
sprechend anders gebogen werden. Auch muss
sich der Kranke an diesen Fremdkörper erst all.
mählich gewöhnen wie an eine Zahnprothese.
Drückt der Nasenöffner anhaltend, so ist er
natürlich zu entfernen. Etwaige Druckspuren
müssen mit einer Salbe beseitigt werden, ehe
man wieder die Einführung vornimmt. Wichtig
ist die jedesmalige Reinigung nach dem Ge¬
brauch. Wird sie versäumt, so trocknet dae
am Instrument haftende Nasensekret daselbs;
fest an und verursacht durch seine Härte beim
Einlegen des Nasenöffners Schmerzen und auch
Läsionen. Der Apparat muss ferner vor dem
Verbiegen (Zusammendrücken) geschützt wer¬
den, namentlich wenn er sich vorübergehend
ausserhalb der Nase befindet. Beim Schneuzen ist er natürlich
herauszunehmen, nicht dagegen beim Essen.
Jeder Feldarzt kann nun leicht durch blosse äussere
Inspektion das Ansaugen der Nasenflügel diagnosti¬
zieren, wenn er den Patienten tief und kräftig durch die
Nase bei geschlossenem Munde inspirieren, also das tun lässt,
was bei körperlichen Anstrengungen geschieht. Er kann sich
auch dann sofort, besonders im Zweifelsfalle, von der Not
wendigkeit und Leistungsfähigkeit der einzuschlagenden
Therapie überzeugen, wenn er die Nasenflügel während der
Einatmung mit seinen Fingerspitzen von der Nasenscheide¬
wand leicht abzieht und dadurch im Augenblick eine freiere
Inspiration ermöglicht. Nur wenn neben dem Ansaugen der
Nasenflügel noch eine totale Stenose im Naseninnern besteht,
wird die eben angegebene Manipulation dem Kranken nichts
nützen, also das Einlegen eines Nasenöffners überflüssig sein.
Die durch das Ansaugen der Nasenflügel er¬
schwerte Nasenatmung zeigt sich bekanntlich in
einem grossen Teil der Fälle nur bei tiefer Lage des Kopfes,
also im Bett (weil sich hierbei die Schwellkörper der Nasen¬
muscheln allzuleicht mit Blut füllen und dadurch eine oder
beide Nasenseiten verstopfen, wobei also zu dem schon vor¬
handenen noch ein neues Hindernis für die nasale Atmung
tritt), und ferner bei stärkeren körperlichen Anstrengungen,
wo die Atmung eine vermehrte Luftmenge erfordert, die die
verengte Nase nicht aufzunehmen imstande ist. Sie macht sich
also im Frieden in der Regel nicht am Tage bemerkbar, so
dass also der Apparat, da er sichtbar ist, glücklicherweise
für den Patienten in Friedenszeiten fast nur nachts in Frage
kommt. Im Felde dagegen mit seiner beträchtlich erhöhten
Inanspruchnahme der Körperkräfte tritt das Atmungshindernis
beim Ansaugen der Nasenflügel auch am Tage recht häufig
und recht lästig auf. Im Kriege sind auch naturgemäss die
bekannten schädlichen Folgen der Mundatmung für die oberen
und tieferen Luftwege weit verhängnisvoller als im Frieden.
Dazu kommt, dass das sichtbare Instrument im Felde keinen
Anstoss erregt. Und darum ist hier der Nasenerweiterer nach
Feldbausch-Roth ein unentbehrliches Hilfsmittel für
die Leistungsfähigkeit des mit dem Ansaugen der Nasenflügel
behafteten Soldaten und sollte bei der Häufigkeit dieses Lei¬
dens und der Leichtigkeit der Diagnose seiner prompten Wir¬
kung wegen ausgiebige Verwendung finden.
Ein Wort zugunsten der Behandlung des Operations¬
feldes durch Firnisse.
Von Dr. Linken he’ld in Barmen.
In der Abhandlung über „Die Behandlung der Schusswunden ini
allgemeinen“ in Nr. 32 d. W. (F. Beil. Nr. 1) findet sich der Satz: ,J>
genügt der einfache Anstrich der Wundumgebung mit Jodtinktur, der
sich besser bewährt hat, als die Verwendung von Mastixlösung oder
anderer Mittel, die den Schmutz der Haut fixieren sollen.“ Das eine
schliesst das andere aber nicht aus. Ich bediene mich beider Mine
zu gleicher Zeit, und zwar in folgender Weise; Zuerst Jodanstricn
und darauf Bepinselung der jodierten Stelle gegebenen Falles noen
9. September 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, nied. Wochenschrift.
eit darüber hinaus mit der Heusner sehen Klebeflüssigkcit, die
ilgcnde Zusammensetzung hat:
Aether. sulf.
Colophon. all 50,0
Terebinth. Venet. 1,0
Auf den mit diesem Klebestoff versehenen Hautabschnitt wird
ne einfache Schicht Verbandmull gelegt und mit Tupfern fest-
■strichen. Die V erklebung des Mulls mit der Haut ist eine durch-
is feste und diese Festigkeit verliert nichts auch bei lange dauern-
n Operationen. VVill man sie nach Vollendung derselben — was bei
eptischen Operationen nicht nötig ist — entfernen, so muss man die-
lbe Gewalt anwenden, wie bei gut klebendem Leukoplast. Auch an
n Wundrandern — der Mull wird zugleich mit der Haut durch-
hmtten — ist die Verklebung eine innige. Die Haut ist auf diese
eise ausgeschaltet. Die Sicherheit lässt sich noch erhöhen, wenn
an an Stelle des maschigen Mulls Nesselstoff wählt. Man muss
nn aber den Nachteil mit in den Kauf nehmen, den ersten Schnitt
_ht so gut übersehen zu können. Bei infizierter Haut könnte man
ch Guttaperchapapier verwenden, das sehr gut anklcbt Ich bin
er auch in diesen Fällen mit Mull ausgekommen
Das Firnissen hat 2 Vorteile:
1. es fixiert den Jodanstrich und
2. es fixiert den abdeckenden Stoff unverrückbar fest auf der
Haut.
Dass letzteres vorteilhaft, beiarf keines Beweises.
Bezüglich des ersten Grundes führe ich die Tatsache an, dass
r blosse Jodanstrich ohne Fixierung durch Firniss nicht lange vor-
1t, am ende auch nicht lange dauernder Operationen ist von ihm
mig oder nichts mehr zu sehen.
Bei Bauchoperationen ist es jedenfalls nicht erwünscht, Jod in
Bauchhöhle gelangen zu lassen. Man kann den Einwand erheben,
. -ache sei besonders für den Feldarzt durch das Mitführen zweier
ttel kompliziert. Die Tatsache jedoch, dass sich das Heusner-
’f Mittel sehr gut mit Jodtinktur mischen lässt, ohne in seiner
Jbekraft beeinträchtigt zu werden, macht auch dieses Bedenken
ifällig
Schädigt dasselbe die Haut nicht? Ich habe bis jetzt in keinem
Ile eine Schädigung beobachtet; wohl aber bei anderen harzigen
schungen, z. B. Mastix, Chloroform und Leinöl.
Die Zahl der Chirurgen, welche Jodtinktur für die Herrichtung
; Operationsgebietes als ausreichend ansehen. ist keine geringe.
selbst habe aus Gefühlsgründen die Haut vorher mit feuchten!
ht nassen Benzintupfern abgerieben. Niemals aber gebrauche ich
hr warmes Wasser und Seife. Benzin entfernt den Schmutz minde-
ns ebenso gut wie ersteres, es hat nicht den Nachteil, die Haut
quellen zu lassen und die Keime aus der Tiefe nach der Ober-
:he zu locken.
Warmes Seifenwasser und hauthärtende Mittel sind geradezu
tagonisten.
Ich habe früher beobachtet, dass Jodtinktur auf mit Wasser vor-
landeiter Haut Dermatitis erzeugte. Beim Vorhandensein von
inden hat die Wasserbehandlung den schwer zu vermeidenden
enteil der Verunreinigung der ersteren durch die Flüssigkeit
Aus diesem Grunde habe ich vorhin betont, dass ich mich feuch-
und nicht nasser Benzintupfer bediene. Ohne Veränderung der
stigen aseptischen Massnahmen hat sich seit Anwendung des Ver-
rens die Heilung der Operationswunden, besonders derjenigen der
tchdecken, in sinnfälliger Weise gebessert.
2 Darmresektionen bei schwer infizierten Bauchdecken (Köt¬
el) zeigten durch reaktionslosen Verlauf, dass das Verfahren ge-
Auch bei der Herrichtung meiner Hände und Arme bin ich denen
3lgt. die ein abgekürztes Verfahren befolgen. Das F ü r b r i n -
r sehe Verfahren vertrugen meine Hände nicht gut. Die Haut
uppte mächtig ab und wurde rauh. Es ist nun Binsenwahrheit,
s in rauher Haut leichter Schmutz und damit Infektionserreger
i festsetzen und dass diese sich schwerer entfernen lassen als
glatter. Es ist ferner einleuchtend, dass die Schuppen eine recht
lhrliche Beigabe sind. Ich vermeide aus diesem Grunde die
chen scharfen Handbürsten. Ich wickle dieselben in Frottiertuch
das vorzüglich mechanisch reinigt. Ich vermeide damit auch eine
letzung des Unternagelraumes durch die Borsten, die schon man-
m Chirurgen verhängnisvoll geworden ist.
Um eine Quellung der Haut zu vermeiden, wasche ich nur ganz
7- mit Wasser. Wenn es die Zeit erlaubt, lasse ich bis zu der
enden Zurichtung % Stunde vergehen. Darauf folgt Waschen
^eitenspiritus 5 Minuten lang und zuletzt Eintauchen in 1 proz.
Spiritus.
Im Felde, wo alles auf Einfachheit ankommt, wird man sich auf
spiritus beschränken können, der bakterizide Kraft und die Fähig-
. die Keime zu fixieren, in sich vereinigt. Das Heusner sehe
benzin haben meine Hände nicht vertragen.
Sobald der Jodspiritus verdunstet ist, ziehe ich Gummihand-
ihe an. Abgesehen von allen anderen Vorteilen schätze ich die-
en deswegen hoch, weil die Hände während der Operation nicht
inreinigt werden. Besonders auf der Haut eingetrocknetes Blut
t sich nur mühsam entfernen. Ferner werden die Finger vor
issen bewahrt, die beim Schürzen der Fäden entstehen. Aus
erem Grunde würde ich, wenn Mangel an Gummihandschuhen
"eten sollte, Fingerlinge aus Kondomgummi gebrauchen.
2021
•t ^llt. Vorteil habe ich als Ersatz, einem Vorschläge folgend, ste¬
rile Zwirnhandschuhe gebraucht, welche mit Alkohol durchtränkt
n: ,D4urtch wiederholtes Eintauchen der so behandschuhten
Hände in letzteren während der Operation kann man eine Dauer¬
hartung der Haut erzielen.
Ganz Hervorragendes leistet die Klcbeflüssigkeit beim Verbände
an “"sonstigen Körperteilen, z. B. der Leisten- und Damm¬
gegend, lasst sich ein tadelloser Abschluss erzielen, viel besser als
durch Pilaster.
Referate.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Aus Nr. 35, 1914.
Magnesiuminjektionen.* L"' Bel,a"dlun! des Tc,a"“s s“bk“>»™"
mfnrnni lZ%SChTJen Utld leichteren Fall von Tetanus neo-
natorum hat F. mit den von Meitzer empfohlenen, in Deutschland
eehähr^wrp-f61!?^ n StUbMUt\1?n ,Masnesiuminiektionen guten Erfolg
In iekHnnJn f 1914 S‘ 1704)- Durch intralumbale
Injektionen wurden durch Stadler im Balkankrieg von 5 sehr
senweren Fallen 2 am Leben erhalten und Verf. verspricht sich von
dieser überall anwendbaren Methode im Felde gute Erfolge Als
Tagesdosis können 8— 20 g Magnesiumsulfat gelten; geeignet sind 10
DIS 25 Proz., am wenigsten reizend anscheinend 30— 40 proz Lö¬
sungen. Die Schmerzhaftigkeit wird durch vorherige Gaben von
Lhloral, Pantopon oder Morphium herabgesetzt. Bei der Möglich-
keit, dass nach den Injektionen Atemstörungen auftreten, muss Chlor¬
kalzium (CaCL) zur intramuskulären Injektion (5 proz.) bereit gehalten
werden, das in kurzer Zeit rettend wirkt. Magnesium sulfur. cry-
stallis. puriss. und Oalc. chlorat. crystallis. puriss. können leicht in
siert werden Fe d mitgeführt’ die Lösungen leicht filtriert und sterili-
W.For net- Berlin; Ueber Fortschritte in der Schutzimpfung
gegen Typhus und Cholera.
Die Schutzimpfung gegen Typhus kann dank den Fortschritten
der neueren Zeit durch möglichst schonende Abtötung der Bazillen
bei 53 . ohne erhebliche Gesundheitsstörungen durchgeführt werden
und zwar rmt dem Agarimpfstoff Rüssel ls oder mit dem
Bouillonimpfstoff Leishmans. Der von F o r n e t angegebene, aber
tur die Schutzimpfung noch nicht genügend erprobte eiweissarme
1 yphusimpfstoff verspricht fast vollständige Reizlosigkeit. Die In¬
jektionen, bei denen in 10 tägigen Pausen erst 500, dann 1000 Millionen
nach Le i sh man oder erst 1000 und dann noch zweimal je 2000 Mil¬
lionen Bazillen nach Russell einverleibt werden, erfolgen subkutan
unterhalb des linken Schlüsselbeines oder zwischen den Schulter¬
blättern. Der Erfolg der Schutzimpfung ist nach den Erfahrungen
in der amerikanischen Armee ein sehr guter.
Aehnlich gute Erfolge werden durch die (zweimalige) Cholera¬
schutzimpfung erzielt, bei der gleichfalls die Abtötung durch mög¬
lichst niedrige Temperatur (56 ev. 54°) die Reizlosigkeit der In¬
jektion vermehrt.
\ erf. empfiehlt die möglichst baldige Schutzimpfung wenigstens
aller an grösseren Krankenanstalten tätigen Aerzte und Pflege¬
personen. Die Lieferung der modernen Impfstoffe kann jetzt von
der Industrie kaum in den erforderlichen Mengen geleistet werden¬
vorder Verwendung der älteren, d. i. stärker erhitzten Typhus- und
Choleraimpfstoffe ist dringend zu warnen. Aerztevereinigungen
Krankenhausverwaltungen oder Krankenpflegerverbände sollten die
Herstellung der neueren Impfstoffe bei den chemischen Fabriken an¬
regen oder ev. selbst in die Hand nehmen. B e r g e a t.
Medizinische Klinik. Aus Nr. 33. 1.
Brandenburg: Ueber Versorgung der Verwundeten und
Erkrankten im Kriege.
B. berichtet zunächst über die Einrichtung der Mili-
tärlazarette im Operationsgebiet, indem er uns den
Weg verfolgen lässt, den der Verwundete vom Gefechtsfeld bis zum
Ort seiner dauernden Unterbringung zurücklegen muss.
Die ersten, der kämpfenden Truppe nächsten Lazarette sind die
Feldlazarette. Sie haben die Verwundeten aufzunehmen, die
von den Truppen, den Hauptverbandplätzen oder direkt vom Schlacht¬
feld gebracht werden. Der Aufenthalt dort soll nur so lange dauern,
bis der Zustand des Verletzten den Rücktransport gestattet. Dieser
wird, besonders in der ersten Zeit des Krieges durch die Etappen¬
behörden in der Weise bewerkstelligt, dass zur Entlastung der Feld¬
lazarette jeder Transportfähige möglichst weit ins Innere des Landes
zurückgeschafft wird. In der Marschordnung befinden sich die Feld¬
lazarette bei den Munitionskolonnen des Trains, von wo sie nach Be¬
darf weiter vor, event. bis an das Ende der Truppe selbst, doch nicht
in das unmittelbare Gefechtsbereich gezogen und am zweckmässigsten
in passenden Räumen geeignet gelegener Ortschaften eingerichtet
werden. Naturgemäss werden sie in der Nähe der Hauptverband¬
plätze errichtet. Bei der Wahl des Ortes ist darauf Bedacht zu
nehmen, dass die durchschnittliche Aufnahmefähigkeit für 200 Ver¬
letzte durch Ausnutzung örtlicher Hilfsquellen gesteigert werden
kann und dass bei Auswahl der Häuser nicht in dauerndem Gebrauch
befindlichen Gebäuden, wie Theatern, staatlichen Bauten, Turnhallen,
Fabriken etc. der Vorzug zu geben ist. Dann beginnen sofort die
20 22
Nr. 39
Feldärztliche Beilage zur Münch, tned. Wochenschrift.
IWrichtungsarbeiten : Krankem auinc, \ erbandzimmer, \\ asser, Bet¬
ten, Strohsäcke werden bereitgestellt, Instrumente und Sterilisier-
apparate gerichtet, Oper, tionsraum und Räume zum Sterilisieren der
Verbandstoffe. Röntgcnzimme und Wäschedesinfektionsraum bestellt.
Genügen die vorhandenen Räumlichkeiten nicht, so werden Baracken
oder Zelte errichtet. . _ .
Weiter rückwärts liegen die Kriegs- und ttappenlaza-
rette. Sie dienen dazu, beim Zusammenströmen vieler Verwunde¬
ter, die besonders nach grossen Schlachten in den Feldlazaretten nicht
mehr untergebracht werden können, aufzunehmen und durch Ab¬
nahme transportfähiger Verletzter die Feldlazarette in der Lage zu
erhalten, den Marsch der Truppen immer zu begleiten und in steter
Bereitschaft zu sein. _
Von grosser Bedeutung sind die im Gebiete der Etappen ge¬
legenen Scuchenlazarette. Sie werden an nicht besetzten,
aber in der Nähe der Heerstrassen gelegenen Orten errichtet und nach
den angewandten Grundsätzen der Seucbenhygiene eingerichtet und
geführt. Getrennte Räume für Kranke, Krankheitsverdächtige und
Ansteckungsverdächtige, Möglichkeit leichter Reinigung und Desinfek¬
tion der Krankenräume sind die leitenden Prinzipien. Die Genesenden
werden besonderen Erholungsstätten überwiesen, das Eigentum der
Entlassenen wird desinfiziert. Bakteriologische Untersuchungsstellen
sollen für Verhütung von Krankheitsverschleppung Sorge tragen. —
Vielleicht werden gerade im gegenwärtigen Kriege die Seuchenlaza¬
rette auf dem russischen Kriegsschauplatz segensreich zu wirken be¬
rufen sein.
In der folgenden Abhandlung „Gesundheitsschädi¬
gungen auf dem Marsche“ bespricht Verf. als erste den
H i t z s c h 1 a g. Er erörtert eingehend die bekannten Gründe für
das Auftreten des Hitzschlags und die sich daraus ergebenden pro¬
phylaktischen Massnahmen. Die wichtigste besteht darin, dass eine
locker sitzende oder leicht zu lockernde Kleidung
ein fortwährendes Abströmen der an der Oberfläche erwärmten und
durch Schweissverdunstung gesättigten Luftschichten, sowie ein
Nachströmen frischer, für Wasserdampf noch aufnahmefähiger Luft
gestattet. Eine erhebliche Rolle spielt beim Zustandekommen von
Hitzschlägen der Herzmuskel, was aus den verhältnismässig häufig
zurückbleibenden, organischen sowohl wie funktionellen Herzschädi¬
gungen zur Genüge erhellt. Als kritischer Punkt gilt das Erlöschen
der Scliw'eisssekretion, das zugleich die allgemeine Muskelermüdung,
die Ermüdung des Herzmuskels und der Atemmuskeln anzeigt.
Für die Behandlung sind folgende Gesichtspunkte massgebend:
Anregungsmittel (Kampfer, Aether, Digalen intravenös oder subkutan,
Epirenan subkutan), Kältereize, Lösung beengender Kleidungsstücke,
erhöhte Lage von Kopf und Oberkörper sind angezeigt. Grösste Be¬
deutung kommt dem Aderlass (200 — 300 ccm) zu, der, rechtzeitig vor¬
genommen, lebensrettend wirken kann. Zuführung frischer Luft,
event. künstliche Atmung, O-Inhalationen sind indiziert. Die Wasser-
und Salzverluste werden, wenn eine Flüssigkeitszufuhr per os nicht
möglich ist, durch subkutane oder intravenöse Einführung von iso¬
tonischer Kochsalzlösung und Darmeingiessung mit 0,6 Proz. Koch-
sa'zsodalösung, der auf 1 Liter 1 — 2 ccm Epirenan zuzusetzen sind, er¬
setzt. Harnverhaltung verlangt Katheterismus und lauwarme Bäder.
Reizerscheinungen des Rückenmarks werden in erster Linie wieder
bekämpft durch Aderlass und subkutane oder intravenöse Kochsalz¬
infusion; ausserdem kommen Chloroform, Morphium, Chloralhydrat-
einläufe (4 — 6: 1000,0), Chin. mur. und Veronal ää 0,5, lauwarme
Dauerbäder in Frage. An Hitzschlag Erkrankte sollen noch längere
Zeit überwacht werden, auch bei deutlicher Besserung, weil noch
tagelang nach dem Anfall Kollapse und Krisen eintreten können. K.
Kleine Mitteilungen.
Zur Gesundheitspflege im Heere.
Die gewaltigere und schnellere Kriegsführung der Neuzeit führt
zu immer grösseren körperlichen Anstrengungen des Heeres, zu
immer grösseren Anforderungen an die moralischen Kräfte und das
Nervensystem, zu immer grösseren Entbehrungen an Ernährung,
Nachtruhe, Schutz vor Unbilden der Witterung.
Es ist Tatsache, dass unser Heer heute schon schwer an nötigen
Dingen Mangel leidet, Tatsache, dass mancher Krieger heute schon
kein Hemd hat; anderen Strümpfe, den meisten warme Unterkleider
fehlen.
Der Staat hat bisher vieles der freiwilligen Liebestätigkeit zu¬
geschoben, was diese bei unseren heutigen Massenheeren bei der
grössten Opferwilligkeit des Volkes nicht mehr in vollkommener
Weise leisten kann, schon deshalb, weil s i e nicht schnell und all¬
gemein Jeden ohne Ausnahme gleichmässig versorgen kann.
Es ist Pflicht des Staates, der jene Anforderungen an Körper
und Geist nicht mindern kann, wenigstens zur Erhaltung der Ge¬
sundheit des Heeres alles unbedingt Notwendige zu leisten. Seine
bisherigen Leistungen genügen aber nicht mehr, wenn die Lasten
des Krieges, wie erwähnt, immer ausgedehnter, drückender und für
den einzelnen im Felde Stehenden inmitten der Massen immer un¬
abwendbarer werden.
Zu diesem Notwendigen gehört ausser genügender Nahrung
auch genügende Kleidung und zu dieser nicht nur die Oberkleidung,
Uniform und Schuhe, sondern auch die der Jahreszeit entsprechende
Unterkleidung. Der Staat hätte sic zu liefern nicht nur aus Rücksich
auf den einzelnen Wehrmann, sondern auch in seinem eigenen Inter
esse aus Rücksicht auf die unumgänglichen Forderungen der Ge
siYndheitspflege und die Kampftüchtigkeit des Heeres. Genügend!
Kleidung ist zur Vermeidung von Krankheiten und Epidemien ebenst
nötig wie gesundes Trinkwasser und gesunde ausreichende Nahrung
Er hätte auch Seife u. ä. zu stellen.
Möge das Reich, dem bisher unerhörte Geldmittel zum Kriegt
zur Verfügung gestellt wurden und nach Bedarf wieaer und wiede
gegeben würden, sich seiner Pflicht bewusst, auch in dieser Sack
ein Muster werden. „ , . .
Es brauchte nicht zu fürchten, dass die freiwillige Liebestatig
keit zu kurz käme; ihr bliebe noch ein unbegrenztes Feld zu dank
baren Spenden an das Heer und zur Linderung der Not im Felde un<
daheim. _ _ ^ 0 ' b.
Aus der neueren militärärztlichen Literatur.
Koder empfiehlt nach Klapp die Desinfizierung eiternde
Wunden mit rohem Terpentin; dieselbe ist schmerzlos und mach
keine Nierenreizung. _ _
Chrysospathes empfiehlt bei schweren Wundinfektionen di
Behandlung mit Paraffinum liquidum rein oder mit Zusatz von 2 b.
2.5 Proz. Jodoform.
In der antiseptischen Wundbehandlung wird das Sublimat noc
häufig in zu starken, z. B. 1 prom. Lösungen verwandt; es genüge
vollständig und sind vorzuziehen Lösungen von 1 : 3000 — 5000.
Wiederholt wird empfohlen, zur Wundbehandlung die Jodtinktu
nicht in 10 proz., sondern 5 proz. Lösung zu gebrauchen.
Ein sehr brauchbares Mittel bei Diarrhöen soll Kognak mit ein'
gen Tropfen Jodtinktur sein.
Bgt.
Interne Mittel bei Wundinfektion und Sepsis.
Die folgenden Zeilen sollen ein Mittel wieder in Erinneruiv
bringen, das infolge der Flut neuer Heilmittel bei den meisten Aerzte:
in Vergessenheit geraten ist, und das besonders im Beginne voi
Wundinfektionen, Lymphangitiden. phlegmonösen Entzündungen eine:
raschen Rückgang von Schwellung, Rötung, Eiterung und Fieber
temperatur begünstigt: das sind kleine Gaben von Quecksilber, an
besten in Form leicht löslicher Salze wie HgCls (zur Wegnahm
des metallischen Beigeschmackes in Verbindung mit KJ.) in Gabe
von 0,015- -0,02 pro die, 2—3 — 4 Tage nacheinander; mit abnehmen
der Entzündung kleinere Tagesgaben bis 0,075, die auch länger fort
gegeben werden können; bei stärkerem Fieber vorübergehend bi
0,025 (0,03) Tagesgabe. Zwischen den Einzelgaben etwas Nah
rungsaufnahme, einen Schluck Milch etc. Z. B. Rp. Hydrarg
bichlor. 0,04, Kali jodat. 0,4, Sir. Cort. Aur. 20, Aqu. dest. ad 20f
D.S. 2 stündl , oder 3 stiindl. 1 Esslöffel. Einmal wiederholen.
Diese kleinen Gaben, die weit unter den Maximaldosen Heger
sind bekanntlich auch bei kardialem Hydrops von gutem Erfolg uni
auch bei Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Typhus, Pneuinoni
von guter Wirkung und waren speziell bei Diphtherie vor Einführun:
der Serumtherapie sehr viel angewandt.
Med.-Rat Dr. H. v. H ö s s 1 i n - Landau
Aus Feldpostbriefen.
Aus Feldpostbriefen eines bayerischen Oberarztes d. L.
II.
Am 24. August ritten wir von 10 Uhr vormittags bis 4 Uh
nachmittags ohne Pause und ohne Essen bei grosser Hitze i
Lothringen. Das Haus, in dem wir einquartiert wurden, hatte sich ei
französischer Oberst nicht ohne einen gewissen Aufwand gebaut
Wir wurden freundlich aufgenommen; 2 Tage vorher waren di
Franzosen dagewesen. Ich erhielt ein köstliches Bett, das beste sei
Kriegsbeginn, eine doppelte Wohltat nach den Zeltnächten. Aber acr
um 11 Uhr. als ich eben 2 Stunden fest geschlafen hatte, wurd
alarmiert und um Vs 12 Uhr ritten wir schon in die sternklare, abe
mondlose Nacht hinein, an Wachtfeuern, schweigenden Posten, un
endlichen Wagenkolonnen vorüber. Um 5 Uhr früh waren wir in L
schon längst von mächtigem Kanonendonner begleitet; um 2 Uhr nach
mittags, nach 15 ständigem Ritt, auf unserem vermeintlichen Biwak
platz. Kaum hatten wir aus unserer Feldküche etwas gegessen, s
kam der Befehl zum Errichten eines Hauptverbandplatzes. Ais1
schnell wieder aufs Pferd! Als wir uns in einer halbzerschossenei
Mühle eben etabliert hatten, wurden wir nach einem nahen Dort'
dirigiert. Wir hatten gerade unter betäubendem üeschützlärm zi
arbeiten begonnen. Wir schlugen dort 2 Zelte auf und arbeiteten u
Hemdärmeln, schweisstriefend, während vor und hinter uns du
Granaten in den Boden schlugen, dass die Erde haushoch emporflog
Unser Platz mit der Flagge des roten Kreuzes wurde aber gänzlici
29. September 1914.
Peklürztliclie Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift.
2023
respektiert. Icli hatte die sog. Empfangsabteilung, wo die Ankoititnen-
Jen in schwerverletzte, Nichttransportfällige, Leichtverletzte und
\ ersorgte geschieden, oder wie der technische Ausdruck lautet, sor-
tiert w erden, und stand in einem Hauten von stöhnenden, blutigen,
erschöpften Menschen, der trotz aller Arbeit statt kleiner immer
grösser wurde. Als besonders unangenehm empfand ich, dass man
•je ^ erletzten nirgends hinsetzen, nur hinlegen kann (wir waren auf
,‘iner Wiese), so dass mir verschiedene umfielen; ferner dass es kein
Wasser gab, also auch kein Händewaschen!
(legen Abend begann es zu regnen und als wir noch mitten
n der Arbeit waren, kam der Befehl zum Abbrechen, da der Gegner
vordringe. (l etzteres erfolgte aber nicht.) Hs war ein böser
Moment, als wir in 5 Minuten unsere 2 Verbandzelte abbrachen, die
machen in die Wagen stopften, die massenhaften Verwundeten auf
Jie mitgebrachten Leiterwagen packten und abzogen. Als ich meine
ibgtlegten Aachen suciite, waren diese im Gewühl verschwunden,
jbenso war mein Diener und mein Pferd nicht auffindbar (fanden
•ich aber w leder). Ich ging also ohne Kopfbedeckung und in Hemd-
irinehi i neben der Kompagnie, bis mir ein Kollege Mütze und Mantel
ieh. etwa um 9 Uhr kamen wir nach X, alle Strassen vollgestopft
nit Krankenfahrzeugen, überall Fackelschein, Befehlsrufe, Pferde¬
rappeln. Bis nachts 3 Uhr hatten wir damit zu tun die Ver-
undeten unterzubringen, wobei uns die aus den Betten geholten
nnwohner bestens unterstützten. Nach zweistündigem Schlaf (in
refflichcm Bett bei einem älteren Rentner) mussten die unversorgt
nitgenommenen Leute verbunden werden, womit wir bis abends zu
un hatten. Ich habe dabei ein ganzes Haus von oben bis unten
rledigt. Gegen Abend rückten wir dann nach B. Die Schlacht geht
nuner noch weiter . Dass ich trotz dieser unerhörten An-
trengung in bester Form bin, verdanke ich in erster Linie meinem
:uten Magen. Wer nicht alles und jegliches zu jeder Tages- und
Nachtzeit verträgt und dazwischen auch Hunger und Durst aushält,
,ann nicht existieren Ausserdem muss man imstande sein, jede
reie Minute zum Schlaf zu benutzen, dann findet sich alles andere
on selbst.
28. August. Ich bin also seit 25. d. M. ohne Waffenrock, Füll-
ederhalter, Helm, Pistole, Fernglas. Ein Kollege hat mit einer
ite\\ ka ausgeholfen, das übrige werde ich mir von Verwundeten all-
lählich geben lassen.
Therapeutische Notizen.
Milzschuss, durch freie Netztransplantation
eh eilt. R. Mühsam berichtet (aus der chir. Abt. des städt.
rankenhauses Moabit in Berlin) über einen Fall von Schussver-
‘tzung der Milz, der 2 Stunden nach der Verletzung zur Operation
am. Bei der Laparotomie zeigte sich die Milz schräg von vorn nach
inten von der (Revolver-) Kugel durchbohrt, aus dem Schusskanal,
urch den man 2 Finger hindurchführen konnte, floss reichlich frisch¬
stes Blut. Ein grosses Stück Netz wurde abgebunden, abgetragen
id mit Hilfe einer Kornzange durch den Schusskanal der Milz hin-
jrchgezogen. Die beiden freien Enden des Netztampons wurden
iteinander vernäht, so dass das Netzstück ringartig die Milz um-
ib und den Schusskanal keinesfalls verlassen konnte, die Wunde
urde durch Etagennähte verschlossen. Der Heilungsverlauf war
att. Eine Naht der Milz wäre unmöglich gewesen; gegenüber der
ilzexstirpation war der Versuch konservativer Behandlung wegen
-r blutstillenden Wirkung des frei transplantierten Netzes und wegen
-r grossen Einfachheit des Verfahrens geboten. Durch die Verkle-
mg des Netzes mit der Wundfläche wird die Blutung rasch zum
:ehen gebracht. (B.kl.W. 1914 Nr. 32.) R. S.
In der Pharm. Ztg. 1914 S. 725 wird folgende Vorschrift für
neu Mastisolersatz mitgeteilt:
Mastix 20,0
Kolophonium 20,0
Ol. Ricini 3,0
Methyl, salicyl. 1,0
Benzol 56,0.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 28. September 1914.
— Achte Kriegswoche. Noch immer dauert auf dem
östlichen Kriegsschauplatz das Ringen der in befestigten Stellungen
der Aisne und Oise sich gegenüberstehenden deutschen und eng-
ch-tranzösischen Armeen an; eine Entscheidung konnte bisher nicht
zielt werden, doch scheint sich die Wage auf die Seite der deutschen
anen zu neigen. Der Fall des ersten Sperrforts südlich Verdun,
r „Römerschanze“, und die Ueberschreitung der Maas an dieser
eile durch die deutschen Truppen dürfte diese Wendung beschieuni-
n. Die Ruhmestat der Woche aber, die alle deutschen Herzen
ner schlagen lässt, fällt diesmal der Flotte zu; es ist die Ver-
.ntung dreier englischer Panzerkreuzer durch das tapfere Unter¬
zboot U 9. Wenn diese Tat auch noch keine wesentliche Schwä-
ang unseres gefürchtetsten Gegners, der englischen Flotte, be¬
utet. so zeigt sie doch, dass auch dieser Feind, trotz seiner Ueber-
tenneit, angreifbar und besiegbar ist. Im Osten sind wichtige
eignKse nicht zu verzeichnen. Der Gesundheitszustand der Trup-
l!) , aIK*aljei-nd gut, doch wird erst der bevorstehende Eintritt
schlechten und kalten Wetters die schädigenden Wirkungen des Feld
zugs ganz zur Geltung kommen lassen. Da gewinnt eine Anregung.
i *Pr Bezirksarzt Kolb an anderer Stelle dieser Nummer mach:
* eüeAu“'nf; Ausstattung der Truppen mit warmem Zeug, neben
er Abhaltung der Infektionserreger der beste Schutz gegen Erkran-
Kungen sollte nicht, wie es jetzt der Fall zu sein scheint, der Liebes-
tätig k e i t uberlassen werden. Dafür zu sorgen wäre eine der wichtig-
i Cn ™aben dcr Beeresleitung. Denn nur eine gegen die Unbilden
‘tterung, soweit dies im Felde überhaupt möglich ist, ge¬
schützte und darum gesund bleibende Truppe kann die Leistungen,
vollbringen, die von ihr erwartet werden.
- Der Un terricht der Mediziner an der Uni-
veisität München wird in allen wichtigeren Vorlesungen und
Nursen in normaler Weise aufgenommen werden können, desgleichen
der Unterricht in den Kliniken, insbesondere auch an jenen, deren
Kaume zum 1 eil gegenwärtig als Lazarette dienen.
— Die Tierärztliche Hochschule in München ist durch Kgl Er-
lass vom 1 Oktober d. J. an als selbständige Staatsanstalt auf¬
gehoben und der Universität als tierärztliche Fakultät an¬
gegliedert worden.
Für die Dauer des mobilen Verhältnisses wurden im
Kgl preuss. Sanitätskorps angestellt: Prof. Dr. Heinrich H a e c k e 1,
Chefarzt der chirurgischen Abteilung des neuen städtischen Kranken¬
hauses in Stettin, als Generalarzt, und der Geh. Med.-Rat Prof. Dr.
August Borchard, dirigierender Arzt der chirurgischen Abteilung
des Diakonissenhauses in Posen, als Generaloberarzt (hk.)
— Das Eiserne Kreuz erhielten :
der im Felde befindliche Direktor der chirurgischen Klinik in
Bonn, Geheimrat Prof. Dr. Gar re;
der Stabs- und Regimentsarzt im bayer. Res -Inf -Reg Nr 2
Bezirksarzt Dr. Becker- München ;
Dr. B ö c k - München ;
der Assistenzarzt d. Res. Dr. Max Kirschner aus München,
Ass.-Arzt in der Prof. Katzenstein sehen Klinik in Berlin (als
Grund der Auszeichnung berichten die Blätter, dass Dr. K. bei einem
nächtlichen Aufklärungsritt aus einem brennenden Hause 6 ver¬
wundete Franzosen mit eigener Lebensgefahr rettete).
— Das Sanitätsdepartement des k. k. österr. Ministerium des
Innern teilt mit, dass in Wien ein Fall von asiatischer Cholera
bei einem vom nördlichen Kriegsschauplätze nach Wien gebrachten
verwundeten Offizier konstatiert wurde, ln der Gemeinde L i s k o
des gleichnamigen Bezirkes in Galizien wurden zwei Fälle
asiatischer Cholera festgestellt.
Pest. Italien. Im Hafen von Catania sind am 5. Sep¬
tember ^3, am 6. September 4 pestverdächtige Erkrankungen, von
denen die ersten 3 tödlich verlaufen sind, festgestellt worden. _
Aegypten. Vom 8. — 28. August erkrankten (und starben) 10 (3) Per¬
sonen, davon 1 ( — ) in Abguig, 5 (2) in Alexandrien und 4 (1) in
Port Said.
— In der 36. Jahreswoche, vom 6. bis 12. September 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Trier mit 56,7, die geringste Berlin-Friedenau mit 5,5 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Königshütte, an Diphtherie und Krupp in Herne
Rost°£k- u , , Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Frankfurt a. M. Zum Prosektor am anatomischen Institut
wurde der bisherige Privatdozent an der Züricher Universität,
Dr. Hans B 1 u n t s c h 1 i, berufen. Er tritt zugleich in die medi¬
zinische Fakultät als Privatdozent für Anatomie ein. (hk.)
Giessen. Dem Assistenzarzt an der Klinik für psychische
und nervöse Krankheiten Dr. jur. et med. Matthias Heinrich G ö r i n g
wurde die venia legendi für Psychiatrie daselbst erteilt Seine
Habilitationsschrift handelt über „Die Gemeingefährlichkeit in psych¬
iatrischer, juristischer und soziologischer Beziehung“, (hk.)
Halle a. S. Als Nachfolger des nach Göttingen berufenen
Prof Eugen v. Hippel ist Prof. S c h i e c k - Königsberg zum
Direktor der Augenklinik ernannt worden. Da derselbe zurzeit rriili-
tärisch unabkömmlich ist, wird bis auf weiteres der Oberarzt Prof.
Igersheimer die Leitung der Hallenser Augenklinik übernehmen.
W ü r z b u r g. Prof. Gerhardt ist als Oberstabsarzt und
konsultierender Internist beim 2. bayer. Armeekorps eingerückt.
Lemberg. Dr. Eduard Loth hat sich als Privatdozent für
Anatomie und Anthropologie habilitiert, (hk.)
Prag. Der Titularprofessor Privatdozent Dr. Franz Sam-
b e r g e r wurde zum a. o. Professor für Dermatologie an der
tschechischen Universität, der Privatdozent Dr. Franz Luksch zum
a. o. Professor für pathologische Anatomie an der deutschen Universi¬
tät ernannt.
(Todesfälle.)
Irti Alter von 65 Jahren ist in Prag der emer. ord. Professor der
Geburtshilfe und Gynäkologie an der dortigen böhmischen Universi¬
tät, Hofrat Dr. Karl P a w 1 i k, gestorben, (hk.)
Im Alter von 82 Jahren ist in Grabs der emer. o. Professor
der Augenheilkunde an der Universität Basel, Dr. Heinrich S c h i e s s
gestorben, (hk.)
In Königsberg i. Pr. ist der Privatdozent für Psychiatrie, Di¬
rektor a. D. Dr. Eugen H a 1 1 e r v o r d e n, im 62. Lebensjahre ge¬
storben. Er war von 1886 — 1891 Direktor der Irrenanstalt Kortau
(hk.)
2024
Nr. 3'
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Ehrentafel.
Für? Vaterland starben:
Dr. W. Arnold aus Leisnig i. Sa., Assistenzarzt d. Res. im
sächs. Karabinier-Reg., am 13. Sept. im Osten.
Dr. Rud. Dorn, Stabsarzt d. Res., prakt. Arzt und Zahnarzt
in Saarlouis, am 10. Sept.
Willy Elbs, cand. med., Freiburg i. B.
Dr. Siegbert Frost, Assistenzarzt d. Res., Berlin.
Christian (iollwitzer, Einj.-Unteroffizier im 9. bayer. Inf.-
Reg., appr. Zahnarzt, am 5. Sept.
Josef He ss eit, Einj.-Freiwill. im 9. bayer. Inf. -Reg., stud.
med., am 20. August.
Dr. Werner Meyer, Stabsarzt d. L., Arzt in Burgwedel bei
Hannover. Er fiel bei einem Angriff auf das Lazarett in
Pont de Loup bei Namür am 21. August.
Dr. Emil 0 b e r h o f, Unterarzt, 5. Landwehrreg., Kiel.
Dr. P a u 1 y, Stabsarzt, 18. Landwehrreg., Niedenburg.
Aug. P u 1 s, Vizefeldwebel d. Res., stud. med. aus Pfalzburg,
Lothringen.
Dr. Otto Suchsland, Oberarzt d. Res. im Gardegrena¬
dierreg., Arzt in Eisleben.
(Berichtigungen.) In Nr. 37, F. Beil. Nr. 6, war der Tod des
Marinestabsarztes Dr. Th eien mit dem Kreuzer „Magdeburg“ ge¬
meldet. Wie uns zu unserer Freude mitgeteilt wird, befindet sich
Herr Dr. T h e 1 e n wohl und munter in Wilhelmshaven. Er hat sich
bei der Sprengung der „Magdeburg“ durch Schwimmen auf ein Tor¬
pedoboot retten können.
Geheimrat Schmidt, der seine goldene Hanbury-Medaille dem
Roten Kreuz zur Verfügung gestellt hat (S. 1992), ist Professor der
pharmazeutischen Chemie (nicht der Pharmakologie) in Marburg.
Eingesandt.
Wir werden um Abdruck folgender Anregung ersucht:
„In vielen Städten, die noch keine Verwundeten in ihre bereit¬
stehenden Lazarette erhalten haben, gibt es eine Anzahl harrender
Kollegen, die in keinem militärischen Verhältnis stehend, in der
Heimatstadt warten. Und dennoch sind sie von dem innigen Wunsch
erfüllt, ihr ärztliches Können den Verwundeten zugute kommen zu
lassen. Wieder in anderen Städten, z. B. im Eisass, herrscht Aerzte-
mangel. Es wäre deshalb gewiss sehr wünschenswert, wenn in
Ihrer „Feldärztlichen Beilage“ Listen über die Lazarette, an denen
noch Aerzte gebraucht werden, regelmässig erscheinen würden,
etwa wie in Friedenszeiten vakante Praktikantenstellen mitgeteilt
werden. Ein event. Vermerk über freie Station oder Honorierung
wäre ratsam.“
Wir sind gerne bereit uns zugehende Mitteilungen kostenlos
zu veröffentlichen. Red.
Deutsche Aerzte!
Verschreibt nur deutsche Präparate und Spezialitäten!
Ein Verzeichnis der mehr oder weniger gebräuchlichen aus¬
ländischen Präparate mit gleichzeitiger Angabe der inländischen, zum
mindesten gleichwertigen Ersatzpräparate möge hier Platz finden.
Ausländische Präparate. Ersatzpräparate.
1. Alberts Remedy
2. Allcock’s Porous Piaster
3. Allenburys Black currant Pa-
stils
4. Anesthyle Bengue
5. Angiers Emulsion
6. Anodyne, Poulencfreres, Paris
7. Antibilious Pills „Cockle“
8. Antineuralgische Aconitinpill.
„Moraselle“
9. Arsycodile Inject „LePrince“
10. Tuckers Asthmamittel und
Spray, Burroughs, Wellcome
& Co., London
11. Asthmazigaretten: Chery, Es-
pic, Exibard, Grimault
12. Kola „Astier*
13. Battles Bromidia
14. Bengues Mentholdragees
15. Bengues Mentholbalsam
16. Bi-Pelotinoids, Oppenheimer,
Son & Co., London.
17. Bishops Citrate of Magnesia
1. Colchicumpräparate
2. Deutsches Capsicumpflaster
3. Hustenpastillen
4. Chloräthyl
5. Paraffin. -liqu.-Emulsion
6. Schmerzlindernde Mittel wie
Phenacetin, Aspirin etc.
7. Kalomelpillen
8. Antineuralgica
9. Kakodylsaures Natron
10. Inhalationsflüssigkeiten aus
Atropin und Natr. nitros.
11. Holländische Kräpelinzigaret-
ten und vorzügliche deutsche
Fabrikate
12. Kola
13. Brompräparate mit Chloral-
hydrat
14. Mentholpastillen
15. Mentholbalsam
16. Blaudsche Pillen in gehärteten
Gelatinekapseln
17. Magnes. citric. efferv.
13. Bisurierte Magnesia
19. Brands Essence of Beef
20. Brands Essence of Chicken
21. Bromo Seltzer Emmerson
22. Browns Bronchial Tract
23 Burrough, Wellcome & Co.,
London, Tabloids
24. Cachets du Dr. Faivre
25. Califig, Fasset & Johnson,
London
26. Clins Präparate
27. Cataplasme Lelievre
28. Comprimees Vichy
29. Crown Lavender und Smel-
ling Salt
30. Eau dentrifice Botot, Dr. Jean,
Dr. Pierre
31 Electrargol, Clin, Paris
32. Ellimans Embrocation
33. Enesol, Clin, Paris
34. Enos Fruit Salt
35. Evianwasser
36. Eumyctine „Le Prince“
37. Fellows Compound Syrup
38. Grains de sante du Dr. Frank
39. Grillons Tamar Indien
40. Horlicks Malzmilch
41. Lactobacilline, „Le Ferment“,
Paris
42. Laville Liqueur et Pilules
43. Listerine, Lambert Pharm. Co.
in London
44. Moussette Pillen, Comar Fils
& Co., Paris
45. New Skin
46. Pears Soap
47. Pilules antidiabet. Lejournet
48. Pinauds Eau de Quinine
49. Poudre de Charbon „Belloc‘,
50. Rami Sirup
51. Ricqles alcool de Menthe
52. Roger und Gallet-Präp.
53. Seabury & Johnsons Pflaster
54. Stuarts Dyspepsia Tablets
55. Sunlight-soap
56. Traumatol, Chevrier & Kraus
in Courbevois bei Paris
57. Tuberculin-Test, Poulence
freres-Paris
58. Valerianat d’ammoniaque
„Pierlot“
59. Vin Mariani
60. Vin St. Raphael
61. Xaxaquin, Burroughs, Welle.
& Co., London
62. Apollinariswasser
63. Apenta
64. Vichywasser
18. Gemisch von Natr. bic.. Mag
carb. ää 30,0. Bism. carb.
19. I Rindfleisch- und Hiihne
gelee, in jedem Hauslu
20. | leicht selbst darzustellen
21. Brausendes Bromsalz
22. Hustenpastillen
23. Deutsche Präparate in de
selben Zusammensetzung v<
verschiedenen deutschen Fi
men (statt „Tabloids“ ve
schreibe „Tabletten“!)
24. Antineuralgicum
25. Feigensaft oder andere v e g
tabilische Abführmittel
26. Präparate deutscher Ap
theker
27. Leinsamenkataplasmen
28. Biliner Pastillen
29. Riechsalz
30. Deutsche Zahnwässer bess
und billiger
31. Collargol
32. Kampfer-Terpentin-Linimen
33. SalicylarsinsauresQuecksiib
34. Sandows Fruchtsalz
35. Gieshüblerundanderedeutsc
österreichische MineraKväss
36. Urotropintabletten
37. Syr. Hypophosph. comp.
38. Pillen aus 0,06 Aloe d. 0;
Gutti
39. Tamarindenkonserven
40. Grosse Anzahl deutscherMal
und Milchpräparate
4L Verschied, deutsche Joghut
Präparate
42. Gichtpillen (Colchicin)
43. Antisepticum, im wesentlich'
aus Benzoesäure u. Borsäu
44. Antineuralgicum, bestehei
aus Aconitin 0,0002 und Exi
Chinae 0,05 pro dosi
45. Kollodium-Heftpflaster
46. Glyzerinseifen
47. Antidiabetika
48. Haarwässer verschiedenst
Zusammensetzung
49. Kohlepastillen verschieden
Firmen
50. Sirup. Bromoform. comp
51. Spirit. Menthae (Deutsch
Arzneibuch 5)
52. Parfüm-, Toiletteartikel v<
schiedener deutscher Firm
53. Deutsche Pflaster
54. Pepsin-Salzsäure-Pillen
55. Jede bessere Seife
56. Antisepticum, Jod-Kresylsäu
57. Tuberkulin für diagnostisc
Zwecke, Augenreaktion
58. Baldrianpräparate
59. Cocawein
60. Chinarindenwein, dem etu
Fleischsaft zugesetzt werd
kann
61. Acetylsalicylsaures Chinin
62. Eine grosse Anzahl deutsch
und österreichischer Tah
wässer
63. Friedrichshaller, Hunyad
Ofner-, Franz Josef-Bitte
F* wasser
64. Biliner Wasser
Die „Feldärztliche Beilage“ ist bestimmt, allen im Felde stehe
den oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten der deutsch
und österreichischen Armee und Flotte unentgeltlich geliefert zu wt
den. Herren, welche sie nicht erhalten, werden um Angabe ihr
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Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
^r. 40. 6. Oktober 1914. Redaktion: Dr. B. Spatz, Paul Heysestrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der ln dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus der chirurgischen Klinik zu Freiburg i. Br. (Direktor:
üeheimrat Prof. Dr. K r a s k e).
!ur Röntgentiefentherapie bei chirurgischen Krankheiten,
nit besonderer Berücksichtigung der chirurgischen
Tuberkulose.
>'on Privatdozent Dr. J. 0 e h I e r, I. Assistenten der Klinik.
Die Strahlentherapie wurde an unserer Klinik wie
uch anderwärts in früheren Jahren nicht systematisch,
■ondern nur gelegentlich bei inoperablen oder rezi-
livierenden malignen Tumoren oder nach
invollständigen Operationen derselben ange-
vandt, jedoch nur selten mit gutem Erfolge: es waren un-
.efilterte Röntgenstrahlen, welche ulzerierte Tumoren bis¬
veilen vorübergehend günstig beeinflussten. Auch b e i
hirurgischer Tuberkulose, besonders zur
Jehandlung von p o s t o p e r a t i v e n oder spon-
an entstandenen Fisteln bei Knochen- und
ielenktuberkulose hat Verfasser schon vor Jahren
eben der sonst üblichen konservativen Therapie mit gutem
:riolg Röntgenbestrahlung angewandt.
Mit der in den letzten Jahren rasch fortgeschrittenen Ent¬
wicklung der Bestrahlungstechnik fand auch hier die Röntgen-
lerapie immer ausgedehntere Verwendung, zunächst be-
onders zur Unterstützung der chirurgischen
herapie bei malignen Tumoren und bei Tuberkulose, wie
-hon früher, aber mit ungleich besserem Erfolg. Es zeigte
ich, dass die Strahlentherapie eine überaus wertvolle Be¬
scherung der chirurgischen Therapie bei diesen Erkran-
ungen darstellt, dass sie vor allem da, wo die chirurgische
herapie, die Operation nur wenig gute Resultate aufzuweisen
atte oder von Rezidiven gefolgt war, welche erneut einen
perativen Eingriff nötig gemacht hätten, helfend eintreten
onnte, ja oft wahre Glanzleistungen vollbrachte. Wir nennen
i erster Linie die tuberkulösen Lymphome des
alses, dann die tuberkulöse Erkrankung be-
onders der kleinen Knochen und Gelenke,
ie Spina ventosa, die Handgelenkstuberku-
3se, Rippentuberkulose, Tuberkulose des
ternoklavikulargelenks. Die zur Beseitigung
eser Erkrankungen früher notwendig gewesenen Opera-
onen, welche oft nur mit Verstümmelung einhergehen
mnten oder sehr häufig von Rezidiven gefolgt waren,
urden dadurch überflüssig, ebenso die Rezidivoperationen
S Lymphomen, bei Knochen- und Gelenktuberkulose, und vor
lern bei 1 umorrezidiven. Und die Erfolge waren zum
'ossen 1 eil recht gute, weit besser, als früher die opera-
ven Erfolge in solchen Fällen gewesen waren. Auch heute
»ch betrachten wir die Strahlentherapie im allgemeinen unter
esem Gesichtspunkt, einer neuen segensreichen
herapie für die bisher hoffnungslosen oder
usserst langwierigen, häufig rezidivieren-
L'n, oft nur unter erheblicher Verstiimmc-
■ng zur Ausheilung gebrachten Fälle.
Die Strahlentherapie ist geeignet, die operative Therapie
1 ersetzen zunächst bei allen Lymphomen, speziell bei
iberkulösen Lymphomen. Hier stellt sie die
herapie der „W a h 1“ dar. Es gibt kein Verfahren,
elches mit solcher Sicherheit und spielender Leichtigkeit die
vmphome zu beseitigen vermag. Der chirurgische Eingriff
Nr. 40.
wird die Strahlentherapie da unterstützen, wo es sich um
grosse verschiebliche, leicht exstirpierbare Lymphome han¬
delt, oder mittels Entleerung von Abszessen oder Entfernung
von Drüsensequestern, wodurch die Behandlungsdauer erheb¬
lich abgekürzt werden kann. Wir können nach unseren Er¬
fahrungen bestätigen, dass die Lymphdrüsentuberkulose durch
Bestrahlung in den meisten Fällen fast restlos zu beseitigen
ist. Die oft verbackenen grossen Drüsenpakete schwellen
meist akut nach der Bestrahlung an, lösen sich dann aber im
Verlaufe weniger Wochen auf in einzelne verschiebliche
Drüsen. Letztere verschwinden bis auf einige geschrumpfte
kleine harte Drüsenknötchen, welche so gut wie kein spe¬
zifisches Gewebe mehr oder solches nur in abgekapseltem
Zustand enthalten.
Das lymphoide Gewebe ist der elektiven Wirkung der
Röntgenstrahlen am meisten unterworfen. Noch rascher als
die tuberkulösen Lymphome schmelzen unter der Strahlen¬
wirkung erfahrungsgemäss die pseudoleukämischen, die
Hodgkin sehen Lymphome. Bei den tuberkulösen Lym¬
phomen reagieren am promptesten die hyperplastischen,
„skrofulösen“ Lymphome. Je mehr Verkäsung, je mehr In¬
duration eingetreten ist, um so langsamer die Wirkung.
Rascher geht es bei Abszedierung: wenn die Möglichkeit der
Verflüssigung der käsigen Massen und des Abflusses vor¬
handen ist. Die bisher so gefürchtete Mischinfektion
bei Fistelbildung hat ihre Schrecken verloren; sie
scheint keine erhebliche Erschwerung der Ausheilung der
Drüsentuberkulose mehr darzustellen, ja sie befördert viel¬
leicht durch Verflüssigung des verkästen Materials die Heilung.
Die Bestrahlung der Lymphome hat den Vorteil, dass
durch sie auch die kleinen und kleinsten Driis-
c h e n getroffen werden, welche bei der Operation oft Zurück¬
bleiben und zu den so häufigen Rezidiven Veranlassung geben
können.
Als weiterer nicht gering anzuschlagender Vorteil
gegenüber dem früheren operativen Verfahren ist besonders
beim weiblichen Geschlecht das Fehlen von Narben
am Hals und Gesicht zu betonen, der Narben, welche
bisher jedem Drüsenkranken für Lebenszeit den Stempel der
Tuberkulose aufgedrückt haben und dadurch häufig einen er¬
heblichen Schaden für sein Fortkommen etc. gebracht haben.
Die Lymphomoperationen sind auf dem jeweiligen Opera¬
tionsplan nicht mehr zu finden. Allein dies beweist schon,
welch eine erhebliche Bereicherung unser Heilschatz durch
Einführung der Strahlentherapie erhalten hat. Aber nicht nur
das, sondern auch auf den chirurgischen Stationen sind fast
keine Lymphomkranken mehr zu finden. Die stationäre Be¬
handlung ist überflüssig geworden. Die Patienten werden
ambulant behandelt, sie bleiben der Familie erhalten, sie
bleiben arbeitsfähig, da sie sich meist nur in 3— 4 wöchent¬
lichen Intervallen kurzen Bestrahlungssitzungen unterziehen
müssen; ein Vorteil, der vom sozialökonomischen Standpunkt
ebenfalls nicht gering anzuschlagen ist.
Irgendwelche Nachteile haben wir durch die Be¬
strahlung nicht gesehen: in manchen Fällen tritt ein mässiger
„Röntgenkater“ auf, bestehend in Kopfschmerzen, allgemeinem
Krankheitsgefühl, Temperatursteigerung (meist nicht über
38,0°). Schädigungen der bestrahlten Haut oder Spätschädi¬
gungen, wie sie I sei in beschrieben hat, sind hier nicht be¬
obachtet worden.
In einem Falle von ausgedehnten tuberkulösen Halslymphomen
traten nach der Bestrahlung wiederholt Schüttelfröste auf. Nach
anfänglichem negativen Ausfall der Blutuntersuchung bestätigte sich
1
2026
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 40.
bald der Verdacht auf Malaria. Das Auftreten der Malaria in |
diesem Falle ist um so auffallender, als dieselbe seit 15 Jahren latent
geblieben war, und wohl auf die gewaltige Umsetzung im Lymph-
drüsensystem des Körpers zurückzuführen. Die an sich interessante
Tatsache hindert uns in diesem Falle leider an der Fortsetzung
unserer mit Erfolg eingeschlagenen Therapie 1).
Kaum weniger glänzend sind die Resultate der Röntgen¬
bestrahlung bei Knochen- und Gelenktuberkulose,
und zwar sind es hier besonders die kleineren Knochen
und die kleineren Q e 1 e n k e, welche bei tuberkulöser Er¬
krankung durch die Bestrahlung ohne Operation der Heilung
zugeführt werden können. Die konservative Behandlung der
Knochen- und Gelenktuberkulose feiert heute ihren Triumph
in der Heliotherapie. Wer aber, wie die meisten dieser
Patienten aus äusseren Gründen der Heliotherapie nicht zu¬
geführt werden kann, der findet in der Röntgenbestrahlung
einen vielleicht nicht vollwertigen Ersatz für die so aus¬
gezeichneten Erfolge der Heliotherapie (von welchen sich
Verfasser selbst bei einem Besuch in Le y sin bei Dr. Rol¬
li e r überzeugen konnte), aber er hat gute Chancen, auch
durch Röntgenbestrahlung geheilt zu werden. Obgleich es
sich bei der Röntgentherapie nur um eine lokale Behandlung
handeln kann, und die allgemeinen Momente, welche bei der
Heliotherapie im Hochgebirge für die Hebung des Allgemein¬
zustandes in Betracht kommen, meist fehlen, sind die Re¬
sultate doch vorzüglich zu nennen.
In Anbetracht der bekannten Tatsache, dass die Strahlen¬
wirkung von der Hautoberfläche nach dem Innern zu rasch
abnimmt, ist ohne weiteres verständlich, dass kleine
Knochen und kleine Gelenke von oberfläch¬
licher Lage und geringem Durchmesser am
leichtesten durch die Strahlen zu beeinflussen sind. Tatsäch¬
lich wird dies auch durch unsere und Anderer Beobachtungen
bestätigt; daher die guten Bestrahlungserfolge bei Spina ven-
tosa, bei Handgelenks-, bei Rippentuberkulose. Solche Herd¬
erkrankungen in kleinen Knochen und in ihrer Tiefenaus¬
dehnung beschränkten Gelenken heilen meist sehr rasch aus:
zunächst verschwinden, wodurch die Behandlung zu einer für
den Patienten und Arzt gleich erfreulichen wird, die
Schmerzen. Mit dem Zurückgehen der Schmerzen kehrt
die Funktion wieder. Sehr früh lässt sich eine günstige
Wirkung auf den Allgemein zustand nachweisen. Lang¬
samer bildet sich der lokale Befund zurück. Der Hei¬
lungsprozess bei Knochen- und Gelenktuberkulose lässt sich
am sichersten mit Hilfe der Röntgenaufnahmen kon¬
trollieren: wir erhalten analoge Befunde wie bei der Helio¬
therapie. Bei beiden werden die unscharfen verwaschenen
Konturen ersetzt durch scharfe; die Struktur des Knochens
wird, wenn auch rarefiziert, so doch deutlicher. Es entstehen
deutlich abgeschlossene Knochenherde, Defekte oder Höhlen
auf dem Bilde, welche vorher wegen der diffusen Trübung
nicht deutlich zu sehen waren. So kann ganz abgesehen von
den klinischen Erscheinungen schon aus dem Röntgenbilde die
fortschreitende Heilung festgestellt werden.
Auch bei der Knochen- und Gelenktuberkulose scheint
uns die Gefahr der Mischinfektion eine viel geringere ge¬
worden zu sein; auch mischinfizierte Knochenherde sind durch
Röntgenstrahlen recht gut zu beeinflussen. Die Röntgenstrahlen
scheinen demnach, ebenso wie die Heliotherapie, imstande zu
sein, die bisherige grosse Kluft zwischen geschlossener und
offener Tuberkulose hinsichtlich der Prognose und Therapie
zu überbrücken.
Je dicker der Knochen, je grösser das Gelenk, um so
schwerer ist es, mit den Strahlen etwas auszurichten. Doch
lassen sich auch hier bei beginnenden Fällen oft noch recht gute
Resultate erzielen, welche sich sofort durch Nachlassen
der Schmerzen, durch Besserung der Funktion zu er¬
kennen geben. Besonders gute Resultate haben wir gelegent¬
lich am Humeruskopf und Kniegelenk gesehen. Das letztere
lässt sich ja leicht von den verschiedensten Seiten bestrahlen.
Am schwersten zugänglich scheint uns das Hüftgelenk. Im
ganzen müssen wir sagen, dass unsere Beobachtungszeit noch
zu kurz ist, um über die Bestrahlung dicker Knochen und
grosser Gelenke, deren Behandlung lange Zeit erfordert, ein
') Der vorliegende Fall wird von interner Seite noch ausge¬
dehntere Bearbeitung erfahren.
einigermassen gültiges Urteil abgeben zu können. Die Re¬
sultate an der oberen Extremität sind durchschnittlich besser
ais an der unteren Extremität, schon aus dem Grunde, weil die
Behandlung der Erkrankungen der oberen Extremität ausser
Bett und daher unter gleichzeitiger ausgiebiger Anwendung
der Allgemeinbehandlung vorgenommen werden kann,
während bei der unteren Extremität die in vielen Fällen not¬
wendige Liegekur der Allgemeinbehandlung unerwünschte
Grenzen auferlegt.
Zur Förderung der Heilung werden die üblichen konser¬
vativen Massnahmen, soweit möglich, mit herangezogen:
Punktion und Injektion von Jodoformglyzerin (zumal da die
Möglichkeit vorliegt, dass wir durch das deponierte Jodoform
eine wirksame Sekundärstrahlung im Krankheitsherd selbst)
erzielen!, Sonne, Solbäder, Schmierseifenbäder, Lebertran;
ausserdem die orthopädische Behandlung in Form von
Schienenapparaten, Extension etc. Von den operativen Me¬
thoden wird nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht, wenn
es sich darum handelt, einen Sequester zu entfernen oder;
einen tuberkulösen Herd zu beseitigen, bei welchem die Ge¬
fahr der Perforation ins Gelenk vorliegt. Die Bestrahlung
muss bei Kindern, wenn es sich um die langen Röhrenknochen
handelt, wegen der Gefahr der Wachstumsstörung mit be¬
sonderer Vorsicht durchgeführt werden. Wir haben indessen
bis jetzt keine nachteiligen Folgen gesehen.
Aehnlich gute Resultate wie bei den vorher genannten
Affektionen haben wir bei Sehnenscheidentuberku¬
lose erzielt. Doch liegen hierüber erst vereinzelte Beob¬
achtungen unsererseits vor.
Von sonstiger Tuberkulose haben wir die Peritoneal¬
tuberkulose und die Nebenhodentuberkulose
der Strahlenbehandlung unterzogen; letztere dann, wenn es
sich um eine doppelseitige Nebenhodenerkrankung oder ein
Rezidiv nach halbseitiger Kastration handelte. Die einseitige
Tuberkulose werden wir nach wie vor durch die halb¬
seitige Kastration zu beseitigen suchen, um einem eventuellen
Fortschreiten des Prozesses nach der Prostata, Blase etc. vor¬
zubeugen. Die Bestrahlung verspricht auch bei diesem Leiden
Erfolg.
Ferner haben wir einen Fall von Kieferaktinomy-
kose mit gutem Erfolg bestrahlt — auch wieder ein Gebiet,
das bisher nur gezwungen operativ angegriffen wurde und
das wir gerne der Strahlentherapie zuweisen, ohne natürlich
auf die unterstützende Jodkalibehandlung^ zu verzichten.
Unsere Erfolge bei der Röntgenbestrahlung der ma¬
lignen Tumoren sind im Verhältnis zu der Skepsis, mit
welcher wir an diese Frage herangetreten sind, auffallend gut.
Wir haben von operablen Karzinomen bisher nur Kan-
kroide im Gesicht bei alten Leuten bestrahlt; der Erfolg
war besonders in einem Fall vonKankroid der Ohr¬
muschel ganz ausgezeichnet. Die Operation hätte mit
totaler Entfernung der Ohrmuschel einhergehen müssen. Der
Patientin ist die Ohrmuschel völlig erhalten geblieben und
zwar in normaler Form, ohne dass eine Narbe zu sehen wäre.
Ferner haben wir Mammakarzinom rezidive in
grösserer Anzahl bestrahlt. Bei 4 Patienten, welche wir noch
in Beobachtung haben, sind die Rezidivknoten verschwunden.
Es zeigte sich bisweilen wieder eine infiltrierte Drüse, welche
jedoch jedesmal auf Bestrahlung wieder prompt zurück ging.
Besonders die Hautmetastasen in Form des „Cancer eil
cuirasse“ scheinen auf Bestrahlung leicht zurückzugehen.
Es liegen bei den Karzinomen zweifellos ausserordent¬
liche individuelle Verschiedenheiten vor. Manche Karzinome
verhalten sich refraktär, andere „schmelzen“ weg. Auch bei
unseren inoperablen Magenkarzinomen, beson¬
ders Pyloruskarzinomen, bei welchen eine Gastroenterostomie
ausgeführt wurde, hatten wir den Eindruck, als ob sich
derTumor unter der Bestrahlung verkleinere. (Es kann sich bei
dieser Verkleinerung jedoch auch nur um den Rückgang der
entzündlichen Erscheinungen handeln infolge der Gastro¬
enterostomie, entsprechend der Wirkung der Kolostomie beim
Rektumkarzinom.) Bei anderen waren wir der Meinung, dass
das Wachstum der Geschwulst zum mindesten aufgehalten
wurde. Bei fast allen aber war eine auffallende Euphorie vor¬
handen, besonders wegen des Rückgangs der Schmerzen; die
6. Oktober 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Patienten lebten neu auf, sie hofften wieder; und schon von
diesem Gesichtspunkt aus ist die Strahlentherapie als neuer
therapeutischer Eaktor, auch wenn er in solchen Fällen wie
bisher keine definitive Heilung bringt, freudigst zu begriissen.
Noch mehr als bei den Karzinomen können wir bei
manchen Sarkomen von direkt heilender Wirkung der
Strahlen sprechen : ein von der Faszie ausgehendes
Sarkom über dem linken Schlüsselbein, das
nach der Operation rezidiviert war, ein „inoperables Rezidiv“,
konnte durch die Bestrahlung völlig zum Schwinden gebracht
werden, so dass die normalen Konturen der bisher von Tumor¬
massen ummauerten Klavikula wieder nachzuweisen sind.
Andere Sarkome verhalten sich refraktär, so dass auch bei
den Sarkomen im allgemeinen die chirurgische operative
Therapie immer noch im Vordergrund steht und stehen muss.
Wir stehen zunächst auf dem Standpunkt, dass alle in¬
operablen malignen Tumoren und die Rezi¬
dive derselben nach operativer Behandlung
bestrahlt werden müssen, dass aber alle
operablen malignen lumoren, Karzinom wie
Sarkom, abgesehen von den Kankroiden des
Gesichts, welche ein auffallend günstiges Be¬
strahlungsobjekt darstellen, auf operativem
Wege beseitigt werden müssen, dass dann
aber die Wundhöhle bestrahlt werden muss,
um die zurückgelassenen Keime zu vernich¬
ten und dem Rezidiv Vorschub zu leisten. Wir
verstehen nicht, wie gegenwärtig immer wieder, besonders
von gynäkologischer Seite, betont werden kann, dass die Re¬
sultate der operativen Behandlung der malignen Tumoren so
schlechte seien. Nicht umsonst wetteiferten die verschiedenen
Kliniken seit Jahrzehnten, um möglichst günstige Statistiken
bezüglich der Dauerheilung der Karzinome aufstellen zu
sonnen — auch wir konnten in einer jüngst erschienenen Ar¬
beit •) „U e b e r die Rektumkarzinome“ von einer
Tauerheilung von über 20 Proz. nach Rektumkarzinomopera¬
ion berichten. — Jetzt werden die Statistiken der operativen
Jehandlung der bösartigen Geschwülste, zu gunsten der
Mrahlentherapie mit den schwärzesten Farben gemalt. Dabei
ehlt doch auf der anderen Seite immer noch das Gegenstück,
J. h. es existieren wegen der Kürze der verflossenen Zeit
loch keine Bestrahlungstatistiken, welche über einen ge-
liigend langen Zeitraum der Dauerheilung berichten könnten.
Statistiken aber über die chirurgisch operative Behandlung
;xistieren in Menge; nach der uns zu Gebote stehenden
-iteratur sind sie nicht so schlecht, wie sie jetzt von gynäko-
ogischer Seite hingestellt werden.
Die einzigen Karzinome, bei welchen auch wir die
strahlentherapie bei chirurgischer Therapie vorziehen, sind
iie Kankroide des Gesichts, an sich relativ gutartige Tumoren,
velche sich fast ohne Narbenbildungen durch Strahlentherapie
inscheinend definitiv beseitigen lassen.
Wir haben dann ausser den genannten noch ein weiteres
'apitel der Strahlenbehandlung versuchsweise unterworfen,
lämlich die Strumen und zwar zunächst auch wieder Stru-
nen, bei denen es wünschenswert erschien, ohne Operation
uszukommen, besonders Strumen rezidive und Stru-
nen bei Herzkranken. Dabei ist zu betonen, dass das
'childdrüsenparenchym auf die Bestrahlung reagiert, aber
cider wieder, wie auch bei den anderen konservativen Ver¬
ehren der Strumenbehandlung, weit mehr das Parenchym, als
ie Knoten. Am geeignetsten sind demnach junge par-
nchymatöse Strumen, besonders im Pubertätsalter, wenig ge-
ignet dagegen Kropfknoten, mit ihrer so häufigen Begleit-
rscheinung, der Kompression und Verdrängung der Luftröhre.
las nach der Bestrahlung auch hier meist einsetzende Gefühl
er Erleichterung, der Atembefreiung, beruht auf dem Schwül¬
en des den Knoten umgebenden Parenchyms.
Der gewöhnliche Verlauf ist folgender: die Struma wird
leiner, messbar und subjektiv kleiner; es lösen sich bei der
nfangs diffus erscheinenden Struma durch den Rückgang des
’arenchyms die Knoten heraus; sie bleiben jedoch bestehen.
Lr Bestrahlung folgt trotz vorsichtigster Anwendung vielfach
>ne Art Röntgenkater: vorübergehende Temperatursteige-
•) Bruns Beitr. z. klin. Chir. 87. H. 3.
2027
l'ung, Irockenheit im Halse, Heiserkeit, Hustenreiz — bis¬
weilen Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit. Diese Erschei¬
nungen gehen nach einem oder wenigen Tagen zurück. Bei
bestehender I rachealstenose kann aber diese Laryngitis sicca
wie in einem unserer Fälle erhebliche Beschwerden machen.
Die T emperatursteigerung, welche wir im Gefolge
der Strumenbehandlung häufiger gesehen haben, als nach Be¬
strahlungen anderer Organe resp. Tumoren, z. B. der Lym¬
phome, wo sie auch im allgemeinen in bescheidenen Grenzen
blieb, könnte man versucht sein, in Parallele zu setzen mit
der 1 emperatursteigerung nach Strumaoperationen. Das
Fieber ist wohl als Resorptionsfieber aufzufassen.
Im ganzen haben uns die Bestrahlungserfolge bei Strumen
nicht befriedigt. Bei einem Teil der Fälle war der Erfolg nur
voi übergehend : nach Besserung trat wieder Verschlimme¬
rung, d. h. Zunahme des Kropfes und der Kropfbeschwerden
ein, welche auf erneute Bestrahlung wieder zurückgingen. In
einem unserer bestrahlten Fälle traten nach der 3. Sitzung
(36 X unter 3 mm Aluminiumfilter) ausgesprochene Basedow¬
symptome auf — ein merkwürdiger Befund, wenn man die
bisher berichteten günstigen Erfolge der Bestrahlung der
Basedowstruma bedenkt und zunächst noch nicht erklärbar.
Eine grosse Zukunft dürfte der Strahlenbehandlung der Struma
im allgemeinen nicht bevorstehen.
Nach unseren Erfahrungen wird es sich empfehlen, die
Strahlenbehandlung der Strumen für die oben genannten Fälle
zu resei vieren, d. h. in solchen Fällen, welche zur Operation
wenig geeignet sind, wenigstens einen Versuch der Strahlen¬
behandlung vorauszuschicken. Im übrigen wird man auf die
Bestrahlung der Struma am besten verzichten.
Ueber die Verwendung der Strahlentherapie bei der
Basedowstruma fehlt uns noch die Erfahrung.
Unsere Bestrahlungstechnik ist kurz folgende:
Wir benützen den Reformapparat der Veifawerke
und im allgemeinen die A m r h e i n sehe Röhre. Von
anderen Röhrentypen hat sich uns neben dem Müller-
R a p i d r o h r besonders die Stabilröhre der Radio¬
logiegesellschaft bewährt. Die Bestrahlung erfolgt
gewöhnlich unter 3 mm Aluminiumfilter bei ca. 20 cm Fokus¬
hautabstand bei 3—5 M.A. Belastung. Die Bestrahlungen
werden, wenn möglich, von verschiedenen Feldern vor¬
genommen — bis 25 X (nach Kienböck gemessen) an jedem
Feld — und alle 3 Wochen wiederholt. Wir haben abgesehen
von geringgradigen Erythemen nie irgendwelche lokale Rei¬
zung oder Schädigung, auch keine Spätschädigung gesehen.
Ganz vorübergehend ist die oft im Anschluss an Lymphom¬
bestrahlung auftretende lokale Schwellung und Schmerzhaftig¬
keit. Auch die Reaktionserscheinungen von seiten des All-
gemeinzustandes sind nie ernster Natur gewesen: Kopf¬
schmerzen, Temperatursteigerungen (selten über 38,0 oder
38,5° in ax.), Abgeschlagenheit, bei Bestrahlung des Ab¬
domens gelegentlich Erbrechen sind beobachtet worden.
Unsere guten Resultate bei der chirurgischen Tuberkulose
und besonders die Vermeidung von Schädigungen glauben wir
der Verwendung der hochgefilterten Strahlung zu ver¬
danken: die gleichmässigere Tiefenwirkung und der bessere
Hautschutz sind die Vorteile, welche auch Petersen11)
gegenüber der allgemeiner verbreiteten 1 s e 1 i n sehen Be¬
strahlungsmethode hervorhebt.
Aus der Kgl- Universitäts-Kinderklinik in München
(Vorstand: Prof. Dr. M. v. Pfaundler).
Gibt es einen „schädlichen Nahrungsrest“ beim Säugling?*)
Von Privatdozent Dr. A. U f f e n h e i m e r, Laboratoriums¬
chef der Klinik.
Der Kinderheilkunde wird bekanntlich — und nicht ganz
mit Unrecht — vorgeworfen, dass sie ihre Lehrmeinungen viel¬
fach (und oft innerhalb weniger Jahre) ändere, ja geradezu
umkehre. Dies gilt nicht nur für Fragen mehr allgemeiner
") Petersen: Erfahrungen mit der Röntgenbestrahlung der
Lymphdrüsentuberkulose. Strahlentherapie 6. 1914.
U Nach einem Vortrag, gehalten in Stuttgart auf der gemein¬
samen Tagung der Vereinigung südwestdeutscher Kinderärzte und
der Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.
1*
2028
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Natur als Beispiel neune ich die Infektionswege der Tuber¬
kulose beim Kind oder die Gefährdung des Säuglings durch
die Tuberkulose selber — , sondern insbesondere auch für das
Ernährungsgebiet des Säuglings. Es gibt Praktiker
genug ‘), w elche durch das „fortwährende Pendeln zwischen
den Extremen“ kopfscheu geworden, sich von den Fort¬
schritten gerade unserer Säuglingsdiätetik fernhalten und
lieber in der altgewohnten, dem heutigen, Stand unserer Er¬
kenntnis nicht mehr entsprechenden, schematisierenden Art
ihrer Verordnungen fortfahren. Dabei wird leicht übersehen,
dass so vielfache Aenderungen unserer Ansichten zurückzu¬
führen sind auf die ausserordentliche Arbeit, welche die
Pädiater auf den Ausbau ihrer jungen Wissenschaft verwenden
und auf die stetig sich verbessernde Methodik, die oft
genug die Ergebnisse der Vorjahre durch die Ausgestaltung
ihrer Hilfsmittel auf den Kopf stellt.
Noch im Jahre 1905 konnte Biedert* 2) von seinem
alten „schädlichen Nahrungsrest“ behaupten, dass
er kaum noch von unsicheren Theorien ange-
zweifelt werde. Als solchen bezeichnete er die un¬
verdauten Rückstände des Kuhmilchkaseins
bei künstlich ernährten Säuglingen. Er nahm an, dass diese
einerseits einen mechanischen Reiz auf den durchwanderten
Darm ausiiben, andererseits aber in den unteren Darmab¬
schnitten krankmachenden Zersetzungen anheimfallen 3). Wir
haben es alle erlebt, wie stürmisch die Opposition gegen die
Anschauungen des verdienten Mannes einsetzte, und wie eine
Zeitlang beinahe alles, was mit seinem Namen verknüpft war,
vollkommen abgelehnt wurde.
In den letzten Jahren beginnt hierin eine gewisse Aende-
rung einzutreten. So wird von der Fettanreicherung
der Säuglingsnahrung, selbst bei kranken Kindern, wieder
mehr und mehr Gelbrauch gemacht (Müller-Schloss,
Feer. Reinach usw.), trotzdem wir das Fett als ein be¬
sonders böses Agens recht fürchten gelernt haben („Milch¬
nährschaden“ = Fettnährschaden, Czerny-Keller; Ver¬
werfung des Fettes bei der Therapie der Dekomposition,
F i n k e 1 s t e i n). Umgekehrt erscheint der Lehrmeinung
heute das Eiweiss der Kuhmilch (mit seinem Hauptver¬
treter, dem Kasein) als etwas verhältnismässig unschul¬
diges. Und wenn man es einmal wagt, einem Pädiater gegen¬
über auszusprechen, dass diese Meinung doch nicht ganz
richtig sein dürfte, so wird man mit Nachdruck auf die
Eiweiss milch von F i n k e 1 s t e i n und Meyer hinge¬
wiesen, welche ja gerade bei den schwersten akuten
Ernährungsstörungen (der „alimentären Intoxikation“) als
Heilnahrung verwendet wird4 * *). Ich glaube aber nicht, dass
dieser Schluss a priori richtig ist. Im Gegenteil. Man kann
gerade an dem Beispiel der Eiweissmilch logisch dartun, dass
die verhältnismässige Unschädlichkeit dieser Heilnahrung
nichts beweise für die Unschädlichkeit des in ihr ent¬
haltenen Eiweisses. Nach den ersten tastenden Versuchen
mit der Eiweissmilch, die zum Teil Misserfolge waren, sahen
F i n k e 1 s t e i n und Meyer, dass sie mit dieser Nahrung
nur dann vorwärts kommen konnten, wenn sie den gerade
*) Vergl. Halberstadt: Die moderne Säuglingsdiätetik und
die Praxis. Mschr. f Kdhlk. 12. 1913. N. 8.
-) Die Kinderernährung im Säuglingsalter etc. Stuttgart, Enke.
3) Die „gefährliche“ alkalische Zersetzung im Darm entsteht
nach B. nicht nur ektogen, durch Bakterienverderbnis der Milch,
sondern sie tritt eben in den unteren Darmabschnittten nach Auf¬
saugung des Zuckers und seiner sauren Abkömmlinge wieder oder
neu auf in dem fäulnisfähigen Material des dahingelangenden Käses.
Der Gegensatz zwischen Verdauung von Frauenmilch und Kuhmilch
wird von B. (S. 59) folgendermassen dargestellt: „Das Brustkind
bringt zu einem sehr geringen Eiweiss- einen grösseren Zucker-
bzw. Milchsäurerest mit, und aus einem verhältnismässig bedeuten¬
deren Fettgehalt spaltet ihm der Kolonbazillus reichlicher Fettsäuren
zur Verlängerung der sauren Reaktion ab. Beim Kuhmilchkind
überwiegt in der Regel das noch vorhandene Kasein und stumpft
mit seinen Kalksalzen und den alkalisch reagierenden Ergebnissen
seiner leicht fauligen Gärung die Säuren ab.“
4) Es darf vielleicht an dieser Stelle bemerkt werden, dass die
Eiweissmilch ihren Namen nicht etwa davon hat, dass sie eiweiss¬
angereichert ist: im Gegenteil sie enthält im Liter nur 27 g Eiweiss
(gegen 30 g in der Vollmilch). Wohl aber ist der Gehalt an Fett
und ganz besonders an Zucker wesentlich gegenüber der Vollmilch
reduziert.
Nr. 40.
bei der alimentären Intoxikation so sehr gefürchteten Zucker
in nicht geringen Mengen Zugaben. Sie kamen auf diese Weise
dazu, der Eiweissmilch, welche bei der von Finkeistein
und Meyer geübten Herstellungsweise im Liter 14 g Zucker
enthält (gegenüber 45 g in der Vollmilch) sogar von
vorneherein noch 1 Proz. Zucker zuzusetzen. Da¬
bei erzielten sie viel bessere Erfolge wie mit ihrer ursprüng¬
lichen Eiweissmilch. Es ist heute noch nicht erwiesen,
warum man verhältnismässig grosse Mengen des Stoffes, der
doch für schwer alimentär intoxizierte als „Gift“ betrachtet
werden muss, ruhig zu dieser Heilnahrung zugeben kann (bis
10 Proz.!). Man hilft sich einfach damit, dass man sagt: „Im
Milien der Eiweissmilch“ ist der Zucker verhältnismässig un¬
schädlich •’). Selbstverständlich kann man die
gleicheErklärung mit demselben Rechte auch
für das Eiweiss der Kuhmilch geltend machen.
Seine absolute Unschädlichkeit ist also auch durch die
Erfolge der Eiweissmilch nicht erwiesen. —
Gibt es nun wirklich Tatsachen, die uns heute wieder
zum „schädlichen Nahrungsrest“ Bieder ts hinüberleiten
können?
Meine Untersuchungen, die ich seit dem Jahre 1910 mit
den Herren Takeno, Liwschiz und T sukamoto aus¬
führe. knüpften an den schädlichen Nahrungsrest an. Nach
meiner Meinung war es notwendig, zunächst einmal zu prüfen,
ob es in den Fäzes künstlich ernährter Säuglinge überhaupt
noch Kaseinnahrungsreste gebe, die also der Tätig¬
keit der verdauenden Sekrete wie der eiweissspaltenden Bak¬
terien entgangen sein müssten. Liessen sich solche Reste er¬
weisen, so war erst noch zu diskutieren, inwiefern sie als
schädlich gelten konnten.
Bis dahin war der Nachweis des Kaseins in den Fäzes
auf keine Weise möglich gewesen “)• Auch die biologisclie
Methodik (Präzipitation: Hamburger, Knöpfelmacher)
hatte völlig im Stiche gelassen. Nur von den damals für ein
sehr seltenes Vorkommnis gehaltenen grossen, zähen Stuhl-
brocken erhielt T a 1 b o t mit Hilfe eines Laktoserums
Präzipitation. Inzwischen ist insbesondere durch die Arbeiten
von Ibrahim, Brenne mann, Monrad, Bauer und
Benjamin7) sichergestellt worden, dass das. Auftreten
solcher grober Gerinnsel bei vielen Säuglingen durch Ver-
fiitterung roher Milch willkürlich erzeugt werden kann und
dass es von der Beigabe des durch Labung von Rohmilch
(oder Magermilch) gewonnenen Käses zur Molke abhängig ist.
Ein Zweifel, dass dem Kasein bei dem Aufbau dieser Klumpen
eine nicht unwesentliche Rolle zukommt, ist demnach kaum
mehr möglich — und es darf wohl schon bezüglich dieser
Bildungen ausgesprochen werden, dass sie als ein vom Magen¬
darmkanal nicht weiter verarbeiteter Nahrungsrest an¬
gesehen werden müssen.
Indessen nicht mit diesen, bei der landläufigen Ernährung
mit gekochten Milchmischungen kaum beobachteten Stuhl
beimengungen befassten wir uns, sondern mit den kleinen,
Stecknadelkopf- bis erbsengrossen „Kaseinflöckchen“, die man
sich gewöhnt hat als aus Fettabkömmlingen bestehend an¬
zusehen 8).
”') Dass als ein Faktor dabei der Gegensatz der fäulnis- resp.
dei gärungsfähigen Substanzen in Betracht kommt, ist natürlich klar.
“) Vergl. Uffenheimer und Takeno: Der Nachweis des
Kaseins in den „sogenannten“ Kaseinbröckeln des Säuglingsstuhles
mit Hilfe der biologischen Methodik, insbesondere der Anaphylaxie.
Zschr. f. Kdhlk. Orignalien. 2. 1911. S. 32.
7) Vergl. die einschlägigen Zitate in der demnächst erscheinen¬
den Dissertation von Tsukamot o.
G Dies sei insbesondere auch gegenüber den soeben erfolgten
Ausführungen T o b 1 e r s (in Briining-Schwalbes Hb. d. allg. Pathol. u.
path. Anat. d. Kindesalters. 1. Abt. 2. S 782. Wiesbaden 1914. .1. F-
Bergmann n) mit allem Nachdruck hervorgehoben. Tobler irrt,
wenn er meine und T a k e n o s Untersuchungen auf die grossen
Kaseinklumpen (Milchkoagel, Wachsbröckel) bezieht. Wir haben uns
vielmehr in allen Publikationen gerade mit den kleinen Gebilden, die
auch Tobler als „Fettseifenklümpchen“ bezeichnet, beschäftigt.
Nach dem Resultat unserer früheren Arbeiten und vor allem der vor¬
liegenden Publikation dürfte wohl auch Tobler seine Ansicht
ändern, dass es sich bei diesen kleinen Bröckelchen um ein nach der
„Entstehungsweise“ so völlig von den groben Klumpen „verschie¬
denes“ Ausgangsmaterial handle und dass sie nur „sehr geringe
Mengen Eiweiss“ enthalten.
6. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCH!-: WOCHENSCHRIFT.
2029
Ich zog zunächst (mit I akerto) die anaphylaktische,
dann die Präzipitationsmethode zur Untersuchung heran und
fand dabei in einer nicht geringen Anzahl von Fällen0) Kasein
in diesen Flöckchen, die alle von kranken, m i t Kuh¬
milch ernährten Kindern stammten.
In weiteren Versuchen mit L i w s c h i z 10) gelang es
nicht, zu entscheiden, ob die in den Bröckeln nachgewiesene
Substanz Kasein oder Parakasein sei. Diese Frage
soll daher im folgenden gar nicht mehr berücksichtigt werden;
ich spreche vielmehr immer schlechtweg von „Kasein“, ohne
damit eine ganz sichere Entscheidung geben zu können,
welcher von diesen beiden Körpern, der ursprünglich in der
Milch vorhandene oder der durch die Labgerinnung chemisch
veränderte, tatsächlich nachgewiesen ist. Von grosser Wich¬
tigkeit für die Frage, die uns hier hauptsächlich beschäftigt,
ist diese Feststellung übrigens nicht. Denn beide Körper
erweisen sich biologisch als Antigene; es ist also auch das
Parakasein keineswegs eingreifend abgebaut — und selbst
wenn es nur gelänge, Parakasein häufig im Stuhle nachzu¬
weisen, würde man von einem wesentlichen Nahrungsrest
sprechen können. Bereits in unserer ersten Publikation habe
ich betont, dass man streng genommen überhaupt nur vom
Nachweis von „Rindereiweiss“ sprechen dürfe, da eine letzte
Differenzierung von verschieden konstituiertem Eiweiss der
gleichen Tierart weder mit Hilfe der Ueberempfindlichkeits-
noch der Präzipitationsreaktion gelinge. „In unserem Falle,
wo es sich um Verdauungsreste der Kuhmilch handelt, wird
dies Rindereiweiss ohne weiteres als Kasein bezeichnet
werden dürfen.“ In diesem Sinne also ist künftig hier die
Rede von dem „Kasein“.
Nachdem schon die ersten Untersuchungen an Bröckeln
.011 Stühlen kranker Säuglinge die Anwesenheit des
vaseins in einer bemerkenswerten Zahl von Fällen ergeben
latte, prüfte ich später mit L i w s c h i z solche Gebilde, die
ius den Fäzes gedeihender, künstlich ernährter Säug-
inge gewonnen waren, nunmehr beinahe ausschliesslich mit
lilfe der Präzipitation. Hier nun fanden sich bei dem
trössten Teil der untersuchten Stuhlproben
»ositive^ Resultate A1). Ich glaubte hieraus den Schluss
iehen zu dürfen, dass das Vorkommen biologisch nachweis-
’aren Kaseins in „Kaseinflöckchen“ aus dem Stuhle gut ge-
ieihender Säuglinge ein alltägliches Ereignis sei
nd dass ein (wenn auch vermutlich nicht bedeutender) Anteil
les täglich ausgeschiedenen Stuhlstickstoffes demnach aus
!em als Nahrung aufgenommenen Kasein stamme. Es erschien
lun noch nötig, die bisherigen Ergebnisse durch umfang-
eichere Reihenuntersuchungen zu stützen.
In Herrn Dr. Tsukamoto fand ich einen fleissigen Mit-
rbeiter, der die mühsame T e c h n i k mit grosser Geduld
nwendete. Mit der steigenden Uebung und Erfahrung war
lieselbe so verfeinert worden, dass die positiven Befunde
nmer zahlreicher wurden. War in den Versuchen mit
a k e n o (an kranken Kindern, mit einem verhältnismässig
ochwertigen Laktoserum) etwa die Hälfte der mit der
’räzipitationsmethodik geprüften Fälle positiv, so ergaben
ich in den darauffolgenden Arbeiten mit Liwschiz (an ge-
eihenden Kindern), obwohl nur ein ziemlich geringwertiges
aktoserum zur Verfügung stand, bereits in der grösseren An-
ahl aller Proben positive Resultate. Und nunmehr, wo
i r die M ethodik vollkommen durchgebildet
D Bei 9 von 22 mit Kuhmilchmischungen ernährten Säuglingen
ess sich (im ganzen 26 mal) durch den anaphylaktischen Tierver-
>ch das Kasein in diesen Gebilden nachweisen. Die Präzipitations¬
ethode (mit einem Laktoserum 1 : 3000) ergab unter 37 Versuchen
n 19 mit Kuhmilchmischung ernährten Säuglingen 17 positive Re¬
utat e bei 5 von diesen Kindern.
Ju) Vergl. Uffenheimer: Neuere Untersuchungen zur Kasein-
.'ge. Mschr. f. Kdhlk. Originalien. 12. Nr. 11 und Liwschiz: Bio¬
gische Untersuchungen etc. Inaug.-Diss. München 1913. R. Miil-
- r & S t e i n i c k e.
u) Hegen 40 Untersuchungen. „Bei 12 Kindern im Alter von
N Monaten fanden 18 Untersuchungen statt, deren Kon-
ollen auch nach schärfstem Zentrifugieren nicht
en geringsten Niederschlag zeigten. Fast alle diese j
toben ergaben mit den (ja nicht sehr hochwertigen) Antiseren
ältliche Präzipitation.“ NB.! Die meisten dieser Versuche waren
0 einem Laktoserum vom Titer 1:320 und mit einem Parakasein-
ntiserum vom Titer 1:300 angcstellt!
haben, gelingt es in den Bröckeln das Kasein
regelmässig nachz uw eisen.
Ehe ich Einzelheiten über den Gang und die Ausdehnung
unserer Untersuchungen vortrage, möchte ich daher die
Methodik des Kasein nach weises selber schildern.
h 9.!? «Kasclnbröckel“ werden mit der Platinöse oder mit einem
nolzstabehen aus dem übrigen Stuhlbrei herausgefischt und zunächst
m physiologischer NaCl-Löstmg deponiert. Dann wird eine Anzahl
dieser Brockel **) im sterilen Mörser mit tropfenweise zugesetzter
jo -Natronlauge ungefähr eine Viertelstunde lang sorgfältig verrieben.
Nachdem das Produkt in ein kleines steriles Zentrifugenspitzglas
gebracht ist, wird es dreimal zentrifugiert (und darnach dekantiert),
bis sich kein Niederschlag mehr zeigt. Tritt selbst dann noch ein
solcher auf, so wird die Bröckellösung filtriert und dannn nochmals
zentrifugiert. Von derselben wird 0,1 ccm mit der gleichen Menge
des Antiserums gut gemischt und dann — samt den entsprechenden
Kontrollen, die nie fehlen dürfen — in den kleinen Gläschen auf
- Stunden in den Brutschrank von 37° gestellt: während dieser Zeit
erfohgt öfteres Umschütteln. Dann kommmen die Gläschen für ge¬
wöhnlich auf ein paar Stunden in den „Frigo“ und schliesslich wer¬
den sie A Stunde lang in der elektrischen Zentrifuge bei stärkster Ge¬
schwindigkeit ausgeschleudert. Bei der Ablesung der Resultate wurde
versucht, jedes subjektive Moment auszuschalten. Wir haben beide
jedes Röhrchen unabhängig voneinander untersucht und die Wertung
der Resultate gesondert notiert: es ergaben sich nur unwesentliche
Differenzen. Ich wusste hiebei sehr häufig überhaupt nicht, welcher
\ ersuch in den einzelnen Röhrchen, deren Resultat ich prüfte, ange¬
stellt worden war. Wo sich über die Art des Präzipitates ein Zweifel
ergab, wurde die mikroskopische Prüfung herangezogen.
Ich bin nach vielfältiger Erfahrung sicher, dass man mit Hilfe des
Mikroskopes ein echtes spezifisches Präzipitat sehr wohl von anderen
Niederschlägen kristallinischer, bakterieller oder amorpher Art unter¬
scheiden kann. Ev. (aber dies wird nicht nötig) kann man sogar
noch eine Methylenblaufärbung zu Hilfe nehmen. Im frischen Prä¬
parat besteht das spezifische Präzipitat aus feinsten rundlichen Körn¬
chen, die stets in mehr oder weniger grossen Häufchen (10 — 30 In¬
dividuen etwa) nebeneinander liegen. Auch bei sehr geringem
zweifelhaftem Niederschlag kann man nach Dekantierung der Flüssig¬
keit den Bodensatz mit einer Kapillarpipette aufnehmen und hat dann
genügend Material zur mikroskopischen Untersuchung. Mir ist es
nicht begreiflich, dass Lust13) die mikroskopische Betrachtung des
Sedimentes ablehnt, indem er sagt: „Ich habe nicht gefunden, dass
die Deutung von Fällungen dadurch erleichtert wird.“
Nach diesen technischen Vorbemerkungen möchte ich auf
die neuen Versuche eingehen, die ich mit Dr. Tsukamoto
unternommen habe. Ich gebe nur die wesentlichsten Resultate
wieder und verweise bezüglich aller Einzelheiten auf die bald
erscheinende Inauguraldissertation Tsukamoto- s, in der
auch ein ausführliches tabellarisches Material niedergelegt ist.
Diese letzten Untersuchungen umfassen im ganzen 281 P r ü -
fiingen von Stühlen, welche von 157 Personen,
zumeist Säuglingen, stammten.
Ich berichte zuerst über Untersuchungen der Fäzes von
Kindern, die mit Frauenmilch ernährt wurden. Es
wurden 55 Prüfungen vorgenommen, zu welchen 29 Säug¬
linge das Material hergaben. Von diesen 29 Kindern wäre
a priori zu erwarten gewesen, dass ihre Stühle mit den Kuh-
milchantiseris (Laktoserum und Parakaseinantiserum) kein
Präzipitat ergeben hätten. Bei 21 Kindern zeigte sich
tatsächlich ein solches Verhalten. Bei 8 Säuglingen
aber trat ein zweifellos spezifischer Nieder¬
schlag auf. Zwei von diesen müssen für sich besprochen
werden. Die übrigen 6 hatten alle vor 1—6 Tagen noch
Kuhmilchgemische erhalten. Vorausgesetzt also, dass die Me¬
thode tatsächlich in unseren Händen völlig zuverlässig ge¬
arbeitet hat (und das wird sogleich erwiesen werden), ist
damit gesagt, dass Reste des verfütterten Kaseins trotz mehr¬
tägigen Aufenthaltes im Darm noch nach einer ganzen Reihe
von Lagen soweit unverändert bleiben können, dass ihr bio¬
logischer Nachweis gelingt.
Bei einem Fall von Dekomposition fand sich ein solcher Rest
noch 2 Tage nach Verabreichung von 650 g Eiweissmilch, bei einem
zweiten Fall von Dekomposition einen Tag nach Verbitterung von
200 g Drittelsmilch, bei schweren Ernährungsstörungen 6 Tage nach
Abgabe von 150 g Halbmilch resp. 2 Tage nach Verabreichung von
Schleimmilch, bei einer Lues congenita 3 Tage nach Verbitterung
1 ) Ueber die quantitativen Verhältnisse spreche ich noch an
späterer Stelle.
'■) Die Durchlässigkeit des Magendarmkanals für heterologes
Eiweiss bei ernährungsgestörten Säuglingen. Habil.-Schrift Berlin.
1913. S. Karge r.
2030
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 30.
von 500 g Drittelsmilcli und bei einer „Atrophie“ 4 Tage nach Ab¬
gabe einer Fünftelsmilch. Bei all diesen Säuglingen, ausser dem
letzten, wurden die Untersuchungen nach 1 — 3 Tagen wiederholt. Es
fanden sich später keine Niederschläge mehr. Der Darm hatte aiso
entweder mit seinen Säften oder mit seinen Bakterien den Kascin-
rest in dieser Zeit erledigt.
Von den beiden übrigen Kindern wurde eines mit Tetanie ambu¬
latorisch behandelt. Die Mutter dieses Kindes, dem wir abgedrückte
Frauenmilch verabreichten, wurde aber von der Fürsorgeschwester
überführt, dass sie zu Hause zufütterte. Als das Kind ganz schwere
Anfälle hatte und die Mutter sehr geängstigt war, Hess sie offenbar
von der streng verbotenen Zugabe ab, und in dieser Zeit zeigten
sich auch beim Präzipitationsversuch keine Niederschläge. Es ist
von einem gewisssen Interesse, dass dieses Kind später, als es mit
unserer Erlaubnis einmal täglich Mehlmus zur Frauenmilch er¬
hielt, ebenso wie ein zweites neben der Brustmilch einmal täglich
mit Mus gefüttertes Kind, kein nachweisbares Kasein im Stuhle hatte.
Von grosser Beweiskraft ist schliesslich die letzte Beobachtung,
die der Säuglingsstation unserer Klinik entstammt. Es handelte sich
um eine junge Frühgeburt, die bisher angeblich ausschliess¬
lich mit Frauenmilch (und zwar bei uns abgedrückter
Ammenmilch) ernährt worden war. Trotzdem ergaben die ersten
zwei Untersuchungen seines Stuhles mit den Antiseris ein echtes Prä¬
zipitat. welches einmal auch mikroskopisch identifiziert wurde. Hier
war also (es handelte sich um Untersuchungen, die in die Frühzeit
der vorliegenden Arbeit fielen) unsere Methodik ad absurdum ge¬
führt — oder das Kind erhielt neben der Frauenmilch trotz der
Ueberwachung der Ammen auf der Klinik eben Kuhmilch.
Um hierüber Klarheit zu erhalten, untersuchten wir
Reste aus den Trinkflaschen, in welchen dieser
Säugling seine „Frauenmilch“ erhalten hatte. Die erste Unter¬
suchung ergab sehr starke Niederschlagsbildung, auch bei
der zweiten zeigte sich noch ein positiver Befund. Die dritte
Untersuchung aber fand keine Niederschlagsbildung mehr
(3 Tage nach der zweiten vorgenommen). Denn inzwischen
waren wohl die Ammen (oder war die Amme) durch unsere
wiederholten Prüfungen, aufmerksam geworden. Auch die nun
folgenden Fäzesuntersuchungen ergaben endlich ein Freisein
der Stühle von Kasein. Hier war also offenbar durch
d i e A m m e n i n d e r K 1 i n i k d i e E r a u e n m i 1 c h d u r c h
Kuhmilch verfälscht worden, ein Missbrauch, der
leider auf den Stationen öfter entdeckt wird.
Um nun ganz sicher zu gehen, prüften wir die Milch
einer Reihe stillender Mütter ganz analog der in
den Trinkflaschen Vorgefundenen Flüssigkeit.
Bei den 7 Frauen der Milchküche Westend, denen wir die
Milch selber abspritzten, war keine Spur von Präzipitation
vorhanden. In einer Flasche, welche einer Stationsamme
abgenommen wurde, fand sich einmal ein schwaches Prä¬
zipitat; in der dieser Frau vom Abteilungsarzt direkt abge¬
spritzten Milch wie in der ebenso gewonnenen Milch der
zweiten Stationsamme ergab sich wiederum kein Niederschlag
mit den Milchantiseris.
Es besteht also kein Zweifel, dass unsere
Methodik gänzlich einwandfrei war. Sie zeigte
sich sogar sehr geeignet, Verfälschungen der Frauenmilch
nicht nur in dieser selbst, sondern auch im Stuhle des mit ihr
gefütterten Säuglings nachzuweisen.
Die weiteren Untersuchungen erstreckten sich auf künst¬
lich ernährte Säuglinge. Unter diesen habe ich eine
Reihe von Gruppen unterschieden:
1. Säuglinge mit schweren Ernährungs¬
störunge n.
Es fanden 46 Untersuchungen an den Stühlen von 20 Kin¬
dern statt. Stets ergab sich die Bildung eines
spezifischen Niederschlags. Ich möchte gleich hier
einfügen, dass es sich bald zeigte, dass nicht nur die aus-
gewählten „Kaseinflöckchen“ mit den Antiseris15) durch Nieder¬
schlagsbildung reagierten, sondern auch beliebige nicht
ausgesuchte Stuhlpartikel, die ganz analog den
Bröckeln verarbeitet wurden. Wir haben daher in der Folge
vielfach auch mit derartigen Stnhlpartikeln gearbeitet. Ganz
allgemein lässt sich sagen, dass das Kasein sich zuverlässiger
in den Bröckeln selbst findet. So kann man gelegentlich bei
Bröckeln eines Stuhles mit dem Antiserum Niederschlags-
1!i) Wir kümmern uns hier gar nicht darum, ob ein Niederschlag
mit Laktoserum oder mit Parakaseinantiserum oder mit beiden Seren
erfolgte, ebensowenig wie wir von der Stärke des Präzipitats im ein¬
zelnen Falle Notiz nehmen. Alle diese Beobachtungen wird man in
Tsukamotos Arbeit finden.
bildung erhalten, während nicht ausgesuchte Stuhlpartikel,
welche aus der gleichen Windel stammen, keine Präzipitation
ergeben. Aus solchen Beobachtungen lässt sich — wohl
nicht mit Unrecht — die Anschauung ableiten, dass zwar das
Kasein in den Ausscheidungen des Säuglings meist ziemlich
diffus verteilt ist. dass es sich aber ganz besonders konzen¬
triert in den „Flöckchen“ findet — und deshalb glaube ich,
dass man nicht mehr von sogenannten Kaseinflocken zu
sprechen braucht, sondern ruhig dieses Epitheton ornans weg¬
lassen kann. Es wird wohl kaum der ausdrücklichen Kon¬
statierung bedürfen, dass damit nicht gesagt sein will, diese
Flocken oder Brockel bestünden ausschliesslich aus Kasein¬
resten!
Bei den weiteren Besprechungen werde ich in der Regel
auch nicht mehr berücksichtigen, ob die Prüfungen an
Bröckeln oder an nicht ausgewählten Stuhlpartikeln angestellt
wurden (auch hierüber berichtet Tsukamoto erschöpfend).
2. Säuglinge mit leichteren Ernährungs¬
störungen.
Es wurden 23 Untersuchungen an den Stühlen von 11 Kin¬
dern vorgenommmen. Auch hier ergaben sich überall
Niederschlagsbildungen mit den Antiseris.
3. Nichternährungsgestörte Säuglinge, die
anderweitig erkrankt waren.
Hier fanden 43 Untersuchungen, die 23 Kinder betrafen,
statt. Auch bei dieser Reihe konnte man für alle Säug¬
linge das Vorhandensein von Kasein im Stuhle
erweisen.
4. Gesunde resp. gedeihende Säuglinge.
Bei dieser Gruppe kam es mir auf ein möglichst grosses
Material an; denn wenn sich das Kasein auch in den Stuhl¬
ausscheidungen der gesunden Säuglinge regelmässig nach-
weisen Hess, so war damit der etwaige Einwurf ausgeschaltet,
dass es zumeist erst sekundär durch eine Dysfunktion
der geschädigten Darmwand bei kranken Kindern zu einem
Versagen der vollkommenen Aufspaltung des Kaseins komme.
Im ganzen wurden in dieser Reihe 57 Stühle, welche
52 Säuglingen 10) entstammten, einer Prüfung unterzogen (zu¬
meist sogar unausgewählte Stuhlpartikel!). Es ergaben sich
wiederum positive Resultate für alle unter
suchten Kinder. Ein einziges Kind (Joh. A., Milchküche
Westend) zeigte bei der ersten Untersuchung seiner Stuhl-
bröckel keine Präzipitation mit den Antiseris. Dies waren
überhaupt die einzigen von einem mit Kuh-
milch misch ungen ernährten Säugling stam¬
menden Brockel, welche im Verlaufe dieser
ganzen Untersuchungen mit den Antiseris
keine Niederschlagsbildung ergaben. Als wir
später nochmals Brockel dieses Kindes untersuchten, fand sich
das gewohnte positive Resultat. (Schluss folgt.)
Aus dem Sanatorium Dr. O. Kohnstamm in Königstein i T.
Zur Kenntnis der Beeinflussung vegetativer Zentren
durch die Hypnose.
Von Dr. R. M o h r, fr. Arzt des Sanatoriums, Assistenten der
med. Universitätsklinik zu Leipzig, zurz. Kgl. sächs. Oberarzt.
Dass auch die dem viszeralen Nervensystem unter¬
stehenden vegetativen Funktionen des Menschen mehr oder
weniger der psychischen Beeinflussung unterliegen, ist eine
wohl allgemein bekannte Tatsache * *). Man braucht dabei nur
an die Abhängigkeit der Herzaktion, der Darmtätigkeit von
seelischen Einflüssen zu denken. Aber selbst anscheinend so
wenig mit den psychischen Funktionen zusammenhängende
Vorgänge, wie die doch eng mit der Ovulation verbundene
Menstruation, stehen, wie vor allem die Versuche von
F o r e P) gezeigt haben, unter psychischem Einfluss. Be¬
sonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhänge ein von
10) Es handelte sich entweder um Frequentanten von Milch-
kiiehen oder von Säuglingsheimen; so weit es irgend möglich war,
nahm ich hier Kinder herein, die in der Familie gut gediehen.
*) Vergl. auch O. Kohnstamm: Physiologie und Pathologie
des viszeralen Nervensystems in Mohr-Staehelins Handbuch
der inneren Medizin.
2) Zit. bei Moll: Der Hypnotismus, 4. Aufl. 1907, S. 115.
6. Oktober 1914. _ MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
2031
Kohnstamm“) beschriebener Fall einer 29jähr. Patientin,
bei der durch Hypnose nicht nur prompt die Periode liervor-
yerufen und eine zu lange andauernde Blutung zum Stillstände
gebracht werden konnte, sondern auch durch eine einmalige
Suggestion in der Hypnose ihr kalendermässiges Auftreten
am 1. jeden Monats für längere Zeit sichergestellt werden
konnte. Auch ein Fall von puerperaler Galaktorrhöc,
der bis dahin wie gewöhnlich allen therapeutischen Mass¬
nahmen Widerstand geleistet hatte, wurde von Kohn-
stamm durch einmalige hypnotische Suggestion fast völlig
und dauernd zum Verschwinden gebracht.
Ein vegetatives Zentrum, dessen Abhängigkeit von psychi¬
schen Einflüssen bis in die neueste Zeit völlig unklar blieb, ist
das Temperaturzentrum. Seit langer Zeit hat die Frage nach
der Existenz eines hysterischen Fiebers eine grosse Rolle ge¬
spielt, lange Zeit war man und ist man oft auch jetzt noch
geneigt, somatisch unerklärliche und rasch wieder vorüber¬
gehende, z. T . exzessive Temperaturerhöhungen auf bewusste
1 äuschungen zurückzuführen. Nach den Beobachtungen, die
wir an unserem zu publizierenden Falle zu machen Qelegen-
leit hatten, ist an der Existenz eines psychisch bedingten
Gebers nicht zu zweifeln.
Von früheren klinischen Beobachtungen in diesem Sinne, die
licht häufig sind, will ich besonders Sahli3 4) erwähnen, der in einem
Alle von als hysterisch aufgefasstem Fieber wochenlang Tempera¬
uren bis 44 0 C beobachtet, und Kauffmann5), der in einem Falle
on Hysterie neben zentral bedingten Störungen der Nierentätigkeit
uch psychisch bedingtes Fieber beobachten konnte. 0. Fischer“)
eobachtete bei einer 45 jährigen Frau mit schwerem negativistischen
'tupor eine ca. 12 Tage lang dauernde Temperatursteigerung vom
diarakter einer Febris continua, die sich durch Antipyretika nicht be-
influssen liess. Durch eine einmalige Hyoszin-Morphiuminjektion
-at eine prompt entfiebernde Wirkung ein. die dauernd blieb. Auch
ie starke Hyperhidrosis, die während des Fiebers bestanden hatte,
ieb aus. Fischer schliesst besonders aus dem Umstande, dass
l\oszin und Morphium Gifte sind, die auf die nervösen Elemente
ihmend einwirken, also imstande sind, einen etwa vorhandenen ab-
ormen Reiz im Wärmezentrum zu beseitigen, dass es sich um ein
erebrales Fieber gehandelt hat. Auch die experimentellen Unter¬
teilungen der K r e h 1 sehen Schule 7) haben die Abhängigkeit der
Wärmeregulation vom Zentralnervensystem erwiesen.
Allerdings hält Lewandosky trotz dieser Beobachtungen
i seinem eben vorliegenden Handbuche der Neurologie8) die Lehre
orn rein psychogenen hysterischen Fieber für eine noch unsichere.
Ein Punkt, auf den bei der Debatte über das hysterische
ieber nicht eingegangen ist und der uns bei der Beantwortung
er Frage nach der Existenz eines psychogenen Fiebers
ichtig zu sein scheint, ist die folgende Fragestellung: Wenn
s richtig ist, dass bei der Hysterie rein psychogen Fieber
ntstehen kann, so muss es umgekehrt auch möglich sein,
ieses Fieber durch Suggestivwirkung mit oder ohne Hypnose
um Verschwinden zu bringen. Ferner müsste es a priori
uch möglich sein, bei einer dazu geeigneten Person durch
utsprechende Suggestion einwandfrei Fieber zu erzeugen.
Wir sind in der Lage, an der Hand eines solchen Falles
iseres Erachtens nach völlig eindeutige Antwort auf diese
ragen zu geben. Es dürfte sich um so mehr lohnen, näher
ii diesen Fall einzugehen, als ähnliche Beobachtungen an-
heinend nicht vorliegen. Wir können in diesem Zusammen-
mge nur die Versuche von K r a f f t - E b i n g 8), dem es bei
ner Versuchsperson gelang, beliebige Körpertemperaturen,
B. 36 0 C hervorzurufen, und von Mares und H e 1 1 i c h 8),
neu es öfter gelang, die Körpertemperatur einer hypnoti-
3) Journ. f. Psych. u. Neurol. 7. 1906. S. 221 und: Ueber hypno-
che Behandlung von Menstruationsstörungen etc., Ther. d. Gegenw.
4) Lehrbuch der klin. Untersuchungsmethoden. 5. Aufl. S. 58.
’) M. Kauffmann: Ueber hysterisches Fieber. Zschr. f d.
s. Neurol. 5. 1911. S. 706.
") Ein Beitrag zur Frage des zerebralen Fiebers. Zschr. f. d.
s. Neurol., Origin., 9. 1912. S. 514.
' B- Freund und R. Strasmann: Zur Kenntnis des ner-
sen Mechanismus der Wärmeregulation. Arch. f. exp. Path. u.
arm. 69 1912. S. 12 — 28. — R. Isenschmidt und L. Krehl:
ner den Einfluss des Gehirns auf die Wärmeregulation. Ebenda 70.
2. S. 109 — 134. — H. Freund und E. Grafe: Untersuchungen
er den nervösen Mechanismus der Wärmeregulation. Ebenda 70.
12. S. 135—147.
8) Bd. 5 S. 707.
*) Zit ■ bei Moll: Der Hypnotismus, 4. Aufl. 1907 S. 110.
sicrten Person in dem Zeiträume von 24 Stunden von 37° auf
•D,n C herabzusetzen, anführen. Unser Fall ist aber auch
noch aus dem Grunde besonders interessant, weil wir an ihm
ausserdem noch die psychogene Beeinflussung verschie-
deiier anderer vegetativer Funktionen (Magensaftsekretion,
Menstruation, Nasensekretion) zu zeigen imstande sind.
i WEsmh^de,t um eine 38jährige verheiratete Frau
ko i i, \ nCn- \ater angeblich rückenmarksleidend war (t mit
aSwSfJl * ?en0(?e mit 11 Jahren- dann bis zum 17. Lebensjahre
ausgesetzt, sodann immer unregelmässig, sehr stark und mit Schmer¬
zen verbunden. Patientin wurde in ihrem 29. Lebensjahre deshalb
hlndelf ^listigem Erfolge von, K ° h n s t a m m mittels Hypnose be-
JänSlv. InvhrerT 2j- Lebensjahre ein normaler Partus. Keine Fehl-
Sinm/n^T01’«5^6 fahren angeblich einige Tage an Blinddarm-
B*ett Kelej’e.n-, Pie Patientin zeigt seit langen Jahren
die verschiedensten, gewöhnlich unter dem Bilde der Hysterie ver¬
einigten Beschwerden [Schizothymie im Sinne Kohnstamms11)12)!
SÄ*«" |ie b.ereits öfters hier in Behandlung gestanden hatte.’
sJt das Sanatorium jetzt hauptsächlich wegen Schlaflosigkeit und
Magenbeschwerden auf, die seit Jahren bestehen und sich vor allem
Ä ^iMr besonders nach dem Essen, und durch nach
er rechten Seite Inn ausstrahlende Schmerzen, die ebenfalls nach
dem Essen auftreten, äussern. Dazu kam öfters Uebelkeit und Er¬
brechen nach dem Essen. Die Röntgenuntersuchung ergab nur eine
geringe Verziehung des Magens nach rechts (Adhäsionen?), die Wis-
mutmahlzeit passierte den Magen innerhalb der normalen Zeit. Nach
Abläuf einer Influenza fieberte die Pat. noch mehrere Wochen lang
t Se.kta.Itei"Peratur von ca. 38° und klagte dabei über Fröstel-
gefuhle. Di ein tiefer Hypnosegegebene Suggestion
„Temper atu rabfaH unter behaglichem Wärmc-
“ e ,b ® *,} pte einen sofortigen Temperatur-
a b f a 1 1 auf 36,5 C, aufweichem Niveau die Tempera-
|..a r a u cb verblieb. (Kurve bei a.) Da dieser Abfall auch zu¬
fällig um diese Zeit mit der Suggestion zusammengefallen sein konnte,
suggerierte Ko h nstamm als Gegenversuch an einem der folgenden
läge um 9 Uhr morgens, dass um 10 Uhr die Temperatur unter
Frösteln ansteigen und urn 12 Uhr unter behaglichem WärmegefiihI
wieder abfallen wurde. Die Bewegung der Temperatur
von 36,5° C auf 38,3» C nach oben und dann nacl. unten
wurde prompt zur bestimmten Zeit unter genann¬
ten Sensationen realisiert und von einer zuver-
f/rVwwiz Schwester bei Rektalmessung kontrol¬
liert1-’) (Kurve bei b u. c.)
Nicht minder interessant, wenn auch auf Grund der Pawlow-
schen Untersuchungen leicht verständlich, war die durch die Hypnose
erreichte Aenderung der Magensekretionsverhältnisse und damit der
Beschwerden der Pat. Das L e u b e sehe Probefrühstück, nach
Z\ stunden ausgehebert, hatte ebenso wie das 3 Tage später ver-
abreichte, aus Sardellen-, Wurst- und Käseschnittchen bestehende
Appetitfrühstück, bei der Untersuchung einen schlecht zerkleinerten
einige Schleimbeimischungen enthaltenden Speisebrei gezeigt, der
keine Spur von freier Salzsäure und nur eine sehr geringe Gesamt¬
azidität enthielt. Am 18. II., 1 Uhr mittags Hypnose (Dr. Kohn-
s t am rri) mit der Suggestion, dass die Pat. am nächsten Morgen
das rruhstuck mit grossem Appetit essen würde. In der Tat isst Pat.
das ihr am nächsten Morgen verabreichte, aus 2 Tassen Thee und
Sardellenschnittchen bestehende Appetitfrühstück mit grossem Appetit
und bedauert, dass es nicht mehr war. Die Ausheberung Stunden
spater ergab einen Gehalt an freier HCl von 45 P r o z.
und eine üesamtazidität von 74 Proz. Auch nach dem
) Koh nstamm hat den Fall kurz bei einem Vortrage im
frankfurter ärztlichen Verein (Referat s. M.m.W. 1914 Nr 11 S 624)
erwähnt.
... Z O- Kohnstamm: System der Neurosen vom psycho-biolog.
Standpunkt. Erg d. Inn. M. 1912. — S. auch Schizothymie und
Zyklothymie. B.kJ.W. 1914.
) M. Fr iedemann und O. Kohnstamm: Zur Pathogenese
und sychotherapie bei Basedow scher Krankheit, zugleich ein
Beitrag zur Kritik der psychanalyt. Forschungsrichtung. Zschr. f d
ges. Neurol. 23. 1914.
Vergl- auch M. Friedmann und O. Kohnstamm a. a. O
o» *5 / y.
Nr. 40
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
einige Tage später gegebenen gewöhnlichen L e u b e sehen Probe¬
frühstück (Thee und trockene Semmel) zeigte die Pat. hohe Aziditäts¬
werte (freie HCl 30 Proz.. Gesamtazidität 80 Proz.), ein Befund, der
mehrmals erhoben werden konnte. Ihre subjektiven Beschwerden
waren mit dem Auftreten der Salzsäure nicht unerheblich gebessert.
Ueber die Beeinflussung der Menstruationsanomalien bei dieser
Patientin ist schon früher von Kohnstamm berichtet worden
(vergi. Einleitung). Nicht unerwähnt soll aber bleiben, dass auch ein
blühender, zweifellos katarrhalischer Schnupfen, den sich die Pat.
später während ihres Aufenthaltes im Sanatorium zuzog, mit reich¬
licher Sekretion und Rötung der Nasenschleimhaut auf einfache ver¬
bale Suggestion in tiefer Hypnose spurlos verschwand; die gerötete
Nasenschleimhaut war gleich nach der Hypnose ganz abgeblasst.
Ueberblicken wir noch einmal den Fall, so können wir
zusammenfassend feststellen, dass wir bei einer Patientin, die
mehr der Schizothymie als der Hysterie angehört, einwand¬
frei durch hypnotische Suggestion eine Reihe von vegetativen
Zentren beeinflussen konnten und zwar
1. das Temperaturzentrum. Aus unseren Ver¬
suchen, in denen wir bei Ausschluss jeder Täuschung (rektale.
Messung von der Hand der Schwester!) ein von einer
früheren Influenza her zurückgebliebenes (fixiertes), rein zere¬
brales (sogen, hysterisches) Fieber durch hypnotische Sug¬
gestion zum dauernden Verschwinden bringen
und ebenso wieder hervorrufen konnten, geht
hervor, dass Leitungsbahnen von der Grosshirnrinde zu dem
in seinem Sitze noch nicht absolut festliegcnden, nach Sachs-
Aronsohns14) Wärmestichversuchen im Nucleus caudatus,
nach K r e h 1 15) zwischen dem frontalen Ende der Thalami
und den Vierhügeln gelegenen Temperaturzentrum bestehen
müssen, dass also an der Existenz eines rein zerebral be¬
dingten sogen, hysterischen Fiebers nicht mehr gezweifelt
werden kann. Bei Erkrankungen der Hypophysis und des In-
fundibulum werden auffallend häufig Temperatursteigerungen
beobachtet, so auch von Kohnstamm in einem Fall von
Gumma des Infundibulum (mündliche Mitteilung), der von
Reinhardt seziert wurde.
2. Die ebenfalls einem vegetativen Zentrum unterstehende
Magensaftsekretion. Wir konnten bei unserer vorher
anaziden Patientin durch die hypnotische Suggestion, dass
Patientin mit Appetit essen würde, die Sekretion von reichlich
Salzsäure enthaltendem Magensaft hervorrufen, die auf lange
Zeit anhielt, ohne dass die Hypnose wiederholt zu werden
brauchte. Wenn auch diese suggestive Beeinflussung der
Magensekretion an und für sich etwas Naheliegendes ist, da
es ja allgemein bekannt ist, dass schon die blosse Vorstellung
leckerer Speisen Sekretion (Zusammenlaufen des Wassers im
Munde) hervorzurufen vermag, also sicherlich Bahnen von
der Grosshirnrinde aus zu den entsprechenden Zentren be¬
stehen müssen, so ist der Fall doch insofern interessant, als er
unseres Wissens der erste ist, in dem die Hypnose in
diesem Sinne therapeutisch angewandt worden ist. Wir
können aus der Literatur als Gegenstück nur einen Fall von
gesteigertem Magensaftfluss anführen, bei dem Berg-
mann16) durch hypnotische Suggestion einen therapeutischen
Einfluss ausgeübt und den Magensaft normal gemacht zu haben
glaubt.
3. Aus der Beeinflussung des offenbar echt katarrhalischen
Schnupfens der Patientin durch die Hypnose folgt u. a., worauf
schon K o h n s t a m m in seiner Sympathikusbearbeitung im
Handbuche der inneren Medizin 1T) hingewiesen hat, dass auch
eine echt katarrhalische Entzündung eine nervöse Komponente
haben kann, welche den Vorgang in entscheidender Weise be¬
einflussen kann. In diesem Sinne fasst Kohnstamm18)
auch die Wirkung des Atropins in Fällen von Schnupfen auf;
nur könnte man beim Atropin einwenden, dass die Wirkung
in den in der Schleimhaut gelegenen Endorganen angriffe,
also gewissermassen lokal sei. Anscheinend verlaufen eben
14) Aronson und Sachs: Die Beziehungen des Gehirns zur
Körperwärme und zum Fieber. Pflügers Arch. 37. 1885. — Aron¬
sohn: Ueber den Ort der Wärmebildung in dem durch Gehirnstich
erzeugten Fieber. Virchows Arch. 169.
15) Wesen und Behandlung des Fiebers. Verh. des XXX. Kongr.
f. innere Medizin S. 26.
18) Zit. bei Moll: Der Hypnotismus, 4. Aufl., S. 113.
17) 1. c.
1S) Atropinbehandlung des Schnupfens. Ther. d. Gegenw. 1906
Nr. 11 S. 526.
Fasern von der Grosshirnrinde zu den Zentren des vo
Kohnstamm16) in seinem Verlaufe angegebenen sogei
„Erkältungsreflexes“ 20), so dass eine psychische Beeinflussun
desselben dem Verständnis zugänglich wird.
Aus der pathologisch-anatomischen Abteilung der militärärzi
liehen Akademie München.
Myositis ossificans traumatica.
Ein kasuistischer Beitrag.
Von Stabsarzt Dr. Hermann Schöppler.
Es ist den Aerzten schon seit langer Zeit bekannt, da'
Verletzungen der Muskulatur häufig dazu führen können, das1
in derselben Verknöcherungsvorgänge sich entwickeln. S
schreibt z. B. Rokitansky [10] bereits im Jahre 1844, das
es nicht selten sei, dass in den Muskeln Knochenproduktione
Vorkommen, und er unterscheidet bereits zwischen knocher
erdigen Konkretionen und wahren Knochen im fibroiden Gt
webe der Muskulatur. Er macht auch darauf aufmerksan
dass die seltenere Form dieser Knochenproduktion der wahr
Knochen ist, der „in Form rundlicher, platt-, länglich runc
licher Bildungen von bald spongiösem, bald mehr kompaktei
Gewebe“ sich entwickelt. Er fügt dieser Schilderung bei
dass hieher auch neben dem sogen. Exerzierknochen noej
mancherlei ähnliche Knochenproduktionen gehören. Es i:
nun eine im allgemeinen und den Militärärzten im besondere
bekannte Tatsache, dass Verletzungen des Muskelgewebes, s<
es durch stumpfe Gewalt, sei es durch Zerreissung odt
Zerrung im Muskel nicht selten zu Verknöcherungen in diesei
Gewebe führen. Auch G. B. G r u b e r [7] weist in seind
ausführlichen und grundlegenden Veröffentlichungen auf dies
Eigentümlichkeit hin und sagt davon in seiner jüngsten die:
bezüglichen Arbeit: „Seit langer Zeit ist in dieser Hinsicht d
als ,Reitknochen‘ oder als , Bajonettierknochen1 (Exerzici-
knochen) bekannte Veränderung in viel beanspruchten Muskel
von Soldaten bekannt“.
Ueber einen Fall von Myositis ossificans traumatica, dt
im Garnisonlazarett München zur Beobachtung kam, kann id
nachstehend berichten:
Im Februar 1913 zog sich der E.-Fr. Sehr, der 7. Kp. 1. Inf.-Re
beim Turnen beim Anlauf zu einem Weitsprung infolge Ausrutschei:
und Falles auf den rechten Arm eine Verrenkung des rechten Urte
armes im Ellenbogengelenk zu. Die Röntgendurchleuchtung zeigt al
Knochenkonturen intakt. Die Einrenkung Hess sich leicht vornehme
doch ergab die Röntgendurchleuchtung am 12. IV. 13 bereits eh
ausgedehnte Verknöcherung im Bezirk des Muse, brachialis intern)
die vom Gelenkspalt ca. 8 cm nach aufwärts zog und ein mechanisch*
Hindernis bei Bewegungen darstellte. Da die Beugung fast bis ;
einem rechten Winkel, die Streckung bis zu einem Winkel von 16<
möglich war, Pro- und Supination sich unbehindert erwiesen, wun
Sch. gebessert in das Revier entlassen. Bereits Ende April war«
jedoch solche Bewegungsbeschränkungen eingetreten, dass vo
Neuem Lazarettaufnahme erfolgte. Die Bewegungsexkursiom
waren nur in ganz geringem Masse möglich, verursacht durch eir
im Muse, brachialis internus fühlbare Knochenspange, in der Läng
von etwa !0 cm. I
Das Röntgenbild ergab: Im Muse, brachialis internus verläuft eil
Knochenspange von ca. 2 cm Höhe und 1 Yi cm Breite, die mit de
unterliegendem Knochen in festem Zusammenhänge steht, nur ob<
verläuft sie in einen spitzen Ausläufer, der mit dem Knochen nid
zusammenhängt. Diese Knochenspange hat die Länge von ca. 8 c
und setzt sich direkt an den Gelenkteil des Humerus an.
Durch Operation wurde ein etwa 4 cm langes Stück des vfl
knöcherten Muskels entfernt. Am 28. V. 13 war die Streckung b
zu einem Winkel von 135°, die Beugung bis zu 90° möglich.
Sch. musste am 23. VII. 13 als dienstunbrauchbar entiassi
werden.
Mikroskopisch wurde folgender Befund erhoben: Die Muskulat
erscheint nicht gleichmässig gefärbt und sehen die Muskelfasern a
wie wenn sie in Schollen zerfallen wären. Teilweise wieder mach*
sie den Eindruck der Quellung. Gegen die Verknöcherungszone
werden die Muskelfasern schmal. Sie erscheinen hier oft wie g
wellt. Eine Querstreifung lässt sich nicht erkennen. Gegen die
Auflösungszone zu sieht man dichtes Bindegewebe zwischen c
19) Der Reflexweg der Erkältung und der Temperaturreize übe
haupt. D.m.W. 1903 Nr. 16 S. 279.
20) Wahrscheinlich liegen die Zentren des sogen. Erkältung,
reflexes im Hirnstamm, wofür die Beobachtungen Oppenhein
(Lehrb. d. Nervenkrankh., 6. Aufl. 1913 S. 1336) über einseitigen Au
fall derselben bei der akuten apoplektischen Bulbärparalyse sprecht
6. Oktober 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Muskelfasern eindringen. Dieses Bindegewebe ist zum Teil kernarm,
während an anderen Stellen eine reichlichere Ansammlung von Rund¬
sellen zu sehen ist. Im Bindegewebe liegen sodann knochenähnliche
schollen und Balken. In diesem osteoiden Gewebe glaubt man
.! mol löse Schichtung zu erkennen. Ueberwiegend ist spongiöser
(nochenaufbau nach dem Typus des periostalen und Bindegewcbs-
mochens vorhanden.
Die Verknöcherung der Muskulatur trat also als unmittel¬
bare Folge einer Ellenbogenluxation auf. Es ist nun eine be¬
kannte latsache, dass gerade bei dieser Art von Verletzungen
m Bereiche eines Gelenkes Verknöcherungszustände in der
anliegenden Muskulatur eintreten können. So erwähnt
vV endt [l3l in seiner Arbeit über die Verletzungen des
'lienbogengelenkes, dass er in 80 Proz. seiner Fälle von Ellen¬
ogenluxationen eine Myositis ossificans vorfand. Ebenso
chreibt Machol [9], dass er sie in 90 Proz. seiner Fälle
>ach Luxationen im Ellenbogengelenk auftreten sah. Auch
'udeck [l2l gibt auf Grund seiner eigenen Beobachtungen
in, dass eineüssifizierung, sei es in grösserem oder geringerem
Jmfange, bei Verletzungen des Ellenbogengelenkes und be-
onders bei Luxationen desselben eine keineswegs so seltene
'rscheinung ist, als vielfach angenommen wird.
Man hat über die Entstehung der Myositis ossificans ver-
chiedene Erklärungsversuche aufgestellt. Ist es doch aufge-
allen, dass diese Knochenbildungen einzelne Stellen unseres
vörpers besonders bevorzugen. Auch der Moment des ein-
naligen Traumas wurde nicht selten der Gegenstand be-
onderer Beachtung. Als Erklärungsversuche für die Ent-
tehung der Ossifikation sind angegeben worden: Mnskel-
uptur, flächenförmige Ausbreitung der in Frage kommenden
luskeln, stumpfes Trauma ohne Knochenverletzung, starke
Jcizung des Muskels fz. B. durch Repositionsversuche), früh-
eitige Massage und Gymnastik, Hämatombildung im Muskel,
inerhalb und unterhalb des Periosts u. a. m. Alle diese Ur-
achen bedingen eine mehr oder weniger starke Zerstörung
es getroffenen Weichteilgewebes und auch des Knochens.
>ieses führte auch dazu, dass die Entstehung der Myositis
ssificans zunächst vom verletzten Periost und vom Muskel-
itidegewebe hergeleitet wurde, was wiederum zur Frage
ihrte, ob wahre Geschwulstbildung bei der Myositis ossificans
tattfände oder nicht. Ich weise hier nur auf die Arbeiten von
•üms [5], Cahen [4], Bremig Hl, Grawitz [6], van
er Br i eie [2], Busse und B I e c h e r [3], Schöppler [ll]
. a. m. hin. K ü 1 1 n e r [8] nahm bei der Bildung der Muskel-
erknöcherung sogen, trophische Störungen an, ein immer
och dunkler Punkt in dieser Frage. Auch die von Sud eck
-1 aufgestellte Annahme, dass die Genese der Luxations¬
nochen auf Periost- bzw. Kapselläsion allein zuriiekzu-
ihren sei, dürfte genauerer Prüfung nicht standhalten.
Meiner Ansicht nach handelt es sich bei allen Fällen von
iyositis ossificans um Schädigungen in den Weichteilen, in
men sich der Prozess abspielt, welche dazu führen, dass ein
eil dieses Gewebes zugrunde geht, so z. B. Blutungen, Zer-
.‘issungen von Muskelgewebe, Quetschungen von Periost,
nochenabsprengungen u. a. m. Es entwickelt sich nun auf
rund dieser Läsionen junges, zellreiches Bindegewebe, durch
ts der Verkalkungsprozess seine Bedingungen findet. Ich
aube übereinstimmend mit G. B. G r u b e r [7], dass dieses
a.kmaterial aus dem Kalkbestand des Skelettes bezogen wird,
• dass das Problem der Myositis ossificans als ein Problem.
:s Kalkstoffwechsels aufzufassen ist. Freilich kommen wir
ich damit noch nicht über die uns zurzeit noch unbekannte
rosse der Disposition oder individuellen Veranlagung hinweg,
ie denn auch G r u b e r [7] am Schlüsse seiner eingehenden
rbeit noch den Satz anfügen muss, die erwähnte Disposition,
e man aus klinischen Gründen — und bei der Betrachtung
r Aetiologie — als einen wichtigen Faktor der letzten Ur-
chen betrachtet hat, ist für jede Form von Muskelver-
■ocherung, ja überhaupt für heterotope Verknöcherung nicht
icht ganz zu umgehen.
Literatur.
1. Bremig: lieber Myositis ossificans etc. Inaug.-Diss. Greifs-
ud 1897. — 2. van der Briele: Ein Fall von Myositis ossific.
uim. Inaug.-Diss. Leipzig 1898. — 3. Busse und Blech er:
ber Myositis ossific. Zschr. f. Chir. 73. — 4. Cahen: Intermusk.
teom. D. Zschr. f. Chir. 31. 1891. — 5. Dü ms: Hb. f. Militär-
ankheiten 1. Leipzig 1906. — 6. P. Grawitz: Atlas der patho- '
Nr. 40.
2033
logischen Gewebslehre. — 7. B. G. Grub er: lieber Histologie und
Pathogenese der zirkumskripten Muskelverknöcherung. Jena 1913.
Weitere Beiträge zur pathologischen Anatomie der umschriebenen
Muskelverknöcherung. Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir.
Jena 1914. — 8. K ü 1 1 n e r: Die Myositis ossific. circumsc. Ergeh, d
Chir. u. Orthop. 1910. — 9. M a c h o I: Beitr. z. kl. Chir. 56. 1908. H. 3.
-- 10. Rokitansky: Hb d. nathol. Anat. Wien 1844. — 11. H
Schöppler: Ein Beitrag zur Kasuistik der Myositis ossificans trau¬
matica. Der Militärarzt 1908. — 12. V. Sud eck: Myositis ossificans
oder parostaler Kallus? D. Zschr. f. Chir. 108. Leipzig 1911.
lu. E. w endt: Die Verletzung des Ellenbogengelenkes im Röntgeno¬
gramm. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 23.
Zur Lehre und Behandlung der sogenannten Median¬
stellung der Stimmlippe bei Rekurrensneuritis.
Von Dr. Rudolf Hoffmann in München.
Als ich daran ging, die Schluckschmerzen der Larynx-
phthisiker durch Alkoholinjektion in den Nervus laryngeus
superior zu beseitigen, hegte ich lebhafte Bedenken, ob nicht
uie Ausschaltung eines sensiblen Nerven mit so wichtigen
t eflektorischen Aufgaben wie des oberen Kopfnerven, für
den Patienten unangenehme Erscheinungen zur Folge haben
könnte, vor allem Fehlschlucken und Störung der Motilität
der Stimmlippen. Die menschliche Pathologie gab darüber
keine Auskunft, ich habe in der Ausschaltung jenes Nerven
keine Vorgänger gehabt, dagegen fand ich tierexperimen¬
telle Untersuchungen (Müller, Exner, P i n e 1 e s), die
nach Durchschneidung des genannten Nerven Aenderung in
der Stellung der Stimmlippen gesehen haben. Jedoch sind die
Befunde der Autoren so wechselnd, dass vom Tierversuch
keine Aufklärung über die Folgen zu erhoffen ist, die eine Aus¬
schaltung des Ramus internus des Nervus laryngeus superior
beim Menschen haben könnte. Versuche am Menschen, die
nun in sehr grosser Zahl vorliegen 1), ergaben, dass nach Al¬
koholinjektion Analgesie und Hypästhesie, aber keine An¬
ästhesie der Larynxschleimhaut auftritt und dass die Motilität
der^Stimmlippen keine Beschränkung erleidet. Seinerzeit schrieb
ich 2) : „Besteht die Annahme von v. M e r i n g und Z u n t z zu
Recht, dass nach Durchschneidung des Nerv, laryng. sup.,
ebenso wie nach Kokainisierung der Larynxmukosa die
Medianstellung der Stimmbänder bei Rekurrensschädigungen
schwindet, so wäre bei doppelseitiger Medianstellung mit
suffokatorischen Erscheinungen die Alkoholinjektion in den
N. laryng. sup. (Ram. int.) zu empfehlen.“
Ich musste aber 5 Jahre warten, bis ich eine Median¬
stellung der Stimmlippen beobachten konnte 3).
Ein 27 jähriges Mädchen erkrankte an Halsweh auf der linken
beite mit heftigen Schluckbeschwerden, nach 3 Tagen tritt eine
schnei! bedrohlich werdende Atemnot auf, welche die Ueberführung
der Patientin ins Krankenhaus notwendig macht. Ich sah dort die
Patientin, welche mit ziemlichem Stridor unter Zuhilfenahme der
Nasenflügel und der respiratorischen Hilfsmuskulatur atmete. Die
Einziehung am Jugulum war deutlich. Eine ausgesprochene Zyanose
war nicht vorhanden. Links neben der Trachea war eine starke
Druckempfindlichkeit vorhanden, am vorderen Rande des linken
Kopfnickers sassen einige kleine, etwas druckempfindliche Lymph-
drüsen. Die l'onsillen waren nicht gerötet, der weiche Gaumen
stand auffällig entspannt. Im Kehlkopf war eine unbedeutende
Rötung der Stimmlippen vorhanden, die beiderseits ganz nahe der
Mittellinie standen, die sie in der Phonation erreichten, um dann
wieder in die ..Medianstellung“ zurückzukehren. Die Gegend der
Aryknorpel sowie der Hypopharynx waren frei von Rötung. Der linke
Sinus piriformis war etwas mehr verstrichen als der rechte. Am
Hals war die vorzüglich verheilte Narbe einer vor 2 Jahren ausge-
fiihrtcn Strumektomie (Priv.-Doz. Dr. A c h) sichtbar.
Myo- und arthropathische Prozesse im Larynx waren auszu-
schliessen, ebenso zentrale Störungen. Hysterie kam kaum in Be¬
tracht, denn das Krankheitsbild war das einer Sepsis mit Tem¬
peraturen bis zu 40,6 0 C, Hyperleukozytose und folgenden nephriti-
schen Störungen. Die Atemnot bestand ohne Unterbrechung
ca. 40 Stunden lang. Am wahrscheinlichsten erschien mir die An¬
nahme, dass es sich um einen von den Speisewegen ausgehenden
entzündlichen Prozess infolge eines Fremdkörpers handelte, durch den
der N. recurrens resp. seine Scheide mit getroffen wurde. Meine
Diagnose lautete: beiderseitige spastische Kontraktur der Glottis-
schliesser bei Rekurrensneuritis.
*) Camnitzer: Inaug.-Diss. 1913.
2) Zschr. f. Ohrenheilk. 59. S. 168.
3) Den Fall verdanke ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Prof.
Dr. Brasch, Oberarzt im Schwabinger Krankenhaus.
2
2034
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 40
Wie bei den peripheren Lähmungen meist zunächst die Exten¬
soren ausfallen und eine spastische Kontraktur der Flexoren eintritt,
erscheinen im Larynx bei der Neuritis des Vagus resp. Rekurrens
die den Extensoren entsprechenden Oeft'ner der Stimmritze paretisch,
während die Glottisschliesser sich in Kontrakturstellung begeben,
bei deren Zustandekommen sensible Sensationen, die von der Reiz¬
stelle am Rekurrens ausgehen, eine Rolle spielen dürften.
Nun wäre Gelegenheit gewesen, meinen Vorschlag, die Median¬
stellung der Stimmlipen durch Alkoholinjektion in den N. laryng. sup.
zu korrigieren, auszuführen. Der Zustand erschien aber derart be¬
drohlich, dass ich die sofortige Ueberweisung der Patientin an die
chirurgische Abteilung empfehlen musste. Die Patientin erhielt auf
meinen Wunsch eine Maske zur Einatmung von Menthol und
Kampfer, die ich zu Versuchen bei Pneumokokkeninfektionen auf der
Abteilung liegen hatte. Wie mir die Krankenschwester und die
Patientin mitteilte, war ca. 10 Minuten nach dem das Mädchen die
Maske aufgesetzt hatte, die Atmung frei geworden. Als ich die
Patienten 3 Stunden später sah, war die Respiration und die Motilität
der Stimmlippen, abgesehen von etwas ataktischen Bewegungen, un¬
behindert. Die Patientin trug die Maske mit kurzen Unterbrechungen
24 Stunden und legte sie dann ab, als sie sich überzeugt hatte, dass
die Atemnot nicht mehr auftrat. Die Schmerzen blieben noch einige
Zeit so lebhaft, dass die Patientin die Nahrungsaufnahme ver¬
weigerte. Es erfolgte nach 4 Tagen ein Temperaturanstieg über 40°,
der einen ganzen Tag anhielt, um nach einer intravenösen Injektion
von 10 ccm einer 2 proz. Kollargollösung unter Schüttelfrost abzu-
fallen. Das Krankheitsbild blieb infolge schwacher Herzaktion
noch einige Tage ein sehr bedrohliches, erst 1 Monat nach ihrem
Eintritt ins Krankenhaus konnte die Patientin entlassen werden.
Epikrise: Im obigen Falle wurde also eine spastische
Muskelkontraktur im Larynx durch periphere Anästhesierung
der Kehlkopfschleimhaut gelöst. Es ist auch möglich, dass der
in der Plica nervi laryng. sup. dicht unter der Schleimhaut
liegende innere Ast des oberen Kehlkopfnerven direkt ge¬
troffen wurde. Eine etwaige zentrale Wirkung von Kampfer
und Menthol glaube ich vernachlässigen zu dürfen.
Es lag nahe, das Resultat am Tiere nachzuprüfen.
Krause hat gezeigt, wie man durch Anbringung entzünd¬
licher Reize am Rekurrensstamme „Medianstellung“ der
Stimmlippen erzeugen kann. Dass diese mittels Durchschnei¬
dung des N. laryng. sup. in die Kadaverstellung überführt
werden kann, wies Richard Wagner nach, jedoch war
seine Erklärung für diesen Vorgang eine falsche: Nicht der
Ausfall der motorischen, sondern der sensiblen Funktion jenes
Nerven lässt die Stimmlippe in die sogen. Kadaverstellung zu¬
rücktreten. Die Versuche von v. M e r i n g und Z u n t z wurden
oben erwähnt. Ich möchte mich aber bezüglich derWertung des
Tierexperimentes den Worten des Physiologen Ewald an-
schliessen, dem wir eine vorzügliche Darstellung der Inner¬
vation des Kehlkopfes in Heymanns Handbuch der
Laryngologie verdanken.
„Für die physiologische Untersuchung bietet die Innervation des
Kehlkopfes ganz besonders grosse Schwierigkeiten. Ebenso wie
anatomisch offenbar wesentliche Verschiedenheiten in der Inner¬
vation des Kehlkopfes je nach der Tierart, auch je nach dem
Individuum innerhalb derselben Art Vorkommen, so unterliegt auch
der Erfolg der Reizung oder der Durchschneidung vielfachen Schwan¬
kungen, deren Ursache man bisher nicht genügend kennt. So scheint
die Tierart, das Individuum, sein Alter, die Narkose, die Art des
Reizes usw. von massgebendem Einfluss auf den Erfolg des physio¬
logischen Experimentes sein zu können.“
Ausserdem möchte ich darauf hinweisen, dass beim
Menschen die kortikalen Verhältnisse eine bedeutende
Rolle spielen dürften. Es sei auf ein Beispiel hin¬
gewiesen: Bei Pferden hatte die Durchschneidung des
N. infraorbitalis, die P i n e 1 e s in Anlehnung an ähnliche Ver¬
suche von Bell und M a g e n d i e ausführte, Lähmungs¬
erscheinungen in der Oberlippe zur Folge, während doch die
gleiche Operation am normalen Menschen nie Motilitäts¬
störungen im Fazialisgebiet hervorruft (dagegen könnten die
Erscheinungen von Fazialislähmung nach Alkoholinjektionen in
den Trigeminus, die bei manchen Patienten beobachtet worden
sind, in Parallele gesetzt werden; es handelte sich wohl um
hysterische Personen mit Neigung zu zentralen Hemmungen,
bei denen wir ja auch im Larynx bei Hypästhesie der Pha¬
rynx- und Larynxschleimhaut Stimmbandparesen auftreten
sehen).
Die Sensibilität der Larynxschleimhaut bedarf noch einer
genaueren Prüfung und zwar aller Qualitäten derselben, spe¬
ziell der Tiefensensibilität. Im Kehlkopf liegen ganz besondere
Verhältnisse vor, da oft direkt unter der Schleimhaut Mus¬
kulatur liegt, z. B. der M. arytaenoideus, unter dem wiederum
das Crico-arytenoidealgelenk ruht, so dass eine Herabsetzung
der Sensibilität der Schleimhaut auch den Muskelsinn und da
mit den Gelenksinn beeinträchtigen kann, während ander
seits eine Störung der Qelenksensibilität Störung de
Muskelstellung hervorrufen könnte, z. B. bei der Tabes. Be
letzterer sehen wir häufig die Postikuslähmung infolge neuri
tischer Veränderungen am Vagus und Rekurrens auftreten
So lange die Sensibilität der Schleimhaut intakt ist, bleibt die
spastische Kontraktur bestehen, welche erst dann in die Stel
lung der kompletten Lähmung übergeht, wenn die SensibUitä
der Schleimhaut zu Verlust gegangen oder die motorische Lei
tung oder die Muskulatur gänzlich degeneriert ist.
Einer Arbeit in der Fachliteratur bleibt die ausführliche
Darstellung des Falles und die Wertung seiner Bedeutung fü;
die Physiologie des Larynx Vorbehalten. Sektionsberichtt;
von Postikuslähmungen bei gleichzeitiger Degeneration des
entsprechenden N. laryng. sup. konnte ich in der Literatur
nicht finden. Wünschenswert wären vor allem Unter
suchungen über die Beteiligung des Qlossopharyngeus an de
sensiblen und motorischen Innervation des Larynx. Da*
Weiterbestehen einer Sensibilität der Kehlkopfschleimhaut be
gleichzeitiger Analgesie infolge Alkoholinjektion in den oberer
Kehlkopfnerven spricht dafür, dass Glossopharyngeusfaserf
die Tiefensensibilität und die Schmerzempfindung im Kehlkopf
vermitteln, während die Berührungsempfindlichkeit in dei,
Rekurrens- resp. Vagusfasern geleitet wird, wie ja auch in an
deren von sensiblen Rekurrensfasern versorgten Organen, wi»
Trachea und Oesophagus, unter normalen Verhältnissen keinii
Schmerzempfindungen auftreten.
Der Musculus arytaenoideus muss bezüglich seiner Inner
vation unser ganz besonderes Interesse in Anspruch nehmen
da er wohl der einzige Muskel im Körper ist, bei dem Ur
Sprung und Insertion auf verschiedenen Körperhälften liegen
Zuckerkandl vermutet, dass er vom M. glosso-pharyn
geus innerviert wird.
Zweck dieser Zeilen soll sein, die Nachprüfung des Re
sultates der Schleimhautanästhesierung bei Medianstellung
der Stimmlippen anzuregen, da der Einzelne nur relativ selten
Gelegenheit haben wird, solche spastische Kontrakturen in,
Kehlkopf zu beobachten. Dass die spastische Kontraktur de:
Kehlkopfschliesser durch Ausschaltung der peripheren Sensi
bilität gelöst werden kann, hat nach den, Ergebnissen de:
Förster sehen Operationen (Durchschneidung der hinterer
Wurzeln bei spastischen Kontrakturen) nichts Befremdendes
Der Erfolg ermuntert, zu versuchen, ob nicht auch ändert
spastische Kontrakturen, z. B. die der Extremitäten, durcf
periphere Anästhesierung resp. Analgesierung aufgehober
werden können.
Beim Menschen wird sich die spastische Kontraktil
im Larynx beseitigen lassen 1. durch lokale Anästhesie
(Mentholkampfer), 2. durch Leitungsanästhesie im N. laryng
sup., 3. durch reizlose Durchschneidung des Rekurrens
Nach Durchtrennung aller motorischen Fasern muss di»
sogen. Kadaverstellung der Stimmlippe zustande kommen
ihr Misserfolg ist auf Reizung des Nerven bei der Durchschnei
düng zurückzuführen. Ich möchte deswegen vorschlagen
nach dem Beispiele von G a d den Nerven durch Abkühlum
reizlos auszuschalten und dann die vereiste Stelle vorsichti-
zu durchtrennen. Handelt es sich um frische infektiöse ent¬
zündliche Erscheinungen am Nerven, so wird sich die 1. Me
thode empfehlen. Bei zentralen Lähmungen die 2. und be
Rezidiven event. die 3., bei der zur Vermeidung der Wieder
Vereinigung der beiden Enden eine parallele Zurücknahme
resp. Versenkung des Stumpfes zu empfehlen wäre. Be
spastischen Kontrakturen der Extremitäten stände auch dk
Lumbalanästhesie zur Verfügung (eventuell Magnesiumsulfa
lumbal), besonders als differentialdiagnostisches Hilfsmittel be
hysterischen Kontrakturen.
Die von mir benützte Lösung war
Menthol 1,0 (—3,0)
Kampfer 3,0
Aether 4,0 (—6,0).
Von dieser wurden ca. 7 Tropfen auf das Drahtgeflecli
des Gestelles 4) aufgetropft. Nach Verdunstung des Aether1
’) Zu haben bei Katsch, Instrumentenfabrik, München, Petten
koferstrasse.
6. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
wird letzteres vor der Nase in Position gebracht. Der Patient
soll zunächst durch die Nase ein- und durch den Mund aus-
atmen. Vor der Mentholanwendung bei Kindern ist gewarnt
worden, ich glaube, es lag ein Beobachtungsfehler zugrunde.
Wenn es in Salbenform in die Nase gebracht wurde und da¬
nach Glottisspasmen auftraten, so beruhte das auf der Reiz¬
wirkung des auftragenden Wattestäbchens auf die Nasen¬
schleimhaut, wie ich das im Tierexperiment beobachten
konnte.
Ich möchte diese einfache Methode auch zur Behandlung
der Larynxkrisen,- bei denen ich vor Jahren in einem Falle
Alkoholinjektion in den Nerv, laryng. sup. erfolgreich ver¬
wandte, bei Dysphonia spastica, bei Keuchhusten und den
Glottisspasmen rhachitischer Kinder, sowie zur Kampfer¬
behandlung der Pneumokokkeninfektion empfehlen. Bei letz¬
teren hätten sie gegenüber resp. neben intravenösen In¬
jektionen den Vorteil der protrahierten Wirkung sowie des
gleichzeitigen Effektes auf den Olfaktorius und Trigeminus.
Zum Schutze des Arztes bei Röntgendurchleuchtungen.
Von Dr. Leo Moses in Frankfurt a. M.
Seitdem man erkannt hat, dass die Röntgenstrahlen auf den¬
jenigen, der gezwungen ist, sie häufig anzuwenden, schädliche Wir¬
kung ausüben, hat man auch begonnen, nach einem vollständigen
3trahlenschutz der Untersucher und des Personals zu streben. Man
glaubte früher, die Röntgenröhre teile den Raum in zwei Hälften,
von denen die eine, Röntgenstrahlen enthaltende, gefährlich sei, die
indere, „röntgenstrahlenfreie“ aber ungefährlich. Heute wissen wir,
lass die rückwärtigen Glasstrahlen teils von der Rückseite der Anti¬
kathode ausgehende Röntgenstrahlen, teils den Röntgenstrahlen an
Schädlichkeit noch
überlegene Sekun¬
därstrahlen (gefil¬
terte Röntgen¬
strahlen) sind.
Es wurden dann
auf Grund derbitte-
renErfahrungen der
Pioniere des Spe-
zialgebietesSchutz-
wände oder Schutz¬
häuser angewandt,
oder die Röhre
wurde in Schutz¬
kasten eingeschlos¬
sen. Man muss
heute unbedingt
Schutzverkleidung
der Röhre und
Schutzhaus ver¬
langen. Denn die
Röhrenkasten sind
wegen derForm der
Röhre und Kabelzu¬
führung sehr weit
davon entfernt,
strahlendicht zu
'ein. und die Schutzwand ist zwar ein Schutz gegen die direkten
Mrahlen, keineswegs aber gegen die vagabundierenden Sekundär-
trahlen.
Nun ist ja nicht zu leugnen, dass seit Einführung der, wenn auch
invollkommenen, Schutzvorrichtungen die schweren Hautschädi-
:ungen und die Kinderlosigkeit der Rönt-
ynologen aufgehört haben. Ob auch die
Veränderung des Blutbildes, erscheint,
;elinde gesagt, sehr zweifelhaft. Die Ver-
mderung des Blutbildes erfährt nur der,
ler sie wissen will, und es ist leicht
legreiflich, wenn auch sehr zu bedauern,
lass in diesem Punkte Vogelstrauss-
»oliiik getrieben wird; sehr zu bedauern,
veil es doch kein gleichgültig Ding ist;
ind noch mehr, weil die fahrlässige Un¬
kenntnis und Unterschätzung des nicht
•vahrnehmbaren Feindes, ausser für die '
ngene Gesundheit auch für die Gesund¬
st des Personals schädlich ist, und so
us der unangebrachten Sorglosigkeit so¬
wohl gesundheitliche als auch auf dem
\ege der immer beliebter werdenden Haftpflichtprozesse schwere
wirtschaftliche Nachteile erwachsen können.
Die grösste Sorglosigkeit hat bisher bei den Durchleuchtungen
uit Röntgenstrahlen gewaltet. Man beachte die Gefährdung der
ntersucher in den beiden Skizzen Eig. 1 und Fig. 2.
Fig. 1.
Fig. 2.
2035
Jeder erfahrene Untersucher weiss, dass neben dem hellen
Bereich des direkten Röntgenlichtes, der an sich bei offener Blende
weit grösser ist als 30 X 40, noch ein halbhelles Feld entsteht, das
dem Bereich der die dünne Bleiwand durchdringenden harten Se¬
kundärstrahlen ent¬
spricht.
Und ich frage:
Wieviel Röntgen¬
ärzte tragen bei der
Durchleuchtung
Handschuhe? und
wieviele tragen
überhaupt einmal
die schwere Schutz¬
schürze? Aber
selbst wenn sie sie
regelmässig tragen
würden, so würde
dies, wie ein Blick
auf die Skizze zeigt,
keineswegs ausrei¬
chen.
Dem unbedingt
erforderlichen
Strahlenschutz zu
genügen, habe ich
eine Durchleuch¬
tungsschutzwand
konstruiert, die ge¬
stattet, den Schirm
allseitig zu bewe¬
gen, die gleichzeitig
als Stützwand für
Aufnahme des ste¬
henden Patienten
benutzt werden
kann und schliess¬
lich unter voll¬
kommen sicherem
Strahlenschutz den
Patienten während
der Durchleuchtung
zu dirigieren und zu
palpieren erlaubt.
Die Schutzwand besteht aus einer feststehenden, etwa 2 m
breiten und 2(4 m hohen, mit Blei belegten Holzwand, die einen
grossen Ausschnitt trägt, vor welchem sich eine zweite, gleichfalls
mit Blei belegte und mit einem Ausschnitt versehene Wand horizontal
bewegen lässt. Vor dem Ausschnitt dieser zweiten lässt sich eine
dritte Wand ver¬
tikalbewegen, die
ihrerseits eine
Oeffnung für
Schirm resp. Ka-
sette trägt. Der
ganze Apparat ist
von der Firma
Reiniger, Geb-
bert & Schall
so ausgeführt,
dass der Schirm
bezw. die Kasette
stets equilibriert
aufgehängt ist und
sich trotz der
Schwere d. Wand
leicht bewegen
lässt.
Seitlich und un¬
terhalb des Schir¬
mes befinden sich
Oeffnungen, die
Schutzärmel mit
Handschuhen tra¬
gen, so dass es
möglich ist, strah¬
lengeschützt den
Patienten zu diri¬
gieren und zu
palpieren. Es ist
ausserdem ein
Markierungsnetz
für verschiedene
Plattengrössen
vorgesehen, da¬
mit kleinere, am Durchleuchtungsschirm eingestellte, zu photographie¬
rende Partien nachher sicher auf die in der Kassette an gleicher Stelle
eingelegten kleineren photographischen Platten fixiert werden können.
In meinem besonderen Falle habe ich die Schutzwand als eine
Wand des Schutzhauses ausführen lasssen. Zur Verständigung mit
2*
2036
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 40.
dem Patienten ausserhalb des Schutzhauses ist eine der Licht¬
schleuse nachgebildete Strahlenschleuse angebracht.
Es ergibt sich hierbei der grosse Vorteil, dass das Schutzhaus
für sich allein verdunkelt werden kann. Es braucht dann zu Durch¬
leuchtungen das Röntgenzimmer nicht verdunkelt zu werden, und es
fällt dann bei nervösen und schwächlichen Kranken und bei Kindern
die unangenehme Beängstigung weg. Der Arzt braucht bei Durch¬
leuchtung mehrerer Personen nacheinander sich nicht für ieden Pa¬
tienten neu zu akkommodicren, da er in dem verdunkelten Schutzhaus
bleiben kann.
Die Forderung des grösstmöglichen Strahlenschutzes ist ent¬
sprechend dem heutigen Stande unserer Wissenschaft eine unbedingt
notwendige, und cs sollten sich alle Aerzte und Krankenhausleitungen
angelegen sein lassen, sowohl im Interesse der Angestellten, als auch
im eigenen Interesse den gleichen Schutz zu erstreben.
Bücheranzeigen und Referate.
M. R u b n e r, M. v. G r u b e r und M. Ficker: Handbuch der
Hygiene. Leipzig 1913. Verlag von S. H i r z e 1.
3. Bd„ 1. Abt., VII und 853 S. 8" mit 146 Abb., Preis 27 M.;
2. Abt. VII und 536 S. 8° mit 73 Abb. und 25 färb. Tafeln. Preis 24 M,;
3. Abt. 392 S. 8° mit 192 Abb. und 32 färb. Tafeln, Preis 24 M.
Der gesamte 3. Band des Handbuches der Hygiene umfasst die
Infektionskrankheiten.
Die Einleitung der 1. Abteilung bildet eine von M. Ficker
gegebene Darstellung der Geschichte der Lehre von den
Parasiten, welcher die Allgemeine Morphologie der
Bakterien, Hefen-, Faden- und Schimmelpilze von
P. Th. Müller folgt. M. Ficker behandelt dann in ausgezeichne¬
ter Weise die allgemeine Biologie der Mikroorgan is-
m e n, unter kritischer Verarbeitung einer reichlichen Literatur.
Einer kurzen Darstellung über qualitatives und quanti¬
tatives Arbeiten in der Bakteriologie von M. N e i s s e r
folgen die beiden Artikel von E. Gottschlich über allgemeine
Epidemiologie und allgemeine Prophylaxe der In¬
fektionskrankheiten. Der Verf. zeigt sich als vorzüglicher
Kenner der epidemiologischen Forschung und entsprechend seiner
grossen Erfahrung in der Fernhaltung und Bekämpfung exotischer
Seuchen ist das Kapitel über allgemeine Prophylaxe mustergültig be¬
arbeitet. Von M. Grassberger erhalten wir eine Monographie
der modernen Desinfektionslehre, die ca. 300 Seiten umfasst
und von U. Friedemann eine Darstellung der Infektion und
Immunität. Beide Bearbeitungen bieten in diesem Rahmen eine
oräzise. mit der Kenntnis des Fachmannes ausgestattete lehrreiche
Uebersicht der gesamten einschlägigen Materie.
Die 2. Abteilung bringt die pflanzlichen Parasiten,
d. h. die spezielle Darstellung der bakteriellen Krankheitserreger.
Ihnen sind, da die systematische Stellung der Spirochäten noch un¬
sicher ist, das Rückfallfieber, die Syphilis und die Plaut-
Vincen tische Angina angereiht. Es folgen die patho¬
genen Fadenpilze, Schimmelpilze und Blastomyze-
ten; endlich die Infektionskrankheiten zweifelhafter
Aetiologie: die Pocken, Masern, der Scharlach,
Keuchhusten, Trachom, Hundswut, Spinale Kinder¬
lähmung, Gelbes Fieber, Flecktyphus. Als Mitarbeiter
dieses in sich abgeschlossenen und einheitlich durchgeführten Bandes
fungieren C. Fraenken, E. Friedberger, H. A. Gins,
E. G o 1 1 s c h 1 i c h, P. Th. Müller, M. Neisser und E. U ti g e r -
mann. Einzelne Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose, Typhus,
Pest, Cholera, Diphtherie haben eine weitgehende und erschöpfende
Behandlung erfahren.
Die 3. Abteilung enthält die tierischen Parasiten in
3 Abschnitten bearbeitet. Voraus geht als Einleitung eine all¬
gemeine Parasiten künde von Th. v. Wasielewski; so¬
dann folgt als 1. Kapitel: die schmarotzenden Protozoen
von demselben Autor, weiterhin die schmarotzenden Wür-
m e r von v. Wasielewski und G. W ü 1 k e r und endlich die
schmarotzenden Gliederfüssler von v. Schuckmann.
Als Ergänzung und Erläuterung sind der 3. Abteilung 32 farbige
Tafeln beigegeben.
Dem grossen Gebiet der tierischen Parasiten, welches bei der
modernen hygienischen Forschung eine so bedeutsame Rolle spielt,
ist erfreulicherweise ein weiter Raum zur Verfügung gestellt worden,
so dass auch die verbreitetsten und wichtigsten Protozoenkrank¬
heiten, wie die Malaria, die Schlafkrankheit, ebenso die Amöben¬
erkrankungen etc . eine eingehende Beschreibung erfahren konnten.
Als sehr zweckmässig werden die Literaturzusammenstellungen am
Schluss ieden grösseren Abschnittes empfunden werden.
4. Band, 1. Abteilung, mit 92 Abbildungen. Preis 15 M.
In der 1. Abteilung des 4. Bandes ist enthalten:
Otto Heubner, Hygiene des Kindesalters; S. Merkel,
H. Schmieden und J. B o e t h k e, Krankenhäuser; Rudolf Abel,
Leichenwesen; Karl Kisskalt: Arme, und ein zweiter Abschnitt
Gefängnisse; Karl S ü p f 1 e, Hygiene des schulpflich¬
tigen Alters; Hugo Räuber, Organisation des Ge¬
sundheitswesens durch Staat und Gemeinde. Ab¬
riss der wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen.
Ganz ebenso wie in den bisher erschienenen Bänden ist auch
hier die Darstellung der einzelnen Kapitel vortrefflich, und es wird
den Fachmann mit Genugtuung erfüllen, dass der z. T. fernerliegende
Stoff in sehr übersichtlicher und kompletter Form dargeboten wurde.
So dürfte z. B. im Kapitel ..Krankenhäuser“ auch für den Spe¬
zialisten nichts unberücksichtigt gelassen sein. Die nächst grösseren
Abschnitte stellen die ..Hygiene des schulpflichtigen
Alters“, die ..Hygiene des K i n d e s a 1 1 e r s“ und das
„L eichenwesen“ dar, Bearbeitungen, die, wie auch die kurzen
Artikel, nach Objektivität und Sachkenntnis in jeder Weise be¬
friedigen müssen. R. 0. N e u m a n n - Bonn.
R. Kraus und C. Levaditi: Handbuch der Immunitäts-
forschung und experimentellen Therapie. Mit besonderer Berück¬
sichtigung der Technik und Methodik. 1. Lieferung. G. Fischer.
Jena 1914. 5 M.
Das Handbuch stellt eine neu bearbeitete und erweiterte zweite
Auflage des vor 5 Jahren erschienenen Handbuches der Technik und
Methodik der Immunitätsforschung dar und ist auf 6 Bände berechnet.
Wie bei der ersten Auflage sind als Mitarbeiter die besten Autoren
fast aller Nationen und auch Vertreter verschiedener Schulen ge¬
wonnen, die eine Gewähr dafür bieten, dass der Stand der gesamten
Immunitätsforschung und der internationalen Literatur wiedergegeben
wird. Neben der im Vordergrund stehenden Technik und Methodik
soll auch der theoretischen Darstellung des Stoffes ein breiter Spiel¬
raum eingeräumt werden. In dem ersten Teil wird die Ge¬
schichte der Immunitätsforschung und experimentellen Therapie
von den Begründern der Lehre wiedergegeben. Bordet gibt einen
kurzen, aber umfassenden geschichtlichen Ueberblick, v. Behring
schildert die Geschichte der Toxine und Antitoxine, E. Metschni-
koff die der Phagozytenlehre, R. Pfeiffer der Bakteriolysc,
Dcnys der Bakteriotropine und M. Grubej die Geschichte der
Entdeckung der spezifischen Agglutination. Diese Beiträge geben dem
Fachmann und dem Historiker wertvolles und authentisches Material
für die Geschichte der Immunitätslehre.
Dicudonne - München.
C. Hamburger: Ueber die Ernährung des Auges. Mit
26 Textabbildungen und 8 farbigen Tafeln. Leipzig 1914. Verlag von
Georg T h i c m e. Preis 8 M.
Die herrschende Lehrmeinung geht dahin, dass das Vorder-
kammerwasser vom Corpus ciliare abgesondert wird, durch die Pu¬
pille in die Vorderkammer Übertritt und das Auge auf dem Wege
der Filtration in die Blutgefässe, vornehmlich den Schleminschen
Kanal (Plexus venosiis Schl.) verlässt. Demgegenüber verteidigt
Hamburger — unter zusammmenhängender Aufführung der
Gründe und Gegengründe der Meinungen — die (von ihm durch
eigene Arbeiten gestützte) Annahme, dass das Corpus ciliare nicht
die Hauptquelle des Humor aquaeus sei, sondern dass dieser haupt¬
sächlich von der Iris abgesondert werde; der Weg zwischen Hinter¬
und Vorderkammer durch die Pupille sei für gewöhnlich geschlossen;
und endlich erfolge der Abfluss nicht nach streng hydrostatischen
Ciesetzen und nicht vornehmlich durch den S c h 1 e m m sehen Kanal,
sondern hauptsächlich durch die perivaskulären Lymphräume der
Irisgefässe.
H s Ausführungen tragen naturgemäss vielfach den Stempel
polemischer Darstellungsweise; sie sind im Streit der Meinungen als
lesenswerte und anregende Publikation zu charakterisieren; sehr
interessant sind z B. auch die Auslassungen über die Wirkung der
Glaukomoperation. Lohmann - München.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie.
16. Band, 2. Heft.
L. Fraenkel: Wirkung von Extrakten endokriner Drüsen aui
die Kopfgefässe. (Aus dem pharmakol. Institut in Breslau.)
Die Innervation der Kopfgefässe lässt sich nach der von
H ü r t h 1 e angegebenen Methode prüfen, wobei der Blutdruck im
zentralen und im peripheren Stumpf einer durchschnittenen Karotis
gleichseitig aufgezeichnet wird; der Quotient 2entra|er Blutdruck — c
wird kleiner bei Erweiterung, grösser bei Verengerung der Kopf¬
gefässe. Reizung des Sympathikuskopfteils bewirkte dement¬
sprechend bei 2 verschiedenen Tieren (Kaninchen und Hund) über¬
einstimmend eine Zunahme des Quotienten; Amylnitrit und Chloro¬
form bewirkten eine Abnahme desselben. Rein zentral, d. h. das
Herz allein treffende Schwankungen, wie beträchtliche Blutentnahme
(von 40 ccm bei Kaninchen) oder Hinzufügung isotonischer Kochsalz¬
lösung hatten keinen nennenswerten Einfluss. Schwankungen des
Quotienten bei Einwirkung von Substanzen sind somit im Sinne einer
Beeinflussung der Vasomotoren des Kopfes zu deuten. Von den ver¬
schiedenen zur Prüfung gelangenden Substanzen, gaben der ganze
Eierstock, das Pankreas, die Thymus, die Thyreoidea, die Epithel¬
körperchen, das Corpus luteum mit Kochsalz, Salzsäure, Alkohol.
Pepsin oder Trypsin extrahiert, keine konstanten Wirkungen. Da¬
gegen bewirkte das von F. Hoffmann-La Roche & Co. bereitete Luteo-
glandol, in noch stärkerem Masse das Epiglandol aus der Zirbeldrüse
Kopfgefässerweiterung. Stark elektive Wirkung hatten die Hypo-
6. Oktober 1914.
muünchener medizinische Wochenschrift.
2037
physe und die Nebennieren. Der intermediäre Abschnitt der Hypo¬
physe bewirkte enorme Blutdrucksteigerung. Bei der Katze fielen
2 Versuche mit Hypophysenpräparaten negativ aus.
C. U. Bry. Lieber die respirationserregende Wirkung von Phe-
nyläthylaminderivaten. (Aus dem pharmakol. Institut in Breslau)
Die Prüfung der von der Firma F. Hoffmann-La Poche & Co. zur
Vertilgung gestellten Präparate ergab, dass das p-Oxyphenyläthyl-
benzylainin, das p-Oxyphenyläthyl-3 methoxy-4 oxybenzylamin das
p-Oxyphcnyläthylpiperidin und das Aminomethylhydrinden sehr stark,
das Phenyläthylamin, das p-Oxyphenyläthylamin, das Hexahydro-
phen> latnylamin, das dimethoxylierte p-Oxyphenyläthylbenzylamin
und das Hordenm ziemlich stark; das p-Oxyphenyläthyl-3-4 me-
thylendioxy benzylainin, das 3,5 Diamino-4 oxyphenyläthylamin und
das Dispnenylathylendiamin sehr wenig, das Aminophenyläthylamin,
das Indolathylamin und das Adrenalin gar nicht respirationserregend
wirken, antagonistische Versuche mit Chloralhydrat einerseits und
p-Ox> pheiij läthyl-3 methoxy-4 oxybenzylamin oder Aminomethyl¬
hydrinden andererseits ergaben ebenfalls kräftig erregende Wirkung
auf die Respiration.
K. Brandenburg und A. Laqueur: Ueber die Aende-
rungen des Elektrokardiogramms von Herzkranken durch Kohlen-
säuiebader. (Aus der II. inneren Abteilung und dem hydrothera¬
peutischen Institut des Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin.)
Die Reaktionsweise der Kranken wurde, genügende Kraft des
Herzmuskels vorausgesetzt, wesentlich bestimmt durch die Art der
Anspruchsfähigkeit ihrer kardialen und vasomotorischen Reflexe. Bei
der Analyse des Elektrokardiogramms wurde zu unterscheiden ver¬
sucht zwischen Veränderungen durch äussere Bedingungen: Wider-
standszu- oder -abnahme im Ableitungskreis und Verschiebung der
Herzlage durch die tiefere Einstellung des Zwerchfells und zwischen
Aenderungen durch innere Bedingungen, den unmittelbaren und eigent¬
lichen, durch nervöse Reflexmechanismen am Herzen ausgelösten Zu¬
ständen. Der Hautwiderstand wurde gegen einen konstanten Strom
von 1,5 Volt Spannung bestimmt, Der Einfluss des Wechsels des
Widerstands liess sich somit ausschalten, dagegen war es nicht mög¬
lich, den Einfluss der Lageveränderung bei den mannigfaltigen Be¬
dingungen zu fassen, die bei Drehung und Senkung pathologisch ver¬
änderter Herzen durch tiefere Einstellung des Zwerchfells möglich
sind. Bei der Aufstellung eines Reaktionstypus wurden daher die
ralle mit unveränderten unteren Lungengrenzen besonders beachtet.
Herzkranke ohne besondere nervöse Störungen und mit zureichendem
Herzmuskel zeigen etwa 10 Minuten nach dem Bad Blutdrucksteige¬
rung, häufig Tiefertreten der unteren Lungengrenzen, erhebliche Zu¬
nahme des Leitungswiderstandes der Haut, dementsprechend Er¬
niedrigung der Vorkammerzacke und der ersten Kammerzacke, da¬
gegen Erhöhung der Endschwankung der Kammer. Die Voltzahlen
sind für die Vorkammerzacke nahezu unverändert, für die Initialzacke
ein wenig erhöht, für die Finalschwankung bedeutend erhöht. In
diesem Verhalten der Voltzahlen kommt die unmittelbare und eigent¬
liche Wirkung des Bades, im Elektrokardiogramm zum Ausdruck,
“er her gehört auch die Verlangsamung der Schlagfolge und die Ver¬
zögerung der Reizleitung zwischen Vorkammern und Kammern, bei
en untersuchten Kranken waren die Reaktionen durchaus nicht
miner vollständig ausgebildet; wahrscheinlich weniger infolge
etwaiger organischer Erkrankung als durch eine abweichende nervöse
xetlexerregbarkeit bedingt. Kranke mit rein nervösen Herzbeschwer¬
den zeigten etwa 10 Minuten nach dem Bad gewöhnlich Erhöhung des
Hautwiderstandes, manchmal in ungleicher Stärke an Brust und
Vrmen, zuweüen tiefere Einstellung des Zwerchfells; in der Regel
eh en Pulsverlangsamung und Blutdrucksteigerung. Die Kurve des
Elektrokardiogramms zeigt bei Widerstandszunahme eine gleich-
nassige Erniedrigung sämtlicher Zacken und zumeist kaum ver-
inderte Voltwerte, also nur mittelbare Beeinflussungen des Elektro-
«ardiogramms.
- , Roth: Untersuchungen über die Entstehung der nervösen
xtrasystolen. (Aus der med. Klinik in Zürich.)
Bei einem nach dem Ergebnis der physikalischen Untersuchung
•oiig herzgesunden 18jährigen Mann mit einem angioneurotischen
»edem gelang es durch Kombination des Vagusdruckversuches mit
wenalminjektionen vorübergehend ventrikuläre Extrasystolen (teils
n Form von Bigeminis, teils interpolierte E.) zu erzeugen Die Blut-
nucksteigerung durch das Adrenalin war dabei nicht ausschlaggebend,
-a sie in 2 Versuchen erst, nachdem keine Extrasystolen mehr aus-
.eiost werden konnten, auftrat; es muss deshalb eine direkte Ein¬
wirkung des Adrenalins auf den Akzelerans angenommen werden, die
euoch nur bei gleichzeitiger Pulsverlangsamung durch Vagusreizung
■ur Extrasystole führte; der Atropin versuch löste keine Extrasystolen
Aennliche versuche an anderen herzgesunden Individuen ge¬
angen nicht, es ist wahrscheinlich, dass der Patient an einer laten-
ui Herzneurose litt, die experimentell zu einer manifesten gemacht
raen konnte. Bei einem an spontan auftretenden Extrasystolen
i tachykardischen Anfällen leidenden 32 jährigen Mann schwanden
iij-selben unter Atropinwirkung völlig; Adrenalininjektion rief eben-
s keine Extrasystolen hervor. Die Vagusausschaltung durch
wopm hatte die rein nervöse Extrasystolie zum Verschwinden ge¬
macht.
C. v. Leersum und J. R. F. Rassers: Beitrag zur Kennt-
»s des experimentellen Adrenalinatheroms. (Aus dem pharmakol.
nstitut in Leyden.)
8 Versuche an Kaninchen, wobei das Adrenalin in einer Verdün¬
nung von 1:200 000, um Blutdruckerhöhung zu vermeiden, eingespritzt
wurde, ergaben keinerlei Abweichung an den Gefässen oder am
Herz. Die sonst nach Adrenalininjektion beobachteten Gefässver-
anderungen beschränken sich grösstenteils auf die Aorta und sind
auf die Wirkung der starken Blutdrucksteigerung zurückzuführen.
A. J. 1 g n a t o w s k i und Ch. Monossohn: Untersuchungen
über die Qallenabsonderung beim Menschen unter einigen Nahrungs-
und Arzneimitteln. (Aus der therapeutischen Fakultätsklinik in War¬
schau.)
Bei einem 36 jährigen Kranken war wegen einer bösartigen Ge¬
schwulst eine äussere Gallenblasenfistel angelegt worden. Die Unter¬
suchung der ausfliessenden Galle auf ihr spezifisches Gewicht und
lvrfn Cholesteringehalt ergab, dass es sich nicht um Galle aus der
Gallenblase, sondern um direkte Lebergalle handelte. Bei reichlicher
Kost traten die Maxima der Gallenabsonderung früher auf als bei
einer Hungerdiät und waren viel beträchtlicher. Bei Ernährung mit
Plasmon war das üallemiuantum und die Menge des ausgeschiedenen
Bilirubins geringer als bei gewöhnlicher Kost, bei Ernährung mit
rleischpulver dagegen vermehrt. Ernährung mit Roborat wirkte
mehr ähnlich der Plasmonernährung als ejner mit Fleisch. 200 g
Ulivenöl hatten eine Vermehrung der Gallensekretion mit geringer
Zunahme des Bilirubins zur Folge, Na. salicyl. starke Steigerung der
Gallensekretion und des Bilirubingehaltes, Karlsbader Sprudel eine
Abnahme der Sekretion und des Bilirubins zur Folge, üvogal hätte
keine deutliche Wirkung, ln allen Fällen von Leberreizung mit Poly-
cholie mit Urobilin- oder Bilirubinikterus sind Karlsbader Sprudel
und ähnliche Mineralwässer indiziert, im Gegensatz dazu sind alle
Cholagoga, die nach dem Typus des Na. salicyl. wirken, die sogen,
bilio-secreteurs (S o u 1 i e r) kontraindiziert. (Schluss folgt )
Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 37 und 38, 1914.
. Ni. 37. Adolf Oberst- Freiburg i. Br.: Zur Dauerdrainage bei
Aszites.
Um dauernd eine Ableitung der Flüssigkeit aus der Bauchhöhle
ins Unterhautzellgewebe zu ermöglichen, näht Verf. in eine kleine
Laparotomieöffnung unter Lokalanästhesie ein Hautstück ein, damit
die gesetzte Oeffnung nicht mehr Zuwachsen kann; darüber wird dann
die schlaffe Haut exakt wieder vernäht, so dass dauernd der Aszites
ms Unterhautzellgewebe abfliessen kann, da die Ränder der Laparo¬
tomieöffnung mit dem allseitig von Epidermis bekleideten Hautlappen
nicht verwachsen können. Das Hautstück kann ein gedoppelter Lap-
pen sein oder Röhrenform haben. 4 Skizzen erläutern die einfache
Methode.
Nr. 38. Z i e m b i c k i - Lemberg: Beitrag zur Chirurgie des
grossen Netzbeutels.
Verf. bespricht kurz die interessante Pathologie des grossen
Netzbeutels und schildert ausführlicher 2 Fälle aus eigener Anschau¬
ung; im 1. Fall handelte es sich um eine grosse Zyste, die sich bei der
Operation als verlagerte, prall gefüllte Gallenblase erwies (Ektopie
der Gallenblase); die Epikrise ist genauer besprochen. Der 2 Fall
betraf einen Tumor des Netzbeutels, der sich bei der Operation mit
dem Magen stark verwachsen zeigte; es handelte sich um ein fuso-
zelluläres, teilweise zystisch entartetes Sarkom. (Die mitgeteilten
interessanten Fälle verdienen in der Originalarbeit studiert zu wer¬
den, da sie sich wenig für ein kurzes Referat eignen.)
E. H e i m - Oberndorf b/Schweinfurt.
zentraioiatt für Gynäkologie. Nr. 37 u. 38, 1914.
Nr. 37. E. O p i tz- Giessen: Ueber die Gefahren des Intrauterin¬
stiftes.
n • ^?r?iVass* durch die Empfehlung des Intrauterinstiftes von
Rieck (Nr. 30 des Zentralbl.) berichtet O. über 2 Fälle mit bedenk¬
lichen Folgeerscheinungen.
Bei einer 39 jährigen Frau wurde ein F e h I i n g sches Röhrchen
eingelegt, wonach sich ein faustgrosser, entzündlicher Adnextumor
entwickelte, der wochenlange klinische Behandlung zur Rückbildung
erforderte.
In einem anderen Falle entstand bei derselben Behandlung eine
mächtige Infiltration des rechtseitigen und retrozervikalen Binde¬
gewebes. Später entstand im Anschluss hieran Cholezystitis und
Cholangitis acuta, der Pat. am 6. Tage erlag.
O. warnt vor der Anwendung des Intrauterinstiftes, der unter
Umstanden, wie seine Fälle lehren, schwere Gefahren, ja sogar den
Tod der behandelten Personen im Gefolge haben kann.
Nr. 38. J. Fon y 6 -Pest: Ueber das Skopolamin.
Ein ausführliches Referat über die bisherigen Erfahrungen mit
Skopolamin in der chirurgischen und gynäkologischen Praxis. F. gibt
den Kranken 2'A Stunden vor der Operation noch 'A g Veronal per os
Seine eigenen Erfahrungen beziehen sich auf 154 Fälle. Das Er-
gebnis derselben lässt sich dahin zusammenfassen, dass Skopolamin
m seiner aktiven und inaktiven Form, mit Morphium kombiniert,
kein so zuverlässiges Narkotikum ist, wie man bisher glaubte. Be-
sonders gefährlich erscheint es bei Inanitionszuständen und nach
schwächenden Blutverlusten. Bei guter Ernährung sind die ge¬
bräuchlichen Dosen nicht toxisch. Dagegen in Fällen, wo Störungen
der Atinungsorganc vorliegen, muss man auf unliebsame Ueber-
raschungen gefasst sein. J a f f e - Hamburg.
2t»3Ö
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 40.
Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. 47. Bd. 1914.
4. (Schluss)-Heft
E. H a i 1 c r -Berlin: Gelingt eine Sensibilisierung durch Eiweiss-
spaltprodukte und ist sie spezifisch?
Verf. fasst seine Ergebnisse folgcndermassen zusammen. Das
durch artspezifischen Aufbau unspezifischer Bausteine charakteriserte
Eiweissmolekül zerfällt beim Abbau in seine Bausteine. Diese ver¬
mögen bei ihrer Verimpfung einen sensibilisierenden Reiz aut den
geimpften Organismus auszuiiben. Die Sensibilisierung ist aber nicht
spezifisch; es treten nämlich bei der Nachbehandlung auch mit
heterologem Eiweiss typische anaphylaktische Erscheinungen aut.
Die Un^pezifität der erzielten Sensibilisierung tritt auch dann hervor,
wenn in der zur Vorbehandlung benützten Lösung neben den Eiweiss-
spaltprodukten noch koagulierbares (artspezifisches) Eiweiss vor¬
handen gewesen war. #
N Pokschischewsky- Berlin : Ueber die Biologie der
Pseudoinilzbrandbazillen. Beiträge zur Differentialdiagnose der Milz¬
brand- und Pseudomilzbrandbazillen. . .
Es handelte sich um die genaue Untersuchung eines mizbrand-
ähnlichen Organismus von einem Schwein, das an milzbrandähnlichen
Erscheinungen erkrankt und geschlachtet worden war. Der aus¬
führende Schlächter war unter dem klinischen Bilde des Milzbrandes
erkrankt. Als Hauptcharakteristika des betreffenden „P s e u do ¬
rn i 1 z b r a n d e s“ sind zu nennen: Die Beweglichkeit in jungen Kul¬
turen; eine Kapsel wie beim Milzbrand lässt sich färberisch nicht
darstellen; die Sporenbildung ist weit reichlicher und energischer als
bei den Milzbrandbazillen; die Kolonien auf der Agarplatte zeigen
einen weniger lockenähnlichen Aufbau; in Lakmusmolke wird Alkali
gebildet; auf Kartoffelkulturen entstehen entweder rötlichbraune oder
farblose Rasen; im „Gelatinestich“ treten entweder dichtverzweigte
Flechtwerke auf oder knopfähnliche Kolonien. Nach den Wachstums¬
eigentümlichkeiten auf Kartoffeln und im Gelatine- und Agarstich
unterscheidet Verf. 2 Arten: 1. den Typus P s e u d o a n t h r a z i s
und 2. den Typus A n t h r a k o i d c s. Die A s c o 1 i sehe Präzipi¬
tation fällt positiv aus sowohl beim Milzbrand als auch beim Pseudo¬
milzbrand. ist also nur als Gruppenreaktion zu betrachten; ebenso
die Komplementbindungsreaktion. Auf Blutnährböden zeigt Pseudo¬
milzbrand eine deutliche hämolytische Wirkung. Er ist höchstens für
Mäuse pathogen. ..... .
E K a 1 1 e r t - Berlin: Untersuchungen über Maul- und Klauen¬
seuche. I. Mitteilung. Ueber die Bedeutung der v. B e t e g h sehen
Körperchen in der Aphthenlymphe.
Durch eingehende Nachuntersuchungen des Blaseninhaltes
wurde festgestellt, dass die in der Aphthenlymphe bei Dunkelfeld¬
untersuchung und in gefärbten Ausstrichpräparaten nachweisbaren
Gebilde, die v. B e t e g h als die Erreger der Maul- und Klauenseuche
angesehen hat, auch in anderen tierischen Flüssigkeiten (Exsudaten,
Blutserum, Sekreten und Exkreten) Vorkommen. Es soll damit nicht
gesagt sein, dass unter den gesehenen Körperchen nicht auch der
Erreger der Maul- und Klauenseuche vorhanden sein könne, die jetzige
Art der Dunkelfeldbeleuchtung lasse aber keine Unterschiede zwi¬
schen ihnen und den gewöhnlichen kolloidalen Teilchen erkennen.
E. K a 1 1 e r t - Berlin: Untersuchungen über Maul- und Klauen¬
seuche. II. Mitteilung. Beiträge zur Histogenese und Histologie der
Maul- und Klauenseucheblase, insbesondere auch zur Frage des
Vorkommens von Einschlusskörperchen in den spezifisch veränderten
Teilen bei Maul- und Klauenseuche.
Die Nachuntersuchungen über das Vorkommen von Einschluss¬
körperchen ergaben, dass „kein Grund vorliegt, die beschriebenen, im
Protoplasma der Zellen des Blasengewebes auftretenden Körperchen
als für Maul- und Klauenseuche charakteristische Gebilde anzusehen“.
Zwick und Z e 1 1 e r - Berlin: Zur Frage der Umwandlung von
Säugetier- in Hühnertuberkelbazillen.
Nach neueren Mitteilungen von O. Bang und von J. Bongert
soll es verhältnismässig häufig gelungen sein, Hühner und Tauben mit
Säugetiertuberkelbazillen erfolgreich zu infizieren und im Körper
dieser Tiere eine Umwandlung der Bazillen in solche mit den Merk¬
malen des Hühnertuberkelbazillus herbeizuführen. Trotz Einhaltung
der 0. B a n g sehen Versuchsbedingungen ist dies aber dem Verf.
nicht gelungen, selbst nicht durch Steigerung der Versuchsbe¬
dingungen, die einer solchen Umwandlung förderlich sein sollen. Auch
die Angabe von J. Bongert, dass er durch intratracheale Injektion
von Rindertuberkelbazillenkulturen bei Tauben leicht gelingt, eine
Umwandlung dieser Bazillen in den Typus gallinaceus herbeizuführen,
konnte nicht bestätigt werden. R. 0. Neumann - Bonn.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1914. Nr. 38.
Nr. 38. D. v. Hansemann: Ueber Krebsprobleme.
In den Beziehungen der Krebsforschung zur Chirurgie lassen sich
verschiedene Perioden aufstellen, ln der ersten hat die histologisch¬
morphologische Forschung die Grundlagen für eine möglichst sichere
Diagnose des Krebses und damit für die Frühoperation geschaffen.
Die biologischen Reaktionen werden als allgemeine Körperreaktionen
auch bei grösster Vollkommenheit immer eine gewisse fortgeschrittene
Entwicklung des Krebses zur Voraussetzung haben. Die ätiologische
Forschung hat ausser manchen Verirrungen zwei wichtige Tatsachen
zu verzeichnen: Die Entstehung von Krebs nach Röntgenbe¬
strahlung und die Entstehung von Krebs bei der Ratte durch die
Einwirkung von Parasiten (F i b i g e r). In letzterer Beziehung ist
vorerst keineswegs die parasitäre Natur des Krebses selbst erwiesen,
sondern nur seine Entstehung auf dem Boden einer parasitären Ent¬
zündung. Die experimentelle Periode der Krebsforschung hat be¬
züglich des Mäusekarzinoms viele bedeutungsvolle Aufschlüsse ge¬
bracht aber diese Mäusetumoren sind nicht als echte Karzinome an¬
zuerkennen und deshalb auch die gewonnenen Resultate noch lange
nicht auf die menschlichen Karzinome und die chirurgische I raxis
zu übertragen. Speziell für die therapeutischen Bestrebungen der
Krebsforschung ist die bei dem Mäusekarzinom wirksame Wasser-
m a n n sehe Methode beim Menschen noch recht aussichtslos. Die
Strahlentherapie des Krebses ist eigentlich eine chirurgische, da sic
ähnlich wie durch Messer oder Aetzmittel die Zerstörung des Krebses
anstrebt. Die anatomischen Schädigungen durch Röntgenstrahlen
werden öfters überschätzt; zu bedenken bleibt anderseits immer die
Gefahr, dass durch die Bestrahlung keine Heilung erzielt, sondern
eher die Weiterwucherung des Krebses noch mehr angeregt wird.
Den Heilungen des Krebses durch Arsen steht Verf. skeptisch gegen¬
über und bezweifelt, dass die betr. Geschwülste — nicht nur ana¬
tomisch, sondern auch physiologisch — wirklich Krebse waren. Im
allgemeinen kann man sagen, eine therapeutische Heilung ist nur bei
solchen Krankheiten möglich, die auch spontan zur Heilung kommen
können. Eine wirkliche Spontanheilung des Krebses ist noch niemals
beobachtet worden, daher wird er auch kaum je durch eine interne
Therapie geheilt werden.
Ri sei- Halle a. S.: Die Diagnose der Blattern.
Verf. beschreibt ausführlich die im Anfangsstadium der Blattern
auftretenden Exantheme und vor allem die eigentümliche Lokalisation
der Blattern selbst an den gewöhnlich am meisten äusseren Reizen
ausgesetzten Hautstellen, welche Lokalisation charakteristische, ge¬
nauer erörterte Unterschiede gegenüber der. am häufigsten mit Blat¬
tern verwechselten Varizellen bietet.
F. G 1 a s e r - Berlin-Schöneberg: Salvarsaninfusioiien bei Schar¬
lach.
Versuche an 42 Fällen, worunter 3 absolut hoffnungslose und
15 solche mit zweifelhafter Prognose. In etwa der Hälfte der Fälle
folgte der Salvarsaneinspritzung ein kritischer Temperaturabfall; das
Scharlachdiphtheroid wurde anscheinend günstig beeinflusst, indem
eine raschere Abstossung der Beläge erfolgte, die Nekrose aufgehalten
wurde, die Geschwüre schneller heilten. Die schwersten toxischen
Fälle zeigten keine Beeinflussung: Scharlachkomplikationen und Nucti-
krankheiten wurden nicht verhindert. Der Ablauf des Exanthems
wurde nicht beeinflusst. Bei mehr als der Hälfte der Fälle trat vor¬
übergehend nach dem Mittel (0,1 g auf 10 kg Körpergewicht) Schüttel¬
frost, Erbrechen und Durchfall auf.
Lethaus-Hamm (Westf.): Ueber die Injektionsbehandlung
der Ischias.
Die Injektionsbehandlung soll nur bei Fällen eingeleitet werden,
wo die Ischias schon 4—6 Wochen besteht und andere Massnahmen
vergeblich waren, ferner nur bei Fällen von genuiner rheumatischer
Ischias, nicht da, wo ein anderes Leiden von ischiadischen Erschei¬
nungen begleitet ist. Die möglichst endoneurale, häufig nur peri¬
neurale Einspritzung (100 ccm 1 prom. ß-Eukainlösung in physio¬
logischer Kochsalzlösung) wird am zweckmässigsten an der Aus¬
trittstelle des Nerven aus dem Foramen ischiadicum zwischen Iuber
ischii und Trochanter gemacht, event. mehrmals wiederholt. Bei
aseptischer Ausführung fehlen üble Nebenwirkungen. Bei Versagen
dieser Injektionen sind oft noch die epiduralen Injektionen (physio¬
logischer Kochsalzlösung) von Erfolg, besonders in solchen Fällen,
wo Wurzelsymptome der 5. Lumbal-, 1. und 2 Sakralwurzel als strei¬
fenförmige Hyp- und Anästhesie an der hinteren Seite des Beines
bestehen. Die vielfach guten Erfolge der beiden genannten Injektions¬
arten lassen deren häufigere Anwendung wünschen.
P. K o r b - Liegnitz: Erfahrungen mit Jodprothämin.
Nach Verf.s Erfahrung ist das Jodprothämin, da es gern ge¬
nommen wird und keine unangenehmen Nebenwirkungen hat, ein
gut verwendbares Jodeiweisspräparat.
Schuster-Berlin: Einiges über die Verluste unseres letzten
Krieges (s. Feldärztl. Beilage). Bergeat
Oesterreichische Literatur.
Wiener medizinische Wochenschrift.
Nr. 28. J. R o s n e r - Wien: Die Eröffnung des Kehlkopfes in der
ersten Hilfe. ,.
Auf Grund zahlreicher Leichenversuche, bei denen sich für die
Interkrikothyreotomie das Denker sehe Instrumentarium im all¬
gemeinen namentlich bezüglich der Massverhältnisse gut bewährte,
hat Verf. dasselbe verändert und vereinfacht; indem das in einer
Hülse befindliche Messer durch eine Schraube verschieden gross ein¬
gestellt werden kann und ein gemeinsamer Griff für 4 Kanülen her¬
gestellt worden ist, ist das Instrumentarium kleiner und handlicher
geworden.
Nr. 29. A s c h - Hamburg: Ein neues Ventilschutzpessar.
Das hier- beschriebene Pessar wird mittels Spiralfederdruckes
unverschieblich an der Zervix festgehalten und gestattet durch ein
am vorderen Ende befindliches Rückschlagsventil allen Sekreten des
Uterus Abfluss. .
Nr. 30. A. Lorenz- Wien: Ueber die Luxationsfrakturen der
Pfanne und ihre Behandlung.
4 ausführliche Krankengeschichten.
6. Oktober 191-1.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 29/30. V. Baar-Wien: Asthma bronchiale und Luftdruck.
9 Krankengeschichten. Verf. weist auf die Notwendigkeit hin,
namentlich bei älteren angeblich asthmatischen Kranken sorgfältig
auf das etwaige Bestehen einer Tuberkulose zu achten. Bezüglich
Jci noch wenig genau bekannten Zusammenhänge von Respirations¬
erkrankungen mit meteorologischen Verhältnissen beobachtete Verf.
iiei Kranken mit Asthma bronchiale sehr häufig eine Verschlechterung
des Befindens und Steigerung der Anfälle zu Zeiten des sinkenden
und tiefen Barometerstandes.
Nr. 30. A. Neumann- Wien: Eine seltene Form von Epi-
stropheusfraktur mit tödlichem Ausgang.
Die Fraktur wurde bewirkt durch einen etwa zentnerschweren
auf das Scheitelbein herabfallenden Heuballen.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr 37. J. C s i 1 1 a g - Pest: Beiträge zur Klinik der Erfrierung.
Im letzten, sehr kalten Winter beobachtete Verf. bei 3 Schlitt¬
schuhläuferinnen an den Beugeseiten der Unterschenkel oberhalb der
Schuhgrenze livide teigig-ödematöse Infiltrate mit teilweiser Blasen¬
bildung und Ablösung der Epidermis. Die Affektion war sicher eine
Erfrierung, begünstigt durch die Zirkulationshemmung über dem
stark geschnürten Schuh und durch den mangelhaften Schutz der
weiblichen Kleidung.
Weiter verweist Verf. auf die Tatsache, dass bei Arbeitern Er-
rierungen der Hände und Finger ungleich häufiger die linke als die
echte Seite betreffen, jedenfalls infolge der vermehrten Hyperämie
der rechten Seite durch stärkere Arbeit. Schliesslich wird über
:ine schwere Erfrierung 3. Grades der Bauchhaut bei einer anämi¬
schen Frau berichtet, welche den Eisbeutel 6 Tage unmittelbar über
Jem dünnen Hemd liegen hatte.
Nr. 38. S. Federn: Ueber Tuberkulose.
Zur kurzen Widergabe ungeeignet.
Nr. 39. A. F r ä ti k e 1 - Wien: Einige allgemeine Bemerkungen
ur modernen Kriegschirurgie. (Schluss folgt.)
Bergeat - München
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1914. Nr. 31— 35
Nr. 31. A. M a c h a r d - Genf: L’Osteosynthese de L a m b o 1 1 e
lans le traitement des deviations rachitiques.
Genaue Beschreibung der Methodik, die Verf. in einer grösseren
-ahl von Fällen erprobt hat.
Nr. 32. W. R. Hess-Zürich: Ueber die funktionelle Bedeu-
leutung der Arterienmuskulatur.
Verf. lehnt die Annahme eines aktiven Antriebs des Blutstromes
ach der Peripherie durch die Arterien ab, weil im Arterienrohr ein
Mechanismus, der die einseitig gerichtete Strömung gewährleisten
ciirde, fehlt. Die Arterienmuskulatur dient nur dazu, die Anpassung
n die lokalen Schwankungen des Zirkulationsbedarfes zu ermög-
chen, so dass sie von der Herzarbeit unabhängig werden und Herz-
rbeit gespart wird.
H. H e r z o g - Solothurn: Erstickung infolge Durchbruches einer
uberkulösen Drüse in die Trachea.
Beschreibung eines Falles.
Nr. 33. 0. Steiger: Pathologie der Leberfunktionen und
loderne funktionelle Prüfungsmethoden. (Mediz. Klinik Zürich.)
Schluss folgt.)
Nr. 34. 0. S t e i g e r - Zürich: Pathologie der Leberfunktionen
nd moderne funktionelle Prüfungsmethoden.
Kritische Uebersicht des heutigen Standes der Frage auf Grund
usführlicher Diskussion der Literatur und der Ergebnisse bei 14
igenen Fällen.
K. B o 1 1 a g - Basel: Ulcus gummosum vaginae et vulvae.
Ausführliche Beschreibung eines Falles.
E. M ü 1 1 e r - Gersau: Ein Beitrag zur medikamentösen Per-
ussisbehandlung.
Empfehlung von P i 1 k a (= Thymipin Golaz) von dem Verf. gute
rfolge gesehen hat.
Nr. 35. F. d e 0 u e r v a i n - Basel : Die Diagnose des Magen-
nd Duodenalgeschwüres. (Fortsetzung folgt.)
E. K o e c h 1 i n - Zollbrück: Eine seltene Erkrankung des Oeso-
hagus.
Beschreibung eines Falles von Oesophagitis dissecans superfic.
ei einer 30 jährigen Frau mit Abstossung einer 25 cm langen Mem-
ran. Heilung. L. J a c o b - Würzburg.
Französische Literatur.
(Schluss.)
Jules R o u v i e n- Algier: Neue klinische Beobachtungen zur Be-
indlung der puerperalen Eklampsie mit Morphium und seinen Hilfs-
itteln. (Annales de gynecologie et d’obstetrique, Juni 1914.)
R. tritt warm für Behandlung der Eklampsie mit hohen Mor-
uumdosen (5 — 10 cg) ein; wenn dasselbe zwar hauptsächlich zur
nterdrückung der Anfälle dient, so hat es ohne Zweifel noch eine
idere Heilwirkung und zwar durch seinen diuretischen Einfluss. Als
eitere Hilfsmittel der Eklampsiebehandlung bezeichnet R. alle jene,
eiche die Wirkung des Morphiums auf den Organismus dadurch er-
wzen, dass sie ihn entweder unmittelbar oder erst sekundär von
-n Ursachen der Intoxikation befreien. Diese Ursachen sind die
itte, welche im Verdauungskanale oder im Blutkreisläufe vorhanden
smd und die funktionelle Hemmung der Ausscheidungsorgane (Harn¬
absonderung, Drüsen mit innerer Sekretion, Leber, Nebennieren-
M-Psei zur F?!«e llabcn. In erster Reihe stehen unter diesen
Mitteln Wasserdiät, Magen- und Darmspülungen (vom Mastdarm aus)
und Helmitol, in täglichen Dosen von 3 — 4 g; noch 8 Tage lang
m der Rekonvaleszenz fortgesetzt, das zugleich diuretischen und
unzweifelhaften antiseptischen (auf den Darmkanal) Einfluss hat. R.
ist überzeugt, dass mittelst dieser Behandlungsmethode selbst in an¬
scheinend schwersten Fällen von Eklampsie Heilung zu erzielen ist
und mit den fortschreitenden Kenntnissen über die Entwicklung dieser
,?x^‘.e Ullc* se*ne rationelle Behandlung die Prognose derselben sich
allmählich zu einer günstigen gestalten wird.
G o u 1 1 i o n- Lyon: 5 Fälle von Schwangerschaft nach Myom-
ektomie. (Ibidem.)
Bei der Operation der Fibrome gibt es bekanntlich 2 gegen¬
sätzliche Gruppen von Chirurgen: die einen sind ausschliesslich An¬
hänger der Hysterektomie, während die anderen der Myomektomie
fj1?. j11 gewissen Platz sichern wollen, und zwar vor allem bei jungen
Mädchen oder jungverheirateten und noch kinderlosen Frauen. Als
Beispiele dieser Art führt G. 5 Fälle persönlicher Beobachtung an,
wonach die Erfolge der Myomexstirpation im allgemeinen befrie¬
digende, die Rezidive selten und wenn auch die spätere Schwanger-
schaft nicht sehr häufig, so doch die Hoffnung auf eine solche nicht
völlig illusorisch sind ; die einzige, nicht sehr grosse Gefahr, die
dabei unterläuft, ist höchstens die Wiederholung der Operation nach
einer Reihe von (etwa 10) Jahren.
Prof. A. Pinard: Zeichen und Diagnose der normalen Gebär¬
mutterschwangerschaft während ihrer ersten Hälfte. (Annales de
gynecologie et d’obstetrique, April 1914.)
P. spricht aus langjähriger Erfahrung die Ueberzeugung aus,
dass es in jedem Falle normaler Schwangerschaft mittelst der bi-
manuellen Untersuchung, wie sie besonders von Puzos angegeben
wurde, gelingt, von der sechsten Woche ab mit nahezu absoluter
Sicherheit die Schwangerschaft festzustellen und dass weder die Me¬
thode der Komplementablenkung noch die optische oder Dialysier-
methode von Abderhalden oder jene mit dem Kobragift den
Vorzug vor den klinischen Untersuchungsresultaten verdienen. Im¬
merhin wünschte auch P., dass es bei weiteren Studien mit diesen
Laboratoriumsversuchen einmal gelingen möchte, unumstösslich den
Beginn des Schwangerschaftszustandes feststellen zu können.
P. B e r t e n: Die gonorrhoischen Knochenerkrankungen. (Gazette
des hopitaux, 14. Februar 1914.)
B. unterscheidet je nach der vorherrschenden Art der Lokali¬
sation 3 Formen von gonorrhoischer Knochenaffektion (Osteopathien):
1. die einfache Periostitis, 2. die hypertrophische Osteoperiostitis und
3. die Osteomyelitis. Bei der einfachen Periostitis ist ein einziges
funktionelles Symptom, der Schmerz, bei der hypertrophischen
eine ausgesprochene, harte, nahezu schmerzlose Verdickung des be¬
fallenen Knochens vorhanden. Am häufigsten ist der Kalkaneus be¬
fallen und sollte bei jedem Gonorrhoiker, der einige Zeit hindurch an
„Talus“-Schmerzen leidet, eine radiographische Aufnahme gemacht
werden. Bei der seltensten Form, der akuten blennorrhagischen
Osteomyelitis, sind meist Erscheinungen von Allgemeininfektion, hohes
Fieber und von Lokalsymptomen heftige Schmerzen und phlegmonöse
Beschaffenheit der Extremität vorhanden. B. ist überzeugt, dass
diese gonorrhoischen Komplikationen häufiger sind, als bisher ’ ange¬
nommen wurde, und ist ätiologisch immerhin eine lange, hartnäckige
und rezidivierende Form der Infektion zur Entstehung derselben not¬
wendig. Das männliche Geschlecht scheint viel mehr dazu disponiert
zu sein, wie das weibliche; speziell kommt die Osteopathie des
Kalkaneus fast ausschliesslich beim männlichen Geschlecht vor. Was
die Pathogenese betrifft, so glaubt B„ dass es sich um ein
direktes Uebergreifen des Gonokokkus auf die Knochen handelt und
nicht um nervösen Ursprung, so brillant auch diese Theorie von
J a q u e t und Jeanselme verteidigt wurde. Die Behandlung
wechselt je nach der Lokalisation. Im Allgemeinen sind Ruhe. Immo¬
bilisierung, antiphlogistische Mittel genügend, chirurgische Eingriffe
nur bei Osteoperiostitis der Extremitäten z. B. Pes valgus blenor-
rhagicus angezeigt, vielleicht könnte bei diesen gonorrhoischen Kom¬
plikationen die spezifische Impfung erfolgreiche Anwendung finden.
H. Rogen, A. Sartory und P. J. Menard: Eine neue,
beim Menschen vorkommende Mykosis, die Chalarose. (Presse
medicale, 21. Februar 1914.)
Die Zahl der Pilze, welche fähig sind, bei Menschen oder Tieren
Krankheitserscheinungen hervorzurufen, nimmt immer mehr zu. Nach¬
dem Verf. bei ihren Untersuchungen die Häufigkeit der Oosporosen
festgestellt hatten, bringen sie nun eine genaue Beschreibung zweier
Fälle, welche durch eine neue Gruppe von Pilzen, Chalarose benannt,
verursacht werden. In dem einen der beiden Fälle handelte es sich
um eine 25 jährige Frau, in dem anderen um einen 20 jährigen Sol¬
daten, bei welch beiden an den Unterextremitäten kleine, unter der
Haut sitzende, harte, mit zunehmenden heftigen Schmerzen ver¬
bundene Knötchen sassen. Inzission in einen der grösseren Tumoren
ergab gelblich-schmutzigen Eiter, aus dessen Inhalt ein in beiden
Fällen identischer Pilz, der vorläufig mit dem Namen Chalara pyo¬
genes bezeichnet wird, in Reinkultur gewonnen wurde. Bei der
ziemlich hartnäckigen Affektion, die mehrere Monate bestanden hatte,
brachte Jodkali in grossen Dosen (4 g pro Tag) bald Stillstand der
Eiterung, Verkleinerung der Knoten und nach 30 resp. 17 Tagen voll-
2040
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 40
ständige Heilung. Die Inipiversuche mit den (aui M a r t i n scher und
gewöhnlicher Bouillon leicht zu erzielenden) Reinkulturen ergaben
beim Kaninchen und Meerschweinchen ausser (an den Impfstellen)
diffusen üedem kleine, harte, gummiartige Knötchen, die aber rasch
wieder zurückgingen. Die gutartige Natur der bei den Tieren künst¬
lich erzeugten Erscheinungen steht demnach in völligem Einklang
mit dem relativ günstigen Verlauf beim Menschen. Verf. halten daher
ihre Ansicht über die pathogene Rolle des von ihnen isolierten Pilzes
für durchaus erwiesen und obige Schlussfolgerung (über eine neue
Mykosis der Haut und vielleicht anderer Organe) für berechtigt.
A. Calmette und C. üuerin: Beitrag zum Studium der
antituberkulösen Immunität bei den Rindern. (Annales de l’institut
Pasteur, April 1914.)
Die vorliegenden Untersuchungen sollen darüber Aufschluss
geben, welche Rolle die Hauptbestandteile des Tuberkelbazillus, die
Lipoide, Tuberkuline und das Bakterienprotoplasma bei der Ent¬
stehung des relativen Zustandes der Immunität spielen. Die L i -
p o i d e haben demnach keinerlei Einfluss, die Tuberkuline, wie
sie gewöhnlich in den Laboratorien hergestellt werden, haben zwar
einen ausgesprochenen Einfluss, der aber auf eine einfache Verlang¬
samung in der Entwicklungsdauer der Infektion beschränkt ist. Die
durch Hitze getöteten Bazillen, welche vor gewöhn¬
lichen Reinkulturen auf Glyzerinnährböden abstammen, haben nur eine
schwache Präventivwirkung. Das intakte Bazillenproto¬
plasma, das von abgetöteten, des Tuberkulins beraubten Bazillen
stammt, ist ohne jede immunisierende Wirkung.
Eine letzte Reihe von Experimenten zeigte, dass alle mit klein¬
sten Mengen lebender Tuberkelbazillen geimpften Färsen in ihren
Bronchialdrüsen solche Bazillen und zwar bis zur Dauer von 18 Mo¬
naten bewahrt haben, ohne dass sie ihre Anwesenheit im Organismus
durch irgendwelche tuberkulöse Veränderung gezeigt hätten; auch
die Autopsie, die mit grösster Sorgfalt bei jedem der Tiere aus¬
geführt wurde, liess in keiner der verschiedenen Drüsengruppen die
geringste Spur von Tuberkeln ebensowenig wie in den verschie¬
denen Eingeweiden und den Lungen nachweisen.
T. Yamanouchi: Experimentelle Untersuchungen über eine
auf Anregung der Phagozytose beruhende therapeutische Methode.
(Ibidem.)
Das Mykolysin, ein nach verschiedenen Versuchen von Doyen
u. a. gewonnener Extrakt der Bierhefe, ist sowohl per os wie in
Form von Injektionen anzuwenden. Y. gebrauchte es bei seinen
Untersuchungen vor allem in letzterer Form und verglich es bezüglich
der Wirkung mit dem Na. nucleinicuin und dem Argentum colloidalc.
Das injizierbare Mykolysin erhöht beim Menschen die Leukozytose
und Phagozytose und zwar auf längere Zeit, wenn man 50 ccm, als
wenn man 20 oder 30 ccm injiziert. Die Leukozytose ist bei sehr
alten kachektischen Individuen weniger ausgeprägt als bei kräftigen
Leuten und Kindern. Beim normalen Kaninchen hat das Mykolysin
die gleiche anregende Wirkung auf die Leuko- und Phagozytose. Die
prophylaktische Mykolysininjektion (2 ccm in die Venen) verhindert
beim Kaninchen die Staphylokokkeninfektion (die künstlich durch sub¬
kutane Injektion von 1 — 5 ccm einer virulenten Kultur hervorgerufen
wurde). Die Injektion von Mykolysin bewirkt die Lösung des Sta¬
phylokokkenabszesses, wenn man die intravenöse Injektion in der
7. — 9. Stunde nach der Injektion der Staphylokokken, d. i. genau in
der Zeit, wo die entzündliche Infiltration sich kundzugeben beginnt,
vornimmt. Die prophylaktische Injektion von Elektrargo! und nu¬
kleinsaurem Natrium hindert nicht die Staphylokokkeninfektion. Das
gleiche Experiment, wiederholt mit zahlenmässiger Schätzung der
Leuko- und Phagozytose ausgeführt, zeigt, dass die durch Mykolysin
hervorgerufene Reaktion sehr rasch zunimmt, sobald die Infektion sich
einstellt, und diese beträchtliche Hyperleukozytose die Resolution
herbeiführt, während die durch Elektrargol und Na nucleinicum her¬
vorgerufene Hyperleukozytose eine viel geringere ist und die Abszess¬
bildung nicht verhindert. Die intravenöse prophylaktische Mykolysin¬
injektion hat gleicherweise die Mortalität des Kaninchens verhindert,
trotz der intravenösen Injektion von 50 Millionen Staphylokokken, die
Kontrolltiere innerhalb 24 Stunden getötet hat. Die prophylaktische
Wirkung des Mykolysins gegen die Streptokokkeninfektion des Ka¬
ninchens ist weniger konstant wie jene gegen die Staphylokokken¬
infektion. Die subkutane prophylaktische Mykolysininjektion, 2 Tage
hindurch wiederholt, hat 3 weisse Mäuse von 5 gegen die Pneumo¬
kokkeninfektion (in das Peritoneum) geschützt, während die 5 Kon¬
trolltiere innerhalb 24 Stunden verstorben sind. Das Mykolysin übt
keine direkte Wirkung auf die Mikroben aus: weder Agglutination
noch Sensibilisation, es wirkt dadurch, dass es die opsonische Kraft
des Serums erhöht und die Phagozytose anregt.
Peugnier - Amiens : Die Ambard sehe Konstante. ( Ar-
chives provinciales de Chirurgie, Mai 1914.>
Die Ambard sehe Konstante drückt algebraisch die physio¬
logischen Gesetze der Urinsekretion aus; ihr Studium ermöglicht, fest¬
zustellen, ob die Funktion der Niere normal oder fehlerhaft ist. Nach
den Untersuchungen von Chevassu bietet sie daher in der Nieren¬
chirurgie wertvolle Anhaltspunkte über die Möglichkeiten oder Ge¬
fahren der Nephrektomie; unter 0,110 wird die Operation eine Gefahr,
da die ungenügende Funktion der anderen (am Platze gelassenen)
Niere zu befürchten ist. Auch P. nahm schon mehrere Male Ge¬
legenheit, die Zuverlässigkeit der harnabsondernden Konstante zu
erproben und sie dünkt ihm eines der wertvollsten Mittel für Arzt
und Chirurgen, welche die genaue Bilanz der Nierenveränderungen
die Lebensprognose, die Operationsindikationen und Kontraindiku
tionen feststellen wollen. Eine genaue Beschreibung der geistreiche!
Methode ist angefügt.
A. Besredka und J. Manoukhine: Die Fixationsreaktioi
bei den Tuberkulösen. (Annales de l'institut Pasteur, Juni 1914.)
Nach vorherigen Versuchen an Meerschweinchen (mit Tuberkulii
als Antigen) erprobten Verfasser die Fixationsreaktion an eine,
grossen Anzahl Tuberkulöser der verschiedensten Stadien und kamei
zu folgenden Schlüssen, ln der ersten Periode der Tuberkulose is
die Fixationsreaktion immer positiv, in der zweiten in der grossei
Mehrzahl der Fälle, in der dritten ist sie oft nur eine partielle oder
negative, in welch letzterem Falle sie allgemein einen binnen kurzen
tödlichen Ausgang bedeutet. Bei allen Nichttuberkulösen ist dii
Fixationsreaktion eine negative gewesen. Es ergibt sich aus der
Gesamtheit der hier entwickelten Tatsachen, dass Meerschweinchen
und Mensch beinahe in gleicher Weise auf die tuberkulöse Infektioi
reagieren. Diese Reaktion, die sich durch Auftreten eines spezifische!
Antikörpers im Serum kundgibt, kann für die Diagnose und bis zi
einem gewissen Grade zur Prognose der Tuberkulose benützt werden
Rougentzoff: Die Darmflora der mit gelben Rüben ge
iütterten und der im Hungerzustand belassenen Kaninchen. (Ibidem.
In Fortsetzung der langen Reihe, aus Metschnikows Labo¬
ratorium stammender Versuche über die Darmflora und den Einfluss
der Ernährung auf dieselbe beschäftigt sich R. mit der Frage, warunl
der mit gelben Rüben ernährten Kaninchen niemals Indoxyl, jener
der hungernden Tiere aber immer dasselbe in ziemlich grosser Menge
enthält; er kommt jedoch noch zu keiner absolut sicheren Lösung
dieser Frage. Vielleicht bilden sich im Darm der mit gelben Rübe;
ernährten Kaninchen und dank der Anwesenheit von Zucker spezielle]
Bedingungen, welche den Bacillus coli verhindern würden, Indol zi
bilden. Bei den Kaninchen, welche ohne Nahrung und ohne Zucke:
in derselben sind, scheint der Bacillus coli Indol in solch grosse«
Menge zu erzeugen, dass man in ihrem Harne dessen Derivat, da>
Indian, feststellen kann. Die an Eiweiss reichen Verdauungssäiti;
müssen zur Bildung von Indol im Darme der hungernden Tiere bei¬
tragen, die Indol- und Indikanzunahme muss aber ebenso von der
stets zunehmenden Menge des Bac. coli in deren Darm abhängen
Alle diese Untersuchungen führen zu der Annahme, dass das Indikai
bei im Hungerzustand befindlichen Tieren im Darme seinen Ur¬
sprung hat.
P. C hausse: Bazillengehalt und Zerstäubungsbedingungen de*
Speichels und tuberkulösen Auswurfes durch den Luftstrom. (Ibidem.
Diese wichtige, besonders von Flügge und seinen Schülern ir
rein positivem Sinne beantwortete Frage unterzog Ch. nochmals
gründlicher Prüfung und experimentellen Untersuchungen. Bei einer
Geschwindigkeit des Luftstromes, die unter 35 m per Sekunde liegt
ist demnach der tuberkulöse Auswurf nur sehr schwer zerstreubar
und lösen sich im Allgemeinen keine Partikelchen los, die inhaliert
werden können. Je stärker nun der Luftstrom, um so leichter lösen
sich solche Partikelchen los, so dass es schliesslich gelingt, auf diesen:
Wege alle Meerschweinchen tuberkulös zu machen. Der Speichel ist
sehr schwer verstaubbar, selbst unter den sehr strengen Versuchs¬
bedingungen, unter welchen Ch. gearbeitet hat, und die gewöhnlichen
Luftgeschwindigkeiten von 10 — 30 m per Sekunde vermögen nicht
die feinsten bazillären Partikelchen von ihm zu trennen. Diese Re¬
sultate genügen nicht, um vollständig die Theorie von Flügge von
der Hand zu weisen, sie zeigen nur, dass Bronchialschleim und
Speichel viel schwieriger sich zerstäuben lassen, als dieser Forscher
und seine Schüler annehmen. Es ist ohne Zweifel möglich mit
schwächeren Luftströmen, als sie Ch. angewendet hat, von diesen
Flüssigkeiten Partikelchen loszulösen, die eine in der Nähe
befindliche sterile Flüssigkeit verunreinigen könnten; aber man müsste
mit grosser Mühe ganz feine Teilchen loslösen, damit sie eingeatmet
werden können und das ist das Wichtigste. Um eine endgültige An¬
sicht darüber zu gewinnen, ob von Mensch zu Mensch eine An¬
steckung durch Einatmung feinster Tröpfchen möglich ist, hält es
Ch. für unumgänglich notwendig, noch andere Untersuchungsmethoden
heranzuziehen. Stern.
Inauguraldissertationen.
Universität. Göttingen. Mai bis 15. August 1914.
E m m e 1 m a n n K. E. : Die Behandlung der Placenta praevia mit der
Colpohysterotomia anterior.
Meyer K.: Bericht über die von 1903—1913 in der Göttinger Ohren¬
klinik beobachteten Fälle von Fazialislähmung.
Mielke F.: Die Spitzendämpfung im Kindesalter.
O u a n z E.: Ueber die Bedeutung des Bacterium coli für die Wasser¬
beurteilung.
Renner A.: Ueber die Temperaturabhängigkeit der Goldzahl und
der Viskosität von kolloidalen Lösungen und über die Temperatur¬
abhängigkeit der Quellung von Organen.
Simon M.: Ueber manuelle Plazentarlösung.
Bunnenberg H.: Ergebnis der Röntgentherapie an der Göttinger
Frauenklinik.
Fiedler F.: Ueber die Ursachen und die Bekämpfung der Herz¬
insuffizienz bei der fibrösen Pneumonie.
6. Oktober 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2041
Vereins- und Kongressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Veieins.)
Sitzungen vom 8. und 15. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr B c n e k e.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
II.
^crr berichtet zunächst über die Erfahrungen, welche
in seiner Klinik mit dem Abderhalden sehen Dialysierverfahren
bei malignen rumoren der L u f t - und Speise w ege ge¬
macht worden sind.
Bei einem I u m o r in dem oberen Teil des Oesophagus fiel
die Probe aut Karzinom negativ aus. Bei der Obduktion zeigte sich,
cass es sich nicht um Karzinom, sondern um Sarkom der Speiseröhre
gehandelt hatte. In 2 weiteren Fällen von Speiseröhrenkrebs be¬
stätigte die Obduktion die Richtigkeit des Resultates der positiv aus¬
gefallenen Dialysierprobe. ln einem Falle von L a r y n x k a r z i n o m
konnten mit dem Dialysierverfahren Abwehrfermente gegen Karzinom
festgestellt werden. Nach halbseitiger Exstirpation des Kehlkopfes
war die Probe später negativ. In einem 2. Falle von Larynx-
Karzinom stimmte der Ausfall des Dialysierverfahrens überein mit
dem Resultat der histologischen Untersuchung eines exzidierten Ge-
u ebsstückes. In einem 3. Falle von Kehlkopftumor ergab die
Probeexzision nur chronisch entzündliches Gewebe. Bei dem Dia-
jsier verfahren ergab sich Abbau von Karzinom. Eine zweite
Probeexzision bestätigte dieses Ergebnis.
n, Jn 3- fäJ,len y°n Kieferhöhlenkrebs fiel die Dialysierprobe auf
Plattencpithelkarzinom positiv aus. In dem einen dieser Fälle hatte
eine 1 robeexzision von einem aus der Nasenhöhle entnommenen Ge-
websstück kein positives Resultat ergeben; die auf Grund des posi¬
tiven Ausfalles der Dialysierprobe vorgenommene Radikaloperation
bestätigte die Richtigkeit der Karzinomdiagnose.
In sämtlichen untersuchten Fällen hat demnach das A b d e r-
ja [den sehe Dialysierverfahren ein Resultat ergeben, welches autop-
tisch oder durch die Operation durchaus bestätigt wurde. In 2 Fällen
bei denen die Probeexzision ein negatives Resultat ergab,’
konnte auf Grund des Dialysierv erfahrens die rieh
tige Diagnose gestellt werden.
Denker teilt ferner mit, dass er bei 0 t o s k 1 e r o t i k e r n
Untersuchungen auf Abbau von Hypophyse gemacht habe. Die Ver¬
anlassung für diese Untersuchung liegt in der Annahme Denkers
dass möglicherweise zwischen der Otosklerose und Ano¬
malien der Hypophyse ein ursächlicher Zusammen-
nang besteht.. Denker gelangt zu dieser Annahme durch die
'Utmals zu konstatierende Koinzidenz der Gravidität resp. des Puer¬
periums mit dem Beginn der Otosklerose. Die regelmässig auf¬
tretende Vergrösserung der Hypophyse lässt sich zurückführen aui
eine herabgesetzte Tätigkeit des Ovariums. Zu dieser Ansicht ist
man berechtigt, weil eine Hyperplasie der Hypophyse nach der Ka¬
stration von weiblichen und männlichen Versuchstieren auftritt und
terner, weil es gelingt durch Zufuhr der Extrakte von Keimdrüsen die
nypophysenhyperplasie zu verhindern oder einzuschränken. Es ist
ausserdem bekannt, dass infolge einer gestörten oder gesteigerten
nnersekretorischen Funktion der Hypophysis, die als Akromegalie
jezeichneten Knochenveränderungen auftreten. Dass die Akromegalie
in ursächlichem Zusammenhang mit der Hypophysenvergrösserung
'‘ent, scheint dadurch bewiesen, dass durch die Operation des Hypo-
ßnysentumors die Akromegalie beseitigt werden kann.
Wenn auch die Alterationen der Labyrinthkapsel bei Otosklerose
licht vollkommen gleichzustellen sind mit den Knochenveränderungen
Jer Akromegalie, so ist doch das zeitliche Zusammentreffen der hypo-
ihysar bedingte l Knochenalteration bei Gravidität mit dem Beginn
jCr Otosklerose sehr auffallend und lässt einen ätiologischen Zu¬
sammenhang zwischen einer Dysfunktion der Hypophysis und der
-ntstehung der Otosklerose vermuten.
Um diesem Zusammenhänge weiter nachzuforschen, hat Deli¬
la1' Y^fetfelst des Abderhalden sehen Dialysierverfahrens nach
mwehrfermenten gegen Abbauprodukte der Hypophyse in dem Blute
mn Otosklerotikern geforscht.
Es wurden im ganzen 22 Fälle von Otosklerose und 13 Kontroll-
alle untersucht. Von den 22 Otosklerosefällen wurde 17 mal Hypo-
>hyse abgebaut, während 5 mal der Versuch negativ ausfiel. ' Bei
3 Kontrollfallen wurde Hypophyse 4 mal abgebaut, 9 mal dagegen fiel
‘tr \ ersuch negativ aus.
Es ergab sich demnach das interessante Resultat, dass bei Oto-
’if erotik er n in etwa 77 Proz. der Fälle Hypophyse
ifigebaut wurde, während dies bei den Kontrollfällen nur
11 ■ , ,oz; der Kall war. Wenn man auch aus diesen Ergebnissen
och keine allzuweitgehenden Schlüsse ziehen darf, so scheint das ge¬
rn ene Resultat doch dafür zu sprechen, dass wahrscheinlich der
ypophyse eine ursächliche Rolle bei der Entstehung der Otosklerose
omiTit, und man ist zu dieser Annahme umsomehr berechtigt, als
c die oben angeführten Gründe Tür den supponierten Zusammen-
ang zwischen einer Dysfunktion der Hypophyse und der Otosklerose
11 sprechen scheinen. Weitere Untersuchungen müssen in der An¬
liegenheit Aufklärung schaffen.
Herr Zi mmerman n berichtet über einige interessante und
auch allgemeines Interesse beanspruchende Versuchsresultate, die er
mit Hilfe des Dialysierverfahrens an einem grösseren klinischen Ma¬
terial und auf Grund zahlreicher Tierversuche gewonnen hat, aus dem
Wunsche heraus, die neuesten Ergebnisse der serologischen Unter¬
suchungsmethoden Abderhaldens auch für die Otologie nutzbar
zu machen, insbesondere aber zu prüfen, ob diese biologischen Re¬
aktionen uns für die Klinik und Diagnostik, besonders aber für die
I herapie der otogenen intrakraniellen Komplikationen neue Gesichts-
punkte an die Hand zu geben imstande seien. Neben einer grossen
Reihe der verschiedensten Fragestellungen schienen dem Vortragen¬
den besonders folgende 4 von Bedeutung zu sein:
K ^alt . es festzustellen, ob das Plasma gesunder Individuen
an und für sich schon auf Nervengewebe eingestellte Fermente führt
oder nicht.
2. Wenn nicht, ob und unter welchen Umständen derartige Fer¬
mente im Plasma auftreten, und ob sich etwa in ihrem Erscheinen
eine immer wiederkehrende Gesetzmässigkeit geltend macht.
3. Sind diese Fermente streng organ- bzw. artspezifischer Natur?
d ' . . möslich, auf Grund des Nachweises solcher Fermente
lmi v elch ,.s zen‘rafen ur*d peripheren Nervensystems serologisch
Lokalisationsdiagnosen zu stellen, d. h. tragen die bei Veränderungen
topisch bzw. funktionell differenter Abschnitte des Nervensystems
etwa auftretenden Fermente einen lokal- bzw. funktionsspezifischen
Charakter; gelingt es also mit anderen Worten, z. B. zerebrale Pro¬
zesse von peripheren Lähmungen, Grosshirn- von Kleinhirnabszessen
zu unterscheiden und diese wiederum von einer Meningitis, einem
Extraduralabszess, einer Sinusthrombose und endlich von einer un¬
komplizierten Otitis media einwandfrei zu differenzieren Die ex¬
perimentellen Untersuchungen wurden ausschliesslich an Kaninchen
vorgenommen und im ganzen 43 Einzelversuche an 25 verschiedenen
Deren durchgeführt. Nachdem hierbei zunächst festgestellt war dass
in normaler Weise ernährte und gesunde Tiere in ihrem Plasma auf
Nervengewebe eingestellte Fermente nicht führen, wurden bei den
einzelnen Tieren die in Art und Wirkung verschiedensten lokalen Ein¬
griffe am Gehirn, seiner Umgebung und am peripheren Nervensystem
ausgefuhrt. (Schleichende interstitielle Enzephalitis durch aseptisches
iiauma, stürmische Aetzenzephalitis und typische Vereiterung durch
Einbringung von Kausticis bzw. durch Injektion von Streptokokken-
j • ^fephylokokkenmaterial, epidurale Applikation nichtinfizierter
und infizierter Tampons, Einfluss der Chloroform- und Aethernarkose
mechanische Verletzung peripherer Nerven etc.) Als Wichtigstes er¬
gab die serologische Untersuchung dieses gesamten Tiermaterials
folgendes:
1. Jedesmal, wenn im zentralen und peripheren Nervensystem
eine substantielle Läsion irgend eines seiner Teile nachweisbar vor¬
handen oder ad hoc gesetzt war, so erschienen regelmässig und schon
nach kurzer Zeit, frühestens am 4. Tage, auf Nervengewebe ein¬
gestellte Fermente im Blut, die sich mit Hilfe der Dialysiermethode
regelmässig feststellen Hess.
2. Diese Fermente hatten streng organspezifischen Charakter,
Hessen aber eine Artspezifität vermissen; es wurden vielmehr die
homologen Organe der verschiedensten Spezies — Mensch, Kanin¬
chen, Hund, Schwein, Kalb — in unter sich atypisch wechselnder
Intensität abgebaut.
3. Es gelang nicht, innerhalb des zentralen Nervensystems Lokali-
sationsdiagnosen zu stellen, also z. B. einen Grosshirn- von einem
Kleinhirnabszess, je nach dem Reaktionsausfall zu unterscheiden, da
bei Grosshirnabszess auch Kleinhirnsubstrat und umgekehrt ange¬
griffen wurde,
Z bemerkt ausdrücklich, dass gerade letztere Resultate nur für
den Dialysierversuch und die von ihm gewählten Versuchsbedin¬
gungen Geltung haben und weist darauf hin, dass uns hier vielleicht
a!e optische Methode noch weiterbringen kann, da sie uns einen Ein¬
blick in den qualitativen Ablauf der Fermentation gewährt und uns
gestattet, quantitative Vergleiche zu ziehen. Z. glaubt aus seinen
Befunden schhessen zu dürfen, dass die Seroreaktion eine recht
empfindliche Reaktion auf allerfeinste materielle Zustandsänderungen
nn jesamtnervensystem darstellt. Dass sich aber andererseits un¬
beschadet der grossen Bedeutung, die dieser Tatsache als solcher zu-
kommt, gerade aus dieser weitgehenden Empfindlichkeit für die prak¬
tisch^ mische Verwendung der Reaktion auf dem Gebiete der intra-
kraniellen Komplikationen zweifellos auch gewisse Schwierigkeiten
herleiten So kann uns nämlich der positive Ausfall der Reaktion
nur darüber orientieren, dass überhaupt irgendwo im Nervensystem
eine organische Läsion vorliegt. Ob es sich dabei aber in dem spe-
ziellen Falle um eine vielleicht ganz unbedeutende, spontan rückbil-
dungsfahige einfache Enzephalitis, einen ausgedehnten Abszess oder
um eine periphere Neuritis handelt, darüber kann uns die Seroreaktion
(s. v.j nicht informieren und uns infolgedessen nicht in den Stand
setzen, eine Indikation zu einem operativen Eingriff am Gehirn selbst
zu gewinnen Um so weniger, als auch, wie ich feststellen konnte
extradurale Abszesse, Meningitiden und Sinusthrombosen — - wohl in¬
folge einer konkomitierenden Meningoenzephalitis — ebenfalls einen
positiven Reaktionsausfall bedingen können. Vielleicht wird uns auch
hier der negative Ausfall der Reaktion mehr leisten wie der positive
weil jener das Vorhandensein eines zerebralen Prozesses — und da¬
mit auch eines Hirnabszesses — mit grosser Wahrscheinlichkeit aus-
schhessen lässt und uns somit eventuell davon abhalten kann, er-
2042
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 40.
gebnislose Eingriffe am Gehirn selbst zum Schaden unserer Patienten
vorzunehmen.
Herr Winternitz: Nur einige Bemerkungen vom Standpunkt
des inneren Mediziners. Meiner Ueberzeugung nach steht und fällt
die klinische Bedeutung der Abderhalden sehen Reaktion mit
ihrer Spezifität. Wenn das Auftreten der Abwehrfermente im Blut
nicht spezifisch ist, dann kommt der Reaktion kein grösserer klinischer
Wert zu wie dem Salzsäuremangel für die Karzinomdiagnose. Die
Spezifität schliesst aber Fehldiagnosen natürlich nicht aus, insofern
Umstände cintreten können — wir untersuchen ja immer nur in einer
bestimmten, vorübergehenden Phase der Erkrankung — , die den
Uebergang von Fermenten ins Blut hemmen oder ihre Nachweisbar¬
keit verhindern.
Bei meinem Material hat es sich um 80 und einige Fälle ge¬
handelt, davon 34 sichere Karzinome, in 20 war die Diagnose zweifel¬
haft, 7 Sarkome, 6 zweifelhafte Sarkome und 15 andere Fälle (Base¬
dow, Tuberkulose, Addison etc.). Unter 67 Fällen mit maligner Neu¬
bildung — meist Magentumoren — fiel die Reaktion 6 mal negativ
aus. 2 Fälle scheiden wegen mangelhafter Technik aus, in einem
Fall wurde das Resultat durch die Kontrolle richtiggestellt, es zeigte
sich, dass das verwendete Substrat nicht eingestellt war. In 3 Fällen
konnten keine methodischen Fehler nachgewiesen werden, wir müssen
annehmen, dass es sich um Fehldiagnosen gehandelt hat, die in nicht
näher bekannten, biologischen Besonderheiten der Fälle begründet
waren.
Statistische Angaben haben geringen Wert, solange es nicht mög¬
lich ist, zu kontrollieren, worauf sich die Resultate stützen, dabei ist
fehlerlose Technik ohne weiteres vorausgesetzt. Die Möglichkeit von
Fehldiagnosen, die in dem biologischen Charakter der Methode be¬
gründet sind, lässt keinen Zweifel darüber, dass die Verwertung der
Reaktion nur im Zusammenhang mit den klinischen Untersuchungs¬
ergebnissen möglich ist. Am einfachsten liegen die Fälle, wo unsere
Diagnose mit dem Resultat der Abderhalden sehen Reaktion
übereinstimmt, sie bilden die weitaus überwiegende Zahl und liefern
gleichzeitig den Beweis für die Spezifität und klinische Brauchbarkeit
der Methode. In seltenen Ausnahmen haben wir klinisch gesicherte
Karzinomdiagnose, Abderhalden ist trotzdem negativ. Hier kann mit
Rücksicht auf das klinische Gesamtergebnis der Abderhalden-
schen Reaktion nicht das Uebergewicht eingeräumt werden. Dann
haben wir klinisch zweifelhafte, karzinomverdächtige Magenfälle ohne
Tumor, wo die Abderhalden sehe Methode berufen ist, in posi¬
tivem oder negativem Sinn zu entscheiden und dementsprechend auch
das therapeutische Handeln zu beeinflussen. Aehnlich liegen die Ver¬
hältnisse bei einem Tumor ad pylorum, wenn klinisch die Entschei¬
dung zwischen Karzinom und kallösem Ulcus nicht getroffen werden
kann. Wichtig ist, dass in allen Fällen ohne jede Ausnahme die
Reaktion streng spezifisch war und dass daher auch bei Fehldiagnosen
die Reaktion negativ ausfiel, nicht umgekehrt. Nie ergab sich
eine Karzinomdiagnose, wo kein Karzinom vorhanden war.
Wir stehen erst am Anfang der Beobachtungen, aber es ist zu
hoffen, dass uns die A b d e r h a 1 d e n sehe Methode zum Ziel einer
Frühdiagnose maligner Neubildungen des Magen- und Darmtraktus
führen wird.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 16. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Allard.-
Schriftführer : Herr v. Engelbrecht.
Herr Knack: Blutbefunde im Dunkelfeld.
Bei Untersuchung des Blutes im Dunkelfeld beobachtet man
feinste 3 — 40 ,u lange fädige Gebilde, die in lebhafter grosswelliger
Bewegung zwischen den übrigen Formbestandteilen des Blutes
herumschwimmen. Die matten, grauweisslichen Fäden sind ß und
darunter dick, meist homogen, nur in seltenen Fällen körnig, im
Gegensatz zu Spirochäten glatt, ohne Eigenwindungen. An den Enden
tragen sie je ein leuchtendes Endkörperchen. Diese „Blutfäden“
(Haematarachnien) wurden zuerst von Rosenthal (1906) im
Hiihneiblut, dann (1907) von Beer im Menschenblut durch Dunkel¬
felduntersuchung nachgewiesen, nachdem schon früher In gefärbten
Blutpräparaten wiederholt fädige Gebilde gefunden und bald als
Kunstprodukte, bald als Parasiten beschrieben worden waren. Die
Blutfäden finden sich ausser bei Mensch und Huhn bei üblichen
Laboratoriumstieren (Affe, Hund, Katze, Kaninchen, Meerschwein¬
chen, Ratte, Maus, Taube), in anderen Körperflüssigkeiten (Lymphe,
Lumbalpunktate, Transsudate) sind sie nur bei gleichzeitiger Blutbei¬
mengung vorhanden. Bei Scharlach, Masern, Röteln sind sie im Be¬
ginn der Erkrankung stark vermehrt, bei septischer Lungentuber¬
kulose, Miliartuberkulose sind sie sehr zahlreich, bei perniziöser An¬
ämie, hämolytischem Ikterus (Erythrozytenschädigung nur vereinzelt
zu finden Fine umfassende Statistik wird vielleicht brauchbare Re¬
sultate über die klinische Bedeutung der Fäden ergeben. Die Dar¬
stellung gelingt am besten, wenn man das frisch entnommene Blut in
gleichen Teilen steriler Merck scher Gelatine auffängt, bei 37° auf¬
hebt und vom Gemisch 1 Platinöse auf geschliffenem Objektträger
bringt, mit Deckglas bedeckt im Dunkelfelde betrachtet. Statt Gela¬
tine kann man 14 Proz. sterile Magnesiumsulfatlösung unter den
gleichen Bedingungen verwenden. Die Färbung gelingt im dicken,
mit Aetheralkohol 10 Minuten fixierten Ausstrich mit Eosin extr. B
Höchst 1,0, Methylalkohol 100,0, Aq. dest. 10,0. Nach 15 Minuten
abtropfen, mit Fliesspapier trocknen. Die Bedeutung der Blutfäden
ist noch ungeklärt, da sie meist als Zerfallsprodukte angesehen und
übergangen worden sind. Dietrich meint, es handle sich um
Myclinfcimen, die beim Zugrundegehen der phosphatidreichen Ery¬
throzyten frei würden. Er stützt seine Ansicht damit, dass die Ge¬
bilde oft an Erythrozyten (aber auch an Leukozyten. Ref.l) flot¬
tierend hängen, oft die Erythrozyten von dichten Fadenfransen rings
umgeben sind. Vielleicht werden hier Untersuchungen Klarheit
schaffen, die einmal entscheiden, ob sich die Blutfäden auch prä-
formiert im lebenden Blute finden, und dann, ob durch mikrochemi
sehe Reaktion eine Differenzierung möglich ist. Doppelbrechung und
Fettreaktion zeigen die Fäden jedenfalls nicht. Im Anschluss Demon¬
stration einschlägiger Präparate.
Diskussion: Herren C o h n h e i m und Plaut.
Herr Schottmüller: Die von dem Herrn Vortragen¬
den beschriebenen, im Dunkelfelde erkennbaren Fädchen im
menschlichen Blute haben wir schon vor mehr als 14 Jahren
gesehen und zwar im Blute von Gesunden und Kranken.
Irgend eine spezifische Bedeutung haben wir ihnen nicht zu¬
erkennen können, die Zahl der fädenförmigen Gebilde, welche eine
deutliche molekulare Bewegung zeigen und auf den ersten Blick wohl
Veranlassung zur Verwechslung mit irgendwelchen spirochäten¬
artigen Parasiten geben können, ist besonders gross, wenn man das
Blut Hochfiebernder, aber auch gesunder Menschen nicht in Bouillon,
sondern in Kochsalzlösung verbringt und eine Zeitlang der Brut¬
temperatur aussetzt.
Ueber die derartigen Gebilde können wir einen sicheren Auf¬
schluss nicht geben, wir haben mit der Möglichkeit gerechnet, dass
es sich um Abkömmlinge von Fibrin handelt, obwohl eine spe¬
zifische Färbung der Fädchen nicht erzielt werden konnte.
Herr S i m m o n d s.
Herr Knack (Schlusswort) beantwortet die Fragen. Um Fi¬
brinfäden handelt es sich nicht. Die Fäden finden sich auch im
Ammoniumoxalatblut, sie geben keine Fibrinfärbung. Die Anreiche¬
rung auf Nährböden ist wohl nur Sedimentierung. Gleiche Häufig¬
keit bei Untersuchung sofort nach der Blutentnahme wie nach einiger
Zeit. Auch im Bouillonblut sah K. die Fäden regelmässig.
Herr Reye: Zur Aetiologie der Endocardltis verrucosa.
Erscheint ausführlich in der M.m.W.
(Schluss folgt.)
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. April 1914.
Vorsitzender: Herr Habs.
Herr Hager stellt eine Reihe durch spezifische Behandlung
geheilter, auch noch in Behandlung begriffener Fälle von Tuberkulose
vor, die verschiedene Typen der Krankheit darstellen. Er hat die
spezifische Behandlung seit 1890 ausgeführt, ist an derselben auch
zur Zeit der absprechenden Urteile über dieselbe niemals irre ge¬
worden, hat nach und nach alle Koch sehen Tuberkuline, auch an¬
dere spezifische Präparate erprobt: namentlich das Tuberkulin
Rosenbach und die von Prof. A. Möller empfohlenen Tuberkcl-
bazillenemulsion enthaltenden Geloduratkapseln. Besondere Vorzüge
sieht er in der ambulanten Behandlungsmethode; dieselbe darf nie
schematisch sein, sondern muss dem einzelnen Falle ^ angepasst
werden, starke Reaktionen sind zu vermeiden. Auf die Entdeckung
von Frühfällen latenter und larvierter Tuberkulose ist das Haupt¬
gewicht zu legen, aber auch in den meisten vorgerückten Fällen ist
noch Erfolg zu erzielen durch spezifische Behandlung; allerdings er¬
fordert hier diese spezifische Behandlung in Etappen eine unver¬
wüstliche Hartnäckigkeit seitens des Arztes und der Patienten.
Die Krankenhaus- und Anstaltsbehandlung ist in der überwiegen¬
den Mehrzahl nicht geeignet zur Erprobung der Wirksamkeit der
spezifischen Behandlung und vielfach haben die Urteile der Kranken¬
hausärzte der allgemeinen Einführung des spezifischen Heilverfahrens
nur geschadet.
Vortr. huldigt der Ansicht, dass die Möglichkeit, die Tuber¬
kulose in den Kulturländern durch spezifische Behandlung auszu¬
rotten, vorhanden ist, wenn auch die Zeit der Vollendung noch fern
sein mag. Allerdings bedarf es dazu der Ueberzeugung des Gros
der praktischen Aerzte von der Wirksamkeit der prophylaktischen
und der kurativen Eigenschaft der spezifischen Behandlung.
Ob die neue Entdeckung Friedmanns eine wirksamere und
schnellere Methode der spezifischen Behandlung darstellt, ist noch
abzuwarten. Das, was der Vortr. selbst von ihr gesehen hat, scheint
durchaus zu dieser Hoffnung zu berechtigen.
Zurzeit scheint auf die allgemeine Mitwirkung der praktischen
Aerzte bei der spezifischen Tuberkulosebehandlung noch nicht zu
rechnen zu sein.
Heute noch ist in der Bevölkerung grosser Industriezentren
wegen der grossen Zahl verhältnismässig gesund sich fühlender
Bazillenverstreuer der Tuberkelbazillus fast als ein ubiquitärer In¬
fektionsträger anzusehen, und auch in ländlichen Bezirken gibt es
sehr zahlreiche Tuberkuloseherde, die nur dem praktischen Arzte
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2043
6. Oktober 1914.
bekannt sein können. Auf diese zu fahnden und ihre Gefahren zu be¬
seitigen muss die Haupttätigkeit der praktischen Aerztc sein; durch
allgemeine Hygiene ohne spezifische prophylaktische und kurative
Behandlung ist die Seuche nicht auzurotten.
Herr Blencke: Demonstration eines Falles von Little-
scher Erkrankung, bei dem Bl. wegen der hochgradigen Spitzfiisse
rechts di e^ plastische Verlängerung der Achillessehne machte und
links die S t o f f e 1 sehe Nervenoperation. Der Spitzfuss war beim
Erwachen aus der Narkose verschwunden und ist es auch geblieben.
BI. stellt einen Patienten vor, der einen Bruch des Os naviculare
an der Hand erlitten hatte. Die eine Hälfte dieses Knochens war mit
dem Os lunatum luxiert und deutlich auf dem distalen Ende der
Beugeseite der Speiche zu fühlen. Es handelte sich um eine alte
Verletzung, für die der Patient mit 15 Proz. entschädigt wurde. Die
Funktion der Hand war eine gute. Die zur Beseitigung der noch
vorhandenen Beschwerden vorgeschlagene Exstirpation wurde
verweigert.
Herr Wendel demonstriert: 1. eine Patientin mit handflächen¬
grossem syphilitischen Schädeldefekt im Bereich des Hinterhauptes,
welcher seit 2 Jahren bestand. Wassermann stark positiv. Im
Defekt liegt die pulsierende, mit schmierigen Granulationen bedeckte
Dura frei. Zunächst energische Kur mit Quecksilber und Jod, so¬
dann operative Deckung mit „Schällappen“ nach Müller-König
Völlige Heilung.
2. Eine plastisch gedeckte kolossale Röntgengangrän bei
Leukämie. 64 jährige Frau, seit Herbst 1912 Blutarmut, Mattigkeit.
Am 21. IV. 13 Aufnahme in das Krankenhaus Sudenburg. Befund:
tierzdämpfung erheblich verbreitert, Spitzenstoss in der vorderen
Axillarlinie, systolisches, sausendes Mitralgeräusch. Abdomen vor¬
gewölbt, Bauchdecken schlaff, Caput medusae. Grosser Milztumor.
Jntere Grenze handbreit oberhalb der Symphyse. Leber vergrössert.
Achsel-, Leisten-, Halsdrüsen bis bohnengross. Hämoglobin 45 Proz
Erythrozyten 2,7 Millionen, Leukozyten 285 000. Vereinzelt kern¬
lose rote Blutzellen. Behandlung mit Röntgenstrahlen, Kakodyl,
Riba-Malz, später Trinkkur mit Doramad (Thor. X). Bestrahlt
xurde Milz, Leber, Lymphdriisen, Knochenmark. Dosis täglich 10 X
nit 3 mm-Filter. Innerhalb von 6 Wochen sehr erhebliche Besserung,
iämoglobin 56 Proz., Erythrozyten 3 600 000, Leukozyten 6000 in nor-
nalem \ erhältnis. Leber erheblich verkleinert, Milztumor auf
3 zurückgegangen.
Bei einer Bestrahlung der Leber vom Rücken her am 24. Mai 1913
.yrgass die Schwester bei einer Aenderung an der Röntgenröhre das
-llter wieder vorzuschalten. Die Pat. erhielt 9 X ohne Filter. Sie
•vurde am 25. Mai 1913 entlassen. 3 Wochen später stellte sie sich
xieder vor. Sie hatte links, wo die Milz bestrahlt war, ein hoch¬
gradiges Erythem, welches aber ohne jede Schädigung zur Heilung
cam. Dagegen fand sich rechts, wo die filterlose Bestrahlung vor¬
genommen jvar, ein ganz leichtes Erythem, ohne Brennen oder
nicken, so dass die Pat. selbst noch nichts davon gemerkt hatte. In
Jen nächsten Wochen entwickelte sich im ganzen Umfange des
-.rythems eine Gangrän der Haut. Langsam verschlechterte sich
las Blutbild wieder. Am 13. Februar 1913 war die Zahl der
"rythrozyten zwar normal, Hämoglobin aber nur 50 Proz., Leuko-
:yten 16 600, am 11. März 1914 Erythrozyten 3 000 000, Leukozyten
,00°0. Die Gangrän brauchte Monate, um sich abzustossen. Erst
rn März 1913 war die Wunde völlig gereinigt. Lymphdrüsen-
chwellungen waren nicht mehr da, die Milz überragte nur in rechter
■'eitenlage fingerbreit den linken Rippenbogen. Da das Blutbild sich
erschlechterte, wurde wieder Röntgenbehandlung aufgenommen und
war nur der Extremitätenknochen und des Sternums. Am 23. III. 14
anden sich wieder Erythrozyten 4 600 000, Hämoglobin (Sahli)
>7 Proz., Leukozyten nur 4500.
Am 17. März 1914 wurde in Narkose der grosse Defekt plastisch
gedeckt. Grosser horizontaler, viereckiger Lappen oberhalb des
Jefektes, Basis an der Wirbelsäule, Spitze an der rechten Mamma.
:r reicht nur zu 2/* zur Deckung des Defektes. Experimenti causa
Grd der Rest des Defektes ebenso wie die nicht durch Naht und
.usammenziehung gedeckten Reste des Lappendefektes mit
hierschschen Pfropflappen gedeckt. Die Plastik gelang vollkommen,
'.ich die T h i e r s c h sehen Lappen heilten sämtlich an. Vorstellung
■er völlig geheilten Patientin.
3- Eine 50 jährige Frau mit Ulcus ventriculi. Nach langer Pause
or 8 Wochen schwerste Blutung. Nach allmählicher Erholung jetzt
,'uerresektion der Magenmitte mit einem tiefen Ulcus der kleinen
'■urvatur. Glatte Heilung. Demonstration der Patientin und des
raparates.
Herr W essllng zeigt das anatomische Präparat eines Falles
un Invagination des Dünndarms in dem Endteil des Dünndarms und
. n Anfangsteil des aufsteigenden Dickdarms, hervorgerufen durch
in Fibrom des Dünndarms von Kleinapfelgrösse. Das Präparat
^urde durch Operation, die tödlich verlief, gewonnen. Reseziert
ur v — er * m Dünndarm und ungefähr 25 cm Dickdarm.
Klinisch verlief der Fall unter den Anzeichen des chronischen
eus und liegen die ersten Erscheinungen, die seinerzeit als Magen-
eschwür, von anderer Seite als Nierensteinkolik links aufgefasst
wurden, über 2 Jahre zurück.
W. hat den Fall vor Vi Jahren wegen einer gleichzeitig be-
tehenden irreponiblen Nabelhernie, auf die das Krankheitsbild be¬
ugen wurde, natürlich ohne dauernden Erfolg operiert. Die Diagnose
invagination“ wurde wahrscheinlich durch einen in der Fötalgegend
gefühlten wurstförmigen Tumor, — vaginal war er nicht nachzu¬
weisen — durch profuse rektale Blutungen, 1 Liter und mehr, zeit¬
weise starke Koliken und trotz dieser Erscheinungen ein gutes All¬
gemeinbefinden, nie Koterbrechen, mässige Darmblähung, dauerndes,
wenn auch erschwertes, Abgehen von Winden. Da anfangs die Ope-
rationserlmibnis nicht gegeben wurde, Hessen sich die Erscheinungen
mehrere Tage beobachten
Die histologische Diagnose wurde seitens des pathologischen
Anatomen gestellt.
Ferner zeigt er Radius und Ulna eines, in 14 Tagen nach dem
Bruch des distalen Radiusendes und des Griffelfortsatzes, an einer
interkurrenten Krankheit verstorbenen Mannes.
Klinisch bestand keine Bajonettstellung, sondern nur eine Ver¬
dickung des distalen Radiusendes und geringe Dorsalflektion im
Handgelenk.
Auch auf dem Röntgenbilde sieht der Bruch verhältnismässig
harmlos aus und doch ist die Gelenkfläche des Radius in 4 Teile, die
Epiphyse insgesamt in 8 Teile gebrochen.
Für die Behandlung solcher Fälle dürfte sich eine Schienen-
tixierung für 2 — 3 Wochen und dann sofort folgende mediko-mechani-
sche Nachbehandlung empfehlen.
Herr Hirt: Ueber Appendizitis in der Gravidität.
Erscheint ausführlich in dieser Wochenschrift.
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 15. Juli 1914. (Schluss.)
Herr Schmincke: Ueber die Teratome der Zirbeldrüse.
Die Zirbeldrüse ist ein Organ, an dem an und für sich Ge¬
schwulsterkrankungen nicht häufig zur Beobachtung kommen. Die
Zahl der bisher publizierten Fälle 1) von Zirbeldrüsengeschwülsten
überhaupt beträgt ungefähr 56. Es sind dies Psammome, Gliome und
glioblastische Sarkome, Rundzellen-, Spindelzellensarkome und angio-
blastische Sarkome und merkwürdigerweise im Verhältnis zur Zahl
der überhaupt beobachteten Fälle von Geschwulsterkrankung des
Organs, relativ häufig Teratome, nämlich 12, Davon sind 8 auf Grund
der gegebenen histologischen Beschreibung als sichere dreiblätterige
Teratome anzusprechen, 4 Fälle sind teratoide Geschwülste, welche
einen gemischten Aufbau aus Geweben nur zweier Keimblätter auf¬
wiesen. Besonderes klinisches Interesse haben die Zirbeldrüsen¬
geschwülste dadurch bekommen, dass in einigen Fällen bei den Ge¬
schwulstträgern im kindlichen Alter ein eigenartiger Symptomen-
komplex zur Entwicklung gekommen ist, den P e i 1 i c c i mit dem
Ausdruck der Macrogenetosomia praecox bezeichnet hat, die Ge¬
schwulstträger zeigten abnormes Längenwachstum, ungewöhnlichen
Haarwuchs und dabei eine ihrem Alter weit vorauseilende sexuelle
und teilweise auch geistige Reife; bisher wurde diese Makrogenito-
somia praecox in 10 Fällen beobachtet, darunter in 6 Fällen von
Teratom (Gutzeit, Ogle, Oestreich, Ilawyk, Frankl-
Hochwart, Bailey-J elliffe, Takeya) ein Fall (Ray¬
mond-Claude) bei einem Neurogliom, 1 Fall (P e 1 1 i c c i) 2),
1 Fall (H o 1 z h ä u e r) Sarkom, 1 Fall (G o i d z i e h e r) angio-
blastisches Sarkom.
In allen Fällen kam es bei den jugendlichen männlichen Ge¬
schwulstträgern zu einer starken Behaarung, teilweise des ganzen
Körpers, besonders aber der Genitalien, zu einer starken Grössen¬
entwicklung des Penis und überhaupt der äusseren Genitalien. Erek¬
tionen traten auf, sowie Ejakulationen spermienhaltiger Flüssigkeit;
dafür blieb die Psyche der Knaben entweder infantil, oder sie war
in einer dem Alter der Kinder vorauseilenden Weise entwickelt.
Ueber die Erklärungsversuche des bemerkenswerten Sym-
ptomenkomplexes kann ich mich kurz fassen: Es sind im wesentlichen
2 Meinungen vorhanden. Die eine sieht in dem geweblichen Aufbau
der Geschwulst das ausschlaggebende, auslösende Moment; die
sexuelle Präkozität ist eine Funktion der Geschwulst; sie ist onkogen;
die andere zieht die durch das Geschwulstwachstum gestörte Funk¬
tion der Zirbel und den Ausfall des Zirbelsekrets im Syndrom der
Drüsen mit innerer Sekretion (Hypo- und Apinealismus) zur Er¬
klärung heran.
Die erste Ansicht hat ihren Hauptvertreter in Askanazy.
Nach ihm soll das Vorhandensein des Geschwulstgewebes, insbeson¬
dere des Teratomgewebes im Körper eine allgemeine Steigerung der
sexuellen Entwicklung bedingen, und das Teratom eine Art Pseudo¬
schwangerschaft darstellen, wobei die Geschwulst Stoffe produziert,
welche auf die Entwicklung der Genitalien von Einfluss sind. Zur
Stütze seiner Ansicht führt Askanazy Versuche Starlings
und den Fall von S a c c h i ins Feld. S t a r 1 i n g injizierte weiblichen
Kaninchen den Presssaft von Kaninchenembryonen und beobachtete
eine der Graviditätsperiode entsprechende Zunahme der Mammae.
Im Fall von Sacchi handelte es sich um einen 9)4 jährigen Knaben,
der bis zum 5. Jahr ganz normal war; dann setzte eine rasche Ent-
0 Ausführliche Literaturangaben über Zirbelgeschwülste cf.
Fukuo: Ueber die Teratome der Gland. pinealis. Inaug.-Diss.
München 1914.
2) Ueber den Charakter der Geschwulst kann ich, da die Ori¬
ginalarbeit mir nicht zugänglich war, keine Angaben machen.
2044
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 40.
Wicklung des Skelettes, der Muskulatur ein, Schamgegend und Gesicht
wurden behaart; die Stimme veränderte sich und zu gleicher Zeit
vergrösserte sich der linke Hoden. Bei der Untersuchung konstatierte
Sacchi, dass der Knabe eine abnorme Grösse (1,43 cm), abnormes
Gewicht (44 kg) und eine ungewöhnliche Muskelkraft hatte, ausser¬
dem war Behaarung des Gesichts, der Pubes, der Brust- und Beine
vorhanden. Die Länge des Penis betrug im schlaffen Zustande 9 cm;
Erektion trat leicht ein, doch keine Ejakulation. Diese Erscheinungen
verschwanden nach der Exstirpation des linken Hodens allmählich,
und der Knabe wurde wieder kindlicher. Der Tumor wurde von
Sacchi auf Grund der mikroskopischen Untersuchung als Karzinom
betrachtet; dagegen vertritt Askanazy die Ansicht, dass der
Tumor ein Teratom gewesen ist.
Die zweite Ansicht, dass die Präkozität der sexuellen Entwick¬
lung bei jugendlichen Trägern von Zirbelgeschwülsten zurückzuführen
ist auf einen Ausfall der durch das üeschwulstwachstum geschädigten
oder vollständig zerstörten Zirbel hat ihren Hauptveitreter in Mar¬
burg, dem sich neuerdings Goldzieher auf Grund eines eigens
beobachteten Falles und auch B i e d 1 angeschlossen haben. Eine
Hauptstütze erhalten die Ansichten dieser Autoren in Versuchsergeb¬
nissen des Italieners F o ä.
F o ä entfernte an 63 jungen Hühnern die ganze Zirbeldrüse.
Einige Monate nach der Operation zeigten die Hühner, bei denen die
Zirbeldrüse herausgenommen worden war, ein geringes Zurückbleiben
des Wachstums und eine geringere spontane Beweglichkeit. Im Ver¬
lauf dreier Monate holten sie jedoch dieses Wachstum wieder nach,
so dass sie sich von Kontrollhühnern nicht mehr unterschieden. Bei
den operierten zirbellosen Hähnen Hessen sich in dieser Zeit starke
Entwicklung der Keimdrüsen und der sekundären Sexualmerkmale
- Krähen, sexueller Instinkt — beobachten. Es fanden sich bei diesen
Hähnen, die im 8. bis 11. Monat nach der Operation getötet waren,
eine starke Hypertrophie der Hoden und des Kammes gegenüber den
Kontrollhähnen. Auf Grund der Versuchsergebnisse Foäs lässt sich
die Annahme machen, dass der Zirbelexstirpation ein Eintreten von
einer frühzeitigen sexuellen Entwicklung nachfolgt, dass also die Zir¬
beldrüse die physiologische Funktion hat, die Entwicklung des Hodens
und der sekundären Sexualcharaktere direkt oder indirekt zu
hemmen.
Im folgenden möchte ich Ihnen nun 2 Fälle von Zirbeldrüsen¬
teratom demonstrieren, die ich in der relativ kurzen Zeit eines halben
Jahres zu beobachten Gelegenheit hatte. Die eine Geschwulst stammt
von einem 19 Jahre alten Mann, bei welchem sie bei einer auswärts
gemachten gerichtlichen Sektion zufällig im 3. Ventrikel gefunden
worden war; sie war uns zur Untersuchung zugeschickt worden. Die
zweite Geschwulst war bei einem 22 jährigen als Hirntumor, aller¬
dings in nicht richtiger topischer Orientierung intra vitam dagnosti-
ziert worden. Bei der Sektion wurde sie als Zirbeldrüsengeschwulst
erkannt. In beiden Fällen handelte es sich um grosswelschnussgrosse
vielzystische Geschwülste. Die erste war ein typisches Teratom mit
Geweben aller 3 Keimblätter, die zweite zeigte Aufbau aus Binde¬
gewebe, Gefässkomplexen von angiomatösem Typ, sowie Zelllagern
von zum Teil rudimentär entwickelten Ganglienzellen und Neuro-
epithelien in Form und Lagerung, wie sie in normaler Zirbel zur
Beobachtung kommen. Die Hauptmasse der Geschwulst wurde ge¬
bildet von verschiedenen grossen zystischen, mit einem hohen
schleimbildenden Zylinderepithel ausgekleideten Hohlräumen. Dieses
zylindrische Epithel sah durchaus aus, wie entodermales Epithel; ob
es sich hier um entodermale Zysten handelte, erschien jedoch frag¬
lich, da in der Wandung der Zysten nichts von glatter Muskulatur
aufgefunden und an einzelnen Stellen ein Uebergang dieser hohen
Zellen in ein als Ependymepithel anzusprechendes Epithelgewebe be¬
obachtet werden konnte. Im zweiten Fall ist in der Anamnese ein
Trauma des Kopfes durch Fall eines Stammes auf die Nackengegend
ein halbes Jahr vor dem ersten Auftreten von klinischen Symptomen
eines raumbeengendne Prozesses im Schädel erwähnenswert. In
beiden Fällen ergab die Anamnese nichts von einer Präkozität der
sexuellen Entwicklung; die Pubertät hatte bei beiden Individuen zur
normalen Zeit eingesetzt.
Herr Hu eck: Demonstrationen zur Frage der experimentellen
Atherosklerosis.
Diskussion: Herr v. R o m b e r g.
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Royal Society of Medicine, Section of Medicine.
Sitzung vom 28. April 1914.
Ueber den Kohlensäuregehalt der Lungenluft bei Diabetikern.
E. P. P o u 1 1 o n berichtet über Beobachtungen, welche er nach
der Methode von Fridericiabei 9 Fällen von diabetischem Koma
und 6 milderen Diabetesfällen in bezug auf den COs-Gehalt der
Alveolenluft ausgeführt hat. Von Beddard, Pembrey und von
S p r i g g s ist zuerst darauf hingewiesen worden, dass der Partiar-
druck der Kohlensäure in der Alveolenluft bei zunehmender Azidosis
ein deutliches Sinken aufweist und im Koma auf ein Minimum herab¬
geht. Die Darreichung von doppeltkohlensaurem Natron hat ein
Wiederansteigen desselben zur Folge. P. konstatiert, dass man mit
dem Apparat von F r i d e r i c i a binnen 10 Minuten klinisch verwert¬
bare Bestimmungen ausführen kann. Bei gesunden Individuen erhält
i^an gewöhnlich Werte von 5 — 6 Proz., und bei gelinden Formen von
Glykosurie mit geringer Azidose erhält man dieselben Werte. Auch
bei einer Verminderung auf 4 Proz. ist noch zunächst keine Gefahr
vorhanden, aber ein weiterer Abfall unter diese Zahl deutet schon
auf drohendes Koma. Immerhin dauerte es in allen Fällen, welche
Werte zwischen 3 und 4 Proz. aufwiesen, noch 2 Tage, ehe be¬
drohliche Erscheinungen einsetzten, aber bei Werten zwischen 2 und
2,5 Proz. ist Koma schon binnen 24 Stunden zu erwarten.
Aus den französischen medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 21. Juli 1914.
Die Schmerzlosigkeit in der Geburtshilfe.
R i b e m o n t-D e s s a i g n e s erklärt nach einem kurzen histori¬
schen Ueberblick, dass die so sehnlichst von den Geburtshelfern ge¬
wünschte Lösung eines bisher als unlösbar angesehenen Problems,
nämlich Unterdrückung der Schmerzen mit völliger Erhaltung der
Kontraktionen, ihm gelungen zu sein scheint. Es handelt sich hiebei
um ein Mittel, das ein Derivat des Morphium hydrochloricum (durch
Einwirkung von Bierhefe auf eine Lösung desselben gewonnen), sub¬
kutan in Dosen von 1 — 3 ccm an der vorderen äusseren Oberschenkel¬
haut zur Zeit, wo die Erweiterung des Muttermundes etwa fünfzig¬
pfennigstückgross ist, injiziert wird. Nach 5 — 6 Minuten ist voll¬
ständige Schmerzlosigkeit erzielt, die Frau schläft ein oder tritt in
ein Stadium leichter Somnolenz, der Geburtsakt nimmt seinen Fort¬
gang und geht sogar rascher vor sich. Die Kinder kommen zuweilen
in einem Zustand von Apnoe, der aber leicht zu beseitigen und sogar
oft günstig für das Kind ist, zur Welt. Die Folgen der Entbindung
werden günstig beeinflusst und die Rückbildung der Gebärmutter
sogar eine sehr frühzeitige, wie die Erfahrung an 112 Fällen lehrte.
P i n a r d bestätigt diese günstigen Resultate und hebt besonders
2 Punkte hervor: 1. die Leichtigkeit, welche dieses Medikament für
die künstliche Entbindung gibt und 2. die Notwendigkeit für Aerzte
und Hebammen, zu wissen, dass bei vielen Kindern infolge der In¬
jektionen oft Apnoe vorhanden ist, aber dass man sich darum nicht
zu kümmern brauche, vielmehr die Umgebung darauf aufmerksam
machen müsse; die eigentliche Atmung hiebei vorzunehmen, wäre
gefährlich, es genügt, einige gewöhnliche Hautreize, Insufflation von
Mund zu Mund usw. vorzunehmen.
Die Anfrage von Bounquelot und Chantemesse über
die genaue Zusammensetzung des Mittels und dessen Herstellung
schien ihnen wenig genau beantwortet worden zu sein.
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 37. Jahreswoche vom 13. bis 19. September 1914.
Bevölkerungszahl 640000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschwäche einschl. Bildungs¬
fehler 7 (61), Altersschw. (über 60 Jahre) 1 (7), Kindbettfieber — (— ),
and. Folgen der Geburt und Schwangerschaft — (2), Scharlach — (—)>
Masern u. Röteln — (1), Diphtherie u. Krupp 2 (1), Keuchhusten 1 (4),
Typhus (ausschl. Paratyphus) 1( — ), akut. Gelenkrheumatismus — (2),
übertragbare Tierkrankh., d. s. Milzbrand, Rotzkrankh., Hundswut,
Trichinenkrankh. — (— ), Rose (Erysipel) — ( — ), Starrkrampf — (— ),
Blutvergiftung 3 (3), Tuberkul. der Lungen 13 (24), Tuberkul. and. Org.
(auch Skrofulöse) 1 (3), akute allgem. Miliartuberkulose — (— ), Lungen-
entzünd., kruppöse wie katarrh. usw. 5 (7), Influenza — (— ), veneri¬
sche Krankh. — (1), and. übertragbare Krankh.: Pocken, Fleckfieber,!
Ruhr, Genickstarre, Strahlenpilzkrankh., Lepra, asiat. Cholera, Wechsel¬
fieber usw. — (2), Zuckerkrankh. (ausschl. Diab. insip.) 1 (— ), Alkoholis¬
mus — ( — ), Entzünd, u. Katarrhe der Atmungsorg. 3 (2), sonst. Krankh.
d. Atmungsorgane — (1), organ. Herzleiden 16 (16), Herzschlag, Herz¬
lähmung (ohne näh. Angabe d. Grundleidens) 6 (4), Arterienverkalkung
2 (5), sonstige Herz- u. Blutgefässkrankh. 3 (4), Gehirnschlag 8 (10),
Geisteskrankh. — (2), Krämpfe d. Kinder 1 ( — ), sonst. Krankh. d.Nerven-
systems 3 (3), Atrophie der Kinder 8 (8), Brechdurchfall 4 (2), Magen¬
katarrh, Darmkatarrh, Durchfall, Cholera nostras 26 (17), Blinddarm¬
entzünd. — (2), Krankh. der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse u.
Milz 2 (2), sonst. Krankh. der Verdauungsorg. 5 (3), Nierenentzünd. 3(3),
sonst. Krankh. der Harn- u. Geschlechtsorg. 2 (1), Krebs 13 (12), sonst.
Neubildungen 2 (2), Krankh. der äuss. Bedeckungen 1 (3), Krankh. der
Bewegungsorgane — (1), Selbstmord 1 (1), Mord, Totschlag, auch
Hinricht. — ( — ), Verunglückung u. andere gewalts. Einwirkungen 15(21),
andere benannte Todesursachen 1 (3), Todesursache nicht (genau)
angegeben (ausser den betr. Fällen gewaltsamen Todes) — (— •).
Gesamtzahl der Sterbefälle: 160 (191).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Redaktion: Dr. B. Spati,
München, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. I*. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 40. 6. Oktober 1014.
Jeber einige praktisch wichtige Gesichtspunkte in der
Tetanusfrage*).
Von Professor Dr. Kreuter in Erlangen.
Der Starrkrampf ist unstreitbar die gefürch-
etste Wundinfektion. Sein Vorkommen ist in
riedenszeiten glücklicherweise nur vereinzelt,
.s ist daher schwer möglich, als Einzelner grössere Er-
ahrungen über diese Erkrankung zu sammeln. Im Gegensatz
iazu ist es eine bekannte Iatsache, dass der Tetanus zu
.riegszeiten ein so gehäuftes Auftreten zeigen kann, wie
lau es sonst nie erlebt, abgesehen von einigen geburtshilf-
chen Erfahrungen, die unter besonders ungünstigen Verhält-
issen, wie in den Tropen, gesammelt worden sind. Es ist
aher bedauerlicherweise im Augenblick wieder Gelegenheit
egeben, diesem furchtbaren Leiden grössere Aufmerksamkeit
u \y idmen und sich in das Studium der Erkrankung mehr zu
ertiefen. Die aus verschiedenen Lazaretten einlaufenden Be-
icntc erzählen fast ausnahmslos von mehr oder weniger zahl-
Hohen Erkrankungen an Starrkrampf. Es dürfte deshalb ge-
iss von Interesse sein, über dieses Kapitel einige Worte zu
agen. Mit Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse, be-
jnders des Eeldarztes, sollen jedoch nur einige wesentliche
unkte hervorgehoben werden.
Wie bei allen Infektionskrankheiten ist
uch beim Wundstarrkrampf die Prophylaxe
on allergrösster Bedeutung. Sie kann eine 1 o -
a 1 e und eine allgemeine sein. Die lokale Vor-
;ugung hat sich mit der Wunde zu beschäftigen. Für
riegsverletzungen ist erfahrungsgemäss die Verunreinigung
irch eingedrungene Fremdkörper und Bestandteile des
r d b o d e n s, sowie durch P f e r d e m i s t besonders gross,
s ist eine altbekannte Tatsache, dass man
iner Wunde niemals ansehen kann, ob sie den
rreger des Starrkrampfes beherbergt oder
icht. Ich brauche nicht an die zahlreichen Erfahrungen
r rriedenspraxis zu erinnern, bei welchen harmlose oder
tr nicht beachtete Verletzungen den Ausgangspunkt der Er-
ankung bilden, selbst nachdem die Wunden schon vernarbt
1C*- E s >st in erster Li nie zu bedenken, dass
erTetanusbazillus kein Eitererreger ist und
i s i c h z u keinerlei Störung der Wundheilung
J führen braucht. Die primäre Versorgung der Kriegs-
rletzungen wird aber mit Rücksicht auf die Tetanusgefahren
ic besondere Beachtung verdienen. Hierbei gelten dieselben
undsätze. die auch für die Zertrümmerungen von Körper-
■en in Friedenszeiten massgebend sind: möglichste
p r e i n f a c h u n g e n der Wund Verhältnisse, B e -
- 1 1 i g u n g aller Buchten und eingedrungenen
''emdkörper und Sorge für einen guten A b -
u ss der Wundsekrete.
Diese Forderungen sind relativ einfach zu erfüllen und
nen aus dem Rahmen allgemein chirurgischer Grundsätze
1 1 wesentlich hinaus. Viel schwieriger ist die Frage der
gemeinen Prophylaxe zu beantworten, welche
einer frühzeitigen Anwendung des H e i I -
r u ms zu bestehen hat. Schon die Auswahl der
) VorKetragen in der 1. Sitzung der Freien militärärztlichen
euiigung zu Erlangen.
Wunden begegnet grossen Schwierigkeiten. Die Be-
dmgungen, unter welchen die Kriegsverletzungen
entstehen, sind ja annähernd die gleichen. Immerhin dürfte es
doch möglich sein, eine gewisse Einschränkung in bezug auf
1 !.e Wunden gelten zu lassen, die als wundstarrkrampfver¬
dächtig anzusehen sind. Als solche wären zu bezeichnen
sämtliche buchtigen Weichteil - und Knochen¬
zertrümmerungen, wie sie besonders durch Gra¬
naten, dann durch Querschläger von Infanterie¬
geschossen und schliesslich durch Schrapnells ent¬
stehen. Mitgerissene Kleider- und Wäschefetzen, aufgerissene
und in die Wunde eingedrungene Erde, sowie durch Fäulnis-
ei reger bedingte Gasbildung ist besonders verhängnisvoll.
Wunden, die durch Ueberfahrenwerden entstanden
sind, sind an zweiter Stelle zu nennen. Endlich kommen alle
Verletzungen durch Huf sch lag in Betracht. Selbstver¬
ständlich werden ausser diesen grösseren Gruppen eine Reihe
von kleineren Nebenverletzungen auch gelegentlich zur In¬
fektion mit Wundstarrkrampf führen.
Dass durch die Anwendung von Heilserum in prophylak¬
tischer Beziehung sehr viel geleistet werden kann, ist über
jeden Zweifel erhaben. Es gibt kaum ein Kapitel der experi¬
mentellen Therapie, bei welchen es im Tierversuch mit solcher
Exaktheit gelingt, die Erkrankung zu verhüten wie beim Te¬
tanus.. Eine Diskussion üb er die Berechtigung
dei prophylaktischen Anwendung des Serums
ist nach dem heutigen Stand der wissen¬
schaftlichen Erkenntnis überflüssig. Praktische
Schwierigkeiten ergeben sich nur bei der Frage nach der B e -
Schaffung des immerhin kostspieligen Heilmittels, das
natürlich in grössten Mengen zur Verfügung stehen müsste.
Ein Ausweg in diesem Dilemma ist vielleicht auch für andere
Orte durch denselben Weg möglich, der in Erlangen durch
die Initiative des Herrn Generalarzt P e n z o 1 d t eingeschlagen
wurde: Eine kurze orientierende Bemerkung in den Tages¬
blättern hat die Aufmerksamkeit der allgemeinen Liebes¬
tätigkeit in solcher Weise für die Tetanusfrage erweckt, dass
in kurzer Zeit hier recht ansehnliche Summen zur Bekämpfung
des Wundstarrkrampfes zur Verfügung stehen. Es ist daher
möglich, bei den als verdächtig anzunehmenden Wunden eine
aussichtsreiche Behandlung einzuleiten, über welche dann
auch wertvolle Erfahrungen gesammelt werden können. Was
die praktische Anwendung des Heilserum anlangt, so ist diese
selbstverständlich noch vor Ausbruch der Erschei¬
nungen durchzuführen. Am besten würde sich empfehlen,
die schützenden Einspritzungen unter die Haut zu
machen, da auf diesem Wege ein Impfschutz erzielt werden
soll, der etwa 2 Wochen dauert. Es ist dringend zu raten,
n i ch t z u wenig Serum zu geben, da nach den Erfahrungen,
besonders ausländischer Autoren, unbedingt möglichst
grosse Serummen' gen notwendig sind. Man wird also
nicht mit 20 Antitoxineinheiten sich beruhigen, wie sie in den
Erläuterungen der käuflichen Serumpräparate empfohlen
werden, sondern am besten mit 100 A.E. beginnen. Ob es ge¬
lingt, den Ausbruch der Erkrankung dadurch vollständig
hintanzuhalten, ist eine miissige Frage. Man wird jedesmal
mit der Zahl der eingedrungenen Keime und mit ihrer Viru¬
lenz rechnen müssen, zu deren Beurteilung uns jeder Mass¬
stab fehlt. Dass 1 e i c h t e r e Infektionen dadurch verhütet
2046
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 40.
werden können, steht nach den Erfahrungen im Tierexperiment
einwandfrei fest. Wenn es aber bei schweren
Fällen gelingt, durch frühzeitige Serum ein-
spritzungen den Ausbruch der Erkrankung
hinauszuschieben oder den Verlauf derselben
zu mildern, so ist damit für diemenschliche
Pathologie ausserordentlich viel gewonnen.
Ueber den Erreger und seine biologischen
Eigenschaften brauche ich nicht viel Worte zu machen.
Es ist bekannt, dass er ein obligater Anaerobier und
reiner Toxinbildner ist. Die grösste Mehrzahl der
Keime bleibt zweifellos an Ort und Stelle; es liegen jedoch
auch Befunde vor, welche die Erreger im Blut, in Lymph-
drüsen und parenchymatösen Organen fanden.
Praktisch von grösster Bedeutung ist die
Art der Giftleitung im Organismus. Wir wissen
aus zahlreichen Erfahrungen, dass das Toxin im Blut, im
Liquor und in der Lymphflüssigkeit vorhanden sein
muss. Ebenso sicher ist jedoch, dass die Haupt¬
masse des Giftes durch die Muskelnerven ge¬
leitet wird. Besonders die neuen Untersuchungen von
P e r m i n haben ältere Experimente in einwandfreier
Weise bestätigt. Die Giftleitung geht ausserordentlich rasch
im Nerven vor sich, so dass nur die periphersten Abschnitte
desselben und auch nur kurze Zeit nach der Infektion im Tier¬
versuch noch als gifthaltig nachzuweisen sind. Sowohl
das im Nerven geleitete, wie das in die Körper¬
säfte gelangte Toxin wird im Rückenmark
verankert. Diese Verankerung ist infolge der
ausserordentlich starken Affinität der Vor¬
derhornzellen zu dem Toxin eine sofeste, dass
sie nach dem heutigen Stand unserer Thera¬
pie nicht mehr zu sprengen ist. In dieser Tatsache
liegen auch die Grenzen der Leistungsfähigkeit
unserer Behandlungsmethoden enthalten. Die Art, in welcher
das Rückenmark auf die Vergiftung reagiert, ist bekannt. Für
den Menschen entwickelt sich das Symptomenbild des Starr¬
krampfes in der Regel in derselben Weise. In schweren
Fällen kommt es sehr rasch nach den ersten Prodromen zu
dem trostlosen Krankheitsbild, dessen Einzelheiten allgemein
bekannt sind.
Hervorzuheben sind gewisse Initialerschein un-
g e n, deren Bedeutung nicht immer entsprechend gewürdigt
werden. Hier sind in erster Linie zu nennen, die fast nie
fehlenden Schluckbeschwerden, bei vollkommen nega¬
tivem Befund im Rachen. Sie werden sehr häufig als eine
beginnende Angina beurteilt und erst wenn die bedrohlichen
Erscheinungen des fortgeschrittenen Tetanus auftreten, z u
spät richtig beurteilt. Schluckbeschwerden bei
der vorhandenen Möglichkeit einer Tetanus¬
infektion sind daher immer sehr ernst zu be¬
urteilen und erfordern eine unausgesetzte
Ueb erwach ung des Kranken und eine sofor¬
tige Einleitung einer energischen Serum¬
behandlung. Als zweites Symptom ist der Trismus
zu erwähnen, der jedoch schon zum Bild des a u s ge¬
hr o c h c n e n, wenn auch beginnenden Starrkrampfes
gehört. Entwickeln sich dann rasch allgemeine
Krämpfe und die unabhängig von diesen vor¬
handene M u s k e 1 s t a r r e, dann ist an der ganzen Dia¬
gnose auch für den Unerfahrenen kein Zweifel mehr und
kommen unsere Heilbestrebungen bei kurzer Inkubation
recht häufig zu spät. Bemerkenswert ist noch eine
Tatsache, die besonders in solchen Fällen beobachtet
werden kann, bei welchen sich der Starrkrampf nach
längerer Inkubation oder in milderer Form
entwickelt. Hier sieht man Krämpfe und Starr¬
heit der Muskulatur in vollkommener Be¬
schränkung auf die verletzte Extremität oder
auf einzelne Teile der Muskulatur. Es ist dies
das Bild des lokalen Tetanus, das viel zu wenig be¬
kannt und beobachtet ist, das wir aber bei unseren Fällen im
hiesigen Reservelazarett schon wiederholt mit und ohne Tris¬
mus beobachten konnten. Im Tierexperiment spielt der
lokale Tetanus eine viel grössere Rolle und war er Ver¬
anlassung zu einer Reihe von theoretischen Erwägungen und
Diskussionen, deren Einzelheiten hier keinen Platz^ haben.
Beim Menschen wurde sein Vorkommen lange Zeit be¬
zweifelt. Es ist jedoch ganz sicher, wie auch
unsere Fälle wieder lehren, dass er auch hier
vorkom m t. Dass er bisher so selten beobachtet wurde,
liegt nur daran, dass nicht genügend darauf geachtet wurde
und dass er in den schweren Fällen, wie P e r m i n ganz
richtig hervorhebt, sehr rasch im allgemeinen Krankheitsbild
verschwindet.
Die Inkubation des Tetanus ist ausserordentlich ver¬
schieden. Es kommen Fälle vor, bei denen die Verletzung nur
einige Stunden zurückliegt und unter stürmischer Auf¬
einanderfolge der Erscheinungen in ebenso kurzer Zeit der
Tod erfolgt. Im allgemeinen gilt immer noch der schon längst
bekannte Grundsatz, dass je k ii r z e r die Pause zwischen dei
Verletzung und dem Ausbruch der Erkrankung ist, um sc
schwerer der Verlauf derselben sich gestaltet und um sc
geringer die Aussichten sind, eine Heilung zu erzielen
Man kann sagen, dass alle Fälle mit einer In¬
kubation unter 8 bis 10 Tagen prognostiscl
sehr ungünstig sind und eine Sterblichkeitsziffer vor
durchschnittlich 80—90 Proz. ergeben. Jenseits der zweiter
Woche liegen die Verhältnisse viel günstiger, allein es kommer
auch in dieser Gruppe Fälle vor, bei denen eine plötzliche
Steigerung der Erkrankung eintritt und ein rascher Tod er
folgt. Während die Serumbehandlung in der erster
Woche daher keine sehr erfreuliche Verbesserung der Mor
talität ergeben hat, sind die Resultate der Therapie in de:
zweiten Woche schon erheblich besser und augenfälliger.
Was nun die B e h a n d 1 u n g des Tetanus anlangt, so ha
sie ebenfalls eine lokale und eine allgemeine zu sein
Die örtliche Behandlung der Wunden im allgemeinen habei
wir bei den Erörterungen über die Prophylaxe kurz in der
wesentlichsten Punkten skizziert. Es ist namentlich in frühere
Zeit vielfach empfohlen worden, die Wunden auszuschneiden
die Extremitäten zu amputieren und auf diese Weise den Er
reger radikal zu entfernen. Schon die Erfahrung der F r i e
denspraxis haben gezeigt, dass wir damit in der Bekamp
fung schwerer Infektionen nicht weiter kommen. NacI
unseren experimentellen Erfahrungen wissen wir, dass di«
Giftleitung in Nerven so rasch und gründlich vor sich geht
dass wir mit verstümmelnden Operationen höchstens di*
weitere Giftzufuhr unterbrechen können. Dazu geben un
jedoch die Massnahmen kein Recht, die es uns ermöglichen
eine Giftsperrung auf anderem, rationellem Weg'
herbeizuführen. Interessant sind in dieser Beziehung Ver
suche amerikanischer Autoren, welche bei 50 Meerschwein
chen, 30 Hunden und 10 Schafen gemacht wurden, um dei
Wert der Amputation als solcher festzustellen. Sofort, nach
dem die ersten Erscheinungen von Starrkrampf auftraten, ward
den Tieren der infizierte Schweif abgenommen und zwar ohn
jede weitere spezifische Behandlung. Tiere, die ampu
t i e r t wäre n, starben in derselben Zeit un’
unter den gleichen Symptomen, wie solch,
die nicht amputiert waren. Die Operation als solch
hat somit keinerlei Einfluss auf den Krankheitsverlauf auf
zuweisen. Eine gewisse Berechtigung, kleinere Körperteil',
wie z. B. zertrümmerte Finger wegzunehmen, wird nieman
leugnen. Aber auch die Erfahrungen in unserem Reserve
lazarett haben uns wieder gezeigt, dass in zwei schwere
Fällen auch bei sofortiger Beseitigung der Infektionsstelle de
tödliche Verlauf der Erkrankung nicht abzuwenden wai
Was die örtlichen Einspritzungen von Heil
serum anlangt, so kann man sich davon nicht mehr Erfol
versprechen als von Injektionen an anderen Körperstellet
Die Anwendung von Trockenserum als Streupulver fü
die Wunden und von Salben, die mit Antitoxin bereitet situ
verspricht auch wenig Erfolg, besonders wenn man an dt
Zertrümmerungen mit starker Eiterung und dem starken Saft
ström nach aussen denkt.
Was die allgemeine Behandlung anlangt, so b
zunächst über die Art der Applikation des Serum
einiges zu sagen. Die subkutane Anwendung ist emi
fchlenswert, aber in allen Fällen, bei denen eine rasche un
6. Oktober 1914.
Fcldärztliche Beilage zur Miineh. med. Wochenschrift.
intensive roxinabsättigung und Giftsperrung erwünscht
ist. durch weit bessere Methoden zu ersetzen. Wenn wir
uns an die I atsache lmlten. dass das (iift nur zum geringe-
ren Teil durch die K ö r p e r f 1 ü s s i g k e i t e n, zum weitaus
grössten Teil du rch die Bahnen der Muskelner-
ven nach den Zentralorganeil gelangt, so hat die Therapie
zwei Wege einzuschlagen. Die Absättigung des im
Kreislauf zirkulierenden Toxins wird am
besten durch intravenöse Einspritzungen
garantiert. Dafür sprechen auch alle günstigen Er¬
fahrungen neuerer Autoren in hervorragendem Masse Die
Einspritzung soll im Einzelfall nicht unter 100 Anti-
Einheiten gehen und nach Bedarf mehrmals täglich wieder¬
holt werden. Ueber die Menge, welche schadlos in den
Kreislauf eingeführt werden kann, belehren uns auch wieder
die Mitteilungen amerikanischer Forscher, welche im Verlauf
von wenigen lagen mehrere 100 000 Einheiten verabreichten
und in schweren Fällen dadurch gute Resultate erzielten.
Praktisch sind wohl diese Forderungen für unsere Verhältnisse
itn allgemeinen nicht durchführbar, da sie stets an der Kosten¬
frage scheitern werden. Das artfremde Serum, das mit dem
Tetanusantitoxin einverleibt wird, kommt aus der Blutbahn
zweifellos sehr rasch wieder zur Abscheidung.
Handelt es sich darum, der zweiten Forderung gerecht
zu werden, und die Giftzufuhr im Nerven zu sper¬
re n, so ist dieser Weg experimentell von Mayer und R a n -
so m u. a. mit grösstem Erfolg beschritten und durch Küster
benn Menschen zum erstenmal als Methode empfohlen worden.
Ueber die theoretische Berechtigung dieser endoneu-
ralen Antitoxinbehandlung ist gar kein Zweifel möglich.
Ebenso so sicher ist es aber, dass sich für die Praxis un¬
überwindliche Schwierigkeiten entgegenstellen können. Man
denke an die Zertrümmerung einer Extremität, bei der sämt¬
liche Nervenstämme als Giftleiter in Betracht kommen und
bei der es unter diesen Voraussetzungen nur möglich wäre,
rationell vorzugehen, wenn man den Plexus mit seinen Wur¬
zeln in Angriff nehmen würde. Für menschliche Verhältnisse
bedeutet dies eine Komplikation von unter Umständen
schweren Folgen, und eine Forderung, die aus anatomischen
Gründen in den meisten Fällen kaum so zu erfüllen ist, wie man
es nach den Erfahrungen im Tierexperiment verlangen müsste.
Nun sind wir durch Permins ausgezeichnete Unter¬
suchungen in der Lage, durch die intralumbale An¬
wendung des Serums eine Sperrung des Gif¬
tes an den N e r v e n w u r z e 1 n des Rückenmarks
fu erzielen, welche der endoneuralen Wir¬
te u n g o f f e n b a r gleichkommt. Die Wirksamkeit der
Einspritzungen von Serum in den Rückenmarkskanal ist ge¬
wiss schon längere Zeit bekannt. Es fehlte jedoch- bisher eine
exakte experimentelle Begründung. Nach den genannten
Untersuchungen kann man die Duralinfusion zur Me¬
thode erheben und ihre Anwendung in gröss¬
tem Umfangenurwarm empfehlen. Die spärlichen
bisher vorliegenden Erfahrungen von verschiedensten Seiten
lauten zweifellos g ü n s t i g.
Was die Technik dieser Behandlungsart betrifft, so
wird man in den meisten Fällen zur Lumbalpunktion eine
leichte Narkose nicht umgehen können, um die Starre der
Kückenmarksmuskulatur zu lösen. Es empfiehlt sich sodann
nach Entleerung von etwa 15 ccm Liquor mindestens 100 A.E.
langsam in den Wirbelkanal einfliessen zu lassen. Sehr
wichtig ist es, nach der Injektion den Kranken
;s 0 z u lagern, dass der Kopf tief und die Beine
noch liegen, damit eine möglichst ausgiebige
Riffusion des Serums im Rückenmark statt-
tinden kann. Auch diese Injektionen können am Tage, je
nach der Schwere des Falles öfters wiederholt werden oder
bei den Einzeleinspritzungen grössere Dosen zur Verwendung
kommen. Eine unmittelbare Beeinflussung der Krämpfe
und der Muskelstarre kann man nicht beobachten. Man
^ann sie jedoch auch nicht erwarten, weil die Injek¬
tionen lediglich die Zufuhr weiteren Gift¬
stoffes abzuschneiden haben.
Die übrigen Applikationsformen des Serums treten diesen
■>eiden durchaus rationellen Verfahren gegenüber vollkommen
2047
in den Hintergrund. Nur die intramuskuläre Einver¬
leibung verdient noch eine gewisse Beachtung; es ist jedoch
fraglich, ob sie mehr leistet als die intravenöse. Nach dem
Ergebnis der Statistiken muss man direkt warnen vor intra¬
zerebralen Einspritzungen, welche zweifellos die Sterblich¬
keitsziffer erhöht haben.
Neben der Serumbehandlung spielt bei der
allgemeinen Iherapie des Tetanus eine
grosse Rolle die Bekämpfung der Krämpfe.
Darüber besteht kein Zweifel, dass die meisten Kranken an
Erschöpfung zugrunde gehen, wenn sie nicht an Glottis¬
krämpfen oder Krämpfen der Atemmuskulatur ersticken.
Dass das Serum keine Heilwirkung den
Krämpfen gegenüber besitzt, sondern nur zur
Paralysierung weiterer Gift mengen dienen
kann, ist ein Punkt, über den man sich tliera-
p e u t i sc h vollkommen klar sein muss. Was nun
zur Bekämpfung der Krämpfe herangezogen wird, bleibt voll¬
kommen der Vorliebe des Einzelnen überlassen. Man hat
hici von der Anwendung der Narkose bis zu den einfachen
Morphium injektionen den weitesten Spielraum. Wir
pflegen Morphium 2 — 3 stündlich zu verabreichen und für die
Nacht ausserdem 5 g Chloralhydrat rektal zu geben. Dass
der Kranke zu isolieren und von allen äusseren Reizen streng¬
stens fern zu halten ist, ist eine alte und auch heute noch voll¬
kommen berechtigte Forderung.
Wenn man sich im ganzen über die Leistung sfähig-
keit der Serumbehandlung des ausgebroche¬
nen Tetanus Rechenschaft ablegt, so sind die Resultate für
kurze Inkubationszeiten immer noch sehr schlecht. Man kann
daher darüber streiten, ob es überhaupt einen Zweck hat, bei
kurzfristigen Erkrankungen mit Heilserum vorzugehen. In
einer Statistik von Per min wird immerhin angegeben, dass
auch bei einer Inkubation bis zu 10 Tagen durch die Serum¬
behandlung die Sterblichkeitsziffer von 95 Proz. auf 73 Proz.
gedrückt worden ist. Dass bei einer Inkubation über 10 Tage
der Einfluss des Heilserums ein weit besserer ist, geht aus der
gleichen Statistik hervor, in welcher die Mortalität von
70 Proz. auf 40 Proz. gesunken ist.
Zum Schluss noch einige Worte über zwei besondere Heil¬
bestrebungen, welche in neuerer Zeit viel von sich reden
machen.
Die Magnesium Sulfatbehandlung, welche von
Meitzer und Auer aufgebracht und empfohlen wurde, hat
in einzelnen Fällen sicher eine günstige Wirkung gezeitigt.
Nach meinen persönlichen Erfahrungen kann ich sie nicht
sehr empfehlen. Wir haben ebenso wie andere Autoren zwar
eine gute und fast augenblickliche Beeinflussung der
Krämpfe, andererseits aber so1 schwere Atemstörun-
g e n gesehen, dass stundenlange künstliche Atmung not¬
wendig war. Zur Bekämpfung derselben ist ja die Tracheo¬
tomie und Sauerstoffinsufflation nach Kocher ein Ausweg
oder die Auswaschung des Lumbalsackes nach Arnd.
Die Methode ist noch so wenig spruchreif, dass sie
zur allgemeinen Anwendung sich nicht recht eignet. Zu
bemerken ist, dass man ja von ihr keine Heilwirkung auf die
Tetanusinfektion erwarten kann, sondern lediglich eine Unter¬
brechung der Krämpfe, die durch einfachere und weniger
radikale Mittel erzielt werden kann. Auch im Tierexperi-
m ent zeigte sich, dass die meisten Tiere entweder doch an
Starrkrampf oder an Magnesiumsulfatvergiftung sterben.
Die Karbolbehandlung nach Baccelli verdient
keine ernste Berücksichtigung. Das Phenol kommt als Heil¬
mittel ebenfalls nicht in Betracht. Seine Wirksamkeit als
Sedativum wird zweifellos von allen anderen narkotischen
und hypnotischen Mitteln übertroffen. Dass cs auch im Tier¬
experiment vollkommen wirkungslos ist, bedarf keiner Aus¬
führung. Die glänzenden Statistiken, namentlich italienischer
Beobachter, sind damit zu erklären, dass es sich meist um
Fälle mit verzögerter Inkubation handelt, und dass der Tetanus
in Italien an und für sich viel milder verläuft, da dort nach
Rose nur eine Mortalitätsziffer von 20 Proz. besteht. Diese
Zahl bezieht sich auf Beobachtungen, welche sogar aus einer
Zeit stammen, in der das Heilserum noch nicht angewendet
wurde.
2048
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 40.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Zürich
(Direktor Professor Dr. F. S a u e r b r u c h).
Die Behandlung schwerster Atmungskrämpfe beim
Tetanus durch doppelseitige Phrenikotomie.
Von Dr. W. J e h n, Assistenzarzt der Klinik.
Eine der häufigsten Todesursachen bei schweren Formen
des Tetanus ist die Erstickung. Die schwere Allgemeinintoxi¬
kation mit ihren Folgen tritt gegenüber der rein mechanischen
Wirkung der Krämpfe der Atemmuskulatur zurück. Das
Zwerchfell steht krampfhaft zusammengezogen in maximaler
Inspirationsstellung, die Interkostalmuskulatur und die vom
Halse an den Brustkorb herantretenden Hilfsmuskeln, die selbst
tetanisch kontrahiert sind, halten den knöchernen Thorax eben¬
falls in ausgesprochener Inspirationsstellung fixiert. Aktive
oder reflektorische Bewegungen des Zwerchfells und der
Rippen mit entsprechender Veränderung des Volumens der
Lunge sind somit ausgeschlossen. Der Gasaustausch wird
unmöglich und die Gefahr der Erstickung tritt ein.
Zur Bekämpfung solcher lebensbedrohenden Zustände
stehen uns eine Reihe von narkotischen Mitteln und vor allen
Dingen die künstliche Atmung zur Verfügung. Bei voll¬
ständiger Ausschaltung der Lunge aus ihrer Tätigkeit wirken
die Narkotika zu langsam oder zu unsicher. Eine Allgemein¬
narkose, die bei nicht vollständiger Fixation des Thorax und
noch vorhandenen kleinen Atemschwankungen den Krampf
noch lösen könnte, wird technisch unmöglich, wenn eine abso¬
lute Thoraxstarre eingetreten ist. Die künstliche Atmung,
welche bei den meisten anderen Formen des Atmungsstill¬
standes uns die grössten Dienste leistet und in selbst ver¬
zweifelten Fällen das Leben erhalten kann, versagt bei diesen
tetanischen Atmungskrämpfen vollständig.
Aus mechanischen Gründen ist die künstliche Lüftung der
Lunge bei ihnen unmöglich geworden. Die krampfhafte Kon¬
traktion der Atmungsmuskulatur bewirkt, dass der vorher frei
bewegliche Thorax starr und unnachgiebig wird. Seine Wan¬
dungen lassen keine Stellungsänderung mehr zu. Das Zwerch¬
fell begrenzt von unten wie eine starre unbewegliche Platte
den Brustkorb, die knöchernen Teile desselben umschliessen
die Lunge nach oben zu.
Da eine jede Volumsschwankung der Lunge eine Beweg¬
lichkeit des Thorax bzw. des Zwerchfells zur Voraussetzung
hat, muss bei dieser absoluten Starre der Thorax auch die ge¬
ringste künstliche Volumsveränderung der Lunge ausge¬
schlossen sein. Selbst unter Anwendung höchster Druckwerte
würde die Lunge nicht stärker gebläht werden können, da
weder Brustkorb noch Zwerchfell eine solche Erweiterung der
Lunge zulassen werden. Umgekehrt ist die Rückkehr aus der
Inspirationsstellung in die Exspirationsstellung ebenfalls in¬
folge der Unbeweglichkeit des Brustkorbes und des Zwerch¬
fells ausgeschlossen. So ist es leicht zu verstehen, dass die
künstliche Atmung bei diesen Zuständen absoluter Atem¬
lähmung keinen Nutzen haben kann. Die Kranken gehen an
Erstickung zugrunde.
Die Erkenntnis, dass der Erstickungstod selbst dann ein-
treten kann, wenn die Gesamtintoxikation keineswegs so
schwer ist, dass der Kranke an ihr zugrunde geht, ist für die
Behandlung schwerster Formen von Tetanus von grundlegen¬
der Bedeutung. Gelingt es, den Krampf zu lösen, so ist die
Möglichkeit, dem Kranken das Leben zu erhalten, gegeben.
Wie ich schon oben ausführte, versagen die gewöhnlichen
Hilfsmittel in solchen Fällen stets. Eine wirksame künstliche
Atmung kann erst dann eintreten, wenn es gelingt, die mecha¬
nischen Vorbedingungen für eine Lüftung der Lunge zu
schaffen, d. h. die Starre des Thorax und des Zwerchfells zu
lösen.
Im Tierexperiment würde diese Aufgabe leicht zu erfüllen
sein durch Mittel, die eine Lähmung der Muskulatur herbei¬
führen. Kurare ist beim Menschen jedoch nicht zu verwenden;
Magncsiumsulfat ist unsicher in seiner Dosierung und Wirkung.
Wenigstens haben wir an unserer Klinik bisher wohl nur vor¬
übergehenden aber keinen dauernden Nutzen von ihm gesehen.
Abgesehen davon, dass diese Mittel in ihrer pharmakologischen
Wirkung unberechenbar sind, dass sie schwere Zustände, ja
sogar den Tod herbeiführen können, ‘wird man ihren Wert
gegenüber einem schweren akuten Erstickungsanfall deshalb
nicht zu hoch anschlagen dürfen, weil ihre Wirkung erst
nach geraumer Zeit eintritt. Hier kommt es aber darauf an.
in kürzester Zeit eine Lösung des Krampfes zu erzielen, bzw.
die Bewegungen der Lunge unabhängig vom Brustkorb zu
machen.
Diese letztere Aufgabe könnte sehr leicht gelöst werden
durch das Anlegen eines einfachen oder doppelseitigen
Pneumothorax. Die Lunge würde sich zusammenziehen und in
extremster Exspirationsstellung verharren. Durch Anwendung
der Ueberdruckatmung würde sie künstlich gebläht werden
und so durch rhytmische In- und Exspiration der Gaswechsel
der Lunge während des Krampfes der Atemmuskulatur auf¬
recht erhalten werden können.
Die Nachteile dieses Verfahrens liegen auf der Hand.
Nach Herstellung eines doppelseitigen Pneumothorax würde
die spontane Atmung nachher ungenügend werden. Es müsste
die künstliche Atmung daher auch noch nach Lösung der
Krämpfe fortgesetzt werden. Die Nachteile einer solchen
unphysiologischen Atmung sind ausführlich von Sauer-
b r u c h beschrieben worden.
Auf andere Weise jedoch lässt sich unter Beibehaltung
des normalen Blähungszustandes der Lunge ein ähnlicher
Effekt erzielen. Sobald es gelingt, die untere starre Be¬
grenzung des Thorax durch das Zwerchfell zu beseitigen,
muss durch Anwendung der Ueberdruckatmung die Lunge
gebläht werden können. Durch einen relativ einfachen
Eingriff, die Phrenikotomie, gelingt es, diesen Atemmuskel
vollständig zu lähmen. Sofort nach der Durchschneidung
des Nerven tritt der vorher starre Muskel aus der In¬
spirations- in die Exspirationsstellung und wird in eine
schlaffe Membran umgewandelt. Vom intrapulmonalen
bzw. intrabronchialen Drucke hängt stets seine Stellung ab.
Nimmt der Druck in der Lunge zu, so weicht der Muskel
nach unten aus, um wieder in die Höhe zu steigen, sobald der
Druck im Innern der Lunge fällt (Stürtz, Sauerbruch,
Walther, Schepelmann und Friedrich).
Aus diesen Erwägungen heraus entstand mein Vorschlag,
durch doppelseitige Phrenikotomie bei einem Tetanus mit
schwersten Atmungskrämpfen das Zwerchfell erschlaffen und
so durch Ueberdruckatmung während der Erstickungsanfälle
die künstliche Atmung durchzuführen. Alle theoretischen Be¬
denken gegen ein derartiges Vorgehen mussten im Hinblick auf
den schweren Zustand der Kranken zurücktreten, um so mehr
als experimentelle Untersuchungen Sauerbruchs gezeigt
hatten, dass die beiderseitige Durchschneidung des Phrenikus
vom Tier ohne Störungen vertragen wurde.
Am 12. IV. 14 mittags 3 Uhr wird der 8 Jahre alte Knabe W. B.
auf die chirurgische Klinik mit der Diagnose Diphtherie gebracht. Er
soll am 9 IV. 14 erkrankt sein mit Fieber, Halsschmerzen und Er-
stickungsanfällen, die den einweisenden Arzt die Diagnose „diph¬
therische Larynxstenose“ stellen lassen. Der aufnehmende Arzt der
Klinik erkennt jedoch sofort, dass es sich nicht um eine Diphtherie,
sondern um einen äusserst schweren, mit schwersten Zwerchfell¬
krämpfen einhergehenden Tetanus handelt. Kiefersperre, Risus
sardonicus, Opisthotonus, Streckkrämpfe, sowie Steifigkeit der ganzen
Bauch- und Körpermuskulatur verbunden mit Dyspnoe und Zyanose
unter maximalster Inspirationsstellung des Thorax lassen unschwer
die Diagnose Tetanus stellen. (Sofortige Ordination 10 A. E., Tetanus-
antitoxin subkutan, 2 g Chloralhydrat.)
Die kurze Untersuchung des Knaben ergibt, dass er am rechten
Oberschenkel oberhalb der Patella eine trockene, mit Borken belegte
Wunde hat, über deren Alter sein Vater und er nichts angeben können.
Ueber beiden Unterlappen der Lunge etwas bronchitisches Rasseln.
Noch während der Untersuchung stellen sich kurz hintereinander
zwei äusserst schwere Anfälle ein: der Knabe bekommt
plötzlich einen Streckkrampf, der Thorax ist in
maximalster Inspirationsstellung fixiert, die
Halsmuskulatur und das Abdomen sind bretthart
Das Gesicht wird von Sekunde zu Sekunde zyano¬
tischer. bis es tiefblaue Farbe erhält. Die Atmung
ist vollkommen sistiert, der Puls klein und
unregelmässig. Dieser Zustand erhält lebens¬
bedrohenden Charakter, um so mehr, als auf der
Höhe der Anfälle Bewusstlosigkeit eintritt. Sie
dauern je 3 — 4 Minuten. Der Knabe erholt sich je¬
doch wieder, verliert seine Dyspnoe, atmet ober¬
flächlich und beschleunigt, ist im ganzen sehr
matt. Er klagt über Angstgefühl und Schmerzen im
i Oberbauch und in der Brust.
Oktober 1914.
Fekiarztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift
2049
Da setzt ein dritter, noch heftigerer Anfall ein. von dem v:h
er Krane nur langsam erholt. Es wird daher sofort die Operation
sgerür_
Operation i Prof. Sanerb roch): Jodalkohoidestnfektion, ruhige
arertropfnarkose.
1 Stta*K am Hmterrar.de des rechten '•temoklefdomastoidec'.
• * ehe der Possa supraclavicula.* ;. wird durchtrennt. In der
;*e -.et: man normal Terlaofend dt" Nerves phrenicus. Er wird
f em Schieniäkv.heti genommen und durchtrennt. Subkutannaht.
.yntaftt-
— Schnitt am hinteren Rande des . oker htemofcleidoniastoideu'
"cs tmd technisches Vorgehen wie rechts.
Sofort nach der Operation ändert -..* bei gutem Pols der Atem-
. pss. Die abdominale Atmung ist mir ar.xedetrtet and zwar wird
ei der Inspiration die Banchmosk.Iatnr ei-gezogen. bei der Ex-
taton r getrieben ; dagegen ist die Atmung ausgesprochen thora-
«« geschieht enter maximale-" Heber des oberer. Thorax -
Schnittes ad starker Kontraktion der Halsmuskulatnr. 40 Atem-
‘•h® .Hinote.. Sitzwache. Tiege'sc.ter Leberdruckapparat in
Der Knabe stert nach der Operation bis gegen Abend unter
■ sc*w Trier g der Narkose. Er hat keine Krämpfe mehr. Hegt bei
’im Ptus mr:g zu Bett. Atmung um 30 Züge pro Minute, von aus-
. Tt- tcheaert thorakalem Charakter.
-t -- - Nacht . g Chloral. rm Verlauf der Nacht 3 kurzdauernde
ramsche Anfälle ohne Zyanose und Dyspnoe.
13. IV. 14. Par schläft ruhig. Temperatur 37.6. Puls IW. voll.
Leber beiden Unterbppca brr.- . - - - .
- Musch e. Trachealrasseln. Par hustet aut Aufforderung hin. wenn
..uh etwas erschwerr aus. Im Verlauf des Morgens zwei leichte
mm Arm : : * j T; .* •.
Mittags 3 Uhr: Par hegt mit leichtem Opisthotonus und an-
.z.tgecen Beinen zn Bern Baucfadecken bretthart gespannr Risus
rPtuBCus. Trotz K :etersperre Schhjcken trog er. Atmung thorakal.
8 Hg pro Kate. Aas irw Zen": heraus plötzlich Anftrete
ino hyast sefargn Irtmahi Anfalles, der dadurch noch h
"teri recrohJch wird. dass Par tief zyanotisch ist und nicht atmer
" :rax □ lusoiraronsste. run g hx: er" Puls klein, irregulär. Sofort
tränen Sauerst otr unter 3 um V. asserüh erdrück gegeben*
- tue Maske des Apparates rhythmisch auf- und abgesetzr Schon
- — “en An setzen der Maske ändert sich die Gesichtsfarbe bei
nahendem schwerstem Allgem entkrampf. Pat. atmet noch nicht
mtan. Künstliche Atmung wird fortgesetzt und etwa nach dem
Aur setzen cer Maske hat das Gesicht wieder normale Farbe. Jetzt
-t s:cu der Akgememkramr" und der Knabe fängt wieder an zu
” -t c:e Nacht erhält Pat. 1 g CcloraL Er bat w ährend
-ser r tetamsche Anfähe ehre Dyspnoe.
F«. 14: Ah gemetrneünden leidlich rat. Puls leicht irregulär.
er uue Inhaheren.
Der weitere '»erlauf der tetanische- .Anfähe gestaltet sich ty-
iscb. Wätad der ri *■- ginnen 12
— Diese stell ec zwei Typen dar. 9 davor sind äusserst heftige.
1 I — •? Murrten dauernde tetaaische Krampfanfalle des ganzen
*>05 ohne Zyanose und Dyspnoe. Zwo jedoch bekommen durch
'ttpotind Zyanose eä IrbrmhrrtinbTi Aussehen Der Knu"
-i’-tn: benommen, atmet nicht. Sein Thorax steht in Inspirations-
i i- c: un :se unu _ : e • . . • - ; ~ v-p Seku-de u :
hunde. Das Bild ändert sich ; edoch fast mit einem Schlage, so-
u dem Knaben Sauerstoff unter Ueberdruek von 3 cm Wasser in
~ U;* - rsdicfeea Atmung gegeben wird. Die Zyanose schwindet
st jMBMentan. Der Puls bessert sieb und das Sensorium wird
näbhen wieder freL
Am eindrnckvollsten wird jedoch das Bild am
~-zlf des 14. ApriL als der Stationsarzt auf die
bteilang gerufen wird. Wieder hat der Knabe
**sserst schweren Anfall mit hochgradig-
e: Zyanose und Benommenheit. Kaum fühlbarer
*• - toraxinmaximalsterlnspirattonsstellung.
"rüge falscher Yeutilstellung am L'eberdrack-
:irat vir dem Pflegepersonal unmöglich g e -
es*k sofort die künstliche Atmung durchzu- |
' t Der Stationsarzt erhält den Eindruck, als
Jer Exitus ucnaittelbar be Vorstände.
Sofort nach Aenderung der falsch gestellten
jntile Sauerstoff unter 3 cm Wasserüberdrnck
*• wlnstlicbe Atmung. Schon beim vierten Ab-
;ten der Maske lässt die Zyanose nach, der Puls
e ***rt sich. Die kinstliche Atmnng wird
-setzt. Der Krampt löst sich. Patient atmet
ic_er >hOBtan und erholt sich allmihlic*
15. IV. 14. Nacht nach c'" ra: ruhig. Nur einige - . e Anfl e
\ ^ Dyspnoe. Temperatur ste:gt — Ve-'auf des Tages
* 2k 38L Puts jedoch gut und v hi. >4 ReicMic
et* ganzen Lauge. Nach Inhalieren hustet Patient eitrige Ballen
‘UQmi aus.
DT. 14. Temperatur zur Norm gesu-ke- Puls >0. voll.
imissjg. Atmu-g 30.
^ D*. 14 Leber den »eiteren Verlauf de* Krark’.e.t : s zum
Tage ist zn sagen, dass Pat im Ve*
[ .urchschnitthch etwa 15 Anfälle bekommt. Der grösste Teil davon
I dauert nur kurze Zeit. Er verläuft typisch, jedoch ohne Dyspnoe
u-p Zyanose. Zwei, ja auch drei davon stellen äusserst schwere Er-
sticknngsanfälle dar. Der Knabe wird unter allgemeinen Körper-
krampfen blau, er atmet nicht, der Puls ist irregulär und klein. Die
Konturen der fest kontrahierten Halsmuskeln treten scharf hervor.
L Anfälle machen jedesmal einen äusserst bedrohlichen Eindruck.
Lm so eindrucksvoller ist die Aenderung dieses Zustandes, sobald
Patent mit Tiegelapparat in Form der künstlichen Atmung Sauerstoff
| emäjt. Schon nach wenigen Augenblicken lässt die Zyanose nach.
der Puls wird voller und regelmässiger. Das Bewusstsein kehrt, so
I or* es gesunken war. zurück und Pat. fängt, sobald der Allgemein-
krampf vorüber ist w ieder ruhig an zu atmen. Auf Befragen erklärt
er. dass er sehr starke Atemnot gehabt habe, ja er verlangt sogar
cmige Male die ...Maske'*, sobald er merkt, dass ein neuer schwerer
Anfall einsetzt. Schmerzen in der Brust hat er jedoch nicht mehr.
vV ährend der folgenden Beobachtungstage erhält Pat. zweimal
täglich I g Chloral. nach dessen Aufnahme er ruhig schlummert.
Leber Zahl und Charakter der Anfälle dieser und der folgenden
Tage mag die nachfolgende Tabelle Auskunft geben.
Operationen Datum
Anfälle
ohne
Zyanose and
Dyspnoe
Schwerste
i Erstickung s-
anfälle
Ordination
It'inp.
u
<
Phrenikotomie 12.
IV. 14
0
3
10 I.-E. Antitoxin,
37,3
99
32
2 g Chloral
! 13.
IV. lt
5
1
do.
37,6
100
40
. W.
IV. 14
9
3
do.
37,8
104
34
' 15.
IV. 14
8
3
do.
33,9
34
38
, 16.
IV. 14
7
2
do.
37,1
80
30
1 17.
IV. 14
9
2
do.
36,4
83
36
IS.
IV 14
7
3
do.
36,9
70
24
19.
IV. 14
14
3
do.
36,1
70
30
20
IV. 14
12
5
do.
36,5
80
20
21.
rv. u
3
3
do.
3-5,6
60
20
22.
IV. 14
9
2
do.
3\5
70 1
22
Gastrostomie 23.
IV 14
68
0
2 mal 15 Tr. Mo.
38,1
120
40
2t
IV. 14
30
1
do.
37,3
98
20
25.
rv. u
50
0
do.
36,6
100
22
26.
IV. 14
50
0
2 g Chloral
36,2
34
20
27.
IV 14
13
0
do
36,3
76
22
2S.
rv. u
12
0
do.
36,7
SO
20
29.
IV. 14
3
0
do.
35,3
64
19
30.
IV. 14
I
0
do.
36,4
70
20
1.
V 14
1
0
do.
36,6
32
18
2
V. 14
2
I
do.
36,4
76
20
3.
V. M
1
1
do.
36,9
SO
18
4.
V. 14
1
1
do.
36,5
74
20
5.
V. 14
2
1
do.
36,7
SÖ
22
6.
V. 14
1
0
Chloral ibgesetzt
36,5
74
20
7.
V. 14
0
0
•
36,7
82
18
2'-1- TV. 14. \on heute an scheinen die Anfälle sowohl der Zahl
als auch der Intensität nach nachzulassen. Nur kurzdauernde all¬
gemeine tetanische Anfälle, daneben zwei Anfälle, in denen Pat. zwar
auch zyanotisch ist, jedoch bei weitem nicht so sehr, wie in den
vorhergehenden Tagen. Trotzdem wird mit künstlicher Atmung fort¬
gefahren.
Puls und Temperatur normal. Atmung an Zahl normal. Charakter
rein thorakal unter paradoxer Bewegung des Abdomens.
22. 1\ . 14 Abends ziemlich plötzlich Verschlechterung insofern,
als Pat.. der bis dahin sehr gut geschluckt hat, nicht mehr schlucken
kann In der Nacht sehr heftige Allgemeinkrämpfe ohne Erstickungs¬
anfälle. Zwecks künstlicher Ernährung und Vermeidung der
Aspiration am
23. D. 14 Gastrostomie (Prof. Sauerbruch). In protra¬
hiertem Aerherrausch Eröffnen des Bauches. Sofort Vorpressen von
Darm, de* Magen lässt sich kaum vorziehen, da er infolge Zwerchfell-
Pocnstandes stark in die Höhe gerückt ist. Typische Gastrostomie
nach Witzei und Darreichen von flüssiger Nahrung mit Chloral
II g).
per ganzen Tag nach der Operation äusserst schwere tetanische
Anfälle, ohne Dyspnoe. Gezählt werden 68. Temperatur steigt
a ■ ... Pa s 1 2v. Atmung 40. Auf 15 Tropfen Morphium bekommt
Pat. Ruhe.
24. I\ 14. Die schw eren Allgemeinkrämpfe halten an. nur ein
E:s:.c sungsantaT. der durch Sauerstofrüberdruckatmung kupiert wird.
29. IV. 14. Allgemeinkrämofe gehen an Quantität und Qualität
zurück. Pat. steht immer noch unter Chloral.
IV. 14. Von heute an nur noch täglich 1 — 2 Anfälle. Tonus
der cesamten Muskulatur besteht noch. Risus und Trismus des¬
gleichen. Dann klingen die Anfälle allmählich ab. Vom
7. V. 14 kein Anfall mehr. .Muskeltonus noch erhöht, Kiefer-
sperre lässt nach.
15. \. 14. Bis heute Wohlbefinden. Keine Aniälle mehr.
Gastrostomieschiaach entfernt, da der Knabe seit 2 Tagen wieder
schlucken kann. Massage der Beine.
20. V 14. Wohlbefinden hält an. Pat. erholt sich schnell. Er
steht heute zum ersten Male unter ärztlicher Kontrolle auf.
Pat. ist leicht blass und etw as schwindlig. Atmung vollkommen
ruh: c. vorwiegend thorakal. Keine Dyspnoe. 24 Züge pro Minute,
o'cls .e cht beschleunigt 100 — l 4. gleich und regelmässig. Noch
\cine Gehe ersuche
2 3. V 14. Heute die ersten Gehversuche. Pat. atmet ruhig,
reagiert jedoch auf die Anstrengung mit Pulse t bis 12t). Auf Bett¬
ruhe gehen sie bald wieder zurück.
2050
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 40.
30. V. 14. Pat. hat sich ausgezeichnet erholt. Risus noch ange¬
deutet. Alle sonstigen Spasmen verschwunden. Pulse nach Be¬
wegung um 100. Atmung gleich und regelmässig.
Die Untersuchung der Thoraxorgane ergibt: Thorax etwas breit,
epigastrischer Winkel etwas dumpfer wie normal, obere Thorax¬
partien sehr stark vorgewölbt. Atmung ruhig, vorwiegend thorakal,
unter entsprechendem Einziehen des Abdomens.
Die Perkussion ergibt: R. v. u. Lungen-Lebergrenze am oberen
Rand der 6. Rippe kaum verschieblich. Ueber beiden Lungen ist der
Perkussionsschall über dem Unterlappen vielleicht etwas gedämpft,
tympamtisch. Nir¬
gends Rasseln.
Atemgeräusch 1. h.
u. leicht hauchend.
Stimmfremitus nor¬
mal.
Relative Herz¬
grenzen links 3,7 cm
innerhalb derMam-
millarlinie; rechts
2,5 cm ausserhalb
des Sternalrandes.
Nach oben 3. Rippe.
Absolute entspre¬
chend verschoben
(s. Fig. 1.).
Töne des Her¬
zensrein. Puls voll,
regelmässig, gleich-
mässig um 100.
Lebergrenze
fällt mit dem Rip¬
penbogen zusam¬
men.
Der Magen ist
mächtig nach oben
zu erweitert. Seine
Perkussion ergibt
tympanitischen
Schall, der sich in
einer mit ihrer ober¬
sten Kuppe durch
die linke Mammilla
gehenden Linie
ziemlich scharf vom
Lungengewebe ab¬
grenzen lässt. Nach
der Medianlinie zu
reicht dieTympanie
Fig. 1. Patient am Tage seiner Entlassung.
Die Konturen des epigastischen Winkels, die Lebergrenze,
sowie die relative und absolute Herzgrenze aufgezeichnet.
Die Orenzen des Magens, soweit sie nachzuweisen, sind
gleichfalls aufgezeichnet. Man erkennt die Phrenikotomie-
und Gastrotomienarben.
bis zur Herzgrenze. Nach der lateralen Seite hin wird sie abge-
grenzt durch die Milzdämpfung.
Spirometerversuche, die wiederholt angestellt werden, ergeben,
dass der Knabe nur 200 ccm Luft in den Apparat einblasen kann.
Husten kann er sehr gut. Die Bauchpresse ist normal.
Die Röntgenuntersuchung des Pat. lässt erkennen, dass die
Interkostalräume im ganzen etwas weit sind. Das linke Zwerchfell
steht in Höhe der 6. Rippe, ist nach oben konvex gebogen und wird
in dieser Stellung gehalten durch die grosse Magenblase. Das rechte
Zwerchfell steht in Höhe der 7. Rippe. Das Herz ist sehr stark nach
Fig. 2. Röntgenbild des Patienten nach der doppelseitigen Phrenikotomie (s. Text).
rechts verlagert (Fig. 2). Die Durchleuchtung des Knaben lässt er¬
kennen, dass das rechte wie das linke Zwerchfell, das linke aus¬
gesprochener, Atemrekursionen ausführt, und zwar steigen beide
Zwerchfellhälften bei der Inspiration hinab, bei der Exspiration gehen
sie in die Höhe. Die Bewegungen sind zum Teile scheinbare, dadurch
vorgetäuscht, dass sich die Rippen bei der Atmung sehr stark heben
und somit an dem Zwerchfell vorbeistreichen, zum Teile jedoch sind
sie tatsächlich bestehend. Offenbar wird durch die Blähung der Lunge
in der Inspiration das Zwerchfell beiderseits nach der Bauchhöhle zu
mechanisch hinabgedrängt. Die Auffassung gewinnt dadurch an
grosser Wahrscheinlichkeit, dass es vor dem Röntgenschirm gelingt,
nachzuweisen, dass, wenn der Knabe die Atmung anhält und man ihm
Sauerstoff unter Ueberdruck gibt, das Zwerchfell auf beiden Seiten
sich nach unten hin bewegt.
4. IV. 14. Puls ist heute vollkommen zur Norm zurückgekehrt.
Subjektives Wohlbefinden. Die Atmung stets gleich und regelmässig.
Keine Dyspnoe, auch nicht nach schwerster Anstrengung. Pat. wird
heute geheilt entlassen.
Die vorliegende Beobachtung hat gezeigt, dass bei
schweren tetanischen Atmungskrämpfen die doppelseitige
Phrenikotomie von grossem Nutzen sein kann. Die künstliche
Atmung, die in solchen Fällen an der Starre des Brustkorbes
und an dem Spasmus des Zwerchfelles scheitert, wurde nach
der Lähmung des Muskels technisch möglich. 35 schwerste
Erstickungsanfälle konnten auf diese Weise bei unserem
Kranken überwunden werden. Diese Erfahrung berechtigt für
Fälle schwerster tetanischer Atmungskrämpfe die doppelseitige
Phrenikotomie mit nachfolgender künstlicher Atmung vorzu¬
schlagen.
Dass nur schwerste Formen für diese Behandlung in Frage
kommen, liegt auf der Hand. Hier aber wird durch die Läh¬
mung des Zwerchfells erst die Voraussetzung für eine erfolg¬
reiche künstliche Atmung geschaffen. Schliesst die Schwere
der Allgemeininfektion eine Heilung des Tetanus nicht aus, so
kann diese nach Ueberwindung der Erstickungsgefahren unter
zweckmässiger Allgemeinbehandlung erreicht werden.
Neben der praktischen Seite dieser Beobachtung steht ihr'
allgemein-pathologische Bedeutung. Zunächst ist die Fest¬
stellung wichtig, dass die doppelseitige Phrenikotomie keine
Gefahren in sich birgt. Es ist vielmehr auffallend, wie
gering die Ausfallserscheinungen sind, trotz nennenswerter
mechanischer Verschiebungen im Thoraxraume. Der Hoch¬
stand des Zwerchfells, der namentlich auf der linken Seite ein-
tritt, hat nur vorübergehend eine geringe Aenderung in dem
Ablauf der Herztätigkeit hervorgerufen. Besonders deutlich
' wurde an unserem Patienten gezeigt, dass die Auffassung, dass
das Zwerchfell für die Expektoration besonders wichtig sei,
unrichtig ist. Die Expektoration wird eher durch die Läh¬
mung des Zwerchfells erleichtert, wie auch aus Beobachtungen
an Kranken unserer Klinik hervorgeht, an denen aus anderer
Indikation heraus die einseitige Phrenikotomie ausgeführt
wurde.
Die Tatsache, dass der Patient nur 200 ccm Luft in das
Spirometer einblasen konnte, ist nicht die Folge einer un¬
genügenden Exspiration, sondern sie erklärt sich daraus, dass
er infolge der Lähmung seiner Inspirationsmuskeln nur eine
geringe Luftmenge bei jeder Inspirationsphase einatmete. Es
zeigt somit diese Beobachtung, in Uebereinstimmung mit anderen
klinischen Beobachtungen, dass der Gasaustausch in den
Lungen erheblich verkleinert werden kann, ohne dass hieraus
Störungen für den üesamtorganismus resultieren. Der Or¬
ganismus besitzt eben die Fähigkeit, sich in weitgehendem
Masse diesen neuen Veränderungen anzupassen.
Bolus alba bei Diarrhoe, Ruhr und asiatischer Cholera.
Von Professor Dr. Julius Stumpf, Kgl. Landgerichtsarzt,
Kgl. Medizinalrat in Würzburg.
Nur wer mit dieser vorzüglichen Therapie noch keine
richtigen Versuche an sich selbst und an Kranken an¬
gestellt hat, kann dieselbe bei den genannten Erkrankungen,
bei denen sich bis jetzt alle anderen Mittel als unzulänglich er¬
wiesen haben, noch weiter unbenützt lassen. Sind ja doch die
Erfolge der Bolusbehandlung nach tausendfacher Erfahrung
die denkbar günstigsten.
Wie könnte es auch anders sein, nachdem bei unserem
Verfahren in der grossen Hauptsache eine mechanische
Behinderung der Bakterienflut auf der Schleim¬
haut des Verdauungsrohres in Betracht kommt, und nachdem
bekanntlich ein mechanisches Verfahren nur dann
versagen kann, wenn es in ungenügender Weise zur An¬
wendung gelangt, oder wenn es sich gelegentlich als unmög¬
lich erweist, das Verfahren in genügender Weise anzuwenden.
Gewisse Schwierigkeiten kann z. B. die genügende Ueber-
deckung der Darmschleimhaut mit Bolusaufschwemmung
bieten bei der asiatischen Cholera wegen des oft ausser¬
ordentlich starken Erbrechens, weshalb wir uns bei dieser Er-
. Oktober 1914.
Fcldarztliche Beilage zur Münch. nied. Wochensclirift.
2051
rankling unter Aufbietung aller Energie den Kranken gegeil¬
ter bemühen müssen, trotz noch so häufigen Erbrechens
nmer wieder, in der Stunde etwa 1 0 mal. kleinere Quantitäten
er Bolusaufschwemmung, und sei es auch nur esslöffelweise,
Jilucken zu lassen. Es will mir scheinen, als müsse es sich
ei manchem und vielleicht bei der Mehrzahl der Fälle der
siatischen Cholera um einen wenigstens zeitweise bestehen-
cn Pyloruskrampf handeln; ist dieser überwunden, d. h.
i einmal genügend Bolusaufschwemmung durch den Pförtner
' Jas Darmrohr hindurchgepresst, dann ist, wie ich auf Grund
icinei Erfahrungen bei etwa 70 Cholerakranken sagen muss,
er letztere sicher gerettet.
Auch bei Speisevergiftungen und gewöhn-
cli e n C h o 1 e r a-n ostras-Fällen kann manchmal sehr
eftiges Erbrechen bestehen; dann muss gleichfalls wie bei
er asiatischen Cholera selbst verfahren werden, d. h. wir
irfen uns um die einzelnen, noch so häufigen Brechakte gar
cht kümmern und immer weiter Bolus verabreichen bis zum
achlass der Erscheinungen.
Da die bakteriengrossen Kaolin- oder Boluskörperchen
is Daimepithel nicht im allergeringsten schädigen und reizen
innen, so ist bezüglich der B o 1 u s m e n g e, die innerhalb
ner gewissen Zeit, sagen wir innerhalb 24 Stunden, in den
arm eingeführt werden darf, eigentlich gar keine
eschränkung gegeben, mit anderen Worten, man
a r f u u d muss soviel des Ionpulvers anwen-
en, als zur Bekämpfung des im Verdauungs¬
akt aufgetretenen akuten Bakterienpro-
csses eben notwendig ist. Es gibt also nicht leicht
n „Zuviel“ bei unserem Mittel, wie ich schon immer betont
ibe. Ich verfüge über eine Beobachtung der letzten Zeit,
■i der ein von den Truppen weg ins Lazarett eingelieferter
usketier innerhalb 24 Stunden bei stark fieberhaftem ruhr-
mlichen Durchfall 600 g Bolus genommen hat, mit bestem
Verfolge. Die letzten 200 g waren missverständlich
»ch verabreicht worden. Auch bei diesen 600 g war gar
me Belästigung des Patienten zu beobachten1).
Und nun noch einige nähere Ausführungen bezüglich der
irabreichung des Mittels selbst.
Das Boluspulver *) kann trocken oder mit Wasser vermischt
i.cc. schwemmt) gegeben werden; bei der trockenen Anwendung
mmt man mit kleineren Mengen aus. sie hat aber, weil immer
r ganz kleine Portionen, kaum % Theelöffel voll, im Munde ver¬
leitet werden können, mehr Schwierigkeiten und kann bei Pa-
ntcu vor allem nicht so gut überwacht werden wie die feuchte
Wendung. Die trockene Einführung des Pulvers ist vor allem auch
i Kindern und Säuglingen wegen der möglichen Einatmung von
uspulver undurchführbar. Ueber die trockene Anwendung, über
? r- s s e n des nicht angefeuchteten Boluspulvers werde ich mich
der einmal verbreiten. Für unsere Zwecke empfiehlt
C" weit mehr die feuchte Anwendung, die An-
e n d u n g der Bolusaufschwemmung, weil hier sozu-
?en mit einem Schlage die notwendige Bolusmenge in den
rper eingeführt werden kann.
Zu letzterem Zwecke bereitet man sich die Bolusaufschwemmung
ts im Verhältnis von etwa 1:2. Man gibt also z. B. 200 g Bolus
1 35 m K frisches Wasser. Es darf auch eine ganz leichte
ttne ) Theeabkochung verwendet werden, wenn letztere vor-
') In den weitaus meisten Fällen vollzieht sich der Abgang der
msmassen in oft überraschend kurzer Zeit, besonders wenn der
rm leer war; manchmal aber schieben sich die Bolusmassen in der
-pulle des Mastdarms zusammen, besonders dann, wenn dem
len Stuhlbedürfnis nicht sofort entsprochen werden Kann, z. B.
weitem etc., so dass sich dann „Verstopfung“ einstellt. Diese
>chemung hat nun aber absolut nicht das geringste Bedenkliche;
n warte, wenn der erste Versuch zum Stuhl etwas unbequem
, ’ nocb einige Zeit ruhig zu; es hat gar nichts auf sicn, wenn die
usmasse viele Stunden lang im Darm liegen bleibt. Abführmittel
>e ich in vielen, vielen Fällen meiner Behandlung als langjähriger
langnisärzt noch nie anwenden müssen. Opiate freilich sollen
ichzeitig mit Bolus nicht gegeben werden, weil sie ganz unnötig
u und die Stuhlverhaltung begünstigen können.
*) Man sehe sich vor, dass völlig reine Bolus zur Verwendung
’itnt, wie sie die deutsche Pharmakopoe vorschreibt. Wenn auch
ug sterile Bolus für den innerlichen Gebrauch nicht not-
udig ist, so hat doch die Firma E. Merck in Darmstadt durch
Stellung eines solchen Präparates, das in letzterer Zeit erheblich
billigt wurde, die Verbreitung unserer Therapie in sehr aan<-:ens-
Ber Weise gefördert.
3) Es ist mir schon gesagt worden, in gut warmem Wasser
wecke Bolus besser als in kaltem.
banden ist. Es müssen genügend weite und grosse Gefässc benützt
werden, damit ein recht ausgiebiges Umriihren möglich ist; es ist
zweckmässig, das auf geschüttete Pulver vor dem Umriihren völlig
untersinken zu lassen, dann erhält man nach dem ausgiebigen Urn-
rlihren (mit Löffel oder Holzstab) eine ganz gleiehmässige dick-
rahmige Flüssigkeit. Diese Flüssigkeit — richtiger Bolusaufschwem¬
mung, Suspension - sedimentiert natürlich sehr stark wegen des
erheblich höheren spezifischen Gewichtes der Boluskörperchen und
muss deshalb unmittelbar vor dem Trinken, wenn letzteres in Pausen
geschieht, immer frisch aufgerührt werden.
Für die drei Bakterienprozesse des Darmes, die ich hier
m diesen Ausführungen zunächst berücksichtige, wird im ein¬
zelnen folgendes zu bemerken sein:
Beim gewöhnlichen diarrhoischen Darmkatarrh, ob
fieberhaft oder nicht, lässt man beim Erwachsenen 200 g
Bolus in 400 g Wasser, womöglich auf einmal trinken. In
weitaus den meisten Fällen sind mit der einmaligen 200 g-Gabe
alle Erscheinungen behoben undi es kann schon nach 2 bis
3 Stunden, natürlich mit einiger Vorsicht, wieder gewöhnliche
Nahrung gegeben werden. In meiner ersten Veröffentlichung
(1906) über Bolusbehandlung bei Brechdurchfall und asiati¬
scher Cholera habe ich gefordert, dass nach Einführung des
Mittels 18 Stunden nichts genossen werden soll. Von dieser
Forderung bin ich längst zurückgekommen. Lässt man aber
die Patienten allzubald nach der Bolusaufnahme wieder
essen, so kann der Krankheitsprozess nocheinmal auf¬
lodern und es kann dann der Unerfahrene geneigt sein, von
einer Unwirksamkeit des Mittels zu sprechen, so unzutreffend
eine solche Auffassung auch wäre, und man muss eben dann,
wenn sich wieder Krankheitserscheinungen geltend machen,
abermals 200 g oder alle 3 Stunden 100 g bis zum völligen
Nachlass verabreichen.
Als ein sehr wichtiger Umstand bei der Bolusbehandlung
erscheint folgender: Gerade bei schweren Darmkatarrhen
und besonders auch bei Cholera kann man die häufige Be¬
obachtung machen, dass fast unmittelbar oder wenigstens als¬
bald nach der ersten Einführung des Mittels in der mehr¬
erwähnten grossen Menge wiederholt neuerliche diarrhoische
Stuhlentleerung erfolgt, eine Erscheinung, die der Unerfahrene
und Aengstliche leicht als eine Verschlimmerung seines Zu¬
standes auffassen kann, während sie im Gegenteil als
günstig und als erstes durch die Boluseinfuhr ver-
anlasstes Heilsymptom zu erachten ist. Es beruht diese Er¬
scheinung darauf, dass schwere infektiöse Darmkatarrhe und
besonders auch asiatische Cholera nicht selten mit einem
lähmungsartigen Zustande der Darmmuskulatur einhergehen
- Sistieren der Diarrhöen bei Fortbestand des Erbrechens und
anderer schwerer Symptome ist bekanntlich bei Cholera und
ähnlichen Zuständen schon immer als ein ominöses Zeichen
angesehen worden — und sobald nun die Boluswirkung ein¬
setzt, ergibt sich zunächst auch eine Wiederkehr der Darm¬
peristaltik und es werden nun die angesammelten Schleim-
mengep der unteren Darmabschnitte zunächst unter wieder¬
holtem Stuhldrang, vielleicht auch unter leichten kolikartigen
Beschwerden zutage gefördert; alsbald tritt dann nach ge¬
nügender Boluszufuhr weisser Bolusstu-hl auf und es stellt
sich dann ganz überraschend schnell völliges Wohlbefinden ein.
Bei der Bazillenruhr, bei der die Erscheinungen
mehr allmählich auftreten und auch der Verlauf ein mehr pro¬
trahierter ist, ist es notwendig, auch die Bolusverabreichung
etwas länger auszudehnen als beim Brechdurchfall; aber
auch hier bei der Ruhr muss ich dringend emp¬
fehlen, zu Beginn der Behandlung 200 g und
dann etwa alle 3—4 Stunden 50 g nehmen zu
I a s s e n, neben entsprechender Diät, bis zum völligen
Nachlass der Erscheinungen. Dieser völlige Nach¬
lass wird nicht lang auf sich warten lassen; noch in den jüng¬
sten 1 agen sind bei mir von mehrfacher und sehr autoritativer
Seite Mitteilungen eingelaufen, dass schwere bakteriologisch
festgestellte Ruhrfälle mit 300—400 g Bolus prompt geheilt
wurden.
Eine so grosse sofortige Dosis von 200 g Bolus ist, wie
ich wiederholt betonen will, auch bei der Bazillenruhr sofort
bei Beginn des Verfahrens notwendig, damit sich eine grosse
breiige Bolussäule durch den Darm einschieben und die be¬
drohte Schleimhaut vor weiterer Zerstörung (Gefässnekrose
etc.) schützen kann.
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift.
Nr. 4(
2052
Die Qualitätsfrage des hei den gemeinten, häufig so per¬
niziösen Darmerkrankungen anzuwendenden Mittels ist also,
wie ich an anderen Orten mehrfach ausgeführt habe, schon
längst gelöst. Es konnte sich nur noch um die Quantität
handeln und dieser Punkt war ja nur durch die praktische
Erfahrung klarzustellen, die nunmehr als völlig abgeschlossen
bezeichnet werden darf.
Mit einem Wort: Die Boluswirkung ist
Massenwirkung der Ton- oder Kaolinkörperchen
auf die Bakterien.
Wer in nicht genügender Kenntnis des hier in Frage
kommenden wissenschaftlichen Prinzips oder unter dem Ein¬
fluss einer ganz unbegründeten und in unserem Falle sehr be¬
denklichen Aengstlichkeit bei den genannten Krankheiten mit
w e n i g Bolus auskommen will, kann natürlich nur sehr teil¬
weise Erfolge erzielen und wird Enttäuschungen erleben
müssen. So kann z. B. Adolf Schmidt in Halle ganz selbst¬
verständlich keinen vollen Erfolg bei seinen Bolusversuchen
bei Ruhr haben, wenn er, wie noch in Nr. 5 der Feldärztl. Bei¬
lage d. Wschr. „Prophylaxe und Therapie der Ruhr im Felde“,
in erster Linie Ruhrserum und nur „gegen den Tenesmus und
die Stuhlentleerung“ dreimal täglich einen Ess¬
löffel Bolus empfiehlt.
Ich möchte Schmidt herzlichst bitten, bei nächster Ge¬
legenheit einen Versuch zu machen und statt „dreimal täglich
1 Esslöffel“ im Verlaufe eines Tages 300 g Bolus zu geben
und er wird sich sicher dann überzeugen können, dass er auf
diese Weise ganz allein der Ruhr samt Tenesmus und
Diarrhöe in kürzester Zeit Herr wird.
Ich muss die Boluswirkung bei akuten Bakterienprozessen des
Darmes für derartig zuverlässig erachten, dass sie sogar in diffe¬
rentialdiagnostischer Hinsicht Beachtung verdient. Ich
geniesse zur Zeit die Freude, in einem Vereinslazarett des Roten
Kreuzes tätig sein zu können. Schon in den ersten Tagen meiner
Tätigkeit traf ein Münchener Einjähriger ein. der 8 Tage vorher
einen Steckschuss in die linke I.umbalgegend erhalten hatte. Das
Röntgeribild zeigte die Kugel 3 Finger breit oberhalb der Harnblase.
Der Mann hatte seit mehreren Tagen Diarrhöen mit leichten Fieber-
crscheimmgen Handelte es sich um eine katarrhalische Darm¬
affektion, so musste der Prozess unter Bolusanwendung in kurzer
Zeit zum Stillstände kommen. Die Boluswirkung blien nun trotz
wiederholter Gaben völlig aus und ich musste deshalb bestimmt an¬
nehmen, dass es sich um eine traumatische Darmreizung handelte.
Nach weiteren 10 Tagen fühlte sich Patient nach mehrfacheren
stärkeren Stuhlentleerungen er hatte trotz Verbotes in der Nacht
das Klosett aufgesucht — plötzlich auffällig leichter. Er hatte sofort
selbst vermutet, dass die Kugel auf natürlichem Wege abgegangen
sei: in einem weiteren Röntgenb'ld war das Projektil nicht mehr
festzustellen; in kürzester Zeit völlige Heilung.
Und mm noch ein ernstes Wort in der vorerörterten Heil¬
frage :
Mein Verfahren der Bekämpfung akuter und akutester
Bakterienprozesse auf der Darmschleimhaut — in diesen Zeilen
habe ich nur diese häufig so sehr gefährlichen Darmprozesse
im Auge — gewinnt sich mit jedem Tag neue Freunde. Was
mir zurzeit zur besonderen Genugtuung gereichen muss, ist
der Umstand, dass zahlreiche umsichtige Militärärzte und dass
vor allem auch hervorragende Bakteriologen und
Epidemiologen die schleunigste Versorgung unserer
Truppen mit Bolus sich angelegen sein lassen. Von einem
unserer Pharmakologen wurde ich direkt aufgefordert,
doch sofort in meiner Angelegenheit bei den Sanitätsabteilungen
der Kriegsministerien vorstellig zu werden. Wer Namen
wissen will, kann sie bei mir erfahren.
Aber auch alle jene Kollegen, die unserer noch etwas neu¬
artigen Methode, die so manchem, wie wir uns wohl am besten
ausdriieken, wissenschaftlich noch nicht recht „liegt“, noch
nicht ein volles Interesse entgegenbringen konnten, bitte ich
dringend, doch jetzt diesem Heilverfahren mit ganzem Ver¬
trauen zu begegnen. Wenn irgend ein Heilverfahren auf
wissenschaftlichem Boden steht, so trifft dies für das meinige
zu. Habe ich doch meinen Enthusiasmus für diese wissen¬
schaftliche Sache aus einem recht vornehmen medizinisch¬
wissenschaftlichen Rüstzeug geschöpft, aus dem Mikroskop.
Wer das nicht weiss, der möge doch meine 1906 erschienene
grössere Arbeit einer Durchsicht würdigen.
Nochmals bitte ich dringend : Greifen wir doch zu;
wir vergeben uns wissenschaftlich wirklich durchaus nichts,
wenn wir unseren so sehr gefährdeten braven Söhnen un
Brüdern im Felde mit unserem doch so un vergleich
lieh wirksamen Mittel zu Hilfe komme n, für da
das Wort des grossen Boerhaave gilt: Simplex vei
sigillum.
lieber die Rückkehr Leichtverwundeter an die Fron
Von Generalarzt Herhold, stellvertr. Korpsarzt I. Armee
korps.
Schnelle Räumung der Lazarette des Operations- und Etappen
gebietes von Verwundeten und Kranken, deren Wiederherstellung i
absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, wird als eine der wichtigste
Aufgaben des Sanitätsdienstes in der Kriegssanitätsordnung be
zeichnet. Die Anhäufung von Verwundeten und Kranken verschlecli
tert die Wundheilung und leistet dem Ausbruch ansteckender Krank
heiten und Seuchen Vorschub. Auch der Nachschub von Sanitäts
personal. Munition etc. wird dadurch erschwert. So dringend de
rechtzeitige Abschub Schwerverwundeter ist, so ist es andererseit
ein schwerer Fehler, wenn Leichtverwundete, di
in kurzer Zeit wieder felddienstfähig sind, zu wei
hinter die Front oder gar in das Heimatland zu
rückgeschickt werden. Die Rückkehr solcher Leichtvcr
wundeter aus den heimischen Reservelazaretten erfordert viel Zer
während welcher die Geheilten der fechtenden Truppe nutzlos ver
loren gehen. Aus den Reservelazaretten werden sie nach ihrer Hei
lung zunächst ihren Ersatztruppenteilen überwiesen, die aber nich
immer im Standorte der Reservelazarette liegen. Bei den Ersatz
truppenteilen bleiben sie, bis man grössere oder kleinere Truppen
transporte zusammengestellt hat, und dann gelangen sie endlich nac
langen Umwegen wieder zur Truppe, die ihrer vielleicht sehr be
dürft hatte.
Noch verhängnisvoller ist, Leichtverwundet
einzeln aus den Lazaretten auf ihren Wunsch z
entlassen und ihnen zu gestatten, in ihre Hcima
zu fahren, um sich dort von irgend einem Arzt be
handeln zu lassen. Solche Leute, die sich naturgemäss be
ihren Angehörigen einquartieren, werden der militärischen Kontrolf
entzogen, sie selbst wissen oft kaum, wohin sie sich nac
ihrer Heilung zu wenden haben, und so gehen sie dem Feldheer zu
nächst verloren. Derartige Fehler von Entlassungen Leichtvcr
wundeter sind hauptsächlich von den Vereinslazaretten der frei
willigen Krankenpflege gemacht worden. Aber auch die Führe
von Kranken- und Hilf slazarettzii gen haben ein
zelnen Verwundeten gestattet, den Zug vor de
Ankunft am Ziele zu verlassen. Es ist Pflicht alle
Aerzte und aller Krankenhäuser, sich einzelnen zum Verbinde
meldende Mannschaften und Unteroffiziere dem nächstgelegenen Re
servelazarett oder dem nächsten Bezirkskommando unter Anführun
von Regiment und Wohnort des Betreffenden namhaft zu macher
Ein Wort noch darüber, was unter Leichtverwundeten zu ver
stehen ist. Als Leichtverwundungen sind zu be
zeichnen: Alle Weich teilwunden der Glied masser
welche kleinen Ein- und Ausschuss haben uni
weder mit Lähmungserscheinungen noch mit An
Zeichen der Verletzung eines grösseren arteriel
len Blutgefässes einhergehen. Ferner alle Streif
schüsse des Kopfes und Rumpfes und endlich all
nicht mit Hämatothorax einhergehenden peri
pheren Brust schüsse. Diese letzteren heilen selbst danr
wenn einige Tage Blut gespuckt ist. auffallend gut und führen inner
halb 3 Wochen wieder zur vollen Felddienstfähigkeit.
Die grosse Begeisterung unserer Jugend, die wir bei Ausbruc
des jetzigen Krieges erlebten, gibt uns die Gewähr, dass unser
T.eute nach Verheilung ihrer Wunden kampfesfreudig wieder an di
Front gehen werden. Möge jeder durch Beachtung des im vorstehen
den Gesagten mit dazu beitragen, dass sie nicht verloren gehe.
- " • • * 1 ■— o • «
Nachruf für Prof. Dr. Ludwig Kirchheim.
Am 9. September fiel Prof. Kirchheim bei Vitry fürs Vater
land. Ein junger vielversprechender Forscher hat ruhmvoll geendet
Die Bedeutung seiner Arbeiten rechtfertigt es, wenn in diese
Wochenschrift seiner gedacht wird. Kirchheim war ein Mant
dem wissenschaftliches Arbeiten ein Bedürfnis war. Das beweis
sein Lebenslauf. Nachdem er einige Jahre Assistent gewesen war
musste er aus äusseren Gründen die Praxis seines verstorbenei
Vaters übernehmen. Nach fünfjähriger, ausserordentlich erfolgreiche
praktischer Tätigkeit legte er die Praxis nieder und trat in Köln ai
meiner Abteilung als Assistent ein. Er folgte mir dann nach Marburg
habilitierte sich dort und erlangte bereits 2 Jahre später den Pro
fessortitel. Kirchheim war als wissenschaftlicher Forscher voi
unermüdlichem Fleiss und grosser Begabung. Seine klinischen Ar
beiten über das Verhalten der Leberdämpfung bei abdominalen Er
Kränkungen, über den Meningismus, über das Fieber bei tertiärer Lue
und eine Reihe kleinerer Mitteilungen zeigen ihn als trefflichen Be
6. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, nied. Wochenschrift.
obaclitcr am Krankenbett. Seme zahlreichen theoretischen Arbeiten
Jic nn Archiv für expcrnnentellc Pharmakologie und Therapie er-
sJnenen sind .beschäftigen sich mit dem Problem der Trypsinwirkung
auf lebendes Gewebe mit der Immunität gegen diese Wirkung und
haben zweifellos dazu beigetragen, unser Wissen über dieses schwie-
/u Cfdr'dei nP dlC 3 Kememe behre von der Immunität wichtige Kapitel
Kir chhe im war ein Arzt von gründlichem Wissen und grosser
Wahrung. Ate Mensch ein lauterer, stets hilfsbereiter Charakter
um den seine Mitarbeiter und seine Kranken aufrichtig trauern Mir
war er in siebenjähriger gemeinsamer Arbeit ein treuer Fremid ge-
vvorden- M. Matthes-Marburg
2053
Referate.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Aus Nr. 37, i9M.
Gelenkschiisseü * a " 0 “ Ber^n • Beha„dlU„g der Knochen- nnd
a) NichtinfizierteKnochen - und Gelenkschüsse
Tamponade ist bet engen Schusskanälen zu unterlassen bei Bin
tung aus grosseren Weichteilwunden unter Umständen nfebt zi enl
behren. Fixierung der verletzten Knochen oder Gelenke mit Ein-
btziehung der zwei Nachbargelenke ist schon in der vordersten Linie
durchaus notwendig, wenigstens in provisorischer Weise, im Feld¬
lazarett durch einen dehnitiven Verband, der ohne Verbandwechsel
den Transport aushalt. Für den Transport ist nur der trockene, nich
der feuchte Verband geeignet, am besten der gefensterte Ginsver-
band Resektionen sind nicht in der vordersten Linie zu machen-
Amputationswunden sollen picht genäht, sondern ihre Ränder nur
aurch Binden (nach Crede) möglichst zusammengebracht werden.
■ fJensionsv erb an d e s 1 n d für den Transport nicht angezeigt, die Kor¬
rektur fehlerhafter Stellung ist den Reservelazaretten zu überlassen
Operative Eingriffe werden in der Regel nur erforderlich bei
,m °ClMk Stecke'’ nekrohsicreoS
IV Knochen- und Gelenkschüsse.
„PinLn o-W/mv nfek }0n-en’ £uch, die mit Streptokokken, sind im allge-
n/pu ^utarüger als im Frieden, Tetanus ist selten, Erysipel ver-
i nzelt, häufiger ist die gefährliche Gasphlegmone und die lang-
■uenge Pyozyaneusmfektion. In den meisten Fällen empfiehlt sich
li^Mnürt 7nrCRpecinem län?eren Transport, konservatives Abwarten!
t otiiugt zur Besserung ein neuer, besser fixierender Verband Mit
\usnahme der Gasphlegmone entwickelt sich die Infektion meist
angsam und erfordert erst nach 6—8 Tagen einen Eingriff. Zu be-
-üiten ist, dass schwere infektiöse Allgemeinerscheinungen nach
nem Eingriff meist nicht sofort schwinden; deshalb ist nicht schon
n kurzer Zeit ein weiterer Angriff vorzunehmen. Bei solchen In-
Auonen ruft meist jeder Verbandwechsel neues Fieber hervor; der
erbau d ist daher möglichst selten zu erneuern mit möglichst ge-
nger Nerschiebung der betroffenen Knochen und Gelenke (ge-
ensterter Gipsverband). In Fällen von Wundinfektion ist das Ge-
r !ÜfS ZUoen,tfer"en' Auf d.ie speziellen sonstigen Eingriffe (Wund-
rainage, Behandlung der Hämatome, Arthrotornie, Amputation usw )
hier nicht einzugehen. Besondere Beachtung verdienen die meta-
tatiscben Prozesse, Drüsenabszesse, Empyeme u. a.
Aus Nr. 38, 1914.
Schuster- Berlin: Einiges über Verluste unseres letzten
neues.
i, bierr nrUr e‘nige Zahlen über die Verlustverhältnisse im
anre 1870,71 aufgefrischt werden: Von den Deutschen fielen vor
iälpreiüd?»/17 A55 ^.apn 1 21’2 Pi;om- der Kopfstärke), starben
dter an Wunden 11023 (13 'A Prom.) und 14 904 an Krankheiten:
"r knfütVeriUSt betrUR 43 182 (34-7 Prom-)- D>e Zahl der 28 278
irch Waffen Gestorbenen erreicht nach Köhler nicht die Zahl der
nrüch in den wirtschaftlichen Betrieben Deutschlands sich ereignen-
-n lodesfalle. An Typhus erkrankten 1870/71 74 205 und starben
4. an der Ruhr 38 975 und starben 2405. An Pocken erkrankten
n lind starben 297. Dagegen starben 1871 von der Bevölkerung
Ilsens allein 59 839 an Pocken, von 1870—1872 nicht weniger als
1 1* Menschen.
An deutschen Aerzten starben im Krieg 1870/71 77, davon 8
■rch Wunden. Bergeat.
Vereine.
Freie militärärztliche^Vereinigung in Erlangen.
(Eigener Bericht.)
L Sitzung vom 12 September 1914.
Vorsitzender: Generalarzt Prof. Dr. Penzoldt.
Herr v. K r y g e r berichtet zunächst über den Zustand der
n de n bei der ersten Untersuchung. Die einfachen
ussoffnunge n und Weichteilverletzungen waren alle
CKen verbunden, meist mit .lodoforrngaze oder Perubalsam, und
I n zu™ «rossten Teile ein gutes Aussehen. Weniger g ü n-
g war der Befund bei den schweren Schussfrakturen:
Bei Om, ’i U tindhohleii waren gefüllt mit gejauchten Blutmasseu.
•iri /mid nhpah he CEein Zerschmetterungen der Knochen am Ober-
1 b?h(enkel zeugten sich die Verbände als unzu-
Verband gef« J!tC’S r Wami Huftgele1P.k,Iund Schultergelenk nicht vom
kSÜ rnnVl k-’ ,die 1,1 wemgen Fallen bei Femurfrakturen ange-
in^der H w.arenl zu schwach, an der wichtigsten Stelle
vie?fachHverbwendp?lngebr0Chen' Die cv o 1 k m a n n sehe Schiene, die
Äd SdÄ War' m'm nUr '“r ** V'riett««ep am Urner-
die \Vi,ndCh.La.m|retlllb,e'!l',,,\w er chirurgische ii Klinik wird
Öffnungen mif iSÜIIt5 m der VV^1Se Releitet- dass die kleinen Schuss-
d ie Verbandltni? Ä? 3.ze..oder pferubalsam gedeckt werden und
v,erDandstofte mit Kollodium befestigt. Die grossen jauchenden
Wimdhohlen werden gereinigt, durch Auswischen mit Tupfern lockere
Rd5“oS?mirazenetf2nt’ ^ Ä “^«Öffnung angdegt und'mit
Joaotormgaze tamponiert, die sich unter diesen Verhältnissen
der Höhlen erwehf' = pT*'. T Jrockenlegung u„”d dSE
selten hc1 ir - Feuchte Verbände kommen nur ganz
Schussf aft“ ?^' t" ünu ZUr Anwendung- Die schweren
cnussirakturen des Oberschenkels werden durch
einen grossen Schienenverband, der vom Rippenbogen bis zu den
Knöcheln reicht, gesichert; dabei werden 3-4 Finger breite knS
1 cm dicke Brettschienen verwendet. Ein solcher Verband macht
TransP°rt’ das Gmbetten, fast vollkommen schmerzlos Ver¬
letzte, d.e 5 und 6 verschiedene Verbände im Felde und während
des Iransportes gehabt hatten, lobten diesen Holzschienenverband
ds den wettaus angenehmsten, weil das Bein darin SS S liert
der" wailH m die^.em Verband den so häufig notwendigen Wechsel
der Wundverbandstoffe unter Schonung des Kranken vornehmen
indem man, wie bei einem Gipsverband, Fenster ausschneidet Nur
die Wunden direkt an der Aussenseite, wo die Schiene liegt ver¬
langen allerdings einen öfteren Wechsel des ganzen Verbandes
Grundsatz ist, diese schweren Schussfrakturen möglichst kon¬
servativ zu behandeln Nur schwere Blutungen, septische Er¬
scheinungen bei deutlichem Kräfteverfall, geben die Indikation zur
frühzeitigen Amputation. Die Schussfrakturen des Ober¬
armes werden mit Vorliebe auf dem Mitteldorpfschen
Iriangel gelagert der Schulter und Ellenbogen gut feststellt
uch die Lage der Bruchstücke leidlich sichert. Einfachere Frak-
tpnCI1 dCS ?beaSCueukeli mit kleinen Schusskanälen werden im Ex-
tensionsverband behandelt; solche des Oberarmes auch auf dem
Triangel, oder wenn sie unterhalb der Mitte liegen, mit einfachen
Pappschienen verbunden. Die Schüsse durch die Lunge
zeigten einen recht günstigen Verlauf; in einzelnen Fällen waren
geringe Blutergusse in die Pleurahöhle vorhanden. Eigentliche Ver¬
letzungen der Bauchhöhle wurden nicht beobachtet. Ein
Kopfschuss zeigte bei der Aufnahme hohes Fieber, schwere
Allgememerscheinungen, namentlich starke Benommenheit. Die Ein¬
schussöffnung in der linken Schläfengegend liess viel eiteriges
jauchiges Sekret austreten und einen grünlichgelb verfärbten Hirn-
piolaps erkennen Im Röntgenbild sah man eine entsprechende Lücke
m der . chuppe des Schläfenbeines, darüber einen unregelmässigen
bogenförmigen Spalt über die ganze linke Schädelhälfte laufend und
vorne eine Stuckfraktur des Stirnbeines mit einem kugelförmigen Ge¬
schoss. Die Einschussöffnung und die Stelle des Geschosses wurden
üurch einen grossen, nach oben gerichteten Bogenschnitt verbunden,
die Knochenstucke an der Einschussöffnung entfernt; unter dem Ge-
War f-mnfa l u-‘ne ,.rVndliche Tücke mit kleinen Knochen-
stuckchen gefüllt, auch hier fielen kleinere Gehirnmassen vor Ueber-
ail war reichlich dünner, bräunlichgelber Eiter vorhanden. Die
Knochendefekte wurden mit Jodoformgaze bedeckt, der Lappen zti-
hr?ipS t 6 h*’ Tge,?. ^ahten, befestigt. Die Sekretion liess darauf
bedeutend nach, das Fieber schwand nach 2 Tagen. Das Sensorium
winde vollkommen frei so dass sich der Mann vollkommenen Wohl-
.eins erfreut. Der Vorfall von Gehirnsubstanz erwies sich auch hier
wieder als gute Schutzwehr gegen die Infektion der Meningen.
Geschosse werden, soweit sie leicht erreichbar sind
entfernt: grosse Eingriffe zu diesem Zwecke nur dann vorge¬
nommen, wenn sich ernstliche Störungen zeigen.
Im Anschluss daran spricht Herr Kreuter über seine chi¬
rurgischen Erfahrungen an dem Material des Reservelazaret-
e s E i 1 a n ge n. Was zunächst die Wundversorgung an-
™ngT *° war d'ese bei den einzelnen Transporten sehr verschieden
Zu bedauern war entschieden, dass mehrfach während des Auf¬
enthaltes in den Zwischenstationen feuchte Verbände, besonders auf
stark eiternde Wunden angelegt und bis zur Ankunft ln Erlangen
mehrere Tage liegen geblieben waren. Alle diese Wunden zeigten
abscheuliche Jauchung und zum Teil Eiterung mit Gasbildung
Ebenso verschieden war die Versorgung der Schussfrakturen:
bei einzelnen Lazarettzügen absolut nicht ausreichend, bei anderen
so gut und allen Regeln der Kunst entsprechend, dass die Gips-
veibande 9"ni: we|tcres als Dauerverbände liegen bleiben konnten,
nachdem die Röntgenuntersuchung eine günstige Stellung der Bruch¬
stucke ergeben hatte. Einzelne dieser Verbände trugen eine förm¬
liche Krankengeschichte mit zeichnerischen Angaben über die Stel¬
lung der Bruchstücke und sonstigen durchaus sachgemässen An¬
weisungen. Bezüglich der späteren Wundbeha n d i n n g hat sich
auch die Anwendung der .lodoforrngaze am besten bewährt.
Sehr schlecht aussehende und stark absondernde Wunden reinigen
2054
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 40.
sich in kürzerer Zeit als bei der Verwendung von Ersatzpräparaten
des Jodoforms. Für die Schussfrakturen gelten dieselben
Beobachtungen, die auch in den Balkankriegen gemacht wurden, dass
die relativ geringe Neigung zur Verschiebung der
Bruchstücke haben. Grössere Defekte des Knochens kamen
wiederholt vor; lose Splitter wurden entfernt, wenn stärkere
Eiterung bestand. Die Neigung der Frakturen zur Kon¬
solidierung ist sehr gross. Ein Schuss durch den Ober¬
arm mit starker Fragmentierung des Knochens ist in 3 Wochen
vollkommen fest geworden. Auch bei grossen Zertrümmerungen
wird nur in den äussersten Fällen die Amputation ausgeführt.
Für die obere Extremität haben sich zur Immobilisierung Gips-
schienen sehr bewährt. Für die untere Extremität werden
Extensionsverbände bevorzugt. In einem Fall mit sehr
starker Verschiebung der Bruchstücke, die jedoch nicht durch eine
Schussverletzung des Knochens, sondern durch einen, im Anschluss
an einen Weichteilschuss erfolgten Sturz zustande gekommen war,
musste zur Nagelextension gegriffen werden. Die Schüsse durch
den Brustkorb, auch mit Verletzungen der Lunge, ver¬
laufen im allgemeinen harmlos. Ziemlich zahlreich sind Schä¬
digungen der Nerven zu konstatieren. Es kamen kom¬
plizierte Verletzungen des Plexus, totale Zerreissungen ein¬
zelner Nerven und namentlich T eilläsionen der grossen Stämme
mit entsprechenden Ausfallserscheinungen zur Beobachtung. Von
den Schädelschüssen sind die Tangentialverletzungen be¬
sonders interessant. Nach Spaltung der nicht selten stehen bleiben¬
den Hautbrücken ist man stets überrascht von der Grösse des De¬
fektes im Knochen, besonders an der Tabula interna, ln allen Fällen
war ein Prolaps des Gehirns vorhanden. Eine Infektion der Hirn¬
häute wurde bisher nicht beobachtet, dagegen klagte ein Patient
mit einem relativ kleinen Rinnenschuss über anhaltende Kopf¬
schmerzen. Die Untersuchung des Augenhintergrundes ergab eine
deutliche Stauungspapille, eine Röntgenuntersuchung noch ein
weiteres Geschoss im Hinterhauptslappen des Grosshirns,
welches das Gehirn von vorn nach hinten ohne jede Ausfallserschei¬
nung durchbohrt hat. Bezüglich der Bauchschüsse, deren sym¬
ptomloser Verlauf erstaunlich ist. kann man doch auch Ueber-
raschungen erleben. Bei einem Kranken, der für die Entlassung in
ein Genesungsheim vorgesehen war, kam es plötzlich umer Schüttel¬
frösten zu schweren Lokalerscheinungen im retroperitonealen Raum.
Bezüglich der im Körper steckenden Geschosse wiederholen sich
die Erfahrungen aus der Friedenspraxis. Ihre Entfernung hat sich
meist als notwendig erwiesen, da sie Eiterung und Schmerzen
verursachten. Dies gilt besonders von den Schrapnell- und Granat¬
verletzungen, die fast alle entfernt werden mussten und bei denen
sich bisher fast stets ein Abszess entwickelt hatte. Die Schwie¬
rigkeit der Auffindung der Fremdkörper, besonders wenn sie in der
Muskulatur liegen, braucht für gewisse Fälle nicht hervorgehoben
zu werden. Auch Geschosse, die im Knochen stecken, mussten
zum grössten Teile herausgenommen werden. Arrosionsblu-
t u n g e n sind nicht selten und machten wiederholt die Unterbindung
grösserer Gefässstämme notwendig.
Herr Kr eut er hält seinen Vortrag über moderne Gesichts¬
punkte in der Behandlung des Wundstarrkrampfes.
Erscheint ausführlich an anderer Stelle dieser Nummer.
Diskussion: v. Kryger, Weichardt, Toeniessen,
Hauser, Specht, Penzoldt. Kreuter.
Kleine Mitteilungen.
Das russische Feldsanitätswesen findet in der soeben er¬
schienenen Nr. 15 des „Militärarzt“ eine sehr ungünstige Beurteilung.
Schädlich wirkt vor allem der Dualismus zwischen der technischen
Hauptmilitärmedizinalverwaltung und dem ausschliesslich massgeben¬
den Hauptmilitärsanitätskomitee; dessen Vorsitzender ist ein General,
drei Beisitzer sind Generale und ein Arzt, so dass also militärische
Gesichtspunkte weitaus überwiegen. Die Folge sind zahlreiche Inter¬
essen- und Kompetenzkonflikte. Bei der Schwerfälligkeit des ver¬
alteten Mobilmachungswesens mit seinen vielen Verzögerungen und
Unregelmässigkeiten rücken viele Truppenkörper von vornherein
nicht mit den vollen Sanitätsformationen aus und werden im weiteren
Lauf der Operationen vielfach überhaupt von ihren Hospitaleinrich¬
tungen getrennt. Dazu kommt erschwerend der Mangel einer spe¬
ziellen Ausbildung der Truppenärzte im Kriegswesen, die im Frieden
von Schlachten, Verbandplätzen, Evakuation, Etappenwesen kaum
etwas zu hören bekommen. Weit besser organisiert und ausgestattet
ist das Rote Kreuz, weshalb es in den letzten Kriegen auch stets
einen über seinen eigentlichen Zweck hinausreichenden Wirkungskreis
erhielt und z. B. das ganze Evakuations-, Transport- und Etappen¬
wesen in seine Hände gelangte; damit wurde das offizielle Feldsani¬
tätswesen immer mehr abhängig vom Roten Kreuz, aber wiederum
eine grosse Zahl von Reibungen und Konflikten geschaffen. Ohne
die Uebergriffe des Roten Kreuzes wäre aber die sanitäre Lage der
Armeen und die sanitären Resultate in den letzten Kriegen noch
schlimmer ausgefallen. Im ganzen ist das russische Feldsanitäts¬
wesen noch als überaus mangelhaft und der Reform dringend be¬
dürftig zu bezeichnen. Bgt.
Aus Feldpostbriefen.
Aus Feldpostbriefen eines bayerischen Oberarztes d. L.
III.
31. August. Ich liege eben, Vs 2 Uhr mittags, allein und faul
unter einem Zelt und begucke den blauen Himmel. Ein Tornister
dient als Schreibunterlage und meine Position ist so, wie die Römer
bei Tisch lagen — accumbere nannte man das. Kollege V. und ich
erhielten am 27. den Auftrag, wieder nach X zu reiten und den
Transport der dort befindlichen Verwundeten zu überwachen. Wir
ritten also mit einem Meldereiter 3 km weit, schickten dann dem
Divisionsarzt die Meldung, dass ca. 100 Verwundete gezählt seien und
erhielten alsbald 18 Leiterwagen geschickt. Nun begann die Wan¬
derung durch unsere verschiedenen improvisierten Krankenhäuser
im ganzen 7 — um die Transportfähigen herauszusuchen. Seit dem
Gefecht waren 2 Tage vergangen. Verbandstoffe und Wäsche waren
mit altem Blut durchtränkt und verbreiteten bei dem warmen Wetter
einen abscheulichen Geruch. Die Fliegenplage war fürchterlich.
Während in Friedenszeiten jeder gering Verletzte in ein peinlich
sauberes Bett gesteckt wird und man sie alle paar Tage verbindet,
lagen hier Leute mit Bauchschüssen, Knochenzertriirnmerungen, stark
blutenden Weichteilwunden in ihren Kleidern auf Stroh. Sogar un¬
verbundene waren darunter. Zu essen gab es nur, was die bei den
Feldlazaretten zurückgebliebenen Kollegen von der Bevölkerung frei¬
willig oder durch Requisition erhielten; alle Feldküchen und Proviant¬
kolonnen waren abgerückt. Nun muss man aber bedenken, dass
das Städtchen von jeder Verbindung abgeschnitten und durch die
schon mehrere Tage dauernde Einquartierung gänzlich ausgegessen
war. Trotzdem taten die Leute, was sie konnten. Sie hatten in sehr
geschickter Weise einen Krankenpflegedienst mit Weibern aller
Altersklassen in den einzelnen Häusern eingerichtet, auch für Bahren
und Krankenträger war gesorgt und der dort ansässige Dr. Y., ein
biederer Landarzt, half nach Kräften mit. In Anbetracht dieser Um¬
stände konnten wir die Franzosen, etwa 30, ruhig dalassen; sie
wünschten es auch selbst. Nur ein französischer Hauptmann mit ge¬
brochenem Oberschenkel setzte mir in sehr vernünftiger Weise aus¬
einander, dass ihm der alte Doktor sein Bein verpatzen würde,
während er bei uns Deutschen in spezialistische Behandlung komme:
lieber werde er Gefangener, als dass er sein Bein verliere und
wenn man ihm erzählt habe, vor den Deutschen müsse man Furcht
haben, so glaube er das nicht. Ich stellte ihm die 6 Stunden Fahrt
auf dem L.eiterwagen vor, aber vergeblich, und so liess ich ihn denn
aufladen. Ein ehrenvolles Zeugnis für uns!
Unvergesslich wird mir ein anderer Franzose sein, dem ein
Arm fehlte. Er lag gut verbunden ganz allein in einem Zimmer
und hatte offenbar eine psychische Störung, denn er stiess ununter¬
brochen ein fürchterliches Geschrei aus. Der gelbliche Teint und
der wochenlang nicht rasierte schwarze Bart gaben ihm ein
Aeusseres, das ich nicht mehr loswerden kann.
Von unseren Deutschen nehmen wir. fast alle mit und es war
eine harte Aufgabe, einzelne zuriiekzulasssen. Ich habe im letzten
Augenblick Leute auf die Wagen klettern sehen, denen man keinen
Schritt zugetraut hätte. Ein deutscher Leutnant mit einem Bauch¬
schuss musste Zurückbleiben, weil er mir sicher unterwegs gestorben
wäre Als ich hinkam, hatte man ihn irrtümlich die Treppe herunter¬
gebracht und ein jüngeres Weib, das sich offenbar in ihn ver’iebt
hatte, schwamm in Tränen und beruhigte sich sofort, als ich ihn
wieder hinauftragen liess.
Nach 5 ständiger schwerer Arbeit hatten wir die Leute glücklich
expediert und der brave Dorfdoktor bewirtete uns mit einer herr¬
lichen Omelette, einer Flasche vortrefflichen Weissweines, Obst,
Zigaretten.
Um M.’IO Uhr ritten wir den stockdunklen Weg nach Hause.
Der Eindruck von all dem Elend, gegen das wir unter den ge¬
gebenen Verhältnissen so wenig machen können, ist noch lange
nicht verarbeitet. Dabei sind wir in einem reichen, kultivierten
Lande, im Sommer, bei einem Sanitätswesen, das sicher besser ist,
als bei anderen Staaten. Man stelle sich dasselbe bei der russischen
Armee vor in der menschenleeren Mandschurei mit bodenlosen
Wegen, bei 15° Kälte und dazu beim Rückzug eines geschlagenen
Heeres! — « i
Der Anblick eines Schlachtfeldes ist verwunderlich, man hört
das Schiessen, sieht auch Geschosse krepieren, aber die Geschütze
sind unsichtbar, weil sie hinter Hügeln oder Erdlöchern stehen. Auch
die Infanterie sieht man absolut nicht, das ganze Terrain ist leer,
ausgenommen einige Beobachtungsoffiizere auf Höhen; beim Sturm¬
angriff sieht man mittels Fernglas einzelne Männchen weit aus¬
einander langsam bergauf gehen. Von der Wirkung eines Geschosses
schwerer Fussartilleriegeschütze sah ich als Probe einen ca. 3 m
tiefen, 5 in im Durchmesser haltenden Trichter in der Erde. NB. sehr
harter Boden! ....
Herr Dr M. K 1 a r - München, z. Z. Etappenlazarett I. Zwei¬
brücken schreibt uns: Wenn Herr K r a s k e - Freiburg schreibt, das'
in Form, Grösse und Gewicht und Wirkung kein wesentlicher Unter¬
schied sei zwischen dem deutschen pnd dem französischen Infanterie¬
geschoss, so trifft das nicht zu. Das französische Geschoss ist
30 mm lang, das deutsche nur 18 mm, das französische ist massig
aus Kupfer, das deutsche ist aus Nickelstahlmantel mit Bleifüllung-
Also ein prinzipieller Unterschied: M a s s i v geschoss und Mantel-
6. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
9egS'Ch°Jnd e?s*Sdleaw?rSÄ wieKt, 15 g- das deutsche nur
l m e Knnrh, ! 8 Das franzos'sche zerschmettert in der
al,e Knochen, die es auf seinem Wege trifft das deutsche
(jeschoss macht meistens, selbst in der Tibia noch Platte
heilende Knochenkanäle! Ich berichte Ihnen auf (irund reichs^er
Erfahrung im Etappenlazarett I Zweibrückern und in 3 hiesigen Re¬
servelazaretten, gemacht in 6 arbeitsreichen Wochen, an Deutschen
und an Franzosen ... In die Kriegs- und Etappenlazarette ganz vorn
hm gehören tüchtige Orthopäden! Nur so können viele Ex
S'ubÄf Werde"' die S°"S' d" verfallen' ÜS
2055
Das Soldatenbuch.
Von unserem Kollegen Dr. A. Noder — A De Nora
erschien soeben im Verlage L. S t a a c k m a n n - Leipzig ein
Büchlein Soldatenlieder •), aus dem wir mit Erlaubnis des Verfassers
einige Proben veröffentlichen. Die Kollegen, die dem Be-
grussungsabend des deutschen Aerztetages beiwohnten, werden sich
noch der köstlichen (jedichte erinnern, die damals vom Dichter selbst
«orgetrasen, alle Zuhörer in die iröhlichst^ Stimmung verseilen
)iese Stimmung auch in den düster und ernst genug wirkenden Krieg
“ lragen, ll"d. unf.e.ren Offizieren wie Soldaten ein wenig Heimat-
k'aI lg u> Heimathimmel zu bringen, ist das Ziel, welches Autor
jid \ erlag sich bestimmten. Sie denken sich das kleine ca 40 I ieder
anhaltende, von E. W i I k e mit einer hübschen Tite“eichnu„g vem
sehene Büchlein als willkommene Liebesgabe für die draussen stehen-
den Heere umsomehr ahs bereits ein Teil der A. De N or a sehen
heb? fst Die mnaarr 7y?riscben Ar.mee wohlbekannt und sehr be-
erklärlich eScheinä. S,1C,1,Ir0be"' keben. lassen das
DerneueSchatz. »
Mein Schatz, jetzt hats geschnackelt,
Es wird nicht mehr gefackelt,
Zerrissen ist der Draht!
Ich muss dich jetzt versetzen
Wohl für ein ander Schätzchen,
Wo mich noch lieber hat, jawoi!,
Wo mich noch lieber hat!
Sie liebt mich ohne Massen,
Sie will mich gar nicht lassen
Und sagt, ich g’hör ihr ganz
Mit Haut und Haar und Knochen,
Und hat mir auch versprochen
Schon ihren schönsten Tanz, jawoi!,
Schon ihren schönsten Tanz!
Den Tanz den will ich tanzen.
Dass fliegen alle Franzen,
Und obs mich selber drah’!
Leb wohl, mein Schatz, für heuer!
Mein andrer Schatz, mein neuer,
Schreibt sich Germania, jawoi!,
Schreibt sich Germania!
Rekruten - Abschied.
Und so habens mich jetzt genommen
Und so trag ich den Buschen am Hut.
Zu der Kawallerie bin ich ’kummen,
Sie sagens. die Haxen die krummen
Sein zum Marschieren nicht gut.
O du mein! Kruzitürkenundsaxen!
Zwegen dem und da weinens wir nicht.
Ist nicht eins wie das andre gewachsen!
Die ein‘n haben schönere Haxen
Und die Andern ein schöneres Gsicht.
Und sie habens doch immer gefalle
Meinem Schatz, meiner herzlieben Dirn;
Ja so Werdens die Herrn Generalle,
Offiziers und die Herrn Korporalle
Meine Haxen wohl auch nicht scheniern!
Drum sei du mein Schatz nit zuwider
Und gräm dich nit allweil darum!
Uebers Jahr und so sehn wir uns wieder,
Und dann bring ich dir all meine Glieder
Zurück, ob sie grad oder krumm!
Schwolischöh-Lied.
Die tapfern Schwolischöh mit ihren stolzen Rossen
Sie kommen aus der Höh wie’s Wetter hergeschossen:
Der Donner sind die Gäul',
Die Lanzen sind die Blitzen!
Mein Lieber, da tust spitzen,
_ _ Schlagt dich der Blitz aufs Mäul!
. ^ cP?? Soldatenbuch" von A. De Nora. Neue schöne und
vtige Soldatenlieder. Leipzig, L. Staackmanns Verlag. 100 S.
eis geb. 60 Pf.
Sie fürchten keinen Feind und auch nicht das Terrain,
o dass sie immer seind, sie stürzen mutig drein;
Fallt einer auch in Dreck,
Scheniert es ihn nicht weiter:
Er steigt auf seinen Häuter
Und reitet wieder weg.
So dienet er in Trab und Treue seinem Land.
ann ßent er freudig ab in den Reservestand»
Sagt seinem Ross Ade
Und seinem grünen Kleid
Und bleibt doch allezeit
Ein tapfrer Schwolischöh.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 5. Oktober 1914.
K r } °ss w oc h e hat die Entscheidung in den
Kämpfen in Nordfrankreich noch nicht gebracht, wohl aber eine
geführt BDieSeVersg„fhr ^ L£gC der deutschen Armee daselbst herbei-
getuhrt. Die Versuche der Franzosen und Engländer, unseren rechten
fassen- sind als gescheitert zu betrachten; die Verbiinde-
n ' byben In mehreren Gefechten schwere Verluste erlitten. Die
Pgen y^duu und Antwerpen schreiten erfolgreich fort.
Im Osten haben sich deutsche Armeekorps mit den österreichischen
^I-U'?Pje.n y^m'gt. Die dadurch bewirkte Verstärkung unserer Macht
vvird die baldige Wiederaufnahme der Offensive ermöglichen. Ueber
• neS»iUt! iheitJSZU>stand der deutschen Armee liegt eine
offizielle Mitteilung des Generalstabs der Armee, Exz v Schier
Pi'ihrfüiL01"’^16 Sehir gÜ7Stig lautet Die Darmkatarrhe und leichten
herein3 tSei^mnder Abnahm<', besnffen ; Typhuserkrankungen seien
ril’ t° 0rgan,lsatr des Feldsanitätswesens habe sich be-
^üHi’rh n7mannPOrurder Verwundeten sei «ut gegangen, wenn auch
natürlich nicht allen Wünschen entsprochen werden konnte Das ein¬
zige was bisweilen Schwierigkeiten gemacht habe, war der Trans¬
port vom Schlachtfeld zur Etappe, es seien aber bereits für diesen
Zweck weitere Transportmittel in grösserer Zahl beschafft und da
nun auch der Nachschub von Verbandmaterial und Arzneien regel-
massig erfolge, können wir zufrieden sein. Die Zahl der im Felde
stehenden Aerzte wird von Sch. auf 9000 angegeben.
Eme weitere Aeusserung des Generalstabsarztes betrifft die
Greueltaten gegen unsere Verwundeten. Exz. v. S c h j e r n i n g hat
dem Kaiser folgende Meldung erstattet:
„Vor einigen Tagen wurde in Orchies ein Lazarett von Franc-
tireurs uberfallen. Bei der am 24. September gegen Orchies unter¬
nommenen Strafexpedition durch Landwehrbataillon 35 stiess
dieses auf überlegene feindliche Truppen aller Gattungen und
musste unter Verlust von 8 Toten und 35 Verwundeten zurück
Cn Iage, ausPsandtes bayerisches Pionierbataillon
stiess auf keinen Feind mehr und fand Orchies von Einwohnern
verlassen Am Orte wurden zwanzig, beim Gefecht am vorher-
g7fnden Tap verwundete Deutsche grauenhaft verstümmelt auf-
geiunden. Ohren und Nasen waren ihnen abgeschnitten, und man
hatte sie durch Einfuhren von Sägemehl in Mund und Nase er¬
stickt. Die Richtigkeit des darüber aufgenommenen Befundes
77 + Vnn i5wei französischen Geistlichen unterschriftlich be¬
stätigt. Orchies wurde dem Erdboden gleichgemacht “
ES2Ä&28S? ünserer 0eBner ™
Auch über die Gesundheitsverhältnisse der bayerischen Truppen
wird eine halbamtliche Mitteilung verbreitet. Der Gesundheits¬
zustand bezüglich ernster innerer Erkrankungen sei bis jetzt beim
ersten bayerischen Armeekorps ein günstiger zu nennen. Besonders
verdient erwähnt zu werden, dass die seinerzeit im Russisch-jaoa-
n ischen Kriege so häufig beobachteten nervösen und geistigen Er-
i7n^ngennb'She+r7UrJn ganz verschwindend seltenen Fällen auf-
g re enHS,n1j fr"tzdern.:das ruhige tagelange Aushalten unserer Trup-
wLf'n den Schützengraben unter dem schwersten feindlichen Artil-
kraf/K an die nervöse Widerstands¬
kraft des Soldaten stellte — ein glänzendes Zeugnis für die Kraft und
Unverbrauchbarkeit der Nerven unseres Volkes.
, ~ Die Familie des verstorbenen grossen ’ Physiologen Emil
7 T 7 °nn d 7at die ibm seinerzeit verliehene goldene
Kn v fff/ rtipmH0 Z'Ki LUr,g im ,Werte von 1733 M- der National-
•JS n ^ A Unterbliebenen der im Kriege Gefallenen zuge-
jK+p f ln™ Ansch reiben war folgende zur Veröffentlichung be-
stimmte Erk arimg angefugt: „Mehrfach sind Orden und Ehrenpreise
emdlicher Nationen zurückgesandt oder veräussert worden. Wenn
dagegen die unserm Vater als höchste Anerkennung wissen¬
schaftlichen Verdienstes verliehene goldene Helmholtz-Medaille zum
Besten eines nationalen Zwxckes zu widmen uns entschlossen, so ge¬
schieht es, weil wir solchen Schatz auf keine Weise höher zu ehren
W 1 S S C 1 1 .
Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner hat auf die
ihm verliehenen englischen Auszeichnungen eines Honorary Fellow
des Royal Sanitary Institute und des Royal Institute of Public Health
2056
Feldärztliche Beilage zur Münch, tued. Wochenschrift.
Nr. 40.
in London verzichtet. Der Nationalstiftung für. die Hintei-
hliebenen der irn Kriege Gefallenen ist von Frau Ge'neraloberarzt
p fühl die ihrem Vater Robert Koch von dem englischen Royal
Institute of Public Health verliehene goldene Harbenme-
daille gestiftet worden. ,
- In Amerika ist die ehemalige „Hamburg der Hapag als
Rotes- Kreuz-Schiff zum Dienste in Europa ausgerüstet worden. Das
Schiff trägt 43 Aerzte, 125 Pflegerinnen und grosse Mengen von Ver¬
bandstoffen und medizinischen Gerätschaften. — Die amerikanische
Kolonie in M ii nchen hat ein Haus in der Prinz-Regent-Strasse
als Hospital zur Behandlung und Verpflegung Verwundeter einge¬
richtet. ,
Durch die Vermittlung des deutschen Gesandten Iiess der
Kaiser der luxemburgischen Regierung seine höchste Anerkennung
aussprechen für die Leistungen der luxemburgischen
Aerzteschaft zum Besten der dort durchkommenden Verwun¬
detentransporte. . , ,
— Die Medizinische Gesellschatt Leipzig hat
10 000 Mark ihres Vermögens zur Zeichnung der Kriegsanleihe
verwendet.
— Das Eiserne Kreuz erhielten :
Dr. Jaques B e n a r i o, Stabsarzt, aus Frankfurt a. M.;
Generalarzt Prof. Dr. E n d e r 1 e n, Direktor der Chirurg. Klinik
in Würzburg;
Privatdozent Dr. Gilbert, Assistent d. Univ.-Augenklimk in
München;
Dr. Paul Graf fr en der, Elbing;
Dr. v. Heuss, Bataillonsarzt in 1. bayer. Inf.-Reg. (München);
Dr. Hevius, Stabsarzt d. L.;
Dr. Oskar Hornung, Stabsarzt d. Res. (Mindelheim);
Dr. Oskar Köhl, Stabsarzt der Landwehr 1. Aufgeb. (Hof);
Stabsarzt Dr Josef Langheld;
Dr. Lorenz Lehmann, Assistenzarzt d. Res. (Hof);
Dr. Max Mendelsohn, Stabsarzt;
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Müller, Direktor der Chirurg. Univ.-
Klinik in Rostock;
Dr. R. Pfeiffer, Generalarzt, Geh. Med.-Rat, Direktor des
hyg. Instituts in Breslau, z Z. in Frankreich.
Dr. Willy Pullmann, Marinestabsarzt d. Res., Offenbach a. M.;
Dr. Rees, Oberstabs- und Regimentsarzt im Wiirtt. Gren.-Reg.
Nr. 123, Arzt in Albersweiler (Pfalz);
Dr. Paul R e y h e r, Stabsarzt, Privatdozent für Kinderheilkunde
111 U wl I1H j m
Prof. Sauerbruch, Direktor der Chirurg. Klinik in Zürich,
z. Z. Leiter des Kriegslazaretts in Strassburg;
Dr. Paul Unna, Oberarzt d. Res. (Aschaffenburg);
Dr. Wiener, Assistenzarzt d. 17. Inf.-Reg.;
— Die ostpreussische Aerztekammer gibt bekannt, aass ein be¬
sonderer Notstand dadurch eingetreten ist, dass es in den kleinen
Provinzstädten Ostpreussens an Aerzten mangelt. Es
wird als dringend notwendig bezeichnet, dass sich Aerzte finden, die
bereit sind, für die Zeit der Not dort ihre Praxis auszuüben.
— Die Wahlen zu den preussischen Aerztekammer n,
die im November dieses Jahres stattzufinden hätten, sind aus Anlass
des Krieges bis zum Jahre 1915 verschoben worden. — Die baye¬
rischen Aerztekammern werden, wie aber schon vor Kriegs¬
ausbruch feststand, in diesem Jahre keine Sitzungen abhalten.
— Dr. Turbans Sanatorium in Davos-Platz konnte am
8. August d. J. auf eine 25 jährige Wirksamkeit zurückblicken. Von
einer Feier wurde in Anbetracht der Zeitumstände abgesehen, doch
war der verdiente Begründer der Anstalt, Geheimrat Turban,
Gegenstand mehrfacher Auszeichnungen; u. a. wurde Ihm Gas
Ehrenbürgerrecht von Davos verliehen. Am 1. September d. J. ist
die Leitung der Anstalt an den Kais. Rat Dr. van Voorweld
übergegangen, der die Anstalt ganz im Sinne und nach den Grund¬
sätzen ihres Begründers weiterführen wird.
— Die Pharm. Ztg. Nr. 77, 1914 bringt folgende, dem „Matin“
entnommene Notiz: „Die Liebig Co. bringt zur öffentlichen Kenntnis,
dass sie eine 1865 zu London unter der Firma „Liebigs Extract of
Meat Company, Ltd., gegründete englische Gesellschaft ist. Sie
versorgt gegenwärtig die französischen und englischen Truppen und
deren Sanitätspersonal mit Fleischextrakt, Fleischkonserven und
Oxo-Bouillon.“ Die Schlussfolgerung für deutsche Verbraucher er¬
gibt sich von selbst.
— Infolge Einberufung zur Armee hat Herr Geheimrat v. Krehl-
Heidelberg, die Redaktion des „Archivs für klinische Me¬
dizi n“, Verlag von F. C. W. Vogel, Leipzig, an Herrn Professor
v Romberg, München, Richard Wagnerstr. 2, übergeben, wohin
alle zur Aufnahme für das Archiv bestimmten Arbeiten einzureichen
sind.
— Cholera. Ungarn. Laut Mitteilung vom 25. September
wurden 4 Erkrankungen im Dorfe Tokod (Kom. Esstergom), 2 in De-
breczin (Kom. Hajdu) sowie je 1 Fall in Pest und Gomonna
festgestellt. Auch in den Kriegsgefangenenlagern in Esstergom, in
Dunasserdahely und Somorja (Kom. Pressburg) wurden mehrere
Cholerafälle ermittelt.
Pest. Türkei. Am 22. August ist 1 Erkrankung ln Smyrna
festgestellt worden. Desgleichen laut Mitteilung vom 8. September
2 Erkrankungen, ln Beirut wurde am 24. August ein neuer Pest¬
fall festgestellt. — Griechenland. Zufolge Mitteilung vom
3. September ist auf der Insel Syra ein tödlich verlaufener Pestfall
zu verzeichnen gewesen — Aegypten. Vom 29. August bis 4. Sep¬
tember erkrankten (und starben) 4 (1) Personen, davon 2 (1) in
Alexandrien und 2 (— ) in Port Said. - Cub a. In Santiago am
14. August 1 Erkrankung und 1 Todesfall. — Brasilien. In Bahia
vom 12.— 25. Juli 4 Erkrankungen und 2 Todesfälle.
- In der 37. Jahreswoche, vom 13.— 19. September 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Heilbronn mit 61,8, die geringste Berlin-Steglitz mit 4,3 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Gleiwitz, Königshütte, Zabrze,
an Diphtherie und Krupp in Rostock. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
(ireifswald. Der Prosektor am anatomischen Institut
Dr. Wilhelm v. Möllendorff hat sich für das Fach der gesamten
Anatomie habilitiert, (hk.)
Leipzig. Der ordentliche Honorarprofessor, Geh. Mcdiztnal-
rat Dr. Robert Hermann T i 1 1 m a n n s, chirurgischer Oberarzt am
Kinderkrankenhause und Chefarzt der chirurgischen Abteilung, Gene¬
ralarzt ä la suite des Kgl. sächs. Sanitätskorps, begeht am 3. Okto¬
ber seinen 70. Geburtstag Geheimrat Tillmanns stammt aus
Elberfeld, (hk.)
Münster i. W. Das anatomische Institut hat kürzlich durch
Anbau eines Auditoriums und eines Sezier- resp. Mikroskopiersaales
eine wesentliche Vergrösserung erfahren. Das neue Auditorium fasst
ca. 230 Zuhörer, während der neue Seziersaal 260 Praktikanten be¬
quem Platz bietet. Beide Anbauten sind nur provisorisch, da der
demnächstige Neubau eines anatomischen Instituts in der Nähe der
zu errichtenden Universitätskliniken ins Auge gefasst ist. Infolge
des Ausbruches des Krieges musste der Beginn des Neubaues der
Universitätskliniken, der für diesen Herbst in Aussicht genommen
war, zunächst aufgeschoben werden.
(Berichtigung.) In dem Referat über die Demonstration 1.
des Herrn Dr. J. Feuchtwanger (Sitzungsbericht des Aerztl.
Vereins in Frankfurt a. M.) in Nr. 36 S. 1913 d. W. muss es statt
1970 g heissen 1070.
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Dr. Anger mann, Assistenzarzt, Res.-Ulanen-Reg.
Dr. Eduard G o r t a n, Unterarzt d. Res. im Res.-Inf.-Reg.
Nr. 3, aus Berlin-Halensee, am 11. September.
Dr. Hans Grimm, Marineassistenzarzt von S.M.S. „Köln“
beim Seegefecht vor Helgoland am 28. August.
Dr. Kahler, Unterarzt, Graudenz.
Dr. Ludwig K i r c h h e i m, Prof , Assistent der med. Klinik
in Marburg, am 9. September bei Vitry.
Dr. Alfred K o r s c h, Generalarzt, Korpsarzt des 5. Armee¬
korps, in Russland.
Dr. Paul Kühl, Unterarzt, Wolgast i. Pom.
Joachim Melles, stud. med. an der Kaiser-Wilhelms-Akademie
in Berlin.
Dr. F. Meyer-Betz, Oberarzt d. R. im 4. wtirtt. Füs.-Reg.
Nr. 122, bei Apremont am 25. September.
Dr. Emil Mislowitzer, Stabs- und Regimentsarzt im
49. Inf.-Reg., aus Schneidemühl, am 16. September.
Dr. Walter M u 1 s o w, Off.-Stellvertreter im bayer. Inf.-Leib-
Reg., Assistent am Kgl. Institut für Infektionskrankheiten
in Berlin, am 29. September.
Dr. Felix Rosenberger, Mülheim a. Mosel.
Dr. Hans Rosenthal, Oberarzt d. Res. am 10. September.
Georg Schäffler, stud. med. an der Kaiser-Wilhelms-
Akademie in Berlin.
Vermisst werden:
Dr. Fritz B a u m a n n, Marinestabsarzt (aus Passau), S.M.S.
Mainz.
Arno Kirsche, Einj.-Freiw.-Marinearzt (aus Thüssdorf,
Sachsen), S.M.S. Mainz.
Deutsche Aerzte!
Verschreibt nur deutsche Präparate und Spezialitäten!
Die „Feldärztliche Beilage“ ist bestimmt, allen im Felde stehen-
den oder in Militärlazaretten beschäftigten Aerzten der deutschen
und österreichischen Armee und Flotte unentgeltlich geliefert zu wer¬
den. Herren, welche sie nicht erhalten, werden um Angabe ihrer
Adresse ersucht.
Beiträge für die „Feldärztliche Beilage“ werden nach erhöhten
Sätzen honoriert.
Selbstverständlich wird unseren im Feld stehenden Abonnenten
auch die Wochenschrift selbst an jede uns angegebene Adresse nach-
geliefert. J. F. Lehmanns Verlag.
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
Preis der einzelnen Numtncr ÖO 4- • Bezugspreis in Deutschland
• • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
Inscrntenschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
ti
MÜNCHENER
, Zusendungen sind zu adressieret!:
Für die Redaktion Arnulfstr. 26. Bürozeit der Redaktion 8VJ— 1 tjhr.
Für Abonnement an J. F. Lelimann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse »!
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 41. 13. Oktober 1914.
KcaaKtion: Ur. L>. Spatz, Paul Heysestrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Per Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung^ IrTdieser zlits^tftTu^Abdruck gelangenden Originalbelträge'ToT
. Originalien.
Rhythmische Vorhoftachysystolie und Pulsus irregularis
perpetuus.
Von Prof. H. E. H e r i n g in Köln.
Obwohl wir schon recht lange wissen, dass die Vorhöfe
ind die Kammern sich verschieden voneinander verhalten
vönnen, so pflegt man doch noch immer sehr häufig von Aende-
ungen der Herz tätigkeit zu sprechen, wo wir, genau ge-
lommen, von Aenderungen der V o r h o f - oder Kammer-
ätigkeit sprechen sollten. So pflegt man z. B. auch heute noch
lie Ausdrücke Tachykardie und Bradykardie zu gebrauchen in
-allen, in denen nur die Vorhöfe oder nur die Kammern ab-
lorm häufig oder abnorm selten schlagen. Um dem tatsäch-
lchen Verhalten gerecht zu werden, gebrauche ich schon seit
nehr als 10 Jahren die Ausdrücke Vorhoftachysysto-
ie und Vorhofbradysystolie bzw. Kammer-
achysystolie und Kammerbradysystolie, Aus¬
gucke, sie seitdem auch in der Literatur zu finden sind.’
Den Begriff Vorhoftachysystolie habe ich 1905 von
• Ri hl* 1) in die Literatur einführen lasen, dem ich auch die
Veröffentlichung der 3 ersten Fälle von Vorhof-
achysystolie übertrug.
Im August 1911 hat R i h 1 2 *) dann weitere 3 auf meiner Kli-
lk in Prag beobachtete Fälle veröffentlicht. Die Vorhoffre-
uenz betrug in den ersten 3 Fällen (geordnet nach der Höhe
er Frequenz) I. 108—120, II. 136—143, III. 150—187, in den
‘tzten 3 Fällen IV. 200—214, V. 206—222 und VI. 285—315.
In allen 6 Fällen bestand Kammersystolenaus-
a 1 1. Die hierdurch bedingte K a m m e r Unregelmässigkeit
a es, durch welche man beim Pulsfühlen auf die Unregel-
lässigkeit aufmerksam wird, während man die Aenderung
er Vorhoftätigkeit erst später zu erkennen pflegt. Wir haben
s also in diesen Fällen mit 2 Abnormitäten zu tun, mit V o r -
oftachysystolie und Kammersystolenaus-
al l. Beantworten wir zunächst die Frage, ob und inwieweit
i diesen Fällen der Kammersystolenausfall die Folge der Vor-
oftachysystolie ist?
VV ir haben uns schon im Jahre 1904 damit beschäftigt, am Hunde¬
rzen durch Reizung der Vorhöfe mit frequenten Einzelinduktions-
iilagcn aurikuläre Tachykardien zu erzeugen. Die Hunde waren
iraresiert, die Vagi durchschnitten. Steigerten wir die natürliche
>rhofirequenz von 150 künstlich auf 240, dann wurde jede Vorhof-
^tole von den Kammern noch beantwortet, nur Alternans trat auf.
-i einer Steigerung der Frequenz von 150 auf 270 löste jedoch nur
ae zweite Vorhofsystole eine Kammersystole aus, es kam zum
tinmersystolenausfall, die Kammerfrequenz sank von 150 auf 135
• big. 5 u. 6 in der Mitteilung von J. R i h 1 *)]. Hier haben wir es
so mit der gleichen Erscheinung zu tun, wie in den Fällen beim
enschen, \ orhoftachysystolie mit Kammersystolenausfall.
') Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 2. 1905. S. 83. Der (im Quart,
arn. of med. Vol. 2 p. 213, 6. Jan. 1909) von Hertz und Good-
1 r t erst im Jahre 1909 mitgeteilte Fall war demnach nicht der
ste, wie mehrfach in der Literatur angeführt worden ist.
;) Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 9. 1911. S. 277.
f exper- Path. u. Ther. 1. 1904. S. 43. P. H o f f m a n n
dt. Magnus-Alsleben haben auf dem letzten Kongress für
iere Medizin angegeben, dass beim Katzenherzen A 600 mal,
400 mal schlagen kann und das Bündel rechtläufig 400 mal, rück-
u:g 250 mal leiten kann. — Beim Menschen sind bei rhyth-
14 c h e r Vorhoftachysystolie höhere Frequenzen von A als etwa
335 bis jetzt nicht beobachtet worden.
Nr. 41.
Bezeichnen wir mit Af die Vorhoffrequenz, mit Uf die
Ueberleitungsfrequenz, so hängt die Kammerschlagzahl ab von
dem Verhältnis Af: Uf. In diesem Verhältnis nehmen normaler¬
weise bei der Zunahme der Herzschlagzahl beide zu, bei der
Abnahme der Herzschlagzahl beide ab. So z. B. bei Muskel¬
tätigkeit und Ruhe, bei Abnahme des Vagustonus und bei
Wiederherstellen des normalen Vagustonus.
Wie gross Af beim Menschen werden kann, ohne dass es
zum Kammersystolenausfall kommt, wissen wir noch nicht
ganz genau. Im Fall III beobachteten wir nach subkutaner In¬
jektion von 0,001 Atropin keinen Vs-Ausfall mehr; das ganze
Herz schlug 154 mal pro Minute. Im Fall VI war die höchste
beobachtete Kammerfrequenz (ohne dass ein Eingriff gemacht
worden war) 150. Diese Zahlen stimmen mit den höchsten mir
bekannten Tachykardien nach Vaguslähmung beim Erwach¬
senen überein, denn diese betragen etwa 150—160.
Eine sicher nachgewiesene aurikuläre Tachykardie, die
höher als 180 wäre, ist mir bis jetzt beim Menschen nicht be¬
kannt, wobei es noch fraglich ist, ob diese Tachykardie eine
nomotope war 4).
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass Uf beim Menschen bis
über 150 pro Minute betragen kann, woraus sich weiter ergibt,
dass in den 3 ersten Fällen (I, II, III) die Vorhoftachysystolie
an sich nicht den Vs-Ausfall bewirkt, sondern dass letzteren
noch ein besonderer Koeffizient mitbewirkt. Dieser Koeffizient
ist die relativ erschwerte Ueberleitung, d. h. re¬
lativ mit Bezug auf die Vorhoffrequenz.
Wir haben damals auch festgestellt, worauf diese relativ
erschwerte Ueberleitung beruht. Da Atropin im Fall III eine
Tachykardie von 154 bewirkte, und Vagusdruck die Vs-Aus-
fälle verstärkte, ohne dass das Atropin oder der Vagusdruck
die Vorhoffrequenz irgendwie wesentlich beeinflusst hätte, er¬
gab sich daraus, wie ich es nannte, eine e 1 e k t i v e Vagus¬
wirkung, d. h. ein Vorhandensein des dromotropen Vagustonus
für die Ueberleitung von den Vorhöfen zu den Kammern bei
fehlendem chronotropen Vagustonus.
Ist nun die Vorhoftachysystolie eine sehr grosse, wie z. B.
in Fall VI, wo sie 285 — 315 betrug, dann beseitigt die Aus¬
schaltung des Vaguseinflusses auf die Ueberleitung nicht mehr
die Kammersystolenausfälle, sondern vermag sie nur zu ver¬
mindern. Hier überwiegt dann wesentlich Af, die auch nach
Ausschaltung des Vagustonus für die Ueberleitung noch weiter
Kammersystolenausfälle bewirkt.
Auf die oben gestellte Frage, ob und inwieweit der Kam¬
mersystolenausfall die Folge der Vorhoftachysystolie ist,
können wir also antworten, dass es ganz auf das jeweilige
Verhältnis von Af : Uf ankommt, ob es zum Kammersystolen¬
ausfall kommt oder nicht. So zeigten die Fälle I und II zeit¬
weilig Tachykardien bis 120 ohne Kammersystolenausfall.
Wurde jedoch im ersten Fall der Patient aufgefordert, den
Atem innezuhalten, dann kam es am Ende des Atemstillstandes
) Die atrioventrikulären und die ventrikulären Tachysysto-
lien kommen an dieser Stelle nicht in Frage, da es sich bei diesen
nicht um Ueberleitung von den Vorhöfen zu den Kammern handelt. Es
sei bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht, dass nach
den bis jetzt vorliegenden Erfahrungen Kammerfrequenzen
über 180 hinaus vermuten lassen, dass es sich nicht um
eine aurikuläre, sondern atrioventrikuläre oder ventrikuläre Tachy-
systolie handelt, und ferner, dass das Maximum der Ueber¬
leitungsfrequenz Uf beim Menschen um 180 herum
liegt, wenigstens nach den mir bekannten Erfahrungen.
1
2058
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 41.
zu Vs-Ausfällen, da die dyspnoische Vaguserregung Uf
nicht aber Af beeinflusste.
Als in den Fällen I und II Digitalis gegeben wurde,
kam es ebenfalls zu Kammersystolenausfällen; auch liier nahm
infolge der zentralen Vaguserregung Uf ab, nicht aber Af; ja
es bewirkte in diesen Fällen die Digitalis eine Zunahme
von Af.
Letzteres habe ich auch beim Experiment beobachtet, wenn die
Vaguswirkung auf die Reizbildung in den Vorhöfen fehlt, auf die
Ueberleitung aber erhalten ist. Dies kann man z. B. auch in Fig. 7
der aus meinem Institute im Jahre 1906 erschienenen Mitteilung von
v. Tabora5) ersehen, die Vorhoffrequenz Af des vagotomierten
Hundes war nach Digitalisinjektionen auf 330 gestiegen, die Kammer- |
frequenz betrug die Hälfte. Vagusreizung hatte nun eine elek-
tive Wirkung auf die Ueberleitung, denn Af wurde nicht geändert,
während der bestehende Vs-Ausfall infolge Aenderung von Uf ver¬
stärkt wurde und schliesslich Dissoziation auftrat.
Im Fall IV (Rihls III. Fall der II. Mitteilung) war am
Ende unserer Beobachtung die Vorhoftachysystolie in eine Un¬
regelmässigkeit übergegangen, die vollständig dem Bilde des
Pulsus irregularis perpetuus (P. i. p.) entsprach, und zwar war
letzterer nach einer D i g i t a 1 i s medikation aufgetreten. Das
führte zu der Frage: Kann dieVorhoftachysystolie
beim Menschen in einen P. i. p. übergehen und
welche Beziehungen bestehen zwischen bei¬
den Unregelmässigkeiten?
Experimentell kann diese Frage leicht bejaht werden; es
ist ein solcher Uebergang experimentell schon lange bekannt
und jederzeit leicht demonstrierbar. Beim Menschen war
jener Fall IV der erste, der uns Anlass gab, auf die Beziehung
der beiden Unregelmässigkeiten, der Vorhoftachysystole zu
dem P. i. p. beim Menschen einzugehen. R i h 1 2) machte da¬
mals darauf aufmerksam, dass bei beiden Unregelmässigkeiten
frequente Erregungen vom Vorhof ausgehen, bei beiden nur
eine Anzahl dieser Erregungen eine Kammersystole auslösen,
und dass, je höher die Vorhoftachysystolie wird, desto ähn¬
licher sich bei ihr die Bedingungen für die Erregung der Kam¬
mern denen beim P. i. p. gestalten. Es wies R i h 1 ferner
darauf hin, das zu jener Zeit, als die Unregelmässigkeit dem
Bilde des P. i. p. entsprach, die Vorhöfe wahrscheinlich flim¬
merten.
Im Jahre 1911 haben W. A. Jolly und W. Ritchie6) (ohne
die erste Mittelung von R i h 1 aus dem Jahre 1905 zu kennen) einen
Fall von Vorhoftachysystolie (oder Vorhofflattern, wie es die Autoren
nach Mc Willi am nennen, der die beim Experiment beobachtete
sehr rasche Vorhoftätigkeit 1897 so nannte) beschrieben; sie fanden
eine Vorhoffrequenz von 250 — 300 und wiesen zum Unterschiede
vom P. i. p. darauf hin, dass bei letzterem das Elektrokardiogramm
irreguläre Oszillationen von 390 — 522 pro Min. zeige.
Im Juni 1912 hat Lewis7) einen Fall von Vorhoftachysystolie
(300 pro Min.) mitgeteilt. Auf Digitalismedikation ging, wie in
unserem Falle IV, die Vorhoftachysystolie in P. i. p. über; nachher
kam es zu regelmässiger Herztätigkeit; er erwähnt ausserdem noch
3 weniger ausführlich beobachtete Fälle.
Im November 1912 veröffentlichte Lewis8) noch einige Fälle
von Vorhoftachysystolie; als höchste Vorhoffrequenz fand er 335;
er spricht sich, wie Ri hl, auch dahin aus, dass die Vorhoftachy¬
systolie mit dem Vorhofflimmern eine Verwandtschaft zeige, und
dass Uebergänge Vorkommen.
Fahr en kamp9 *) kam dann 1913 in einer Mitteilung „Ueber
das Elektrokardiogramm der Arhythmia perpetua“ auf S. 311 zu dem
Schluss, dass das Gemeinsame eine Störung der Vorhofstätigkeit sei,
wie ich es schon 1903 angegeben habe. Diese Vorhofstörung besteht,
sagt Fahrenkamp weiter, nicht in Flimmern, sondern in rhyth¬
mischer oder arhythmischer Tachysystolie der Vorhöfe.“ Zu diesem
Schlusssätze stimmt seine Angabe auf S. 327 nicht: „Nur bei 4 Kran¬
ken konnten wir die Diagnose der flimmernden Vorhöfe aufrecht er¬
halten.“ Auf derselben Seite sagt der Autor weiter: „Es wäre ja
5) Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 3. S. 499. Nov 1906.
n) Hearth Vol. II S. 177, 10. Mai 1911.
) lieart Vol. III S. 279, Juni 1912 (die Mitteilung von Ri hl aus
dem Jahre 1905 ist auch Lewis entgangen).
8) Heart Vol. IV S. 171, 30. Nov. 1912.
") Arch. f. klin. M. 112. 1913. S. 302. — Es wäre noch eine Mit¬
teilung von E. D o n z e 1 o t et C. P e z z i zu erwähnen (Soc. med.
des Höpitaux, Paris, März 1914), in welcher ein Fall von Vorhof-
tachysystolje von 300 publiziert ist, der mit Dissoziation kombiniert
war. Die Autoren erwähnen einen Fall von Vorhoftachysystolie
von 360, den Lambry und P a r o n veröffentlicht haben. Da mir
diese Publikation nicht zugänglich ist, kann ich nicht beurteilen, ob es
sich um eine rhythmische Vorhoftachysystolie oder um P. i. p.
gehandelt hat.
denkbar, dass bei zunehmender Frequenz eine Arhythmie der Vor¬
höfe an die Stelle einer rhythmischen Tätigkeit tritt und dass die
arhythmische Tachysystolie den Uebergang zum Flimmern darstellt."
Wie ich schon erwähnte, ist dies experimentell lang bekannt und es
ist das ein Vorlesungsexperiment, das sich jederzeit leicht detnon-
I girieren lässt, dass bei entsprechender Steigerung der künstlichen
elektrischen Reizfrequenz die rhythmische Vorhoftachysystolie in
eine arrhythmische und diese in Flimmern übergehen kann. Aus den
sehr zahlreichen Kurven von Hunden und Kaninchen, die ich darüber
besitze, geht z. B. auch hervor, dass bei Reizung des einen Vorhofs
der nicht direkt gereizte Vorhof durchaus nicht immer das gleiche
Verhalten zeigt, wie der direkt gereizte.
Es wäre ferner zu sagen, dass Fahrenkamp die Fälle von
rhythmischer von denen mit arhythmischer Tachysystolie nicht ge¬
nügend trennt und überhaupt nur einen Fall von rhythmischer
Vorhoftachysystolie (es ist das Fall 33, der den Fällen von Ri hl
analog ist), elektrokardiographisch zur Abbildung gebracht hat, alle
anderen abgebildeten Fälle entsprechen dem P. i. p. Es ist daher in
seinem Schlussatze auch nicht zutreffend, zu sagen, die Vorhofstö¬
rung des P. i. p. bestehe in rhythmischer oder arhythmischer Vorhof¬
tachysystolie. , , „
Wenn man will, kann man das Flimmern als einen hohen Grau
von arhythmischer Vorhoftachysystolie bezeichnen, obwohl es besser
erscheint, den Ausdruck Vorhoftachysystolie nur bei koordinierter
Vorhoftätigkeit zu benützen.
Ueber das elektrische Flimmern, d. h. das auf elektrische Reizt
hin auftretende Flimmern, hat sich 1903 Trendelen bürg "’) am
Grund von Versuchen am Froschherzen geäussert. Er bezieht sicli
da auf die schon vorher bekannte und von ihm nach F. B. Hof-
mann (1901) weiter studierte Tatsache, dass, wie ich11 * * *) es 1902
auch vom menschlichen Herzen angegeben hatte, mit zunehmen¬
der Reizfrequenz die refraktäre Phase des Herzens sich verkürzt
und dass auf die hohe Reizfrequenz nicht immer alle Muskelfaser!
ansprechen, so dass das Flimmern „als Ausdruck verschiedener Kon¬
traktionsfrequenz zu deuten wäre“. Ich stimme mit T r e n d e 1 e n -
bürg darin überein, dass es bei dem elektrischen, aber, wie ich
meine, auch bei dem sogen, überdauernden oder dem spontaner
Flimmern sich um eine Zunahme der Reizfrequenz handelt, dass mii
Zunahme der Reizfrequenz sich die refraktäre Phase verkürzt, unt
dass an dieser Verkürzung der refraktären Phase nicht alle Muskel¬
fasern in gleichem Masse teilnehmen.
Es kommt nun ganz auf das Verhältnis der erhöhten Reiz¬
frequenz R zu der Anspruchsfähigkeit A der direkt gereizten, wie
auch der auf dem Leitungswege erregten Muskelfasern an, ob es zi
einer rhythmischen oder arhythmischen Tachysystolie bzw. Flimmert
kommt. Je grösser A ist, desto grösser kann auch R sein, ohm
dass es zu einer arhythmischen Tachysystolie bzw. Flimmern kommt
das jedoch eintritt, wenn R im Verhältnis zu A zu gross bzw. A irr
Verhältnis zu R zu klein wird.
Da es sich beim Flimmern um eine arhythmischi
Tätigkeit des flimmernden Herzabschnittes handelt, lässt siel
bezüglich des P. i. p. und der Vorhoftachysystolie folgende;
sagen:
Dervon mir 1 903 abgesonderte Pulsus irre
gularis perpetuus verdankt seine Entsteh uni
einer hochgradig arhythmischen Vorhof
tachysystolie (Flimmern); die 1905 zuerst vor
R i h 1 aus meiner Klinik beschriebenen Fällt
von Vorhoftachysystolie einer rhythmischer
Vorhoftachysystolie.
Beide haben unter anderem gemeinsam:
1. die hohe Reizfrequenz (Tachyerethismus),
2. die Heterotopie der Reizbildung,
3. den Kammersystolenausfall.
Sie unterscheiden sich aber dadurch, dass beim P. i. p. du
Vorhoftätigkeit eine arhythmische ist, im Gegensatz zui
rhythmischen Vorhoftachysystolie.
Daraus ergibt sich des weiteren, dass die Kammer
arhythrnie beim P. i. p. nicht lediglich durch dii
Ueberleitungsstörung an der Vorhof-Kammergrenzc
sondern ausserdem auch durch die Vorhof
arhythrnie bedingt wird. Es zeigt demnach im allgemeinei
der P. i. p. einen höhergradigen pathologi
sehen Zustand der Vorhöfe an als die rhyth
m ische Vorhoftachysystolie.
So wie der P. i. p. ist auch die Vorhoftachysystolie sein
oft eine p e r p e t u e 1 1 e 1S); beide sind sich auch in diesen
Punkte ähnlich.
“’) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1903 S. 271. .
“) Pflügers Arch. 89. 1902. S. 283.
12) Dabei sei erwähnt, dass sich manche an das Attribut per
petuus gestossen haben; da der P. i. p. auch" vorübergehend vor
13. Oktober 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ausser den genannten Gemeinsamkeiten hat der P. i. p.
mit der Vorhoftachysystolie auch wohl noch den Aus¬
gangsort gemeinsam. Ich habe schon 1909 darauf hin¬
gewiesen, dass sich beim Pulsus irreg ularis per-
petuus die Ursprungsreize vielleicht in der
Gegend des I awaraschen Knotens e n t w i k -
kein, worunter ich jene Gegend verstand, die A s c h o f f
jetzt Vorhofsteil des 1 a w a r a sehen Knotens nennt. Von
Gegend sprach ich, da der Ort ganz in der Nähe des Ta-
w a r a sehen Knotens lag; Vorhofsystolen, die von jenem
Orte ausgingen, folgten Kammersystolen in einem klei¬
neren Intervall als dem normalen.
Bezüglich des Ortes, von dem die rhythmische Vorhof¬
tachysystolie ausgeht, gewinnt man Anhaltspunkte durch die
Aufnahme des Elektrokardiogramms bei verschiedener
Ableitung, wie dies zuerst in der Mitteilung von R i h 1 2) an¬
gegeben wurde. Die kombinierte Venen- und Arterienpuls¬
schreibung hatte im Falle VI schon eine gewisse Verkürzung
des Intervalles a— c ergeben. Die Verschiedenheit der Vorhof¬
elektrokardiogramme bei verschiedener Ableitung (positiv und
sehr klein bei Abi. I, negativ 14) und gross bei Abi. III) wies
darauf hin, dass in diesem Falle der Ausgangspunkt der Vor-
hoferregung gegen die Basis der supraventrikulären Herz¬
abschnitte verlagert war. Ich habe dann im Zusammenhang
mit meiner obenerwähnten Beobachtung am Hundeherzen
1912 1 ) darauf aufmerksam gemacht, dass es sich wahrschein¬
lich um Koronarsinus rhythmus handelt, da Erlanger
und Blackmann lft) 1907 angegeben hatten, dass die Region
des Koronarvenensinus einen relativ hohen Grad von Auto¬
matic besitzt.
Damit stimmt die 1913 erfolgte experimentelle Angabe von G a n -
ter und Zahn1') überein, dass Vorhoftachykardien mit negativer
\ orhofzacke vom obersten Teil des Atrioventrikularknotens aus¬
gehen, worunter sie die Gegend der Koronarveneneinmündung ver-
stehen. . Leider fehlt die Angabe über die Art der Ableitung, die
wichtig ist; auch scheinen sie nur eine Ableitung benützt zu haben;
die Frequenz betrug ca. 250; es fehlt auch die Angabe, an welchen
Säugetieren sie gearbeitet haben.
Da die Vorhoftachysystolie in P. ii. p. übergehen kann
und erstere im Bereich des spezifischen Systems vom Koro¬
narvenensinus bis zum Tawaraknoten ihren Ausgangspunkt
zu nehmen pflegt, so spricht auch dies für den gleichen Ab¬
gangsort des P. i. p. Es ist kaum nötig hinzuzufügen, dass der
Ausgangspunkt für beide Unregelmässigkeiten nicht unterhalb
des Tawaraknotens liegt.
Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, dass A. L o h m a n n 1!)
an Jahre 1904 auf S. 449 folgendes angegeben hat: „Bei einem Munde
wurden aller Wahrscheinlichkeit nach die Blockfasern durch einen
Nadelstich in so starke automatische Erregung versetzt, dass sie
etwa eine halbe Stunde anhaltendes Flimmern des Herzens be¬
wirkte.“
Dazu sei bemerkt, dass es sich nicht um Flimmern des Herzens,
''Ondern der Vorhöfe handelte, und ferner, dass aus der Beschrei¬
bung und Abbildung der Gegend des Stiches und auf Grund unserer
aeutigen Kenntnisse der spezifischen Muskelsysteme hervorgeht, dass
-ier Stich nicht das eigentliche Bündel, sondern die Gegend zwischen
Koronarsinus und Tawaraknoten traf. (Schluss folgt.)
rvommen kann; letzteres ist ganz richtig und von mir auch schon
frühzeitig angegeben worden; besteht jedoch die Neigung zum P. i. p.
'ei einem Patienten, so wird er bei wiederholtem Auftreten gewöhn¬
en ein dauernder; das sind die so häufig zu beobachtenden Fälle,
und nach der Mehrzahl dieser Fälle von höhergradig pathologischem
-narakter ist der Name P. i. perpetuus ganz zutreffend. Dabei sei
-r wähnt, dass mir kein Fall bekannt ist, der, nachdem er einige Male
urühergehend P. i. p. zeigte, später ihn nicht dauernd gezeigt hätte,
orausgesetzt, dass er nicht zuvor starb.
,J) M.m.W. 1909 Nr. 17.
H) Negative P-Zacke bei Abi. I habe ich 1909 (Pflügers Arch.
' • (909 und Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 7. 1909) beschrieben;
•s se> hier erwähnt, dass P bei Abi. II bzw. III immer negativ
st’ wenn die Vorhöfe rückläufig von den Kammern aus erregt
A erden, was ja auch zu erwarten war. Wo der Ausgangspunkt ge-
egen ist, wenn P bei Abi. I negativ ist, steht noch nicht fest.
9 Pflügers Arch. 148. 1912. S. 184; sowie W.kl.W. 1912 Nr. 40.
) Americ. Journ. of Physiol. Vol. 19, Juni 1907.
) Vcrhandl. des XXX. D. Kongr. f. inn. M. 1913 S. 2 78.
' Arch. f. Anat. u. Physiol. 1904 S. 448.
2059
Ueber die sekundären Veränderungen („traumatische
Malazie“) nach Frakturen des 0s lunatum und 0s
naviculare carpi* *).
Von Dr. v. Gaza, Chirurg in Leipzig-Gohlis.
Es ist wohl kein Zufall, dass eine Reihe von subtilen Er¬
krankungen an Knochen oder Knochenabschnitten des Körpers,
die rein spongiösen Aufbaues sind, erst jetzt als bestimmte
Krankheitsbilder klinisch charakterisiert worden sind, seitdem
die Röntgenstrahlen auch über feinere Veränderungen, die der
äusseren Untersuchung früher unzugänglich waren, Aufschluss
zu geben vermögen. Es sei hier nur erinnert an die Spät¬
folgen einer Wirbelsäulenkontusion (Kümmel Ische Kyphose),
an die krankhaften Knochenprozesse am Oberschenkelhals und
-köpf und besonders an die Erkrankungen der Fuss- und
Handwurzel, wie die Köhler sehe Erkrankung des Os navi¬
culare pedis, die Handwurzelknochenbrüche etc. Die meisten
dieser Erkrankungen sind, nachdem sie jetzt klinisch fest cha¬
rakterisiert worden sind, wenn auch über ihre ätiologische und
substantielle Richtigkeit eine Menge Streitfragen offen sind, mit
Wahrscheinlichkeit zu diagnostizieren, falls dem Untersucher
das Krankheitsbild überhaupt nur bekannt ist. Meist sind es
chronische Erkrankungen, die besonders um der wichtigen
Frage der Unfallfolgen und wegen ihrer schweren klinischen
Erscheinungen anatomisch aufzuklären sind.
Mir sind in der letzten Zeit 2 Fälle einer verhältnismässig
seltenen Erkrankung des Os lunatum carpi begegnet. Der eine
wurde von dem behandelnden Arzt wegen der Langwierigkeit
der Ei krankung und des äusserlich negativen' Befundes bei
schweren subjektiven Beschwerden zur Röntgenaufnahme
überwiesen, den anderen hatte ich wegen seiner Unfallfolgen
zu begutachten. Bei beiden war das Krankheitsbild vorher un¬
klar, die Röntgenaufnahme wies einen krankhaften Befund im
Mondbein als Ursache der Beschwerden auf.
Krankengeschichte Fall 1.
Anamnese; 31 jähriger kräftiger Mann, der früher nie ernst¬
lich erkrankt war, keine Knochenerkrankungen (Rhachitis) durch¬
gemacht hatte. Am 16. VI. 1911 rutschte er beim Tragen eines
Balkens aus, hielt aber den Balken fest und stürzte mit demselben so,
dass das Handgelenk nach unten (volar) und nach aussen (ulnar)
durchgedrückt wurde. Ein heftiger Schmerz im Handgelenk hinderte
ihn doch nicht, noch 1 Stunde weiter zu arbeiten. Am nächsten Tage
wurde er vom Arzt krank geschrieben, blieb es 2M> Monate, trotzdem
nur eine mässig starke Schwellung der Handgelenksgegend eintrat;
dann hat er nur versuchsweise wieder gearbeitet, aber seinen
schweren Beruf als Bauarbeiter nicht wieder ganz verrichten können.
Er wurde häufig wieder krank geschrieben, bezog 10 Proz. Unfall¬
rente.
Befund: Der Befund am Handgelenk war äusserlich negativ,
nur in der Gegend radial dicht neben den Beugesehnen besteht eine
geringe in der Tiefe sitzende Schwellung. Die Beweglichkeit im
Handgelenk ist nur in dorsaler Richtung, in der Streckung etwas
behindert und schmerzhaft. Der rechte Unterarm misst im Umfang
2 cm weniger als der linke. Für die von dem Mann behaupteten
starken Schmerzen am ganzen rechten Arm ergab das Röntgenbild
folgenden krankhaften Befund als Ursache: Das Os lunatum ist auf
“/» seiner Grösse zusammengesintert, seine Knochenbälkchenstruktur
vollkommen verschwunden und an deren Stelle eine unregelmässig
fleckige Strukturzeichnung getreten. Es ist nicht die eigentliche
alveoläre Aufhellung, wie man sie bisweilen als Inaktivitätsatrophie
bei Entzündung oder Verletzung der Hand findet, sondern ganz helle
Flecke liegen neben tiefdunklen Verdichtungen, als ob die Kalksalze
hin und her gewandert wären. Das Os lunatum ist in seitlicher An¬
sicht abgeflacht. Erst nach mehreren Röntgenaufnahmen zeigt eine
derselben eine deutliche Bruchlinie, die ungefähr durch die Mitte des
Os lunatum geht. Die benachbarten Gelenkflächen des Radius sind
unregelmässig, wie usuriert. Im Os triquetrum und Os capitatum
bestehen fleckige Aufhellungsherde, die sekundär zu sein scheinen,
jedenfalls mit denen des Os lunatum nicht zu vergleichen sind.
Diagnose: Es handelt sich um eine traumatische Affektion
am Os lunatum, die wahrscheinlich mit der in seitlicher Richtung
sichtbaren Frakturlinie ätiologisch in Zusammenhang steht (trau¬
matische Malazie nach Kienböck).
Das von Finsterer angegebene Zeichen des Stauchungs¬
schmerzes beim Beklopfen des 3. Metakarpus fand sich nach Fest¬
stellung der Diagnose auch bei diesem Manne. Er wurde auf 30 Proz.
erwerbsunfähig geschätzt. Den vorgeschlagenen operativen Eingriff
lehnte der Mann ab.
VI ) A^or^trüK, gehalten in der Med. Gesellschaft zu Leipzig am
1
2060
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 41.
Krankengeschichte Fall 2. (Hierzu Fig. 1 u. 2.)
Nach einem anscheinend harmlosen Unfall blieben dauernd
starke Beschwerden zurück, weswegen der Mann vom behandelnden
Arzt (Dr. Peters) zur Röntgenaufnahme überwiesen wurde.
Fig. 1 (zu Fall 2) Aufnahme in volar-dorsaler Ansicht Verschmälerung und Zerstörung
des Os lunatum.
Fig. 2 (zu Fall 2). Seitliche Ansicht. Querbruch im Os lunatum ; im volaren Bruchstück
mehrere Bruchlinien.
Anamnese: Der 39jährige Bauarbeiter St. erlitt am 5. III. 14
einen Unfall; ertrug mit 3 anderen Arbeitern ein 12 Zentner schweres
eisernes Rohr, welches plötzlich wegrutschte, so dass ihm die Hand
nach oben und nach dem Daumen zu weggerissen und das Hand¬
gelenk nach unten durchgedrückt wurde. Er hatte nur geringe
Schmerzen, schonte sich 2 Tage, nahm dann die Arbeit wieder auf
und arbeitete fast 7 Wochen lang. Allmählich verschlimmerten sich
die anfangs leichten Schmerzen im linken Handgelenk, so dass er
sich am 25. IV. krank meldete und seitdem nicht wieder gearbeitet
hat. Jetzt bestehen starke ausstrahlende Schmerzen am ganzen
linken Arm.
Befund: Sonst kräftiger gesunder Mann, ohne Anzeichen
einer anderweitigen schweren Erkrankung, einer Tuberkulose oder
Lues. Am linken Handgelenk ist äusserlich nicht viel zu sehen, nur
etwas distalwärts von der Verbindungslinie zwischen dem Griffel¬
fortsatz der Speiche und der Elle tritt auf dem Handrücken eine
bohnengrosse Anschwellung hervor, es besteht hier eine isolierte
Druckempfindlichkeit und man fühlt bei Bewegung feines Knarren und
Knacken. Die Bewegungen am Handgelenk sind wenig eingeschränkt,
stärker nur bei der Dorsalflexion. Beim Beklopfen des 3. Metakarpus
werden Schmerzen im Handgelenk ausgelöst.
Die Röntgenaufnahme zeigt wieder denselben typischen Befund
einer Verschmälerung des Mondbeines, einer fleckigen Aufhellung und
Verdichtung des Knochenschattens und das Fehlen jeglicher Struktur
bei der Aufnahme in dorsal-ulnarer Richtung. Am proximalen Rande
erscheint ein länglicher dunkler Schatten wie ein Sequester. Bei der
seitlichen Aufnahme sicht man ganz deutlich durch die Mitte des
Mondbeines mehrere Bruchspalten hindurchgehen, während dagegen
die Hälften nach dem Handrücken und der Hohlhand zu eine ziemlich
gut erhaltene Knochenstruktur aufweisen. Es fällt auf, dass das
volare und dorsale Knochenende sehr weit um die konvexe Gelenk¬
fläche des Os capitatum herübergeschoben sind. Offensichtlich ist die
schwere Veränderung, die bei der Aufnahme in dorsal-ulnarer Rich¬
tung eine vollkommene Zerstörung des Knochens vortäuscht, so zu
erklären, dass die gesunden Teile des Os lunatum durch ihre kreis¬
förmige Wanderung in den Schatten desOs capitatum gerückt sind und
dass die quere Frakturlinie in der Mitte des Knochens, wo die krank¬
haften Veränderungen hauptsächlich sitzen, die normale Struktur voll¬
kommen verdecken.
Diagnose: Fraktur des Os lunatum, sekundäre atrophische
Veränderungen in dem Knochen.
Nachuntersuchungen bis zum 4. Monat nach dem Unfall ergaben
auf den Röntgenbildern keine wesentlichen Veränderungen des Be¬
fundes, nur war der Knochen anscheinend noch mehr zusammen¬
gedrückt. Arthritische Veränderungen in den Nachbargelenken
konnten durch das Röntgenbild nicht mit Sicherheit festgestellt
werden. (Sie werden in der Folgezeit angesichts der starken Be¬
schwerden des Mannes kaum ausbleiben.)
Ueber die Brüche des Mondbeins war vor der Entdeckung
der Röntgenstrahlen wenig bekannt, wie ja überhaupt die iso¬
lierten Brüche einzelner Karpalknochen bis dahin meist nur als
Zufallsbefunde bei Sektionen, anatomischen Untersuchungen
(Pfitzner) oder Operationen beobachtet worden sind. Seit¬
dem wissen wir, dass die Brüche des Kahnbeins typisch und
gar nicht so selten sind, während dagegen die des Mondbeins
erst in etwa 50 Fällen beschrieben worden sind. Die Fraktur
des Os lunatum ist gewöhnlich ein Kompressionsbruch, der in
Ulnarflexion bei jungen Männern zustande kommt. Bei der
Ulnarflexion verlässt das Os naviculare die Gelenkpfanne des
Radius, so dass nunmehr bei schweren Stauchungen des Hand¬
gelenkes das Os lunatum den Puffer darstellt. Die Rissfrak¬
turen am Os lunatum sind sehr selten, meist handelt es sich
um kleine abgesprengte Stücke, die wohl mit den sie fest¬
haltenden Rändern abreissen. Während mitunter nur ganz
geringe Gewalteinwirkungen die Fraktur des Mondbeins her¬
beizuführen scheinen, handelt es sich in der Regel meist um
starke Traumen. Für die Symptomatologie des Mondeinbruchs
kann das von Finsterer angegebene Zeichen des Proximal-
wärtsriieker.s des Metakarpus III von Bedeutung sein, ebenso
wie der Stauchungsschmerz bei Beklopfen des 3. Metakarpus,
letzteres besonders in Ulnarflexion (Hirsch). Mitunter ist
die Volar- und Dorsalflexion behindert, während sonst die Be¬
wegungen im Handgelenk im allgemeinen nicht stark ein¬
geschränkt sind. Von schlechter Prognose sind mitunter die
Spätfolgen der Fraktur, die in arthritischen Veränderungen des
ja im hohen Grade ein Ganzes bildenden Handgelenkes be¬
stehen, die besonders am Radius einzutreten pflegen. Aus
ihnen erklären sich die ausstrahlenden Schmerzen im ganzen
Arm, die zur hochgradigen Behinderung der Erwerbsfähigkeit
führen können, so dass Dauerrenten von 30 — 40 Proz. mitunter
gewährt werden müssen.
Die ersten Angaben über eine Erkrankung des Os lunatum,
die unserer Frakturform entspricht, finden wir bei Pfitzner,
der in einer grossen anatomischen Untersuchungsreihe viermal
eine Veränderung fand, die er als Lunatum bipartitum be¬
zeichnet. Er hielt den Befund für das Produkt eines Zer¬
falls der Knochensubstanz durch bisher noch unbekannte Ent¬
artungserscheinungen. Wolf hielt diese Auffassung von einer
isolierten Erkrankung des Os lunatum für unwahrscheinlich. Er
13. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHFNSr.HPiFT
2061
"ahm vielmehr eine primäre Kompressionsfraktur an, die
schliesslich zu den pathologischen Veränderungen geführt habe.
Wir sehen also hier bereits die von uns für richtig gehaltene
Annahme, dass primär eine Fraktur vorliege, vertreten
.Nun be_ri1g!?1tlet Preis er im Jahre 1910, dass er am Os
naviculare 5 Falle von fleckiger Degeneration beobachtet habe,
die ihm als typisch erschienen, und er nahm an, dass es sich
in diesen Fallen um eine posttraumatische Ostitis handele, da
er primäre Frakturlinien nicht nachweisen konnte, sondern erst
in späteren Jahren der Erkrankung; diese seien dann Spontan¬
frakturen m dem erkrankten Knochen. Er rechnet allerdings
mit der Möglichkeit, dass immerhin eine bei den ersten Auf¬
nahmen nicht nachweisbare Infraktionslinie dagewesen sein
sein konnte. Er erklärt die Erkrankung entstanden durch
eine von ihm vermutete Zerreissung des Ligamentum radio-
-arpale (spez. des Lig. dorsale navitriquetrum) mit dem
zugleich die das Navikulare hauptsächlich versorgenden Blut¬
gefässe zerrissen wären; infolgedessen entwickele sich die
anämische Nekrose des Knochens, die er Ostitis nennt.
. reis er fand im Os naviculare kreisrunde und ovale Auf-
lellungcn, wie sie dann später für das Lunatum beschrieben
worden sind.
Kienböck gebührt dann das Verdienst, kurze Zeit
>pater zuerst in einer, sehr eingehenden Abhandlung auf das
.erhaltmsmässig häufige Vorkommen einer ganz gleichen
\ffektion am Os Iunatum wie am Os naviculare hingewiesen
:u haben. Er nimmt für seine Fälle ebenso wie P r e i s e r die
irimäre Zerreissung der Bänder mit den ernährenden Blut¬
gefässen an. Die sekundäre Erweichung und Brüchigkeit des
mochens führe dann später, manchmal nur nach geringen
raumen, zur Spontanfraktur. Er stützt sich bei seinen Aus-
uhrungen rein auf röntgenologische Befunde, anatomische
Nachprüfungen konnte er mangels operativer Eingriffe nicht
nstellen. Die zahlreichen von ihm gebrachten Röntgenbilder
eigen den üblichen Befund der fleckigen Degeneration und
er mehr oder weniger hochgradigen Zerstörung des Os
matum am proximalen Ende. Kienböck lehnt für seine
alle, wie für eine Reihe von Fällen aus der Literatur, die er
.untersucht hat, die Hauptdiagnose Fraktur ab und benennt
eine Erkrankung eine traumatische Malazie. Die mit der-
-’ben einhergehende Brüchigkeit des Knochens gebe Veran-
issung zur Entstehung späterer Spontanfrakturen. Leider
.ssen die von ihm wiedergegebenen Röntgenbilder in der Ver¬
eiterung, wie sie nun einmal bei röntgenologischen Repro-
uktionen in unseren Zeitschriften üblich sind, in der seitlichen
nsicht keine feineren Einzelheiten erkennen, dass man einen
ergleich mit unseren Röntgenbildern ziehen könnte, wo selbst
if den Originalplatten die Bruchspalten nur schwer zu er-
mnen sind. Die genauere Beschreibung aller feineren Ein-
Ineiten Flecken und Aufhellungen, wie sie Kienböck in
mutloser Weise gibt, halten wir für zu weitgehend, da ihr
ne praktische Bedeutung nicht zukommt. Ebenso können
ir seine apodiktischen Zusatzbeschreibungen zu den Röntgen¬
de™ anderer Autoren Leine Berechtigung zuerkennen.
Gleich nach den Veröffentlichungen von Pr eis er und
lenböck beschrieb Hirsch eine Form der Fraktur des
mnbeines in Art einer rundlichen, zentralen Aufhellung im
mper des Navikulare; der Arbeit sind klare Röntgenbilder
gegeben und vor allem in seinen beiden Fällen frisch, gleich
ch Verletzung pathologisch-anatomische Befunde erhoben
°™en (Schnitzler steht auf dem Standpunkt, dass bei
aktur des Kahnbeines die sofortige Exstirpation des Knochens
2 beste Behandlung seil). Beide Male fand sich bei der
x-ration in den nächsten Tagen nach dem Trauma im Knochen
je rrakturlinie und um dieselbe herum — entsprechend dem
en Fleck auf dem Röntgenbild — eine ausgedehnte Zer-
etschung der Knochenbälkchen im Zentrum des Knochens
u in dieser Zermalmungshöhle ein frisch-blutiger Brei. Die
den Hohlraum einmündende Bruchlinie war auf den
'ntgenbildern nur schwer erkennbar und zwar erst nachdem
verschiedenen Richtungen die günstigste Röhreneinstellung
^probiert worden war.
Hirsch meint auf Grund dieser früher autoplastischen
unde die allzu komplizierte Erklärung von
eis er und Kienböck widerlegt zu haben: „Eine mehr
oder weniger kreisrunde zentrale Aufhellung im Zentrum des
Kannbeines mit oder ohne deutliche, in die Aufhellung ein-
m+-L. 6 Frakturlinie entspricht einer typischen intra-
artikularen Fraktur des Kahnbeins mit ausgedehnter Zermal¬
mung von Knochenspongiosa“.
Von besonderem Interesse erscheint uns die in einer Be-
merkung zur Kienböck sehen Arbeit enthaltene Feststellung
n naenisch, der bei der Nachprüfung der Röntgenbilder
von Pr eis e r in allen Fällen einen feinen Knochen¬
sprung nachweisen konnte. Angesichts dieses späteren Nach-
uUT uAr\ei v?n P r e * s e r und der Befunde von
,, scbeint für das Os naviculare das wesentliche
e e Fraktur zu sein, die Aufhellung dagegen entweder eine
n Kn,ocheDnze>-störung nach Hirsch, oder ein sekun¬
därer De- oder Regenerationsvorgang im Sinne einer Knochen¬
heilung unter ungünstigen Bedingungen.
Wollenberg berichtet ebenfalls über einen in späteren
Radien operierten und anatomisch untersuchten Fall von
Knochenzyste im Os naviculare. Er glaubt dass eine
unvollständige Fraktur oder Infraktion des Navikulare vorge-
egen habe, trotzdem das Röntgenbild eine solche nicht, wohl
d süuküv P 6 fleckige Aufhellung zeigte; der spätere
M ^PT6SS i61, W°hI aUf die 3lte FraktUr ZUrückzU-
fuhren. Mikroskopisch lag an einigen Stellen, die den Knochen¬
necken entsprachen, fibrös-gallertiges Markgewebe, in dem die
SpongioMbalkchcn geschwunden waren. Riesenzellenanhäu-
ungen lagen in sarkomähnlicher Anordnung in der Gegend der
Bruchdache dazwischen nekrotische Spongiosabälkchen; an
einer Stelle fand sich geringe Kallusbildung. Wollenberg
glaube, dass der Krankheitsprozess analog sei der Osteo-
dystrophia cystica bei Ostitis fibrosa nach Mikulicz.
Gegenüber der Auffassung von der rein osteomalazischen
Natur unseres Krankheitsbildes verhält sich Baum ebenfalls
ganz ablehnend; er kommt auf Grund seiner anatomischen Be¬
funde bei 2 Fallen von traumatischer Erkrankung des Os luna-
tum zu dem Ergebnis, dass der mikroskopische Befund ganz
dem he! der Kallusheilung anderer Frakturen gleichzusetzen
sei, dass die ab- und aufbauenden Vorgänge in der Spongiosa¬
substanz der Handwurzelknochen rein sekundär auf die Fraktur
folgten. Die anatomischen Veränderungen bei seinen Fällen
entsprechen ganz denen, die Wollenberg am Os navi-
w ,.re Pfunden hatte> dagegen glaubt Baum 'die von
Wollenberg angenommene Analogie des Krankheitspro¬
zesses mit der Osteodystrophia cystica ablehnen zu müssen.
...l11// erste Fall von B. betraf einen jungen Mann, der 4 Jahre
seh? cHrbP^ifH’ anfan?s wenig Symptome machenden Verletzung,
l,pchmerze1n im Handgelenk bekam, die auch den Arm
^ e]L hatte „keine Ruhe bei Tag und Nacht“ Es
Ki'ednhdna^tr daS Pk Iuaaü™’ das auf dem Röntgenbild die von
K 1 e n b oc k zuerst beschriebene fleckige Veränderung darbot ex-
stirpiert, T°^z vorsichtiger Herausnahme brach der Knochen
Näcb.aJe„CaHer Besch Ä“'01*'6 mi' Sehr £u,er F"nk,,on und
, m ^'5 ,in s^.V5m .ei;st,en- so sassen auch im zweiten Falle die auf
hauotsächli Mi* r a H • ,sic..ht.baj;en Veränderungen der Knochensubstanz
hauptsächlich radialwarts (s. u. unsere Erklärung). Auch hier traten
die Beschwerden erst nach einigen Monaten so stark auf, dass die
Exstirpation des Os Iunatum nach 11 Monaten nötig wurde, die dann
nach Interposition eines Fettlappens völlige Heilung brachte. An dem
exsiirpierten Knochen war die dem Radius zugekehrte Gelenkfläche
wie bei einer Arthritis deformans weitgehend zerstört, der Knorpel
unregelmassig höckerig, usuriert, an einzelnen Stellen ganz ver-
B?ikXnen;n,ImripKn°rJen fan£ sichu eine Neubi,dlin^ von osteoiden
Balkchen aus dem fibrösen Gewebe der alten Zerstörungsstellen,
MpUi KnorPe,blIduos und Uebergänge dieser in Knochengewebe.
Nichts sprach für einen rem osteomalazischen Prozess. Die auch
oi u v!- e n b e r g gefundenen Riesenzellen fasst B. wohl mit Recht
als Reaktion des noch lebenden Knochengewebes auf die ungewöhn-
hch ausgedehnte aseptische Knochennekrose auf. An einzelnen
Stellen bestanden ausgedehnte Gewebsnekrosen (2. jüngerer Fall)
die wohl den Zysten auf dem Röntgenbild entsprachen und wolkige
losgeloste Anhäufungen, nekrotische Knochensubstanz, die von
Riesenzellen umgeben waren (Knochenschatten!). Auch Stellen
schleuniger .Entartung des Narbengewebes gehörten wohl zu dem
Bilde eines durch ungünstige Ernährungsbedingungen verlangsamten
oder hintangehaltenen Heilungsprozesses einer Zerquetschungs¬
fraktur des Mondbeines. K
Baum achtete bei der Operation auf event. Anzeichen für
die von Preis er und' Kienböck angenommene Zer¬
reissung des Ligamentum dorsale navitriquetrum, fand aber
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2062
keine Residuen einer solchen früheren Verletzung, die wohl
auch nur bei frisch operierten Fällen nachzuwcistn gewesen
wären. Hirsch hat gleichfalls bei seinen sofort operierten
Fällen von einer solchen Bänderzerreissung nichts erwähm,
obwohl er doch sicher nach der Arbeit der beiden Autoren
darauf geachtet haben wird.
Es liegen also für die malazische Erkrankung des Os
lunatum (und naviculare, die wohl als jener identisch anzu¬
sehen ist) 5 autoptische Befunde vor, die zum Teil genau
mikroskopisch nachuntersucht worden sind, und zwar urteilten
die Kliniker, die Chirurgen auf Grund dieser Befunde, dass die j
malazische Erweichung die unmittelbare (Hirse h) oder die
sekundäre Folge einer traumatischen primären Fraktur sei.
Im Gegensatz dazu steht die Auffassung der Röntgeno¬
logen P r e i s e r und Kienböck, es handle sich um Zer-
reissung des Lig. carpi dorsale und der in diesem verlaufenden
Gefäse, wodurch eine malazische Erkrankung des Knochens
verursacht würde, die dann sekundär zur Spontanfraktur
führen könne; dieser Auffassung hat sich, soweit ich die
Literatur kenne, kein Kliniker weiter angeschlossen.
Es soll hier gleich erwähnt sein, dass nach den Arbeiten
von Castruccios die Abreissung des Lig. radiocarpale nur
nach sehr grossen Gewalteinwirkungen erfolgen kann, dass
dagegen geringe Traumen, wie sie doch gerade bei den
Brüchen der Handwurzelknochen nicht zu selten beobachtet
werden, kaum zur Abreissung dieses kräftigen, mit dem
Periost und der Knochensubstanz fest verbundenen Bandes
führen dürften.
Bei der Beurteilung dieser Streitfrage sind meines Er- |
achtens noch 2 Tatsachen nicht genügend gewürdigt worden.
Es ist uns einerseits doch seit langem bekannt, dass in den
Knochen von rein spongiösem Aufbau, also den Karpal- und
Tarsalknochen, eine typische fleckig-lakunäre Aufhellung nach
verschiedenartigen Schädigungen (Trauma, Infektion, Inak¬
tivität) beobachtet wird, die durch Resorption und Apposition
von Kalksalzen in regelloser Weise bedingt ist; ich glaube auch,
dass gewisse Erkrankungen der Wirbelkörper (K ü in m e 1 1 -
sehe posttraumatische Kyphose) und des Schenkelkopfes und
-halses (Coxa var.a) jenen analog zu setzen sind; wir wissen
ferner, dass sich die feine architektonische Struktur in diesem
Knochen nach bestimmten statischen Gesetzen regelt; mit dem
Wegfall der statischen Momente durch die oben erwähnten
Ursachen fällt auch die Ursache des architektonischen Auf¬
baues fort, und regellose Resorptionsvorgänge setzen ein.
Der Gallus luxurians, den die Natur ohne Kontrolle statisch-
funktioneller Momente aufbaut, wird ja sonst bei Frakturen
nach der Wiederaufnahme der Funktion des Gliedes auch zum
grössten Teil resorbiert. Also die fleckige Aufhellung bei
traumatischen Erkrankungen der Handwurzelknochen er¬
scheint mir nicht als etwas Neues oder Besonderes, was gegen
Fraktur spräche; sie ist eine Eigentümlichkeit der Knochen¬
spongiosennatur.
Die andere Tatsache, auf die ich hinweisen möchte, ist
folgende: das Os lunatum liegt als sichelförmiger, länglicher
Knochen so, dass eine Aufnahme in dorsalvolarer Richtung nur
schwer eine Fraktur nachweisen kann, die in der grossen
Mehrzahl in der Mitte des Knochens erfolgt: die Knochen¬
schatten deckten sich hier einfach. Bei Aufnahme in solcher
Richtung wird man auch verleitet anzunehmen, dass der Zer¬
störungsprozess eine grössere Ausdehnung annimmt, als dies
in Wirklichkeit der Fall ist; denn die beiden Enden der Sichel
liegen bereits im Schatten des Os capitatum, man sieht nur
die Mitte des Lunatum projiziert (besonders, wenn wie bei
meinen Fällen die Enden des Lunatum auseinandergedrängt
werden und vor das Os capitatum wandern). Es ist also bei
der traumatischen Erkrankung des Os lunatum unbedingt zu
fordern, dass durch Aufnahme in radio-ulnarer Richtung ein
wahrscheinlicher Bruchspalt zu suchen ist, der mitunter erst
nach mehreren Aufnahmen in günstiger Aufnahmerichtung ge¬
funden wird. Wie solche feine Bruchlinien übersehen werden
können, zeigt die Bemerkung von Haenisch zu den Röntgen¬
bildern von P r e i s e r (s. d.). Es wird, wenn auch mitunter
erst nach mehreren Aufnahmen, fast ausnahmslos gelingen, die
in der Mitte der Mondbeinsichel liegenden Zerstörungsherde
und Frakturspalten zur Darstellung zu bringen. In unseren
beiden Fällen gelang es bei dem einen sofort, bei dem älteren
nach vielfachen Aufnahmen, die Bruchlinien unzweifelhaft fest¬
zustellen; dieselben verlaufen in der Richtung der Handfläche
sind beim 2. Falle mehrfach und gehen hier etwas in die
volare Hälfte des Knochens hinein, während die dorsale Hälfti
normal ist. In dem älteren Falle scheint ebenfalls der Zer¬
störungsprozess hauptsächlich in der Mitte des Lunatum zu
liegen, während die weiter von der Bruchlinie abliegender
Knochenhälften anscheinend normal strukturiert sind. Ici
stelle mir den Vorgang bis und nach dem Trauma folgender-
müssen vor:
Das Os lunatum wird bei seiner Fraktur in der Mitte aus¬
einandergetrieben, es rückt durch den Druck des Radius mii
den Bruchenden auseinander, diese treten im Sinne einer Kreis¬
bewegung vor und hinter den Schatten des Os capitatum um
verdecken es, andererseits erscheint dadurch das Os lunatum
abgeflacht, ist es ja auch in Wirklichkeit und der sonst ihn
zugehörige Raum im Handwurzelgefüge verengt. Ich will hie,
nur kurz erwähnen, dass auch Ebermayer bei einem seiner
Fälle (50 jähr. Bäcker) die Bemerkung macht, dass da'
Lunatum in zwei Stücke gesprengt gewesen ist, von denei
das eine volar, das andere dorsal ausgewichen war.
Auf der Abbildung 2 erkennt man ohne weiteres, dass he
der Aufnahme in dorsal-volarer Richtung die beiden Enden de:
Os lunatum von dem Knochenschatten des Os capitulum ver-!
deckt sein müssen, da jene weit konvex um die konvex proxi
male Gelenkfläche herumgreifen müssen und ferner, dass die
mit dem Radius artikulierende Gelenkfläche des Os lunatun
auf der Höhe ihrer konvexen Fläche frakturiert ist; daher lieg
auch die scheinbar weitgehenste Zerstörung des Knochen:
gegen die üelenkfläche des Radius zu.
Zusammenfassung: Die als traumatische Malazii
(ohne primäre Fraktur) am Os lunatum und am Os naviculare
beschriebene Erkrankung ist eine Infraktion oder Fraktui
dieser Knochen, bei der entweder primär durch Zermalmung
der Knochenbälkchen um die Bruchlinie herum (navikulari
Hirsch) oder sekundär durch Resorptions- und Appositions
Vorgänge der Kalksubstanz auf dem Röntgenbild eine flecki;
lakunäre Aufhellung zu sehen ist. Die Frakturlinie geht beirr
Os lunatum in der Regel durch die Mitte des sichelförmigeij
Knochens und kann eindeutig nur durch Aufnahme in rac’io
ulnarer Richtung sichtbar gemacht werden.
Die schweren Knochenveränderungen in späteren Stadiei
der Monbeinfrakturen sind sekundärer Natur; sie sind über
haupt eine typische Erscheinung am spongiösen Knochen um
kommen als solche Spätfolgen auch anderswo am Knochei
von hauptsächlich spongiösem Aufbau vor (Coxa vara trauma
tica, Kümmel Ische Kyphose der Wirbelsäule, Fersenbein
hrüche und vielleicht die Köhler sehe Erkrankung des 0
naviculare pedis).
Die Frakturen machen häufig nach einem Latenzstadiun
von Monaten und Jahren ausserordentlich starke Beschwerden
die durch sekundär-arthritische Veränderungen besonders in
Radiokarpalgelenk verursacht werden. Die beste Behandlmi;
in solchen Fällen ist die Exstirpation des Handwurzelknoclien
mit eventueller Fettlappeninterposition in die entstanden'
Karpalliicke.
Literatur.
1. Pf it zu er: Beiträge zur Kenntnis des Extremitätenskelett'
Morphol. Arbeiten 4. 1895. — 2. Wolf: Frakturen des Os naviculare
D. Zschr. f. Chir. 69. 1903. — 3. Ebermayer: Ueber isolierte ver
letzungen der Handwurzelknoclien. Fortschr. d. Röntgenstr. 12. 1911,
— 4. Preiser: Eine typische posttraumatische und zur Spontan
fraktur führende Ostitis des Os naviculare carpi. Fortschr.
Röntgenstr. 15. 1910. — 5. Kienböck: Die traumatische Malazi
des Mondbeins. Fortschr. d. Röntgenstr. 16. 1910. — 6. Hirsen
Eine besondere Form des Kahnbeinbruches im Röntgenbild. Fortscm
d. Röntgenstr. 15. 1910/11. — 7. Ders.: Erg. d. Chir. u. Ortliop. 1
1914. — 8. Wollenberg: Knochenzyste im Os naviculan.
B.kl.W. 1910. — 9. Hänisch: Bemerkung zu dem Aufsatze ..lern
traumatische Malazie“ von Kienböck. — 10. Baum: Ueber m
traumatische Affektion des Os lunatum und naviculare carpi. Beut
z. klin. Chir. 87. 1913.
M. Oktober 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2063
Aus der Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Bonn.
Zweimalige Abortivheilung der Syphilis bei Reinfektion
nach 2 Jahren.
Von Erich Hoff m a n n.
In meiner letzten Arbeit über den Wert des Salvarsans
für die Abortivheilung der Syphilis (D.rn.W. 1914 Nr. 23) habe
ich auf ürund meiner eigenen Erfahrungen an einer Reihe
sorgfältig und lange beobachteter Fälle den Standpunkt ver¬
treten. dass durch die von mir empfohlene kombinierte
Hg-Salvars ankur die wirkliche Heilung der
primären Syphilis in fast allen Fällen er¬
reicht wird, und dass bei genügender Stärke der Kur auch
die frische sekundäre Erkrankung sehr oft
ähnlich günstig beeinflusst wird. Als ein Zeichen
dafür, dass die Abortivheilung gelungen ist, sehen die meisten
Autoren neben negativer WaR. im Blute die Feststellung gut
beobachteter Reinfektionen an. Allerdings ist in dieser
Beziehung eine kritische Betrachtung vielen der bisher ver¬
öffentlichten Fälle gegenüber nur zu berechtigt, da der Zeit¬
raum zwischen beiden Infektionen oft recht kurz angegeben
wird. Denn die I atsache, dass Pseudoprimäraffekte,
die von der Anfangserscheinung einer wirklichen neuen In¬
fektion nicht unterscheidbar sind, nicht ganz selten Vorkommen
und zu 1 äuschungen Anlass geben können, haben im An¬
schluss an mich [Denn. Zschr. 1905, S. 491 *)] besonders Thal-
mann und F r i e b o e s hervorgehoben. Pseudoprimäraffekte
stellen sich gewöhnlich wenige Monate nach dem Abschluss
ein, entwickeln sich aus den der Vernichtung entgangenen
Spirochätennestern und können typische Lymphdrüsen-
'Chwellungen und später auch ein Exanthem zur Folge haben,
le grösser der Zwischenraum zwischen dem Ab¬
schluss der ersten Kur und dem Auftreten eines neuen Primär¬
affektes ist, um so wahrscheinlicher wird eine
wirkliche neue Infektion (Reinfektion), um so
unwahrscheinlicher andererseits eine Reinduration oder ein
Chancre redux. Zahlreiche Beobachtungen haben uns gelehrt,
dass bei misslungener Abortivheilung durch Salvarsanqueck-
ulberbehandlung die ersten Rückfallserscheinungen mit ziem-
iicher Regelmässigkeit etwa 5 — 6 Monate nach Kurschluss auf-
treten und nur ganz ausnahmsweise später noch sich ein¬
stellen. Tritt daher ein neuer Primäraffekt erst % bis 1 Jahr
'ach Abschluss der Abortivkur auf, so ist eine zweimalige An-
-teckung (Reinfektion) äusserst wahrscheinlich, wenn die
WaR. stets negativ geblieben und die Gelegenheit zu einer
leuen Ansteckung nachgewiesen ist. Wenn aber zwischen
Jer ersten und zweiten Erkrankung ein Intervall von mehr
ds 1—2 Jahren liegt, so ist ein Zweifel daran, dass wirklich
.'ine Reinfektion vorliegt, wohl auszuschliessen. Jedenfalls
ölt dies meiner Meinung nach sicher für den von mir jahre-
ang genau beobachteten, hier zu berichtenden Fall, bei dem
■uch die zweite Abortivkur einen vollen, nun
in Jahr anhaltenden Dauererfolg erzielt hat.
Derartige Fälle werden wohl auch von anderen Autoren,
Je mehr sichere Reinfektionen als ich beobachtet haben, ge-
ehen worden sein; sie sind aber mit Rücksicht auf die Frage
ier endgültigen Heilbarkeit der Syphilis doch so interessant,
’ass eine genaue Wiedergabe der Krankengeschichte gerecht-
ertigt erscheint, zumal da der Dauererfolg auch durch
-iimbalpunktion und provokatorische Salvarsaninjektion kon-
rolliert worden ist.
G-, 39 jähriger Kaufmann, ist bis auf eine vor 15 Jahren über-
landene Gonorrhöe stets gesund gewesen. Am 26. III., 2. IV. und
6. IV. hat er mit verschiedenen Prostituierten verkehrt; am 27. IV.
emerkte er eine wunde Stelle, die ein Spezialarzt zuerst für harmlos,
m s. V. aber für einen harten Schanker erklärte. Am 9. V. gab dieser
im eine Hg.-salicyl.-Spritze und wollte dann Salvarsan subkutan
nwenden. Am 13. V. 11 suchte der Patient, dem diese Methode
icht zusagte, mich auf.
Ich fand bei dem recht nervösen und blassen Manne einen
oh neu grossen Primäraffekt (Sp. p. +) im Sulcus coro-
arius. deutliche Schwellung der Leistendrüsen beiderseits, geringe
chwellung der Submaxillardrüsen, kein Exanthem oder sonstige All¬
emeinerscheinungen. Der Urin war frei von Eiweiss und blieb es
uch später.
*) Ucbcr einen Fall von z. T. gangränösen Chancres mixtes ai
ippe und Zunge mit später auftretendem Pseudoschanker
in Unterarm.
Vom 13. V. bis 22. VI. erhielt Pat. 24 Einreibungen zu
4 g und am 14. V. und 3. VI. je 0.3. am 22. VI. nochmals
0,22 Altsalvarsan. Die WaR. wurde bei jeder Infusion geprüft
und war stets negativ. Da Pat. sehr ängstlich war und über
Kopfhitze klagte, liess sich die Kur nur bis zu der geringen
Stärke von 1 Hg. - salicyl. - Spritze + 24 X 4 g Ung.
c i n. + 3 x Altsalvarsan (2 X 0,3 und 1 X 0,22) durchführen.
Die Erscheinungen waren völlig geschwunden und auch Drüsen¬
schwellungen nicht mehr nachzuweisen.
Die regelmässig alle 2 bis 3 Monate wieder¬
holte Blutprüfung ergab stets ein negatives Re¬
sultat. Nach einer am 3. XII. 11, also fast 6 Monate nach Ab¬
schluss der Kur, vorgenommenen provokatorischen In¬
fusion von 0,4 Altsalvarsan trat keine positive Schwan¬
kung auf und die regelmässige weitere Beobachtung zeigte stets
normale Verhältnisse.
Da kam der Patient am 20. VIII. 1913, also 2 Jahre und
2 Monate nach Abschluss der Abortivkur zu mir und
zeigte eine gut linsen grosse, derbe, mit Schorf be¬
deckte Platte am äusseren Vorhautblatt, also weit
entfernt von der Stelle des früheren Primäraffekts. Er gab zugleich
an, dass er am 10. Juli mit einer Prostituierten ohne Schutzmittel
verkehrt und eine kleine wunde Stelle seit dem 15. VIII. bemerkt
habe. Die WaR. war am 20. VIII. glatt negativ, der Spirochäten¬
befund am 23. VIII. nach Lösung des Schorfs in 2 Präparaten reich¬
lich positiv. In der linken Leistengegend fanden sich mehrere deutlich
geschwollene harte Drüsen, sonst keine Erscheinungen. Die kreis¬
runde Form der Erosion, ihr harter Grund, die Schinkenfarbe und
seröse Absonderung, sowie der reiche Gehalt an Sp. p. und die
typische Drüsenschwellung Hessen an der Diagnose Reinfektion
keinen Zweifel.
Am 24. VIII. wurde der Primäraffekt e x z i d i e r t, im Ge-
webssaftpräparat fanden sich wieder reichlich Spir. pall., ebenso im
auch sonst typischen histologischen Präparat.
24. VIII. 0,35 Altsalvarsan, WaR. — , Schmierkur zu 4 g.
31. VIII. 0,4 Altsalvarsan, WaR. H — h
7. IX. 0,4 Altsalvarsan, WaR. — .
14. IX 0.4 Altsalvarsan, WaR. — .
28. IX. 0,4 Altsalvarsan, WaR. — .
10. X. Nun auch 42 Einreibungen beendet, Gesamtstärke
der Kur also 5 X Altsalvarsan (4 X 0,4, 1 X 0,35) + 42 X 4 g
Ung. einer.
Die häufig wiederholte Blutprüfung und klinische Beobachtung
ergab nie etwas Abweichendes, nur einmal zeigte das Blut am
11. IV. 14 eine leichte Hemmung (WaR. ++, löste aber durch).
Die am gleichen Tage vorgenommene Lumbalpunktion ergab
aber völlig normale Verhältnisse und die am 1 9. IV.
wiederholte W-aR. fiel ganz negativ aus; ferner zeigte die provo¬
katorische Infusion von 0,3 Altsalvarsan bei fünf¬
maliger Blutprüfung stets schnelle Hämolyse.
Seitdem ist der Kranke weiter beobachtet und auch sein Blut stets
frei befunden worden (zuletzt 7. X. 14). Die zweite Kur hat er
viel besser vertragen als die erste und sich danach gut erholt.
In dem hier beschriebenen Falle wurde die erste syphi¬
litische Infektion im primären Stadium bei noch negativer
WaR. durch eine schwache kombinierte Kur
(0,82 Altsalvarsan + 1 Hg.-sal. -Spritze + 24 Einreibungen zu
4 g) geheilt, und der Dauererfolg durch sorgsame klinische
; Beobachtung, regelmässige Untersuchung der WaR. im Blute
und provokatorische Salvarsaninjektion kontrolliert. G u t
2 Jahre nach Abschluss der ersten Kur trat
etwas verzögert ein auffallend kleiner Pri¬
märaffekt weit entfernt von der Narbe des
ersten bei negativer WaR. auf, nachdem ein Coitus
impurus die Gelegenheit zu einer abermaligen Infektion ge¬
boten hatte. Aus dem langen freien Intervall, der typischen
Entwicklung des von Drüsenschwellung begleiteten Primär¬
affekts, dem reichen Spirochätengehalt und der noch negativen
WaR. im Blute konnte auf eine neue Ansteckung mit
Sicherheit geschlossen werden.
Auch die geringe positive Schwankung zu
Beginn der Kur unterstützt diese Auffassung; denn wenn
es sich um einen Pseudoprimäraffekt bei alter la¬
tenter Lues handelte, wäre ein länger dauernder, und deutlicher
Umschlag in die positive Phase zu erwarten gewesen. Uebri-
• gens scheint mir die leichte Hemmung der Hämolyse nicht
sicher genug; denn derartige Verzögerungen der Blutlösung
kommen auch bei Gesunden und erfolgreich Behandelten ge¬
legentlich einmal vor, ohne dass sie irgend etwas zu bedeuten
haben. Auch unser Patient zeigte später noch einmal
(11. IV. 14) eine geringe Hemmung oder besser Verzögerung
der Hämolyse, die, wie die weitere häufige Untersuchung,
auch nach provokatorischer Salvarsaninfusion, und das Er¬
gebnis der Lumbalpunktion ergaben, als rein zufällig und
2064
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 41.
bedeutungslos angesehen werden muss. Da ich ähnliche Be¬
obachtungen bei meinen sehr zahlreich wiederholten Blut¬
prüfungen noch in einzelnen anderen Fällen gemacht habe, so
halte ich das Streben nach zu grosser Verfeinerung der
W a R. für nicht zweckmässig; denn dabei werden
derartige Arzt und Patienten unnötig beunruhigende leichte
Hemmungen der Hämolyse öfters gefunden; viel besser ist es,
bei der Originalmethodc zu bleiben und geringfügige Hem¬
mungen nur insoweit zu beachten, dass man die Unter¬
suchungen häufiger wiederholt und event. durch provoka¬
torische Salvarsaninjektion verschärft.
Die zweite Infektion verlief, wie das nach Ausheilung der
ersten zu erwarten war, etwa ebenso wie eine erstmalige;
nur hat der Kranke den Primäraffekt erst 36 Tage nach
dem Coitus impurus bemerkt und dieser war 45 Tage
nach der Infektion nur gut linsengross und von
geringer Drüsenschwellung in einer Leiste begleitet. Ob das
ein Zufall ist oder eine Folge der schon einmal überstandenen
und geheilten Infektion, lässt sich nicht entscheiden. Die
zweite Abortivkur wurde bei dem Kranken absichtlich
viel stärker als die erste durchgeführt, weil es nicht unmöglich
erschien, dass die natürliche Heilkraft des Organismus durch
die erste Infektion gelitten haben könnte.
Für die Ausheilung der zweiten Syphilis¬
ansteckung spricht das nun ein Jahr lang be¬
obachtete Freibleiben von jeglichem Sym¬
ptom, der stets negative Ausfall der WaR. auch
nach provokatorischer Salvarsaninjektion
und der völlig normale Befund des Liquor cere¬
brospinalis 6 Monate nach Abschluss der Kur. Daher
scheint mir schon jetzt der Schluss erlaubt, dass in diesem
Falle eine zweimalige Abortivheilung der Sy¬
philis mit gut 2 j ä h r i g e m Intervall zwischen
beiden Infektionen gelungen ist.
Im Anschluss daran möchte ich noch hervorheben, dass
bei diesem Patienten eine schwache kombinierte
K u r (0,82 Altsalvarsan + 1 Hg-sal.-Spritze + 24 Einreibungen
zu 4 g Ung. ein.) einen vollen Dauererfolg erzielt hat, und
hinzufügen, dass sich unter meinen abortiv geheilten Fällen
noch einer befindet, bei dem die Kur noch weniger stark war.
Diese Erfahrung darf aber nicht Anlass geben, die Abortiv¬
kuren zu wenig intensiv zu machen, vielmehr bleibe ich bei
meinem schon mehrfach ausgesprochenen Rat, in jedem Falle
eine möglichst gründliche Vernichtung des
syphilitischen Virus anzustreben und lieber zu
viel als zu wenig Salvarsan und Quecksilber zu geben. Dass
die Kurve der WaR. dabei einen gewissen Anhalt für die
individuelle Bemessung der Kur gibt, habe ich früher schon
öfters betont.
Schliesslich habe ich S c h o 1 1 z auf eine unnötig scharf
gehaltene persönliche Bemerkung (B.kl.W. 1914 Nr. 33) zu er¬
widern, dass meine Art der Kur (etwa alle 7 Tage 0,3 bis
0,4 Altsalvarsan neben gründlicher Schmierkur unter Beob¬
achtung der WaR. -Kurve) dasselbe leistet, wie die später von
ihm empfohlene Häufung der Salvarsaninfusionen zu Beginn
und am Schluss der Hg-Kur und wegen ihrer Einfachheit den
Vorzug verdient. Dass schnell wiederholte Salvarsaninfusionen
eher Nebenerscheinungen machen können, als durch längere
Pausen getrennte, ist wohl auch nicht zu bestreiten.
Herzblock und Herzschuss.
Von Oberstabsarzt Dr. Koetzle in Strassburg i. Eis.
Die neueren Forschungen auf dem Gebiete der Anatomie
und Physiologie des Herzens haben zwar noch keine volle
Klarheit in das verwickelte Getriebe dieses unermüdlichen
Pumpwerkes gebracht, sie haben aber unsere Kenntnisse be¬
sonders der neuro-muskulären Elemente und des Reizleitungs¬
systems beträchtlich gefördert. Wie bei vielen anderen Fragen
hat auch hier die Klinik und die pathologische Anatomie die
Physiologie um wertvolle Erkenntnisse bereichert. So ist es
mehrfach gelungen, klinische Diagnosen von Reizleitungs¬
störungen durch anatomische Befunde zu erhärten und damit
die grosse Bedeutung, welche das Reizleitungssystem für den
Ablauf der Herzaktion hat, gewissermassen experimentell'auch
für den Menschen zu beweisen. Diese Fälle sind noch nicht
zahlreich und es mag daher gerechtfertigt erscheinen, einen
weiteren Fall mitzuteilen, bei dem es sich um eine Reizleitungs.
Störung nach einer Schussverletzung des Herzens handelt, um
so mehr, als bisher noch keine Beobachtung einer solchen mit
traumatischer Aetiologie bekannt ist.
Die wichtigsten Tatsachen der modernen Herzforschung,
wie sie zum Verständnis des Falles nötig sind, schicke ich vor¬
aus. Viele Punkte sind noch Gegenstand weiterer Unter¬
suchungen und lebhafter Kontroverse. Meine Ausführungen
stützen sich im wesentlichen auf die Verhandlungen der
Deutschen Pathologischen Gesellschaft 1910 Q.
Durch Untersuchungen von G a s k e 1 1,H i s jun. u. a. wissen
wir, dass in die quergestreifte Herzmuskulatur ein System
eigenartiger Fasern von mehr embryonalem Charakter
(Längsstreifung statt Querstreifung, stärkerer Glykogengehalt,
grösserer Sarkoplasmareichtum, Schmalheit der Fasern) ein¬
gebaut ist. Dieses besondere Muskelsystem findet sich beim
Menschen an folgenden Stellen des Herzens:
1. Am Uebergang vom Kavatrichter zum Sinus des rechten
Vorhof, das oberflächlich liegende Wenckebach sehe Faser¬
bündel, und die tiefer liegenden in die Ringmuskulatur des
Kavatrichters ausstrahlenden Koch sehen Fasern. Ihre Auf¬
fassung als Reizüberleitungssystem von Kava zu Vorhof wird
aber von A s c h o f f u. a. angezweifelt.
Unumstritten sichergestellt ist das Fasersystem an folgen¬
den Punkten, die für die Herzfunktion von fundamentaler Be¬
deutung sind.
2. Das Keith-Flacksche Bündel (auch Sinus¬
knoten genannt) an der Grenze zwischen Hohlvenensinus und
rechtem Vorhof. An dieser Stelle entsteht wahrscheinlich der
„Herzreiz“. Von ihr gehen längsgestreifte, sarkoplasmareichc
Fasern nach allen Richtungen in die umgebende Vorhof¬
muskulatur, in deren quergestreifte Fasern sie allmählich über¬
gehen * 2).
3. Der Tawara sehe Knoten im Septum atriorum an der
Wurzel der Aorta unterhalb der halbmondförmigen Klappe, an
der keine Koronararterie entspringt. Er liegt dicht oberhalb
des Septum fibrosum, das Vorhof und Kammer trennt, und ist
die Ursprungsstätte des H i s sehen Bündels. Dieses wichtige
Faserbündel, das gerade bei den Reizleitungsstörungen die
Hauptrolle spielt, gabelt sich in 2 Schenkel, die in der Kammer¬
scheidewand nach abwärts verlaufen, bald dicht unter dem
Endokard, bald tiefer in die Muskulatur vergraben, und sich in
der Muskulatur beider Ventrikel bis in die Papillarmuskeln hin¬
ein verteilen.
Dieses von H i s jun. zuerst beschriebene Bündel stellt die
einzige muskuläre Verbindung zwischen Vorhöfen
und Kammern dar, deren Muskulatur durch den Bindegewebs-
ring des Septum vollkommen getrennt ist. Es ist am mensch¬
lichen Herzen — allerdings nur unter grosser Vorsicht und
nach einiger Uebung — durch Präparation als dünner, einem
feinen Nerven ähnlich sehender, blassgelber Strang darzu¬
stellen 3).
Nun ist es eine wichtige anatomische Tatsache, dass an
diesen besonders strukturierten Stellen des Herzens zugleich
die Haupt-Ein- und Austrittspforten der Herznerven sich be¬
finden und in ihrer Nähe Hauptanhäufungen der Herzganglien
liegen, und dass mit dem H i s sehen Bündel Nervenfasern bis
in die Papillarmuskeln und die Kammerwände verlaufen
(Asch off). Es bestehen somit die allerengsten Beziehungen
zwischen dem eigenartigen Muskelfasernsystem und dem
Nervensystem des Herzens.
Welche Bedeutung und Funktion hat nun dieses differen¬
zierte Muskelsystem? Nach der einen Auffassung ist es
') Insbesondere die Vorträge von Aschoff, Hering.
Mönckeberg, Thorei, Mackenzie, Sternberg, Fahr.
Ausführliches Literaturverzeichnis bei Aschoff, ferner bei van
dem Heuvel. Dissertation Groningen 1908 (holländisch).
2) Eine Verbindung zwischen Sinusknoten und Ta war aschein
Knoten ist m. W. bisher noch nicht nachgewiesen, muss aber ver¬
mutet werden, so dass das Muskelsystem des Herzens vom Vorhof
ab bis zur Herzspitze in organischem Zusammenhang steht.
*) Für die Eigenart des Systems spricht auch die Tatsache, dass
es weder an der Hypertrophie noch an der Atrophie des erkrankten
Herzmuskels teilnimmt (Aschoff).
13. Oktober 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
kardiomotorisches Zentrum, von dem jede Herzbewegung aus¬
geht, nach der anderen, vor allem von K e i t h und M a cke n -
z i e vertretenen, Hat es lediglich die k o o r d i n i e r t c T ä t i g-
k e i t der einzelnen Herzabschnitte zu garantieren. Letztere
Annahme hat mehr Wahrscheinlichkeit für sich. Wird doch
auch die heute für das Säugetierherz wenigstens allgemein
anerkannte myogene Theorie der Herzbewegung dahin ver¬
standen, dass wohl die einzelnen Herzabschnitte — selbst
Muskelstücke, die sicher keine Ganglien enthalten — auto¬
matischer Kontraktion fähig sind, dabei aber nervösen Ein¬
flüssen in weitgehendem Grade unterworfen sind. Die
Ansicht Herings, dass die extrakardialen Nerven (Vagus
und Sympathikus) überhaupt keine motorischen Nerven für
den Herzmuskel führen, weil es im Experiment bisher noch
nicht gelungen war, durch Reizung der extrakardialen Nerven
eine sofortige Herzmuskelkontraktion — analog dem Skelett¬
muskel bei Reizung seines Bewegungsnervs — hervorzurufen,
wird durch Wenckebachs Versuche mit Vaguskompres¬
sionwiderlegt. Auch Erfahrungen bei Operationen4), wo durch
Mitfassen des Vagus in Klemmen schwere Reizerscheinungen
(Sinken des Blutdruckes, Pulsverlangsamung bis zum Herzstill¬
stand) auftraten, sprechen unbedingt für motorische Beeinfluss-
barkeit der Herzbewegung durch das extrakardiale Nerven¬
system.
Ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, will ich in
folgenden Sätzen zusammenstellen, was nach den Unter¬
suchungen der mehrfach genannten Forscher heute als fest¬
stehende Tatsache gelten kann:
1. Der rechte Vorhof mit seinem Sinusknoten (K eith-
F 1 a c k scher Knoten) ist der besonders automatisch "tätige
Teil der supraventrikulären Herzabschnitte.
2. Der Keith-Flack sehe Knoten, sowie der Tawara-
sche sind Stellen mit hoher Reizbildungsfähigkeit.
3. Das spezifische Fasersystem des Herzens besitzt in
erster Linie Reizleitungsfähigkeit und ist dem extra¬
kardialen Nervensystem untergeordnet. Es bewirkt die
Koordination der einzelnen Herzabschnitte, die unter beson¬
deren Umständen — meist pathologischen Einflüssen — auto¬
matisch tätig sein können.
4. Nach Durchschneidung des H i s sehen Bündels schlagen
die Kammern automatisch.
5. Der automatisch tätige Ventrikel schlägt viel langsamer
als der automatisch tätige Vorhof. Die automatische Tätig¬
keit erfolgt in bestimmtem Rhythmus.
Die Durchschneidung des atrioventrikulären H i s sehen
Bündels hebt die Fortleitung des Herzreizes, der wahrschein¬
lich in der Gegend des Sinusknotens entsteht, vom Vorhof
/um Ventrikel auf, Durchschneidung der atrioventrikulären
Nerven bündel dagegen nicht. Die Erregung wird also in
den Muskel fasern des spezifischen Systems weitergeleitet.
Eine leichte Abklemmung5) des H i s sehen Bündels lässt
Kammersystole in grösserer Pause auf die Vorhofsystole
folgen, bei stärkerem Druck fällt eine Kammerkontraktion
völlig aus, bei Durchtrennung schlagen die Kammern ganz
unabhängig von den Vorhöfen 30 — 40 mal und in der Minute.
Es besteht vollständiger Herzblock.
Genau wie im Experiment hat man diese Reizüberleitungs¬
störungen klinisch beim Menschen beobachten können, von
den vorübergehenden leichten Graden mit dem zeitweisen
Kammersystoleausfall (unvollständiger Herzblock) bis zur voll¬
kommenen Automatie der Ventrikel. Erstere sind beobachtet
bei Infektionskrankheiten wie Sepsis, Influenza (Wencke-
b a c h), Gonorrhöe, Typhus, Pneumonie, rheumatischen Infek¬
tionen, Nephritis (W e n c k e b a c h). In den schweren Fällen,
wo vollständige Dissoziation zwischen Vorhof und Ventrikel
Bestand, war das Bündel meist in seinem Hauptstamm zerstört.
Bie Obduktionsbefunde ergaben als Ursache Gummata, Kalk¬
herde, Schwielen ®), Aneurysma der rechten Aortentasche mit
4) Vgl. Fritsch: Bruns Beiträge 70. und Reich: Bruns Bei¬
träge 56.
5) Experimentell bei Hunden erzeugt durch mechanische Insulte
■nd auch durch Jodinjektion von Erlanger und Blackmann
Soc. for experimental biologie and medicine 1906. Vol. III.).
°) z, B. im Kammerseptum (E p p i n g e r und Rothberger
iei Asch off 1. c., ferner bei Fahr: Verhdl. d. D. pathol. Gescllsch.
1910).
Nr. 41.
Druck auf das Bündel. Der letztere Fall ist besonders inter¬
essant, weil die Druckstärke je nach dem Blutdruck schwankte
und bald die Erscheinungen unvollständigen Herzblocks mit
vorübergehendem Kammersystoleausfall bestanden, bald totale
Dissoziation. Bei Infektionskrankheiten ist die Prognose relativ
günstig. Durch Rückgang der entzündlichen Veränderungen
kann Besserung eintreten und die Reizleitungsstörungen
können verschwinden.
Interessant sind auch die Beobachtungen V o 1 h a r d s '),
der im Experiment nachwies, wie die Dissoziation häufig im
Moment ihres Eintretens von Ohnmachtsanfällen begleitet war,
die er dadurch erklärte, dass die Ventrikel nicht sofort nach
der Reizlehungsunterbrechung anfingen automatisch zu
schlagen. Sobald die Dissoziation dauernd war, hörten die
Anfälle auf. Es ist das nichts anderes als die experimentelle
Erzeugung des Adam-Stokes sehen Symptomenkomplexes
(Bradykardie mit Anfällen von Ohnmacht).
Ich lasse nun den von mir beobachteten Fall folgen:
Bei einem Soldaten, der sich in selbstmörderischer Absicht eine
Kugel aus einem Revolver .von 9 mm Kaliber in die Brust gejagt hatte,
wm.ie8\nach anfänglich günstigem Verlauf infolge Infektion der
Wunde“) nach etwa 3 Wochen zu einer schweren Perikarditis und
Pleuritis. Als ich, wegen eines ev. chirurgischen Eingriffes zur Kon¬
sultation gerufen, den Patienten sah, bestand hochgradige Dyspnoe
bei kleinem fadenförmigen Puls zwischen 70 und 80 und einer Tem¬
peratur von 37,5. Dabei bestand Anasarka der unteren Körperhälfte
bis zum Brustkorb und Aszites.
Die Prognose schien höchst infaust, ein chirurgischer Eingriff
kam nicht in Frage. Der Patient erholte sich aber wtder Erwarten
und wurde sogar wieder dienstfähig. Ein Jahr nach dem Selbstmord-
versuch untersuchte ich den Mann, der nach seiner Entlassung vom
Militär als Pferdeknecht arbeitete. Er sah leicht zyanotisch, sonst
aber gesund und kräftig aus, beklagte sich aber bei körperlichen
Anstrengungen über Atemnot. Die Herzdämpfung war nach rechts
und links verbreitert, ab und zu hörte man — im Liegen — ein
systolisches Geräusch. Dazu bestanden Zeichen von Schwarten¬
bildung im rechten Brustfellraum und Skoliose der Brustwirbelsäule,
Bei der Röntgenuntersuchung fand sich das Geschoss im retro-
kardiären Raum nahe der Wirbelsäule und dem rechten Vorhof an¬
liegend. Es machte die Herzbewegungen mit, lag aber offenbar extra¬
mural. Bei tiefer Einatmung lag es etwa 2 Querfinger oberhalb des
Zwerchfells.
Die Untersuchung des Pulses ergab eine dauernde, gleichmässige
Bradykardie von 40 Schlägen in der Minute. Der Puls ist dabei
kräftig, regelmässig. Nach körperlichen Anstrengungen (Laufschritt.
Kniebeugen) stieg er für die Dauer einer Minute auf 48.
Ich habe diese auffallende Pulsverlangsamung als Vagus¬
reizung aufgefasst, obwohl ich bei längerer Ueberlegung auch
an eine Reizleitungsstörung gedacht habe, aber mangels Er¬
fahrung auf diesem Gebiete habe ich diese Erklärung als die
weniger wahrscheinliche bezeichnet. Der Sitz der Kugel an
der Wirbelsäule, in der Nähe der grossen Gefässe und des
Vagus verführte mich dazu, eine Reizung beider Vagi durch
die in Narbengewebe eingebettete Kugel, die sich zudem noch
mit dem Herzen bewegte, anzunehmen.
Diese Erklärung gab ich auch als die wahrscheinlichste in
einem Vortrag, den ich in der Strassburger militärärztlichen
Gesellschaft über Herzschüsse hielt. In der Diskussion be¬
merkte Professor Wenckebach, dass die niedrige Puls¬
frequenz von 40 gegen eine Vagusreizung spreche. Eine der¬
artige Verlangsamung mache eine Dissoziation wahr¬
scheinlich. Gerade das Tempo von 40 sei das der automatisch
schlagenden Ventrikel. Auf seine Anregung veranlasste ich
den Mann zu einer 8 tägigen Aufnahme in die Strassburger
Medizinische Klinik.
Die eingehende Untersuchung ergab in der
Tat das Vorliegen eines vollständigen Herz¬
blocks.
Die Aufnahme mehrerer Jugularvenenpulskurven, welche
über die Arbeit des rechten Vorhofs Aufschluss geben, er¬
wiesen, dass die Vorhöfe wie beim Gesunden 70—7 2 mal in der
Minute schlagen, die Ventrikel, deren Tätigkeit gleichzeitig
durch Aufnahme eines Kardiogramms registriert wurde, da¬
gegen nur 40 mal. Die automatische Kammerkontraktion beim
Herzblock verläuft langsamer, als die auf Reizleitung hin er¬
folgende, ist daher ausgiebig und kräftig — vorausgesetzt.
7) Bei A s c h o f f 1. c.
8) Der Mann war die ersten 8 Tage in seinem Heimatsort be¬
handelt worden. — Was Asepsis anlangt offenbar mangelhaft.
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 41.
2066
dass der Herzmuskel gesund ist. Nur so erklärt sieh, dass ein
Mensch mit vollkommener Dissoziation leben und sogar ar¬
beiten kann. Ebenso aber lässt sich auch begreifen, dass ein
derartiges Herz über keinerlei Reservekraft mehr verfügt,
weil eine raschere und ausgiebigere 'lätigkeit beim automatisch
schlagenden Ventrikel ausgeschlossen ist. So machen sich bei
dein Manne in dem geschilderten Falle auch schon bei geringen
körperlichen Anstrengungen Zeichen von Insuffizienz geltend,
die sicher nicht allein auf die bestehende Herzerweiterung zu
beziehen sind.
Interessant ist folgender Versuch, der in der Klinik mit
dem Manne angestellt wurde:
Nach Verabreichung von Atropin, das bekanntlich den Vagus
lähmt und so die Herzaktion beschleunigt, schlugen zwar die Vorhöfe
schneller, die Ventrikel behielten aber ihr Tempo von 40 in der
Minute bei. Damit ist erstens bewiesen, dass Atropin auf die Herz¬
nerven wirkt und nicht auf den Herzmuskel. Denn sonst wäre die
Ventrikeltätigkeit ebenfalls beeinflusst worden. Zweitens ist damit
bewiesen, dass die Reizleitung zum Ventrikel unterbrochen ist. Denn
bei intakter Reizleitung wird der zum Sinusknoten gelangende ner¬
vöse Atropinreiz an die Kammern auf dem Wege des atrioventriku¬
lären Bündels weitergegeben.
Nach alledem unterliegt es keinem Zweifel, dass eine Reiz-
leitungsstörung die Bradykardie verursacht hat und zwar liegt
eine völlige Unterbrechung vor, also vollständiger Herzblock.
Wie kann nun dieser entstanden sein?
Nach meiner Ansicht durch das Geschoss, welches das
Herz durchbohrt hat und durch Narbenprozess in der Kammer-
wand das H i s sehe Bündel unterbrochen hat.
Ich will gleich dem Einwand begegnen, dass eine Herz-
muskelverletzung in diesem Falle mit Sicherheit gar nicht
nachgewiesen sei. Es ist zuzugeben, dass der exakte Beweis
ja nur durch Autopsie in vivo aut in mortuo zu erbringen ist.
Allein ich glaube auch ohne diesen Nachweis ist hier ein
Zweifel kaum möglich, dass das Geschoss das Herz durch¬
bohrt hat. Es sind Fälle genug bekannt 9), wo Herzschussver¬
letzungen, sogar Durchbohrungen der Kammerzwischenwand,
auf der die Bündelschenkel verlaufen, später nicht durch
Operation, sondern auf dem Sektionstisch nachgewiesen
werden konnten, ohne dass die Verletzung den Tod herbei¬
geführt hatte.
Rekonstruiert man im geschilderten Falle den Schusskanal
— Einschuss dicht am linken Brustbeinrand in Warzenhöhe,
Sitz der Kugel hinter dem rechten Vorhof — so führt er mitten
durch Herz. Dass die Kugel nach Art der sogen. Kontur¬
schüsse oder Bardeleben scher Ringelschüsse um das Herz
hcrumgegangen wäre, ist wohl nicht anzunehmen.
Der Verlauf des Schusskanals lässt ohne weiteres die An¬
nahme zu, dass das Kammerseptum verletzt war. Denn nur
so ist es möglich, dass das reizleitende Bündel alteriert
wurde, nicht direkt durchschossen. Denn dagegen sprechen
2 Gründe: einmal die langsame und späte Entwicklung der
Bradykardie und zweitens, weil plötzliche Unterbrechung
der Reizleitung wenigstens im Experiment Herzstillstand her¬
vorruft.
Ich denke mir den Vorgang daher so, dass Narben¬
schrumpfung in der Kammerzwischenwand, vielleicht auch
sekundäre degenerative Prozesse im Bündel selbst dieses
leitungsunfähig gemacht haben.
Beim Studium der Literatur habe ich einen Fall 10 *) aller¬
dings nur vorübergehender Pulsverlangsamung nach Herz¬
schuss gefunden, bei welchem man ebenfalls an eine Reiz¬
leitungsstörung denken muss.
Einschuss zwischen Brustbein und rechter Brustwarze. Hei¬
lung ohne Operation. Am 8. Tage Pulsverlangsamung von
40, die sich zurückbildete. Durchleuchtung nach 4 Wochen ergab
Sitz der Kugel im Herzen, nahe der Spitze. Entlassung beschwerde¬
frei und ohne krankhafte Veränderungen an den Brustorganen.
Zum Schlüsse will ich nicht verfehlen, Herrn Professor
Wenckebach für das lebhafte Interesse, welches er dem
9) Ich verweise hier nur auf die bekannte Arbeit Fischers
(Arch. f. klin. Chir. IX. 571.) der zu dem Resultat kommt, dass
7- -30 Proz. aller Herzverletzungen — ohne Operation, die man da¬
mals noch gar nicht kannte — heilen, ferner auf Bruns, Berg-
m a n n, Hb. 2. S. 560 ff.
10) Krall: Naturhistor.-Med. Verein Heidelberg, Sitzung vom
22. VI. 09.
Fall entgegenbrachte, und für die in seiner Klinik durchgeführte
eingehende Untersuchung desselben meinen herzlichsten Dank
auszusprechen. _
Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik in München
(Vorstand: Prof. Dr. M. v. Pfaundler).
Gibt es einen „schädlichen Nahrungsrest“ beim Säugling?
Von Privatdozent Dr. A. U f f e n h e i m e r, Laboratoriums¬
chef der Klinik.
(Schluss.)
Aus all dem Mitgeteilten ersehen wir, wie ausserordent¬
lich konstant sich das Kasein in den Stühlen mit Kuhmilch
ernährter Säuglinge, ebenso gesunder und gut gedeihender
wie kranker, nachweisen lässt, ganz besonders in den
„Kaseinbröckeln“. Wir sehen, dass das Kasein sich sogar noch
tagelang, nachdem man bereits zu einer anderen Nahrung
(Frauenmilch!) übergegangen ist, in den Fäzes vorfinden kann.
Kein Zweifel, dass wir vollkommen be¬
rechtigtsind, für all diese Fälle einen Nalirungs-
rest a n z unehme n. Nun fragt es sich aber, ob die Zurück¬
behaltung solcher Nahrungsreste nicht vielleicht gegenüber
allen möglichen eiweisshaltigen Nahrungen für den Säuglings¬
darm die Norm ist. Wir haben wenigstens nach einer Rich¬
tung hin einige einschlägige Versuche angestellt. Ein grosser
Teil der in dem Prinzessin Arnulfhaus verpflegten Säuglinge
wurde mit Griess misch ungen ernährt. Möglicher¬
weise konnte in ihren Stühlen noch der Eiweissanteil des
Griesses aufgefunden werden. Wir stellten uns ein Griess-
antiserum vom Titer 1:1000 her17) und untersuchten mit
seiner Hilfe 4 Stühle solcher Kinder (3). Es fanden sich
keine nachweisbaren Reste des Griesses mehr,
während das Kasein auch hier immer wieder
vorhanden war. Also, allen Stoffen eiweissartiger Natur
gegenüber 18) besteht offenbar diese Unfähigkeit des Säug¬
lingsdarmes, sie restlos zu erledigen, nicht.
Nochmals also, das stets wieder aufgefundene Kasein be¬
deutet demnach einen wirklichen Nahrungsrest.
Gibt es nun eine Möglichkeit, sich eine an¬
nähernde Vorstellung über seine Grösse zu
verschaffen?
In mehreren Wägungen ergab sich das Gewicht der zur
Prüfung eines Stuhles auf seinen Kaseingehalt verwendeten
Stuhlpartikel als 0,02 — 0,03 g. Diese Masse wurde verrieben
und dann regelmässig in 3,0 ccm ^-NaOH aufgeschwemmt.
Wenn wir unseren Berechnungen als Gewicht eines Stuhl-
partikels ruhig sogar 0,03 g unterlegen, so ergibt sich demnach:
3,0 ccm der Aufschwemmung enthält 0,03 g Stuhl,
1,0 „ „ „ „ 0,01 „ „ und
0,1 „ „ „ (so viel wurde stets für die
Prüfung mit dem Antiserum verwendet) enthält 0,001 g
Stuhl.
Im Durchschnitt arbeiteten wir mit einem Laktoserum
vom Titer 1 : 1000; dies besagt, dass 0,1 ccm dieses Serums
zusammengebracht mit 0,1 ccm einer Verdünnung entrahmter
Milch 1 : 1000 noch einen sichtbarem Niederschlag ergaben.
1 ccm dieser Kuhmilch enthält aber im Durchschnitt 0,03 g
Eiweiss; in 1 ccm einer Kuhmilchverdünnung 1:1000 findet
sich demnach 0,00003 g Eiweiss und in 0,1 ccm dieser Ver¬
dünnung (so viel wurde zum Auswertungsversuch benützt)
dann 0,000003 g Eiweiss.
17) Griessmehl wurde mit Wasser 15 Minuten lang gekocht, dar¬
nach wurde der Brei mit tropfenweise zugesetzter -^-Natronlauge
im sterilen Mörser 20 — 30 Minuten lang verrieben, bis er ein ganz
feines homogenes Gemisch darstellte. Das Kaninchen, welches das
Antiserum liefern sollte, wurde viermal in fünftägigen Inter¬
vallen mit diesem Gemisch eingespritzt. Zur Titration des Griess-
antiserums gingen wir aus von dem Griessbrei, von dem ein Teil mit
vier Teilen ]0-NaOH verrieben worden war. Ein Teil von diesem
mit 9 Teilen physiologischer NaCl-Lösung vermengt, wurde zur Aus¬
wertung des Titers 1:10 verwendet usf.
1S) Weitere Versuche in dieser Richtung sind in Aussicht ge¬
nommen.
13. Oktober 1914. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Ergibt sich nun bei Benützung eines Laktoserums vom
i ;tcr 1. 1000 gegenüber der Stuhlaufschwemmung ein noch
Achtbares I inzipitat, so darf vermutet werden, dass die
rtenge des niedergeschlagenen Eiweisses demjenigen Milch-
i! an tu in entspricht, mit welchem ein analog aussehendes Prä-
ipitat beim Auswertungsversuch erhalten wurde.
Wenn also mit 0,1 ccm eines Laktoserums 1 : 1000 noch
ii 0,1 ccm der Fäzesaufschwemmung (= 0,001 Fäzes) ein
ichtbarer Niederschlag auftrat, so entspricht dieser der oben
erechneten Menge von 0,000003 g Milcheiweiss. Nimmt man
n, dass ein Säugling pro Tag ca. 75 g Kot 19) entleert, so be-
eutet das:
in 0,001 g Fäzes finden sich 0,000003 Kuhmilcheiweiss,
in 75 g Fäzes finden sich = 0,225 g Kuhmi’lch.
eiweiss.
Wir haben demnach, wo wir mit einem Laktoserum
: 1000 arbeiteten, beim geringsten sichtbaren Niederschlag
och eine Kaseinmenge 20) von etwa XA g nachgewiesen. Da
s sich nun bei den Kindern mit häufigen Stühlen vielfach noch
rn grössere Stuhlmengen als 75 g pro Tag handelte, da teil¬
eise mit anderen Laktoseris geprüft wurde, da ferner sehr
ielfach stärkere Niederschläge erhalten wurden, so können
ir vielleicht sagen, dass der Nahrungsrest, der vom
aseinstammend, täglich mit dem Säuglings-
tuhlausgeschiedenwird, etwa % — 1 gbeträgt.
as ist eine überraschend hohe Zahl, wenn man bedenkt (ich
ge auch hier wieder die Rubner-Heubner sehen Er-
abnisse zugrunde: 0,281g N-Qehalt des Kotes beim 7Hmonat-
:hen Kindel), dass etwa 4,5 g Eiweiss im Kote ausgeschieden
erden.
Ist nun dieser erstaunlich hohe Nahrungs-
= st auch wirklich ein schädlicher im Sinne
i e d e r t s?
Die Antwort auf diese Frage kann man natürlich nicht
efühlmässig geben. Es genügt auch nicht, etwa alle
e Punkte aufzuzählen, welche eine derartige Ansicht unter-
iitzen könnten. Man muss vielmehr möglichst posi-
\es Beweis material herbeizuschaffen suchen.
Lust*1) hat im vergangenen Jahr energisch Front ge-
acht gegen die Verwendung wässriger Auflösungen des E i -
ars, bei den akuten Ernährungsstörungen der Säuglinge,
spricht in seiner Publikation die Ueberzeugung aus, dass
>n allen heterologen Eiweissarten keine einen auch nur an¬
kernd gleichstarken Reiz für die Darmschleimhaut bedeutet,
e gerade das Hühnereiweiss. Er geht ja auch mit noch viel
össerer Leichtigkeit als die anderen Eiweissarten durch die
irmwandungen ins Blut über „und zwar um so konstanter
d um so leichter, je akuter und je schwerer die Darmstörung
s betreffenden Säuglings war.“ Im E i e r k 1 a r müssen wir
mnach (und das dürfte heute wohl keine ernste Gegner-
tiaft finden) einen richtigen Schädling des Säug-
ngsdarmes sehen. Da lag es nahe, einmal zu prüfen,
welcher Weise die Darmschleimhaut des Säuglings mit ein-
brachtem Hiihnereiklar fertig wird 22). Wir fütterten des-
lb 10 Kinder der Säuglingsabteilung mit je einem Eiklar pro
g und nahmen 20 mal Untersuchungen ihrer Stühle mit
iem Antieiklarserum (1 : 1000, 1 : 2000, 1 : 5000) vor. Wir
gen zu diesen Versuchen Säuglinge vom verschiedensten
•sundheitszustand heran (gedeihende Kinder, leichtere Er¬
brungsstörungen, Dekomposition, Frühgeburten, Lues con-
■ } ^ie ^a.bl stammt von R u b n e r und Heubner (Zschr. f.
'Ogie 38), die bei einem angeblich gesunden 7 Yz Monate alten
lae bei einer Aufnahme von durchschnittlich 995,6 g Milch Ent-
rung von täglich 73,8 g Kot, d. h. 7,4 g pro 100 g Alilch fanden.
.. *Jr se‘bst haben die Stühle von einigen ernährungsge-
orten Säuglingen (7 — 8 pro Tag) gewogen und fanden dabei
sentheh höhere Gewichte; allerdings bestand die Möglichkeit von
nten Urinbeimengungen.
“) Ich gebrauche das Wort „Kasein“ ganz in dem früher ge-
mzeichneten Sinne.
' ) Ueber die missbräuchliche Verwendung von Eiweisswasser
der Behandlung akuter Ernährungsstörungen von Säuglingen.
n.W. 1913 Nr. 49.
') Bei einer Reihe von Fällen, nicht bei allen, veränderte
1 nacb c'er Eiklarverabreichung der Stuhlcharakter, ohne dass es
T zu extremen Veränderungen kam.
2067
senita, Pemphigus neonatorum und Spasmophilic). Nur bei
einem e i n z i g e n Kind, bei dem aber der Stuhl nur einmal
geprüft werden konnte und bei dem nur ein Antiserum mit
dem Titer 1:1000 Verwendung fand, konnte das Eiklar im
Stuhle nicht nach gewiesen werden. Bei allen übrigen
neun ergab sich ein positiver Ausfall der Präzipitat¬
probe. Allerdings liess sich das Eiklar nicht
immer schon nach der ersten Verfütterung
au ff indem Bei zwei Kindern — beide waren Früh-
gebuiten, das eine mit Lues congenita — gelang es vielmehr
erst nach vier Tagen, d. h. nachdem 4 ganze Eiklare
verfuttert worden waren, Spuren davon in den Fäzes fest¬
zustellen.
Es bedarf also offenbar bei einer Reihe von Säuglingen
eist einei über läge hinaus sich erstreckenden Reizung der
Darmschleimhaut, bis diese so weit in ihrer Tätigkeit beein¬
trächtigt ist, dass sie nun nicht mehr vollkommen mit der
Denaturierung des Eiklars fertig wird. Bei anderen Säug¬
lingen wieder, und sie scheinen in der Mehrzahl zu sein, ge¬
nügt bereits die einmalige Verfütterung des Eiklars, um diesen
Zustand der Schleimhaut hervorzubringen.
Für das Kasein der Kuhmilch haben wir gefunden, dass
es (in den Bröckeln wenigstens) in jedem Fall23) nach¬
weisbar ist. Es hat demnach den Anschein, dass seine Ver¬
fütterung die Darmschleimhaut eher mehr beeinträchtigt
als die des Eiklars — und nachdem dieses als ein wahrer
Schädling des Darmes bezeichnet werden konnte, liegt der
Schluss nahe, auch das Kasein als solchen anzusehen und in
der 1 at einen schädlichen Nahrungsrest, wenn auch viel-
1 e icht nicht völlig im alten Biedertschen
Sinne, anzunehmen.
Allein, ich glaube, ehe man so weit geht, hat man doch
noch die Pflicht zur Vornahme einiger weiterer Feststellungen.
Wie verhält sich denn das Kasein der
Kuhmilch gegenüber der Darm schleim haut
grösserer Kinder oder gar Erwachsener?
Zur Beantwortung dieser Frage untersuchten wir 21 Stuhl¬
partikel von 18 K i n d e r n 24) im Alter von 1 % bis 13 Jahren
In der grösseren Hälfte der Fälle, nämlich 11 mal,
ergab sich ein negatives Resultat, einmal ein fragliches
(an diesem Jage war keine Milch verabreicht worden) und
9 mal fand sich tatsächlich Präzipitation. Diese positiven Fälle
stammten von 7 Kindern der internen Abteilung, von denen
2 an Darmerkrankungen (Darmkatarrh, Hirse hsprung-
sche Krankheit) litten.
Weiterhin wurden noch die Stühle von 8 Erwach¬
se n e n zu 12 Untersuchungen herangezogen. Hier war der
Ausfall der Präzipitationsprobe 9 mal positiv, nur 3 m al er¬
gab sich ein negatives Resultat. Die Trinkmengen
überstiegen dabei in der Regel nicht einen halben Liter. Ein
Mädchen hatte nach Verbrauch dieser Menge kein nachweis¬
bares Kasein im Stuhle. Daraufhin wurde das Trinkquantum
verdreifacht, mit dem Erfolg, dass sich nunmehr ein starkes
Präzipitat mit den Antiseris bildete. Nur zwei gesunde kräf¬
tige Männer, deren Fäzes je einmal geprüft wurden, hatten
ausserdem einen negativen Befund. Ein 28 jähriger Mann,
dessen Stühle stets starke Niederschlagsbildung mit den Kuh-
milchantiseris zeigt, nimmt auch seit langer Zeit täglich 4 Eier
zu sich. Aber weder bei ihm, noch bei den anderen Erwach¬
senen oder grösseren Kindern konnte jemals Eiklar in den
Fäzes nachgewiesen werden.
Was soll man nun aus diesen letzten Resultaten
schliessen? Dass auch beim grösseren Kind und beim Er¬
wachsenen häufig genug ein schädlicher Nahrungsrest, vom
verzehrten Kasein stammend, vorhanden ist? Das hiesse doch
wohl den latsachen Gewalt antun. Insbesondere die über¬
raschend grosse Anzahl der positiven Befunde an den Stühlen
Erwachsener zwingt zu grosser Vorsicht in den Schlussfolge¬
rungen. Es Hessen sich zwar auch hierfür Erklärungen
geben, so die bekannte J'atsache, dass viele Erwachsene den
Milchgenuss nicht vertragen können. Ich weiss von Personen,
"*) L i n e Ausnahme bei so vielen Versuchen!
■') Sie hatten ganz wie es einer normalen Ernährungsweise
dieser Altersstufen entspricht, Milch erhalten (NB.! Alle waren
Kranke der internen Abteilung der Klinik!).
2*
2068 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 41.
die auf eine Tasse Milch mit Durchfällen reagieren. Mir ist
ein Fall bekannt, dass eine Dame, die bei einer Bergtour in |
einer Sennhütte Milch getrunken hatte, so schwer darnach '
erkrankte, dass sie von Trägern heruntergeschafft werden
musste.
Ich möchte aber nicht den Anschein erwecken, als ob ich
in irgendeiner Weise voreingenommen wäre. So begnüge ich
mich zunächst mit der Feststellung, dass durch das regel¬
mässige Auffinden des Kaseins in den Stühlen der Säuglinge,
vor allem in den Flöckchen, das Vorhandensein eines
Nahrungsrestes zweifellos erwiesen ist. Inwieweit es
ein schädlicher Nahrungsrest ist, lässt sich vor¬
läufig noch nicht sicher sagen. Manches spricht (wie wir so¬
gleich noch sehen werden) für das tatsächliche Auftreten
eines solchen. Die endgültige Entscheidung dieser Frage muss
aber künftigen Forschungen Vorbehalten bleiben.
Die Schädlichkeit des Nahrungsrestes ist also nicht strikt
erwiesen. Aber wir können uns immerhin Vorstellungen da¬
rüber machen, nach welcher Richtung hin wohl der gefundene
Nahrungsrest (der von der Kuhmilch stammt) Schaden an-
richten könnte.
Der einfachste Einwurf, welcher vorgebracht werden
kann, ist der: Zunächst ist weiter gar nichts bewiesen, als
dass ein mehr oder weniger grosser Teil des mit der Nahrung
verabreichten Kaseins noch im Stuhl der Säuglinge regel¬
mässig vorgefunden wird. Er ist noch nicht denaturiert, also
ganz unverändertes Kasein oder Parakasein. Was soll denn
diese Beimengung zu den Fäzes schaden?
Diese Logik ist aber wohl nicht ganz richtig. Einerseits
muss dieses Kasein für den Darm als ein Fremdkörper
angesehen werden. Wir können wohl auch jetzt noch unter¬
schreiben, was Tob ler sagt: „dass die Hauptmasse des im
Stuhle aufgefundenen N nicht Nahrungsresten, sondern Pro¬
dukten des Darmkanals entstammt.“ Das Verhältnis des aus¬
geschiedenen Nahrungs-N zu dem übrigen N, welches Darm¬
sekreten oder Darmbakterien seine Herkunft verdankt, dürfte
nach dem oben Gesagten zwischen 1 : 4 und 1 : 20 ungefähr
schwanken; aber auf die Grösse der beiden Verhältniszahlen
kommt es möglicherweise gar nicht an: Darmsekrete und
Darmbakterien sind (soweit es sich um eine normale Flora
handelt) sozusagen „adäquater“ Inhalt des Intestinums; nicht
denaturiertes Kasein kann aber in keinem Fall als ein solcher
angesehen werden; und je nach der Empfindlichkeit des Dar¬
mes (die im wesentlichen vom Alter des Säuglings und vom
allgemeinen Gesundheitszustand abhängig ist) wird wohl auch
die Möglichkeit einer Schädigung durch Fremdkörperwirkung
des Kaseins grösser oder kleiner sein. Es ist ja auch für einen
jungen oder geschädigten Darm nicht gleichgültig, wenn man
ihm beträchtliche Mengen von Zellulose, die selber zum
grössten Teil nicht weiter verändert zu werden pflegt, ein¬
verleibt.
Andererseits ist durch die Konstatierung, dass so und so
viel nicht verändertes Kasein in der Ampulla recti liegt, natür¬
lich nicht gesagt, dass dieser Stoff für die Prozesse der
Verdauung gleichgültig ist. Wir wissen ja gar nicht, ob
nicht noch ein weit grössererTeil nicht denaturierten Eiweisses
ursprünglich vorhanden war und auf dem Wege zwischen
Magen und Anus für den Organismus schädlichen Verände¬
rungen anheimgefallen ist. Das Eiweiss ist fäulnis¬
fähige Substanz, und es scheint mir sehr wahrscheinlich,
dass ein Teil des nichtdenaturierten Kaseins
von den Fäulniserregern des Darms ergriffen
und zersetzt zu werden pflegt. Während im Urin
gesunder Brustkinder nach Senator, Hochsinger und
Zamfircsco die Indikanreaktion fast stets negativ
ausfällt, finden sich nach Momidlowski und Con-
c e 1 1 i 25) im Urin künstlich genährter Kinder, auch wenn
keine Verdauungsstörungen zu konstatieren
sind, fast konstant kleine Indikanmengcn. Das ist doch der
beste Beweis für das Vorhandensein von Fäulnis¬
produkten im Darme, auch gedeihender, künstlich er-
*"’) Die genannten Autoren zitiert nach Czerny-Kellers Hb. 1
S. 200.
nährter Säuglinge, und es ist bei weitem plausibler, dass sie
dem von den Fermenten des Magendarmkanales nicht auf¬
gespaltenen Eiweiss entstammen, als dessen richtig ver¬
arbeiteten Spaltstücken.
In der modernen Pathologie der Säuglingsernährungs¬
störungen spielen die Gärungen eine ganz besonders
grosse Rolle, dagegen wird der pathogenen Aktion
der Fäulnisprozesse kaum gedacht. Zu meiner Ge¬
nugtuung geschieht dies aber neuerdings durch Tob ler
(a. a. O.). Er setzt mit der Darmfäulnis die Er¬
scheinungen der chronischen Ernährungs¬
störungen in Beziehung. Damit stellt er sich in be¬
wussten prinzipiellen Gegensatz zu Biedert, „der gerade
die Erscheinungen der akuten Ernährungsstörungen auf die
Produkte der Dannfäulnis zurückführen wollte“. Seine Argu¬
mentation ist aber in diesem Punkt, wie er selbst zugibt, nicht
unbedingt stichhaltig. Ich möchte jedoch aus dem gleichen
Grunde, aus dem er eine weitere Erörterung dieser Frage ab¬
lehnt, von irgendwelchen Einwürfen gegen seine Anschauung
vom Nichtzusammctihange der akuten Ernährungsstörungen
mit der Darmfäulnis absehen.
Mit allem Nachdruck aber will ich hervorheben, dass auch
T o b 1 e r annimmt, eine länger dauernde stärkere Darm¬
fäulnis führe zu chronischen Ernährungsstörungen. Er
sagt hierüber wörtlich: „Verabreichen wir einem Säugling ein
Nahrungsgemisch, bei dem die fäulnisfördernden Komponenten
gegenüber den gärungsfördernden in der Weise iiberwieger..
dass im Darme ein beträchtlicher Grad von Darmfäulnis resul¬
tiert, so sehen wir zwar keine akuten Störungen auftreten,
wohl aber so gut wie ausnahmslos das Kind chronisch nicht
gedeihen.“ Tob ler weist in diesem Zusammenhang vor
allem auf den Milch nährschaden hin, den man seither
bekanntlich als Fettnährschaden aufzufassen geneigt war, für
den er aber annimmt, dass die Darmfäulnis eine ätiologische
Rolle spielen dürfte. Ich möchte davon absehen, die einzelnen
Argumentationen dieses ausgezeichneten Beobachters hier
wiederzugeben; nur das eine möchte ich noch feststellen, dass
er zwar meint, die Wirkung der Darmfäulnis könnte wohl nur
auf eine Beeinflussung des intermediären
Stoffwechsels bezogen werden; dass er aber anderseits
von Erlebnissen am Krankenbett berichtet, nach denen er
es selbst nicht für ausgeschlossen hält, „dass bei sehr inten¬
siver Fäulnis auch eine gewisse Darmreizung und Peristaltik¬
beschleunigung stattfindet, eine Wirkung, die manchen Fäul¬
nisprodukten 2B) zukommt.“
Was will man mehr? Liegt nicht in all dem auch von
klinischer Seite eine Bejahung des schädlichen
Nahrungsrestes! Sogar die Möglichkeit akut ein¬
tretender Fäulnisschädigungen wird zugegeben — dieser Vor¬
gang entspräche strikt den Biedertschen Anschauungen — ,
für gewöhnlich wird allerdings die schädliche Wirkung des
faulenden Eiweissrestes in den intermediären Stoffwechsel
verlegt. Wenn diese Vorstellung in der Tat richtig ist (und
vieles spricht dafür, auch die neueren Arbeiten Ben¬
jamins 27), dann müssen wir nur um so mehr Furcht
haben vor dem fäulniserregenden Eiweissrest. Denn was erst
den intermediären Stoffwechsel pathologisch verändert hat.
setzt bedeutend tiefergreifende Schädigungen, als was nur die
Darmschleimhaut angegriffen hat 28). Finkeisteins funk¬
tionelle Diagnostik, auf der seine bekannte Einteilung der ali¬
mentären Ernährungstörungen beruht, baut sich auf solchen
Vorstellungen auf.
Gewiss gibt es aber noch andere Möglichkeiten
der Beeinflussung des Ablaufs der Er¬
nährungsprozesse durch den aus dem artfremden
Kasein bestehenden Nahrungsrest. Freudenberg und
Schofmann haben soeben aus der Heidelberger Kinder¬
klinik sehr interessante Untersuchungen „über den Einfluss
J") Das Skatol wirkt stark darmreizend; grosse Dosen des
Indols rufen bei parenteraler Injektion Vergiftungserscheinungen
hervor.
“) Zschr. f. Kinderheilk. 1914 u. Vortrag auf dieser Tagung.
JB) Selbstverständlich spreche ich nur von primär alimen¬
tären Schädigungen und lasse die infektiösen Darmerkran¬
kungen bei Seite.
13. Oktober 191*4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2069
der Molke auf das Darmcpithel“ veröffentlicht29). Die beiden
Autoren konnten zeigen, dass aus F r a u e n m i 1 c h mölke
absolut und prozentual wesentlich geringere Zuckermengen
aus dem überlebenden Kalbs dann verschwinden als aus
Kuhmolke. Es konnte aber ein Nutzeffekt seitens der Kuh¬
molke für den Kalbsdarm ausgeschlossen werden; denn er
resorbiert aus Milchzuckerlösungen fast gerade so gut wie
aus Kulimolke, auch aus ei weissfreier Molke so gut wie
ans genuiner. Dagegen konnte erwiesen werden, dass der
Erauenmolke ein durch Kaoünadsorption entfernbares, den
Vorgang der Milchzuckerresorption im Kalbsdarni schädi¬
gendes Prinzip anhafte; und Freudenberg und Schof-
mann nehmen an, dass diese schädigende Wirkung an das
Eiweiss gebunden sei. Sie fanden, was gleichfalls hiefür
weht, dass eiweissfreie Frauenmilchmolke für den Darm,
bezüglich der Aufnahme des Milchzuckers aus ihr, so günstig
*ei wie Kuhmolke. Auch verdaute Molken beiderlei Art
h essen keine Unterschiede hervortreten.
Diese Versuche ergeben doch (wenigstens für den über¬
lebenden Kälberdarm 30), dass es für die Resorption des Milch¬
zuckers aus den Milchen nicht gleichgültig ist, in welchem
Milieu er dargeboten wird, und dass der überlebende Darm
vor allem aus Nährlösungen, in denen sich nicht d e na¬
tu r i e i t e s artfremdes Eiweiss befindet, weniger
Milchzucker zu entnehmen vermag als aus solchen, die un¬
verändertes arteigenes Eiweiss enthalten oder die ganz ei¬
weissfrei sind. Auch diese Befunde werfen — wie auch Moro
in der Diskussion zu meinem Vortrag anerkannt hat — ein
iieues Licht auf die Wirkung des von uns bis jetzt nicht ge-
lügend beachteten, ja nicht gekannten Nahrungsrestes.
So sind wir am Schlüsse unserer Ueberlegungen dabei
ingelangt, den von uns regelmässig gefundenen Nahrungsrest
ils artfremdes Eiweiss zu bezeichnen. Während in
Jer ersten Zeit, nachdem Hamburger31) diesen Begriff ge¬
prägt hatte, helle Begeisterung herrschte und die Pädiatrie
glaubte, nunmehr den wesentlichen Unterschied zwischen
latürlicher und künstlicher Ernährung gefunden zu haben, ging
'ie bald dazu über, das neu Errungene wieder zu verwerfen.
► or allem L a n gs t e i n32), zum Teil zusammen mit B a h r d t,
•var an dieser Meinungsänderung schuld. Ich habe im Jahre
908, als ich in meiner „Physiologie des Magendarmkanales
ieim Säugling und älteren Kind“ 33) über den Stand dieser
"rage berichtete, mich folgendermassen geäussert 34):
„Es ist — um kurz zu resümieren — durch diese (sc.
-angstein s) Versuche festgelegt, dass tatsächlich der
».agendarmkanal des Neugeborenen das Nahrungseiweiss in
ler gleichen Weise bewältigt, wie der des Erwachsenen, und
lass er hierbei keinen Unterschied macht, ob artgleiche oder
rtfremde Nahrung zugeführt wird.
Mit dem letzten Satz ist bereits eine Entscheidung ge-
roffen, durch die ein heftiger Streit der pädiatrischen Schulen
wenigstens seine vorläufige Erledigung ge-
unden ha t.“
Es war vorsichtig, nur von einer „vorläufigen Erledigung“
u sprechen. Die Angelegenheit muss einmal re¬
giert werden. Wenn diese Arbeit hiezu den Anstoss
L’ben kann, so habe ich meinen Zweck völlig erreicht.
2 Jb. f Kinderheilk. 79. H. 6. S. 685.
) Wahrscheinlich sind die Vorgänge am lebenden Darm analoge
der wenigstens prinzipiell ähnliche.
• 11 Hamburger: Arteigenheit und Assimilation. Leipzig und
,ien- Deuticke. 1903 — und zahlreiche weitere Arbeiten.
' Langstein: Die Eiweissverdauung im Magen des Säug-
»gs. Jb. f. Kinderheilk. 3. F. 14. 1906. S. 139. — Derselbe:
■weissabbau und -aufbau bei natürlicher und künstlicher Ernährung,
oenda S. 154. — Bahr dt und Langstein: Das Verhalten des
tickstorfs im Magendarmkanal des neugeborenen Kalbes bei art-
leicner Ernährung. — Ebenda. 17. 1908. S. 1.
*. ) Ergebnisse der inneren Medizin und Kinderheilkunde 2.
P r i n g e r, Berlin.
”) Bei diesem Zitat halte ich mich nicht an die Sperrungen
-s Uriginais.
Bücheranzeigen und Referate.
Dr. Robert Otto Stein: Die Fadenpilzerkrankungcn des Men-
^ Abbildungen. J. F. Lehmanns Verlag in München.
10 M.
Dieser XII. Band der Lehmann sehen Medizinischen Atlanten
bringt eine vollkommene Zusammenstellung unserer heutigen Kennt¬
nisse der pathogenen Fadenpilze, soweit sie für den menschlichen
Organismus eine Rolle spielen. Nach Moulagen — von Dr. Hen-
I1..1 n 2 angefertigt — gibt er eine grosse Anzahl im Drei- und
Vierfarbendruck hergestellter Tafeln, die zur Erleichterung der Dia¬
gnose dem Praktiker von Wert sein werden; und die nach der
Natur gemachten Abbildungen der einzelnen Riesenkolonien, sowie
ma fiche Zeichnungen der einzelnen Pilzindividuen müssen ihm die
Einreihung der aus einer Pilzerkrankung gewonnenen Pilze ermög¬
lichen.
Der allgemeine 1 eil beschäftigt sich mit der Morphologie; der
mikroskopischen Untersuchungstechnik (mit genauen Färbevorschrif-
ten); dem Züchtungsverfahren; dem Tierexperiment; der Immunitäts¬
reaktion; der Darstellung des Trichophytins. Unter „Immunitäts¬
reaktion wird nicht nur die Agglutination und die Komplementablen¬
kung, sondern auch die Immunität allgemeiner Natur und lokaler Art
abgehandelt; meiner Ansicht nach das interessanteste Kapitel, das
durch seine klare, einfache Darstellung sogar von einem Laien ver¬
standen werden muss.
Der spezielle Teil bespricht die Saprophyten der Haut (Pityriasis
versicolor, Erythrasma) und der Haare (Trichomykosis palmellina,
Piedra; die Dermatomykosen (Mikrosporia, Trichophytia, Favus);
die Blastomykosen (Saccharomykosen, Q i I c h r i s t sehe Mykose;
die Strahlenpilzmykosen (Aktinomykosen, Maduramykose); die
Sporotrichosen; einige seltene Mykosen; den Soor; die Schimmelpilz¬
affektionen.
Das ganze Buch ist in sich so abgeschlossen, und ist so praktisch
angelegt, dass jeder Arzt, der sich mit diesem Spezialgebiet be¬
schäftigt, es stets mit Erfolg um Rat angehen kann.
Karl T a e g e - Freiburg i/B.
Dr. med. R. Ohm, Stabsarzt an der Kaiser-Wilhelms-Akademie,
Assistent an der 2. med. Klinik der kgl. Charitee zu Berlin: Venen¬
puls- und Herzschattenregistrierung als Grundlage für die Beurtei¬
lung der mechanischen Arbeitsleistung des Herzens, nach eigenen Me¬
thoden. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Friedr. Kraus. Mit
61 Originalkurven und 15 Zeichnungen im Text. Berlin 1914. Verlag
von Aug. H i r s c h w a 1 d. 186 Seiten.
Nach der Methode des Verf. erfolgt die Aufnahme des Venen¬
pulses dadurch, dass die Bewegungen eines auf die Vene gelegten
Stäbchens mittels eines Spiegelchens auf ein elektrisches Kymo-
graphion übertragen werden. (Luft- resp. Schlauchübertragung er¬
klärt O. für einen Kardinalfehler!) Gleichzeitig werden die durch die
Herztöne bewirkten Thoraxschwingungen markiert, zur Bewertung
der zeitlichen Verhältnisse der Kurvengipfel und -täler. (Die Methode
der gleichzeitigen Registrierung von venösem und arteriellem Puls
resp. Herzspitzenstossbewegung für letzteren Zweck erklärt Verf.
für ungenügend. Nach seiner Ansicht „hat die Untersuchung des
arteriellen Pulses für die Herzdiagnostik nur einen beschränkten
Wert“ — ein Satz, der sehr weit über das Ziel hinausschiesst.) Die
Markierung der Herztöne erfolgt mit Hilfe eines sehr dünnen Gela¬
tinehäutchens (Ohm). Die mittels der feinen Methode erhaltenen
Kurven sind sehr schön. Verf. erörtert im klinischen Teil seiner
Studie die phasischen Schwankungen der Kurven und untersucht ihre
diagnostische Bewertung. Es ist namentlich das rechte Herz, das
an Hand der Methode beurteilt werden kann. Die Methode dürfte
sich praktisch kaum einbiirgern, sie bleibt Domäne des klinischen
Laboratoriums, der Arzt am Krankenbett und in der Sprechstunde
wird weiter die alten Methoden herrschen lassen müssen.
Dr. Grassmann - München.
H. H. Meyer und R. G o 1 1 1 i e b, Professoren der Pharmako¬
logie in Wien und Heidelberg: Die experimentelle Pharmakologie als
Grundlage der Arzneibehandlung. III., neubearbeitete Auflage. Ver¬
lag von Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien, 1914.
Meyer-Gottliebs Pharmakologie liegt in dritter
Auflage vor. Der Aufbau der pharmakologischen Wirkungen auf
physiologischer Grundlage und die hierdurch bedingte Einteilung des
Stoffes nach Organen, sowie die Hervorhebung des Experimentes
zur Feststellung und Begründung der Arzneimittelwirkungen unter¬
scheiden das Werk von anderen pharmakologischen Lehrbüchern.
Wert und Bedeutung dieses Buches ist bei den Aerzten und den
Studierenden so bekannt, dass weitere Worte hierüber überflüssig
sind. Gegenüber der früheren Auflage (1911) sind die Literatur¬
angaben der letzten 3 Jahre und die hieraus sich ergebenden Fort¬
schritte unserer pharmakologischen Erkenntnis neu hinzugekommen.
A. Jodlbauer.
J. König: Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genuss-
mittel. III. Bd. Untersuchung von Nahrungs- und Genussmitteln
und Gebrauchsgegenständen. 2. Teil: Die tierischen und pflanzlichen
Nahrungsmittel. 4. Auflage. 260 Abbildungen im Text und 14 litho-
2070
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. <
graphische Tafeln. 97 2 Seiten. Verlag von Julius Springer, Ber¬
lin 1914. Preis 36 M.
ln dem neuen vorliegenden 2. 1 eil des 3. Bandes hat der aut
dem Gebiet der Nahrungsmittelchemie allbekannte grosse Meister mit
Fachleuten von wohlklingenden Namen, wie Beythien, Börner,
Hasenkamp, Juckenack, Neu fei d, Scholl und
Spieckermann wiederum ein Stück Wissenschaft in eine Form
geschlagen, die Bewunderung in vollstem Masse verdient. In dem
fast 1000 Seiten umfassenden Buche steht eine solche Menge objek¬
tiv verarbeitetes Tatsachenmaterial, dass man wohl begreift, dass
bis zum Erscheinen des 2. Teils einige Jahre vergehen mussten. Es
handelt sich um die speziellen Untersuchungsmethoden, der ge¬
samten tierischen und pflanzlichen Nahrungs¬
mittel, welche überhaupt für den Menschen in Frage kommen,
nebst ihren Verunreinigungen und Verfälschungen.
Alles was von Fleisch und Fleischpräparaten, Milch und Mol¬
kereiprodukten. Getreide. Mehl und Backwaren, Gemüse
und Obst irgendwie zu Nahrungs- und Genusszwecken ver¬
wendet wird, ist der eingehendsten Bearbeitung unterzogen und die
Ergebnisse bilden eine unerschöpfliche Fundgrube, die ihresgleichen
nicht hat. Eine wertvolle Bereicherung erfuhr das Werk anderer¬
seits durch die Besprechung der aus dem Nahrungsmittelgesetz sich
ergebenden Rechtsfragen, die für Sachverständige von besonderem
Wert sind. Tafeln, Skizzen, Figuren, Uebersichten und Tabellen,
von denen als Anhang eine ganze Reihe beigegeben sind, vervoll¬
kommnen den Wert des Buches. Die Einleitung bildet ein Abschnitt
über die reichsgesetzliche Regelung des Verkehrs mit Nahrungs¬
mitteln, Genussmitteln und Gebrauchsgegenständen. Die Neuerschei¬
nung des Buches wird überall bei den Interessenten die lebhafteste
Freude hervorrufen, besonders da jeder weiss, dass man sich auf den
..König“ verlassen kann. Die Ausstattung ist dem Springer sehen
Verlag entsprechend vorzüglich und so macht das Werk auch ihm
alle Ehre. R. O. Neumann - Bonn.
P. S i ed 1 e r: Die chemischen Arzneimittel der letzten 113 Jahre.
Verlag Gebr. Bornträger, Berlin W. 35. 161 Seiten.
Wie der Verfasser im Vorwort sagt, hat das Büchlein den
Zweck, die chemischen Arzneimittel der letzten 113 Jahre entwick¬
lungsgeschichtlich und systematisch vom chemisch-therapeutischen
Gesichtspunkte aus zu behandeln, um auf solche Weise zum ersten
Male über das gesamte grosse Gebiet eine möglichst vollständige
Uebersicht zu gewinnen. Der Zweck ist durchaus erreicht und der
Inhalt ist recht interessant gestaltet, das Gebiet ist jedoch ein so
umfangreiches, dass es auf den 161 Seiten nur sehr kursorisch durch¬
eilt werden konnte und man oft den Wunsch nach grösserer Aus¬
führlichkeit hat. Dr. Max W i n c k e 1.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie.
16. Band, 2. Heft. (Schluss.)
St. F 1 a s c h e n - Wien: Ein Beitrag zur Aetiologie der multiplen
Sklerose. (Vorläufige Mitteilung.)
Auf Grund von typischen Befunden an 18 Fällen wird die von
gewissen Eigentümlichkeiten der multiplen Sklerose (das überaus
häufige Auftreten im jugendlichen Alter, der eigentümlich wechsel¬
volle Verlauf, das eine Mal schnell abklingende akute Anfälle, das
andere Mal langdauernde chronische Perioden mit Remissionen und
Intermissionen) weiterhin gestützte Möglichkeit angenommmen, dass
dieselbe einer tuberkulösen Infektion ihren Ursprung verdankt.
O. Schwarz: Untersuchungen über die zuckersekretorische
Funktion der Niere. (Aus der urologischen Abteilung der allgemeinen
Poliklinik und dem serotherapeutischen Institut in Wien.)
Bei intravenöser Applikation, sei es einmalige Injektion oder kon¬
tinuierliche Infusion, ist für Trauben- und Milchzucker das Verhältnis
der in gleichen Zeiten ausgeschiedenen Mengen zu dem noch im
Körper verbliebenen Rest konstant. Weder eine Kochsalzdiurese
oder Infusion einer -jq- Salzsäure, noch Phlorhizinvergiftung beein¬
flussen den Ausscheidungskoeffizienten des Milchzuckers wesentlich.
Die A m b a r d sehe Beziehung, dass der Quotient
im Harn ausgeschiedene Menge
Quadrat des Ueberschusses der Blutkonzentration über den Schwellenwert
konstant ist. gilt für den Traubenzucker nicht. Bei gleicher Art der
Zufuhr ist der Milchzucker harnfähiger als der Traubenzucker. Das
Verhältnis ist durchschnittlich 14.2: 11,7 Proz. Dagegen ist der Trau¬
benzucker diuretischer als der Milchzucker, das Verhältnis der Harn¬
konzentrationen ist 3,82:9,41 Proz. Bei nicht gesteigerter Diurese
war das Verhältnis von ausgeschiedenem Zucker und Wasser für die
Adrenalinglykosurie in 10 Versuchen konstant. Bei intravenöser In¬
fusion einer Trauben- bzw. Milchzuckerlösung ist das Verhältnis von
Zucker und Wasser im Harn konstant: für Traubenzucker ist es
wesentlich niedriger als in den Adrenalinversuchen. Es scheint dem¬
nach die Grösse der Glykosurie ein verlässlicherer Indikator für die
Grösse eines Zuckerüberschusses im Organismus zu sein, als die
Konzentration im Blut. Die diuretiche Wirkung der Salze und Zucker
(wenigtens für Kochsalz. Natriumsulfat, Trauben- und Milchzucker)
ist eine Funktion der Anzahl der im Harn ausgeschiedenen Moleküle.
E. Münzer: Ein Fall von Morbus Addisonii mit besondei
Berücksichtigung der hämodynamischen Verhältnisse nebst Bern«
kungen zur Lehre von der Azidose. (Aus dem Prager Handelsspit.
Die bei einem Fall von Addison, der zur Sektion kam, vi
genommenen genauen Untersuchungen ergaben: Der 76 kg schwi
Kranke hatte einen Blutdruck von 90—100/70 mm Hg, das B
75 Proz. Hämoglobin, dementsprechend also eine Sauerstoffkapazi
von 15 Volumprozent, das Minutenatemvolum bei 17 Atemzügen w
auf 0° und 760 mm Druck umgerechnet 8,1341 Liter, der einzel
Atemzug also 478,4 ccm. Der Umfang der Aorta am Abgang w
7.5 cm, ihr Querschnitt also 4,47 qcm. In der Minute wurden 210,6 ci
CQs erzeugt und 396,94 ccm O2 = 5.36 ccm pro Kilo verbraucht, d
respiratorische Quotient war also 0,53. Die prozentische Sättigu
des arteriellen Blutes an O2 war 98, des venösen 75, es gingen al
23 Proz. an die Gewebe ab, auf Volumprozent gerechnet im arteriell
also 14,7, im venösen 11,25; also wurden 3,45 ccm O2 aus 100 ccm B
an die Gewebe abgegeben (gegenüber 6,5 ccm in der Norm). In c
Minute durchströmte den Körper 11,505 Liter Blut (= 155,47 cc
für 1 kg gegenüber 62 — 64 ccm in der Norm). Das Schlagvolum
des linken Ventrikels betrug 127,8 ccm gegenüber 55 — 59 ccm in c
Norm; die Hubarbeit der Systole des linken Ventrikels betr
0.1559 kgm, beider Ventrikel 0,2188 kgm, in der Minute 19,65 kg
gegenüber 9,27 in der Norm; die translatorische Strömungsgeschw
digkeit betrug 200,2 cm, gegen 42,4 — 69 cm in der Norm. Die Sti
mungsarbeit beider Ventrikel in der Minute betrug 0,483 ks
2,4 Proz. der Hubarbeit wie normal. Die gesamte Herzarb
nur 19,65 + 0,48 = 20,13 kgm; pro Körperkilo 0,272 gegen 0.118 kg
Für 1 Systole betrug die gesamte Herzarbeit 0,223 kgm. Die Kohlt
säurespannung im venösen Blut war stark herabgesetzt; die im Ha
ausgeschiedenen Ammoniakwerte waren aber völlig normal, es w
daher keine Azidose vorhanden.
B. Stüber: Experimentelles Ulcus ventriculi. Zugleich ei
neue Theorie seiner Genese. (Aus der med. Klinik in Freiburg i. 1
Vergl. d. W. Nr. 23, S. 1265.
F. Re ach: Zur Kenntnis der chronischen Morphiumwirkui
(Aus dem physiol. Laboratorium der Hochschule für Bodenkultur
Wien.)
Bei fortgesetzter Verabreichung einer bestimmten Dosis Mt
phium war an dem Versuchshunde zu beobachten, dass die Verzöj.
rung im Ablauf der Magendarmbewegungen rasch vorüberging, oh
dass jedoch die Norm erreicht wurde. Bei Verabreichung einer t
steigerten Dosis wiederholte sich dasselbe Spiel. Abstinenzersch
nungen waren an den Magendarmbewegungen nicht zu beobacht!
wohl aber in Betreff der Salivation. Die Magendarmbewegungen z
gen natürlich auch beim Hund individuelle Schwankungen; es si
daher die gemachten Beobachtungen über chronische Morph
Wirkung noch mit Reserve aufzunehmen, zumal da sie sich auf r
ein Tier und 10 Injektionswochen beschränken.
K. Dresel und A. Peiper: Zur Frage des experimentell
Diabetes. Beeinflussung der Zuckermobilisation durch Adrenalin 11
Pankreasextrakt In der künstlich durchbluteten Leber. (Aus c
II. med. Klinik in Berlin.)
Die Versuche ergaben deutliche Steigerung des Zuckerspieg<
nach Adrenalinzusatz, keinen deutlichen Einfluss von Pankreaspre:
saft, Pankreasextrakt oder Pankreasautolysat auf die Zuckerkun
Zusatz von Adrenalin nach vorhergehendem wirkungslosen Zus:
von Pankreaspresssaft rief eine starke Steigerung der Zuckerwei
hervor. Bei 3 weiteren Versuchen hatte der Zuckerspiegel sowc
vor wie nach dem Zusatz von Pankreasextrakt (nach J. de Mey
hergestellt) eine zwar geringe, aber deutliche Neigung abzunehrm
durch Zusatz von Adrenalin wurde dann keine weitere Beeinflussu
der Kurve erzielt. Es gelang nicht durch verschiedene Pankre;
extrakte ein deutliches Herabsinken des Zuckerspiegels in der Dur
blutungsflüssigkeit und damit einen Ansatz von Glykogen in der Lei-
sicher festzustellen. Das Pankreasextrakt übt einen hemmenden E
fluss auf die Zuckermobilisierung durch Adrenalin aus; da die W
kung auch mit dem auf 70 0 erhitzten Pankreasextrakt gelang,
kann es sich nicht um eine Fermentwirkung handeln.
Lindemann - München.
Zeitschrift für physikalische und diätetische Therap
1914, Heft 7.
W. Becker und E. Papcndieck - Bremen: Die Behandlu
der chronisch-rheumatischen Gelenkerkrankungen nach den Gesetz'
der Funktion und Statik.
Verf. hebt vor allem die Rolle der Muskulatur bei diesen E
krankungen hervor, zeigt, dass die am meisten beanspruchten Mu
kein am schwersten befallen werden, dass ihre Atrophie zu heftig'
Schmerzen und Hyperfunktion der Antagonisten führt und damit :
Kontrakturen und schweren Gelenkschädigungen. Er gibt für d
einzelnen Gelenke die hauptsächlichsten Veränderungen an und d
orthopädischen Massnahmen, die ihnen entgegenwirken und viel nie
angewandt werden sollten, als die oft nutzlosen Bäder.
H. Determann: Ueber das Wüstenklima. (Schluss.)
Ausführliche Darstellung der Eigenschaften des Klimas, sein'
Einflusses auf Hauttätigkeit, Blut, Stoffwechsel, Verdauung, Herz ui
Gefässsystem, Nervensystem, Indikationsstellung, schliesslich B
Schreibung hauptsächlicher Kurorte und Abbildung zweier Kolonii
zum Kuraufenthalt in der Wüste.
13. Oktober 1914.
MUENCHKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
F H. W o 1 f - New York: Ein Vergleich der Ataxiebehandlung
nach F r e n k e I und M a I o n e y.
Das Wesentliche der Behandlung nach MaUney ist, dass die
Reste' der Muskelsensibilität unter Ausschaltung des Gesichtssinnes
geübt, erhalten und neu angeregt werden. Verf. beschreibt die
Methode im Einzelnen und hebt hervor, dass er viel bessere Erfolge
damit erzielte als mit der von F r e n k e 1.
A bischer und L. Katz- Berlin: Zur röntgenologischen Be¬
stimmung der Verweildauer vegetabiler und Kuhmilch im Magen
nebst einer Kritik der Kapselmethode. (Schluss.)
Vegetabile Milch verlässt infolge ihres höheren Fettgehaltes
langsamer und mit geringerer peristaltischer Leistung den Magen.
Die Kapselinetliode ergibt insofern keine sicheren Resultate, als sic
?Vr-u!'e Austreibung der Flüssigkeit anzeigt, wobei unberücksichtigt
bleibt, dass die Kaseingerinnsel der Milch resp. eiweissreicher
Flüssigkeiten viel länger im Magen liegen bleiben.
L. Jacob- Wiirzburg.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 39.
Em‘ K 0 O.do I e o n - Athen: Lyniphableltung des Skrotums.
Eur die Falle, wo es sich um reine Lymphstauung ohne vor¬
geschrittene Sklerose des Bindegewebes handelt, empfiehlt Verf.,
die tiefe Faszie zu exzidieren und die Tunica vaginalis der Länge
nach zu inzidieren und nach aussen umzustiilpen (wie bei der Hvdro-
zelenoperation).
b Schoemaker-EIaag: Zur Technik der Uranoplastik.
'. aa* an der Langenbeck sehen Methode eine kleine
Modi.fikütion angebracht, die ihm einen sofortigen Verschluss er¬
möglicht. Um die Hautlappen gut verschieben zu können und iede
Spannung zu beseitigen, wird auf der einen Seite die vordere Ver¬
bindungsbrücke ganz durchschnitten. Aus 2 Skizzen ist das Vorgehen
des Verf.s leicht ersichtlich. Notwendig ist natürlich eine exakte und
aseptische Naht, weil sich sonst bei Eiterung der Hautlappen zuriiek-
ziehen und einen unschönen Defekt setzen könnte.
E. He i m - Oberndorf b/Schweinfurt.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 39, 1914.
S. R e c a s e n s - Madrid : Die totale Gebärmutterabtragung als
Ersatz für den Kaiserschnitt in Fällen von Infektion.
Bei einer Frau im 7. Monat mit ausgedehntem Zervixkarzinom
machte R. die Totalexstirpation. Aus dem sofort eröffneten Uterus
gelang es, ein lebendes Kind zu entfernen. Dies führte R. dazu, das¬
selbe Verfahren in einem Falle anzuwenden, bei dem es sich um
enges Becken, lebende Frucht und Infektion der Mutter handelte
Wehen bestanden seit 2 Tagen, die Blase war seit 3 Tagen ge¬
sprungen. die Temperatur schwankte zwischen 39 und 39,5. Das
zuerst scheintote Kind wurde wiederbelebt und blieb am Leben, die
Mutter machte eine ungestörte Rekonvaleszenz durch.
R. will die Totalexstirpation nicht als Operation der Wahl bei
jeder Infektion bezeichnen. Er glaubt aber, dass besonders bei
hoher Temperatur die Operation geeignet ist, für Mutter und Kind
ein günstiges Ergebnis zu liefern. .1 a f f e - Hamburg.
Gynäkologische Rundschau. Jahrg. VIII, Heft 12.
Ludwig Piskacek - Wien: Aeussere Doppelhandgriffe zur Stil¬
lung von atonischen Post-partum-Blutungen. (Aus der TII. geburtsh.
Klinik der k. k. Hebammenlehranstalf in Wien.) (Mit 3 Figuren.)
Mitteilung von 3 Doppelhandgriffen. Bei dem ersten umgreift
me eine Hand die Gegend des Uterus unterhalb des Kontraktions-
nnges. Daumen und Mittelfinger drücken diese Stelle fest zusammen,
mit der gespreizten anderen Hand wird das Corpus uteri nach unten
gedrückt und massiert. Dieser Handgriff ist ähnlich dem von G 6 t h
Laios 1908 veröffentlichten Handgriffe. Die beiden anderen Hand¬
griffe bestehen darin, dass die Seitenkanten des Uterus mit den Fin¬
gern komprimiert werden, sie sind durch Abbildungen deutlich ge¬
macht.
Kurt F r a n k e n s t e i n - Köln a/Rh. -Kalk: Beitrag zur Versor¬
gung des bei der Operation durchschnittenen Ureters. (Aus der
rrauenabteilung des neuen Krankenhauses Köln-Kalk.)
Mitteilung eines selbstoperierten Falles (27 jährige Frau, bereits
einmal wegen einer linksseitigen Ovarialgeschwulst operiert, jetzt
Laparotomie wegen Genitaltuberkulose, supravaginale Amputation
des Uterus und Entfernung eines mannskopfgrossen Adnextumors:
hierbei muss ein Stück des rechten Ureters reseziert werden. Dop-
nelte Unterbindung und Versenkung des zentralen Ureterrandes.
Drainage der Bauchhöhle nach oben und unten. Glatte Heilung.
Besprechung der im vorliegenden Falle gewählten Operations¬
methode und des Vorschlags von Kawasoy e, einen Ureterknoten |
anzulegen. Verfasser ist der Meinung, dass man bei nicht ent¬
zündetem Harntraktus sich mit der Unterbindung des durchschnit¬
tenen Ureters begnügen kann, bei entzündetem Nierenbecken wird an
-teile der Unterbindung stets die Nierenexstirpation zu treten haben.
A. R i e 1 ä n d e r - Marburg.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. XIII, 1914. Nr. 3.
' ^-.vai) t’Hoff: Ueber Diphtheriebazillenträger. (Aus der
kgl. Lniv.-Kinderklinik der Cliaritee zu Berlin.)
Fast sämtliche untersuchten Kinder (die aus der Diphtherie-
abtcilung der Charitee als geheilt entlassen waren und zy Hause im
2071
Proletariermilieu regelmässig weiter untersucht wurden) sind
ca. 5 Monate Bazillenträger gewesen. Bei einem Teil der Kinder
waren noch nach 8 — 10 Monaten Bazillen nachzuweisen. Sic
scheinen sich am längsten im Lakuneninhalt zu finden.
Reiser: Zur Therapie des Pylorospasmus bei Säuglingen.
Empfehlung systematischer Sondenernährung mit Ammenmilch
: . 1 £ / ,roz- Natr. bicarb. nach vorhergehender Magenspülung.
Guter Erfolg in 2 Beobachtungen.
A. B o o k m a n - New York: Der Stoffwechsel bei Osteogenesis
imperfecta mit besonderer Berücksichtigung des Kalkumsatz.es. (Aus
der padiatr. Abt. und dem Physiol.-chem. Labor, des Mount-Sinai-
Hospitals in New York.)
Schlussfolgerungen : In aktiven Fällen ist die Kalziumretention
etwas oder ganz bedeutend unter normal. Es ist wahrscheinlich,
Abweichungen im Verlauf der Krankheit Aenderungen in der
Kalkbilanz bedingen. Die mangelnde Kalziumretention wird an¬
scheinend in günstiger Weise durch Phosphorlebertran beeinflusst
und noch stärker durch Kalziumlaktat.
Richard W e i g e r t - Breslau: Kasuistische Beiträge zur Ver-
breitungsweise des Scharlachs.
1. Berührung mit infizierten Gegenständen kann für den
Menscher, gefährlicher werden als das Hineinbringen des Speichels
MneSJL-MWer.en Scharlachkranken mit nekrotischer Angina in die
Mundhöhle eines Gesunden und als das Zusammensein mit dem
schwer Erkrankten selbst. 2. Beobachtung der Uebertragung des
Scharlachvirus durch einen infizierten Gegenstand (Kinderwagen)
nach einem Zeitraum von 8 Jahren.
Richard W e i g e r t - Breslau: Ein Fall von Meningozele, eine
seltene Komplikation des Keuchhustens.
Die Meningozele entstand etwa in der 3. Woche des Keuch¬
hustens und war haselnussgross. Sitz: Stirnfontanelle.
. « Erns! E reudenberg: Beitrag zur Frage des Barlow-Schutz-
stoffes. (Aus der Heidelberger Kinderklinik.)
Benutzt Wl!rc*e ein alkoholischer Extrakt aus gelben Rüben; der
Alkohol wurde ohne Druckerniedrigung abdestilliert. In 2 Fällen von
Bar low, die unter Darreichung einer ihrer Zusammensetzung nach
nicht als ungenügend zu bezeichnenden Nahrung entstanden waren,
wirkte die Darreichung des Extraktes auf Hämaturie und Knochen¬
prozesse sichtlich heilend ein.
Hans Opitz: Ueber Wachstum und Entwicklung untergewich¬
tiger ausgetragener Neugeborener. (Aus der kgl. Univ.-Kinderklinik
in Breslau [Prof. T o b 1 e rl.)
Bei den untersuchten 73 untergewichtigen reifen Kindern spielten
erbliche Belastungsmomente seitens der Eltern nur eine untergeord¬
nete Rolle. Belastende Krankheiten konnten nur in 4 Fällen ' nach¬
gewiesen werden. Die Grösse der Eltern hatte keinen bemerkens¬
werten. Einfluss. Die Mehrzahl der untergewichtigen reifen Kinder
weist eine den normalgewichtigen parallele Wachstumskurve auf, ein
kleiner Teil erzielt sogar ein Wachstumsplus, nähert sich also im
Laufe der Zeit der Norm. Ein Drittel etwa bleibt in beiden Wachs-
tumsqualitäten hinter den Vergleichswerten zurück. Nur wenige von
diesen sind lebhaft, rundlich, wohlproportioniert, ohne frühere oder
jetzige Störungen des Wohlbefindens; sie sind also als völlig gesund
zu betrachten (reine Hypoplasten). Bei allen übrigen liegen be-
sondere Gründe für das Zurückbleiben vor (Kombination der Hypo¬
plasie und Hypotrophie). Die übrige körperliche und die geistige
Entwicklung ist, wie es scheint, nicht anders als beim normalen Kind.
Albert Uffenheimer - München.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1914.
78. Band, 1. Heft.
K o n r i c h - Berlin : Ueber die Wirksamkeit des Weichardt-
schen Antikenotoxins und den Nachweis von Kenotoxin in der Luft
mittels des isolierten Froschherzens und im Reagenzglase.
Arth. K o r f f - P e t e r s e n - Berlin: Untersuchungen über Keno¬
toxin.
B. L a n g e - Berlin : Ueber den Nachweis von Giftstoffen der
Ausatmungsluft am isolierten Froschherzen.
Die aus dem Flügge sehen Institut hervorgegangenen 3 Arbei¬
ten beschäftigen sich mit der Frage der Ermüdungsstoffe und laufen
in eine Ueberprüfung der von W eichardt angegebenen Tatsachen
über das Kenotoxin und Antikenotoxin hinaus.
K o n r i c h fasst seine Ergebnisse dahin zusammen, dass sich am
Menschen das W e i c h a r d t sehe Antikenotoxin sowohl beim Ver¬
schlucken wie beim Versprühen als völlig unwirksam erwiesen habe
und es sei in bezug auf Ermüdungszustände als indifferentes Mittel
anzusehen, demnach entspräche es nicht seinem Namen. Es konnte
nicht bestätigt werden, dass sich Kenotoxin in der Luft mittels der
Blutguajakprobe unter Verwendung von Chlorkalzium und chemisch
reinem Glyzerin nachweisen Hesse.
K o r f f - P e t e r s e n muss ebenfalls ,.den W e i c h a r d t sehen
Angaben über sein , Kenotoxin* in allen Punkten widersprechen“.
Ein Beweis dafür, dass bei der Ermüdung besondere höhermolekulare
Eiweissabbauprodukte ursächlich beteiligt seien, konnte nicht er¬
bracht werden.
Lange konnte in der Ausatmungsluft, dem Atcmluftwasch-
wasser und dem Atemkondensat durch Prüfung am isolierten Frosch¬
herzen giftige Stoffe nicht finden. Lediglich die ausgeatmete Kohlen-
saure wirkte herzschädigend.
2072
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 41.
S c h u s t e r - Berlin: lieber die Beeinflussung der Arbeits¬
leistung am Ergographen durch längeren Aufenthalt in geschlossenem
Raume. , , _
Durch einen längeren Aufenthalt in einem geschlossenen Raume
und durch die dabei zustande kommende starke Häufung von Exspi¬
rationsprodukten konnte eine mittels der Arbeitsleistung am Ergo¬
graphen messbare ungünstige Beeinflussung des körperlichen Ver¬
haltens nicht beobachtet werden.
K. F r a n z - Berlin: Zur Frage der Beurteilung der Belichtung
von Schulplätzen.
Theoretische Erwägungen und praktische Untersuchungen über
den P 1 e i e r sehen Raumwinkelmesser und das Weber sehe Rela¬
tivphotometer führten zu Verbesserungsvorschlägen, die in der Arbeit
ausführlich begründet werden. Es muss dabei auch die vom Verf.
in Bd. 68 niedergelegten Vergleichsversuche zwischen dem Moritz-
Weber sehen Apparat und dem Thorner sehen Lichtprüfer hin¬
gewiesen werden.
J. J. van Loghem und N. H. Sw eilengrebel - Malang
in Java: Zur Frage der Periodizität der Pest auf Java.
Während in verschiedenen Pestländern, so z. B in Aegypten, die
Schwankungen in der zeitlichen Verbreitung der Pestepidemien auf
klimatische Verhältnisse zurückzuführen sind, fällt dieser Grund in
Java weg, weil dort das Klima Sommer und Winter ausserordentlich
gleichmässig ist. Wodurch die Unregelmässigkeiten in Java aber be¬
dingt sind, konnte bisher nicht ermittelt werden. Ebenso gelang es
nicht, Aufschluss darüber zu erhalten, wie die regionäre Immunität
Surabayas zustande kommt. Pestratten und Pestflöhe mögen eine ge¬
wisse Rolle spielen: In der pestfreien Periode 1912 waren in Kediri
Rattenvertilgung und Häuserassanierung an der Tagesordnung, wo¬
gegen in Tulungagung nichts getan worden war. Trotzdem
war das Resultat ganz dasselbe. Verf. warnt daher, den Bekämp-
fungsmassregeln Erfolge zuzuschreiben, denen tatsächlich ganz andere
Ursachen zugrunde liegen.
M. R a y s k y - Moskau: Wiederholte Immunisierung als Methode
zur Gewinnung von präzipitierenden Sera.
Im Anschluss an frühere Versuche kommt Verf. zu demselben
Resultat, dass bei wiederholten Immunisierungen intensive Präzipi¬
tine im Blute sich ausserordentlich rasch bilden. Sie treten schon nach
5 — 6 Tagen auf Es ist als unrationell zu bezeichnen, die einmal ver¬
wendeten Tiere ausbluten zu lassen, weil sie später, nach einer ge¬
wissen Zwischenpause schon nach der Einverleibung einer sehr ge¬
ringen Antigenmenge intensive Präzipitine liefern.
Hermann Dold und Max B ii r g e r - Strassburg: Ueber die
Wirkung des sogen. Anaphylatoxins sowie arteigenen und fremden
Serums auf den isolierten Darm.
Die Sera von Kaninchen, Meerschweinchen, Hammel, Pferd,
Rind, Schwein bringen frisch oder sterilisiert, oder mit Bakterien di¬
geriert, aktiv oder inaktiv auf den isolierten Kaninchen- und Meer¬
schweinchendarm eine gleichmässige tonussteigernde Wirkung
hervor.._D.aneben kommt es in den meisten Fällen nach einer anfäng¬
lichen Verkleinerung der Darmbewegung zu einer erheblichen Ver-
grösserung der Ausschläge. Das mit Bakterien digerierte Serum
zeigt in unseren Versuchen gegenüber sterilen homologen und hetero-
logen Normalsera auf den isolierten Darm keine besondere Wirkung.
Rudolf 0 e h 1 e r - Frankfurt a. M.: Der Dimorphismus des Try¬
panosoma Brucei bei experimenteller Behandlung.
Nach den Beobachtungen O e h 1 e r s sollen die Breitformen der
chronischen Naganastämme nichts mit Geschlechtsdifferenzierung zu
tun haben, sondern die Form darstellen, welche das Trypanosoma
Brucei annimmt, wenn es der Remission entsprechend aus dem Blute
verschwindet. R. 0. Neumann - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 39 u. 40, 1914.
A. L o e v y - Berlin: Zur Frage nach dem Effekt der manuellen
künstlichen Atmung beim Menschen.
Der Zustand der Apnoe ist auch beim Menschen ein aktiver
Zustand, währenddessen das Zwerchfell und meist auch die inspira¬
torisch wirkenden Thoraxmuskeln sich im Zustand der Kontraktion
befinden. Der apnoische Zustand ist infolgedessen nicht geeignet,
als Ausgangspunkt für Respirationsversuche zu dienen, welche Auf¬
klärung über deren Ventilationseffekt am erschlafften Körper geben
sollen.
Eduard M e 1 c h i o r - Breslau: Ueber den sog. arterl-mesenteri-
alen Duodenalverschluss (Atonia gastro-duodenalis acuta). (Schluss.)
Kasuistischer Beitrag.
E. Fuld- Berlin: Die Behandlung von Colitis gravis mittels
Spülungen von der Appendikostomie aus. (Vortrag, gehalten in der
Berl. med. Ges am 8. Juli 1914.)
Cf. S. 1589 der M.m.W. 1914.
B r e 1 1 n e r - Berlin: Der Kriegssanitätsdienst in Berlin.
Weitere Mitteilungen folgen.
Ernst J e g e r - Breslau: Der gegenwärtige Stand der Blutge¬
fässchirurgie.
Sammelreferat.
Nr. 40.
Hans V i r c h o w - Berlin: Ueber den Situs der Thoraxeinge-
weidc bei spitzwinkliger Kyphose. (Vortrag in der Berl. med. Ges.
am 22. Juli 1914.)
Cf. pag. 1703 der M.m.W. 1914.
O. K o h n s t a m in - Königsstein i. Taunus: Schlzothymie und
Zyklothymie. (Vortrag, gehalten auf der Badener Wanderversamm¬
lung südwestdeutscher Neurologen und Irrenärzte.)
Ci. Spezialreferat der M.m.W. 1914.
Ernst Marcuse: Der röntgenologische Nachweis von Dünn-
darinstenosen.
Die charakteristischen Symptome der Dünndarmstenose sind:
1. Füllungsdefekt, 2. Retention in den zuführenden Schlingen, 3. ver¬
änderte Peristaltik der zuführenden Schlinge, 4. Dilatation derselben.
Es müssen nicht alle Symptome gleichzeitig vorhanden sein.
P Unna jun.: Neue Erfahrungen über Pockennarbenbehandlung.
Nach den Erfahrungen des Verfassers wird man zuerst chi¬
rurgisch mit Skarifikationen nach V i d a 1 die gröbsten Entstellungen
entfernen, durch Elektrolyse einzelne besonders auffällige Er¬
hebungen beseitigen und ev. durch eine Salizylschälung die Horn¬
schicht im ganzen verdünnen. Dann setzt die Hauptbehandlung ein:
die Hauptmasse der Vertiefungen wird durch Kohlensäureschnee ge¬
hoben, wobei die Erhöhungen gleichzeitig erweichen. Zur selben Zeit
wird durch Fibrolysininjektionen eine ständige Resorption im Gange
erhalten. Die Nachbehandlung mit Pflastern von Salizylsäure und
die akuter wirkende und sehr zu empfehlende Thiosinaminkata-
phorese beschleunigen die eingeleitete Resorption. Bei den Resten
des erweichten, abgeflachten Gewebes tut die Poliermethode das
ihrige, um die letzten Ungleichheiten zu ebnen. Den Schluss bilden
daher am besten abwechselnd Salizylschälungen, Thiosmaminkata-
phoiese und Polituren. Mit dieser Behandlung sind sogar die schlimm¬
sten Pockennarben einer bedeutenden Verbesserung fähig.
Dr. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1914.
Nr. 39. K. B o n h o e f f e r - Berlin: Psychiatrie und Krieg.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage.
Th. A x e n f e 1 d - Freiburg i. Br.: Krlegsophthalmologlsche und
organisatorische Erfahrungen.
Besprochen in der Eeldärztlichen Beilage.
Gr ob er- Jena: Zur Feuerbestattung im Kriege.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage.
0. B ö t e r s - Zittau: Die Vakzinebehandlung der Gonorrhöe und
gonorrhoischer Komplikationen.
Die Vakzinebehandlung ist wertvoll bei den Komplikationen der
Gonorrhöe (Prostatitis, Epididymitis, Parainetritis, Adnexerkran¬
kungen) und den gonorrhoischen Metastasen. Auch bei der Nephritis
und Endokarditis gonorrhoica wird ein Versuch angezeigt sein.
Diagnostisch spricht eine eindeutige Reaktion nach Arthigon (Allge¬
meinstörungen; höheres Fieber) bei unkomplizierten und komplizierten
Fällen (hier auch der positive therapeutische Erfolg) für die gonor¬
rhoische Aetiologie. Bei nicht gonorrhoischen Affektionen fand B.
nach Arthigon (0,1 intravenös) nur Temperatursteigerungen von 0,3
bis 0,9°.
Schuster - Berlin: Aus der Organisation des Sanitätsdienstes.
Fortsetzung folgt.
L. D r e y e r - Breslau: Erste kriegschirurgische Eindrücke.
Besprochen in der Feldärztlichen Beilage.
B e r g e a t - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Kiel. August-September 1914.
Adolphi Gerhard: Ueber Aggravation bei den nach Unfällen ent¬
stehenden Neuropsychosen.
Alsen Friedrich: Klinische Erfahrungen über Augenverletzungen
aus der Zeit vom 1. April 1909 bis 31. März 1912.
Bock Hans: Zur Lehre von den nach Unfällen auftretenden psychi¬
schen Störungen.
CI aussen Erwin: Statistische und klinische Mitteilungen über
das Delirium tremens
Görski Marian: Beitrag zur Lehre von den Psychosen nach akuten
Infektionskrankheiten: Amentia nach Sepsis (multiple Abszesse).
Hampel Max: Ueber Delirium bei Gelenkrheumatismus.
Harms Johann Gerriet: Vier interessante Fälle von Endokarditis
der Aortenklappen.
Haupt Adolf: Ein Beitrag zur Differentialdiagnose zwischen Enze-
phalomalazie und Tumor cerebri.
Heinemann Albert: Ueber den Verschluss von Defekten des
knöchernen Schädels mit besonderer Berücksichtigung der
Garre-v. Hacker-Durante sehen Plastik.
Hild Hans: Ueber Chylus- und Mesenterialzysten.
Jordan Erich: Zur Chirurgie der Hirntumoren im Bereiche des
Parietallappens.
Kehrmann Richard: Ueber die Behandlung der Syphilis mit
Kontraluesin.
Kindt Ernst: Beitrag zur Lehre von der akuten Bulbärparalyse.
Klein Wilhelm: Zur Symptomatologie der Kleinhirntumoren.
Kohrs Theodor: Ueber die als Sarkome der Extremitätenknochen
behandelten Fälle der Kieler chirurgischen Klinik.
K o w i t z Hans Ludwig: Intrakranielle Blutungen und Pachymenin-
gitis haemorrhagica chronica interna bei Neugeborenen und Säug¬
lingen.
Külz Wolfgang: Beitrag zum Obstipationsproblem.
13. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2073
Vereins- und Kongressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzungen vom 8. und 15, Juli 1914.
Vorsitzender: Herr Beneke.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
III.
... MLrr einberg (a. ü.): Ich möchte heute einige kurze Mit¬
teilungen über die 1 echmk des Dialysicrverfahrens machen, die auf
den Erfahrungen aus meinen Untersuchungen über maligne Tumoren
beruhen, hm wichtiger Punkt, bis jetzt viel zu wenig beachtet,
he.rint die I echmk der Substrate, über die ich Ihnen etwas aus¬
führlicher berichten will. Sie betrifft weniger die Zubereitung als
vor allem die einwandfreie Anwendung der Substrate. Ich erhebe
dabei folgende verschiedenen Forderungen. Zunächst ist unbedingt
die Einstellung der Substrate zu verlangen. Jedes Substrat also
“ ich nehme z. B. Karzinomsubstrat — ist gegen Karzinom-, Sarkom-,
Graviden- und Normalserum zu prüfen, nicht einmal, sondern vorteil¬
haft in mehreren Kontrollversuchen. Dann ist unbedingt notwendig
a ke,ü ,Subsitr?ti verwendet wird, von dem nicht der' histologische
Aufbau bekannt ist wichtig vor allem in der Frage der Spezifität
der rermente. VVie aus anderen Untersuchungen, so geht auch aus
meinen hervor, dass die Spezifität derart streng ist. dass' sie sich
anscheinend bis m histologische Details erstreckt. So ergab sich
uass Plattenepithelkarzinom- und Zylinderzellenkarzinomsubstrat hier
vom v erum eines I atienten mit einem Tumor von entsprechendem
Zelltypus angegriffen wurden. Aehnlich verhält es sich bei Rund¬
zellen- und Spindelzellensarkom, wenn auch die Erscheinung nicht
bei jedem Falle sich zeigt. So trat bei einem Patienten mit Oeso¬
phaguskarzinom neben starkem Abbau eines Plattenepithelkarzinoms
schwacher Abbau eines Adenokarzinoms des Magens auf. Daraus
ergaben sich Natürlich Folgerungen für die Einstellung eines Sub-
atrates. testen prüft man ein Tumorsubstrat gegen das Serum
des I atienten von dem es stammt — oder gegen das Serum eines
Patienten, bei dem durch Operation eine Uebereinstimmung im histo-
logischen Aufbau festgestellt werden konnte. Eine weitere Folgerung
bezieht sich auf die Anwendung des Tumorsubstrates, sofern es sich
um eine zweifelhafte Diagnose handelt. Dann ist es unbedingt not¬
wendig mit Tumorsubstrat von verschiedenstem Typus zu unter¬
suchen, um sicher zu sein, dass ein entsprechendes Substrat im Ver-
suche ist. Eine Reihe von Fehldiagnosen lassen sich sicher darauf
zurucktühren, dass jegliches Serum — unbekümmert um Sitz und
histoiogischen Aufbau des fraglichen Tumors — mit einem einzigen
tuibstrat geprüft wurde Wie aber soll man sich verhalten, wenn
Material nicht zur Verfügung steht, das dem Organ, in dem die Neu¬
bildung sich gebildet hat, entspricht. In diesem Falle lieber auf das
entsprechende Organ verzichten, als auf die histologische Ueberein-
stimmung. Wohl erfolgt bei gleichartigem Organsubstrat etwas
stärkerer Abbau, doch ich habe auch stets Abbau erhalten, wenn ich
I uHiorsubstrat verwendete, das von einem anderen Organ herriihrte.
Wird kritiklos Tumorsubstrat verwendet, das von einem entsprechen¬
den Organ herrührt, so kann unbemerkt eine Fehlerquelle mit unter¬
laufen. Es ist nicht notwendig, tritt aber oft genug ein, dass das
a!s sc^c^es abgebaut wird. , So baute eine Struma maligna
Schilddrüse, Schilddrüsenkarzinom, Magenkarzinom ab. Ein Fall von
Magenkarzinom mit Lebermetastasen baute Magenkarzinom, Leber-
nietastasen aber nicht Leber ab; ein anderes dagegen baute auch
Leber ab. ln einem Falle traten von seiten der Leber keinerlei
klinisch nachweisbaren Erscheinungen auf, im anderen Falle bestand
hochgradiger Ikterus, im Urin reichlich Gallenfarbstoffe. Neben einem
Substrat, das von einem Organe stammt, das für die fragliche Neu¬
bildung in Betracht kommt, ist noch ein „neutrales“ Organ zu ver¬
wenden, d. h. von einem Organ stammend, das keine klinischen
Erscheinungen macht oder dafür gar nicht in Betracht kommt. Am
besten ist es, wenn grundsätzlich bei diagnostischen Untersuchungen
die entsprechenden Normalorgane im Versuche mitlaufen. Die be¬
rührten Fragen sollen anderweitig ausführlich behandelt werden.
Leber die mit dem Dialysierverfahren erhaltenen Ergebnisse ver¬
gleiche d. Wschr. 1914 Nr. 29 und 30.
Herr So w ade: M. H.! Abderhaldens Entdeckung, dass
ier tierische Organismus auf das Eindringen fremdartiger abbau-
ähiger Stoffe in die Blutbahn unter verschiedenen Bedingungen mit
-er Bildung spezifischer Fermente antworten kann, stellt uns bezüg-
ich der Infektionskrankheiten 2 Aufgaben:
1. Sind Abwehrfermente gegen die den Körper befallenden Mikro-
rganismen vorhanden?
2. Wird das von den Infektionserregern ergriffene Gewebe vom
hutserum abgebaut?
Zunächst allein, dann gemeinsam mit Herrn Papendieck
•abe ich mit dem Dialysierverfahren diese beiden Fragen bezüglich
Tr Syphilis einer Prüfung unterzogen.
ln der Literatur existieren meines Wissens bisher 2 Angaben
Ter versuche auf diesem Gebiet. Zunächst hat V o e 1 k e 1 berichtet,
ass er bei Verwendung von Spirocliätenkulturen in Pferdeserum, von
.umrnösem Gewebe und schliesslich auch von koaguliertem Blutserum
yphilitischer Individuen, das lege artis für den Versuch vorbereitet
'ar, in einigen Fällen den Nachweis erbringen konnte, dass das Blut¬
serum von Syphiliskranken spezifische Fermente enthielt, die Spiro-
chäteneiweiss zu zerlegen vermochten.
Weiterhin hat Reines festgestellt, dass Luetikerserum bei
manifester Lues stets luetisches Organ abbaut, nie aber nichtluetische
Substrate. Dasselbe Luetikerserum reagierte bei seinen Versuchen
mit kongenital-luetischen Organen viel stärker als mit Spirochäten¬
kulturen oder luetischen Organextrakten.
Unsere eigenen Versuche sind völlig unabhängig von diesen
beiden Autoren ausgeführt worden.
Zur Prüfung der 1. Frage, ob Abwehrfermente gegen die Spiro¬
chäten selbst nachweisbar sind, brauchten wir vor allem Pallida-
spirochäten. Es standen uns dazu Reinkulturen zur Verfügung, die
in reinem Pferdeserum wachsen, indem sie den Nährboden, ohne ihn
zu verflüssigen, in allen seinen Teilen durchsetzen. Da es uns nicht
gelungen ist, den koagulierten Pferdeserumnährboden aufzulösen, um
die Spirochäten von dem Nährsubstrat zu trennen, also reines Pallida-
eiweiss zu gewinnen, mussten wir bei unseren Versuchen Pferde-
serurn + Spirochäten verwenden. Dadurch wurde bei jedem Versuch
eine Kontrolle mit entsprechend vorbereitetem, koaguliertem, nicht-
beimpften, blutkörperchenfreiem Pferdeserum notwendig.
Bezüglich der Technik will ich nur kurz bemerken, dass wir
uns genau an die Vorschriften des Autors gehalten haben, dass wir
aber anfangs trotzdem die widersinnigsten Resultate erhielten. Es
stellte sich dann heraus, dass wir eine grosse Menge Fehler machten
und schliesslich haben wir gelernt, diese Fehler erkennen und damit
vermeiden. Mit einem Schlage wurden nun unsere Resultate besser
und in der Regel durchaus eindeutig. Ich will hier nur eine Fehler¬
quelle erwähnen, die uns zeitweilig geradezu mutlos gemacht hat.
Bei einer Versuchsserie überraschte uns nämlich die Tatsache, dass
die Kontrolle mit unbeimpftem koagulierten Pferdeserum häufig posi¬
tiv ausfiel, und zwar immer bei solchen Patienten, die schon einige
Zeit in unserer Behandlung waren, nie bei solchen, die unbehandelt
bei der Aufnahme in die Klinik untersucht wurden. Auch hier kamen
wir schliesslich hinter die Ursache dieser uns zunächst unverständ¬
igen Reaktion. Unser unbeimpftes Pferdeserum, * das vollkommen
klar und hellgelb, aber nicht genügend zentrifugiert war, enthielt
nämlich noch Unmengen roter Blutkörperchen, und so kam es, dass
zwar die unbehandelten Patienten mit der Pferdeserumkontrolle keine
positiven Resultate gaben, dass aber schon nach kurzem Aufenthalt
in der Klinik, als von uns neben der intravenösen Salvarsanbehand-
Iung auch die intramuskuläre Hg-Injektionstherapie eingeleitet war.
eine positive Reaktion mit Pferdeserum allein festgestellt wurde, weil
diese Patienten eben nunmehr wegen der bisher bei intramuskulären
Injktionen nie zu vermeidenden Gewebsblutungen zwar nicht das
Pferdeserum als solches, wohl aber die darin noch enthaltenen Blut¬
körperchen abbauten.
Was unsere Resultate betrifft, so will ich heute kurz über eine
Versuchsserie bei 55 Fällen berichten. Diese Fälle betreffen Nicht¬
syphiliskranke, Luetiker aller Stadien, auch Metasyphilitiker und
einen Fall von kongenitaler Lues.
Bei 12 Nichtlueskranken hatten wir 2 Fehldiagnosen mit Spiro-
chäteneiweiss, nämlich bei einem Fall von senilem Korsakoff mit nega¬
tiver WaR. und bei einer Aorteninsuffizienz, bei der wir leider aus
äusseren Gründen die WaR. nicht mehr ansfellen konnten, weil der
Patient in unsere Beobachtung nicht wieder zurückgekehrt ist. Die
übrigen 10 Fälle reagierten absolut negativ.
14 Seren, die von Patienten mit manifesten Lueserscheinungen
der primären und sekundären Periode stammten, reagierten sämtlich
mit Spirochäten einwandfrei positiv. In einem Falle von sekundärer
Syphilis, der am Schluss einer kombinierten Ouecksilber-Salvarsan-
Behandlung untersucht wurde, war sowohl die Abderhalden-
sche Reaktion mit Spirochäten wie auch die WaR. negativ.
Von den Metasyphilitikern wiesen alle Spirochäteneiweissabbau
auf, die eine positive WaR. hatten. 2 Paralytiker mit fehlendem
Spirochätenabbau hatten auch eine negative Komplementbindungs¬
reaktion. Das Serum eines Tabikers mit negativem Wassermann
ergab jedoch einwandfrei Abderhaldenreaktion mit Spirochäten¬
substrat.
Der Fall von Lues congenita ergab ein positives Resultat, des¬
gleichen die Fälle tertiärer Syphilis bis auf einen Fall, den wir am
Schlüsse einer Hg-Salvarsankur untersuchten und dessen WaR. von
Ai, au^ 1 heruntergegangen war, dann übrigens ohne weitere
Behandlung negativ geworden ist.
4 Patienten, deren Seren wir untersuchten, hatten vor längerer
Zeit an Lues gelitten, sie waren wiederholt ausgieibg mit Hg und
Salvarsan behandelt worden, und die WaR. war schon lange bei
häufiger Kontrolle negativ, so dass von weiterer Behandlung abge¬
sehen wurde. Von diesen reagierten 2 negativ, 2 aber deutlich positiv
nach Abderhalden. Wir haben uns nicht gescheut, diesen beiden
eine erneute spezifische Behandlung anzuraten. Nach Abschluss der¬
selben werden wir die A b d e r h a 1 d e n sehe Seroreaktion bei Ihnen
wieder ausführen.
Ein latent Syphilitischer mit stark positiver WaR. baute in ein¬
wandfreier Weise Spirochäteneiweiss ab.
Wie zuverlässig die Reaktion war, mögen folgende beiden Fälle
illustrieren: Ein Pat. mit Sykosis Simplex sollte als Kontrolle ein
nicht luetisches Serum liefern, er baute jedoch stark Spirochäten¬
eiweiss ab. Die darauf vorgenommene Untersuchung ergab eine
Schankernarbe am Penis, universelle Drüsenschwellung und stark
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. -41
207-4
positive WaR. Ein anderer Fall wurde als Lungensyphilis in die
Klinik aufgenommen. Spirochätenabbau blieb aus, die_ Luesanamnese
erwies sich als sehr fraglich, die WaR. war negativ. Es handelte sich
klinisch um eine floride Phthise mit reichlichem Tuberkelbazillen¬
befund.
Bei allen unseren Versuchen wurde von derselben Serum¬
menge natürlich stets auch die WaR. ausgeführt, die uns ]a als
Prüfstein für die Diagnose zu statten kommen musste. Auffallend war
die fast regelmässige Uebereinstimmung der WaR. mit der Abder¬
halden sehen Seroreaktion. Einige Ausnahmen erwähnte ich be¬
reits. Hinzufügen will ich nur noch, dass ein Pat. mit Dementia
praecox, der eine schwach positive Komplementbindungsreaktion
hatte, kein Spirochäteneiweiss abbaute. In einem Falle von Primär¬
affekt war die Abderhalden sehe Reaktion entsprechend der
Wassermann sehen zunächst negativ und wurde nach Beginn
der Behandlung mit dieser gleichzeitig positiv.
Was unsere 2. Aufgabe betrifft, ob das von den Infektionserregern
befallene Gewebe vom Blutserum abgebaut wird, so haben wir meist
nicht das klinisch als lueskrank erkannte Organ geprüft, sondern den
Nachweis von Abwehrfermenten in seiner diagnostischen Bedeutung
zur Prüfung der Funktion der einzelnen Organe herangezogen, wir
haben also eine Reihe von Organen mit dem Blutserum angesetzt, um
auf diesem Wege einen Einblick in eventuelle Veränderungen innerer
Organe bei den verschiedenen Stadien der Lues zu bekommen.
Unsere Organprüfungen betrafen bisher: Leber, Niere, Milz, Herz,
Hoden, Lunge und Grosshirn.
Am wenigsten wird es auffällig erscheinen, dass wir bei 37 Lues¬
kranken 9 mal den Abbau von Lebereiweiss nachweisen konnten.
Interessant ist indessen, dass 3 von diesen Fällen lediglich einen
Primäraffekt aufwiesen, allerdings bei schon positiver WaR., 1 Fall
zeigte Sekundärsymptome: die übrigen 5 Fälle waren sämtlich alte
Luetiker, von denen 2 an Paralyse litten.
3 Sekundärsyphilitiker und 2 Spätsyphilitiker bauten Niere ab.
Milz- und Lungenabbau wurde nie gefunden, allerdings auch nicht
immer darauf geprüft. Einen Abbau des Herzorgans fanden wir bei
2 Fällen von Sekundaria. Hoden baute ein Patient mit doppelseitiger
Sarkozele ab.
15 mal konnten wir bei Luetikern Abwehrfermente gegen Gross-
hirneiweiss ausfindig machen. Ziehen wir von diesen 8 Metasyphi¬
litiker ab, so bleiben 7 Fälle, die sich auf 2 Fälle von Primäraffekt,
1 Fall von Lues II, 2 Fälle von Lues III, 1 Fall von Lues congenita
und 1 Fall von scheinbar geheilter Lues verteilen. Der kongenitale
Luesfall betraf übrigens ein 18 jähriges Mädchen, das an enileptischen
Dämmerzuständen litt und einen schweren psychischen Defekt auf¬
wies.
Selbstverständlich wurde in allen Fällen, in denen auf Grund der
Abderhalden sehen Seroreaktion diese oder jene Organdysfunk¬
tion vermutet werden musste, eine eingehende klinische Untersuchung
angeschlossen, die aber nicht immer eine Bestätigung brachte. Eine
Lebererkrankung konnte in keinem der in Betracht kommenden Fälle
eruiert werden, ebensowenig eine Herzaffektion. dagegen gelang
zweimal der Nachweis von granulierten Zylindern in dem Zentrifugat,
des mit den groben Eiweissproben negativ reagierenden Urins.
Was die praktische Bedeutung der Abderhalden sehen Sero¬
reaktion für das Gebiet der Syphilis betrifft, so käme zunächst das
Dialysierverfahren möglicherweise als Diagnostikum für Lues in
Frage. Dass mit dem Dialysierverfahren bei Verwendung von Spiro¬
chätenkulturen die Lues in allen Stadien diagnostiziert werden kann,
haben unsere Versuche erwiesen: ob die A b d e r h a 1 d e n sehe Re¬
aktion ebenso zuverlässig oder vielleicht noch zuverlässiger wie die
WaR. ist, wird an einem umfangreichen Material sichergestellt wer¬
den müssen. Bezüglich unserer Versuche der Prüfung der Organ-
funktion bei Lues wage ich heute noch kein Urteil über Brauch¬
barkeit und Wert des Dialvsierverfahrens abzugeben. Durch weitere
Versuche, mit denen wir beschäftigt sind, werden wir dieser Frage
aber nachgehen.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 16. Juni 1914. (Schluss.)
Vorsitzender: Herr A 1 1 a r d.
Schriftführer: Herr v. Engelbrecht.
Herr Trömne r: Ueber Paralysis agitans.
Herr T teilt seine Erfahrungen über 36 in den letzten 15 Jahren
beobachteten Fällen von Paralysis agitans mit. Als Ursache waren
selten Heredität, niemals körperliche Traumen, dagegen oft depres¬
sive Erregungen und körperliche Ueberanstrengungen (zweimal auf
Infektionskrankheiten folgend) zu erkennen. Bei Frauen fiel der Be¬
ginn mehrmals ins Klimakterium. Den motorischen Kardinal¬
symptomen, Zittern und Rigidität, ging in mehreren Fällen
ein neurasthenieähnliches Prodromalstadium mehrere Jahre
voraus, in einem Falle 5 Jahre (Herzklopfen, Schlafstö¬
rungen, Hitzegefühl. Schweisse, körperliche Mattigkeit, Glieder-
parästhesie. Schwindelgefühl resp. Schwindelanfälle, seltener rheu¬
matoide Schmerzen in Nacken, Schulter, Armen. Das Zittern
wurde mehrmals in Zunge, Mundfazialis und Orbicularis oculi be¬
obachtet: einmal in sehr schnellschlägiger Form in den Fingern, vier¬
mal als deutlicher Intentionstremor. Zwischen Tremor und Rigidität
besteht nach T. im allgemeinen ein konträres Verhältnis, sofen
Tremor in den am meisten willkürlich innervierten Muskeln. Rigiditä
in den der Statik dienenden, Rücken, Schulter, Beckenmuskel aut
tritt. Für erstere dürften kortikale, für letztere kortiko-zerebellar
Leitungswege resp. Zentren als Krankheitsort in Frage kommet
Konstante Reflexanomalien fand T. nicht; bei einem durch Rigidität
der Beine ausgezeichneten, sonst aber symptomreinem Falle wa
deutliches Babinski- und Oppenheimphänomen vorhanden, Bech
tcrew-Mendel-, Rossolimo- und Wadenphänomen fehlten dagegen
Sensible Störungen objektiver Art fand T. nicht, bezweifelt auch ih
Vorkommen. Die nicht selten zu findenden sog. bulbären Pareset
in Fazialis-, Zungen- und Schlundgebiet sind als pseudobulbäre anzu
sehen, und auf Schädigung suprabulbärer Innervationswege zu be
ziehen. Ebenso die Supersekretion von Speichel, Sclnveiss. Tränet
und manchmal Hautfett. Als trophische Störungen sah T. Haut
atrophie einmal mit main succulente und zweimal die F r ä n k e 1 sek
Hautsklerose im Nacken, einmal Runzclung der Fingernägel. A!
Hirnsymptom besonderer Art demonstrierte T. früher schon einet
Fall mit nächtlichen Muskelzuckungen und drei epileptiformen An
fällen. Psychosen sah T. zweimal nach deutlichem Beginn der Krank¬
heit auftreten, einmal eine paranoide Psychose mit Wahnideen kör
perlicher Beeinflussung, ähnlich Kräpelins präsenilem Beeinträch
tigungswahn. Mit den von König und U b a u d zusammengestelltei
Fällen verglichen hat diese Form vielleicht als eine Art spezifische
Parkinsonpsychose zu gelten.
Diskussion: Herr Böttcher.
Herr Plate erwähnt das Vorkommen von Arthritiden bei Para
lysis agitans, wohl bedingt durch die mangelnde Bewegung und dit
Pressung der Gelenkflächen gegeneinander durch die Muskelrigidität
Er sah Besserung der Affektion durch vorsichtige passive Be
wegungen in den erkrankten Gelenken. Weiter erwähnt P., das
er die Leiche einer an Paralysis agit. Verstorbenen in halbsitzende:
Stellung fand, wie das auch anderweitig beschrieben wurde.
Herr E. Fraenkel.
Herr Kafka: Da wir auch bei anderen mit schweren Hirn
Schädigungen einhergehenden Krankheiten (Huntingtonsche Cho
rea, Hirntumor u. a.) ähnliche Psychosen sehen, wie die von Hem
Trömner geschilderten, dürften diese letzteren wohl nicht ah
für Paralysis agitans spezifische anzusprechen sein. Auch ist wob
das Vorkommen schwerer psychischer Erscheinungen bei Parkin
s o n nicht häufig, zumal wir in den Statistiken der grossen Irren
anstalten diese Erkrankung sehr selten finden.
Herr Schottmüller: Bezüglich der Bemerkung, dass voi
manchen Autoren ein Zusammenhang angenommmen wird zwischei
Paralysis agitans und den Epithelkörperchen, möchte ich auf folgend!
Beobachtung hinweisen.
Um mir über diese Annahme ein eigenes Urteil zu verschaffen
hatte ich einer Patientin mit Parkinsonscher Krankhei
eine Zeitlang ein Präparat von Epithelkörperchen hergestellt vorab
reicht. Ohne die Patientin über die Art des Mittels aufzuklären, gat
mir dieselbe an, obwohl ich ihr gegenüber nur von der Möglichkei
einer günstigen Wirkung des Mittels gesprochen hatte, dass, solang»
sie das Mittel nahm, die typischen Beschwerden der in Rede stehen
den Krankheit, Schmerzen in der Muskulatur und Schwerbeweglich
keit usw. Zunahmen, während hingegen sofort, nachdem das Mitte
ausgesetzt war, die Steigerung der Beschwerden wieder verschwand
Gestützt auf diese Beobachtung glaubte ich mien berechtigt, ii
einem mittelschweren Fall von Paralysis agitans dem Patienten dit
Herausnahme der Epithelkörperchen anzuempfehlen. Der Patient er
klärte sich mit der Operation, die nur einen Versuch zur Heilum
darstellen sollte, einverstanden. Alle 4 Epithelkörperchen wurdet
entfernt. Die Untersuchung von seiten des Herrn Prof. Fraenke
ergab irgend eine erkennbare anatomische Veränderung nicht. Dei
Zustand des Patienten blieb nach der Operation unverändert, vor
einem Erfolg konnnte nicht die Rede sein. Die Annahme, dass dit
Epithelkörperchen Schuld an der Erkrankung sind, ist daher abzu-
lehnen.
Herr Trömner (Schlusswort) gibt die Wichtigkeit der Ri¬
gidität für die Diagnose zu, betont aber, dass es Fälle gibt, weicht
nur mit Zittern beginnen. Die Salivation kann nicht von Rigiditä
abhängen, da sie manchmal selbst im Schlaf so stark ist, dass dit
Kranken vom Verschlucken mit Speichel erwachen. Ausserdem be¬
stehen ja noch andere Supersekretionsanomalien. Herrn Plate ent
gegnet er. dass chronische Arthritis auch bei Parkinsonkranken vor-
kommt, dass aber ausgebreitete Rigidität ohne Gelenkveränderunger
häufiger ist. Nebenbei werden die Arthropathies parkinsoniennec
französischer Autoren von Oppenheim mit Recht als begleitende
Arthritis deformans gedeutet. Bei Chorea werden häufiger delirlös«
und manische Psychosen als paranoide der hier geschilderten Ar:
beobachtet. Gleich Herrn Schottmüller hat auch T. mit Para-
thyreoidin keine Erfolge gesehen.
Würzburger Aerzteabend.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 14. Juli 1914.
Herr Enderlen stellt folgende Fälle vor:
1. Schussverletzungen des Bauches.
a) W. G., 16 J„ Hausbursche. 13. VI. 14. Schuss aus einem in
der Tasche getragenen Terzerol. Einschuss neben Appendikektomie-
13. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2075
narbe. Laparotomie 3U Stunden nach der Verletzung: Dünndarm
an i . te en perforiert; Uebernähungen. Mehrere Kontusionen des
Darms und Mesenteriums. An 3 Stellen leicht lösliche Invaginationen
des Dünndarms. Spülung der Bauchhöhle. Drainage. 27 VI.: Nach
anscheinend Primärer Wundheilung Fasziennekrose, Aufplatzen der
Wunde; v ekundarnaht. Heilung ohne weitere Komplikationen.
b) Z. B., 31 J-, Bauer. 11. VI. 14: Durch Explosion eines Böllers
beim Fronleichnamsfest Schussvcrletzung in der rechten Hiiftgcgcnd;
Eisenstücke und Papierladung sind in die Wunde eingedrungen. Er¬
brechen, schneller Verfall. 2 je fünfmarkstückgrosse unregelmässige
Einschüsse in der rechten Hüftgegend, Hämatom der Lendengegend,
Spannung der Bauchdecken, besonders rechts. Laparotomie 11 Stun¬
den nach der Verletzung: Blut im Abdomen, kein Darminhalt. Pfen¬
niggrosses Loch in einer Jejunumschlinge. Uebernähung, Verschluss
der Laparotomie. Versorgung der Einschüsse. 30. VI.: Empyem der
rechten Pleura, Rippenresektion. 14. VII.: I angsame Besserung'
seitens des Abdomens keine Störung.
2. Stumpfe Verletzungen des Bauches.
a) Z. M., 58 J., Dienstknecht. 16. III. 14: Schlag von einer
Deichsel gegen den Bauch. Laparotomie 5 Stunden post trauma.
Darmperforation am Uebergang vom Jejunum zum Ileum, Darminhalt
in der ganzen Bauchhöhle. Doppelte Uebernähung der Perforation,
Spülung, Verschluss der Laparotomie ohne Drainage. 24. III.: Fas¬
ziennekrose. 21. IV.: Seröse Pleuritis links. 16. V.: Empyem der
linken Pleura, Rippenresektion. Pat. erholt sich langsam.
b) Oe. L., 21 J., Trainsoldat. 19. VI. 14: Hufschlag vor den Leib.
Laparotomie 8 Stunden p. tr. Darminhalt und peritonitisches Ex-
suuat im kleinen Becken und in den seitlichen Partien der Bauch-
höhle. Pfenniggrosse Perforation des Dünndarms ca. 50 cm oberhalb
des Zoekums, doppelte Uebernähung, Spülung, Drainage. 8. VII.: Un¬
bedeutende Fadeneiterung, sonst primäre Heilung; entlassen.
c) VV. J., 33 J., Landwirt. 8. VII. 14: Hufschlag vor den Leib.
Lapaiotomie Ls Stunden p. tr. Peritonitis, Perforation der untersten
Ileumschlinge, Uebernähung, Spülung, Drainage. Bisher keine Kompli¬
kation.
fj) P/.' ^ J"’ Schmied. 10. V II. 14: Hufschlag vor den Leib.
Am 12. VII. mit allen Erscheinungen der Peritonitis der Klinik über¬
wiesen. Laparotomie 58 Stunden p. tr. Gase, Kot und Eiter in der
Bauchhöhle, diffuse Peritonitis am stärksten in den untersten Par¬
tien; Perforation einer sogleich sichtbaren Dünndarmschlinge. Ueber-
nähung, Austupfung, Drainage. 14. VII.: Exitus an Peritonitis. (Sek¬
tion: Keine weitere Verletzung eines Bauchorgans.)
e) B. 0., 30 J„ Bäuerin, erhielt am 5. VII. 14 beim Melken
Kuh mehrere Fusstritte gegen den Leib. Laparotomie ca.
36 Stunden p. tr. 'Starker Bluterguss. Langer Einriss an der Vordcr-
tläche des linken Leberlappens im Winkel zwischen Lig. falciforme
und coronarium, Tamponade, Toilette der Bauchhöhle. 10. VII. : Paro¬
titis links, sonst ungestörter Verlauf.
f) Frau B., 67 J. 1907 Schenkelbruchop., Rezidiv seit einigen
Jahren, dazu Leistenbruch. Stoss an einer scharfen Tischkante gegen
den Bruch; heftiger Schmerz. Pat. reponiert den Bruch selbst, er-
bricht aber danach. Zunehmende Schmerzen. Op. 20 Stunden nach
dem Unfall. Medianschnitt. Peritonitis des Unterbauchs, Dünndarm-
perforation, Uebernähung, Spülung.
3. Pfählungsverletzung.
H. A., 46 J., Forstaufseher, fiel am 20. IV'. 14 beim Ausreissen
von Gesträuch rückwärts und setzte sich auf eine spitze Wurzel,
die in den After eindrang. Seitdem fliesst Urin durch den Mastdarm
ab. Aufnahme in die Klinik 23. IV. 14. Zerreissung des Sphinkter
am an der Rückseite, Perforation der Vorderwand des Rektums und
der Prostata; Rektovesikalfistel. Dauerkatheter, Stopfrohr; Zystitis
Eindringen von Darmgasen in die Blase. 20. V.: Op. Naht der
Vorderwand des Rektums von perinealem Bogenschnitt aus. In der
rolgezeit Abstossung mehrerer inkrustierter Holzstückchen aus der
Blase. 9. VII. mit guter Kontinenz und völlig klarem Urin entlassen.
Besprechungen des Zustandekommens der Richtung und Tiefe von
1 fählungsverletzungen, ihrer Komplikationen und ihrer Behandlung.
4. Plastik.
n a) Ghrplastik. R. J„ 17 J. Lehrling. Grosses traumatisches
Uthamatom, das allmählich unter starker Verunstaltung der Ohr¬
muschel schrumpfte. Exstirpation des Narbengewebes, Entfaltung
der Ohrmuschel, welche durch Implantation eines Knochenspans aus
der I ibia ausgebreitet gehalten wird.
b) G. B„ VA jähriger Junge. Traumatische ca. pfirsichgrosse
Zephalohydrozele an der rechten Seite des Hinterhaupts. Op. 18. VI.
Deckung des 3:1 cm grossen Schädeldachdcfektes durch dünnen
• eriostknochenspan aus der Tibia.
5. Tumoren der Rückenmarkshäute.
a) Frau R., 44 J. Seit Februar 1913 Schwäche im linken, später
auch im rechten Bein, lanzinierende Schmerzen. Unregelmässigkeiten
der Stuhl- und Urincntleerung. Seit Weihnachten 1913 bettlägerig,
rarese der Beine. 18. III. 14: Beiderseits Pateüar- und Fussklonus,
Babinski. Ischuria paradoxa. Defäkation wird nicht gemerkt, er-
m-u T au^ Abführmittel. Sensibilitätsstörung der unteren Körper-
altte bis zur Höhe der 6. bis 7. Rippe. Diagnose: Kompression des
Rückenmarks durch Tumor in der Höhe des 7. event. 6. Dorsal¬
segmentes. 20. III. 14: Laminektomic des 3. bis 5. Brustwirbcldorn-
ortsatzes. Erhöhter Liquordruck. Haselnussgrosse, blaurote, von
der Pia ausgehende Geschwulst (Endotheliom) an der rechten Seite
des Duralraums, stumpf auslösbar. Primärer Verschluss der Wunde
in Etagen. 25. III.: Spontane Entleerung von Stuhl und Urin.
b) Frau Marie Gr., 31 .1. Seit Januar 1912 Schmerzen und Beuge-
krampfe in beiden Beinen, Schwäche und schliesslich Lähmung.
, 11]- ],3: Spastische Parese der unteren Extremitäten, Anästhesie
der unteren Körperhälfte bis 3 Finger oberhalb des Nabels. 21. III. 13:
Lammektomie des 6. bis 8. Brustwirbels; zwischen 6. und 7. Brust¬
wirbel walnussgrosser Tumor der rechten Seite der Dura. Ent¬
fernung mitsamt der Dura, Etagennähte. Nach kurzdauernder Liquor¬
fistel glatte Heilung.
6. Wiederholte Darmresektionen.
a) Frau W., 59 J. Rektumprolaps; vielfacher Ileus. I. 1906
wegen Rektumprolap3 4 5 Kolopexie am Peritoneum parietale,
il. 29. V1L 13 wegen Prolapsrezidivs Durchtrennung der Flexura sig-
moidea, Heraufziehen des unteren Teils, Seit-zu-Seit-Anastomose,
rixation des unteren Teils in der Laparotomiewunde. Primäre Hei¬
lung. III. 5. IX. 13: Symptome von Darmverschluss. 6. IX.: La¬
parotomie. Volvulus einer hohen Jejunumschlinge, Thrombose der
Mesenterialgefässe, Resektion, Seit-zu-Seit-Anastomose. IV. 6. XII.
13: Neuer Darmverschluss. Op. Strangulation des Ileum nahe der
klappe durch einen von der rechten Inguinalgegend ausgehenden
Narbenstrang. Durchtrennung. 20. XII.: Geheilt entlassen.
V. 27. V. 14: 3. Darmverschluss. Op. Strangulation eines Dünn-
uarmkonvoluts unter einem Narbenstrang. Resektion, Seit-zu-Seit-
Anastomose. Resezierter Dünndarm 75 cm lang. 10 VI 14- Ge¬
heilt entlassen.
b) Karl H„ 17 J. H i r s c h s p r u n g sehe Krankheit. 22. VII. 13:
Resektion der enorm erweiterten und verlängerten Flexura sigmoidea,
-eit-zn-Seit-Anastomose zwischen Colon descendens und Rektum
Mehrere Wochen lang regelmässig alle 2 Tage Stuhlgang, dann zu-
nehmende Obstipation, zuletzt nur alle 8—10 Tage Stuhlentleerung.
22. VI. 14: Mächtige Erweiterung des Rektum und des übrigen Dick-
darms. Nach gründlicher Entleerung 1. VII. Resektion des ganzen
Dickdarms und Anastomose zwischen Ileum und Rektum. 11. VII.:
Heilung p. p.; täglich 3 mal dünnflüssiger Stuhlgang bei gutem Wohl¬
befinden.
7. Myxom der Bauchhöhle.
Amalie S„ 21 Jahre. Seit Dezember 1913 beim Gehen und
Pressen Vorwölbung am Damm und aus der Vagina, seit Januar 1914
Anschwellung des Leibes. Mit der Diagnose Hernia perinealis
posterior zur Op. eingewiesen. 13. VI. 14: Mediane Laparotomie.
Mächtiges, bis unters Zwerchfell reichendes Myxom mit extraperi¬
tonealem, im kleinen Becken rechts gelegenem Stiel. Exstirpation,
Drainage des kleinen Beckens. Nach Ableitung eines postoperativen
Hämatoms glatte Heilung.
8. Brustwandresektionen.
a) Frau D., 48 J. 18. VIII. 13: Amputatio mammae und Aus¬
räumung der Achselhöhle wegen Carcinoma medulläre. Seit Ende
Mai 1914 Anschwellung über dem. Brustbein. Handtellergrosse Karzi¬
nommetastasen im Corpus sterni. 12. VI. 14: Op. Bildung eines Haut¬
muskellappens mit Basis links, Resektion des Corpus sterni und der
angrenzenden Rippen beiderseits bis zur 4. Rippe aufwärts unter
Mitnahme der vorderen rechten Pleura. Deckung der Wundhöhle
durch völlige Vernähung des Hautmuskellappens. Rechtsseitiger
blutig-seröser Pleuraerguss. Punktion. Heilung.
’b) Anton H., 30 J., Bauer. Seit einem Jahr Geschwulst der
unken Brustseite, seit 6 Wochen starkes Wachstum und lebhafte
Schmerzen. Kindskopfgrosse, zum Teil knorpelharte Geschwulst in
der linken vorderen Achsellinie, entsprechend der 6. bis 7. Rippe.
13. V.: Brustwandresektion. Deckung des Defekts durch gestielten
Hautlappen vom Rücken; dort Thierschsche Plastik. 1. VI.: Lap¬
pen gut angeheilt, Pat. wird auf Wunsch in ambulante Behandlung
entlassen. Histologischer Befund: Spindelzellensarkom, zum Teil
Knorpel und Knochen bildend.
9. Luxation der Halswirbelsäule.
August G„ 43 J., Dienstknecht, fiel am 7. V. 14 mit einem
schweren Getreidesack auf der Schulter die Treppe herunter, derart,
dass er aufs Gesäss zu sitzen kam und der Getreidesack ihm den
Kopf auf die Beine herunterdrückte. Luxation zwischen 5. und
6. Halswirbel. 9. V.: Narkose; Repositionsversuch (Lösung der Ver¬
hakung erst einer, dann der anderen Seite) ohne Erfolg. 14. V.:
Repositionsversuch in Narkose durch starke Extension in der
Längsrichtung. Knacken. Röntgenkontrolle: Reposition gelungen.
10. Epilepsiebehandlung nach Trendelen bürg.
Alfons E., 24 .1., Bauer. Seit dem 6. Lebensjahr Hemiparese
rechts; seit 3 Jahren sich häufende epileptische Anfälle mit beson¬
derer Beteiligung der rechten Seite. Letzte Anfälle in Intervallen von
4 Wochen, zuletzt vor 14 Tagen. Spastische Parese des rechten
Beins. Arms und rechten N. facialis mit Ausnahme des Stirnastes.
Sprache stolpernd, langsam; Sensibilität ungestört. Augenhinter¬
grund normal. 26. VI.: Op. Hautperiostlappen über den linken Zen¬
tralwindungen, Pia getrübt. Unterschneidung der durch elektrische
Reizung bestimmten motorischen Zentren nach Trendelenburg.
Zunächst kein Anfall mehr.
Besprechung der operativen Epilepsiebehandlung.
Herr Ernst Müller demonstriert 2 Fälle von Peniskarzinom,
die mit Radium behandelt wurden.
1. L. 0., 32 .1., Maurer. Seit Frühjahr 1912 schmerzlose trockene
warzenartige Wucherung an der Glans penis, die mehrfach (Nov. 1912,
Juli und Nov. 1913) exstirpiert wurde, seit Anfang 1914 aber wieder
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 41.
2076
rezidivicrte und jetzt zwetschgenkerngross ist. Mikroskopische
Untersuchung: Papilläres Plattenepithelkarzinom. 17. IV.: Abtragung
der Hauptmasse des Tumors. Radiumbestrahlung durch 1-mm-Mes-
singfilter mit Ausschaltung der Sekundärstrahlen. Nach 822 mg-Stun-
den in 47 Tagen völlige Vernarbung am 9. V. Heute rezidivverdäch¬
tige Stelle. Inguinaldrüseninfiltration zurückgegangen.
2. F. M., 48 J., Tüncher. 1900 Phimosenoperation. In der Narbe
mehrfach Wucherungen, die exzidiert wurden; seit 1908 Vernarbung.
Seit 3 Monaten harte blutende Wucherung an Glans und Präputium.
Ulzeration. Mikroskopisch: Plattenepithelkarzinom. Radiumbromid.
1617 mg-Stunden in 17 Tagen, Messingfilter 1,0 mm, Abfilterung der
Sekundärstrahlen. Schneller Schwund des Tumors. Reinigung des
Ulcus; starke seröse Exsudation. Oedem des Präputiums, Rückgang
der Drüsen.
Kurze Besprechung der bisher in der Chirurgie geübten An¬
wendung des Radiums, seiner Erfolge und Aussichten.
Deutsche Medizinische Gesellschaft in Chicago.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. März 1914.
Vorsitzender; Herr Lieberthal.
Schriftführer; Herr Reichmann.
1. Herr Harry S. Gr adle hält einen Vortrag über die neuere
Therapie der Pnemokokkeninfektionen des Auges.
Man kann Pneumokokkeninfektionen des Auges in zwei Klassen
teilen: die des äusseren Auges und der Anhangsorgane und die des
Augeninneren. Aber es darf nicht vergessen sein, dass wir hier aus¬
schliesslich mit Pneumokokkeninfektionen zu tun haben. Das kann
man zum Teil im Ausstrichpräparat bestimmen, aber viel genauer
ist es in Serumbouillonkultur. Dabei kann man ein wenig von der
Virulenz der Organismen kennen lernen. Der Kultur nach sind
Pneumokokken in 3 Hauptgruppen zu teilen; 1. echte, graziöse kleine
Diplokokken, die langsam wachsen, aber stark virulent sind; 2. grö¬
bere Diplokokken, gewöhnlich mit Staphylokokken gemischt, von
geringer Virulenz: und 3. lange, kettenbildende Organismen von min¬
derwertiger Virulenz.
Aber ehe wir von Infektion selber sprechen, möchte ich mir er¬
lauben, über ein neues spezifisches Mittel gegen Pneumokokken zu
berichten, Aethylhydrocuprein. Dieses wurde zuerst von Morgen-
roth in 1911 beschrieben und von Goldschmidt in 1913 in die
Augenheilkunde eingeführt. Es ist ein Chininsubstitutionsprodukt und
wirkt spezifisch gegen Pneumokokken in 1 proz. Lösung oder % proz.
Salbe.
Pneumokokkeninfektion des Tränensacks, mit oder ohne Stenose,
ist sehr häufig. Aber ehe wir dieses Leiden ätiologisch behandeln
dürfen, müssen wir erfahren, ob der Tränengang durchgängig ist.
Wenn so, können wir uns erlauben mit 1 proz. Aethylhydrocuprein
nach Kokainanästhesie durchzuspülen. Täglich soll dieses Verfahren
wiederholt werden und innerhalb 3 — 7 Tagen können wir den Patien¬
ten als geheilt entlassen. Aber leider gehört die Majorität der
Tränensackblennorrhöen nicht in diese Klasse. Gewöhnlich ist eine
Stenose vorhanden. Dann müssen wir versuchen, ob wir mit einer
Sonde durchkommen können. In diesem Falle ist das Wessely sehe
Verfahren indiziert. Nach kompletter Kokainanästhesie sind einige
Tropfen gewöhnlicher Jodtinktur mittels einer W e s s e 1 y sehen
Spritze sorgfältig in den Saccus lacrymalis einzuführen. Innerhalb
4 Tagen ist das Verfahren zu wiederholen, und gewöhnlich genügen
3 — 4 solche Behandlui °.n. Ist dagegen eine Stenose vorhanden,
dürfen wir die erwähnten Methoden nicht verwenden, da Absorption
von Aethylhydrocuprein sehr leicht zu einer Chininamaurose führen
kann und da Jodtinktur in einer geschlossenen Höhle gefährlich ist.
Dann müssen wir die alten Methoden der Tränensackbehandlung, Son¬
dierung, Ausspucken, event. Exstirpation, wieder verwenden.
Pneumokokkeninfektion der Bindehaut kommt ziemlich häufig
vor, ist aber leicht durch Einträufelung von 1 proz. Aethylhydro¬
cuprein beseitigt. Dasselbe Resultat ist durch 1 proz. Argentum
r.itricum zu erreichen, aber nicht so rasch.
Die häufigste, wichtigste und gefährlichste Pneumokokkeninfek¬
tion des Auges ist das Ulcus serpens corneae. Hier ist die Virulenz¬
bestimmung des Erregers, wie vorher besprochen, von klinischer Be¬
deutung und dabei sind die 3 obenerwähnten Gruppen zu beachten.
Doch ist die Behandlung während der ersten 24 Stunden für alle
3 Gruppen gleich. Sie besteht aus 4 stündlichen Einträufelungen von
1 proz. Aethylhydrocuprein oder, wie von Goldschmidt emp¬
fohlen wurde. Gebrauch einer Vi proz. Kuoreinsalbe; Atropin wird
natürlich auch verwendet. Die anderen Massregeln, wie Abführ¬
mittel, heisse Umschläge, Schwitzen etc., sind nicht zu versäumen.
Innerhalb 24 Stunden kann man entscheiden, zu welcher Gruppe
das Geschwür gehört. Ist die Virulenz minderwertig, genügt die
obenbeschriebene Behandlung.
Aber leider ist das nicht sehr oft der Fall und öfters schreitet
das Geschwür langsam wie eine Schlange vor: daher der Name „Ser¬
pens“. Dann sind wir gezwungen, die Krankheit energischer zu be¬
handeln. Der Wessely sehe Dampfbrenner ist dann am Platz.
Dieses Instrument besteht aus einem dünnen Rohre, das strömenden
Dampf durch die Spitze des Brenners leitet, so dass eine konstante
Temperatur von 100° erzielt wird. Damit wird das Geschwür ener¬
gisch massiert während wenigstens 3 Minuten. Zu kurzer Gebrauch
dieses Mittels ist gefährlicher wie zu langer, da die Bakterien dabei
nur betäubt werden und das nicht sehr resistente Kornealgewebe ge¬
tötet wird. Zu langer Gebrauch des Kauters mag leicht Hornhaut¬
nekrose erzeugen. Hiernach werden die Einträufelungen von Aethyl¬
hydrocuprein natürlich fortgesetzt.
Die bösartigen Geschwüre bilden die 3. Gruppe. Diese werden
nur wenig durch das genannte Mittel beeinflusst und innerhalb
24 Stunden ist ihre Malignität leicht zu erkennen. Dann ist der Gal¬
vanokauter sofort zu verwenden. Im allgemeinen ist dieser ent¬
schieden besser wie verschiedene Formen von chemischer Aetzung,
da wir die Wirkung genauer dosieren können und da die entstehende
Narbe nicht so dicht ist. Eventuell ist der alte S a e m i s c h sehe
Schnitt zu gebrauchen. . ^
Pneumokokkeninfektionen des Augeninneren sind auch in 3 Grup¬
pen einzuteilen. Auf diesem Gebiete ist wenig Neues zu erwähnen.
Aber prophylaktisch lässt sich ziemlich viel tun.
Die 1. Gruppe besteht aus den Fällen postoperativer Iridozykli¬
tiden, welche beinahe gänzlich zu vermeiden sind durch gründliche
präoperative Bindehautreinigung. Dieses Verfahren wurde zuerst
von E 1 s c h n i g und U 1 b r i c h veröffentlicht.
Die 2. Gruppe, bestehend aus Endophthalmitis septica nach per¬
forierenden Bulbusverletzungen, und die 3. Gruppe von Panophthal-
mitis, sind zum Teil zu beseitigen durch frühzeitigen Gebrauch
grösserer Dosen Urotropin. Dieses Verfahren habe ich vor 4 Jahren
publiziert und nach meinen seitherigen Studien bin ich jetzt imstande
festzustellen, dass mehr wie 50 Proz. dieser Fälle vermieden werden
können durch grössere Gaben (2 g und mehr) innerhalb der ersten
Stunde nach der Verletzung. Diese Erfahrung wurde in letzterer Zeit
von Goldschmidt und Igersheimer bestätigt. Die meta-
statische Panophthalmie können wir leider nicht beeinflussen.
Epikrise: Durch das neue Mittel Aethylhydrocuprein sind wir
imstande die Pneumokokkeninfektionen des äusseren Auges mit
besseren und schöneren Resultaten zu behandeln. Dagegen können
wir die Infektion des Augeninneren nicht beeinflussen, wenn sie ein¬
mal etabliert ist. Aber sie ist in vielen Fällen durch frühzeitige Be¬
handlung zu verhindern.
Diskussion: Herr Abele hat keine persönlichen Er¬
fahrungen über das Aethylhydrocuprein, da dasselbe hier nicht zu fe¬
schaffen ist. Nach den Berichten in der Literatur muss dasselbe sehr
gute Wirkung haben. Abele behandelt die in Rede stehende Er¬
krankung noch immer mit dem Galvanokauter, jedoch auch die
Aetzung mit konzentrierter Karbolsäure führt bei Ulcus serpens zu
sehr guten Resultaten.
Herr A. Weis bemerkt, dass das Aethylh^»drocuprein auch in
der inneren Medizin bei Pneumonien angewandt würde, jedoch waren
die Erfolge nicht sehr ermutigend. Das Präparat ist auf denselben
Prinzipien fussend wie Salvarsan.
Herr Gr adle bemerkt im Schlusswort, dass das Präparat spe¬
zifisch auf den Pneumokokkus einwirkt, bemerkt jedoch, dass seine
Tiefenwirkung eine sehr geringe ist. Gr adle legt grossen Wert
auf die frühzeitige Verabreichung von Urotropin bei allen pene¬
trierenden Augenerkrankungen.
Referate über die in den letzten Nummern der M.m.W, ent¬
haltenen Arbeiten.
Da die Herren Herzog und Weis sich entschuldigt hatten,
referiert der Schriftführer über eine ganze Reihe von interessanten
röntgenologischen Arbeiten.
Aus den französischen medizinischen Gesellschaften
Societe medicale des hopitaux.
Sitzung vom 24. Juli 1914.
Behandlung der Parasyphilis mit intralumbalen Injektionen von Neo-
salvarsan.
Lortat-Jacob und Jean P a r a f haben bei 3 mit allgemeiner
Paralyse und Tabes behafteten Individuen 3 — 5 mg Neosalvarsan in
den Rückenmarkskanal injiziert, aber in einem Falle Besserung,
vielmehr in 2 Fällen heftige Reaktionserscheinungen beobachtet.
D u f o u r glaubt nach seiner persönlichen Erfahrung, dass die
intravenösen Injektionen gegenüber der intralumbalen bei Para¬
syphilis den Vorzug verdienen, da bei ersteren die Behandlung
besonders durch ihre Kontinuierlichkeit wirksam sei.
Car not hat 2 Tabiker mit intralumbalen Injektionen ven
Argentum colloidale behandelt und bedeutende Besserung
damit erzielt, aber heftige Allgemeinreaktion (40° Fieber) und Rück¬
kehr der lanzinierenden Schmerzen dabei beobachtet.
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Berichtigung zu der Arbeit Blumenthal und
Fränkel Nr. 39 S. 1996 1914. Die Anmerkung 2, welche bei der
Korrektur ohne Wissen der Autoren, unberechtigterweise in die
Arbeit hineinkam, entspricht nicht den Tatsachen.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J F. Lehmann,
München, Paul Heysestr.26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 41. 13. Oktober 1014.
Die Bekämpfung der Kriegsseuchen im Felde*).
Von Obermedizinalrat Prof. Dr. Nocht.
M. H.! Als der Generalarzt des 9. Armeekorps, Herr
H e r h o 1 d, vor wenigen I agen an mich das Ersuchen richtete,
Ihnen einen Vortrag über die Bekämpfung der Kriegsseuchen
im Felde zu halten, habe ich mich nicht lange besonnen, son¬
dern die Aufgabe übernommen, obwohl ich mich bisher prak¬
tisch nur mit der Bekämpfung der Seuchen im Frieden und
in bürgerlichen Verhältnissen beschäftigt habe. Ich habe aber
die Literatur einigermassen verfolgt, besonders die der letzten
Feldzüge, die auch auf diesem Gebiete viel Neues brachten.
Diese Erfahrungen sind, wie die auf allen anderen Gebieten,
von unserer Heeresleitung bei der Organisation der Seuchen¬
bekämpfung in vollem Masse ausgenutzt worden. Ich habe
aber nicht die Absicht, Ihnen diese Organisation an der Hand
der Kriegssanitätsordnung zu schildern. Sie können sich dar¬
über durch Nachlesen unterrichten und ich müsste fürchten,
langweilig zu werden, wenn ich die einzelnen darauf bezüg¬
lichen Bestimmungen der KSO. hier näher erläutern wollte.
Ich glaube richtiger zu verfahren, wenn ich einige mir be¬
sonders wichtig erscheinende Einzelerfahrungen der letzten
Feldzüge und die daraus zu folgernden Lehren hervorhebe.
Bis zum Feldzug 1870/71 galt als ausnahmslose Regel, dass
die \ erluste durch Krankheiten im Kriege grösser, und zwar
ganz erheblich grösser sind als die durch Waffen verursachten.
Das galt schon im Altertum, galt aber auch für die modernen
Kriege.
Wenn man, wie das Kirchner getan hat, die Verluste
durch Waffen — 1 setzt, so betrugen die Verluste durch Krank¬
heiten im Krimkriege 3,7, also beinahe das vierfache, bei den
Engländern in Aegypten 5,7, bei den Russen 1877/78 2,7.
Diese Verluste waren in der Hauptsache durch Infektions¬
krankheiten, durch Kriegsseuchen verursacht. Um welche
Zahlen es sich dabei handelt, zeigen Ihnen folgende Beispiele:
Im Krimkrieg 1853/56 starben an Flecktyphus 16 000 Engländer,
^0 000 Franzosen, 800 000 Russen; im Amerikanischen Sezes¬
sionskrieg erkrankten von 431 237 Mann 75 366 an Typhus, es
-darben davon 20 076.
Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erkrankten an
iyphus 74 000 deutsche Soldaten, davon starben 6965, an Ruhr
erkrankten 39 000 deutsche Soldaten, es starben 2000.
Trotz dieser enormen Verluste war der Deutsch-Fran¬
zösische Krieg 70/71 der erste grössere Feldzug, in dem die
^ahl der an Krankheiten gestorbenen Krieger — wenigstens auf
ieutscher Seite — geringer war als die der durch Waffen ver¬
pachten, sie betrug nämlich nur die Hälfte. Es wäre aber
ücht richtig, wenn man dies günstigere Verhältnis als einen
.rfolg moderner Seuchenbekämpfungsmassnahmen buchen
wollte. R. Koch erklärte es durch den günstigen Zufall, dass
-holera und Flecktyphus dem Kriege fern blieben. Im Feldzug
n Deutsch-Südwestafrika war das Verhältnis noch 1: 1, und
nan darf wohl sagen, dass erst im letzten Russisch-Japanischen
eldzuge zur Bekämpfung der Kriegsseuchen die wirksamen
) Vortrag, gehalten vor den einberufenen und in der Ausbildung
»vgrirrenen Militärärzten und anderen Aerzten in Hamburg im tropen-
iJ'gienischen Institut am 2. September 1914.
Mittel der modernen Wissenschaft bewusst in grösserem Um¬
fange und mit Erfolg angewandt wurden.
Die Infektionskrankheiten, die am häufigsten Kriegsseuchen
hervorrufen, sind Abdominaltyphus, Flecktyphus, Ruhr, Cholera
und Pocken.
Welche Aussichten haben diese Kriegsgeissein auf den
jetzigen Kriegsschauplätzen, auf denen Deutschland um sein
Leben kämpft?
1870/71 waren es hauptsächlich Typhus und Ruhr, die die
deutschen I ruppen heimsuchten. Wir dürfen annehmen, dass
auch jetzt diese Krankheiten auf dem westlichen Kriegsschau¬
platz wieder die hauptsächlichste Gefahr bilden werden. Wir
haben ja zwar das Aufmarschgebiet an der französischen
Grenze in unserem eigenen Lande dank der rechtzeitigen
Warnungen von R. K o c h von Typhus zu säubern gesucht und
haben darin ja auch grosse Erfolge erreicht, aber unsere Trup¬
pen befinden sich jetzt dort überall schon im Feindesland; in
Frankreich aber ist die Verbreitung des Typhus fast überall
stäiker als bei uns und gerade in einigen Kohlen- und Industrie¬
gebieten, die unsere Truppen jetzt zu betreten im Begriffe sind,
ganz besonders stark. Die Karte, die ich Ihnen zeige, be¬
stätigt das; sie ist zwar nicht neuen Datums, sie stammt
schon aus dem Jahre 1863, aber im grossen und ganzen dürfte
sie noch zutreffen. Ich entnehme sie dem eben erschienenen
Werke unseres Hamburger Kollegen Dr. Wolters über den
Typhus in den Kriegsjahren 1870/71. Mit den in diesem Werke
entwickelten Ansichten stimme ich übrigens ganz und gar
nicht überein. Die alte Pettenkofer sehe Grundwasser¬
theorie muss endgültig als überwundener Standpunkt gelten
und das ist gut so; denn sie würde jedes aktive Vorgehen im
Feldzuge gegen die Kriegsseuchen, wie Typhus, Cholera, Ruhr,
lähmen und uns der Hoffnung berauben, diese Kriegsseuchen
durch hygienische Massnahmen während eines Feldzuges ein¬
dämmen zu können.
Auf dem östlichen Kriegsschauplatz werden wir kaum dar¬
auf rechenen können, es nur mit Typhus und Ruhr zu tun zu
haben. Wir können dort kaum auf den Glückszufall hoffen,
von Cholera und Flecktyphus verschont zu bleiben. Die
Cholera ist wohl in den letzten 22 Jahren in Russland nie ganz
erloschen gewesen, sie hat dort mehrfache grosse Epidemien
(St. Petersburg) verursacht und herrscht jetzt in Podolien und
in Warschau in ziemlichem Umfange.
Der Flecktyphus hat bekanntlich im letzten Balkankriege
eine beträchtliche Ausbreitung hüben und drüben erreicht.
Vom Hamburger Staat wurden, als die Epidemie in Serbien
ihren Höhepunkt erreichte, im Frühjahr 1913 die Herren
Dr. H e g 1 e r vom Eppendorfer Krankenhause und Prof,
v. Prowazek vom tropenhygienischen Institut zum Studium
des Flecktyphus dorthin entsandt; sie haben bei ihren Unter¬
suchungen über die Klinik und Aetiologie der Krankheit sehr
wichtige Ergebnisse erzielt. Aus Russland werden in den Ver¬
öffentlichungen aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt noch den
ganzen Juli d. J. hindurch, so lange wie die Mitteilungen von
Regierung zu Regierung noch gemacht wurden, fortdauernd
einzelne Fälle von Flecktyphus aus Petersburg, Odessa,
Moskau, Warschau usw. gemeldet und aus dem österreichi¬
schen Galizien im Laufe des Monats Juli fast 200 Erkran¬
kungen. Auch aus Memel wird Ende Juli die Erkrankung einer
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 41.
2078
Russin an Flecktyphus gemeldet. Auch sollen im W inter und
Frühjahr in Adrianopcl, Konstantinopel und in anderen grossen
türkischen Garnisonen viele Erkrankungen an Flecktyphus und
Rückfallfieber vorgekommen sein. Dass im W/inter im Osten
wieder eine Epidemie entbrennt, scheint mir durchaus nicht un¬
wahrscheinlich. Flecktyphus ist vorzugsweise eine Krankheit
der Winterfeldzüge, und wir müssen uns auch bei dem
jetzigen Kriege, der ja noch lange in den Winter hinein dauern
kann, darauf gefasst machen. In erster Linie sind die Oester-
reicher, die die Krankheit ja schon in Galizien haben, gefährdet.
Auch auf Rekurrens wird man sich im Osten gefasst machen
müssen.
Nun will ich auf einige Einzelheiten zunächst für T y p h u s
und Ruhr eingehen. Ich spreche nur von der Bazillenruhr,
die Amöbenruhr ist eine sporadische Krankheit und hat als
Kriegsseuche nicht einmal in den Tropen Bedeutung.
Bazillenruhr und Typhus haben in ihrer Epidemiologie sehr
viel Verwandtes, auch ihre Erreger gehören ja zu derselben
Gruppe von Mikroorganismen. Man kann sie als Krankheiten
bezeichnen, die hauptsächlich auf dem Wege des indirek-
t e n Kontaktes sich verbreiten — als Hauptwege sind bekannt
die Nahrungsmittel und Trinkwasser, neuerdings werden auch
die Fliegen beschuldigt. Ich will mich nun nicht über das all¬
gemein Bekannte wegen des Schutzes der Nahrungsmittel vor
Typhusinfektionen verbreiten; Sie wissen, dass die. Reinlichkeit
des Küchenpersonals bei der Zubereitung und der Ge¬
nuss frisch zubereiteter Speisen, nicht solcher, die lange ge¬
standen haben, von der grössten Wichtigkeit sind. Der Gefahr
wegen, dass Bazillenträger unter den Köchen usw. sich be¬
finden, möchte ich dringend empfehlen, nicht etwa dass man
jeden in der Feldküche Beschäftigten auf Bazillen untersucht,
aber dass man jeden Mann vom Küchenpersonal wenigstens
fragt, ob er Typhus oder eine ähnliche Krankheit gehabt hat
und die Leute, die in dieser Beziehung verdächtige Angaben
machen, von diesem Dienst ausschliesst. Was die Gefahr
durch gestandene Nahrungsmittel anlangt, so hat in einigen
neueren Kasernenepidemien Kartoffelsalat eine ursächliche
Rolle gespielt. Dazu warenKartoffeln verwandt worden, die am
Tagevorher gekocht undnachhervon unsauberenBazillenträgern
geschält worden waren. Während des Aufbewahrens der ge¬
schälten Kartoffeln konnten sich die Typhusbazillen wie in
einem Brutschrank entwickeln und die Kartoffeln durch¬
wuchern, so dass die Säuerung beim Salatanmachen nicht ge¬
nügte, um die Bazillen, die sich in den tieferen Schichten der
Kartoffeln entwickelt hatten, abzutöten.
Oft gehen den ersten Typhus- und Ruhrfällen Verdauungs¬
störungen, namentlich Massenausbrüche von Durchfällen
voraus. Auch das ist durch Bazillenträger besser zu er¬
klären als durch die Annahme einer besonderen, durch Durch¬
fälle erzeugten Disposition. Diese Durchfälle bekommen die
Bazillenträger genau wie die gesunden Soldaten im Hoch¬
sommer nach Erkältungen, Obstessen usw. Während nun die
Ausscheidungen von Bazillenträgern mit ganz ungestörter Ver¬
dauung oft gar keine oder nur sehr wenig Typhusbazillen ent¬
halten, scheiden diese Leute oft massenhaft und auch in ihrer
Giftigkeit gesteigerte Typhusbazillen bei Verdauungsstörungen
aus und geben dadurch vermehrte Ansteckungsgelegenheiten.
Von grösster Bedeutung für den Typhus und die Ruhr im
Kriege ist die Tatsache, dass die Typhus- und Ruhrgefahr für
eine vorwärtsmarschierende, in raschem siegreichen Vorgehen
befindliche Truppe verhältnismässig gering ist. Die Kranken
bleiben zurück, die der Verseuchung ausgesetzten Brunnen,
Ortschaften usw. werden verlassen, ehe sie sich zu Seuchen¬
herden ausbilden können. Man hat das treffend als „Selbst¬
reinigung“ der Truppen bezeichnet.
Anders aber bei längerem Aufenthalt, z. B. bei Belage¬
rung von Festungen. Die bekanntesten Beispiele von Typhus¬
epidemien bei Belagerungen sind Metz und Paris 1870/71. Es
kommt bei solchen Belagerungen viel leichter zur Häufung der
Ansteckungsstoffe und dann zur Verseuchung der Brunnen,
der Quartiere, der Laufgräben und Verschanzungen, in denen
die Truppen kampieren, namentlich solcher, in denen die Leute
sehr eng liegen. In Betracht zu ziehen ist, dass viele Mann¬
schaften nicht gern die Latrinen benutzen, sondern vorziehen,
ihre Notdurft irgendwo im Freien zu erledigen, dann entwickeln
sich leicht sehr üble Zustände: ein Kranz von Fäkalien zieht
sich um jedes Gehöft, um jede Scheuer, längs der Umfassungs¬
mauern der Höfe, Anhäufungen davon entstehen in den Schan¬
zen und Laufgräben, so dass es nur einiger Regengüsse be¬
darf, um einen breitgetretenen Fäkalmorast zu erzeugen, der
zur Verschleppung von Typhus- und Ruhrkeimen wie ge¬
schaffen ist. Solche Zustände wurden in Deutsch-Ostafrika auf
Pflanzungen beobachtet, wo sie an der enormen Ausbreitung
der Ankylostomiasis schuld waren und solche Zustände schil¬
dert Eckart als für die Entstehung der Choleraepidemie
unter den Bulgaren in dem letzten Balkankrieg in Betracht
kommend. Er sagt: „Die bulgarischen Lagerbestimmungen
sehen zwar den Bau von Latrinen vor, die Bauern sind aber
die Benutzung nicht gewöhnt. Sehr bald verwandelt sich die
Umgebung eines Lagers in Morast. Die Mannschaften waten
hindurch, kommen ins Lager zurück, ziehen die Stiefeln aus
und essen zumeist, ohne die Möglichkeit zu haben, sich vorher
zu waschen.“ Natürlich ist es nicht erforderlich, dass diese
üblen Zustände von der eigenen Truppe hervorgerufen wurden,
oft genug findet man sie beim Nachrücken in feindlichen Biwaks
und Ortschaften schon vor, in denen der Feind lange Wider¬
stand unter ungünstigen Verhältnissen geleistet hat. Bekannt
ist, dass Ruhr und Typhus im Südwestafrikanischen Feldzug
von den fliehenden Hereros auf diese Weise auf die verfolgen¬
den deutschen Reiter übertragen wurden. Bei der Spärlichkeit
der Trinkwasserplätze bewegte sich der Kampf entlang der
Wasserstellen. Von einer zur anderen wurden die Hereros
vertrieben, sie hatten aber jede Wasserstelle mit ihren Fäzes
— an denen man oft genug noch deutlich Ruhr- oder minde¬
stens diarrhoische Ausscheidungen erkennen konnte — ver¬
seucht. Auch aus dem Burenfeldzug der Engländer werden
ähnliche Vorkommnisse mitgeteilt, ebenso aus dem Ameri¬
kanischen Sezessionskrieg.
So muss es also als höchst gefährlich bezeichnet werden,
ein solches verlassenes Biwak oder Lager zu beziehen; man
braucht aber nicht weit zu suchen: ein nicht mit Fäkalien ver¬
unreinigtes, freies Feld dicht daneben wird als einwandfrei
gelten können. Auch pflegen Typhus und Ruhr nachzulassen,
wenn die Truppe bei längerem Aufenthalt an derselben Stelle,
z. B. bei Belagerungen, aus dicht belegten Ortschaften heraus¬
gehen und Biwaks beziehen. Jedenfalls wird der Truppenarzt
der Anlage der Aborte und Latrinen und der Beseitigung der
Fäkalien in den Ortschaften wie in den Biwaks die allergrösste
Aufmerksamkeit zuwenden, auch rechtzeitig auf Verlegung der
Lagerplätze drängen müssen.
Auf die Trinkwasserversorgung möchte ich nicht näher
eingehen. Die dabei zu beobachtenden Dinge sind ja allgemein
bekannt, auch da gilt der Erfahrungssatz, dass die Brunnen
der Verseuchung desto mehr ausgesetzt sind, je länger der
Aufenthalt der Truppen in einer Ortschaft dauert und dass
man nicht so sehr ängstlich zu sein braucht und den dürsten¬
den Truppen nach einer — ich möchte sagen akuten — offenen
Feldschlacht etwa unter allen Umständen Wasser aus nicht
ganz einwandfreien Brunnen verbieten müsste. Um so
strenger muss man aber bei längerem Aufenthalt sein und mit
allem Einfluss, den man aufbieten kann, für Verbesserung der
Trinkwasserverhältnisse sorgen.
Auf die Gefahr der Verbreitung des Typhus und der Ruhr
durch Fliegen haben besonders Amerikaner und Engländer
aufmerksam gemacht; in den Vereinigten Staaten sucht man
jetzt auch das grosse Publikum für die Vernichtung der Fliegen
zu interessieren u. a. auch dadurch, dass man der Stuben¬
fliege die Bezeichnung Typhusfliege amtlich beilegt.
Es gibt eine Reihe von Beobachtungen, die den Einfluss der
Fliegen für die Typhusverbreitung mindestens sehr wahr¬
scheinlich machen, so z.B. dieBeobachtung,dass in einemLager
während des Spanisch-Amerikanischen Krieges die Kavallerie
auffallend mehr unter Typhus litt als die Infanterie. In dem
Kavallerielager waren viel mehr Fliegen vorhanden als bei
der Infanterie. Die Abortgruben waren im übrigen bei der
Kavallerie nur 40 Fuss vom Küchenzelt entfernt, und man
konnte an den weissen Beinen der Fliegen, die sich in der
2079
3. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
viiclie anfhielten, über die Nahrungsmittel krochen usw cr-
ennen. dass sie erst kürzlich von den Latrinen, die mit Kalk
estreut waren, gekommen waren. Das erinnert mich an
en grossartigen Ausspruch eines Wirtes in einem Nordscc-
ade, der einem Herrn auf seine Beschwerde über die vielen
liegen in den Klosetts erwiderte: „Gehen Sie doch zur
Mittagszeit dorthin, dann sind die Fliegen alle im Speisesaal.“
Von englischen Autoren ist darauf aufmerksam gemacht
orden, dass gerade die 1 yphuskranken die Fliegen be-
inders anziehen. So wird berichtet, dass im südafrikanischen
eldzuge am Modderriver in vielen Krankenzelten Typhus¬
ranke und an schweiem Sonnenstich Erkrankte zusammen-
;gen. Die Fliegen Hessen die Sonnenstichkranken, die oft
;enso apathisch dalagen wie die Typhuskranken, in Ruhe
ad belästigten nur die 1 yphuskranken. Aehnliches berichtet
r e m b u r von Ruhrkranken in Tsingtau, die enorm unter
;r Fliegenplage zu leiden hatten, namentlich beim Stuhlgang,
o sich die Fliegen in dichten Wolken auf das entblösste Gc-
iss und die oft prolabierte, entzündete Anusschleimhaut
ürzten.
Es ist schwer, der Fliegenplage im Felde, namentlich auch
Lazaretten, Herr zu werden. Von grosser Wichtigkeit wird
. sich erweisen, dass dafür gesorgt wird, dass die Brutplätze
-r Fliegen — Düngerstätten, namentlich Ablagerungsstellen
)n Pferdemist, Pfeideställe — möglichst weit entfernt von
n Wohnungen bleiben. Zur Abtötung der Fliegenmaden im
iinget haben sich Kalk und Chlorkalk nicht bewährt, wahr-
heinlich wegen der Schwierigkeit gleichmässiger Verteilung,
n wirksamsten soll sich Durchtränkuug des Pferdedüngers
it einer Lösung von Eisenvitriol (1:4) erwiesen haben,
e Aborte müssen natürlich möglichst weit von den Küchen
tfernt liegen. Der Inhalt der Aborte und Latrinen sollte wo-
jglich täglich entfernt und vergraben, mindestens aber
gelmässig mit Saprol oder dergleichen überschichtet werden
egen die Fliegenplage in den Stuben, Küchen etc. hat sich
ispritzen der \\ ände mit dem G i e m s a sehen Mückenspray
rksam erwiesen.
Zusammensetzung:
rethrumtinktur (herzustellen aus 20 Teilen gepulverten
Pyrethrumblüten und 100 Teilen 96 proz., mit 25 proz. Me-
thylalkohol denaturiertem Weingeist) 580 g
liseife (möglichst geruchfreie Oelseife) 180
/zerin 240 g
1000 g
Bei Bekämpfung der Mücken ist das Gemisch mit der
fachen Menge Wasser zu verdünnen. Bei Bekämpfung der
egen ist eine. Verdünnung 1:10 zu wählen.
Jede Gartenspritze, die einen feinen Sprühnebel erzeugt,
in dazu verwendet werden.
Weitere Versuche hierüber sind bei uns im Gange. Natür-
i ist das nur ein Palliativmittel, es muss eventuell täglich
äderholt werden. (Schluss folgt.)
Es ist bekannt, dass das Tetanusheilserum desto wirk¬
sanier ist, je frühzeitiger es angewandt wird. Zur prophylak¬
tischen Impfung genügen 20 Einheiten Heilserums, während
nach Ausbruch der ersten deutlichen Symptome oft auch die
grössten Dosen versagen. Daher werden auch an den chirur¬
gischen Abteilungen unseres Krankenhauses alle mit Erde be¬
schmutzten, mit unterminierten zerrissenen Rändern ver¬
sehenen Wunden vorsorgend mit Tetanusheilserum gespritzt.
p° SII„ sc'* Jahren kaum I etanusfälle bei uns vorgekommen.
Es wäre von grösster Bedeutung, wenn dies Verfahren auch
im Kriege Anwendung fände, d. h. wenn wahllos alle Ver¬
letzten, oder zum mindesten alle die, deren Wunden zerklüftet
und mit Erde beschmutzt sind, der prophylaktischen Impfung
würden. Nun scheint das in Deutschland zurzeit
erhältliche Heilserum nicht auszureichen, obwohl es noch
immer fraglich ist, ob es nicht besesr angewandt würde, wenn
es m kleinen Dosen im eben erwähnten Sinne auf die Ge-
tahrdeten, als auf die doch meistens unrettbar Verlorenen, schon
Erkrankten verteilt würde. Es ist daher dringend notwendig
dass umgehend an möglichst vielen Orten die Herstellung von'
Heilserum in die Hand genommen wird. Aber mir scheint
dass in diesem besonderen Fall sich nicht nur die wenigen
grossen Serumwerke, die selbstverständlich hierbei in erster
Lime am Werke sind, beteiligen sollen. Vielmehr liegt hier
auch eine Aufgabe für solche Bakteriologen vor, die sich sonst
nicht berufsmässig mit Herstellung von Heilseris befassen
Sie sollten sich bemühen, von sich aus Heilsera herzustellen.
Es ist ausgeschlossen, dass es in kurzer Zeit gelingt so hoch¬
wertige Sera herzustellen, wie sie sonst wohl gebräuchlich
sind und von den Serumprüfungsstellen verlangt werden. Es
kommt jetzt lediglich darauf an, so schnell wie überhaupt nur
möglich ein Tetanusserum herzustellen, dessen Schutzkraft
bekannt ist. Ob wir davon zur Schutzimpfung im Einzelfalle
10, 20, 30 oder 40 ccm brauchen, ist völlig irrelevant. Die an
sich schon kaum vorhandene Anaphylaxiegefahr kommt
gegenüber der Möglichkeit, einen Starrkrampf zu vermeiden,
gar nicht in Betracht. Gewiss ist die Herstellung von Tetanus¬
heilserum ausserordentlich schwierig und zeitraubend und man
muss damit rechnen, unangenehme und unerwartete Tierver¬
luste zu haben. Das soll uns aber nicht abhalten, die wichtige
Aufgabe in Angriff nehmen. Vielleicht wird es sich ermög¬
lichen lassen, dass die Militärbehörden zuhause
gebliebenen Leitern der bakteriologischen
Institute geeignete Pferde zur Verfügung
stellen. Die Tiere müssen kräftig sein, aber ein Fehler, wie
eine Sehnenzerrung usw. schadet für diesen Zweck nichts.
Sicherlich werden die amtlichen Prüfungsstellen in dieser
Ktiegsnot bereit sein, die notwendigen Serumprüfungen nach
Kräften zu unterstützen. Das so gewonnene Serum muss den
Lazaretten im Felde zur Verfügung gestellt werden. Wo das
nicht möglich ist, sollten an den Abgangsstellen der Lazarett-
ziige oder in den Lazarettzügen Aerzte bei den Gefährdeten
die Einspritzungen vornehmen.
s dem Allgemeinen Krankenhause St. Georg zu Hamburg
(Direktor: Professor Dr. Th. Deneke).
Zur Vorbeugung des Starrkrampfes im Heere.
n Dr. E. Jakobsthal, Vorsteher des Bakteriologisch¬
serologischen Laboratoriums.
ln unserem Krankenhause haben sich bei den Ver-
ndeten, die uns vom Kriegsschauplätze eingeliefert worden
ren, eine Anzahl von Tetanusfällen ereignet. Wie man
t, sind auch an anderen Stellen weit mehr Tetanusfälle vor-
ommen, als man erwartet hatte. Die Fälle betrafen nicht
fier ganz schwer Verletzte, vorwiegend aber solche mit
'echt aussehenden zerfetzten Wunden. Es war charak-
stisch, dass der Starrkrampf sogleich in den ersten Tagen
h der Einlieferung auftrat. Daraus lässt sich folgern, dass
Ansteckung schon länger zurückliegt. Was der Grund für
’C vielen, traurigen Fälle ist, lässt sich hier nicht eut-
Gden;jnag sein, dass es mit der jetzt mehr als z. B. im
-ge 1870/71 geübten konservativen Behandlung zusammen-
gt und mit der Anlegung der grossen Erdarbeiten. Jeden-
1 > erhebt sich die dringende Frage: Was kann man dagegen
Ir
_ • h° wle hier 111 Hamburg ein vollständig und bequem ein-
genchteter Lazarettzug zur Verfügung steht, könnte man unter Um¬
standen sehr vohl daran denken, auch auf bakteriologischem We^c
eine beschleunigte Tetanusdiagnose zu stellen. Hierzu müsste wie
mich eigene Untersuchungen gelehrt haben, von aen verdächtigen
Wunden sogleich beim Transport in anaerobe Bouillonkulturen abge-
lrnpft und nach ca. 48 Stunden ein Tierversuch angeschlossen wer-
den. Die dazu nötigen Einrichtungen inklusive der Versuchsmäuse
nehmen kaum Platz weg (höchstens ein halbes Eisenbahnabteil).
J euenfalls wird sehr häufig die bakteriologische Dia-
g n o s i e d e m Ausbruch des Tetanus vorauseilen können
und die so festgestellten Fälle wird man zweckmässigerweise ausser
der prophylaktischen Impfung noch höher immunisieren. Zu diesen
Arbeiten ist allerdings ein geübter Bakteriologe notwendig.
Hier möchte ich noch kurz auf eine bisher nicht
beachtete Quelle des Tetanus hin weisen.
Diese Quelle liegt nicht in der Beschmutzung durch infizierte
Erde, sondern sie kann sich aus dem ärztlichen Handeln er¬
geben. Unter den Blutstillungsmitteln fungieren auch die
unter dem Namen Pengawar Djambi bekannten Fasern
ostindischer Farne. Im Anschluss an zwei genauer zu publi¬
zierende Fälle von Tetanusinfektion beim Menschen, bei
denen dieses Mittel in tiefe Wunden zur Blutstillung ein¬
gestopft wurde, habe ich eine Anzahl Proben auf ihren Gehalt
2080
Feldürztlichc Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 41.
an Tetanuskeimen untersucht. Fs ist mir bisher so ge¬
lungen, in drei von sieben verschiedenen
Proben von Pengawar Djambi durch An¬
reicherungsverfahren 1 etanuskeime nach-
üuweisen. Für gewöhnlich wird Pengawar Djambi nur für
oberflächliche Wunden benutzt und daher kommt es, dass
solche Beobachtungen bisher nicht vorliegen. Jedenfalls
möchte ich dringend davor warnen, bei tiefen Wunden un-
sterilisiertes Pengawar Djambi anzuwenden. Untersuchungen
über Einwirkung der Desinfektion auf die blutstillende Kraft
sind im Gange.
Der Hauptzweck dieser Zeilen istaber der,
die Mitwirkung der nicht im Felde stehenden
Bakteriologen bei Herstellung von Tetanus¬
heilserum für unsere Verwundeten anzu¬
regen. _
Kriegsbriefe aus der Kriegslazarettabteilung
I. Bayr. Armeekorps.
Zweiter Brief.
Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Schloesser.
Mehr denn in Friedenszeiten machen sich allgemeine Ein¬
flüsse bei Kriegsverwundeten geltend. Wem wäre es nicht
bekannt, wie viel gute oder wenigstens genügende Ernährung
und besonders der psychische Zustand der Verletzten bei der
Heilung ausmacht? Wie viel wohl auch die Gesamtwider¬
standskraft und Regenerationsfähigkeit im Hinblick auf über¬
windbare leichtere Infektion und auf Raschheit der Wund¬
heilung variiert?
Hier macht sich ein sinnfälliger Gegensatz geltend zwi¬
schen deutschen und französischen Verwundeten und des¬
gleichen zwischen Truppen, die erst kurze Zeit in der Front
stehen, und solchen, die Tage hindurch im Kampf ausgehalten
haben. Unsere deutschen Soldaten, auch die Landwehrleute,
als ausgewählt gesunde und kräftige Menschen, kamen mit
gutem Ernährungszustände an und hatten, wenige Ausnahmen
abgerechnet, zumeist auch an der Kampfesfront ausreichende
Ernährung, deren Nachfuhr auch bei raschestem Vordringen
der Truppen in vom feindlichen Heere ausgesogener Gegend
nicht versagte; die Franzosen dagegen bieten schon a priori
minderwertiges Menschenmaterial dar und müssen als schon
während des Aufmarsches ungenügend ernährte Leute be¬
zeichnet werden. Kann es auch anders sein? Unsere Deut¬
schen bekommen ihre Ernährung in natura geliefert, während
die Franzosen zumeist Geldentschädigungen erhalten und sich
davon selbst beköstigen müssen. Wer es gesehen hat, wie
rasch die Vorräte einer gut ausgerüsteten Verkaufsstelle oder
Wirtschaft bei grossem Menschenandrang versagen, dem er¬
hellt sofort unsere diesbezügliche bessere Position.
Sodann der psychische Einfluss: Wir Deutsche bis zum
letzten Mann in gerechtem Zorn gegen die Vernichtung planen¬
den perfiden Feinde unserer Nation, in vaterländischer Hin¬
gabe bestrebt, unser Bestes zu leisten, mit Vertrauen auf
unsere Führer und unsere Fürsten; die Franzosen ohne be¬
geisterndes nationales Streben, vielfach die Kriegserklärung
ihrer Regierung abfällig kritisierend, mit wenig Zutrauen zu
der Kriegsleitung und ohne jede Begeisterung für das den Staat
repräsentierende Oberhaupt. Bei solchen Differenzen muss
ceteris paribus schon zu Anbeginn sich die Wage nach unserer
Seite senken und es hat sich denn auch bisher bei den be¬
sonders schwierigen Aufgaben unseres I. bayer. Korps der
Kampf zu unseren Gunsten glänzend gestaltet.
Am sinnfälligsten drückt sich die Differenz in dem Ver¬
halten unserer und der französischen Verwundeten aus. Na¬
türlich werden, wenn irgendwie möglich, diese beiden Kate¬
gorien immer geschieden. Unsere Verletzten, auch wenn
etwas wehe tut, wenn sie bei dem Transport oder bei der Um¬
lagerung Schmerz haben, klagen selten, und kaum sind die
Schmerzen vorüber, sind sie auch vergessen; es bilden sich
Gruppen, die sich erzählen, ein jeder hilft dem anderen, selbst
wenn er selbst nur mit Hilfe eines Stockes auf einem Bein
hüpft, ein jeder teilt Speise und Trank mit dem Leidens¬
genossen, ja manchmal hört man heimische Weisen sogar
mehrstimmig und herzliche Fröhlichkeit, alles scheint ver¬
gessen. Die Franzosen hingegen klagen fast alle bei der ge¬
ringsten Schmerzempfindung laut, wollen Morphineinspritz¬
ungen oder Narkotisierung; jeder sorgt nur für sich, kümmert
sich selten um den mitverwundeten Landsmann, sitzt oder
liegt einsilbig und verzehrt stumm, was er bekommt.
Bei unseren Leuten hören wir Aerzte so oft: „Wenn ich nur
bald wieder geheilt bin, dass ich wieder zu meinem Regiment
komme und meine Verletzung den Franzosen heimzahlen
kann.“ Bei den Franzosen ist oft zu hören: „Wie froh bin ich,
dass ich jetzt zu essen bekomme, gut behandelt werde und
nicht mehr mitmachen muss.“
Wir können unsere allgemeinen Eindrücke dahin zu¬
sammenfassen: Der Tod, die Verletzungen und all das Elend
junger, blühender Leben ist entsetzlich, aber herrlich und er¬
hebend die Nichtachtung alles Persönlichen bei unseren braven
Leuten und der innige Zusammenschluss aller in der gemein¬
samen hohen vaterländischen Aufgabe. Man ist unter Ver¬
wischung des Standesunterschiedes sofort herzlich Freund mit
Leuten, die man gar nicht kennt.
Bevor auf das spezielle Gebiet der Verletzungen ein¬
gegangen wird, muss noch eine Angelegenheit frank und frei
besprochen werden, die in Friedenszeiten kaum eine Rolle
spielt, aber in Kriegszeiten von fundamentaler Bedeutung ist.
das Krankentransportwesen. Selbstredend sind alle dies¬
bezüglichen Bestimmungen von den besten Absichten getroffen
worden, aber leider bewähren sie sich nicht alle.
Von der richtigen Anschauung ausgehend, dass jeder Ver¬
letzte möglichst bald in möglichst günstige Spitalverhältnisse
gebrachten werden soll, zeigt sich in dem bisherigen Kriege
das allgemeine Bestreben, so rasch als nur irgend angängig
alle Verwundeten aus der Truppenstellung nach rückwärts und
von da in das innere Land zu bringen. Diesem Bestreben
stehen aber sehr erhebliche, manchmal uniibersteigbare Trans-
Porthindernisse im Wege. Der Transport aus dem1 Gefecht ge¬
schieht durch Sanitätspersonal oder Kameraden zumeist nach
Anlegung des ersten Verbandes und gewöhnlich durch requi¬
rierte Fuhrwerke kommt der Verletzte in ein Feldlazarett
Solche Feldlazarette sind mobile Formationen, die der fech¬
tenden Truppe in geringen Abständen nahe bleiben müssen:
deshalb sind sie auch gezwungen, ihre Verwundeten baldigst
fortzuschaffen, sie müssen eben mobil und aufnahmsfähig seir
und bleiben. Aber die Verwundeten werden baldmöglichst
zur nächsten Bahnstation gebracht und müssen manchmal nur
kurze, gewöhnlich aber viele Stunden währende Leiterwagen¬
fahrten auf Stroh liegend oder sitzend zurücklegen. Danr
kommt die Bahnstation, wo sich naturgemäss die Verwundeter
häufen und jetzt beginnt die grosse Misere.
Als raschere Transportmittel stehen uns Bahn und Auto¬
mobile zur Verfügung. Die erstere hat den unbedingten Vor¬
zug, dass sie mit langen Zügen grosse Mengen von Ver¬
wundeten aufnehmen kann. Ein Lazarettzug, eine herrlich».
Unterkunft auch für Schwerstverwundete, fasst gegen 300 Ver¬
letzte, ebenfalls die ebenso vorzüglichen Hilfslazarettzüge
aber wann steht so etwas zur Verfügung? Wir haben be
einer bisherigen Transportbewältigung von ca. 6000 — 7000 Ver-
wundeten nur dreimal einen solchen Zug bekommen können
Was bildet also die Regel? Die Regel ist, dass auf der Station
zu der die Verwundeten gefahren werden, ein Zug mit Pack
wagen und vereinzelten Personenwagen zusammengestellt unt
hier hinein auf Stroh oder Heu gelagert die Verwundeten ge
bracht werden.
Nun macht man sich aber im Heimatlande gar keine Vor
Stellung, welche enormen Aufgaben unseren Bahnen und derei
Betriebsleitern und Organen gestellt werden: endlose Zu
transporte von Munition und Lebensmitteln, Geschützen, Pon
tons, Feldbahnmaterial usw. und auch leider endlose Abtrain
Porte von Verwundetenzügen und hinter der Front dislozierte:
Truppenteilen, und das alles kurz nach telephonisch oder tele
graphisch eingegangenen Befehlen. Es ist staunenswert, das
die Bahnen dies alles fertig bringen, und solche Riesenleistum
ist nur bei glänzendster Organisation überhaupt möglich.
Zweckmässiger noch als der Abtransport durch Transport
ziige, deren Zusammenstellung notwendigerweise längere Zc:
erfordert und die auch nur langsam fahren können, wäre der
jenige durch Krankenautomobile. Aber welche Unmenge solche:
]3. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2081
Automobile wäre nötig, in die Tausende! Sie. werden sicher
das Transportmittel für einen zukünftigen Krieg, vor dem uns
das v clncksal und unsere zu erhoffenden Erfolge bewahren
wollen, sein. Es haben uns bisher einmal 15 solche Automobile
zur Verfügung gestanden.
Wenn nun ein solcher Krankentransportzug, wenn auch
nach langer Fahrt, bis zu einem grossen Ort durchgeht, der
dauernde Lazarettaufnahme bis zur Heilung bieten kann, ist es
£ut, wenn abei nicht, wird noch einmal aufgenommen und
nach wenigen 1 agen dann wieder abtransportiert werden
müssen, allerdings dann unter etwas günstigeren Verhält¬
nissen, denn die Zwischenstation liegt weiter zurück im Lande.
Bei den vorstehenden Betrachtungen drängen sich sofort
r rügen auf: Fehlt es denn an ärztlichem Personal oder an
I riegepersonal . Durchaus nicht. Aerzte sind bei der grossen
Menge von Kollegen, die nicht im Militärverhältnis stehen und
sich zur Veriügung gestellt haben, genügend vorhanden und
1 tlegepersonal, Sanitätsmannschaften und Schwestern in Hülle
und Fülle.
Wenn dem so ist, warum dann der Mangel bei den Ver¬
wundeten Die Organisation bringt es mit sich, dass das
I rlegeperonal in grösseren Trupps unter Führung vereinigt ist
und von Zentralstellen zumeist den Etappenformationen zu-
geteilt, dirigiert wird. Das muss wohl so sein, wie könnte
•nan sonst diese Leute einquartieren und verpflegen? Wenn
js ferner in das Belieben ärztlicher Stellen oder gar einzelner
Aerzte gestellt wäre, Pflegepersonal beliebig abzuordnen und
m verschicken, wo bliebe die Zentrale, wie könnte die leitende
stelle wissen, wo sich die einzelnen befinden und wie könnten
'ich die Verschickten wieder zusammenfinden? Hier wäre eine
cweckmässige Aenderung der jetzigen Organisation anzu-
üreben.
Nun aber noch eines, was uns Aerzten iin Feld schwer am
lerzen liegt.
Es ist eine medizinische Binsenwahrheit, dass alles gut
ransportiert und auch mehrfach evakuiert werden kann, selbst
nele Knochenverletzungen ertragen es gut, nicht aber die
vopt-, Brust- und Bauchschüsse; für diese ist möglichst wenig
iransportieren unbedingtes Gebot. Es steht ausser Frage,
lass nur bei ruhigem Liegenbleiben die besten Abheilungen
ind die Mindestziffer von Verlusten erreicht wird. Demnach
nuss für diese Verletzungen jeweils irgendeine Sammelstelle
Tnchtet werden, die nicht zuweit (20—40 km) hinter der
rontstellung, an der die Verletzung erfolgte, zu wählen ist,
ait einem detachierten Arzt und ein paar Pflegern oder Pfle-
erinnen versehen werden muss, und die endlich unbedingt
labil bleiben muss, selbst auf die Gefahr hin, in feindliche
lande zu geraten. Sollte aber das letztere zu vermeiden sein,
ürfte ein Abtransport nur mit Krankenautomobilen erfolgen.
Für den dem Kriegsverletztenbetriebe Fernstehenden er-
cheinen die vorstehenden Vorschläge sehr umwälzend, sie
ind es aber nicht, sie lassen sich leicht der derzeitigen Ord-
ung aufpfropfen. Eine Neuorganisation der sonstigen Ord-
ung wird die naturnotwendige Folge der Kriegserfahrung
ach Beendigung des Feldzuges sein.
us dem Feldlazarett 4 des I. bayer. Armeekorps (Chefarzt:
Oberstabsarzt Dr. T ü s h a u s).
Die erstmalige Einrichtung unseres Feldlazarettes.
on Stabsarzt der Reserve Dr. Hans Albrecht in München.
Es war am Nachmittag des 20. August, als die Kolonne
iseres Feldlazaretts auf der Höhe VA km nördlich von Saar-
tdorf an der von Rauweiler nach Saarburg führenden Strasse
Alarmbereitschaft stand und angesichts der vor uns toben-
-n Schlacht des Befehls zur Einrichtung harrte. Eine Er-
sung war es, als wir nach 10 tägigen Kreuz- und Quer-
nrten fern von der Front und bar jeder Nachricht endlich
irgezogen wurden und nun mit einem Schlage mitten in den
reignissen standen. Die bange Ungewissheit hatte uns die
uge her arg bedrückt — um so froher atmeten wir jetzt auf:
■r befanden uns im Bereich der Schlacht von £ a a r -
urg. Vor uns das Saartal wie eine einzige grosse Feuers-
unst, aus deren dicken, langsam und schwer emporwallenden
auchsäulen sich die Umrisse der Kirche und Häuser Saar-
nirgs schattenhaft abhoben; soweit das Auge reichte, kein
lebendes Wesen, nur brennende Gehöfte, Rauch- und Feuer-
scnein, lagenweise die zierlichen weissen Wölkchen platzender
^ chrapnells oder die gelbgrauen Rauchschwaden einschlagen-
uer Granaten. Kein Schlachtenbild, wie es die Schlachten-
tna er von 1870 unserer Vorstellung und Erwartung geschaffen
Hatten: das unausgesetzte, ohrenbetäubende Brüllen der Tod
und Verderben speienden schweren Geschütze und der in
dunstiger Ferne von den Vogesen begrenzte rauchende Kessel,
dies war der sichtbare Rahmen, in den unsere Phantasie
lineinschaute, was wir klopfenden Herzens erhofften: das sieg¬
reiche Vorwärts unserer Truppen und die wilde Flucht des
Feindes. Und noch ehe der Tag sich neigte, hatten wir’s
jubelnd und frohlockend erlebt: unser war der Sieg.
c„,in|tnfr(e Erwartung, dass wir noch am Abend des 20. nach
du vnHnnLZUn befohlen würden, bestätigte sich nicht,
°:]RU$g nur Feldlazarett 3 vorgezogen wurde. Als wir am
ultHnrf vormitta£s A9 Uhr unserem Befehle gemäss Saar-
altdorf erreichten, um nötigenfalls auch einzurichten, waren bereits
wundmJn haUSh dlCt UKnd die umsebenden Mauser mit Ver-
lazS 3 uptsacbllch Franzosen — überfüllt und das Feld-
S vrnL ? 111 VO er Arbeit: Da weitere grosse Nachschübe
von Verwundeten aus den nachstliegenden Schlachtfeldern angesagt
wurden, gab unser Chefarzt um %10 Uhr vormittags den B e f e h l
B wl ‘l"12' °!e sachgemässe und sofortige Ausführung
Fvima Bef,ebls ,lst eiaer der Kernpunkte des Wesens des mobilen
feruilPuat,tSH Sf Stedt n.Icht "ur an die sanitätstaktische Schlag-
, ^ und Energie des Chefarztes und das geordnete ange-
sh engte Zusammenwirken des gesamten Personals die grössten An-
oraerungen, sie hat zur unumgänglichen Voraussetzung eine bis ins
Kleinste planmassig geschehene Vorarbeit hinsichtlich der Etablie-
rungsdisziplin: vollkommenes Vertrautsein aller in Betracht kommen-
den Hilfspersonen mit dem Inhalt der einzelnen Wägen unter Zu-
grundelegung der Einteilung in 3 Gruppen: 1. Material für den
ipn/m 'n afI0”s,s^al und Verbandzimmer (einschliesslich Be¬
leuchtung.), 2. Material für Unterbringung, Bekleidung und Lagerung
der Verwundeten, 3. Material für Verpflegung der Patienten. Auf
dieser Grundlage basiert die genaue Disposition der Arbeitsteilung
bei der Einrichtung des Feldlazaretts: Erkundung und Festsetzung
der notigen Räume für Versorgung und Unterbringung der Ver¬
wundeten, Einrichtung von Operations-, Verband-, Sterilisations- und
Apothekenraum, Bereitstellung von Lagerstellen für Verwundete
(Herbeischaffen von Stroh, Füllen der Strohsäcke usw.), sofortige
Herstellung von Lebensmitteln für die erschöpften und ausge¬
hungerten Verwundeten (Suppe, Thee) usw. usw. — alle die Auf¬
gaben bei der Einrichtung sind genauestens in der K.S.O. festge¬
setzt, ihre Ausführbarkeit und schleunigste Ausführung aber hängt
voll und ganz ab von der energischen Durchführung einer wohlüber¬
legten genauen Arbeitsverteilung durch den Chefarzt und einer
strengen Disziplin bei der Einrichtung. Nur so war es möglich,
dass wir bereits % Stunde nach dem Befehl zur Einrichtung des
eldlazaretts die erste dringendste Operation (Laparotomie wegen
Darmprolaps) unter allen erreichbaren aseptischen Kautelen durch¬
fuhren konnten. Zur Erfüllung der genannten Voraussetzungen ist
auch für denjenigen, der bisher vom Feldlazarette nicht mehr als
den Namen kannte, genügend Zeit und Möglichkeit gegeben, sowohl
wahrend der Mobilmachungstage als während der Zeit des Auf¬
marsches an Ruhetagen und in Bereitschaftsstellungen. Für den
operativen Betrieb von besonderer Bedeutung ist ein genaues Stu¬
dium des vorzüglichen Feldsterilisieregerätes, sowie der aufs reichste
ausgestatteten Haupt- und Sammelbestecke, ferner eine genaue am
besten durch Skizzen vorausdisponierte Einrichtung des Operations¬
und Verbandraumes. Als nicht hoch genug anzuschlagenden Vorteil
empfand ich die Mitnahme einer grösseren Anzahl bereits trocken
sterilisierter Handschuhe, die die Schnelligkeit und Sicherheit des
operativen Betriebes unter so schwierigen Verhältnissen ganz ausser¬
ordentlich erleichtert.
Mit dern Befehl zur Einrichtung trafen auch schon wagenweise
verwundete Franzosen ein und es wurde ein jüngerer Sanitätsoffizier
abgestellt, dem einzig und allein die Aufgabe zufiel, die ankommen-
den \ erwundeten, die stöhnten und jammerten oder im Schock lagen,
mit einer Morphiumatropininiektion zu versorgen, gleichzeitig die
^ onderung der Schwer- und Leichtverletzen und der deutschen von
den tranzösischen Verwundeten durchzuführen, um unsere Truppen
zuerst der Wundversorgung zuzuleiten; endlich fällt diesem Arzt
auch die wichtige Aufgabe zu, für die sofortige Labung der Ver¬
wundeten, soweit sie nicht unbesinnlich sind oder Bauchschüsse er¬
litten haben, zu sorgen. Nebenher und jedenfalls vor der Ein¬
bringung der Verwundeten in den Operations- und Verbandraum
müssen durch einen Beamten die genauen Personalien ins Haupt¬
krankenbuch eingetragen, die Wundtäfelchen, soweit sie das Per¬
sonale betreffen, revidiert bzw. neu ausgefüllt werden, so dass von
dem behandelnden Arzt nur mehr die Diagnose und Behandlung auf
das Wundtäfelchen diktiert zu werden braucht. Die Eintragung
der Diagnosen von dep Wundtäfelchen ins Hauptkrankenbuch ge¬
schieht nach unserer Erfahrung am besten bei der ersten Visite nach
vollendeter Versorgung der Verwundeten.
2082
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4!
Wie iiir die Einrichtung, so ist auch bei dem anfangs schier
endlosen und unübersehbaren Ansturm von Verwundeten ein
schnelles, zielbewusstes Arbeiten bei der Wund-
Versorgung unerlässlich. Auch hier erwies es sich uns äusserst
nützlich, bereits vor der ersten Einrichtung die Richtlinien und
Indikationen der operativen Massnahmen, der Handhabung von
Asepsis und Desinfektion und der Art und Weise der einfachen
Wundversorgung und der Frakturbehandlung bis ins Detail sche¬
matisch besprochen und festgelegt zu haben. Als ausgezeichnete
Wegweiser in allen einschlägigen Fragen lernten wir die „Kriegs-
chirurgie“ von Dettingen und das „Vademekum für den Feldarzt“
von S c h ö n wert h kennen, deren reiche Erfahrungen wir uns in
jeder Hinsicht nutzbar machten.
Fiir die Einrichtung des Operationszimmers ist
es wichtig, alles Nötige möglichst übersichtlich zu gruppieren und
alles Unnötige fernzuhalten: ein schmaler Operationstisch in der
Mitte, als Unterlage eine weichgefüllte Strohmatraze, darauf ein
Leintuch und eine Ueberdccke von Battist: unter dem Operations¬
tisch 2 grosse Kübel, der eine für noch verwendbare Tupfer- und
Verbandmittel, der zweite für zu verbrennendes Verbandmaterial:
am Kopfende des Operationstisches ein kleines Tischchen (event.
Nachtkästchen) mit den Instrumenten für Narkose. Rechts vom
Operationstisch ein mittelgrosser, mit einem Operationstuch be¬
deckter Instrumententisch: auf diesen kommen die ausgekochten
Instrumente in grosser, mit steriler antiseptischer Lösung gefüllter
Instrumentenschale, das sterile Nahtmaterial, sterile Mullkompressen
und in sterilem Tuch gesondert ein Tracheotomiebesteck, sonst
nichts: ferner stehen auf der rechten Seite des Operationstisches
Stühle mit den 2 grossen Emailkübeln, in deren einem Sublimat-,
im anderen sterile physiologische Kochsalzlösung (diese Lösungen
und die ausgekochten Bürsten herzurichten, ist die erste Aufgabe
des Apothekers) bereitsteht; ausserdem eine kleine Waschschüssel
mit Sublimatlösung zum Händewaschen während der Operation.
Sämtliche Schüsseln werden mit Spiritus ausgebrannt. — Ausserdem
stellt entfernt vom Operationsbereich noch ein schmaler Tisch, auf
welchem 1. das sonstige Verbandmaterial in nicht zu grossen Quan¬
titäten (Polsterwatte, Verbandwatte, Mull-Steifgazebinden) zurecht¬
gelegt ist, 2. Mastisol und Jodtinktur, 3. Injektionsspritzen in Karbol¬
lösung und Morphium und Koffeinlösung, 4. Katheter in Sublimat¬
lösung bereitstehen. Für den Operationsraumbetrieb ist unerlässlich,
dass alles unbedingt wieder an seinen Platz zurückgestellt wird, da
bei dem Massenbetrieb sonst in kürzester Zeit die Ordnung ver¬
loren geht, welche die erste Bedingung für die Schnelligkeit des
Arbeitens ist. In einem Vorzimmer zum Operationsraum sind auf
einem Tisch ein kleines Besteck in Schale mit Karbollösung und
die nötigsten Verbandmaterialien sowie Mastisol und Jodtinktur
bereitgestellt für die gleichzeitige Versorgung von Leichtver¬
wundeten: in einem zweiten Nebenraum ist das Schienenmaterial
übersichtlich zurechtgelegt, ferner das Haupt- und Sammelbesteck,
endlich sterile Bürsten, Schalen zur Händedesinfektion und Seifen¬
spiritus sowie sterile Handschuhe und Operationsmäntel. — Das
Feldstcrilisiergerät richteten wir auf dem Küchenherd ein und Hessen
es ständig unter Feuer; endlich ist noch nötig, dass der Apotheken¬
raum in erreichbarer Nähe ist ebenso wie der Apotheker, dem die
Aufgabe zufiel, die Desinfizientien, das Naht- und Verbandmaterial
ständig nach Verbrauch und Anforderung zu ergänzen.
Zur Händedesinfektion benützten wir ausschliesslich
Seifenspiritus (5 Minuten langes Waschen). Die Reinigung des
Operationsgebietes geschah durch Rasieren, Abwaschen mit Seifen¬
spiritus, Trocknen mit steriler Kompresse und Aufpinseln von Jod¬
tinktur. Die Abdeckung wurde mit sterilen Kompressen bewerkstelligt.
Die Wundbehandlung wurde durchwegs so durchgeführt,
dass nach Entfernung grober Schmutzpartikel mit Pinzette und
feuchten sterilen Tupfern, die Wunde mit Jodtinktur betupft, die
Umgebung mit Mastisol, am besten mittels Pinzette und Tupfer, ge¬
pinselt, eine sterile Kompresse aufgedeckt, darauf sterile Watte und
eine Binde gelegt wurde; zur Sicherung des Verbandes gegen Zu¬
sammen- oder Abrutschen ein kleines Streifchen Heftpflaster senk¬
recht zur Bindenrichtung. Die von 0 e 1 1 i n g e n empfohlene Ver¬
wendung des Mastisols zur Keimarretierung und zur Fixation des
sterilen Wundverbandes hat sich auch uns in jeder Hinsicht bewährt:
es erleichtert die Anlegung des Verbandes und gewährt die beste
Sicherung gegen eine allenfallsige nachherige Entblössung der
Wunde bei den vielen nötigen Umparkierungen der Verwundeten.
Ein besonders wichtiges und schwieriges Problem stellt die
Frakturbehandlung dar. Es handelte sich fast ausschliess¬
lich um komplizierte Frakturen mit meist grossen, vielfach bereits
infizierten Wunden; dabei sind es meist Komminutivbrüche mit ent¬
sprechend starkem Bluterguss und Schwellung; aus letzterem Grunde
erschien uns die für den baldigen Transport am meisten Sicherheit
bietende Fixation durch Gipsverband meist untunlich — abgesehen
davon, dass bei der grossen Anzahl von Frakturen die Anlegung
des Gipsverbandes doch zu zeitraubend gewesen wäre. Wir be- i
schränkten uns durchwegs damit, die Fixation zu erreichen mit I
Schienen oder Hülsen aus Pappe. Holz und Steifgazebinden; so lassen
sich auch Oberschenkelfrakturen durch eine genügende Zahl ent¬
sprechend angelegter Holzschienen völlig genügend fixieren. Dass
bei jeder Fraktur die beiden nächstliegenden Gelenke in den Fraktur- i
verband mit einbezogen wurden, ist selbstverständlich.
Eine operative Behandlung von B a uehschüsse n ist nach de
übereinstimmenden Ansicht aller Kriegschirurgen im Feldlazarett ah
solut kontraindiziert. Absolute Ruhigstellung des Magendarmkanal:
durch Unterlassung jeder Nahrungs- und Getränkezufuhr, Morphiun
und Ruhelage mit ev. Auflage von Eisblase oder schweren Sache:
sind die gebotenen Massnahmen. Wir haben nur eingegriffen be
Darm- und Netzprolaps und auch hier uns nur beschränkt au
Reinigung der prolabierten Teile. Erweiterung der Wunde, Repo
sition und breite Drainage.
Bei Lungenschüssen beschränkten wir uns auf Okklusiv
verband und möglichste Ruhigstellung der betroffenen Seite mittel'
Heftpflaster verband.
Kopfschüsse behandelten wir nach gründlichster Reinigun.
der Wundumgebung ebenfalls rein konservativ, beschränkten un:
auf Entfernung von Schmutz und erreichbaren Splittern, halten abt
durchw'egs die Anlegung eines fixierenden Kopfbrustverbandes mi|
Pappschienen und Steifgaze für nötig.
Bezüglich der Schmerzlinderung erwähnte ich schon, das:
alle jammernden Verwundeten sofort bei ihrer Einbringung eine Mor
phiuminjektion erhielten; einen von einer Reihe von Beobachten'
konstatierten Unterschied zwischen der Schmerzäusserung de:
Sieger und Besiegten konnten wir nicht finden — auf beiden Seitcij
gab es auffallend starke und daneben sehr empfindsame Verwundete
Sämtliche zu operierenden Verwundeten wie auch alle, bei denen, se
es wegen der Schwere der Verletzung oder wegen besondere
Schmerzempfindlichkeit, die Wundversorgung dem Verletzten starke
Schmerzen verursachte, erhielten Narkose und zwar, da nu:
Chloroform zur Verfügung stand, als ChloroformtroDfnarkose. Ditj
erschöpften und ausgebluteten Verwundeten bedurften durchweg
ausserordentlich geringer Mengen, auffallend war der Mangel iede;
Exzitation, der fast sofortige Eintritt der Toleranz und der Mange
aller Nacherscheinungen. Lokalanästhesie kommt bei der Einfach¬
heit der Narkose und dem Zeitmangel kaum in Betracht. Auch iii
die Lumbalanästhesie, die wir im klinischen Betrieb ausserordentlich
schätzen, fanden wir keine Möglichkeit der Anwendung, trotzden
wir völlig für dieselbe vorbereitet waren. Bei den für die An
wendung der Lumbalanästhesie in Betracht kommenden Verletzungen
— komplizierte Frakturen der Unterextremitäten — ist jede Um
lagerung ausserordentlich schmerzhaft und zeitraubend, ausserdem
ist die Durchführung der unerlässlichen Asepsis hinsichtlich Einstich
stelle. Auskochen der Spritze und Nadeln bei dem Massenbetrieb sc
gut wie undurchführbar.
Bevor war noch eingerichtet hatten, war bereits die ganze Dorf
strasse voll von Wagen, auf denen auf Stroh gebettet fast nun
französische Verwendete lagen. Der erste Anblick der Schwervcr
letzten ist ein entsetzlich trauriger und unsere Siegesfreude wurdi
verdrängt durch die Empfindungen des Grauens über das Niegc
sehene und des Mitleids mit den armen Opfern.
Anfangs kamen durchwegs schwerverwundete Franzosen de
Inf.-Reg. 27 und 29, schwere Bauchverletzungen, Schädelschüsse mi
Hirnvorfall, Gesichtsschüsse schwerster Form, schwere Zertrütnme
rungen von Extremitäten Unsere Verwundeten kamen zun
grössten Teile am ersten Tage von einem nahe bei Saaraltdorf gc
legenen Schlachtfeld, wo offenbar die beiden genannten französische;
Infanterieregimenten aufs schwerste unter unserem Ar tillerieieuc
gelitten hatten. Dementsprechend lagen auch in dem Massengral
bei Saaraltdorf gegen 240 französische Tote, darunter 13 Offiziere
und nur 25 deutsche.
Ein Auszug aus unserem Hauptkrankenbuch ergibt, dass wi
im ganzen in 60 Stunden 350 Verwundete versorgten, darunter wur
den stationär aufgenommen 314 Verletzte, 126 deutsche, d. h. baye
rische und 188 französische Soldaten. Sterbend eingebracht wurde:
3 deutsche und 9 französische Verwundete, die noch während de
ersten Nacht mit Tod abgingen. Durchwegs fiel auf, dass die An
zahl derSchwerverletzten auf französischerSeiti
ausserordentlich viel grösser war. als auf bayc
rischer Seite; unter letzteren hatten wir 72 Proz. Leichtverletzte
unter den Franzosen 39 Proz. Es hängt dieser Unterschied dami
zusammen, dass die Franzosen unter unserem Artilleriefeuer gar-
erheblich mehr gelitten haben als die bayerischen unter dem de:
Gegners. Wir hatten bei den Franzosen 58 Proz. Artillerie- um
42 Proz. Mantelgeschoss-, bei den Bayern nur 17 Proz. Artillerie
und 83 Proz. Mantelgeschossverletzungcn (Sturm!). Die vor
wundeten französischen Offiziere berichteten auch übereinstimmeni
von der furchtbaren Wirkung der Artilleriegeschosse (eclat obus.)
während uns ein bayerischer verwundeter Leutnant erzählte, dav
er mit seinem Zug über 3 Stunden in feindlichem Artiller ieteuc
gelegen sei und nur ein paar Leichtverletzte gehabt habe, da du
Geschosse zu einem Drittel überhaupt nicht explodieren und aucl
falls sie explodieren, nur beschränkte Wirkung zeigen. Dement
sprechend hatten wir auch in 4 Proz. der französischen Verletzte
schwere Abschüsse gegen 0,7 Proz. bei den Bayern.
Unter den schweren Verletzungen nahmen nach der Häufigke
die erste Stelle ein die komplizierten Schussfrakturen
wir hatten im ganzen 48 schwere komplizierte Schussfrakturen
.31 unter den Franzosen, 17 unter den Bayern. Am häufigsten (je
waren Oberarm und Oberschenkel betroffen. Gelenkseh iisst
mit oder ohne nachweisbare Fraktur hatten wir 27.
13. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
2083
An zweiter Stelle der Häufigkeit standen die L u n g e n -
schusse (21), es folgen Schädel- (15) und Gesichts-
schiisse (9) und Bauchschüsse (12). Von selteneren Schuss¬
verletzungen hatten wir 3 Nierenschüsse mit Blutharnen,
1 Wirbelsäulensteckschüsse mit Querschnittslähmung.
Von besonderem Interesse sind 5 zur Beobachtung gelangte
Kontur sch ii s s e, von welchen 4 die linke Brusthälfte betrafen —
offenbar matte Kugeln, welche unter stumpfen Winkel auf eine
Rippe auftrafen bei Halblinkshaltung des Thorax. Der Weg des
Geschosses war fast in jedem Falle äusserlich gekennzeiehnet dureh
streifenförmige Sugillation von der Einschussöffnung angefangen bis
zu der Stelle, an der das Geschoss unter der Haut stak.
Zu den scheusslichsten Verletzungen gehören die Abschüsse
-- wir hatten deren 10, vorwiegend Abschuss des Vorderarmes,
Fusses oder Unterschenkels, 2 völlige Armabschüsse. Sämtliche
mussten amputiert werden, in einem Falle musste die Exartikulation
im Schultergelenk vorgenommen werden. Die Extremitätenstummel
waren bei der Einlieferung ausnahmslos bereits in fötider Zersetzung
und verbreiteten einen entsetzlichen Gestank, die Verletzten boten
meist den Eindruck des schwersten Schocks — auffallend war die
nach der Amputation der jauchenden Stümpfe durchwegs rasch ein¬
tretende Erholung dieser Schwerverletzten.
In gleichem Masse abstossend und scheusslich sind die schweren
Gesichtsschüsse, deren wir 9 sahen, darunter 2 Durchschüsse
des Augapfels, mehrere schwere Zertrümmerungen der Kiefer,
Durchschüsse beider Wangen und Zunge usw. Die Pflege der Ge¬
sichtsschüsse ist eine der schwierigsten und zeitraubendsten Auf¬
gaben, schon die Fixation der Kieferbrüche stellt für die Improvi¬
sation kein leichtes Problem, weiter der häufig nötige Verband¬
wechsel, die Reinigung und die nötige künstliche Ernährung mit
Schlundsonde.
Schwerere Verletzungen des Genitale beobachteten wir 2,
emen Durchschuss des Skrotums mit starkem Bluterguss, einen
zweiten Fall von Zerreissung des Skrotums mit Vorfall und Zer-
reissung des Hodens, den ich exstirpierte. Der Verwundete hatte
ausserdem noch verschiedene Steckschüsse und eine schwere Schuss¬
fraktur des rechten Armes.
Viele Verwundete hatten gleichzeitig eine Reihe von Ver¬
letzungen, besonders jene, w'elche im Granatfeuer gestanden hatten
-- andererseits kam es vor, dass ein Verwundeter, der in der Nähe
einer explodierenden Granate zu Boden geworfen war, nur Brand¬
wunden aufwies, da die Sprengstücke ihn überflogen.
Unter den leichten Verletzungen hatten wir 111 Weich-
teildurch- und -Steckschüsse. Steckschüsse beobachteten wir bei
Schrapnellschüssen doppelt so häufig als beim Mantelgeschoss. Eine
Geschossentfernung war nur in einem einzigen Falle nötig, in wel¬
chem ein mattes Mantelgeschoss neben der Luftröhre im Jugulum
stak und heftige Schluckbeschwerden machte.
Bezüglich der Geschosswirkung kommt die furchtbarste
verstümmelnde Wirkung den Granaten zu und wer die tiefen und
breiten Erdtrichter und Verwüstungen gesehen hat, die die Stellen
einschlagendcr Granaten kennzeichnet, der bekommt eine Vorstellung
von der unheimlichen Wirkung dieser vernichtenden Geschossart:
Ausnahmlos schwerste Zertrümmerungen und Abschüsse. An zweiter
Stelle reihen sich die Schrapnellschüsse an: Einschussöffnung meist
einpfennigstückgrosses, oft wie ausgestanzt aussehendes Loch, im
übrigen ebenfalls schwere Weichteilzertrümmerungen, besonders am
Ausschuss und häufige Schussfrakturen Für beide genannten Ge¬
schossarten charakteristisch ist die Häufigkeit der Wundinfektion,
darauf beruhend, dass sie mehr von den äusseren Bedeckungen mit
in die Tiefe reissen und ausgedehntere Zertrümmerungen machen.
Die humansten Verletzungen macht das Mantelgeschoss, die
Einschussöffnung ist hier meist nur ein kleiner, ein paar Millimeter
langer Schlitz, während auch hier die Ausschussöffnung eine aus¬
gedehnte Zerreissung der Weichteile zeigen kann; auch sahen wir
im ganzen 17 schwere Schussfrakturen durch Mantelgeschosse.
Wie erwähnt, waren die Granat- und Schrapnell wunden in
einem relativ grossen Prozentsatz infiziert. Die schwerste Infektion
betraf eine komplizierte Unterschenkelfraktur mit beginnender Gas-
phlegmone, welche in ein paar Stunden bereits zur vollständigen
Gefässthrombose und Mortifikation des Unterschenkels führte: ich
entschloss mich sofort zur Amputation in der Mitte des Ober¬
schenkels und es gelang, den Infektionsprozess damit aufzuhaltcn.
Eine weniger gefährliche aber desto ekelhaftere Infektion stellt
die durch Maden dar, wie wir sie in einem FaJle beobachteten: ich
entfernte die in grossen Mengen im Verband und der grossen,
jauchig stinkenden Wunde herumwimmelnden Maden mittels Auf¬
träufeln von Chloroform, spülte dann mit Sublimatlösung ab und
applizierte einen feuchten Alsolverband (0 e 1 1 i n g e n empfiehlt
Aufstreuen von Kalomel). Wundrotlauf sahen wir nur in 3 Fällen,
im übrigen handelte es sich meist um lokalisierte Wundinfektionen.
Am 23. VIII. nachts 12 Uhr hatten wir den letzten Verwundeten
versorgt. Die Unterbringung der Verwundeten hatte grosse Schwie¬
rigkeiten, es gelang aber, im Pfarrhof gute Räume zu finden zur
Unterbringung der Offiziere und deutschen Verwundeten, die übrigen
konnten nur notdürftig in Scheunen auf Stroh untergebracht werden.
Aeusserst unangenehm und peinigend war die grosse Fliegen-
plagc und der bei der starken Belegung der Scheunen bald auf¬
tretende penetrante Geruch des zersetzten Blutes.
Das Benehmen der verwundeten Franzosen war durchwegs
ihrer Lage entsprechend und gab zu keinerlei Klagen Anlass; sie be¬
zeugten sich durchwegs für die Hilfeleistung und Verpflegung sehr
dankbar: umsomehr erbitterte uns die Erzählung eines verwundeten
bayerischen Chevaulegerleutnants, der auf Patrouille von einer fran¬
zösischen Radfahrerabteilung abgeschossen worden war, dann von
französischem Arzte zwar verbunden, nachher aber völlig ausge¬
raubt wurde.
In den ersten 3 Tagen, bis alle Verwundeten versorgt
waren, wurde ein Arzt allein damit beauftragt, die Versorgten
und Unversorgten ausserhalb des Verbinderaumes zu über¬
wachen, Visite zu machen, die Morphiuminjektionen zu ver¬
abreichen und zu katheterisieren.
Inzwischen waren durch den Chefarzt bereits alle Hebel
in Bewegung gesetzt, um die zweite wichtige Hauptaufgabe
des Feldlazaretts möglichst schnell erfüllen zu können: die
Evakuation, d. h. den Rücktransport der Verwundeten in
die Kriegslazarette. Bereits am 22. war es möglich gewesen,
80 transportfähige Leicht- und Schwerverwundete weiter zu
transportieren; weitere 23 Leichtverletzte konnten am 24. mit
Personenzug befördert werden und die übrigen wurden ins¬
gesamt am 25. August mittels eines Hilfslazarettzugs in
stationäre Lazarettbehandlung überführt, so dass nach vier¬
tägiger Tätigkeit unser Feldlazarett sich am Abend des
25. August wieder als marschbereit melden konnte. Der Zu¬
stand der Verletzten beim Abtransport war durchwegs erfreu¬
lich gut. Leider bleibt der mobilen Sanitätsformation bei der
nötigen raschen Evakuation jede weitere Beobachtung der
versorgten Verwundeten entzogen, so dass wir über den wich¬
tigsten Punkt, den Heilverlauf, die Heilungsaussichten und den
Erfolg bzw. die Zweckmässigkeit der primären Wundver¬
sorgung keine Erfahrungen sammeln konnten. Immerhin war
unsere Aufgabe erfüllt, die Verwundeten nach Möglichkeit ver¬
sorgt und transportfähig gemacht zu haben; der Abschied von
den. Verwundeten war ein herzlicher, ihr Dank für unsere
Hilfeleistung vereinte sich mit unseren Wünschen für gute
Fahrt und baldige Genesung.
Explosiv-Geschoss ähnliche Wirkung der deutschen
Infanterie-S-Munition bei Nahschuss.
Von Prof. M. Nippe, zurzeit Königsberg i. Pr.
Nach einer vom Wo lff sehen Telegraphenbüro am
24. September 1914 herausgegebenen Zeitungsnotiz wird
offiziös deutscherseits bekannt gemacht, dass aus der Art der
Verletzung nicht darauf geschlossen werden darf, dass etwa
eine sogen. Dum-Dum-Kugel die Verwundung hervorgerufen
hat. Es wird einerseits gesagt, dass sowohl Querschläger als
auch selbstverständlich Granatstückverletzungen Dum-Dum-
Verletzungen ähnliche schwere Zerstörungen verursachen
können, eine Ansicht, welche ebenfalls auch nach einer
Zeitungsnotiz bereits von einem französischen Arzt aus¬
gesprochen worden ist.
Ich bin in der Lage, über einen Fall zu berichten, welcher
diese Erfahrung durchaus bestätigt. Ich würde selbstverständ¬
lich bei der Fülle derartiger Erfahrungen, welche unsere im
Felde stehenden Aerzte dieser Art gemacht haben, darauf ver¬
zichten, das Folgende zu berichten, wenn nicht der von mir
beobachtete Fall eine mir bis jetzt nicht bekannte Eigentüm¬
lichkeit der Deformierung eines deutschen Infanterie-S-üe-
schosses dargeboten hätte.
Vor wenigen Tagen verunglückten zwei Personen, die eine
davon sofort tödlich, auf folgende Weise: Ein mit russischen Ge¬
wehren und ähnlichen Beutestücken beladener Wagen hielt auf
offenem Platze. Der Kutscher, ein deutscher Infanterist, hatte sein
Gewehr auf den Kutscherbock gelegt und sich für kurze Zeit ent¬
fernt. trotz seiner Warnung, dass das Gewehr geladen sei, wurde
vom Publikum, welches sich zahlreich eingefunden hatte, daran mani¬
puliert und es entlud sich ein Schuss. Aus einer vernäftnismässig
kleinen, höchstens 10 m betragenden Entfernung wurden zwei Per¬
sonen derart getroffen, dass ein junger Mann eine glatte Durch-
schiessung der Achsel erhielt und ein anderer, älterer, tödlich ge¬
troffen durch eine Halswunde umsank.
Die Sektion ergab nun eine ausserordentlich schwere Zer¬
störung des gesamten Halses. Der Einschuss 5 cm lang. zem klaffend,
verlief parallel 2 cm oberhalb des linken Schlüsselbeins. Die Haut
der mehrfach zerfetzten Einschusswunde wies nur angetrocknetes
Blut, keinerlei Pulvereinsprengungen oder Schmauchbesudelung auf.
2084
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 41.
hin Ausschuss war nicht vorhanden, also musste man ohne weiteres
aus der Beschaffenheit der Einschussöffnung annehmen, dass es sich
um einen sog. Querschläger gehandelt hatte. Zerstört waren die ge¬
samte Muskulatur der linken Halsseite, sowie grosse Qefässe und
Nerven, fetzig durchtrennt Speiseröhre und Luftröhre una vor allem
fand sich vollkommene Zertrümmerung des 7.-4. Halswirbels. Die
Zertrümmerung war derart, dass die grössten Knochentragmente
kaum über 1 cm Grösse erreichten. Es war also der gesamte Hals
inkl. Halswirbelsäule in eine vollkommen mit kleinen Knochenfrag¬
menten durchsetzte riesenhafte Wundhöhle umgewanaelt.
Sehr merkwürdig war nun die Deformierung des S-Ge-
schosses, von ihm war lediglich die Spitze und zwar völlig
unzerstört erhalten, vom Bleikern fand sich so gut wie nichts,
jedenfalls nichts im Geschossmantel. Es wurden nur einige
wenige, gerade für das blosse Auge noch sichtbare Blei¬
stäubchen in der riesenhaften Wundhöhle gefunden. Der
Stahlmantel des Geschosses war an einer Seite längs voll¬
kommen aufgerissen und hatte sich fächerförmig von der
unversehrten Spitze aus aufgerollt, flachgedrückt. Nebst
diesem Hauptfragment des Stahlmantels fand sich noch ein
1 mm breiter und etwa 2 cm langer Blechstreifen vom
Mantel vor.
Was mir an Röntgenbildern und Beschreibungen aus
früheren Kriegen mit der modernen S-Munition bekannt ge¬
worden ist, enthält nach einer flüchtigen Durchsuchung der
Literatur keine Angaben über eine derartige Zerfetzung des
Geschossmantels und feinster stäubchenartiger Zerstreuung
des Bleikerns. Ob ein Fabrikationsfehler im Geschossmantel
Vorgelegen hat, lässt sich natürlich nicht mehr feststellen,
jedenfalls wird aber diese riesige Wundhöhle, welche angefüllt
war mit einer Unmenge von Knochenfragmenten der be¬
troffenen Wirbelkörper durch diese explosionsartige Zer¬
fetzung des Geschosses erklärt.
Ich wollte den Fall vor allen Dingen mitteilen, um viel¬
leicht darüber Aufklärung zu erhalten, ob bei relativ nahen
Schüssen die entstandenen grossen Wunden, wenn es sich
um Querschläger handelt, in der Hauptsache durch das Weiter¬
rotieren des eindringenden Geschosses hervorgerufen werden
oder ob etwa solche explosionsartige Zerreissungen des Ge¬
schosses selbst häufiger sind und dann solche riesigen Wund-
kratcr und Zertrümmerungen des Knochens in feinste Frag¬
mente verursachen.
Die zahnärztliche Therapie der Schussverletzungen
der Kiefer.
Von Hofzahnarzt Dr. Greve in München.
Wenn kein geringerer als B. v. L a n g e n b e c k den Aus¬
spruch getan hat, er werde nie mehr in einen Krieg als Chirurg
ziehen, ohne sich der nötigen zahnärztlichen Hilfe versichert
zu haben, so dürfte daraus der Wert einer solchen an sich
schon hervorgehen.
Nun sind aber — mit Rücksicht auf den bestehenden Krieg
darf man sagen leider — unsere Erfahrungen nicht umfang¬
reich genug, um ein abschliessendes Urteil über die zahnärzt¬
lichen Leistungen bei Schussverletzungen der Kiefer zu haben.
Immerhin lassen aber die Unfallverletzungen im Frieden und
deren Heilung mittels zahnärztlicher Apparate und Bandagen,
sowie die zahnärztliche Unterstützung bei Geschwulst¬
operationen und deren prothetische Nachbehandlung gewisse
Schlüsse zu, wie sich der Zahnarzt . Schussverletzungen
gegenüber zu verhalten hat.
Indessen bestehen hier doch gewisse Unterschiede.
Während die prothetische Nachbehandlung der Defekte nach
Geschwulstoperationen manche Chirurgen wegen der Rezidiv¬
gefahr veranlassen, nur einen mässigen Gebrauch von der
Prothese zu machen, andererseits auch die plastischen Opera¬
tionen eine immer grössere Ausbreitung gefunden haben, fällt
bei Schussverletzungen der erstgenannte Gegenstand weg.
Bis zu welchem Grade auch die plastischen Operationen in
der Kriegschirurgie eine Einschränkung erfahren, entzieht sich
meiner Beurteilung. So viel ist aber sicher, dass die ohne
Zweifel umfangreicheren Splitterungen im grossen ganzen die
Therapie mehr komplizieren, als wenn es sich nur um Kiefer¬
brüche handelt, die durch Unfall (Hufschlag, Stoss etc.) ent¬
standen sind. Natürlich lässt sich nicht leugnen, dass es auch
im Frieden zu sehr umfangreichen Verletzungen kommen
kann, die sogar beide Kiefer betreffen. Letzteres dürfte bei
Schussverletzungen weniger häufig Vorkommen, sofern es sich
eben nur um reine Schussverletzungen handelt, was für die
Behandlung ein Vorteil ist. Dagegen können die Verwun¬
dungen durch Granatsplitter bekanntlich ungeheure sein.
Da bei der heutigen Kampfesweise Kopfschüsse in hoher
Prozentzahl zu erwarten sind, und speziell die Schussver¬
letzungen des Unterkiefers unter allen Gesichtsknochen die
grössten gewesen sind (sie betrugen im nordamerikani¬
schen Kriege 60,6 Proz., im japanisch-chinesischen Kriege
40 — 60 Proz.), so dürfte im bestehenden Kriege vielleicht mit
einem höheren Prozentsatz zu rechnen sein.
Wie dem indessen auch sei, jedenfalls glaube ich, dass
man sich bei der Behandlung der Kieferverletzungen und
namentlich solcher des Unterkiefers zahnärztlicher Hilfe mit
allergrösstem Vorteil bedienen wird.
Ich darf es wohl offen aussprechen, dass die Erkenntnis
von dem Wert solcher Hilfe nicht allen Chirurgen eigen ist.
Das hat seinen Grund darin, dass nicht alle Chirurgen ge¬
schulte zahnärztliche Hilfe zur Hand haben, weil derartige
Leistungen eben seitab der gewöhnlichen zahnärztlichen
Praxis liegen und deshalb nur von einigen Zahnärzten geübt
werden.
Da zahnärztliche Hilfe jedenfalls im Kriege nicht zu ent¬
behren ist, so hat unsere Heeresleitung Vorsorge getroffen und
eine ganze Anzahl von dienstpflichtigen Zahnärzten in den
Kriegssanitätsdienst gestellt. Wenn ich nun persönlich der
Ansicht bin, dass die zu erwartenden Leistungen teilweise
überschätzt werden, und zwar aus eben genanntem Grunde,
so soll man dieselben auch nicht unterschätzen, weil ausser
der speziellen Hilfeleistung bei Kieferverletzungen wahr¬
scheinlich auch eine ganze Reihe sonstiger zahnärztlicher
Patienten in den Feld- und Kriegslazaretten erscheinen
werden, wie uns der Burenkrieg gelehrt hat. Ausserdem
wird jeder Zahnarzt infolge seiner manuellen Fertigkeit sich
mit den einfachsten Schienungen schnell zurechtfinden können.
Im übrigen müsste man die Hilfe älterer, nicht dienst¬
pflichtiger Zahnärzte, die sich fast alle den Sanitätsämtern
zur Verfügung gestellt haben, für die Kriegs- und eventuell
sogar Feldlazarette requirieren.
Die Behandlung sämtlicher Schussverletzungen der Kiefer
durch zahnärztliche Hilfe besteht in der Schienung der Frag¬
mente und der Fixation derselben untereinander.
Der erste Notverband, der sogar auf dem Truppen¬
verbandplatz angelegt werden könnte, besteht in der Schie¬
nung der Fragmente mittels eines einfachen fertigen Draht¬
bogens, an den letztere dadurch herangezogen werden, dass
um die Zähne dünner Ligaturdraht geschlungen wird, der
durch einige Umdrehungen an dem Fixationsbogen seine Be¬
festigung findet. Um denselben bequem durch die Interdental¬
räume ziehen zu können, wird man häufig gezwungen sein,
vorhandenen Zahnstein zu entfernen. Stille Voraussetzung ist,
dass genügend Zähne zur Befestigung der Ligaturen vor¬
handen sind. Bei sehr schweren Verletzungen könnte man
grössere Bruchstücke mittels Knochennaht vereinigen. Sollten
einige Zähne verloren resp. abgeschossen sein, so könnte man
einen kleinen Haken an der entsprechenden Stelle des Fixa¬
tionsbogens mittels „Tinol“ in der Spiritusflamme anlöten, um
einen durch das zahnlose Kieferfragment gezogenen Ligaturen¬
draht an demselben zu befestigen. Frakturierte Zähne sind,
solange sie zur Befestigung dienen können, nach Möglichkeit
zu erhalten. Scharfe Ränder sind mit einer Wurzelfeile zu
glätten, und freiliegende Pulpen mit Karbolsäure abzuätzen.
Diese Art des Drahtverbandes, die meines Erachtens auch
von jedem nicht zahnärztlich geschulten Arzte ausgeführt
werden kann, ist, wie gesagt, im allgemeinen nur als Not¬
verband zu betrachten.
Sicherer und vor allen Dingen für den Patienten hinsicht¬
lich des sofortigen Gebrauchs bequemer sind umfangreichere
Apparate, die aber fertig vorhanden sind und sofort im
Kriegslazarett angelegt werden sollen. Ueberhaupt ist
bei der hier beschriebenen Art der mechani¬
schen Therapie das Bestreben vorhanden,
13. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
2085
völlig unabhängig vom zahnärztlichen Vul¬
kan i s i e r k e s se 1 und von fremder technischer
Hilfe u n d ohne \ erwendung von sonstigen
zahnärztlichen Hilfsmitteln zu arbeiten. Alle
bisher beschriebenen und noch zu erwähnenden Apparate sind
(je^räuch vorhanden. Nur kleine Lötungen mittels
in der Spiritustlamme sind mitunter nicht zu um-
?ehen. Auch der oft schwer zu bewerkstelligende „Abdruck“
ist nicht nötig.
9'®. mechanische Iherapie der Schussverletzungen hat
grundsätzlich zu unterscheiden zwischen Kiefern mit genügend
vorhandenen Zahnen und zwischen schlecht bezähmten oder
<ahnlosen Kiefern.
A. Betrachten wir zunächst die Fälle, wo genügend Zähne
■orhanden sind, was bei unseren Verwundeten infolge ihres
aiten (lesundheitszustandes und ihrer Jugend sehr häufig zu-
retfen dürfte. Es können allerdings durch Schuss Zähne ver-
oren gegangen sein.
Voru eg sei noch bemerkt, dass im allgemeinen immer
om Untcrkieter gesprochen wird, weil die Verletzungen des-
elben den höchsten Prozentsatz ausmachen und die* Konti-
uitätstrennungen am ehesten stattfinden. Oberkieferver-
etzungen werden in analoger Weise behandelt.
, Am einfachsten gestaltet sich die Behandlung, wenn die
rakturlinien im Mittelstück und, zwar nicht über den zweiten
lolaren hinaus liegen. Der oben skizzierte Drahtverband
/ird in der Weise besser gesichert, dass man um die zweiten
ventuell auch ersten Molaren Ringmuttern legt. Es sind das
infache Metallbänder, die an der bukkalen Seite Muttern
agen, durch welche eine Schraube geht, mittels der die
ander festgezogen werden. Die Schrauben sind nun durch-
0 j» so dass ein passender Drahtbügel hindurchgeschoben
•erden kann, an den die Zähne resp. frakturierten Teile des
leters herangezogen werden. Je frischer die Brüche sind
esto leichter gelingt es. Ist schon eine Dislokation mit Kallus-
laung vorhanden, so erfolgt das Heranziehen durch Gummi-
nge allmählich. Stets soll man bemüht sein, die normale
i tikulation wieder herzustellen. Bei grösseren Verschl¬
ingen ist man mitunter gezwungen, einen ebensolchen Draht
n Oberkiefer anzulegen, so dass durch Gummizüge in der
mschiedensten Richtung, worauf hier nicht näher ein-
.‘gangen werden kann, eine allmähliche Reposition erfolgt.
Liegen die Frakturen zwischen den letzten Zähnen, also
unu ui. Molar, oder dahinter im Bereich des Kieferwinkels
id aufsteigenden Astes, kann man natürlich mit der einfachen
'hienung nichts ausrichten. Um in solchen Fällen die Dis-
<ation des Kiefers nach der verletzten Seite zu vermeiden,
tt man ebenfalls die Drahtschiene an, schiebt aber über die-
me eine sogen, schiefe Ebene an der nicht verletzten Seite,
ese schiefe Ebene ist nichts weiter als eine kräftige, etwas
ch aussen (bukkal) gebogene Metallplatte, an welcher die
hne des Oberkiefers in Fühlung bleiben, so dass beim
ffnen des Mundes der Unterkiefer nicht aus der Arti-
lationsstellung herausrutschen kann.
Das Anlegen einer solchen schiefen Ebene wird auch not-
•ndig bei zwischen den Zähnen liegenden Frakturen, wenn
s eine der Fragmente für eine sichere Befestigung nicht aus-
cht.
In beiden Fällen hat man Gelegenheit die Reponierung
ch intermaxilläre Gummi- oder Federzüge zu unterstützen,
-■selbe erfolgt, wenn nicht völlige Narbenbildung schon ein-
reten, verhältnismässig schnell. Soweit soll es eben durch
glichst baldiges Anlegen der hier beschriebenen Bandagen
' nicht kommen.
Noch besser und sicherer ist Vereinigung der Kiefer in
iKulationsstellung durch Gleitschienen. Voraussetzung ist
>ei die sofort mögliche vollständige Einstellung. Die
itschienen bestehen aus je zwei korrespondierenden Teilen,
am Drahtbügel des Ober- und Unterkiefers befestigt
rc”n- Dieselben sind fertig zu haben und so gearbeitet,
s die fixierten Kiefer beim Oeffnen des Mundes sich nicht
ler Lage verändern können.
Der Vorteil derartiger Verbände besteht darin, dass einer-
s die Fixation der Fragmente die denkbar günstigste ist,
andererseits die Nahrungsaufnahme bequem erfolgen kann.
Da sich dieselben bei Unfallverletzungen im Frieden bereits
voll und ganz bewährt haben, ist anzunehmen, dass es auch
bei Kriegsverletzungen der Fall sein wird, trotzdem die Ver¬
hältnisse kompliziertere sein werden.
Selbstredend sind noch eine Reihe von Modifikationen
möglich, worauf hier nicht, weiter eingegangen werden soll.
Ich will nur erwähnen, dass man im Notfall statt der Gleit-
sc.luenen auc*] mit zwei schiefen Ebenen sich wird behelfen
können und ferner, dass ich eine besondere Kopfkappe kon¬
struiert habe, an der eine Kinnstütze ganz einfach mit Bändern
befestigt wird, falls bei umfangreichen Frakturen eine Ruhig-
stellung des Kiefers — namentlich des frakturierten Ober¬
kiefers — erwünscht ist.
D- Wesentlich anders muss verfahren werden, wenn
schlecht bezabnte oder zahnlose Kiefer vorhanden sind, oder
wenn eine umfangreiche Zertrümmerung vorliegt, die die Re¬
sektion eines I eiles des Knochens oder des ganzen erfordert.
Beim Oberkiefer kann man nach der Resektion die Hei¬
lung abwarten. In den meisten Fällen genügt eine gute Tam¬
ponade. Dagegen erheischt die Kontinuitätstrennung des
Unterkiefers ein sofortiges Eingreifen, wenn schwer reponier-
iare Dislokationen und Entstellungen vermieden werden
so len. Auf welche Weise das durch zahnärztliche Hilfe ge¬
schieht, soll kurz skizziert werden.
Geringe Splitterungen lassen sich durch doppelte
Knochennaht vereinigen. Ausgedehnte Splitterungen, bei
denen Teile des Unterkiefers verloren gegangen sind, werden
durch Einfügung einer Aluminiumschiene derart behandelt,
dass dadurch die aufgehobene Kontinuität wieder hergestellt
wird. Die Schienen sind fertig vorhanden. Man sägt mittels
einer kleinen Metallsäge den entsprechenden Abschnitt heraus,
hebt die Schleimhaut mit dem Raspatorium ab, und verbindet
mit Ligatur draht Schiene und Knochen. Die Schiene ent-
spricht der lingualen Seite des Unterkiefers, wodurch die
eigentliche Mundhöhle vom Vestibulum abgeschlossen ist und
die Wundversorgung von vorne gemacht werden kann.
Nötigenfalls kann die Zunge an der Schiene mittels Fadens
befestigt werden. Indessen dürfte eine aufgerichtete Lage im
Bett, falls der übrige Zustand des Verwundeten es zulässt
diese Massnahme vielfach unnötig machen.
Muss eine Hälfte reseziert werden, bleibt aber noch ein
1 eil des Ramus ascendens stehen, kann man ebenfalls die Be¬
festigung mittels der Schiene versuchen. Wird aber die ganze
Hälfte reseziert, d. h. der Gelenkkopf exartikuliert, dann muss
man seine Zuflucht zu dem sogen. Operationskiefer nach
S c h r o e d e r nehmen. Es sind das fertige Hartgummikiefer
von denen das entsprechende Stück abgesägt wird, worauf
dann mittels Ligaturendraht ganz wie bei der Knochennaht
die provisorische Vereinigung an der stehengebliebenen Re¬
sektionsfläche erfolgt. Nach Verheilung wird erst die de¬
finitive zahntragende Prothese angefertigt. Muss der ganze
Unterkiefer exartikuliert werden, so wird ein ganzer Hart¬
gummikiefer eingelegt, über den die Weichteile vereinigt
werden.
Diese Schienen und Operationskiefer sind alle so ein¬
gerichtet, dass eine bequeme Wundversorgung stattfinden
kann. •
Der Verfasser hat ein Instrumentarium mit allen Hilfs¬
mitteln angegeben, das von dem Dentaldepot Köhler in
München geliefert wird. Arbeiten Chirurg und Zahnarzt zu¬
sammen, so können schöne Heilerfolge erzielt werden. Vor
allen Dingen aber, das möchte ich nochmals betonen, sind
beide in den entscheidenden Momenten nicht auf schwer zu
beschaffende rein zahntechnische Massnahmen angewiesen.
Erst die Wundheilung in der skizzierten Weise, dann die Pro¬
these. Sogenannte Immediatprothesen, fertige Kieferteile mit
daran befindlichen Zähnen, sind nicht zu empfehlen. Das Ein¬
legen der beschriebenen Operationsprothesen hat den Zweck
die äusseren Formen und die Funktionen der Kiefer nach
Möglichkeit zu erhalten, die Wundheilung aber nicht unnötig
zu behindern.
>
2086
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 41.
Friedrich Meyer-Betz
Bei den Kämpfen in den Argonnen ist am 25. September
Dr. Friedrich Meyer-Betz, Privatdozent und Oberarzt an der
medizinischen Klinik in Königsberg, im Alter von 33 Jahren fürs
Vaterland gefallen: eine Kugel, die die linke Schulter und die Lumren-
spitze zertrümmerte, führte in wenigen Stunden zur Verblutung.
Friedrich M e ycr-Betz war kein Durchschnittsmensch; vor
allem verfügte er über eine unverwüstliche Arbeitsfähigkeit und
eine eiserne Willenskraft. W'o es etwas zu schaffen gab, da. fühlte er
sich angezogen, und er gehörte zu den Menschen, die alles, was sie
anfassen, fest in die Hand nehmen. Er würde in jedem Berufe Vor¬
treffliches geleistet haben; für den ärztlichen Beruf war er durch
seine ausgezeichnete Beobachtungsgabe, für den akademischen Stand
durch den inneren Drang zu lernen und zu lehren, besonders ge¬
rüstet. Kr strebte immer zum Ganzen; er hätte sich nie damit
begnügt sich dauernd auf ein Detailgebiet zu beschränken. Nach
seiner Approbation (1905) hat er sich in verschiedenen Spezial-
gebieten umget&n, in der (jynäkologic, Psychiatrie, Pathologie, Hak-
teriologie; mit besonderer Dankbarkeit gedachte er immer seines
Lehrers Schmor 1 in Dresden. Als Internist war er zunächst ein
Schüler von Schmal t z. Vom Jahre 1909 bis 1912 war er Assistent
an der medizinischen Klinik Friedrich v. Müllers in München.
Während dieser Zeit lernten wir die ausserordentliche Begabung und
die jugendlichfrische Tatkraft unseres Mitarbeiters bewundern. Auf
seiner Krankenstation führte er ein strenges Regiment; alles musste
in bester, in militärischer Ordnung sein; an die Leistungsfähig¬
keit der ihm zugeteilten jüngeren Hilfskräfte stellte er hohe An-
f orderungen; aber niemals höhere als an sich selbst; und so gelang
es ihm seine Arbeitsfreudigkeit auf das Hilfspersonal zu übertragen,
und nicht nur die Dankbarkeit, sondern auch die Zuneigung und Liebe
seiner Schüler und Patienten zu gewinnen.
Als Professor Schittenhelm im Jahre 1912 die Königs¬
berger Klinik übernahm, konnte er bei der Neuorganisation der Klinik
gewiss keinen geeigneteren Helfer finden als M e y e r - B e t z. |
Meyer-Betz warf sich in Königsberg auf die neuen Aufgaben
mit seinem gewohnten Elan; „die Unruhe der Bienen, die im alten
Stock die neue Wohnung bauen wollen“, das war. wie er mir schrieb,
das Milieu, das er sich gewünscht hatte. „Ich habe mir die erste
• Zeit ziemlich alles aufgeladen, von dem Prinzip ausgehend, alles
damit einmal in meine Hand zu bekommen . . .“ . wenn nur der
Tag länger wäre“. Die Berichte von befreundeten Kollegen, die ihn
in Königsberg gleichzeitig in seiner ärztlichen, wissenschaftlichen.
Ver waltungs- und Lehrtätigkeit kennen gelernt haben, sind voll stau¬
nender Bewunderung.
Sein Drang, sich an immer neue Aufgaben heranzu wagen und
sich neue Arbeitsfelder zu erobern, zeigt sich auch in seinen Publi¬
kationen; eine vollständige Aufzählung kann hier nicht gegeben
werden; sie betreffen sehr verschiedene Gebiete. Seine pathologisch¬
bakteriologische Ausbildung lieferte ihm das Rüstzeug zu einer Arbeit
über Kolipyelitis. Die Beobachtung eines seltenen Falles einer an¬
fallsweise auftretenden Muskelerkrankung mit gleichzeitiger Hämo¬
globinurie führte ihn zu Untersuchungen über die Beziehungen dieses
merkwürdigen Symptomenkomplexes zur „schwarzen Harnwinde“
der Pferde, die eine eingehende Durcharbeitung der veterinärmedi¬
zinischen Literatur zur Voraussetzung hatte. Als sich ihm die Ueber-
zeugung von der Wichtigkeit der Stoffwechselforschung für die
moderne Klinik aufdrängte, warf er sich mit Eifer auf die Arbeit im
chemischen Laboratorium und bearbeitete, grösstenteils als Mit¬
arbeiter von H. Fischer, das schwierige Kapitel der Derivate der
Blut- und ( lallenfarbstoffe. Sein besonderes Interesse erregten dabei
die von Hausmann gefundene Tatsache, dass Hämatoporphyrin-
einspritzungen imstande sind, Mäuse gegen Licht zu „sensibilisieren“,
so dass sie dann, einer starken Lichtquelle ausgesetzt, schwere
Krankheitserscheinungen darbieten, an denen sie ev. zugrunde gehen.
Aus mancherlei Gründen war es von Interesse, ob eine derartige
Sensibilisierung auch beim Menschen zustandekommt. Diese Frage
aufwerfen und sofort den Entschluss zum Selbstversuch zu fassen,
war bei Meyer eines; nur mit Mühe konnte ich ihn überreden,
den ersten Versuch wenigstens nur mit einer ganz kleinen Dose
zu unternehmen; der erste Sonnenstrahl wurde benützt, um das Ge¬
sicht recht ausgiebig zu belichten. Den Erfolg — ein ganz kolossales
Oedem des ganzen Gesichtes — zeigen die der Publikation beige¬
gebenen Abbildungen (D. Arch. f. klin. Med. 112). — Kaum hatte sich
Meyer-Betz in die chemische Technik eingearbeitet, so fühlte
er das Bedürfnis, auch röntgenologisch tätig zu sein. In einer ge¬
meinsamen Arbeit mit D. Gebhardt (M.m.W. 1912 Nr. 33/34)
berichtet er über die Wirkung der Abführmittel beim Menschen, nach
Beobachtungen mit der Röntgenmethode. Diese zeitraubenden Unter¬
suchungen waren im Rahmen des klinischen Betriebes nur in der
Weise durchführbar, dass Sonntag um Sonntag zu den Serienbeob¬
achtungen herangezogen wurde. In Königsberg setzte er neben
seiner vielseitigen anderweitigen Tätigkeit seine röntgenologischen
Ai beiten fort. Aber schon war eine neue Technik aufgetaucht, die
er sich ebenfalls zu eigen machen musste: er hat sofort die Ab-
d e r h a 1 d e n sehe Dialysiermethode aufgegriffen, um ein eigenes
Urteil über ihre Brauchbarkeit zu gewinnen; er kam mit seinen
Mitarbeitern zu ziemlich günstigen Resultaten, doch hat er noch am
letzten Kongress in Wiesbaden eine abwartende Stellung empfohlen.
Im persönlichen Verkehr war Meyer ein angenehmer Gesell¬
schafter und ein stets hilfsbereiter Kollege. Wenn etwas nicht nach
seinem Kopfe ging oder wenn jemand gar den ordentlichen Betrieb
seiner Krankenstation stören wollte, so konnte er auch einen energi¬
schen, rauhen Ton finden; aber das war nur äussere Schule, im
Grunde besass er ein liebenswürdiges Wesen und bei den gemein¬
samen Mahlzeiten am Assistententisch wirkte sein launiger, oft mit
Selbstironie gewürzter schwäbischer Humor erfreuend und belebend.
Ein Grundzug seines Wesens war, dass er trotz der grossen Wert¬
schätzung. die er genoss, von sich immer noch höhere Leistungen ver¬
langte- ein einzigesmal habe ich ihn, glaube ich, mit sich selbst zu-
tr jeden gesehen; das war damals, als er nach der Hämatoporphyrin-
injektion mit dickverschwollenem Gesicht im Dunkclzimmer zu Bette
Die in seiner Natur begründete Fähigkeit, für eine gestellte Auf¬
gabe sich mit seiner ganzen Person einzusetzen, hat er auch im
Felde bewiesen; seine heldenhafte Pflichterfüllung vor dem Feinde
hatte ihm die Anwartschaft auf das eiserne Kreuz gesichert.
Otto Neubauer - München.
Auswärtige Briefe.
Hamburger Briefe.
(Eigener Bericht.)
Die* Hamburger Bürgerschaft hat in ihrer letzten Sitzung am
7. Oktober drei Beschlüsse gefasst, die auch für weitere ärztliche
Kreise nicht ohne Interesse sein dürften. Der § 1274 der RVO. ge¬
stattet bekanntlich den Landesversicherungsanstalten mit Genehmi¬
gung des Reichsversicherungsamtes Mittel aufzuwenden, um all¬
gemeine Massnahmen zur Verhütung des Eintritts vorzeitiger Inva¬
lidität unter den Versicherten oder zur Hebung der gesundheitlichen :
Verhältnisse der versicherungspflichtigen Bevölkerung zu fördern
oder durchzuführen. Eine ähnliche Bestimmung gestattet den Kran¬
kenkassen (§ 363 RVO.), Mittel für allgemeine Zwecke der Krank¬
heitsverhütung aufzuwenden. Dagegen fehlen derartige Vorschriften
in der Unfallversicherung und vor allem auch in dem letzten der so¬
zialen Gesetze, der Angestelltenversicherung. Die Bestimmungen des ;
§ 1274 RVO sind vom RVA. in grosszügigster Weise ausgelegt wor¬
den Es genehmigte, dass die Landesversicherungsanstalten ihre
reichen Mittel für die K r i e g s f ii r s o r g e bereitstellen und zweck¬
entsprechend verwenden können, und zwar bis zu 5 v. H. ihres Ver¬
mögens. Da der Buchwert jener Mittel jetzt rund 2 Milliarden Mark
beträgt, so kann mit einem Höchstbetrage von etwa 100 Millionen
Mark gerechnet werden. Der hamburgischen Kriegshilfe wurden auf
Grund dieser Vereinbarung bereits 500 000 M. von der Landesver¬
sicherungsanstalt der Hansestädte überwiesen. Demgegenüber hat
das Direktorium der Reichsversicherungsanstalt jede Beihilfe zur
Kriegshilfe abgelehnt, indem es sich darauf berief, dass eine solche
Verwendung seiner Mittel im Gesetz nicht vorgesehen sei. Und da¬
bei verfügte die Reichsversicherungsanstalt am 31. Dezember v. J.,
also nach einem Jahre, bereits über ein Vermögen von 122 Millionen
Mark, das sich inzwischen bedeutend vermehrt haben muss. Diesem
Mangel wollen die Antragsteller durch eine Aenderung der Gesetz¬
gebung abhelfen. Sie beantragen, der Senat möge beim Reichskanzler
und Bundesrat dahin wirken, dass, erforderlichenfalls auf Grund be¬
sonderer gesetzgeberischer Massnahmen, auch von der Reichsver¬
sicherungsanstalt für Angestellte aus ihrem Vermögen entsprechende
Beträge zur Linderung der durch den Krieg geschaffenen Notlage zur
Verfügung gestellt werden, dass ferner das Heilverfahren in mög¬
lichst weitem Umfange weiter gewährt wird, und dass endlich auch
Grundstücksbelehnungen in geeigneten Fällen, namentlich bei ge¬
meinnützigen Unternehmungen, während der Kriegszeit erfolgen, ui
der Begründung der Anträge wurde besonders hervorgehoben, dass
das AVG. in erster Linie die kaufmännischen Angestellten umfasst,
in deren Kreisen die Arbeitslosigkeit und Not mit am schlimmsten
sei. Ferner habe das Direktorium erklärt, während der Kriegszeit
müsse die Fortsetzung eines Heilverfahrens ruhen, weil die Aerzte
eingezogen seien, während es doch geradezu dazu dienen soll, die
drohende Berufsunfähigkeit abzuwenden. Daher müsse es möglich
gemacht werden, die erforderliche Untersuchung und Behandlung von
Personen vorzunehmen, die der Heilfürsorge bedürftig sind. Eine
Gesetzesänderung sei dahin zu beantragen, dass § 225 des AVu.
(„Eine Anlage des Vermögens der Reichsversicherungsanstalt ist nur
in Wertpapieren, in anderer Art nur für Verwaltungszwecke, zur
Vermeidung von Vermögensverlusten oder für Untersuchungen zu¬
lässig, die ausschliesslich oder überwiegend den Versicherten zugute
kommen“) im Sinne des § 1274 RVO. geändert werde.
Vom ärztlichen Standpunkte aus können diese Anträge nur auts
wärmste begrüsst werden, und hoffentlich gelingt es, mit oder ohne
Uesetzesänderung, auch die Reichsversicherungsanstalt, die es bisher
wenig verstanden hat, die allgemeinen und ärztlichen Sympathien zu
erwerben, zur Beihilfe bei der herrschenden Not heranzuziehen. Der
Vorwand, dass das Heilverfahren jetzt ruhen müsse, weil die Aerzte
eingezogen seien, ist durchaus hinfällig. In allen Städten finden sich
noch immer genügend ärztliche Kräfte, junge und alte, die imstande
sind, das Heilverfahren einzuleiten, und ebensogut wie die Kranken¬
kassen, Berufsgenossenschaften, Lungenheilstätten etc. auch jetzt
ihre Tätigkeit weiter ausiiben, darf dasselbe von der Reichsversiche¬
rungsanstalt erwartet werden. An dem Mangel an Aerzten liegt es
jedenfalls nicht, wenn diese Tätigkeit eingestellt wird. K. i-
13. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2087
Vereine.
Freie militärärztliche Vereinigung in Erlangen.
(Eigener Bericht.)
2. Sitzung vom 18 September 1914.
Vorsitzender: Generalarzt Prof. Dr. P e n z o 1 d t.
t*Ll eiehardt spricht über die Serumtherapie der Dys-
utene. he in unseren Breiten auch in Kriegszeitcn vorkommenden
alle von R u h r sind fast ausnahmslos bazilläre Formen Der
irreger ist der Bazillus von Kruse- Sh i g a. Sein Nachweis ist
in besten in der nachstgelegenen Seuchenstation, unter Zuhilfenahme
pezifischer Nährboden möglich. Der Vortragende erörtert zuerst die
: n} 1 k °. r.p e r b 1 1 d u n g bei dieser Infektion. Von den Antikörpern
md praktisch-therapeutisch die Antitoxine, welche gegen das
’uhrtoxin vom Organismus gebildet werden, wichtig. Dass solche
oxine auch bei der Ruhr als wasserlösliche Substanzen, wie
ei der iphtherie abgeschieden werden, geht aus den Versuchen
on Krau s s und K o 1 1 e hervor. Cs findet also bei der Dysenterie
urch das entsprechende Heilserum eine Toxi nabsättig uns
ie bei der Diphtherie statt. Das Serum ist durch die Höchster
a r b w e r k e und das Dresdener Seruminstitut zu be-
■ enen. Der Preis beträgt M. 2.80 für je 10 ccm. Die Anwendun g
riolgt in der Weise, dass in leichteren Fällen 10 — 20 ccm, in schwereil
allen 100 ccm einmal unter die Haut eingespritzt werden Bald
ach der Injektion wird bei den Kranken Euphorie beobachtet,
ic Quälenden I enesmen verschwinden, die Stühle werden wieder
ikulent. Das Dysenterietoxin ist stabil, durch seine Wirkung an
'ereil genau charakterisiert und gut zu dosieren. Die Darstellung
nd Auswertung der Dysenterieheilsera wird sodann vom Vortragen-
en besprochen. Oeftere Prüfung der Sera ist unbedingtes Erforder-
is, da oft Abschwächungen Vorkommen.
Die Statistiken guter Untersucher zeigen den Nutzen des
\senterieheilserums. Wir haben also in ihm und in der raschen
akteriologischen Diagnose der Dysenterie wirkungsvolle Waffen im
ampf gegen diese Kriegsseuche.
Zu bemerken ist, dass auch bei dieser Infektion Daueraus-
wheidei* Vorkommen, die noch jahrelang nach überstandener
rankheit in ihren Stühlen die Bazillen entleeren. Dass solche Leute
tie ständige Gefahr für ihre Umgebung bilden, ist ohne weiteres
ar. Die Art der Infektion und die Infektiosität ent¬
richt im allgemeinen derjenigen bei Typhus.
An diese Mitteilung knüpft Vortragender einige Bemerkungen
ler Befunde nach Schutzimpfung gegen Typhus.
Manche hohe Agglutinationswerte im Serum
an zösischer Kriegsgefangener, welche mit dem kli-
schen Befund scheinbar in Widerspruch stehen, sind wahrscheinlich
' zu erklären, dass diese Soldaten gegen Typhus aktiv immuni-
ert wurden. Hier ist nur der Bazillenbefund im Stuhl dafür be¬
eisend, ob die Krankheit oder ein Dauerträgerzustand besteht.
Herr Toeniessen berichtet kurz über einen eigenartig ver¬
wenden Fall von Pneumohämothorax durch Schussverletzung. Ver-
tzung am 23. VIII. Einschuss unter dem linken Schulterblatt, Aus¬
nuss unter dem linken Schlüsselbein. Einige Tage Hämoptoe. Bei
nlieferung ms Reservelazarett (4. IX.) hochgradige Dyspnoe mit
-‘rdrangungserscheinungen. Durch Röntgenbild und Probepunktion
leumohämothorax nachgewiesen. Der Bluterguss (dunkelrot,
c h t gerinnend) vollkommen frei beweglich, Flüssigkeitsspiegel
Höhe der 2. Rippe. Infolge der bedrohlichen Verdrängungserschei-
ngen Punktion erforderlich; am 6. IX. und 11. IX. jedesmal un-
tahr 100 ccm Bluterguss entleert. Entsprechend der Entleerung
r Flüssigkeit nahm der Gehalt an Luft in der Brusthöhle zu. die
ittreibung der linken Brusthälfte blieb bestehen, so dass ein Ven-
Ipneumothorax angenommen werden muss. Nach den Punk¬
ten bedeutende Besserung der Dyspnoe und der Herztätig-
it. Am 17. IX. ziemlich rasch sich entwickelnde faustgrosse Auf¬
ei b u n g d e r linken Unterschlüsselbeingrube. Int
ehen gedämpfter, im Liegen laut tympanitischer Schall. Der In-
h des Pneumothorax hatte sich also durch die Einschussöffnung der
rderen I horaxwand einen Weg nach aussen unter die Haut ge-
nnt. Die Punktion ergab hellrote, rasch gerinnende Fliissig-
it. Es musste also eine frische Blutung, vermutlich aus einem
r o diciten Interkostalgefäss eingetreten sein. Die
Handlung ist zunächst, d. h. solange keine Zeichen einer be¬
glichen Blutung auftreten, eine konservative.
Diskussion: Herren Kreuter, Penzoldt, Toenies-
v. K r y g e r, K ö n i g e r. Kreuter
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 12. Oktober 1914.
■ 10. Kriegs woche. Nach langen Wochen aufregender
aiinung prangen die deutschen Städte wieder im Flaggenschmuck:
twerpen ist gefallen, die belgische Armee vernichtet und
it r, c ®rs*e unserer Gegner niedergeworfen. Die ganze
itsche Streitmacht im Westen kann jetzt zusammengefasst werden,
die lange erwartete und doch nicht mehr zweifelhafte Entschei-
ig im Norden Frankreichs herbeizuführen. Für den Gang der Er-
msse ohne wesentliche Bedeutung, aber doch bezeichnend für die
ischlossenheit und den Mut deutscher Soldaten selbst auf einem
vu loi eilen l osten ist die Verteidigung von Kiaiitschaii. wo eine
.1 na voll deutscher I nippen dem Ansturm der vereinigten Engländer
und Japanesen jetzt schon länger standhält, als die „stärkste Festung
der Welt \ verteidigt von einer starken belgisch-englischen Armee,
dein deutschen Angriff gegenüber es vermochte.
v . Dass der geschäftliche Betrieb in Deutschland vom
jvneg weniger schwer gestört ist, wie in den anderen kriegführenden
Landern, zeigt sich u. a. auch an dem Verhalten der medizini¬
schen Fachpresse. Wie „II Policlinico“ berichtet, ist ihm von
den französischen und belgischen Zeitschriften, mit denen er Tausch¬
verkehr unterhält, seit Beginn des Kriegs kein Stück mehr zu¬
gegangen; es ist anzunehmen, dass die Blätter nicht mehr erscheinen.
Auch die englischen Tauschexemplare erhält P. nur teilweise und
diese in stark verkleinertem Umfang; P. nimmt Papiermangel als
Ursache dieser Erscheinung an. „Brit. med. Journal“ und „I.ancet“
sind in den letzten Wochen in Rom überhaupt nicht mehr eingetroffen.
Nur die deutschen und österreichischen Zeitschriften treffen in Rom,
allerdings bei geringerer Seitenzahl, mit einer gewissen Regelmässig¬
keit ein (wobei das pünktliche Erscheinen der „Münchener“ beson-
ders hervorgehoben wird). Es zeigt also auch auf diesem Gebiet
wie m der ganzen übrigen Volkswirtschaft, Deutschland die grössere
VN iderstandskraft gegenüber den störenden Einwirkungen des Krieges.
In den Orten Os tpreussens, wo wegen des herrschenden
A e r z t e m a n g e 1 s Aerzte vorübergehend angestellt werden, er¬
halten diese seitens der Behörden die Erstattung der Reisekosten
freie Wohnung und 25 M. tägliche Entschädigung. Dafür müssen sie
, !llnPan aklge umsonst behandeln. Die fraglichen Orte sind be¬
hördlich festgestellt. Es bleibt Vorbehalten, dass während der Dauer
der Beschäftigung ein Wechsel des Aufenthalts eintritt. Auskünfte
dui ch Reg.-Medizinalrat Dr. S o 1 b r i g - Königsberg.
, ,T‘ Pas ?reuss- Kriegsministerium hat sich mit einer Anregung
leschaftigt, die F euerbestattung im Kriege zur Anwendung
zu bringen. Die Medizinalabteilung des Kriegsministeriums erklärt
dazu: Der Ausführung der Feuerbestattung auf dem Schlachtfelde
steht besonders der Umstand entgegen, dass — im Hinblick auf
die im Frieden in den Krematorien gemachten Erfahrungen — die
Feuerbestattung zu viel Zeit beansprucht. Die Notwendigkeit, die
Verbrennungsöfen erst auf dem Schlachtfelde zu errichten, das
Feuerungsmaterial heranzuschaffen und die Gefallenen zu den Oefen
zu transportieren, ist eine weitere Schwierigkeit, die bei der Erdbe¬
stattung nicht in Betracht zu ziehen ist. Transportable Einäsche¬
rungsapparate können überhaupt nicht in Frage kommen. Ob die
Feuerbestattung in Festungen Verwendung finden wird, hängt von
den Umständen ab; im übrigen ist auch im Felde nach der Kriegs-
saniiätsordnung die L eichenverbrennung, wenn sich eine Notwendig¬
keit ergibt, vorgesehen. Für die in der Heimat Verstorbenen sind
hinsichtlich der Feuerbestattung die Bestimmungen der Landesge¬
setze massgebend.“
— Das Wolf sehe Telegraphenbüro meldet: Es hat sich das
Bedürfnis herausgestellt, die zur Dienstleistung bei den mobilen und
linn.1,0.hilen Formationen vertraglich verpflichteten, nichtgedienten
Zivilarzte als zum Heer gehörig kenntlich zu machen. Für diese
Aerzte wird daher folgende Uniform vorgeschrieben: Graue Joppe
nach Art der Litewka; anstelle der bei den Sanitätsoffizieren blauen
Spiegel beiderseits einen Aeskulapstab ohne Dienstgradabzeichen;
am Arm die weisse Binde mit dem roten Kreuz; Kopfbedeckung- die
Mutze der Sanitätsoffiziere; lange oder Stiefelbeinkleider, Wahl frei¬
gestellt. Als Waffe wird die Mauser-Selbstladepistole 7,63 mm ge¬
stattet. Diese Bestimmungen gelten auch für die landsturmpflich¬
tigen Aerzte ohne Rücksicht auf ihren Dienstgrad und soweit sie
nicht zum Tragen einer Sanitätsoffiziersuniform berechtigt sind.
- — Am 7. ds. fand in München der 2. Kriegschirur¬
gische Abend des Aerztlichen Vereins statt. Die Herren Prof
G K 1 e i n, Hofrat K recke, Prof. A. S c h m i 1 1 berichteten über ihre
Erfahrungen an einer grossen Zahl von Verwundeten; dabei wurden
besonders die zahlreichen Fälle von Aneurysmen und von Nerven¬
verletzungen berücksichtigt. Prof. Oberndorfer brachte patho¬
logisch-anatomische Demonstrationen. Vom ersten Kriegschirur¬
gischen Abend sei noch die Ansprache erwähnt, mit der der II Vor¬
sitzende (der I. Vorsitzende, Ober-Generalarzt Dr. R e h ist im
Feld) Hofrat R. v. Hösslin diese Abende einleitete. Er gedachte
mit warmen Worten der im Feld stehenden Kollegen, gegen deren
unter unsäglichen Strapazen und vielfach unter grösster Lebensgefahr
vollbrachte Arbeit das, was wir hier in unseren modern eingerichte¬
ten Lazaretten und Krankenhäusern mit geschultem Personal leisten
können, verschwindend gering sei. Er entbot den Kollegen im Feld
die herzlichen Grüsse und die heissen Wünsche des Vereins für Wohl¬
ergehen und erfolgreiche Arbeit.
— Im Stuttgarter Aerztlichen Verein fand am
10. September der 1. kriegsärztliche Vorzeigungsabend statt; die
Herren V o 1 k m a n n, S t e i n t h a 1, Ulrich, K o h 1 h a a s,
S c h i c k 1 e r besprachen an der Hand von Präparaten, Röntgen-
bildern und Krankenvorstcllungen vor einer überaus grossen Ver-
Sammlung von Aerzten ihre Erfahrungen in den ersten Wochen der
Kriegszeit. Am 2. Abend (17. September) sprachen die Herren
v. Hofmeister, A. Zeller, S t e i n t h a 1 u a. über Behandlung
der Schussfrakturen u. a. Die Abende werden von jetzt ab jeden
1. und 3. Donnerstag abgehalten.
— Wir werden um Aufnahme der nachstehenden Zuschrift er¬
sucht: In der Kolonie Grüne wald bei Berlin haben mehrere
2088
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
hundert Villenbewohner Raume zur Verfügung gestellt, wo Offiziere,
Offiziersdiensttuende, Militärpersonen und Einjahrig-Freiwillige un¬
entgeltlich aufgenommen und verpflegt w'erden, um sich nach Ver¬
wundungen oder Krankheiten zu erholen. Es besteht auch die Ein¬
richtung einer mediko-mechanischen, elektrischen und baineothera¬
peutischen Nachbehandlung. Die Einrichtung ist besonders dazu ge¬
eignet, Krankenhäuser von Rekonvaleszenten und Leichtverwunde¬
ten zu entlasten. Aerztliche Behandlung steht ebenfalls unentgeltlich
von den in der Kolonie ansässigen Aerzten zur Verfügung. Die Ver¬
teilung in die einzelnen Räume erfolgt durch die Zentrale des Er¬
holungsheims der Gemeinde Grunewald bei Geh. Medizinalrat Prof,
v. Hanse mann, Grunewald, Winklerstr. 27 (Fernsprecheramt
Pfalzburg 527), bei dem die Anmeldungen zu erfolgen haben und der
auch sonst bereit ist, über die Einrichtung jede Auskunft zu erteilen.
Mannschaften können nicht aufgenommen werden, weil bei der Ver¬
teilung in den einzelnen Villen der Kolonie Grunewald eine diszipli¬
näre Aufsicht nicht möglich ist. Die Herren Aerzte, denen die Be¬
handlung geeigneter Militärpersonen obliegt, werden gebeten, die¬
selben auf diese Einrichtung hinzuweisen und selbst zu ihrer Ent¬
lastung davon Gebrauch zu machen.
— Die Firma F a s s e 1 1 und Johnson in Berlin ersucht uns
darauf hinzuweisen, dass die in der Liste ausländischer Spezialitäten
genannten Präparate „Angiers Emulsion“ und „Califig“ ameri¬
kanische Produkte sind. Wir kommen diesem Wunsche gerne
nach, obwohl das neuerliche Vorgehen der amerikanischen Aerzte
gegen die deutschen Spezialitäten eine besondere Rücksicht¬
nahme auf die amerikanischen Präparate nicht angezeigt erscheinen
lässt. Hat doch das Journal der American Med. Association in
seiner Nummer vom 22. August direkt zur Umgehung des deutschen
Markenschutzes aufgefordert und die gesetzliche Erschwerung des
Patentschutzes für Arzneipräparate verlangt.
— Das Eiserne Kreuz erhielten:
Oberarzt d. Res. Dr. Ludwig Bürger, Hartha i. S.
Stabsarzt Dr. Biirker, 3. Bat. Gen. -Reg. Nr. 123, Professor in
Tübingen
Oberarzt d. Res. Dr. Ernst Dünzelmann, Leipzig.
Stabsarzt Dr. Adolf Frank.
Stabsarzt d. Res. und Reg.-Arzt Dr. Richard Gagzow- Lübeck.
Dr. Gering, Oberleutnant der Landwehr, Privatdozent der
Psychiatrie in Giessen.
Stabs- und Reg.-Arzt Dr. Rudolf Grüner.
Stabs- und Reg.-Arzt Dr. W. G r u n e r t.
Stabsarzt d. Res. Dr. Johannes H a r t m a n n, Leipzig.
Assistenzarzt Herchner.
Stabs- und Regimentsarzt W. Hinneberg, Neukalen, 90. Res.-
Inf.-J^eg.
Stabsarzt Dr. H. K a y s e r (Altona), Hygieniker beim General¬
kommando IX. Armeekorps.
Stabsarzt Dr. M a a s s.
Stabsarzt und Regimentsarzt Dr. Gottfried M e s s m e r.
Dr. Karl Scheiter, Nürnberg.
Stabsarzt d. Res. Dr. Otto Schütz, Hartheck bei Leipzig.
Oberarzt d. Res. Dr. Theodor Schwedenberg.
üeneraloberarzt Dr. Sims, Chemnitz.
Dr. John T h i e s, Leipzig.
Assistenzarzt Wilh Weisenberg
Der akademische Rat der Düsseldorfer Akademie
für praktische Medizin hat beschlossen, die . Herbst- und
Winterkurse ausfallen zu lassen.
Vom „R e i c h s m e d i z i n a 1 k a 1 e n d e r“, begründet von
Dr. Paul Börner, herausgegeben von Geh. San.-Rat Prof. Dr.
Schwalbe in Berlin (Verlag von G. T h i e m e in Leipzig) ist der
I. Teil, Taschenbuch in Ledereinband, nebst Tages-Kalendarium in
4 Quartalsheften und 2 Beiheften, erschienen. Der Preis für den
1. Teil beträgt 3 M.
- Cholera. Oesterreich-Ungarn. Am 23. September wurden
in Wien 1 und in Lisko (Galizien) 2 Erkrankungen bei Militär-
personen festgestellt, am 25. September 1 weitere Erkrankung einer
Militärperson in Wien und 1 Fall in Brünn (Mähren. In Ungarn
wurden je 1 Erkrankung in Bekescsaba (Korn. Bekes), in Munkacs
(Kom. Bereg) und in Püspökladany sowie 2 in der Stadt Ungvar
(Korn. Hajdu) gemeldet.
— Pest Vereinigte Staaten von Amerika. In NewOrleans
wurden vom 28. Juli bis 19. August 5 neue Pestfälle, im ganzen bisher
18 festgestellt. Die Zahl der gefundenen Pestratten belief sich auf
insgesamt 55.
— In der 38. Jahreswoche, vom 20. — 26. September 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Metz mit 36,2, die geringste Solingen mit 4,0 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestor¬
benen starb an Scharlach in Gleiwitz, Königshütte, Zabrze, an Masern
und Röteln in Gladbeck. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Seinen 70. Geburtstag beging am 11. Oktober der
Geh. Medizinalrat Dr. Ernst S a 1 k o w s k i, ord. Honorarprofessor
und Vorsteher des chemischen Laboratoriums am pathologischen
Universitätsinstitut in Berlin, (hk.)
Bonn. Für das Fach der inneren Medizin habilitierte sich
Dr. med. et phil. Heinrich G e r h a r t z mit einer Probevorlesung
Nr. 4t.
über „Die Regulierung der Energieökonomie des Organismus" und
gleichzeitig Dr. med. Julius Veszi für das Fach der Physiologie mit
einer Probevorlesung über „Neuere Untersuchungen über die Rücken¬
marksreflexe“.
Frankfurt a. M. Die Professoren Dr. Julius R a e c k e, Ober¬
arzt an der Städt. Irrenanstalt, und Dr. August Knoblauch
Direktor des Städt. Siechenhauses, wurden zu ausserordentlicher
Professoren in der medizinischen Fakultät der Universität Frank¬
furt a. M. ernannt, (hk.)
Göttingen. Habilitiert: Dr. Kurt Blüh dorn als Privat¬
dozent für Kinderheilkunde. Die Habilitationsschrift trägt den Titel:
„Biologische Untersuchungen über die Darmflora des Säuglings“, (hk.)
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Werner Bestehorn, Einj.-Freiw. im 1. Garde-Reg., Zahn¬
arzt in Potsdam.
Dr. Otto Brian, Oberarzt im Rhein. Pionier-Bataillon Nr. 8,
Assistenzarzt am Augusta-Hospital zu Köln.
Dr. A. Dessauer, Stabsarzt d. Res. im 1. bayer. Feld-
artillerie-Reg. (München).
Herbert E i c k e, cand. med., Unterarzt (Breslau), auf dem
westl. Kriegsschauplatz.
Dr. Rudolf Fuchs (Liegnitz), Feldunterarzt im Res.-lnf.-Reg.
Nr. 7, am 23. Sept. vor Verdun.
Dr. Karl G r i 1 1 m e i e r, Stabsarzt und Reg.-Arzt im 2. bayer.
Inf.-Reg. (München), am 24. Sept.
Dr. Wilh. Hammer, Ass.-Arzt Inf.-Reg. 166.
Dr. Hei mann (Duisburg), Unterarzt Gren.-Reg. 110.
Dr. W. Rudolf Heusner, Ass.-Arzt d. Res. beim 3. Bat.
142. Inf.-Reg., am 3. Sept.
Karl Knopf, cand. med. aus Eilenburg i. S„ Kriegsfreiwilliger
im Inf.-Reg. Nr. 110.
Dr. Hans Kögel, Oberarzt d. Res. (Heilstätte Albertsberg i/V.),
am 17. Sept. in Frankreich.
Dr. Karl Koch, Stabsarzt, Res.-lnf.-Reg. 102 (Brand-Erbis-
dorf i. Sa.).
Dr. Max Lichtenberge r, Oberarzt d. Res. (Görwihl).
Dr. Hans Mrugowsky, Stabsarzt 4. Garde-Reg. z. F.
(Rathenow).
Willy N i e f a n g e r, cand. med., Einj.-Freiw. im bayer.
1. Inf.-Reg.
Dr. Arthur Scherschmidt, Stabsarzt 1. San.-Komp.
1. Armeekorps.
Dr. Erwin Schwarz, freiwilliger Bataillonsarzt beim 17. Res.-
lnf.-Reg., Chefarzt am städt. Krankenhause zu Idar, Inhaber
des Eisernen Kreuzes.
Anton Wernich, stud. med., Gefreiter der Res. im bayer.
19. Inf.-Reg.
Dr. Rudolf Zorn (Saarlouis), am 10. Sept.
Bitte.
Im Verlaufe des Feldzugs ist von zahlreichen Fällen vor
Greueltaten der Feinde gegen unsere Verwunde
t e n berichtet worden. Ausstechen der Augen, Abschneiden vor
Ohren und Nasen und andere Scheusslichkeiten sind vorgekommen
Die Verlagsbuchhandlung von J. F. Lehmann in München
(Verlag der Münchener medizinischen Wochenschrift) beabsich¬
tigt die Sammlung und spätere Herausgabe von Dokumentei
über solche Fälle von Verstümmelung und ersucht für diesen Zweck
um Ueberlassung geeigneten Materials, insbesondere von Photo¬
graphien. Natürlich können nur von den Einsendern selbst
beobachtete Fälle in Betracht kommen. Die Verlagshandlung ver¬
gütet für jede brauchbare Photographie 5 M. Das eingehende Ma¬
terial wird auch in der M.m.W. entsprechend verwertet werden.
Die Schriftleitung.
Eingesandt.
Das „Eingesandt“ in Ihrer Nummer 39 veranlasst mich Sie
zu ersuchen, in die geplante Liste auch die vakanten Stellen für
Feld- und Etappenlazarette sowie Verwundetentransportzüge, die
vom roten Kreuz ausgerüstet werden, aufzunehmen. Bei manchen
Armeekorps ist der Bedarf an Aerzten zunächst gedeckt — wie um
mitgeteilt wurde — , bei anderen fehlt es sicherlich. Von den
Wunsche beseelt, zu helfen, ist es uns gleich, ob wir auf den w
liehen oder östlichen Kriegsschauplatz oder auch zu unserem Bundes
genossen Oesterreich geschickt würden. Ich bitte daher, eine diesbe
zügliche Anregung in Ihrer nächsten Nummer zu geben. Dr. S.
Deutsche Aerzte!
Verschreibt nur deutsche Präparate und Spezialitäten!
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
preis der einzelnen Nummer 80 4. • Bezugspreis in Deutschland
. . • und Ausland s.ehe unten unter Bezugsbedingungen • • •
Inscrnlenschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren:
Für die Redaktion Arnulfstr. 26. Bürozeit der Redaktion 8K — 1 Uhr.
Für Abonnement an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Fteysestrasse 26.
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
Nr. 42. 20. Oktober 1914. Redaktion: Dr. B. Spatz, Paul Heysestrasse 26.
_ _ Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
_ Verlag behalt sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der ln dieser Zeitschrift zum Abdruck
61. Jahrgang.
gelangenden Originalbelträge vor.
Originalien.
Ueber die Behandlung der Fettsucht mit kolloidalen
Platinmetallhydroxyden (Leptynol).
(III. Mitteilung.)
Von Privatdozent Dr. M. Kau ff mann in Halle.
Nacli meiner ersten Publikation [l] hat Tissier1) über
günstige Resultate mit wässerigen, kolloidalen Lösungen von
Platinmetallen berichtet und so meine schon vor 4 Jahren
gemachten Beobachtungen bestätigt. Tissiers Präparat,
welches durch Kohlehydrate stabilisiert wird, ist indessen von
geringerer Haltbarkeit wie die Paal sehen Hydrosole und vor
allem wie das von mir eingeführte Amberger-Paal sehe
Organosol. Die von Tissier angewendeten geringen Mengen
von Metall (wöchentlich 12,5 — 25 mg) können jedenfalls bei
schweren Fällen von endogener Fettsucht kaum eine Wirkung
erzeugen.
Auf Grund jahrelanger praktischer Erfahrung hatte ich gefunden,
dass nur tiefe Injektionen des Organosols gut resorbiert werden,
ähnlich etwa wie die Quecksilbersalze bei der intraglutäalen Injektion.
Werden Schwermetalle zu oberflächlich deponiert, so tritt leicht von
der Haut aus eine sekundäre Infektion ein. Gerade die oberflächlichen
Eettschichten enthalten wenig Blutgefässe, und es wird die Resorption
des Präparates deshalb eine bessere sein, wenn dieses recht tief ein-
geführt wird. Meine Vorschrift, tief in das Bauchfett zu injizieren,
ist wiederholt ganz eigenartig ausgelegt worden. Ueber die Stärke
der Fettschicht bei dicken Personen scheinen ganz eigentümliche
Vorstellungen zu herrschen: so wurde ich wiederholt darüber inter¬
pelliert, ob denn das Einstechen einer Nadel 3-4 cm tief nicht zu
Verletzungen des Bauchfelles führen könnte!
P'e Einspritzungen direkt in das Fett, die ich nach jahrelanger
Erfahrung als das beste Verfahren erkannt hatte, haben vor allen
längen den Zweck, das Metall lokal wirken zu lassen. Diese lokale
Wirkung tritt nicht bei allen Personen gleichmässig zutage. Gewöhn¬
lich bildet sich eine Eindellung der Fettschicht oberhalb der In-
ektionsstelle.
Eine theoretische Erklärung hat diese lokale Fettwirkung durch
Jie Beobachtung erhalten, dass Sesamöl, welches späterhin als
.ösungsmittel des kolloidalen Palladiumhydroxyduls angewendet
"urde, sich stets unter chemischer Bindung des Luftsauerstoffes
'anzig zersetzte, obwohl es nach einer von Amberger angegebenen
Viethode vorher entsäuert war. Das kolloidale Palladiumhydroxydul
n Sesamöllösung griff also sein eigenes Lösungsmittel, ein Fett, an.
-äese fettzersetzende AVirkung des Palladiums bzw. Palladium-
ijdroxyduls hat Prof. Paal in seinem Institut näher studiert: Eine
mgewogene Menge Sesamöl, die längere Zeit unter einer Glasglocke
iei Zimmertemperatur sich befand, veränderte ihr Gewicht fast gar
acht, während eine andere Menge von Sesamöl, mit kolloidalem
alladiumhydroyydul versetzt, erst minimal an Gewicht abnahm und
ann täglich um 2 Proz. an Gewicht gewann. Das Oel wurde
chliesslich ganz fest, und unter beträchtlicher Aufnahme von Sauer¬
stoff bildete sich wahrscheinlich Dioxy-Stearinsäure-Glyzerid aus
I riolein.
Die ursprünglich eingeführte Paraffinlösung des Leptynols wurde
airch eine solche des Präparates in Sesamöl ersetzt, weil ich aus
lcn Berichten der Kollegen zuweilen den Eindruck bekam, dass das
araffinlösliche Präparat oft zu langsam resorbiert wurde und dann
'1!r geringe oder gar keine Wirkung erzeugte, z. B. berichtet
vosenfeld*) bei 3 Fällen von Infiltrationen. Wiederholt waren
'berdies nach den Injektionen des paraffinlöslichen Präparates
vbszesse beobachtet worden. Ich selbst habe bei Hunderten von
niektionen niemals eine Abszessbildung erlebt, und auch Gorn [3|,
er sich vorher bei mir über die Injektionstechnik persönlich orientiert
at, sah bei seinen Injektionen (über 4 cm tief) niemals Komplikationen,
hiss solche nur auf einer ungenügenden Technik oder auf ungeeigneter
Vahl des Injektionsortes beruhen konnten, konnte ich mehrfach
’) Le medecin pract. Nr 25, 1913, Referat im Zbl. f. d. ges. Ther.,
1 10, Jahrg. 31. *) B.kl.W. 1914 Nr. 6 S. 283.
Nr. 42.
konstatieren. Patienten, die ich selbst erst injiziert hatte und nachher
ihrem Hausarzt überliess, bekamen nur nach den Injektionen des
Kollegen Abszedierungen, während meine Injektionen reaktionslos
vei liefen. Ich habe auch wiederholt Fälle — zum Teil vom Aus-
land — - mit Erfolg selbst in Behandlung genommen, bei welchen vor¬
her durch oberflächliche Injektionen Abszedierungen vorgekommen
waren. Wiederholt war das Mittel nur Yz cm tief unter die Haut ge¬
spritzt worden. Es ist klar, dass ein ziemlich lange liegenbleibendes
Depot des Leptynols schon durch Druck auf die darüberliegende
Hautschicht wirken muss, so dass eine Art innere Gangrän entsteht,
bleibt aber das Metallhydroxydul lange liegen, so wirkt das Metall
zu lange lokal und erzeugt durch Fettverdauung Ernährungsstörungen
der Haut; dann ist die Gefahr der Reduktion durch die immer in
kleinen Mengen vorhandenen reduzierenden Substanzen naheliegend
So erklären sich auch die Misserfolge von H. Pollitzer3) Die
Abszedierungen, die Vogt [5] nach Injektion der Paraffinöliösung
beobachtete, beruhen darauf, dass er die äussere Seite des Ober¬
schenkels zu seinen Injektionen wählte. Das L.eptynoldepot wird
durch die Bewegung und auch durch nachträgliches Weiterwandern
nach der Haut zu gereizt, während bei tiefen Injektionen In die nicht
abschüssige Bauchgegend oder in die oberen Partien der Brust eine
nachträgliche Bewegung des Präparates nach der Haut zu ausge-
schlossen ist. Mehrfach haben sich Kollegen die Injektionstechnik
bei mir angesehen bzw. sich selbst darin geübt, und ich bin immer
gern bereit, Kollegen, welche Schwierigkeiten mit der Injektions¬
technik haben, Gelegenheit zu geben, sich diese bei mir anzusehen.
Die tiefen Injektionen in das Fettgewebe schienen manchen Kollegen
Schwierigkeiten zu bereiten, vielleicht weil sie Besorgnis hegten, die
Nadei abzubrechen. Deshalb habe ich unter Benutzung eines schon
vorher vorhandenen Modells allgemein eine Nadel eingeführt, welche
aus biegsamem Material besteht und eine Metallplatte besitzt, bis zu
welcher (4 cm) eingestossen wird. Wiederholte Versuche, die Nadel
abzubrechen, ergaben das Resultat, dass diese oberhalb der Platte am
Ansatz brach, so dass also von der eingestossenen Nadel im Falle des
Abbrechens während der Injektion immer die Platte selbst und ein
Stumpf bis zum Ansatz aus der Haut hervorragen würde. Ich habe
bei etwa 1500 Injektionen von Leptynol niemals das Abbrechen einer
Nadel beobachtet. Seit übrigens die beschriebene Nadel jeder
Packung beigelegt wird, sind Klagen über Infiltrate nicht mehr vor¬
gekommen, wieder ein Beweis, dass nur eine falsche Injektionstechnik
längerdauernde Infiltrate verursacht hatte. Diese Erörterungen haben
zwar jetzt nur noch theoretisches Interesse, weil das Paraffin-Lep-
tynol nicht mehr im Handel ist.
Die Sesamöllösung hatte sich schon aus den oben angeführten
Gründen nicht bewährt. Die fortwährende Bildung von kleinen
Mengen freier Fettsäuren wirkte lokal reizend, und es war die Mög¬
lichkeit vorhanden, dass infolge des hohen Gehaltes des Oels an unge¬
sättigten Glyzeriden das Palladiumhydroxydul zum Teil zu Metall
reduziert wurde. Deshalb musste ein ganz neues Lösungsmittel
gefunden werden, welches keine körperfremden Stoffe, sondern nur
leicht resorbierbare Substanzen enthält. Den Bemühungen des Herrn
Prof. Paal ist es schliesslich gelungen, ein derartiges, kokosfett¬
haltiges Präparat herzustellen, dessen komplizierte nähere Zusammen¬
setzung Prof. Paal demnächst selbst publizieren wird. Dasselbe
kann durch geringes Erwärmen leicht verflüssigt werden und bleibt
dann auch längere Zeit ni diesem flüssigen Zustande. Ich spritzte mir
je 1 ccm des neuen Lösungsmittels in die Vorderarme und beobachtete
schon nach 2 Tagen ein Aufhören jeglicher lokaler Schmerzempfin¬
dung. während Injektionen von Olivenöl noch nach 8 Tagen empfind¬
lich blieben. Das Präparat in dem neuen Lösungsmittel erzeugt
so gut wie gar keine lokalen Reizerscheinungen mehr. Immerhin mag
es Vorkommen, dass besonders nervöse Personen nach tiefen In¬
jektionen in die Bauchgegend reflektorische Darmerscheinungen, auch
Herzklopfen bekommen. Bei solchen Fällen empfiehlt es sich, mehr
die seitlichen Hüftengegenden oder den Rumpf für die Injektionen
zu wählen. Unter den fast 200 Fällen, die ich mit Leptynol behandelte,
habe ich nur bei 3 Fällen Darmstörungen beobachtet, die aber fast
unmittelbar nach der Injektion auftraten, also reflektorisch durch
Reizung der tieferen Bauchschicht zu erklären sind. Die ausser¬
ordentlich leichte Resorbierbarkeit dieses neuen Lösungsmittels für
Organosole ermöglichst nun auch eine vollkommen reaktionslose Ein-
veileibung des Leptynols.
:l) M.m.W. 1914 Nr. 13 S. 736.
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2090
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Lang andauernde Versuche, einen grösseren 1 eil des Palladiums
durch Platin zu ersetzen, haben zu keinem befriedigenden Resultat
geführt, weil das Organosol des Platinhydroxyduls sich in Sesamöl
als viel schwerer resorbierbar erwies. Es war versucht worden, die
Hälfte des Palladiums durch etwa die doppelte Menge von Platin zu
ersetzen, entsprechend dem fast doppelt so hohen Atomgewicht dieses
Metalls. Ich musste mich dann aber mit einer Kombination beider
Metalle bescheiden, welche in 2 ccm 40 mg Pd und 15 mg Pt als
Hydroxydule enthält; darin war also nur ein Fünftel des Palladiums
durch die VA fache Menge von Platin ersetzt. Diese Kombination er¬
gab bessere Resultate als die frühere reine Palladiumlösung, ins¬
besondere setzte sie das Nahrungsbedürfnis stärker herab, worauf
noch weiter unten einzugehen sein wird. Die eben erwähnte Kom¬
bination in dem neuen, geradezu idealen Lösungsmittel macht eine
etwaige intravenöse Applikation wässeriger Lösungen der Platin-
metallkolloide (T i s s i e r) unnötig, denn die Resorptionsfähigkeit des
Präparates ist eine ausgezeichnete. Auch die intragluteale Injektion,
die bei vielen Fällen, bei welchen lokale Wirkung nicht erstrebt wird,
z. B. bei Gicht und Diabetes etc. angezeigt ist, kann mit dem neuen
Präparat ohne jede Komplikation vorgenommen werden.
In meiner ersten Mitteilung [1] hatte ich schon kurz über die
Wirkung wässeriger Lösungen der Paal sehen kolloidalen sechs
Platinmetallhydroxyde berichtet. Um nun auch die Wirkung grosser
Mengen des Platinhydroxydul-Hydrosols im Vergleich Palladium-
hydroxydul-Hydrosol kennen zu lernen, habe ich 42 — 84 mg Platin
in Form des kolloidalen Hydroxyduls in wässeriger Lösung tief in¬
jiziert. Die Injektionen erzeugten wohl Fieber, aber keine befrie¬
digenden Gewichtsabnahmen. Ausserdem traten an den Injektions¬
stellen Nachschmerzen auf, die allerdings nach 24 Stunden wieder
verschwanden. Jedenfalls wirkt die wässerige Platinhydroxydul¬
lösung lange nicht so energisch wie die reine wässerige Palladium¬
hydroxydullösung. Bei zwei 2 kg schweren Kaninchen wurden
wiederholt intrakardiale Injektionen von wässeriger Palladium¬
hydroxydullösung gemacht, wobei mich Kollege Dr. B o y e - Halle
unterstützte. Das Körpergewicht sank nach mehrmaligen Injektionen
von je 20 mg unter 1400 g. Bei den Tieren war das Fett — soweit
dies durch Palpation nachzuweisen war — vollkommen geschwunden,
dabei bestand gutes Wohlbefinden und zum Schluss eine ausser¬
ordentliche Gehässigkeit. Der Urin war dauernd einweissfrei.
Da wiederholt nach der Einnahme von Salinen Infiltrationen an
den Injektionsstellen beobachtet worden waren, so bestand der Ver¬
dacht, dass Sulfate vielleicht die Tätigkeit des Leptynols hemmen;
indessen habe ich häufig Salinen, wie Marienbader- und Karls¬
badersalz, verordnet mit gutem Erfolg. Vermutlich sind die er¬
wähnten Infiltrationen nur auf schlechte Technik zurückzuführen.
Das Wesen eines positiven Katalysators, wie ihn das
Lcptynol vorstellt, bringt es mit sich, dass dre Beschleunigung
chemischer Vorgänge eben von der Intensität dieser selbst ab¬
hängt. Gorn [4] konnte bei manchen Patienten bei Bettruhe
sogar Gewichtszunahmen mit Leptynol beobachten. Reine,
unkomplizierte Fälle von exogener Fettsucht (die übrigens in
Krankenhäusern und Kliniken ganz selten zu finden sind), bei
welchen nur ein Missverhältnis besteht zwischen der aufge¬
nommenen Nahrung und ihrer Bewältigung durch den Orga¬
nismus, leiden an keiner Oxydationsstörung. Es ist also vor¬
auszusetzen, dass ein positiver Katalysator bei exogenen
Fällen energischer wirken wird, als bei Fällen von endogener
Fettsucht. Ewald4) bemängelt bei einigen meiner früher ver¬
öffentlichten Fälle, dass die Abnahmen in langen Zeitintervallen
vor sich gingen. Dieser Umstand war aber durch das Ver¬
halten der Personen selbst bedingt, die mich nur in Zeit¬
intervallen von vielen Wochen aufsuchten. Diese Personen,
welche dem Zwange einer geregelten Diät und Behandlung
durchaus abhold waren, Hessen sich nur hie und da zu Ein¬
spritzungen bewegen. Die einzige Aenderung der Lebens¬
weise, die ich bei solchen exogenen Fällen anordnete, war die
Vorschrift von etwas Muskelarbeit, über deren Bedeutung noch
weiter unten die Rede sein wird; jedoch wurde auch diese
Vorschrift nicht immer befolgt.
Leider kann ich die Krankengeschichten meiner Fälle hier nicht
ausführlich bringen. Am häufigsten habe ich Fälle von gemischter
Fettsucht behandelt, d. h. solche, bei denen erbliche Belastung oder
mangelnde Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion vorhanden
waren, und die sich ausserdem überernährten. Vielleicht ist hier
schon diese Tendenz zur Ueberernährung krankhaft. Ich habe ferner
auch mehrere Fälle von Gicht behandelt, z. B. den folgenden Fall von
exogener Fettsucht.
R., Kommerzienrat, 54 Jahre, litt in den letzten Jahren an Gicht,
allerlei nervösen Beschwerden, Gliederschmerzen. Wiederholte
Radiumkuren brachten keinen Erfolg. Depressionszustände. Hat
ziemlich reichlich gegessen und getrunken, ca. 45 Kalorien pro Kilo¬
gramm täglich, dabei wenig Bewegung. Während der Behandlung
4) Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1913 Nr. 15.
Nr. 42
mit Leptynol keine Diät, ausgezeichnetes Wohlbefinden. Die Glieder
schmerzen sind geschwunden. Die Stimmung ist sehr gebessert.
22. V. 1913: 2,3 ccm, 94,0 kg. 28 V.: 2,3 ccm, 92,6 kg. 2. VI
2.4 ccm 91,2 kg. 10. VI.: 89,8 kg.
Bei den meisten Fällen musste schon deshalb zu einer Nahrungs
einschränkung gegriffen werden, weil sie, von ausserhalb kommend
sich nur kurze Zeit hier aufhalten konnten. Bei der Nahrungsein
Schränkung trat der Wert der durch das Leptynol bewirkten Ver
minderung des Nahrungsbedürfnisses immer hervor, so dass zuweilei
richtige Hungerkuren ohne jede Störung des Allgemeinbefinden
durchgeführt werden konnten.
Exogener Fall: Fräulein N., 40 Jahre, tägliche Nahrungsaufnahmt
ca. 40 Kalorien pro Kilogramm. Wenig Besserung. Hat schon ver
schiedene Kuren gemacht. Hat einen Tag vor der Kur schon ziemlicl
gehungert und wenig getrunken.
19. VII. 1913: 1,5 ccm, 108,7 kg. 20. VII.: 1,5 ccm, 105,7 kg
21. VII.: 1,5 ccm, 105,3 kg. 26 VII.: 1.5 ccm, 102,6 kg. 27. VII.
1.5 ccm, 102,2 kg. 28. VII.: 1,5 ccm, 101,8 kg. 29. VII.: 1,5 ccm
101.5 kg.
Während der Kur nur ca. 15 Kalorien pro Kilogramm täglich
Kein Hungergefühl. Ging 4 — 5 Stunden täglich. Nach Berich:
3 Wochen später fühlt sie sich ausgezeichnet. Das Fett war sichtbai
geschwunden. Das Jackett z. B. war um ca. 14 cm zu weit gewordei
in 8 Tagen.
Gemischter Fall: A., Gutsbesitzer, 41 Jahre, hat früher stark ai
Gicht gelitten. Erblich belastet. Geht sehr viel, soweit ihm die:
seine Gicht erlaubt. Isst täglich ca. 50 Kalorien pro Kilogramm. Wai
schon wiederholt in verschiedenen Bädern ohne dauernde Wirkung
Während der Kur nahm er täglich ca. 15 Kalorien pro Kilogramm zi
sich. Reichliche Bewegung.
31. VII. 1913: 1,5 ccm, 87,85 kg. 1. VIII.: 1,5 ccm, 85,9 kg
2. VIII.: 1,5 ccm, 85,6 kg. 4. VIII.: 1,6 ccm, 84,9 kg. 5. VIII. 1,6 ccm
85,0 kg. 6. VIII.: 1,6 ccm, 85,0 kg. 7. VIII.: 1,6 ccm, 83,75 kg. 8. VIII.
1.7 ccm, 83,35 kg. 9. VIII.: 82,9 kg.
Gemischter Fall: Frau H., 24 Jahre, wurde nach der erster
Schwangerschaft sehr stark. Tägliche Nahrungsaufnahme ca. 40 Ka¬
lorien pro Kilogramm, macht sich wenig Bewegung. Hat früher
wiederholt Milchkuren gemacht, ohne wesentlichen Erfolg. Kam zui
Kur zu mir, nachdem sie schon 2 Tage hindurch ziemlich gehunger
hatte. Nimmt während der Kur pro Kilogramm täglich nur 10 Ka¬
lorien zu sich.
7. VI. 1913: 2,2 ccm, 91,3 kg. 8. VI.: 3,0 ccm, 89,65 kg. 12. VI.
3,0 ccm, 86,1 kg. 18. VI. : 84,0 kg. 21. VI.: 2,5 ccm. 24. VI. : 2,5 ccm
83.7 kg. 7. VIII.: Hat keine Diät gehalten, 79,8 kg.
Linke Brustseite bedeutend kleiner geworden gegenüber der
rechten, welch letztere wegen Stosses gegen dieselbe nur einmal zun
Einspritzen benutzt werden konnte. Ausgezeichnetes Wohlbefinden
Bemerkenswert ist bei diesem Fall, dass nach Aussetzen der
Injektion die Abnahme noch weiter vor sich ging und zwar ohne Ein¬
halten von Diät.
Manche endogene Fälle nehmen auch bei wesentlicher
Einschränkung der Nahrungszufuhr nicht ab, ja — man be¬
hauptet wohl — nicht einmal im Hunger. Man pflegt wohl auch
zu sagen, dass das Fett nur im Feuer der Kohlehydrate ver¬
brennt, welche Regel viel allgemeiner durch das Gesetz der
gekoppelten Reaktionen von O s t w a 1 d ausgedrückt wird.
Bemerkenswert ist besonders die leichte Anpassungsfähigkeit
der endogenen Fettsuchtsfälle an die geringe Nahrungszufuhr
Ob sie 25 Kal. oder 15 Kal. täglich pro Kilogramm erhalten,
manche Fälle nehmen kein Gramm ab. Solche Fälle, besondere-
weibliche, hat u. a. auch Roemheld5) mehrfach beobachtet.
Gärtner0) konnte seine Patienten ausnahmslos durch Diät
und sonstiges Regime allein entfetten. Ich habe aber eine
Reihe von Patienten behandelt, welche auch mit der Gärt¬
ner sehen Diät keinen Erfolg hatten oder nur einen kurzen,
vorübergehenden. Ueberhaupt hatten die meisten meiner
Fälle schon alle möglichen anderen Diätkuren etc. versucht.
Verschiedene mit der Gärtn ersehen Diät behandelte
Patienten haben mir übrigens versichert, dass sie dabei stark
an Hungergefühl gelitten hätten.
Oft hatte ich bei meinen Fällen den Eindruck, als ob die
geringere Nahrungsmenge auch besser resorbiert würde, wie
denn ja auch schwerer verdauliche Nahrungsmittel von Ge¬
sunden bei starker Unterernährung viel besser ausgenutzt
werden. Es ist mir wiederholt entgegengehalten worden, dass
manche Erfolge meiner Leptynolkur einfach durch die Diät¬
beschränkungen erklärt werden. Diese Ansicht ist aber mit
Rücksicht auf das oben gesagte zurückzuweisen. Ich habe
bei Fällen, die kompliziert waren durch Neurasthenie, ferner
0 M. Kl. 1914 Nr. 6 S. 243.
) Diätetische Entfettungskuren, Leipzig 1913, S. 29.
20. Oktober 1914.
MUENCHENEff MEPfZIMSCHE WOCHENSCpRIFt.
209!
bei Derkum scher Krankheit trotz erheblicher Einschränkung
und trotz Leptynolinjektionen anfangs gar keine Gewichts¬
abnahmen erzielt; erst im weiteren Verlauf waren diese dann
deutlich. Nun ist zu bedenken, dass gerade bei Derkum¬
scher Krankheit der Wasserhaushalt oft sehr gestört ist und
man muss deshalb auch wasserentziehende Mittel anwenden.
Vielleicht wird das aus dem wasserstoffreichen Fett gebildete
„endogene“ Oxydationswasser leichter rctiniert als das per os
aufgenommene. Dann ist die Perspiratio insensibilis besonders
bei Derkum scher Krankheit sehr gehemmt, wie dies auch
bei Frauen während der Menstruationszeit beobachtet wird.
Man hat neuerdings gegen die Wasserentziehung bei Ent¬
fettungskuren eingewendet, dass das Wasser keine Brenn¬
werte enthalte und dass nur der Appetitverminderung der
günstige Erfolg der Brunnenkuren etc. zuzuschreiben sei.
Richtig ist, dass Abnahmen, die nur durch Flüssigkeitsent¬
ziehung hervorgerufen werden, ohne bleibenden Wert sind;
dies trifft auch häufig bei Milchkuren zu. Es ist jedoch nicht
von der Hand zu weisen, dass starke Anfüllung des Körpers
mit Wasser vielleicht mechanisch die Ablagerung von Fett
begünstigt. Auf die theoretische Bedeutung der Wasserent¬
ziehung wird weiter unten noch eingegangen werden.
Der folgende Fall ist deshalb instruktiv, weil der Patient im
späteren Verlauf seiner Kur täglich 3 Liter helles Bier trank, da er
sehr viel schwitzte. Trotzdem er die feste Nahrung bedeutend ein¬
schränkte, so dass er nicht mehr an Kalorien zu sich nahm als früher,
gelang es nicht, eine weitere Abnahme bei ihm zu erzielen.
v. K., Oberstleutnant a. D., ^5 Jahre, hat schon verschiedene
Diätkuren gemacht ohne wesentlichen Erfolg. Klagt besonders über
Herzbeschwerden. Die Herztöne sind leise, dumpf. Tägliche Nah¬
rungsaufnahme ca. 40 Kalorien pro Kilogramm, Bauchumfang 116 cm.
5. VI. 1913: 3,75 ccm, 97,2 kg. 12. VI. : 3,0 ccm, 93,9 kg. 23. VI.
3.2 ccm, 92,9 kg. 3. VII.: 3,2 ccm (Bauchumfang 110,7 cm), 91,2 kg.
17. VII.: 91,4 kg.
Der nachstehend endogene Fall ist dadurch interessant, dass er
mit derselben herabgesetzten Nahrungsaufnahme, mit der er nicht
weiter abnahm, bei der Leptynolbehandlung ganz erheblich an Ge¬
wicht verlor. Besonders bei diesem Fall war die Euphorie auffällig.
U., Holzhändler, 44 Jahre, erblich belastet. Ursprünglich 177 kg
-schwer. Nach verschiedenen Kuren bis auf 151 kg. Hat seitdem
immer diät gelebt (nur 10 Kalorien pro Kilogramm täglich). Behält
dieselbe Nahrung bei.
17. IV. 1913: 2,1 ccm, 154,1 kg 21. IV.: 2,1 ccm, 152,25 kg,
25. IV.: 4,5 ccm, 151,5 kg.j [5. V.: 4,0 ccm, 147,1 kg. 20. V.: 4,0 ccm.
145,4 kg. 12. VI.: 4,0 ccm, 143,5 kg. 21. VII.: 6,0 ccm, 141,2 kg:
27. VII.: 6,0-jccm, 137,7 kg. 30. VII.: 6,0 ccm,fT36,5 kg. 6. VIII.
134,3 kg.
Das Schlafbedürfnis Hess sehr nach. Die Muskelarbeit war er-
IcisJjtert. Hat 10 Kalorien pro Kilogramm beibehalten. Ist dabei aber
P4-— 3 Stunden täglich spazieren gegangen. Litt nicht unter Hunger.
Bei verschiedenen Fällen mit Dysmenorrhöe beobachtete ich ein
Zurückgehen der Beschwerden unter der Leptonolbehandlung. Bei
verschiedenen Fällen von Schilddrüsenschwellungen gingen letztere
zurück. Anbei einige hierhergehörige Fälle.
Frau D. L., 41 Jahre, Körpergrösse 161 cm. Nahrungsaufnahme
35 — 40 Kalorien pro Kilogramm täglich. War früher nicht dick, dann
Schilddrüsenschwellung und Exophthalmus, wurde ziemlich stark.
Gewicht ca. 87 kg. Nach Antithyreoidin Moebius verlor sie in
4 Wochen 7 Pfund, nahm dann wieder stark zu. Verschiedene Kuren,
Bäder ohne Einfluss. Hält keine Diät, macht sehr reichlich Spazier¬
gänge.
24. V. 1913: 1,0 ccm, 82,1 kg. 25. V.: 2,2 ccm, 82,0 kg. 6. VI.:
2.2 ccm, 81,0 kg. 7. VI.: 2,1 ccm, 80,3 kg. 28. VI.: 2,5 ccm, 80,0 kg.
29. VI.: 79,8 kg. 17. VII.: 2,0 ccm, 79,15 kg. 5. VIII.: 2,0 ccm,
77,55 kg. 6. VI 11. : 3,2 ccm, 76.85 kg. 3. X.: 76,3 kg. 4. X.: 76,1 kg.
Nahm noch weiter ab bis 75,5 kg. Behielt dieses Gewicht ziem¬
lich bei bis vor Weihnachten 1913. Ging dann wenig und ass sehr
reichlich. Exophthalmus während der Kur fast ganz
geschwunden. Rechtsseitige Schilddrüsenschwel¬
lung vollständig beseitigt.
25. III. 1914 rechtsseitige Schilddrüsenschwellung wieder etwas
vorhanden. Exophthalmus stärker. Klagt über Frösteln. Temperatur
in der Achselhöhle gewöhnlich bloss 35,8 bis 36,2°. Puls stark ar-
rhythmisch.
25. III. 1914: 3,0 ccm, 81,2 kg. 26. III.: 1,7 ccm, 80,5 kg. 27. III:
i,0 ccm. 80,3 kg. 29. III.: 3,2 ccm, 79,75 kg. 30. III.: 3,2 ccm, 79,5 kg.
H. III.: 3,2 ccm, 79,2 kg. 1. IV.: 3,2 ccm, 78,9 kg. 2. IV.: 3,2 ccm,
'8,6 kg. 4. IV.: 3,2 ccm, 78,3 kg. 19. IV.: 75,3 kg.
Während der Behandlung wurde der Puls regelmässig, die Tem¬
peratur stieg in der Achselhöhle gemessen bis auf 37°. Die Puls¬
zahl erhöhte sich von 54 auf 68 Schläge. Die rechtsseitige Schild¬
drüsenschwellung schwand schon nach 8 Tagen. Exophthalmus be¬
deutend gebessert. Das Menstruationsblut war während der In¬
jektionen graubraun verfärbt.
Der folgende Fall ist insofern interessant, als die Patientin fast
ohne Kohlehydrate auskäm.
Fürstin L., 34 Jahre, rechtsseitige Schilddrüsenschwellung. Früher
schlank, nach dem ersten Kindbett sehr stark geworden. Schild-
drüsenschwellung, Störung der Korrelation der Drüsen, Heisshunger.
Kann nicht gehen wegen Gicht in den Knien. Hat früher ca. 35 Ka¬
lorien pro Kilogramm täglich zu sich genommen.
3,0 ccm
91,7 kg
92,7 kg. 16. XII.:
21. XII.: 3,2 ccm.
3,0 ccm, 92,2 kg.
23. XII.: 3,2 ccm,
3,2 ccm, 88,45 kg. 28. XI!.: 3,2 ccm, 88,3 kg.
30. XII.: 3,2 ccm, 87,7 kg. 1. I. 1914:
15. XII. 1913:
18. XII.: 3,2 ccm,
90.2 kg. 26. XII.:
29. XII.: 3,2 ccm, 88,2 kg.
3.2 ccm, 86,35 kg.
Hat während der Kur nur etwa 20 Kalorien pro Kilogramm täg-
hch zu sich genommen. Nach 8 Tagen schon Gehfähigkeit bis zu
2 Stunden täglich. Gichtische Schmerzen in den Knien vollständig
geschwunden. Ausgezeichnetes Wohlbefinden. Konnte früher keine
neppen steigen; während der Kur vermochte sie leichte Treppen zu
steigen ohne grössere Beschwerden. Der Puls stieg von 50 auf
70 Schläge. Aussehen am Ende der Kur frischer.
Ein Fall von hypophysärer Fettsucht, 11 Jahre alt, nahm nach
wiederholten Injektionen 7 kg ab, doch musste die Kur dann abge¬
brochen werden, weil der Knabe wegen Optikusatrophie wenig gehen
konnte.
Zum Schluss noch ein Fall von Morphinismus:
Leutnant v. K., 23 Jahre, früherer Schutztruppenoffizier. Wöchent¬
lich mehrmals Leptynol in die Glutäalgegend. Es gelang ohne
Schwierigkeit, bei völliger Arbeitsfähigkeit den Morphiumbedarf von
0,6 g täglich in ca. 2 Monaten auf Null herabzudrücken. Besonders
auffallend war die rasche Wiederkehr der sexuellen Potenz. Das
Gewicht nahm nicht ab. Der Patient behauptete, dass besonders
gegen Schluss der Kur die Injektionen eine Art Morphiumersatz be¬
deuteten, indem sie auch in geringerem Masse das Wohlgefühl wie
nach Morphiuminjektionen hervorrufen. Es ist möglich, dass gewisse
Eiweisspaltprodukte, welche erst den Morphiumhunger erzeugen, zu¬
erst durch den Katalysator oxydiert wurden, daher auch keine Ab¬
nahme
Vielleicht ist die „Fettverdauung“ auch durch die Ver¬
mehrung der lipolytisches Ferment enthaltenden Lymphozyten
zu erklären, wie E s s e r 7) nachwies. Ich habe früher die Mit¬
wirkung der Muskelarbeit als Erreger von leichten Temperatur¬
erhöhungen aufgefasst; tatsächlich tritt bei interkurrentem
Fieber während der Leptynolbehandlung eine viel stärkere
Wirkung des Mittels ein; die Abnahmen gehen viel rapider vor
sich, weil wahrscheinlich die erhöhte Oxydation die Wirkung
des Katalysators noch steigert. Vielleicht besteht der Wert
der Muskelarbeit auch in der Erhöhung der Oxydationsvor¬
gänge, die dann durch den Katalysator noch energischer an¬
geregt werden. Nach sehr starken Muskelanstrengungen
konnte ich Abnahmen bis 1,5 kg täglich beobachten, die durch
Muskelarbeit allein nicht erklärt werden. Bei Fällen von
exogener Fettsucht habe ich Temperatursteigerungen bis zu
38,9 o beobachten können. G o r n [3] hat mich missverstanden,
wenn er meint, ich führe die Körpergewichtsabnahmen allein
auf die Temperaturerhöhungen zurück. Meine Schlüsse be¬
zogen sich auf das nach Injektion von wässerigen — also viel
energischer wirkenden — kolloidalen Palladiumhydroxydul¬
lösungen aufgetretene Oxydationsfieber. Da bei exogenen
Fällen die Oxydationsverhältnisse besser sind als bei endo¬
genen, so wird nur nach diesem Oxydationsfieber auftreten,
das aber nach Injektion des Organosols nicht hoch steigt.
Unter den Platinmetallen haben das Palladium und dann
das Platin die grösste Affinität zum Wasserstoff. Wäre nun
die Leptynolwirkung als eine reine Oxydationsbeschleunigung
aufzufassen, so müssten Osmium und Rhutenium, welche ja
unter den Platinmetallen die grösste Affinität zum Sauerstoff
haben, am besten wirken; dies war aber nicht der Fall. Unsere
Anschauungen über den Abbau der Nahrungsstoffe haben sich
bedeutend gewandelt in den letzten Jahren. Das Eiweiss wird
abgebaut nicht allein durch reine Oxydation, sondern auch
durch Hydrolyse. Es gehen also hier verschiedene chemische
Vorgänge nebeneinander her. Vielleicht ist solches bei der
Fettzerstörung durch Leptynol auch der Fall; denn wäre die
Leptynolwirkung eine reine Oxydation, so müsste die Sub¬
stanz, welche am leichtesten oxydierbar ist, nämlich das Gly¬
kogen, zuerst angegriffen werden, und es müsste dann Azeton-
urie entstehen. Ich habe aber bei keinem Fall Azetonurie nach-
weisen können, selbst bei solchen Fällen nicht, wie dem oben
genannten, welcher fast ohne Kohlehydrate lebte. „Die kata¬
lytische Wirkung des Palladiums oder Platins besteht also
:) D.m.W. 1913 Nr. 39 S. 1017/19.
1
2092
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 42.
nicht darin, dass diese Metalle den molekularen Sauerstoff
(unter intermediärer Bildung von Peroxyden) aktivieren, es
handelt sich vielmehr um eine durch das Metall bewirkte
Aktivierung des Wasserstoffes, wie sie auch bei
der Vereinigung des Knallgases zum Ausdruck kommt“8).
Es gelang Wieland auch Traubenzucker bei Ausschluss von
Sauerstoff mit Hilfe von Palladiumschwarz allein bei niedrigen
Temperaturen weitgehend zu verbrennen. Woker9) neigt
zu der Ansicht Wielands, dass Oxydase und Reduktase
dasselbe Prinzip sind. Gegen diese Ansicht wendet sich aller¬
dings Bach 10 11). G. B r e d i g “) hat schon früher auf die
Dehydrierung als Prinzip bei den anorganischen Fermenten
hingewiesen.
Vielleicht gehen also bei der Fettverbrennung Dehydrie¬
rung und Oxydation unter Wasserbildung nebeneinander her,
wodurch die wasserentziehenden Methoden in das rechte Licht
gerückt werden. Mir erschien jedenfalls bei manchen Fällen,
welche reichlich Flüssigkeit aufnahmen und statt abzunehmen
eine Gewichtszunahme erkennen Hessen, eine gewisse Um¬
kehrung der Reaktion eingetreten zu sein, d. h. der Dehydrie¬
rungsprozess wurde abgelöst durch eine Hydrierung. Dass
das Leptynol wasserentziehend wirkt, beweisen die gewaltigen
Gewichtsabnahmen bis zu 3 kg pro Tag. Dabei war der Urin
meist konzentriert, es musste also die Perspiratio insensibilis
stark erhöht sein.
Die eigentümliche Euphorie erklärt Weichardtin einer
neueren Arbeit 12) für eine Protoplasmaaktivierung. Ich bin
mehr geneigt, sie als direkte katalytische Oxydation der
Kenotoxine Weichardts aufzufassen, wofür auch spricht,
dass die Euphorie nach starker Muskelarbeit deutlicher wurde.
Vielleicht ist auch die Herabsetzung des Hungergefühls auf die
Beseitigung von gewissen Eiweissspaltungsprodukten zurück¬
zuführen, die normalerweise das Hungergefühl auslösen, unter
der Leptynolwirkung aber eliminiert werden. Wenn auch die
Katalyse durch kleinste Mengen eines Katalysators eingeleitet
wird, so gilt auch hier das Gesetz der Massenwirkung; je
grösser die Menge des Katalysators ist, um so grösser ist die
.Oberfläche an wirksamem Metallhydroxydul.
Bei Fällen, welche durchaus keine Diät hielten und sich
auch keine Bewegung machten, habe ich anfangs täglich 3 bis
4 ccm Leptynol injizieren müssen, bis dann die fast vollständige
Aufhebung des Hungergefühls und der Müdigkeitserschei¬
nungen das Signal war, weitere Gaben zu unterlassen. Viele
meiner Patienten brauchten nur 4 — 5 Stunden Schlaf, ohne
müde zu sein. Eigentümlich war, dass bei Drüsenstörungen
erst dann eine Gewichtsabnahme eintrat, wenn z. B. die
Schilddrüsenschwellung zurückgegangen war. Ob nun hier
der Katalysator erst alle körperfremden Stoffe oxydiert, wie
die Schilddrüsentoxine, oder ob die Schilddrüse gewisse nega¬
tive Katalysatoren ausscheidet, welche durch einen positiven
Katalysator erst überwunden werden müssen, ist vorläufig
noch völlig ein Problem. Vielleicht mag das Verschwinden
der Schilddrüsenschwellung auch darauf beruhen, dass ein
energischer Katalysator die Funktionen, welche die erkrankte
Schilddrüse nicht zu bewältigen vermag, übernimmt, wodurch
die Drüse entlastet wird, so dass sie sich wieder erholen kann.
Bisher von anderer Seite angestellte Respirationsversuche haben
keine Resultate ergeben, aber sie waren auch nicht richtig angeordnet,
nur Arbeitversuche können Ausschläge ergeben, keine Ruheversuche,
was ja aus dem oben über die Bedeutung der Muskelarbeit Gesagten
hervorgeht; rein theoretisch betrachtet, müsste sogar eine Ver¬
minderung der Nahrungsaufnahme (welche den Organismus entlastet
und dadurch seine chemische Energie hebt) mit Leptynol und Muskel¬
arbeit zusammen eine Steigerung des respiratorischen Gasstoff¬
wechsels hervorrufen!
Ich habe bisher auch einige Fälle von Gicht erfolgreich
behandelt und glaube Voraussagen zu können, dass bei einer
richtigen Versuchsanordnung auch bei Fällen von Diabetes
Erfolge erzielt werden können (inkl. Coma diabeticum), zumal
jetzt ein technisch vervollkommnetes Präparat zur Ver¬
fügung steht.
8) H. W i e 1 a n d : Berichte der Deutsch. Chem. Ges. 46. 1913. 3327.
”) Berichte der Deutsch. Chem. Ges. 47. 1914. 1027.
!0) Berichte der Deutsch. Chem. Ges. 46. 1913. 3864.
11) Zschr. f. physik. Chem. 70. 1909. 34.
12) Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 22. 1914. H. 4/5, S. 586.
Klinische Arbeiten:
1. Kauf f mann: M.m.W. 1913 Nr. 10. — 2. Kau ff mann:
M.m.W. 1913 Nr. 23. — 3. G o r n: M.m.W. 1913 Nr. 35. — 4. G o r n:
Zschr. f. d. ges. Neurol. 20. 1913. H. 3. — 5. V o g t: M.m.W. 1914 Nr. 19.
- — j -
Ueber die Höhe des Hirndruckes bei einigen
Augenkrankheiten.
(III. Mitteilung.)
Von Prof. L. Heine in Kiel.
Uvea und Meningen.
(Lumbaldrucksteigerung bei Iritis und Chorioiditis.)
(Vergl. diese Wschr. 1913 Nr. 24 u. 44.)
Wenn wir die Netzhaut als einen vorgelagerten Gehirnteil
betrachten, so entspricht den Meningen die Uvea des Auges.
Wenn die Uvea durch gewisse Schädlichkeiten, toxische oder
infektiöse, in Reizung versetzt wird, Schädlichkeiten, die nicht
örtlich, sondern von innen her, auf dem Blutwege, zur Wir¬
kung gelangen, so liegt der Gedanke nicht fern, dass diese
Schädlichkeiten auch zu den Meningen eine gewisse Affinität
haben könnten. Der erste Ausdruck einer Meningealreizung
scheint mir durch Hirn- resp. Lumbaldrucksteigerung gegeben,
deshalb unterwarf ich eine grössere Anzahl von Patienten mit
Uveitis der Lumbalpunktion.
Was die Technik der Lumbalpunktion anbetrifft, so ver¬
weise ich auf das, was ich in der Münch, med. Wochenschrift
dargelegt habe. Ich lege ausschlaggebenden Wert darauf, dass
ich nach der von mir angewendeten Art der Punktion eher zu
selten, jedenfalls nicht zu oft Lumbaldruckerhöhung gefunden
habe, denn die definitive Ablesung der Druckhöhe wurde erst
gemacht, nachdem Patient sich völlig beruhigt und die Nadel
nach der Uhr 5 Minuten gelegen hatte. Will man überhaupt
einen Schluss ziehen aus isolierten Lumbaldrucksteigerungen,
so muss man meines Erachtens die von mir angegebenen
Zahlen anerkennen. Andererseits hoffe ich auch durch diese
Zahlen zu beweisen, dass der Lumbaldruck etwas ist, was
Berücksichtigung verdient, auch wenn sich Albumine, Globu¬
line oder Lymphozyten nicht vermehrt finden. Bisher stehen
mir 63 Fälle von Uveitis in dieser Richtung zur Verfügung,
von denen 30 eine Iridozyklitis, 33 eine Chorioiditis darstellen.
Die sogleich darzulegenden Ergebnisse werden — hoffe
ich — beweisen, dass konstante Verhältnisse zwischen Uveitis
und Meningealreizung bestehen.
In 43 von den 63 Fällen fand sich Lumbaldruck über 150, und
zwar war er: 14 mal zwischen 150 und 200
27 , „ 200 „ 300
2 „ über 300
Bedenkt man, dass sich darunter viele chronische Fälle
befanden, wo von entzündlichen Erscheinungen eigentlich nicht
die Rede sein konnte, so ergibt sich, dass mindestens in 3A aller
Fälle von Uveitis eine Meningealreizung vorhanden war.
Ich glaube aber, dass es bei der Natur der Krankheit kaum
möglich ist, zwischen akuten und chronischen Formen zu
unterscheiden; ist es doch gerade für die Uveitis charak¬
teristisch, dass sie chronisch und exazerbierend auftritt.
Immerhin scheint auch die Lumbaldruckhöhe in einem ge¬
wissen Verhältnis zum akuten oder chronischen Charakter zu
stehen, indem bei akuten Prozessen höhere Drucke notiert
sind, als bei den chronischen. Dieses tritt bei den Iritiden
deutlicher in Erscheinung als bei den Chorioitiden.
Recht bemerkenswert erscheint mir die weitgehende Paral¬
lelität zwischen Iritis und Chorioiditis. Von den 30 Iritiden
Hessen nur 10 eine Meningealreizung vermissen. Auch von
den 33 Chorioitiden waren 10 frei von Lumbaldrucksteigerung.
8 Iritiden und 6 Chorioitiden zeigten geringe, 11 Iritiden und
16 Chorioitiden mittlere (200 — 300), nur 1 Iritis und 1 Chorioi¬
ditis starke Lumbaldrucksteigerung (über 300).
Die höchste Prozentzahl würde also bei beiden (Iritis und
Chorioiditis) auf mittlere Drucksteigerung fallen. Ver¬
mehrung der Albumine, Globuline und Lymphozyten fand sich
nur in dem einen Fall von Iritis mit hochgradiger Drucksteige¬
rung (315) und positivem Wassermann im Punktat und im
Blut. Der andere Fall von starker Lumbaldrucksteigerung
(310) betraf einen Patienten mit einseitiger peripherer syphi-
20. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2093
Iitische r Chorioiditis, der '/ Jahr später zu Hause ad exitum
gelangte.
Auch diese geradezu auffallende Parallelität in den Druck¬
höhen bei Iritis und Chorioiditis scheint mir dafür zu sprechen,
dass es sich hier um regelmässige Wechselbeziehungen zwi¬
schen Uvea und Meningen handelt.
Von den 30 Iritiden betrafen 24 Männer, 6 Frauen
» „ 33 Chorioitiden „ 24 9
w ) ^ »i
Aetiologisch waren von diesen 30 Iritiden 16 tuberkulös,
5 syphilitisch; Tuberkulose und Gonorrhöe lag 2 mal, Lucs und
Tuberkulose und Gonorrhöe 1 mal, Gonorrhöe 1 mal, Neben¬
höhlenerkrankung 1 mal, allgemeines Atherom 1 mal vor. In
2 Fällen konnte keine Aetiologie gefunden werden. Von den
o3 Chorioitiden waren 13 tuberkulös, 10 syphilitisch. Atherom
fand sich 2 mal, keine Aetiologie 8 mal.
Also auch in bezug auf Geschlecht und Aetiologie bestehen
weitgehendste Uebereinstimmungen.
Einzig was die Einseitigkeit und Doppelseitigkeit anbetrifft,
besteht ein auffallendes Missverständnis, denn während von
den 3o Iritiden 23 einseitig und 7 doppelseitig waren, waren
von den 33 Chorioitiden 8 einseitig und 25 doppelseitig.
Bestimmte Beziehungen der Lumbaldruckhöhe zur Aetio¬
logie der Uveitis lassen sich höchstens insofern bei den Iritiden
finden, als die Lues mehr für die akute Form in Frage kommt,
wo die Lumbaldrucksteigerung deutlicher ist, die Tuberkulose
mehr für die chronischen, wo die Lumbaldrucksteigerung ge¬
ringer ist.
Stärkere Lumbaldrucksteigerung würde also vielleicht
mehr für syphilitische, weniger für tuberkulöse Aetiologie
sprechen, doch sind die Zahlenreihen für solche Schlüsse viel¬
leicht noch zu klein, und bei den Chorioitiden verwischen sich
die Unterschiede noch mehr.
Teilt man die Chorioitiden nach den klinischen Bildern ein,
unter denen sie auftreten, so erklären sich von den
disseminierten durch Tuberkulose 8,
zentralen , „ 0,
peripheren „ „ 0,
diffusen „ „ 1,
zentr. u. periph. , „ 4,
Lues 1, dunkel blieben 2
>i 1 , * v 2
„ 3, Atherom 1, unklar
blieben 2
„ 3, unklar blieb 1
„ 2, Atherom 1, unklar
blieb l
Aus der Universitäts-Frauenklinik (Direktor: Geheimrat
Winter) und dem Institut für gerichtliche Medizin
(Direktor: Professor Puppe) zu Königsberg i. Pr.
Zum Nachweis der Blutfreiheit der zur Ab der halde ri¬
schen Reaktion verwendeten Substrate und Seren.
Von Privatdozent Dr. Fetz er und Professor Nippe.
Es ist von Abderhalden selbst mehrfach als ein not¬
wendiges Postulat für die Anstellung der Fermentreaktion
nittels des Dmlysierverfahrens aufgestellt worden, dass die
verwendeten Substrate sowohl, als das Serum völlig frei von
Blutbeimischungen sind. Das ist deshalb notwendig, weil
'.ahlreiche Patienten Fermente zu besitzen scheinen, die Blut
ibzubauen vermögen. Dann nämlich, wenn bei ihnen aus
rgend einem Grund (Quetschung, subkutane Blutung etc.) Ab¬
kömmlinge des Hämoglobins als plasmafremde Stoffe in die
Blutbahn übergetreten sind. Zahlreiche Fehlreaktionen führt
Abderhalden auf diese Fehlerqelle zurück. Die Fehl¬
eaktionen brauchen dann nicht einzutreten, wenn dem Serum
ler zu untersuchenden Patienten blutabbauende Eermenite
ehlen. Deshalb können trotz Verwendung fehlerhafter, hämo-
dobinhaltiger Substrate doch in einer Reihe von Fällen
ichtige Diagnosen gestellt werden. In letzter Zeit hat
ampe in ausgedehnten Versuchen zeigen können, wie durch
las Serum solcher Personen, bei denen früher ein Hämatom
'estanden hat, das den Substraten anhaftende Blut abgebaut
' ird und dadurch ein Abbau des Substrats vorgetäuscht wird.
Bei der Herstellung der Substrate kommt also alles darauf
n, sie völlig blutfrei zu bekommen. Dabei liess man sich
ben von dem makroskopischen Aussehen der ausgewaschenen
lewebe leiten und betrachtete die Substrate dann als blut-
ei, wenn sie schneeweiss waren und auch nach dem Kochen
eine merklich dunklere Färbung bekamen. Andere unter¬
suchten Teile der gewonnenen Substrate mikroskopisch auf
das Fehlen von Blutschatten hin. Beide Verfahren sind natür¬
lich unsicher. Wir werden nachher zeigen, dass auch in
schneeweissen Präparaten Hämoglobinreste noch vorhanden
sein können, die man durch ■weiteres Auswaschen entfernen
kann. Man soll aber auch die Gewebe nicht allzulange aus-
waschen und allzustark zertrümmern, sonst verliert man, z. B.
bei der Plazenta, leicht allzuviel von dem spezifischen fötalen
Gewebe und behält ein verhältnismässig gefäss- und binde-
gewebsreiches Substrat zurück. Bei Organen mit starker
Eigenfärbung, z. B. Leber und Niere ist das makroskopische
Aussehen unzuverlässig, weil diese Organe überhaupt nicht
weiss gewaschen werden können. Konstatiert man mikro¬
skopisch in Proben, dass keine Blutschatten mehr vorhanden
sind, so beweist das natürlich für die ganze übrige Masse des
Substrates nicht viel.
Deshalb ist es dringend notwendig, dass das hergestellte
Substrat mit einem Serum geprüft wird, das sicher Hämoglobin
abzubauen vermag. 1 ritt dann kein Abbau ein, so ist das
Substrat brauchbar. Im anderen Fall ist es unbrauchbar und
es muss von neuem mit neuem Gewebe die ganze Prozedur
wiederholt werden, wobei man aber, wie schon erwähnt, auch
wieder nicht unnötig lang auswaschen soll.
Deshalb wäre es wünschenswert, eine Methode zu be¬
sitzen, die es uns erlaubt, während der Herstellung der Sub¬
strate mit Sicherheit und genügender Empfindlichkeit festzu¬
stellen, wann der Moment erreicht ist, in dem alles Blut aus
dem Gewebe entfernt ist. Auch zur Prüfung der Seren, die
ebenfalls hämoglobinfrei sein sollen, wäre eine empfindlichere
Probe als es die bisher empfohlene spektroskopische ist,
■wünschenswert.
Wenn man nun die zahlreichen Vorproben und Proben,
die zum Blutnachweis zur Verfügung stehen, überblickt, so
scheiden von vornherein alle die Proben aus, die zum Nach¬
weis von trockenem Blut dienen oder grössere Mengen von
Blut erfordern. Weiter solche, die nicht spezifisch für Blut
allein sind, sondern wie z. B. die Guajaktinktur-Terpentin-
ölprobe, die alte Schönbein sehe Probe, die auch mit einer
ganzen Reihe anderer Stoffe positiv ausfällt. Ebenso fallen
natürlich die Blutkristallproben fort, denn zu ihrer Anstellung
bedarf es immerhin einer wenn auch geringen, so doch kon¬
zentrierten Menge eines Hämoglobinderivates. Es sollen hier
nicht die Vor- und Nachteile aller Blutproben erörtert werden.
In Betracht kommen nur solche Proben, die an flüssigen
Medien angestellt werden können, die sehr scharf und dabei
spezifisch für Blut und dabei in der Handhabung einfach sind.
Bis jetzt wmrde aus allen diesen Gründen nur die Spektro¬
skopie zum Nachweis des Hämoglobins benutzt. Aber die
Spektroskopie hat mehrere Nachteile. Es bedarf guter Instru¬
mente, guter Lichtquelle, um geringe Mengen Hämoglobin
nachzuweisen. Stets empfiehlt es sich, eine blutfreie Test¬
lösung als Kontrolle mit zu durchmustern und endlich muss die
Forderung aufgesfellt werden, die spektroskopisch durchsuchte
Flüssigkeit, also etwa ein Serum zu reduzieren, denn nur wenn
aus dem zw^eistreifigen Oxyhämoglobinspektrum das redu¬
zierte einstreifige Härnoglobinspektrum durch Zusatz eines
Reduktionsmittels entsteht, ist der Nachweis von rotem Blut¬
farbstoff gelungen. Der spektroskopische Nachweis also, dass
wenig oder gar kein Hämoglobin in einer Lösung sich be¬
findet, ist recht umständlich. Endlich ist auch die Spektro¬
skopie der jetzt zu erörternden Probe, die von uns gewählt
wurde, an Schärfe unterlegen.
Die Leukobase des Malachitgrüns (von K a h 1 b a u m
zu beziehen) teilt mit anderen Stoffen die Eigenschaft,
bei Anwesenheit von Blut das eine Sauerstoffatom einer
Wasserstoffsuperoxydlösung, welches durch das Hämo¬
globin katalytisch abgeschieden wird, aufzunehmen und
dann als stark färbender Stoff, in diesem Falle eben als
Malachitgrün zu wirken. Diese Eigenschaft des Leuko-
malachitgrüns ist zuerst von Franz Michel1) für den ge¬
richtlichen Blutnachweis benutzt worden. Michel gibt auch
die Angaben über die Herstellung der L.-M.-Reagentien, von
denen er zwei, ein stark und ein schwächer wirkendes,
beschreibt.
J) Cliemikerzeitung 35. Nr. 43 S. 389.
2094
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 42.
Wir haben beide Reagentien durchprobiert und kamen zu
dem Resultat, dass das L.-M. -Reagens „Stark keinen wesent¬
lichen Vorteil vor dem Reagens „Schwach besitzt. Dass es
dagegen nur wenig haltbar ist. Zwar kann man durch Auf-
schiitteln mit Chloroform *) die etwaige Eigengrünfärbung
entfernen, doch ist dieser Kunstgriff zeitraubender als die
Neuherstellung des Reagens selbst.
Wir haben also mit folgendem L.-M.-Reagens gearbeitet:
Von der Grundsubstanz, die auch noch brauchbar ist, wenn sie
etwa einen leicht grünlichen Farbenton angenommen hat und
die sorgfältig vor Feuchtigkeit und Licht geschützt werden
muss, wiegt man 0,1 ab, löst die Substanz in 25 ccm 30 proz.
Essigsäure bei Zimmertemperatur und fügt 100 ccm destil¬
lierten Wassers hinzu. Sobald vollständige Lösung, die einige
Zeit in Anspruch nimmt, eingetreten ist, ist das Reagens eine
völlig wasserklare Flüssigkeit ohne jede Eigengriinfärbung.
Zweckmässig erschien uns folgende Versuchsanordnung
zunächst beim Ausprobieren der Empfindlichkeitsgrenze: Von
den verschiedenen Blutlösungen wurden in gleichkalibrigen
Reagenzgläsern 10 ccm abgemessen und dazu 2 ccm des
L.-M.-Reagens und 1 ccm 3 proz. Wasserstoffsuperoxyd¬
lösung gefügt. Wir ermittelten durch diese Versuchsanord¬
nung, dass die Empfindlichkeitsgrenze bei einer Verdünnung
von 1 : 1 000 000 liegt. Bei dieser Verdünnung einer Blut¬
lösung tritt nach Zusatz der Reagentien eine für das Auge noch ,
wahrnehmbare Grünfärbung auf. Bei höheren Konzen¬
trationen von Blutlösungen entstehen Farbtöne vom dunkel¬
sten Grün, die bei schwächer werdender Konzentration
auch ganz gleichmässig heller werden, bis eben die Empfind¬
lichkeitsgrenze erreicht ist. Diese Abstufung der Farbentöne
ist ein besonderer Vorzug der L.-M.-Reaktion. Es braucht
nicht hervorgehoben zu werden, dass eine Blutlösung etwa
von der Konzentration von 1 : 500 000 keinen spektro¬
skopischen Blutnachweis mehr gibt, aber noch sehr deutliche
L.-M.-Reaktion.
Das einmal hergestellte L.-M.-Reagens hält sich bei Licht¬
abschluss ca. 2 Wochen. Zudem ist seine Herstellung, wie
sie oben beschrieben wurde, so wenig zeitraubend, dass man
es vor wichtigen Reaktionen bei der Prüfung des Wasch¬
wassers der Substrate sich neu bereiten mag oder es an einer
Testblutlösung auf seine Wirksamkeit und mit destilliertem
Wasser auf etwa entstandene Eigenfärbung prüft.
Von Lochte und Fiedler2 3) war bereits die Spezifität
des L.-M.-Reagens geprüft worden. Speichel, Sperma, Milch,
blutfreier Auswurf und Urin sowie eine Reihe anderer Stoffe
ergeben die Reaktion nicht. Galle erst nach längerer Zeit.
Wir stellten durch unsere Vorversuche fest, dass die Reaktion
allmählich an Intensität zunimmt. Man muss deshalb für die
Entscheidung, ob Blut vorliegt, eine kürzere Zeit die Reaktion
abwarten. Tritt sie nach wenigen Minuten nicht ein, sondern
erst später, so gilt sie als negativ, weil nach mehreren
Stunden das Reagens auch ohne Anwesenheit von Blut nach
Verdünnung und Versetzen mit H2O2 eine Grünfärbung an¬
nimmt. Eine weitere Stütze der Spezifität der Reaktion er¬
hielten wir dadurch, dass Versuche mit hocheiweisshaltigen
Muskelaufschwemmungen eines hämoglobinfreien aber eisen¬
haltigen Tieres, des Flusskrebses, mit dem L.-M.-Reagens
völlig negativ ausfielen (s. 0.).
Die Ausführung der Reaktionen gestaltet sich nun wie
folgt: Von der zu prüfenden, möglichst konzentrierten Wasch¬
flüssigkeit der Organe wurden 10 ccm entnommen, mit 2 ccm
L.-M.-Reagens versetzt und dazu 1 ccm 3 proz. HaOs-Lösung
zugefügt. Die Ablesung erfolgt nach etwa 5 Minuten. Doch
können auch geringere Mengen Waschwasser verwendet
werden. Bei Seren ist man ja oft gezwungen, mit wenigen
Kubikzentimetern auszukommen. Von den Reagentien fügt
man dann nuj die halben Quantitäten hinzu.
Wir haben nun mit der Reaktion folgende Untersuchungen
angestellt. Zunächst wurde geprüft, ob ein sicher hämoglobin¬
haltiges Waschwasser eine deutliche Farbenreaktion gibt,
2) Lochte: Handbuch der gerichtsärztlichen und polizeiärzt¬
lichen Technik, Abschnitt von E. Ziemke: Untersuchung von Blut¬
spuren, S. 172.
3) Aerztl. Sachverst.Ztg. 1913 Nr. 21.
*) Vergl. Baldoni: Beitrag zur biologischen Kenntnis des
Eisens. Archiv f. exp. Path. u. Pharm. 52. 1905. S. 61.
wobei noch festzustellen war. ob diese Reaktion allein auf
das Hämoglobin zu beziehen ist und ob nicht andere im Sub¬
strat enthaltende Stoffe gleiche Farbenreaktion hervorrufen
können. Ferner wurde geprüft, ob es gelingt, Substrate so
auszuwaschen, dass diese empfindlichste Reaktion negativ
wurde. Weiter wurde die Reaktion auch auf die Prüfung
schon fertiger Präparate, die frei von Stoffen waren, die mit
Ninhydrin reagieren, ausgedehnt, und schliesslich wurde die
Reaktion auch für die Prüfung der Sera verwendet.
Die Versuche hatten folgenden Verlauf: Zunächst wurde
ein Gewebe — es wurde Plazenta verwendet — nach den be¬
kannten Vorschriften ausgewaschen, von Zeit zu Zeit das Sub¬
strat mit wenig Wasser in der Reibschale zerrieben und mit
dem abfiltrierten Wasser in der beschriebenen Weise die
Reaktion angestellt. Die entstandene Grünfärbung wurde
ganz entsprechend den Fortschritten beim weiteren Aus¬
waschen allmählich heller. Es ist aber bemerkenswert, dass
die L.-M.-Probe doch noch deutlich positiv war, als das Sub¬
strat schon schneeweiss gewaschen war und nach seinem
Aussehen nicht mehr zu beanstanden gewesen wäre. Es ge¬
lang aber schliesslich, das Präparat so auszuwaschen, dass
auch kleinste Mengen Waschwasser, in denen das Substrat
in der Reibschale intensiv zerquetscht worden war, negative
Reaktion gaben.
Besonders gut gelang das nach der Auslaugung des
Präparates und Zerreibung mit festem Kochsalz. Es versteht
sich, dass das dann zur Reaktion verwendete konzentrierte
Waschwasser kochsalzfrei war. Uebrigens hindert die An¬
wesenheit von Kochsalz die Reaktion nicht.
Damit war gezeigt, dass es gelingt, ein Substrat so aus¬
zuwaschen, dass mit der verwendeten empfindlichsten Probe
kein Hämoglobin mehr nachzuweisen war. Da, wie erwähnt,
das zur Reaktion verwendete Waschwasser nur wenige
Tropfen betrug, in denen noch das Substrat mit dem Pistill
lange Zeit und energisch verrieben und zerquetscht wurde,
so waren die Bedingungen für die Reaktion die denkbar
schärfsten und es darf daraus geschlossen werden, dass nun
im ganzen Substrat, auch nicht im Innern oder einzelnen
Teilen — im Gegensatz zur mikroskopischen Prüfung — kein
Hämoglobin mehr vorhanden war. Es muss besonders betont
werden, dass der Moment des Nachweises der Hämoglobin¬
freiheit beträchtlich später erreicht wurde als das makro¬
skopisch schneeweisse Aussehen des Substrats. Daraus darf
geschlossen werden, dass manches für blutfrei gehaltene
Präparat diese Eigenschaft nicht besitzt. Durch weitere unten
beschriebene Untersuchungen konnte dies in der Tat nach¬
gewiesen werden. Es ist daher unerlässlich, Substrate, die
nicht in der hier angegebenen Weise auf Hämoglobinfreiheit
geprüft worden waren, nach der Forderung von Abder¬
halden vorher einzustellen mit Seren, die gegen Blut ge¬
richtete Fermente besitzen.
Um nachzuweisen, dass nicht etwa andere, schwerer als
Hämoglobin auszuwaschende Stoffe die L.-M.-Reaktion er¬
zeugen, wurde mit den Organen eines hämoglobinfreien
Tieres dieselbe Reaktion angestellt. Hierzu wurden Organe
und Muskelfleisch des Flusskrebses verwendet. Es ergab sich,
dass die L.-M.-Reaktion stets und von Anfang an ohne jedes
Auswaschen negativ ausfiel. Eine positive Reaktion darf also,
wohl in der Tat auf das Hämoglobin bezogen werden.
Es wurde nun versucht, mit der Methode auch schon
fertige Substrate, die also nach Vorschrift ausgekocht waren,
bis das Kochwasser keine mit Ninhydrin reagierenden Stoffe
mehr enthielt, in denen etwaiges Hämoglobin nicht mehr in
wasserlöslicher Form vorlag, auf Hämoglobinbeimischung zu
prüfen. Zu diesem Zweck wurden Teile der Präparate mit
20 proz. Essigsäure gekocht und mit dem Kochwasser die
L.-M.-Reaktion angestellt. Es zeigte sich in der Tat, dass:
Substrate, die mit blutabbauenden Seren eingestellt und als
brauchbar erkannt waren, auch mit L.-M. negative Reaktion
gaben. Bei anderen Substraten dagegen, die zwar für ein¬
wandfrei gehalten, aber nicht eingestellt waren und die uns
von anderer Seite überlassen wurden, haben wir zum Teil
noch deutliche L.-M. -Reaktionen erhalten.
Die L.-M.-Reaktion gibt uns nun ein Mittel in die Hand.
I schon bei der Herstellung der Substrate mit genügender
20. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2095
Sicherheit zu erkennen, ob sie hämoglobinfrei sind oder nicht.
Die Reaktion zeigt uns deutlich an, wie lange wir auszu-
waschen haben und erspart uns andererseits auch wieder ein
zu langes Auswaschen, was, wie schon erwähnt, für die
Brauchbarkeit der Substrate nicht förderlich ist. Die Prüfung
während der Herstellung mit der L.-M.-Reaktion ist natürlich
Jer nachträglichen Prüfung der schon fertigen Präparate nach
Extraktion mit Essigsäure vorzuziehen, schon deshalb, weil
die letztere natürlich nicht mit dem ganzen Substrat, sondern
nur mit Proben angestellt werden kann und der Schluss von
Teilen auf das ganze immer unsicher bleibt.
Endlich wurden auch die Seren der L.-M.-Reaktion unter¬
worfen. Dabei zeigte sich zunächst, dass die Reaktion zwar
der spektroskopischen Prüfung wenigstens unter Verwendung
der gebräuchlichen kleineren Apparate in ihrer Empfindlichkeit
iberlegen ist. Sie lässt Hämoglobinbeimischungen, die spek¬
troskopisch nicht mehr wahrnehmbar waren, noch deutlich
erkennen. Immerhin ist im Serum der Ausfall nicht so scharf,
ils wenn die Reaktion mit wässerigen Hämoglobinlösungen
ingestellt wird. Bei wässerigen Hämoglobinlösungen be¬
kommen wir. ganz entsprechend der Verdünnung, auch ent¬
sprechende Farbenabstufungen mit der Reaktion. Mit Serum
sind diese Unterschiede viel weniger deutlich. Es mag dahin¬
gestellt bleiben, ob dabei die Eigenfarbe des Serums stört
>der ob kolloidale Substanzen hemmend einwirken. Denkbar
wäre auch, dass das zur Reaktion beigegebene Wasserstoff¬
superoxyd von anderen Stoffen des Serums an sich gerissen
.vird und dadurch die Reaktion an Intensität einbüsst. Trotz-
iem scheint uns aber die L.-M.-Reaktion auch zur Prüfung
ies Serums die empfindlichste auf Hämoglobin zu sein.
Es hat sich nun bei der Prüfung mit L.-M. gezeigt, dass
ille Seren, die nicht mit der peinlichsten Vorsicht behandelt
vurden, deutliche L.-M.-Reaktionen gaben. Schon ein vor¬
sichtiges Ablösen des Blutkuchens etwa mit einem dünnen
ilasstab z. B. genügt vollkommen, um mit der Reaktion ge-
östes Hämoglobin im Serum nachweisen zu können.
Es ist also erforderlich, dass Blut und Serum vom Moment
ler Entnahme ab mit der grössten Vorsicht behandelt wird.
Jas Serum muss spontan absetzen. Alle weiteren Mani-
nilationen erhöhen den Hämoglobingehalt. Wir haben eine
^eihe von Seren, die uns von anderer Seite als einwandfrei
:ewonnen überlassen wurden, mit der L.-M.-Reaktion nach-
;epriift und dabei zum Teil tiefgrüne Färbungen erhalten,
du besten hat sich uns das spontane Absitzenlassen des
ierums in sterilen kleinen Spitzgläsern, die mit sterilen Uhr-
chalen bedeckt wurden, bewährt. Lässt man das Serum in
.eschlossenen Qefässen, z. B. wie das vielfach geschieht in
Erlenmeyerkolben, absitzen, so kann man leicht beobachten,
lass durch Verdunstung an der Glaswand sich kleine Wasser-
ropfen niederschlagen. Kommen beim Absitzen des Serums
lann rote Blutkörperchen mit solchen Wassertropfen in Be-
ührung, so tritt sofort Hämoglobinlösung ein. Die L.-M.-
^eaktion ergibt dann in diesen Fällen starke Grünfärbung.
Trotzdem die Reaktion im Serum, wie schon erwähnt,
licht so exakt eintritt wie mit wässeriger Hämoglobinlösung,
o gibt uns doch die Reaktion ein ausgezeichnetes Mittel an
lie Hand, Fehlerquellen, die auf hämoglobinhaltigem Serum
eruhen, sofort mit Sicherheit zu erkennen und zu eliminieren.
Bei der. Gewinnung des Serums sind wir schliesslich so
orgegangen, dass wir das Blut aus der Vene mit dicker
Vassermannkaniile direkt in die kleinen sterilen Spitzgläser
laben einlaufen lassen, wobei wir auch jeden Anprall des
hutstrahles an die Glaswand zu vermeiden gesucht haben.
Jas Serum Messen wir dann bei Zimmertemperatur 6 bis
Stunden ganz spontan absitzen, gossen es vorsichtig ab und
entrifugieren in sterilen Röhrchen lieber mehrfach und nicht
nit allzu hoher Tourenzahl. Jede Beschleunigung des Ab-
itzens ist zu vermeiden. Wenn man steril arbeitet, braucht
ian, auch wenn viele Stunden vergehen, bis das Serum sich
bgesetzt hat, keine bakterielle Zersetzung zu fürchten.
Die so gewonnenen Seren reagieren mit L.-M. zum Teil
egativ. Teilweise allerdings trat auch bei diesen eine ganz
chwache positive Reaktion auf. Es scheint, dass eben jede
Zerstörung von Erythrozyten bei der Gewinnung und Ver¬
leitung des Serums nicht in allen Fällen völlig vermieden
werden kann. In der Kanüle kommt es zu Reibungen. Auch
bei der Berührung des Blutstrahles mit der Glaswand des
Auffanggefässes können rote Blutkörperchen geschädigt
werden. Das lässt sich eben nicht verhindern. Dahingestellt
mag bleiben, ob unter Umständen Spuren von Hämoglobin
schon in der Blutbahn gelöst im Serum vorhanden sind.
Enthält nun das Serum blutabbauende Fermente, so
können natürlich auch diese mit der L.-M.-Reaktion eben
nachweisbaren Spuren abgebaut werden. Die Hämoglobin¬
mengen sind dann aber in diesen Fällen so geringe, dass die
Abbauprodukte unter dem Schwellenwert liegen und mit Nin-
hydrin keine Reaktion erzeugen. Das beweisen die Kontrollen
mit Serum allein. Addiert sich aber nun zu dem Hämoglobin¬
fehler des Serums noch ein solcher des Substrats, so kann der
Schwellenwert überschritten werden. Wir erhalten dann eine
Fehlreaktion bei Anwesenheit von blutabbauenden Fermenten.
Da trotz peinlichen Arbeitens das Serum nicht immer völlig
hämoglobinfrei erhalten wird, so folgt daraus, dass in der Tat
minimalste Blutbeimischung zum Substrat Fehlreaktionen er¬
zeugen können. Auch aus dieser Ueberlegung folgt, dass in
der Fat die absolute Blutfreiheit der Substrate unumgänglich
notwendig ist.
Zusammenfassend glauben wir, dass wir in der
L.-.M.-Reaktion, angestellt in der angegebenen Form, die
schärfste und zuverlässigste Prüfung besitzen, um die Hämo¬
globinfreiheit der Seren und Substrate erkennen und nach¬
weisen zu können. Unsere Untersuchungen haben uns ferner
gelehrt, dass die Fehlerquelle, die in Verunreinigung der
Seren und Substrate durch Hämoglobin zu suchen ist, in einer
grösseren Anzahl von Fällen vorhanden ist. als es wohl viele
Untersucher anzunehmen geneigt waren. Die L.-M.-Reaktion
ist geeignet, Fehlerquellen in dieser Richtung, die sonst leicht
verborgen geblieben wären, rasch und sicher aufzudecken.
Aus dem Institut für Krebsforschung in Heidelberg
(Direktor: Exzellenz Czerny),
Ueber die Gerinnungshemmung durch Luessera
(Hirschfeld und Klinger) und die chemische
Natur des Zytozyms.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Dr. ErnstFränkel und cand. med. F e 1 i c i a Th i e 1 e.
Aeussere Umstände zwingen uns, über die noch nicht völlig
abgeschlossenen Versuche zu berichten *). Die interessanten
Untersuchungen von Hirschfeld und Klinger2) über
die Beziehungen zwischen Gerinnungsphänomenen und Im¬
munitätsreaktionen veranlässten uns zunächst zu einer Nach¬
prüfung der von ihnen angegebenen Luesreaktion. Die ge¬
naue Beschreibung der Methode wurde uns von Hi r Seh¬
feld freundlichst überlassen und erleichterte uns das Ein¬
arbeiten sehr. Das Oxalatplasma wurde vom Hammel ge¬
wonnen, dann aus einem Teil desselben durch Ausfällen des
Fibrins mit CaCh das Serozym (Thrombogen) dar¬
gestellt und als Zytozym Meerschweinchenherzextrakt von
Merck (Thrombokinase) in Verdünnung mit NaCl ver¬
wendet. Das Zytozym (V20, 1Uo — Vigo ccm) wurde mit
V io ccm Luesserum (1 Stunde bei 50° inaktiviert) gemischt
und dann 1 Stunde zusammen gelassen. Darauf wurde 1 ccm
einer 5 proz. CaCL-Lösung in physiologische NaCl hinzu¬
gefügt sowie 0,5 ccm des 2 Stunden vorher auf Vs verdünnten
Serozyms. Eine Viertelstunde später fügten wir als Fi¬
brinogen 1 ccm verdünntes Oxalatplasma (1 Teil + 1 Teil
Na-Oxalatlösung + 3 Teile physiologische NaCl-Lösung) hinzu
und beobachteten den Zeitpunkt der Gerinnung.
In Uebereinstimmung mit Hirschfeld und Klinger
fanden wir nun fast stets in den untersuchten Fällen (ca.
70 Fälle) eine Uebereinstimmung mit der Wassermann-
schen Reaktion, d. h. bei den nach Wassermann positiv
reagierenden Fällen war ein Ausbleiben oder eine Verzöge¬
rung der Gerinnung gegenüber den negativen Fällen nach-
V Die Fortführung der Versuche und der ausführliche Bericht
darüber soll durch F. Thiele erfolgen
2) Zschr f. Immun. Forsch. 20 und 21. D. Kongr. f. inn. Med.
1914. Ref. M.m.W. 1914 Nr. 21 S. 1192.
2096
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 42.
zuweisen. Hierbei sind diejenigen Fälle nicht berücksichtigt,
die durch nachweisbare Fehler ein Fehlresultat ergaben.
Als Fehlerquelle sei angeführt: 1. Zytozymgehalt des
Scrozyms; die Kontrolle mit Serozym, CaCh, Oxalatplasma
gerinnt dann ohne Zytozymzusatz.
2. Zytozymgehalt des Patientenserums: so kann ein altes,
nicht steriles, nicht genügend inaktiviertes oder nicht völlig
zellfrei gemachtes Serum auch Gerinnung verursachen, trotz¬
dem es sich um Lues handelt.
Ein absolutes Mass für die Gerinnungszeit zu geben,
scheint uns deswegen nicht zweckmässig, weil die Ge¬
rinnungszeit sehr von der wohl etwas wechselnden Stärke
des Serozyms abhängt. Jedoch dürfte in den meisten Fällen
die als Grenze von Hirschfeld angegebene Zahl von
15 Minuten zutreffen. Doch empfiehlt es sich, einige sicher
positive und sicher negative Sera stets mitzuführen und die
Beurteilung nach dem Ausfall dieser Kontrollen zu richten.
Ebenso gut oder besser noch als das Merck sehe Meer¬
schweinchenextrakt, bewährte sich bei uns ein
alkoholischer Rinderherzextrakt (1 g+ 10 ccm
Alkohol) als Zytozym. Dagegen misslangen einige
Versuche, die mit alkoholischen Karzinom- und Pla¬
zentaextrakten angestellt wurden, um eine der Kom¬
plementbindung analoge Reaktion für Karzinom und Gra¬
vidität zu erhalten.
Auch hier stellte sich heraus, dass immer wieder Lues¬
sera das Zytozym zerstörten und dadurch die Gerinnung ver¬
hinderten.
Wir haben nun in Analogie zu den von Klein und
F r ä n k e P) angestellten Untersuchungen über die wirksamen
Bestandteile der Wassermannantigene bei dem alkoholischen
Rinderherzextrakt einige Versuche angestellt und gefunden,
dass die Zytozymwirkung der ätherlöslichen Fraktion dieses
Extraktes zukommt, der die Lipoide (Phosphatide) neben
einem von Klein und F r ä n k c 1 als jekorinähnliche Sub¬
stanz bezeichneten Körper enthält. Diese Fraktion hatte ent¬
weder dieselbe oder sogar noch eine bessere Zytozymwirkung
als der Alkoholextrakt selbst. Auch bei ihr zeigte es sich,
dass die Wirkung durch Luesserum zerstört wurde, durch
Normalserum nicht. Dagegen hatte die azetonunlösliche Frak¬
tion der Aetherfraktion eine weit schwächere und, wenn sie
mehrfach mit Alkoholfällung gereinigt war, gar keine Zyto¬
zymwirkung. In dieser Fraktion aber sind die Phosphatide * 4)
vollständig enthalten, dagegen der jekorinartige Bestandteil
daraus entfernt. Schliesslich konnten wir nachweisen, dass
der jekorinhaltige Bestandteil allein, der nur schwer von den
Phosphatiden zu trennen war, die volle Zytozymwirkung
hatte. Zusatz von Cholestearin zeigte in einigen Versuchen
(nicht ganz konstant) eine Verzögerung der Gerinnung und
der Zytozymwirkung in der ätherlöslichen und der Jekorin-
fraktion. In einem Versuch zeigte auch die azetonunlösliche
gereinigte Fraktion eine schwache Zytozymwirkung. Jedoch
konnte diese nur als eine beschleunigende Wirkung gedeutet
werden, wie die Kontrolle zeigt, da das Serozym selbst eine
Spur Zytozym enthielt und nach 3 Stunden ohne Zusatz von
Zytozym gerann.
Es ergibt sich also aus unseren Versuchen,
dass die Zytozymwirkung (Thrombokinase)
im wesentlichen der ätherlöslichen Fraktion
resp. der darin enthaltenen, jekorinähn liehen
Substanzzukommt.
Rhythmische Vorhoftachysystolie und Pulsus irregularis
perpetuus.
Von Prof. H. E. Hering in Köln.
(Schluss.)
Durch meine oben geäusserte Anschauung, dass der P. i. p.
vom Vorhofabschnitt des atrioventrikulären
Reizleitungssystem ausgehen kann, rücken
s) M.m.W. 1914 Nr. 12.
4) Nach Abschluss unserer Versuche erschien eine Mitteilung
von Stüber und Heim: M.m.W. 1914 Nr. 30, welche die Thrombo-
kinasewirkung auf Lipase und Fettsäuren zuriiekführen. Es wird nun
festuzstellen sein, ob diese in der von uns als jecorinähnlich bezeich-
ncten Fraktion enthalten sind.
auch die Ergebnisse der p a t h o 1 o g i s c h - a n a -
tomischen Untersuchungen in Fällen von
P. i. p. in ein etwas anderes Licht.
Das Bestreben der pathologischen Anatomen ging bis jetzt
immer vorwiegend dahin, beim P. i. p. Veränderungen des
Sinusknoten ausfindig zu machen. Die Untersuchungen
von K e i t h, S. .Schönberg, W. Koch, H e d i n g e r,
Freund und 1913 von Berger19) ergaben unter anderem,
dass „es einen P. i. p. ohne anatomisch nachweisbare Läsion
des Sinusknotens gibt“. Ich *’°) habe schon im Oktober 1912
folgendes betont: „Nach meinen Erfahrungen am Säugetier¬
herzen hat das Vorhofflimmern, auf welchem nach Roth-
b e r g e r und Winterberg sowie Lewis der Irregularis
perpetuus beruht, mit dem Sinusknoten notwendigerweise
nichts zu tun. Ausser dem Sinusknoten gibt es, wie ich immer
hervorgehoben habe, sicher noch andere supraventriku¬
läre Stellen besonderer Reizbildungsfähigkeit; eine solche
Stelle ist die Vorhofbündelgegen d.“
Es sei nun hinzugefügt, dass die Fälle von rhythmischer
Kammerbradysystolie bei Vorhofflimmern, auf die im April
1910 einerseits ich21), andererseits Th. Lewis und Garwin
Mack 22) aufmerksam machten, darauf hinweisen, dass in
diesen Fällen das atrioventrikuläre Reizleitungssystem der An¬
griffspunkt des pathologischen Koeffizienten ist23). Es sei ferner
erwähnt, dass von Freund „in allen Fällen von P. i. p. sklero-
sierende Prozesse im atrioventrikulären Reizleitungssystem
gefunden wurden.“
Wenn ich gesagt habe, dass nach unseren Erfahrungen
am Säugetierherzen der Sinusknoten mit dem P. i. p. not¬
wendigerweise nichts zu tun hat, so heisst das so viel, als dass
Vorhofflimmern auch bei anatomisch intaktem Sinusknoten auf-
treten kann, womit die Befunde von Berger übereinstimmen.
Damit will ich aber durchaus nicht ausschliessen, dass die Er¬
krankung des Sinusknotens das Auftreten von Vorhofflimmern
begünstigen kann, denn wird experimentell oder durch patho¬
logische Prozesse die Funktion des Sinusknotens ausgeschaltet,
so schlägt das Herz heterotop, und zwar ist dann die Ausgangs¬
stelle der Herzreize zunächst gewöhnlich die Vorhofbündel¬
gegend, also jene Stelle, die ich besonders als' Ursprungsort
der Vorhoftachysystolie wie des Vorhofflimmerns ansehe. Fs
wäre endlich hinzuzufügen, dass ein negativer pathologisch¬
anatomischer Befund nicht gegen diese Anschauung verwertet
werden darf, denn wir können, was ich so oft schon betont
habe, alleHerzunregelmässigkeiten am Säuge¬
tierherzen hervorrufen, ohne dass der patho¬
logische Anatom mit seinen Mitteln an den
betreffenden Herzen etwas Pathologisches
nachweisen kann.
Wie ich21) 1912 besonders ausführte, sind, wie zu jedem
Geschehen, auch zum Zustandekommen des Flimmerns minde¬
stens 2 Koeffizienten25) erforderlich: die Disposition und
die Ä u s 1 ö s u n g. Diese beiden Koeffizienten lassen sich
natürlich leichter experimentell studieren und trennen als kli¬
nisch.
Nach meinen Erfahrungen in Prag waren es (wie schon
in früheren Mitteilungen erwähnt) vorwiegend Klap¬
penfehler und von diesen hauptsächlich solche des linken
venösen Ostiums, die den P. i. p. zeigten; nächstdem
Koronarsklerose und Nephritis.
19) D. Arch. f. klin. M. 112. 1913. S. 300. Hier die übrige
Literatur.
->0) W.kl.W. 1912 Nr. 40.
21) Vh. d. Kongr. f. inn. M. 1910 S. 626; siehe auch J. R i b '•
Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 13. S. 461; ferner Gerhardt, Zbl.
f Herzkrankh. 1910 Nr. 10, 11.
22) Quart. Journ. of Med.. April 1910 Vol. 3 Nr. 11 p. 273.
23) Bezüglich der Kombination von rhythmischer Vorhoftachy-
systolie mit rhythmischer Kammerbradysystolie verweise ich auf den
weiter oben erwähnten Fall von D o n z e 1 o t und P e z z i.
2i) M.m.W. 1912 Nr. 14 u. 15.
25) Obwohl ich mich schon so oft bemüht habe, darauf hinzu¬
weisen, dass beim Zustandekommen der Funktionsstörungen des
Herzens immer mehrere Koeffizienten beteiligt sind, wird diese so¬
zusagen selbstverständliche Tatsache von den Aertzen immer noch
viel zu wenig beachtet und in ihrer Bedeutung gewürdigt, was auch
für die Beurteilung der pathologisch-anatomischen Befunde gilt.
20. Oktober 191 4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2097
Zwei Umstände, die nach meinen experimentellen Er¬
fahrungen zum Flimmern disponieren, die Ausdehnu n g
eines Herzabschnittes und die Dyspnoe M), finden wir be¬
kanntlich auch bei den Herzkranken, die Ausdehnung der Vor-
höfe besonders bei den Mitralfehlern. Ferner wissen wir, dass
\ ag userregung zum Flimmern disponiert. Zwischen der
Dyspnoe und der Vaguserregung besteht wieder eine Be¬
ziehung, indem erstere den Vagus stärker erregt, und zwar
nicht nur zentral, sondern auch peripher.
A^ch wenn von Digitalis Verabreichung eine
Vorhoftacnysy stolie in Vorhofflimmern übergeht (siehe weiter
oben) wird Vaguserregung daran Anteil haben (siehe weiter
unten). Da wir beim Menschen feststellten, dass der Vagus bei
rhythmischer V orhoftachysystolie chronotrop nicht wirkt,
scheint dies jenei Ansicht zu widersprechen; dies ist jedoch
nicht der Fall, da der Vagus in diesen Fällen auch bei fehlen¬
der chronotroper Wirkung immer noch dromotrop und inotrop
wirkte. —
Die Frage nach dem Ausgangsorte des Vorhofflimmerns
berührt auch die Frage nach dem Ausgangsorte des K a m -
in e r fl immer ns, welches ich als die Ursache ganz plötz-
!i£hS4er Todesfälle beim P. i. p. schon seit 1906 an¬
sehe ) u. ). Dieses Kammerflimmern dürfte auch von dem
Reizleitungssystem ausgehen, und zwar dürften hier die Orte
vom sogen. Kammerabschnitt des Tawaraknotens bis zu den
Verzweigungen der I awaraschenkel in Betracht kommen.
v T r e n d e I e n b u r g "’) äusserte bezüglich des überdauernden
Kammerthmmerns im Anschluss an Froschherzversuche 1903 folgende
erinutung. „Ueberdauert das Flimmern die Reizung, so ist dies
vielleicht dadurch bedingt, dass Stromschleifen die venösen Ostien
erreichten und von diesen aus dauernde Reize von so hoher Fre¬
quenz ausgehen. ' Diese Vermutung ist für die Entstehung des Kam-
tnerthmmerns allerdings nicht zutreffend, denn beim Kammerflimmern
muss der Reizort der Kammer näher liegen.
pi F\B‘ Hof mann28) meinte 1905: „Werden bei der Reizung
Elemente mit betroffen, welche die Eigenschaft besitzen, einen kurz¬
dauernden Reiz mit anhaltenden rhythmischen Erregungen zu be¬
antworten. so kann das Flimmern die Reizung überdauern.“ Er ver¬
weist da unter anderem auf den Atrioventrikulartrichter des Frosch¬
herzens.
Kürzlich ist L. Haberlandt 29), ein Schüler Trendelen-
i u r g s, ebenfalls auf Grund von Versuchen an Froschherzen zu der
von ihm weiter gestützten, eben erwähnten Auffassung gekommen,
aass das den Reiz überdauernde Wühlen und Wogen der Kammer
vom atrioventrikulären Verbindungssystem ausgeht.
Wie aus meinen Ausführungen 'hervorgeht, stimme ich dieser
Auttassung auch für das Säugetierherz bei; bei ihm ist es möglich,
-■ine weitergehende Analyse vorzunehmen, da das Reizleitungssystem
Jmerenzierter ist als beim Kaltblüterherzen. Da ich30) 1910 zeigen
<onnte, dass die Verzögerung der Erregungsüberleitung von den Vor¬
boten zu den Kammern des Säugetierherzens im T a w a r a sehen
\noten erfolgt, bildet dieser demnach gewissermassen ein Grenz-
?,e “ 1 e H oberhalb desselben können die Reizbildungsstellen
y o r h o f flimmern, unterhalb jenes Grenzgebietes Kammer-
litnmern auslösen. Dieses Grenzgebiet liegt vielleicht dort, wo
Asch off eine Uebergangszone von dem Vorhofabschnitt zum
vammerabschnitt des 1 a w a r a sehen Knotens beschrieben hat.
Im Anschluss an den Ausgangsort des Vorhof- bzw. Katn-
nerflimmerns sei noch die Frage erörtert, ob das Flimmern
uif einer monotopen oder polytopen Reizbildung be-
'uht?
Ich habe eine polytope Reizbildung angenommen und für das
Ummerflimmern auch den Beweis 1912 dadurch geliefert, dass ich2'1)
be flimmernden Kammern grosser Hundeherzen in eine Anzahl Teile
erschnitt, worauf jeder Teil einige Zeit für sich weiter flimmerte,
i ersuche, die ich mit gleichem Erfolge seitdem wiederholte. An den
► ornofen konnte ich diese Durchschneidungsvcrsuche deshalb noch
ucht ausführen, da wir kein genügend sicheres Mittel besitzen, um
.in w ^sprechend lang andauerndes Vorhofflimmern hervorzurufen,
vueh kann man jene Durchschneidungsvcrsuche nur an solchen Her-
Erfolg ausführen, bei welchen die Durchschneidung nicht ein
>istieren des Flimmerns zur Folge hat, wie dies z. B. gewöhnlich bei
'anmehen oder Katzenherzen zu beobachten ist.
) Auch lokale Gewebsdyspnoe durch Thrombosen und Em-
’OJien der Koronargefässe kommen hier in Betracht. Als disponierend
\aren auch Aenderungen im Salzgehalt des Blutes und des
erz5-I\Sr^n‘c^lt zu versessen, worauf ich schon öfters hinwies.
) Frag. m. Wschr. 38. 1913. Nr. 38.
Z\ Hagels Handbuch der Rhysiol. 1. 1905. S. 240.
) Zschr. f. Biol. 61. N. F. 43. S. 1; ferner 63. N. F. 45. 1913.
\ 305.
**) Pflügers Arch. 131. 1910. S. 572.
Nr 42.
Für die polytope Reizbildung beim Flimmern spricht ferner eine
Erscheinung, die mir in den Elektrokardiogrammen flimmernder Herz-
abschnitte atifgcfallcn ist und die an jene erinnert, welche in der
Akustik als S c h w e b u n g e n bezeichnet werden, die bekanntlich
tturcli die Interferenz von Schwingungen verschiedener Schwin¬
gungszahlen entstehen. Zur Analyse dieser Erscheinung habe ich fol¬
genden Versuch gemacht: Mehrere ausgeschnittene schlagende
rroschlierzen wurden in ein mit R i n g e r scher Lösung gefülltes
J. asKefass gelegt und aus der Flüssigkeit zum Saitcngalvanomctcr
abgeleitet. Die Kurven, die ich nach weiterer Fortsetzung der Ver¬
suche veröffentlichen will, waren ähnlich denen, die man beim Flim¬
mern erhält, und enthielten solche Schwebungen aus der Interferenz
mehrerer Rhythmen. Uebrigens habe ich solche Interferenzschwe-
yungen a u c h an den mechanischen Oszillationen der Suspen¬
sionskurve flimmernder Kammern des Hundeherzens beobachtet31).
Dabei möchte ich, wie schon kürzlich auf dem Kongress
fiii innere Medizin, davor warnen, aus der Osziillationsfrequenz
im Elektrokardiogramm ohne weiteres auf die Reizfrequenz
einen Schluss zu ziehen, besonders dann nicht, wenn die Oszil¬
lationen unregelmässig sind. So erinnere ich daran, dass ich
wiederholt Spaltungen der Vorhofzacke im Elektrokardio¬
gramm beschrieben habe, wo zwei Oszillationen einem Reiz
entsprechen; auch im Kammerelektrokardiogramm kommen
bekanntlich solche Spaltungen vor. Fasst man jede Oszilla¬
tion als einem Reiz entsprechend auf, dann kommt man zu
abnorm hohen Reizfrequenzen.
Eine ziemlich regelmässige elektrische Oszillationskurve eines
feinen Ven t r i k el f 1 i m m er n s haben z. B. J. Rothberger
Uüd T Winterberg in Fig. 4 ihrer Mitteilung32) vom Jahre 1910
abgebildet. Die Zahl der Oszillationen beträgt dort nach meiner
Berechnung 13—14 pro Sek. bzw. 780—840 pro Min. Ob dieser
üszilationsfrequenz jedoch auch eine ebenso hohe Reiz frequenz ent¬
spricht, möchte ich ganz dahingestellt sein lassen.
Wir ) haben beim V o r h o f flimmern des Kaninchenherzens an
der Venenpulskurve mechanische Oszillationen von 780 — 820 in
der Minute beobachtet, eine Zahl, welche zufällig der ebenerwähnten
elektrischen Oszillationsfrequenz an den Kammern der Hundeherzen
entspricht, und auch der Frequenz von 700 gleicht, die Th. Lewis31)
im Vorhofelektrogramm beim Flimmern der Vorhöfe des Hunde¬
herzens beobachtete. Ich habe aber auch noch höhere elek¬
trische Oszillationsfrequenzen beobachtet, so z. B. 1200 Oszillationen
bei Vorhofflimmern des Hundeherzens nach Vagusreizung. Diese
hohen Oszillationsfrequenzen kann ich, so lange nicht der Nach¬
weis geliefert, nicht als den Ausdruck einer so hohen Reizfrequenz
einer monotopen Reizbildung ansehen; denn auch die der Fre¬
quenz nach etwa übereinstimmende Zahl der elektrischen und mecha¬
nischen Oszillationen liefern dafür keinen Beweis. Auch folgendes
spricht nicht dafür. Ein grobschlägiges Flimmern kann z. B. durch
Vagusreizung zu einem feinschlägigen werden, bei welchem die Oszil¬
lationsfrequenz z u n i m in t, z. B. bis 1200. Vagusreizung setzt aber
bekanntlich die Reizfrequenz herab. Wenn nun unter dem Einfluss
der Vagusreizung die Oszillationsfrequenz zunimmt, so ist das mit
der negativ chronotropen Wirkung der Vagusreizung nicht vereinbar,
wohl aber erklärbar durch ihre negativ dromotrope und inotrope
Wirkung, denn der negativ chromotrope Einfluss begünstigt die Dis¬
soziation und durch den negativ inotropen Einfluss wird mit der Ab¬
schwächung der Kontraktionen der Muskelfasern auch ihre refrak¬
täre Phase verkürzt, eine Tatsache, die am Froschherzen besonders
F. B. Hof mann35) hervorgehoben hat und die nach meiner Er¬
fahrung auch für das Säugetierherz gilt. Da bekannt ist, dass Vagus¬
reizung das Auftreten einer heterotopen Reizbildung begünstigt, wäre
nach den Ausführungen auch daran zu denken, dass die Vagusreizung
auserdem auch die Polytopie der Reizbitdungsstellen beim Flimmern
fördert.
Bezüglich der Täuschungen aus den Oszillationen die Schlag¬
frequenz zu beurteilen, sei auch darauf hingewiesen, dass, wie schon
weiter oben erwähnt, beim Flimmern die beiden Vorhöfe (übrigens
auch die beiden Kammern) sich durchaus nicht immer gleichartig
verhalten, sondern z. B. Teile der Vorhöfe koordiniert' schlagen,
andere flimmern können, das indirekt abgeleitete Elektrokardiogramm
aber den elektrischen Ausdruck beiderlei Aktionen kombiniert ent¬
hält.
Da das Herz im Zusammenhang mit dem übrigen Organis¬
mus zum Unterschiede von dem isolierten neuromyo-
g e n 3“) schlägt, scheint es mir wichtig, die Beziehung der
Herznerven zum Flimmern in aller Kürze aus-
31) Die Kurven, die an anderer Stelle veröffentlicht werden,
stehen den Interessenten zur Einsichtnahme zur Verfügung.
32) Pflügers Arch. 131. 1910. S. 398.
*3) J- Ri hl: Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 8. Nov. 1910. S. 448.
M) Heart Vol. I Nr. 4 S. 306, März 1910.
3I>) Pflügers Arch. 84. 1901. S. 130. Auch liegen frühere Be¬
obachtungen von Mc William (1888) vor.
30) Die neuromyogene Herztätigkeit. Zbl. f. Herz- u. Gefässkrkh
4. Jahrg. März 1912 H. 3.
2
2098 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ _ _ Nr. 42.
einanderzusetzen. Bekanntlich haben die herzhemmenden
Vagusfasern eine negative, die Akzeleransfasern eine positive
chronotrope, inotrope und dromotrope Wirkung. Da nun^ das
Flimmern eines H e r z a b s c h n i 1 1 e s einen Zu¬
stand darstellt, in welchem die Reizbildung
positiv, die Kontraktionsstärke und die Lei¬
tung negativ beeinflusst ist, kann man sich leicht
ableiten, dass der Vagus durch die negativ ino¬
trope und dromotrope, der Akzelerans durch
die positiv chronotrope Wirkung das Flim¬
mern direkt befördert. Indirekt begünstigt der Vagus
das Auftreten des Flimmerns durch seine negativ chronotrope
Wirkung auf die nomotope Reizbildungsstelle, indem er da¬
durch die heterotope Reizbildung fördert.
Dass der Vagus das Flimmern befördert, ist lange bekannt;
ich erwähne hier nur K n o 1 1 3T) (1897) und Winterberg 38),
der sich 10 Jahre später mit dem Einfluss der Herznerven auf
das Flimmern beschäftigte.
Im Jahre 1905 habe ich39) angegeben, dass Akzele¬
rans reizung das Kammer flimmern befördert, was
Winterberg in der eben genannten Mitteilung nicht finden
konnte, hingegen in einer späteren Mitteilung mit Roth-
b c r g e r 10) richtig stellte, in der die Autoren sich auch mit
der Erzeugung von Flimmern durch kombinierte Akzelerans-
Vagusreizung beschäftigten. Nach der oben angeführten Dar¬
legung ist es einfach, die kombinierte Wirkung zu erklären,
indem von der Vaguswirkung die negativ inotrope und dromo¬
trope sich mit der positiv chronotropen Komponente der Ak-
zeleranswirkung kombiniert. Da beide Nervenarten schon nor¬
malerweise tonisch auf das Herz einwiirken, ist es klar, dass
zum Auftreten des Flimmerns wenigstens noch ein Koeffizient
(siehe weiter oben) hinzukommen muss, der z. B. auch in einer
entsprechenden Stärke der Erregung jeder der beiden Nerven¬
arten liegen kann.
Da sich die Vorhöfe etwas anders verhalten als die Kammern, be¬
kommt man das Flimmern an den Vorhöfen auch unter zum Teil
anderen Bedingungen als an den Kammern. So habe ich mich z. B.
davon überzeugt, dass Kalium Kammer flimmern macht, indem
es auf die Kammern negativ inotrop und dromotrop und positiv
chronotrop wirkt. Geht, wie oben erwähnt, infolge Digitalis¬
wirkung die rhythmische Vorhoftachysystolie in Vorhofflimmern über,
dann kommt zu der bestehenden Steigerung der Reizbildung in
diesen Fällen von der Vaguswirkung nur die negativ inotrope und
dromotrope, nicht aber, wie wir hörten, die negativ chronotrope
hinzu, wodurch das Auftreten von Vorhofflimmern begünstigt wird.
Zum Schluss seien zur klinischen Differentialdia¬
gnose zwischen rhythmischer Vorhoftachysystolie und
F. i. p. noch folgende Hinweise gegeben. Man bedarf hierzu
der Venenpulsaufnahme bzw. des Elektrokardiogramms. Auch
bei mehr als 300 Vorhofsystolen konnten wir diese bei der
rhythmischen Vorhoftachysystolie der Venenpulskurve ent¬
nehmen. Beim P. i. p. besteht Kammervenenpuls mit
arhythmischen Vorhofwellen von verschiedener Fre¬
quenz und Grösse, die bei nicht guten Aufnahmen, bei zu
grosser Kammerschlagzahl, bei starker Ueberdehnung des Vor¬
hofes und zu feinem Fibrillieren in der Kurve auch fehlen bzw.
weniger gut sich ausprägen können. Ist man im Zweifel, ob es
sich um einen P. i. p. oder eine rhythmische Vorhoftachy¬
systolie handelt, dann ziehe man das Elektrokardiogramm zu
Hilfe. Ist die Vorhofzacke scharf begrenzt und rhythmisch
wiederkehrend, wie in dem erwähnten Fall von R i h 1, dann
handelt es sich um eine rhythmische Vorhoftachysystolie; sind
aber im Elektrokardiogramm arhythmische Vorhofoszil¬
lationen, dann handelt es sich um einen P. i. p., auch wenn
diese Vorhofoszillationen sich auf eine kurze Strecke anschei¬
nend rhythmisch folgen.
Unter Umständen kann man zur Differentialdiagnose auch
das mechanische Kardiogramm heranziehen, da bei rhyth¬
mischer Vorhoftachysystolie Vorhofserhebungen im Kardio¬
gramm41) zum Ausdruck kommen können; auch die Auskul-
Pilügers Arch. 67. 1897. S. 587.
38) Pflügers Arch. 117. 1907. S. 223.
") Zbl. f. Physiol. 19. 1905. Nr. 5 S. 4 Anm.
40) Pflügers Arch. 141. 1911. S. 374.
41) Siehe III. Fall der zweiten Mitteilung von Ri hl (1911),
in welchem im mechanischen Kardiogramm Vorhofserhebungen zu
tation kann man zur Unterscheidung benützen, denn man kann
bei rhythmischer Vorhoftachysystolie öfters ganz deutlich
rhythmische Vorhofstöne oder bei Klappenfehler ein präsysto¬
lisches Geräusch hören, welches bekanntlich beim Auftreten
eines P. i. p. verschwindet.
Zusammenfassung.
Der Pulsus irregularis perpetuus (P. i. p.) unterscheidet
sich vor der rhythmischen Vorhoftachysystolie (rh. V.) da¬
durch, dass bei ihm eine arhythmische Vorhoftätigkeit besteht,
das Vorhofflimmern.
Die Kammerunregelmässigkeit beim P. i. p. ist zum Unter¬
schied von der bei der rh. V. nicht nur durch eine Ueber-
leitungsstörung bedingt, mit anderen Worten nicht nur ab¬
hängig von dem Verhältnis Af: Uf, der Vorhoffrequenz zur
Ueberleitungsfrequenz, sondern auch mitbedingt von der
Arrhythmie der Vorhoftätigkeit, deren Auftreten von dem Ver¬
hältnis R: A, der Reizfrequenz zur Anspruchsfähigkeit der Vor¬
hofmuskulatur abhängt.
Der P. i. p. und die rh. V. haben gemeinsam:
1. den Tachyerethismus (die erhöhte Reizfrequenz);
2. die Heterotopie der Reizbildung;
3. die Ueberleitungsstörung;
4. den elektiven Vaguseinfluss auf die Ueberlcitung (Digi¬
talis, Vagusdruck, Atropin);
5. wahrscheinlich die Ausgangsstelle, die wohl im Be¬
reich des spezifischen Systems vom Koronarvenen-
sintis bis zum Tawaraknoten, aber sicher nicht unter¬
halb des letzteren liegt.
Die rh. V. kann in P. i. p. übergehen, z. B. bei Digitalis¬
medikation. Dabei verschwindet ein zuvor bestehendes prä¬
systolisches Geräusch.
Ob beim V o r li o f flimmern die Reizbildung eine monotone
oder polytope ist, bedarf noch der Entscheidung; für letztere
spricht:
1. die von mir nachgewiesene polytope Reizbildung beim
Kammerflimmern des Hundeherzen;
2. die beim Flimmern im Elektrokardiogramm wie auch
an der Suspensionskurve flimmernder Kammern zu be¬
obachtenden Schwebungen, die auch zu beobachten
sind, wenn man gleichzeitig von mehreren in verschie¬
denem Rhythmus schlagenden Herzen ableitet;
3. ' die Zunahme der Oszillationsfrequenz bei Vagusreizung.
Ob der so hohen Oszillationsfrequenz beim Flimmern eine
ebenso hohe Reizfrequenz monotoper Reizbildung entspricht,
ist fraglich.
Zum Zustandekommen des Flimmerns, welches einen Zu¬
stand darstellt, in welchem die Reizbildung positiv, die Kon¬
traktionsstärke und die Leitung negativ beeinflusst ist, tragen
immer mehrere Koeffizienten bei.
Auf dem Wege der Herznerven wird es dadurch befördert,
dass der Vagus durch die negativ inotrope und dromotrope,
der Akzelerans durch die positiv chronotrope Wirkung das
Auftreten des Flimmerns direkt begünstigt.
Das Flimmern wird ferner begünstigt durch Dyspnoe
(CO2) (allgemeine oder lokale), Ausdehnung eines Herz¬
abschnittes, Verengerung der Strombahn in den Koronar-
gefässen (Embolie, Thrombose, Sklerose), gewisse Gifte (unter
Umständen auch durch Digitalis und Adrenalin) und gewisse
Aenderungen des Salzgehaltes (Kalzium, Kalium).
Zusätze während der Korrektur.
I.Rothberger und Winterberg haben in Nr. 20 der
W.kl.W. eine vorläufige Mitteilung experimenteller Ergebnisse „Ueber
die Pathogenese der Flimmerarrhythmie“ in 10 Sätzen veröffentlicht,
von denen ich hier nur folgende erwähnen möchte. So von Nr. 9:
„Die oft vollkommene Gleichmässigkeit der Oszillationen spricht
gegen die Bedeutung der multiplen Reizbildung für die Pathogenese
des Flimmerns“ Da ich nicht weiss, ob die Gleichmässigkeit der
beobachten waren zu einer Zeit, während welcher in keiner der auf¬
genommenen Venenpulsationen ein sicherer Anhaltspunkt für die Vor¬
hoftätigkeit gegeben war. Dieser Fall erscheint auch als ein kli¬
nischer Beleg für die obenerwähnte experimentell bekannte Tatsache,
dass sich die beiden Vorhöfc etwas verschieden verhalten können,
denn die Vorhoftachysystolie liess sich nur links nachweisen. Es
ist dies auch der Fall, der später in P. i. p. überging.
20. Oktober 1014.
MEENCHENER MEPI Z1NISCHE WO CHENSCHRIFT.
2m
Oszillationen nur für kurze oder für längere Zeit bestand, möchte
ich mich unter Hinweis auf meine Mitteilung hier nicht weiter
äussern, nur erwähnen, dass die Autoren in Nr. 7 von „gleichzeitiger
Erregung der verschiedenen rcizbildenden Apparate“ beim Flimmern
sprechen.
,f.ed?st !?e' s^ai"ker Spannung des Fadens auffallende Höhe
der Oszillationsfrequenz von „3000—3500“ spräche eher für eine
polytope Entstehungsweise der Oszillationen. So hohe Oszilla¬
tionsfrequenzen sind meines Wissens bis jetzt von anueren Autoren
noch nicht am Säugetierherzen beobachtet worden
„ Ro.tll hat im Heft 3 lind 4 dcs SO. Bd. der Zschr. f. klin.
Med. „Ueber isolierte linkseitige Vorhoftachysystolie“ berichtet. Wie
in K ü h 1 s o. Fall der zweiten Mitteilung (1911) vermochte er die
V orhof tach\ stolie nur links nachzuweisen und zwar verwendete er
hiezu das Oesophagogramm und die Röntgenoskopie. Als Erklärung
wäre daran zu denken, dass bei heterotroper Reizbildung der rechte
Vorhof flimmert oder seltener schlägt als der linke, oder aer rechte
nomotop und der linke heterotop schlägt. Experimentell sind wie
in meiner Mitteilung oben erwähnt. Verschiedenheiten in dem Ver¬
halten der beiden Vorhöfe in Bezug auf Schlagen und Flimmern bei
Steigerung der Reizfrequenz an einer Stelle mir wohl bekannt, wo¬
rauf ich hier nicht genauer eingehen kann.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Zur Diagnose der kindlichen Tuberkulose*).
Von Dr. Karl Ernst Ranke in München.
M. H.l Sie alle wissen, dass die Diagnose der Tuberkulose des
Menschen zwar oft leider nur allzuleicht ist, dass sie aber häufig
auch eine sehr schwierige Aufgabe darstellt, so dass nur mit Heran¬
ziehung aller Hilfsmittel, die dem Arzt zu Gebote stehen, der für das
Handeln nötige Grad der Gewissheit erreicht werden kann. Die Auf¬
gabe wird dadurch um so schwieriger, dass gerade die frühzeitige
Erkennung, die vom Arzt verlangt werden muss, um die Zeit der
besten Heilungschancen für die Therapie ausnützen zu können, auch
die grössten Schwierigkeiten verursacht.
Diese Verhältnisse gelten schon für den Erwachsenen; sie gel¬
ten aber in noch höherem Grad für das Kind, bei dem alle in Betracht
-iommenden Verhältnisse verwickelter sind als beim Erwachsenen.
:s sind, um nur die Hauptschwierigkeiten zu nennen, die Krankheits-
3ilder der kindlichen Tuberkulose mannigfaltiger; ihre leichteren und
eichtesten Formen sind noch häufig relativ symptomarm, unter Um-
'tänden geradezu symptomlos; das Kind kann die subjektiven Er¬
scheinungen gar nicht oder doch nur wesentlich ungenauer angeben;
Jie exakte Untersuchung wird durch die Kleinheit der Organe und
lie mangelnde Mithilfe erschwert; auch bestehen im Bild gerade der
richtigsten Organtuberkulosen des Kindes weitgehende Differenzen
tegenüber dem geläufigen Bild der gleichen Erkrankungen beim Er¬
wachsenen. Eine Hauptschwierigkeit liegt schliesslich noch darin,
lass sich beim Kind so sehr viel leichteste Tuberkulosen anspinnen,
lie auch ohne Behandlung ausheilen werden, so dass ihre Diagnose
»raktisch belanglos ist. Durch alle diese Dinge wird die Diagnose
icr kindlichen Inberkulose oft zu einer wahren crux medicorum.
Im Rahmen eines einstündigen Vortrags kann selbstverständ-
ich das ungeheure Gebiet der kindlichen Tuberkulose nicht erschöp-
end behandelt werden. Es können nur einige praktisch besonders
wichtige oder schwierige Formen herausgegriffen werden. Ich
riöchte deshalb heute, nach einer Uebersicht über die Infektions-
erhältnisse und die Verteilung der Haupfformen der Tuberkulose auf
ie Altersstufen, nur die Diagnose der leichteren Formen der Driiscn-
uberkulose und Lungentuberkulose des Kindes besprechen.
Zunächst ist also die Frage zu behandeln: Wie tritt die Tuber-
ulose im Kindesalter auf? Sie ist praktisch so wichtig und tlieo-
etisch so interessant, auch trotz vieler Veröffentlichungen aus erster
Und und zahlloser Referate noch häufig so wenig genau verstanden,
ass wir eine kurze Besprechung nicht entbehren können.
Ihnen allen bekannt ist die Mortalitätskurve der einzelnen Lc-
ensalter, bezogen auf die Anzahl der Lebenden (Fig. 1). Sie zeigt
sehr ausgesprochene Maxima, das erste im 1. und 2. Lebensjahr,
ach ihm ein ganz auffallendes Absinken in dem
■ lter von 3 bis etwa 12 Jahren, dann ein rasches Ansteigen
j der Pubertät und bald nachher das bekannte, sich über das ganze
jannesalter bis zum Beginn des Greisenalters hinziehende zweite
'aximum. Es lag zunächst sehr nahe, anzunehmen, dass diese so
ark wechselnde Häufigkeit der Todesfälle im wesentlichen von einer
echselnden Häufigkeit der Infektion der einzelnen Altersstufen ver¬
pacht werde, d. h. also, dass auch die Erstinfektion mit Tuber-
alose in ähnlichen Perioden erfolge. Es wurde demnach eine Haupt-
nektionsperiode im Säuglingsalter angenommen, mit dem Gehen-
) Nach einem Vortrag, gehalten in München am 2. Juli 1914 in
Zyklus „Die Erkennung und Behandlung der Lungentuberku-
$e“, veranstaltet vom bayerischen Landesverband zur Bekämpfung
-r Tuberkulose.
lernen sollte die Infektionsgefahr sich wesentlich vermindern, im
Schulalter ein Minimum haben und erst mit der Schulentlassung durch
uie Aufnahme einer Bcrufstätigketi wieder von neuem sehr stark
ansteigen.
i •. 9'es»„ frklänmg ist zweifellos nicht zutreffend. Die Abhängig-
kcit der Mortalität von der Infektion hat sich vielmehr als viel ver¬
wickelter erwiesen.
Zunächst darf doch nicht übersehen werden, dass sich die bei¬
den Hauptmaxima der Mortalitätskurve sehr wesentlich durch die
Krankheitsbilder unterscheiden, die ihnen zugrunde liegen.
Sie wissen, dass die Tuberkulose einmal auftreten kann als All¬
gemeinerkrankung, in ihren Erscheinungen etwas dem Typhus oder
der Septikämie ähnlich, dann als im ganzen Körper metastasierende
Krankheit, etwa der Pyämie oder einer metastasierenden Neubildung
entsprechend, und schliesslich als rein lokale Erkrankung der Lun¬
gen mit weitgehender allmählicher Zerstörung dieses Organs, ohne
dass in den typischen Fällen sich aus dieser lokalen Lungenerkran¬
kung noch einmal das Bild der Allgemeinerkrankung oder die be¬
kannten Mestastasen im grossen Kreislauf entwickeln. Der
typische Phthisiker stirbt an der Lungenerkran-
kung, ohne von ihr ausgehend Drüseneiterungen
oder Gelenk- und Knochentuberkulosen zu be¬
kommen.
Das erste Maximum der Todesfälle enthält ausschliesslich all¬
gemeine Tuberkulosen meist sehr schwerer Natur (Fig. 2). In der
— ■ 11 Mortalität an Phthise t
- Mortalität an generalisierter Taberkulose J pro ,00°00 Lebende in Bayern 1Q05.
Zeit des Minimum sind die allgemeinen Tuberkulosen zwar auch noch
relativ häufig vertreten, doch mischen sich sehr rasch die lokal¬
metastasierenden Formen bei. Erst gegen die Pubertät beginnt dann
die 3. Form, die lokale Tuberkulose der Lungen, häufig zu werden.
Sie verursacht allein das zweite Ansteigen der Tuberkulosesterblich¬
keit und im voll ausgebildeten 2. Maximum ist die Sterblichkeit so
gut wie ausschliesslich durch solche „echte Phthisen“ verursacht.
Es sind uns auch sehr wichtige ursächliche Differenzen zwischen
diesen Hauptverlaufswcisen der Tuberkulose bekannt. Die schwere
allgemeine Inberkulose ist die unmittelbare Folge einer schweren
Erstinfektion. Das ist von der experimentellen Tiertuberkulose be¬
kannt und gilt ebenso für den Menschen. Leichtere experimentelle
Infektionen führen zu chronischer verlaufenden Erkrankungen mit all¬
mählichem Hervortreten einzelner grösserer Lokalherde, und es ge¬
lingt nur durch sehr sorgfältige Beobachtung komplizierter Versuchs¬
bedingungen, hauptsächlich bei Abschwächung des Virus und Siche¬
rung eines sehr protrahierten Verlaufes ein der menschlichen Phthise
ähnliches Krankheitsbild experimentell hervorzurufen.
Uebertragen wir diese Kenntnis auf die Mortalitätskurve, so
zeigt sie uns zunächst das rasche Absterben einer grossen Anzahl
2*
2100
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 42.
schwer infizierter Kinder an der typischen Allgemeinerkrankung, die
einer solchen schweren Erstinfektion folgen muss. Diese Formen,
aus denen sich das erste Maximum ausschliesslich zusammmensetzt,
treten dann bald an Häufigkeit zurück, mit dem zunehmenden Alter
mischen sich die Folgen leichterer Infektionen mit ihrem langsameren
Ablauf bei. Das zweite Maximum ist dagegen beherrscht von einer
Spätform der Tuberkulose, deren Endstadien bei ihrem ganz pro¬
trahierten Verlauf erst lange nach der Erstinfektion auftreten können.
Damit sind nun schliesslich noch die Tatsachen zusammcnzuhal-
ten, die uns über die zeitliche Verteilung der Erstinfektion beim
Menschen bekannt sind. Da der tuberkulosekranke Mensch einige
Zeit nach der Infektion, wenn er nicht allzuschwer tuberkulosekrank
ist, auf Tuberkulin reagiert, kann man aus der Zahl der positiv
reagierenden Menschen einer bestimmten Altersstufe einen an¬
nähernden Schluss auf die Zahl der Infizierten machen. Annähernd
deshalb, weil wir die Inkubationszeit der Reaktion für den
Menschen — namentlich bei den ganz leichten Infektionen — nicht
kennen und weil wir nicht wissen, wie lange nach der Abheilung die Re¬
aktion positiv bleibt. Man pflegt meist stillschweigend die Annahme zu
machen, dass die Reaktion durch das ganze Leben fortbestehe, wenn
sie einmal erworben ist, und dass auch bei den leichtesten Infektionen
die Inkubation nicht so lange wird, dass sie das Bild wesentlich zu
stören vermag. Für eine allgemeine Uebersicht werden diese An¬
nahmen wohl zutreffen, und mehr wollen wir hier auch nicht zu geben
versuchen. Wir werden also mit dem nötigen wissenschaftlichen Vor¬
behalt die Ergebnisse der Tuberkulinprüfung heranziehen können.
Aus den bisherigen Untersuchungen lässt sich eine Häufigkeitskurvc
gewinnen. Aus dieser ersehen wir, dass die Infektionskurve
keinerlei Aehnlichkeit hat mit der Kurve der Sterblichkeit, die zum
Vergleich in gleichem Massstab, das heisst also auch bezogen auf
100 000 Lebende, auf der gleichen Figur eingetragen ist. Die Infek¬
tionskurve zeigt nicht die beiden Maxirna, sondern sie zeigt ein
gleichmässiges Ansteigen, so dass schon in der Altersklasse jenseits
der Pubertät eine praktisch vollständige Durchseuchung eingetreten
ist. Die beiden Kurven sind übrigens nicht ohne weiteres vergleich¬
bar, da die Kurve der auf Tuberkulin Reagierenden die Gasamtzahl
der jeweils lebenden Infizierten enthält, uns also — unter der An¬
nahme, dass die Reaktionsfähigkeit nach einmaliger Infektion durch
das ganze Leben fortbesteht — die Summe der Infektionen aller zeit¬
lich vorausliegenden Altersstufen angibt, während die Werte der
Mortalitätskurve sich jeweils nur auf die Todesfälle der einzelnen
Alterstufen selbst beziehen. Wir werden noch sehen, dass auch
bei dieser Darstellung die wichtigsten Differenzen zwischen der In¬
fektionskurve und der Mortalitätskurve nicht verschwinden. Die auf¬
fällige Diskrepanz — zwischen dem raschen Ansteigen der
Infektion in den Altersklassen vom 2. bis etwa 12. Lebensjahr
und dem gerade in dieser Zeit so auffälligen Zu¬
rückbleiben der Mortalität hinter der Infektionshäufig¬
keit — bleibt für alle Betrachtungsweisen bestehen. Es kann also
gar keinem Zweifel unterliegen, dass auf eine Periode
schwerer Infektion mit vergleichsweise zahl¬
reichen, rasch tödlich verlaufenden, allgemeinen
Tuberkulosen eine Infektionsperiode folgt, die
ganz überwiegend langsam verlaufenden, auf
Jahre hinaus nicht zum Tod führende Infektionen
enthält. Dieser Schluss wird um so zwingender dadurch, dass
ein guter Teil der an sich schon auffallend geringen Mortalität dieser
Hauptinfektionsperiode noch auf die schweren Infektionen der voran¬
gehenden, aber doch nicht schon im ersten Lebensjahr tödlich ab¬
laufenden Infektionen der vorangehenden Jahre zu beziehen ist.
Um Ihnen noch rasch ein Bild der Zahlenverhältnisse zu geben,
möchte ich eine Berechnung Weinbergs vorführen, der die Zahlen
der Infektionskurve auf eine Sterbetafel (Berlin 1876 — 1900) übertragen
hat. Nach der Tabelle Weinbergs werden im 1. Lebensjahre von
10 000 Lebenden ca. 500 Kinder infiziert. In der Altersstufe vom
2. — 5. Lebensjahre steigt die Zahl der jährlich infizierten Kinder noch
wesentlich an. Wir haben zwar auch einen durchschnittlichen Zu¬
wachs von wenig mehr als 500 neu infizierten Kindern, da die
mittlere Zahl der Lebenden aber in dieser Altersstufe von ursprüng¬
lich 10 000 schon auf rund 6000 abgesunken ist, bedeutet das eine
ganz wesentliche Zunahme der Infektionshäufigkeit auf das Doppelte
der Infektionshäufigkeit im 1. Lebensjahr. Auch in der nächsten
Periode, vom 6. — 15. Lebensjahr, werden die hier zugrunde ge¬
legten Prozentzahlen als richtig angenommen jährlich noch rund 200
neu infiziert. Trotz des weiteren Absinkens des Bestandes an nicht-
infizierten Lebenden bedeutet das einen deutlichen Rückgang in der
Exposition, d. h. also der Infektionshäufigkeit. Während von 100 Le¬
benden im 1. Lebensjahr ca. 6 Individuen neu infiziert werden und
im 2. — 5. etwa 12, sinkt diese Zahl im Schulalter (6. — 15. Lebens¬
jahr auf rund 9 Neuinfizierte, Ob in der nun folgenden Altersstufe
wieder ein Ansteigen der Exposition auftritt, wie Weinberg hier
errechnet hat, lässt sich leider noch nicht mit Sicherheit feststellen.
Wie Weinberg selbst angibt, sind gerade für dieses Lebensalter
die Unterlagen für eine Berechnung am wenigsten ausreichend. Es
wäre aber von allergrösster praktischer Wichtigkeit für die Ver¬
hütung der Schwindsucht, die Verhältnisse dieser so wichtigen Alters¬
stufe genauer kennen zu lernen. Es ist dazu notwendig, umfassende
Untersuchungen über die Art der Tuberkulinempfindlichkeit dieser
Altersstufe anzustellcn. Die Beurteilung wird allerdings meiner Er¬
fahrung nach von dieser Altersstufe an schon wesentlich dadurch
erschwert, dass der Prozentsatz der ganz leichten und der zweifel¬
haften Reaktionen gegenüber den unteren Altersstufen beträchtlich
angestiegen ist.
Vergleichen wir damit die Ergebnisse der Mortalitätsstatistik, so
erhalten wir für das 1. Lebensjahr gegenüber rund 400 überlebenden
Infizierten eine Zahl von ebenfalls rund 400 an Tuberkulose Ge¬
storbenen, also eine Letalität von rund 50 Proz. Aber schon in der
folgenden Altersklasse sinkt die Letalität auf nur etwa 6 — 7 Proz.,
und in der Altersklasse vom 6. — 15. Lebensjahr beträgt sie nur
mehr 1 — 2 Proz. der lebenden Infizierten.
Die eine Tatsache ist also zweifellos gesichert, dass die
Lebenden der Altersstufen, die die geringste Mortalität aufweisen,
geradezu erfüllt sein müssen von Individuen, die die Folgen einer
geringfügigen tuberkulösen Infektion aufweisen.
Diese zahlreichen leichten kindlichen Tuberkulosen sind in ge¬
wissem Sinne terra nova für den praktischen Arzt. Wir haben von
ihrem Vorhandensein bis vor wenigen Jahren überhaupt nichts ge¬
wusst, es kaum geahnt. Ihre Kenntnis verdanken wir hauptsächlich
der Anwendung der Tuberkulinreaktionen. Für das Handeln des
praktischen Arztes ist aber bei der Annahme, dass auch abheilende
und selbst abgeheilte Tuberkulosen positiv reagieren, mit der Dia¬
gnose der kindlichen Tuberkulose lediglich mit Hilfe des Tuberkulins
gar nichts gewonnen. Erst im Zusammenhalt mit einer auch ander¬
weitig noch nachweisbaren tuberkulösen Erkrankung kann die Tuber¬
kulinreaktion von Wert sein. Wir müssen uns demnach nach ander¬
weitigen Erscheinungen umsehen, die unser Handeln bestimmen sollen.
Nur wenn ein tuberk ulin reagierendes Kind auch
nachweislich tuberkulosekrank ist, ist eine ärzt¬
liche Behandlung nötig und berechtigt.
Für die Verhütung der Tuberkulose ist allerdings die Erkenntnis
von grösster Wichtigkeit, dass gerade das Entwicklungsalter unter
den heutigen Lebensverhältnissen der Infektion mit Tuberkulose in
so hohem Grade ausgesetzt ist. Es gehört zu den wichtigsten Auf¬
gaben der Tuberkulosebekämpfung, für unsere ganze Jugend nach
den besten hygienischen Aufwuchsbedingungen zu srreoen. Ein ge¬
sund aufwachsendes Kind hat die besten Chancen, die Folgen einer
leichten tuberkulösen Infektion ohne jeden weiteren Schaden zu über¬
winden. Alle Jugendfürsorgebestrebungen sind demnach auch im
Interesse der Tuberkulosebekämpfung aufs nachdrücklichste zu
fördern. Die Verbesserung der körperlichen Erziehung, die Er¬
möglichung des Aufenthaltes im Freien und die Verbesserung der
Wohnung- und Ernährungsbedingungen kommen dafür in erster Linie
in Betracht.
Die schweren Formen der kindlichen Tuberkulose pflegen keine
wesentlichen diagnostischen Schwierigkeiten zu machen. Die Miliar¬
tuberkulose und die nach Analogie der Pyämie metastasierende Form
derselben zeigen wohlbekannte klinische Bilder. Die Schwierigkeiten
der Erkennung steigen aber, je chronischer der Verlauf und je ge¬
ringer die lokalen Manifestationen sind. Immer aber bleiben zwei
Symptomenreihen von besonderer Wichtigkeit. Es sind das 1. die
Erscheinungen einer chronischen Allgemeinerkrankung und 2. lokale
Veränderungen im Lymphdrüsensystem.
Die Allgemeinerscheinungen sind auch bei den leichten Formen
von den bekannten der schweren Erkrankungen nur gradweise ver¬
schieden. Sie bestehen in ungenügender Gewichtszunahme, Appetit¬
losigkeit, Blässe der Haut und der sichtbaren Schleiinnäute, Verände¬
rungen im Wesen des Kindes, hervorgerufen durch leichtere Reizbar¬
keit und vor allem Ermüdbarkeit und Störungen der Körpertempe¬
ratur. Ganz wie beim Erwachsenen zeigt sich beim Kinde diese Stö¬
rung der Körpertemperatur entweder als eine dauernde geringe Er¬
höhung oder als Labilität der Temperatur. Die Kinder zeigen dann
nach ausgelassenem Spiel, besonders abends vor dem Zubettcgehen,
Temperatursteigerungen. Um diese Verhältnisse erkennen und rich¬
tig beurteilen zu können, muss also über längere Perioden hinweg die
Körpertemperatur genau beobachtet und registriert werden.
Auch beim Kind ist die normale Temperatur, im Rektum ge¬
messen, nicht höher als 37.5. Kinder, die, wenn auch für lange
Perioden und ohne sonstige Krankheitserscheinungcn, höhere Abend¬
temperaturen haben, sind krank. Unter anderen Ursachen können
kleinere verkäsende Drüsen über viele Monate eine derartige lem-
peraturlabilität unterhalten. Bei sorgfältiger Messung zeigen sich
dabei nicht selten plötzliche interessante Fieberattacken von 1 oder
mehreren Tagen, die nach meiner Erfahrung mit in das Bild dei
chronischen Drüsentuberkulose zugezogen werden müssen.
Gegenüber der landläufigen Auffassung kann gar nicht oft und
energisch genug darauf hingewiesen werden, dass Temperaturen über
37,8 auch beim Kinde eine Störung der Gesundheit bedeuten, nach
deren Ursache gesucht werden muss. Es ist dabei selbstverständ¬
lich, dass nicht jede Temperatur über 37,5 eine latente Tuberkulose
sicherstellt, ebenso wie die gleiche Annahme für die beginnende
Phthise des Erwachsenen ganz widersinnig wäre, obwohl die gleichen
geringen Temperaturstörungen sehr wesentlich zum Bilde der be¬
ginnenden Phthise gehören.
Schon diese Allgemeinerscheinungen allein müssen bei positiver
Tuberkulinreaktion im Kindesaltcr als strikte Indikation für ärztliches
Eingreifen angesehen werden. Gesichert wird die Diagnose aber
20. Oktober 1914.
MIJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2101
doch erst durch den Nachweis lokaler Veränderungen. Bei den lcicli-
testen rönnen pflegen diese Veränderungen klinisch sich nur im
Lyrnphdrüsensystem bemerklich zu machen. Dabei sind zwei Drüsen-
gruppen von besonderer Wichtigkeit und zwar 1. die Halsdrüsen von
dci I onsillc abwärts bis zur Fossa supraclavicularis (gl. cerv. lat.
supertic. et prof. sup. et inf.) und die Drüsen i in Gebiet der Lungen-
wurzcl (die gl. tracheo-bronch. et broncho-pulm.).
... r)ie Ha]sdrüsen sind dem Finger leicht zugänglich. Wir
können also die drei für die Diagnose der Tuberkulose wichtigsten
Eigenschaften -die Konsistenz, die Grösse und F o r m,
u n d das V erhalten zu der Umgebung — stets leicht kon¬
trollieren.
Die zervikalen Lymphdrüsen zeigen bald nach der Infektion eine
zunächst markige Schwellung. In 3 sicher beobachteten Fällen habe
ich einzelne Drusen schon 4 Wochen nach einem kurzen Zusammen¬
leben mit einer phthisischen Hausgenossin, — also etwa 4 Wochen
nach der Infektion haselnusTs- und etwa mandelgross gefunden,
wahrend ich vorher palpable Drüsen nie wahrgenommen hatte. In
diesen Fallen, in denen es sich nach Ausweis des bisnerlgen Ver¬
laufes um relativ leichte Infektionen gehandelt hat, sind die Drüsen
zunächst während etwa eines Jahres auf dieser Grösse stehen ge-
blieben, um erst im Verlauf des 2. Jahres nach der Infektion wieder
langsam abzuschwelien. Bei zweien dieser Kinder hat die Rück¬
bildung langsam zum fast völligen Verschwinden der Drüsen geführt.
Beim dritten Kind sind die gleichen Drüsen dagegen 4 Jahre nachher
wieder von neuem angeschwollen in einer Zeit, in der das Kind auch
wieder leichte Allgcmeinstörungen aufwies. In anderen Fällen be¬
obachtet man dieses An- und Abschwellen noch sehr viel charakte¬
ristischer. Die markige Schwellung der aktiven Drüsentuberkulose
wechselt m unregelmässigen Perioden, so dass manchmal in wenigen
Wochen sehr wesentliche Volumschwankungen auftreten können.
Dieses Wechseln der Schwellung, wobei mit der
Zunahme der Schwellung eine Steigerung der All-
ge mein stör ungen einhergeht und umgekehrt, ist
ein sehr wichtiges Symptom einer aktiven Drüsen¬
tuberkulose.
Der weitere \ erlauf führt nun entweder zur Abszedierung und
zum Durchbruch, zunächst durch die Driiscnkapsel, schliesslich aucii
durch die äussere Haut, oder zu einer langsamen Rückbildung. Da¬
bei zeigen sich wieder diagnostisch sehr wichtige Veränderungen
Ne alle kennen die typischen Narben, die sich nach dem Durchbruch
einer tuberkulösen Drüse ausbilden und die auf den ersten Blick und
Drift die sichere Diagnose einer tuberkulösen Veränderung gestatten.
Diese Narben sind schlecht vaskularisiert, kallös, d. h. also voluminös
und hart, wobei die harte Hautnarbe durch derbes Bindegewebe
mit den Resten der Drüse und der Drüsenkapsel und deren Um¬
gebung fest verlötet ist. Es ist nicht unwichtig, zu wissen, dass
Jiese kallosen Veränderungen, die sich ganz ebenso z. B. auch bei
Jer Gc.enktuberkulose entwickeln, und dann die Versteifung des be-
allenen Gelenkes verursachen, bei vollständiger Heilung
i.e £ Tuberkulose verschwinden. Wir wissen das mit
Sicherheit von den Resultaten der Behandlung derartiger Erkran¬
kungen mit Höhensonne. Dabei verschwinden die Reste der ent¬
zündeten Drüsen, das narbige Bindegewebe wird gut vaskularisiert,
erlicrt seine Härte und auch vorher fixierte Gelenke werden wieder
>eweglich. Das Vorhandensein einer derartigen kallösen Bindege-
•vebsent Wicklung deutet also auf eine zwar abheilende aber doch
acht völlig abgeheilte tuberkulöse Veränderung. Die gleiche Binde-
cewebsent Wicklung zeigt sich auch da, wo die Abszedierung aus-
ileibt. Bei der langsamen Rückbildung einer tuberkulösen Drüse
nduriert der tuberkulöse Anteil und seine direkte Umgebung, soweit
lie perifokale entzündliche Durchtränkung in der Drüse oder ihrer
mgebung gereicht hatte. Die Drüsen werden also, nach-
lem sie eine Zeitlang markig geschwellt waren,
leiner, härter und verlieren ihre rundliche Kon¬
ti r. Das Verlieren der rundlichen Kontur ist dabei von grösserer
lagnostischer Bedeutung als die Härte an sich. l)le Häufigkeit
icses Symptoms bei längerem Bestehen der Schwellungen ist so
her wiegend, dass sein Fehlen direkt gegen das Vorhandensein einer
uberkulösen Veränderung sprechen kann. Drüsenpakete, die aus
arten, dauernd gleichmässig prall geschwellten Einzeldriisen be¬
leben, müssen den Verdacht einer anderen Erkrankung, einer
ymphogranulomatose oder einer bösartigen Geschwulst erwecken.
Mise Bindege websentwicklung greift dort, wo die perifokale Ent-
undung die Drüsenkapsel überschritten hatte, wo also das Binde-
ewebe und die Drüse eine Zeitlang serös durchtränkt und klein-
eilig infiltriert war, auch auf die Umgebung der Drüse über. D i e
ich rückbildende Drüse wird dann allmählich,
hon so wie die geschilderte skrofulöse Narbe nach
cm Drüsendurchbruch, an ihrer Unterlage oder
en benachbarten Muskel- und Gefässscheiden
■ x ie r t, eine ebenfalls durch einfache Palpation sehr leicht fest-
lellbare Erscheinung.
(Schluss folgt.)
Bücheranzeigen und Referate.
.. . L* L a u n ° y; Thyroides, Parathyroides, Thymus. Paris,
Bai liiere c t f i I s, 1914. 405 S. Preis 14 Frs.
Während wir in Deutschland jetzt mehrere vortreffliche Gesamt¬
darstellungen unseres Wissens über die innere Sekretion besitzen,
bringt der französische Buchmarkt gediegene Einzeldarstellungen in
grosserer Anzahl heraus. Die neueste solche Erscheinung ist das vor-
uegende W erk von Launoy; es beschränkt sich auf den Thymus-
.pitlielkorperchen-Schilddrüsenapparat. Der Verfasser scheint, trotz
der versuchten Verteidigung einer besonderen Zusammengehörigkeit
dieser Organe, selbst zu fühlen, dass solche Zusammenfassungen von
urgangruppen etwas . willkürliches an sich haben; nach unserer An-
sucht hegt weniger ein physiologischer, als wie ein topographischer
und historischer Grund vor, Thyreoidea, Parathyreoidea und Thymus
von den anderen Organen ähnlicher Funktion abzutrennen und mono-
graphisch zu bearbeiten. Der Verfasser legt aber in seiner Dar-
ste llung den Hauptnachdruck auf die physiologische Forschung; das
Klinische tritt zurück, normale und pathologische Anatomie sind mehr
berücksichtigt. Die Literatur ist — mit Absicht — nicht vollständig
n-Auu-^reinend Kleichmäss'S. d. h. international berücksichtigt.
Die Abbildungen sind für unseren verwöhnten deutschen Geschmack
etwas zu reizlos. An vielen Stellen sind die Ergebnisse eigener
Untersuchungen eingeflochten; so wird von Versuchen über die Re¬
sistenz thyrektomierter Tiere gegen Infektionen und Gifte (Arseno-
benzol), über die Folgen der Röntgenbestrahlung für den Thymus,
über thymoprive Idiotie, über die Lebenswichtigkeit des Thymus be¬
richtet. Die Frage nach dem Wesen der parathyreopriven Tetanie
wird dahin beantwortet, dass cs sich nicht um eine Intoxikation
duich ein besonderes Gift handelt; jedoch ist der Zustand als eine
parathyreoprive Toxämie, besonders für junge Individuen, durch Ver¬
änderung des Stoffwechsels, und zwar als eine „parathyreoprive
Azidose 1 anzusehen. Beim Affen bricht die Tetanie nach Äusschnei-
dung der Epithelkörperchen u. U. erst nach einer längeren Latenz¬
periode aus. Bei der Basedowschen Krankheit handelt es sich
jedenfalls nicht um eine Hyperthyreoidisation, sondern eher um eine
Hyperthymisation. In diesem Sinne wird auch die fast regelmässige
Hypertrophie der Thymusdrüse bei Morbus Bascdowii aufgefasst.
R ö s s I e - Jena.
R. Le Blage und H. Guggenheim: Manuel pratique de Dia¬
gnostic bacteriologique et de Technique appliquee ä la determination
des Bacteries. Paris, Verlag von Vigot Freres, 1914 8 Frs
443 Seiten.
Die beiden Autoren haben den Versuch gemacht, das gesamte
bekannte resp. beschriebene Bakterienmaterial zu diagnostischen
Zwecken in Tabellenform zu bringen, wie es auch schon Eisen-
berg und Matzuschita getan hat. Ob mit mehr Erfolg wie die
letztgenannten Autoren, muss die Praxis lehren. Um solche Tabellen
für den diagnostischen Bedarf brauchbar zu machen, muss der Ver¬
fertiger derselben alle oder wenigstens die meisten der Bakterien¬
stämme selbst genau kennen, da die Beschreibungen anderer leider
so vielfach im Stich lassen, weil sie viel zu ungenau sind. Inwieweit
R. Le Blage und H. Guggenheim dieser Forderung gerecht
geworden sind, ist nicht bekannt, bei Matzuschita traf es jeden¬
falls nicht zu.
Bei der Durchsicht der aufgestellten Tabellen zeigt sich aber,
dass die Autoren kritisch vorgingen und sich bemüht haben, durch
weitgehende Heranziehung der Originalliteratur die Sache so gut wie
möglich zu machen. Es steckt jedenfalls eine enorme Arbeit und viel
Fleiss darin, da auch versucht wurde, so viel wie möglich Stämme
in die Tabellen aufzunehmen. Freilich weiss man, dass viele von
diesen in Kultur gar nicht mehr existieren, so dass eine eventuelle
Identifizierung eines neu gefundenen Stammes mit der Originalkultur
unmöglich sein würde. Verf. hat die Ueberzeugung, dass die vor¬
liegenden Tabellen zu den besten und brauchbarsten gehören, die
wir zurzeit besitzen.
Das Buch ist auch in seinen anderen Teilen recht gut. Es bringt
die 1 echnik der Kulturen, das Isolieren der Bakterien, das Mikro¬
skopieren, das Färben und die speziellen Verfahren bei der Diagnose,
ebenso eine Anleitung für den Gebrauch der Bestimmungsschlüssel.
Ein ausführliches Sachregister mit allen im Buch enthaltenen Bak-
terien und der zugehörigen Literatur ist eine sehr schätzenswerte
Zugabe. Jedenfalls wird das kleine Werk dem Diagnostiker manche
gute Dienste leisten und ist zu empfehlen.
R. 0. Ncum a n n - Bonn.
Schadenverhiiteiides Wirken in der deutschen Arbeiterversiche¬
rung. \ on Dr. jur. et med. h. c. Paul Kaufmann, Präsident des
Reichsvcrsicherungsamts. 2., vermehrte Auflage. Berlin 1914 Ver¬
lag von F. V a h 1 e n. Preis 5 M. 214 Seiten.
Wir haben die erst vor kurzem erschienene 1. Auflage dieser
interessanten und zugleich der Propaganda unseres sozialen Riesen¬
werks dienenden Studie hier an dieser Stelle eingehend gewürdigt.
Einzelne Abschnitte sind in dieser 2. Auflage erheblich umgestaltet,
das Literaturverzeichnis ist bedeutend erweitert worden. Wer sich
über die grundsätzlichen Ziele und Mittel, die Leistungen und Wir¬
kungen der deutschen Arbeiterversicherung zuverlässig unterrichten
will, dem wird das autoritative Werk K.s der beste Führer sein.
Dr. Gr assmann- München.
AtUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2102
Nr. 42.
Karl Sud hoff: Beiträge zur Geschichte der Chirurgie im
Mittelalter. Graphische und textliche Untersuchungen in mittelalter¬
lichen Handschriften I. Teil (Heft 10 der Studien zur Geschichte der
Medizin). Leipzig 1914 bei J. Ambrosius Barth. X und 224 Seiten
8" mit 65 Tafeln in Lichtdruck und 27 Textabbildungen. 38 M. ungeb.
Es ist bewunderungswürdig, wie unser Generalfeldmarschall
der Medizingeschichte in planmässiger Konsequenz und zäher, vor
keiner Schwierigkeit zurückschreckender Arbeit das Gebiet der mit¬
telalterlichen Medizin sich und uns neu erobert und, an allen Punk¬
ten der Grenze einbrechend, Stück für Stück unserer Kenntnis unter¬
wirft, beharrlich und erfolgreich dem Ziele zustrebend; dem Ziel:
die Ausgangspunkte des mittelalterlichen Wissens aufzuspüren und
bis zur Antike zurückzuverfolgen, dann die Masse des Guten aufzu¬
decken, die das Mittelalter selbst dazugetragen hat. Der vorliegende
Band reiht sich den nun schon zahlreichen Arbeiten Sudhof fs an.
in den Zusammenhängen nachgespürt wird. Die zielbewusste und
wieder höchst erfolgreich geleistete Arbeit ist erstaunlich. Eine
Menge neuen Materials ist durch Sudhoffs Findertalcnt zu¬
sammengetragen und mit subtiler Gewissenhaftigkeit durchgearbeitet.
Der wohlausgestattete Band besteht zur Hälfte aus Tafeln. Das
reiche neue Bildermaterial zur Chirurgie des Mittelalters betrifft
Operationen, vor allem Staarstich, Nasenoperationen, Hämorrhoiden¬
schnitt. Dann folgen Schemata der heilbaren und unheilbaren Wun¬
den, eine reiche Serie von Brennstellenbildern (Anweisungen, an wel¬
chen Stellen Kauterien bei den verschiedenen Erkrankungen gesetzt
werden müssen), Schröpfschemata, neue Aderlass- und Ticrkreis-
zeichenmänner. Von besonderem Interese sind, um nur einiges aus
der Fülle des Gebotenen herauszuheben, die Bilder aus der Chirurgie
des Roger von Salerno (13. Jahrh.) und die Mastdarmfisteloperation
bei John Ar der ne (14. Jahrh.). Der Text beschränkt sich auf das.
was mit den Bildern in unauflöslichem Zusammenhang steht, die Bil¬
dertexte und die notwendigsten bibliographischen und erklärenden
Bemerkungen. Neues Textmaterial und eine zusammenfassende Dar¬
stellung des Ganzen wird in einem zweiten Teil folgen. Er ist mit
Spannung zu erwarten. H. Kerschensteine r.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Iimnunitätsforscliung und experimentelle
Therapie. 21. Band. 6. Heft. (Auswahl.)
Wilhelm Spät-Kladno: Untersuchungen über ein Leukozyten-
iinmunserum.
L e s c h k e hat in dem Gedanken, die in den Leukozyten ent¬
haltenen bakteriziden Stoffe durch ein den Zellkörper auflösendes
Immunserum zur Wirkung gegenüber einer bakteriellen Infektion zu
bringen, ein derartiges Serum hergestellt, und zwar durch Be¬
handlung eines Kaninchens mit Meerschweinchenleukozyten. Verf.
hat nun untersucht, ob ein solches Serum nicht vielleicht auch andere
Körperzellen auflöst, und er hat dabei gefunden, dass es tatsächlich
Hämolysine gegen Hammelerythrozyten enthält. Im übrigen ist
dieses Immunserum nicht organspezifisch, da es auch mit anderen
Körperzellen des Meerschweinchens gleichfalls Immunitätsreaktionen
eingeht.
E. Friedberger und Guido Goretti- Berlin ; Bewirkt art¬
eigenes, „blutfremdes“ Eiweiss bei wiederholter Zufuhr Ueberemp-
findlichkeit?
In neuerer Zeit ist die Frage, ob eine Sensibilisierung durch
wiederholte Injektion eines arteigenen aber blutfremden Organs mög¬
lich ist, zahlreichen Untersuchungen unterzogen und in verschie¬
denem Sinne beantwortet worden. Ganz besonders wienug ist diese
Frage für die Abderhalden sehe Reaktion, die ja auf der An¬
schauung beruht, dass blutfremde Körpersubstanzen in den Kreislauf
gelangen und dort die Abwehrfermente hervorrufen. Die Gültigkeit
der bisherigen Laboratoriumsversuche mit positivem Resultate be¬
streitet der Verfasser, weil die primäre Giftigkeit der Organextrakte
bei Normaltieren nicht genügend berücksichtigt wurue. Er verfuhr
so, dass er ein Meerschweinchen mit arteigenen Organen vorbe¬
handelte und dann nach dem bestimmten, für die Ueberempfindlich-
keitsversuche günstigsten Intervall wiederum das gleiche Organ¬
extrakt reinjizierte. Vor dieser Reinjektion jedoch wurde bei nor¬
malen unvorbehandelten Kontrolltieren auf das Genaueste die töd¬
liche Dosis des zu reinjizierenden Antigens ermittelt. Diese Ver¬
suche wurden angestellt mit Plazenta. Niere und Leber. Die Resul¬
tate fielen mit ziemlicher Eindeutigkeit in dem Sinne aus, dass eine
Differenz zwischen den verschiedenen Serien nicht nacnzuweisen
war, und dass selbst die äusserst empfindliche Temperaturmessung
keinen nennenswerten Unterschied zwischen vorbehandelten und
nicht vorbehandeltcn Tieren ergab. Verf. zieht daraus den äusserst
wichtigen Schluss, dass es eine Blutfremdheit arteigenen Eiweisses
nicht gibt. L. Saathoff - Oberstdorf.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 40.
C. teil Horn- Helder (Holland): Zur Diagnose der Appendizitis.
Verf. macht darauf aufmerksam, dass bei akuter Appendizitis
der Pat. bei Zug am rechten Samenstrang oberhalb des Hodens
Schmerzen äussert. Dieser Zugschmerz gibt also eine indirekte Auf¬
klärung; weniger Bedeutung dürfte dem Kremasterreflex (Herab¬
setzung des rechtsseitigen Reflexes) beizumessen sein.
Friedrich N c u g e b a u e r - Mährisch-Ostrau: Zur Technik der
Magenresektion.
Um auch hochsitzende Ulzera exzidieren zu können, legt Verf.
den Resektionsschnitt möglichst steil, fast tangential; dadurch wird
der Magen verschmälert und schlauchförmig; der unterste Zipfel
eignet sich dann sehr gut für eine Einpflanzung nach Reichel.
Die Lage des Resektionsschnittes und der Magendarmnaht wird aus
2 Skizzen ersichtlich. E. Heim- Oberndorf b/Schweinfurt.
Archiv für Gynäkologie. Band 101, Heft 3, 1914,
Albert Tassius: Ueber Wehemnittel. (Aus der Provinzial-
Frauenklinik und Hebammenlehranstalt zu Breslau. Direktor:
Dr. Bau m in.)
Chinin dient, um bei primärer Wehenschwäche kräftige und an¬
haltende Wehentätigkeit zu erzielen, sowohl bei Geburten als bei
Aborten. Pituglandol wird angewandt bei sekundärer Wehenschwäche
in der Austreibungsperiode, um schTielle Wirkung zu bekommen, in
diesem Sinne wirken auch Pituitrin, Glanduitrin und Coluitrin. Seca-
cornin findet fast ausschliesslich post partum Verwertung zur Be¬
kämpfung der Atonia Uteri, kombiniert mit Pituglandol. Als wehen¬
erregendes Mittel z. B. zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt
fand nur die Dilatation und Einführung der Glyzerin-Hammelblase
Anwendung.
Rudolf K 1 o t z - Dresden: Ein Fall von Acardius aneneephalus
mit partiellem Defekt beider Müller sehen Fäden. (Aus der Uni¬
versitäts-Frauenklinik zu Tübingen. Direktor: Prof. Seil heim.)
Die obere Körperhälfte fehlte und damit auch Magen, Dünndarm,
Leber, Milz, Herz und Lunge.
W. Gar dl und: Hypophysenextrakt als Wehenmittel. (Mit
teilung aus der Geburtsklinik „Allmaenna barnbördshuset“ und der
Entbindungsanstalt „Pro Patria“, Stockholm.)
Der Hypophysenextrakt ist ein gutes, aber keineswegs souve¬
ränes oder vollständig zuverlässig wehenanregendes Mittel. Bei der
subkutanen Darreichung von normalen Dosen scheint es keine lästige
Folge für Mutter oder Kind zu haben.
John Willoughby Miller: Corpus luteum, Menstruation und
Gravidität. (Aus der Heidelberger Universitäts-Frauenklinik. Direk¬
tor : Prof. Meng e.)
Zwischen Ovulation und Menstruation besteht ein festes Ab¬
hängigkeitsverhältnis, und zwar geht der Follikelsprung der Blutung
durchschnittlich 9 Tage voraus. Während das Ei die Tube durch¬
wandert, bildet sich das Corpus luteum. Der gelbe Körper ist eine
periodisch sich bildende Drüse mit innerer Sekretion; sie veranlasst
die zyklische Umbildung des Endometriums zur Dezidua — das Ei
ist hierzu nicht nötig — und ermöglicht so die Implantation des Ovu¬
lums; sie ist das trophische Zentrum für den Uterus. Die Schwanger¬
schaftstoxikosen entstehen möglicherweise durch eine Unterfunktion
des Organs. Als geeignetster Termin für die natürliche wie die
künstliche Befruchtung ergibt sich der 10. Tag vor dem berechneten
Eintritt der neuen Periode. Zur Implantation gelangt stets das Ovu¬
lum der zuerst ausgebliebenen Regel. Die Schwangerschaftsdauer ist
daher um 19 Tage zu reduzieren.
A. B o r t k i e w i t s c h - St. Petersburg: Beitrag zur Kenntnis
der sogenannten Adenomyome des weiblichen Gcnitaltraktus. (Aus
dem pathologischen Institut zu Strassburg i.E. Direktor: H. Chiari.)
Die meisten der sogen. Tuben-, Uterus- und Vaginaladenomyome
sind keine eigentlichen Tumoren, sondern nur Ergebnisse der auf dem
Boden chronischer Entzündung entwickelten Muskelhyperplasie. Die
schleimhautähnlichen Inseln in solchen Geschwülsten stammen ent¬
weder von dem Serosaepithel oder noch häufiger von der Mukosa
ab: verhältnismässig selten stammen die Epitheleinschlüsse vor,
embryonal versprengten Teilen der M ii 1 1 e r sehen oder Wolff-
schen Gänge ab; ausnahmsweise kann als Ursprung das Zwischen-
und Nachnierenblastom in Frage kommen.
Erwin Zweifel: Erfahrungen an den letzten 10 000 Geburten
mit besonderer Berücksichtigung des Altersbildes. (Aus der Uni¬
versitäts-Frauenklinik zu München. Direktor: Prof. D o e d e r 1 e i n.)
Die eingehende Statistik berücksichtigt die Verteilung der Ge¬
burten auf die verschiedenen Lebensperioden und das jeweilige pro¬
zentuale Verhältnis der Geburtenkomplikationen. Erst- und Mehr¬
gebärende werden gesondert betrachtet.
Paul B o e h i: Ein Fall von Geburtshindernis, bedingt durch iiber-
mässige Dilatation der fötalen Harnblase mit gleichzeitiger Ruptur
derselben. (Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Zürich. Direktor:
Prof. W y d e r.)
23jährige Erstgebärende; erst nach Eröffnung und Entleerung
der kindlichen Harnblase, welche ca. 3 Liter Flüssigkeit enthielt, ging
die Geburt spontan vor sich. Missbildungen und sekundäre Ver¬
änderungen an sämtlichen Bauchorganen des Fötus.
Paul Werner: Ueber gleichzeitiges Vorkommen von Karzinom
im Uterus und in den Adnexen. (Aus dem Laboratorium der II. Uni¬
versitäts-Frauenklinik Wertheim in Wien. Vorstand: Prof. Schott¬
in e n d e r.)
Unter 374 Radikaloperationen, die wegen Karzinom an den
inneren Genitalien vorgenommen wurden, fand sich 14 mal Karzinom
im Uterus und in den Adnexen Aber nur in 3 von diesen 14 Fällen
liess sich die gegenseitige Unabhängigkeit der Tumoren mit einiger
Sicherheit feststellen. Anton H e n g g e - München.
20. Oktober 1914.
M UENCHENER MEPIZ 1 N 1 SC H E WOCHENSCHRIFT.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 40, 1914.
l)eppe-Ta"Ka: Frauenärztliches aus Deutsch-Ostafrika.
D. wollte die rrage nachprüfen, ob es richtig sei, der Frau ab-
zurutui, den Mann in die I ropen zu begleiten. Seine Stellung als Re-
gierungsurzt in I anga, einem der ungesundesten Plätze Deutsch-Ost-
afrikas, befähigte ihn, sich aus den Medizinalberichten und den Jour¬
nalen des rangaer Krankenhauses ein Urteil zu bilden.
Er stellt danach zusammen alle bekannt gewordenen T ödes-
fälle von 1 rauen, ferner die in den Hospitälern von Daressalam und
T anga beobachteten Frauenkrankheiten, endlich die in den
letzten 3 Jahren im I angaer Krankenhause stattgehabten E n t b i n -
düngen und einige von ihm behandelte Fälle von sog. Nervosi¬
tät bei Frauen. Zu den letztgenannten gehörten 2 Fälle von Hysterie
und 3 r alle nervöser Beschwerden bei bestehendem Prolapsus utcri
et vaginae, die operativ geheilt wurden.
Aus seinen allgemeinen Schlüssen seien folgende hervorgehoben:
Die Geburt in den 1 ropen ist von kürzerer Dauer, doch von mehr Zu¬
fällen begleitet, als in Deutschland. Besonders häufig ist vorzeitiger
Blasensprung. Die Trooenkinder sind trotzdem durchschnittlich
schwerer und grösser. Die Entbindungen bedürfen noch mehr der
Ueberwachung als daheim. Wenn möglich, sollten alle in besonderen
Anstalten stattfinden. Psychische Alterationen vermögen auch im
Tropenklima auszuheilen.
D. glaubt nicht, dass jede Frau davor gewarnt werden müsse,
in die Tropen zu ziehen, wenigstens soweit Deutsch-Ostafrika in
Frage kommt. Die Unterfrage der Dauer des Aufenthaltes will er da¬
bei beiseite lassen. J a f f e - Hamburg.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 52. Band, 1. u.
2. Heft.
A. Bo r n s t e i n und A. S a e n g e r - Hamburg: Untersuchungen
über den Tremor und andere pathologische Bewegungsformen mittels
des Saitengalvanometer.
Die. Zitterbewegung entspricht in der grossen Mehrzahl der
raue nicht einem einzelnen Innervationsinipulse, sondern jeder
I remorstoss beruht auf einer Reihe, nieist 3 — 6 einzelner Inner-
vationsimpulse. so dass man von einem Tetanus sprechen kann. Bei
echten Reflexen erfolgt die einzelne Zuckung im allgemeinen auf
eine einzelne Erregung hin. Nur bei 2 Fällen von Fussklonus liess
sich feststellen, dass einem Stoss mehrere Erregungen zugrunde
lagen. Bei einem schweren Spasmus waren überhaupt keine ’Aktions-
ströine im Muskel nachzuweisen.
V. R e i c h in a n n - Jena : Ueber zwei unter dem Bilde einer
Hirngeschwulst verlaufende tuberkulöse Hirnhautentzündungen, nebst
Bemerkungen zur Frage über die Entstehung und Ausbreitung der
Meningitis tuberculosa.
Im Anschluss an die beiden durch die Ueberschrift gekenn¬
zeichneten Fälle bespricht Verf. die Pathogenese der tuberkulösen
Meningitis. Fehlen, wie in den beiden beschriebenen Fällen, alle
stürmischen Erscheinungen und ist der Verlauf ein so ausserordentlich
angsamer, so kann man sich vorstellen, dass Tuberkelbazillen
'amatogen in das Hirn verschleppt wurden und hier ganz allmählich
uif lymphogenem Wege die Hirnbasis infizierten.
E. S e p p - Moskau : Ueber die Pathogenese der Tabes.
Der Nachweis von Spirochaeta pallida bei Tabes stellt die Aetio-
ogie derselben fest und macht die Behauptung möglich, dass Tabes
ich beim Vorhandensein von manifester oder latenter Syphilis ent-
vickelt. obgleich das Auffinden der Spirochäte an der einen oder
ler anderen Stelle des Nervensystems uns gegenwärtig noch kein
<echt gibt, irgendwelche Forderungen bezüglich der Pathogenese
ler J abes zu machen.
Die Tabes stellt eine scharf ausgedrückte nosologische Einheit
ar lJn<^ zur anatomischen Grundlage einen Degenerationsprozess,
welcher infolge von dauernder Wirkung der in der Zerebrospinal-
lüssigkeit zirkulierenden diffusibleti syphilitischen Toxine entsteht,
ngeachtet der Anwesenheit von Spirochäten muss man die Tabes
och für eine parasyphilitische Krankheit halten, welche sich scharf
cn der echten Syphilis klinisch und anatomisch unterscheidet.
O. Roth- Zürich : Zur Kenntnis des Oedema angioneuroticum
aroxysmale (Quincke).
Die Untersuchung des vegetativen Nervensystems bei einem
all von Q u i n c k e schem (Jedem ergab, dass der das Herz ver¬
argende Anteil erhöht erregbar war. Die Vermutung, dass auch der
as peripherische Gefässsystem versorgende Teil leichter ansprech-
ar sei, erschien durch die Beobachtung wahrscheinlich gemacht, dass
ie Haut des Kranken auf Histaminbehandlung schneller und aus-
■ehiger reagierte wie bei Kontrollpersonen.
J. M o r a w s k i - Lodz: Ein Fall von Kohlenoxyd Vergiftung.
Kasuistik.
G u e n s e I - Leipzig: Posthemiplegische Pseudomyotonie.
Ein. 28 jähriger Mann erlitt eine sich allmählich ausbildende
nksseitige Hemiplegie mit halbseitiger Empfindungsstörung, Schmer-
-n und rechtseitiger Okulomotoriuslähmung. Während sich die Läh-
ungserscheinungen langsam zurückbildeten, traten andere Symptome
azii; von denen das Auffälligste Krampfanfälle in der linken Hand
n? im linken Arm waren. Und zwar handelte es sich um Aktions-
lanipfe, pathologisch gesteigerte, nachdauernde und ausgebreitete
inervationsaffekte bei willkürlichen Bewegungen. Verf. sieht in 1
210.3
diesen myotonischen Erscheinungen ein vollwertiges Lokalsymptom
organischer Entstehung.
K. H e d d e - Hamburg: Beitrag zur Kenntnis der Abdominal-,
Kremaster- und Plantarreflexe.
Statistische Erhebungen über das Fehlen oder Vorhandensein
der genannten Reflexe bei verschiedenen Nervenkrankheiten.
D. M. K a p 1 a n - NewYork: Die wassermannfeste Tabes.
Unter wassermannfester Tabes versteht Verf. eine Tabes, deren
oeium eine beständige positive Wassermannreaktion zeigt, gleich¬
gültig, welches Mittel und wie oft es angewendet wurde. Nach
seinen an einem grossem Material gewonnenen Erfahrungen stellt
diese rorni der I abes nur den serologischen Vorläufer einer allge¬
meinen progressiven Paralyse dar, die allerdings manchmal erst
nacli Jahren nachweisbar ist.
M Friedman n- Mannheim: Beitrag zur Kenntnis der nicht-
gewerbhehen chronischen Quecksilbervergiftung.
•n ^cr^' konnte hei einer Reihe von Postbeamten, die mit Queck-
s,i. erappa raten i zu tun hatten, nervöse Erscheinungen beobachten,
die sich auf Quecksilbervergiftungen zurückführen Hessen, zumal
auch andere leichte Vergiftungserscheinungen bei ihnen festzu-
stellen waren.
R. G e i g e 1 - Wiirzburg: Meine „Kompressionsreaktion“.
i- u Ve[,‘ iat vor JM’ren eine Reaktion mitgeteilt, die am mensch¬
lichen Nerven nach Kompression von Nerv und Gefässen eintritt
und in einer Aenderung des normalen Zuckungsgesetzes besteht. Es
erfolgt unter dem Einfluss der Kompression eine Steigerung der
Oenmingszuckungen, am auffallendsten an der Kathode. Unter An¬
wendung des Blutdruckapparates konnte nun Verf. seine früheren
Beobachtungen durch die Feststellung erweitern, dass die Steigerung
der Oefrnungszuckimg von der Höhe des Druckes abhängig ist, mit
der die Kompression ausgeübt wird, bis mit der Höhe des Blut-
uiuckwertes tUich die bedeutendste Steigerung der Oeffnungs-
Zuckungen erreicht ist. Demnach scheint die einseitige Uebererreg-
barkeit des Nerven gegen die Oeffnung des Stromes nicht durch
Druck auf die Nerven, sondern durch schlechte Blutversorgung her-
corgerufen zu sein: und zwar verhält sich der Nerv im künst¬
lich blutleer gemachten Arm und im hyperämischen völlig gleichartig.
0. Renner- Augsburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
77. Band, 3. u. 4. Heft.
P. Gensler: Ueber die Wirkung der Hypnotika (Neuronal)
bei normalen und bei psychisch erregten Zuständen. (Pharmakol
Institut Zürich.)
Hunde zeigten nach Neuronaldarreichung eine auffallende Kon¬
stanz des Neuronalgehaltes des Gehirns. Bei künstlich hervorge-
rufenen Erregungszuständen (durch das Monomethvl des ac-Tetra-
hydro-/?-Naphthylamins) blieb Neuronal wirkungslos, war jedoch
reichlicher im Gehirn nachzuweisen als bei normalen Tieren.
0 Gros: Ueber die letale Dosis des Kurarin für das Ka¬
ninchen bei intravenöser oder konjunktivaler Applikation. (Pharm
Inst Leipzig.)
Die letale Dosis beträgt bei deutschen Kaninchen 0,13— 0,14 mg
pro kg. bei intravenöser Injektion. Entgegen Claude Bernards
Versuchsergebnissen kann man auch konjunktival die Tiere töten
durch 1 proz. Lösung von Kurarin; bei stärkerer Konzentration
braucht man eine geringere Gesamtmenge des Mittels
M. Loewit: Anaphylaxiestudien. 7. Mitteilung. Die Be¬
ziehung des anaphylaktischen Schocks zur Dyspnoe bei Meerschwein¬
chen. Ein Beitrag zur Kenntnis der Oxydasegranula im Herzen.
(Pliarmak. Institut Innsbruck.)
Doppelseitige Vagusdurchschneidung, starke Streckreflexe führen
bei Meerschweinchen Atemlähmung und anaphylaxieähnliche Er¬
scheinungen herbei, ebenso Koblensäurezufulir. Gleichzeitig fehlten
bei diesen Tieren die Oxydasegranula an vielen Stellen.
Kuno Yas: Ueber die Wirkung der einwertigen Alkohole auf
den überlebenden Kaninchendarm. (Pharniak. Institut Leipzig.)
Ebenso wie auf das Herz wirken die Alkohole auch auf den
Darm der Versuchstiere umso giftiger, je höher ihr Siedepunkt liegt.
Die Wirkung ist teils erregend (Methyl- und Aethvlalkohol), teils
vorwiegend lähmend (Propyl-Butyl-Amvlalkohol) bei den geringsten
Dosen.
L. Czapski: Ein Fall extremster Azidosis im Verlauf des
Diabetes mellitus. (Krankenhaus Friedrichshain Berlin.)
Bei einem 16 jährigen Kranken wurden in 10 Tagen 1085.5 g
/3-Oxybutter säure und Azetessigsäure im Harn gefunden, also durch¬
schnittlich 109 g pro die. Zugleich konnte znm ersten Male der
Nachweis für freie Oxybuttersäure geführt werden, ca. 16 g pro
die. Der Ejweissverlust betrug pro die 8,5 g N und muss zum
Teil auf toxischen Zerfall zurückgeführt werden.
Derselbe: Experimentelles über Alkalitherapie.
4 proz NaHCOs-Lösung subkutan 6,5 ccm pro 100 g Ratte
machte keine Erscheinungen, 16 ccm pro 100 g töteten das Tier.
Eine 2,5 proz Na^CO-i-Lösung erzeugte dagegen schwere Haut¬
nekrosen und tötete schon bei 7,8 ccm pro 100 g Tier. Intravenöse.
Injektion bei Kaninchen führte bei gewissen Dosen zu Atem- und
Zirkulationsstörungen, die das Tier töteten. Betreffs der Ergebnisse
über Ausscheidung der Salze und ihr Verhalten im Organismus sei
auf das Original verwiesen.
2104
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 42.
R. Kuenzer: Ueber Resorption und Ausscheidung von Strych¬
nin nach parenteraler Einverleibung der Strychninbase beim A\eer-
schweinchen. (Pharmak. Inst. Freiburg i. B.)
Feinst verriebene Strychninbasen subkutan injiziert, vergiften
selbst bei vielfach tödlicher Dosis nicht, führen aber zur Ausschei¬
dung messbarer Mengen mit Harn und Kot.
M Cloetta und E. Anderes: Zur Kenntnis der Lungen¬
vasomotoren. (Pharmak. Inst. Zürich.)
H. Freund und E. Schlagintweit: Ueber die Wärme¬
regulation kurarisicrter Tiere. (Med. Klinik Heidelberg.)
Die Kurarisicrung hebt die Wärmeregulation nicht auf.
A Fröhlich und L. P o 1 1 a k : Ueber Zuckermobilisierung in
der überlebenden Kaltblüterleber. (Pharmak. Institut Wien.)
Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins, die Beein¬
flussung der Adrenalinwirkung durch zahlreiche Substanzen (NaCl,
KCl, CaCL etc.) und über die Einwirkung anderer Körper (Uran
und Chromsalze, Nitrite, Ketonsäuren, Hypophysenextrakt etc.) auf
die Zuckermobilisierung. Die Ergebnisse im Einzelnen müssen im
Original nachgclesen werden.
Dieselben: Steigerung der Zuckerbildung in der Schild¬
krötenleber als Folge der Pankreasexstirpation.
Die Pankreasentfernung führte zu einer erhöhten Empfindlich¬
keit der Lebcrzellen gegenüber Reizen zum Glykogenabbau (Adre¬
nalin). Vielleicht können so schon physiologische Reize zum Gly¬
kogenabbau zu pathologischer Zuckerausscheidung führen.
H. Be um er: Ein Beitrag zur Chemie der Lipoidsubstanzen in
den Nebennieren. (Kinderklinik Halle a. S.)
Chemische Untersuchung der Phosphatide der Nebennieren von
Hammeln und Ochsen nach der Methode von Erlandscn.
L. Jacob- Wiirzburg.
Archiv für Hygiene. 83. Band. 1. und 2. Heft. 1914.
Leo T o m p a k o w - Basel: Ueber den Wert der neuen Con¬
rad i sehen Verfahren für die Diphtheriediagnose (Pentan-Tellur-Ver-
fahren).
Die Nachprüfung erstreckte sich auf 117 Fälle von Diphtherie¬
verdacht aus Rachen-, Nasen-, Konjunktiva- und Harnblasenmatcrial.
Es wird konstatiert, dass Diphtherie und Pscudodiphtherie sich auf
der Tellurplatte unterscheiden, indem die Kolonien der Diphtherie im
Gegensatz zu denen der Pseudodiphtheric schwarz erscheinen. Letz¬
tere sind hellgrau bis weisslich. „Erschwerend für den praktischen
Gebrauch ist der Umstand“, dass die Schwarzfärbung der Diphtherie
bei etwa 30 Proz. der Fälle nach 20 — 24 Stunden noch nicht deutlich
ist. Viele Kokkenkolonien wuchsen ebenfalls schwarz, eine Behinde¬
rung für die Diphtheriediagnose, welche aber z. T. durch das Pen¬
tanverfahren aufgehoben wird Beide Verfahren aber, die Tellur¬
platte und das Pentanverfahren sind zu kompliziert und nehmen viel
Zeit in Anspruch, so dass die geringe Mehrleistung in der Auffindung
von Diphtheriekolonien kaum wett gemacht wird. Die Herstellung
jener Platten ist auch mehr als doppelt so teuer.
H. S c h u 1 1 e - Wiirzburg: Ueber die Gefahr einer Quecksilber¬
vergiftung bei Zahnärzten.
Zunächst beschäftigte sich Verf. mit der Methodik der quanti¬
tativen Bestimmung des Quecksilbers aus Harn. Seine Resultate
führten noch am sichersten zum Ziele mit der von B u c h t a 1 a an¬
gegebenen neuen elektrolytischen Methode. Es wurden nun die
Harne von einer grossen Reihe von Zahnärzten und dort jeweils be¬
schäftigten Personen, welche mit Quecksilberamalgam teils mit teils
ohne Handschuhen arbeiteten, untersucht und dabei gefunden, dass
zwar bei allen Untersuchten Quecksilber gefunden wurde, aber doch in
recht geringen Mengen, und zwar meist nur wenig über 0,05 mg in der
Tagesmenge. Ob das Amalgam dabei mit blossen oder geschützten
Fingern verarbeitet worden war. spielte keine Rolle. Daraus durfte
geschlossen werden, dass das Quecksilber in der Hauptsache doch
durch Einatmen in den Körper gelangt. Die aufgenommene Menge
war dort, wo Kupferamalgam zur Verwendung kam, etwas grösser,
wahrscheinlich, weil vor dem Gebrauch dasselbe erhitzt werden muss
und mehr Quecksilber flüchtig wird. Die Mengen des bei den Per¬
sonen gefundenen Quecksilbers sind so gering, dass eine Gefährdung
der Gesundheit so gut wie ausgeschlossen ist.
Kurt S c h e r n - Ames-Jowa: Bemerkungen zu der Arbeit von
Dr. Heinz Z e i s s in Bd. 82 dieser Zeitschrift „Ueber einige bei Tier¬
krankheiten gefundene Erreger aus der Gruppe der hämorrhagischen
Septikämie.
Es wird darauf hingewiesen, dass der von M i e s s n e r und
Schern bei Kanarienvögelnekrose gefundene „Bacillus cana-
riensis necrophorus“ nicht zur hämorrhagischen Septikämie,
wie Z e i s s das will, gehöre. Da der betreffende Stamm aber nicht
mehr in Kultur vorhanden ist, so lässt sich ein endgültiges Urteil lei¬
der kaum mehr feststellen. R. O. Neumann - Bonn.
Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches
Sanitätswesen. 1914. 3. Heft.
I. Gerichtliche Medizin.
Die Bedeutung neuerer Methoden zur Unterscheidung mütter¬
lichen und fötalen Blutes für die gerichtliche jMedizin. Von W. V o 1 1 -
h a r d - Kiel (Aus dem Institut für gerichtliche Medizin der Universi¬
tät Kiel.)
Die Wichtigkeit der Blutdiagnostik nicht nur für die Physiologie
und klinische Medizin, sondern auch für die gerichtliche Medizin ver¬
anlasst Verf. durch eingehende Untersuchungen zu prüfen, ob es für
den ücrichtsarzt möglich sei, Blutreste und Blutflecken
von mütterlichem Blute von denen zu unterscheiden,
die vom Fötus bzw. Neugeborenen herriihren; es
kamen dabei vor allem 2 Arten in Betracht, die Abderhaldcn-
sche Schwangerschaftsreaktion und eine bio¬
chemische Methode nach Herrmann und Neu mann
Was nun erstere anlangt, so kommt Verf. auf Grund der an-
gestellten Versuche zu der Anschauung, dass diese Methode weder
mit älteren sterilen und hämolytischen Seren noch mit Extrakten aus
Blutflecken nur cinigermassen sichere Resultate, auch nach der von
Conim angegebenen Modifikation gebe, sie sei also für gerichtliche
Medizin bisher unbrauchbar, ausgeschlossen sei allerdings nicht, dass
sie vielleicht später, wenn die Natur der Abwehrfermente näher be¬
kannt ist, auch für die gerichtliche Medizin verwendbar gemacht
werden könne, solange man aber auch nur nicht ganz sichere Re¬
sultate bekomme, sei sie für so wichtige Entscheidungen, wie sie die
forensische Medizin zu fällen habe, wertlos.
Bezüglich der Ergebnisse der Untersuchungen nach Herrmann
und Neumann (Unterschied des Blutes von Schwangeren und
Neugeborenen in bezug auf Fett- und Lipoidgehalt) gibt Verf. an, dass
positiv ausfallende Proben Bestimmtes nicht aussagen, denn das Blut
könne von schwangeren oder nichtschwangeren Individuen her¬
stammen, auch könne kindliches und mütterliches Blut, wie dies bei
der Geburt leicht vorkomme, zusammengcflossen sein, dagegen könne
man mit grosser Gewissheit annehmen, dass es sich um kindliches
Blut handle, wenn die Probe negativ ausfalle oder nur eine ganz
schwach opaleszierende, eben wahrnehmbare Veränderung bei der
Untersuchung auf den Fett bzw. Lipöidgehalt eintrete.
Ueber die psychologische Entstehung sogen. Unfallsneurasthcnien
mit vorwiegend endogener Verursachung. Von Dr. A. Kronfeld-
Dalldorf.
Kr. schildert in eingehender Darstellung einen fast typischen Fall
von Unfallncurasthcnie, der gewisse psychologische Zusammenhänge
so klar zeigt, wie sic selten in so eindeutiger und durchsichtiger
Form bei den Unfall- und Rentenkampfneurosen sich zeigen. Es han¬
delt sich um einen Telegraphensekretär, der auf einer Eisenbahnfahrt
mit dem Hinterkopf an die Wagenwand gestossen worden, dass er
augenblicklich ganz besinnungslos geworden sei. Als Folge dieses
Unfalls haben sich angeblich schwere neurasthenische Beschwerden
eingestellt. Wie K. ausführt, lehre der Fall, dass es Menschen gebe,
in deren seelischer Anlage und Eigenart es liege, zu ihrem Milieu
in einer Art von ständiger innerer Opposition zu stehen — diese
Eigenart resultiere aus einem Gegensatz zwischen dem Geltungs¬
willen der Persönlichkeit und der Uebermacht der Umwelt. Da
nun das Milieu in den Grenzen der bürgerlichen Berufe eine ein¬
schränkende Bedingung für die Expansion der Persönlichkeit bildet,
so leidet ein derartiger Charakter an seinem Milieu und kann er nicht
aus diesem heraus, so wird er jeden sich darbietenden Moment be¬
nützen, um sich ausser Gefecht zu setzen, und zwar in einer Weise,
unter der sein Selbstgefühl nicht leidet, die Schuld muss etwas
anders auf sich nehmen. Hierin liegen nun die affektiven Wurzeln
des Querulantentums und der schweren langdauernden Neurasthenien,
ohne dass der Unfall als solcher für die Genese derartiger Neur¬
asthenien von wesentlicher Bedeutung ist: wie der Querulant sein
Recht, so verfolge der Neurastheniker dieser Art seine Krankheit.
Lungenschwindsucht und Geschlechtstrieb. Von M.-R. Dr.
W. Gosse- Dresden.
Verf. prüft näher die Frage, ob wirklich, wie vielfach an¬
genommen wird, tuberkulöse Lungenkranke sich eines lebhafteren Ge¬
schlechtstriebs erfreuen und im Gegensatz zu ihrer sonstigen schlech¬
ten körperlichen Beschaffenheit auf dem Gebiete des Geschlechtsver¬
kehrs besonders leistungsfähig seien und kommt zu dem Schluss,
dass auch das von ihm näher verfolgte Material diese Annahme nicht
bestätige, wenn auch damit diese Frage noch nicht endgültig gelöst
sei. der Schwerpunkt sei auf die klinische Beobachtung der
Tuberkulösen unter Zugrundelegung forensisch-psychiatrischer Er¬
fahrung zu verlegen — ihm haben nur kriminelle Fälle zur Prüfung
zur Verfügung gestanden.
Phosgenvergiftungen. Von Dr. A. R o o s. (Aus dem patliol.-
anat. Institut Basel.)
Phosgen — auch unter dem Namen Chlorkalkoxyd. Karbonyl-
chlorid oder Kohlenoxydchlorid bekannt — werde durch Vereinigung
von 1 Volumen Kohlcnoxydgas mit 2 Volumen Chlor dargestellt, oder
in neuerer Zeit dadurch, dass Kalk, Chlorkalzium und Kalkgries im
elektrischen Ofen geglüht werden, wobei sich Phosgen bilde. Sein
Hauptanwendungsgebiet liege in der Farbstoffchemie, besonders zur
Fabrikation der sogen. Azofarbstoffe, dann in der pharmazeutischen
Chemie.
Die hauptsächlichsten klinischen und pathologischen Symptome
seien: Entstehung akuter Lungenblähung und heftiger Hustenanfällc
mit zähem schleimig-eitrigem Sputum, starke Dyspnoe bis zu lebens¬
bedrohenden Erstickungsanfällen, akute Herzdilatation mit Kollaps¬
puls und Zyanose, stark eiweisshaltiger Urin, Stauungspolyzythämie,
verbunden mit starker Leukozytose, multiple kleinste pneumonische
Herde, subpleurale Blutungen, akute Bronchiolitis und multiple Throm¬
bosen der Lungenartresien, Verfettung von Leber und Nieren, Hyper-
20. Oktober 191-4.
MUENCHENEK MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
iiiose des Blutes und Bildung multipler Thrombose in den ver¬
schiedensten Organen, wie Gehirn, Lungen, Darm- und Beingefässen.
I le llierapie sei im wesentlichen symptomatisch, vor allem in
Hwfkraft bauerstoffzufuhr bestehend, ferner Mittel zur Hebung der
Besprechungen, Referate, Notizen.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 41, 1914.
t?Ö^e«rt‘ilÖlti?.gen: Beitrag zur Behandlung der Ruhr.
tJ[-nLÄb.t-fur...die a]imeptäre Behandlung der Ruhr folgende
Anhaltspunkte, im allerersten Anfang ist strengstes Fasten notwendig
und auch spater ist jedes Zuviel und alles Unzweckmässige in
der Nahrung imstande, den Krankheitsverlauf bösartiger zu machen
Hungei. auch partieller, bei einseitiger Kohlehydratkost, verschlim-
mert un - weiteren Verlaufe den Zustand. Nach Beseitigung der
akuten Ruhr sind vielfach die Verdauungsorgane so labil dass
sekundäre Storungen, z B. auch motorische Insuffizienz des Magens,
den Heilungsverlauf unterbrechen.
seKmg.)£,‘neScltenfo“tr Krie8ssa"i,ä‘sdle"s' Berlin. (Fort-
N a g e 1 - Berlin: Ueber einen Fall von geheilter Utero
vesikalfistel mit abdominaler Exstirpation des Uterus. (Nach einem
anJtjn°; Jub 1914 ® der geburtshilflichen Gesellschaft zu Berlin ge-
haltenem Vortrage.) Kasuistischer Beitrag.
Ki et schmer - Berlin: Ueber wahren Knochen im Auswurf.
:,°,n Ter bestehenden Wirbelkaries ausgehender
Abszess schlug den verhältnismässig seltenen Weg dnreh die Lunge
uLn T1“ --rach w?.tir d?.m Bilde eines Lungenabszesses durch. Von
Wirbelkorpern stiessen sich nach und nach kleine
knochenstuckchen ab, die beim Passieren durch die Lunge stets
Sta 'L SnierZCnnl!nr1 durch Verletzung von Gefässen und Lungen¬
gewebe kleinere Blutungen, einmal einen starken Blutsturz verur-
sacmen' Dr. Grass mann- München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 40, 1914.
Rubner-BerJin: Die Volksernährung im Kriege.
7o!,1a e* « schildert in kurzen Zügen mit Hilfe des notwendigsten
.^nstoffes die Erzeugungs- und Verbrauchsverhältnisse der wich-
£ Nahrungsmittel 111 Deutschland. Trotz der immer wiederholten
Klagen über Fleischnot lässt sich sagen, dass die Viehzucht in
Deutschland tatsächlich dem grossen Fleischbedarf gerecht geworden
Sr Pi5eZr hlln£ 3n letzteren mögen folgende statistische Angaben
hier Platz finden. Der gegenwärtige Verbrauch von Fleisch ist für
Kopf und Jahr in Deutschland 52,3 kg, in England 47 6 Frank-
33,6, Belgien und Holland 34,3, Oesterreich-Ungarn 29,10, Russ-
and -1,8, in Italien 10,4 kg. in Deutschland betrug dieser Verbrauch
ßJHSl kl W6tkg’ \8r° 2166' 1873 29’5’ 1892 32’5' 1900
wl? 52)3 kg- Weiter erklärt R. mit vollster Sicherheit, dass an
Veizen und Rogen zusammen unser Bedarf für die Mehl- und Brot-
Bereitung völlig aus dem Inland gedeckt werden kann und dass tiber-
915 g einhfaner!l Er"ähruns darch Vegetabilien bis zur Ernte von
915 gleichfalls durchaus gesichert ist. Zur Aufrechterhaltung des
gegenwärtigen Tierbestandes reichen die Bodenerträgnisse wohl
‘Chh‘ ff auS’. es Wlrd aber vermutlich durch besondere Mass-
md auch ifil PaH-i6"/ ™ef nt.licher Ausfall sich vermeiden lassen
licht notwendig werdm S'ark vermehrt“ Abschlachtnng
in die Krlegschir,"Ä
\\raJ Die, Grundlagen der heutigen Kriegschirurgie.
Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet,
ur ob e r- Jena: Zur Klinik der Bazillenruhr.
;ehandlnn^Uheinrgehr,Ung n" P?tkologie und Klinik sei hier nur die
™f?. besprochen Da nicht nur anfänglich lebensbedrohende
nf raSche ,Besserung erfahren, sondern die leichtesten
-hhmmp rsch,e.!nungen .m wenig Stunden sich aufs schwerste ver-
'tro-faiH^ c koKnnen- sind auch unbedeutende Symptome von Ruhr
enim hu beachten. Die Behandlung mit dem G a u s s sehen
2? hÄSfan Zl 20 CCm’ eVCnt an 3 Tagen hintereinander)
pnn a einzelnen Kranken eine so deutliche und rasche Wirkung er-
SiS w- vrfolg "icht zu leugnen ist. Dagegen war die pro-
üylaktische Wirkung des Serums bei Gesunden unsicher (Verf
i^Phrkrainki,tei trot5 besseren), und es traten z. T. recht un-
lem 6 und aIIgemeine Erscheinungen auf (starkes Exan-
icT u ungen’ Darmbeschwerden und Durchfälle). Trotz-
besonders wenn eine bakteriologische Diagnose vorliegt, die
Ä Stn-ruhzeitlge- Impfung zu empfehlen (bei fehlender oder un-
en/et, ^valentem Serum). Bezüglich der Serum-
■n SAKf~t, d d'e beigegebenen Vorschriften genau einzuhalten. Von
-2F«Sen( bevorzugt Verf. mittlere Mengen von Rizinusöl
■n n.ir nf- ii aU e,nr2a]^*, ' on den Gerbsäurepräparaten war bei
n DurchfaHen wenig Erfolg zu sehen, dagegen wirkt gekochter Rot-
f,ilr ..; zimmetzusatz sehr oft wenigstens subjektiv sehr günstig.
fnrHAU ZadaS Dpmm, oft allerdings erst in grossen Dosen; manchmal
ordern die starken Beschwerden Morphium. Gegen den Tenes-
?m7u0iIU?pfc (Zusatz von 0,01—0,02 Extr. Belladonn. ist
empfehlen) öfters befriedigenden Erfolg, öfters versagen sie.
•gen den Singultus können Eispillen (mit Fruchtsäure betropit) ver-
Nr. 42.
21U5
vvendet werden, oft wirken erst die Narkotika. Manches Gute
150-?nn°n dCr ?duS a,'ba gPsehen (3 Esslöffel am Tage oder auch
vi 2,° c<Lm auj einrnal in Wasser, Wein usw.), oft erregte sie aber
unbee?JflJäWeiRen U'?d viel* von den schweren Fällen blieben ganz
unbeeinflusst Besonderen Wert legt Verf. auf die frühzeitige
und energische Anwendung von Reizmitteln beim Auftreten von
ccm)°SrEnkblSWteilC| kan” durch Kampfer (bis zu zweistündlich
werden J [ tagdang bis zur Genesung über Wasser gehalten
bisher an l deJ Ernährung der Ruhrkranken hat Verf. sich
bisher an die übliche Zufuhr von Schleimsuppe, Wein Thee Kakao
fh-ra-gen v^'i geringem Nährwert gehalten; er beabsichtigt
wertigen ÄranV0" Anfan£ a° mv einer rcichlicheren und höher-
' ertigen Ernährung vorzugehen. Zur Verminderung der I eih
Krh!nZZCn ^'erdcnv feuchte Umschläge auf den Bauch von den meisten
&eievoSrferZogenhI,nend emC,UDdw »«■»'»«weise “'it
Zar Verhütung der Ruhr dienen die üblichen allgemeinen und
Km? ‘ Manche erfahj?'’ D^sinfekUons- und Absonderungsmass-
dünm?-r c7Ta •• erfahrenen Jropenarzte empfehlen 5 Tropfen ver¬
nehmen. -Sa zsaure in irgendeiner Flüssigkeit bei jeder Mahlzeit zu
helfen im ‘ Kriege.^ ° " BerIin ' Die Bekämpfung der Geschlechtskrank-
R , ..^er/- bespricht den von Haberling soeben in der Zschr f
ihm UnI dA Geschlechtskrh. erschienenen Aufsatz und stimmt mit
m in der Forderung überein, dass die den Korpsärzten beigegebenen
Hygieniker ein ernstes Augenmerk auf die im Kriegsgebiet herr
sehenden Prostitutionsverhältnisse richten und dort die in den Frie-
ensgarmsonen geübte Ueberwachung der Prostitution mit Grösster
trote^'bewLtefS ISt U' auch PrÄertk^hl
strenge^z^bestrafen^'^Zu^befonen^ist^aber^dass'^auc^die ^mhche
ÄÄti Ser X
p wüLr ks!
furworten und überhaupt den Verzicht auf Geschlechtsverkehr als
kein allzu grosses Opfer der Soldaten betrachten. Er empfiehlt ein
von dem Gesamtausschuss für Verbreitung von Schriften für die Sol
welches" d^Fmhaft ,n ^ 4Zare“en “erausSSbSSiMwkbtai'
elches die Enthaltung von Alkoholexzessen und die Fernhaltime-
I I°PLPr0S ntU16r!ien 1°' idert Wichtig vor adem ist auch die streHSf
Ueberwachung der Soldaten selbst mit Bestrafung der Verheimlichung
von Geschlechtskrankheiten und die Abschiebung der schwereren
akuten Falle hinter die Front. Zum Schluss betont Verf. die Qefah?
dei Arbeitslosiglteit für die Ausbreitung der Prostitution und der Ge
schlechtskrankheiten in der Heimat und die Notwendigkdl gerade
jetzt die Geschlechtskranken in der Heimat in die Krankenhäuser" zu
tverkekrt’ sie aas dpn Krankenhäusern zu enüassen
um Platz für Verwundete zu schaffen. ’
sai,I«lswiseii!,"1'BerUn: E'n kurier Ueberblick über das Mariae-
im Ä'lwÄ*“ der 0r8a"i5a,io" Sanitätsdienstes
Russlsch-^Japanischen" F?lSng;Da,Idori: Psydhla'riscl'ds aaa d^
Mitteilungen aus der in der Allg. Zschr. f. Psychiatrie 1907 er
schienenen Arbeit von Awtokratow. U/ er‘
Bergeat-München.
Inauguraldissertationen.
Universität Kiel. August-September 1914.
d(fenen ‘NetSop^chJsen'8“'201"“"8 d“ ”aCh dera Unfa" “,s,a"-
MaHpnKR!,:FUebfr den Schweis von Tuberkelbazillen im strömen-
Tuberkulose. ^ SpeZieller Berncksichtigung der chirurgischen
M78 Fällen1^' ^ Beitrag ZUr Zyklodialyse auf Grund von
"Ä“ SBÄ a”eBf«en,ialdiaE„0se zwischen
“iS," Im taÄÄÄ“'1 der E1— "chbehand.
^ "rentialdia^^s^gegen^ber^ de^Demen^LT^raecox1?1111 derCn DiffC’
Neumann Kurt Th.: Ueber Psychosen nach Influenza.
1 1 sinnzustände." Beitrag zur forensischen Beurteilung der Schwach-
R hnii°ol! -AGKe wg: • Uebei: C O n r a d i s elektive Ausschüttelung der
Diphtheriebakterien mit Kohlenwasserstoffen.
Sch ack wi tz Alex: Wasserstofiionenkonzentrationen im Ausge¬
heberten des Sauglingsmagens.
SCMandibufaKarl: Ei° Fab V°n doppelseitiger Follikularzyste der
S C Riesen Wuchses Bdtrag Zm Kbnik Und PathoIogie des angeborenen
SCHchen Lebensalter" 0tt°' Dementia paraIytica im jugend-
3
21 06
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. -12.
Vereins- und Kongressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzungen vom 8. und 15. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
IV.
Herr G Ewald (a. G.): Zu meinem Bedauern ist Herr
Dr. K o h 1 h a r d t heute verhindert über die Resultate zu berichten,
die ich gemeinsam mit ihm unter Anwendung der Abdcrhalden-
schen Reaktion am Krankenbett erhalten habe. Da ich über die ge¬
naueren klinischen Angaben nicht verfüge, so muss ich mich darauf
beschränken, einige mehr theoretische Fragen zu erörtern und auf
methodische Punkte einzugehen, die mir während der letzten 2 Se¬
mester bei Anwendung der Abderhalden sehen Reaktion be¬
sonders entgegengetreten sind. Zuvor aber möchte ich über einige
Ergebnisse berichten, die ich mit von auswärts eingesandten Seren
erhielt, und die mir deswegen interessant erscheinen, weil entweder
dei Ausfall der Reaktion den therapeutischen Eingriff entscheidend
beeinflusste oder doch wenigstens für den betreffenden Arzt von
grossem Werte war.
Ich habe Gelegenheit gehabt, mich auf allen Gebieten der Me¬
dizin in AR. zu versuchen, dadurch, dass uns sehr zahlreiche Seren
von auswärts zur Untersuchung eingesandt wurden, und es konnte
auf diese Weise gleichzeitig der Beweis erbracht werden, dass es
sehr wohl möglich ist, gut sterilisierte und zentrifugierte Seren zu
versenden und erst nach mehreren Tagen zu untersuchen, wenngleich
es natürlich immer besser ist, ein Serum bald nach der Blutentnahme
anzusetzen. Ich habe ferner Gelegenheit gehabt, mehr als 200 Herren
bei der Erlernung der Abderhalden sehen Reaktion persönlich
anzuleiten und habe immer wieder gestaunt über die relativ doch
recht seltenen Fehldiagnosen selbst der Anfänger und über die oft in
überraschender Weise sich herausstellenden Uebereinstimmungen
zwischen klinischem Befund und Reaktionsergebnis.
Von gynäkologischen Fällen will ich hier 2 anführen. In dem
einen Falle wurde mir ein Serum einer Frau von ca. 40 Jahren mit
einer unklaren Adnexerkrankung zugesandt; es kam eventuell ein
Karzinom des Ovariums in Betracht. Das Serum wurde mit Ovarial-
karzinomgewebe und mit Ovarium angesetzt. Ersteres wurde sehr
intensiv, letzteres nur ein klein wenig abgebaut. Die daraufhin vor¬
genommene Operation förderte ein Ovarialkarzinom zutage. In dem
anderen Falle, der mir hier aus der Stadt zugesandt wurde, schwankte
die Differentialdiagnose zwischen Myom und Gravidität. Bei einer
45 jährigen Frau, die seit vielen Jahren nicht mehr schwanger ge¬
wesen war, bestanden unregelmässige Blutungen, keine eigentliche
Amenorrhoe. Der etwas vergrösserte Uterus fühlte sich merkwürdig
hart an, so dass begründeter Verdacht auf ein Myom bestand. Da
eine Gravidität jedoch nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen
werden konnnte, wurde die Abderhalden sehe Reaktion zu Rate
gezogen und jeder weitgehendere Eingriff einstweilen unterlassen.
Die Reaktion fiel stark positiv aus und wenige Wochen später abor¬
tierte die Frau.
Von Tumordiagnosen möchte ich nur 2 erwähnen: Bei einem
54 jährigen Manne waren seit einigen Monaten heftige Magen¬
schmerzen aufgetreten, begleitet von heftigem Erbrechen kaffeesatz-
ähnlicher Massen; das Körpergewicht nahm dabei stark ab. Da eine
chemische Untersuchung des Mageninhaltes zunächst aus äusseren
Gründen nicht möglich war, so wurde Blut zur Anstellung der
Abderhalden sehen Reaktion eingesandt. Das Resultat war ein
absolut negatives. Da die spätere chemische Untersuchung des
Mageninhaltes eine Hyperazidität mit Vorhandensein von freier HCl
ergab, der Patient sich unter geeigneter Diät rasch erholte und an
Körpergewicht wieder zunahm, so darf wohl mit einer an Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ein Kar¬
zinom bei dem Patienten tatsächlich nicht vorliegt. In einem anderen
Falle handelte es sich um eine Patientin, die vor 10 Jahren an einem
Mammatumor operiert worden war. Sie war seither gesund ge¬
wesen, erst in der letzten Zeit traten häufig Interkostalneuralgien
auf. Es lag dem behandelnden Arzte natürlich sehr viel daran, ob
für diese Neuralgien eventuell Karzinommetastasen verantwortlich
zu machen seien. Die vorgenommene Serumuntersuchung ergab ein¬
deutig Abbau von Karzinomgewebe. Wenige Wochen später ging
die Patientin an einer Pleuritis carcinomatosa zugrunde. Ueber einen
ähnlichen Fall von Mammasarkom, bei dem die Abderhalden-
sche Reaktion recht behielt, hat Herr Prof. Abderhalden bereits
selbst berichtet, so dass ich ihn übergehen kann.
Eine grosse Zahl ähnlicher Resultate scheinen mir doch mit aller
Deutlichkeit dafür zu sprechen, dass die Abderhalden sehe
Reaktion in Graviditäts- und Tumordiagnose eine ausserordentliche
Bedeutung besitzt. Aber auch in der Psychiatrie vermag sie gewiss
wichtige Richtlinien zu geben. Man betont neuerdings immer, dass
man sich an das dunkle Gebiet der psychischen Erkrankungen mit
der Reaktion nicht heranwagen sollte. Ich meine aber, gerade wo
das Gebiet noch so dunkel ist, sollte man doch einen möglichen Weg,
der einem geboten wird, nicht unversucht lassen. Gerade z. B. in
der Frage, ob es sich um eine Dementia praecox oder vielleicht um
eine zyklische oder eine funktionelle Störung handelt, kann der
Abbau von Gehirn und Genitalorgan sehr wertvolle Fingerzeige
geben. Ich habe eine grosse Anzahl derartiger Fälle untersucht.
Andererseits konnte ich einem Arzte auch mitteilen, dass das Er¬
gebnis der Serountersuchung ein absolut negatives war und der
weitere Verlauf — soweit die Beobachtung durch einige Monate
einen Schluss zulässt — machte es dem Arzte auch wahrscheinlich,
dass es sich bei seinem Patienten nur um eine funktioneile Störung
handelte.
Die meisten Schwierigkeiten machen naturgemäss interne Fälle,
da es oft sehr schwer festzustellen ist, ob und wie weit ein Organ
verändert ist. namentlich aber welche Organe dabei in Mitleiden¬
schaft gezogen sind. Bei Basedow wurde stets der übliche Abbau
von Thymus, Schilddrüse resp. Basedow'schilddriise und auch oft von
Genitalorgan gefunden. Interessant ist, dass 2 operierte Basedowfälle
später nur mehr schwach Thymus abbauten, Schilddrüse und Genital¬
organ nicht mehr. An anderen inneren Erkrankungen wuirden 2 mul¬
tiple Sklerosen mit absolut negativem Resultat, 1 Addison, der Neben¬
nierenabbau zeigte, Diabetiker und Herzfälle untersucht. Doch sind
die Erfahrungen noch zu gering, um ein abschliessendes Urteil zu-
zulassen. Es wurden im ganzen ca. 120 Fälle von mir untersucht
und soweit es sich bis jetzt klinisch oder autoptisch feststellen liess,
hatte ich keine Fehlresultate. Das soll aber nicht heissen, dass
Fehldiagnosen niemals vorgekommen w'ären. Aber es handelte sich
dann immer um ganz vereinzelte Fälle, bei denen von vornherein ein
bestimmtes Urteil nicht abgegeben werden konnte, sei es, dass der Aus¬
fall ein unklarer war, oder dass eine Unregelmässigkeit in der
Methodik vorgekommen war So erhielt ich letzthin ein Serum
aus dem hiesigen Diakonissenhaus zur Untersuchung auf Gravidität.
Das Serum war etw'as hämolytisch, wurde aber trotzdem zum Ver¬
suche angesetzt. Ich erhielt eine schwache, aber deutliche Reaktion. Nun
stellte sich heraus, dass bei schärfster Prüfung das Organ noch mit
Ninhydrin reagierende Substanzen abgab. Im Hinblick auf diese
beiden Momente wmgte ich nicht, die Diagnose auf Gravidität zu
stellen und glaubte, dass eine Additionsreaktion vorläge. Es wurde
daher ein bestimmter Bescheid nicht gegeben. Nach wenigen Wochen
wurde eine Schwangerschaft manifest. Solche Unklarheiten können
Vorkommen, sie müssen dann eben durch wiederholtes Ansetzen der
Reaktion beseitigt werden.
ln bezug auf die Methodik möchte ich kurz auf die Verschärfung
der Organprüfung hinweisen. Nachdem das Organ in der üblichen
Weise auf eine Ninhydrinfreiheit geprüft wurde, wird ein Teil des¬
selben zum Serum gegeben, ein anderer im Reagenzglas mit 5 ccm
Wasser überschichtet und für die Zeit der Dialyse im Brutschrank
belassen. Dann wird das Bebrütungswasser abfiltriert, das Organ
nochmals mit der 5 fachen Wassermenge 5 Minuten lang ausgekocht
und das Kochwasser zum Bebrütungswasser hinzufiltriert. Dann
wird bis auf 1 ccm eingeengt, mit 1 ccm Ninhydrinlösung versetzt
und nun noch 1 Minute gekocht. Es darf keine Spur von Blau¬
färbung mehr auftreten. Diese Verschärfung der Organprobe hat sich
als notwendig erwiesen, da fast alle vorkommenden Fehler Organ¬
fehler sind. Hiilsenfchler sind selten, sie halten sich bei sorgfältiger
Behandlung sehr gut. Ich habe selbst noch 8 von 12 Hülsen, die ich
im September 1913 in Gebrauch nahm und die noch tadellose Resul¬
tate liefern
Mit dieser scharfen Probe wird aber nur der Fehler des „Nicht-
ninhydrinfreiseins“ beseitigt Ein anderer liegt in der Beschaffen¬
heit des Organes selbst. Nicht nur dass es „eingestellt“ sein muss,
es m uss auch histologisch untersucht werden. Ich hatte seibst
einmal ein Karzinomsubstrat, das aus Drüsenmetastasen gewonnen
war und das ganz unregelmässigen Abbau gab, einfach weil es noch
viel Drüsengewebe enthielt, während gleichzeitig angesetzte andere
Karzinome gute Resultate gaben.
Wie weit nun die Spezifität der histologisch verschiedenen
Karzinomsubstrate geht, vermag ich nach meinen Erfahrungen nicht
zu beantworten. Es liegen ja Beobachtungen vor, dass Platten- und
Zylinderepithelkarzinom, ebenso wie Rund- und Spindelzellensarkom
sich verschieden verhalten. Vielleicht trifft dies aber doch nicht
immer zu. Ich sah z. B. bei einem Plattenepithelkarzinom auch
zweifellos Abbau von Adenokarzinom. Ja, ich habe sogar eine
Beobachtung, wo Sarkom Szirrhusgewebe abbaute. Es ist vielleicht
besser, diese Substrate nicht zum Vergleich nebeneinander herlaufen
zu lassen. Die starke bindegewebige Proliferation der beiden Ge¬
schwulstarten dürfte vielleicht, was Zellstoffwechsel und Bildung von
Abwehrfermenten anlangt, in einer gewissen Beziehung zueinander
stehen, so dass eine scharfe Trennung nicht immer möglich ist. Gibt
man zu, dass histologisch verschiedene Karzinome sich nicht immer
völlig trennen lassen, so betont man dann doch, dass das ent¬
sprechende Substrat „am stärksten“ abgebaut wird. Das mag oft
wirklich zutreffen. Ich glaube aber, dass man mit diesem graduellen
Unterschied sehr vorsichtig sein muss. Die einzelnen Substrate
variieren zu sehr in ihrer Angriffsfähigkeit für Fermente, die Menge
des Organs, die Grösse der Oberfläche, der Bindegewebsreichtum
und vielleicht noch andere unbekannte Faktoren dürften auf die
Intensität der Blaufärbung einen Einfluss ausüben.
Noch auf einen Punkt will ich kurz eingehen, es ist der relativ
sehr häufig beobachtete Abbau von Thymusgewebe. Bei anscheinend
ganz normalen Individuen wurde Thymus in Serienuntersuchungen
von 6 — 10 Substraten ganz elektiv stark abgebaut, bei anderen wieder
nicht. Abgesehen von Zuständen, wie z. B. bei Basedow', wo Thymus
mit absoluter Konstanz abgebaut wird, glaube ich, muss man sehr
20. Oktober 1914.
MUENCHENKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2107
vorsichtig damit sein, Abbau von Thymus als Charakteristikum einer
bestimmten Erkrankung anzusehen. Der Thymus mag viel öfter ge¬
stört sein, als wir klinisch feststellen können. Dass bei den mannig-
Wachsten Erkrankungen eine sog. akzidentelle Involution des Thymus
einsetzt, selbst schon bei Ernährungsstörungen, Hunger und Unter¬
ernährung, ist ja bekannt. Alle diese Zustände mögen zur Bildung
von Abwehrfermenten Anlass geben, ohne klinisch weiter Erschei¬
nungen machen zu müssen. Wie dem auch sei, jedenfalls möchte
ich gerade in diesem elektiven, so sehr in die Augen springenden
Abbau \ on 1 h\ musgewebe einen schönen Beweis für die Spezifität
der Abwehrfermente erblicken. Warum würde sonst in grossen
Serien immer und immer wieder eben nur Thymusgewebe abgebaut,
warum nicht Plazenta, Schilddrüse, Nebenniere und andere Organe,
die doch alle auf ganz die gleiche Art zubereitet worden sind?
Es steht ausser Zweifel, dass der Ausfall der Reaktion manchmal
nicht eindeutig ist, dass die Färbung nicht intensiv genug ist dass
durch Adsorption Unklarheiten entstehen können. Bei welcher bio¬
logischen Methode wäre das aber nicht der Fall?! Auch die Wasser-
in a n n sehe Reaktion gibt oft genug unklare, selbst unrichtige Resul-
tate. Man setzt in diesem Falle den Versuch eben ein zweitesmal
an Warum man das nicht tun soll, ist nicht einzusehen. Wenn die
Reaktion so oft wiederholt würde, bis sie „stimmt“, so wäre das
freilich kritiklos Eine Wiederholung wurde nur vorgenommen, wenn
das Ergebnis nicht einwandfrei war. Ob die Diagnose dann richtig
war. stellte sich immer erst später heraus. Es waren die Diagnosen
in den \v eitaus meisten Fällen ja nicht nur mir unbekannt, sondern
auch der betreffende Arzt stand vor unüberwindlichen diagnostischen
Schwierigkeiten. Gerade wo es sich bei der Abderhalden sehen
Reaktion oft um Fälle handelt, wro es direkt um das Leben eines
Patienten gehen kann, kann ich nicht verstehen, dass man sich von
m?.I?c^en ^e'^en so sträubt, sie als letztes Hilfsmittel in zweifelhaften
Fällen zu Rate zu ziehen. Man sollte sich durch unausbleibliche
anfängliche Misserfolge nicht so schnell entmutigen lassen, sondern
lieber etwas zu viel, als etwas zu wenig tun.
Meiner Ansicht nach ist es keineswegs verfrüht, die Abder¬
halden sehe Reaktion in der Praxis zu verwerten. Wenngleich
theoretisch noch manches der Aufklärung bedarf und manche
herrschende Ansicht sich vielleicht noch wird ändern müssen, so
kommt nach meinen Erfahrungen der Reaktion praktisch zweifellos
eine sehr grosse Bedeutung zu.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 21. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr Marchand.
Schriftführer: Herr Ri ecke.
Herr Rille: Demonstration von Psoriasis vulgaris bei Vater und
Sohn.
Herr v. Gaza: Traumatische Malazie des Os lunatum nach
Kienböck. (Erschien in Nr. 41 S. 2059 d. Wschr.)
D*s u U S S ' 0 n: ^err ^ilner hat folgenden Fall beobachtet:
..... rn ,ro,tfr Schlosser> an schwere Arbeit gewöhnt, bekommt
vi I. 09 als Soldat bei einem strammen Griff „Gewehr über“ einen
Schmerz im rechten Handgelenk, der ihn zwang, 1 Tag den Dienst
zu versäumen. Gleich darauf ins Manöver und nach 1 Monat ent¬
lassen ohne wieder nennenswerte Schmerzen gehabt zu haben. Bei
□er Schlosserarbeit danach zunächst einige Monate gar keine
>chmerzen, dann aber 2 Jahre lang nach besonders heftigen Anstren¬
gungen seines rechten Handgelenkes öfter geringe Schmerzen; arbei-
tet ununterbrochen bis II. 12, wo nach Abheben eines schweren
rlaschenzuges heftige Schmerzen entstanden, die ihn nach 14 Tagen
zu mir führten.
Objektiv geringe Schwellung des Handgelenks und der Lunatum-
tegend, die ziemlich druckempfindlich ist, mässige Einschränkung der
iaSl‘-Y?n Bewegungen, besonders der Dorsalflexion. Typisches Rönt-
genmld: Lunatum zusammengebrochen, mit unscharfem Handgelenk-
and und Sprung- und zystenähnlichen Aufhellungen. Geringe Ar-
l’rttis deformans der Knochen des Brachiokarpalgelenkcs.
Nach 6 wöchiger konservativer Behandlung arbeitsfähig und
•weder mit nur geringen zeitweisen Schmerzen 21 4 Jahr gearbeitet.
Wieder bei einer Uebung als Unteroffizier beim Griff „Gewehr
iber plötzlicher Schmerz, geringe Schwellung, Entlassung. Rönt-
tenbild wie vor 2% Jahren.
Vortr. ist überzeugt, dass es sich in diesen Fällen um Folgen
on Knorpel- und Knochensprüngen des Lunatum handelt, die infolge
>tt zu geringfügiger äusserer Einwirkungen entstehen und nicht zur
lormalen Ausheilung kommen, weil wiegen fehlender Schmerzen das
telenk weiter bei der Arbeit beansprucht und geschädigt wird,
enn wenn bei den Heilungsbestrebungen des Knochens die Resorp-
'on der an die Fissura anstossenden nekrotischen Knochenbälkchen
intritt und die benachbarten Spongiosabälkchen z. T. in weichen
ungen Kallus umgewandelt sind, so ist die Tragfähigkeit des Kno-
nens noch geringer als unmittelbar nach der Verletzung und es
reten bei der Arbeit leicht immer neue Einbrüche des Knochens und
lutungen ein, wodurch die Ausheilung immer von neuem verhindert
•'|rd. So entsteht die Verkleinerung des Lunatum mit den unregel-
lassigen Rändern und sprung- und zystenähnlichen Aufhellungen
im Innern. Es sind dieselben Vorgänge, die offenbar der sogen.
K u m m e I sehen Wirbelerweichung und der Coxa vara traumatica
zugrunde liegen.
Die spätere Folge der Lunatumverletzung und -Verkleinerung ist
eine allmähliche Arthritis deformans, hauptsächlich an den das Radio-
Kar pal gelenk bildenden Knochen, die mit der eigentümlichen Verände-
,s Lunatum zusammen nach dem Röntgenbild zu Verwechslung
mit 1 uberkulose führen kann.
\\enn öfter auch von scheinbar leicht verletzten Handgelenken
gute Röntgenbilder sofort gemacht würden, könnte man die Gefahr
dieser Krankheitsentwicklung an Schädigungen der Spongiosazeich-
nung des Lunatum wohl oft früh erkennen und durch genügende
anfängliche Schonung verhüten.
Vortr. hat einen schweren Fall von Arthr. deformans humeri be¬
obachtet, der lange Jahre nach einem Sturz als Rheumatismus be-
n and ei t worden war, aus dem er die Ueberzeugung gewonnen hat,
dass hier dieselben Vorgänge sich abgespielt haben wie bei den Luna-
u^?‘I?.suren • durch scheinbar geringes Trauma schmerzlose Knorpel-
und Knochenfissuren, immer neue Einbrüche bei fortgesetztem Ge-
brauch des Arms zur Arbeit, Verhütung der knöchernen Festigkeit,
Arthritis deformans. Ax hausen und Goetjens haben ent¬
sprechende Vorgänge am Kniegelenk mitgeteilt.
Derartige Erfahrungen an grossen Gelenken kommen sicher öfter
zui Beobachtung, wenn man an diese Möglichkeit zu denken erst
einmal gelernt hat, was für Unfallbegutachtung sowohl wie für die
Behandlung frischer Verletzungen auch grosser Gelenke wichtig wäre
Leider werden Röntgenbilder von den grossen Gelenken als Warner
kaum in Betracht kommen .
H,ei? y- Gaza: In der Literatur gelten die Arthritis-deformans-
Falle bei der Aftektion als sekundär.
(Schluss folgt.)
Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin
Nerven- und Kinderheilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
33 Versammlung vom 17. Mai 1914 zu Bonn.
Vorsitzender: Herr D i n k 1 e r - Aachen.
Schriftführer : Herr Laspeyres - Bonn.
I.
Herr M ö n c k e b e r g - Düsseldorf : 1. Zur Frage des Elektro¬
kardiogramms bei angeborenen Herzfehlern.
Seitdem Aug. Hoff mann, Nicolai und Steriopulo bei
angeborenen Herzfehlern ein Elektrokardiogramm mit negativer
R-Zacke beobachteten, ist dieser Befund von verschiedener Seite be¬
stätigt worden und man glaubte, in der Negativität der Initialschwan-
kung ein wichtiges differentialdiagnostisches Merkmal bei kindlichen
Herzaffektionen zu besitzen. Es lag nahe, die abnorme R-Zacke mit
Veianderungen im Verlaufe des Atrioventrikularsystems in Zu¬
sammenhang zu bringen, da man ja vielfach annimmt, dass die Zacke
den Ausdruck der Erregungsüberleitung darstellt. Nachdem aber die
histologische Untersuchung eines angeborenen Herzfehlers, bei dem
th. Gr o edel die negative R-Zacke klinisch festgestellt hatte, einen
normalen Verlauf des Systems ergeben hatte, neigte man mehr
zu der Annahme, dass Lageveränderungen des Herzens, bedingt durch
die bei angeborenen Vitien so häufige Hypertrophie des rechten
Ventrikels, das abnorme Elektrokardiogramm hervorrufen, zumal
man die negative R-Zacke auch bei erworbenen Herzfehlern, die mit
starker iso herter Hypertrophie des rechten Ventrikels einhergehen
( 1 rikuspidalinguffizienz, Mitralstenose), fand. Im letzten Jahre haben
Loh mann und Eduard Müller den experimentellen Beweis dafür
erbracht „cass Lageveränderungen des Herzens im Sinne einer
Rotationsbewegung imstande sind, eine totale Umkehr der R-Zacke
im Elektrokardiogramm hervorzurufen“, indem sie bei Kaninchen
das Herz künstlich so drehten, dass der rechte Ventrikel nach vorn
und mehr nach rechts zu liegen kam. Dieser Beweis lässt sich nun
auch durch den Nachweis führen, dass angeborene Herzfehler ohne
Hypertrophie des rechten Ventrikels ein normales, und in der Kind-
heit erworbene Herzfehler m i t isolierter Hypertrophie der rechten
Kammer das abnorme Elektrokardiogramm zeigen. So ergab di^
Sektion eines 8 Monate alten Mädchens, bei dem klinisch ein nor¬
males Elektrokardiogramm mehrfach aufgenommen worden war, den
sehr seltenen Befund einer totalen Atresie der Trikuspi-
dalis mit rudimentärem rechten und exzentrisch
hypertrophischem linken Ventrikel. Das Foramen
ovale war weit offen, der Ductus Botalli dagegen geschlossen;
zwischen linker und rechter Kammer fand sich eine Kommunikation
in Gestalt eines subaortalen Septumdefektes, der zunächst in eine
kleine, dem venösen Abschnitt des rechten Ventrikels entsprechende
Höhle und von dieser durch ein eben für eine Sonde durchgängiges
Loch in den rudimentären Conus arteriosus dexter führte. (Demon¬
stration von Diapositiven.) Andererseits beobachteten wir bei der
Sektion eines 15 jährigen Mädchens, das klinisch das für angeborene
Herzfehler angeblich charakteristische Elektrokardiogramm mit der
negativen R-Zacke gezeigt hatte, eine höchstgradige schlauchförmige
rein e Mitral Stenose zweifellos endokarditischen Ursprungs
mit geringer konzentrischer Hypertrophie des linken Vorhofs, starker
2108
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 42.
exzentrischer Hypertrophie des rechten Vorhofs und namentlich des
rechten Ventrikels und Atrophie des linken Ventrikels. (Demon¬
stration von Diapositiven.)
2. Multiple Rhabdomyome des Herzens.
Bei einem 14 monatlichen Kinde, das nach überstandenen Masern
unter Symptomen, die auf eine Gehirnaffektion hindeuteten, gestorben
war, fanden sich multiple subendokardiale Knoten von hellbräunlicher
Farbe. Der grösste (von etwa Linsengrösse) sass dem Ansatzrande
der Mitralis da, wo medianes und laterales Segel vorn zusammen-
stossen. halbkugelig gegen das Vorhofslumen sich vorbuckelnd auf.
Weitere kleinere fanden sich im Conus arteriosus dexter und reichten
bis an den Ansatzrand der Pulmonaltaschen heran. Ferner war der
Ansatzrand des medianen Trikuspidalsegelk mit mehreren kleinen
Knötchen derselben Beschaffenheit besetzt. Die an einer Scheibe
aus dem grössten Knoten vorgenommene mikroskopische Unter¬
suchung zeigte einen Aufbau aus Elementen, die in ihrer Struktur
und in ihrem reichlichen Glykogengehalt den Endausbreitungen des
Atrioventrikularsystems, den sog. Purkinje sehen Fasern durchaus
glichen. Am Gehirn konnte makroskopisch ausser einer etwas
derberen Konsistenz der Grosshirnrinde nichts Besonderes nach¬
gewiesen werden. Im Abdomen wurde eine Agenesie der rechten
Niere und des rechten Ureters mit völligem Fehlen der rechtsseitigen
Nierengefässe festgestellt. (Demonstration von Diapositiven.)
Herr S c h u 1 1 z e - Bonn demonstriert das Röntgendiagramm
eines Falles von akuter exsudativer Perikarditis.
Ausser einer auffallend scharf ausgeprägten Begrenzungslinie des
Schattens der Herzbeutelgrenze war ein deutlicher, tieferer Kern¬
schatten nachweisbar, der seiner Form nach auf das Herz selbst be¬
zogen werden musste. Der Herzleberwinkel, der auch bei der Per¬
kussion nicht deutlich abgeschrägt war, erwies sich im Röntgenbilde
sogar als leicht spitzwinklig.
An der Diagnose der Perikarditis war wegen der Anwesenheit
aller sonst charakteristischen Zeichen der Erkrankung nicht zu
zweifeln.
Diskussion: Herr H u i s m a n s - Köln bemerkt dazu, dass
in diesem Falle sicherlich durch die Pericarditis exsudativa die
Doppelkonturierung des Herzens bewirkt sei. Ihn interessiert das
Bild deshalb besonders, weil die zum Zwecke der Funktionsprüfung
des Herzens mittelst seines Telekardiographen hergestellten doppel-
konturierten Bilder als durch dieselben oder ähnliche Verhältnisse
im Perikard entstanden angesehen- werden könnten. Dem ist ent¬
gegenzuhalten, dass sich bei seinen Bildern bei nicht ganz ruhiger
Atmung auch eine Doppelkonturierung des sich bewegenden Zwerch¬
fells, ja sogar des Flüssigkeitsspiegels in der Magenblase zeigt, dass
die Verschiebung des linken Herzrandes, welche sich bei zwei Blitz¬
bildern (am Ende der Herzsystole und der Herzdiastole) auf der
Platte zeigt, gleich der auf dem Schirm beobachteten — höchstens
= 7 mm — ist, dass sie sich nicht findet bei einem Blitz, manch¬
mal halbseitig ist, und bei schlaffer Dilatation immer fehlt, da sie
proportional der Funktion des Herzmuskels und der Ausdruck der¬
selben ist.
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Hunterian Society.
Sitzung vom 25. März 1914.
Ursachen und Behandlung des hohen arteriellen Blutdruckes.
F. de H. Hall weist darauf hin, dass der arterielle Blutdruck
mit zunehmendem Lebensalter normalerweise steigt; man kann die
normale Höhe bei einem gegebenen Individuum ziemlich richtig in
der Weise berechnen, dass man der Zahl seiner Lebensjahre 100
hinzuzählt; dies ergibt dann die Höhe des normalen Blutdruckes in
mm Hg. Indessen erhält man auf diese Weise für Personen, die das
40. Lebensjahr überschritten haben, durchweg zu hohe Zahlen. Beim
weiblichen Geschlecht ist der Druck um 10 mm niedriger als beim
männlichen. Redner empfiehlt den Usus von manchen amerikanischen
Lebensversicherungsgesellschaften, die bei jedem Applikanten von
mehr als 45 Jahren eine Blutdruckbestimmung verlangen und bei
mehr als 150 mm die Prämie erhöhen. Als Ursachen der Blutdruck¬
steigerung sind zu nennen in erster Linie Nierenleiden, ferner Gicht,
Bleivergiftung, Malaria, Syphilis, septische Zustände der Mundhöhle,
geistige Ueberanstrengung, namentlich aber Ueberfütterung und Al¬
koholmissbrauch. Das Tabakrauchen ruft allerdings eine momentane
Steigerung hervor, aber Gewohnheitsraucher haben im allgemeinen
einen niedrigen Blutdruck. In therapeutischer Hinsicht ist zu be¬
merken, dass man nicht ohne weiteres jeden abnorm hohen Blutdruck
herabzusetzen trachten darf. Bei einem Druck von 200 mm mit
Zeichen von Ermüdung am Herzen ist absolute Ruhe indiziert; an¬
dererseits ist gerade eine etwas vermehrte Muskeltätigkeit bei
solchen Kranken nötig, deren Leiden durch eine gar zu ruhige Le¬
bensweise bedingt sind. Bei vorhandener Fettsucht hat Redner von
der B e r g o n i e sehen Methode gute Wirkungen gesehen. Die Re¬
gelung der Diät ist wichtiger als die Verabreichung von Medi
kamenten; immerhin sind die Jodpräparate in kleinen Dosen, längere
Zeit hindurch gegeben, von Nutzen. An ihrer Stelle können eventuell
Natriumnitrit (0,05 — 0,1) und auch Lithiumhippurat in der gleichen
Dosis zweimal täglich gegeben werden. Die Venaesektion erweist
sich oft von ausgezeichneter Wirkung.
L. Brown konstatiert, dass im Greisenalter meist ein Abfall
des Druckes erfolgt; bei Greisen von 80 Jahren und darüber findet
man meistenteils nicht mehr als 140 mm. Zur prompten Herabsetzung
des attackenweise gesteigerten Druckes ist das Amylnitrit am meisten
zu empfehlen; die Wirkung des Erythrol tetranitrat (in Dosen von
0,03) hält nur 6 Stunden und die des Nitroglyzerins nur 40 Mi¬
nuten vor.
R. Wells betont die Bedeutung der diastolischen Druckhöhe,
indem eine starke Steigerung des systolischen Druckes viel von ihrer
schädlichen Wirkung verliert, wenn der diastolische Druck in ange¬
messenen Grenzen bleibt. Er hat an besonders konstruierten Kaut¬
schukröhren experimentell durch Steigerung des diastolischen
Druckes bei relativ massigem systolischem Druck Aneurysmen her¬
vorgerufen, während ein viel höherer systolischer Druck gut er¬
tragen wurde, falls die diastolische Pression gering gehalten wurde.
L. C a 1 1 h r o p weist auf die guten Erfolge der Brunnenkuren in
Woodhall Spa hin, dessen Wasser als einziges in England Jodkalium
enthält.
Aus den französischen medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 28. Juli 1914.
Der Urin der Krebskranken.
Albert R o b i n berichtet über neue Untersuchungen über die
Chemie der organischen Veränderungen bei Krebskranken. Die
Azidität, Pigmente, Zersetzungsprodukte können zwar nicht dazu
dienen, über die Diagnose oder Stoffwechselveränderungen Auf¬
klärung zu geben, aber immerhin kann man daraus relative Schlüsse
iibtr den Verlauf und Zufälle der Krankheit ziehen. Albuminurie,
weniger häufig als behauptet wurde, hängt mit Krebskomplikationen
zusammen, Azetonurie spricht nur für Fieber und Unterernährung,
die Veränderungen an Kalzium-, Magnesium-, Kalium- und Natrium¬
gehalt sind systematisch nicht zu bestimmen, ausser bei Knochen¬
krebs. wo die Kalkausscheidung eine sehr bedeutende ist.
Behandlung der chronischen Gelenkaffektionen und speziell des
Tumor albus mittelst aktiver Hyperämie.
G e n d r o n und Paul Bauchet haben, selbst bei tuberkulöser
Arthritis, mit aktiver Hyperämie, welche die Rückkehr der Be¬
wegungen zum Zwecke hat, vorzügliche Resultate erzielt. Die
Originalität der Methode besteht darin, das ergriffene Gelenk von
Beginn der Behandlung an, wenn der Schmerz nicht sehr gross ist,
nach einer kurzen Immobilisation (bei starken Schmerzen) zu mobili¬
sieren. Anstatt als Heilungszweck die Ankylose zu erstreben, ver¬
suchen Berichterstatter möglichste Wiederherstellung der normalen
Bewegungsfähigkeit zu erzielen. Die Methode besteht darin, in einer
ersten Zeit sehr heisse Kompressen (von Salzwasser) aufzulegen,
dreimal täglich Reibungen mit alkoholischen Abkochungen von harz¬
artigen Substanzen (Kampfer, Terpentin usw.) und Injektionen um,
später in das Gelenk solcher Substanzen alle 14 Tage, auch von
isotonischem Serum (bei 60°) vorzunehmen, Heissluftbäder, Sonnen¬
bäder. In einer zweiten Zeit macht man baldige Mobilisation (pas¬
sive) unter Fortsetzung der obigen Prozeduren aktiver Hyperämie
und in einer dritten Zeit aktive Mobilisation, unterstützt durch Mas¬
sage, Mechanotherapie, Faradisation der Muskulatur und immer noch
aktive Hyperämie. In verschiedenen Lebensaltern, besonders aber
bei Patienten, die über 30 Jahre alt sind, wurden in 12 Fällen von
Tumor albus des Kniees, 4 des Ellbogens, 1 der Schulter, 8 Fällen
von chronischer rheumatischer oder Gonokokkenarthritis dauernde
und raschere Resultate erzielt als mit jeder anderen Methode. Diese
Resultate bestehen in einer sehr bemerkenswerten Abkürzung der
Zeit der Immobilisation, in rascher Stillung des Schmerzes, Aus¬
trocknung der Fisteln usw. Jede subakute oder chronische Gelenk¬
entzündung eignet sich für diese Methode, die nur bei sehr akuter
Arthritis mit sehr schmerzhaften Knochenpunkten kontraindiziert ist,
aber eine peinlich genaue Ueberwachung von Seite des Arztes und
Geduld von Seite des Patienten erfordert.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Zur Behandlung des Erysipels. Das Studium zweier
Arbeiten von O. Polak veranlasste mich zur Nactiprüfung der
Verwendung von Diphtherieheilserum bei Erysipel, ln 2 Fällen von
idiopathischem Erysipel schwerer Natur war die günstige Wirkung
geradezu auffallend und zwar schon innerhalb 24 Stunden. Be¬
dingung ist möglichst frühzeitige Injektion mit reichlich hohen Im¬
munisierungseinheiten; falls nach 24 Stunden kein erheblicher Tem¬
peraturabfall und Stillstand des Erysipels, nochmals injizieren, ev.
am dritten Tage nochmals. Dr. B e r g m a n n - Hannover.
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26.
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
MÜNCHENER
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 42. 20. Oktober 1014.
Feldärztliche Beilage Nr. 11.
Geisteskrankheiten im Kriege.
\ on Prof. I)r. W. Weygandt in Hamburg-Friedrichsberg.
Bei der so gewaltig überwiegenden Bedeutung der
Jiirurgie für den Krieg, neben der zunächst noch die Epi¬
demiologie eine regere Aufmerksamkeit erheischt, kann
eicht übersehen werden, dass eitle gewisse, freilich wesentlich
icscheidenere, aber doch nicht unwichtige Polle den geistigen
Erkrankungen zukommt. Dabei ist von vornherein zu betonen,
lass zum Teil eigenartige Störungen Vorkommen, die im
-rieden nur selten zu beobachten sind, auch nicht oft bei den
Mannschaften des Heeres zur Friedenszeit, so sehr auch letz-
eren seit mehreren Jahren psychiatrische Rücksicht ge-
.vidmet worden ist.
Die Statistiken über das Vorkommen von Psychosen in
ien letzten Kriegen sind anscheinend ziemlich unvollständig
;nd doch von mannigfachem Interesse. Die einzelnen Feld-
:iige ergeben auffallende Unterschiede, die sich zum Teil
iaraus erklären, dass die ärztliche Diagnostik hinsichtlich
isychischer Störungen auf verschiedener Höhe stand. An
ich müsste man im allgemeinen ein Herabgehen der Psycho-
enziffer erwarten, weil im Lauf der Jahre schon bei der
Aushebung auf psychische Störung und Minderwertigkeit
.enauer Rücksicht genommen wird und auch bei etwaigem
vusbruch einer Psychose während der Dienstzeit verständnis-
’oller geprüft und eingegriffen wird, als in den alten Zeiten,
co zweifellos die Neigung zur Simulantenriecherei viel aus-
ebreiteter war. Im allgemeinen zeigt sich eine Zunahme des
mteils der Psychosen an den Feldzugserkrankungen. Die
lannigtachen Untersuchungen von E. Schultze1 * 3), E. Meyer*),
t i e r ‘), 1 1 b e r g 4), Meitzer5), insbesondere auch Heft 30
er Vöff. Milit.Sanitätsw. °) „Ueber die Feststellung regel-
idriger Geisteszustände bei Heerespflichtigen und Heeres-
ngehörigen“, auch Lobedank') u. a. haben aufklärend ge-
irkt.
Während im ersten Halbjahr 1S70 in der preussischen Armee
37 Prom. der Kopfstärke Geistesstörung aufwies, stieg die Ziffer
,r die Zeit des Feldzuges auf 0,54 Prom. Im 2. Halbjahr 1871
i-irug sie 0,51 Prom., aber 1872 war sie noch auf 0,93 Prom. erhöht
nd erst 1873 war wieder eine geringere Ziffer von 0,2 Prom. er-
’icht. Die Erhöhung nach dem Feldzug ist schwer zu deuten; viel-
icht kommt bei den noch im Heer verbliebenen Feldzugsteilnehniern
ne Nachwirkung der Feldzugsstrapazen in Betracht. Im Laufe der
nedenszcit ist die Ziffer wieder angestiegen, 1882/87: 0,58 Prom,
'*7/92: 0,58 Prom., 1892/97: 0,76 Prom., 1897/1902: 0,92 Prom. und
*06/07 betrug sie gar 1,3 Prom.
*) Ueber die Psychosen bei Militärgefangenen, Jena 1905, und
eitere psychiatrische Beobachtungen an Militärgefangenen, Jena
>07.
*) Aus der Begutachtung Marineangehöriger. Arch. f. Psych.
Nervenkrankh. (39).
3) Ueber Verhütung und Behandlung von Geisteskrankheiten in
■r Armee. Hamburg 1902. Fürsorge für Geisteskranke im
mtschen Heer. Off. Bericht des 4. internat. Kongresses zur Für-
rge für Geisteskranke. Halle, Mar hold 1911.
4) Ueber Geistesstörungen in der Armee der Friedenszeit. Mar-
»ld. Halle 1903
s) Abnorme Geisteszustände in der Armee. Zschr. f. d. Be-
ndlung Schwachsinniger, 1908.
*) Berlin, Hirschwald 1905.
‘) Die Mitwirkung des Offiziers, insbesondere des Kompagnie-
efs und des Rekrutenoffiziers bei der Ermittelung regelwidriger
-isteszustände in der Armee. Berlin, R. Eisenschmidt 1906.
m gUech*sch-tiirkischen Feldzug wurden im türkischen Heere
(Raschid r a h s s i n) 2 Prom. Geisteskranke festgestellt.
Im amerikanischen Heer stieg die Zahl von 0,8 Prom. auf
2,7 1 rom. im Kubafeldzug. Im englischen Heer fand ein Aufstieg
von 1 ,4 Prom. auf 2,5 Prom im Burenkrieg statt.
Bei der Chinaexpedition wurden 8,44 Prom. Fälle von Nerven¬
krankheiten und psychischen Störungen angegeben. Bemerkenswert
ist, dass im süd westafrikanischen Feldzug, bei dem ein psychiatrisch
vorgebildeter Stabsarzt mitwirkte, 4,95 Prom. Geistesstörungen und
untei Hinzurechnung von 60 Fällen epileptischer und hysterischer
Erkrankungen insgesamt 8,28 Prom. vorkamen.
Eingehende Darlegungen existieren über den russisch-japani¬
schen Krieg ). Man sah sich genötigt, allerdings auch mit Rücksicht
auf den riesigen Etappenweg, zunächst in Charbin eine Irrenanstalt
zu improvisieren, die noch unterstützt wurde durch 2 psychiatrische
Etappenlazarette in Omsk und Krasnojarsk, sowie eine Abteilung für
die in Sibirien beheimateten Kranken zu Tschita. Während vor
dem Krieg im russischen Heer 0,7 Prom. der Koptstärke geistes¬
krank waren, stieg die Ziffer im Feldzug auf 1,9 Prom. an solchen
Geisteskranken, die in den erwähnten Lazaretten Behandlung fanden;
auf 1000 verwundete und kranke Soldaten kamen 3,5 Geisteskranke’
Auch im japanischen Heer soll die Anzahl der Geisteskranken wäh¬
rend des Feldzuges unverhältnismässig hoch gewesen sein.
Im Balkankrieg (S u b o t i t s c h) sind vom serbisenen Heer als
geisteskrank in die Belgrader Irrenanstalt aufgenommen worden
97 Mann = 0,25 Prom. der Kopfstärke. Im bulgarischen Heer sind
0,33 Prom. erkrankt, im montenegrinischen Heer 0,25 Prom. und im
gi iechischen (Ö konomakis) nur 0,097 Prom. Ueber das türkische
Heer liegen keine bestimmten Zahlen vor; wohl wird angegeben”),
dass besonders bei einigen Offizieren epileptische Dämmerzustände,
Melancholie, Paranoia, auch Apoplexie vorkam, unter den Soldaten
noch Hysterie, Manie, Stupor usw. Im ganzen aber soll die Zahl
nicht gross gewesen sein, kleiner jedenfalls als zur Zeit der
Revolution gegen Abdul Hamid.
Wie man sieht, gehen die Statistiken schon ganz beträcht¬
lich auseinander. Sicher ist zunächst nur, dass die Zahl der
Fälle von Psychose in der Kriegszeit fast immer steigt, manch¬
mal ganz beträchtlich. Wodurch die Verschiedenheit der
Zahlen bedingt ist, lässt sich nicht hinreichend erklären. Im
wesentlichen wird die Feinheit der psychiatrischen, Diagnostik
der Militärärzte den Ausschlag geben. Es kommt natürlich
auch darauf an, inwieweit schon bei der Einstellung psych¬
iatrisch verdächtige Personen zurückgewiesen oder im Lauf
der Ausbildungszeit entlassen werden. Hinsichtlich der be¬
trächtlichen Ziffer von Erkrankungen im südwestafrikanischen
Feldzug, für den die Mannschaften doch noch ganz besonders
auf I ropendienstfähigkeit geprüft waren, kann das ausser¬
ordentlich hohe Mass von Strapazen, insbesondere der Durst
verantwortlich gemacht werden, wie es ja auch von Frenssen
in seinem Buch „Peter Moors Fahrt nach Südwest“ anschau¬
lich geschildert ist. Besonders das Gefecht bei Gross Nabas
mit seinen riesigen Strapazen hatte zahlreiche Fälle zur Folge.
Vielleicht kann man aber auch angesichts der hohen Ziffer in
dieser wie in der^ Chinaexpedition daran denken, dass unter
den zahlreichen Freiwilligen sich auch eine Reihe besonders
enthusiastischer, aber im Zusammenhang damit gerade
s) Awtokratow: Die Geisteskranken im russischen Heer
während des japanischen Krieges. Aligem. Zschr. f. Psych. 64.
S. 286. 1907. — Bendixsohn: Ueber Psychosen im russisch¬
japanischen Krieg. D.m.YV. 1910 S. 506. — OserezKowski: Rcf
im Milit. Wochenblatt 1906 Nr. 140. — S c h a k e w i c z: Zbl. f. Psych.
u. Nerv. 1906. — Stieda: Zbl. f. Psvch. u. Nerv. 1906. — Bo¬
ris c h p o 1 s k i : Russ. med. Rdsch. 4. i906.
") Vollbrecht und Wieting-Pascha: Berlin 1915, Fi¬
schers medizinische Buchhandlung, H. Kornfeld.
21 in
Peldärztliclie Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 42.
psychisch etwas labiler Persönlichkeiten befand. Im russi¬
schen Heer in der Mandschurei trug, wie die Erhebungen er¬
gaben, zweifellos der Alkoholismus zur Erreichung der hohen
Zahl von Erkrankungen ganz beträchtlich bei.
Die Angaben über die verschiedenen Formen von Geistes¬
störungen müssen auch mit besonderer Vorsicht aufgenommen
werden. Zweifellos sind manche Erkrankungsfälle in die
Statistiken überhaupt nicht eingereiht, vor allem die kurz
dauernden psychotischen Zustände, so etwa Kommotions-
delirien, wie auch die bei Gelegeheit anderer Erkrankungen
auftretenden Störungen, wie Infektionsdelirien.
Hinsichtlich der Feststellungen über die Art der Psy¬
chosen sollen hier nur noch die Erfahrungen des Man¬
dschureifeldzuges und des Balkankrieges erwähnt werden.
Unter den 275 Offizieren, die in der Irrenabteilung zu Charbin
vom 15. Dezember 1904 bis 18. März 1906 verpflegt wurden, stand
der chronische Alkoholismus an erster Stelle, der mehr als Ya der
Fälle betrug; dann werden die Paralyse und das neurasthenische
Irresein angegeben; diesen 3 Formen gehörten 75 Proz. an. Ver¬
wirrtheit und halluzinatorische Paranoia betrugen nur 2 Proz. Bei
den 1052 Soldaten standen an erster Stelle die epileptischen, dann
die alkoholischen Geistesstörungen und darauf die Verwirrtheit. Zu
beachten ist, dass nach O s e r e z k o w s k i in Friedenszeit bei den
russischen Offizieren die Paralyse am häufigsten ist, dann der chro¬
nische Alkoholismus und an dritter Stelle die akuten Alkohol¬
psychosen. Traumatische Psychosen kamen bei den geisteskranken
Offizieren in 3,1 Proz., bei den Soldaten in 3,6 Proz. vor. Be¬
merkenswert war, dass epileptische Anfälle bei Soldaten auftraten,
die nie solche Störungen gehabt hatten, sondern lediglich in der
Kindheit an Enuresis litten.
Bei den 103 in Belgrad behandelten Teilnehmern des Balkan-
Irieges wurden folgende Diagnosen gestellt: Melancholie 14,
Manie 48. postfebrile Psychosen 3, halluzinatorisches Irresein 5,
Alkoholismus 1, Dementia praecox 6. Paralyse 12, Epilepsie 9, Im¬
bezillität 3, Typhus abdominalis 1, Typhus exanthematicus 1. An-
flieinend hat im serbischen Heer der Alkoholismus keine grosse
Rolle gespielt. Die Psychosen sind zum Teil nicht im Kampf oder
sofort hinterher ausgebrochen, sondern erst später, als die Soldaten
verwundet oder infektionskrank in den Lazaretten lagen. Nur ein¬
mal kam Kopfverletzung, durch Scheitelstreifschuss, in Betracht.
31 sind genesen, 21 gebessert entlassen und 18 gestorben. Be¬
sonders gross war die Erschöpfung bei jenen, die den Marsch durch
dasalbanische Gebirge nach Durazzo mitgemacht hatten.
Von vornherein muss betont werden, dass die psychischen
Störungen im Kriege angesichts der eigenartigen Schädlich¬
keiten sich nicht decken können mit den Beobachtungen zur
Friedenszeit, wenn auch eine Kriegspsychose sui generis von
der Hand gewiesen werden muss. So wenig auch angesichts
der erörterten Schwierigkeiten eine zahlenmässige Ab¬
schätzung der mannigfachen Formen von psychischer Störung
im Feldzug durchführbar ist, muss doch eine klinische Dar¬
legung der verschiedenen Gruppen versucht werden.
Vorerst ist noch einzugehen auf die spezielleren Beob¬
achtungen in der Friedenszeit. Zu bemerken ist,
dass unter den Insassen der Festungsgefängnisse und der
Arbeiterabteilungen psychische Erkrankungen häufiger Vor¬
kommen, so waren die Zahlen in Preussen 1907 für die
ersteren 68,4 Prom., für die letzteren 40,4 Prom.; auch in der
französischen Armee wurde das festgestellt, so von
Pactet10). Weiterhin ist auch zuzugeben, dass der Dienst
in der Marine"), vor allem bei mehrjährigem Borddienst, viel
mehr Gelegenheit zu psychischen Schädigungen gibt als der
Heeresdienst, insofern Unfälle leichter Vorkommen, das
Tropenklima, insbesondere tropische Infektionskrankheiten,
einwirken können, der Aufenthalt in den Kcsselräumen unter
Umständen schädlichen Einfluss ausübt und auch anderweitige
spezielle Faktoren, wie etwa Petroldämpfe in den Untersee¬
booten in Betracht kommen.
In Friedenszeit lässt sich unter den Gestellungspflichtigen je¬
weils eine Anzahl Schwachsinniger auf angeborener
Grundlage feststcllen. Manchem Imbezillen gelingt es, unter ent¬
sprechender Nachhilfe die Schulen zu durchlaufen, bis erst die straffe
Zucht des militärischen Dienstes lebhaftere Konflikte heraufbe¬
schwört, auf Grund deren eine eingehende Untersuchung angeordnet
und die krankhafte Grundlage des Versagens festgestellt wird. Früher
war es mancherorts üblich, dass man bei minderwertigen Jugend¬
lichen gerade vom Heeresdienst eine erzieherische und heilende Ein¬
wirkung auf ihre Defekte erwartete, was natürlich so wenig Erfolg
J") Revue de Psychiatrie 1906.
") Podest a; Xrch. f. Psych. 40 S. 651.
haben konnte, wie die in ähnlicher Weise mehrfach ausgeübte Ver¬
schickung solcher jungen Leute nach Amerika. Gerade wegen der
häufigen Schwierigkeit einer Feststellung der krankhaften Grund¬
lage stellen die Schwachsinnigen ganz besonders unerwünschte Sol¬
daten; sie erschweren den Dienst nach jeder Richtung, können unter
Umständen die Vorgesetzten heftig reizen, sind unselbständig, zu
jeder individuellen Erziehung unbrauchbar, unzuverlässig; aus ihnen
rekrutieren sich auch Selbstmörder und Fahnenflüchtige. Manchmal
wird ihr absonderliches Benehmen verkannt und für Heimweh an¬
gesehen. Besonders wenn der Defekt vorwiegend im Bereich der
Willens- und Gefühlssphäre vorliegt, bei den sog. moralisch Schwach¬
sinnigen, werden infolge von mangelhafter Führung, Achtungsver¬
letzung. Insudordination, Urlaubsüberschreitung, Unehrlichkeit, Ver¬
logenheit, Klatsch- und Verleumdungssucht oft schwere Konflikte
heraufbeschworen, gegen die Strafen natürlich zwecklos sind.
Selbstverständlich darf nicht jeder Fall eines erstaunlich
niedrigen Bildungsgrades und lückenhaften Wissens in der Instruk¬
tionsstunde als Schwachsinn aufgefasst werden. Wenn auch das
deutsche Heer fast keine Analphabeten aufweist und darin höhe’-
steht als die Heere aller anderen grossen Staaten, so sind doch
Rundfragen ’*) veranstaltet worden, bei denen zahlreiche Rekruten
auf manchmal ziemlich einfache Fragen aus der Allgemeinbildung
versagt haben. Man muss wohl annehmen, dass in den der Ein¬
arbeitung in einen Beruf gewidmeten Jahren zwischen der Schul-
und der Militärzeit oft recht vieles wieder vergessen wird; weiterhin
ist aber auch zu berücksichtigen, dass bei jenen Fragen oft infolge
von Emotionsstupor, von einer gewissen Verblüffung, unrichtige Ant¬
worten gegeben werden. Wenn man mit der Diagnose der Im¬
bezillität und Debilität auch nicht zu freigebig sein darf, so ist es
doch zweckmässig, dass bei der Musterung und in der ersten Aus¬
bildungszeit bereits ein immer schärferes Augenmerk auf die Fälle
eines wirklichen Schwachsinns auf angeborener Grundlage gerichtet
wird; gute Dienste kann dabei die Mitteilung seitens der Zivilhe-
hörde leisten, dass der Betreffende Insasse einer Hilfsschulklasse
gewesen ist.
Augenscheinlich ist in dieser Richtung schon mancher Erfolg
zu verzeichnen, sind doch unter den 32 Militärgefangenen, die Ernst
Schnitze 1904 beschrieb, 5 Imbezille und unter den 1907 be¬
schriebenen 51 Militärgefangenen deren 4.
Eine beträchtliche Rolle ist den jugendlichen V e r h 1 6 -
dungsprozessen zuzuweisen. Stier hat 1905/b nicht weniger
als 35 Proz. der von ihm berücksichtigten Fälle der Gruppe der
Dementia praecox zugewiesen, während er daneben 17,5 Proz. der
psvehopathischen Konstitution, 12 Proz. dem epileptischen Irresein,
9,7 Proz. der Manie und Melancholie angliederte.
Sowohl die hebephrenische wie auch die katatonische und die
paranoide Form kommen in Betracht. Am bedenklichsten hinsicht¬
lich rechtzeitiger Diagnose sind neben den im ganzen seltenen dis¬
simulierenden Kranken mit Halluzinationen und Wahnideen vor allem
die Hebephrenen, weil ihr läppisches, passives und oft ncgativistisch-
renitentes Wesen leicht verkannt und als Ausdruck bösen Wille, is
aufgefasst werden kann. Die Maniriertheitcn, die absonderlichen Be¬
wegungen, das Grimassieren, eine unstillbare Unruhe, die oft sinn¬
losen Aeusserungen werden bald den Verdacht auf eine Krankheit
wecken. Leichter wird diese Erkenntnis für die Umgebung, insbe¬
sondere die Vorgesetzten, bei den intensiveren katatonischen Formen,
beim Stupor und vor allem der Erregung mit ihren oft stereo¬
typen und inkohärenten Bewegungen, Haltungen und sorachlichen
Aeusserungen, insbesondere der manchmal geradezu blindwütigen
Tobsucht.
Manisch-depressives Irresein kann selbstverständ¬
lich auch bei den Soldaten auftreten. Die intensiveren Fälle werden
wohl bald erkannt, aber eine Hvpomanie oder eine leichtere De¬
pression können doch geraume Zeit missverstanden werden Vor
allem die leicht manische Unruhe mit Rededrang pflegt in militäri¬
schen Verhältnissen ausserordentlich störend zu wirken.
Die Epilepsie fordert in besonderem Masse die Aufmerk¬
samkeit des Militärarztes heraus. Während die klassischen Krämpfe
sofort alarmierend wirken und eine Untersuchung erheischen, können
die Aequivalente verkannt werden und bedenkliche Lagen hervor-
rufen. Vor allem Ohnmächten und Dämmerzustände könnten im
Kriegsfall bei einem auf Vorposten stehenden Epileotiker geradezu
heillose Störungen ermöglichen. Umso eher werden Dämmerzustände
gelegentlich übersehen, als der Kranke dabei mehrfach noch Rede
und Antwort stehen kann und zunächst keinen pathologischen An¬
schein erweckt. Ebenso bedenklich sind 2 andere Symptome: Die
Reizbarkeit des Epileptikers, die Reibungen veranlassen und sich
dabei zur tobenden Erregung steigern kann, und die triebartigen
Zustände, insbesondere der Wandertrieb. Unzweifelhaft sind Fälle
von Fahnenflucht zum grossen Teil diesem Symptom auf Rechnunu
zu setzen, selbst lange Reisen können dadurch zustande kommen
und es ist nicht selten, dass ein Epileptiker in derartig triebhafter
gereizter Wanderstimmung in die Fremdenlegion verschlagen wird.
Der Fall Trömel ist bekannt; unter meinen Hamburger Patienten
sind mehrere mit der Fremdenlegion, einer auch mit der holländischen
12) Roden wal dt: Aufnahmen des geistigen Inventars Ge¬
sunder als Massstab für Defektprüfungen bei Kranken. Mschr. f
I Psych. u. Neurol. 17 1905. Ergänzungsheft, S. 17.
20. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Mihich. med. Wochenschrift.
Kolcnialarmee in Berührung gekommen. Diagnostisch bedeutsam sind
vielfach die plötzlich unmotiviert nuftrctendeii Verstimmungen Fpi-
leptischcr Schwachsinn wird ebenso auffallen wie Imbezillität Nicht
zu vergessen ist bei allen epileptischen Störungen, dass sie sich öfter
uicli in Fallen finden, die von Krampfanfällen ganz verschont bleiben.
Ks ti iitt nicht ganz zu, wenn die Dienstanweisung vom 13. Ok-
i(>hci 1904 in S 33, 4 sagt: „Epilepsie setzt das Vorkommen wieder-
mlter Krampfe mit Bewusstseinsstörungen oder ihnen an Bedeutung
gleichstehende Anfälle voraus“, da unter Umständen auch c i n
Krampfanfall oder Dämmerzustand schon zur Diagnose ausreicht oder
Jie Diagnose auch durch weniger bedeutungsvolle Symptome, vor
illcm plötzliche Verstimmungen gestützt werden kann.
Auch ausgesprochene Hysterie findet sich mehrfach, mit typi-
•clicn Gcfiihlsstörungen, lokaler Hyperalgesie, Gesichtsfeldeinengung,
^cflexveränderungen, subjektiven Beschwerden, Schlaflosigkeit, auch
gelegentlich Anfällen. Manchmal wurden auch motorische Störungen,
:twa eine hysterische Hemiplegie oder Sprachverlust beobachtet,
vein psychisch kommen in Betracht hochgradige Empfindsamkeit Er-
egungs- und Hemmungszustände auf Grund' äusserer Reize, förm-
ithe Wutanfälle, ferner Verstimmung und charakteristisch liysteri-
cher Uiarakter. Auch Dämmerzustände, Sinnestäuschungen und im-
nilsives I ortlaufen können auf dieser Grundlage höchst störend
n Erscheinung treten.
Hier und da handelt es sich um eine traumatische Hysterie oder
veurose.
Ei regung und Verwirrtheit von psychogener Färbung finden sich
in Kriege öfter auf Grund degencrativer Minderwertigkeit ohne
entliehe hysterische Zeichen.
Alkoholische Psychosen und chronischer Alkohoiis-
nus spielen in unserem Heer erfreulicherweise keine Rolle. Ge-
.'gentliche Exzesse infolge von Angetrunkenheit kommen, wie be-
annt, freilich vor. trotzdem das Militärstrafgesetzbuch die Ange-
unkenheit nicht als strafmildernd ansieht. Feldmarschall H ä s e 1 e r
oll 90 Proz. der Vergehen gegen die Disziplin als durch den Alkohol
edingt bezeichnet haben. Manchmal handelt es sich allerdings auch
m Alkoholintoleranz und pathologische Rauschzustände auf psy-
fiisch abnormer Grundlage. Ein Fall Schultz cs war nicht
eniger als 18 mal wegen Insubordination vorbestraft.
Ab und zu wurden unter den Soldaten auch Störungen infolge
on Neurasthenie, degenerativer V eranlagung, originärer Ver-
.'hrobenheit uam. festgestellt. Bei Simulationsverdacht ist stets zu
riifen, ob nicht doch eine psychopathische Basis vorliegt, insbe-
ondere Hysterie oder Imbezillität.
Manche Formen geistiger Erkrankung, insbesondere die syste-
atisierende Paranoia, kommen kaum in Betracht; natürlich auch
cht die Erkrankungen vorgerückten Alters. An Paralyse sind be-
inntlich mehrfach Offiziere erkrankt.
Eingehendste Prüfung fanden die Fälle, bei denen die Militär-
.'richte eine Begutachtung veranlassten.
E. S c h u 1 1 z e kam bei seinen 51 begutachteten Fällen zu
Igenden Diagnosen: Manisch-depressives Irresein 11, Dementia
aecox 15. Imbezillität 9, Epilepsie 21, Hysterie 19, degeneratives
resein 2, Psychopathie 1, Alkoholintoleranz 1, Neurastnenie 1, patho-
gische Affektzustände 1, originäre Verschrobenheit 1, Simulation bei
ychopathischer Minderwertigkeit 1.
Unter den von E. Meyer begutachteten 24 Marineangehörigen
nd sich folgendes: Dementia praecox 2, Imbezillität 6, Epilepsie 2,
.rciacht auf Epilepsie 1, Hysterie 4, traumatische Neurose 1, patho-
gische Rauschzustände 4, während bei vieren keine Psychose fest-
stelien wai.
Im Krieg liegen die Verhältnisse von vornherein ganz
iders. Während sich aus den mitgeteilten Statistiken ergibt,
iss es sich bei den psychischen Störungen der Heeres- und
arineangehörigen in Friedenszeit fast ausschliesslich um Fr¬
ankungen handelt, die auf einer angeborenen Anlage he¬
ben, treten im Feldzug eine Fülle von besonderen Schädlich¬
sten hinzu, denen von vornherein eine ursächliche Bedeutung
geistige Störungen beizumessen ist. Zunächst kommt
ychischer Schock in Frage, angesichts der mit ungeheurer
acht einstürmenden, gefahrvollen Eindrücke, wie solche in
iedenszeit nur ausnahmsweise Vorkommen, dann Erschöp-
'g psychischer und körperlicher Art, insbesondere infolge
n Ueberanstrengung, Nahrungsmangel, Schlafstörung und
ensiver seelischer Spannung. Ferner Schädelverletzungen
r mannigfachsten Art, weiterhin Hitzschlag, ausserdem die
:rkung epidemischer Infektionskrankheiten. Schliesslich
ren auch Schädlichkeiten wie Alkohol und Lues zu bertick-
htigen.
Vielfach kommt nicht eine einzige Ursache in Betracht,
■ dem mehrere stürmen gleichzeitig in der mannigfachsten
-ise ein. Vor allem ist auch zu prüfen, inwieweit solche
lädlichkeiten auf Personen einwirken, die an sich schon
e angeborene oder erworbene Disposition zu einer psychi-
en Erkrankung besitzen.
2! 11
, Nach der älteren Psychiatrie und heute noch nach Ansicht
der gebildeten Laien haben psychische Ursachen, wie Schreck,
Kummer, Todesangst, Gewissensbisse, Liebesgram usw. die
grösste Bedeutung für den Ausbruch geistiger Störungen.
W issenschaftlich ist dieser Standpunkt verlassen, da man bei
sehr vielen Krankheiten die wirklichen Ursachen klar erkannt
hat. wie bei Paralyse die Lues, oder wenigstens ursächlichen
Zusammenhängen bestimmter Art auf der Spur ist, wie etwa
den Stoffwechselstörungen der Dementia praecox. Ausserdem
lut man aber auch nach Prüfung von Vorkommnissen, hei
denen psychische Eindrücke heftigster Art auf zahlreiche Men¬
schen einwirkten, feststellen können, dass psychische Stö-
umgen nur in beschränktestem Mass dadurch bedingt
wurden.
. Als 1896" auf dem Chodinskifeld bei Moskau während der
Kaiserkrönung eine Panik unter Zehntausenden ausbrach und
viele Menschen zerquetscht wurden, sind psychisch nur drei
1 ersonen erkrankt. Gelegentlich ist dem psychischen Ein¬
druck nur scheinbar eine Bedeutung zuzuerkennen: So wurden
bei einer Gasometerexplosion in Hamburg zahlreiche Arbeiter
getötet und andere kamen mit Brandwunden in ein Kranken¬
haus, wo sie zum Teil nach kürzester Zeit unter Delirien
starben, so dass man an Schreckwirkung denken könnte;
mehrere aber erholten sich von der Verwirrtheit wie auch den
Brandwunden und konnten dann klar berichten, dass sie im
Feuer der beiden Explosionen durchaus zweckmässig ge¬
handelt und Deckung vor den Flammen gesucht hatten, ohne
durch den Eindruck der Gefahr selbst verwirrt zu werden.
Die Delirien waren zweifellos auf Rechnung toxischer Ein¬
flüsse infolge der ausgedehnten Brandwunden zu setzen.
Besonders eingehende Untersuchungen über die Be¬
ziehungen zwischen psychischen Insulten und Geistesstörung
verdanken wir S t i e r I i n 13). der die Erfahrungen an den
Ueberlebenden von 6 katastrophalen Ereignissen geprüft hat-
vom Eisenbahnunglück in Müllheim 17. Juli 1911, dem Gruben¬
unglück in Courrierres 10. März 1906, dem Grubenunglück von
Radbod 2. November 1908, dem Brückeneinsturz in Brail
29. August 1911, dem Erdbeben in Valparaiso 16. August 1906
und dem Erdbeben in Messina 28. Dezember 1908. Psychosen
als Folge jener furchtbaren Erlebnisse fanden sich nur ganz
vereinzelt, obwohl manche bei den Erdbeben tagelang ver¬
schüttet waren und in Courrieres 14 in der Grube ein¬
geschlossene Bergleute erst nach 3 Wochen wieder ans Tages¬
licht gelangten. Es handelt sich bei den wenigen Fällen, die
übrigens keineswegs körperliche Verletzungen aufwiesen, um
Schi eckpsychosen, die an hysterische oder epileptische
Dämmerzustände erinnerten, mit schlafwandelartigen Zu¬
ständen, Verwirrtheit, vor allem Apathie, Sinnestäuschungen,
Erregung, sinnlosen Handlungen usw.; allerdings war eine
entsprechende Prädisposition dabei nicht nachweisbar. Bei
einigen Personen, die die Katastrophen gar nicht miterlebt,
aber teure Verwandte dabei verloren hatten, trat eine Art
Emotionspsychose auf. Nach mehreren Tagen. Wochen oder
Monaten sind diese Störungen wieder vergangen, meist unte1,
teilweiser Amnesie für das Erlebnis. Die langsamer ge¬
nesenden Fälle erinnerten an Erschöpfungspsychosen oder den
Korsakowkomplex. Ausserdem sind in Messina mehrere Per¬
sonen an schweren Dauerpsychosen besonders hebephreni-
scher oder katatonischer Art erkrankt, wobei der Schreck
offenbar nur eine auslösende Wirkung ausgeübt Hat.
Die meisten Teilnehmer der Katastrophen waren in der
Gefahr selbst auffallend ruhig, ja man kann von einer Art Aus¬
löschung aller Affekte sprechen. Derartiges wurde auch von
B ä I z 14) bei Erdbeben in Tokio beobachtet: Livingstone
hat es in ähnlicher Weise bei sich selbst beobachtet, als er
aus dem Schlaf erwachend sich von einem Löwen angefallen
sah, und vielfach sprechen sich auch die Selbstbeobachtungen
der Kämpfer im gegenwärtigen Kriege dahin aus, dass im
Kugelregen alsbald die Affekte ganz zurücktreten. Auch bei
anderen Personen, die einer plötzlichen Lebensgefahr ent¬
rannen, so bei im Gebirge Abgestürzten, wurde ähnliches fest¬
gestellt.
1J) Nervöse und psychische Störungen nach Katastrophen.
Dm.w, mi] s. ?f)28.
“) Allgcm. Zschr. f. Psycli. 58. 1901. S. 717.
2112
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 42
Leichtere nervöse Symptome wurden anlässlich der er¬
wähnten Katastrophen häufiger beobachtet, so kam es bei
vielen vor, dass noch lange Zeit beim geringfügigsten Anlass
heftige Schreckzustände erfolgten. Bei manchen entwickelte
sich eine Erwartungsangst mit Sinnestäuschungen, Schlafstö¬
rung, plötzlichem Aufschrecken usw. Von den nach den Kata¬
strophen von Messina, Courrieres, Radbod und Müllheim
untersuchten Personen hatten 25 Proz. noch monatelang
Schlafstörungen. Andere waren etwas abgestumpft oder
leicht euphorisch, unter Amnesie nicht für das Erlebnis, son¬
dern für den Affekt.
Traumatische Neurose war im ganzen sehr selten; die
die Erdbeben Ueberlebenden hatten allerdings auch keinerlei
Entschädigungsansprüche. Vereinzelt jedoch kam es vor, dass
auch Personen ohne Entschädigungsansprüche doch jahrelang
noch an schwerer Neurose litten. Ein anderer nervöser Sym-
ptomcnkomplex kam jedoch in Vs bis V* der Fälle Stier-
iins zur Beobachtung: hohe Pulsfrequenz, Kniereflexsteige-
rung, Schlafmangel, daneben Störungen des Vasomotoriums,
Kopfschmerz und Schwindel.
Aelmliches ergibt sich aus den Untersuchungen von
d'A b u n d o 15) über das Erdbeben in Messina, ln Siiddeutsch-
land wurden anlässlich des Erdbebens vom 16. November 1911
von K r e u s e r 1H) Untersuchungen angestellt, die ergaben,
dass nicht nur bei neuropathisch veranlagten, sondern auch
bei bislang widerstandsfähigen Personen sich leichte nervöse
Störungen einstellten, vor allem Unbehagen beim Schlafen¬
gehen, Schlafunterbrechung, schreckhafte Träume, Kopf¬
schmerz, Schwindel, erhöhte Empfindlichkeit und Schreck¬
haftigkeit bei Geräuschen, Unsicherheit des Lagegefühls. Psy¬
chosen kamen nicht vor und die bereits Geisteskranken in den
Irrenanstalten haben sehr wenig Notiz vom Erdbeben ge¬
nommen.
Insofern kann aus rein psychischen Eindrücken noch eine
erhebliche schädigende Wirkung im Feldzug hervorgehen, als,
wie aus früheren Kriegen vielfach bekannt, unter Umständen
Paniken auftreten, bei denen eine grössere Anzahl von Sol¬
daten ohne ausreichenden Anlass und ohne hemmende Ueber-
legung blindlings depressiven Affekten folgten, so noch im
Balkankrieg bei Kirkilisse und Lüle Burgas. So unheilvoll
auch eine derartige psychische Infektion wirken kann, so ist
die Störung bei dem Einzelnen doch gewöhnlich nicht von
langer Dauer. Allerdings finden sich unter der Menge ge¬
legentlich doch psychopathische und prädisponierte Naturen,
die vielleicht den ersten Anlass zur Panik geben und unter
Umständen auch hinterher noch längere Zeit psychische
Störungen darbieten. Auch bei zwei Beobachtungen psychi¬
scher Epidemien in Süddeutschland vor einigen Jahren ragten
aus der Schar der Mitläufer einzelne psychisch schwer Er¬
krankte als richtunggebend hervor, während nach deren Aus¬
schaltung die übrigen wieder zur Besonnenheit zurück¬
kehrten 17). (Schluss folgt.)
Aus der Kgl. orthopädischen Klinik in München.
Die Orthopädie im Kriege.
Von Prof. Dr. Fritz Lange, Oberstabsarzt d. L.
II.
Der (iipsverband.
Die Schienen, welche in Nr. 2 der Feldbeilage (d. W.
S. 1826) beschrieben worden sind, sollen in erster Linie den
Transport der Knochen- und Gelenkschüsse möglichst
schmerzlos und ungefährlich machen. Sie sollten deshalb,
wenn es die Verhältnisse gestatten, schon auf dem Haupt¬
verbandplatz oder, wenn es dort unmöglich ist, im Feld¬
lazarett oder im Kriegslazarett angelegt werden, wo die Ver¬
wundeten nur vorübergehend bleiben. In den weiter
heimwärts gelegenen Lazaretten, in den Etappen- und Re¬
servelazaretten, können sie auch mit Nutzen noch verwendet
ls) Riv. ital. di Nevropat. Psich. ed Elettroterap. 2. 1909. 2.
10) Psychische Wirkungen des Erdbebens vom 16. November
1911, Psych.-neurol. Wschr. 1912/13 Nr. 32 S. 369.
") Weygandt: Beitrag zur Lehre von den psychischen Epi¬
demien. Halle 1905.
werden, wenn z. B. eine grosse Anzahl von Schwerver
wundeten plötzlich ankommt und wenn die Aufgabe vorlieg
möglichst rasch die durchschossenen Knochen zu schiene)
Im allgemeinen wird man aber in diesen Lazaretten, wo di
Schwerverwundeten längere Zeit verbleiben. Methode
anwenden können und sollen, welche durch eine sorgfältiger
individuelle Anpassung eine stärkere Korrektur der ver
schobenen Knochenfragmente und eine sicherere Fixierung ge
statten, als das mit Schienen möglich ist.
Unter den Verhältnissen, unter denen wir in Friedens
Zeiten arbeiten, hat sich der Streckverband aus
gezeichnet bewährt. In Kriegszeiten kann dieser Verband ii
Lazaretten, die ebenso mustergültig wie unsere Kliniken um
Krankenhäuser eingerichtet sind, ebenfalls Vortreffliche
leisten; das hat sich im zweiten Balkankrieg gezeigt. Bei den
Lazaretten aber, die in Kriegszeiten in Schulgebäuden, Kirchei
oder Fabriken schnell von heute auf morgen eingerichtei
werden müssen, ist vom Streckverband nichts zu erwarten!
Unter solchen Verhältnissen muss man froh sein, wenn di.
Kranken zunächst einmal Strohsäcke unter sich haben, um
wenn dann allmählich auch Betten mit Matratzen dazu kom
men, so sind dieselben in der Regel doch nicht derart, das
man Streckverbände in wirksamer Weise anlegen kann.
Mit solchen Verhältnissen muss man meist in der Näh.
der Gefechtslinie rechnen, und deshalb ist ein Ersatz de
Streckverbandes eine dringende und wichtige Aufgabe. Gt
lingt er nicht, so ist zu erwarten, dass die Schussfrakturei
mit sehr erheblichen Verkürzungen heilen und dass scliwe
deformierte Glieder das Endresultat unserer Behandlung sein
werden.
Der einzige Ersatz des Streckverbandes, der unter solche)
Verhältnissen in Frage kommt, ist der Gipsverband. De
Wert des Gipsverbandes für den Krieg ist sehr verschiede)
beurteilt worden. Obwohl schon P i r o g o f f den Gips für di.
Kriegschirurgie warm empfohlen hatte, ist der Gipsverbam
durch Stromeyer auf Grund seiner Kriegserfahrungen seh
ungünstig beurteilt worden. Dabei darf aber nicht ver
schwiegen werden, dass Stromeyer auch in Friedens
Zeiten kein besonderer Freund des Gipses war. Er zog z. ß
nach dem Klumpfussredressement, wo heute der Gipsverbam
allgemein als beste Retentionsmethode anerkannt ist, diij
Schienenbehandlung vor. Wir dürfen auf Stromeyer:
Urteil um so weniger Wert legen, als in den Händen voi
Anton Vogl, des nachmaligen, hochverdienten Generalstabs!
arztes der bayer. Armee, der Gipsverband im Kriege 1870/7
sich ausgezeichnet bewährt hat (Mitteilung von Oberstabsarz
O 1 1) und im Türkisch-Russischen Krieg bei der berühmt gel
wordenen Behandlung der Knieschüsse in den Händen voi
B e r g m a n n Glänzendes geleistet hat. Und wir dürfen un
endlich von der Verwendung des Gipsverbandes auch dadurch
nicht abschrecken lassen, dass er im zweiten Balkankrie;
versagt hat. Es kann, wie Friedrich annimmt, das feucht
warme Klima daran schuld gewesen sein; es kann aber aucl
der zur Verwendung gelangte Gips nicht einwandfrei gewesei
sein. Guter Gips ist deshalb Vorbedingung für die Anwendung
des Gipsverbandes.
Ausgezeichnet sind die fertigen Gipsbinden von Albert (her¬
gestellt durch C h o s a k in Düsseldorf). Sie werden in kaltes oder:
lauwarmes Wasser ohne jeden Zusatz gelegt und müssen etwa
4 Minuten im Wasser gelegen haben, ehe sie benützt werden könnenj
Notwendig aber sind diese Gipsbinden nicht. Man kann mit jedci.
guten Alabastergips (unsere Bezugsquelle ist Walsers Gipsmühlc
München, Kanalstr. 63) eine gute, zweckentsprechende Gipsbinde siel
selber hersteilen, wenn man nicht Stärkegazebinden nimmt, wie cv
meist noch geschieht, sondern Binden von Mull verwendet und dem
warmen Waser, in das man die Gipsbinde legt, Alaun (auf 2 Liter
Wasser 25 g Alaun) zusetzt.
Die Hauptmasse der Verletzungen, für die der Gips
verband in Frage kommt, sind die Extremitätenschüsse. Pit-
Technik für die oberen und unteren Extremitäten muss be¬
sonders besprochen werden:
1. Die Gipsverbände der Armschüsse.
a) Für Schüsse des Vorderarmes bis ein¬
schliesslich des Ellenbogengelenkes genügt oft
eine Gipsschiene, deren Herstellung sehr einfach ist und
wenig Zeit beansprucht.
?0. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
, 'Ve"n es dl®. Wunden erlauben, legt man die Scliienc auf die
Mreckseite von Oberarm und Vorderarm bei rechtwinklig gebeugtem
■Jlerrbogengelenk und voller oder halber Supinationsstellung der Hand
,n. Ein Assistent halt den Am, in dieser Stellung fest, nachdem auf
he ganze Streckseite des Armes eine 15 cm breite Lage Polsterwatte
gelegt ist. Am Ellenbogen
wird durch ein zweites,
handgrosses Stück aufge¬
legte Watte fiir eine sorg¬
fältige Polsterung des
Olekranon und der Kon-
dylen gesorgt. Diese Lage
Watte wird durch Rund¬
touren mit einer Mull¬
binde am Arm befestigt.
Dann wird eine zehnfache
Lage einer lü— 15 cm brei¬
ten Gipsbinde auf die Pol¬
sterwatte gelegt, welche
von der Spina scapulae
bis zu den Metakarpo-
phalangealgelenken reicht.
Eine zweite Rundtour von
Mullbinden wickelt die
Gipsschiene an den Arm
an. In 5 Minuten ist die
Schiene erhärtet. Der Pa¬
tient erhält noch eine Mi-
Fig. 1. Gipsschiene für Vorderarmbrüche.
telia und kann in der Regel
sofort schmerzfrei sich be-
, , . , , wegen. Selbstverständlich
nd vor dem Anlegen der Gipsschienen die Wunden mit Verbandzeug
ersorgt worden. Lässt die Lokalisierung der Wunden die Anpassung
-r Schiene auf der Streckseite nicht zu, so muss die Schiene auf der
mge- oder Ulnar- oder Radialseite angelegt werden. (Fig. 1.)
b) Fiir Schussfrakturen des Oberarmes genügt die
sschriebene Schiene nicht, namentlich wenn die Fraktur in
er Nähe des Schultergelenkes liegt oder sogar dieses Gelenk
Mitleidenschaft gezogen hat. Hier tritt anstelle der Gips-
.hiene der gefensterte Gipsverband, der nicht nur den ganzen
™ zirkulär umfasst, sondern auch den Thorax einschliesst.
ur so lässt sich bei den zu winkligen Abknickungen neigenden
berarmfrakturen die Extension der Fragmente im Verbände
stzuhalten.
Der Verband wird, wie die Gipsschiene, am besten an dem
.zenden Patienten angelegt. Der Oberarm hängt fast senkrecht
_ herab; der Vorder¬
arm ist im Ellen¬
bogen rechtwinklig
gebeugt oder, wenn
rechtwinklige Beu¬
gung Schmerzen
verursacht, leicht
stumpfwinklig. Die
Hand steht in Mittel¬
stellung zwischen
Supination und Pro¬
nation, wie es am
besten vom Patien¬
ten vertragen wird.
Ein Assistent stützt
den Arm an der
Hand und an dem
Ellenbogen und
achtet darauf, dass
an der Frakturstelle
keine winklige Ab¬
knickung besteht und
dass durch das
Eigengewicht des
Armes eine leichte
Extension an der
Bruchstelle zustande
kommt.
Die Wattepolste¬
rung, die am Ellen¬
bogen doppelt gelegt
wird, umfasst den
ganzen Arm, den
Thorax von der
Axilla bis zum un¬
teren Rippenrand
und deckt, entspre¬
chend dem Verlauf
... der Hosenträger,
n die beiden Schultern. Dabei ist die Gegend der Fossa supra-
infraspinata 3 oder 4 fach zu polstern, damit der Patient nicht
2. Gipsverband bei stark disloziertem Oberarmbrucli.
e!m b'CKen durch den Druck des Gipsverbandes auf die Spina sca¬
pulae belästigt wird. Durch Mullbinden wird die Wattepolsterung
km und trüber kommen dann die Gipsbindentouren. Um bei dem
rreilegen der Wunden das Fenster im Gipsverband immer an der
richtigen Stelle anzulegen, zeichnet man am besten mit einem Ali-
(Fig1S2) dlC StClIe dei" Wunden auf der gesunden Seite vorher an.
Hie Gipsverbände der Beinschüsse.
, ... Wenn d*c Iechnik der Gipsverbände der Armschüsse ver¬
hältnismässig einfach ist und von jedem Arzt ausgeführt
werden kann, der überhaupt einen Gipsverband anlegen kann,
so wc! den die Schwierigkeiten bei den Beinschüssen wesent¬
lich grösser. Wenn es sich allerdings um einen Schuss des
u ss es oder Unterschenkels handelt, die Verkürzung
unerheblich ist, und nur ein Verband angelegt werden soll, der
en I ransport im Liegen erlaubt, so ist die Technik ziemlich
einfach
t«t!enr,Dient( wird in Rückenlage auf einen Tisch gebracht, so
s Kopf, Rumpf und die zentrale Hälfte des Oberschenkels auf dem
I ische aufruhen. Der gebrochene Unterschenkel wird von einem
Ass.stenten in der Weise gehalten, dass die rechte Hand von unten
her die Frakturstelle stutzt, damit keine Rekurvatur entsteht; die
n e Hand greift am Kalkaneus an und übt einen mässigen Zug fuss-
s ,aus- Pann kann der Arzt die Wattepolsterung, die an den
Ma eolen und dem Knie 3 fach sein muss, leicht anlegen, mit einer
Mullbinde befestigen und die Gipsbinden darüber führen. Der Gips¬
verband reicht in diesen Fällen von den Zehen bis zur Mitte des
Oberschenkels. Die Ferse bleibt bei dieser Technik völlig frei von
Gips. Werden trotzdem Gipsbinden über die Ferse geführt, so sollte
grundsätzlich an dieser Stelle ein Fenster ausgeschnitten und die
berse freigelegt werden. Das ist die beste Methode, um den ge¬
fürchteten Fersendekubitus mit Sicherheit zu vermeiden.
Nun bilden die Unterschenkelschüsse die Minderheit unter
den Beinverletzungen im Kriege. Die überwiegende Mehrzahl
wird von Oberschenkelschüssen geliefert, und diese
bilden die wahre crux medicorum im Kriege. Wirksame Streck¬
verbände sind in den meisten Lazaretten unmöglich und nun
liegen nach den Schilderungen von Augenzeugen die Patienten
auf ihren Strohsäcken oder den schlechten Betten mit sehr
starken Dislokationen ihrer Bruchenden und mit Verkürzungen
von 10 15 cm. Und wenn da nicht der Arzt energisch ein-
gi eift, so werden schwer deformierte und mehr oder minder
unbrauchbare Beine das Endresultat sein. Hier liegt eine un-
gemein dankbare Aufgabe für die Orthopädie vor, und hier
kann sie ihre allerwichtigste Pflicht, „Prophylaxe des Krüppel-
tums“ zu üben, in grosszügiger Weise erfüllen.
Die Aufgabe ist klar vorgezeichnet. Zuerst muss durch
einen Zug für eine richtige Stellung der Fragmente gesorgt
werden. Die Verkürzung muss soweit als möglich ausge¬
glichen werden, und dann muss ein sorgfältig modellierter
Gipsverband das Resultat der Korrektur dauernd aufrecht er¬
halten.
Für die Fried. enspraxis ist das Problem längst ge¬
löst: Seit 15 Jahren schon gehen wir, wenn wir wegen einer
schlecht geheilten Fraktur oder einer rachitischen Kurvatur
einen Femur durchmeisseln mussten, folgendermassen vor:
Nachdem die Wunde versorgt ist, wird der Patient auf den
früher beschriebenen Verbandtisch gebracht und ein Streck-
verband angelegt; vermittels einer Schraube wird ein starker
Zug auf den unterhalb der Osteotomiestelle gelegenen Teil des
Beines ausgeübt und ein Gipsverband angelegt, in dem die Ex¬
tension fortwirkt. Einen ähnlichen Verband hat unabhängig
von meinem eigenen Verfahren später G o c h t als Gipsexten¬
sionsverband beschrieben. Und auch D o 1 1 i n g e r hat seine
Oberschenkelfrakturen schon seit Jahren im Prinzip ebenso
wie wir behandelt. Etwas grundsätzlich Neues war also jetzt
nicht zu schaffen. Es handelte sich nur darum, für die Kriegs¬
praxis diese Technik so umzugestalten, dass sie mit den ein¬
fachen Mitteln, die dem Arzt im Felde zur Verfügung stehen,
ausgeführt werden kann.
Zu dem Zwecke haben wir ein Gasrohrgestell (Fig. 3 a)
anfertigen lassen, das 140 cm lang, 68 cm breit und 24 cm hoch
ist. Dieser Rahmen wird auf einen gewöhnlichen Holztisch
(Fig. 3 b) gestellt, der eine Länge von etwa 250 cm hat. Drei
kräftige Matratzengurten (Fig. 3 c, d, e), die mit Schnallen
versehen sind, werden von dem einen Längsrohr zu dem
anderen ausgespannt. Auf diesen Gurten liegt die untere
Hälfte des Patienten in Rückenlage, die obere Hälfte, Rumpf
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 42.
2114
und Kopf, ruhen auf einer 20 cm dicken Matratze (Fig. 3f).
Wenn der obere üurt zwischen Trochanter und Spina, der
mittlere unter der Frakturstelle des Oberschenkels und der
unterste in der Mitte der Wade verläuft, so ist eine annähernd
schmerzlose Lage des Patienten gesichert und Becken und
Beine von allen Seiten der Hand des Arztes leicht zugänglich.
Nun folgt die zweite Aufgabe: DieAusübungderEx-
t c n s i o n. Das muss in einer Form geschehen, welche mög¬
lichst die Gefahr des Dekubitus ausschliesst und welche das
sofortige Anlegen des Gipsverbandes ermöglicht, während die
Wirkung der Extension fortdauert. Wir haben schon vor
15 Jahren in dieser Dichtung zahlreiche Versuche gemacht,
um über die besten Angriffspunkte dieses Zuges Klarheit zu
schaffen. Das Resultat war die Erfahrung, dass man, um
sicher den Dekubitus zu vermeiden, nicht an der meist an¬
gewandten und bequemsten Stelle, am Fussriicken oder ober¬
halb der Malleolen, angreifen darf, sondern dass man die
ganze Fläche des Unterschenkels und wenn irgend mög¬
lich auch die distale Hälfte des Oberschenkels benutzen muss
als Grundlage für die Extension.
Man kann an dieser Fläche mit einem lege artis angelegten
Heftpflaster- oder noch besser mit einem Klebroverband an¬
greifen. Aber diese Materialien stehen im Kriege nicht immer
in der nötigen Menge zur Verfügung, und ausserdem erfordert
ein solcher Verband Zeit und eine gewisse Fertigkeit, und
endlich ist er — namentlich die vorzügliche Klebrobinde —
ziemlich kostspielig. Wir sind deshalb in den letzten Monaten
zu den von Heusner empfohlenen Filzstreifen, die wir
früher schon jahrelang angewandt hatten, zurückgekehrt.
(Schluss folgt.)
Offene Behandlung eiternder Wunden.
Von F. S c h e d e, leitender Arzt (in Vertr. v. Geh. -Rat Lange)
der Station I des Vereinslazaretts Poliklinik, orthopädische Ab¬
teilung.
Jeder, der Verwundete mit stark eiternden Wunden, be¬
sonders mit infizierten Schussfrakturen zu behandeln hat, kennt
die ausserordentlichen Schwierigkeiten, die der Verband¬
wechsel und die Reinhaltung bei solchen Patienten bereiten.
Mit dem Verbandwechsel sind Lageveränderungen verbunden,
die dem Patienten Schmerzen bereiten und der Wunde die
Ruhe stören, die sie so notwendig braucht. Die Reinhaltung
ist eine Sisyphusarbeit, die an das Personal und auch an die
Materialvorräte eines Lazarettes die grössten Anforderungen
stellt, ohne dass die Aufgabe jemals wirklich erfüllt wird.
Schon nach kurzer Zeit liegt die Wunde und ihre Umgebung
wieder im Eiter, der sich zersetzt und stinkt, die Gipsverbände
und die Bettwäsche ruiniert und das Pflegepersonal infiziert.
Unter diesen Umständen ist es eine Unmöglichkeit, die Hände
des Pflegepersonals so rein zu halten, wie es im Interesse
seiner selbst und der anderen Patienten notwendig erscheint.
Ich stelle nun die Frage auf: Welchen Zweck hat der Ver¬
band bei solchen Wunden und erfüllt er diesen Zweck?
Der Körper will offenbar die infizierten Wundsekrete los¬
werden. Er empört sich und reagiert mit Fieber, wenn er sic
nicht entfernen kann. Warum also die Wunden in ein Dauer¬
bad von solchen Sekreten legen? Soll die Wunde dadurch
gegen Infektion von aussen geschützt werden? Man ist längst
zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Gefährlichkit der
Luftkeime bedeutend überschätzt wurde und weiss, dass die
Granulationen eine grosse Widerstandskraft gegen Bakterien
besitzen. Jedenfalls sind im eiterdurchtränkten Verband mehr
und gefährlichere Bakterien als in der Luft. Für die aseptische
Wunde ist der Verband ein guter Schutz, für die eiternde eher
das Gegenteil.
Für die eiternde Wunde ist die Aufsaugung und die Er¬
haltung des kontinuierlichen Sekretstromes die wichtigste
Leistung des Verbandes. Es ist zweifellos, dass trockene Gazei
eine starke Saugkraft besitzt. Aber diese Fähigkeit ist durch
physikalische Gesetze bekanntlich ziemlich eng begrenzt. Die
Gaze muss sehr oft gewechselt werden, wenn sie ihre Wir¬
kung behalten soll. Den allzu häufigen Wechsel aber verbieteti
die Rücksicht auf die Ruhe des Patienten und auf die vor¬
handenen Mittel. Bleibt der Verband länger liegen, so ver¬
kehrt sich seine Wirkung in das Gegenteil. Wie oft ist inan
jetzt peinlich überrascht, zu sehen, dass der Verband, mit dem
die Verwundeten ankommen, eine Sekretverhaltung
verursachte.
Liegt es nicht näher, zur dauernden Entfernung von Se¬
kreten eine Naturkraft auszunutzen, die dauernd wirkt, wenn
man sie nur richtig versteht : nämlich das Gewicht des Sekretes?
Warum gibt es keine Verhaltungen hinter einer tuberkulösen
Fistel, sofern man sie in Ruhe lässt? Weil sie am tiefsten
Punkt des Abszesses liegt!
Bei der eiternden Schusswunde verhält es sich nicht
anders. Lege ich den Patienten so, dass die Wundöffnung den
tiefsten Punkt der Wundhöhle bildet, so brauche ich in der Rege;
keine weiteren Vorkehrungen, um den dauernden Abfluss zu
sichern. Kann ich den Patienten nicht so lagern, muss die,
Wunde nach oben liegen, so ist die Anlegung einer Gegen¬
inzision am tiefsten Punkt der Wundhöhle sicherer und näher
liegend als die Aufsaugung der Sekrete nach oben. Eine solche
Gegenöffnung verhält sich wie eine Fistel, wenn sie richtig an¬
gelegt ist. Sie heilt nicht zu. solange sie vom Sekretstrom
bespült wird, ebensowenig wie sich eine Wunde schliesst, ehe
sie alle infizierten und nekrotischen Teile abgestossen hat, die;
sie nicht resorbieren kann. Für eine solche Wunde
brauche ich keinen Verband.
Das sind keine neuen Fragen und Forderungen, viele)
schon sind sich ihrer bewusst gewesen und haben versucht,
ihnen in der Praxis gerecht zu werden. So haben, wie mir
nach meinem ersten Referat über die folgenden Versuche be¬
richtet wurde, die Chirurgen der vorantiseptischen Zeit die
Amputationsstümpfe ohne Verbände behandelt. So hat in
neuerer Zeit Bernhard in Davos Wunden aller Art erfolg¬
reich mit Sonne und Luft behandelt.
Ich will nun im folgenden berichten, wie ich versucht
habe, die oben geschilderten Schwierigkeiten zu überwinden.
Wie oft das Anwachsen von Schwierigkeiten erst den Anlass
zu ihrer Ueberwindung gibt, so zwang auch mich ein beson¬
ders trostloser Fall zum ernstlichen Angriff.
Es handelt sich um eine Granatsplitterverletzung. Die ganze
Gegend der Achillessehne war herausgerissen, beide Unterschcnkel-
knochen zertrümmert, die Art. tibialis lag zutage. Die Wundhöhlen
waren mit nekrotischen Gewebsfetzen erfüllt. Die Eiterung war
profus und verbreitete einen unbeschreiblichen Gestank. Der Unter¬
schenkel war ödematös und gerötet. Der Pat. fieberte. Jeder
Verbandwechsel bereitete ihm starke Schmerzen. Nach wenigen
Stunden schon lief der Eiter wieder durch den Verband in das
Bett. Ich habe nun folgenden Verband angelegt.
Der Gipsverband geht bei leicht gebeugtem Knie von der Mitte
des Oberschenkels bis zum Euss. Auf der Vorderseite ist er kon¬
tinuierlich, auf der Rückseite ist er in der Wundgegend unter¬
brochen und durch Bandeisen ersetzt An der Fusssohle ist ein
Träger aus Draht eingegipst. Die Wunde schwebt nun ca. 20 cm
über der Bettf'.äche. Unter das Knie wird ein Kissen geschoben,
unter die Wunde eine Schüssel, in die das Sekret tropft. D>e
Wunde wird nicht verbunden! Darüber wird ein Gewölbe
aus Draht gestellt, wie es für alle Fussverletzungen gebräuchlich
ist und warme Decken rings herumgelegt. Die Wunde wird sorg¬
fältig vor Kälte geschützt. Alle 2 Stunden wird sie oberflächlich
mit einem Zerstäuber von HsO* 3 Proz. bespritzt. (Abb. 1.)
?0. Oktober 19H.
jeldärztliche Beilage zur Mtinch. med. Wochenschrift.
21 IS
Der Erfolg war nun ganz überraschend. Der Gestank war
ofort verschwunden. Das Sekret verlor alsbald seinen eitrigen
harakter und wurde trüb serös. Schmerzen hat der Patient vom
rsten läge an nicht mehr gehabt. Das Eieber fiel ab die Schwel
cUhnVerSC,ienkeis verlor «ich. Die nekrotischem Gewebe
urden rasch herausgestossen und nach 5 Tagen war die Wundhöhle
are.ts um die Hälfte verkleinert, ihr Grund mit frischen kräftigen
ranulatjonen erfüllt von den Rändern her begann kräftige Ueber-
tutung. L leser Erfolg ermutigte mich zu weiteren Versucheil.
Der zweite Fall hatte eine noch schwerere Granatsplitterver-
tzung an der Vorderseite des Fussgelenkes. Hier bestand eine rieh-
h h!l!Llm,nfudter ,Fmgebun? bis h°ch am Unterschenkel hinauf.
Ii habe zunächst alle nekrotischen Splitter entfernt Es entstand
n Knochendefekt von ca 10 cm. Die Wundhbhle wurde nach unten
n draimert. Darauf fiel das Fieber vorübergehend ab. Sobald aber
e Unterlage wieder mit Eiter durchtränkt war, Hess die Wirkung
eser Dramage ”ach- Der Verbandwechsel war sehr schmerzhaft
de Bewegung des Fusses verursachte wieder Temperaturanstieg'
den buss in ein Dauerbad. Das sicherte nun zwar den
k l^fd^dP«3^ ■ dl + PlXation wlTde noch ungenügender und damit
. Leiden des 1 atienten grosser. Schliesslich behandelte ich diesen
it. nach der gleichen Methode wie Fall 1. Der Gipsverband den
i ihm nun anlegte, war im Prinzip der gleiche wie beim vorigen
die. Nur war er um das Fussgelenk herum völlig unterbrochen
f einem nandeiSm eiÄt; das unten liegende Bandeisen war
t einem Gummischlauch überzogen, um die Haut vor Druck und
s Eisen vor dem Sekret zu schützen. Der Fuss wurde soweit
sammengeschoben, dass die Tibiaspitze auf dem Stumpf des Talus
ln Anbetracht der Verkürzung wurde leichter Spitzfuss gegeben
i ca. 3 cm langes Stuck libia lag in der oberen Wunde frei. Es
nen noch leidlich ernährt. Die Wunde wurde nicht ver-
1 q 5.n' ,Dfr Erfolg war der gleiche. Das Fieber fiel ab, das in
Schussel tropfende Sekret wurde serös, die Schmerzen waren
r sch wunden . Der Sekretabfluss war keinen Augenblick mehr ge-
rt. Alsbald begann eine kräftige Granulation. Nach 5 Tagen
eits war das freiliegende Knochenstück unter den Granulationen
schwunden Beide Patienten haben seitdem keine Verbandstoffe
Ihr Wundsekret hat keines Menschen Hand mehr
I? bewert wördeT 'mmer Sa“ber’ ihre Frak,“re" sind nich<
Dasselbe Prinzip habe ich mit gleichem Erfolg auch bei Ober-
enkelschussen und bei Armschüssen verwendet. Der Verband
einer suprakondylären, schwer infizierten Zersplitterung des
ei Schenkels mit Empyem des Kniegelenkes folgt hier in der Ab-
Die Freilegung der Unterfläche geschieht sehr einfach durch
•rgelegte Holzkisten.
Bei diesen schweren Verletzungen kann die Anlegung eines
fixierenden Gipsverbandes mit Freilegung aller Wunden
lchmal technisch sehr schwer, ja unmöglich werden. Ich
e tür diese Fälle Lagerungsapparate hergestellt, die dem-
hst veröffentlicht werden.
Seit 6 Wochen habe ich nun eine grössere Zahl verschie-
ster Verletzungen nach dem gleichen Prinzip behandelt
nn zu der Ueberzeugung gekommen, dass ich auf einem
n Wege bin.
Ich will hier nur noch eine Reihe von Erfahrungen mit-
teilcn, die ich seitdem gemacht habe.
I)ie Heilung wird beschleunigt durch eine Heissluftbehand-
ung der Wunden. Vorher schmierig belegte Granulationen
bekommen einen trockenen Blutschorf.
,m weiteren Verlauf der Heilung wird ein Zeitpunkt ein-
icten, nach dem man die Wunde als aseptische behandeln
muss, wo dann also ein trockener Gazeverband keine Ste¬
llingen, sondern Vorteile und Bequemlichkeiten bringt. Diesen
Zeitpunkt muss man erkennen lernen. Nur bei einem schwer
septischen Patienten (siehe Abbild. 2) trat keine Veränderung
c.ei Wunden ein. Sie blieben schmierig belegt und das Sekret
blieb dick und eitrig. Ungeachtet dessen hatte der Patient
wesent hche Vorteile von meiner Behandlung. Abgesehen von
dei völligen Ruhe und Schmerzlosigkeit und ihrer günstigen
Wirkung auf das Allgemeinbefinden, liess sich die Behandlung
der Wunden und ihrer Umgebung mit einwandfreier Asepsis
urchfuhren. Der Pyocyaneus, der vorher massenhaft wuchs,
aeru^Uft S0A°,rt verschwunden. Die Austrocknung
scheint Jedoch diesen Wunden nicht so gut zu bekommen. Ich
habe mir dadurch geholfen, dass ich einen Inhalationsaparat
unter das Deckenzelt, in dem sich das Bein befand, dampfen
Hess. Das zähe, dicke Sekret wurde dadurch wieder dünner
und tiopfte stärker ab. Die feuchte Wärme wurde von diesem
und anderen Patienten sehr angenehm empfunden. Das ist
also ein feuchter Verband ohne seine bekannten Nachteile des
Luftabschlusses und der Sekretverhaltung *).
Armverletzungen kann man ambulant behandeln, indem
man den Arm so fixiert, dass die Hauptwunde nach unten
sieht darunter ein Becher hängt, und das ganze mit einem
sterilen Tuch. locker umgibt. Zur Unterstützung der Heil¬
tendenz habe ich einen Spray von Arg. nitr. 1 : 2000 und Peru¬
balsam mit Vorteil angewandt.
Den Hauptvorzug dieser Methode sehe ich darin dass
sie uns erlaubt eine Wunde so zu behandeln wie
wir es für r i c h t ig halten, nicht wie wir du r c h
äussere Umstände gezwungen werden Man
kann sie je nach dem Ergebnis ärztlichen Denkens aseptisch
oder antiseptisch, trocken oder feucht, mit oder ohne Verband
behandeln. Ich bin der Ansicht, dass sehr viele eiternde
Wunden sich fiii die verbandlose Methode besser eignen. E s
legt mir fern, etwa ihre unbedingte Ueber-
efeuheit zu behaupten. Das wäre ebenso
falsch als es das schematische Verbinden
aller Wunden sicher ist. Welche Wunden verbunden
werden müssen und welche nicht, muss die weitere Beob¬
achtung lehren. Ich werde eifrig bemüht sein, Erfahrungen zu
sammeln, und der Zweck dieser Anregung wäre erfüllt, wenn
auch an de! e sich kritisch mit dieser Frage befassen würden
Die von mir angewandte Technik ist sehr einfach um'
sehr billig. Ihr Wesentliches lässt sich fast überall improvi¬
sieren. Etwas Gipstechnik, etwas Fertigkeit im Anbiegen der
Bandeisen, etwas konstruktives Denken, das sind Grundlagen
die sich jeder schnell verschaffen kann.
Die Kosten eines solchen Verbandes betragen ca. 3—10 M.
Man vergleiche damit die Kosten, die ein täglich neuer, reich-
licher Gaze- und Watteverband bei einer Krankheitsdauer von
4 Wochen verursacht. Wenn bei längerer Dauer des Krieges
ein Mangel an Baumwolle eintritt, so wird der Preisunter¬
schied noch wesentlich grösser werden.
Aus der bakteriologischen Untersuchungsanstalt der Stadt
Dresden (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schmorl).
Lieber das Bierastsche Verfahren der elektiven Be¬
einflussung von Bacterium coli zum Nachweis von
Typhusbazillen im Stuhl.
Von Dr. H. Schmitz, Oberarzt der Anstalt.
Nur wenige YVochen sind seit Ausbruch des Krieges verflossen
und schon sind viele tausende Gefangene, meist auf unseren Truppen-
l ungsplatzen, untergebracht. Wenn bisher weder von grösseren
Epidemien in diesen Gefangenenlagern etwas bekannt geworden ist
noch das Auftreten von Kriegsseuchen in unserem Feldheer gemeldet
wurde, ist doch mit dem Auftreten von solchen, vor allem wohl
von zahlreichen Typhuserkrankungen in absehbarer Zeit zu rechnen.
*) Der Pat. ist unterdessen geheilt.
2116
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 42
Wer wie Verfasser sich viele Jahre mit dem Nachweis von
T.>. phusbazlllen im Stuhle abgemüht hat - eine wenig befriedigende
mühsame und undankbare Aufgabe — , wird daher mit Freuden, zu¬
gleich aber mit nicht geringem Zweifel die Veröffentlichung von
Bierast über die clektive Beeinflussung des Bacterium coli durch
Petroläther (C. f. B. Orig. 74. S. 348) gelesen haben.
Bei meinen Vorversuchen mit künstlichen Typhusstühlen (deren
Bedeutung für die Beurteilung des Verfahrens bei Stuhlunter-
suchungen Tvphuskranker ich keineswegs überschätze, da die Ver¬
hältnisse doch von denen beim Bebenden nicht unerheblich ab¬
weichen) war ich überrascht, in welch hohem Grade das B i e r a s t -
sehe Verfahren das Wachstum der Kolikolonien zu hemmen vermag;
eine völlige Aufhebung des Wachstums habe ich in keinem Falle
gesehen.
Im August d. J. gelang es mir unter 10 Stühlen (darunter auch
solche von nur Tvphusverdächtigen) in 2 Proben- mit dem Petrol¬
ätherverfahren Tvphusbazillen nachzuweisen, während die sonst
hier im Institut übliche Untersuchungsmethode ein negatives Er¬
gebnis hatte. Klinisch waren beide Fälle als Typhus angesprochen
und konnte ich im Blute beide Male Typhusbazillen (durch An¬
reicherung in Rindergalle) ohne weiteres nachvveisen.
Wenn die Methode selbstverständlich noch weiterer Prüfung
bedarf, glaube ich mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Kriegsver-
hältnisse eine Anwendung des Verfahrens schon jetzt empfehlen zu
können.
Der von B i e r a s t angegebenen Technik habe ich nichts lunzu-
zufügen, nur glaube ich auf ein recht energisches Umschütteln nach
dem Zusatz von Petroläther nochmals besonders hinweisen zu
müssen.
Aus dem Reservelazarett Ettlingen.
Behandlung von Tetanus traumat. mit serösem Transsudat
der Bauchhöhle.
Von Dr. Dur lach er in Ettlingen
Die Mitteilung jedes einzelnen Tetanusfalles erscheint ge¬
rechtfertigt, insbesondere wenn er günstig ausgeht und direkt
nach der Behandlung sofort eine auffallende günstige Beein¬
flussung in den Symptomen der Erkrankung herbeigeführt
wird.
Folgender Fall sei daher kurz geschildert.
Unteroffizier der Reserve K. wurde am 25. August im Gefechte
bei . durch einen Granatsplitter am linken Fussrücken verletzt.
Am 28. VIII. w'urde unter Spaltung der Haut ein Splitter entfernt.
Am 29. VIII. zeigten sich an der Plantarseite des Fusses Er¬
scheinungen von Zellgewebsentzündung.
Am 31. VIII Eröffnung der entzündeten Teile und Trocken¬
verband.
Am 3. IX. klagte der Pat. über ein etwas „steifes Genick“. Er
müsse sich erkältet haben, da er an der Türe liege. Verbandwechsel.
Am 5. IX. Isolierung des Verwundeten, da die Steifigkeit im
Nacken noch vorhanden war und Zeichen von Kieferklemme auf¬
traten. Der Verdacht auf Tetanus wurde bestätigt. Trismus der
Kaumuskulatur stellte sich ein. Die Zahnreihen konnten kaum 2 mm
voneinander entfernt werden. In den nächsten Tagen kam es zu
Opisthotonus und was besonders quälend war, zu Krämpfen der
Brust- und Zwischenrippenmuskulatur. Die Atmung war hierdurch
schwer behindert. Alle paar Minuten traten heftige Zuckungen im
ganzen Körper auf. Künstlich mussten die Zahnreihen zwecks Nah¬
rungsaufnahme auseinandergedehnt werden. Das Schlucken ging
schlecht Vielfach trat ein Verschlucken ein, das von quälendem
Hustenreiz gefolgt war. Die Physiognomie des Gesichtes glich einer
Maske. Die Fusswunde granulierte schön. Da die Anfälle so heftig
waren, wurde Chloralhydrat in grösseren Dosen (4 mal 2 g pro die)
gegeben.
Trotzdem bestanden heftige Jaktationen und Schmerzen, ver¬
bunden mit starken Schweissausbrüchen am ganzen Körper. Die
Atmung war mühevoll, 35 in der Minute. Die Temperatur schwankte
die ganze Zeit zwischen 36,6 und 37,6 in Axilla.
In diesem Zustande wurde dem Kranken am 14. IX. 0,3 Liter
seröses Transsudat in den Oberschenkel mittels Irrigator
einverleibt. Nach der Einspritzung bekam der Verletzte auffal¬
lend rasch Ruhe, während er bis zu diesem Momente selbst
auf Chloralhydrat ruhelos war. Er schlief ohne Narkotika mehrere
Stunden, auch verlief die Nacht sehr gut bei 4 Stuncien anhalten¬
dem Schlaf
Am 15 IX. zeigt sich ein Aufstieg auf 37,8°; starke Rötung und
Quaddelbildung im Gesicht und an den Beinen. Die Atmung ist
leichter. Der Mund kann auf 1 cm geöffnet werden. Spontaner
Schlaf 4 Stunden. Abends traten erneut Schmerzen lm Kreuze und
auf der Brust auf. Herztöne sind rein, Puls 112. 2 g Chloralhydrat,
Digalen; von hier ab täglich 3 mal 3 Tropfen. Ein Verschlucken
bei Flüssigkeitszufuhr ist nicht mehr vorhanden.
Am 16. IX. Rückenmuskulatur und Bauchmuskeln hart. Sehnen¬
reflexe an den Knien nicht auszulösen. Zahnreihe kann 1(4 cm
geöffnet werden. An diesem Tage nochmalige Infusion von
0,4 Liter Transsudat (12 Uhr mittags). Eine sofortige Ruhe
wie nach der ersten Transfusion trat nicht ein, sondern erst bis
6 Uhr abends. Puls um diese Zeit 140, Temp. 38,9°. 850 ccm Urin
von 24 Stunden, frei von Eiweiss und Zucker. Das Gesicht zeigt
mehr Ausdruck. Es ist nicht mehr starr. Am deutlichsten zeigt sich
dies am Lächeln des Verletzten.
Am 17. IX. Temp. 37,3°, Puls 116, Atmung leichter, 25 in der
Minute. Nur selten Zuckungen in der Schulter. Zahnreihe geht
IV?; cm auseinander. Die Wunde wird mit 1 proz. Arg.-nitr.-Lösung
vor dem Verbandwechsel abgespiilt. Nachts 2 g Chloralhydrat.
Arn 18. IX. Atmung 22, Puls 120, Zuckungen weniger. Ohne
Chloralhydrat.
Am 19. IX. Viel Schweiss, trotzdem weniger Durst. 1 Liter
Urin in 24 Stunden. Puls 132, Temp. 37°. Mittags traten heftige
krampfartige Schmerzen in der Herzgegend auf. Schmerzhaftigkeit
in der linken Unterbauchgegend. iHer sind die Muskeln bretthart
Zunge kann über die Zahnreihe hervorgestreckt werden. Ordination:
Charta sinapis. über das Herz. 2 g Chloralhydrat. Auf die Nacht
eine Messerspitze Bromsalz mit T.inct. Val.
Am 20. IX. Puls 128, abends 138. Bauchmuskulatur hart ge¬
spannt, oesonders links. Auf die Nacht 2 g Cholralhydrat.
Am 21. IX. Zustand an der Bauchmuskulatur unverändert. Sonst
ist am ganzen Körper die Muskulatur frei von Krämpfen. Die Zunge
kann zur Hälfte herausgestreckt werden. Nachts 2 g Chloralhydrat
Eine Messerspitze Brom mit Tinct. Val.
Am 22. IX.: Letzte Nacht unruhig. Krämpfe in der Bauch¬
muskulatur noch heftig. (412 Uhr wird wieder 0,5 Liter
Transsudat z. T. in die linke Bauchdecke und z. 'I. lm rechter
Oberschenkel infundiert. Es tritt sofort beim Verletzten Ruhe ein
bis mittags 4 Uhr. Dann traten in mässigem Grade in längerer
Intervallen Krämpfe an der linken Unterbauchseite ein. Temp. inor
gens 37,7°, nachmittags 39,5°, abends 38,5°, Puls 130. Auf die Nacht
wurde nur eine Messerspitze Brom mit Tinct. Val. gegeben.
Am 23. IX. war die Nacht ruhig. Viel Schlaf, Temp. 37"
Puls 116, 1200 ccm Urin.
Am 24. IX. sind die Bauchmuskeln noch hart. Allgemeine
Krämpfe nicht mehr vorhanden. Temp. 37,5, abends 37,4°.
Am 26 IX. Leib weich, linker Sternokleidomastoideus hart
Temp. 36,5, abends 37,1. 2 g Chloralhydrat, ruhiger Schlaf.
Am 27. IX. Leib weich, Halsmuskel noch hart, Schlucken da¬
durch etwas erschwert. Temp. 36,8, abends 37,6, Puls 118, Harr
1(4 Liter pro Tag. i
Am 28. IX. Krampfzustände vollkommen beseitigt, alle Muskeln
weich. Viel Schlaf. Allgemeinbefinden gut. Temp. 37,3, abends 36.j
Am 29. IX. Temperatur 36,3, abends 36,8, Puls 112. Allgemein¬
befinden sehr gut. Viel Schlaf, keine Krämpfe.
Am 30. IX. Temp. 36,8, Puls 100, fortgesetztes Wohlbennden
Am 1. X Temp. 36,8, Puls 96, guter Schlaf ohne Medikament
Am 2. X. Temp. 36,1, Puls 98. Allgemeinbefinden sehr gut
Nahrungsaufnahme gut.
Wir sehen hier einen verletzten Soldaten, bei dem nach 7 hu
8 tägiger Inkubationsdauer die schweren Erscheinungen von Tetanm
auftreten und durch seröse Transsudatinfusionen günstig beeinfluss'
wurden. Der Patient befindet sich jetzt im Stadium der Rekonvahs-
zenz, eine völlige Wiederherstellung ist sicher zu erwarten ).
Am auffälligsten in der Krankengeschichte ist die Beobachtung
dass nach den Infusionen mit dem serösen Irans-
sudat die schweren Krankheitssymptome unmit¬
telbar sich besserten, Ein Kausalnexus muss vorhanden sein
Das Transsudat selbst habe ich von einer an inkompensierten
Herzfehler erkrankten Patientin aus der Bauchhöhle gewonnen, b
wurde unmittelbar in ein steriles Gefäss gebracht, das durch heisst
Tücher vor einer Abkühlung bewahrt wurde. Etwa 5 — 10 Minute!
später wurde es dem Verwundeten infundiert. Die Tatsache, eass
von Wundstarrkrampfkranken Blutserum Tetanuskranken mit Erfollj
injiziert wurde, rief in mir den Gedanken wach, ob nicht das Blut¬
serum als solches eine günstige Einwirkung hervorruten müsse. Ins¬
besondere war es mir nicht einleuchtend, dass im Blute eines senor
vor 2 Jahren abgelaufenen Tetanuskranken Eigenscharten vorhandei
sind, die nach dieser Zeit noch Immunitätswirkung auf ein andere'
Individuum ausüben sollten. Daher stellte ich folgenden Gedanken
gang an. Die serösen Transsudate sind reich an Lymphoidzellen uni
an Albumin. Werden diese in das Blut gebracht, so muss ein Abbai
von Eiweissstoffen eintreten, die als Toxine für den Körper aulzu¬
fassen sind. Diese Toxine könnten möglicherweise als Antitoxin
gegen das Tetanusgift wirken. . ,
Dass der Abbau von Eiweissstoffen für das Blut nlcnt gieun-
gültig ist, zeigen die erhöhte Temperatur und die Quaddelbiluung
Erscheinungen, die in der Literatur als Serumkrankheit bezeic nc
Wenn ich schon vor einigen Tagen Digalen gab, so geschal
dies nur prophylaktisch, um die Herzkraft zu erhalten, zum bchlusst
wäre nur noch eine Betrachtung nötig. Selbst wenn weitere Beob¬
achtungen günstige Erfolge zeigen, so würde eine Erschwerung o
Behandlung eintieten können dadurch, dass die Gewinnung serös
Transsudates nicht immer möglich ist. Es liegt daher _sehr nahe.
Frage zu ventilieren, ob nicht auch artfremdes Transsudat
verwerten sei In erster Linie müsste man an künstlich erzeug
*) Bei der Korrektur (10 Tage später) ist der Eintritt de:
völligen Genesung als sicher zu bezeichnen.
?Ü. Oktober 191-1.
Feldcii ztliclie Beilage zur Miiiieli. med. Wochenschrift.
r mssudat bei Hunden denken. Im Jahre 1902/03 wurcien aus dem
lathologischcn Institut Würzburg experimentelle Beiträge zur Friih-
miputatiou beim Tetanus geliefert, wobei sich zeigte, dass gerade
lande relativ unempfänglich für Tetanus sind. Daraus dürfte theo-
c tisch die Schlussfolgerung gerechtfertigt sein, dass dieses Blut
tarke Antitoxine gegen das Tetanusgift besitzt.
Ich bin weit davon entfernt, aus eine m günstigen Re-
ultatc allgemein gültige Schlussfolgerungen ziehen zu wollen
Der mitgeteilte Fall dürfte jedoch dazu anspornen, die
ngeregten therapeutischen Massnahmen zu erproben.
Sind in mehreren Fällen dann günstige Erfolge zu ver-
cichnen, dann dürften wohl die theoretischen Erwägungen
urch den praktischen Erfolg gekrönt sein.
Aus dem Reservelazarett Nürnberg.
Dumdumgeschossverletzung.
Von Dr. Kreitmai r.
Gg. G., Unteroffizier der Landwehr im ... bayer. Reserve-
.ianterieregiment; verwundet in der Nacht vom 4.1 5. September
ei Lüne ville aus 30 m Entfernung durch Infanteriegeschoss am rech-
:n Unterschenkel.
Befund (am 10. September): An der Aussenseite des rechten
nterschenkels beim Uebergang des mittleren zum unteren Drittel
jhnpfennigstückgrosse Einschussöffnung. Auf der Innenseite, gerade
;genüber, fünfmarkstückgrosse, sich trichterförmig nach der Tiefe zu
erengernde, den zersplitterten Knochen freilegende Ausschuss-
fnung, aus der sich übelriechender Eiter entleert. Die Umgebung
-r Ein- und Ausschussöffnung ist stark gerötet, der ganze Unter-
Henkel geschwollen.
Diagnose: Schussfraktur des rechten Unterschenkels.
Die Röntgenaufnahme vom 27. IX. ergibt, dass das Ge¬
noss den Schusskanal noch nicht verlassen hat, sondern noch, von
sgelösten Knochensplittern umgeben, etwa 2 mm tief in der Tibia
eckt, deren frakturierte Teile es vor sich hergetrieben hat. Durch
; ’t4, Ansicht des Geschosses von vier Seiten, zeigen die ringförmig um dasselbe
tende Emschmttsfurche, welche senkrecht vier je 2 mm breite Längseinschnitte durch-
schneiden, so dass ringsum vier Kreuze entstehen. 5 u. 6 Obenansichten.
- W ucht des Anpralls ist die obenbeschriebene Korrespondenzwunde
tstanden, welche die Ausschussöffnung vortäuschte. Aus dieser
urde unterm 10. September lediglich ein noch im Muskelfleisch
itender, die Form eines menschlichen Schneidezahnes aufweisender
iochcnsplitter entfernt, der demgemäss keineswegs verursachend
t die Form dieser 2. Wunde wirken konnte. Diese scheint vielmehr
t die spezifische Explosivgewalt des Geschosses zurückzuführen zu
in.
Operation am 2. Oktober: Inzision und Extraktion des Geschosses
ter Chloräthylanästhesie. Das aus Kupferlegierung bestehende Ge¬
noss (Fig. 1) ist etwas gekrümmt (annähernder Winkel: 160").
' der konvexen Seite misst es 2,5 cm, auf der konkaven Seite
cm. Das obere Drittel des Geschosses ist durch eine Ringfurche
gegrenzt. Das obere Ende (lag der Tibia an) ist vollständig platt.
i rauher, an einer Stelle zu einem ca. 2 mm langen und an der
sis 1 mm breiten Zacken ausladender Grat überragt ringsum die
S('0°sswand. Die Basalfläche des Geschosses lässt deutlich die
■ Metall eingegrabene Inschrift erkennen (Fig. 7).
Aus dem Dargelegten ergibt sich mit Sicherheit, dass das Ge-
ioss ein Dumdumgeschoss mit abgeschnittener
> i t z e ist.
Das Geschoss war mit einem dicken, scharf riechenden Grtin-
mbelag überzogen.
Dumdumverletzung.
Von Geh. San. -Rat Dr. Lenne.
Vielleicht hat es Interesse für die Allgemeinheit der Kollegen,
cn typischen Fall einer Verletzung mit Dumdumgeschoss kennen
lernen. Der Verletzte kennt weder den Namen des Ortes, wo er
wundet wurde, noch den Namen des Militärarztes, der das Gc-
ioss an sich genommen hat. Eingeliefert wurde der Kranke unter
Bezeichnung Verwundung durch Dumdum.
ZI 17
Der Reservist Ferd. H. vom Füsilier-Reg. Nr. 80 (v. Gersdorff)
wurde am 22. September in den Gefechten an der Marne verwundet.
Ani 25. September traf er im hiesigen Reservelazarett ein in einem
Zustande näher dem Sterben als dem Leben. Der Oberarm bildete
eme grosse, grauschwarze, schmierige, jauchigriechende Masse, trotz¬
dem der letzte Verband am 24. September vorgenommen worden
war. Nachdem die Wundfläche einigermassen gereinigt worden,
habe ich am 30. September eine photographische Aufnahme ver¬
anlasst, welche m. E. ein recht deutliches Bild der furchtbaren Ver¬
letzung bietet, zu dessen Vervollständigung folgende Zahlen bei-
tragen mögen: Die grössere Wunde beginnt 10 cm unterhalb des
Olekranon und reicht bis zur Ellenbogenbeuge, sie hat eine Länge
von 14 cm, eine Breite von 11 cm und eine Tiefe von etwa 4 cm.
Die kleinere Wunde an der Innenseite des Oberarms hat bei Kreis¬
form einen Durchmesser von 7 cm und bildet jedenfalls die Einschuss¬
öffnung, da dieselbe eine glatte Wundfläche besitzt, während die Vor¬
derwunde vielfach zerrissen und zerklüftet ist. Zwischen beiden
Wunden befindet sich eine etwa 4 cm lange und zwischen 2 und
3 cm breite brandige Hautbrücke, welche den Schusskanal überdeckt
(auf den Bildern deutlich erkennbar).
Nach mancherlei Versuchen wurde der verwundete Arm im
Schwebeverband mit ständiger Berieselung behandelt. Auf diese
Weise hat der Verletzte fast gar keine Schmerzen mehr, die vorher
oft unerträglich waren, und das Fieber (Resorptionsfieber), anfangs
kontinuierlich und bis 39,6 abends steigend, ist auf normale Tempera¬
tur am Morgen und auf 38,5 abends gesunken, zudem ist dem Kranken
die grösste Beweglichkeit schmerzlos ermöglicht. Die grossen Haut¬
defekte werden wohl später durch Transplantationen bedeckt wer¬
den müssen, obwohl es staunenswert ist, welch riesige Hautdefekte
durch Granulation zur Ausheilung kommen.
Scharpie als Verbandmaterial.
Von Krankenhausdirektor Dr. Fr. Brunner, Generalarzt a. 1. s.
in München.
Schon in Friedenszeiten ist der Verbrauch an Verbandstoffen,
die vornehmlich aus Baumwolle bereitet werden, Watte und Gaze,
ein sehr grosser, um so mehr jetzt in Kriegszeiten, wo schon für Her¬
stellung der Verbandpäckchen für die Armee in viel millionenfacher
Zahl der Bedarf an Baumwolle ein ganz enormer geworden ist; weiter
wird aber der Bedarf an Baumwollverbandstoffen noch gesteigert
durch Versorgung der Lazarette für Behandlung der Tausende von
Verwundeten.
Nicht gering an Zahl sind die Schussverletzungen, wo ein Spitz¬
geschoss die Weichteile von Extremitäten und am Rumpf durch¬
dringt, ohne Knochen oder Blutgefässe zu treffen, mit kleinen Ein¬
gangs- und Ausgangsöffnungen, die nicht viel Verbandschutz bedürfen,
sich bald mit trockenem Schorf bedecken und heilen.
Doch viel mehr sind es die schweren Verletzungen durch Infan¬
terie- und Maschinengewehrgeschosse, Schrapnellkugeln und Granat-
sprengstücke mit ausgedehnten Weichteilzerstörungen, weit offenen
Knochenbrüchen, die im beschmutzten oder infizierten Zustand zur
Behandlung kommen.
Hier ist der Bedarf an aufsaugendem und immobilisierendem
Verbandmaterial ein ungeheuer grosser.
Es kann ja in solchen Fällen durch zu üppige Verbandweise ver¬
schleudert werden, aber das Sparsamkeitsbestreben hat seine Gren¬
zen, wenn es sich darum handelt, einen Verband anzulegen mit aus¬
reichendem Material zum ausgiebigen Schutz für die Wundflächen,
zur Aufsaugung der reichlichen Absonderung, um dem armen Ver¬
wundeten einen allzu häufigen, mit unvermeidlicher Schmerzerregung
verbundenen Verbandwechsel zu ersDaren.
Nach Versicherung von Leuten, die es wissen können, steht
in Deutschland so viel Baumwolle zur Verfügung, dass ein Mangel
an Verbandstoffen in absehbarer Zukunft nicht zu befürchten ist: auch
hat die Fabrikation von Baumwollgeweben zu verschiedenem anderen
Gebrauch durch den Krieg gewaltigen Abbruch erlitten.
Man muss aber daran denken, ob es nicht vielleicht doch not¬
wendig werden wird, für das Wundverbandmaterial aus Baumwolle
einen entsprechenden Ersatz zu schaffen. Schon in den siebziger
2118
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 42.
und achtziger Jahren hat man im Hinblick auf einen Krieg nach Er¬
satzstoffen für Verbandmittel gesucht und hat verschiedene, Flüssig¬
keit aufsaugende Stoffe in Verwendung genommen: Jutefasern, Torf,
Moos, Sägespäne in frischem und getrocknetem Zustand, Holzwolle,
Steinkohlenasche, Seesand, Asbestwolle usw.
Im Jahre 1895 hat der prakt. Arzt Dr. Qrassl in Vilshofen an
das Zentralkomitee des bayer. Landeshilfsvereins vom Roten Kreuz
den Vorschlag gebracht, im Kriegsfälle wiederum Scharpie, aber in
sterilisiertem Zustand, als Verbandmaterial in Verwendung zu
bringen. (Vergl. d. W. Nr. 38, S. 1992.)
In den früheren Kriegen spielte die Scharpie aus in Fäden zer¬
zupfter gebrauchter Leinwand als weiches, Wundsekret aufnehmendes
Verbandmaterial eine grosse Rolle; sie wurde jedoch mit der Ein¬
führung des L i s t e r sehen antiseptischen Wundverbandes als das
gefährlichste Verbandmaterial in Acht und Bann getan.
Der Assistenzarzt der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses
München r/I. Dr. Jos. Koller hat auf meine Veranlassung ein¬
gehende Untersuchungen vorgenommen, um die Scharpie auf ihre,
den zeitgemässen Anforderungen entsprechende Brauchbarkeit als
Verbandmittel und Ersatz für Baumwollstoffe zu prüfen und hat die
gewonnenen Resultate in einer Doktordissertation 1896 veröffentlicht:
„Ueber Verwendbarkeit von Leinwandscharpie als Verbandmaterial“.
Das Untersuchungsergebnis war, dass auch die auf nicht ganz
einwandfreiem Wege mit ungereinigten Händen gezupfte Scharpie
vollkommen sterilisiert werden kann, dass die Aufsaugungsfähigkeit
der lockeren und zusammengepressten Scharpie so gross ist, dass
sie ihr 6 faches Gewicht an Flüssigkeit aufnehmen kann, und dass
das Austrocknungsvermögen der Scharpie ein sehr gutes ist, d. h.
dass infolge der Porosität der Scharpie, vermöge deren die am ver¬
bundenen Körperteil erwärmte Luft rasch und leicht durch den Ver¬
band an die Oberfläche zu dringen vermag, die Durchfeuchtung
des auf der Wunde liegenden Verbandstoffes mehr und mehr ab¬
nimmt.
Die sterilisierte Scharpie ist ein reizloses, weiches, leichtes,
elastisches Verbandmaterial.
Zur Gewinnung von Scharpie soll nur reine, gebrauchte, aus¬
gewaschene Leinwand genommen werden.
Vor Beginn der Arbeit müssen die Zupferinnen Hände und Vor¬
derarme mit warmem Wasser und Seife mehrere Minuten lang tüch¬
tig reinigen. Das Zerzupfen der Leinwandstückc soll in einem rein¬
lichen, staubfreien Zimmer auf reiner Unterlage auf Leinwandtüchern
erfolgen, in welche die Scharpie dann zum Versenden an die SammeL
stelle eingeschlagen wird.
Dort erst wird die Dampfsterilisierung und weitere Sicherung
vorgenommen.
In der gegenwärtigen Zeit steht aber nicht mehr so viel Lein¬
wand zu Gebote wie früher, weil im Haushalt mehrfach statt Lein¬
wand stärkere Baumwollstoffe zur Verwendung kommen.
Auch diese kann man wieder in Fäden zerzupfen, und wenn es
nicht mehr manuell geht, so kann man daran denken, die Zerkleine¬
rung maschinell vornehmen zu lassen, wie man alte Wollstoffe durch
Maschinen zerreisst, um aus der gewonnenen Wolle neue Fäden zu
spinnen.
Seid sparsam mit den baumwollenen Verbandstoffen!
Von Prof. Williger in Berlin.
Das starke Anziehen der Preise von baumwollenen Verband¬
stoffen legt uns die Pflicht auf, mit diesen unentbehrlichen Verband¬
mitteln so sparsam zu wirtschaften, als wir es im Interesse der
Verwundeten verantworten können. Schon hat Hochenegg an¬
geregt. wieder zum Gebrauche der Scharpie zurückzukehren.
Scharpie steht von Anno 70 her bei uns im wahren Sinne des Wortes
in übelstem Geruch. Aber wie wurde sie auch damals hergestellt!
Ich sehe noch meine Mutter in einer staubigen Schulstube mit den
giösseren Schulmädchen sitzen, deren schmutzige Finger die mehr
oder minder schmutzigen, von den Dorfbewohnern gelieferten Baum¬
wollstoffe zerzupften. Diese Scharpie wurde höchst mangelhaft ver¬
packt nach Frankreich gesandt und so wie sie war, zur Versorgung
der Wunden benutzt. Die üblen Folgen konnten nicht ausbleiben,
aber man wusste es damals nicht besser. Unter den heutigen Um¬
ständen kann man gewiss gegen den Gebrauch von Scharpie nichts
mehr einwenden. Die Voraussetzung wäre eben nur, dass schon bei
der Herstellung die peinlichste Sauberkeit walten müsste. Wenn
sie dann ausreichend sterilisiert wird, so muss sie bei ihrer Schmieg¬
samkeit und Aufsaugefähigkeit ein ausgezeichnetes Verbandmittel
abgeben. Selbstverständlich würde man sie vor Anwendung in
Mullsäckchen von verschiedener Grösse füllen und auf diese Weise
Verbandkissen hersteilen.
Wir brauchen aber noch nicht zur Scharpie zu greifen, an der
immer noch ein gewisses Odium haftet. Wir haben andere Ersatz¬
mittel in Hülle und Fülle. In dem mir unterstellten Reservelazarett
wird fast gar keine Watte mehr gebraucht, weder weisse noch graue.
Zur Schienenpolsterung verwenden wir Jute und an Stelle der
weissen Watte nehmen wir weissen Zellstoff. An diesem Stoff kann
es uns bei unserem Holzreichtum niemals fehlen. Er ersetzt, nament¬
lich bei grossen Verbänden, weisse Watte nahezu vollkommen, zumal
er sicli vorzüglich sterilisieren lässt. Wir lassen ihn in lange Streifen
schneiden und aufrollen, wir fertigen durch Einnähen in Mull daraus
Verbandkissen von beliebiger Grösse und Dicke, und wir verwenden
ihn auch zum Ausfüttern von Verbandkissen aus Torfmull.
Dieser Torfmull ist ein zu Verbandzwecken geeignetes Material,
von dem in Deutschland geradezu unerschöpfliche Mengen zur Ver¬
fügung stehen. Natürlich lässt er sich nur in Kissen eingenäht ver-
v\ enden. Zu den Kissen muss aber eine doppelte Lage von Mull
genommen werden, um das Durchfallen der Torfteilcnen zu verhüten,
oder man muss den Mullsack, wie oben schon gesagt, mit Zellstoff¬
lagen ausfüttern.
Noch besser als Torfmull gefällt uns das Moos. Moos kann
man lose oder in Tafeln gepresst sehr billig erhalten. Aus dem losen
Moos werden mit Hilfe von .Mullsäckchen nach beliebigen Massen
Kissen angefertigt, die man zweckmässig in bestimmten Abständen
durchsteppen lässt. Auch die Moostafeln werden in Stücke von
zweckmässiger Länge und Breite geschnitten und in Mull eingenäln.
Sie sind etwas steif, werden aber durch das Sterilisieren schmieg¬
samer. Grosse dicke Mooskissen leisten auch ausgezeichnete i
Dienste bei Kranken, die unter sich lassen oder bei denen unfrei¬
williger Harnabgang stattfindet. Bei öfterem Wechseln der Kissen
macht sich der unangenehme Harngeruch kaum bemerkbar. Man
kann sie auch wieder trocknen, Formalindämpfen aussetzen und
wieder von neuem zu Unterlagen verwenden.
Mit besonderer Vorliebe verwenden wir Mullabfall. Die
sauberen Teile gebrauchter Mullbinden werden gewaschen und zer¬
schnitten. Dasselbe geschieht mit noch brauchbaren Teilen von
Mullkompressen. Durch Vermittlung einer im Reservelazarett
tätigen Helferin erhalten wir aus einer Verbandstoffabrik grosse
Mengen von Mullresten als Liebesgabe. Meistens sind diese Reste
ganz schmale, aufgewickelte Mullbindenteile. Auch diese Reste wer¬
den klein geschnitten, mit unserem übrigen sauberen Mullabfall in
Mullsäckchen eingenäht und zu Mullkissen verarbeitet.
Nebenbei bemerkt fertigen die mit der Herrichtung von Ver-!
bandmitteln beschäftigten Personen aus den Mullabfallbinden auch
gehäkelte Waschflecke und Schuhe an. Die Herstellung der ver¬
schiedenen Verbandkissen betrachten sie als eine sehr angenehme
Aufgabe, der sie sich mit dem grössten Eifer unterziehen.
Querschnitte.
Von Dr. med. H. K r a u s s in Ansbach.
Der Arzt im Felde kann sich nicht mit Büchern und Atlan¬
ten belasten. Da ist es vielleicht manchem Kollegen nicht un¬
erwünscht, eine Anzahl von Querschnitten durch Arm und Bein
auf einem Blatte beisammen zu haben. Die Querschnitte sind
M. 1. biceps, 2. brachialis int., 3. triceps.
A. 4. brachialis, 5. profunda brachii. V.
6 basilica, 7. cephalica. N. 8. ulnaris,
9. medianus, 10. radialis, 11. cutan. brachii
med., 12. cut. brachii extern.
Vorderarm.
M. 1. flexor digitorutn profund, et pollicis
long., 2 flexor digitorum sublimis, 3 palmar,
long., 4. flexor carpi radical., 5. flexor
carpi ulnaris, 6. supmator long. brachiora-
dialis, 7. adductor pollicis longus, extensJ
pollic. long et brevis, ext. digit. indieis,
8. extensor digilor. communis, 9. ext. carpi
radial long. et brev-, 10. ext. carpi ulnaris.
A. 11. radial. 12. ulnaris, 13. interossev
volar., 14. interossea dors. N. 11. radialis,
15. median , 12. ulnar.
Ellbogen.
M. 1. biceps, 2. brachialis int., 3. Supinator
long. et brev , 4. pronator, 5. extensor carpi
radialis, 6. tlexor carpi radialis, 7. anconaeus
quartus, 8. Bursa mucosa olecrani. A. 9. bra¬
chialis. V. 10. cephalica, 11. mediana, 12. ba-
silica. N. 13. radialis, 14. medianus, 15. ul¬
naris, 16. cutan. ext , 17. cutan. med.
Handgelenk.
M. 1. flexor carpi radialis, 2. flexor carpi
.ulnaris, 3. extensor carpi radialis long
brev., 4. extensor carpi ulnaris, 5. flexor
diigitorum profund, et pollicis long., 6. Oexoi
d gitorum sublimis, 7 palmaris longus,
8. Supinator longus, 9. abductor poluci
longus, 10 extensores pollicis et digitoruni
commun. et digiti indieis et digiti quinu
A 11. radialis, 12. ulnaris. N. 11. radialis,
12. ulnaris, 13. medianus.
20. Oktober 1914.
Fcldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
2119
Malleolenquersclinitt.
I. 1. tibiat. antic., 2. extens. hallnc.,
. ext. digit. comm. long., 4. tibial.
ostic., 5. flexor hallucis long., 6.
exor digit. comm. long., 7. peroneus
>ng. et brev., 8. Tendo Acliillea, 9.
lantaris. A. 10. tibial. antic.. 11.
bial. postic., 12. peron. post. V. 13.
iphen. magn., 14. saphen. minor.
(. 11. tibial. postic., 10. peron. pro-
ind., 13. saphen. major, 14. suralis,
15. peron. superficial.
Kniequerschnitt.
. 1. gemelli et plantaris, 2. sarlorius, 3.
acilis, 4. semimembratendinos., 5. biceps
moris, 6. Ligam. cruciata. A. 7. poplitea,
articular. genu. V. 9. poplit., 10 saphen.
»gn., 11 saphen. minor. N. 12. tibial.
ostic., 13. peroneus, 14. saphen. major.
Unterschenkel.
M. 1. tibialis antic., 2. extens. halluc. et
digitor. comm., 3. peron. long., 4. tibial.
postic. et popliteus, 5. soleus, 6. plantaris,
7. gastrocnemius. A. 8. tibial. antic., 9. tibial.
postic. V. 10. saphen. magn., 11. saphen.
minor. N. 12. tibial. postic., 13. peron.
superfic., 14. peron. profund., 15 saphen.
major, 16. cutan. surae exiern.
eitgehend vereinfacht, um dem Gedächtnis die Einprägung
erselben zu erleichtern. Zusammengehörige Muskelgruppen
nd als ein Muskel gezeichnet; von den Venen, die meist zu
weien die Arterie begleiten, ist stets nur eine gezeichnet. Da-
irch soll das Bild an Uebersicht gewinnen, ohne an anatomi-
:hem Wert zu verlieren. Alle Querschnitte zeigen den be¬
iglichen Amputationsstumpf der rechten Körperseite und ent¬
gehen damit zugleich dem distalen, linken Querschnittsbilde.
Die Bekämpfung der Kriegsseuchen im Felde.
Von Obermedizinalrat Prof. Dr. N o c h t.
(Schluss.)
Ueber den grossen Nutzen der Typhusschutz-
n p f u n g herrscht jetzt kein Zweifel mehr. Es ist durchaus
i empfehlen, die Truppen in einem stark mit Typhus durch¬
wehten Lande mit Schutzimpfung zu versehen. Leider muss
is aber vor der Mobilmachung geschehen; denn es dauert
ehrere Wochen, bis die Schutzwirkung eintritt. Man muss
ich den neueren Erfahrungen dreimal impfen, wir benutzen
n P f e i f f e r - K o 1 1 e sehen Impfstoff — 0,5, 1,0, 1,5 — ,
nge Kulturen, die durch Temperaturen bis höchstens 58/60°
»getötet und in NaCl-Lösung aufgeschwemmt sind. Da wir
einem typhusarmen Lande leben und ein friedliches
alk sind, das sich nicht vor langer Hand vorbereitet, über
ine Nachbarn herzufallen, so hat man bisher meiner
isicht nach mit Recht — davon Abstand genommen, unsere
'mee zu impfen. Es wird aber jetzt doch in Frage kommen,
> man nicht die jetzt einzustellenden und noch friscli in
ehreren Wochen auszubildenden Mannschaften impfen sollte.
Die Cholera folgt auch im Kriege im grossen ganzen
denselben Wegen wie Typhus und Ruhr, sehr häufig herrschen
alle drei Seuchen im Kriege zu gleicher Zeit und nicht selten
hat man bei einem und demselben Kranken oder Gestorbenen
doppelte und dreifache Infektionen mit diesen Krankheits¬
stoffen festgestellt. Ein sehr lehrreiches Beispiel für die Art, wie
die Cholera auch in einem modernen Feldzug gefährlich werden
kann, zeigt der Ausbruch der Cholera in den Kämpfen um
die 1 schataldschalinie im ersten Balkankriege. Die ersten
Cholerafälle traten in der türkischen Armee auf und zwar
nach der Schlacht von Lüleh Burgas, die ersten Erkrankungen
bei syrischen 1 nippen aus Garnisonen in der Gegend von
Damaskus und Adana — endemische Choleraherde, in denen
vom Juli bis November 1912 518 Cholerafälle vorgekommen
waren. Zunächst war man1 mit der Verwendung der Truppen
aus diesem Herd vorsichtig gewesen, man hatte die ersten
I ruppen in Quarantäne gelegt, ehe man sie auf dem Kriegs¬
schauplatz verwandte. Nach den Verlusten von Kirkkilisse
wurden sie aber in grösseren Mengen und ohne Vorsichts-
massregeln herangezogen, sie kamen zur Ostarmee — nach
8 10 Tagen wurden die ersten Cholerafälle in der Ostarmee
bekannt. Nun wurde die Schlacht verloren. An eine Iso¬
lierung der Erkrankten war nicht mehr zu denken, alles ging
im Durcheinander zurück. Dazu kamen Regengüsse und
Ueberschwemmungen, die alles Oberflächenwasser infizierten.
Innerhalb weniger Tage hatte die türkische Armee über
1000 Fälle, dazu kam die flüchtende Bevölkerung, alles strömte
durcheinander nach Konstantinopel und Stambul statt nach den
für die Cholerarücktransporte bestimmten Quanrantäne-
anstalten.
Nun die Bulgaren. Sie waren bis nach der Schlacht von
Lüleh Burgas ganz seuchenfrei, rückten den geschlagenen
Türken nach in die von ihnen verlassenen Stellungen von
J schataldscha, wo sie aus politischen und militärischen Grün¬
den halt machten. Es kam dort sehr bald zu einer enormen
Häufung der Darmerkrankungen. Am 18. November 1700 Darm¬
erkrankungen mit 900 Todesfällen, bis zum 30. November
29 626 Darmerkrankungen mit 1849 Todesfällen. Prädispo¬
nierend wirkten ungünstige Witterungsverhältnisse und man-
gelhafte Verproviantierung. Die Soldaten mussten sich wochen¬
lang in Schützengräben aufhalten, die in Moräste verwandelt
waren. Natürlich waren nicht alle Erkrankungen Cholera¬
fälle, die Zahl der Cholerafälle wird aber auf 5000 geschätzt.
Nach den Berichten der Aerzte ist die Zahl der Erkrankungen
erst dann rapid in die Höhe gegangen, nachdem die Soldaten
F 1 u s s wasser getrunken hatten, man fand im Flusswasser
u. a. Leichen von Türken. Diese Vorgänge könnten sich
meiner Annahme nach jetzt im Osten sehr leicht wiederholen,
bei den Oesterreichern wie bei uns, wenn nicht scharf auf¬
gepasst wird. Es gelang dann allerdings bald, der Epidemie
Herr zu werden.
„Es wurden zunächst die strengsten Befehle an die einzelnen
Kommandos ausgegeben und ausführliche Anweisungen erlassen, in
welchen genau die Gefahr des Genusses von ungekochtem
Wasser dargetan wurde. Der Genuss eines solchen Wassers
wurde verboten und nur der eines abgekochten gestattet. ' Um dieser
Msssregel bei der Tschataldschalinie einen besonderen Nachdruck
zu geben, wurden die Truppen durch Schwur zur Einhaltung
der Befehle besonders veranlasst: eine Anordnung, die, wie alle
Zeugen bestätigen, als ausserordentlich wirksam sich bewies.
Eine weitere Massregel, welche ebenfalls auf die Epidemie gün¬
stigen Einfluss gehabt haben dürfte, war die schon in der Linie durch-
geführte Trennung der Kranken und der Verwundeten.
Es wurden zunächst die bestehenden Divisionsspitäler in Infek¬
tions- und Blessiertenspitäler derart eingeteilt, dass die
Schwerkranken von der Gefechtslinie direkt in Infektions¬
spitäler gebracht werden konnten, die Schwerblessierten also auf
ihrem Transport in die Verwundetenspitäler (Divison) mit diesen
gar nicht in Berührung kommen sollten.
Es wurde also danach eine sofortige Sonderung der Cholera¬
kranken und auch der verdächtigen Kranken von den un-
v e rdächtigen Blessierten durchzuführen getrachtet, um auf
diese Weise die Verwundetenspitäler vor der Gefahr der Infektion
zu schützen. Nach diesem Prinzip wurden auch die Massnahmen für
den Iransport der Verwundeten und Verdächtigen in die Feld- und
Etappenspitäler organisiert (Krauss und W i n t e r).“
Nicht wenig: zur Unterstützung dieser Massnahmen trug
der inzwischen eingetretene Waffenstillstand bei. der die
Durchführung der erforderlichen Bekämpfungsmassnahmen
2120
Feldärztliche Beilage zui Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4 2
wesentlich erleichterte. Fs gelang auch, Bulgarien selbst vor
schwererem epidemischen Ausbruch der Cholera zu bewahren,
insbesondere Sofia blieb, was für unsere in der Nähe der
russischen Grenze belegenen grösseren Städte besonders be¬
ruhigend ist, von der Gefahr, selbst ein Seuchenherd zu
werden, verschont. Es sind in Sofia über 800 Cholerafälle
eingeschleppt worden, dazu traten aber nur sehr wenige
hinzu, die in Sofia selbst erkrankt waren, weil Sofia gut kanali¬
siert ist und eine vorzügliche Wasserversorgung besitzt.
Auch in unseren Gefangenenlagern wird man der Cholera -
gefahr besondere Beachtung widmen, für sofortige bakterio¬
logische Untersuchung jeden verdächtigen Durchfalls, rasche
Isolierung der Kranken usw. sorgen müssen.
I )ie Fliegenplage scheint bei der Choleraverbreitung
nicht die Bedeutung wie beim Typhus und der Ruhr zu haben.
Eckert berichtet darüber folgendes:
„ Bei der Lage des Spitals zwischen einem städtischen Abfuhr¬
platz und dem Schlachthaus war die Fliegenplage eine ganz enorme.
In dichten Scharen bedeckten sie die Wände, Betten, das Geschirr,
und wir müssen gestehen, dass unser Kampf gegen die Fliegen wenig
erfolgreich gewesen ist. Fliegenfenster verschlimmerten die Sache
und hielten die Fliegen im Zimmer zurück, Formalin bewährte sich
nicht, die Patienten waren empfindlicher dagegen als die Fliegen.
Den besten Erfolg hatten wir noch, wenn wir mehrmals am Tage
Türen und Fenster öffnen und dann die Leichtkranken mit Tüchern
die Fliegen verjagen Hessen.“
Trotzdem kamen keine Uebertragungen auf das Kranken¬
pflegepersonal und die Verwundeten vor.
Die Diagnose der Cholera ist ja mit Sicherheit nur
bakteriologisch zu stellen, es wäre aber von der grössten
Wichtigkeit, wenn wir ein Mittel hätten, um auch einen
leichten Choleraanfall klinisch — wenigstens mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit — von einer akuten Enteritis
anderer Aetiologie zu trennen. Die' Aussicht auf ein solches
einfaches diagnostisches Mittel, das nur die Mithilfe eines
Mikroskops erfordert, scheint sich nach den Beobachtungen
von Rosentha 1, die er in der B.kl.W. 1914 Nr. 8 veröffent¬
licht hat, zu eröffnen. Er fand bei insgesamt 30 Kranken, die
sich bei der bakteriologischen Untersuchung als echte Cholera
erwiesen, ein durchaus eindeutiges und charakteristisches Blut¬
bild, nämlich eine ausgesprochene, oft hochgradige Leuko¬
zytose. Dabei fehlten namentlich in den ersten Tagen die
Eosinophilen ganz oder fast ganz. Auch leichte Fälle, die in
wenigen Tagen heilten, zeigten ausgesprochene Leukozytose.
Man wird also gut tun, bei gehäuften Durchfällen auf
dem russischen Kriegsschauplatz diese Leukozytenzählungen,
die ja nur wenige Minuten in Anspruch nehmen, zu machen
und bei der Isolierung und der bakteriologischen Unter¬
suchung in erster Linie die Fälle mit Leukozytose zu
berücksichtigen. Dadurch würden auch die bakteriologischen
Untersuchungsstellen in wünschenswerter Weise entlastet.
Was die Cholera t h e r a p i e anlangt, so sind ebenfalls
gerade in neuester Zeit eine Anzahl neuer therapeutischer Ge¬
sichtspunkte gewonnen worden. Zur Desinfektion des Darm¬
kanals wird Jodtinktur 3 X 5 — 8 Tropfen täglich in je 1 Glas
Wasser, ferner saure Limonade, Yoghurt, das die Darmflora
umstimmen soll, empfohlen. Eine therapeutische Wirkung
scheint die Jodtinkturtherapie zu haben. Ihr prophylak¬
tisch e r W e r t ist noch nicht erwiesen. Dann sind Lö¬
sungen von Kal. permanganat. (I prorn.) empfohlen worden.
Die Soldaten tranken im Balkankrieg das „tote Wasser“ ohne
grossen Widerwillen, einen Einfluss auf die Sterblichkeit
scheint cs aber nicht gehabt zu haben. R o g e rs u. a. haben
anscheinend mit gutem Erfolge Infusionen von hypertonischer
NaCl-Lösung angewandt (1/4—2 Liter L35proz. NaCl auf
370, später 15 g NaCl, 0,45 CaCL und 0,7 KCL’ auf 1000 FLO).
Ganz besonders möchte ich Ihnen aber die Bolus alba
empfehlen. Sie ist von Stumpf mit zauberhaftem Erfolge
gegen die Cholera angewandt worden (M.m.W. 1914 Nr. 14).
Das Mittel scheint selbst in ganz schweren Fällen nicht zu
versagen, je eher angewandt, desto besser natürlich. Es
kommt noch dazu, dass die Cholerabazillen nach Bolus alba
sehr bald aus dem Stuhl verschwinden, während die Kranken
sonst ja noch wochenlang Cholerabazillen ausscheiden. Den
Tropenärzten ist die grossartige Wirkung von Bolus alba bei
akuten und chronischen Ruhrfällen schon lange bekannt, auch
bei jedem einfachen Durchfall wirkt das Mittel sehr prompt
Seine Anwendung ist ungeheuer einfach. 200 g Bolus alb;
werden in etwa die doppelte Menge Wasser eingerührt um
möglichst auf einmal getrunken. Man kann diese Gabe öfte
wiederholen. Die Bolus alba wird von der Firma E. Merck
Darmstadt, in sehr einfacher Verpackung ä 200 g in doppeltet
Papierbeuteln geliefert, so dass die Mitführung grosse;
Mengen im Felde dadurch ermöglicht ist. Ich möchte jeden
Truppenarzt raten, sich mit grossen Mengen des Mittels zi
versehen, Es gibt kein einfacheres und wirksameres Mittel
um akuten Durchfällen zu begegnen und bei Cholera- um
Ruhrgefahr die weitere Ausscheidung und Verbreitung voi
Ruhr- und Cholerabazillen zu verhindern. Simamba uni
Emetin sind bei Bazillenruhr ohne spezifische Wirkung.
Auf die Symptomatologie des Flecktyphu
kann ich hier aus Mangel an Zeit nicht eingehen, ich kann dm
Herren aber nicht dringend genug empfehlen, sich damit be¬
kannt zu machen. Sie finden das Erforderliche ausser in dm
grossen, bekannten klinischen Werken, insbesondere in de
klassischen Abhandlung von Griesinger über den Fleck
typhus, jetzt auch in modernen Berichten über eigene Be
obachtungen, so in den Berichten von Brauer über die in
Eppendorfer Krankenhause beobachteten Flecktyphusfälle (ii
den Hamburgischen Ueberseeheften), und in dem vorläufige:1
Reisebericht von H e g 1 e r und v. P r o w a z e k in der B.kl.W
1913 Nr. 44). Was uns heute besonders am Flecktyphus inter
essiert, ist, dass er durch die Kleiderlaus und zwar an
scheinend nur durch die Kleiderlaus, kaum durch Kontakt -J
selbst Verletzungen bei Sektionen haben nach den moderne:
Berichten keine Infektion zur Folge gehabt — übertragen wird
Nun ist aber die Gefahr der Läuseplage, auch der Kleider
läuse, in Feldzügen immer besonders gross. Ich erinnert
daran, dass selbst unsere reinlichen Truppen im Winterfeld
zuge 1870/71 stellenweise stark und wochenlang verlaus
waren und man muss R. K o c h auch jetzt noch auf Grumi
unserer neueren Kenntnisse beipflichten, dass es nichts wi<
Glückszufall war. dass der Flecktyphuskeim damals in Frank
reich nicht vorhanden war. Nun, in Russland und den an
grenzenden Ländern ist er vorhanden und wir müssen
zumal während des Winters, mit der Läuseplage und de
Flecktyphusgefahr bei unseren Truppen und auch bei dei
Gefangenen rechnen.
Im türkischen Heere nun wurden, wie mir Professo
v. Prowazek freundlichst berichtet hat, folgende Vorsichts
massregeln mit Erfolg angewandt:
Die verlausten Leute wurden möglichst im Freien voll
kommen rasiert, mit Schmierseife und harter Bürste schar
abgerieben, ihre Kleider im strömenden Dampf desinfizier
und die Soldaten kamen dann auf längere Zeit aus der Ka
serne in Zelte (bei den Serben [1913] mussten die Soldate:
die desinfizierten Kleider auf einer Wiese hinter den Barackci
anlegen, damit die Kleider nicht eventuell wieder verunreinig
werden).
Der Schutz für das Pflegepersonal in der
Lazaretten bestand in folgendem: Die Kranken durften nich
auf dem Boden liegen, da die Läuse die fiebernden Leute ver]
lassen und überall herumkriechen; im allgemeinen gehe!
sie nicht über die eisernen Bettgestelle hinunter. Das Per
sonal durfte keine weiten Mäntel tragen, um die Insekten nich
abzustreifen. Die Knöchel wurden durch Gummiringe ge¬
schützt. Die Kranken durften nicht beieinander liegen.
Die Therapie besteht in frischer Luft, möglichst viel
Sonne und Herzmitteln. Die Türken gaben in kritische
Fällen auch etwas Alkohol (von russischen und bulgarische:
Aerzten verpönt), ln einigen Fällen war Rekonvaleszenten1
serum wirksam (Su lei man N u m a n). Unwirksam wäre
— im Gegensatz zum Rekurrens — Salvarsan, Arsaiyi
Chinin etc.
Ueber Pocken brauche ich nicht viel Worte zu ver;
lieren. Unser Heer und unsere Zivilbevölkerung ist gegen di-
Pockengefahr durch die Durchführung der Pockenschutz
impfung und Wiederimpfung geschützt. Was wir zu fürchte
hätten, wenn der unablässige Kampf unverständiger Men
| sehen, der Impfgegner, unter denen sich leider auch Aerzts
I wenn auch nur ganz vereinzelt, befinden, erfolgreicher ge
?0. Oktober 191-4.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2121
.vesen wäre, als bisher, zeigen Ihnen einige Zahlen aus dem
'eldzuge 1870/71.
Der Gesamt Verlust der französischen Armee in diesem
eldzuge an I ocken ist in einem Bericht des Kriegsministers
n den Präsidenten der Republik vom 17. Juni 1889' auf
3400 rodesfälle angegeben. Gesamtverlust des Landes
nooo. Unter den 372 918 in Deutschland untergebrachten
Kriegsgefangenen waren 1-4 000 an Pocken erkrankt
Im ganzen deutschen Heere erkrankten 4855 Mann an
’oeken; in dem in Paris eingeschlossenen Teile der fran-
ösischen Armee allein kamen aber 7578 Fälle vor. Es starben
on deutschen Soldaten 278.
1870/71 hatten wir noch keine Wiederimpfung im 13 Le-
ensjahre. Die immerhin nicht unbeträchtliche Zahl der Erk¬
rankungen der deutschen Truppen ist wohl diesem Umstande
uzuschreiben, da ein grosser leil der eingezogenen Re-
erven 1870 ungeimpft ins Feld ziehen musste.' Auf die Ge¬
angenen wird natürlich sehr geachtet werden müssen,
-h denke, man wird sie in ihren Lagern alle impfen.
Nun noch ein Wort über die Pest. Es ist da sehr
:hwer. eine Prognose zu steilen, aber ich glaube, dass wir
ns nicht allzu sehr davor zu fürchten brauchen. Eine so
jsartige Pestepidemie wie vor einigen Jahren in der Man¬
schurei kommt doch nur durch allerengste Berührung wie
3mals im strengsten Winter, wo die Kulis wie die Heringe
Kcdrangt bei einander schliefen und unter den aller—
igünstigsten hygienischen Verhältnissen zustande; Flöhe und
ideres Ungeziefer haben dabei anscheinend keine Rolle
^spielt. Ob es allerdings den Russen gelingt, sich dauernd
3n Lungenpest freizuhalten, scheint mir sehr fraglich, ich
eine aber, dass die Gefahr des Ueberspringens auf uns, wenn
li die Gefangenen geachtet wird, lange nicht so gross ist
ie beim Flecktyphus.
Und damit bin ich am Schluses meiner Ausführungen. Die
Juchenbekämpfung in diesem Kriege ist eine ungemein um-
ngreiche, vielseitige und sehr schwere Aufgabe, sie er-
rdert umfassende Vorbereitungen und das Verständnis und
e Bereitschaft eines jeden Arztes im Felde wie in der Heimat,
ir dürfen aber das Vertrauen haben, dass auch auf diesem
sbiete alles geschehen ist und geschehen wird, was die
issenschaft zur Verhütung und Bekämpfung dieser Gefahr
r Verfügung gestellt und dass dieser grösste Krieg, den die
eit gesehen hat, unseren heldenmütigen Kriegern und
serem Vaterlande nur verhältnismässig geringe Verluste
rch Kriegsseuchen bringen wird.
Referate.
Blessures de Guerre. Conseils aux Chirurgiens, par le Medecin
^pectcur general Edmond D e I o r m e, Membre de 1‘Academie de
•decine. Communication faite ä FAcademie des Sciences le
aout 1914.
B’® pachstehend besprochene Schrift des bekannten französi-
ien Chirurgen war bestimmt, allen französischen Feldärzten als
leitung für ihre Tätigkeit in die Hand gegeben zu werden. Mit
l 1 «st fiel sie unseren Truppen in die Hände und wurde der
iriftleitung d. W von einem Kollegen im Felde dankenswerter-
ise zur Verfügung gestellt.
Das Hauptprinzip der Kriegschirurgie ist eine konservative Be-
ldlung aller Schusswunden. Zumal in der vorderen Linie muss die
londlung derselben eine möglichst einfache sein. Die glatten
achten wunden heilen unter dem Schutze der Verbandpäckchen
ie Störung. Wunden durch Querschläger, Granatsplitter und
irapnellkugeln erfordern sorgfältigere Beobachtung. Die grösste
unerksamkeit ist den Schussfrakturen der langen Röhrenknochen
tiwenden. Für sie gilt besonders die konservative Behandlung:
ind\erband, Schienen, Vermeidung der Entfernung von Fremd-
pern und Knochensplittern. Schussfrakturen sollen auf grosse
Meinungen nicht transportiert werden. Gelenkschüsse mit kleinem
und Ausschuss heilen in der Regel ohne Störung. Die Behänd¬
es der Aneurysmen und der Nervenverletzungen soll den Heimat-
aretten überlassen werden. Bei Schädelschüssen ist die Ent-
ttcrung empfehlenswert. Nach Geschossen soll nicht gesucht
| den Lungenschüsse verlangen aseptischen Verschluss und völlige
'?.• Bei Bauchschüssen ist die Laparotomie zu verwerfen, ihre Be-
dlung bestehe in völliger Ruhe, Entziehung der Nahrung, rektalen
Ktionen, Opium, F o w I e r scher Lage in halbsitzender Stellung.
Kr.
P,Jrof^riedländer: Nerven- und Geisteskrankheiten im
relde und Lazarett. Wiesbaden, Bergmann, 1914. 1 M.
Der Verfasser hat sich der an sich dankenswerten Aufgabe
unterzogen, den nicht neurologisch und psychiatrisch gebildeten Feld-
azarettarzten in knapper, übersichtlicher Form das Wesentliche über
diese Gebiete zusammenzufassen. Es geschieht dies in 4 Abschnitten,
die i. Erste Hilfe, 2. Nervenkrankheiten, 3. Geisteskrankheiten.
Kriegspsychosen überschrieben, und denen ein gutes Unter-
siictumgsschema und einige therapeutische Bemerkungen angefügt
p"', 'Venn sich auch gegen die Ausführung manches einwenden
!.. fe. ;so besonders die Auswahl des Stoffes, die nicht ganz dem Be-
tumusse entspricht, indem wohl jedem Mediziner, auch wenn er
licht Internist oder Psychiater ist, das Allermeiste des Gebotenen be-
Kannt sein durfte — dagegen praktisch wichtige Dinge fehlen, wie
• die Beurteilung und Behandlung bei peripheren und zentralen
Lähmungen,), so mag doch mancher einigen Nutzen daraus ziehen.
Nicht verständlich ist die Gleichstellung von Nervenkrankheiten und
Neurosen im 2. Abschnitt.
Im ganzen scheint die Sichtung, Anordnung und Darstellung des
dem Zweck ‘?oc!l nictlt genügend angepasst, was wohl auf
Kosten der beschleunigten Abfassung zu setzen ist.
Dr. v. Stauffenberg.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Aus Nr. 39, 1914.
K. B o n h o e f f e r - Berlin: Psychiatrie und Krieg.
Psychische Störungen treten während des Krieges — und be-
Ä 11 r Anschluss an die Kriegszeit — im Heere in erhöhter Zahl
aut, ihre Bedeutung hegt, wie einige Beispiele der letzten Zeit zei¬
gen yor allem in der Gefährdung der Disziplin. Schon deshalb ist
AusbrurhrnQhyvXh d' <?;~die Fernhaltung aller Leute, bei denen der
Ausbruch psychischer Storungen zu befürchten ist, von der Truppe
Kr?eS)0SSnahpW?t hU fIeSen (Au^ebung- und Musterung vor dem
°uh dlu Bestimmung, dass Personen, die Geisteskrank-
he ten durchgemacht haben, zum Heeresdienst überhaupt nicht zu-
Fn fpnop werdf " solle"- ^wa stattgehabte Aufenthalte in Irren- oder
pi eptikeranstalten, Psychopathenheim, Fürsorgeanstalten, der Be-
such von Hilfsschulen, erlittene Vorstrafen müssen als wichtige Hin-
ZtrZl nt11 ZUJ S^mrolle der Ersatzkommission angezeigt
werden. Obwohl auch bei der jungen Mannschaft alle verdächtigen
Eigentümlichkeiten im Verhalten verfolgt werden, so lassen sich doch
nicht vorher alle Elemente entfernen, die der andauernden Affekt¬
spannung im Krieg nicht gewachsen sind und aus dem labilen Gleich-
gewic . gebracht werden. Spezifische Typen von Psychosen schafft
der Krieg nicht, nur mehr Erkrankungen, mehr Reaktionen auf Grund
psychopathischer Konstitution. So werden hysterische Zufälle, wie
Ohnmächten mit funktionellen Krämpfen, funktionelle Abasie Angst¬
zustande, Erbrechen, Schlaflosigkeit mit Angst, Phobien aller Art
hysterische Delirien ausgelöst, weiter depressive Beeinträchtigungs¬
und Beziehungsvorstellungen, epileptoide Verstimmungen und impul-
sive Dammerhandlungen, welch letztere besonders die Disziplin
schädigen. Bei längerer Kriegsdauer kommt die körperliche Ueber-
anstrengung und Erschöpfung, Hyperästhesie, emotionelle Schwäche
krankhafte Sinnestäuschungen mit Apathie, Angst, Persistenz der
1 ageserlebmsse im Schlaf usw. Bei dem Auftreten von Infektions¬
krankheiten werden Delirien, Amentialbilder, oft das Korsakow¬
sche Syndrom zur Beobachtung kommen. Der chronische Alkoholis¬
mus hat sich schon während der Mobilmachung u. a. durch das Auf¬
treten von Delirium bei älteren Landwehrleuten unter dem Einfluss
der vorgeschriebenen Alkoholabstinenz geltend gemacht. Zahlreiche
Lalle von Dementia praecox werden wahrscheinlich durch den Krieg
manifest werden, ähnlich werden bei älteren Leuten die Erschei¬
nungen einer beginnenden progressiven Paralyse deutlicher zum Vor¬
schein kommen. Ob die „Inkubationszeit“ der Paralyse durch die
Kriegsverhältnisse eine Abkürzung erfährt, werden genauere Be-
obachtungen zeigen müssen. Ein besonderes Hervortreten der Gruppe
der Manisch-Depressiven hat sich bis jetzt in dem Kriege noch nicht
erkennen lassen.
Die Behandlung besteht vor allem im Interesse der Truppe in
möglichst rascher Entfernung der Erkrankten, wobei im Notfall natür¬
lich auch die Anwendung von Gewalt, Fesselung u. dgl. nicht ganz
zu umgehen sein wird. Das humanste und sicherste Mittel ist Skopola¬
min hydrobrom. 0,0005—0,001 zusammen mit 0,01—0,02 Morphium.
Moi phium allein pflegt nicht auszureichen. Oft handelt es
sic.! bei den plötzlichen Ausbrüchen um vorübergehende Störungen
die sich bald beruhigen lassen. Der Kranke soll aber darauf keines¬
falls zur Iruppe zurückkehren, sondern ins Feldlazarett und baldigst
zur Etappenstation gebracht werden. Im Etappengebiet ist die Er¬
richtung gut ausgestatteter Stationen für Geisteskranke vorgesehen.
Ih Axen fei d- Freiburg i. Br.: Kriegsophthalmologische und
organisatorische Erfahrungen.
An den Erfahrungen der Freiburger Klinik legt Verf. die Not¬
wendigkeit dar, bei Verletzungen der Augen eine möglichst frühzeitige
speziahstische Untersuchung und Behandlung herbeizuführen: er hat
auch erreicht, dass alle Reservelazarette des badischen Armeekorps
den Auftrag erhielten, alle Augenverwundungen, auch wenn noch
andere Körperteile verletzt sind, sogleich in die Augenkliniken der
Universitäten und grösseren Städte verbracht werden. Dasselbe
so lte überall und auch auf den Etappenlinien geschehen. Ausserdem
sollten künftig hinter dem vorrückenden Heere besondere voliaus-
2122
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 42.
gerüstete Lazarettabteilungen für Augenverwundete eingerichtet
werden; ohne diese Ausrüstung können die bei den Iruppen befind-
liehen Augenärzte, auch die konsultierenden Ophthalmologen nicht
das Entsprechende leisten.
Grob er- Jena: Zur Feuerbestattung im Kriege.
Gegenüber manchen Bestrebungen für die Feuerbestattung im
Kriege verneint Verf., dass gegen die Erdbestattung, wie sie auf
deutscher Seite sorgfältig geübt wird, irgendwelche Bedenken be¬
stehen und spricht aus praktischen und ethischen Gründen gegen die
Feuerbestattung, wie sie etwa mit Hilfe fahrbarer Krematorien
durchgeführt werden und jedenfalls auf die Truppen nur einen un¬
günstigen Eindruck machen müsste.
L. D r e y e r - Breslau: Erste kriegschirurgische Eindrücke.
Der Andrang von Verwundeten bei den vordersten Sanitäts¬
formationen und Feldlazaretten war so gross, dass die Aerzte der
Sanitätskompagnien z. B. keine Zeit zur Anlegung von Gipsverbänden
hatten; ausserdem waren sie zur möglichsten Sparsamkeit mit dem
Verbandmaterial gezwungen; dann war aber wegen Blutungen bald
eine Erneuerung des Verbandes, also im ganzen nur ein grösserer
Materialaufwand notwendig. Die notdürftigen Verbände rutschten
auch leicht. Sehr zweckmässig würde daher die ausgiebige Ver¬
wendung von Mastisol sein. Manche Missstände wurden auch durch
die Ueberzahl von Verwundeten in den Feldlazaretten bewirkt, in¬
dem sie in die vordere Linie zur Unterstützung der Sanitäts¬
kompagnien vorrücken, an ungeeigneten Plätzen eingerichtet wurden
und die Verwundeten allzu frühzeitig wieder abgeben mussten.
B e r g e a t.
Vereine.
Versammlung der Sanitätsoffiziere des 9. Armeekorps
und der Etappeninspektion.
(Eigener Bericht.)
C h a u n y, am 5. Oktober 1914.
Vorsitzender: Generalarzt Witte, Korpsarzt IX. Korps.
Herr Generalarzt Prof. Kümmell: Infolge des raschen Vorgehens
unserer 1. Armee war es nicht möglich, dauerndes Beobachtungs¬
material zu sammeln, da die Kollegen die Verwundeten nur 1 — 2 Tage
sahen. Eine Ausnahme bildeten die Kollegen der Kriegslazarette, die
mitunter ihre Verwundeten tagelang sehen, ln Aachen, wohin im
Anfang des Feldzuges die Verwundeten sehr bald in spezialärztliche
chirurgische Behandlung überführt wurden, habe er bei konservativer
Behandlung der Bauchverletzungen sehr günstige Resultate gesehen.
Dass bei Bauchverletzungen aber auch viele Opfer gefordert
würden, sei selbstverständlich; ebenso klar sei es auch, dass Laparo¬
tomien bei Bauchverletzungen wegen der Dauer ihrer Ausführung
nicht immer möglich seien. Die Erfolge unserer Armee verdankten
wir unserem raschen Vormarsch, unseren Feldküchen und unserem
1. Verband auf dem Schlachtfeld mit dem Verbandpäckchen, das alles
andere übertreffe.
Herr Generalarzt Prof. Müller: Wie verhalten wir uns bei der
ersten möglichst raschen Versorgung der Verwundeten? Hat sich
hierbei das Verbandpäckchen, die Jodtinktur, das Mastisol bewährt?
Ist der Jodtinktur oder dem Mastisol ein Vorzug einzuräumen?
Redner hat speziell das Jod bei Gewehrschüssen kennen gelernt. Bei
Jod lässt sich der Verband später wieder rasch entfernen, was bei
Mastisol nicht der Fall ist. Unser Verbandpäckchen ist dem unserer
Gegner weit überlegen.
Herr Brie: Unser Verbandpäckchen sitze am Kopf und am
Rumpf sehr gut. Bei Schulter und Gesässverbänden sitze es jedoch
schlecht, da es hier leicht verrutsche. Ein Mastisolverband sei hier
besser. Ferner halte er das belgische Verbandpäckchen bei grossen
Ausschussöffnungen wegen der Grösse seines Mullstückes für besser.
Herr Schreiber: Das französische Verbandpäckchen besteht
aus 2 losen Binden, 1 paar Nadeln und 1 Stück losem Verbandstoff.
Bei In-Gebrauch-nehmen des Verbandpäckchens falle alles aus¬
einander; er habe viele Infektionen an Franzosen im Kriegslazarett
gesehen.
Herr Generalarzt Prof. Müller: Es sei richtig, dass ein Ver¬
bandpäckchen nicht für alle Teile gleich gut sein könne. Der Vorzug
unseres Verbandpäckchens sei seine Handlichkeit und seine Anord¬
nung. Bei der Anwendung falle es nicht auseinander; lege man noch
einen Heftpflasterstreifen über einen Verband mit ihm, so sässe auch
ein sonst loser Verband fest.
Herr Trepplin: Auf Truppenverbandplätzen würden und soll¬
ten, wie es auch befohlen sei, Verbandpäckchen nicht gebraucht; sie
seien für den 1. Verband in der Feuerlinie da, zumal ihre Anzahl
stets eine beschränkte sei. Die Frontärzte arbeiteten daher auf
ihrem Trupenverbandplatz nur mit Verbandstoff, Binde und Pflaster.
Die französischen Verbandpäckchen hätten dann noch den Nachteil,
dass sie zugenäht seien; es sei daher für einen am Arm Verwunde¬
ten sehr schwer, es zu öffnen.
Herr Generalarzt Witte: Wenn vorher erwähnt sei, dass bei
grossen Verletzungen unsere Verbandpäckchen zu klein seien, so
erinnere er daran, dass unsere Krankenträger, die ja die Verwunde¬
ten auf dem Schlachtfeld aufsuchten, 100 g sterilen Mull sowie
Kambrikbinden bei sich führten. Der Mull sei so gepresst und ver¬
packt, dass einzelne Stücke unter Beobachtung der Sterilität ab¬
geschnitten werden können. Trotzdem halte aber auch er dieses
sterile Mullstück nicht für etwas Ideales, da man immer bei seinem
Gebrauch Messer oder Scheere brauche. Unser Verbandpäckchen
habe sich gut bewährt; vor allem sei seine einfache Oeffnung durch
Abstreifen des Fadens zu loben.
Herr Ramm in: Bei seiner Sanitätskompagnie habe er einen
Fall gesehen, wo ein durch Munitionsexplosion sehr schwer verletzter
Artillerist mit Verbandpäckchen von seinen Kameraden so ideal ver¬
bunden worden sei, dass man sich gescheut habe, die Verbände ab¬
zunehmen.
Herr Hauck: Bei Wunden am Rumpf sässen Verbände, die nur
mit Verbandpäckchen gemacht wären, schlecht; sie verrutschten
leicht.
Herr Generalarzt Prof. Kümmell: Verschiebung eines Ver¬
bandes des Verbandpäckchens sei möglich; ob aber dem Verband¬
päckchen noch ein Heftpflasterstreifen hinzugefügt werden solle, sei
fraglich. Der einfache Soldat könne dann das Verbandpäckchen nicht
so handhaben, der 1. Verband aber sei massgebend. Er habe ge¬
funden, dass unser Verbandpäckchen zur Heilung der Wunden ein
ganz vorzügliches Mittel sei; bei grossen Risswunden durch grössere
Geschosse brauche man natürlich grössere Verbände.
Herr Generalarzt Prof. Müller: Infolge der Eigentümlichkeiten
des Krieges erhielten wir die Wunden in den denkbar ungünstigsten
Verhältnissen. Wenn irgend möglich sollten auf den Truppenverband¬
plätzen die umgebenden Haare einer Wunde abrasiert und dann erst
Jodtinktur gebraucht werden. Eine Wunde solle nie mit Fingern
berührt werden; den besten Wundverlauf hätten die unberührten
Wunden gezeigt. Eine Wunde mit trockenem Blutschorf brauche
nicht frisch versorgt zu werden, wohl aber eine feuchte Wunde.
Ueber die Anwendung von Jod und Mastisol entspinnt sich eine
längere Diskussion. Kümmell hält die Anwendung des Mastisol im
Felde für zu zeitraubend.
Herr Generalarzt Prof. Müller: Wann soll konservativ be¬
handelt werden und wann radikal? In Aachen, wo die Verwundeten
sehr bald in spezialistische Hände kamen, wurde sehr wenig ampu¬
tiert. Bei schweren Verwundungen, Zerreissen von Muskeln durch
schwere Geschosse (Maschinenverletzungen im Frieden) soll ampu¬
tiert werden. Auf Verbandplätzen soll auch nach Redners Ansicht
keine Naht gelegt werden. Eine lokalisierte Nekrosenbildung sei
keine Indikation für Amputation; es seien dann breite Inzisionen
nötig; ebenfalls gelinge es durch breite Inzisionen bei Temperatur¬
anstieg und Pulsfrequenz ein Glied noch zu retten.
Herr v. Rothe: In Abteilung Croix rouge des Kriegslazarett
Chauny wurden durch breite Inzisionen, gute Drainage und Ruhig¬
stellung des Gliedes sehr gute Erfolge erzielt. Bewegungen, Um¬
betten der Kranken sind möglichst zu vermeiden, weil hierbei Lyniph-
bahnen eröffnet werden. Ferner sollen möglichst lange Stümpfe
gebildet werden; wie ein Stumpf wird, ist ganz gleich, nur soll
er möglichst lang sein, damit später eine Plastik geschaffen
werden kann und Pat eine Prothese tragen kann.
Herr Generalarzt Witte regt die Frage zur Diskussion an, wo¬
durch in letzter Zeit die im Etappenlazarett beobachteten Infektionen,
namentlich Tetanus, entstanden sind.
Herr Bender: Nach seiner Ansicht tritt Tetanus bei Verwunde¬
ten auf, die lange draussen gelegen haben. Ferner habe er von
hiesigen französischen Kollegen gehört, dass in dieser Gegend Tetanus
einheimisch sei und dass auch von Serum kein Erfolg beobachtet
sei. ln Noyon kennen sogar die Einwohner Tetanus als Krankheit;
französische Kollegen in Noyon hätten erzählt, dass sie in 25 Jahren
50 Fälle von Tetanus beobachtet hätten. In Cambray spritzen die
französischen Kollegen vor jeder Operation Tetanusserum ein. Eid¬
lich kämen die beobachteten Infektionen daher, dass ohne Gummi¬
handschuhe teilweise operiert werde und man gezwungen sei, bald
septische bald aseptische Operationen hintereinander auszuführen.
Redner empfiehlt den Gebrauch dicker Gummihandschuhe, die dauer¬
hafter als dünne seien und sich durch Abreiben mit Spiritus leicht
desinfizieren Hessen.
Herr Generalarzt Prof. Kümmell: Nach seinen Erfahrungen
wurden Infektionen beobachtet bei 1. Fällen, die lange draussen
gelegen haben, 2. bei verschobenen Verbänden, 3. wenn die Verbände
feucht waren und so die Infektion von aussen eindrang. Man ge¬
winne allerdings den Eindruck, als ob jetzt mehr Infektionen vor¬
kämen, als früher; es sei aber zu berücksichtigen, dass bei den jetzi¬
gen schweren Verletzungen durch die schweren Geschütze^ Infek¬
tionen auch häufiger seien, als bei kleineren Verletzungen. Er habe
schon mitunter 18 Stunden nach der Verletzung einen süsslichen Ge¬
ruch beobachtet; er empfiehlt bei Temperatursteigerung sofortige
Amputation, und zwar einfache Amputation ohne jede Künstelei,
ferner absolut offene Wunde, grossen Amputationsstumpf. Später
könne eine sekundäre Amputation vorgenommen werden.
Herr v. Rothe hat öfters unter einem trockenen Wundschon
einen mit Eiter gefüllten Schusskanal gefunden: er habe bisher noch
niemals nach einem Schrapnellschuss eine sterile Wunde gesehen.
Er empfiehlt peinlichste Temperaturmessung, frühzeitige Amputation
und breite Inzision.
Herr Generalarzt Prof. Kümmell empfiehlt unbedingt Fixation
der komplizierten Verwundungen, auch er hält den Gebrauch von
dicken Gummihandschuhen beim Operieren für nötig. Man gewöhne
?0. Oktober 1914
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
212.3
als
.ich an sie bald, ihre Desinfektion ginge rascher und sicherer
lic der Hände.
Herr v. Rothe empfiehlt im allgemeinen trockene Nachbehand-
;inK der Amputationen. Bei üasphlegmone sah er sehr gute Erfolge
nit Wasserstofrsuperoxydbehandlung ;die Gasphlegraonen waren alle
•eigen von SchrapnellvcrletzunKcn.
.. ^cr.r;.^ c *,..u * z e: *.?c' Verwundeten, die lange auf den Verband-
latzen hatten liegen müssen, sei die Wunde mit einem feuchten Blut-
uJien \ erschlossen. Bei Iransport kämen nun sehr leicht die feuch-
en Verbände mit dein Stroh in Berührung und so entstände eine
itektion. Eine rasche Evakuierung, wenn möglich durch Sanitäts-
Utos könne diese Infektion verhindern.
Herr Eiche 1 empfiehlt als Schienenmaterial im Feldlazarett
nd aut dem Hauptverbandplatz Stores der Fenster zu benützen
Herr Generalarzt Witte: Frühzeitiger Abtransport, gutes
ch.enenmaterial seien wichtige Punkte. Da die Mitnahme von Sani-
itsmaterial aber beschrankt sei, müsse improvisiert werden; er habe
aher stets darauf hingewirkt, dass zum Sanitätspersonal möglichst
andwerker genommen würden. Im übrigen habe die Etappe Chauny
ut jhren Autos zum Abtransport der Verwundeten sehr gut geholfen-
1 I a wurde‘? sämtliche Verwundete von den Truppen-Haupt-
erbandplatzen und heldlazaretten abgeholt, so dass jetzt nur noch
J Verwundete in diesen lägen.
Herr Generalarzt Prof Müller: Man muss unterscheiden zwi-
.hen örtlicher Infektion (Abszessbildung) und progressiver all-
-niemer Infektion. Diese Unterscheidung ist wichtig, im Felde aber
egen Zeitmangels öfters schwierig. Bei örtlicher Phlegmone breite
zision; ferner warnt Redner vor Tamponade, die Abfluss verhindere
ld Abszesse schaffe. Bei breiter Freilegung solle man nur die
nochensplitter entfernen, die vom Periost vollständig entblösst sind,
rainieren sei etwas anderes als „tamponieren“. Drainieren sei
iaubt, Drainage mit Glasröhren oder Gummischläuchen.
, e nun anschliessende Erörterung und Vortrag des Herrn
en cra urzt V it te, Generalarzt Prof. Kümmell und Generalarzt
r°f- Müller über die Wirkung unseres Geschosses, sowie über
e Verwendung von Dumdumgeschossen bei unseren Gegnern und
re v\ irkung ist zurzeit des Feldzuges als Referat nicht geeignet
n zu verhindern, dass unsere Feinde Nachricht davon erhalten.
Dr. Hübner, Stabsarzt, Bataillonsarzt Regiment Hamburg.
Kleine Mitteilungen.
Aus Feldpostbriefen.
Septembertage in Sedan.
Als unser Lazarett am 25. VIII. hinter Bouillon die französische
enze überschritt, da wuirde uns allen zur Gewissheit, was wir
mn lange gehofft, wir sollten den 2. September an Ort und Stelle
ern. Zunächst ging es uns wieder, wie wir hinter der Truppe
trsclnerenden es schon gewohnt waren. Als Quartier wurde uns
1 Dörfchen bestimmt, das bei unserer Ankunft wegen der Be-
hgung der Einwohner an den Feindseligkeiten in Flammen stand
zogen wir das Biwak zwischen den brennenden Dörfern La Cha-
le und Givonne natürlich vor. Am 26. und 27. August konnten
r von diesen sanften Höhen westlich der Maas den Artillerie-
mpf um Sedan beobachten. Unsere braven Truppen wurden auch
in t inziehen in Sedan wieder aus dem Hinterhalt beschossen,
i Stadt musste sich durch eine stattliche Summe von der Feuer-
afe loskaufen und so konnten wir am 27. abends dort unseren
izug halten. Schule, Pfarrhaus, Kirche und Kloster von Sedan-
rev wurde sofort für unsere Kranken eingerichtet und nachts
Uhr konnten wir mit den notwendigsten Operationen beginnen,
^en doch auf dem Bahnhofe schon Hunderte von Verwundeten,
wundernsw'ert trug die Mehrzahl der französischen und deutschen
eger ihre Schmerzen. Gerade die Rheinländer, aus denen in der
hrzahl sich unser VIII. Reservekorps zusammensetzt, wurden
■r von den Franzosen an Standhaftigkeit im Ertragen der
imerzen übertroffen. Dagegen waren wir alle entsetzt über den
imutz, von dem viele Franzosen geradezu starrten. Auch das
ize Städtchen Sedan machte einen unvorteilhaften Eindruck,
se Klosettanlagen sind der „grossen Nation“ unwürdig und das
nisonlazarett übertraf nach Aussage eines Arztes, der den
kankrieg mitgemacht hatte, an Schmutz und Alter seiner Ein¬
itungen selbst die schlimmsten türkischen Militärhospitäler.
Die ersten Tage arbeiteten wir mit Ablösung Tag und Nacht
ch, um wenigstens den notwendigsten ärztlichen Dienst bei den
ner von neuem zuströmenden Verwendeten zu erledigen und
•r Verpflegung gerecht zu werden. Ohne die reichlichen Liebes-
tm, die in Luxemburg für uns gesammelt wurden, wäre das
m möglich gewesen, denn an Mehl, Eiern, Butter, Tabak fehlte
gar bald in Sedan. Und gerade Tabak wrar für die Kranken
:en der entsetzlichen Fliegenplage so notwendig.
Bis zum 2. September war der erste Hauptansturm der Arbeit
ältigt, viele leichter Verwundete in die Heimat geschickt und
konnten wir daran denken, den Sedantag festlich zu begehen,
aals hatten die Hauptkämpfe diesseits der Maas srattgetunden,
Schädel- und Gebeinesammlung im Gewölbe des Friedhofes Ba-
es spricht heute noch deutlich davon. Der alte Friedhofaufseher
erzählte, dass dieses Jahr zum ersten Male am 2. September der
Mdiiz mit der blauweissen Schleife ausgeblieben sei, doch hing der
vorjährige noch da. Jetzt hatte die Eroberung der westlichen Höhen
aas meiste Blut gekostet. Die Spuren des Artillerie- und Infanterie-
Kamptes waren auf dein Westufer überall zu sehen. In ülaise war
Kaum ein Haus vom Granatenfeuer unversehrt geblieben und leider
war auch das historische Schlösschen Bellevue bei Donchery
stark mitgenommen. Diesem idyllisch inmitten alten Parkes ge¬
legenen Schlösschen galt natürlich mein Morgenritt am 2. September,
vor dem Schlosseingang liegt ein am 26. VIII. gefallener deutscher
Lttizier und 2 deutsche Krieger begraben, als sollten sie an Ort
und Stelle dafür zeugen, dass M o 1 1 k e recht gehabt, dass erst
ein zweiter Krieg uns ruhige Ernte des 1870 Errungenen verschaffen
könne. Die Ausstattung des historischen Raumes, wo die Kapitu-
lationsverhandlungen unterzeichnet wurden, ist noch unverändert,
wie jeder sie von dem berühmten Bilde her kennt. Nur waren die
Spuren des Kampfes auch hier im Innern auf Schritt und Tritt zu
sehen. Die vornehme alte Dame, die das Elend des Krieges schon
einmal mitgemacht hatte, ging plan- und ziellos durch die ver¬
wüsteten Räume umher.
Der Hauptkampf hatte aber jetzt weiter südlich um Wadelin-
y°urt “d Noyers getobt. Noyers liegt auf den westlichen Höhen
der Maas gerade gegenüber Bazeilles. Hier haben jetzt wieder an
die 2000 Deutsche und Franzosen ihr Grab gefunden. Die kleine
Kirche des Ortes war auch Schauplatz heftigen Kampfes gewesen.
Ein deutscher Major, dort oben gefangen, wurde hineingebracht und
sah einen deutschen Arzt dort an der Arbeit. Die einschlagenden
Granaten töteten zwei der eben verbundenen Franzosen. Die
Wiedereroberung des Ortes durch unsere unaufhaltsam von der
Maas hinaufstürmenden Truppen gab Major und Arzt die Freiheit
wieder.
In Sedan selbst war es nun ruhig geworden. Wir konnten
ungestört unserer Feststimmung freien Lauf lassen. Die Wacht am
Rhein und Kaiserhoch am Sedanstage in Sedan, wer hätte das vor
kurzem noch gedacht. Der Soldatenhumor hatte inzwischen sich
auch des Stadtbildes bemächtigt. Dem Marschall Turenne-Standbild
im Mittelpunkt der Stadt hatten sie die deutsche Flagge in die
Hand gedrückt. Das Blau der französischen Schilderhäuser war
sofort schwarz übermalt worden und Schwarz-Weiss-Rot war
Trumpf.
Während unsere Truppen in immer neuen Nachschüben weiter
südwestlich zogen, konnten wir nun unseren Kranken mit Hilfe der
Einwohner immer bessere Unterkunft verschaffen und sie von den
Strohsäcken auf schnell gezimmerte Bettstellen lagern. Nur von der
Zudringlichkeit der Myriaden von Fliegen konnten wir sie nicht
befreien, da genügend Fliegenpapier nicht aufzutreiben war. Wer
daheim jetzt für unsere Kranken sammelt, der möge dies nicht
vergessen. Die Fliegen sind nicht nur eine Plage, sondern auch
eine Gefahr für unsere verwundeten Helden.
Dr. Gilbert, Stabsarzt b. Res.-Feldlazarett 37, Privatdozent an
der Universität München.
i agesgeschichtiiche Notizen.
München, den 19. Oktober 1914.
— 12. Kriegswoche. Nach dem Fall von Antwerpen haben
die deutschen Truppen die Reste der belgischen Armee zum Teil zum
Uebertritt auf holländisches Gebiet gezwungen, z. T. geschlagen und
vor sich hergetrieben. Die englischen Truppen, die das sinkende
Schiff von Antwerpen rechtzeitig verlassen hatten, haben sich zum
grösseren Teil über Ostende in ihre Heimat zu retten gewusst. Mit
der Besetzung von Brügge und Ostende ist fast ganz Belgien in
deutscher Gewalt. Im Osten sind die deutschen und österreichischen
Heere in raschem Vormarsch und unter wiederholter Zurückweisung
feindlicher Vorstösse bis vor Warschau belangt. Die Verluste, mit
denen die Erfolge unserer Truppen erkauft werden, sind notwendiger¬
weise sehr gross und es liegt in der Natur der modernen Krieg¬
führung, dass auch das Sanitätspersonal daran stärker beteiligt ist,
als in früheren Feldzügen. In der Tat dürfte der Anteil der Aerzte
an der Verlustliste kaum geringer sein, als der der übrigen Truppen¬
teile. Der erhöhten Gefahr, der die Aerzte in diesem Feldzuge aus¬
gesetzt sind, entspricht auch die grosse Zahl der ihnen zufallenden
Auszeichnungen; die Brust vieler Kollegen schmückt bereits das
Eiserne Kreuz. Aber nicht nur Gefahren, sondern auch ungeheuere
Anstrengungen haben unsere Kollegen draussen zu ertragen. An
blutigen Tagen genügt offenbar die Zahl der an den Verbandplätzen
und in den Feldlazaretten vorhandenen Aerzte nicht. Auch aus
Etappenlazaretten wird uns von herrschendem Aerztemangel be¬
richtet. Andererseits gibt es Reservelazarette, in denen für eine
nur geringe Zahl von Verwundeten ein überflüssig grosser Stab von
Aerzten zur Verfügung steht. Es scheint, dass die Verteilung der
ärztlichen Kräfte, ihre Heranbringung an den Ort des grössten Be¬
darfs, zu wünschen übrig lässt. Bei der grossen Zahl von Aerzten
in Deutschland, die darauf brennen, ihre Dienste dem Vaterlande zu
widmen, sollte jeder fühlbare Aerztemangel vermieden werden
können. Leider hat die in Nr. 39 u. 41 d. W. gegebene Anregung,
einen Nachweis für offene Stellen an Militärlazaretten einzurichten,
bisher keinen Erfolg gehabt.
2124
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4
— Eine mit Rücksicht auf den Aerztemangel in einigen Teilen
Deutschlands gemachte Eingabe des Leipziger Verbands an das
preuss. Kriegsministerium um Befreiung von appr. Aerzten und nicht-
appr. Medizinern von der L a n d s t u r m p f 1 i c h t ist abschlägig
beschieden worden. Es erscheine unter allen Umständen geboten,
zunächst den Bedarf an Aerzten für die Armee zu decken; eine Be¬
freiung von der Einberufung könne daher nur ausnahmsweise im Ein¬
zelfalle unter Berücksichtigung der örtlichen und ärztlichen Verhält¬
nisse in Frage kommen.
— Der Vorstand der Aerztekammer für die Provinz
Brandenburg und den Stadtkreis Berlin hat sich als Zentral¬
stelle aufgetan zur Prüfung solcher Fälle, in denen Wünsche auf un¬
entgeltliche und verbilligte ärztliche Hilfe an die Aerzte herantreten.
Der Kammervorstand will in weitem Masse die Humanitätspflichten
der Aerzte anerkennen, andererseits aber unberechtigte Ansprüche
an die Aerzte im Interesse der Kollegen und von deren Familien
zurückweisen. Die Aerzte des Kammerbezirks werden ersucht, Pri¬
vatpersonen oder öffentliche Organisationen, die sich mit solchen
Wünschen an sie wenden, an den Kammervorstand zu verweisen.
Die Errichtung eines bayerischen Sanitäts-Kraft-
fahrer-Korps wurde genehmigt. Die Organisation des Korps ist
dem Kartell bayerischer Automobilklubs (Sitz Nürnberg) übertragen.
Die Mitglieder des Korps haben Offiziersrang, die Mechaniker Unter¬
offiziersrang. Man hofft, die erste Abteilung von 25 Wagen bereits
in 2 Wochen ausrücken lassen zu können.
Das amerikanische Rote Kreuz in Breslau.
Die amerikanische Abordnung des Roten Kreuzes unter Leitung von
Dr. B r e a d b u r y traf am 13. Oktober von Berlin aus in Breslau ein.
Als Vertreter des deutschen Roten Kreuzes begleitete sie Graf
Talleyrand. Sie besteht aus 12 Aerzten und 52 Pflegerinnen,
von denen die Hälfte Breslauer Lazaretten zugeteilt wurde; die andere
Hälfte setzte die Fahrt nach Wien fort. 4 mit Verbandmaterial ge¬
füllte Waggons, welche sie in ihrem Sonderzuge mitgeführt, blieben
in Breslau.
— Der Tuberkuloseausschuss der Zentralstelle
für Kriegs Wohlfahrtspflege des Roten Kreuzes in Berlin
vermittelt Arztstellen in Lungenheilstätten. Zurzeit sind 6 — 8 offene
Assistenzarztstellen zu besetzen. Meldungen an den Tuberkulose-
ausschüss im Reichstagsgebäude.
_ Dr. A. Bacmeister, Privatdozent an der Universität Frei¬
burg i. Br. hat seit dem 1. Oktober 1914 als Nachfolger des Medizinal¬
rats Dr. Sander die ärztliche Leitung des Sanatoriums für Lungen¬
kranke in St. Blasien übernommen.
Der Professor für innere Medizin an der Akademie für prakt.
Medizin in Düsseldorf Dr. Aug. Hoff mann wurde zum beratenden
inneren Mediziner der I. Armee unter Beförderung zum General¬
oberarzt ernannt.
— Das Bad Brückenau hat den Elisabethbau, den seiner¬
zeit die Kaiserin Elisabeth von Oesterreich während ihres Kur¬
aufenthaltes bewohnte, als Kriegslazarett mit 85 Betten ausgestattet
der Heeresverwaltung zur Verfügung gestellt. Den Betrieb wird das
Rote Kreuz übernehmen. Ferner wurde dem Roten Kreuz in Wiirz-
burg ein Waggon Wasser unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
(Hochschulnachrichten.)
Frankfurt a. M. Dr. Robert Isensch rn i d, Sekundararzt
am städtischen Krankenhaus zu Frankfurt a. M., hat einen Ruf als
Professor für experimentelle Physiologie am Medico-Chirurgical
College in Philadelphia erhalten und abgelehnt.
Kiel. Der bisherige wissenschaftliche Assistent an der Kieler
Universitäts-Augenklinik, Privatdozent Dr. Beier, wurde zum
1. Assistenten ernannt und erhielt den Titel Oberarzt.
Zürich. Als Privatdozenten wurden mit Beginn des Winter¬
semesters 1914/15 zugelassen: Dr. W. v. G o n z e n b a c h für Hygiene,
Dr. Otto Steiger, erster Assistent an der medizinischen Klinik, für
innere Medizin, speziell für funktionelle Diagnostik, (hk.)
— Das Eiserne Kreuz erhielten: O.St.A. Dr.
v. Ammon im Kriegsministerium (München). — Gen.A. Prof. Dr.
v. Anger er (München). — Bat.A. Dr. Friedr. Baum (Arnstadt,
Thür.). — St.A. d. Res. Dr. Heinrich Berge mann (Husum). —
St.A. d. L. Dr. Kurt Berger (Dresden). — St.A. d. L. Dr. Brau n
(Solingen). — O.St.A. Dr. Buhler, 20. bayer. Inf.-Reg. — St.A. d.
Res. Dr. E. Carl (Augsburg). — O.St.A. Caudinus, 1. Chev.-Reg.
— St.A. Dr. Dreifuss (Hamburg). — Dr. Dünzelmann, Ass.-
Arzt d. Univ.-Kinderklinik Leipzig. — St.A. D u p r e, 19. bayer. Inf.-
Reg. — O.A. Dr. Eisenreich, 3. bayer. Feld-Art.-Reg. —
Dr. Christian Engel (Minden i. W.). — O. Gen.A. Dr. Eyerich,
Korpsarzt d. II. bayer. Armeekorps. — Ass.A. Fritze. — O.A. Dr.
G e i g e n b e r g e r, 5. bayer. Inf.-Reg. — Ass.A. d. Res. Dr. Friedr.
Giffhorn (Baruth). — O.A. d. Res. Dr. J. Göbel (Göda). —
Gen.A. Prof. Dr. Graser (Erlangen). — O.St.A. Dr. H a h n,
7. Chev.-Reg. — O.St.A. Dr. H a u e n s c h i 1 d, 10. bayer. Feld-Art.-
Reg. — Dr. Hebenstreit, Ass. Arzt d. 3. reit. Batt. 1. sächs. Feld-
Art.-Reg. Nr. 12. — U.A. Dr. Hebenstreit, 1. Feld-Art.-Reg.
— O.A. d. Res. u. Bat.A. Dr. Karl Herbrand (Werdau Sa.) —
Ass.A. Herchner. — O.A. d. Res. Dr. Martin Hirschberg (Kur¬
haus Schloss Tegel). — St.A. d. Res. Med.-Rat Dr. Holz (Leipzig).
— St.A. Dr. Hans Hübner. — St.A. Dr. H. K a y s e r (Altona),
Hygieniker beim Generalkommando IX. Armeekorps. — St.A. Dr.
Hans Kick ton (südwestafr. Schutztruppe). — O.A. d. Res. Dr.
Martin K i r s c h n e r. III. B. A. K., Professor in Königsberg. — Bat./
Dr. Herrn. Klages (Hannover). — Dr. Fritz Knauer (Buthelstedt
— Gen O A Dr. Max Kolb, Divisionsarzt. — O.A. d. Res. Dr. Frai
Kraus — St.A. d. Res. Dr. Max Krüger-Franke (Kottbus).
Dr. Fritz Laup (Minden i. W.). — St.A. Dr. L e h 1 e, 4. bayer. Inf
Keg _ Reg.A. Dr. Wilhelm Lehmann (Stettin). — O.St.A. d. I
Prof Dr R Lennhoff (Berlin). — O.A. d. Res. Dr. Karl Lexe
Privatdozent d. Chir. in München. — St.A. Dr. Bruno Mäder.
Ass A d Res. Dr. Max Margulies. — Prof. Dr. Max Marten
(Berlin) — O.St.A. Dr. Martins, Reg.A. 1. bayer. Inf.Reg. — O.St./
Dr Megele, 4. bayer. Feld-Art.-Reg. — Dr. Max Meyer (Han
born-Bruckhausen). — MarineSt.A. Dr. Meyr (München), S.M.:
Stettin. — St.A. d. Res. Dr. R. M ö 1 1 e n b e r g (Lützen
— O.A. d. L. Dr. Ferd. Müller (Andernach). — St.A. d. Res. I)
Joh Müller (Zittau), Landw.-Inf.-Reg. 102. — U.A. Dr. Rie
Neuendorff (Bernburg). — O.A. Dr. N o h 1. — St.- u. Reg./
Dr Rud. Paderstein, Augenarzt in Berlin. — St.A. d. L. D
A. Pape (Herford i. W.). — Gen.A. Dr. P 1 e y e r, Divisionsarzt.
O.A. d. Res. Dr. Ludw. Pomy (Oslebshausen). — O.Gen.A. Dr. Rel
Armeearzt der 6. Armee (München). — Dr. Max Reinhard (Soll
b München). — Prof. Dr. Riese (Gr.-Lichterfelde). — O.St.A. D
Renner, 11. bayer. Inf.-Reg. — MarineSt.A. Dr. Rösche
SMS Frauenlob. — Prof. Dr. S c h 1 a y e r (München), XIII. Anna
korps — St.A. Dr. Schlemmer. — O.St.A. Dr. Schliej
13 bayer Inf.-Reg. — O.St.A. Dr. Schmidt, 6. bayer. Feld-Art
Keg. — O.St.A. Dr. W. Ch. Schulz, Inf.-Reg. 109. — Dr. Günthf
Seefisch, dir. Arzt am Lazarus-Krankenhaus Berlin. — Gen./!
Dr. Sönning, Korpsarzt des III. Armeekorps. — Dr. A. Steg'
mann, Nervenarzt (Seefrieden b. Moritzburg). — O.A. Dr. Konruj
reicher, 19. bayer. Inf.-Reg. (Hof). — Prof. T h i e m i c h, Di
d Univ.-Kinderklinik Leipzig. — St.A. Dr. Thomschke (Met?
Sächs. Mörser-Reg. 12. — St.A. Dr. Paul Ullmann, Ass. am patli
anat. Institut in Berlin. — O.St.A. F. Voigt. — O.A. d. L. Dr. Ka:
Wenzel (Köln). — O.A. d. Res. Dr. Rieh. Wolf (Pudewitz).
Gen. O.A. Dr. W o 1 f f h ii g e I, Reg.A. 2. Schw. Reiter-Reg. — Gen./
Dr. Würdinger, Korpsarzt des 1. bayer. Armeekorps. — Prof. D
W u 1 1 s t e i n (Bochum), beratender Chirurg des 7. Armeekorps,
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Dr. Josef Diebitsch, Ass.-Arzt d. Res., Jägerbat. 5 (Rotten¬
bach Schles.), am 1. Oktober im Lazarett Chatel Chehery.
Dr. Rudolf Dorn (nicht Zorn, s. vor. Nr.), Stabsarzt d. Res.
und Reg.-Arzt im 5. bayer. Inf.-Reg. (Saarlouis).
Dr. Rud. Fuchs, Feldunterarzt (Liegnitz).
Hermann Fürst, stud. med., am 7. Oktober.
Rudolf Graf, cand. med., Einjährig-Freiwilliger im 1. bayer.
Inf.-Reg., am 25. September.
Georg Herrenschneider, Feldunterarzt aus Mül¬
hausen i. E., am 1. Oktober.
Dr. Alexander H ö r d e r, Leutnant d. Res. im 18. Fuss-Art.-
Reg., früher Assistenzarzt der med. Univ.-Poliklinik in Bonn,
vor Antwerpen.
Oesterreich-Ungarn.
Reg.-Arzt Dr. Bernhard M u n d, 19. L.I.R.
Oberarzt Dr. Nikolaus Ruczka, 51. I.R.
Reg.-Arzt Dr. Lazar Stern, 19. L.I.R.
Amtliches.
(Bayern.)
Nr. 5154 a 32. München, 1. Oktober 1914.
Abdruck.
Kgl. Staatsministerium des Innern.
An
die Kgl. Regierungen, Kammern des Innern
Betreff:
Apothekerkammern und Aerztekammer n.
Auf Grund Allerhöchster Ermächtigung wird bestimmt,
1. dass die im Jahre 1914 fälligen Wahlen zu den Apotheker
kammern bis nach Beendigung des Krieges verschoben wer
den und dass die Kammern bis dahin in der derzeitigen /i
sammensetzung ihre Tätigkeit fortführen,
2. dass für das Jahr 1914 von der Einberufung der Apotheker
kammern und der Aerztekammern zu den verordnungsniässi
gen Jahresversammlungen abgesehen werde, wenn nicht n
weiteren Verlaufe dieses Jahres noch unverschiebliche Be
ratungsgegenstände hervortreten.
Die Anerkennung der Kostenabrechnungen der Kammern für 191
sowie die Aufstellung der Voranschläge für 1915 kann im Wege de
Umlaufs durch schriftliche Abstimmung erfolgen.
I. A.: gez. v. He nie. J
Verlag von J. F. L e h m a n n in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
Preis der einzelnen Nummer 80 J, _ _ ... jJL,,
• • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen
Inseratcnschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
Bezugspreis in Deutschland
ibc '
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren:
Für die Redaktion Arnulfstr. 26. Bürozeit der Redaktion 854 _ 1 Uhr.
Für Abonnement an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8.
Medizinische Wochenschrift.
_ ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Originalien.
Aus dem k. k. serotherapeutischen Institut in Wien, chemische
Abteilung (Vorstand: Hofrat Prof. Dr. R. Pal tauf).
Experimentelle Untersuchungen über die Spezifität der
Abwehrfermente mit Hilfe der optischen Methode.
Von Dr. Hermann Jaffe und Privatdozent Dr. Ernst
P r i b r a m.
Eine der wichtigsten Fragen, welche über die Brauchbar¬
keit dei von Abderhalden in die Diagnostik ein-
gefiihrten Methoden für die menschliche Pathologie in Betracht
kommt, ist die Frage: Sind die Abwehrfermente, welche bei
parenteraler Einverleibung hochmolekularer Stoffe im Kreis-
aiJ entstehen, spezifisch oder nicht. Während Abder-
falden mit einer jeden Zweifel ausschliessenden Bestimmt¬
heit Grund eines reichhaltigen Materials die spezifische
Wirkung der Abwehrfermente bejaht, wenden sich zahlreiche
orscher gegen diese seine Ansicht. Nur wenige von diesen
Arbeiten behandeln experimentelle Untersuchungen, die
neisten stützen sich auf die in der Klinik gewonnenen Re-
uiltate. Die Frage lässt sich aber experimentell entscheiden
nid kann, wie wir glauben, zunächst nur im Tierversuch ge¬
hst werden. Nur dort ist es möglich, die Versuchsbedingungen
•o exakt zu gestalten, dass man eindeutige Schlüsse zu ziehen
lerechtigt ist. Derartige experimentelle Untersuchungen sind
«ereits wiederholt angestellt worden, ohne dass die Resultate
bereinstimmen würden.
So konnten Heilner und Petri1), Lichtenstein
nd Hage*") keine ausgesprochene Spezifität der Abwehr-
.rmente feststellen. Andere Autoren [Fuchs3), Mayer4)
. a f k a 5), Hirsch8), Rosenthal und B i b e r s t e i n 7)j
alten auf Grund ihrer Untersuchungen die proteolytischen
•erumfermente für spezifisch. Der Grund, weshalb die ein¬
einen Untersucher zu verschiedenen Resultaten gelangen,
egt zweifellos daran, dass verschiedene Methoden zur An¬
endung kamen. Bis auf einige Versuche von Hirsch (1. c.)
Tirden alle angeführten Untersuchungen mit dem Dialysier-
erfahren ausgeführt. Die optische Methode wurde unseres
Gssens im I ierexperiment bisher in ausgedehnterem Masse
icht verwendet. Wir zogen in unseren Versuchen in letzter
eit die optische Methode dem Dialysierverfahren vor. Sie
Jt bei einiger Uebung keine Fehlerquellen, ist lange nicht so
sträubend und mühsam und gibt zahlenmässig feststellbare
esultate.
Methodik: Als Versuchstiere dienten Kaninchen. Das
lut wurde aus der Karotis oder Femoralis entnommen. Durch
n Wendung trocken sterilisierter, vorgewärmter Glaskanülen,
^gewärmter kleiner Spitzgläser, spontanes Absetzenlassen
. nachfolgendes oftmaliges scharfes Zentrifugieren erzielten
*r Gn auch spektroskopisch absolut hämoglobinfreies Serum,
er Blutentnahme ging stets ein 24 ständiges Fasten d#s Ver-
'Chstieres voraus, auf das wir besonderes Gewicht legen,
is Seidenpepton und Plazentapepton wurde von den Höch-
er Farbwerken bezogen; ausserdem stellten wir uns Pla-
) Heilner und Petri: M.tn.W. 1913, Nr. 28.
) Lichten stein und Hage: M.m.W. 1914 Nr. 17.
' Fuchs: M.m.W 1913 Nr. 40.
) Mayer: M.m.W'. 1913 Nr. 52.
J Kafka: Med. Klin. 1914 Nr. 4.
) Hirsch: D.m.W. 1914 Nr. 6.
') Rosenthal und Biberstein: M.m.W. 1914 Nr ’6.
Nr. 43.
zentapepton und Karzinompepton genau nach den Angaben
Abderhaldens dar. Die Peptone wurden vor den Ver-
s^en nach den Abderhalden sehen Vorschriften ge¬
eicht ). Die Ablesungen wurden an einem grossen Polari¬
sationsapparat von Schmidt und Haensch in Berlin aus¬
geführt, der die Drehung auf Hundertstelgrade genau angibt.
Es wurde der Mittelwert aus 4 Ablesungen genommen“). Als
l olansationsrohre dienten die Wassermantclröhren von
S c h m i d t und Haensch mit 2 ccm Fassungsvermögen.
i ^ *,P e r i m e n t e 1 1 e r I e i 1: Eine grössere Anzahl nor¬
maler Kaninchensera wurde auf ihren Gehalt an proteolyti¬
schen Fermenten untersucht. Niemals, auch bei Ausdehnung
der Untersuchungsdauer auf 36 Stunden, wurde die Anfangs¬
drehung deutlich geändert (vergl. Abderhalden und
wald E Kjaergaard11) will aus der Drehungsände-
i ung des Gemisches Plazentapepton und Normalserum (Men¬
schenserum) um 0,03 — 0,04 0 innerhalb 24 Stunden schliessen
dass normales Serum proteolytische Fähigkeit besitze. Diese
Zahlen liegen innerhalb der Fehlergrenzen.
Tabelle 1.
Stunden :
1
3
6
8 '
10
24
Plazentapepton
0,80
0,80
0,83
0,82
0,82
0,82
von Karzinompepton
0,60
0,60
0,60
0,60
0,60
0,60
Nach diesen Voruntersuchungen gingen wir
Fermentgehalt des Serums nach der parenteralen
Zellemulsion zu prüfen.
Seidenpepton
0,48
0,49
0,50
0,50
0,50
0,48
daran,
Zufuhr
den
von
Das zui Injektion gelangende Gewebe (Plazentagewebe
und Karzinomgewebe aus der Lebermetastase eines Magen¬
karzinoms) wurde möglichst blutfrei gewaschen und mit
physiologischer Kochsalzlösung verrieben. Von diesen Emul¬
sionen wurden den Versuchstieren wiederholt 2 ccm intra¬
peritoneal eingespritzt. Die Blutentnahme zur Untersuchung
auf den Gehalt an proteolytischen Fermenten erfolgte zwi¬
schen dem 4. und 8. Tag nach der letzten Injektion. Nach
unseren Erfahrungen ist der günstigste Zeitpunkt der 4. und
5. Tag; nach dem 6. Tage nimmt die spaltende Kraft des
Sei ums rasch ab und ist nach dem 8. Tage fast ganz ge¬
schwunden. Auch das in der Kälte aufbewahrte Serum ver¬
liert nach einiger Zeit seinen Fermentgehalt.
T abelle 2. Spaltung von Plazentapepton durch das Serum eines
m.t Plazentagewebe yorbehandelten Tieres; keine Spaltung von
^ eidenpepton, keine Spaltung von Karzinompepton.
Drehung nach
Stunden
1
3
7
9
11
23
26
31
I ccm Serum -j- 1 ccm einer lOproz. Lösung von
Seidenpepton Plazentapepton Karzinompepton
0.56 0,70 0.58
0,55 0,70 0,58
O,55 0,65 0,58
0.55 0,73 0,57
0.55 0,70 0,57
0-53 0,64 0,58
0.54 0,62 0,57
0,55 0,60 0,57
) D. h. die Peptone wurden von normalem Menschenserum nicht
angegi iften, das Karzinompepton wurde vom Serum eines Karzinom-
kianken, das I Iazentapepton vom Serum Schwangerer abgebaut
Abderhalden: Abwehrfermente. 4. Auflage. Berlin 1914.
u) Fehlergrenze 0,04; alle Ablesungen wurden von beiden Be¬
obachtern unabhängig voneinander ausgeführt.
m ima ^ r 11 a * d e n und Ewald: Zschr. f. phvsiol. Chemie.
91. 1914. S. 94.
11 ) Kjaergaard: Zschr. Immunitätslehre 21. 41. 1914.
1
2126
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 43.
Dieses Kaninchen (Nr. 178, 2800 g) hatte in der Vorprobe keine
proteolytischen Fermente im Serum. Es erhielt im ganzen 5 Injek¬
tionen von 2 ccm Plazentaemulsion intraperitoneai; Aderlass am
5. Tage nach der letzten Injektion.
Zieht man den Durchschnitt aus diesen und anderen analog
angeordneten Versuchen, so beträgt die Aenderung der An¬
fangsdrehung des Plazentapeptonserumgemisches im Durch¬
schnitt 0,13 Proz. Zuweilen nahm die Drehung in den ersten
Stunden ab, stieg dann wieder bisweilen über den Anfangs¬
wert, um dann langsam zu sinken; man muss also, wenigstens
in den ersten 10 Stunden, oft ablesen.
Tabelle 3. Spaltung von Karzinompepton durch das Serum eines
mit Karzinomgewebe vorbehandelten Tieres, keine Spaltung von
Drehung nach
Plazentapepton.
1 cctn Serum
1 ccm einer lOproz. Lösung
Stunden :
Karzinompepton
von Plazentapepton
1
0,49
0,74
3
0,47
0,75
6
0,44
0,73
8
0,42
0,75
10
0,39
0,75
24
0,38
0,74
Kaninchen Nr. 1211, 2900 g. Im Serum vor der Behandlung keine
proteolytischen Fermente, 4 Injektionen von je 2 ccm Karzinom¬
emulsion. Aderlass am 5 Tage nach der letzten Injektion.
Wir fanden in keinem der von uns experimentell unter¬
suchten Fälle Abbau von Plazentagewebe durch das Serum
eines mit Karzinom vorbehandelten Kaninchens. Immerhin
kommt es, wie aus anderen in unserem Laboratorium an-
gestellten Untersuchungen hervorgeht, in der menschlichen
Pathologie gelegentlich vor, dass das Serum eines Karzinom¬
kranken nicht nur Karzinompepton, sondern auch Plazenta¬
pepton abbaut. Dies dürfte besonders dann der Fall sein, wenn
ein Tumor stark zerfällt, und auf diese Weise viel plasma¬
fremdes Material in den Kreislauf gelangt. Ein ähnlicher Fall
lag beispielsweise bei einem Serum vor, das von einem
Patienten stammte, der eine Fraktur des Femurknochens er¬
litten hatte; dieses Serum baute Plazentagewebe ab.
Auch die histologische Struktur des Tumors ist zu berück¬
sichtigen. Bei einem langsam wachsenden Tumor, dessen
Zellelemente nur wenig von der normalen Zellstruktur des
Muttergewebes abweichen, werden vielleicht andere und auch
weniger Fermente im Serum zu finden sein, als bei einer stark
anaplastischen Neubildung.
Vielleicht bringt die Untersuchung verschiedener Tumoren
und die Untersuchung experimenteller Geschwulstbildungen
mit Hilfe dieser Methode Neues, und wir behalten uns vor, auf
diese Fragen später zurückzukommen.
Eine zweite Versuchsreihe verfolgte die Aufgabe, den Ver¬
suchstieren Peptone verschiedener Provenienz parenteral ein¬
zuverleiben, und die Spezifität der im Serum entstandenen
Fermente zu prüfen. Abderhalden gibt an, dass sich
durch Peptone keine spezifischen Fermente erzeugen lassen.
„Ein Versuchshund erhielt 3 ccm einer 10 proz. Seidenpepton¬
lösung subkutan. Das Serum dieses Tieres spaltete daraufhin
Seidenpepton, aber auch Gelatine.“ Wir injizierten wiederholt
(3 — 7 mal) je 1 ccm einer 10 proz. Plazentapeptonlösung einem
Kaninchen intraperitoneal. Regelmässig zeigte es sich, dass
das Serum dieses Tieres ausser Plazenta- auch Seidenpepton
und zwar beide ziemlich gleichstark abbaute. Wichtig er¬
scheint uns die Tatsache, dass dabei niemals ein Abbau von
Karzinompepton zu beobachten war. Ein Versuch mit einem
Di.peptid (Glyzyltryptophan von Kalle) war, wie voraus¬
zusehen, negativ.
Tabelle 4. Abbau von Plazentapepton und Seidenpepton durch
das Serum eines mit Plazentapepton vorbehandelten Kaninchens.
Drehung nach
1 ccm
Serum -f- 1 ccm einer lOproz. Lösung von
Stunden :
Glyzyltryptophan
Karzinompepton
Plazentapepton
Seidenpepton
1
0,21
0,50
0,80
0,55
3
0,21
0,50
0,80
0,53
6
0,20
0,49
0,76
0,52
8
0,20
0,49
0,72
0,48
10
0,19
0,50
0.70
0,45
24
0,20
0,50
0,70
0,43
Das Tier (Kaninchen Nr. 1276, 1770 g) hatte im Vorversuch kein
proteolytisches Ferment im Serum. Es erhielt 4 Injektionen von
je 1 ccm einer 10 proz. Plazentapeptonlösung intraperitoneai. Ader¬
lass 4 Tage nach der letzten Injektion.
Ganz anders war das Resultat, wenn das Tier mit dem
einfacher gebauten Seidenpepton vorbehandelt worden war.
Das Serum eines derart vorbehandelten Kaninchens änderte
nur die Drehung des Seidenpeptons, nicht aber die von Pla¬
zenta- oder Karzinompepton.
Tabelle 5. Abbau von Seidenpepton durch das Serum eines mit
Seidenpepton vorbehandelten Kaninchens, kein Abbau von Plazenta¬
pepton, kein Abbau von Karzinompepton.
Drehung nach I ccm Serum -|- 1 ccm einer lOproz Lösung von
Stunden:
Glyzyltryptophan
Seidenpepton
Plazentapepton
Karzinompepton
1
0,19
0,60
0,78
0,52
3
0,17
0,56
0,76
0,50
6
0,16
0,55
0,76
0,50
8
0,18
0,50
0,76
0,50
10
0,18
0,48
0,76
0,50
24
0,18
0,48
0,76
0,50
Das Serum dieses Kaninchens (Nr. 1993, 2200 g) enthielt vor der
Behandlung keine peptolytischen Fermente. Der Aderlass wurde
am 4. Tage nach der 7. Injektion von je 1 ccm einer lOproz. Lösung
von Seidenpepton vorgenommen.
Diese Versuche zeigen, dass bei Anwendung von zu tief
abgebautem Gewebe zum Nachweis proteolytischer Fermente
leicht die Spezifität der Reaktion verloren gehen kann.
Zusammenfassend können wir sagen, dass die von
Abderhalden festgestellte Organspezifität der Abwehr¬
fermente im Tierversuche eindeutig nachweisbar ist, wenn
man die Versuchsbedingungen so wählt, dass die Verhältnisse
der Physiologie und Pathologie nachgeahmt werden.
Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik Königsberg.
(Dir.; Geh. Med. -Rat Prof. Dr. Meyer).
lieber die Bedeutung der kaseinspaltenden Fermente.
Von Dr. Max Kastan, I. Assistent der Klinik.
ln Nr. 27 bzw. 30 der M.m.W. haben Flatow und
L i n d i g ihre Untersuchungsergebnisse über die kasein¬
spaltenden Fermente mitgeteilt. Lindig arbeitete mit dem
Polarisationsverfahren. Er fand, dass Gravide und Puerperale
in ihrem Serum Abwehrfermente gegen Kasein aufwiesen.
Er spricht von der Aufstellbarkeit einer proteolytischen Kurve,
während Flatow, der zum Nachweis des Spaltungsprozesses
die mikrochemische Methode anwandte, zwar bei Normalen
ebenfalls kaseinspaltende Fermente vorfand, aber die Unter¬
suchung des Serums gegen Kasein zur Bestimmung des pro¬
teolytischen Index für wertvoll hält, da das Serum Gravider
mehr solcher Fermente enthalte. Ich selbst1) habe mich seit
längerer Zeit mit den kaseinspaltenden Fermenten beschäftigt,
um den Einfluss des Puerperiums auf die Entstehung gewisser
Psychosen eingehender studieren zu können. Ohne die Er¬
gebnisse F 1 a t o w s nach irgend einer Richtung hin bestreiten
zu wollen, glaube ich, dass man den Nachweis der kasein¬
spaltenden Fermente für praktische Zwecke so wird aus¬
gestalten müssen, dass nur unter gewissen Bedingungen eine
Reaktion auftritt, nämlich nur dann, wenn der proteolytische
Index eine erhebliche Höhe, die von anderen Verhältnissen
absolut abweicht, erreicht.
Die von den beiden Autoren angewandten Methoden
scheinen zu fein zu sein für den angegebenen Zweck, man darf
sie daher ebensowenig anwenden, wie man etwa aus dem
positiven Ausfall der Sulfosalizylprobe nicht eine Nephrite
diagnostizieren kann, obwohl auch sicher dann der Eiweiss¬
nachweis geglückt ist. Ich habe daher, indem ich pulveri¬
siertes Kasein aus Vollmilch verwandte, mich des Dialysier-
verfahrens bedient und mit Hilfe der Ninhydrinreaktion fol¬
gende «Resultate erhalten.
Tabelle 1.
Serum allein Serum -)- Kasein
Puerpera I —
0 Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh. 54, 3. Sitzungen des
Vereins iür wissenschaftliche Heilkunde Königsberg am 26. I- D
und des Deutschen Vereins für Psychiatrie vom 24. IV. 14.
?7. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Tabelle 1 zeigt, dass das Serum der Puerperalen Kasein
,tark ab laut, die Sera waren sämtlich von Frauen entnommen,
he kurz vorher in der hiesigen Frauenklinik 2) eine Entbindung
lurchgemacht hatten und deren Puerperium normal verlief.
Tabelle 2.
2127
. . . . 1 uv,^waic> “uui wenn sie psycmscn
rank sind, in ihrem Serum kaseinspaltende Fermente auf-
eisen.
Tabelle 3.
Sc S
co a <S) -J
g+s 2+1
(_ co
S .H E
3 10
3 10
. “I“ tfi
rc
*
£ -j-j=
» o
co o
E c g | E
= 4_n £ 3
m v
O tl ^ j CO
Je E
o >-
— B!
Q-o
Bemerkungen
+
~ +-?
Normalehrau, nicht gra¬
vide, nicht puerperal.
+ — Epileptischer Mann.
Man -depr. Mann.
Anfälle degenerativ?
Katatonisch ?
Tabelle 3 zeigt, dass Personen, selbst wenn sie Abwehr-
rmente gegen andere Organe im Blutserum besitzen, keine
iseinspaltende Fermente haben, wenn kein Puerperium vor-
Tabelle 4.
Serum Se?lm Serum Serum Serum i .Senim i Serum
allein Thyteo- + +. + C"^t,v) (.nakl.v)
i idea Ovar j Qehirn j Kasein Ka+irl | Q+irn
Bemerkungen
— , Gravida 5. Monat, em-
bolische Aphasie, spä-
I I i ! ter habitueller Abort.
Tabelle 4 zeigt, dass in der ersten Hälfte der Gravidität
me Abwehrfermente gegen Kasein mit der Ninhydrinreaktion
chzuweisen sind.
Tabelle 5.
Serum
allein
Serum -j-
Kasein
Serum +
Ovar
Serum +
Thyreoidea
vida (VIII.
„ (VIII.
„ (IX.
.. (IX.
„ (IX.
Monat
”
. . . .
. .
1 ! 1 1 1
1 1 1 1 1
+
+
1 i 1 1 1
Tabelle 5 zeigt, dass Gravide auch in den späteren
»naten der Gravidität (die Sera entstammten Patientinnen der
tuenklinik) keine mit der Ninhydrinreaktion nachweisbaren
rmente gegen Kasein besitzen.
Nach all diesen Resultaten hat es den Anschein, als ob es
der Ninhydrinreaktion gelänge, die Spaltung des Kaseins
iei puerperalen oder laktierenden Frauen nachzuweisen.
s ~erum gravider Frauen, das Serum von Männern und
malen Frauen zeigte niemals Spaltungserscheinungen mit
erwähnten Farbreaktion. Hierbei war es ganz gleich-
hg, ob die Puerperalen völlig normal waren oder ein
chisches oder organisches Nervenleiden aufwiesen. Es
re deshalb interessant und wertvoll, mit dem mikrochemi-
en Verfahren die Sera Puerperaler daraufhin zu unter-
nen, ob bei ihnen der proteolytische Index gegen Kasein
onders hoch ist. .
der Kgl. Universitätsklinik für Gemüts- und Nervenkrank¬
heiten Tübingen (Direktor: Prof. Dr. Gau pp).
Zur Frage der Bromtherapie.
Von Dr. K. John.
Ihre allgemein anerkannte sedative Wirkung ist es, die
z der vielen unangenehmen Nebenwirkungen den anor-
ischen Bromsalzen ihren Platz bei der Behandlung der
nkheiten des Nervensystems stets an erster Stelle bewahrt
\ Für Beschaffung der Sera sage ich Herrn Cieh.-Kat Winter
an dieser Stelle meinen besten Dank
Serum
allein
Serum
"f“
Kasein
Serum
Gehirn
Serum
Ovar
Serum
Neben¬
niere
Serum
~b
Thyreo-
idea
Serum
Dünn¬
darm
Bemerkungen
1.
0.
r.
—
+
t
+
+
Dem. praec., ausgelöst
in der Laktation.
Puerperale Psychose.
Spätepilepsie, entstanden
in frühem Puerperium.
Intervall nach puerpe¬
ralen Paroxysmen.
hat, wenn es galt, krankhaft gereizte animalische und psychi¬
sche Funktionen zu beruhigen oder eine gesteigerte Erreg¬
barkeit der sensiblen und motorischen Hirngebietc und ins¬
besondere reflektorische Vorgänge im Nervensystem zu be¬
kämpfen. Diese Wirkung der Bromsalze betrifft nach
Schnuedeberg (Grundriss der Pharmakologie 5, 1906)
lauptsachhch die von den taktilen Hautreizen und von anderen
-mneserregern abhängigen Reflexvorgänge und die Funktions¬
gebiete des Mittelhirns, während die Gebiete der Grosshirn-
iinde erst nach grösseren, längere Zeit fortgesetzten Gaben
beeinflusst werden, und dementsprechend stellt Schmiede-
berg die Indikation zur Anwendung des Mittels gegen Krank-
heitsvorgange, die ihren Ursprung in tiefer gelegenen Hirn¬
abschnitten haben über diejenige bei von der Grosshirnrinde
ausgehenden Erscheinungen, wie z. B. beim epileptischen An-
fa.l. Seit den Experimenten von A 1 b e r t o n i, die die Herab-
- ctzung dei Erregbarkeit der Grosshirnrinde für elektrische
pC!f c na d' , ^rom direkt beim Hunde nachwies (Arch. f. exper.
, a J1' p ..^karm: 15) &ilt jedoch gerade die Epilepsie als der
beste Prüfstein für die Wirksamkeit eines Brompräparates, zu-
ma . uns hier durch die Beobachtung der Anfälle Zeichen ob¬
jektiver Natur zur Verfügung stehen, während wir sonst doch
in den meisten Fallen fast vollständig auf die subjektiven An¬
gaben der Kranken angewiesen sind.
Wir wissen jetzt, dass es Vorbedingung für die Brom¬
wirkung ist, dass ionisiertes Brom im Blute kreist und da dies
7e\ 01 ^anischen Brompräparaten wie Bromipin, Bromural,
Zebromal und ähnlichen nur in ungenügender Weise der Fall
ist, wie Amann (D.m.W. 1913 Nr. 23) nachgewiesen hat, weil
bei diesen Präparaten das organisch gebundene Brom
grösstenteils untersetzt ausgeschieden wird, so ist hieraus
sehr einleuchtend deren zweifelhafte Wirksamkeit zu erklären
Nach der heute vorwiegenden Ansicht sollen die in den Körper
eingeführten Bromionen die Chlorionen substituieren, so dass
nach einer bestimmten Dauer und Menge der Bromver¬
abreichung der Körper kochsalzärmer wird und sich ein Brom¬
depot ansammelt. Dann steht die Bromzufuhr in einem
direkten Zusammenhang bzw. Antagonismus zur Kochsalzver¬
armung. Dieses Verhalten von Chloriden und Bromiden im
Organismus ist bisher noch nicht nach allen Seiten aufgeklärt,
jedoch geht aus den Untersuchungen von Laudenheimer
- ’ur' f ;fsych- ^4. S. 1082) mit Bestimmtheit hervor, dass tat¬
sächlich das Brom an Stelle des Chlors tritt. Ebenso, wie nun
aber bei Bromretention vermehrt Kochsalz (also Chlor) aus¬
geschieden wird, so wird auch bei vermehrter Kochsalzzufuhr
die Bromausscheidung beschleunigt und hieraus folgt einer¬
seits, dass bei absoluter Kochsalzentziehung event. eine Ueber-
ladung mit Brom und sehr schwerer Bromismus auftreten
muss, wahrend eine geeignete Kochsalzzufuhr diesen zu be¬
seitigen imstande sein muss. Laudenheimer, de Wyhs
und U 1 r i c h haben hierauf ihre Theorie des Bromismus auf-
gebäut, der nach ihrer Ansicht entweder in einer Verarmung
des Blutes an Chlor, oder, da ja nach den Versuchen von
K U Eromzufuhr die Chlorwasserstoffsäure des
Magensattes durch Bromwasserstoffsäure ersetzt wird und die
sonst chlorreichsten Gewebe am meisten Brom enthalten, in
Anstauung von Brom in den Körpersäften und dadurch Er¬
höhung des osmotischen Druckes derselben seine Ursache hat
Die erstere Form werden wir auf Grund der obigen Er¬
wägungen durch Kochsalzzufuhr erfolgreich bekämpfen die
letztere durch Steigerung der Diurese.
... Sät Toulouse und Rieh et aus der Erkenntnis der
Wechselwirkung des Chlors und Broms heraus im Jahre 1899
oas inetatrophische Verfahren vorgeschlagen und gezeigt
haben, wie sich damit eine Steigerung der Bromwirkung er¬
reichen lässt, hat die Verabreichung kochsalzfreier bzw. koch-
salzarmer Kost bei Brommedikation die verschiedensten
Wandlungen duichgemacht, aber bis vor kurzem trotz der
immer wieder zu findenden befriedigenden Mitteilungen in der
einschlägigen Literatur keine übereinstimmende Anerkennung
erlangt. Insbesondere war es die Abneigung der Kranken
gegen die salzarme Kost, die die grössten Schwierig¬
keiten bereitete, und oft waren schon die Versuche mit der
neuen Methode, die sich nur auf einige Wochen erstreckten,
selbst in Krankenhäusern nicht zu Ende zu führen, da die
1*
2128
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 43.
Patienten sich der Kost widersetzten. Die Applikations- |
methode des Broms in der E'orm von Bromopan (Bai int, |
Z i r k e I b a c h, R. Mayer), des Spasmosil (Schnitzer)
und ähnlicher Mittel brauche ich nicht im einzelnen erwähnen,
sondern verweise auf die einschlägige Literatur (Steffen,
lnaug.-Diss.. Zürich: „Die salzarme Kost in der Behandlung der
Epilepsie“); alle diese Methoden befriedigten zuletzt doch
nicht und erst von Ulrich wurde erstmals ein gangbarer
Weg eingeschlagen, indem er im sogen. Sedobrol ein Brom¬
präparat herstellen liess, das in Wasser gelöst ohne weiteres
eine schmackhafte Brombouillon gab und indem er durch Aus¬
schaltung der gesalzenen Suppe aus dem Speisezettel der be¬
treffenden Kranken gerade die Speise entfernte, in der bisher
am meisten Salz zugeführt wurde (10 — 20 g pro die). Dadurch,
dass er ausserdem noch in anderen Speisen die Kochsalzmenge
verminderte, konnte er die Tagesmenge Kochsalz auf etwa
g herabsetzen. Ulrich hat seither ausgedehnte Unter¬
suchungen mit dieser Methode angestellt und seine Erfolge
veröffentlicht (M.m.W. 1912 Nr. 36/37), andere sind seinem
Beispiel gefolgt und rühmen mehr oder weniger die Erfolge
der Sedobroltherapie bei Epilepsie und anderen nervösen
Krankheiten, z. B. B ö s s, der das Sedobrol bei Epilepsie auch
ohne völlige Entziehung des Kochsalzes empfahl (Allg. Zschr.
f. Psych. 70. H. 3 u. 4) und es für nötig hält, die Kochsalz¬
menge bei einer laktovegetabilen Kost möglichst einzuschrän¬
ken und dann empirisch die Toleranz für Brom zu bestimmen
und Felix Deutsch (Ther. d. Gegenw. 9), der Sedobrol als
Würzsalz bei der salzarmen Ernährung Nierenkranker pries,
da es imstande sei, die molekulare Konzentration der Säfte zu
regeln, indem es von der kranken Niere nicht so stark zurück¬
gehalten werde wie das Chlor und ausserdem die Entchlorung
und Entwässerung des Körpers anrege.
Auch in der Tübinger Klinik für Gemüts- und Nerven¬
krankheiten wurden eine Zeitlang Versuche mit Sedobrol ge¬
macht, jedoch befriedigten die Erfolge nicht in gewünschtem
Masse, und namentlich wenn wir das Mittel Kranken ausser¬
halb der Klinik verordneten, wo die Sedobrolwürfel nicht
dauernd gut unter Verschluss gehalten wurden, machte sich
die hygroskopische Eigenschaft derselben bemerkbar, die
Würfel lösten sich schwerer, das Brom wurde ungenau dosiert
und die Wirkung unsicher. Diesem Uebelstande abzuhelfen,
war nun die med.-chem. Fabrik Dr. Haas & Co., Stuttgart-
Cannstatt, bemüht, ein Brom zu finden, das, der salzlosen
Suppe beigefügt, diese schmackhaft machen, daneben aber
seinen Aggregationszustand nicht verändern und ohne grosse
Schwierigkeit genauer dosierbar sein sollte und es gelang dies
nach unseren vorläufigen Erfahrungen in vorzüglicher Weise
in Form der Sasedanwürze von Dr. Haas.
Nach den Mitteilungen von Dr. Haas besteht die Sasedanwürze
aus konzentriertem, künstlichem, genuines Albumin und Fleischalbu-
mosen in beträchtlicher Menge enthaltendem Fleischsaft.
5 ccm Sasedanwürze entsprechen genau 1,0 g Bromsalze neben
0,15 Chlornatrium.
„Die Bromsalze selbst sind eine geschickte Modifikation der
bekannten Erlenmeyer sehen Mischung. Sie bilden Bromide
des Natriums, Ammoniums und Kalziums in rationellen, konstanten,
therapeutisch sehr wirksamen Verhältnissen. Ihrer ganzen Zu¬
sammensetzung nach ist die Sasedanwürze nicht nur ein spezifisches
Antiepileptikum, Sedativum und Hypnotikum, sondern auch ein kräfti¬
ges, nutritive Reize auslösendes Stomachikum und Korrigens.“
Die Versuche, die nunmehr seit über einem halben Jahr
an der Tübinger Klinik für Gemüts- und Nervenkrankheiten
damit angestellt wurden, sind zwar noch keineswegs abge¬
schlossen, aber ein gewisses Urteil über seine Brauchbarkeit
dürfen wir uns wohl schon bilden und so sei hier in Kürze das
Hauptsächlichste davon mitgeteilt: Entsprechend der Er¬
fahrung, dass die Epilepsie der beste Prüfstein für die Wirk¬
samkeit eines Brompräparates ist, wurden, soweit das kli¬
nische Krankenmaterial Gelegenheit dazu gab, bei dieser
Krankheit in erster Linie Versuche angestellt. Die epilep¬
tischen Kranken wurden regelmässig nach der Aufnahme in
die Klinik zunächst einige Zeit ohne Therapie beobachtet, bis
die Diagnose gesichert und die Art und Häufigkeit ihrer An¬
fälle festgestellt werden konnte, alsdann bekamen sie zunächst
mittags und abends in der salzlosen Suppe je 5 ccm Sasedan¬
würze (= 2 mal 1,0 Brom), nach einigen weiteren Tagen 2 mal
10 ccm (= 2 mal 2,0 Brom), dazu zunächst gewöhnliche Kost
unter Weglassung stark geräucherter und gesalzener Speisen.
Nötigenfalls konnte dann die Kost noch kochsalzärmer ge¬
staltet werden, indem ausser dem Fleisch noch Käse, Butter,
Saucen und ähnliche stark gewürzte Speisen entzogen wurden,
und wir erreichten so unseren Zweck, ohne die Mannigfaltig¬
keit und Güte der Kost zu beeinträchtigen. Eventuell erhöhten
wir die Sasedandosis auf 2 mal 15 ccm. Sowie Zeichen von
Bromismus auftraten, wurde zunächst etwas mehr Kochsalz
zugeführt und dann nötigenfalls noch die Sasedandosis lang¬
sam erniedrigt. Stärkere Bromakne beobachteten wir übri¬
gens bei keinem der so behandelten Kranken, geringe Grade
Hessen sich leicht mit Hg-Salbe behandeln. Der Erfolg der
Behandlung war bei den 5 an genuiner Epilepsie im Anfangs¬
stadium leidenden Kranken bisher durchweg ein guter: Die
Anfälle traten schon nach wenigen Tagen seltener, weniger
schwer, bzw. in anderer Form oder gar nicht mehr auf und
zwar waren zur Erreichung dieses Erfolges zum Teil estaun-
lich geringe Dosen genügend (durchschnittlich 2 mal 10 ccm).
Z. B. bei einer Anfang November 1913 behandelten Kranken, die
zuvor häufig schwere Anfälle mit jedesmaligem postparoxysmaler.
Dämmerzuständen hatte, trat schon nach 8 Tagen kein Anfall mehr
auf, sondern leichte Schwindelanfälle ohne jegliche psychomotorische
Erregung waren bis zur Entlassung der Kranken das einzige Ueber-
bleibsel der Krankheit, und die Dosis 2 mal 10 ccm Sasedan musster
wir bald auf 2 mal 5 ccm reduzieren und etwas mehr Kochsalz
als zu Beginn zuführen, da die Kranke bei höherer Dosis gleich
Zeichen des beginnenden Bromismus aufwies, namentlich auffallend
apathisch und schläfrig wurde. Auch zu Hause nimmt nun diese
Kranke in derselben Weise, obgleich sie aus rein bäuerlichem Milieu
stammt, ohne weiteres ihre Medizin weiter, die Zubereitung der
Suppe macht keine Schwierigkeit, auch empfindet sie das Einnehmen
keineswegs lästig und hat sich uns vor kurzem in gleich befriedigen¬
dem Zustand wieder vorgestellt.
Unter den Versuchen bei Epileptischen befinden sich bisher
zwei Versager:
Der eine ist bei einem kleinen Jungen mit Epilepsia cursoria,
die andere Kranke litt seit mehreren Jahren an schwersten epilep¬
tischen Anfällen und Dämmerzuständen und ist schon in hohem Orade
intellektuell und gemütlich defekt geworden. Der erstere Fall war
übrigens in jeder Hinsicht atypisch, reagierte anfangs gut, später sehr
mangelhaft auf Brom, ausserdem hafteten dem Krankheitsbild auch
sehr viel psychogene Züge an; und wären nicht klassische epilep¬
tische Anfälle ab und zu vom Arzt selbst bei dem Jungen beobachtet
worden, so hätte man wohl an der Richtigkeit der Diagnose zwei¬
feln können. Beim zweiten Fall, der schon vor der Behandlung
grosse Tendenz zum Fortschreiten gezeigt hatte, dürfen wir wohl
schwerere organische Hirnveränderungen vermuten. Immerhin sind
auch hier die Anfälle bei Sasedanwürze leichter und kürzer geworden,
Dämmerzustände sind ausgeblieben, mehr liess sich in der 6 w öchi¬
gen Behandlungszeit hier nicht erreichen. Bei einem anderen älteren
Epileptiker, der auch früher dauernd mit gutem Erfolg Brom in ge¬
wöhnlicher Form als anorganisches Salz in der Erlenmeyer sehen
Mischung bekommen hatte, erzielten wir denselben Erfolg bei der
um 2 g reduzierten Bromdosis in der Sasedanwürze.
Um nun aber auch bei den psychisch Kranken und Nerven¬
kranken den Unterschied der Sasedanbehandhmg im Gegen¬
satz zur früheren Brommedikation kennen zu lernen, schlossen
wir auch bei Hysterischen jeder Art, manisch Erregten, kata¬
tonischen Kranken, agitierten Depressionen, neurasthenischen
Kranken und insbesondere bei einigen Patienten, die über er¬
schwertes Einschlafen klagten, Versuche an. ln der Schilde¬
rung der Resultate bei diesen Kranken kann ich mich kurz
fassen, denn bei klaren und geordneten Kranken machten wir
ganz allgemein die Erfahrung, dass schon geringe Dosen, wie
z. B. 2 mal 5 ccm pro die (also im ganzen 2 g Brom) denselben
Effekt erzeugten, wie bedeutend grössere Dosen der gewöhn¬
lichen Brommedikation ohne salzarme Diät; aber selbstver¬
ständlich waren wir eben hauptsächlich auf die subjektiven
Angaben der Kranken angewiesen.
Bei einer zirkulären Kranken, die sehr lebhaft halluzinierte und
infolge der höhnenden und spottenden Stimmen immer wieder von
neuem erregt wurde, während sie sonst sich ganz ruhig verhalten
konnte, gelang es uns, mit dieser Brombehandlung ein aus¬
gesprochenes Zurücktreten der Gehörshalluzinationen zu bewirken
und ihren Zustand subjektiv wie objektiv zu bessern; bei schwerer
manischer Erregung, bei agitierter Depression oder vollends bei kata-
tonen Erregungszuständen erwiesen sich auch höhere Dosen von
Sasedanwürze als ungenügend; und wenn auch zuweilen vorüber¬
gehend ruhigere Tage bei solchen Kranken zu verzeichnen waren,
so konnten wir diese nicht auf die medikamentöse Therapie zurück-
führen, da trotz Fortsetzung der Behandlung doch wieder neue hr-
regungszustände auftraten und die vorhergehende Besserung wohl ml
7. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ahmen der bei diesen Krankheitsformen bekannten Schwankungen
jleuen war. Unwirksam erwies sich die Sasedantherapie bei allen
allen von Hysterie mit Anfällen, wenn jegliche andere, namentlich
,i.c«eMi\ be undlung, unterblieb, während wir bei Schreckneurosen
iu ähnlichen psychogenen Erkrankungen in der Sasedantherapie
ne wirksame Unterstützung der übrigen psychischen Beliandlungs-
eise erblicken konnten. Infolge seiner einfachen Anwendungsweise
id der prompten \\ irkungen der Sasedanwiirze bei epileptischen.
:m., ,?r f?Kcn,^.^ei hysterischen Anfällen, konnte man zuweilen bei
eeitelhafter Diagnose der Erkrankung, ob Hysterie oder Epilepsie,
e Behandlungsmethode geradezu als differentialdiagnostisches Mit-
I verwenden, denn die Methode ermöglicht eine Applikation des
oms in einer \\ eise, die der Kranke unter Umständen gar nicht be-
erkt, wenn nämlich die Sasedansuppe in der Küche fix und fertig
bereitet dem Kranken gereicht wird. Wird nun der betreffende
•anke vorerst in keiner Weise suggestiv beeinflusst und erhält
me ^uppe, ohne dass er deren Inhalt kennt, so können wir bei Epi-
Jtischen baldige Besserung und Wegfall, bei Hysterischen Fort-
uer der Anfalle beobachten. Dass diese Differentialdiagnose frei-
h keine absolut untrügerische ist, sind wir uns vollkommen be-
isst.
Welche Faktoren dem Brom in der Anwendungsweise der
isedansuppen die ausgesprochene Erhöhung der Wirksam-
it verleihen, ob es einzig und allein die gleichzeitige Koch-
lz\ erminderung der Nahrung ist, oder damit zusammen-
ngt, dass das Brom in starker Verdünnung und vorzüglich
löst dem Organismus zugeführt wird und die Resorption
rch die im Sasedan enthaltene W ürze noch erleichtert wird,
rmögen wir jetzt noch nicht mit Sicherheit zu sagen, zumal
r Stoffwechseluntersuchungen bei unseren behandelten
anken noch nicht angestellt haben; immerhin mögen diese
wägungen hier angedeutet sein.
Angeregt durch die Arbeiten von Bürgi-Bem (M. Kl.
14 Nr. 14 u. 15) über die Wirkung von Arzneigemischen, in
nen er zu dem Resultate gelangt ist, dass Arzneien der
ichen Reihe, die also denselben pharmakologischen Angriffs-
lkt haben, bei Kombination ihre Wirkung addieren, dass
-r Arzneien derselben Reihe, die verschiedene pharmako-
ische Angriffspunkt besitzen, bei Kombination einen poten-
rten Gesamteffekt zeigen, haben wir da, wo die einfache
>edanbehandlung uns nicht befriedigte, durch entsprechende
mbination eine Steigerung der Wirkung, womöglich einen
enzierten Gesamteffekt zu erreichen gesucht. Dass wir im
loralhydrat ein wesentliches Unterstützungsmittel der
)msalze zur Bekämpfung epileptischer Attacken haben, hat
on Steffen in seiner Dissertation berichtet und auch
■enmeyer empfahl (B.kl.W. 1913 Nr. 18) die Verbindung
i Chloralhydrat und Opium, sowie Luminal und Baldrian
Unterstützung der Bromsalzkur. Bei unseren Versuchen
rde namentlich ein Opiumpräparat, Laudopan Dr. Haas,
wir in seiner Brauchbarkeit schon längere Zeit schätzen
-*rnt haben, und das wir wegen seiner weniger grossen
ährlichkeit dem Pantopon vorzogen, verwendet. Die
umalkaloide lähmen, wie B ü r g i selbst angibt, Grosshirn,
tel- und Kleinhirn, sowie Medulla und wirken erregend auf
Rückenmark, während die Bromverbindungen die Erreg¬
theit der I räger aller seelischen Qualitäten dämpfen. Der
.riffspunkt ist somit ein verschiedener und gerade von der
bindung der Opiumpräparate mit Brom verspricht sich
lalb B ü r g i eine potenzierende Wirkung, wenn er auch
5t den zweiten Teil seiner Regel nicht ohne Einschränkung
echt erhält. Das Laudopan wurde von uns in 2proz.
ung in langsam steigenden Dosen mehrmals täglich teils
immen mit der Sasedanwürze in der Suppe, teils getrennt
ibreicht (Höchstdosis 3 mal 20 Tropfen einer 2proz. Lö-
?). Die erhoffte Verstärkung der Wirkung im Sinne eines
nzierten Effektes wurde von uns in keinem der bisher be-
d eiten Fälle beobachtet; in einem Falle einer agitierten De¬
sion machten wir sogar die Beobachtung, dass das Be¬
stsein eher stärker getrübt und durch Wegfall weiterer
unungen der Zustand eher verschlimmert wurde. Im all¬
einen sahen wir eine Steigerung der Bromwirkung durch
Kombination, aber nicht über das arithmetische Mittel
usgehend und stimmen in dieser Erfahrung, wie ich sehe,
dem Resultat der Nachprüfungen der B ii r g i sehen Ex-
'nente, die Professor Dr. Martin Kochmann (D.m.W.
Nr. 34) angestellt hat, überein.
Weiteren Untersuchungen wird es Vorbehalten sein, die
<ung der Sasedanwürze bei anderen nervösen Zuständen
als den von uns bisher herangezogenen zu erproben; wir
denken dabei namentlich an die Zustände bei Basedow, ferner
nuvöse Kopfschmerzen, Neuralgien, Migräne, nervöses
Asthma, Chorea, Pertussis und nicht zuletzt in Anbetracht der
Eigenschaft des Broms als Antaphrodisiakum bei allen Zu¬
ständen sexueller Ueberreizung, und wenn nicht alle Aus¬
sichten trügen, haben wir in der Sasedanwürze ein Mittel, das
un Arzneischatz des Nervenarztes eine bedeutende Rolle zu
spielen berufen sein wird.
Zusammenfassend habe ich zu wiederholen:
, . Sasedanwürze Dr. Haas ist geeignet, die Brommedi-
\ation in der borm einer schmackhaften Bromsuppe bei salz-
aimer Diät als Dauerdiät mit Leichtigkeit durchführen zu
Lei s s 0 n .
2. Der therapeutische Effekt muss noch- durch weitere aus¬
gedehnte Versuche geprüft werden; die bisherigen Versuche
lassen erwarten, dass mit wesentlich kleineren Bromdosen
eine bedeutend stärkere Bromwirkung ohne wesentliches
nervortreten von Intoxikationserscheinungen erzeugt wird,
besonders bei der genuinen Epilepsie.
3 Wegen seiner einfachen Anwendungsweise eignet sich
das Mittel auch zur Behandlung psychisch Kranker, die auf
diese Weise event. unwissentlich Brom bekommen können, da
diese Bromsuppe sich kaum von einer gewöhnlichen salz¬
haltigen Suppe im Geschmack unterscheidet.
... 4- Bisher hat sich namentlich auch die Anwendung des
M dt eks bei Formen von Neurasthenie, allgemeiner Ueberreizt-
heit, Schreckneurosen, leichteren halluzinatorischen Zuständen
nervösem Kopfweh, nervöser Schlaflosigkeit (Nichteinschlafen-
kemnen) bewährt, während es bei hysterischen Anfällen und
schweren psychischen Erregungen unwirksam bzw zu
schwach wirksam ist.
r* 5‘ Die B ü r g i empfohlene Arzneikombination von
brom und Opium zur Erreichung einer potenzierten therapeuti¬
schen Gesamtwirkung hat bei unseren Versuchen bisher keinen
über die summierte Wirkung hinausgehenden Erfolg gezeitigt
Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Marburg
(Direktor: Geheimrat M a 1 1 h e s).
Zur Kenntnis des Asthma cardiale beim Kinde.
Von Dr. P. Rohmer, Privatdozent für Kinderheilkunde.
Nebst einem pathologisch-anatomischen Beitrag
von Professor L. J o r e s.
Bei Herzkranken, namentlich bei Koronarsklerose, finden
sich bekanntlich plötzlich auftretende Anfälle von Atemnot,
welche von der gewöhnlichen Dyspnoe Herzkranker streng zu
trennen sind, und die man als „Asthma cardiale“ bezeichnet.
Häufig gesellen sie sich zum Bild der Angina pectoris, gehören
abei nicht zu der leinen Form derselben, welche neben den
objektiven Erscheinungen von seiten des Herzens nur durch
die subjektive Angst- und Schmerzempfindungen charakteri¬
siert ist. Diese Anfälle von Herzasthma verlaufen manchmal
leicht und dauern nur wenige Stunden, sie können aber auch
ein bis mehrere Tage fortbestehen und mit heftiger Atemnot
und höchstem subjektiven Angstgefühl einhergehen; das Ge¬
sicht ist gewöhnlich bleich, mitunter auch tief zyanotisch; der
Puls ist selten verhältnismässig gut, meistens klein, weich,
ungleich und unregelmässig. Gewöhnlich kommt es in den
schweren Anfällen unter hinzutretendem Lungenödem zum
tödlichen Ausgang.
Beim Kinde sieht man Asthma cardiale, wie schon die
Ietztei em gewöhnlich zugrunde liegende Arteriosklerose ver-
stündlich macht, naturgemäss sehr selten; es wird auch in den
gebräuchlichen Darstellungen der kindlichen Herzpathologie
nicht erwähnt. Dies ist insofern zu bedauern, als es wichtig
ist, dass die Möglichkeit seines Vorkommens auch beim Kinde
gekannt und der Symptomkomplex sofort bei seinem Auftreten
richtig diagnostiziert wird, um ein rechtzeitiges therapeutisches
Eingreifen zu ermöglichen. Deshalb sei nachstehend folgende
einschlägige Beobachtung mitgeteilt, welche auch patho¬
logisch-anatomisch ein interessantes Unikum darstellt.
2130
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 43.
Auszug aus der Krankengeschichte:
lT. Ottilie, 6 Jahre alt, aufgenoinincn am 28. November 1913.
Seit Juli 1913 leidet Pat. an häufig rezidivierendem Gelenk¬
rheumatismus. 14 Tage vor der Aufnahme trat Aszites auf.
Bei der Aufnahme zeigte das blasse, abgemagerte Mädchen
eine stark verbreiterte Herzdämpfurig von 4:11cm; verbreiterter,
starT hebender Spitzenstoss in der vorderen Axillarlinie. Lautes,
schabendes systolisches (jeräusch; verstärkter zweiter T ulmonalton.
Orthopnoe; Aszites; liydrothorax. Oedeme an Beinen, Bauch, Brust
und Rücken. Slauungsleber.
Geringe Beschwerden in einigen Gelenken.
Unter entsprechender Behandlung des bis dahin unbehandelten
Kindes (Punktion des Aszites, Digitalis, Diuretin, Salizylsäure, salz¬
arme Diät) bildeten sich die Stauungserscheinungen auffallend rasch
zurück, und das Kind war in der Folge vollständig frei von Be¬
schwerden
Ganz unerwartet und ohne Vorboten trat am Nachmittag des
6. 1. 14 eine hochgradige Kurzatmigkeit auf, eine tiefe, jagende
Atmung, welche mit dem übrigen negativen Untersuchungsbefunde
auffallend kontrastierte. Das Gesicht war bleich; das subjektive Be¬
finden schien nicht nennenswert gestört. An den beiden folgenden
Tagen dauerte der Zustand mit einigen leichten Remissionen un¬
verändert an. Die Temperatur war normal, der Puls regelmässig,
ziemlich voll, weich, ca. 104 pro Minute; die Atmungsfrequenz
zwischen 44 und 59 pro Minute. Die Lungengrenzen standen rechts
vorn ar, der 7. Rippe, hinten beiderseits am 12. Proc. spinös. Die
Lungengrenze war rechts gar nicht, links nur wenig verschieblich.
Kein Erguss. Perkussionsschall normal; Atemgeräusch vesikulär.
9. I. Temperaturen 38,1 — 38,8, Puls 128, Respiration 68. Ver¬
schlimmerung des Allgemeinzustandes. Nachmittags: Ueber der
rechten Lunge reichliches Knisterrasseln. Links normaler Befund.
Aderlass.
10. 1. vormittags Temperatur 39,5, Puls 144. AtmungsTrequenz 62,
Exitus letalis
Anatomischer Befund
von Professor L. J o r e s.
1. Auszug aus dem Sektionsprotokoll:
Herz: Nach Eröffnung der Brusthöhle liegt der Herzbeutel in
ganzer Ausdehnung zutage. Lungen zurückgesunken, pesonders
links stark. Linke Lunge oben strangförmig verwachsen, Pleuren
beiderseits leer. Im Herzbeutel 80 ccm wässerige, klare, farblose
Flüssigkeit. Perikard und Epikard glatt und glänzend, nur an der
Hinterwand des Herzens ganz feine Auflagerungen, die nicht fest an-
haften. Herz stark vergrössert, ist mehr als doppelt so gross als
die Faust. Hypertrophie betrifft beide Abschnitte. Grösste Länge
10 cm, Breite IOV2 cm, Dicke 5 cm. Bei Eröffnung der Pulmonal¬
arterie entleert sich flüssiges Blut. Die Pulmonalarterie enthält kein
Gerinnsel. Rechter Vorhof weit, enthält nur geringe Speckhaut-
gerinnsel, ebenso in der rechten Kammer, die ziemlich weit ist,
Konus arteriosus und venosus mittelweit. Klappen dünn und zart,
glatt. Linker Vorhof weit, mit locker geronnenem Cruor prall ge¬
füllt. Wand ziemlich dick. Innenfläche glatt, weisslich. Klappen der
Mitralis verdickt, weisslich, von glatter Oberfläche. Besonders die
vordere Klappe verdickt. Sehnenfäden nur in geringem Masse ver¬
dickt. Aortenklappen nur in den basalen Abschnitten verdickt, sonst
glatt und leicht beweglich. Linker Ventrikel weit. Muskulatur
kräftig. Herz Heisch blass braunrot ohne Herderkrankungen. Ab¬
gänge der Koronararteriendurchgänge nicht besonders weit. Aorten¬
innenfläche überall auch an Stellen der Koronarabgänge glatt. Auch
Innenfläche der Koronararterien von glatter Wandung. Lumen ist
leer.
Lungen: In den Hauptbronchien schaumige Flüssigkeit.
Rechte Lunge gross, fühlt sich hart an, so dass die 3 Lappen wie
ausgegossen erscheinen. An der Oberfläche finden sich fleckenförmige
Blutungen und starke Gefässzeichnung. Auf der Schnittfläche ist
das Gewebe wenig lufthaltig und hat eine graurötliche, körnige
Konsistenz, sow ohl im Ober- als auch im Unterlappen. Konsistenz
und Beschaffenheit sehen nicht der gewöhnlichen Hepatisation ähnlich.
Das Gewebe ist aber auch nicht lufthaltig, sondern hat eine feste
Konsistenz. Nur an den Rändern wenige weiche Stellen, aus denen
sich schaumige Flüssigkeit entleert. Die Lymphdrüsen am Hilus ge¬
schwellt und auf dem Durchschnitt von grauroter, derber Konsistenz.
Ebenso verhalten sich die trachealen und bronchialen Lymphdrüsen.
Linke Lunge klein. Blassgraue spiegelnde Oberfläche. Die punkt¬
förmigen Blutungen finden sich nicht, dagegen wohl die Gefässzeich-
nung, wenn auch weniger. Lungengewebe blassbraunrot, überall
lufthaltig. Herdei krankungen nicht vorhanden. Lymphdrüsen im
Hilus wenig geschwellt. Lungenvenen der rechten Lunge leer, haben
glatte Wandungen, ebenso die Arteria pulmonalis. Bronchien glatte,
blasse Schleimhaut, sind ebenfalls leer.
Pathologischanatomische Diagnose: Hypertro¬
phie und Dilatation des Herzens. Endocarditis fibrosa der Mitralis.
Vergrösserung und Starre der rechten Lunge. Lungenödem gering.
Stauungscrgane. Tuberkulöse Lymphadenitis im Mesenterium.
Hydroperikard.
2. Mikroskopischer Befund der rechten Lunge:
Die Alveolargänge sind ausgekleidet mit einer ca. 1,5 ß breiten
Schicht homogenen Materials; nur an wenigen Alveolargängen er¬
scheint sie schmäler oder andererseits auch wieder bedeutend dicker.
In die Alveolen setzt sich die homogene Schicht nicht fort, sondern
schliesst dieselbe gegen den Alveolargang gerade ab oder macht
eine kleine Ausbuchtung nach der Alveole zu. Manchmal ist sie
auch lückenhaft, wie zerbröckelt. Im Inneren des Alveolargange^
finden sich häufig fädige oder nur homogene, aber weniger kompakt',
mehr wolkig fädige Massen, die von dem homogenem Randsaum ge¬
trennt sein können oder in Brücken und Fortsätzen an die innere
Seite der Randschicht anstossen. Während die homogene Rand¬
schicht in allen Alveolargängen der ganzen Lunge vorhanden ist.
fehlen die weniger kompakten zentralen Massen in vielen Alveolar¬
gängen gänzlich, in anderen sind sie gering, in anderen reichlich
vorhanden. Bei Hämatoxylin-Eosinfärbung erscheinen sie blauer als
die das Eosin mässig aufnehmenden homogenen Randschichten. Die
letzteren färben sich bei v. Gieson bräunlich. Beide Arten von
homogener Substanz geben keine Fibrin- und keine Amyloidfärbung.
Die homogene Randschicht hat Zellen in spärlicher Zahl in sich ein¬
geschlossen; meist so. dass 11m die Zellen eine kleine Zone frei >
bleibt. Atanchmal ist nur der Kern der eingeschlossenen Zelle be¬
stimmbar.. Es finden sich häufig grössere, blässere Kerne, die, wenn
ihr Protoplasma erkennbar ist, einen grossen Zelleib aufweisen und
den in Alveolen reichlich vorhandenen abgestossenen Alveolarepi-
thelicn gleichen. Dieselben Zellen liegen auch häufig der homogenen
Schicht vom Alveclenlumen aus zahlreich an. Ein kleiner Teil der
in der homogenen Randschicht eingeschlossenen Zellen entsprechen,
ihren Kernen nach zu urteilen, Lymphozyten. In den wolkig fädigen,
zentral im Alveolargang gelegenen Massen sind zahlreiche Zellen
eingefügt oder angelagert und zwar grösstenteils polynukleären
Leukozyten und zum geringen Teil Lymphozyten und Alveolar-'
epithelien.
Die Alveolargänge sind an manchen Stellen erheblich erweitert,
die Alveolen meist klein. Letztere sind teils leer; häufig enthalten
sie abgestossene Alveolarepithelien, die etwas diffus bräunliche Fär¬
bung besitzen, aber kein deutliches Pigment enthalten, nur selten
Lymphozyten und Leukozyten in grösseren Anhäufungen.
Die kleinen Bronchien sind entweder leer, oder sie enthalten
dieselben fädig-wolkigen Massen wie die Alveolargänge. Die Bron¬
chialwand ist unverändert.
Die beschriebenen homogenen und fädigen Substanzen in
den Alveolargängen sind als geronnenes Eiweiss zu deuten.
Aehnliche Niederschläge sieht man bei Lungenödem, jedoch
mit einer diffusen Anordnung in den Alveolen selbst. Auch ist
der homogene Randsaum der Alveolargänge offenbar älter, er
erinnert in seinem kompakten Gefüge an die hyalinen Eiweiss¬
zylinder der Niere. Ob seine Entstehung auf früher bestan¬
denes Oedem oder auf eine Pneumonia serosa zurückzuführen
ist, mag diskutabel erscheinen. Im ersteren Falle würden!
die jetzt hauptsächlich im Alveolargang vorhandenen Leuko¬
zyten auf eine hinzugetretene entzündliche Reaktion schliesser
lassen.
Es handelt sich also in unserem Falle um eine bei einen
dekompensierten Herzfehler, welcher durch die Behandlung
kompensiert worden war, plötzlich und ohne Vorboten ein¬
setzende schwere Dyspnoe, welche bei zunächst negativen
sonstigen Befunde mehrere Tage anhielt und schliesslich unter
Lungenödem zum Tode führte.
Zum richtigen Verständnis dieses als „Herzasthma" be-
zeichneten und durch seinen typischen Verlauf wohl charak¬
terisierten Krankheitsbildes, welches sowohl von der gewöhn¬
lichen dauernden kardialen Dyspnoe bei inkompensierter
Herzfehlern als auch von der nervösen Tachypnoe bei ge¬
wissen Herzaffektionen wohl zu unterscheiden ist, sei folgende:
kurz rekapituliert.
Die Anfälle von kardialem Asthma entstehen nach dei
allgemeinen Ansicht in den meisten Fällen durch akutt
Schwäche des linken Ventrikels bei kräftig weiterarbeitenden
rechten Herzen, wodurch es zur Blutstauung in der Lunge und
zu verminderter Stromgeschwindigkeit in derselben kommt
R 0 m b e r g [l] gibt an, dass es sich anatomisch gewöhnliel
um eine ausgebreitete Koronarsklerose des linken Ventrikel;
handelt, auf deren Grundlage aus irgend einem Grunde ein»
vorübergehende oder dauernde mangelhafte Blutzufuhr zt
demselben eintritt, im Gegensatz zu der nahe verwandten un-
häufig mit Herzasthma kombinierten Angina pectoris, wo siel
meist zirkumspripte Veränderungen einzelner Gefässpartiei
finden. In der Lunge enstehen abnorme Bedingungen dei
Atmungsmechanik und des Gasaustausches, durch welche dk
Dyspnoe ausgelöst wird. Nach der Lehre v. Baschs unc
seiner Schule (Grossmann u. a.) sollte es infolge Ueber-
1 füllung der Lungenkapillaren zu einer Dehnung der Alveolar-
27. Oktober 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Wandungen und somit zu einer Blähung und Starre der Lungen
kommen. Nach neueren Untersuchungen (S i e h 1 e [2], R o -
m a n o f f 13J) trifft dies jedoch nur im Experiment bei offener
Pleurahöhle zu; bei geschlossenem Pleuraraum dagegen wird
die Lunge zwar starr, die Alveolarwände werden aber, ent¬
sprechend der aUen 1 raub eschen Lehre, nach innen ein¬
gedrückt. Die Gesamtkapazität der Lunge ist also nicht er¬
höht, sondern vermindert, der Blutstrom durch die Lunge ver¬
langsamt und ihre Elastizität erheblich eingeschränkt. Diese
mechanischen Momente einerseits, die mangelhafte Funktion
aes Alveolarepithels und des Endothels der Lungenkapillaren
andererseits bedingen eine Erhöhung der COs-Spannung im
Blute und lösen wahrscheinlich durch zentrale Reizung des
Respirationszentrums die verstärkte Tätigkeit der Atem¬
muskulatur aus. I rotz derselben ist die Atmung in typischer
Weise verflacht — im Gegensatz zu der Hyperpnoe bei der
gewöhnlichen kardialen Dyspnoe.
Asthma cardiale kann übrigens in seltenen Fällen auch
durch ein plötzliches Versagen des rechten Herzens, z. B. bei
Emphysem und bei Kyphoskoliose, ausgelöst werden (R o m -
b e r g).
Es ist eine bekannte klinische Tatsache, dass die gleichen
Ursachen, welche Asthma cardiale hervorrufen, in ihrer
weiteren Entwicklung zu Lungenödem führen. In manchen
hallen kann es sich um ein reines Stauungsödem handeln, wie
es Cohn heim im Tierexperiment hervorrief und wie es
auch klinisch bei bis dahin Herzgesunden bei plötzlicher
schwerer mechanischer Schädigung, z. B. der Aortenklappen,
beschrieben worden ist. Es ist nicht zweifelhaft, dass die
schon vorher bestehende Zirkulationsstörung in den Lungen
Veränderungen setzen kann, welche die Entstehung eines
Stauungsödems auch schon bei weniger hochgradigen
Schwächezuständen des linken Ventrikels möglich erscheinen
assen. Daneben kommen aber Lungenödeme anderer Aetio-
ogie vor, welche die gleichen klinischen — auch asthmati¬
schen! — Symptome hervorrufen, z. B. ein als toxisch auf-
retendes Oedem bei Schrumpfniere. Auch an die Bedeutung
lervöser Einflüsse (neurotisches Lungenödem von J o r e s [4]
sei in diesem Zusammenhang erinnert. Namentlich hat aber
5 a h 1 i [5] schon vor längerer Zeit auf die entzündliche Ent¬
stehung der meisten Fälle von Lungenödem mit Nachdruck
angewiesen. Er hebt hervor, dass das Lungenödem gewöhn-
ich in umschriebenen Herden vorgefunden wird, dass an den
deichen Stellen entzündliche Veränderungen namentlich Stau-
mgsbronchitis, besteht, dass die Lungen meist blass sind, dass
las Oedem oft ganz akut auftritt und ohne erhebliches Sinken
.es Blutdrucks und ohne Erscheinungen von Hirnanämie ver-
äuft. Alle diese Zustände lassen sich klinisch nicht auseinander
iahen, nur dass der Puls be> Asthma und Lungenödem auf
meumonischer Grundlage nach R o m b e r g manchmal anf¬
allend gut ist. Im übrigen gehen entzündliche und Stauungs-
rscheinungen ohne scharfe Grenze in einander über; aus
ledemsputum wird Pneumoniesputum; häufig finden sich
allerlei Uebergänge von Oedem zu eigentümlichen Arten von
’neumonie“ (K r e h 1 [6]), welche ihrerseits fieberfrei oder nur
üt geringfügigen Temperatursteigerungen verlaufen können.
Welche merkwürdige anatomische Bilder dabei entstehen
önnen, beweist der vorliegende Fal], dessen restlose be¬
ledigende Erklärung durchaus nicht ohne weiteres möglich
>t. Der Umstand, dass an den beiden ersten Tagen die Tem-
eratur normal blieb, um erst am dritten Tage anzusteigen,
• iirde für ein primäres Staunngstranssudat sprechen, dessen
yaline Umwandlung durch die lange Dauer des Prozesses
egünstigt wurde und zu welchem sich später ein entzünd-
cher Prozess hinzugesellte. Sehr eigentümlich ist der nor-
lale Befund der linken Lunge! Letztere war durch das
rosse Herz zweifellos in ihrer Exkursionsfähigkeit etwas be-
chränkt. Ob hier ebenfalls ein Oedem bestanden hat und
ieder resorbiert worden ist, lässt sich bei dem gänzlich nega-
ven klinischen Lungenbefund nur vermuten.
Mir lag vor. allem daran, durch die Veröffentlichung des
alles auf das tatsächliche Vorkommen von typischem Asthma
irdiale auch beim Kinde hiermit hingewiesen zu haben, um
cm Symptom den ihm in der kindlichen Herzpathologie ge-
ührenden Platz zu wahren.
Literatur.
,, ... ^ Roniberg: Lehrbuch der Krankheiten des Herzens und der
uetasse. — 2. Sichle: Experimentelles und Kritisches zur Lehre
von der L ungerischwellung und Lungenstarrheit (v. Bosch-
urossmann). Zschr. f. klin. Med. 66. 1908. — 3. Ro man off-
Lxperimente über Beziehungen zwischen Atmung und Kreislauf
Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 64. 1911. — 4. Jores: Ueber
«7PCinnrie,ltc . neurotisches Lungenödem. D. Arch. f. klin. Med.
■i -- 5. S a h 1 i: Zur Pathologie und Therapie des Lungen¬
ödems. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 19. 1885 und: Zur Patho-
logie des Lungenödems. Zschr. f. klin. Med. 13. 1888. — 6. Krehl-
Pathologische Physiologie VII. Aufl. 1912 und: Erkrankungen des
Aus der medizinischen Klinik Wiirzburg.
Durstkur bei Oedemen nicht-renal-kardialer Natur.
(Kurze Mitteilung.)
Von Wilhelm Nonnenbruch.
ln der Behandlung von schweren Kreislaufstörungen mit
Oedemen spielt die Durstkur schon seit langer Zeit eine Rolle.
Durch die Flüssigkeitsbeschränkung kommt es zu einer Er¬
leichterung des Kreislaufes und zu einer Ausschwemmung der
Oedeme. Meist wird gleichzeitig eine Verminderung der Salz-
und Kalorienzufuhr damit verbunden, und man hat gerade diese
Salzentziehung als wesentlich betont. Am bekanntesten ist
die K a r e 1 1 sehe Milchkur geworden, deren Wirkung durch
Lenhartz, Jacob und H e g 1 e r ausführliche Bearbeitung
fand.
Auch die nephrogenen Hydropsien wurden schon frühzeitig
mit Wasserentziehung behandelt. Neuerdings ist vor allem
V o 1 h a r d dafür eingetreten auf Grund seiner Auffassung,
dass die Oedeme des Nephritikers extrarenal bedingt seien,
welche Auffassung wir mit unseren Versuchen an Nieren¬
kranken bestätigen konnten [Magnus-Alsleben *)].
Weniger bekannt ist die Anwendung der Durstkur bei
Oedemen, die ihre Ursache nicht in einer Herz- oder Nieren¬
störung haben. Aber auch hier sind schon früher günstige
Wirkungen verzeichnet worden. So hat H i s -) die exsudative
Pleuritis mit der Karellkur behandelt. Einige günstige Be¬
obachtungen, die wir in dieser Richtung machen konnten,
sollen im folgenden mitgeteilt werden.
.. , ) - , Lall. A. F., 53 Jahre Lymphatische Leukämie. Seit 1 Jahr
Mattigkeit. Seit Mi Jahr Oedem des linken, seit 3 Wochen auch
Oedem des rechten Beines. Weisse Blutkörperchen 600 U00. Dicke
Di iisenpaketc in beiden Leistengegenden. Sehr starke Anschwellung
des linken Beines, des Skrotums und des Penis, geringe Anschwel¬
lung des rechten Beines, leichtes Oedem in den tieferen Teilen des
Rückens. Herz: leises systolisches Geräusch an der Spitze und
Pulmonalis, sonst o. B. Puls 70—80. Die Oedeme wurden teils
als marantische, teils als durch den Druck der Drüsenpakete auf die
Venen der Schenkelbeuge bedingte aufgefasst. Dass auch eine kar¬
diale Komponente mitgespielt hat, ist nicht abzuleugnen, das Wesent¬
liche war sie sicher nicht. In der ersten Zeit der Beobachtung wurde
die Flüssigkeitsaufnahme nicht besonders berücksichtigt. Bei Urin¬
mengen von 110— 1200 ccm mit spezifischem Gewicht 1017—1020 stieg
das Körpergewicht von 74,3 kg auf 78,2 kg (17.— 23. VI. 14). Es
wurde nun die Flüssigkeitsaufnahme beschränkt und zwar zunächst
ohne strenge Kontrolle und ab 3. VII. so, dass die gesamte Flüssig¬
keitsaufnahme genau bestimmt wurde. Pat. erhielt eine Milch- und
Breikost.
Datum
Urinmenge
Spezifisches
Oewicht
Flüssigkeits¬
aufnahme
Körpergewicht
in kg
23. VI.
1200
1020
78,2
3 VII.
2100
1015
900
72,5
4. VII.
1900
1020
1000
5. VII.
1800
1020
1100
6. VII.
1700
1020
900
7. VII.
1200
1018
700
71.1
8. VII.
1100
1020
6. 0
9. VII.
1030
1020
600
10. VII.
1020
1020
600
70,3
11. VII.
1300
1020
600
12. VII.
1400
1020
600
13 VII.
1200
1020
800
14. VII.
1500
1020
600
66,2
Die Wasserausscheidung überstieg also bei weitem die
Flüssigkeitsaufnahme, so dass einer Aufnahme von 600 bis
1000 ccm eine Ausscheidung von 1200 bis 2000 ccm ent¬
sprachen. Die Oedeme verschwanden dabei fast völlig, ohne
dass sich die drückenden Drüsenpakete unter der gleichzeitig
D Magnus-Alsleben: Deutscher Kongr. f. inn. Med. 1914.
') His: Chariteeannalen 34. 1910.
2132
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 43.
betriebenen Radiotherapie bisher merklich verkleinert hatten.
Patient fühlte sich wesentlich erleichtert und konnte wieder
gehen. Ausser Arsen und spärlichen Narkoticis war an Medi¬
kamenten nichts gegeben worden.
2. Fall. K. K.. 25 .Jahre. Pleuritis exsudativa. Eintritt 3. VII. 14,
Gewicht 7h kg. 6. Vli. Punktion: Entleerung von 1000 ccm serösen
Exsudats. Gewicht nach der Punktion 74,6 kg. Bei gewöhnlicher
Kost stieg das Körpergewicht bis zum 13. VII. wieder auf 75,1kg.
Nun wurde eine Durstkur eingeleitet. Die nachfolgende Tabelle gibt
Aufschluss über die Wirkung. Pat. erhielt eine kalorienreiche
Trockenkost neben insgesamt nur 500 — 800 ccm Flüssigkeit in Form
von Milch und Wasser.
Datum
Urinmenge
Spezifisches
Gewicht
Flüssigkeits¬
aufnahme
Körpergewicht
in kg
13. VII
1900
1020
500
75,1
14. VII.
1800
1021
500
15. VII.
1600
1025
600
16. VII.
1200
1028
600
73,3
W. VII.
1400
1025
800
18. VII.
1500
1028
600
73,0
Es kam also zu einer beträchtlichen Mehrausscheidung
von Flüssigkeit gegenüber der Aufnahme und zu einem Sinken
des Körpergewichtes. Klinisch war die Vermindung des Ex¬
sudates dabei nicht sehr deutlich, machte sich aber immerhin
in einem Sinken der Dämpfungszone und in einem Deutlicher¬
werden des Atemgeräusches bemerkbar. Auch subjektiv trat
eine Erleichterung ein.
3. Fall. Frau B. Neoplasma ventriculi. Marasmus. Eintritt
27. III. 14. Bei ungehinderter Flüssigkeitsaufnahme hielt sich das
Körpergewicht 8 Wochen lang zwischen 41,5 — 43 kg, dann stieg es
innerhalb 1 Woche von 43 auf 46 kg. Dabei hatte Pat. Urin¬
mengen zwischen 1200 und 2000 ccm, und es machte sich zusehends am
ganzen Körper ein auffallender Wasserreichtum der Haut bemerk¬
bar. Namentlich das Gesicht und die Augenlider waren von diesem
marantischen Oedem befallen. Keine Höhlenergüsse. Urin o. B.
Am 5. VI. wurde eine Durstkur begonnen. Pat. bekam 500 ccm Milch
und zwei Teller Brei pro Tag. Dabei ging das Gewicht von 46 kg
(2 VI. 14) in wenigen Tagen auf 43 (9. VI. 14), dann in 1 Woche
auf 40,6, in der folgenden auf 40,0 kg (22. VI. 14) herunter, bei
die Flüssigkeitsaufnahme weit übersteigender Flüssigkeitsausschei¬
dung (Harnmengen von 1500— 2000 ccm) und Pat. fühlte sich sehr viel
wohler. Die Oedeme waren geschwunden.
4. Fall. Frl. S., 43 Jahre. Ovarialkystom, hochgradiger Aszites.
Pleuritis Eintritt 19. V. 14. Gewicht 82,3 kg. Sie wurde sofort
auf Trockenkost gesetzt, so dass sie neben ihrer kalorienreichen
Nahrung nur 200— 600 ccm Flüssigkeit aufnahm. Dabei sank das
Körpergewicht auf 77,0 kg bei Urinmengen von 500— 1600 ccm mit
spez. Gew. 1015- 1025, und der Leibesumfang verringerte sich von
118 auf 112 cm.
Am 7. VI. wurden durch Punktion 12 Liter entleert. Pat. fühlte
sich wohl und bei dauernd beschränkter Flüssigkeitszufuhr blieb das
Körpergewicht auf 65 kg. Als aber versuchsweise etwas mehr Flüssig¬
keit erlaubt wurde, kam es alsbald wieder zur Retention, die durch
erneute Durstkur nur langsam korrigiert werden konnte. Leider
wurde diese Besserung durch eine tödliche Lungenembolie jäh unter¬
brochen.
Datum
Urinmenge
Spezifisches
Gewicht
Flüssiekeits-
aufnahme
Körpergewicht
in kg
8. VI.
600
1025
400
9. VI.
400
1026
300
10. VI.
500
1025
450
11. VI.
550
1026
400
12. VI.
650
1024
700
65
13. VI.
600
1024
700
14. VI.
450
1030
700
15. VI.
450
1027
200
16. VI.
351
1029
150
67,6
17. VI. '
450
1026
200
18. VI.
450
1030
200
19. VI.
450
1030
200
20. VI.
520
1028
200
69
21. VI.
550
1026
300
22. VI.
550
1028
350
Das Studium dieser Fälle genügt, um zu zeigen, dass auch
bei Oedemen, die ihre Ursache nicht in einer kardial bedingten
Stauung und nicht in einer durch ein hypothetisches Nierengift
bedingten Gefässschädigung haben, eine verminderte Flüssig¬
keitszufuhr zum Aufsaugen der Oedeme führen kann. Der
Mechanismus ist wahrscheinlich der gleiche wie bei den renal¬
kardial bedingten Oedemen, soweit bei diesen keine renale
Insuffizienz der Wasserausscheidung vorliegt. Das Blut sucht
sich auf seinem optimalen Wassergehalt zu halten, der einer¬
seits durch die renale und sonstige Wasserausscheidung eine
beständige Verminderung, andererseits aus dem Oedetnwasser
einen Ersatz erfährt.
Kasuistischer Beitrag zur Behandlung der Basedow¬
schen Krankheit mittels Röntgenbestrahlung.
Von Dr. Richard Sielmann in München.
Die Basedowsche Krankheit, klinisch charakterisiert
durch die Hauptsymptome Struma, Exophthalmus und Tachy¬
kardie, ist noch sehr unvollkommen erforscht. Während die
einen eine Erkrankung des Sympathikus annehmen, schuldigen
die anderen eine Hypersekretion der Thyreoidea an. Daneben
kommen auch funktionelle Störungen anderer Drüsen mit
innerer Sekretion vor, so z. B. des Ovarium, der Hypo¬
physe etc. So erklärt es sich, dass wir kein einheitliches Bild
der Erkrankung vor uns haben, dass nicht alle Symptome
gleich stark ausgeprägt sind, was zur Aufstellung der sogen.
„Formes frustes“ geführt hat.
Die Vorstellung, dass die Thyreoidea beim M. B. zu viel
Schilddrüsensekret produziere und dem Organismus dadurch
toxische Substanzen zuführe, hat die Röntgentherapie die Wege
geebnet, war doch gleich zu Beginn der Aera der Röntgen¬
therapie von verschiedenen Seiten experimentell der Beweis
erbracht worden, dass gerade drüsige Organe ausserordent¬
lich radiosensibel seien.
Die ersten, die die Röntgentherapie bei Basedow ver¬
suchten, waren Williams, Mayo, Stegmann, Beck,
Krause u. a.
Es würde den Rahmen dieser Abhandlung weit über¬
schreiten, wollte ich alle auf diesem Gebiete erschienenen Ar¬
beiten hier zitieren. Von solchen grösseren Stils seien nur
noch die von Dohan, Schwarz, Rieder und Rave er¬
wähnt.
Schwarz sah bei seinen 40 Fällen während einer durchschnitt¬
lichen Behandlungsdauer von 3 Monaten stets eine Besserung der
nervösen Symptome. Die Tachykardie wurde in 90 Proz. der Fälle,
die Abmagerung bei zwei Drittel, der Exophthalmus bei der Hälfte,
die Struma bei einem Fünftel der Patienten gebessert.
Rieder sah bei seinen 22 Basedowfällen 2 mal vollständige
Heilung, in 7 Fällen allgemeine Besserung, Beeinflussung der Struma,
des Exophthalmus und der Herzbeschwerden, bei weiteren 7 Patien¬
ten subjektive und objektive Besserung, 5 blieben refraktär.
Rave stellte aus der Literatur 321 Basedowfälle zusammen und
konstatiert, dass sich 43 Patienten = 14 Proz. refraktär verhielten,
273 = °/ 7 der Gesamtzahl günstig durch die Röntgentherapie beein¬
flusst wurden, bei 16 Basedowkranken vollständige Heilung erfolgte.
Er kommt zu dem gerechtfertigten Schluss, dass bei M. B„ wenn
keine zur Operation drängenden Erscheinungen vorhanden, die Rönt¬
genbehandlung als gleichwertig mit allen übrigen therapeutischen Me¬
thoden anzusehen ist. Es wird sowohl eine Verkleinerung der Schild¬
drüse als auch ein Zurückgehen der spezifischen Basedowsymptomc,
Besserung des Allgemeinbefindens und Gewichtszunahme erreicht.
Kommt es im Anschluss an eine Operation nicht zur schnellen Besse¬
rung, so kann die Röntgentherapie zur Unterstützung mit Erfolg
herangezogen werden.
Grosses Aufsehen erregte Ende des Jahres 1909 die Basedow¬
debatte in der Wiener k. k. Gesellschaft der Aerzte, in der Holz¬
knecht mit Röntgenstrahlen behandelte Fälle von Struma und Base¬
dow vorstellte und den von Eiseisberg angenommenen Zu¬
sammenhang zwischen den gefundenen Verwachsungen und der Rönt¬
gentherapie auf das Entschiedenste bestritt. Das Resultat dieser De¬
batte war, dass die Röntgenbehandlung bei Strumen abgelehnt, die
des M. B. dagegen von verschiedenen Seiten empfohlen wurde.
Von ausländischen Autoren, die warm für die Röntgentherapie bei
M. B. eintreten, möchte ich noch M i c h a i 1 o w und Pereschiw-
k i n, sowie Ledoux-Lobard und B e I o t nennen. Sie berichten
von ihren Basedowkranken, dass durch Röntgenbestrahlung die
Struma verkleinert, die nervösen Symptome in fast allen Fällen be¬
seitigt bezw. gebessert, eine Gewichtszunahme erfolgt und der Ex¬
ophthalmus deutlich geschwunden sei. B e 1 o t insbesondere be¬
zeichnet die Röntgentherapie als eine mächtige Waffe gegen die
Basedowschen Symptomenkomplexe. Indem sie auf die Sekretion
der Thyreoidea wirkt, vermindert und sistiert sie die Bildung von
toxischen Produkten, welche den Körper überschwemmen. Die Re¬
sultate, welche sie gibt, können trotz der gegenteiligen Behauptung
einiger Autoren den Vergleich mit allen anderen therapeutischen .Me¬
thoden, ja sogar der chirurgischen aushalten.
Die historische Entwicklung der Röntgentherapie bei M. B. wäre
unvollständig, wollte ich nicht zum Schluss eines neuen Weges zur
Heilung dieser Krankheit gedenken, der von M a n n a b e r g - Wien
versucht wurde und zwar durch Bestrahlung der Ovarien. Bei seinen
10 Fällen sah er in der Hälfte den Exophthalmus geringer werden,
einmal ganz verschwinden, die Pulsfrequenz nahm ab, subjektiv stellte
sich Besserung ein.
Aus eigener Erfahrung verfüge ich über 21 Fälle von
M. B., die in den letzten 5 Jahren in meinem Institute mittels
27. Oktober 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2133
Röntgenstrahlen behandelt wurden. Die grösste Zahl der¬
selben sind echte Basedowfälle mit den charakteristischen
Symptomen, die kleinere umfasst die sogen. „Formes frustes“.
Ausser allgemeinen diätetisch-hygienischen Vorschriften
wurde unter Fortlassung jeglicher medikamentöser oder
sonstiger lherapie nur die Behandlung mittels Röntgenstrahlen
in Anwendung gebracht. Ich bediente mich hierbei des Poly-
phosuniversalinduktors mit Simonunterbrecher, einer Poly-
phostherapie- oder Müller sehen Wasserkühlröhre.
Röhre stets hart, parallele Funkenstärke 14—24 cm, als Filter
wurde früher Leder von 0,5 cm Dicke benutzt, seit ca. 1% Jahr
3-mm-Aluminium, im primären Stromkreis 6—8 MA„ im sekundären
im Durchschnitt 0,5 MA. Bestrahlt wurde mittels Dr. Rosenthal-
scher Kompressionsblende, je nach Schwere des Falles, entweder
die Thyreoidea in toto — Tubus von Lumenweite 9—12 cm — oder
in 3 Segmenten (Tubus von 6 cm Lumenweite), Mitte und die beiden
Seitenlappen unter genauester Abdeckung der jeweils nicht zur Be¬
strahlung kommenden Teile durch Müller sehen Schutzstoff in
doppelter Lage. Bei etwas ängstlichen Patienten bedienten wir uns
zur Abdeckung mit Vorteil der Leukoplastbleifolie. Hautabstand
24 — 28 cm. Jede Stelle erhielt 8 — 10 x, gemessen nach Holz-
knecht-Sabouraud; Pause von 3 Wochen.
Die Dauer der Behandlung schwankt zwischen 6 Wochen
und 6 Monaten, bei den nicht selten auftretenden Rezidiven
erneute Bestrahlung, die dann kürzer sein darf. Ich habe bei
dieser Iechnik niemals eine Röntgendermatitis gesehen, nicht
einmal Bräunung der doch sonst so empfindlichen Halshaut.
Demnach scheint die Gefahr für die Haut nicht sehr gross zu
sein. Gegen die Röntgentherapie des M. B. wird verschiedent¬
lich ins Feld geführt, dass Verwachsungen entständen, die eine
später etwa notwendige Operation komplizieren. Nun scheint
aber nicht in allen Fällen diese Verwachsung einzutreten, denn
wir sahen früher nach erfolgloser Röntgenbehandlung Strumen
operieren, die keine Verwachsungen zeigten. Von meinen
21 Fällen erforderte einer — es wird später auf denselben
zurückzukommen sein — die Operation, die trotz lange Zeit
fortgeführter Röntgenbehandlung ohne Komplikation vor sich
ging.
Die Besserung der einzelnen Symptome erfolgte zuweilen
»ehr schnell, schon nach 3—4 Bestrahlungen. Das ist vielleicht
>o zu erklären, dass die angehäuften toxischen Stoffe in der
1 hyreoidea schnell zerstört und so einer weiteren Vergiftung
les Organismus vorgebeugt wurde. Dann folgt ein Stillstand
m Fortschreiten der Besserung und erst nach längerer Zeit —
/ielleicht erst nach Zerstörung eines Teils der hypersezer-
tierenden Thyreoidea — war der Erfolg wieder zufrieden¬
stellend. Nur wenige Patientinnen (nur um solche handelt es
ich bei meinen Fällen) klagten über Schwindel oder sonstige
inangenehme Symptome nach der Bestrahlung.
Von den 21 Basedowfällen zeigte sich nur einer gegen
Röntgenbestrahlung vollständig refraktär. Ein zweiter besserte
ich anfangs, dann aber verschlimmerten sich die Symptome,
o dass von weiteren Bestrahlungen Abstand genommen
verden musste. Als vollständig geheilt darf ich wohl 4 Fälle
nsehen, darunter 2 seit 4'A Jahren, 2 seit 2 Jahren. Von den
estierenden 15 Fällen haben sich 7 bedeutend gebessert, so
ass kaum noch Symptome der Erkrankung übrig geblieben
ind, während 8 nur zeitweilige Besserung zeigten. Monate-
ing sind sie allerdings beschwerdefrei, dann tritt wieder ein
eil des belästigenden Symptomenkoniplexes auf, der aber auf
inige kürzere Bestrahlungen prompt zurückgeht. In den
leisten Fällen erfolgte Körpergewichtszunahme. Den Hals-
mfang sah ich um 2 — 4 cm sich verkleinern. Die Tachykardie
erschwand bzw. besserte sich in fast allen Fällen, am längsten
ielt sich bei den echten Basedowfällen der Exophthalmus,
och sah ich auch diesen in 5 Fällen vollständig zurückgehen.
Ohne auf die einzelnen Krankengeschichten hier des
äheren einzugehen, möchte ich 2 Fälle herausgreifen, die ganz
esonders, wenn auch nach verschiedenen Richtungen hin, den
utzen der Röntgenstrahlen bei M. B. dokumentieren sollen.
In dem ersten Falle handelt es sich um ein 20 jähriges junges
ädchen, das seit dem 8. Jahre an Herzklopfen leidet. Starke Blässe
;s Gesichts und der Schleimhäute insgesamt. Starker Tremor,
-ichte Ermüdbarkeit der Muskeln, Beschwerden beim Gehen, ge-
hwollcne Füsse, Herzdilatation. Struma, Halsumfang 42 cm, Ex-
'hthalmus, Tachykardie, 120 — 160 Pulsschläge p. M. Nach 4 Rönt-
nbestrahlungen hat die Müdigkeit nachgelassen, Halsumafng ist auf
cm zurückgegangen. Nach dreimonatlicher Behandlung — drei-
Nr. 43.
wöchige Pausen eingeschaltet — ist der Puls auf 80—84 p. M. ge¬
sunken. Patientin macht bereits grössere Spaziergänge. Nach Ver¬
lauf eines weiteren Vierteljahres ist der Halsumfang 38 cm; Puls
80 p. M„ es werden sogar kleinere Bergtouren ohne Beschwerden
ausgeführt, der Exophthalmus ist verschwunden. Die Teleaufnahme
des Cor vor und nach der Behandlung lässt eine Differenz von 2 bis
3 cm erkennen. Patientin hat ein blühendes Aussehen, ist körperlich
und geistig leistungsfähig geworden. Der ganze Verlauf der Erkran¬
kung wurde von dem Hausarzte der selbst 2 mal wegen M. B.
strumektomiert werden musste, mit grösstem Interesse verfolgt und
bis in die kleinsten Details beobachtet, unter voller Bestätigung obi¬
ger Angaben.
Der zweite Fall dokumentiert nach einer anderen Richtung
hin die günstige Wirkung der Röntgenstrahlen bei M. B.
Es handelt sich hier um ein 51 jähriges Fräulein, deren Be¬
schwerden 1 Jahr zurückdatieren und anscheinend mit dem Klimak¬
terium zusammenfallen. Puls 130—150 p. M., Struma mittlerer
Grösse, 39 Y> cm Halsunifang. Exophthalmus, starker Tremor, starke
Herzbeschwerden. Nach 10 Bestrahlungen Puls 100 p. M„ Hals¬
umfang 37 '/> cm, Exophthalmus weniger stark ausgebildet. Nach wei¬
teren 6 Bestrahlungen fühlt sich Patientin vollkommen gesund. Puls
80 p. M., Halsumfang 35 Vi cm. Die Besserung hält nur 4 Monate an,
dann plötzlich Auftreten stürmischer Erscheinungen, schlimmer als zu
Beginn der Erkrankung. Patientin verlangt und erhält die Operation.
Nach der Strumektomie ein halbes Jahr lang vollkommen arbeits¬
fähig, dann wiederholt sich das Spiel, der ganze Symptomenkomplex
stellt sich wieder ein, Iachykardie, Jremor etc. Einige Röntgen¬
bestrahlungen, zu denen Patientin nun wieder mehr Vertrauen hat,
bringen bedeutende Besserung ihres Zustandes. Patientin ist wieder
arbeitsfähig geworden.
Aus diesem Falle können wir zweierlei lernen:
Erstens, dass die Operation nicht immer zum Ziele führt,
was ja nur natürlich ist, da ich schon einleitend bemerkte, dass
bei M. B. ausser der Hypersekretion der Thyreoidea auch
funktionelle Störungen anderer Drüsen mit innerer Sekretion
nebenhergehen können und eine Strumektomie auf etwaige
Veränderungen eines Ovars oder der Hypophyse natürlich
keinen Einfluss haben kann.
Zweitens aber sehen wir, dass nach erfolglos ausgeführter
Operation der M. B. durch Röntgenstrahlen noch günstig zu
beeinflussen ist.
Wir sind, den Verlauf der Erkrankung bei unserer
Patientin verfolgend, wohl zu der Annahme berechtigt, dass
die Röntgenstrahlen allein nicht imstande waren, die Hyper¬
sekretion der Thyreoidea und damit die in den Organismus
eingedrungenen toxischen Substanzen zu beseitigen. Ebenso¬
wenig wurde durch die Operation allein Erfolg erzielt. Nach
Ausführung der Strumektomie dagegen vermochten die
Röntgenstrahlen die vielleicht auf die Hälfte oder ein Drittel
ihres Volumens reduzierte Thyreoidea in ihrer Hypersekretion
soweit zu beschränken, dass toxische Stoffe nicht mehr produ¬
ziert wurden und der ganze Symptomenkomplex des M.B. ver¬
schwinden konnte. Diesem Gedankengang hat Beck schon
im Jahre 1905 Ausdruck verliehen, indem er bei leichten Fällen
neben allgemeiner Therapie eine energische Röntgenbehand¬
lung, in schwereren Fällen nach halbseitiger Schilddrüsen¬
exstirpation postoperative Röntgenbehandlung anriet. Bezüg¬
lich der letzteren ist Rave, wie schon vorhin ausgeführt, der¬
selben Ansicht.
Aus meinen Ausführungen dürfte zur Genüge hervorgehen,
dass die Röntgentherapie bei M. B. gefahrlos zur Anwendung
gelangen kann, und zwar nicht nur bei leichten, sondern auch
in schwereren Fällen. Jedenfalls ist sie vor Ausführung der
Strumektomie versuchsweise in Anwendung zu bringen, da
diese Operation, auch in der Hand eines erfahrenen Chirurgen,
immerhin ein gewisses Risiko in sich schliesst.
Zusammenfassung.
1. Jeder Fall von M. B. ist, nach Versagen der medikamen¬
tösen und sonstigen Behandlung, der Röntgentherapie
zuzuführen, da bei Beherrschung der Technik Haut¬
schädigungen mit grösster Wahrscheinlichkeit zu ver¬
meiden sind und etwaige Verwachsungen, die eine nach¬
folgende Operation komplizieren, nicht in jedem Falle
aufzutreten brauchen.
2. Bei Versagen der Röntgentherapie tritt die Operation in
ihre Rechte.
3. Hat auch die Operation keinen vollen Erfolg, ist
wiederum Röntgentherapie indiziert.
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 43.
J1 34
Literatur.
Bcck-Nevv York: B.kl.W. 1905 Nr. 20. — B e 1 o t - Baris:
Strahlentherapie 3. 1913. H. 2. — D oh an- Wien: Verh. d. D. Rönt¬
genges. 3. 1907. — H o I z k n e c h t - Wien: Fortschr. d. Röntgenstr.
3. 1907. — lwano w: Russky Wratsch 1909 Nr. 25; Ref. Fortschr. d.
Röntgenstr. 14. H. 6. — Michailow: Praticzesky Wratsch 1910
Nr. 10, 11; Ref. M.m.W. 1910 Nr. 32. — M a n n a b e r g- Wien:
W.klAV. 1913 Nr. 18. — Pereschinski: Russky Wratsch 1911
Nr. 35; Ref. D.m.W. 1911 Nr. 44. — Rave - Berlin: Zschr. f. Röntgenk.
13. 1911. H. 2 u. 3. — S c li w a r z - Wien: W.kl.W. 1908. Nr. 38;
Zschr. f. Röntgenk. 12. H. 3; Fortschr. d. Röntgenstr. 15. H. 5.
Aus dem Sanatorium für innere und Nervenkrankheiten in
Konstanz (Dr. Büdingen).
Ueber isolierte Perichondritis des Prozessus ensiformis.
Von Dr. Edgar R u e d i g e r, Oberarzt.
Im Verlauf einiger Jahre habe ich in drei Fällen eine
isolierte Perichondritis des Processus ensiformis beobachtet,
die von keinerlei sonstigen Erkrankungen der Rippen oder' des
Brustbeins begleitet war, auch waren solche nicht voraus¬
gegangen. Die Falle waren durchaus verschiedenartig, so
dass die Genese der Veränderung nicht ohne weiteres zu
deuten war. In der mir zugänglichen, allerdings nicht sehr
reichhaltigen Literatur fand ich etwas ähnliches nicht und gebe
deshalb im folgenden nur ganz kurz die Befunde.
Frau X., 48 Jahre alt. Schon seit Jahren bestehende schwere
Myokarditis, in den letzten Monaten reichlich Stauungserscheinungen, j
Cor perkutorisch im Transversaldurchmesser ca. 18 cm, der Puls j
meist über 110 bis zu 140, stark arhythmisch, inäqual. Dyspnoe, i
Aszites, starke Leberstauung mit subikterischer Verfärbung des gan¬
zen Körpers, besonders des Gesichts, Transsudate in beiden Pleuren.
Die Pat. klagte eines Tages über einen unangenehmen, seit einigen
l'agen bestehenden Schmerz im Angulus cpigastricus, sogar den Druck
der Decke könne sie nicht ertragen. Die Palpation ergab eine sehr
starke Druckempfindlichkeit in der Fossa epigastrica, die in Aus¬
dehnung dem Prozessus ensiformis entsprach, eine Gestaltverände¬
rung konnte ich durch die reichlich starken Bauchdecken hindurch
nicht wahrnehmen. Der Druckschmerz erreichte nach einigen Tagen
den Höhepunkt und klang dann im Verlauf von 2 Wochen ab.
Im 2. Falle handelte es sich um einen Arbeiter, der wegen einer
Geschwulst am Magen, „die man deutlich fühlen könne“, in die
Sprechstunde kam. Bei dem 28 jährigen mageren Pat. konnte man
deutlich einen sehr langen Processus ensiformis fühlen, der einen sehr
dünnen Hals hatte, so dass das Korpus, das in diesem Falle entzünd¬
lich geschwollen war, leicht als selbständige Geschwulst imponieren
konnte. Auch hier bestand starke Druckschmerzhaftigkeit, äusser-
lich war keine Veränderung zu sehen, insonderheit keine Spur eines
Traumas; der Pat. hatte vor ca. 8 Monaten Syphilis akquiriert,
zeigte noch deutliche Drüscnschwellung, besonders der Kubitales.
Auch in diesem Falle heilte die Perichondritis in einigen Tagen ab
tPinselung mit Jodtinktur).
Im 3. Fall handelt es sich um einen Pat. der Anstalt. Akademi¬
ker, 48 Jahre alt, vor 25 Jahren Lues, die sehr lange und gründlich
behandelt wurde. Vor 4 Jahren leichte stenokardische Anfälle, die
seit einem Jahr viel heftiger geworden sind. Bei den Anfällen
schmerzhafte Ausstrahlungen in den linken Arm bis ins Handgelenk.
Im Anfall hilft Nitroglyzerin ziemlich prompt. Inunktionskur, Jod.
Während des Aufenthaltes in der Anstalt klagt Pat. eines Tages
über Druckschmerz im Angulus epigastricus. Die Palpation ergab
auch hier ein langes Kollum des Processus ensiformis, welches in
einen rundlichen Tumor übergeht. Die Haut über diesem Tumor war
nicht verändert. Die Entzündung lief nach einer Woche allmählich
ab. Am Herzen war gar kein abnormer Befund zu erheben, ab¬
gesehen von einem etwas paukenden 1. Ton an der Spitze und einem
sehr leisen 2. Aortenton.
Der Pat. ging ca. 6 Wochen später an Lungenödem zugrunde,
bei der Sektion, die anderen Orts ausgeführt wurde, fand sich eine
Aortitis luetica mit vollkommenem Verschluss des Lumens der rech¬
ten Arteria coronaria.
Bezüglich der Entstehung der Erkrankung kann ich keine
Angaben machen. Während im 2. Fall, in dem es sich um
einen Gasarbeiter handelte, eine Verletzung wohl möglich ist,
ist sie doch nicht sehr wahrscheinlich, da die Arbeiter unter
dem Einfluss unserer Unfallgesetzgebung jedes und auch das
kleinste Trauma sehr prompt registrieren. Im 1. und 3. Fall
war ein Trauma vollkommen auszuschliessen, da die Patientin
(Nr. 1) bereits monatelang zu Bett lag und so jede Ver¬
anlassung zu einer Verletzung fehlte, der 3. Patient aber be¬
fand sich ebenfalls schon mehrere Wochen im Sanatorium in
Beobachtung und stellte jedes Trauma ganz bestimmt in
Abrede.
Im 2. und 3. Fall war Lues vorausgegangen, allerdings lag
sie im zweiten nur wenige Monate, im dritten 25 Jahre zurück.
Im 1. Fall der schweren Myokarditis war eine syphilitische
Infektion nach der Anamnesis mariti et matrimonii auch nicht
unwahrscheinlich.
Man könnte somit immerhin an eine syphilitische Pro¬
venienz der beschriebenen Veränderung denken, doch möchte
ich diese Aetiologie nicht als absolut sicher bezeichnen. Viel¬
leicht stehen anderen Ortes ähnliche Beobachtungen zur Ver¬
fügung.
Auffallend häufig findet man auch Gestaltsveränderungen
des nicht entzündlich veränderten Schwertfortsatzes, starke,
nach vorn konvexe oder konkave Wölbung und merkwürdige
Torsionen, welche vielleicht auf früheren Perichondritiden
zurückzuführen sind.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Zur Diagnose der kindlichen Tuberkulose.
Von Dr. Karl Ernst Ranke in München.
(Schluss.)
Diese Symptomtrias — die Härte, das Verlieren
der rundlichen Kontur und die Fixation an der Um¬
gebung — sind auch unabhängig von der Grössefür
eine ablaufende Drüsentuberkulose charakte¬
ristisch. Sie kommen den übrigen Drüsenerkramuingen meiner
Erfahrung nach nicht zu. Sie fehien z. B. bei den Drüsen nach
Scharlach oder bei Pedikulosis. Am ehesten zeigen sich verwandte
Erscheinungen an der direkt unter der Tonsille gelegenen Drüse bei
der chronischen Tonsillenhypertrophie. Der andauernde entzündliche
Reiz scheint hier ähnliche Verhältnisse zu schaffen — ob mit oder
ohne latente Tuberkulose ist natürlich nicht zu entscheiden. Doch
ist dann meiner Erfahrung nach nur die oberste subtonsillare Drüse
allein induriert. Aus anderer Ursache markig geschwellte Drüsen
werden bei der Rückbildung sehr rasch welk ohne zu indurieren.
und zeigen auch keine Fixation.
Von grösstem klinischen Interesse ist ferner der Nachweis einer
Schwellung im Bereich der bronchopulmonalen Drüsengruppe. Diese
Drüsen sind dem palpierenden Finger nicht zugänglich, ihre Ver¬
änderungen sind daher viel schwerer nachweisbar. Am leichtesten
und sichersten lassen sie sich auf dem Röntgenschirm oder der
Röntgenplatte kontrollieren. Die dafür charakteristischen Röntgen¬
bilder werden Ihnen im Laufe dieses Kurses eingehend vorgefübrt
werden. Ich kann daher hier nur die Aufgabe haben, die physi¬
kalische Diagnose zu besprechen.
Es ist selbstverständlich, dass die eben für die Halsdrüsen ge¬
schilderten Veränderungen sich auch in • den bronchopulmonalen
Drüsen wiederholen. Das für die physikalische Diagnose Wichtigste
ist dabei die Volumenzunahme der Drüsen selbst und die Erschei¬
nungen der entzündlichen Durchtränkung der Umgebung.
Schon bei mässiger Schwellung (kontrolliert durch das Röntgen¬
bild) lässt sich das Auftreten kompakter Gebilde in der Hilusgegend
ohne besondere Schwierigkeit als Dämpfung nachweisen. Allerdings
bedarf es dazu eines ganz ruhigen Raumes und einer genauen Kennt¬
nis der topographischen Perkussion der Lunge.
Wenn wir am Rücken, von unten angefangen, nach oben per-
kutieren, so erhalten wir schon wenig über der untersten Grenze
des Lungcnschalls bei gesunder Lage einen tiefen, vollen Ton, der sich
nach oben zunächst nur wenig verändert. Haben wir ein ganz
gesundes Kind vor uns (die Verhältnisse beim Erwachsenen sollen
später noch berührt werden), so setzt sich dieser tiefe und volle Ton
nach aufwärts fort bis zur Höhe der Spina scapulae. Es ist not¬
wendig, dabei auf den tiefsten Ton zu achten, der in dem Tongemisch
überhaupt enthalten ist. Dieser tiefste Ton bleibt also, wenn er auch
nach oben etwas leiser wird und dadurch im Klangcharakter etwas
zurücktritt, doch bis zur Spina scapulae hörbar. Hier erfolgt dann
ein plötzlicher Umschlag der Tonqualität; der Ton
wird wesentlich heller, ohne wirklich gedämpft zu werden; er bleibt
also relativ voll, nur sind die tiefsten Töne aus ihm fortgefallen.
Man hört den Unterschied sofort, wenn man zuerst nur unten, dann
gleich über der Spitze perkutiert. Der Unterschied ist bei jeder
Perkussion wahrnehmbar, die den bestimmenden Bedingungen ent¬
spricht, also unabhängig von der Stärke der Perkussion. Eine ge¬
wisse musikalische Schulung ist für die Wahrnehmung der Tonu.üer-
schiede sehr förderlich; doch bleiben sie auch dem Nichtmusikalischen
ohne weiteres demonstrierbar. ^
Wenn wir auf der Rückenfläche von unten nach oben perku-
tieren. entsteht also eine typische Tonfolge, die mit einem vollen und
tiefen Ton beginnt, der in der interskapulären Gegend durch die
Zwischenlagerung der Schulterblattmuskeln zwar eine geringe Ab¬
nahme dieser Qualitäten zeigt, aber ohne dass die tiefsten Töne ganz
in Wegfall kommen und der erst an der Spina scapulae plötzlich in
Oktober l$14.
MUHNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIF'
einfn böseren, aber trotzdem nicht gedämpften, vergleichsweise
vol,en °" «mschlagt. Es entsteht so eine Art von Melodie, die
man am normalen Kind sich gut herausperkutieren und einprägen
,ka"n Prerf. n?nUT,SCi,laK Crf0lKt scllr häufiK rechts etwas irüher als
hnks. Er fallt örtlich zusammen - abgesehen von einer Aenderung
der Perkuss.onsnchtung- mit der Grenze zwischen Überlappen und
Unterlappen und wir wollen daher — ohne jede Präiudiz für HiV
wirkliche Ursache des Tonunterschieds — den unteren tiefen als den
Lnterlappenton, den oberen hellen als den Oberlappenton bezeichnen.
Durch die genaue Kenntnis dieser Verhältnisse wird man in der
Perkussion unabhängig von der sog. symmetrischen Perkussion, die
b's' ienr ™ klinischen Unterricht fast ausschliesslich gelehrt zu wer-
tiz -’ d' u'-«lS0 vo51 Ver5leich c,es Tones symmetrischer Stellen
beider Körperhaften. Es wird damit möglich geringfügige Verände¬
rungen, auch wenn sie auf beiden Seiten gleich weit oder nahezu
gleichweit ausgebildet sind, zu erkennen.
. !s,l.f?cun ®in.e ausgesprochene Veränderung der bronchopulmo¬
nalen Di usen beim Kinde vorhanden, so ergibt sich eine leicht wahr-
nS?nerA?nderUl1S dtlc,ser.: normalen Melodie. Auf den normalen
v°lea Lnterlappenton folgt in der Interskapulargegend eine relativ
•-mC’ difren 7?.n die tiefsten Komponenten des Unter¬
lappentons nicht mehr enthalt. Bei reinen Hilusveränderungen folgt
ui"n ul?er der gedampften Partie der normale Oberlappenton. Das
Wesentliche ist also, dass bei Schwellung der Hilusdrüsen der Um-
Äih PrwtT cUnt,erIapPenton. den Oberlappenton nicht mehr
plötzlich erfolgt, sondern dass sich zwischen beide eine Region mit
relativ gedampften Perkussionston einschiebt. Es ist selbstverständ¬
lich, dass diese Erscheinung nur dann diagnostisch verwertbar ist
wenn sie ganz deutlich wahrgenommen werden kann.
In den leichteren Fällen ist diese Hilusdämp-
t u n g auf demRücken des Kindes nicht von einer
D a mp fung neben dem Sternum begleitet. Es entspricht
das durchaus den anatomischen Verhältnissen. Die leichteren
Lungendrusentuberkulosen beschränken sich meist auf die Hilus-
gegend und führen nicht zu einer nennenswerten Veränderung im
voideien Mediastinum. Veränderungen in dem normalerweise papier-
dünnen vorderen Mediastinum, die bis zu einer Verdrängung der
vorderen Lungenränder führen, pflegen sich nur bei ganz schweren
Drusenerkrankungen einzustellen.
Die geschilderte reine Hilusdämpfung ist kein
Zeichen einer aktiven Tuberkulose. Wo sie allein vor¬
handen ist also anderweitige perkutorische Veränderungen und aus¬
kultatorische Erscheinungen ganz fehlen, ist sie vielmehr ein Zeichen
einer abgelaufenen oder doch inaktiven Erkrankung. Beim Erwach¬
senen gehört eine geringe Hilusdämpfung zur normalen Melodie. Bei
ihm ist also der plötzliche Umschlag an der Spina scapulae nicht
mehr die Regel. Wo er vorhanden ist, ist er ein willkommenes
Zeichen einer auch im Hilusgebiet noch unveränderten Lunge. Ge-
mge interskapuläre Dämpfungen aber sind beim Erwachsenen ledig-
ich das Korrelat der wohlbekannten Hilusschatten und -stränge, die
a auch zum normalen Röntgenbild des Erwachsenen, gehören, und die
■nit einiger Wahrscheinlichkeit mit indurierenden Prozessen anthra-
kotischei Herkunft oder abgelaufenen tuberkulösen Prozessen Zu¬
sammenhängen.
,, , kann hier nur nebenbei bemerkt werden, dass ausser der
luberkulose auch der Keuchhusten typische Hilusdämpfungen macht,
sie hat aber dann stets einen sehr deutlichen tympanitischen Bei-
slang, der sich aus der stets nachweisbaren Lungenblähung beim
Keuchhusten ergibt und bei tuberkulöser Hiluserkrankung fehlt. Diese
ympanitische Hilusdämpfung bei Keuchhusten findet sich bei Er¬
wachsenen wie bei Kindern ganz gleichartig. Sie ist so charakte¬
ristisch, dass mir mehrfach die Diagnose schon allein aus dieser
-rscheinung möglich war. Eine aktive Hilustuberkulose zeigt ausser
ler Hilusdämpfung noch weitere Veränderungen. Die noch
risch entzündeten Drüsen verursachen in ihrer
Jm ge bring eine entzündliche Kongestion. Dadurch
vird mcht nur die Hilusdämpfung vermehrt, sondern es wird meist
iuch die Atmung der oberen Lungenpartien behindert, die deshalb die
-eichen der geringeren Durchlüftung und Erschlaffung, d. h. also eine
geringe diffuse relative Dämpfung mit tympanitisenem Beiklang,
eigen können, ohne dass sie selbst erkrankt zu sein brauchen. Zum
o l entwickelten Bild gehören aber auch sehr charakteristische aus-
;ultatorische Erscheinungen.
Wir finden dann die Symptome einer chronischen Bron-
hitis vorwiegend der grossen Bronchien im
G lusgeb1 et, ein bisher nicht beschriebenes Krankheitsbild, dem
:h den Namen Hiluskatarrh gegeben habe. Man hört dann
n Interskapularraum, also vorwiegend im Bereich der geschilderten
ampfung Giemen oder mittelblasiges oder grobblasiges Rasseln,
iuch das Qiemen stammt dabei nach Tonhöhe und Klangcharakter
us den grösseren Bronchien des Hilusgebietes. Bei geringgradigen
eränderungen ist nur dieses Giemen, und auch dieses ausschliesslich
71 J ’|ys*ensf°ss hörbar. Eine Lungenuntersuchung ist demnach
uch beim Kinde erst dann vollständig, wenn an jeder Lungenpartie
. t und ohne Husten auskultiert wurde. Bei ganz jungen Kindern,
noch nicht auf Verlangen zu Husten vermögen, kann deshalb eine
ir alle Eventualitäten zureichende Lungenuntersuchung überhaupt
icht vorgenommen werden.
Ausser diesen Zeichen einer katarrhalischen Sekretion in den
Bronchien des Hilusgebiets findet man, wie schon erwähnt, sehr
nautig, dass sich die Bronchitis vom Hilus her nach oben oder nach
unten gegen die Peripherie zu fortsetzt. Wir haben dann ausser der
amusen Dampfung die Erscheinungen einer katarrhalischen Affektion
tuiemen, Rasselgeräusche, rauhes Atmen) auch über diesen Partien.
, s lst ni(j}ff unwahrscheinlich, dass diese Symptome von seiten der
i-unge selbst zum Teil dadurch verursacht sind, dass in diesen Par-
n!fn*- -ure Lungenherde verborgen sind, die eine entzündliche Kon-
gestion ihrer Umgebung verursachen. Theoretisch ist eine reine
nilusdrusenerkrankung ohne Lungenherd schwer denkbar, nach
unseren bisherigen anatomischen Kenntnissen auch nicht sehr wahr-
scnemlich. Dass die zugehörigen Lungenherde so sehr häufig kli¬
nisch nicht nachweisbar sind, kommt wohl daher, dass diese Herde,
wenigstens bei den leichteren Hiluserkrankungen, oft sehr gering-
ugig sind. Die bronchitisch erkrankten Lungenpartien zeigen, wie
sciion erwähnt, sehr häufig neben rauhem Atmen eine leichte Ab-
schwachung des Perkussionstons mit tympanitischem Beiklang. Sie
sind also neben der entzündlichen Kongestion auch erschlafft. Auch
das nm-e !?* e^enfalls zu, beobachtende Nachschleppen beweist, dass
,iei der Atmung SiCu nur ungenügend beteitigen. Es muss nicht
ntitfV „eiIlzel,nen namentlich wenn keine Röntgenplatte er-
IpKa h offengelassen werden, ob man diese ungenügende Lüftung
neben der entzündlichen Kongestion durch kleine Lungenherde auch
durch eine Behinderung der Luftzufuhr durch das Vorhandensein von
HUnJtJ" nCn zufuhreLnden Bronchien, d. h. also dem eigentlichen
Hiluskatarrh verursacht wird. Sind Lungenpartien derart in Mit-
eidenschaft gezogen, so hört man auch meist über ihnen „fortgeleitet“
das sonst nur interskapular direkt über dem Hilusgebiet hörbare
Giemen Die Hi usbronchitis setzt sich dann also in diese Partien
hinein kontinuierlich fort, ein typisches Bild, das auch dem ana¬
tomischen Befund entspricht.
oli , Lbdiso wie wir es für die Halsdrüsen beschrieben haben, kann
auch der Hiluskatarrh seine Intensität periodenweise wechseln In
den ausgesprochenen Fällen bleibt aber auch in den ruhigeren Perio¬
den ein Rest der katarrhalischen Erscheinungen über lange Perioden
nachweisbar und mit ihm der anhaltende Hustenreiz, der
d Ue Sfe 1 u s~ua}. arJh_,e so charakteristisch’ ist.
Dieser Hustenreiz quält die Kinder und beängstigt die Eltern und ist
meist der Grund, der die Kinder zum Arzt führt. Schwere Hilus-
tuberkulosen führen häufig zu einem ganz exzessiven Hustenreiz so
dass sogar Verwechslungen mit Keuchhusten möglich werden Auch
asthmaahnhehe Zustände können sich ausbilden. Das alles ist sehr
wohl verständlich, denn wir haben es mit einer dauernden Entzün¬
dung in der Nahe der Bifurkation, d. h. also gerade der Gegenden des
öronchialbaums zu tun, die den heftigsten Hustenreiz auszulösen
vermögen. Die weiteren Veränderungen sind dann auch an den
nilusdrusen ganz die gleichen, wie wir sie schon für die Halsdrüsen
beschrieben haben. Es tritt also entweder die Abszedierung und der
Durchbruch durch die Drüsenkapsel ein, wobei die Entleerung meist
in einen Bronchus stattfindet, oder die Drüsen bilden sich allmählich
zurück, wobei sie mehr oder weniger fest mit der Umgebung ver¬
lötet werden. Solche Hilusdrüsendurchbrüche sind durchaus nicht so
selten als sie diagnostiziert werden; sie können sich auch ohne be¬
sonders stürmische klinische Erscheinungen ausbilden, und sie können
ebenso wie der Durchbruch irgendeiner anderen skrophulösen Drüse
auch in der Lunge zur Heilung oder zu der Ausbildung von Bron-
chiektasien im Hilusgebiet führen. Ebenso wie bei abszedierenden
und ausheilenden skrophulösen Drüsen habe ich auch bei solchen gut¬
artig ablaufenden schweren Hiluskatarrhen die Tuberkulinreaktion
einige Male ganz besonders intensiv gefunden.
Das pathognomonische Bild der aktiven tuberkulösen Erkran¬
kung der Lungenwurzeldrüsen beim Kinde setzt sich demnach zu¬
sammen.
1. aus der typischen Hilusdämpfung und
2. aus dem beschriebenen Hiluskatarrh.
Bei ihrer Kenntnis bietet die Diagnose keine wesentlichen
Schwierigkeiten. Sie ist keinesfalls schwieriger als diejenige der
beginnenden Phthise des Erwachsenen. Ihre Erkennung ist aber des¬
wegen so ganz besonders wichtig, weil diese Kinder durch ihre
luberkulose doch erheblich mehr gefährdet sind als bei völligem
Freibleiben der Lungen. Solange die Hilusdrüsen klinisch allein er¬
krankt sind, ist übrigens die Prognose auch des Hiluskatarrhes im
allgemeinen eine günstige. Der Verlauf ist zwar immer ein langwieri¬
ger, doch ist die Abheilung unter einigermassen günstigen Verhält¬
nissen die Regel.
Wesentlich verschlechtert wird die Prognose durch das Vor¬
handensein von nachweisbaren Lungenherden. Es ist deshalb not¬
wendig, hier noch einige Worte über ihren Nachweis zu sagen.
Der Hauptunterschied gegenüber den phthisischen Erkrankungen des
Erwachsenen ist durch die viel stärkere Mitbeteiligung der Um¬
gebung, also die stärkere perifokale Entzündung in
der Lunge verursacht. Während kleine phthisische Veränderungen
nahezu reizlos in gut atmendem Gewebe liegen können, findet man
bei der kindlichen Tuberkulose stets eine diffuse Bronchitis in der
weiteren und häufig katarrhalisch pneumonische Veränderungen in
der näheren Umgebung des Herdes. Mit der Abheilung, aber auch
dem Inaktivwerden, treten diese perifokalen Entziindungserschei-
nungen wieder ganz zurück. Der physikalische Lungenbefund ist
deshalb in kurzen Perioden bei der Kindertuberkulose sehr viel
grösseren Schwankungen unterworfen als beim Erwachsenen. Man
2136
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 43.
findet nicht selten, dass ein Kind, bei dem anscheinend ein ganzer
Lappen von der Tuberkulose ergriffen war, nach einer relativ kurzen
Kur auch im physikalischen Befund ganz erstaunlich gebessert ist.
In solchen Fällen ist dann die perifokale Entzündung, die in einer
Periode der Aktivität sehr stark ausgebildet war mit der Einleitung
der Heilung wieder verschwunden, ganz ähnlich den Schwankungen
des Volumen und des Grades der Entzündung in der Umgebung tuber¬
kulöser Drüsen.
Kinder mit nachweisbaren Lungenherden bedürfen sofort einer
energischen Behandlung. Für sie ist eine klimatische und Sana¬
toriumsbehandlung das Beste. Solche Kinder müssen auch oft über
längere Perioden im Bett gehalten werden. Für sie ist überhaupt,
allgemein gesprochen, etwa die Behandlung der beginnenden Phthise
das Richtigste. Ganz anders liegen die Verhältnisse aber bei der
Drüsentuberkulose. Ein Kind mit einer leichten Drüsentuberkulose,
sei es auch im Hilusgebiet, kann durch eine allzu schonende Behand¬
lung aufs schwerste geschädigt werden, nicht nur in seiner Entwick¬
lung, sondern direkt in seiner Widerstandskraft gegen die Infektion.
Auch die geschilderten geringen Temperatursteigerungen dürfen —
im Gegensatz zur echten Phthise keine Indikation zur zu weit gehen¬
den Schonung abgeben. Diese Kinder gehören ins Freie und müssen
sich bei ausreichender körperlicher Bewegung in der Sonne und in
der frischen Luft die Kräfte erwerben, die sie zum Kampf gegen ihre
Infektion benötigen. Dabei sind alle Massnahmen, die die Hauttätig¬
keit erhöhen, von besonderem Wert. Eine eingehendere Besprechung
der Behandlung der Kindertuberkulose gehört nicht in den Rahmen
des Vortrags. Ich wollte aber doch auch hier kurz auf die grosse
Gefahr einer allzu weitgehenden Schonung und Verzärtelung der
Kinder hinweisen, weil damit in missverstandener Analogie mit der
Behandlung der Phthise des Erwachsenen Kinder nicht selten ganz
unwiderbringlich geschädigt werden. Ein Kind, das in der Auf¬
wuchszeit sich nicht kräftig entwickelt hat, kann das Versäumte
im späteren Alter nie mehr nachholen, und das tuberkulosegefährdete
Kind bedarf gerade der allerbesten Aufwuchsbedingungen, um einer
späteren Lungentuberkulose zu entrinnen. Es sei hier nur erwähnt,
dass der typische Hiluskatarrh durchaus nicht nur im Kindesalter zu
finden ist. Er wird durchaus nicht selten beim Erwachsenen be¬
obachtet und dann fast stets verkannt, d. h. entweder für eine Phthise
oder eine chronische Bronchitis gehalten.
Ich habe Ihnen heute nur in grossen Zügen das für den Prak¬
tiker Wichtigste, für die Diagnose weniger häufiger Formen der kind¬
lichen Tuberkulose geschildert. Ich bin fest überzeugt, dass bei eini¬
ger Uebung, einige Zeit lang darauf gerichteter Aufmerksamkeit und
steter sorgfältiger Röntgenkontrolle jeder von Ihnen ohne Schwie¬
rigkeit die einer Behandlung bedürftigen Hilusdrüsenerkrankungen
diagnostizieren kann. Sie müssen sich dabei aber immer vor Augen
halten, dass nur wirklich ausgesprochene, ganz
sicher wahrnehmbare Erscheinungen die Diagnose und
nur eine wirkliche Erkrankung die Behandlung
rechtfertigen. Eine leichte Drüsentuberkulose, unter der das
Kind nicht leidet, bedarf keiner Behandlung. Ihre Erkennung ist eben
wegen der Gefahr der Verzärtelung schon manchem Kind direkt
schädlich gewesen. Die ausgesprochenen Lungendrüsenerkran¬
kungen, vor allem die, bei denen auch Lungenpartien mit an der Er¬
krankung beteiligt sind, müssen dagegen viel energischer therapeu¬
tisch in Angriff genommen werden, als das heute noch zu geschehen
pflegt. Ich bin überzeugt, dass damit ein sehr wichtiger Schritt auch
für die Bekämpfung der Lungentuberkulose des Erwachsenen getan
sein wird; denn ein guter Teil der weiteren Phthisen entwickelt sich
nachweislich aus derartigen Erkrankungen im Kindesalter. Wir wer¬
den also häufig in der Lage sein, mit der Heilung einer Kindertuber¬
kulose auch den Erwachsenen vor einer sehr viel schwereren Er¬
krankung zu beschützen. Jede verhütete Phthise bedeutet auch eine
Verminderung der Infektionsgelegenheit für die künftigen Genera¬
tionen.
Bücheranzeigen und Referate.
W e y 1 s Handbuch der Hygiene. Herausgegeben von
C. Fraenken. Verlag von J. A. Barth. Leipzig 1912 — 1914.
Lieferung 5 — 20.
Das gross angelegte Handbuch von W e y 1, welches unter dem
bekannten rührigen Herausgeber C. Fraenken und dem glänzen¬
den Stabe sachverständiger Mitarbeiter sich weiter entwickelt,
wächst allmählich zu einem einzig dastehenden, die gesamten hygie¬
nischen Wissenschaften umfassenden Werke heran. Was dem Hand¬
buch seine praktische Bedeutung verleiht, ist das Zusammenarbeiten
von Spezialisten aus dem Gebiete der reinen Hygiene, der Physio¬
logie, Heilkunde, Technik, sozialen Fürsorge. Gewerbe- und Militär¬
hygiene. Es bildet ein zusammenhängendes Ganzes und doch wieder
eine in Einzelfragen sich auflösende Materie, welche von Fach¬
männern in vollkommenster Weise dargestellt ist. Soweit es irgend¬
wie denkbar war, haben die Autoren alles auf den Spezialgebieten
Wichtige und Neue herangezogen und eine bisher unerreichte Voll¬
ständigkeit aller Fragen auf dem Gebiete der Gesundheitslehre ge¬
liefert. Die beim Erscheinen des Werkes ausgesprochene Erwar¬
tung, dass das Werk, nach den ersten Lieferungen zu urteilen, eine
glänzende Leistung sein würde, hat sich bisher durchaus erfüllt.
In der 5. Lieferung bringt Th. Weyl einen Ueberblick über
die historische Entwicklung der Städtereinigung
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und L. A s c h e r und
E. Kobbert einen Artikel über die Verhütung von Rauch
und Russ in den Städten. Ihm folgt in Lief. 6 die Art und
Menge der städtischen Abfallstoffe von Th. Weyl,
Leichen wesen und Feuerbestattung von J. K r a 1 1 e r
und Abdeck er wesen von J. Goltz. Wohnung und Ge¬
sundheit behandelt in Lief. 7 F. Hüppe, Wohnungsauf¬
sicht A. R o t h. In Lief. 8 ist die Kinderfürsorge zusammen¬
gefasst von ü. Tugend reich, W. Birk und F. R o 1 f f s, in
Lief. 9. die Hygiene der Bergarbeiter von M. Herold
und Lindemann, die Hygiene der Arbeit in kompri¬
mierter Luft von Th. Silberstern. Einzel- und
Massenernährung bearbeitete W. Schumburg in Lief, lt»
und die Hygiene des Alkoholismus in Lief. 11 A. Del¬
brück. Lief. 12 und 13 bringen die Hygiene der Hütten¬
arbeiter von 0. S a e n g e r, neubearbeitet von E. Günther,
und die Hygiene der Müller, Bäcker und Konditoren
von J. Z ä d e c k. ln Lief. 14 wird die Beleuchtung von
H. Reichenbach, das Leuchtgas in den Städten von
W. Bertelsmann, die Elektrizität in den Städten von
K. Kuhlmann behandelt. Gemeinsam von Th. Weyl, Max Ber-
1 o w i t z und M. H o 1 1 i n g e r findet sich in Lief. 15 Lüftung und
Heizung besprochen. Ebenso ist gemeinsam von J. Stübben
und J. Brix die Hygiene des Städtebaues in Lief. 16 be¬
arbeitet. Von Agnes Blum stammt der Artikel in Lief 17 über
Hygienische Fürsorge für Arbeiterinnen und
deren Kinder, von Karl H a r t m a n n die Bearbeitung
der Reinhaltung der Luft in Arbeitsräum en in Lief. 19.
Die 20. Lieferung bringt Allgemeine Gewerbepathologie
und Gewerbehygiene von Fr. K o e I s c h.
Wie in den ersten Lieferungen sind auch hier eine sehr grösst
Anzahl Abbildungen beigegeben, welche wesentlich zur Erläuterung,
besonders der technischen Auseinandersetzungen beitragen. Durch
abgeschlossene Sachregister für jedes Kapitel wird das Auffinden
auch unbedeutenderer Dinge sehr erleichtert. Es ist zu hoffen, dass
die letzten Lieferungen nicht mehr allzulange auf sich warten lassen.
R. 0. Neumann -Bonn.
H. Vollbrecht und J. Wieting-Pascha: Kriegsärztliche
Erfahrungen, Berlin 1915, Kornfeld. Preis 18 M.
Ein lebendiges Bild von den Leistungen des türkischen Militär-
Sanitätswesen während der Balkankriege wird uns von den beiden
Verfassern, den verdienstvollen Reorganisatoren des türkischen
Heeressanitätsdienstes, in musterhafter Darstellung vorgeführt. Wenn
man staunend liest, dass bei Beginn des Feldzuges die Sanitätseinrich¬
tungen für die türkische Armee wenig mehr als 2 Jahre alt waren,
und dann den in dem vorliegenden stattlichen Bande niedergelegten
Bericht über die militärärztlichen Leistungen überblickt, so muss man
der Arbeit und Energie der beiden deutschen Aerzte, die unter den
schwierigsten Verhältnissen Hervorragendes geleistet haben, die
höchste Anerkennung zollen.
An der Spitze der allgemeinen Bemerkungen steht
der Satz, dass die moderne Kriegschirurgie konservative Chirurgie
ist. Die operative Tätigkeit in den vorderen Linien tritt gegen die
Verbindekunst zurück. Diese Sätze dürfen auch unseren Heeresärzten
immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Verbindekunst! Wie
oft muss man sehen, dass der gute alte D e s a u 1 1 sehe Verband nahe¬
zu unbekannt ist. Die operative Tätigkeit tritt erst hinter der Front
in den Vordergrund. In der Hauptsache ist sie eine Chirurgie der
Eiterungen.
Die Verbandpäckchen haben ausserordentlich segensreich ge¬
wirkt. Für grössere, besonders für Artilleriewunden empfiehlt sich
ein grösseres Päckchen, das in den Behältnissen vom Sanitätstornistcr
aufwärts enthalten sein muss.
Der Lazarettbetrieb leidet unter der grossen Zahl der Eiterungen.
Sorgfältiger Schutz der Hände vor der Berührung mit dem Fiter,
baldige Vernichtung der eitrigen Verbandstoffe, genaue Beaufsichti¬
gung des Hilfspersonals sind die wichtigsten Hilfsmittel, um die Ueber-
tragung der Infektion zu verhindern. Eine vernünftige Antisepsis
lässt sich kaum umgehen. Die beste Anästhesie bietet der Aether-
rausch.
Unter den 1584 im Krankenhaus Gülhane behandelten Ver¬
letzungen stellten die grösste Zahl die Weichteilverletzungen der
Extremitäten mit 446 Fällen. Die Knochenschüsse der Diaphysen
weisen 349 Fälle auf. 80 Verletzungen betrafen den Schädel, 102 den
Bauch, 44 die Wirbelsäule, 201 die Gelenke, 35 die Nerven und 40 die
Gefässe.
Von den Schädelschüssen sollen die Tangentialschüsse und die
tunnelierten Kleinkalibertangentialschüsse möglichst frühzeitig ope¬
riert werden. Bei diametralen Durchschüssen sind schwere Eingriffe
nicht zu rechtfertigen.
Für Lungenschüsse gilt im allgemeinen die konservative Behand¬
lung bis zum letzten Augenblick. Bei schwerer Blutung hat nur der
Geübte das Recht einzugreifen.
Bei Bauchschüssen liesse sich eine Laparotomie nur bei Blutung
unmittelbar nach der Verletzung rechtfertigen. Wegen abdomineller
Blutung wurde im ganzen Kriege auf türkischer Seite kein einziges
Mal laparotomiert.
27. Oktober 1914.
MIJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Bei . chussverletzungen der Wirbelsäule ist ein Eingriff dann ent¬
schieden berechtigt, wenn das Geschoss durch das Röntgenbild nach¬
weisbar 111 der Wirbelsäule steckt. Bei Kompression durch Knochen-
splitter soll dann ein Eingriff gemacht werden, wenn in den ersten
2 Wochen keine Besserung ein tri tt, oder wenn die Besserung Halt
macht oder zurückgeht.
Für das Schicksal der Schussfrakturen der Extremitäten ist ent¬
scheidend der erste \ erband und der Iransport. Dem Deckverband
soll der Stützverband sofort folgen. Für die unteren Extremitäten
zumal für die Oberschenkelfrakturen, ist Gips am besten Bei Infek¬
tion spare man nicht mit ausgiebigen Spaltungen.
infizierten Gelenkschüssen zögere man nicht zu lange mit
radikalen Eingriffen (atypische Resektion oder Amputation).
Bei der Behandlung der Aneurysmen bevorzugen die Verff. die
Mäht der verletzten Gefässe, wo dieselbe möglich ist. Im anderen
Falle muss das Gefäss doppelt unterbunden werden.
Bei Nervenverletzungen ist zunächst die aseptische Heilung des
Wundkanales abzuwarten. Eine Naht soll nicht vor dem Ablauf von
1—6 W ochen vorgenommen werden. —
Für die internen Krankheiten, denen im Kriege im all¬
gemeinen ein geringes Interesse entgegengebracht wird, fordern die
lern, mit Recht eine grössere Bewertung. Die Durchbildung der
\erzte und des Pflegepersonals in der Seuchenbehandlung muss eine
reit tiefere werden. Die von dem Verf. mitgeteilten Erfahrungen
iber die Bekämpfung der Cholera, der Dysenterie, des Typhus sind
on höchstem Wert.
Der kurze Ueberblick über den Inhalt des Buches gibt nur eine
chwache Vorstellung von der Fülle der Anregungen, die darin nieder-
.elegt sind. In der jetzigen ernsten Zeit wird mancher Kollege in
lern Werke wichtigen Rat und bedeutungsvolle Belehrung finden.
K r e c k e.
Dr. phiL Theodor Heller, Direktor der heilpädagogischen An-
talt Wien-Grinzing: Pädagogische Therapie für praktische Aerzte.
Aus der Enzyklopädie der klinischen Medizin.) Mit 3 Textabbil-
ungen. Berlin 1914. Verlag von Julius Springer Preis 8 M
ebunden M. 10.50.
Das vorliegende Bucfy ist eine Ergänzung der vor einigen Mona-
m vom Ref. an dieser Stelle besprochenen Grundrisses der Heil-
adagogik des gleichen Verfassers. Der Schilderung der Therapie
er verschiedenen geistigen Schwächezustände resp. der nervösen
nd psychopathischen Konstitutionen geht jeweils eine vorzügliche
sychologisch-pädagogische Betrachtung dieser Krankheitsbilder
oraus. Alles, was zum Lobe des Grundrisses der Heilpädagogik ge¬
igt wurde, gilt auch für diese neue schriftstellerische Leistung
e 1 1 e r s. Der Wunsch des Autors, sie möge denjenigen, die sich
af heilpädagogischem Gebiete praktisch betätigen, ein Führer und
• egweiser sein, wird sicherlich in Erfüllung gehen.
Albert Uffenheimer - München.
Energie, Leben und Tod. Vortrag, gehalten in der Wiener
rania am 7. II. 1914 von F. T a n g 1, Professor an der Universität
est. Berlin, Verlag von Julius Springer, 1914. 58 Seiten.
. 1.60.
Im Rahmen eines populären Vortrages behandelt der Verfasser
iter Vermeidung aller Einzelheiten, welche eingehendere Kenntnisse
if chemischen, physikalischen und biologischen Gebieten erfordern,
mächst das Wesen der Energie von dem von Ostwald vertre-
nen Standpunkt aus. Dann werden die wichtigsten Eigenschaften
■r Lebewesen und die hauptsächlichsten Lebenserscheinungen be¬
rochen, dabei gezeigt, dass sich aile Lebensvorgänge als Energie¬
nwandlungen auffassen lassen, und auf das Problem von Tod und
;fruchtung eingegangen. Es ist nur zu wünschen, dass das anregend
schriebene Büchlein einen sehr ausgedehnten Leserkreis findet.
Li ti de mann - München.
Neueste Journalllteratur.
Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie.
• Band, 3. Heft.
E. H o f f m a n n: Die Toleranz gegen Galaktose in der Norm und
ihrend der Menstruation. (Aus dem med.-poliklinischen Institut in
;rlin.)
Die Untersuchungen ergaben: Beim Kaninchen liegt die Toleranz-
enze für Galaktose schon bei 1 g. Von Dextrose, Galaktose und
ktose erzeugen schon ganz kleine Dosen eine Hyperglykämie beim
ninchen, während von Lävulose relativ hohe Dosen vertragen
-'rden. Beim Menschen liegt die Toleranzgrenze für Galaktose
Tt, wie bisher angenommen, bei 40,0, sondern wahrscheinlich schon
i etwa 15,0 g. Während der Menstruation ist die Toleranz gegen
laktose erhöht. Diese Toleranzerhöhung scheint sich auch auf
dere Zuckerarten zu erstrecken. Die Hormone der Ovarien stehen
Beziehung zum Zuckerstoffwechsel.
K. Dresel: Ueber den Einfluss von Extrakten aus Drüsen mit
lerer Sekretion auf den Blutzucker. (Vorläufige Mitteilung.) (Aus
r II. med. Klinik in Berlin.)
Der Verf. konnte die Angabe Stenströms, dass ein Extrakt
s dem Hypophysenhinterlappen die Adrenalinhyperglykämie hemmt
1 bei höheren Dosen von einer gewissen Grenze an ganz zu unter-
2137
drucken vermag, bestätigen. Allein injiziert hatte das Extrakt aus
dem Hypophysenhinterlappen, das Pituglandol, in den meisten Ver¬
suchen eine deutliche Senkung des Zuckerspiegels zur Folge. Die
Injektion von Glandularextrakt (aus dem Hypophysenvorderlappen),
von rhyreoglandol, Ovoglandol, Pankreoglandol. Epiglandol (Epi¬
physenextrakt), Entcroglandol (Darmschleimhautextrakt), Plazentol
beeinflusste den Blutzucker nicht deutlich. Bei gleichzeitiger Injck-
uon von 0,0001 g Adrenalin war die sonst ziemlich konstante Er¬
höhung des Blutzuckerspiegels durch die Einwirkung von 11 ccm
ulandularextrakt resp. Ovoglandol, Pankreoglandol, Thyreoglandol
erheblich geringer, noch geringer als bei Injektion von Pituglandol;
dagegen vermochten die übrigen 3 Extrakte nicht die Adrenalin-
hyperglykamie zu beeinflussen.
C. Kays er: Klinische und experimentelle Studien zur Kalk¬
therapie, speziell beim Asthma bronchiale. (Aus der II. med. Ab-
teuung und dem physiol.-chem. Laboratorium des Krankenhauses im
Lriedrichshain in Berlin.)
Durch 10 g Calcium lacticum täglich gelang es, die Erscheinungen
des Jodismus in mehreren Fällen zu beseitigen. Bei hämorrhagischen
Nephritiden wurde durch Calcium lacticum kein entsprechender Rück-
gang der Hämaturie erzielt. Bei einem Fall von orthostatischer Albu-
minurie dagegen wurde durch 10 g Calc. lactic. Verminderung der
oc c^!nurie unc* ^er nervösen Symptome erzielt. Bei 22 von
25 Lallen von Asthma bronchiale wurde durch Kalkmedikation eine
Besserung, besteticnd in Aussetzen der Anfälle für viele Monate und
Abnahme des Sputums sowie der physikalischen Erscheinungen auf
den Lungen, sowie Hebung des Allgemeinbefindens und des Körper-
gewichtes erzielt. Als praktische Medikation empfiehlt sich: Calcium
chlorat. puriss sicc. 20,0, Sirup, simpl. 40,0, Aq. ad 400,0, zweistiind-
lieh 1 Esslöffel in Wasser oder Milch. Zur Verbesserung des Ge-
schmackes können noch 4,0 Acid. hydrochlor. dilut. zugesetzt werden,
lierversuche, bei welchen Kaninchen zur Verminderung bzw. Unter¬
drückung des durch Pituitrininjektion hervorgerufenen Zwerchfell¬
krampfes und Atemstillstandes Kalziumgelatine injiziert wurde, er¬
gaben eine deutliche Beeinflussung der Atemkurve in günstigem
Sinne gegenüber nicht mit Kalzium behandelten Tieren; Magnesium
sulfur. an Stelle der Kalziumgelatine hatte keinen Einfluss auf die
durch Pituitrin hervorgerufene Veränderung der Atmung; es muss
sich sonach um einen spezifischen Einfluss des Kalziums handeln.
P. Zagoro wsky: Experimentelle Untersuchung über den Ein¬
fluss der Resektion des Plexus coeliacus auf die Veränderung der
Langerhans sehen Inselchen des Pankreas. (Aus dem pathol La¬
boratorium in Kiew.)
Die Versuche des Verfassers ergaben: Nach der Resektion des
Plexus coeliacus bemerkt man in den Zellen der Langerhans-
schen Inseln deutliche, recht charakteristische, mikroskopische Ver¬
änderungen, welche die innere Struktur des Protoplasmas und der
Kerne der Inselzellen betreffen und auf eine Verminderung der Gra¬
nulation des Protoplasmas und eine Schrumpfung der Kerne zurück¬
zuführen sind.
Ken Kure, T. Hiramatsu und H. Naito: Zwerchfelltonus
und Nervi splanchnici. (Aus der med. Klinik in Tokio.)
Die Untersuchungen an Kaninchen und Hunden, Äffen und Katzen
ergaben, dass die den Tonus des Zwerchfells vermittelnden Fasern
nicht im Phrenikus verlaufen, sondern durch die N. splanchnici zum
Plexus coeliacus ziehen; der Phrenikus versorgt nur die Bewegung
des Zwerchfells, für den Tonus ist er von ganz untergeordneter Be-
deutung; die N. intercostales haben weder mit der Bewegung noch
mit dem Tonus des Zwerchfells etwas zu tun. Das Zwerchfell hat
physiologisch die Funktion, den negativen Druck in der Thoraxhöhle
zu bekämpfen, der Phrenikus setzt das Zwerchfell in Bewegung, um
den negativen Druck in der Thoraxhöhle aktiv zu bekämpfen, wäh¬
rend die N. splanchnici den Tonus des Zwerchfells steigern, um da¬
mit passiv dem negativen Druck im Thorax zu widerstehen. Bei
einem Fall von Myelitis transversa des Brustmarks ergab die Rönt¬
genuntersuchung normale Zwerchfellbewegung; durch Druck auf den
Unterleib liess sich die beiderseits gleich hoch stehende Zwerchfell-
kuppel beträchtlich nach oben verschieben; es bestand also Zwerch-
fellatonie; bei einem Fall von Hirntumor fand sich neben allgemeiner
Hypotonie auch Hypotonie des Zwerchfells bei völlig normaler Be¬
weglichkeit. Man muss also Zwerchfellatonie und Zwerchfcllparalyse
scharf voneinander trennen.
A. Galambos und E. Schill: Ueber das Wesen der Phlo¬
ridzinwirkung. Die Wirkung des Phloridzins auf die Verbrennung
des Traubenzuckers. (Aus der III. med. Klinik in Pest.)
Die Versuche wurden an Hunden angestellt. Wenn das Phlorid¬
zin in genügender Menge gegeben wurde (0.02—0.04 g pro Kilo Kör¬
pergewicht) und der Traubenzucker erst VA — 2 Stunden später in¬
jiziert wurde, wodurch der Phloridzinwirkung Zeit zur Entwicklung
gelassen wurde, dann war, wie die Respirationsversuche mit Be¬
rechnung des respiratorischen Quotienten ergaben, die Verbrennung
des Zuckers gänzlich aufgehoben. Bei gleichzeitiger Anwendung oder
bei Anwendung zu geringer Dosen wird die Verbrennung des Trau¬
benzuckers nur vermindert, nicht aufgehoben. 4 Versuche an Dia¬
betikern ergaben bei einer Dosis von 0,02 Phloridzin keine die Trau¬
benzuckerverbrennung vermindernde Wirkung, bei einer Dosis von
0,2— 0,5 g war sie dagegen ausgesprochen, je nach der Grösse der
Dosis kann die eine oder die andere der beiden Hauptwirkungen des
Phloridzins, die Glykosurie oder die Störung der Zuckerverbrennung
zur Geltung kommen. Man kann daher mit kleinen Phloridzindosen
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 43.
die diabetische Hyperglykämie zu therapeutischen Zwecken herab¬
setzen. Nach vorheriger Nierenexstirpation ist die durch das Phlo¬
ridzin bewirkte Verminderung der Zuckerverbrennung noch deut¬
licher, da hier das Ausbleiben des Steigens des respiratorischen
Quotienten nicht auf erhöhter Durchlässigkeit der Nieren für Trau¬
benzucker beruhen kann.
F o c k e - Düsseldorf: Weitere Schritte zur Gleichmässigkeit der
offizinellen Digitallspräparate.
Da eine chemische Kontrolle der Digitalisblätter noch nicht mög¬
lich ist, ist die physiologische Kontrolle um so nötiger. In Deutsch¬
land sind hiefür Temporarien am geeignetsten. Die für Digitalis¬
blätter an Temporarien gefundenen Wertunterschiede gelten auch für
den Menschen, dagegen kann eine aus verschiedenartigen Präparaten
der Digitalisgruppe am Frosch gewonnene Aequivalenzreihe auf den
Menschen nicht übertragen werden. Neben der unbekannten Blätter¬
probe ist jedesmal eine von bleibender Stärke als Testobjekt zu prü¬
fen, am besten die Folia Digitalis titrata. Durch geeignete Vorberei¬
tungen muss dafür gesorgt werden, dass die Tiere sich jedesmal im
Zustande einer guten mittleren Reaktionsfähigkeit befinden. Für den
grössten Teil des Jahres sind die hierzu geeigneten Massregeln be¬
kannt. Die Prüfung am isolierten Herzen ist trotz aller Verbesse¬
rungen noch schwierig. Die Prüfung am ganzen Tier kann entweder
geschehen, indem man die Mindestdosis aufsucht, welche pro 1 g
Froschgewicht noch typischen Kammerstillstand in ungefähr 1 Stunde
hervorruft, oder es kann nach Benutzung mittlerer Dosen aus der
Dosis, aus den Tiergewichten und den genaueren Stillstandszeiten
der Valor (V) berechnet werden. Die erstere, die Mindestdosen¬
methode ist für Digitalisblätter von jeder Stärke verwendbar, sie
verbraucht aber einschliesslich der Testprüfung 20 — 24 Tiere; die
letztere Methode reicht nur für Werte oberhalb V = 3,3 aus, was
aber für praktische Zwecke vollauf genügt; sie erfordert einschliess¬
lich der Testprüfung nur 10 — 12 Tiere und wird sich für grössere
Versuchsreihen am besten einrichten lassen. Ein prinzipieller Unter¬
schied zwischen den beiden Methoden besteht, soweit es sich um
Digitalisblätter handelt, nicht. Die Resorptionszeit spielt auch bei
der kurzzeitigen Methode der mittleren Dosen keine nachteilige Rolle,
falls Digitalisinfuse, keine Reinpräparate verwendet werden. Bei bei¬
den Methoden am ganzen Tier bestehen die Reaktionszeiten im
wesentlichen aus den Wirkungszeiten. Die Reaktionszeiten erleiden
bei der Mindestdosenmethode eine noch grössere Streuung als bei
den mittleren Dosen. Wenn die Stärke der Digitalisblätter wie ge¬
wöhnlich zu klinischen . Zwecken gemessen werden soll, so ist es
weder nötig noch wünschenswert, das Extrakt durch völlige alko¬
holische Erschöpfung der Blätter zu gewinnen, sondern man stellt am
besten schwach alkalische, 5 — lOproz. Infuse ohne Alkohol her, weil
diese Extraktionsform der im Darm vor sich gehenden am nächsten
steht. Die Aktivstoffe, auch die sonst wasserunlöslichen, wie das
Reindigitoxin, gehen, wenn auch etwas weniger als in verdünntem
Alkohol, in den wässrigen Auszug durch Vermittlung der indifferenten
Begleitstoffe über.
W. B. Soper: Ueber das Verhalten des retikulo-endothelialen
Zellapparates gegenüber der Bestrahlung und der Transplantation.
(Aus dem pathol. Institut in Freiburg i. B.)
Der retikulo-endotheliale Apparat der Milz und der Lymphknoten
verhält sich der Bestrahlung mit y-Strahlen gegenüber auffallend
widerstandsfähig und unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem
mit ihm räumlich eng verbundenen lymphatischen Apparat. Während
die Lymphozten relativ schnell und leicht geschädigt werden, lassen
sich derartige Schädigungen für die histiozytären Elemente über¬
haupt nicht oder nur in geringem Umfang nachweisen; bei länger¬
dauernder intermittierender Bestrahlung tritt eine Reizung derselben
auf in dem Sinne, dass sie stärker als sonst allerlei Zellelemente
phagozytieren. Dieser Reizzustand geht bei kontinuierlicher starker
Bestrahlung in einen Lähmungszustand über. Selbst bei Nachbestrah¬
lung mit relativ hohen Dosen. 50 mg Radiumbromid, wurde eine
wesentliche Veränderung des Blutbildes nicht beobachtet; auch die
Tiere verhielten sich auffallend resistent dagegen; erst bei tagelang
fortgesetzter kontinuierlicher Nahbestrahlung zeigte sich eine Schädi¬
gung des Gesamtorganismus. Das verschiedene Verhalten der reti-
kulo-endothelialen Elemente, zu welchen auch die Pulpazellen ge¬
hören, einerseits und der lymphozytären Elemente andererseits Hess
sich auch an den Lymphknoten bei Zufuhr körperlicher Substanzen
durch den Lymphstrom feststellen, indem sich nur die retikulo-endo¬
thelialen Elemente, aber nicht die Lymphozyten an der Aufnahme
beteiligten. Bei homologen und heterologen Transplantationen er¬
weisen sich die retikulo-endothelialen Elemente im ganzen weniger
widerstandsfähig als die lymphozytären Zellen. Bei dem Untergang
der genannten Zellen wurden die von ihnen gespeicherten Farbstoffe
frei und von dem von dem Körper des Empfängers gebildeten Granu¬
lationsgewebe resorbiert. Die Unterscheidung zwischen den unter¬
gehenden retikulo-endothelialen Elementen des Empfängers konnte
bei differenter Vitalfärbung der beiden Tiere leichter wie mit den bis¬
herigen Methoden durchgeführt werden. Es zeigte sich, dass selbst
bei homoplastischcr Transplantation eine Wiederbelebung des Milz-
Lymphdrüsengewebes nicht oder nur vorübergehend in den Lympho¬
zyten zustande kommt, während die retikulo-endothelialen Elemente
regelmässig zugrunde gehen.
H. Boruttau: Ueber Vergleichung der Wirksamkeit von Ver¬
bindungen des Hexamethylentetramins. (Aus dem physiol.-chem.
Labor, des städt. Krankenhauses im Friedrichshain in Berlin.)
Die Kombinierung des Hexamethylentetramins mit Salizylsäure
bzw. Phthalsäure, Camphorsäure verstärkt die harnantiseptische Wir¬
kung des Hexamethylentetramins bei innerlicher Medikation erheb¬
lich, während die Kombination mit Borsäure die freie Base an Wirk¬
samkeit kaum übertrifft. Dagegen sind die Salze mit der Anhydro-
methylenzitroncnsäure und der Zitronensäure sehr stark antiseptisch
wirkend; namentlich in Verbindung mit Borsäure und Phthalsäure
wirkt die letztere besonders erhöhend auf die allgemeine harnantisep¬
tische Wirkung. Das Lösungsvermögen des Harns für Harnsäure wird
verstärkt gegenüber der freien Base durch die Verbindung derselben
mit Zitronensäure, Borsäure, Borzitronensäure und Phthalzitronen-
säure sowie, wenn auch weniger stark, mit der Sulfosalizylsäure in
der Kombination mit einem Molekül Hexamethylentetramin, während
ihre Verbindung mit 2 Molekülen hierin zurücksteht. Das phenyl¬
cinchoninsaure Salz bewirkt eine Steigerung der Harnsäureausschei¬
dung. offenbar von der Phenylcinchoninsäure herrührend; die lösungs¬
begünstigende Wirkung scheint wenig ausgesprochen, aber doch vor¬
handen zu sein. Eine antineuralgische und sedative Wirkung scheint
demselben, in hohem Masse jedoch namentlich dem sulfosalizylsauren
Hexamethylentetramin, dem Hexal, zuzukommen. Diuretisch scheinen
am meisten zu wirken die Verbindungen mit Zitronensäure, Anhydro-
methylenzitronensäure, Borzitronensäure und Phthalzitronensäure in
Dosen, welche 1 g der Base entsprechen, das Hexal in Halbgramm¬
dosen.
J. Z i e g 1 e r - Kiefersfelden: Zur Harnsäurebestimmung im Blut¬
serum.
Der Verfasser betont, dass seine, speziell für Rinderblutserum
ausgearbeitete Methode richtige Werte liefert, wenn die von ihm ge¬
gebenen speziellen Vorschriften genau eingehalten werden.
L. Kristeller: Eine einfache Methode zur Harnstoffbestlm-
mungen in ganz kleinen Blutmengen. (Vorläufige Mitteilung.) (Aus
der II. med. Klinik in Berlin.)
0,1 ccm Serum werden im Reagenzglase mit 1 ccm destilliertem
Wasser und 0,4 ccm einer 1 proz. Soja-Ureaselösung (aus einem nach
dem Verfahren von M. .1 a k o b y hergestellten Dauerpräparat) ver¬
setzt. Nach halbstündigem Stehen ist der Harnstoff in Ammoniak
übergeführt, worauf mit 15 ccm destilliertem Wasser und 1 ccm
N e s s 1 e r s Reagens versetzt und gut durchgemischt wird. Als Ver¬
gleichsflüssigkeit dient ein Gemisch aus 0,1 ccm Serum. 0,1 ccm einer
Ammonchloridlösung, welche 0,02 g N in 100 ccm enthält, 16,3 ccm
dest. Wasser und 1 ccm N e s s 1 e r s Reagens, die Vergleichung er¬
folgt am besten im Kolorimeter von Dubosq Bei einem Gehalt
des Serums an Harnstoff, dessen N 0,1 g in 100 ccm Serum ent¬
spricht, tritt eine Trübung ein, welche durch Verdünnung auf die
Hälfte vermieden werden kann.
E. Leschke: Histochemische Untersuchungen über die Harn¬
stoffbildung in der Leber. (Aus der II. med. Klinik in Berlin.)
Der histochemische Nachweis des Harnstoffs in der Leber ge¬
schieht durch Fällung mit Merkurinitrat und darauffolgende Ueber-
führung in Quecksilbersulfid durch Behandlung der Schnitte mit
Schwefelwasserstoffwasser. Auf der Höhe der Verdauung, sowie
nach Einführung von Harnstoffbildnern (Ammoniaksalzen, Amino¬
säuren) zeigt die Leber einen starken Harnstoffgehalt, und zwar sind
alle Leberzellen gleichmässig an der Harnstoffbildung beteiligt. Die
Ausscheidung des Harnstoffs in Lymphe und Blut erfolgt jedoch nicht
direkt von den Leberzellen aus, sondern durch Vermittlung der
K u p f f e r sehen Sternzellen; durch diese Regulationsvorrichtung
werden die starken Schwankungen des Eiweissstoffwechsels, die der
Eintritt grösserer Harnstoffmengen in den Kreislauf bedingt, ge¬
mildert. Die K u p f f e r sehen Sternzellen sind demnach nicht allein
ein Schlammfang für körperfremde Stoffe und ungelöste Partikelchen,
sondern haben auch eine Bedeutung für die Regulation des Ueber-
tritts der normalen Stoffwechselprodukte der Leberzellen in den
Kreislauf. In den andern Organen Hess sich eine Harnstoffbildung
auch auf histochemischem Wege nicht nachweisen.
Lindemann - München.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 41.
Wilh. Danielsen - Beuthen: Zur Behandlung der Luxatio cla-
viculae praesternalls.
Um das reponierte Ende der Klavikula dauernd zurückzuhalten,
legt Verf. den Verband so an, dass die Schulter vorgezogen wird:
so bleibt die Luxation reponiert; die Heilung verläuft ungestört ohne
Beeinträchtigung der Funktion.
Dr. William Levy- Berlin: Die Ausführung der osteoplastischen
Amputatio suprarnalleolaris im Kriege.
Verf. hat die Pirogoffsche Methode für die Kriegschirurgie
in felgender Weise abgeändert: zuerst wird der Fuss im Sprung¬
gelenk durch Zirkelschnitt exartikuliert und die Wunde lose ger¬
einigt. Ist der Stumpf fast verheilt, dann wird er durch Osteoplastik
tragfähig gemacht; es wird um den inneren Knöchel ein zungen¬
förmiger Lappen Umschnitten; ein halber Zirkelschnitt umkreist von
seinen Endpunkten aus den äusseren Umfang des Unterschenkels;
1 cm distal von diesem Zirkelschnitt werden Weichteile und Knochen
durchtrennt, damit die Naht später oberhalb der Tragfläche des
Stumpfes liegt. An 5 Abbildungen ist die Methode des Verfassers
anschaulich gemacht. E. Heim- Oberndorf bei Schweinfurt.
27 Oktober 191-4.
MUENCHHNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
21.39
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 41, 1914.
dar l^amMarl»dHaiatlon.am^Urff; A"WC"',UI« Endcter,™
bine Infektionsgefahr durch die Laminariaeinführung gibt C. /u
Dieselbe kommt aber nicht durch den Stift selbst oder Sekretstauung
zustande, sondern durch den Reiz des Fremdkörpers und dadurch
ausgelöste Kontraktionen, die eine latente Infektion manifest machen
\iher ist bei festgestellten oder vermuteten Infektionen der Stift zu
verwerfen.
, Zur Entfernung des Stiftes wendet C. folgenden Handgriff an:
Ja" fasst den Stift mit einer kräftigen, grossen Klemme, die vordere
Muttermundslippe mit einem Muzeux, zieht den Stift vulvawärts
mt der linken Hand und schiebt mit der rechten Hand die Haken-
•ange energisch bauchwärts.
!\’ * li K a ise r- Amsterdam : Kurzer Rückblick auf die Ge-
>c luchte des Kraiikheitsbildes der Asthenieenteroptose.
Ein rein historischer Artikel, der sich zum Referat'nicht eignet.
J a f f e - Hamburg.
Zeitschrift iür Hygiene und Infektionskrankheiten 78 Bd‘
Heft. 1914.
die Bedeutung des Bac-
Ernst 0 u a n t z - Güttingen : Uebcr
-rium coli für die Wasserbeurteilimg.
Auf Grund seiner Untersuchungen kommt der Verf. zu dem
iUSSmd<fSS ^aS » ^CtJ Coli eil? wasserfremder Organismus sei;
aber müsse der Befund von Koli im Grundwasser auf eine Ver-
lrenugung durch oberflächliche Zuflüsse oder auf ungenügende Fil-
ation hmweisen. Die Frage jedoch, ob das Vorhandensein von
■i ,'icrn liT en!e gefährliche Verunreinigung, eine Verun-
migung mit Fakalien beweise, müsse verneint werden. Verf legt
ert auf den Befund von sog. typischem Koli, der im wesentlichen
am Bact. coli commune entspricht. Wenn diese Arten auch im
öden weit verbreitet sind, so könne doch aus einer gefundenen
■osseren Anzahl derselben auf eine „gefährlichere“ Verunreinigung
.'schlossen werden. Die „Koliprobe“ ist als eine wertvolle Er-
inzung. aber nicht als Ersatz für die Lokalbesichtigung anzusehen.
Z ^ e 'Lausanne: Können im Blute kreisende Bakterien
ircli die Darmwand ausgeschieden werden?
Die Versuche wurden mit Prodigiosuskulturen angestellt. Es
.kte sic fi, dass nach Injektion einer verhältnismässig grossen Menge
■rselbcn ins Blut von Kaninchen etwa 1 Stunde darauf die Ans-
tieidung der Keime mit der Galle in den Darm beginnt. Im Magen
nnten niemals Prodigiosuskeime nachgewiesen werden. Meistens
«den sich die Bakterien im Ileum und Zoekum. seltener im Kolon,
enn der Darm gereizt wurde, trat eine Vermehrung der Pro-
uosusstabchen in den tieferen Schichten des Darmes auf. Weitere
“.suche bewiesen, dass die Keime direkt durch die Darmwand ins
men ausgeschieden wurden. Den Transport der Bakterien Über¬
holen Leukozyten.
Arthur Korff-Petersen-Berlin: Untersuchungen über die Licht-
rteilung in Klassenräumen bei Verwendung von Metallfaden-
npen.
Als prinzipiell wichtiges Ergebnis kann die Feststellung ange-
len w erden, dass die zur Verfügung stehende Kerzenzahl auf eine
ossere Anzahl von Lampen zu verteilen ist, so dass z. B. 8
kerzige Metallfadenlampen geeigneter sind wie 6 32 kerzige. Für
1 ine Klassen reichen 8 25 kerzige Metallfadenlampen aus, wenn sie
J ht hoher als 2,3 m über dem Fussboden aufgehängt sind und die
nster durch Vorhänge aus hellem Stoff verhangen werden. Für
osse Klassen genügen 10 25 kerzige Metallfadenlampen. Blenden
vorderen Lampen, so kann man das Licht durch Mattglasbirnen
ndern. Schatten lassen sich durch indirekte Beleuchtung mittels
ralampen vermeiden.
Erich F i s c h e r - Berlin; Ueberlegungen und Untersuchungen
Frage des Vorkommens von Tuberkelbazillen im strömenden
I ite.
Zufolge der noch immer sich widersprechenden Angaben über
, 1 Blutbefund bei Tuberkulose, stellte Verf. erneute Versuche mit
"sehen- und I ierblut an. Es zeigte sich, dass die mikroskopische
tersuchung des Blutes tuberkulöser Tiere und Menschen in allen
len negativ ausfiel. Nur mittels des Tierexperimentes Hessen sich
Gerkelbazillen nachweisen; aber auch da ist der Prozentsatz nicht
r hoch und beträgt bei Meerschweinchenblut nur 4 — 8 Proz. Im
de tuberkulöser Menschen Hessen sich in den Versuchen keine
wrkelbazillen nachweisen. Ein Mobilisieren der Tuberkelbazillen
ch Tuberkulin konnte nicht erwiesen werden.
W. A. U g I o w - Petersburg; Ueber „das Rauschbrot“.
Das Rauschbrot ist eine Erkrankung des Getreidekorns,
Iche sowohl im europäischen als auch im asiatischen Russland
I annt ist und zu Krankheiten der Bevölkerung Veranlassung gibt.
wahre Ursache der Kornkrankheit ist nach den bisherigen Er-
telungen in erster Linie zurückzuführen auf einen Pilz F u-
fiumrosenm Link. Wahrscheinlich nebenbei auch auf Cla-
sporium herbarum Link und Saccharomyces r o -
II m\ D!c Untersuchungen des Verf. beziehen sich auf die Chemi¬
en Veränderungen des durch diese Pil 2 veränderten Weizens
den Kreisen Im an und Nikolsk und zeigen, dass alle wert-
len Bestandteile der Körner eine Verminderung erfahren; Zellu¬
lose, die Säuren, die weniger wichtigen Pentosanen und die Asche
dagegen sich vermehren. Durch Veränderungen der Eiweisssub¬
stanzen wird das Brot fest und bekommt einen schlechten Ge¬
schmack. Die Keimfähigkeit des Kornes wird wesentlich herabge¬
setzt.
Gurt K r ö c h e r - Berlin: Versuche mit Salvarsan bei der Be¬
handlung der Hundestaupe.
i5 ^rsilc*ie mit Salvarsan ergaben keine ermutigenden
Resultate, denn es konnten weder bessernde noch heilende Wir-
kungeii gegenüber der Staupe erzielt werden. Für die Anwendung
j *»5S,, a, va.rsans beim Hunde eignete sich am besten die intravenöse
Methode in die Vena jugularis. In Dosen von 0,01 bis 0,025 g pro
Kilogramm Körpergewicht in einer Verdünnung von 0,1:25 bis 40
", im a malischer Reaktion wurde das Mittel im Allgemeinen ohne
Nachteil vertragen. Bei grösseren Gaben traten Vergiftungserschei¬
nungen auf.
Walter L ö w e n s t e i n - Hamburg-Barmbeck: Zur Frage der
VVchnungsdesinfektion mit Formaldehyd.
• den Versuchsergebnissen mag hervorgehoben werden, dass
bei der Herstellung der Testobjekte die betreffende Bakterienart nur
in d e s t i 1 1 i e r t e m Wasser aufzuschwemmen ist, da auch Koch¬
salzlösung schädigend wirkt. Die Desinfektionsdauer von 4 Stun¬
den reicht aus, um oberflächlich sitzende Keime von Staphylokokken,
Typhusbazillen, Diphtheriebazillen, Tuberkelbazillen, Streptokokken
abzutöten. Sporen werden im trockenen Zustande bei 12 Stunden
dauernder Einwirkung und bei gesteigerter Formalinmenge in
50 Proz. der Fälle, in feuchtem Zustand in 88 Proz. der Fälle
abgetötet. Sehr schwer werden .Bakterien vernichtet, wenn sie in
der nächsten Nähe von Heizkörpern sich befinden.
R. O. Neumann - Bonn.
Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches
Sanitätswesen. 1914. 3. Heft.
II. Oeffentliches Sanitätswesen.
Zinkgehalt einer Gemüsekonserve. Gutachten der wissen¬
schaftlichen Deputation für das Medizinalwesen. Ref.: Geh. M.-R.
Dr. H e f f t e r und Geh. O.-M.-R. Dr. A b e 1.
In Konserven finde sich wegen der Löslichkeit der das Eisen¬
blech überziehenden Zinnschicht in saurer und alkalischer Flüssigkeit
gewöhnlich Zinn in einer Menge von durchschnittlich 100—150 mg
auf 1 kg Konserven, in Einzelfällen bei Spargel auf 400, bei Spinat
auf 500 mg steigend; in dem der Deputation zur Begutachtung vor¬
gelegten Falle handelte es sich um Tomatenmus mit einem Zinngehalt
von 13,6 mg in 100 g Tomaten (also 136 mg auf 1 kg). Das Gutachten
spricht sich daher dahin aus, dass dieser Zinngehalt kein ausser-
gewöhnlich hoher sei und infolgedessen zu einer Beanstandung keinen
Anlass gebe.
Wenn nun auch chronische Zinnvergiftungen an Menschen durch
reichlichen Konservengenuss bisher noch nicht beobachtet worden
seien, so wäre es doch im Interesse der öffentlichen Gesundheits¬
pflege zu begrüssen, wenn die Konserven in einer Weise verpackt
werden könnten, die die Möglichkeit einer Zinnlösung ausschliessen —
der zu diesem Zweck gewählte Lacküberzug auf der Innenfläche ge¬
währe diesen Schutz nur Y* — 14 Jahr, dann werde der Lack zer¬
stört.
Gewerbliche Vergiftungen durch Tetrachloräthan. Gutachten der
wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen. Ref.: G. M.-R.
Dr. Heffter und G. M.-R. Dr. Kraus.
Tetrachloräthan wird als Lösungsmittel für Fette, Harze u. dgl.
verwendet; ein Streichlack — „Ariatol“ genannt — , der zum Im¬
prägnieren der Tragflächen von Luftfahrzeugen verwendet wurde
und Azetylenchlorid oder Tetrachloräthan enthielt, verursachte mehr¬
fache Erkrankungen der Arbeiter — Uebelkeit, Brechreiz, Erbrechen,
allgemeines Unbehagen. Schmerzen im Leib, starke Gelbsucht mit
Leberschwellung, teilweise nervöse Erscheinungen, wie starkes Zit¬
tern der Hände, Taubheitgefühl und Kribbeln in Händen und Füssen,
Schwinden oder Herabsetzung der Kniesehnenreflexe, Kopf- und Gc-
Ienkschmerzen, übermässige Schweissabsonderung.
Die wissenschaftliche Deputation kommt zur Anschauung, dass
fragliche Erkrankungen durch die Tetrachloräthandämpfe verursacht
werden und dass, da eine ergiebige Ventilation mit Rücksicht auf
die Empfindlichkeit des Lacks im Betriebe nicht möglich ist, ein
striktes Verbot der Verwendung von Imprägnierungsmitteln, die
Tctrachloräthan enthalten, sich empfehle.
Sieben Jahre Säuglingsfürsorge der Stadt Aachen und ihre
Organisation im gleichnamigen Regierungsbezirke. Von M.-R Dr
Schwabe - Aachen.
Verf. gibt eine eingehende Darstellung über den Gang der Säug¬
lingssterblichkeit und die verschiedenen Einrichtungen zu deren Be¬
kämpfung etc., die sich in dem allgemein üblichen Rahmen bewegen.
Bezüglich der Einzelheiten muss auf das Original verwiesen werden.
Die Bedeutung der Rachitis für die Volksgesundheit und die
Mittel zu ihrer Verhütung und Bekämpfung. Von Dr. E b e r t - Kassel.
Die Bedeutung der Rachitis für die Volksgesundheit werde durch
die Prognose der Krankheit bedingt, da leichte Formen der Rachitis
ausheilen und von untergeordneter Bedeutung für die Volksgesund¬
heit seien. Der Tod durch rachitische Komplikationen und die damit
verbundene Dezimierung des Nachwuches sowie die durch Rachitis
bedingte Krüppelhaftigkeit beeinflussen die Volksgesundheit vor allem
2140
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 43.
nachteilig. Die bedenklichsten Dauerfolgen seien Beckenanomalien
und Kyphoskoliosen. Bleibende rachitische Deformitäten machen
15 Proz. aller Krüppelhaften aus: dadurch werden Arbeitsfähigkeit
und Wehrkraft herabgemindert und nationales Vermögen geschädigt.
Die Entstehung der Krankheit müsse durch Bekämpfung des Pauperis¬
mus, Beseitigung der respiratorischen Schädlichkeiten und Förderung
einer geeigneten Säuglingsernährung bekämpft werden, notwendig sei
ausgedehnte Aufklärung der breiten Volksmassen, Beaufsichtigung
der Kleinkinderwelt. Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, Ent¬
fernung des Kindes aus schlechten Wohnungsverhältnissen, Errich¬
tung von Rachitisheilstätten (Wald-, Qebirgs-, Seeluft), orthopädische
Behandlung von Krüppelhaften (diese soll, abgesehen von Kypho¬
skoliose, in der Regel nicht vor dem 5. Lebensjahr einsetzen, da bis
dahin oft Spontanheilung erfolge), Errichtung orthopädischer Kliniken
und Polikliniken.
Die Algenkalamität in der Wasserversorgung der Provinzial-
Heil- und Pflegeanstalt Kortau bei Allenstein. Von Dr. Schröder-
Kortau.
Die Anstalt bezieht Wasser aus dem Kortsee, das eine Filter¬
anlage passiert. In den Wintermonaten 1913 zeigte sich eine eigen¬
tümliche Veränderung des Wassers — trübes, grünliches Aussehen,
in der Badewanne nach Ablassen des Wassers deutlich grün-grau
gefärbter Rückstand, eigenartig fader, fauliger Geruch des Wassers.
Das Wasser zeigte sich bei näherer Besichtigung im Becherglas
durchsetzt von unendlich vielen kleinen Fäden (., Pilzfäden“), die sich
bei mikroskopischer Untersuchung als Algen — Oscillaria agardhii —
erwiesen, auch „Schwingfäden“ genannt, weil sie jede geringste
Strömung des Wassers in oszillierender Bewegung mitmachen. Diese
Algen kamen aus dem Kortsee infolge Defektes im Filter in die Lei¬
tung, es wurde deshalb ein V o r f i 1 1 e r in Aussicht genommen, in
welchem die Algen durch geeignete Chemikalien, wie Kalkhydrat und
Aluminiumsulfatlösung, zum Verschwinden gebracht werden können,
so dass in die eigentlichen Filterabteile nur reines, algenfreies Wasser
kommen kann und so der beobachteten Kalamität der Verfilzung der
Filter vorgebeugt wird.
Besprechungen, Referate, Notizen.
III. Amtliche Mitteilungen.
Dr. Spa et- Fürth.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 42, 1914.
W. W e i n t r a u d - Wiesbaden: Zur Behandlung des Tetanus
init besonderer Berücksichtigung der Magnesiumsulfattherapie.
Verfasser fordert:
Prophylaktische Schutzimpfung mit Tetanusserum bei allen Ver¬
wundungen, die einer Verunreinigung mit Erde verdächtig sind.
Aufmerksame Beobachtung der Verletzten auf Frühsymptome
und auf lokalen Tetanus.
Sachgemässe Wundbehandlung.
Nach Auftreten von Tetanussymptomen umgehende Anwendung
einer Heildosis des Tetanusserums (100 A.-E.) und Wiederholung
dieser Dosis in den nächsten Tagen, event. intralumbale Anwendung
von 50 — 100 A.-E. Tetanusserum.
Sofortiger Beginn mit konsequenter Magnesiumsulfatanwendung
intralumbal oder subkutan, mit Dosen, die im Sinne einer Narkose
dem Patienten prompt Erleichterung durch Muskelerschlaffung
bringen.
Verwendung von Narkoticis in freigebiger Weise.
Ernst U n g e r - Berlin: Zur Behandlung des Tetanus.
Verf. empfiehlt, das Tetanusserum durch einen Ureterkatheter,
den man von der Art. ulnaris aus bis in den Aortenbogen einführt,
möglichst zentral zu injizieren.
Die Gefahr der Atemlähmung bei Verwendung des Magnesium¬
sulfats lässt sich durch Sauerstoffinsufflation nach Meitzer ver¬
meiden.
Felix H i r s c h f e 1 d - Berlin: Die Kost der Arbeiter und die
Grundsätze der Ernährung.
Die Notwendigkeit einer bestimmt hohen Eiweissmenge in der
täglichen Nahrung ist nicht erwiesen. Sorgt man bei der Feststellung
bestimmter Kostsätze nur für die Deckung des Gesamtstoffver¬
brauches, für ein angemessenes Gewicht und Volumen und für Ver¬
daulichkeit, so wird hierbei der Eiweissbedarf des Körpers vollständig
befriedigt werden.
Hans Wienskowitz - Wiesbaden : Ueber die angeborene
Wassersucht. (Schluss folgt.)
Arthur A I e x a n d e r - Charlottenburg: Die modernen Methoden
der Lupusbehandlung.
Sammelreferat. Dr. Grassmann - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1914. Nr. 36 — 38.
Nr. 36. T i e c h e - Zürich: Ein Beitrag zur Differentialdiagnose
von Variola und Varizellen mit Hilfe der kutanen Allergie.
Verf. berichtet über einige neue Fälle, bei denen er mit seiner
Methode der Hautimpfung die Differentialdiagnose zwischen Variola
und Varizellen sichern konnte. Bei den Fällen von Varizellen trat bei
Impfung mit dem 5 Minuten auf 60 — 70° erhitzten Pustelinhalt
keine Hautreaktion der Versuchspersonen auf, bei den Pocken¬
fällen jedoch regelmässig Man kann die Lymphe auch durch Aether
oder Kohlensäureschnee in ihrer Virulenz abschwächen.
F. de Quervain: Die Diagnose des Magen- und Duodenal¬
geschwürs. (Fortsetzung.)
Nr. 37. H a u s w i r t h - Bern: Ein neues apparatloses Formal¬
dehyd verdampfungsverfahren.
' Molekulare Mengen von KClüs und metallisches, fein verriebenes
Eisen werden mit einer gewissen, der Grösse des Raumes ent¬
sprechenden Menge CaCOs versetzt, das Ganze verrieben und pro
Kubikmeter Raum 20 ccm Formalin, dann eine berechnete Menge
HiSÜ« in Kieselgur zugefügt. Es entstehen starke wolkenartige
Mengen von Formaldehydwasserdampf. Die Desinfektionswirkung
ist sehr gut. wie Versuche beweisen, die Verpackung wird so her¬
gestellt, dass jeder Laie das Verfahren anwenden kann, der Preis
für 100 cbm Raum beträgt 5—6 M.
F. de Quervain: Die Diagnose des Magen- und Duodenal¬
geschwürs. (Schluss.)
Verf. diskutiert in seinem Referat ausführlich folgende Fragen:
1. Welche Formen von Magen- und Duodenalgeschwür können wir
heute sicher diagnostizieren und welche entziehen sich noch unseren
diagnostischen Hilfsmitteln? 2. Wie lassen sich Verwachsungen er¬
kennen? 3. Wie können wir die krebsige Entartung erkennen oder
ausschliessen? 4. Welche Schlüsse erlaubt uns die heutige Unter¬
suchungstechnik in Bezug auf die Indikation zur Operation und die
Wahl der Methode? 5. Welchen Nutzen gewährt die Röntgen¬
diagnostik für die Beurteilung der unmittelbaren Operationsfolgen und
der Endresultate?
Nr. 38. S t r e b e 1 - Luzern: Zur Analyse der Doppelbilder.
Ausführliche Darstellung der Methoden und Vorschläge zu ihrer
Vereinfachung.
K. S c h 1 ä p f e r Miinsterlingen: Ueber einen durch Operation ge¬
heilten Fall von Gallensteinileus.
Beschreibung eines Falles und Diskussion ähnlicher Fälle der
Literatur.
E. F e e r - Zürich: Die kleinpapulösen Hauttuberkulide beim Kind.
Zusammenfassende Darstellung und Mitteilung von 8 eigenen
Fällen.
O. Bernhard- St. Moritz: Ein Fall von Kontusion des Kehl¬
kopfes beim Schlittelsporte.
Schwere Kontusion mit Blutungen in die Schleimhaut des Larynx
und Pharynx und ödematöser Schwellung der Stimmbänder. Heilung.
L. Jacob- Würzburg.
Inauguraldissertationen.
Universität Freiburg i. B. September 1914.
Hillger Hedwig: Ueber die Leukozytenresistenz bei Karzinom¬
kranken.
Hillger Hermann: Resultate mit Morphium-Skopolamin-, Panto-
pon-Skopolamin-, Narkophin-Skopolamin-Dämmerschlaf zur Ein¬
leitung von gynäkologischen Operationen.
Hornmel Wilhelm: Die Syphilis der Trachea und der Bronchien
und ihre Diagnose durch die- Tracheobronchoskopie.
Wehrle Walter Otto Michael: Die Bedeutung des Arthigons für
Diagnose und Therapie der Gonorrhöe und deren Komplikationen.
Wrede Martin: Paralysis agitans post trauma.
Universität Kiel. August-September 1914.
Schulte-Tigges Hugo: Ueber septische Endokarditis.
Schulte-Vennbur Hermann: Zur Symptomatologie der Bulbär-
paralyse.
Sch wiek er Hans: Beitrag zur klinischen Diagnostik der akuten
Pankreasnekrose und Fettgewebsnekrose.
Sehn Alfred: Ueber das Vorkommen religiöser Wahnbildung bei
Psychosen, besonders bei Paranoia.
Seyler Conrad: Beitrag zur Statistik und Symptomatologie der
peripheren Fazialislähmung.
Siel aff: Arthur: Zur Differentialdiagnose zwischen Erweichungs¬
herd und Gehirntumor. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom
Zittern bei Hirntumor.
Steffensen Hans: Ueber die Indikationen zu operativen Ein¬
griffen bei subkutanen .Nierenverletzungen.
Strauss Arnold: Zur forensischen Beurteilung von Brandstiftung
durch Geisteskranke.
Tcbbe Wilhelm: Ueber Pyonephrosen und infizierie Hydro-
nephrosen mit besonderer Berücksichtigung der chirurgischen
Therapie.
Thomas Gerhard: Ueber den. kongenitalen ossären Schieflials
Voll har dt Walter: Die Bedeutung neuerer Methoden zur Unter¬
scheidung mütterlichen und fötalen Blutes für die gerichtliche
Medizin.
Vollmer Karl: Ein Beitrag zur Lehre vom induzierten Irresein.
Wree Hans: Ein Fall von Tumor cerebri (der grossen Ganglien).
Habilitationsschriften.
Lin zenmeier Georg: Der Verschluss des Ductus Botalli nach
der Geburt,
Stern Felix: Die psychischen Störungen bei Hirntumoren und ihre
Beziehungen zu den durch Tumorwirkühg bedingten diffusen Hirn¬
veränderungen.
27. Oktober 1914.
MUFNCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Vereins- und Kongressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzungen vom 8. und 15. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
V.
Herr J. Veit: Seit der Herr Vortragende liier in unserem Verein
zuerst seine Methode der Schwangerschaftsdiaguostik uns vortrug,
hat sich mein Standpunkt der Methode gegenüber nicht geändert: ich
trete auch heute noch ebenso wie früher für die Spezifizität ’ der
Fermente der Gravidität und für die Methode der Schwangerschafts¬
diagnostik ein; abweichende Ergebnisse führe ich auf Fehler in der
lechnik und auf einzelne noch weiter zu studierende Verhältnisse zu¬
rück. Daher erklärt es sich, dass in meiner Klinik weniger darüber
gearbeitet ist, ob die Methode richtig ist, sondern darüber, welche
weiteren Fortschritte können dadurch gewonnen werden; die Arbeit
von Asch n er über die Differentialdiagnose der „Schwangerschafts¬
niere“ von der Nephritis in der Schwangerschaft ist Ihnen bekannt,
lerr Kollege Linde mann wird nachher weitere Ergebnisse unserer
<!inik vortragen.
Ebenso stehe ich der Krebsdiagnose gegenüber; die Unter¬
teilungen aus meiner Klinik sind ausführlich veröffentlicht worden-
las Ergebnis ist im wesentlichen eine Bestätigung der Anschauungen’,
Jie wir dem Herrn Vortragenden verdanken. Dass beim Krebs aus-
lahmsweise auch Plazentarpepton abgebaut wurde, halte ich für
meinen Beweis der gegen die Auffassung der Spezifizität angeführt
.yerden könnte, sondern nur für einen Beweis der technischen Scliwie-
igkeiten; auch negative Diagnosen sind bei der Verschiedenheit der
listologischen Herkunft der Karzinome leicht verständlich.
Damit muss man natürlich auch die Organspezifizität anerkennen;
lur liegen hier die technischen Schwierigkeiten klar auf der Hand,
-s kann nicht Sache aller Kliniken sein, nun jeden dunklen Fall auf
tbbau aller verschiedenen Organe zu studieren; in systematischer
Vrbeit der verschiedenen Kliniken müssen die einzelnen Krankheits-
rscheinungen festgestellt werden, um dann diejenigen Organe zu be-
timmen, welche als erkrankt erkannt werden könnten. Ich weiss
acht, ob der Herr Vortragende auch die Ergebnisse der Krebsserum-
’ehandlung erwähnt hat — ich konnte bei dem Vortrag leider nicht
ugegen sein — aber ich wollte doch berichten, dass neben einer
leihe von wenig günstigen Resultaten ich in einem Falle neben der
ladiumbehandlung von der 10 Tage lang durchgeführten Serumein-
pritzung gutes gesehen habe.
Von grösster Wichtigkeit scheint mir jetzt gegenüber den ver-
inzelten Zweiflern die Untersuchung der Umstände, unter denen die
’eaktion nur schwach oder unsicher erfolgt. Aber an der grossen
'edeutung der Feststellungen des Herrn Vortragenden kann für mich
ein Zweifel bestehen. Grösser noch als der praktische Wert ist die
issenschaftliche Bedeutung, welche uns alle noch Jahre hinaus mit
euer Arbeit versehen hat.
Herr v. Hippel bespricht unter Uebergehung rein ophthalmo-
■gischer Probleme folgende allgemeineren Fragen:
1- Einstellung der Objekte: in vollem Umfang ist dieselbe nur
ei Plazenta und Tumoren möglich, nicht aber bei den inneren Or-
anen. Hier muss man sich auf sorgfältige Präparation, Kontrolle
ach den verschärften Vorschriften sowie auf Kontrolle während des
ersuches durch gleichzeitiges Ansetzen mindestens zweier Sera be-
:hränken.
2. In seltenen Fällen, wo kein Grund vorliegt, Versuchsfehler an-
lnehmen, scheint das Serum desselben Individuums zu verschiedenen
eiten mit dem gleichen Organ verschieden reagieren zu können,
alche Fälle machen der Beurteilung Schwierigkeiten; sie bedürfen
eiterer Untersuchung.
3. Die gleichzeitige Untersuchung desselben Serums mit der
fischen Methode und dem Dialysierverfahren wurde durch Ab¬
erhalden und v. H. ausgeführt: a) gegenüber Linse in 22 Fällen
m Cataracta senilis. Ergebnis 17 Fälle negativ, 3 positiv mit beiden
ethoden. 1 positiv mit der optischen Methode, negativ beim Dialy-
erversuch. 1 positiv mit der optischen Methode, Protokoll des
ialysierversuches verloren, b) Gegenüber Thymus in 11 Fällen
«’ird fortgesetzt). Negative sowie positive Ergebnisse bei beiden
ethoden in voller Uebereinstimmung. Die Feststellungen der Er¬
bnisse wurden von beiden Untersuchern ohne Kenntnis des anderen
sultates gemacht und erst nachträglich vergliche.n
4. Alle Dialysierversuche wurden mit einer grossen Zahl von
ganen angesetzt. Thyreoidea und Thymus (zusammengerechnet)
agierten in 155 Einzelversuchen 66 mal positiv, sämtliche anderen
'gane in 265 Einzel versuchen 14 mal positiv. Von diesen 14: 1 mal
ere bei Retinitis albuminurica, 1 mal Leber bei diffuser Leberhyper-
aphie, 2 mal Ovarium bei Basedow. Die übrigen 10 Fälle klinisch
aht sicher aufgeklärt. Leber und Niere wurden ca. 50 mal angesetzt,
ber nur in dem erwähnten, Niere noch in einem anderen Falle
sitiv.
Schon die angeführten Zahlen beweisen, dass von einem wähl¬
ten Abbau, wie mehrfach behauptet ist, keine Rede sein kann.
5. Die Häufigkeit von Schilddrüsen- und Thymusabbau veran-
Oste eine genaue klinische Untersuchung der Fälle, die an sich gar
Nr. 43.
2141
keine Verdachtsmomente für eine Erkrankung jener Organe boten.
Das Ergebnis (Palpatorischer Befund, Sternaldämpfung, Lympho¬
zytose, Röntgenschatten über der Aorta) war wider alles Erwarten
eine derartige erstaunliche Uebereinstimmung mit dem serologischen
Befund, dass der letztere trotz seiner Häufigkeit mit Sicherheit auf
pathologische Veränderungen geringfügiger Art an den betreffenden
Organen bezogen werden darf. Ein zur Autopsie gekommener Fall
friste bei einer 38 jährigen Frau eine riesige Thymuspersistenz.
(Abderhalden positiv, Sternaldämpfung, Röntgenschatten, Lympho¬
zytose.)
6. Es besteht die Möglichkeit, die Reaktion durch Organpräparate
zu beeinflussen. Verwendet wurde Thymin. Bisher ist in 8 Fällen
(2 Basedow) die positive Reaktion nach etwa vierwöchentlichem Ge¬
brauch von Ihymin für kürzere oder längere Zeit in eine negative
verwandelt worden.
,. . ^*5 eigenen Beobachtungen sprechen ausnahmslos für eine Spezi-
iizitat der Abwehrfermente.
Herr Mohr: Auch in meinem Institut ist das Dialysierverfahren
bei einer grösseren Zahl von Erkrankungen (ca. 120 Fälle) ange¬
wendet worden. Unsere Erfahrungen über den Wert der Methode
bei Karzinom und Schwangerschaft sind zu gering an Zahl, um hier
erwähnt zu werden. In den wenigen Fällen von Karzinom haben
wir fast ebensoviel Versager als positive Resultate gehabt. Es mag
dies daran liegen, dass unsere Substrate nicht in der Weise einge¬
stellt sind, wie Abderhalden und B u d d e es verlangen. Dagegen
verfüge ich über eine grössere Versuchsreihe bei innersekretorischen
Störungen, speziell bei der Fettsucht. Ich habe über einen Teil der
Versuche schon auf dem diesjährigen Kongress in Wiesbaden be-
richtet. Inzwischen sind nun noch einige Fälle hinzugekommen, so
dass ich im ganzen über 26 Fälle von Fettsucht verfüge, die nach
der Dialysiermethode untersucht worden sind. Es erscheint mir sehr
wichtig, hier hervorzuheben, wie ich dies auch an anderer Stelle
schon getan habe, dass die ganze Fragestellung nicht darauf hinzielte,
zu untersuchen, ob man bei der Fettsucht mit Rücksicht auf die Be¬
deutung innersekretorischer Störungen mit der Abderhalden-
schen Methode differentielle Diagnosen stellen kann, sondern die
Fragestellung war zunächst darauf gerichtet, ob auch durch eine
klinische Beobachtung bei Fettsucht, deren endogene Natur wahr¬
scheinlich war, Zeichen von seiten der in Betracht kommenden Or¬
gane (Schilddrüse, Hypophyse etc.) vorhanden sind, die einen Schluss
auf Veränderungen an ihnen gestatteten. Dabei stellte es sich heraus,
dass in der Tat in einem hohen Prozentsatz sich durch klinische
Methoden nachweisbare Veränderungen der Schilddrüse, des Thymus,
der Genitalien, der Speicheldrüsen, fanden, und dass auch in einzelnen
Fällen Hypophysiserkrankung durch den abnormen Röntgenbefund an
der Sella turcica wahrscheinlich würde. Ich betone, dass die Unter¬
suchung sich im wesentlichen auf Fettsüchtige erstreckte, die nicht
den hypophysären Charakter durch Sehstörungen oder andere zen¬
trale Störungen oder ausgesprochene myxödematöse Erscheinungen
aufwiesen, sondern um solche, die zunächst nur Fettleibigkeit dar¬
boten.
Ich habe daraus gefolgert, dass die Zahl der Fälle von endogener
Fettsucht häufiger ist als im allgemeinen angenommen wird.
In bemerkenswerter Weise ergab nun die Dialysiermethode eine
auffallende Uebereinstimmung zwischen dem anatomisch-klinischen
und serologischen Befund.
Wenn Sie mir gestatten, will ich Ihnen einige solcher Versuche
demonstrieren. Ich halte es für die Beurteilung des Wertes der Me¬
thode für unumgänglich, dass man neben dem Dialysierbefund die
klinische Geschichte des einzelnen Falles kennt. Denn wie auch A b -
derhalden schon öfter gesagt hat, haben tabellarische Zusammen¬
stellungen über die Häufigkeit positiver oder negativer Befunde ohne
Kenntnis der Einzelfälle keinen Zweck. Wenn die Methode wirklich
so spezifisch ist, wie wir gehört haben, ist ihre Beurteilung nur unter
Kenntnis aller begleitenden Details möglich.
Sic ersehen hieraus: 1. Die Häufigkeit von Veränderungen an
den Organen, deren Funktion für den Fettstoffwechsel von Bedeu¬
tung ist.
2. Die ganz auffallende Tatsache, dass so ausserordentlich häufig
objektive, wohl pathologische Organbefunde und Serumausfall über¬
einstimmen. Um naheliegende Einwände auszuschliessen, kann ich
gleich anführen, dass Parallelversuche mit Seris von anderen Per¬
sonen — — Gesunden und Kranken — mit den gleichen Substraten an
dem gleichen Tage angestellt, keinen Abbau dieser Substrate ergeben
haben, dass z. B. nie Speicheldrüsen abgebaut wurden, wenn die
Drüsen nicht eben vergrössert nachweisbar waren. Merkwürdiger¬
weise auch nicht bei Mumps (3 Fälle). In einigen Fällen fehlte auch
der Abbau von Schilddrüse und Speicheldrüse, obwohl die Organe
vergrössert waren. Eine Erklärung für dieses letztere Verhalten
lässt sich zurzeit nicht geben. Jedenfalls aber möchte ich noch
einmal die ausserordentlich frappante und für die Beurteilung des
Wertes des Abderhalden sehen Verfahrens wichtige Ueberein¬
stimmung zwischen klinischem Befund und Ergebnis des Dialysier-
verfahrens hervorheben. Es geht daraus unzweifelhaft hervor, dass
mit Hilfe des Dialysierverfahrens bestimmte, in ihrem Wesen aller¬
dings, wie ich hervorheben möchte, noch ungeklärte Veränderungen
des Blutserums in einer ganz bestimmten Richtung nachgewiesen wer¬
den können.. So bestimmt ich an der Formulierung meiner bisherigen
Befunde festhalten muss, so energisch möchte ich auf der anderen
Seite aber doch betonen, dass die Diagnose eines Komplexes von
21-12
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Krankheitserschcinungen mit Hilfe des Dialysierverfahrens nicht mög¬
lich ist. Denn wie wir eben gehört haben, ist in den Fällen, die
Herr v. Hippel eben referiert hat, ebenfalls die Uebercinstirnmung
zwischen klinischem Befunde und Ausfall des Dialysierverfahrens
eklatant. Die Krankheitsbilder aber sind doch ganz andere. Ein
Beispiel, das diese Dinge ohne weiteres illustriert, ist der Ausfall des
Dialysierverfahrens bei Basedow und myxödematösen Zuständen. In
beiden finden wir Abbau normaler und pathologischer Organe (Base-
dowschilddriise). Man ist in dieser Beziehung mit dem Abder¬
halden sehen Verfahren in derselben Lage wie mit der Wasser-
mannschen Reaktion und der biologischen Tuberkulosediagnostik.
Eine spezielle Lokaldiagnose ist auch durch die letztere Methode nicht
möglich. Ich halte es deshalb auch nicht für richtig, von der Me¬
thode die Beantwortung der Frage zu verlangen, ob etwa in einem
Falle von Magenkarzinom Lebermetastasen vorhanden sind, weil in
solchen Fällen Leber abgebaut wird. Der Abbau von Leber ist sehr
vieldeutig und kann niemals beweisen, dass im speziellen Fall dort
Karzinommetastasen sind. Der Nachweis, dass ein Organ abgebaut
wird, kann nach dem bisher Bekannten, wie es scheint, nur
einen Hinweis geben, dass Veränderungen und Funktions¬
störungen bestimmter Organe, z. B. der Schilddrüse, des
Thymus, der Ovarien, der Leber usw. vorhanden sind. Damit
wäre allerdings schon ein ausserordentlicher Gewinn für das
Verständnis pathologischer Vorgänge gegeben. In welch frap¬
panter Weise das zu sein scheint, geht auch aus anderen Beobach¬
tungen hervor, die wir bisher allerdings nicht systematisch durchge¬
führt haben. So verfügen wir über zwei Fälle von kongenitalen
Herzerkrankungen, bei denen nichts anderes als Herz vom Serum ab¬
gebaut wurde, ln dem einem Falle lag wahrscheinlich ein Ductus
Botalli persistens nach perkussorischem, auskultatorischem sowie dem
Röntgenbefunde vor. Gleichzeitig war die Wassermann sehe Re¬
aktion ++H — h Der 15 jährige Pferdeknecht kam mit wahren rheu¬
matischen Klagen zur Untersuchung. Sein Serum sollte als Normal¬
serum dienen, da ausser den Herzveränderungen zunächst keine auf
Lues hindeutenden Veränderungen gefunden wurden. Als das Dialy-
sierverfahrer. beim Ansetzen von 9 verschiedenen Organen nur Herz¬
abbau ergab, wurde der Fall röntgenologisch und serologisch unter¬
sucht und es stellten sich die für den Ductus Botalli typischen Ver¬
änderungen an der Pulmonalis und die positive Wassermann sehe
Reaktion heraus. Aehnlich verhielt sich ein zweiter Fall bei einem
ebenfalls 15 jährigen Mann, bei dem eine Dilatation und Hypertrophie
des ganzen Herzens und röntgenologisch ein Kugelherz gefunden
wurde. Ueber dem Herzen war ein lautes systolisches Geräusch
mit dem Punct. max. im Präkordium. laute zweite Basaltöne zu hören,
die peripheren Gefässe eng, strickartig. Die Diagnose schwankte
zwischen Septumdefekt mit oder ohne gleichzeitiger Angustie der
Aorta. Auch hier war die W a s s e r m a n n sehe Reaktion bei zwei¬
maliger Untersuchung positiv. Das Dialysierverfahren ergab unter
8 Organen sehr starken Herzabbau. Wir haben noch eine Reihe von
den verschiedensten Herzaffektionen (Myokarderkrankungen, Klap¬
penfehler) untersucht ohne die eben erwänhten Befunde. Dagegen
fanden wir bei erworbener Lues des Herzens und der Aorta in
drei Fällen positiven Abbau, in einigen anderen dagegen keinen Abbau
des Herzens. Bei Leberlues haben wir gleichfalls in 4 Fällen Leber¬
abbau gefunden, während andere gleichzeitig angesetzte Organe bei
demselben Fall und andere Sera an demselben Versuchstage mit der
gleichen Leber keinen Abbau ergaben. Sehr bemerkenswert scheint
mir folgender Fall, der zusammen mit unseren gesamten Beobach¬
tungen doch zeigt, „dass an der Methode etwas dran ist“, und
unsere Auffassung, dass krankhafte Veränderungen von Organen .sich
mit Hilfe des A b d e r h a 1 d e n sehen Verfahrens wohl nachweisen
lassen, als berechtigt erscheinen lässt. In dem Fall von Lungen¬
tumor ergab das Dialysierverfahren in vordialysiertem Serum nur
mit Lunge stärksten Ausfall der Ninhydrinreaktion. Ich möchte Ihnen
keine weiteren Einzelheiten aus meiner immerhin doch relativ reichen
Erfahrung mit dem Abderhalden sehen Dialysierverfahren
bringen und nur meiner Ueberzeugung Ausdruck geben, dass es sich
hierbei nicht um Zufallsreaktionen handelt und sicherlich auch nicht
um Täuschungen, die in der Methodik selbst gelegen sind. Es ist
von allen Seiten hier betont worden, dass diese eine nicht geringe
Anzahl von Fehlerquellen birgt. Die selbstverständlichen Fehler
(Hülsenfehler, unsauberes, nicht steriles Arbeiten, schlecht zubereitete
Organe etc.) können in der Diskussion als selbstverständlich ver¬
meidbare und zu vermeidende Dinge nicht näher erörtert werden.
Von Wichtigkeit scheint mir aber zu sein, die Berücksichtgung, dass
im Serum selbst ninhydrinreagierende Stoffe vorhanden sind, die be¬
sonders dann die Ursache für falsche Resultate werden, wenn die zur
Kontrolle dienende Serummenge zu gross genommen wird. Man sollte
auch meiner Meinung nach unbedingt den schon früher von S c h 1 i m -
p e r t und neuerdings auch von Abderhalden gemachten Vor¬
schlag, eine Vordialyse des zu prüfenden Serums vorzunehmen, aus-
fiihren. Wir haben neuerdings eine Zahl von vergleichenden Unter¬
suchungen mit vordialysiertem Serum gemacht und dabei manchmal
Unterschiede zwischen den beiden Dialysaten gefunden. Ein Fall ist
bemerkenswert, bei dem klinisch endogene Fettsucht mit doppel¬
seitiger Speicheldrüsenhyperplasie vorlag. Vom nichtdialysierten
Serum wurde ausser Parotis und Pankreas noch Leber und Övarium
abgebaut, vom dialysierten hingegen nur Parotis und Pankreas. Man
muss ja allerdings zugeben, dass möglicherweise mit der Vordialyse
ein neuer Fehler in die Methode hineinkommt, der aber zuungunsten
Nr. 4
der Methode ausfällt, indem die Zahl der positiven Resultate ve
mindert wird. Wie mir scheint, ist die manchmal vorhandei
Differenz zwischen vordialysiertem und genuinem Serum die Ursacl
für die von Herrn v. Hippel erwähnten Befunde, dass ein Seru
manchmal abbaut und gelegentlich dasselbe Organ nicht abbaut. B
züglich der Einstellung der Organe glaube ich, dass man mit de
Ansetzen von Kontrolluntersuchungen mit verschiedenen Seren au
kommen wird.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 21. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr March and.
Schriftführer: Herr Riecke.
Herr O eil er: Ueber den klinischen Wert der Abderhal
den sehen Blutfennentreaktionen.
Der Vortragende berichtet über die Resultate, die er in Gemeii
schaft mit Stephan mit Hilfe des Abderhalden sehen Dialysiei
Verfahrens bei der Untersuchung von ca. 500 Seren erhalten ha
Ursprünglich wurde hauptsächlich die klinische Verwertbarkeit de
Dialysierverfahrens zur Diagnose der malignen Neubildungen gepriif
doch wurde auch eine grosse Reihe anderer Seren, Seren von Gr;
viden, Normalseren und namentlich auch verschiedenartige pathe
logische Seren untersucht. Die Resultate, die sich bei Verwendun
der Originalmethode Abderhaldens ergaben, waren weder zt
Diagnose der malignen Neubildungen noch zur Diagnose der Gravid
tat klinisch irgendwie verwertbar. Es wurden daher späterhin weil
gehende Verschärfungen der Methode durchgeführt, die namentlich i
der Führung zahlreicher Kontrollen bestanden (vor allei
Führung der inaktiven Kontrollen, doppelte Versuchsanordnung
Aber auch mit diesen Erweiterungen waren klinisch brauch
bare Ergebnisse nicht zu erzielen.
Zusammenfassend gestalteten sich die Resultate etwa folgende!
massen: In Gravidenseren kreist, wenn auch nicht regelmässig, s
doch in einem sehr hohen Prozentsatz der Fälle ein Körper, der koa
guliertes Plazentaeiweiss zu spalten vermag, er ist aber in de
Abderhalden sehen Versuchsanordnung sicher nicht spe
zifisch; denn Karzinom- und Luesseren, Seren von Hochfieberi
den etc. bauen ebenfalls Plazenta ab. Normalseren lassen diese
Körper in der gewählten Versuchsanordnung meist vermissen, doc
wird auch manchmal eine fragliche Reaktion mit Normalserum un
Plazenta als Substrat erzielt. Weiter ist manches Serum von Nor
malgraviden imstande, Karzinom- und Sarkomgewebe, drüsig
Organe, wie Thymus, Leber, Nebenniere, abzubauen. Aehnlich sin
die Resultate bei den Karzinomuntersuchungen: Karzinomseren baue
relativ häufig Karzinomsubstrat, selten Sarkomsubstrate ab, doc
häufig auch eine grosse Reihe anderer Organe, ohne dass mit de
Metastasierung gerechnet werden könnte. Ein Organ, das vo
Karzinomseren namentlich leicht abgebaut wird, ist die Plazenta.
Eine absolute Spezifität der nachgewiesenen Fer
mente besteht also sicher nicht; ab und zu hat man aller
dings den Eindruck einer relativen Spezifität, da es mitunter unver
kennbar ist, dass die spezifischen Seren die spezifischen Antigen
leichter abbauen als die unspezifischen.
Man muss daher auf Grund des grossen Untersuchungs
materials das Abderhaldensche Dialysierverfahre:
für die Klinik ablehnen, da es mit der Original
methode sicher nicht möglich ist, Gravide vo
Nichtgraviden, Karzi'no in kranke von Nichttumor
trägern auch nur annähernd sicher zu unterschei
den.
Eine grosse Reihe weiterer Untersuchungen zwingt aber weiter
hin ganz allgemein, die Vorstellung von der Spezifität der Abw'ehr
fermente fallen zu lassen; denn durch eine ganz einfache Modifika
tion der Originalmethode kann gezeigt werden, dass jedes Normal
serum sowie die meisten pathologischen Seren eine grosse Reiht
von Organsubstraten zu spalten vermögen, und dass der Unter
schied in der Abbaufähigkeit der einzelnen Sereii
nur ein quantitativer ist. Doch kann auch dieser quanti
tative Unterschied nicht zu einer spezifischen Diagnose verwand
werden, ähnlich wie es z. B. bei Agglutinationsversuchen der Fall ist;
Der klinische Wert des A b d e r h a 1 d e n sehen Dialysierver
fahrens in der jetzigen Form kann also, wie einschlägige eigen;
Untersuchungen zeigen, mit dem Wert der Resultate der „Anti
trypsinbestimmung“ nach Brieger-Trebing ver¬
glichen werden. Mit dem Abderhalden sehen Dialysierverfahrer
weist man eine an sich völlig un spezifische Ferment
Steigerung nach bei Graviden, Karzinomkranken
bei Nephritiden etc., also bei Zuständen, bei dener
sich erfahr ungsgemäss eine erhöhte Hemmung dei
Kasein-Trypsin Verdauung nach Brieger-Trebin?
findet, bedingt durch den vermehrten Gehalt der
betreffenden Seren an Spaltprodukten.
Neuere Untersuchungen haben dann weiterhin ergeben, dass mar
sich überhaupt von der Vorstellung freimachen muss, dass bei dei
Gravidität oder in pathologischen Seren Fermente im Sinne Ab-
derhaldens kreisen. Seit den Feststellungen von Stephan
die von Abderhalden selbst bestätigt wurden, ist erwiesen;
27. Oktober 191-4.
MLHNCHHNKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
das.s diejenigen Körper in Gravidenseren, die von
Abderhalden als spezifische Fermente a n g e -
sprochen wurden, überhaupt keine Fermente sind
sondern den Bau von Antikörpern besitzen, die in
Verbindung m 1 1 dem Komplement Fermenteigen¬
schaften annehmen.
Die Zahl der Untersuchungen mit einer daraufhin neu aus¬
gearbeiteten Dialysiermethode (Inaktivierung der Seren Reakti¬
vierung durch Meerschweinchcnkomplement, quantitative ’ Verwen¬
dung von Organeiweissextrakten als Antigen) ist noch zu gering, um
über die Spezifität der Qraviditätsantikörper bestimmt urteilen zu
können Die bisherigen Ergebnisse lassen annehmen, dass die schon
von früheren Untersuchern im Gravidenserum vermuteten Antikörper
eine weitgehende Spezifität besitzen können
Zur Erweiterung und Kontrolle der Ergebnisse mit der Reakti-
werungsmethode im Dialysierverfahren kann man auch andere bio¬
logische Methoden heranziehen, so namentlich die Komplement-
bindungsmethode Die bisher damit erzielten Resultate bei
der Diagnose der Gravidität mit Plazentaextrakten als Antigen er¬
mutigen auch auf diesem Gebiete zur Wiederaufnahme früher schon
untersuchter I robleme und zur Fortsetzung der Versuche, da Gra¬
videnserum sehr häufig und meist sehr starke Komplementbindung
eingehen Da aber eine Reihe anderer Seren, meist allerdings in
wesentlich schwächerem Grade, ebenfalls mit Plazentaextrakten Kom¬
plementablenkung zeigen, so wird man auch durch die Resultate
dieser Methode darauf hingewiesen, dass die hier bei der
Gravidität und bei pathologischen Zuständen in
Frage kommenden Antikörper nicht so hoch spe¬
zifisch sind wie die experimentell erzeugten, und
dasssie deshalb Gruppenreaktionen geben können.
Ob es überhaupt je gelingen wird, diese Gruppenreaktion völlig
auszuscheiden, erscheint von vornherein als nicht besonders wahr¬
scheinlich; denn diese Antikörper verdanken ihre
Entstehung einer Autosensibilisierung des Orga-
nismus in i t Zellstoffwechselprodukten, die auch
in ihrer b 1 o logischen Wirkung von den hochmole¬
kularen Eiweisskörpern unterschieden werden
müssen.
Da es erfuhrungsgemäss auch im Experiment nur schwer oder
Kaum gelingt, mit Eiweissspaltprodukten hochwertige Antikörper zu
erzielen, so muss man auch damit rechnen, dass die bei Gravidität
und pathologischen Prozessen entstehenden Antikörper keine absolute
bpezintät besitzen, sondern Qruppenreaktionen geben können.
Diskussion: Herr Mass: Die zunehmende Ablehnung der
Dialysiermethode in ihrer jetzigen Form für die Klinik ist darauf
zuruckzuführen, dass auch trotz Erfüllung aller Vorschriften noch mit
einer Reihe von Fehlerquellen gerechnet werden muss, welche den
Kesultaten dieser Methode nur einen bedingten Wert geben. Organ-
und Hülsenbeschaffenheit sind hier hauptsächlich zu nennen. Eine
ganze Reihe von Voraussetzungen für das Dialysierverfahren sind
uurch die Untersuchungen von C. Lange, Mosbach er und
r o r t, v. Dom a r u s und Barsieck u. a. anfechtbar geworden.
der Unsicherheit der Dialysiermethode kann die Richtigkeit der
i b „ r," a 1 d e n schen Anschauungen für die verschiedenen Gebiete
der Medizin und ihre praktische Nutzbarmachung für letztere vor¬
läufig nicht entschieden werden.
Ob dies mit Hilfe der Komplementfixation (Stephan, Haupt-
m a n n) oder des Loewe-Zeiss sehen Flüssigkeitsinterferometers
mir sch) möglich sein wird, bleibt abzuwarten.
21-43
Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin
und Nervenheilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
33. Versammlung vorn 17. Mai 1914 zu Bonn.
Vorsitzender: Herr D i n k 1 e r - Aachen.
Schriftführer: Herr L a s p e y r e s - Bonn.
II.
Herr L e n z m a n n - Duisburg: Weitere Erfahrungen über die
jehandlung des Scharlach mit Salvarsan.
, Nach meinen ersten — auf der Naturforscherversammlung in
varlsruhe veröffentlichten — Versuchen der Behandlung des Schar-
ach mit Salvarsan sind mehrere Mitteilungen über diesen Gegen¬
wand erschienen, so von Felix Klemperer, Schreiber,
-orey, Lippmannu. a. Im ganzen sind aber nur wenige Autoren
icser neuen Behandlungsmethode des Scharlach geneigt gewesen,
as hat wohl seinen Grund in zwei Momenten. Zunächst in der
'cheu das Salvarsan bei fieberhaften Krankheiten anzuwenden.
iese Scheu muss als überwunden betrachtet werden, seitdem wir
ie hervorragenden Erfolge des Salvarsan bei Malaria und Rekurrens
.ennen. Sodann in der verschiedenen Beurteilung des Scharlach
ezuglich des Ernstes der Erkrankung. Es gibt Kollegen, die das
Iluck üdiabt haben, fast nur leichte Fälle zu sehen. Sie betrachten
eshalb den Scharlach als eine relativ ungefährliche Erkrankung und
0 n'cbt für notwendig, eine besondere, immerhin doch etwas
mstandliche Behandlungsmethode einzuführen. Dieser Auffassung
es Scharlach als einer relativ leichten Erkrankung kann ich auf
Grund meiner Erfahrung nicht beistimmen. Der Scharlach ist meines
cinrC-L.ernste Erkrankung, die zu den schrecklichsten Krank-
hutsbildern fuhren und in ernsten Epidemien, sowie in schweren
Lmzelfanen viele Opfer fordern kann. Zu trauen ist keinem Schar¬
lach. Wenn wir deshalb ein Mittel kennen, das den Decursus morbi
zu beeinflussen imstande ist, dann sollten wir doch mit beiden Händen
machtlos" Srei en' Bis ietzt war unsere Therapie beim Scharlach
rrje'ne Erfahrungen, die ich hier vortrage, nur bei
rc^e,n. Scharlachfallen gesammelt. Unter schwerem Scharlach
HnilicF- K ' Erkrankungen, die mit grosser Prostration einhergingen,
bCr (m'ndes,tens nahe an 40°, zum grossen Teil auch noch
«<’hu^rJreA1Pe-raturei1- ’ raschen Puls, feuriges Exanthem und meistens
._c Anginen, die zum Teil schon nekrotisch waren, zeigten.
^9 schweren mit Salvarsan behandelten Scharlachfällen, unter
aenen 2 mit hämorrhagischem Exanthem waren, sind 2 gestorben.
«ÄH« -3 C',”ern 10 jährigen Patienten mit Scarlatina fulminans,
delsr 05 ^.ngel'efert wurde. Er zeigte das charakteristische, auf
ra,dlge Herzschwäche hindeutende zyanotische Exanthem.
Ich mochte derartige schwere Fälle für unbeeinflussbar halten. Sie
tiagen von vornherein den Stempel der unrettbaren Vergiftung an
5jähurige — wurde uns am 3. Tage des Exanthems
mit schwerer nekrotischer Angina und brettharter Adenitis einge-
hefert. Er ging an Streptokokkensepsis zugrunde. Von den 45 Ge-
r^f,nC-n • beLamen 2 eine Otitis media, dagegen kamen Nephritis,
[/^,UrrRei-end£ Lymphadenitis, Gelenkerscheinungen, Eiterungen nicht
oi. Bei schweren Fallen ist die Beeinflussung durch Salvarsan um
o wahrscheinlicher, je früher sie in Behandlung kommen. Man wird
selbstverständlich in den meisten Fällen erst dann die Behandlung
eginnen können, wenn die Diagnose beim ersten Erscheinen des
Exanthems gesichert ist. In Epidemien wird es wohl möglich sein,
schon im Prodromalstadium die Behandlung zu beginnen
Die Wirkung des Salvarsan beim Scharlach zeigt etwas
1 ypisches. Gerade weil sich dieser typische Erfolg immer wieder¬
holte wurde ich bestärkt in der Annahme, dass die Salvarsanbehand-
lung den Decursus morbi günstig beeinflusst.
• . lmnieI w|eder eintretende Erfolg einer Salvarsaninjektion
ist ein Anstieg der Temperatur in den nächsten 2—4 Stunden Diesem
Anstieg folgt ein rasches Sinken, das — je nach der angewandten
uosis — 0,8— 1,5 betragen kann. Der Temperaturabfall erreicht
seinen tiefsten Punkt nach etwa 6 — 8 Stunden, dann steigt die Körper¬
warme wieder. Sie erlangt aber — wenn die erste Dosis nicht zu
gering war — nicht wieder die frühere Höhe. Man hat den Eindruck,
als ob eine Flamme zunächst gedämpft würde, dann aber — nachdem
das dampfende Moment ausser Wirkung gekommen ist — wieder
autlodere. Injiziert man nun bei dem zweiten Anstieg der Tem¬
peratur wieder, dann wiederholt sich dasselbe Spiel, nur mit dem
Unterschied, dass die zweite Injektion meistens eine intensivere Wir¬
kung zeigt. So gelingt es, die Temperaturkurve, die bei der un¬
beeinflussten Skarlatina ja doch in den ersten 4 Tagen eine Kontinua
ist und den Ausdruck eines auf der Höhe bleibenden Infektions¬
prozesses darstellt, in eine treppenförmig abfallende Kurve zu ver¬
wandeln und die Temperatur schon in den ersten 3—4 Tagen in die
Abszisse 37—38 hinunterzubringen. Selbstverständlich ist diese Dar¬
stellung nur für die grosse Mehrzahl der Fälle gültig. Es gibt auch
Ausnahmen. So kann der Infektionsprozess ein so intensiver sein,
einer ersten Injektion die Temperatur überhaupt nicht
fällt, dass erst die zweite Injektion eine Wirkung — und auch nicht
einmal eine sehr deutliche — erkennen lässt. Man wird in einem
solchen Falle abzuwägen haben, ob man die Dosis verstärken darf,
oder ob man sich mit dem geringen Erfolg schon begnügen soll.
Eine zweite typische Erscheinung der Wirkung der Salvarsan¬
injektion ist die Besserung des Allgemeinbefindens. Diesen Erfolg
haben alle Autoren beobachtet. Der Patient wird ruhiger und zeigt
nicht immer die Wirkung des schweren Krankheitsgefühls. Der Puls
nimmt an Zahl ab. Die Zunge reinigt sich.
Ein dritter Erfolg ist ebenfalls von sämtlichen Autoren beob¬
achtet worden die günstige Beeinflussung der Rachenaffektion.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Halserscheinungen sich rascher
zuruckbilden. Die Schluckbeschwerden besserten sich, die ominöse
zähe Schleimabsonderung ging zurück. Ich habe den Eindruck, dass
es sehr oft gelingt, eine Nekrose zu verhüten, auch bereits bestehende
nekrotische Prozesse und ihre Folgen zur Rückbildung zu bringen,
üb dieser Erfolg in allen Fällen erreicht wird, wage ich nicht zu
entscheiden. Darüber müssen uns erst noch weitere Beobachtungen
besonders schwerer Fälle belehren.
Ich halte diese Wirkung des Salvarsan für besonders wichtig.
Schweres langes Siechtum, das unter Umständen dauernde Schä¬
digungen des Organismus zur Folge haben kann, ist auf die Strepto-
kokkeninvasion zurückzuführen, der unglückliche Ausgang des Schar¬
lach ist in den bei weitem häufigsten Fällen die Folge septischer
Prozesse. Die Todesfälle, die dem Scharlachgift selbst zur Last zu
legen sind, wie etwa bei einer Scarlatina fulminans oder bei der
durch das Scharlachgift bewirkten Nephritis, treten gegen die durch
Streptokokkeninvasion bewirkten Todesfälle um ein Bedeutendes
zurück. Wenn es uns gelänge, die Streptokokkensepsis zu verhüten,
dann würde der Scharlach einen grossen Teil seiner Schrecken ver¬
loren haben. Der Streptokokkus wandert aber zweifellos fast immer
durch die Rachenorgane, besonders die Tonsillen, in den Organismus
ein Er siedelt sich auf der — durch das Scharlachgift geschädigten _
2144
Nr. 43.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Tonsille besonders gern an. Die hier sich entwickelnde Nekrose
entspringt offenbar einer komplexen Einwirkung. In den nekrotischen
Partien habe ich neben Streptokokken fusiforme Bakterien und Mund¬
spirochäten gefunden. B 1 ii h d o r n u. a. haben denselben Befund
erhoben. Wenn es uns gelingt, durch eine energische Beeinflussung
und rasche Beseitigung des nekrotischen Prozesses das Eingangstor
des Streptokokkus zu schliessen, dann haben wir ganz gewiss viel
gewonnen.
Ich möchte diese — von allen Autoren bestätigte — Salvarsan-
wirkung erklären durch die Annahme, dass das Salvarsan den uns
noch unbekannten Erreger direkt beeinflusst. Diese Erklärung wird
nicht allseitig anerkannt. Andere Autoren wollen nur die Salvarsan-
wirkung auf die Rachenaffektion anerkennen und diese Wirkung da¬
durch erklären, dass das Salvarsan die Mundspirochäten und fusi-
formen Bakterien tötet. Diese Annahme würde uns aber nicht über
die Salvarsan Wirkung, die wir auch bei nicht hochgradig ausge¬
sprochenen Rachenaffektionen beobachten, aufklären, z. B. die Herab¬
setzung des Fiebers, die deutliche Beeinflussung des Allgemein¬
befindens.
Nun noch ein Wort zur Methode der Anwendung. Ich habe im
letzten Jahr nur noch Neosalvarsan gegeben. Ich habe mich nicht
überzeugen können, dass das Neosalvarsan besonders toxisch wirkt,
wie .1 ochmann hervorgehoben hat. Es hat dieselbe Wirkung,
wie Salvarsan, ist aber in seiner Anwendung ausserordentlich be¬
quem. Ich löse 0,15 Neosalvarsan in etwa 5 ccm steriler 0,4proz.
Kochsalzlösung auf, bei Verwendung von 0,3 oder 0,45 Neosalvarsan
ist die Menge des Lösungsmittels entsprechend grösser. Die An¬
wendung geschieht nur intravenös vermittels einer 5 ccm fassenden
L i e b e r g sehen Glasspritze. Ist — wie in einzelnen Fällen bei
kleinen Kindern — eine intravenöse Applikation nicht möglich, dann I
gebe ich das Mittel intramuskulär (in der D u h o t sehen Linie), nehme
aber dann die doppelte Menge des Lösungsmittels. Ich habe niemals
grosse Dosen gegeben und möchte hier nochmals den kleinen Dosen
das Wort reden. Im allgemeinen darf man sagen: Je schwerer das
Krankheitsbild, je höher das Fieber, je stärker die Prostration, je
rascher der Puls, desto kleiner die Anfangsdosis. Ich halte es für
besser, die kleinen Dosen nach kurzer Zeit — nach etwa 8 — 12 Stun¬
den — zu wiederholen, als mit einer grossen Dosis in einer Injektion
vorzugehen. Bei 3 — 8 jährigen Kindern gebe ich als höchste Dosis
0,15 Neosalvarsan, bei Patienten von 8 — 15 Jahren kann man auf 0,3
gehen, höhere Dosen gebe ich bei Erwachsenen für gewöhnlich auch
nicht, ausnahmsweise gehe ich bis 0,45 und immer erst dann, wenn
ich die höchste Temperatur durch kleine Anfangsdosen herunter¬
gedrückt habe. Jedenfalls beginne ich in der letzten Zeit — auch
bei Erwachsenen — mit 0,15 g. Wird diese Dosis gut vertragen,
d. h. zeigt sich kein Erbrechen und keine Diarrhöe, ist die reaktive
Temperatursteigerung nur mässig, wird das Allgemeinbefinden ein
besseres, dann gebe ich schon nach 12 Stunden die zweite Dosis,
bei Erwachsenen event. 0,3 g. Jedenfalls darf man nicht locker
lassen. Man muss einen — dem ersten Temperaturabfall folgenden —
Anstieg immer wieder mit einer erneuten Injektion dämpfen, damit
man eine treppenförmig abfallende Kurve erzielt. Mehr, als 0,8 Neo¬
salvarsan, wird selten verwandt werden müssen. Ich habe — falls
ich diese Dosis bei Erwachsenen gebraucht hatte — meistens nicht
mehr injiziert, selbst wenn die Temperatur noch einmal über 38 stieg.
Ich habe mich mit dem Erfolg begnügt und dem Organismus den
weiteren Kampf überlassen.
Ich habe bei meiner vorsichtigen Anwendung des Mittels irgend
eine unangenehme Nebenwirkung nicht erlebt. Ich verdanke aber
einer privaten Mitteilung des Herrn Kollegen Lossen- Bochum,
dass er die Anwendung des Salvarsan bei Status thymo-lymphaticus
für gefährlich hält. Auch von anderer Seite (Rindfleisch) ist
der Status thymo-lymphaticus als eine Kontraindikation gegen die
Anwendung des Salvarsan überhaupt hervorgehoben worden. Es hat
nun gerade beim Scharlach seine grossen Schwierigkeiten, einen
Status thymo-lymphaticus zu diagnostizieren. Man wird da immer
auf Vermutungen angewiesen sein. Jedenfalls würde ich, wenn die
Anamnese den Patienten als des Status thymo-lymphaticus ver¬
dächtig erscheinen lässt, mit der ersten Dosis besonders vorsichig sein.
Ist nun durch die — von allen Autoren bestätigten — Erfolge
der Salvarsantherapie beim Scharlach für die Praxis etwas ge¬
wonnen? Diese Frage ist angesichts der Machtlosigkeit unserer
bisherigen Therapie leicht mit Ja zu beantworten. Ich will nicht
einmal so weit gehen, anzunehmen, dass auch der schwere toxische
Scharlach, der bis jetzt immer zum Exitus kam, günstig durch Sal¬
varsan beeinflusst würde, wenngleich Jochmann unter 4 der¬
artigen Fällen 3 bei Salvarsanbehandlung genesen sah, was er als
einen Erfolg des Salvarsan bezeichnet. Ich will diese immerhin
seltenen Fälle einmal vorsichtig ausnehmen, da bleiben die Fälle
übrig, in denen die schweren Rachenerscheinungen durch Salvarsan
günstig beeinflusst werden. Ob hier stets die Komplikationen, die
durch die Einwanderung des Streptokokkus entstehen, vermieden
werden können, will ich nicht entscheiden, jedenfalls ist ein Erfolg
zu verzeichnen, der diese Komplikationen um ein Wesentliches herab¬
setzt. Es ist auch weiterhin zu erwarten, dass die rekurrierenden
Erkrankungen — die später auftretenden Lymphdrüsenentzündungen,
die Scharlachnephritis, der sog. Scharlachgelenkrheumatismus wesent¬
lich reduziert, wenn nicht ganz beseitigt werden. So viel steht für
mich fest, dass ich nach den bis jetzt schon vorliegenden Erfolgen
einen einigermassen ernsten Scharlachfall mit Salvarsan behandeln
werde. Der Scharlach ist meines Erachtens in die Reihe der Infek¬
tionskrankheiten zu setzen, die chemotherapeutisch angegrifien
werden können, darüber besteht für mich kein Zweifel mehr, nicht
in dem hervorragenden Masse, wie die Rekurrens und die Malaria,
aber immer doch so aussichtsvoll, dass ich persönlich die Behandlung
des Scharlach mit Salvarsan nicht mehr unterlassen würde.
Aus den französischen medizinischen Gesellschaften,
Societ6 de Chirurgie.
Sitzung vom 1. und. 8. Juli 1914.
Zur Lokalanästhesie.
R e c 1 u s erinnert wiederholt daran, dass er diese Methode
bereits vor 27 Jahren, auf 111 Beobachtungen gestützt, empfohlen
hat. Inzwischen hat er das Kokain mit Novokain und Adrenalin,
deren anästhetische Wirkung ebenso gross und ohne jede Gefahr
ist und folgende Formel hat: physiologische Kochsalzlösung 100,0.
Novokain 0,5, Adrenalin (1: 1000) gtt XXV, vertauscht. R. hebt noch
hervor, dass die Lokalanästhesie die Spätzufälle des Chloroforms
vermeiden lässt. Obwohl es möglich ist, Dosen von 150— 200 ccm
obiger Lösung anzuwenden, hält es R. für unnötig, so hoch zu
gehen: mit einer Menge von weniger als 100 ccm erzielt man viel¬
mehr ein Operationsfeld, das völlig genügt, um fast alle Operationen
(Explorativlaparotomien, Leberzysten, Hernien, Gastrostomien, künst¬
lichen After usw.) vorzunehmen, unter der Bedingung, dass man
wartet, bis völlige Unempfindlichkeit vor der Operation einge¬
treten ist.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Zur Behandlung der Keratitis ex Acne rosacea
rät L. P i c k - Königsberg einen Versuch mit direkter Röntgenbe¬
strahlung der erkrankten Augen verbunden mit gleichzeitiger Be¬
strahlung des Gesichtes zu versuchen.
Durchschnittlich sollen 4—6 Sitzungen von je einer geringen
Erythemdosis in 4—8 tägigen Intervallen genügen, um selbst pro¬
gressive und nekrotisierende Infiltrate zum Verschwinden zu bringen.
Den Augen selbst sollen diese Dosen von Röntgenstrahlen nie ge¬
schadet haben. (Therapeutische Monatshefte 1914, 8.) Kr.
Auf eine einfache Behandlung des Mastdarm¬
vorfalls macht R o u x - Lausanne aufmerksam. Die von ihm an¬
gegebene Methode besteht darin, dass nach Reduktion des Prolapses
und Reinigung der Umgebung des Afters der linke Zeigefinger so
hoch wie möglich in den Mastdarm eingeführt wird. Danach wird
eine 6— 10cm lange Pravazsche Nadel eingesteckt und zwar
parallel mit der Darmwand und dicht an der äusseren Darmschicht.
Sodann werden eine halbe bis eine ganze Spritze absoluten Alkohols
beim Zurückziehen der Nadel in das pararektale Bindegewebe ein¬
gespritzt. Roux wendet diese Methode seit bald 20 Jahren ohne
einen Misserfolg an. Er hat auch bei ganz kleinen Kindern 2 — 6 ccm
absoluten Alkohol ohne irgendwelche Nachteile eingespritzt. (Thera¬
peutische Monatshefte 1914, 8.) Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Weihnachtsgabe für arme Arztwitwen in Bayern.
Die Witwenkasse des Vereins zur Unterstützung invalider hilfs¬
bedürftiger Aerzte in Bayern tritt wieder wie alljährlich bittend an
alle bayerischen Kollegen heran.
Die Schrecken des Krieges haben das Los unserer Witwen und
Waisen wenn irgend möglich noch verschlimmert.
Deshalb bitten wir die Kollegen in Stadt und Land der armen
Witwen und Waisen unseres Standes zu gedenken.
Die aus Beiträgen und Zinsen anfallenden Mittel sind bei weitem
nicht ausreichend, um allen an unsere Kasse gestellten Anforde¬
rungen Genüge zu leisten. ,
1913 wurden 71 Witwen und 10 Waisen fortdauernd unterstützt
und 1914 hat sich diese Zahl wieder erschreckend vermehrt.
Weihnachten 1913 haben wir dank der Opferwilligkeit unserer
Kollegen und deren Gattinnen 24 Witwen und Waisen mit Gaben
von je 50 — 100 M. erfreut.
Weihnachten 1914 warten viele viele Witwen und insbesondere
Waisen, da letztere satzungsgemäss nur bis zur Volljährigkeit unter¬
stützt werden dürfen, auf ein Geschenk.
Gaben nimmt dankbarst entgegen:
Der Kassier des ärztlichen Invalidenvcreins, Abteilung Witwenkasse:
Dr. Hollerbusch, Fürth, Mathildenstrasse 1.
Gabenverzeichnis: Herausgeberkollcgium der Münch
med. Wochenschrift 300 M. — Dr. B. Spatz 20 M.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26.
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
MÜNCHENER
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 43. 27. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 12.
lieber Schussverletzungen des Darmes.
Von Generalarzt Enderlen (Würzburg), 11. bayer. Armee¬
korps.
In den Feldärztlichen Beilagen ist von den Bauch-
schussverletzungen mehrfach die Rede (v. Angerer,
Kraske, Payr). Am günstigsten beurteilt sie Payr]
\velcher sich bei dem kleinkalibrigen Geschoss eine rasche
\ erklebung verspricht; er gibt deshalb nur wertvolle Winke
iiir die spätere Behandlung von Beckenabszessen, v. Angerer
ist weniger optimistisch; er fürchtet ausgedehntere Darmver¬
letzungen. Kraske spricht von glatten Darmschüssen; er
sah 3 Operierte, deren Zustand am 3. Tage nach der Wund-
versorgung günstige Aussichten versprach.
Hieran möchte ich meine bisherigen bescheidenen Be¬
obachtungen anschliessen.
Ich sah mehrere 24 Stunden alte Verletzungen, bei denen
nan nach Einschuss und Ausschuss zu urteilen ein Durch¬
gingen der Bauchwand fast annehmen musste; es fehlte aber
lie Bauchdeckenspannung und das Erbrechen; der Puls war
tut, die Darmtätigkeit funktionierte, der weitere Verlauf war
einstig.
Einmal (8 Stunden p. tr.) war der Einschuss am Rücken,
iahe der Wirbelsäule, der Ausschuss kurz unterhalb des
Jabels. Es bestand starke Spannung der ganzen Bauchwand,
.rbrechen, Verhaltung von Stuhl und Blähungen; der Puls war
elativ gut. Bei der Operation war reichlich Blut im Abdomen,
velches aus einem Risse im Mesenterium stammte. Der Darm
var unverletzt; die Blutung war unschwierig zu stillen. Aehn-
ich verhielt es sich bei anderen Patienten, bei welchen das
jeschoss das Abdomen in transversaler Richtung durchsetzt
latte. Sie kamen 6 — 7 Stunden nach der erlittenen Verletzung
i die Behandlung. Alle drei erholten sich rasch.
Wichtig wäre es, diese Traumen von denen mit extra-
•eritonealer Perforation des Darmes oder schwerer Blutung
nterscheiden zu können 1).
Die „freie“, den Ort wechselnde Gasblase vermisste ich
i mehreren Fällen von Darmperforation.
In Friedenszeiten könnte man kurze Zeit unter sorgfältiger
Beobachtung abwarten, ob der Puls leise schlechter und das
dlgemeinbefinden weniger gut wird. Im Feldlazarett ist dies
icht stets ausführbar, weil dieses unter Umständen rasch ab-
ebrochen werden muss. Einmal musste ich - — obwohl ich der
’erforation sicher war — 5 Stunden warten; der Verletzte
uisste noch 3 km transportiert werden. Das Allgemein¬
efinden hatte sich inzwischen bedeutend verschlechtert
14 Stunden p. tr.). Obwohl nur ein zweimarkstückgrosser
’iss im oberen Jejunum vorhanden war, ging der Patient
n seiner Peritonitis doch zugrunde. Ohne den notge-
"ungenen Aufschub wären die Aussichten wesentlich gün-
:iger gewesen.
Von 14 mit Darmverletzung komplizierten Bauchschüssen
rächte ich nur 2 durch, die 8 — 10 Stunden vor ihrer Ankunft
etroffen worden waren. Ausserdem sah ich 2 gute Fälle, die
on anderer Seite nach 2 bzw. 8 Stunden operiert wurden.
, Extraperitoneale Verletzungen des Zoekum bzw. Colon asc.
erliefen günstig, ebenso einige Streifschüsse des Darmes mit Fistel-
Idung.
Ein Bauchstich mit Darmverletzung und starker Mesenterial¬
blutung, der 2Vi Stunden nach erlittenem Trauma von mir
nn Feldlazarett operiert wurde, verlief ebenfalls gut. Es
handelte sich um kleinere und grössere Löcher des Darmes,
bei reichlichem Exsudat in der Bauchhöhle. Dieses wurde
trocken ausgetupft; von einer Spülung konnte keine Rede sein.
Bei den übrigen waren, bis sie zur Untersuchung kamen,
13—15 Stunden verflossen. Der Allgemeinzustand war der¬
artig, dass man einen Eingriff noch wagen konnte. Diese
zeigten zum Teil ausgedehnte Einreissungen des Darmrohres,
welche die Resektion erforderten, und einige wiesen noch
Leberverletzungen- auf. Die Peritonitis war weit vorge¬
schritten. Einige starben bald nach dem Eingriffe, die anderen
nach einigen Tagen. Ob die letzten zu Hause bei aller zur
Verfügung stehenden Pflege besser verlaufen wären, wage ich
nicht zu entscheiden. Nach einem Ablauf von 18 Stunden
operiei te ich nicht mehr, auch wenn die Patienten dringend
darum baten. Sie bekamen reichlich Morphium.
Es werden immer missliche Verhältnisse vorliegen, welche
einer erfolgreichen Behandlung entgegenstehen. Die Patienten
sind zui Zeit der Verletzung oft ziemlich stark mitgenommen
(manche lagen tagelang in den Schützengräben); bis sie auf¬
gefunden und transportiert werden können, vergeht kostbare
Zeit; das Herbeischaffen stellt ebenfalls Anforderungen an die
Kräfte des Verwundeten; dazu kommt dann noch der Schock
des Eingriffes, welchen wir leider in Chloroformnarkose vor¬
nehmen mussten, da uns nichts anderes zur Verfügung stand.
Oben wurde bereits erwähnt, dass ein Aufschieben des Ein¬
griffes nicht zu umgehen ist (zu grosser Andrang, Abtrans¬
port) usw.
Die Vorbereitungen für den Eingriff entsprechen freilich
nicht den Anforderungen, welche wir zu stellen gewohnt sind.
Sie können aber einigermassen befriedigend durchgeführt
werden. Auf Spülungen muss man leider verzichten und sich
mit trockenem Austupfen und Drainage begnügen. Die Nach¬
behandlung ist ebenfalls nicht nach Wunsch durchzuführen.
Die Verwundeten müssen dann und wann schon 1 Stunde oder
1—2 Tage nach ausgeführter Operation wegen der Gefahr der
Beschiessung des Lazarettes abtransportiert werden; dies trifft
aber auch für die nicht Operierten zu.
Ich möchte auf Grund des vorliegenden kleinen Materiales
keine Vorschläge machen, sondern nur anführen, was ich
künftig zu tun beabsichtige; sollte ich zu anderer Anschauung
bekehrt werden, so werde ich nicht verfehlen, dies mitzuteilen.
Bei den meist schweren Verletzungen des Darmes kann
ich mir von Ruhe — die, wie oben erwähnt, vielfach nicht
durchführbar ist — von Opium und Hungern nichts ver¬
sprechen. Deshalb werde ich auch fernerhin operieren, falls
der Zustand des Patienten nicht schlecht ist; letzteres dürfte
nach Ablauf von 16 — 18 Stunden immer der Fall sein.
Am günstigsten scheint mir die Prognose innerhalb der
ersten 8 Stunden zu sein, falls nicht schwere Komplikationen
(Zerreissungen von Dünn- und Dickdarm, Leber-, Milz¬
ruptur etc.) vorliegen. Von diesem Zeitpunkt ab nehmen die
Aussichten auf einen günstigen Verlauf rapide ab.
PL
2146
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4,1
Zur Behandlung des Tetanus.
Von Prof. Fr. Voelckcr in Heidelberg.
Während man in Friedenszeiten nur verhältnismässig
selten (ielegenheit hat, das gefährliche Krankheitsbild des
Tetanus zu beobachten, mehren sich jetzt unter den Ver¬
wundeten die Tetanusfälle in erschreckender Weise. Ob die
Infektion schon im Moment der Verletzung durch mitgerissene
Staub- und Erdpartikel, geschieht, oder ob durch die Lagerung
und den Transport der Verwundeten auf Stroh und in Vieh¬
wagen die Infektion nachträglich passiert, kann nicht festge¬
stellt werden. Das häufige Vorkommen von Tetanussporen in
Pferdeexkrementen ist bekannt, wurde z. B. von Lukas, der
bei 17 untersuchten Pferden 16 positive Befunde hatte, nach¬
gewiesen.
Die Diagnose des Tetanus macht meistens keine Schwierig¬
keiten. Charakteristisch ist der tonische Kaumuskelkrampf
(Trismus), die tonische Starre der Körpermuskulatur (Opistho¬
tonus) und die klonischen Zuckungen des ganzen Körpers.
Häufig finden sich, diesen vorausgehend, lokalisierte Zuckungen
an der verwundeten Extremität.
Erwähnen möchte ich, dass ich vor einiger Zeit einen Fall
sah, in dem die Diagnose zwischen Tetanus und Poly¬
arthritis rheumatica schwankte. Befallensein der Kiefer¬
gelenke täuscht Trismus vor und Zuckungen in den Extremi¬
täten sind, offenbar von den schmerzhaften Gelenken bei ge¬
ringen Lageverschiebungen ausgelöst, möglich.
Berge und Pernet (Bull, et mem. soc. med. de Paris 1913
S. 571) beschreiben einen Fall, der als Tetanus diagnostiziert und
behandelt wurde (Trismus, Opisthotonus, Zuckungen). Bei der Sek¬
tion erwies es sich als eine Granularatrophie der Nieren. Die
Muskelerscheinungen waren also urämischer Natur.
Für die Praxis wichtiger ist die Therapie. Man muss
unterscheiden:
1. die Behandlung mit Tetanusantitoxin,
2. die symptomatische Behandlung a) mit Narcoticis,
b) mit Magnesiumsulfat, c) mit Karbolsäureinjektion,
3. die Behandlung der Wunde.
Am wirksamsten und theoretisch am besten begründet ist
die prophylaktische Tetanusantitoxininjektion. Leider ist ihre
Anwendung dadurch beschränkt, dass man nur schwer oder
gar nicht beurteilen kann, welche Wunden mit Tetanus infiziert
sind. Die bakteriologische Untersuchung des Wundsekretes
ist zu unsicher. Vielleicht gelingt es, das Toxin im Blute vor
Ausbruch der Krankheit selbst festzustellen. McClintock
und H u t c h i n g s (Journ. of infect. diseases 13 S. 309) konnten
bei mit Tetanus infizierten Schafen 4 Tage vor dem Einsetzen
der klinischen Erscheinungen das Toxin im Blute nachweisen.
Vorläufig sind wir beim Menschen leider noch nicht so weit.
Ueber den Wert der Antitoxintherapie des ausgebrochenen
Tetanus ist man noch nicht ganz einig. Im ganzen über¬
wiegen aber in der Literatur die günstigen Urteile. Der Wert
dieser Behandlung geht z. B. sehr deutlich aus einer Statistik
hervor, welche P e r in i n (Mitt. Grenzgeb. 27) aus dänischen
Krankenanstalten gibt. Bei 190 nicht mit Serum behandelten
Fällen betrug die Mortalität 79 Proz.; bei 330 mit Serum be¬
handelten Fällen nur 62,1 Proz. Die meisten Autoren emp¬
fehlen grosse Dosen.
Als Applikationsort des Antitoxins wurden verschiedene
Stellen gewählt. Am besten begründet ist die intradurale und
endoncurale Injektion. Daneben wird die subkutane, intra¬
venöse, perineurale, intramuskuläre Injektion empfohlen, ferner
die Injektion in die Nachbarschaft der Wunde und das Ein¬
streuen pulverförmigen Antitoxins in die Wunde.
Die symptomatische Behandlung mit Narkoticis (Chloral,
Paraldchyd, Opium, Pantopon, Morphium etc.) spielt mit Recht
eine grosse Rolle und kann in der Praxis nicht entbehrt
werden.
Die Behandlung mit Magnesiumsalzen wurde von Meitzer
und Auer auf Grund von Tierversuchen in der Praxis ein¬
geführt. Sie konnten durch Magnesiumsalze einen tiefen
Schlaf mit gänzlicher Anästhesie und völliger Erschlaffung der
willkürlichen Muskeln und Ausschaltung der Reflexe erzeugen.
Wurden mehr als 2 g pro Kilo Körpergewicht gegeben, so
trat eine Lähmung des Atemzentrums ein.
Th. I< o c h c r hat diese Methode in Deutschland bekannt ge¬
macht. Die erste Empfehlung stammt aus Amerika. Er empfahl eine
10-15 proz. Lösung von Magnesiumsulfat in Mengen von ca. 5ccm
intradural oder intramuskulär oder intravenös anzuwenden. Die
intradurale und intravenöse Injektion ist gefährlicher als die sub¬
kutane. Bei eintretenden Atemstörungen kann Physostigmin oder
Chlorkalzium als Gegengift gegeben werden.
Die mitgeteilten Resultate sind ermutigend, wenn auch die
Dosierung des Mittels und die Applikationsweise noch nicht
genügend ausgeprobt sind. Kocher hat von 7 Fällen 6 ge¬
heilt. Am d, Powers, Miller, Fox, Johnson, Pate r-
son und andere berichten über geheilte Fälle. Smithson
allerdings über 2 Fälle mit tödlichem Ausgang an Atem¬
lähmung.
In Deutschland verhältnismässig wenig geübt ist die Be¬
handlung mit subkutanen Karbolinjektionen nach Baccelli
(B.kl.W. 1911 Nr. 23). Sie beruht auf der sedativen Wirkung
der Karbolsäure. Die Statistik, welche Baccelli veröffent¬
licht, gibt geradezu verblüffende Resultate. Er berechnet auf
Grund von 190 Fällen die Mortalität bei den sehr schweren
Fällen auf 20 Proz., bei den schweren Fällen auf 2 Proz., also
insgesamt unter 20 Proz. Ich habe in meinen weiter unten
mitgeteilten Fällen diese Methode zur Unterstützung der Anti¬
toxintherapie angewandt, und zwar mit gutem Erfolge.
Irgendwelche störende Nebenwirkungen habe ich nicht erlebt;
dass man den Urin kontrolliert und beim Eintritt dunkler Fär
bung oder Albuminurie mit der Dosis zurückgeht, ist selbst¬
verständlich. Man benutzt 2 proz. Karbolwasser und injiziert
subkutan an irgend einer Stelle des Körpers jedesmal 5 ccm.
Das entspricht 0,1 g Karbolsäure. Man beginnt mit 1 oder 2 In¬
jektionen pro die und steigt allmählich an bis zu 5 oder 6 In¬
jektionen pro die. Ebenso geht man entsprechend der Besse¬
rung der tetaniseben Erscheinungen wieder bis auf 1 Injektion
zurück.
1. Musketier Kaspar D., verwundet am 25. VIII. 14, aufgenommen
Genesungsheim Rohrbach 27. VIII. Vielfache Granatsplitterver¬
letzungen an der rechten Hand, zwei am rechten Arm, eine am
linken, eine an der Wade und am Rücken. Die Splitter wurden
extrahiert. Die Wunden heilten, Pat. zählte zu den Geheilten und
verrichtete Hausarbeit.
Am 8. IX. plötzlich Trismus. Zähne bis Fingerbreite von
einander entfernt. Es ist durchaus unklar, welche von den vielen
Wunden die Ursache des Tetanus ist. Sie sind alle geheilt. Weil
die am linken Oberarm etwas schmerzhaft ist und man ein kleines
Knötchen unter der. Haut fühlt, wird diese Stelle inzidiert. Man
findet ein kleines Hämatom, keinen Eiter, keinen Fremdkörper.
Injektion von 100 A.-E. Antitoxin perineural im linken Oberarm.
10. IX. Zähne können nicht mehr von einander entfernt werden.
Stossweise Zuckungen des Körpers. 100 A.-E. subkutan rechter
Oberarm.
11. IX. Deutlicher Opisthotonus. Schluckbeschwerden. 100 A.-E.
subkutan. Karbol 0,2.
12. IX. 100 A.-E. subkutan. Karbol 0,2.
In den nächsten Tagen Karbol bis 0,3 pro die. Daneben reich¬
lich Morphiuminjektionen. Das anfangs leichte Krankheitsbild wurde
allmählich schwerer.
14. IX. Heftige Zuckungen. Hohes Fieber. Oefters Schweisse.
Urinverhaltung Katheter.
Vom 19. IX. ab Besserung. Nachlassen der Krämpfe. Aus¬
setzen der Karbolbehandlung. Ausgang in Heilung. Anfang Oktober
macht Pat. die ersten Gehversuche.
2. Schütze W. Reservelazarett Neuenheim. Verwundet am
3. IX. Mittel-, Ring- und Kleinfinger der rechten Hand zerfetzt. Auf¬
nahme am 5. IX. Exartikulation dieser Finger. Die Wunde bleibt offen.
14. IX. Trismus. Von der rechten Hand steht noch Daumen
und Zeigefinger, daneben die eiternde Exartikulationswunde. Man ist
versucht, die Hand zu amputieren, mit Rücksicht auf den grossen
Wert von Daumen und Zeigefinger entschliesse ich mich, die Hand
zu erhalten und ätze in Narkose die Wunde sehr energisch mit
Acid. carbol. liquefactum. 100 A.-E. intradural.
Das Krankheitsbild des Tetanus erreichte in der Zeit vom 17.
bis 20. IX. seinen Höhepunkt. Von da ab allmähliche Besserung.
Am 18. IX. nochmals 100 A.-E. intradural. Daneben subkutane
Karbolinjektionen. Beginn am 15. IX. 2 mal 5 ccm 2 proz. Karbol¬
säure. Täglich 5 ccm mehr.
Von 18.— 20. IX. täglich 5 mal 5 ccm. Von da allmählich zurück¬
gehend bis 25. IX. Im ganzen 185 ccm 2 proz. Karbolsäure oder
3,7 g reiner Karbolsäure.
Die Wunde der Hand hatte sich nach der Karbolätzung sehr
gut gereinigt, sie wurde mit Bädern behandelt und kam zu guter
Granulation. Ausgang in Heilung.
3. Musketier B. Verletzt am 4. IX., Aufnahme 11. IX. (Vereins¬
lazarett Prof. V o e 1 c k e r). Linke Wade in Ausdehnug einer Hand
sehr schwer zerfetzt. Tibia und Fibula gebrochen. Wunde eitrig
7. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2147
elegt. übelriechend. Faszien- und Muskelnekrosen werden abge-
ragen. Fieber. 14. IX. Ziehende Schmerzen in der Kaumuskulatur.
15. IX. Insmus. Zuckungen im verletzten Beine. Actzen der
unde mit Acid. carbol. liquefactum. 100 A.-K. c p i d u r a 1 2 mal
ccm 2 proz. Karbolsäure subkutan.
16. IX. 3 mal 5 ccm 2 proz. Karbolsäure.
17. IX. 4 mal 5 ccm 2 proz. Karbolsäure.
Oie Stosse welche sich vom linken Bein allmählich auf
cn Körper foi t&csctzt hätten, hsben zwar etwäs nuchgcltisscii die
.mputation des Beines Hess sich aber nicht umgehen. Denn bei
■Jer Zuckung rieben sich die Knochenfragmente gegeneinander Die
eniperatur war 40 °.
Amputatio femeris supracondylica. 100 A.-E. intradural 20 A -E
ndoneural in den N. ischiadicus (bei der Amputation) 80 A -E
abkutan
In den folgenden Tagen deutliches Nachlassen der Zuckungen
Karbolinjektionen täglich, allmählich ansteigend bis 5 X 5 ccm
proz. Karbol wasser. Vom 20. IX. ab wieder zurückgehend Aus-
esetzt am 26. IX. Im ganzen 175 ccm 2 proz. Karbolsäure =: 3,5 ccm
einer Karbolsäure.
Die Ampututionswunde heilt abgesehen von einem kleinen,
acliti äglicli cröfineten Abszess per primam. Ausgang in Heilung.
4. Musketier K. Reservelazarett Neuenheim. Verwundet 1. IX.
erfetzte Fleischwunde am linken Unterschenkel. Durchschiessung
es linken Oberschenkels. Aufnahme hier 8. IX. Tetanus ausge-
rochen am 11. IX. mit lokalen Muskelkrämpfen im linken Bein und
ichtem Irismus. 100 A.-E. perineural in den N. ischiadicus.
12 IX. Aetzung der Unterschenkelwunde mit Acid. carbolic.
juefactum, Inzision des Oberschenkels, Entleerung von Blutkoagula
is einer gut faustgrossen Muskelhöhle. Energische Aetzung dieser
ölile mit Acid. carbol. liquefactum. 100 A.-E. epidural. Subkutane
arbolinjektionen 2X5 ccm.
13. IX. Starker Trismus, Opisthotonus, heftige Stösse. Sub-
itan 20 A.-E. 3 X 5 ccm 2 proz. Karbolsäure.
14. IX. Subkutan 20 A.-E. 3X5 ccm 2 proz. Karbolsäure.
15. IX. 4X5 ccm 2 proz. Karbolsäure. Die Zuckungen im linken
.■in sind besser. Trismus und Schluckbeschwerden noch stark
16. IX. Nochmals 100 A.-E. intradural. 4X5 ccm 2 proz. Karbol-
ure
20 IX. Die tetanischen Erscheinungen gehen langsam zurück,
e täglichen Karbolinjektionen werden reduziert.
22. IX. Karbolsäure ausgesetzt. Opisthotonus und Zuckungen
rschw unden. Trismus besser. Ausgang in Heilung. Im ganzen
0 A.-E 165 ccm 2 proz. Karbolsäure = 3,3 g Karbolsäure.
In allen diesen 4 Fällen waren auf der Höhe der Erkrankung
ichliche Gaben von Narkotizis (Chloral und Morphium) zur An-
mduug gekommen.
Man kann vielleicht gegen diese Fälle einwenden, dass in
inem derselben die Inkubationszeit unter 8 Tagen war, dass sie
i0. von vornherein eine gute Prognose hatten. Immerhin handelt
sich um Erkrankungen, die einen sehr schweren Eindruck machten.
Was die Behandlung der Wunde anbetrifft, so zielt unser
erapeutisches Bestreben auf die Vernichtung der Tetanus-
itne in der Wunde ab, um den Nachschub neuer Toxine in
n Kreislauf zu hindern. Das radikalste Mittel ist die Am¬
tation. In einem unserer Fälle (1) kam sie überhaupt nicht
Frage, denn bei den vielfachen, zum Teil den Rumpf be¬
henden Veränderungen war nicht festzustellen, von welcher
unde der Tetanus ausging. In zwei Fällen (2 u. 4) waren
r in starker Versuchung, die verletzten Glieder zu ampu¬
ren. Wir haben aber doch der konservativen Therapie den
»rzug gegeben und haben an Stelle der Amputation eine
ergische Aetzung der durch Hilfsschnitte breit
öffneten Wunden mit Acid. carbolicum
duefactum herangezogen. Dieses Vorgehen hat sehr zu
;cr raschen Reinigung der Wunden beigetragen und die Kar¬
lätzung dringt bekanntlich viel mehr in die Tiefe der Ge¬
be ein, weil sie keinen festen Schorf erzeugt wie andere
tzmittel und damit ihre eigene Wirkung in die Tiefe
ht begrenzt. In einem Falle (3) liess sich die Amputation
•r nicht umgehen. Die infizierte Unterschenkelfraktur mit
tiefen Zerfleischung der Wadenmuskulatur brachte einen
rken Einschlag septischer Erscheinungen in das Krankheits-
J und bei jeder Muskelzuckung rieben sich die Fragmente
Knochen gegen einander und erzeugten unerträgliche
imerzen.
Ich glaube, auf Grund dieser Erfahrungen darf die an-
•vandte Behandlung, welche charakterisiert ist durch I n -
ktion von Antitoxin (intradural), Injektion
n2proz. Karbolsäure (subkutan) und Aetzung
r W unde mit konzentrierter Karbolsäure,
pfohlen werden.
Aus dem Städtischen Krankenhaus Ludwigshafen a. Rh.
Ueber Tetanus nach Schussverletzungen.
V on Dr. Kurt Werner Eunike.
Die Gefahr der Wundinfektion, einerlei ob primäre oder
sekundäre, ist im Krieg sehr gross. Insbesondere scheint die
Infektion mit Tetanus verhältnismässig häufig zu sein. Dies
erscheint auch einleuchtend, wenn man bedenkt, dass die Be¬
kleidung wohl stets mit Erde, die derartige Keime enthalten
kann, verunreinigt ist. Wenn ja auch das direkte Geschoss steril
ist, so gilt dies nicht von den Prallschüssen, die durch ihr vor-
h enges Aufschlagen infiziert worden sein können. Besonders
wichtig erscheint mir aber — nach den Anamnesen beurteilt —
die Sekundärinfektion, für die reichlich Gelegenheit besteht.
Diese kann entweder direkt nach der Verwundung, wenn z. B.
oer Verwundete kriechend Deckung sucht, stattgefunden
haben, oder erst auf dem Transport.
Bis heute sind am hiesigen Krankenhaus 10 Fälle von
ietanus beobachtet. Nur bei einem Fall war die Verwundung
durch Infanteriegeschoss entstanden, bei den anderen handelte
es sich um Granat- oder Schrapnellschüsse. Diese beiden
letzteren setzen meist grössere und zerfetztere Wunden, die
zur Sekundärinfektion weit fähiger sind. Ob eine solche nun
ausschliesslich für das Auftreten des Tetanus verantwortlich
zu machen ist, lässt sich mit Sicherheit natürlich nicht sagen;
doch sprechen die meisten Anamnesen hierfür. Ich will im
folgenden einige anführen.
1. Reservist P. J. Verwundet am 20. VIII. durch Granatschuss
m die rechte Wade. Grosse Weichteil wunde. Keine Beteiligung der
Knochen. Er fiel nach dem Schuss zu Boden, kroch in eine Acker-
turche und von hier eine grosse Strecke weiter, bis ihn ein Kamerad
verband (Verbandpäckchen). Von hier kam er in ein Feldlazarett
wo ihm der erste regelrechte Verband angelegt ward und von wo
aus er ins Heimatsgebiet transportiert wurde. Am Abend des
80. August klagte er über krampfartige Schmerzen im Bein und nach
einigen Stunden über Beschwerden beim Essen.
2. F. G. Verwundet am 24. VIII. durch Schrapnell an der rech¬
ten Wade, ohne Beteiligung der Knochen. Er erhielt den Schuss im
Liegen auf einem frisch gepflügten Acker und ward erst nach Stun¬
den im Feldlazarett verbunden. Er kam dann ins Heimatsgebiet in
ein Reservelazarett. Am 9. IX. klagte er über Beschwerden beim
Essen und späterhin über Krämpfe in dem verwundeten Bein.
3. Reservist F. W. Verwundet am 24. VIII. durch Granatschuss;
beide Fusse. Er kroch ein grosses Stück auf denn Acker, bis ihn
ein Kamerad verband (Verbandpäckchen). Nach einigen Stunden kam
er in ein Feldlazarett und ward von dort in ein Reservelazarett des
Heimatsgebietes transportiert. Am 5. IX. zeigte sich deutlicher
Trismus.
4. R. R. Verwundet am 25. VIII. durch Schrapnell. Rechte
Hand. Abschuss des 2. bis 5. Fingers. Nach ungefähr 2 Stunden
verband ihn ein Kamerad (Verbandpäckchen). 2 Stunden ging er
noch mit ins Gefecht und blieb dann über Nacht auf dem Feld bei
einigen anderen Verwundeten liegen. Am folgenden Tag kam er in
ein Feldlazarett und ward von dort ins Heimatsgebiet transportiert,
wo er in 3 verschiedenen Reservelazaretten untergebracht war und
in dem letzteren operiert ward. Am Tage nach der Operation spürte
er leichte krampfartige Schmerzen in dem betreffenden Arm und
nach 2 Tagen ein allmählich steigendes Spannungsgefühl beim Essen.
Er selbst macht Zugluft für die Beschwerden verantwortlich und
meinte, es sei eine „Erkältung“. Bald darnach trat Steifigkeit im
Nacken auf.
Bei diesen Fällen ist- nach der Anamnese eine sekundäre
Infektion wahrscheinlicher als eine primäre, obwohl man dies
mit Bestimmtheit nicht nachweisen kann. Die Inkubationszeit
aller 10 Fälle — gerechnet vom Tage der Verwundung —
liegt zwischen 9 Tagen und 3 Wochen. Die Mehrzahl kam
zwischen 12 und 18 Tagen zum Ausbruch. 5 Fälle kamen ad
exitum. 3 von ihnen wurden schon in sehr trostlosem Zustand
eingeliefert, waren nur 1 oder 2 Tage in Behandlung und
zeigten steile, bis auf 40,5 0 ansteigende Temperaturen, allge¬
meine Krämpfe der Muskulatur mit starkem Opisthotonus.
Der 4. Fall wurde 4, der 5. 8 Tage behandelt. Bei allen
übrigen Fällen zeigte die Temperaturkurve keinen regel¬
mässigen Iypus, doch hielt sich bei diesen zur Heilung ge¬
langenden Fällen die Temperatur in mässigen Grenzen (38°).
Allen Fällen war therapeutisch Antitoxin zu wiederholten
Dosen von je 100 A.E. gegeben, bei einigen Fällen intradural,
bei anderen subkutan ohne bemerkenswerte Differenz des
therapeutischen Erfolges. Symptomatisch kam Morphium und
Chloralhydrat zur Anwendung, wobei wir regelmässig die
2148
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 43.
Beobachtung machten, dass die Wirkung des Chloralhydrats
prompter und nachhaltiger war, wie diejenige des Morphiums.
Ueber die Behandlung mit Magnesiumsulfat, das wir in 10 proz.
Lösung intradural geben, liegen noch keine genügenden Be¬
obachtungen vor, um ein Urteil fällen zu können. Es soll dies
in einer der nächsten Nummern nachgeholt werden. Bei allen
grösseren Zermalmungen, besonders dann, wenn nach der
Anamnese Infektionsmöglichkeit nahelag, geben wir prophy¬
laktisch 20 A.E. subkutan und wiederholen diese Dosis zwei¬
mal in wöchentlichen Intervallen, so dass im ganzen 60 A.E.
gegeben werden.
Da der Tetanus eine im Frieden nicht allzu häufige Er¬
krankung ist, so werden möglicherweise die ersten Symptome
unbeachtet gelassen oder verkannt, besonders da der Patient
sich anfangs nicht schwer krank fühlt und so könnte, zumal
wenn der Patient irreführende Angaben macht wie in
Anamnese IV beschrieben, der sich anfänglich nur als leichtes
Spannungsgefühl dokumentierende Trismus als . „rheumatisch“
aufgefasst werden und es erscheint wichtig, besonders darauf
hinzuweisen, um sofort die richtige Therapie einzuschlagen,
da, wenn in solchen Fällen Aussicht auf Heilung besteht, dies
nur bei ganz früh einsetzender Therapie überhaupt möglich
erscheint.
Interessant dürfte auch sein, den Prozentsatz der tetani-
schen Infektion festzustellen und es wäre wünschenswert,
wenn von möglichst vielen Seiten ziffernmässige Angaben ge¬
macht würden.
Die hiesigen 10 Fälle entsprechen einer Verwundetenzahl
von ca. 3000 (0,33 Proz.) bis zum 10. September.
Aus dem Städtischen Krankenhaus zu Schwenningen a. N.
(Direktor: Dr. K o 1 b).
Ueber die ersten Kriegsverletzungen im Vereinslazarett
Schwenningen a. N.1
Von Karl Kolb.
Wenn man als Chirurg plötzlich vor die Aufgabe gestellt
wird, Kriegschirurgie zu treiben, so merkt man sehr rasch,
dass sie eine ganz andere Chirurgie ist als die, welche man
zu Friedenszeiten gewohnt ist. Wer stets den Grundsatz des
„nil nocere“ befolgt hat, der wird in manchem Falle im Zweifel
sein, welchen therapeutischen Weg er einschlagen soll, um
einen Erfolg zu sehen. Von der Vielseitigkeit der Kriegs¬
chirurgie kann man sich schon bei den ersten Verwundeten
überzeugen. Wenn ich im folgenden über unsere Verwundeten
berichte, so geschieht es deswegen, um einerseits über unser
vielseitiges Material Aufschluss zu geben, andererseits einige
interessante Fälle des näheren zu beleuchten.
Der erste Verwundetentransport kam bei uns am 29. August an
und brachte uns 227 Verwundete. Von diesen fanden 60 Aufnahme
im städtischen Krankenhause, 98 in der erst vor einigen Jahren er¬
bauten Gartenschule, die sich infolge ihrer grossen Räume mit ihren
grossen Fensterflächen, Dampfheizung und Badeeinrichtungen zur
Umwandlung in ein Lazarett als besonders praktisch erwies. Der
Rest, nur leichter Verwundete, bezog Privatquartiere. Ihn gaben
wir schon nach 3 Tagen nach Schramberg ab. Dieser erste Trans-
portzug brachte uns sehr viele Schwerverwundete, die. sämtlich im
städtischen Krankenhause Unterkunft fanden, während die leichter
Verwundeten die Gartenschule bezogen. Beide Lazarette unter¬
stehen meiner Leitung.
Der zweite Verwundetentransport kam am 17. September an.
Er brachte uns meist nur Leichtverwundete, 40 an der Zahl, die in
die inzwischen frei gewordenen Betten einrückten.
Die Verwundeten des ersten Transportes kamen aus der Gegend
von Luneville und Lagarde. Sie waren, bis sie zu uns kamen, 4 bis
5 Tage unterwegs, schon unter dem zweiten, dritten oder sogar
vierten Verband. Verbände mit Verbandpäckchen sahen wir daher
auch nicht. Die Wunden waren meist oberflächlich infiziert; auch
einige Phlegmonen und erysipelatöse Entzündungen waren dabei.
Der zweite Transport brachte uns fast durchweg Leichtverwundete,
die meist in sehr gutem Zustande waren und meist schon 48 Stunden
nach der Verletzung in unsere Behandlung kamen. Die Ver¬
wundeten kamen aus der Gegend von Verdun.
Bei unserem Material waren besonders zahlreich die Schuss¬
verletzungen im Bereich der Fiisse und des Unter¬
schenkels, meist nur harmlosere Weichteilverletzungen mit
kleinem Einschuss und grösserem Ausschuss, hervorgerufen durch
Infanteriegeschosse. Erkundigte man sich bei den Verletzten nach
dem Grunde, warum sie gerade so oft an den Füssen getroffen seien,
so hörte man fast immer, dass sie der zweiten Schützenlinie angehört
hätten. Da die Franzosen nun durchweg zu weit geschossen hätten,
also über die erste Schützenlinie hinaus, so hätten sie bei einem
Sprung nach vorne die Verletzungen in die Füsse erhalten. Die
Verletzungen waren meist leichter Art, so weit keine Knochen ge¬
troffen waren. Grössere Verletzungen am Ausschuss sahen wir nur
dann, wenn das Geschoss durch einen Knochen abgelenkt war.
Auch einige Streifschüsse waren zu verzeichnen; Querschläger
hatten naturgemäss grössere Weichteilverletzungen verursacht.
Besonders erwähnt seien noch zwei Verletzungen durch ein
Infanteriegeschoss. Bei einem Verwundeten war der Einschuss an
der Aussenseite direkt unterhalb des Knies. Ein Aussctiuss fehlte.
Man fühlte deutlich hinter dem inneren Knöchel eine Anschwellung,
die sehr empfindlich war und in der das Geschoss lag. Die Arteria
tibialis postica war nicht verletzt worden. Entfernung der Kugel
in lokaler Anästhesie. Diese Verletzung war wie die folgende beim
Sprung aus einem Schützengraben entstanden. Beim zweiten Falle
fand sich ein kleiner Einschuss an der Hüfte etwas oberhalb des1
Trochanter major und etwas nach innen zu. Die Kugel fühlte man
unter einer leicht geröteten Stelle, die direkt oberhalb der Patella,
lag. In lokaler Anästhesie Inzision und Extraktion des Geschosses.
In beiden Fällen war der lange Schusskanal nicht infiziert.
Zahlreich waren auch die Weichteilverletzungen
durch Granatsplitter und Schrapnellkugeln, die
durchweg ausgedehnter waren. Die Schrapnellkugefn hatten meistens'
nur noch die Kraft, grössere Hautwunden zu setzen und die Musku¬
latur aufzureissen. Tiefer drangen sie nur selten ein. Ein Fall
sei hier besonders erwähnt, bei dem die Schrapnellkugel seitlich
unterhalb des Trochanter major eindrang; der Wundkanal führte vor
den Oberschenkelgefässen her, ging dann in dem Unterhautfett¬
gewebe des Bauches weiter und endete blind etwas nach innen
von der Spina iliaca anterior der anderen Seite. Dort fühlte man
die Kugel direkt unter der Haut, wo sie sich leicht in lokaler An¬
ästhesie entfernen Hess. Ueber einen Fall von Granatverletzung sei
auch noch berichtet. Einem Infanteristen krepierte eine Granate
zwischen den beiden Oberschenkeln Es entstand dadurch an den
Innenseiten beider Oberschenkel eine doppelhandtellergrosse, tiefe
Wundfläche. Die Haut fehlte vollständig beiderseits. Links fanden
sich die darunter liegenden Muskeln wie bei einem Muskelpräparat
daliegend. Der Sartorius zog mitten durch die Wunde. Rechts
ging die Verletzung tiefer. Die Muskeln waren teilweise stark zer¬
rissen und die Muskelinterspatien eröffnet. Die Oberschenkel¬
knochen waren nicht verletzt. Man muss sich geradezu wundern,
dass durch die Granate keine stärkere Verletzung hervorgerufen
wurde. Unter feuchten Verbänden granulierten beide Wunden so;
gut, dass in einigen Tagen bereits daran gedacht werden kann, Haut
zu transplantieren. Erstaunlich ist auch, dass beide Wunden nur
ganz oberflächlich infiziert waren.
Wie ich schon sagte, fanden sich unter unseren Verletzten sehr
viele Wunden, die oberflächlich infiziert waren. Ein Verwundeter
mit tamponierter Wunde war nicht darunter. Trotzdem sahen wir
in der Folgezeit einige Phlegmonen auftreten, die durch grosse
Inzisionen der Heilung entgegengeführt wurden. Ueber eine schwere
Erysipelinfektion im Anschluss an eine kleine Schussver¬
letzung des Fusses ist auch zu berichten. Obwohl die Infektion1
einen bedrohlichen Charakter annahm, gingen die septischen allge¬
meinen und lokalen Erscheinungen langsam zurück. Pyo-
zyaneusinfektionen sahen wir nicht. Als eine schwere In¬
fektion, mit der wir von vorneherein rechneten, ist die Tetanus¬
infektion anzusehen. Am 6. September konnten wir gleichzeitig
zwei Fälle beobachten. In diesen Fällen bestanden leichte, durch
Infanteriegeschosse verursachte Fusswunden, die sich die Verletzten
am 25. bzw. 26. August geholt hatten. In beiden Fällen wurde
Tetanusantitoxin sofort nach Beschaffung (zwei Tage später) ge¬
spritzt. Während der eine Fall von Anfang an sehr schwerer Natur
war und auch nach 4 Tagen seinem Leiden erlag, haben wir den
zweiten Fall noch 14 Tage nach Ausbruch der tetanischen Erschei¬
nungen am Leben. Die Krämpfe haben in den letzten Tagen sowohl
an Intensität als auch an Zahl abgenommen, so dass wir hoffen,
den Verwundeten durchbringen zu können, besonders da sich auch
jetzt die Nackenstarre zeitweilig löst und die Schluckbeschw'erden
geringer geworden sind *).
Schussverletzungen von Knochen finden sich unter
unseren Verwundeten auch recht reichlich. Drei Schussfrak¬
turen des Oberschenkels verdienen besondere Erwähnung;
denn alle kamen u n geschient in unsere Behandlung.
Alle drei Verwundeten sagten übereinstimmend aus, dass die vier¬
tägige Eisenbahnfahrt hierher für sie geradezu unerträglich gewesen
sei. Bei jedem Stoss des Eisenbahnwagens wären starke Schmerzen
aufgetreten. Sehen wir unsere Verwundeten an, so handelte es sich
bei zwei dieser Verletzten um einen ganz kleinen Einschuss an der
Vorderseite des Oberschenkels und einen etwas grösseren Ausschuss
an der Hinterseite mit Verletzung des Knochens im Bereich der
Diaphyse. Die Beine waren in beiden Fällen nach aussen rotiert
*) Anmerkung bei der Korrektur. Der zweite Fall
ist inzwischen genesen. Ein dritter Fall starb am 4. Tage nach
Auftreten der Krämpfe an einer septischen Pneumonie. Es lag bei
ihm eine Schussverletzung der Hand vor.
27. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2149
und der Fuss lag mit seiner Kleinzehenseite der Unterlage auf Die
Diagnose war damit eigentlich auf den ersten Blick za stellen, Kreoi-
tation war bei genauerer Untersuchung leicht auszulösen. Man
muss sich nur wundern, dass bei diesen zwei Diaphysensplitterfrak-
uiren '"folge der ständigen Reibung der Knochenfragmente nicht
stärkere Nekrosen eingetreten sind und Infektionen der Weg ge-
1:a nt„Ä^Dieiem^e.ratU,.ren- die bei diesen Verletzten bei der
Ankunft zwischen 38—39 schwankten, gingen im Verlauf weniger
1 age zurück. b)'e V erwundeten liegen jetzt in den Extensionsverbänden
nach B a r cl e n h e u e r. Bei dem dritten Verw undeten, einem Fran¬
zosen, handelt es sich um einen Schuss in die distale Epiphyse
des Femur, die stark zersplittert ist. Ein Kniegelenkserguss musste
punktiert weiden Auch in diesem Falle lag nur ein kleiner Ein¬
schuss vor. Wir waren anfangs sehr erstaunt, dass uns diese
Frakturen ungesclnent zugingen; wenn man aber den kleinen Ein¬
schuss sieht so kann man wohl verstehen, dass auf dem Schlacht-
leld oder auf dem Verbandplatz, wenn das Getriebe sehr gross ist
solche Knochenschussverletzungen übersehen werden können. Im
Gegensatz zu diesen Verletzungen waren die übrigen Knochen-
schussv erletzungen alle geschient: Zwei Oberarmschüsse, eine
schussverletzung des Unterkiefers, mehrere Schussverletzungen der
Metakarpalknochen und der Unterschenkelknochen. Auch einen
Bruch aer Ulna sahen wir, der beim Schlachten einer Kuh durch
;iiien Fl ufrritt entstanden war. Eine Unterschenkelfraktur war mit
s\vei uui Ji Watte gepolsterten Brettchen von 3 cm Breite und 18 ein
.änge geschient. Wir möchten bei dieser völlig unzulänglichen
schienung dieser Fraktur nur an die von Kollegen Arthur W. M e y e r
,om Balkankrieg mitgeteilte Schienung einer Schussfraktur des
'berschenkels durch gespaltene Aestchen erinnern, die durch e'nen
lulgarischen Kollegen vorgenommen worden war. Wir sind mit
iem Fleilungsverlauf unserer Frakturen recht zufrieden bis auf eine
'diussverletzung des Oberarmknochens, bei der eine Vereiterung
les ganzen Oberarmknochens eingesetzt hat. Für die im Felde
Gehenden Kollegen sind unsere vorstehenden
Mitteilungen besonders wichtig, da sie zeigten,
lass aie Schienung der Knochen schussfrakturen
o c h n ichtin genügendem Masse ausgeführt wurde,
sei Knochenschussfrakturen muss unbedingt die
'Chienung mit Einbegreifen des distalen und pro-
malen Gelenkes gefordert werden. Auch ist zu
e achten, dass hinter kleinen, unscheinbaren äus-
eren V erletzungen schwere Knochenverletzungen
ich verbergen können.
Von Schussverletzungen im Bereich des Schädels sind nur drei
c h ä d e 1 s t r e i f s c h ü s s e zu erwähnen, bei denen die Knochen
icht verletzt waren. Verletzungen des Gesichts haben
ir drei beobachtet. Bei dem einen Fall handelte es sich um einen
•treifschuss, der vor dem linken Ohr in der Längsrichtung des
örpers verlief und nur die Flaut verletzt hatte. Ein zweiter Fall
ar wesentlich schwerer. Hier handelt es sich um eine grosse
ieischwunde vor dem Ohr. Die Muskeln des Mundes und der
ase waren gelähmt, so dass der untere und mittlere Ast des Nervus
icialis verletzt sein muss. Bei der stark eiternden Wunde war
a den Versuch der Nervennaht nicht zu denken. Dazu bestand
ich noch eine äussere Parotisfistel, die sich aber bereits nach
nigen 1 agen geschlossen hatte. Bei einem weiteren Fall hatte das
uanteriegeschoss den einen Backen durchschlagen, auf der Zunge
ne oberflächliche Rinne gesetzt und am Mundwinkel der anderen
eite nach Verletzung des oberen Eckzahns die Mundhöhle wieder
.'nassen. Von Halsschüssen sahen wir nur einige Streifschüsse, die
it zugranulieren.
In zwei Fällen waren wir gezwungen ein A u g e, das völlig zer-
ümmert war, wegen der Gefahr der sympathischen Ophthalmie zu
mkleieren. Unter lokaler Anästhesie Hess sich der Eingriff schmerz-
s durchführen. Die Heilung des Wundbettes erfolgte ohne jede
orung.
Lungenschüsse gehören zu den häufigeren Kriegsver-
izungen, und es ist ganz erklärlich daher, dass auch in unserem
aterial derartige Verletzungen zu finden sind. Wie wir im voraus
warteten, kamen zu uns nur die leichteren Fälle, denen im voraus
pW ei"e günstige Prognose gestellt werden konnte, da die schweren
He wohl nicht die langdauernde Reise vertragen hätten. Unsere
er Verletzten kamen in ganz gutem Zustand an. Hämoptoe zeigte
'h in keinem Falle. Kleinere Exsudate waren festzustellen, die
igsarn zurückgingen. Nur in einem Falle trat nach zehntägiger
lege bei uns unter Temperatursteigerung eine Vergrösserung des
sudates ein. Da die Probepunktion ein blutig-seröses, keim-
ei es Exsudat ergab und die Temperatur langsam zurückging,
aen wir bis jetzt vom Ablassen des Exsudates ab.
Von Bauch - und Beckenschüssen sind nur zwei Fälle
erwähnen. Im einen Falle, bei einem Franzosen, handelt es sich
i eine Bauchdeckenureterfistel, sicher eine seltene Ver¬
jüng. Der eiterhaltige Urin kommt aus der Fistelöffnung heraus
d wird auch durch den Weg über die Blase durch die Harnröhre
tieert. Eine Infektion des gleichseitigen Nierenbeckens konnten
r bis jetzt nicht bemerken. Die Nierengegend ist nicht druck-
ipfindlich. Die Fistel hat sich im Verlauf der Behandlung etwas
schlossen, und der Urin, durch die Blase entleert, ist auch klarer
worden, so dass wir zu einem Eingriff uns zurzeit nicht befugt
halten. Der andere mitzuteilende Fall ist ein Beckenschuss, bei dem
aas Infanteriegeschoss in der Mitte der linken üesässbacke seinen
Eingang gefunden hatte. Ein Ausschuss war nicht vorhanden. Der
erwundete fühlte sich wohl; auch Hessen sich keine Verletzungen
von Beckenorganen nachweisen. Der Urin war klar, frei von Blut,
einige läge nach der Aufnahme trat bei dem Verletzten plötzlich
in aer Nacht eine Harnverhaltung ein, so dass man zum Katheter
gleiten musste. Man fühlte beim Einführen des Katheters vor der
i-ars prostatica einen kleinen Widerstand, der dem Katheter nacli-
, V. i”mi an<??ren. Morgen fühlte man an der Wurzel des Penis
atuthcli das längliche Infanteriegeschoss, das sich nicht aus
Harnröhre herausziehen liess. ln lokaler Anästhesie wurde
retlirotorme vorgenommen und das Geschoss extrahiert.
Patient ist bereits geheilt entlassen worden.
Während wir Schussverletzungen von Gefäs$en nicht sahen,
können wir über einige Schussverletzungen von Nerven
berichten. Der eine Fall ist bereits oben bei den Gesichtsver-
letzungen erwähnt (Fazialislähmung). In einem anderen
Fa le handelt es sich um eine Peroneuslähmung bei einem
Schuss in den linken Nates. Da die Einschussöffnung in diesem Falle
sehr stark eiterte, habe ich mich zur Freilegung des Nerven noch
nicht entschhessen können. Es bestand auch keine direkte Indikation
dazu, da die neuralgischen Schmerzen im Bereich des motorisch aus¬
gefallenen Gebietes, obwohl anfänglich sehr stark, jetzt naclige-
Iasssen haben **).
der
eine
Der
Bei einigen Schulterschüssen haben wir leichte Schä¬
digung von Armnerven wahrnehmen können. Es ist aber in keinem
I alle em Nerv funktionell ganz ausgefallen, so dass wir vorerst von
einme Freilegen des Nerven Abstand nahmen.
Säbelwunden oder Bajonettverletzungen sahen wir nicht. Ein
rall \on Dum-Dum-Ver letzung kam beim zweiten Ver¬
wundetentransport in unsere Behandlung. Die breite und in der
liefe stark zerfetzte Wunde befindet sich in der Lendengegend. Sie
ist oberflächlich infiziert, reinigt sich unter den feuchten Verbänden
sehr schön. Dass es sich wirklich um eine Verletzung mit einem
Dum-Dum-Geschoss handelt, dürfte aus folgenden, schriftlich nieder-
gelegten Sätzen des Verwundeten hervorgehen: „Ich machte leider
den Sturmangriff nicht ganz mit, weil ich von einem Dum-Dum-
Geschoss in den Rücken getroffen wurde. Es zerriss mir den Leib¬
riemen und den Rock und verursachte eine grosse Fleischwunde am
Rücken. Noch im Felde wurde ich von einem Sanitätsunteroffizier
notdürftig vei bunden. Als ich dann auf der Krankensammelstelle
vom Arzt verbunden wurde, fiel bei der Entkleidung das Dum-Dum-
( jeschoss heraus. Der Arzt behielt das Geschoss zurück ***).
Ein Fall, der uns unter der Diagnose „Enteritis“ (auf dem
Krankenzettel vermerkt) zuging, erwies sich als eine Appendi¬
zitis. Die sofort nach dem Eintreffen vorgenommene Operation
ergab ein Empyem des Wurmfortsatzes, das gerade vor dem Durch¬
bruch stand. Patient ist jetzt bereits zu seinem Ersatztruppenteil
zurückgekehrt, da die Wundheilung per primam erfolgte. Zwei Sol¬
daten wurden wegen Beschwerden infolge von Leistenhernien
zu uns geschickt. Die Brüche wurden operativ beseitigt.
Wir wollten durch diese Zeilen nur kurz über unsere Fälle
Mitteilung machen und seltenere Fälle des näheren betrachten.
Die Hauptsache für uns war, darauf hinzu-
weisen, dass bis jetzt nicht alle Schussver¬
letzungen der Knochen zu uns geschient
kamen. Wir dürfen wohl annehmen, dass derartige Beob¬
achtungen auch anderwärts gemacht wurden, und möchten
daher an alle draussen im Felde stehenden Kollegen appel¬
lieren, ihr Augenmerk besonders auf die Kno¬
chenschussfrakturen zu lenken und die
Schien ungin der nötigen Weise vorzu ne h me n.
Sie mildern dadurch nicht nur bei den Ver¬
letzten die Gefahr der Infekt io n, sondern be¬
freien sie auch von den geradezu unerträg¬
lichen und aufdie 'Dauer erschöpfend wirken¬
den Schmerzen.
**) A n m erkung bei der Korrektur. Ich habe in¬
zwischen die Operation vorgenommen. Freilegung des Nervus
ischiadicus und des Kreuzbeins. Es zeigte sich, dass das Geschoss,
wie wir röntgenologisch wussten, das Kreuzbein durchschlagen hatte.
Einige Knochensplitter waren in den lateralen Teil des Nerven ein-
gedrungen. Entfernung der Knochensplitter und Loslösen des Nerven
aus der Narbe, die ihn umgab. Heilung per primam.
***) Anmerkung bei der Korrektur. Ich habe in¬
zwischen vergeblich versucht, den Arzt ausfindig zu machen, der das
Dum-Dum-Geschoss extrahierte. Der Verwundete beschreibt das
Geschoss so genau, dass, wie ich glaube, kein Zweitel an der Dum-
Dum-Verletzung bestehen dürfte. „Die Spitze des Geschosses fehlte;
von dem abgestumpften Teil ging ein Hohlraum nach innen etwa
Vs cm tief.“
2150
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Erlebnisse und Beobachtungen im Felde.
Von Feldunterarzt Curt Thomalla - Ohlau.
(Bataillonsarzt: Oberarzt Dr. N a t o r p - Myslowitz.)
Am 20. VIII. überschritt unser Regiment die Grenze und sofort
sollten wir manche Bestätigung des vielfach vernommenen Gerüchtes
erhalten, dass die französische Zivilbevölkerung in edlem Wettstreit
mit der belgischen in ihrem heimtückischen Franktireurkampf auch
vor den Trägern des Genfer Abzeichens und vor wehrlosen Ver¬
wundeten nicht Halt macht. Es interessiert vielleicht, zu erfahren,
wie oft wir, die Aerzte eines Bataillons, also eines verschwindend
kleinen Truppenteils, hiervon betroffen wurden, zumal die Gegner
für die angeblich vereinzelten Fälle solcher Ausschreitungen die
„gründe nation“ nicht verantwortlich gemacht wissen wollen. Ich
will nur ganz kurz die erlebten Tatsachen mitteilen.
Wir sind knapp eine Stunde in Feindesland, marschieren eben
durch das Dorf V., die beiden Aerzte des Bataillons hinter der letzten
Kompagnie, von fern der Kanonendonner von L. her. Plötzlich ein
Schuss aus einem Hause rechts vor uns, das Pferd links neben mir
scheut, drei Schritte hinter uns schlägt die Kugel, den Strassen-
schmutz hoch aufwirbelnd, ein. Das war die Begrüssung. Am näch¬
sten Tage, nachdem wir in unserer Unerfahrenheit mit dem Sanitäts¬
wagen mitten ins Gefecht geraten und auf freiem Felde vor unserer
Artilleriestellung drei Stunden im Infanterie-, Granat- und Schrapnell¬
feuer gelegen haben, errichten wir Truppenverbandplatz in dem
Dorf B. Die wenigen Weiber, die sich sehen lassen, geben mit
freundlichster Bereitwilligkeit Wasser, Handtücher etc., aber fast alle
Häuser sind verschlossen und verrammelt, so dass wir eine Scheune
erbrechen müssen, um Lagerstätten für die Verwundeten herzurich¬
ten. Ich werde ins Gefecht zu einem Schwerverwundeten geholt.
Unterwegs treffe ich einen Feldwebel bei einem anderen schwer¬
verletzten Offizier, in der Nähe die Leiche eines erschossenen Weibes.
Der Offizier hatte sich ausdrücklich verbeten, dass jemand bei ihm
bleibe, um der Truppe keinen Kämpfer zu entziehen; sofort hatte sich
das Weib herangeschlichen und den Wehrlosen ausgeräubert. Durch
den Feldwebel ereilte sie auf der Stelle die verdiente Strafe. Nach
der ersten Versorgung des Hauptmanns, zu dem ich geholt wurde,
sehe ich auf dem Rückwege (kriechend und von Deckung zu Deckung
springend), dass aus dem eben erstürmten Walde auf der Höhe einige
Kompagnien, heftig von feindlicher Artillerie beschossen, zurück¬
fluten; wie ich später erfuhr nur zur Sammlung und bis zum Ein¬
treffen von Verstärkungen. Im Dorfe B. treffe ich alles in grosser
Erregung, man hält die obenerwähnte Bewegung für allgemeinen
Rückzug, die Türen und Fenster der Häuser sind auf einmal geöffnet,
männliche Zivilbevölkerung auf der Strasse, schon krachen Schüsse
im Dorf. Wir haben gerade noch Zeit, die Schwerverletzten auf
schnell requirierten Wagen abzuschieben, können selbst nicht einmal
die Verbandschürzen ablegen und die Uniformen anziehen, da hallt
auch schon Schuss für Schuss aus den Häusern. Weiber lehnen sich
weit aus den Fenstern und schiessen mit Karabinern, da haben unsere
Krankenträger auch schon das bewährteste Abwehrmittel ergriffen
und prasselnd schlägt das Feuer über die Dächer. Zwei unserer
Krankenträger, unbewaffnet und mit der Roten-Kreuz-Binde am Arm,
verloren wir an diesem Tage. Am Abend desselben Tages, wir
hatten uns inzwischen nach siegreichem Vordringen unserer Truppen
in dem Dorfe L. eingerichtet, verbanden wir bei spärlicher Kerzen¬
beleuchtung am Sanitätswagen eine Anzahl Leichtverwundeter.
Ringsum war alles dunkel. Plötzlich krachten aus nächster Nähe
hinter einer Weissdornhecke hervor eine Anzahl Schüsse, wir hörten
das inzwischen wohlbekannte Schwirren der Geschosse um und über
uns, eine Kugel schlug krachend gegen einen Eisenteil des Wagens.
Wir brachten den Wagen und uns noch schnell in Deckung, Patrouil¬
len verjagten die Attentäter. In demselben Dorfe wurde am nächsten
Tage ein Jäger am hellen Tage in einem Hofe von vier Franktireurs
angeschossen und durch einen Axthieb getötet, der den Kopf fast vom
Rumpfe trennte. Aber alle vier wurden auf frischer Tat erwischt
und fanden auf der Stelle ihren Lohn. Ein Verwundeter erzählte, wie
er auf dem Wege von der Truppe zum Verbandplatz unerwartet von
bewaffneten Zivilisten umstellt wurde, deren einer auf seinen Kopf
zielte. Als er überrascht und abwehrend beide Hände hob, deren
Finger zerfetzt herumhingen, schoss der Franktireur denn doch nicht,
aber sämtliche Taschen und den Brustbeutel durchräuberten sie dem
Wehrlosen.
Derartige Beobachtungen über das unmenschliche Verhalten der
Zivilbevölkerung gegenüber den Verwundeten und das Angreifen von
Sanitätsoffizieren und -mannschaften haben wir später, weiter von
der Grenze entfernt, nicht mehr gemacht. Ob die Grenzbevölkerung
nun besonders aufgehetzt war oder ob die rauchenden Schutthaufen
an den Stellen der blühenden Dörfer als warnendes Beispiel wirkten,
das entzieht sich unserer Beobachtung. Jedenfalls machten wir bei
der französischen Armee nicht bessere Erfahrungen als bei der Zivil¬
bevölkerung, wenn wir uns auch nur auf die Angaben Verwundeter,
die vorübergehend in französische Hände gerieten, stützen können.
Zunächst jedoch einige Mitteilungen über die Ausrüstung der
Gegner, soweit sie für Aerzte interessant ist.
Die französische Infanterie hat nicht Rock und Mantel getrennt,
sondern ein dicker, dunkelblauer, bis an die Knie reichender Mantel
vertritt beides. Er ist grobwollig, sehr warm und wird beim Marsch
über den Knien zurückgeschlagen. Ausserdem hat jeder Soldat ein
Nr. 43
kurzes dunkelblaues Unterjäckchen, auch mit den Regimentsabzeicher
versehen, im Tornister. Diese Jacken fanden wir beim Vormarsch
zu Hunderten rechts und links der Strassen liegen, die Fliehender
hatten sie fortgeworfen und mancher deutsche Soldat trägt sie jetzt
als Weste, bei der nasskalten Witterung der vergangenen Wochen
eine willkommene Beute. Sehr schlecht ist das Schuhwerk. Ab¬
gesehen davon, dass wir viele Verwundete mit unvollkommenen Zivil-
schuheti sahen, kennt der Franzose nur Schnürschuhe und ganz
niedrige, kaum etwas über handbreite Gamaschen, die nicht Schmutz
und Regen abhalten, sondern nur die Hosen beim Marschieren Zu¬
sammenhalten sollen, Bei nasser Witterung, in feuchten Schützen¬
gräben, selbst in taufrischem Gras bieten sie nicht den geringsten
Schutz. Unterkleidung scheint die Militärverwaltung nicht oder nicht
ausreichend zu stellen, denn nicht nur zerfetztes, völlig untaugliches
Zeug fanden wir in Menge an Toten und Verwundeten, auch Zivil¬
hosen und -westen hatten sie vielfach unter der Uniform. — Die Ver¬
bandpäckchen sind unpraktischer als unsere, mit einem Griff zu
öffnenden und alles notwendige in einem Stück enthaltenden. Sie
sind vernäht, nicht wie die unsrigen durch einen dünnen Faden ge¬
halten; in zweiter Schicht ist Billrothbattist, fest verklebt an den
Rändern, die abermals erst geöffnet werden müssen. Das eigentliche
Verbandpäckchen besteht aus drei getrennten Teilen, steriler Watte,
Verbandmull und einer Binde. Wenn wir auch auf unseren Verband¬
plätzen diese in grosser Zahl erbeuteten Verbandstoffe gut ge¬
brauchen und beim Vorhandensein wenigstens der primitivsten Hilfs¬
mittel gut verwerten konnten, so ist es doch klar, dass auf dem Felde
zur ersten eiligen Hilfe durch Kameraden, also Ungeschulte, unser
Verbandpäckchen bei weitem den Vorzug verdient. — Ausser den
Verbandpäckchen sehen wir bei Verwundeten und Toten sehr häufig
kleine praktische Salizyltalgdosen und auffallenderweise auch kleine
Flaschen mit Jodtinktur. Ob die Verwundeten sich selbst oder gegen¬
seitig sofort eine Jodpinselung der Wundumgebung machen sollen?1
Auch scharfen belebenden Pfefferminzlikör sah ich in gleicher Packung
des öfteren, so dass auch dieser an die Mannschaften offiziell verteilt
zu werden scheint. — Ueber die Tätigkeit des französischen Sanitäts¬
personals konnten wir nur das denkbar Schlechteste erfahren. Nord¬
westlich Verdun lagen sich z. B. vor kurzem unsere Truppen und
die Franzosen auf wenige hundert Meter gegenüber. Das Dorf F.
war von den Franzosen besetzt. Am 21. IX. versuchten sie e:nen
Sturmangriff; unsere Leute Hessen sie bis auf 50 Schritt, ohne zu
feuern, herankommen. Dann aber sanken sie im Schnellfeuer reihen¬
weise nieder, auch im Dorf wirkten die wohlgezielten Schüsse unserer
Artillerie. Tote und Schwerverwundete bedeckten in Menge das
Feld vor dem Schützengraben; da die Franzosen nach ihrem flucht¬
artigen Rückzüge ins Dorf auf unsere Krankenträger schossen, die
versuchten, die feindlichen Verwundeten vor unserer Linie fort¬
zuholen, Hessen wir dieselben von Gefangenen hinter die Schützen¬
gräben zurückholen. Nach 2 Tagen wurde das Dorf F. von unseren
Truppen besetzt und immer noch lagen die Verwundeten, die in dem
Dorfe gefallen waren oder sich bis hin geschleppt hatten, unversorgt
und ohne die geringste Fürsorge an den Stellen, wo sie hingesunken
waren. Auf die Frage nach den französischen Krankenträgern und
Aerzten ein mattes Lächeln: „Die sind hinten, die haben Furcht!“ — j
Viel traurigere Erfahrungen machten wir mit der Behandlung
deutscher Verwundeter durch Franzosen. In den Kämpfen bei ferme
de la M., in waldreicher Gegend, war ein Regiment in stürmischem
Vordringen zu weit vorgerückt, mit Rücksicht auf die ganze Gefechts¬
lage musste es einige hundert Meter zurückgezogen werden und
etliche Verwundete wurden bei dem unübersichtlichen Gelände in der
Dunkelheit nicht gefunden. Einen von diesen fanden wir am nächsten
Morgen nach weiterem Vorrücken unserer Truppen. Er hatte einen
harmlosen Beinschuss, ausserdem aber eine dicke Beule am Kopf
und Zerschmetterung zweier Finger durch stumpfe Gewalt. Er er¬
zählte, dass die Franzosen das Schlachtfeld abgesucht und jeden
deutschen Verwundeten mit Kolben totgeschlagen hätten. Als sie
ihn fanden, suchte er mit vorgehaltener Hand den Kopf zu schützen
und erhielt den Schlag auf linke Hand und Kopf zugleich, dann aber
stellte sich ein Geistlicher zwischen ihn und die Soldaten, konnte
aber nur mit Mühe und nach langem Zureden den begleitenden fran¬
zösischen Offizier bewegen, den Aermsten unbehelligt liegen zu,
lassen. — Den krassesten Fall, der auch medizinisches Interesse hat,
sah ich bei Chateau les M. Fast zwei Tage nach einem furcht¬
baren, verlustreichen, aber auch von Erfolg gekrönten Nachtangriff
kam ein Unteroffizier auf zwei Mann schwer gestützt zu unserem be¬
reits abgebrochenen Truppenverbandplatz, wo ich gerade die letzten
Schwerverletzten, meist Franzosen, verlud. Da in den letzten zehn
bis zwölf Stunden kein Schuss gefallen war, fragte ich ihn sehr er¬
staunt über seine Verletzung aus. Er erzählte, dass er bei dem Nacht¬
angriff schwer verwundet in Gefangenschaft geriet, trotz seiner Ver¬
letzung laufend mitgeschleppt wurde, in dem französischen Lager
aber trotz seiner Bitten nicht verbunden und sein Verlangen nach
Wasser oder Brot mit Hohnlachen, ja mit Faustschlägen abgewiesen
wurde. Im Schutze der Dunkelheit hatte er sich wieder davon¬
gemacht und war, ganz langsam gehend, unter unsagbaren Schmerzen
wirklich bis in unsere Schützenlinien zurückgekommen. Und das er¬
staunlichste: der Mann hatte einen Schrapnellschuss, liegend ge¬
troffen, der im Rücken neben der Wirbelsäule eingedrungen und mit
grosser Ausschussöffnung neben dem Nabel ausgetreten war. Beide
W'unden sezernierten stark und übelriechend, Stoffreste lagen zer¬
fetzt in der Wunde, entzündliche Rötung war trotzdem minimal, Er-
21. Oktober 1914.
2151
Feldärztliche Beitage zur Münch, med. Wochenschrift.
brechen war nicht erfolgt, auch kein Brechreiz vorhanden. Der
Mann hatte den ganzen I ag vor dem Nachtangriff und auch seitdem
nichts gegessen, er fühlte sich, abgesehen von dem Schmerz an den
Wunden und allgemeiner Schwäche, ganz wohl. Ist es nicht geradezu
ein Verbrechen, dass die Franzosen diesen Mann, der bei sofortiger
Versorgung, nach dem vorliegenden Befund zu urteilen, gerettet wer¬
den konnte, einfach dem elendesten Tode Preisgaben? Unserer wei¬
teren Beobachtung entzog sich natürlich der Fall mit der sofortigen
Ucberführung in das nächste Lazarett.
So wie dieser Fall entgeht selbstverständlich fast jeder der
weiteren Behandlung und Beobachtung der Truppenärzte. Trotzdem
sind wir in der Lage, einige ganz interessante Beobachtungen mit-
zuteilen. Zunächst etwas von der Geschosswirkung im allgemeinen:
Da s_ französische Infanteriegeschoss ist länger und
schmäler als das deutsche, Querschäger sahen wir recht häufig. Der
Lackring, den man an ganzen Patronen an der Uebergangsstelle von
Hülse zum Geschoss sehen kann, wurde anfangs von den Mann¬
schaften für Gift gehalten, ist jedoch offenbar nur zum Schutz gegen
Feuchtigkeit angebracht. Stets fanden wir an Geschossen, die wir
aus dem Körper entfernten — - was natürlich nur bei ganz oberfläch¬
lich liegenden geschah — , die Spitze verbogen, selbst wenn das Ge¬
schoss nur Weichteile zu durchschlagen hatte. Mehrfach sahen wir
bei Extremitätenschüssen auf der einen Seite kleinen Einschuss, auf
der anderen das Geschoss mit umgebogener Spitze oder ganz ejuer-
liegend direkt unter der Haut. Entsprechend der modernen Gefechts¬
weise sind Kopfschüsse besonders häufig, ferner Verletzungen der
linken Hand und des linken Unterarmes, die beim Schiessen im Liegen
oder aus Schützengräben vor allem exponiert sind. Ein Nahschuss,
bei dem das Geschoss unmittelbar die den Lauf festhaltende Hand
traf, zeigte furchtbare Zerreissung und Zerschmetterung. Belustigend
bei diesem Fall war, dass die beiden Franzosen, die unseren Mann
allein überfielen, sofort ausrissen, als derselbe mit seiner übrig¬
gebliebenen Hand das Gewehr von der Schulter zu nehmen versuchte.
— Wenig gute Erfahrungen machten wir bei Verwundungen, die bei
der Truppe weiter verblieben. Es lässt sich trotz aller Vorsichts-
massregeln nur in ganz vereinzelten Fällen eine Sauberhaltung und
-'in Schutz der Wunde gegen Reibung und andere schädliche Einflüsse
durchführen. Ein Oberleutnant z. B. hatte durch ein Infanterie¬
geschoss, das das umgehängte Gewehr zersplitterte, leichte Weich-
eilwunden und grössere Hautabschürfungen durch Holzsplitter er-
lalten. Obwohl wir auch ihn dem Feldlazarett überweisen wollten,
Hieb er wegen der enormen Offizierverluste bei seiner Kompagnie
md entzog sich unserer Beobachtung und Behandlung. Trotzdem nun
iie wirklich leichten Verletzungen kurz nach der Verwundung sach-
gemäss behandelt und seitdem der Verband nicht geöffnet noch ver¬
ascht war, zeigten sich bei endlich erfolgter Krankmeldung ziem-
ich heftige entzündliche Rötungen und Temperatursteigerung. Be¬
zeichnend für unsere Offiziere ist, dass wir auch jetzt noch fast Zwang
inwenden mussten, um ihn der Lazarettbehandlung zuzuführen. Ein
mderer Fall, ein Unteroffizier der Maschinengewehrkompagnie, hatte
ine am Knie erlittene Schrapnellkugelverletzung überhaupt nicht ge¬
neidet, sondern sich mit Verbandpäckchen selbst behandelt. Da er
ahren konnte und so das Bein schonte, schleppte er sich auch lange
nit, bis er schliesslich mit einem tüchtigen Abszess doch zum Re-
aerdienst kam. Dieser Fall heilte freilich nach Inzision schnell bei
ier Truppe aus. Noch günstiger verlief ein anderer Fall: Während
vir einem Mann die zerschossene Hand verbanden, erzählte er seelen-
uliig, das erstemal wäre es ihm besser gegangen, da habe eine
dhrapnellkugel den Stiefelschaft durchschlagen und sei nur etwas
ts Fleisch gegangen; er habe die Kugel gleich mit einem Nagel raus-
ekratzt. Ich Hess mir die Stelle zeigen und fand eine ganz ansehn-
che, aber offenbar reaktionslos verheilte Wunde, die erkennen Hess,
ass die Kugel doch mit ihrer ganzen Breite unterhalb der Haut ge¬
igen haben musste. Ueberhaupt ist die Wirkung der Schrap-
ellkugeln meist eine ziemlich geringe,, da die Franzosen sehr
och schiessen und die Kugeln offenbar nicht mit voller Kraft ein-
chlagen. Wenigstens sind die Tornister, Kochgeschirre, Schanz-
euge, Stiefelschäfte, in die Schrapnellkugeln eindrangen, sehr häufig,
hne weiterhin den geringsten Schaden anzurichten, auch der Helm
d offenbar ein wirksamer Schutz dagegen. Unter dicht belaubten
äumen ist man vor Schrapnells einigermassen sicher; ich selbst lag
Menfalls einmal unter einem Baum, in dessen Krone ein Schrapnell
latzte; einige Aeste sausten herab, die Kugeln selbst fielen matt und
raftlos zur Erde, ohne sich überhaupt einzubohren. Unser Haupt-
iann trug in seiner Kartentasche eine Schrapnellkugel, die sämtliche
arten durchschlagen hatte, aber nicht mehr die Kraft besass, die
mere Hülle zu durchschlagen. Auffallend häufig sind auf fran-
isischer Seite die Ausbläser bei den Schrapnells — d. h. Geschosse,
je nicht selbst zerspringen, sondern infolge schlechter Pulver-
eschaffenheit nur die Ladung auspuffen — und vor allem die Ver-
iger bei den Granaten. Diese sind vor allem in lehmigem Boden
dir häufig, die Granaten bohren sich ein, krepieren entweder
tr nicht oder reissen nur ein metertiefes, oft mehrere Meter im
urchmeser betragendes Loch; die Sprengstücke, von Lehmklumpen
-Schwert, fallen kraftlos herum, kleinere Splitter und Erdklumpen
egen umher, ohne wesentlichen Schaden anzurichten. Käme auf
de französische Granate auch nur ein Toter, so müssten an man-
ien Tagen Hunderte, ja Tausende das Feld bedeckt haben, denn die
■anzosen treiben eine unerklärliche Munitionsverschwendung,
•irchtbar ist freilich die Granatwirkung bei Volltreffern, die die Kör¬
per in der schcussiichsten Weise zerfetzen und die Körperteile oft
Hunderte von Metern auseinanderschleudern, ferner in Gebäuden und
auf hartem Boden, vor allem Chausseen, die die Franzosen, nach der
Karte berechnend, geradezu meisterhaft beschiessen. Auf freiem
Leide und im Wald ist die moralische Wirkung der Artillerie, vor
allein der schweren, eine bei weitem grössere als die tatsächliche.
Es gehören eben so eisern disziplinierte Mannschaften, wie die
unserigen, dazu, um ein derartiges Feuer nicht nur auszuhalten, son¬
dern noch vorzugehen; die Franzosen jedenfalls halten, nach ihrer
eigenen Aussage, unserem Artilleriefeuer nicht stand.
Zum Schluss noch einige Bemerkungen über einen frühzeitig aus
der Lazarettbehandlung entlassenen Fall: Ein Vizefeldwebel hatte
einen Oberarmschuss, anscheinend nur Fleischwunde, und war auf
sein Drängen hin bald wieder zur Truppe entlassen worden, konnte
den Arm ausreichend gebrauchen, schonte ihn jedoch noch etwas. In
einem Stall stösst er sich ganz geringfügig und kommt mit deutlich
zu diagnostizierendem Spiralbruch zu uns. Krepitation ist an der
Stelle der alten Schusswunde aussen und etwa eine Handbreit tiefer
innen sicher zu fühlen. Der Schuss hatte seinerzeit offenbar eine
Fissur im Sinne des Spiralbruches bewirkt, die unerkannt und un¬
behandelt bei dem ganz geringen Trauma nach mehreren Wochen zum
vollkommenen Spiralbruch führte. — Endlich möchte ich noch über
einen sicher festgestellten Fall von der Art berichten, die Geheimrat
K ü 1 1 n e r in seinen kriegschirurgischen Vorlesungen aus den letzten
Wochen vor der Mobilmachung in das Märchenreich verwies: die an
der Rippe entlang gleitende Kugel. Hauptmann G. hatte Hegend
unterhalb des Schulterblattes rechts eine Schrapnellkugel in den
Rücken erhalten, die auf der siebenten Rippe vorn auf der Brust
unmittelbar unter der Haut steckt und mit Leichtigkeit entfernt wird.
Sie ist etwas deformiert. Es besteht nicht die geringste Hämoptoe,
dagegen Schonung de'r rechten Thoraxhälfte bei tiefer Inspiration,
wohl infolge der Schmerzen durch die verletzte Rippe; über den
untersten Partien Dämpfung des Lungenschalls, a>so wohl ein ge¬
ringer Erguss in den Pleurasack. An der Rippe entlang, vom Ein¬
schuss bis zum Ausschuss, ist deutlich heftiger Schmerz bei Palpation
auszulösen. Somit muss man die Möglichkeit derartiger Ver¬
letzungen, wenigstens für Schrapnellkugeln, wohl zugeben.
Tödliche Verletzung durch Fliegerpfeil.
Von Oberarzt d. R. Dr. Q r ü n b a u m, II. San.-Komp., 6. A.-K.
Den Fliegerpfeilverletzungen von V o 1 k m a n n (Nr. 37 S. 1952)
kann ich einen Fall beifügen, der die Gefährlichkeit dieser eigenartigen
Kriegswaffe zeigt. Der Leichtverwundetensammelstelle in B . . . t
wurde ein Unteroffizier des . . Infanterieregiments zugeführt, der an¬
gab, er habe vor einer halben Stunde einen plötzlichen starken Stich
an der Schulter verspürt, als er vor dem Hause sitzend einen Rapport
schrieb, seitdem habe er Schmerzen beim Atmen. Die Untersuchung
ergab: Das äussere rechte Ohr durch Hautreizung blutunterlaufen,
in der rechten Supraklavikulargrube, im äusseren Drittel, direkt über
der Klavikula eine rundliche, nicht ganz pfenniggrosse Einstichöffnung,
die sofort aseptisch verbunden wurde. Kurzatmigkeit, leichte Zya¬
nose, Schmerzen in der Lebergegend. Leib besonders rechts druck¬
empfindlich, gespannte Bauchmuskulatur. Gleichzeitig kam ein
anderer Mann, der gleichen Kompagnie zugehörig, der in derselben
Minute verletzt wurde, dadurch, dass ein Fliegerpfeil durch den
Stiefel hindurch den Fuss an die Erde festspiesste. Der Pfeil war
ihm von Kameraden herausgezogen und von ihm mitgebracht worden.
Er entspricht genau der V o 1 k m a n n sehen Beschreibung: ca. 12 cm
lang, mit massivem unteren Drittel, das in eine feine Spitze ausläuft,
während oben durch 4 Kanellierungen der Schwerpunkt des Ge¬
schosses nach unten verlegt ist. Wie man den Pfeil auch wirft, er
senkt sich mit der Spitze immer nach unten. Während die Fussver-
letzung, solange ich sie beobachtete, keinerlei Symptome machte, ver¬
schlechterte sich das Befinden des Unteroffiziers von Stunde zu
Stunde. Man konnte mit Sicherheit einen Hämopneumothorax fest¬
stellen. Die Schmerzen im Leibe Hessen mit Wahrscheinlichkeit an¬
nehmen, dass der Pfeil durch das Zwerchfell hindurch in die Bauch¬
höhle eingedrungen war. Bei dem schlechten Allgemeinbefinden, der
zunehmenden Zyanose, dem schlechten Puls, war ein operatives Vor¬
gehen ausgeschlossen. Unter zunehmender Schwäche und Schmer¬
zen im Leib, die durch ruhige Lage und Morphium gelindert wurden,
trat 36 Stunden nach der Verletzung der Exitus ein. Aus äusseren
Gründen war eine Sektion nicht möglich; durch einen post mortem
vorgenommenen Bauchschnitt konnte ich konstatieren, dass eine fou-
droyante Peritonitis eingetreten war, und die Vermutung, dass der
durch die Supraklavikulärgrube eingedrungene Pfeil durch die rechte
Lunge, Pleura und Zwerchfell hindurch in die freie Bauchhöhle hinein¬
sauste, zu Recht bestand.
Verbandstoffe sparen!
Von Oberstabsarzt a. D. Kr ecke.
Es ist kein Zweifel, dass der jetzige Krieg nicht nur absolut
sondern auch relativ weit grössere Verluste aufweisen wird, als die
früheren Kriege. Hatten wir im Jahre 1870/71 eine Verlustzahl von
18 Proz., so hatten die Russen im Russisch-Japanischen Kriege schon
2152
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
29 Proz. und die Japaner sogar 40,9 Proz. Verluste. In dem jetzigen
Kriege werden die Verluste zum Teil noch w'eit grössere sein. Hören
wir doch, dass manche Regimenter mit 3000 Mann jetzt schon einen
Abgang von 1700 aufzuweisen haben. Wir dürfen demnach wohl mit
einer Verlustziffer von nahezu 50 Proz. rechnen. Auf 2 000 000 Strei¬
ter gäbe es demnach eine Verlustzahl von 1 000 000. Mit der Steige¬
rung der Zahl der Kämpfenden wird auch die Verlustziffer ansteigen.
Wie viel Verwundete sich unter diesen Zahlen befinden werden, ist
noch nicht recht abzusehen. Es ist aber gewiss nicht übertrieben,
wenn man zunächst mit einer Verwundetenzahl von einer halben Mil¬
lion im Verlaufe des ersten Kriegsjahres rechnet.
Bei dieser ganz enormen Anzahl der Verletzungen muss der
Verbandstoffverbrauch ins ungemessene steigen, und es ist gewiss
eine der wichtigsten Aufgaben der Heeresverwaltung beizeiten zur
sparsamen Verwendung der Verbandstoffe aufzufordern. Die von
uns in der Hauptsache benutzte Baumwolle kommt vom Auslande,
und zwar bisher namentlich von England. Wenn auch durch die
neutralen Staaten eine gewisse Einfuhr möglich ist, so müssen wir
damit rechnen, dass unsere Baumwollevorräte nach und nach sehr
erheblich zusammenschrumpfen werden, ganz abgesehen davon, dass
die Preise weiter erheblich in die Höhe gehen werden.
Zur Erzielung einer grösseren Sparsamkeit sind mancherlei Um¬
stände in Betracht zu ziehen:
1. Die erste Pflicht ist Sparsamkeit im allgemeinen.
Tatsache ist, dass viele Aerzte, zumal die jüngeren, mit den Verband¬
stoffen direkt verschwenderisch umgehen. Dieser Vorwurf trifft zu¬
mal die eben von der Universität oder aus den grossen Kranken¬
anstalten kommenden Kollegen. Man kann es nur zu oft sehen, dass
eine einfache Fingerverletzung oder eine Qesichtswunde mit einem
dickgepolsterten Verband von Gaze und Watte bedeckt wird, wo ein
kleines Stückchen Mull und ein Heftpflaster vollkommen genügt
hätten. Es ist die Pflicht der jungen Kollegen, sich selbst zur Spar¬
samkeit zu erziehen, und ec ist die Aufgabe der älteren, die jungen
auf die Grundsätze der Sparsamkeit hinzuweisen. Da, wo ein grosser,
reichlicher Polsterverband notwendig ist, wie vor allem bei Schuss¬
frakturen, soll er natürlich gemacht werden. Eine einfache Weichteil¬
verletzung kann aber in bester Weise mit einem gewöhnlichen Gaze¬
bausch versorgt werden. Es dürfte nicht übertrieben sein, wenn
man die auf diese Weise mögliche Einsparung an Verbandstoffen
auf V# des jetzigen Verbrauches berechnet.
2. Es ist möglichst viel von Klebe- und Pflasterver¬
bänden Gebrauch zu machen. Der vorzügliche Mastisolver-
band ist immer noch viel zu wenig bekannt (s, auch D r e y e r,
D.m.W. 1914 Nr. 39). ln jedem Lazarett und in jeder Feldausrüstung
sollten reichliche Mullbäusche vorhanden sein, die einfach mit Hilfe
des Mastisols auf die Umgebung der Wunden aufgeklebt werden.
Der grösste Teil der Weichteilwunden lässt sich damit in bester
Weise bedecken. Bindenverbände sind möglichst einzuschränken.
Wenn auch im Friedensbetriebe die gewöhnlichen Mullbinden wieder
abgewickelt und sterilisiert werden können, so wird das bei dem
enormen Kriegsbetrieb kaum möglich sein. An manchen Körper¬
stellen, wie an Bauch und Oberschenkel, ist der Bindenverband be¬
sonders ungeeignet, da die Binden sehr leicht sich verschieben und
dadurch einen ausserordentlich häufigen Verbandwechsel nötig
machen. Ein Mastisol- oder Heftpflasterverband ist weit schneller
und um die Hälfte oder noch billiger herzustellen.
3. Bei Schussfrakturen, bei denen eine lämrere eitrige Se¬
kretion besteht, sollen die Schienenverbände möglichst vermieden und
durch gefensterte Gipsverbände ersetzt werden. Ein
solch gefensterter Gipsverband kann auch bei stark eiternden Wun¬
den 14 Tage oder noch länger liegen bleiben. Abgesehen davon, dass
der Patient durch den Verbandwechsel viel weniger belästigt wird,
ist die Verbandstoffersparnis eine ganz ausserordentliche. In das
Fenster braucht man nur das entsprechende gut aufsaugende Ver¬
bandmaterial hineinzupressen und hat kaum nötig, es mit einem Ver¬
band zu fixieren. Der Verbandwechsel vollzieht sich mit einer
ausserordentlichen Einfachheit, Sicherheit, Schnelligkeit und Spar¬
samkeit. Ein täglich ein- oder mehrmals gewechselter Schienenver¬
band verschlingt ganz ausserordentliche Mengen von Verbandstoffen,
ganz abgesehen davon, dass er den Kranken jedesmal die heftigsten
Schmerzen bereitet. Falls eine besondere Befestigung der Verband¬
stoffe in dem Fenster notwendig ist, so kann das in einfachster Weise
mit einem Tuch geschehen.
4. Wir müssen uns bemühen, die im eigenen Lande ge¬
winnbaren Verbandstoffe an Stelle der ausländischen zu
verwenden. Dahin gehören in erster Linie die Zellstoffprä¬
parate. Fichtenholz haben wir in nicht zu erschöpfender
Menge zur Verfügung. Die von der bayerischen Heeresver¬
waltung gelieferten Zellstoffrollen lassen sich nach Art einer Binde
an dem Glied befestigen und verlangen keine weitere Bedeckung mit
einer Mullbinde. Auch die durch Verarbeitung des Zellstoffes mit
Watte gewonnenen und unter dem Namen Holz watte, Zellu¬
lose w a 1 1 e gehenden Präparate verdienten grössere Berücksichti¬
gung. Der Verfasser verwendet schon seit Jahren ein Gemisch von
Zellulose und Watte, das als aufsaugendes Material sich ganz vor¬
trefflich bewährt hat. Auch das in den letzten Jahren ausser Ge¬
brauch gekommene Moos sollte mehr Verwendung finden. Zumal
für stark eiternde Wunden liefert es ein geradezu ideales Verband¬
material, das gut sterilisiert werden kann und sich des besonderen
Vorteiles der Billigkeit erfreut. —
Nr. 4
Das sind einige von den Grundsätzen, die sicherlich von jede
kriegschirurgisch tätigen Kollegen eingehend beachtet zu werdi
verdienen. Auch die Sparsamkeit mit dem Verbandmaterial ist zu
zeit eine ernste vaterländische Pflicht.
Geisteskrankheiten im Kriege.
Von Prof. Dr. W. Weygandt in Hamburg-Friedrichsber
(Schluss.)
Wir können angesichts dieser Erörterungen den psych
sehen Eindrücken des Krieges, so lebhaft und gewaltig s
auch im Gefecht und ganz besonders in der Seeschlacht se
können, doch eine sehr weitreichende Wirkung hinsichtlic
der Entstehung von geistiger Erkrankung bei voll Normalt
nicht beimessen. Um so weniger bedenklich werden s
wirken, je sorgfältiger die Truppenmengen vorher schon hii
sichtlich psychopathisch veranlagter Naturen durchgesie
worden sind.
Eine andere Frage ist die, ob nicht bei einer Prädispositk
zu einer Psychose der Ausbruch durch psychischen Schoc
herbeigeführt werden kann. Dass dies bei hysterischer Ai
läge in weitem Masse zutrifft, bedarf keiner weiteren Au
führung. Hier bedarf es nicht einmal eines besonders lei
haften Reizes. Schon während der Mobilmachung und Uebur
der Reservemannschaften sind mehrere Fälle dieser Art
die Hamburger Anstalt überwiesen worden.
Ein Fall zeigte sich verworren, sass wie träumend da, griff f|
der Wand herum, zeichnete Figuren in die Luft. Auf Fragen an
wertete er ausweichend, etwas maniriert. Die Orientierung fehlt
Die Stimmig war euphorisch. Er sprach davon, dass er „Stimme
gesehen“ habe, dass er aus einem Scheinwerfer etwas höre. Zei
weise reagierte er besser, doch erschlaffte er bald wieder, f
sprach davon, er werde gesucht, man müsse vor Gott ein guti
Gewissen haben, er soll der Sündenbock sein für alle, die drausst
liegen. Es bestand Pulsbeschleunigung, Rcflexsteigerung, Zittern.
Ein anderer Fall, der früher schon bei besonderen Gelegenheiti
mehrtägige Ausnahmezustände gezeigt hatte, erkrankte plötzlic
während eines Uebungsmarsches unter Reaktionslosigkeit. Er w;
mehrere Tage benommen, äusserte Angst, er habe seinen Truppei
teil verpasst, er wolle vors Kriegsgericht, er höre singen ur
sprechen; hatte später mangelhafte Erinnerung, wurde aber bald wi>
der besonnen und orientiert. Der Rachenreflex fehlt, die Kniereflei
sind lebhaft, die Hände zittern, die Dermatographie ist lebhaft, d;
linke Gesichtsfeld verengert.
Von den übrigen Psychosen kommt am ehesten d;
manisch-depressive oder periodische Irresein in Betrach
dessen einzelne Anfälle durch psychischen Schock gelegen
lieh zur Auslösung gelangen. Nicht so sicher steht es
dieser Hinsicht mit der Gruppe der Dementia praecox. Al
lehnend muss ich mich gegen die Annahme der Auslösun
einer Paralyse bei einem durch Lues Prädisponierten infol.c
eines psychischen Traumas verhalten, wiewohl im Bereich dt
Unfallgesetzgebung gelegentlich einzelne Gutachter einen de
artigen Zusammenhang konstruieren zu können geglaul
haben. Anders steht es jedoch mit der Epilepsie. Gegen d
Auslösung epileptischer Symptome, insbesondere der Kramp
anfälle, durch Schreck verhalten sich die meisten Forsch»
skeptisch, höchstens für das frühe Kindesalter wird eit
Schreckepilepsie zugegeben. Aber auch bei Erwachsenen i
die Möglichkeit der Auslösung epileptischer Anfälle durch he
tige psychische Eindrücke nicht von der Hand zu weiser
freilich kommen ja im Krieg auch noch andere erschöpfend
Umstände hinzu. Nach dem Sanitätsbericht über den Krie
1870/71 wurden in 12 Fällen epileptische Krämpfe bei Poste
beobachtet, die früher nie entsprechende Symptome gezei..
hatten, zu jener Zeit allerdings auch starke Märsche zurück
gelegt hatten.
Der körperlichen Erschöpfung ist zweifellos ein höhere
Grad von Einfluss auf psychische Störungen beizumessen a
den psychischen Eindrücken. Als einzelne Faktoren körpet
licher Erschöpfung sind zu berücksichtigen äusserste Ai
strengung des Körpers, mangelhafte Ernährung und unzi
reichende Erholung durch knappen und gestörten Schla
ausserdem wirkt zweifellos auch starke geistige Anstrengung
insbesondere seelische Anspannung, wie sie z. B. der Wacl
dienst mitbringt, auch auf den Körper erschöpfend ein. h
allgemeinen wird man auf Grund mannigfacher Beobachtunge
und Versuche die grösste Bedeutung dem Mangel an Erholun
?7. Oktober 1914.
Fcldärztlichc Beilage zur Münch, med. Wochenschrift
2153
Inreh einen hinreichenden Schlaf beimessen, wenn schon das
unendliche Gehirn in dieser Hinsicht sehr viel widerstands-
ähigrer ist, als das Hirn im mittleren und vorgeschrittenen
ebensalter. Am wenigsten psychisch angreifend wirkt
MiiRclIidttc Nctlii ungsaufnahme, auch langer dauernde Unter
rnährung. Vor allem werden die Erscheinungen einer hoch-
rsQigen Neurasthenie mit Reizbarkeit, Schlafstörung Hirn
nick. Abspannung usw. hervorgerufen, aber sehr wohl kann
s auch in ausgesprocheneren Fällen von Erschöpfung zu einer
rschöpfungspsychose im engeren Sinne kommen. Unter ge-
öhnlichcn fiicdlichen Verhältnissen wird man echte Fr-
.höpfimgspsychosen recht selten zweifellos feststellen. Ini
rieg aber kamen sie doch mehrfach zur Beobachtung, so
-reits 1870/71. Insbesondere beim südwestafrikanischen
eldzug wurden öfter infolge der Dauerermüdung, Strapazen
(Sonderheit auch der Wassernot, akute Erschöpfungs-
chosen beobachtet, auch in der Schlacht können solche
ustände ausbrechen, so bei Gross Nabas. Es handelt sich bei
esen amentiaartigen Störungen um delirante Unruhe und Er-
•gung, halluzinatorische Verwirrtheit mit traumhaften Zügen,
anchmal auch um Hemmung, Stupor unter Apathie und
ngst. Sic können Stunden, läge oder Wochen dauern,
uch itn russisch-japanischen Krieg wurden vielfach derartige
rkrankungen beobachtet, dort möglicherweise noch durch
m Alkohol beeinflusst.
Auf solcher Grundlage können noch eher Massensug-
.‘Stion und psychische Infektion auftreten, wie es u a bei
ukden beobachtet wurde. 1870/71 kam es vor, dass eine
Steilung der Armee Bourbakis abends abgehetzt und
ingrig in eine Kirche gelangte und die Soldaten dabei ins-
■samt die Sinnestäuschung hatten, dass die Madonna ihnen
tgegenleuchte und Schutz verspreche. Scharf angespannter
achdienst, auch auf See, kann zu simultanen Illusionen
hren.
Mehr noch als durch psychisches Trauma kann infolge
(er erschöpfenden Einflüsse bei belasteten und prädis-
nierten Naturen die Anlage zu einer Psychose zum Aus-
uch gedrängt werden. Bei manisch-depressiven Fällen, wie
ch bei solchen aus der Gruppe der Dementia praecox ist
-ses bestimmt zuzugeben, aber auch für Paralyse und Epi-
xsie lässt es sich nicht in Abrede stellen, Während hyste-
che und Erschöpfungspsychosen mitten im Kampf aus-
echen können, kommt es vor, dass jene ausgelösten endo-
nen Psychosen geraume Zeit nach den schlimmsten Stra-
zen ausbrechen, so bei Verwundeten nach der Ueberführung
ein heimisches Lazarett.
Selbstverständlich können im Krieg auch bei schweren
idemisch-infektiösen Erkrankungen noch psychische Stö-
lgen ausgelöst werden, die Fieber- und Infektionsdelirien,
nen jedoch eine grössere praktische Bedeutung nicht zu-
mmt.
Von hervorragender Wichtigkeit für den Krieg sind jedoch
Beziehungen zwischen Trauma und Psychose 1S).
ter den Irrenanstaltsinsassen gehören einwandfreie trau¬
tische Psychosen zu den Seltenheiten, wenn auch die Un¬
gesetzgebung nach Schädeltraumen häufiger nervöse End-
;tände einer Hirnerschütterung zur Untersuchung gelangen
st, vielfach freilich unter Kombination mit traumatisch-
Terischen Symptomen.
Direkte Hirnverletzungen, die C o n t u s i o
r e b r i, an sich im Feldzug nicht selten, gehören im
sentlichen in den Bereich der Chirurgie. Erst die Folge¬
rnde. unter denen sich Lähmungen durch Verletzung der
torischen Zentren, aber auch traumatischer Schwachsinn
•en. gehen in die neurologisch-psychiatrische Sphäre über.
Ij-'n Verwundeter mit Kopfschuss kam ins Rcservelazarett; die
•VuS^nu.nK am Hinterhaupt rechts heilte bald zu, links war eine
Wölbung sichtbar; bald fielen psychische Symptome auf, leichte
ummenheit, worauf Ueberweisung nach Friedrichsberg erfolgte.
[ entstand Verdacht, dass das Geschoss noch im Schädel steckte,
h wurde Stauungspapille festgestellt, worauf der Verwundete
Tt auf eine chirurgische Abteilung verlegt wurde. Operativ ent-
te man nun am Hinterhaupt links ein Geschoss; hierauf besserte
der Zustand sofort ausgezeichnet.
1 ' Kölpin: Die psychischen Störungen nach Kopftrauma.
nrranns klinische Vorträge Nr. 418.
Auch der Hirndruck, die Compressio cerebri 1#),
verlangt zunächst chirurgische Behandlung. Neben der be¬
kannten allmählichen Entwicklung einer Bewusstseinstrübung
bis zum Koma ist aber zu berücksichtigen, dass manchmal im
eginn auch Unruhe, Erregung, Schreien, fernerhin im Lauf
du Bewusstseinstrübung eine Erschwerung der Auffassung,
, C1 Assoziationen und des sprachlichen Ausdrucks auftreten
kann. Auch halluzinatorische Erregung und deliriöse Zustände
können bei chronischem, nicht gerade Sopor bedingendem
Hirndruck Vorkommen.
Bedeutsamer noch ist die Commotio cerebri, die
H 1 1 n e r s c h ü 1 1 c r u n g, die ja infolge von Schüssen,
leben, Stossen, Stürzen, die den Schädel treffen, im Krieg
ungemein häufig ist. Eine scharfe Grenze zwischen ihr und
der Lontusio ist nicht möglich, denn auch bei der Hirn¬
ei schutterung bilden anatomische Veränderungen der Hirn¬
substanz, wenn auch meist weniger lokalisiert, die Grundlage.
Untersuchungen und auch Experimente, wie sie u. a. von
.1 a k o b * ) ausgeführt sind, zeigen vor allem punktförmige
namorrhagien in der Rinde, mehr noch in der Oblongata und
uem oberen Halsmark, besonders in der grauen Substanz,
rerner Quetschherde mit folgender Randdegeneration; die
Ganglienzellen sind in mannigfacher Weise krankhaft ver¬
ändert, sekundäre Degeneration schliesst sich an.
Mit dem Irauma ist der Höhepunkt der Erscheinung sofort
ua, das Bewusstsein ist getrübt oder vollständig erloschen,
je nach dem Grad des Traumas, wobei freilich äussere Ver¬
letzungen fehlen können; dazu treten bulbäre Symptome, Ver¬
langsamung der Atmung bis zum Stillstand; bei schwerem
Irauma infolge starker Reizung des Vaguszentrums Herzstill¬
stand unter Blutdrucksenkung, doch kann auch dann noch Er¬
holung erfolgen. Es tritt Erbrechen ein, ferner Temperatur¬
veränderung und Inkontinenz, die Pupillenweite ist verändert,
manchmal ist die Reaktion mangelhaft. Allmählich kann das
Erwachen einsetzen, meist unter retrograder Amnesie, oft ist
tagelang die Merkfähigkeit noch gestört; länger bestehen
Schwindel, Kopfschmerz, Uebelkeit und ataktische Symptome.
Es können nun aber infolge einer Hirnerschütterung auch
noch ausgesprochenere psychische Störungen eintreten, eine
sogen. Kommotionspsychose; nach dem Erwachen
aus der Bewusstlosigkeit stellt sich manchmal psychische Er¬
regung ein, unter Delirien, Verwirrtheit, Dämmerzuständen,
sowie Auffassungs- und Merkfähigkeitsstörung, dem Korsakow-
komplex entsprechend; gelegentlich herrscht das Bild de-
liriösen Stupors vor. Eine derartige Erkrankung kann noch
zur Heilung kommen, doch bleiben gelegentlich auch psychi¬
sche Defekte zurück, so dass es zu einer Dementia post¬
trau matica kommt. Hier und da kann ein solcher End¬
zustand vielfach Aehnlichkeit mit einer dementen Paralyse
aufweisen.
Nach leichterer Hirnerschütterung bleibt häufig eine trau¬
matische Neurose zurück, unter Kopfschmerz, Schwindel, Ab¬
spannung, Reizbarkeit gegen Lärm, Parästhesien, dabei be¬
steht ein hypochondrisches, wehleidiges Wesen, vielfach auch
Alkoholintoleranz.
Bei entsprechender Hirnrindenverletzung kann nach
Schädeltrauma bekanntlich auch eine traumatische Epi¬
lepsie auftreten, die nicht nur Anfälle, sondern auch Aequi-
\ alente verschiedener Art aufweist, letztere manchmal noch
häufiger als die genuine Epilepsie. Die Verblödung erreicht
dabei mehrfach recht tiefe Grade.
Während es praktisch wenig ausmacht, ob im Feldzug
sofort eine Differentialdiagnose auf manische oder kata¬
tonische oder paralytische Erkrankung usw. gestellt wird, ist
es höchst wichtig, bei den auf Gehirnläsionen beruhenden
Störungen sofort durch sorgfältige Diagnose der Behandlung
die Wege zu weisen. Die Üontusio und Compressio verlangen
Ruhe und eventuell chirurgischen Eingriff. Bei Commotio ist
längere Ruhe absolutes Erfordernis, bei bulbären Symptomen,
1 ') Hauptmann: Hirndruck, in der Neuen deutschen Chi¬
rurgie von Bruns. Stuttgart 1914.
*") Experimentelle Untersuchungen über die traumatischen Schä¬
digungen des Zentralnervensystems. Histologische und histopatho-
logische Arbeiten über die Grosshirnrinde, herausgegeben von
Nissl und Alzheimer 1912.
2154
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. <
insbesondere Herz- und Atemlähmung, ist künstliche Atmung
nötig, während gegen die etwaigen Erregungszustände medi¬
kamentös wie bei anderweitiger psychischer Unruhe vor¬
gegangen werden kann. Im Gegensatz zu den endogenen
Psychosen sind die Fälle einer frischen traumatischen Geistes¬
störung meist nicht als transportfähig zu bezeichnen. Noch
geraume Zeit nach einer Commotio kann eine Spätapoplexie
erfolgen, die am besten durch völlige Ruhigstellung des Ver¬
letzten verhütet wird.
Eine gesonderte Berücksichtigung verdient der Schock
aut Grund reflektorischer Lähmung des Vasomotorenzentrums
bei einer Einwirkung des Traumas auf die sensiblen Nerven.
Hier ist es ratsam, dem Hirn rasch Blut zuzuführen, am besten
mittels Autotransfusion, der Tieflagerung des Kopfes, dem
Einwickeln der Beine und des Unterleibs, sowie Wärme¬
anwendung.
Mehrfach wurde im Krieg beobachtet, dass ein Soldat fällt,
wenn ein grosses Geschoss lediglich an ihm vorbeiflog, offen¬
bar infolge des Luftdrucks, der eine solche schwere Schock-
crscheinung hervorbrachte. Der Betreffende ist gewöhnlich
völlig apathisch, reagiert kaum noch auf Anruf, die Extremi¬
täten sind schlaff gelähmt, der Puls ist verlangsamt und
flatternd, die Temperatur ist unternormal, die Gliedmassen
sind schlaff gelähmt, ebenso besteht Schlucklähmung, sowie
Inkontinenz. Nach mehreren Stunden tritt gewöhnlich der
Tod ein.
Auch bei zunächst wegen interner Krankheit in Behand¬
lung genommenen Feldzugsteilnehmern kann das Bild durch
eine gleichzeitig vorhandene Schockwirkung stark beeinflusst
werden.
So gut wie die körperliche Erschöpfung kann gelegentlich
auch das Schädeltrauma eine auslösende Wirkung ausüben
bei vorübergehender Disposition zu einer schweren Psychose.
Selbst die Paralyse ist davon nicht prinzipiell auszunehmen,
doch bedarf es in Begutachtungsfällen der Vorsicht, ob nicht
vorher bereits Symptome Vorlagen, ob das Thema eine ent¬
sprechende Erheblichkeit hatte und ob nicht die Zwischenzeit
unwahrscheinlich kurz oder lang ist.
Psychische Störungen im Feldzug können auch entstehen
auf Grund von H i t z s c h 1 a g 21). Es ist bereits ein ärztlicher
Kollege auf dem westlichen Kriegsschauplatz einem Hitz-
schlag erlegen. Die frühere Unterscheidung zwischen Sonnen¬
stich infolge meningitischer Reizung und Hitzschlag infolge
von Wärmestauung ist nicht mehr aufrecht zu erhalten. Es
handelt sich stets um eine Wärmestauung auf Grund einer
Meningitis serosa, mehrfach mit Hirnhämorrhagien verbunden.
Zu den bekannten Symptomen, Blutandrang, Uebelkeit,
Schweissausbruch, Kopfschmerz, Parästhesien, Hinfälligkeit,
Bewusstseinstrübung, Ohnmacht, Koma, Erlöschen der Re¬
flexe, Inkontinenz, Temperatursteigerung, treten nun aber
vielfach auch noch psychiatrische Symptome: Die Hälfte der
Fälle weist krampfartige Zustände, meist typische epilepb-
forme Konvulsionen auf, dabei auch Muskelkrämpfe verschie¬
dener Art, Nystagmus, Zittern. Ferner kommen bei etwa K
der Fälle auch Delirien vor, mit Verwirrtheit, Illusionen und
Halluzinationen, Inkohärenz, Angstzuständen, heftigem Be¬
wegungsdrang und gelegentlich Wahnvorstellungen. Weniger
häufig sind Dämmerzustände, die zu Delirium und Koma über¬
leiten oder auch mit Amnesie vorübergehen können.
Bekanntlich tritt der Hitzschlag am ehesten beim Mar¬
schieren in geschlossener Kolonne auf. Seine Mortalität
wurde in unserem Klima auf 11,6 Proz. berechnet, höher ist
sie (3ü,l Proz.) bei den deliranten Formen. In der Erholung
findet sich manchmal psychische Apathie oder Aengstlichkeit.
Bei % der sich erholenden Fälle stellen sich allmählich
hysterische Symptome ein. Manchmal kommt es aber auch
zu einer postkalorischen Demenz mit Charakter¬
veränderung, geistigem Verfall, Gedächtnisschwäche, Angst,
Zornmütigkeit oder Apathie, gelegentlich Pupillenstarre, Re¬
flexveränderungen, Zittern und Spracherschwerung.
Die Therapie sei nur insoweit berührt, als dringend zu be¬
tonen ist, dass der Transport solcher Kranker mit grossen
Gefahren verknüpft ist.
21 ) Generalarzt Stein hausen: Nervensystem und Insolation
Berlin 1910.
Die Frage der alkoholischen Psychosen ist kurz zu t
örtern, weil ja hocherfreulicherweise vom Augenblick d
Mobilmachung ab auf die Gefahren des Alkoholgenusses stre
Rücksicht genommen wurde. Auch beim Aufenthalt in wei
reichen Gegenden wird hoffentlich scharfe Aufsicht geübt,
der Marine wird seit geraumer Zeit auf Enthaltsamkeit hi
gearbeitet22). Bekanntlich besteht in der amerikanisch
Marine das Alkoholverbot, ebenso wird in Heer und Floi
Norwegens scharf vorgegangen und neuerdings wurde sog
im russischen Heer für den Feldzug der Alkohol verboten u
anscheinend wird das Verbot auch beachtet. Tatsächlich
für die Lage unseres Heeres, die ein Höchstmass körperlich
und geistiger Leistungsfähigkeit erfordert, die Alkoholei
haltung ganz ausserordentlich bedeutungsvoll, die sch
M o 1 1 k e und H ä s e 1 e r befürwortet haben und für die b
kanntlich der Kaiser 1910 in seiner Ansprache in Mür\
energisch eintrat: „Diejenige Nation, die das geringste Qua
tum Alkohol zu sich nimmt, die gewinnt!“
Die Therapie eingehend zu besprechen, liegt ausserha
der Aufgabe dieser Zeilen, nur die wichtigsten Grundlag
seien erwähnt. Schleunige Entfernung des psychisch E
krankten aus dem Gefecht ist selbstverständlich, sei es auc
dass Zwang und Fesselung angewandt werden müsste, i
übrigen ist zu unterscheiden, ob es sich um eine psychisc
Störung durch Trauma, Schock oder Hitzschlag handelt od
um eine Psychose im engeren Sinne. In jenem Fall ist Ruhi
lagerung unerlässlich, während bei den eigentlichen Psychos
die Indikation der Transportfähigkeit sehr weit gestellt werd
kann. Freilich bei ausgesprochenen Erschöpfungspsychos
ist zunächst eine gewisse Ruhezeit empfehlenswert. Neue
dings sind die Güterdepots 2S) mit zahlreichen Einrichtung
gegenständen für eine bei einem Etappenlazarett zu t
richtende psychiatrische Abteilung wohl versehen, ab
zweckmässiger noch erscheint der möglichst baldige Tran
Port in die Heimat. Der mechanischen Ruhigstellung auf de
Transport vorzuziehen ist gewöhnlich eine subkutane Ei
spritzung von Hyoscin (0,001 bis 0,002) mit etwas Morphiu'
Mancher Fall von leichterer Hirnerschütterung oder Hit
schlag kann sich wieder trefflich erholen und wenigste
garnisondienstfähig werden. Bei den Psychosen im enger
Sinne, auch bei ausgeprägter Epilepsie und schwerer Hyster
muss das Ziel die Entlassung aus dem Heeresverband se
da auch im Falle einer Heilung von Epilepsie, manisc
depressivem Irresein usw. doch die Gefahr von Rückfall
besteht. An diesem Grundsatz ist festzuhalten, natürlich seb
in der Friedenszeit, wenn auch die preussisclie Geschichte e
glänzendes Beispiel der Kriegstüchtigkeit nach früher
Psychose enthält: Feldmarschall Blücher hat, wie aus d
Erinnerungen von B o y e n 24) und den Aufzeichnungen sein
Leibarztes B i e s k e 25) unzweifelhaft hervorgeht und neue
i dings von Kreuser26) erörtert wurde, vom Sommer 18
| ab geraume Zeit an schweren psychischen Störungen n
hypochondrischen Ideen, sinnlosen Einbildungen, Sinne
täuschungen und Erregungszuständen gelitten. Trotzdem h
er in voller Frische, mehr als 70 Jahre alt, die Feldzüge 1813.
geführt, freilich nicht ohne gelegentlich und auch später wied
psychisch krankhafte Symptome zu zeigen. Es war t
seltener Ausnahmefall; wie Scharnhorst von Blücht
sagte: „Das ist eine ganz besondere Natur.“
Auch abgesehen vom Bereich psychischer Krankheit'
ist es im Krieg doch von ganz wesentlicher Bedeutung, '
ein guter oder ein schlechter Geist im Heere herrscht. U
jenen hochzuhalten, kommt es nicht allein auf psychiatriscl
Prophylaxe an, wie z. B. in bezug auf den Alkohol, sonde
die gesamte Volksstimmung schon von der Mobilmachung ;
stellt die gesunde Grundlage dar, insbesondere das Zutraii'
zur gerechten Sache und zuverlässigen Führung. Erhebe:
22) Marineoberstabsarzt Buchinger: Die Alkoholfrage in d
Marine, in Verth-Benthmann-Dirksen-Ruge, Hb. d. GesundbekspiK
an Bord von Kriegsschiffen. Jena 1914.
23 ) Stier: Off. Bericht des 4. internat. Kongresses zur Et
sorge Geisteskranker. Halle, Mar hold 1911.
L'4) Herausgegeben von N i p p o 1 d 2. 1889. S. 106.
25) G. L. Blücher v. Wahl statt 1862.
20) lieber Geistesstörungen im höheren Lebensalter und il'
Genesungsaussichten, Allgcm. Zschr. f. Psych. 71. 1914. S. 1-
27. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch. mcd. Wochenschrift.
2155
wirkt die Kunde von baldigen Erfolgen. In dieser Hinsicht
darf sich unser Heer ja der trefflichsten Vorbedingungen des
rechten kriegerischen Geistes erfreuen. Wir sind nicht an¬
gewiesen auf Lügenmeldungen, wie unsere Feinde, die derart
den depravierten Geist ihrer Truppen künstlich zu heben
suchen. Man kann zweifeln, ob jenen Verlogenheiten und Ver¬
drehungen. kriminalpsychologisch betrachtet, lediglich eine
hysterisch-degenerative Phantasie zugrunde liegt oder nicht
zum Teil auch bewusster, kalt berechneter Betrug oder Ver¬
leumdung, wie es zum Handwerk des Gewohnheitsverbrechers
gehört. Für den psychologischen Satz, dass die Volksseele
keineswegs nur die restlose Summe der Einzelseele darstellt,
dass eine Vereinigung der Menschen niemals dasselbe Er¬
gebnis liefert, wie die Summe der I ätigkeit jedes einzelnen,
sondern infolge geistiger Wechselwirkung, auf Grund einer
schöpferischen Synthese, wie Wundt es ausdrückt, durch
das geistige Zusammenwirken einer Vielheit von Einzel¬
wesen Neues und Höherwertiges geschaffen wird, dafür liefert
die einmütige Erhebung des gesamten deutschen Volkes ein
herrliches Beispiel. Dass diese Wirkung sich voll entfalte,
dazu bedarf es der psychischen Tüchtigkeit des Volksganzen. Ein
leistungsfähiges, rüstiges Zentralnervensystem ist die wesent¬
liche Grundbedingung eines nachhaltigen Kriegserfolges. Dem
entspricht es, wenn es in der Miirviker Rede lautete: „Der
nächste Krieg und die nächste Seeschlacht fordern gesunde
Nerven von Ihnen. Durch Nerven wird er entschieden.“
Aus der Kgl. orthopädischen Klinik in München.
Die Orthopädie im Kriege.
Von Prof. Dr. Fritz Lange, Oberstabsarzt d. L.
(Schluss.)
Die Technik ist folgende:
Zuerst wird von den Knöcheln aufwärts bis zur Mitte des Ober¬
schenkels das Bein mit Fi nck scher Masse bestrichen (Terebinth. 60,0.
Mastix 48,0, Colophon. 100,0, Resina 32,0, Spiritus 90proz. 720,0).
Stellt diese nicht zur Verfügung, so kann man auch Mastisol oder
Mastisolersatz oder die Heusner sehe Masse (Venetian. Terpen¬
tin 50,0, Spiritus 100,0) verwenden. Die Fi nck sehe Masse wird
nach unserer Erfahrung von allen diesen Flüssigkeiten am besten ver¬
tragen und hält auch relativ am längsten. Dann werden zwei 50 cm
lange, 8 cm breite, 0,5 cm dicke Streifen von weissem Filz,
deren Ränder mit dem Messer etwas abgeschrägt sind, und auf deren
Mitte der Länge nach ein 2 cm breites, sehr festes Leinenband fest¬
genäht ist, von den Knöcheln bis zur Mitte der Oberschenkel an¬
gelegt und mit Filzbinden von 7 cm Breite unter festem, aber gleich-
massigem Zuge angewickelt (Fig. 4). Die über das untere Ende der
Fig. 4. Befestigung der Filz-(extensions-)streifen mit Filzbinde.
filzstreifen herausragenden Leinenbänder von 50 cm Länge werden
zusaminengekniipft, über das Querrohr des Gasrohrrahmens (Fig. 5a)
geleitet und an dieser Bandschlinge ein Eimer mit Wasser von etwa
i'1— 15 kg Gewicht gehängt. Damit der Patient infolge dieses Zuges
sich nicht verschiebt, muss vorher ein filzgepolsterter Gegenzug
• s. Fig. 5b) über das Tuber ischii der verletzten Seite geführt und
am Kopfende des Tisches befestigt werden.
Leichte Verkürzungen kann man auf diese Weise ohne Narkose
ungleichen: bei starken Verkürzungen und bei erheblichen Schmer¬
len empfiehlt sich die Anwendung der Narkose.
Ist auf diese Weise die richtige Stellung der Fragmente und die
Ausgleichung der Verkürzung erreicht, so wird, während die Exten-
uon fortdauert, das ganze Bein von den Knöcheln bis zum Nabel
nit Pol st er watte umwickelt. Stellen, die des natürlichen Fett¬
polsters entbehren, wie das Knie, der Trochanter major, die Darm-
»einkämme und die Kreuzbeingsgend, werden mit einer 3 — 4 fachen
uige Watte bedeckt; sonst genügt eine 1 — 2 fache Lage Watte. Die
'V attepolsterung wird mit Mullbinden festgewickelt. Damit der Gips
im Leib nicht zu eng anliegt, wird zwischen Wattepolsterung und
laut ein 32 cm langes. 20 cm breites und 10 cm dickes Wattekissen
.‘ingelegt, das nach Fertigstellung des Verbandes wieder entfernt
•vird.
Schliesslich wird über die Wattepolsterung der Gipsverband
angelegt. Um das Gewicht des Verbandes möglichst gering zu halten,
kommt es darauf an, dass die Gipsschicht überall gleichmässig dick
ist. Das erreicht man am besten durch reichliche Verwendung von
Gipslanguetten in der ganzen Länge des Verbandes. Wird es wegen
der Wundbehandlung notwendig, grössere Fenster im Verband an¬
zubringen, so muss die zwischen den Fenstern stchenbleibende Brücke
besonders durch Gipslanguetten oder durch Bandeisen verstärkt
werden.
Und nun kommt der schwierigste und wich¬
tigste Teil des Verbandes, die Anbringung des Sitz¬
ringes. Am Tuber ischii muss jeder Verband, ganz gleich, ob man
den Patienten mit einem durchschossenen Oberschenkel gehen lassen
oder liegend transportieren will, gut anliegen, sonst kann im Verband
eine neue Verschiebung der Fragmente eintreten. Der Gegenhalt am
Tuber ischii darf aber nicht hart sein, sondern er muss eine gewisse
Elastizität besitzen, da sonst ein Dekubitus an dieser empfindlichen
Stelle sicher eintritt. Die Herstellung dieses Sitzringes erfordert eine
so grosse Aufmerksamkeit, dass man denselben nicht gleichzeitig mit
dem übrigen Gipsverband, sondern nachträglich allein ausarbeitet.
Man schneidet von der Gipsschicht so viel weg, dass eine 7 — 8 cm
breite Fläche unter dem Tuber ischii gipsfrei ist, legt an dieser Stelle
zwei Lagen besten Sattlerfilzes ein (Fig, 6a u. b), presst durch ein
mit Filz gepolstertes Leinenband (Fig. 6c), das der Assistent hält,
die Filze so gegen den Tuber ischii, dass sie unterhalb desselben sich
rechtwinklig umbeugen und führt nun eine Anzahl Gipsbinden über
die beiden, der hinteren Seite des Oberschenkels sich anschmiegenden
Filzlagen hinweg (Fig. 7a). Dann werden die senkrecht empor¬
ragenden Teile der beiden Filzlappen heruntergeschlagen, so dass sie
auf die eben herumgewickelte Gipsbindenschicht zu liegen kommen,
und werden wieder durch eine Anzahl Gipsbindentouren befestigt.
Dadurch entsteht ein über daumendicker Filzwulst (Fig. 8), dessen
Druck vom Tuber ischii vertragen wird.
Die Herstellung dieses Sitzringes lässt sich nur zum Teil be¬
schreiben. Die nötige Fertigkeit muss durch eigene Versuche, wenn
dieselben auch zunächst fehlschlagen, erworben werden. Zu lösen ist
2156
Feldärztliche Beilage zur Münch, raed. Wochenschrift.
die Aufgabe in jedem Falle, bei dem die Haut des Tuber ischii unver¬
letzt ist. Dann wird der Gipsverband ausgeschnitten. Besonders
zu beachten ist dabei, dass der Rand des Qipsverbandes mindestens
auf Daumenbreite vom Arcus pubis entfernt bleibt. Denn an dieser
Stelle wird nicht der geringste Druck vertragen.
Fig. 6. Anlegung des Sitzringes. Einlegen der beiden Filzplatten und des gepolsterten
Zuges in die Olutäalfalte.
Fig. 7. Anlegung des Sitzringes. Eingipsen des gepolsterten Zuges.
Nachdem der Sitzring erstarrt und dartiit ein fester Gegenhalt
geschaffen ist, muss dafür gesorgt werden, dass die Extension
auch nach Entfernung des Wassereimers im Gips-
verbande fortdauert. Zu diesem Zwecke fasst der Arzt die
Leinenbänder der Filz¬
streifen, übt einen kräf¬
tigen Zug daran fuss-
wärts aus, der Assistent
schneidet den Knoten der
Bänder durch, entfernt
den Wassereimer und
der Arzt schlägt nun,
während er immer wei¬
ter kräftig an den Bän¬
dern extendiert, diesel¬
ben um den unteren
Rand des Gipsverbandes
nach oben hin um, wo
sie der Assistent durch
einige Gipsbindentouren
befestigt.
Damit ist das Resultat
der Korrektur bis auf die
Rotation gesichert.
Um nun auch die unteren
Fragmente in der ge¬
wünschten mittleren Ro¬
tationsstellung zu fixie¬
ren, und um gleichzeitig
dem Patienten ein schmerzloses Auftreten zu ermöglichen, wird noch
ein F u s s t e i 1 angebracht.
Zu dem Zwecke wird der bis dahin unbedeckte Fuss mit einer
Wattepolsterung versehen, die besonders sorgfältig am Fussrticken
und an den Knöcheln sein muss. Auf die Fusssohle kommt eine fünf-
Fig. 8. Der fertige Sitzring.
Der obere Teil der Filzplatten ist nach unten über
den eingegipsten Polsterzug umgeschlagen und in
dieser Stellung durch Gips befestigt.
Nr. 43.
fache Lage Watte; denn der Verband muss mindestens 5 cm länger
sein, als das Bein des Patienten. Nur in solchen Verbänden ist ein
Schweben des gebrochenen Beines möglich. Selbstverständlich
würde die Sohle eines solchen Verbandes aber bald durchgetreten
sein, wenn sie nicht besonders verstärkt würde Das geschieht am
besten durch einen langen Gehbügel aus Stahldraht von 0.5 cm
Dicke (Fig. 9)
Ist dieser Bügel
angewickelt und sind
die Ränder des Ver¬
bandes zugeschnitten,
so erfolgt sofort die
Prüfung, ob der
Verband richtig
angelegt ist. Der
Patient wird vom Ti¬
sche heruntergehoben,
zunächst auf das ge¬
sunde Bein gestellt,
und aufgefordert,, das
kranke Bein allmählich
zu belasten. Ist das schmerzfrei möglich, so muss er das ge¬
sunde Bein hochheben, um das ganze Körpergewicht auf das
kranke Bein oder, genau gesprochen, auf den Oipsverband
zu verlegen. Ist das Stehen in dieser Weise vollkommen
schmerzfrei möglich, so ist der Beweis erbracht, dass der
Verband seinen Zweck erfüllt.
Der Patient muss nun im Bett so gelegt werden, dass der
Verband gut trocknen kann; deshalb muss er abwechselnd
Bauch- und Rückenlage einnchmen. Unter den Beckenteil
des Verbandes kommt ein Hirsenspreukissen, damit nicht der
Verband einbricht. Am folgenden oder nächstfolgenden Tage,
wenn die Gipsschicht getrocknet ist, wird die Wasser¬
glasverstärkung vorgenommen. Dieselbe ist unbedingt
notwendig, um eine längere Haltbarkeit des Gipsverbandes zu
erzielen und trägt wesentlich dazu bei, um das Gewicht eines
so grossen Gipsverbandes in erträglichen Grenzen zu halten.
Zu dem Zwecke wird eine 6 — 10 fache Lage Mullbinden, zum
feil in Languettenform, zum Teil in Rundtouren, an der ganzen Ober¬
fläche des Gipsverbandes angebracht, mit Wasserglas (auf V* Liter
Wasserglas kommt ungefähr eine Handvoll Schlemmkreide) be¬
strichen und durch trockene Mullbinden festgewickelt. In 24 Stunden
ist in der Regel die Wasserglasverstärkung trocken und der Patient
beginnt mit dem Stehen und Gehen. Dasselbe wird wesentlich er¬
leichtert, wenn man die Schuhsohle auf der gesunden Seite durch Filz¬
auflage um 5 cm erhöht, und wenn man dem Patienten zunächst die
Benützung von Krücken erlaubt.
Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass im Felde nicht
der eigentliche Zweck dieses Verbandes etwa der ist, dass die
Patienten mit ihrem Bein umhergehen können. So angenehm
und wertvoll in Friedenszeiten, namentlich für alte Leute, die
ambulante Behandlung der Knochenbrüche ist, so unbedingt
wäre die ganze umständliche Technik des Gipsverbandes im
Kriege zu verwerfen, wenn es sich nur um eine Art „Kunst¬
stückorthopädie“ handelte. Der Zweck des Geh ver-
bandes ist vielmehr, die Fragmente’ in rich¬
tiger Stellung zu erhalten, einen gefahr - und
schmerzlosen Transport zu ermöglichen, und
er wird nur deshalb angewendet, weil mit
anderen Verbänden sich dieser Zweck nicht
erreichen lässt.
Als ich meine Absicht, im Kriege Gehverbände zu machen,
äusserte, wurden manche Bedenken dagegen laut. Es wurde
gesagt: Für die Verhältnisse des Krieges ist die ganze Technik
viel zu umständlich und ausserdem kann sie nur von Aerzten
ausgeübt werden, die eine gewisse technische Fertigkeit haben.
Das ist gewiss richtig. Aber wenn der Beweis erbracht wird,
dass man im Felde Gehverbände erfolgreich machen kann,
dann müssen unter anderen auch solche Aerzte in das Feld,
welche diese Technik beherrschen, und das sind die Ortho¬
päden. Sie sind dann berufen, das nach Friedrichs Worten
bisher ungelöste Problem des Transportes
der Schussfrakturen in Angriff zu nehmen. Gelingt
es, dann wird sich die Orthopädie im Kriege als ebenso segens¬
reich wie die Chirurgie erweisen.
Die Kosten eines solchen Gehverbandes, die etwa 10 bis
15 M. betragen, spielen gar keine Rolle gegenüber den Tau-
?7. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
, enden, die an In\ alidenpcnsionen dem Staate gespart werden
yenn die Deformierung und Verkürzung der durchschossenen
vnochen vermieden wird.
Mit dem Gipsverband allein ist die orthopädische Behand-
ung der Selmssfrakturen nicht erschöpft. Bei allen Schüssen
u der Nähe der Gelenke droht die Gefahr der Gelenkver-
teifu ii g, wenn nicht nach der Verbandabnahme eine sorg-
ältige orthopädische Nachbehandlung eingeleitet wird. Das
st in den Lazaretten in der Nähe des Schlachtfeldes unmög-
ich, und deshalb sollten alle Verwundeten, bei denen die Ge-
ahr der Gelenkversteifung besteht, frühzeitig in die Heimat
.eschafft und der Behandlung von Orthopäden überwiesen
verden.
Es ist zu hoffen, dass die mustergültigen Einrichtungen,
celche unsere Staatsregierung in der orthopädischen Klinik
nd Poliklinik geschaffen hat, gemeinsam mit den vortrefflichen
rthopädischen Privatanstalten Zusammenarbeiten werden, um
ie Fortschritte unserer Wissenschaft unseren tapferen Ver¬
wundeten zum Segen werden zu lassen.
Nachtrag während der Drucklegung.
Unsere Ausführungen sind durch die bisherigen Er-
ihrungen vollauf bestätigt worden. Tatsächlich bleibt die
iipsbehandlung der Schussfrakturen — beson-
ers gilt das vom Bein — unter den Verhältnissen, die in einem
2157
derseite des Oberschenkels sich befand, war erfüllt mit einem
schokoladebraunen Sekret, das einen nicht zu beschreibenden, wider¬
lich süsslichen Brandgeruch hatte. Der Patient lag in seinem Bette,
weinte fortwährend und bat, dass man ihn nicht anrühre. Ein Bild
des Elends, wie es selbst unter den vielen Schwerverwundeten un¬
gewöhnlich war. Ich entschloss mich unter diesen Verhältnissen zur
sofortigen Narkose, Anlegung einer Gegenöffnung auf der Unterseite
des Oberschenkels, Einführung eines Gummidrains, Ausräumung des
jauchigen Sekretes und der losgelösten Knochensplitter und Anlegung
eines Gipsverbandes.
? Stunden später lag der Patient in seinem Bett, schmerzfrei,
las die Zeitung und rauchte mit grossem Behagen eine Zigarette. Das
war der schnellste und grösste Wechsel in dem Befinden eines Men¬
schen, den ich je in meiner ärztlichen Tätigkeit erlebt hatte. In
einigen Tagen wurde die Temperatur normal und die Erhaltung des
Lebens und Beines darf als gesichert gelten.
Seitdem habe ich es mir zur Regel gemacht, möglichst
bald f ii r Fixierung der durchschossenen Knochen zu sorgen.
Ist der Patient fieberfrei und das Sekret an der Wunde nicht
übelriechend, so wird die Wunde nur mit Jodtinktur betupft
und mit Perubalsam verbunden. Besteht aber Fieber und
Sekretverhaltung, und ist das Sekret übelriechend, so wird
sofort eine Gegenöffnung angelegt, ein Gummirohr eingeführt,
die Wundhöhle mit Wasserstoffsuperoxyd durchgespült und
freie Knochensplitter entfernt. Die Hauptsache aber
bleibt, dass sofort hinterher eine richtige
Schiene oder ein gefensterter Gipsverband
angelegt wird. Bei dieser Behandlung erlebt man grosse
Fig. io.
hnell eingerichteten Etappen- oder Reservelazarett herr-
hen, das einzige Mittel, um stärkere Verkürzungen und
hwere Deformierungen der durchschossenen Glieder zu
rhüten. Die Gipsbehandlung sichert aber nicht nur in for-
aler Hinsicht gute Endresultate, sondern sie beeinflusst den
iilungsverlauf in ausserordentlich günstiger Weise. Der
akturschmerz, unter dem der Patient am meisten leidet, wird
der Regel durch den Gips sofort und dauernd be-
itigt; besonders bedeutungsvoll ist aber die Beeinflussung
s \\ undheilverlaufes unter der sorgfältigen Fixierung. Unter
n 80 Knochen- oder Gelenkschüssen, die ich bisher in Be-
ndlung gehabt habe, fanden sich eine ganze Anzahl, bei
neu das Sekret jauchig war, und bei denen Temperaturen
’n 39 und 40 " bei Beginn der Behandlung bestanden. Ich
tte anfangs Bedenken, bei diesen Patienten eine Korrektur in
r Stellung der Fragmente in Narkose vorzunehmen, auf
und der Erfahrungen, die man in Friedenszeiten früher mit
m Redressement von fistelnden Koxitiden und Gonitiden ge¬
teilt hatte. Es hat sich aber gezeigt, dass die Knochen- und
lenkschiisse desto besser verlaufen, je früher sie immobili-
rt werden.
Besonders lehrreich war folgender Fall:
Ein Mann hatte 3 Tage lang hilflos unter Toten auf dem Schlaclit-
1 gelegen und wurde mit durchschossenem Oberschenkel in das
sarett gebracht. Temperatur: 39,3. Die Wunde, die auf der Vor¬
freude an den Knochen- und Gelenkschüssen, und man
braucht, wenn der Verlauf stets so ist, wie der meiner ersten
80 meist sehr schweren Fälle, nur mit einer Mortalität von
2 — 3 Proz. zu rechnen.
Auch die Zahl der Amputationen wird dadurch wahr¬
scheinlich beeinflusst. Ich habe bisher nur in einem Falle eine
Amputation vornehmen und von anderen grösseren Opera¬
tionen nur einmal die Axillaris und einmal die Poplitea (mit
bisher gutem Resultat) unterbinden müssen. Diese Zahl gilt
abei nur für die im Laufe der Behandlung in einem Etappen¬
lazarett notwendig werdenden Amputationen. Die von vorn¬
herein verlorenen Glieder werden in der Regel schon im Eeld-
oder Kriegslazarett amputiert.
Auf meinem Arbeitsgebiet der Knochen- und Gelenk-
schüsse spielen zweifellos richtige Verbände eine viel grössere
Polle als die Operationen. Dass sich einwandfreie Gipsver¬
bände, auch der Oberschenkelfrakturen, unter den Verhält¬
nissen eines Etappenlazaretts machen lassen, ist erwiesen.
Wir haben bisher bei 20 Patienten mit Oberschenkelfrakturen
Gehverbände angelegt und bei allen ausnahmslos ein sofortiges
schmerzfreies Stehen erreicht. Eine Gruppe von solchen
Patienten zeigt das Bild (Fig. 10).
- - - • »irr. • -
2158
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 43.
Oswald Loeb- Göttingen f.
Prof.-O. Loeb aus Göttinnen ist als Militärarzt auf dem Wege
ins Feindesland in Metz infolge eines Sturzes vom Pferde, 34 Jahre
alt, gestorben Wenn auch nicht von Feindeshand gefallen, so hat
er doch wie so viele Kollegen den Flcldentod im Dienste des Vater¬
landes erlitten Die medizinische Wissenschaft und insbesondere sein
Wissensgebiet, die Pharmakologie, verliert einen schon bewährten
und vielversprechenden Forscher. Seine früheren Arbeiten aus den
pharmakologischen Instituten in Heidelberg und Göttingen, die sich
vorwiegend mit dem Einfluss verschiedener Gifte und Arzneistoffe
auf das Herz beschäftigen, sichern ihm bereits einen guten Namen
in der Geschichte seiner Disziplin. Berechtigtes Aufsehen haben
seine letzten Arbeiten zur Aufklärung der Entstehungsweise der
Atherosklerose gemacht.
Was den Verstorbenen gerade dem Schreiber dieser Zeilen
nahegebracht hat und die Veranlassung zu diesem Nachruf gewesen
ist, das war der grosse Eifer und die ideale Begeisterung, mit der
L o e b sich an den Bestrebungen zur Bekämpfung des Arznei-
mittelunwesens beteiligt hat. Als Geschäftsführer und später als
Mitglied der Arzneimittelkommissicn des Deutschen Kongresses für
innere Medizin hat er eine aufopfernde, überaus mühevolle Tätigkeit
durch 3 Jahre hindurch entwickelt, hartnäckige Kämpfe mit den
Gegnern unserer Grundsätze durchgeführt und einen grossen Teil
der schliesslichen Erfolge durch sein ebenso energisches wie ge¬
rechtes Vorgehen erreicht. Wenn in Friedenszeiten dieser gerechte
Kampf gegen das „Heilmittelunheil“, wie es der Lehrer L o eb s, Wolf¬
gang H e u b n e r, mit Recht genannt hat, wie wir hoffen wieder auf¬
genommen wird, so werden wir unseren kraftvollen Mitstreiter
schwer vermissen.
Diese kraftvolle innere Wahrhaftigkeit der Natur Oswald
L o e b s war es, die ihm bei allen, die ihn kannten und verstanden,
nicht nur Weitschätzung, sondern auch wirkliche Zuneigung ein¬
trugen. Was er einmal als richtig erkannt hatte, das verfocht er
auch, ohne sich darum zu kümmern, ob es ihm schaden könnte oder
nicht. Er war nicht „liebenswürdig“ im landläufigen Sinne des
Wortes und doch war er ein liebenswerter Charakter in des
Wortes eigentlichster Bedeutung.
Deshalb trauern an der Bahre des so früh und so jäh Dahinge¬
schiedenen nicht nur das Vaterland und die medizinische Wissen¬
schaft, es trauern auch seine Freunde und vor allem die treue Gattin,
die Mutter seines Kindes, und seine ganze Familie.
Möge das bescheidene Denkmal, das diese Zeilen dem Forscher
und Menschen setzen sollten, auch den um ihn trauernden Hinter¬
bliebenen ein schwacher Trost sein! P e n z o 1 d t.
Referate.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Aus Nr. 40. 1914.
V. C z e r n y - Heidelberg: Einleitung in die Kriegschirurgie.
Verf. übt eine gewisse Kritik an der Organisation des Kriegs¬
sanitätswesens und wünscht vor allem, dass die zentralen Behörden
den lokalen Delegierten vom Roten Kreuz freiere Hand lassen möch¬
ten, z. B. in Heidelberg bezüglich der Frage der Erholungsheime
und Privatpflegestätten zur Entlastung der sehr an Bettenmangel
leidenden Spitäler. Ebenso wäre es wohl genügend, wenn die Ent¬
scheidung über die Dienstfähigkeit der Rekonvaleszenten nach An¬
trag des behandelnden Arztes dem Bezirkskommando (Garnisonsarzt)
und nicht dem Generalkommando zustehen würde. Eine Verminde¬
rung des Schreibwerkes wäre sehr erwünscht.
Auffallend ist der Unterschied des guten Aussehens der Ver¬
bände und der Wunden der Verwundeten, welche nur einen kurzen
Transport hinter sich haben und welche in einem guten Sanitäts¬
zug gereist sind, gegenüber dem Zustand bei denen, welche tage¬
lang und welche in Notsanitätszügen (notdürftig in Stroh und in un¬
reinen Gepäckwagen) transportiert worden sind. Manchen solchen
Zügen ist kein Arzt, kein Sanitätspersonal, nicht einmal ein Führer
beigegeben. Man muss als Regel verlangen, dass für je 50 Ver¬
wundete ein Heilgehilfe und eine Krankenschwester und für jeden
Zug ein Arzt abgestellt wird. Am besten würden die D-Züge nach
einigen nicht allzu schwierigen Abänderungen zu Verwundetentrans¬
porten verwendet. Um in aller Ruhe die — sonst oft kaum mög¬
liche — zweckmässige Verteilung der Verwundeten vornehmen zu
können, sollten an den grösseren Etappenorten eigene Passanten¬
lazarette eingerichtet werden. In Heidelberg wurden bis 15. Sep¬
tember 13 600 Verwundete am Bahnhof versorgt, 3390 in die Spitäler
aufgenommen, 1858 wieder evakuiert.
Verf. erörtert weiter die Verhältnisse, welche gegen früher eine
günstigere Gestaltung der Wundheilung bedingen: die vermehrte
Zahl und bessere Einrichtung der Spitäler, die Verbesserung der dia¬
gnostischen Hilfsmittel, der Operations- und Verbandstechnik, die
Aenderung der Geschosse.
An Tetanus treffen auf 27 Todesfälle der Heidelberger Spitäler
bereits 8 (von 17 Erkrankten, die z. T. noch in Behandlung stehen),
Fälle von längerer Inkubation scheinen auch hier wieder relativ
günstiger zu sein. Ob der bis jetzt günstige Prozentsatz auch dem
auf die verschiedenste Weise eingespritzten Tetanusserum zu danken
ist, steht noch dahin. Von v. Behring wird empfohlen, das pulver¬
förmige Antitoxin in die Wunden einzustäuben. Von den 17 Fällen
waren 13 durch Granatsplitter verletzt, alle Fälle waren in schlechten
Güterwagen und mit schlecht aussehenden Wunden angekommen.
Es erscheint eine vorherige Desinfektion der für den Krankentrans¬
port bestimmten Güterwagen als erforderlich. Bergeat.
Kleine Mitteilungen.
Sanitätshunde.
Die Sanitätshunde, mit denen z. Z. in der deutschen Armee Ver¬
suche angestellt werden, haben sich, nach einer Mitteilung de'
Deutschen Vereins für Sanitätshunde, bisher sehr gut bewährt. Es
sind schon mehrere Fälle bekannt,
in denen die Hunde versteckt
liegende Verwundete aufgefunden
und vor dem Tode durch Ver¬
bluten oder Entkräftigung ge¬
rettet haben. Es sind z. Z. 200
Hunde tätig. Am besten sollen
Dobermanns für den Zweck ge¬
eignet sein. Auch für die baye¬
rische Armee sind vor kurzem
Hunde angekauft worden. Sie
werden von der Zentralkriegs¬
sanitätskommission feldmässig aus¬
gerüstet. Sie erhalten einen Leib¬
gurt mit zwei zu beiden Seiten
befindlichen ziemlich grossen Ta- Bayerischer Sanitätshund,
sehen. Die eine davon enthält
Verbandzeug. Heftpflaster, Schere, Bindfaden und anderes zur Selbst¬
hilfe für den ersten Augenblick nötiges Material. In der zweiten
Tasche befinden sich Labemittel, wie kalter Thee, Kaffee, ein kleines
Fläschchen Wein und Rum, Zucker und Schokolade. Alle diese
Sachen sind wohl verpackt und mit Aufschriften versehen. Die An¬
wendung von Sanitätshunden stammt aus der Schweiz, wo man vor
etwa 10 Jahren die ersten Versuche bei den Manövern machte und
befriedigende Resultate erzielte.
Therapeutische Notizen.
P e 1 1 i d o 1 s a 1 b e. Ich möchte nicht unterlassen, auf ein üeber-
häutungsmittel hinzuweisen, das sich mir bei der Behandlung
grösserer Wunden sehr bewährt. Pellidolsalbe, der Ersatz der Bieb-
richer Scharlachrotsalbe, die aber vor letzterer den grossen Vorteil
bietet, keine so unangenehmen roten Flecken in Verbandstoffen und
Wäsche zu hinterlassen. Selbst sehr grosse Wunden mit ganz ge¬
ringer Heilungstendenz beginnen nach den ersten Tagen der Pellidol¬
behandlung schon kleine Epithelinseln zu zeigen, von denen aus
dann die Epithelisierung langsam, aber immer noch erheblich schneller
wie sonst fortschreitet, so dass der Heilungsprozess bedeutend ab¬
gekürzt wird. Pellidolsalbe hat ausserdem den Vorzug grosser Billig¬
keit. Dr. med. B S a I f e 1 d - Wiesbaden.
Tierkohle bei Ruhr. Im Anschluss an seine Mitteilung
in Nr. 34 S. 1863 d. Nr. empfiehlt Dr. E k s t e i n - Budweis Tier¬
kohle insbesondere bei Ruhr. Ein in der letzten Zeit von ihm be¬
handelter Fall von akutem, ruhrartigem Durchfall, der vor Behandlung
10 — 15 Stühle täglich (durch 8 Tage) hatte, habe sich nach Einnahme
von' nur 30 g einer lOproz. Tierkohlelösung derart gebessert, dass
bereits der 2. Stuhlgang nicht mehr diarrhoisch, sondern geformt war.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 24. Oktober 1914.*)
— 13. Kriegswoche. Ereignisse von entscheidender Be¬
deutung hat die vergangene Woche nicht gebracht, doch haben in den
letzten Tagen an verschiedenen Punkten der nordfranzösischen
Schlachtlinie, namentlich bei Lille, erfolgreiche Angriffe unserer
Truppen stattgefunden. Im Osten wird siegreiches Vorgehen der
Oesterreicher in Galizien gemeldet; Ungarn ist vom Feinde befreit.
Die wiederholten Verletzungen der Genfer Konvention
durch Franzosen und Belgier sind schon früher von uns erwähnt
und damit auch die hohen Verlustziffern der Aerzte in Zusammen¬
hang gebracht worden. Authentisches Material hierüber enthält eine
Denkschrift, welche die deutsche Regierung der französischen
hat zustellen lassen. Was hier an rücksichtsloser Nichtachtung der
Genfer Flagge und an grausamer, unmenschlicher Behandlung von
Gefangenen und Verwundeten einwandfrei festgestellt ist, schreit zum
Himmel. Die Scheusslichkeiten von Orchies waren durch die amt¬
liche Darstellung Exz. v. Schjernings schon bekannt. Man
konnte sie für vereinzelte Untaten entmenschter Bestien halten. Sie
sind es nicht; ähnliche Greuel, Ausstechen der Augen, Abschneider
*) Die vorliegende Nummer musste wegen des Reformations¬
festes mit Rücksicht auf die über Leipzig gehende Auflage früher
fertiggestellt werden. Die Schriftleitung.
7. Oktober 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2159
>n Fingern und andere Verstümmelungen sind auch anderswo Vor¬
kommen. Vor allem aber ist das Absuchen des Schlachtfeldes und
edermachcn der aufgefundenen deutschen Verwundeten durch frän¬
kische Offiziere und Soldaten eine nicht länger zu bezweifelnde
itsache. nie deutsche Regierung hat gegen diese unerhörten Ver-
izungen eines von allen Kulturstaaten geschlossenen Weltvertrags
ierliche Verwahrung eingelegt. Dass diese einem Volke gegenüber,
is solcher Schandtaten überhaupt fähig ist, Eindruck machen wird,
: zu bezweifeln. Es muss daher Sache ernster Erwägung sein,
eiche Gegenmassregeln von deutscher Seite zu ergreifen sind. Der
-danke, dass Deutsche soweit herabsteigen könnten, hier Gleiches
,t gleichem zu vergelten, ist dabei von vornherein abzuweisen
iss die Franzosen mit der Ermordung deutscher Verwundeter sich
s die gelehrigen Schüler der Engländer erweisen, ist bekannt,
ich der Schlacht bei 1 el el Kebir hat der damalige ausgezeichnete
iegsberichterstatter der Köln. Ztg. (u. W. Dr. Zöllner) als Augen-
uge berichtet, dass nach der Schlacht sämtliche ägyptische Ver-
undete von den Engländern niedergemacht wurden. Die Fest-
-Ihing hatte seinerzeit einen Wutausbruch der englischen Presse
r Folge, an der I atsache konnte aber nicht gerüttelt werden. Wenn
in sich dieser Gesinnung unserer Gegner erinnert, so kann man
:h auch nicht wundern, dass neuerdings ein deutsches Lazarett-
'iiff unter Bruch der internationalen Verträge von den Engländern
kapert wurde.
Während so die deutsche Armee gegen moralisch minderwertige
gner streitet, suchen die Regierungen im Innern in grosszügiger
eise dem Kriegselend zu begegnen. Die preussische Regierung hat
len Kredit von 1500 Millionen Mark verlangt zur Deckung der
rch den Krieg bedingten Ausfälle in den Staatseinnahmen und zur
ueitung einer weitgehenden Hilfsaktion. Fürsorge für die staat-
hen Lohnangestellten, Notstandsarbeiten, Erleichterung der Ver-
rgung bestimmter Gebiete mit Nahrungsmitteln, Erhaltung des
-hbestandes, Vermehrung der Nahrungs- und Futtermittel, Einkauf
n Nahrungsmitteln aus öffentlichen Mitteln, Förderung der Feld¬
stellung, Hilfe für Ostpreussen etc. sind ins Auge gefasst. Beide
user des preussischen Landtags haben der Vorlage einmütig ihre
Stimmung gegeben. Viel Kriegsnot wird durch sie gemildert
rden.
— Auf eine Eingabe des Verbandes der Aerzte Deutschlands
das Auswärtige Amt und das Preussische Kriegsministerium hin,
durch Vermittlung der Botschaft der Vereinigten Staaten von
lerika der grossbritannischen Regierung vorgeschlagen worden, den
derseitigen Aerzten, auch wenn sie sich im wehrpflichtigen Alter
inden, die Abreise in ihre Heimat zu gestatten. Ob dieser Schritt
l Erfolg sein wird, bleibt abzuwarten.
— In Berlin wird die Medizinische Gesellschaft
nnächst ihre Sitzungen aufnehmen. Dagegen wird der Verein für
ere Medizin und Kinderheilkunde vorerst nicht tagen.
— Man schreibt uns aus H a m b u r g, 15. Oktober 1914: Wir be¬
iteten in Nr. 41 d. Wschr. über Beschlüsse der Hamburger Bürger¬
aft, auch die Reichsversicherungsanstalt zur Lin-
ung der durch den Krieg geschaffenen Notlage mit oder ohne
iderung der Gesetzgebung heranzuziehen. Schneller, als man
fen durfte, sind die Wünsche, die in den genannten Beschlüssen
l Ausdruck gelangten, wenigstens zum grössten Teil in Erfüllung
angen. Der Verwaltungsrat der Reichsversicherungsanstalt war
i 12. Oktober einberufen und hat bereits einen Beschluss ge-
d, der nicht nur den Wünschen der Bürgerschaft Rechnung trägt,
dem noch weit über das hinausgeht, was man von einem so jun-
Unternehmen, wie die Reichsversicherungsanstalt, die am
anuar 1914 1 Jahr existiert, erwarten darf. Von dem in der Biir-
schaft erwähnten Vermögen von 122 Millionen Mark konnte eine
Glligung nicht in Frage kommen, da es sich hierbei lediglich um
Prämienreserve handelt, also nur um einen Teil des Vermögens
Rcichsversicherungsanstalt, über den auch gesetzgeberische
'Snahmen nicht hätten verfügen dürfen. Der einzige Vermögens-
der Reichsversicherungsanstalt, der für Linderung der durch den
'g geschaffenen Notlage in Frage kam, war die Rücklage für das
verfahren, und diese hat der Verwaltungsrat ganz und auch von
event. zu erwartenden Rücklage aus dem laufenden Jahre einen
bewilligt. Es sind von dem Standpunkte aus, vorbeugende Mass-
nen für das Heilverfahren zu treffen, aus den Reserven des Heil-
ahrens bis zu 10 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. End¬
ist beschlossen worden, das Heilverfahren, welches infolge des
ges wegen Aerzte- und Sanatorienmangels eingestellt werden
ste, nunmehr in vollem Umfange wieder aufzunehmen. Vor¬
ende Angaben entstammen einer Mitteilung des Herrn Direktor
1 ü 1 1 e r, Mitglied des Verwaltungsrates der Reichsversicherungs¬
alt. Wir Aerzte begrüssen am meisten, dass die Anstalt die
he von einem „Aerzte- und Sanatorienmangel“ jetzt fallengelassen
und hoffen, dass eine weitere Unterbrechung des Heilverfahrens
ukunft nicht mehr stattfindet. K. J.
— In dem Zeitraum von 1901 bis 1910 betrug der Bevölke-
gs Zuwachs in Europa für Russland mit Finnland
Proz., Serbien 15,83, Rumänien 14,38, Bulgarien 14,12, Deutsch-
13,14, Holland 12,79, Schweden 6,99, Norwegen 6,69, Italien 6,05,
ugal 5,92, Spanien 4,70 und Frankreich 1,45. Die Zahlderab-
chlossenen Ehen betrug auf 10 000 in Serbien 202, in Bul¬
in 195, Rumänien 185, Ungarn 175, Belgien 158, Oesterreich und
kreich je 155, Italien und England je 154, Schweiz 150, Spanien
149, Holland 147, in Norwegen 119. Der Geburtenkoeffizient
war in Russland 465, in Bulgarien 418, in Rumänien 401, Oesterreich-
Ungarn 355, Spanien 344, Deutschland 323, England 268, Frankreich
nur 215. In allen europäischen Ländern ausser Irland, Bulgarien,
Serbien, Rumänien und Italien dauerte der seit 1890 begonnene Rück¬
gang an. Die Sterblichkeit betrug auf 10 000 in Russland 298,
Rumänien 256, Oesterreich-Ungarn 243, Serbien 236, Bulgarien 231,
Spanien 224, Italien 215, Frankreich 193, Deutschland 184, Bel¬
gien 164, Grossbritannien 163, Schweiz 150, Holland 149, Schwe¬
den 147, Norwegen und Dänemark je 140. Die Sterblichkeit ging in
der Beobachtungsperiode überall zurück ausser in Frankreich, wo sie
nahezu stationär blieb. Der Geburtenüberschuss betrug in
dem Zeitraum von 1906 mit 1910 in Frankreich 7 auf 100 000, 87 in
Be gien, 115 in Italien, 116 in England, 141 in Deutschland, 152 in
Holland. (II lavoro 1914 Nr. 17.)
--- Ein Kriegsatlas 1914, 24 Karten (13 Hauptkarten und
r Nehenkarten) auf 12 Blättern, ist soeben im Verlag von
r A. Brockhaus in Leipzig erschienen. Er bietet Uebersichten
.. ,aIle Knegsschauplätze und zeichnet sich durch billigen Preis
(1 M.) aus.
— Cholera. Oesterreich-Ungarn. Vom 20. bis 26. September
wurden in Oesterreich 26 Erkrankungen (und 2 Todesfälle), durch¬
weg bei Militärpersonen, festgestellt, und zwar in Wien 2 (1), in
Brünn 1(1), in Galizien 33. — In Ungarn wurden vom 25. September
. Oktober 183 Cholerafälle gemeldet. — Russland. Zufolge
Mitteilung vom 3. Oktober ist in Kiew die Cholera ausgebrochen. - — •
Oesterreich-Ungarn. In der Woche vom 27. September bis 3. Ok¬
tober wurden in Oesterreich 98 Erkrankungen (und 32 Todesfälle)
festgestellt und zwar in Wien 9 (2), in Steiermark in 1 Gemeinde 1 (1),
Krain in 2 Gern. 2 (1), Böhmen in 1 Gern. 1 (1), Mähren in 3 Gern. 5
- davon in Brünn 3 (— ), in Schlesien in 4 Gern. 16 (2) — davon in
Teschen 7 (1), Bielitz 7 (— ), Galizien in 8 Gern. 64 (25). In 1 Falle
(Brodze in Mähren) handelte es sich um einen Hausgenossen einer
aus Galizien heimgekehrten Militärperson, bei der trotz Krankheits¬
erscheinungen Cholera bakteriologisch noch nicht festgestellt werden
ko: ,rte, im übrigen um Personen, die vom nördlichen Kriegsschau¬
plätze eingetroffen sind. Ferner ist laut Mitteilung vom 16. Oktober
in Hohenems (Vorarlberg) 1 Cholerafall festgestellt worden. In
Ungarn wurden in derselben Zeit 231 Erkrankungen gemeldet.
— Pest. Türkei. In Smyrna ist am 5. September 1 tödlich
verlaufener Pestfall zur Anzeige gelangt. In Saloniki wurden nach
Mitteilung vom 12. September 7 Pestfälle (darunter 3 bei Soldaten)
festgestellt. Nach weiteren Meldungen 'hat sich die Pest auch auf
die Bezirke Seres, Drama und einige Ortschaften um Kawalla aus¬
gedehnt. — Niederländisch Indien. Vom 26. August bis 22. September
wurden 1344 Erkrankungen (und 1180 Todesfälle) gemeldet. Für die
Zeit vom 29. Juli bis 25. August wurden nachträglich aus dem Be¬
zirke Malang noch 23 Erkrankungen (und 19 Todesfälle), aus Mage-
tan — (2) mitgeteilt, ferner aus Kediri für die Zeit vom 29. Juli bis
22. August noch 424 (382). — Portugal. Zufolge Mitteilung vom 9. Ok¬
tober sind in Lissabon 8 Fälle von Lungenpest festgestellt worden.
— Brasilien. In Pernambuco vorn 16.— 31. Juli 1 Todesfall, in Bahia
vom 2. bis 22. August 3 Erkrankungen und 2 Todesfälle. — Peru.
Vom 9. Februar bis 22. März nachträglich im Bezirk Ancachs (in
Casrria) 2 Erkrankungen, vom 24.— 30. März in dem Bezirke Libertad
in Pichipampa) 4 Erkrankungen, vom 23. März bis 2. Mai in Caja-
marca (in Contumaza) 3, Lambeyeque 4 (in Chiclayo 3, Guadelupe 1),
Libertad 25 (davon in Santiago de Chuco 16, San Pedro 8, Sala-
verry 1), Piura (in Catacaos) 3, vom 23. März bis 30. Mai in Lima
(in Surco) 4, Piura (in Piura) 7, vom 23. März bis 7. Juni in Arequipa
(in Mcllendo; 12, Libertad (in Trujillo) 16, Lima (in Lima) 15.
Ausserdem herrschte die Seuche um diese Zeit in Chimbote, Ouar
huay und Samanca (Bezirk Ancachs) und in Huacamarca (Libertad)
Vom 8. Juni bis 5. Juli wurden sodann gemeldet im Bezirke Piura 7
(in Piura 5, Catacaos und La Huaca je 1), in Lima 9 (Lima 2, Surco 7)
und in Arequipa (in Mollendo) 2 Erkrankungen.
— In der 39. Woche, vom 27. September mit 3. Oktober 1914,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Elbing mit 29,1, die geringste Berlin-Wilmersdorf mit
6.2 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Scharlach in Königsberg, Königshütte,
Posen, an Diphtherie und Krupp in Bottrop, Buer, Hamm, an Keuch¬
husten in Altenessen. — In der 40. Jahrswoche, vom 4. — 10. Oktober
1914. hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Heilbronn mit 65,3, die geringste Remscheid mit
5.3 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Scharlach in Berlin-Lichterfelde, Buer.
Gleiwitz, Königsberg, an Diphtherie und Krupp in Hamborn, an
Unterleibstyphus in Frankfurt a. 0., Landsberg a. W„ Tilsit
, Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Münster i. W. Der medizinisch-propädeutische Unterricht
wird an der hiesigen Universität am 15. Oktober aufgenommen und
im kommenden Wintersemester ebenso vollständig abgehalten wer¬
den, wie in den früheren Jahren zur Friedenszeit, da die Institute
für den Unterricht zur Verfügung stehen und sämtliche für die Vor¬
lesungen und Kurse der Mediziner in Betracht kommende Profes¬
soren und Dozenten anwesend sind; auch ist für den Unterrichts¬
apparat, insbesondere auch für das Sezieren, ebenso gesorgt worden,
wie früher. Selbstverständlich werden auch die ärztlichen und'
2160
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4c
zahnärztlichen Vorprüfungen in gleicher Weise, wie bisher, ab¬
gehalten.
— Das EiserneKreuzI. Klasse erhielt Qeheimrat Werner
K ö r t e - Berlin. Diese seltene Auszeichnung wurde im Jahre 1870
von Aerzten nur an Lange nbeck und W i 1 m s verliehen.
Das Eiserne Kreuz erhielten: O.A. d. Res.
li. A r o n. — O.A. Georg A t z r o 1 1, Gren.-Reg. Nr. 5. — St.A. Karl
13 ä r t h 1 e i n, Gen. Korn. d. 1. bayer. Armeekorps. — Heinr. Barth.
Reg.A. B e 1 o w. — U.A. Berlin. — U.A. d. Res. B e u m, Inf.-
Reg. 106, 111. Bat. — Biberstein (Breslau). — Birnbach (Bit¬
burg. — B 1 c n c k e (Magdeburg), Reg.A. i. Feld-Art.-Reg. Nr. 4. —
Feldunterarzt B I ü m e n e r. — St.A. d. Res. Borchardt (Char¬
lottenburg). — Reg.A. B r e s 1 e r, Drag.-Reg. 4 (Red. Psych.-neurol.
Wschr.). — G.O.A. B ii x (Bayreuth). — St.- u. Bat.A. Cartsburg
(Schandau), Res.-lnf.-Reg. 61. — O.O.A. Döbbelin (Düsseldorf).
Reg.A. Driesen (Bocholt), Res.-lnf.-Reg. 13. — St.A. Ehr¬
mann (Adlershof). — St.A. d. Res. Hermann G. Engel. — Karl
Feiler m eye r, cand. med., 3. bayer. San. -Komp. — Fritz Frän-
k e 1 (Chemnitz). — St.A. d. L. Dr. G. Fr. Frey. — O.A. F u t h
(Wolfenbüttel). — Gebauer (Wittenberge). — Feldunterarzt
A. E. ü e r 1 a c h (Berlin-Steglitz), Res.-lnf.-Reg. — Giersbach
(Siegen i. W.). — Ass.A. d. Res. G r a e t z. — St.A. d. Res. Grape
(Salzwedel). — St.A. Groos (Remscheid), Ers.-Abt. Feld-Art.-
Reg. 80. — E. Günther, Truppenassistenzarzt d. Res. 19. bayer.
Inf.-Reg. — St.A. Hanns H a u p t, k. s. Gren.-Reg. 101 (Tharandt). -
St.A. Heine (Wilmersdorf). — Ass.A. d. Res. M. H e n i u s. — St.A.
A. H e n s c h e 1, 24. L.-Inf.-Reg. — Ass.A. H o d i e s n e (Leipzig),
Inf.-Reg. 165. — Bat.A. 1 1 1 a m e i e r, bayer. Res.-K. — Ass.A.
d. Res. E Juliusburger. — St A d. Res. Reg.-A. K a p u s t e
(Ratibor), Stab d. Hus.-Reg. 6. — O.A. d. Res. Friedr. Keller
(Schlegel). — St.A. Dr. K i s s 1 i n g, 1. bayer. Armeekorps.
F. Klopstock (Wilmersdorf). — St.A. Knape (Rothenburg O.L.).
— St.A. u. Reg.A. W. Köhne (Weidenau i. W.), Res.-lnf.-Reg. 17.
— O.St.A. d. Res. Königsberger (Charlottenburg). — Prof.
H. Koppe (Giessen). — St.A. Koschel. — Ass.A. Krüger (Ber-
lin-Weissensee). — O.St.A. Phil. Kuhn (Strassburg). — St.A.
Kuno. — Ass.A. d. Res. K w o t z e k (Oppeln). — St.A. Fritz
Lämmerhirt (Oberschöneweide). — O.A. d. Res. L a u f f s (Leip¬
zig), preuss. Pionier-Rcg. 23, 19. sächs. Armeekorps. — St.A. d. L.
u. Reg.A. Liebenow (Offenbach a. M.), Landw.-Inf.-Reg. 118. —
O.A. Gottfr. Lieschke. — U.A. Hans Lieschke. — St.A.
Lincke. — O.A. d. Res. A. Lindemann. — St.A. Lissner
(Bautzen), Inf.-Reg. 103. — St.A. d. Res. Lueken (Oldenburg). —
St.A. d. Res. Martins (Karstadt), Feld-Art.-Reg. 39. — Ass.A. d.
Res. Marcell Meyer (Strassburg i. E.), Inf.-Reg. 132, 15. Armee¬
korps. — O.A. d. Res. W. Massmann (Frechen b. Köln), 2. Pio-
nier-Bat. 16, 1. Res.-Komp. — O.St.A. M o r s a k, 1. bayer. Feld-Art.-
Reg. — O.St.A. Joh. Müller (Spandau). — St.A. Hugo Neumann.
O.A. Nickol (Daaden), 1. San.-Komp. 8. Armeekorps. — St.A.
N u s h e 1 m. — O.A. d. Res. Pagels (Sterkrade). — Gen.A. Geh. R.
Payr (Leipzig). — St. u'. Bat.A. Re-ipen (Siegen i. W.). — O.St.A.
d. Res. Prof O. Römer (Strassburg). — Willi. S a 1 b e r g (Steele).
Bat.A. S a m u e 1 (Köln). — St.A. d. Res. Heinr. Scheuer (Char¬
lottenburg), 1. San.-Komp. 3. bayer. Armeekorps. — St.A. Schie-
k o f e r, 23. bayer. Inf.-Reg. — St.A. d. Res. S c h i r o w (Har¬
burg a. E.). — O.A. Fr. J. Schmidt, 1. bayer. Inf.-Reg. — St.A.
d. Res. H. Schmidt (Berlin). — San.-R. Ludw. Schmidt (Wil¬
mersdorf), Reg.A. Reg. Nr. 48. — Ass.A. S c h ö p p e r 1, 1‘2. bayer.
Res.-lnf.-Reg. — St.A. Schöppler. — St.A. Wilh. S c h u 1 1 z e
(Apolda). — St.A. Hans Schulz. — St.A. Fr. Schwarz (Stettin).
- Mar.O.St.A. S e i f f e, Marinediv. in Belgien. — St.A. Dr. Max
S e n a to r (Berlin), Füs.-Reg. Nr. 34. — St.A.. d. Res. Siew-
czynski. — O.A. Sigl, 1. bayer. Armeekorps. — St.A. d. Res.
u. Reg.A. Stähl er (Siegen i. W.), Res.-lnf.-Reg. 18 — Einj.-Freiw.
Marinearzt Stoppel. — O.St.A. Prof. Stuertz (Köln) — St.A.
Sy ring, Inf.-Reg. 21. — Ass.A. Walter Thinius. — Ass.A. W.
To en nies (Borna), Karabinier-Reg. — St. u. Reg.A. Wegen er
(Chemnitz), Inf.-Reg. 104. — O.A. d. Res. u. Bat.A. Weih (Köln).
Inf.-Reg. 28, 8. Armeekorps. — O.A. d. Res. Welzel (Saabor). —
Ass.A. Wiechman n (Hannover). — O. u Bat.A. Gottfr. gen. Fr.
Windelschmidt (Köln), Res.-lnf.-Reg. 28. — Ass.A. Z e c h 1 i n,
Füs.-Reg. 80. — Ass.A. d. Res. Zimmermann. — O.St.A. Zuber.
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Dr. Brock m an n. St.-A. d. Res., Augenarzt in Tilsit.
Dr Oswald L o e b - Göttingen, Prof. d. Pharmakologie und
Mitglied der Arzneimittelkommission des Kongresses für
innere Medizin, Stabsarzt im 224. Res.-Inf. (+ 14. X. 14 auf
dem Wege ins Feindesland in Metz durch Sturz vom Pferd).
Dr. Starke- Friedeburg, Regimentsarzt im Res.-lnf.-Reg. 78.
Dr. Wiechmann - Hannover, Assistenzarzt, vor Reims am
23. September.
Hans Zech, cand. med., Unteroff. d. Res., Feld.-Art -Reg 39
(Eltmann).
(T o d e s f a 1 1.)
ln München starb Hofrat Dr. v. Pfistermeister im Alte
von 64 Jahren, ein Kollege, der sich namentlich im Gemeindedienst
er gehörte viele Jahre dem Gemeindekollegium und dem Magistr;:
an, dann durch seine Förderung der Bestrebungen des Roten Kreuze
und der freiwilligen Sanitätskolonne grosse Verdienste erworben hat
Amtliches.
(Bayern.)
Militär-Sanitäts-Orden.
im Verordnungsblatt des Kriegsministeriums wird mit
geteilt, dass der König bestimmt hat, dass an Stelle de
von König Max Joseph I. mit Armeebefehl vom 8. No
vember 1812 gestifteten Militär-Sanitäts-Ehrenzeichens eii
neuer Orden, der „Militär-Sanitäts-Orden1
tritt. Die Satzungen des Ordens sind:
Artikel I. Der Militär-Sanitäts-Orden soll dazu dienen, aus
gezeichnete Verdienste, die sich Sanitätsoffiziere der mobilen Armet
in der mit eigener Lebensgefahr verbundenen Versorgung und Be
handlung verwundeter und kranker Offiziere usw. und Mannschaftei
auf Schlachtfeldern und in Lazaretten des Operationsgebietes wäh¬
rend eines Krieges erwerben, zu belohnen.
Artikel II. Der Militär-Sanitäts-Orden kann von allen Sa
nitätsoftizieren der bayerischen Armee erworben werden. Er kam
ausserdem auch Sanitätsoffizieren anderer Armeen verliehen werden
Artikel III. Der Militär-Sanitäts-Orden besteht auf zwe
Klassen. Das Ordenszeichen ist ein weiss emailliertes Kreuz, da;
bei der 1. Klasse aus Gold, bei der 2. Klasse aus Silber besteht
Das blau emaillierte Mittelstück trägt in beiden Klassen auf dei
Vorderseite ein goldenes „L“ mit der Krone und auf dem weis;
emaillierten Rande die Jahreszahl 1914 in Gold, auf der Rückseitt
die Inschrift „Für Verdienste im Kriege“. Beide Auszeichnunger
werden, wie bisher das Militär-Sanitäts-Ehrenzeichen, am Bande
des Militär-Max-Joseph-Ordens auf der linken Brust vor dem Militär
Verdienst-Orden getragen.
Artikel IV. Die Verleihung der 1. Klasse soll in der Rege
durch den Besitz der 2. Klasse bedingt sein. Bei Verleihung de;
Militär-Sanitäts-Ordens 1. Klasse wird das vorher verliehen ge¬
wesene Oi denskreuz 2. Klasse abgelegt und zurückgegeben. Ebensi
wird nach dem Tode des Inhabers der Orden an das Kriegsministeriuir
zurückgeliefert.
Artikel V. Gesuche um Verleihung des Ordens oder dei
höheren Klasse des Ordens müssen in der Regel von dem betreffen¬
den Sanitätsoffizier selbst mit einer ausführlichen, auf Pflicht und
Ehre abgegebenen Darstellung der erworbenen Verdienste an der
Vorsitzenden einer Kommission eingereicht werden. Diese Kom¬
mission soll aus dem Korpsarzt als Vorsitzenden und 4 Sanitäts¬
offizieren vom Stabsarzt aufwärts bestehen und hat durch Zeugen¬
vernehmungen und ihr sonst sachdienlich erscheinende Erhebungen
den Tatbestand festzustellen. Das Gutachten dieser Kommission
ist vom zuständigen kommandierenden General zu bestätigen, der
es dem Kriegsministerium für Herbeiführung Unserer Entscheidung
in Vorlage bringt. Steht zur Verleihung des Ordens ein Korpsarzt
in Frage, so gehen die Befugnisse der Kommission an ein anderes
Armeekorps über. Nichtbayerische Sanitätsoffiziere, die sich im
Sinne des Artikels I um Angehörige der bayerischen Armee Ver¬
dienste erwarben, können selbst um den Orden nicht nachsuchen,
sie werden auf Vorschlag der Korps- usw. Aerzte durch die komman¬
dierenden Generale für Verleihung des Militär-Sanitäts-Ordens heim
Kriegsministerium beantragt, das Unsere Entscheidung einholt.
Artikel VI. Mit dem Besitze des Ordens sind für bayerische
Inhaber lebenslängliche Zulagen verbunden, die bei der 1. Klasse
600 M„ bei der 2. Klasse 300 M. jährlich betragen und in monatlichen
Teilbeträgen im voraus bezahlt werden. Der Bezug der Zulage er¬
lischt mit dem Ende des Monats, in dem der Ordensinhaber mit Tod
abgeht.
Artikel VII. Bei einer gerichtlichen Verurteilung, mit der
der Verlust von Orden und Ehrenzeichen von Rechts wegen ver¬
bunden ist, wird die Dekoration eingefordert und vernichtet. Des¬
gleichen bleibt es Unserer Entscheidung Vorbehalten, die Einziehung
und Vernichtung des Ordens zu befinden, wenn der Inhaber sich
schwerer Verfehlungen gegen die Gebote der Ehre und Recht¬
schaffenheit schuldig gemacht hat. In beiden Fällen erlischt der
Bezug der Zulage mit dem Ende des Monats, in dem der Verlust
des Ordens cintritt.
Artikel VIII. Alle Ausfertigungen über Verleihungen des
Militär-Sanitäts-Ordens erfolgen durch Unser Kriegsministerium, das
auch alle auf diesen Orden bezüglichen Akten und Schriftstücke auf¬
bewahrt und ein Verzeichnis der Beliehenen (Ordensmatrikel) führt.
Im Militärhandbuch werden die Inhaber des Ordens gesondert vor¬
getragen
A r t i k e 1 IX. Die bisherigen Inhaber des Militär-Sanitäts-Ehren¬
zeichens tragen dieses unverändert mit den bisherigen Recnten fort.
Deutsche Aerzte!
Verschreibt nur deutsche Präparate und Spezialitäten!
Verlag von J. F. L e li in a n 11 in München S.W . 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunsidruckerei A.O., München.
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Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 44. 3. November 1914.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Paul Heysestrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und VerbreitungTeTiT^es^eitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus dem Pathologischen Institute der Städtischen Kranken¬
anstalten in Dortmund.
Der angeborene Status thymo-lymphaticus.
Von Prof. Dr. Herrn. S c h r i d d e.
h'iir die Beurteilung des Status thymo-lymphaticus ') der
Kinder und der Erwachsenen ist es selbstverständlich von
grosser Wichtigkeit, ob wir diese Anomalie als einen ange¬
borenen oder als einen erst im späteren Leben erworbenen
Zustand zu betrachten haben. Gleich bedeutungsvoll ist die
weitere Frage, ob es schon im intrauterinen Leben einen
Status thymo-lymphaticus gibt, oder ob nur allein die Anlage
vorhanden, ist, aus der sich dann durch besondere äussere
Einwirkungen im späteren, extrauterinen Leben diese so ge¬
fahrbringende Abweichung von der normalen Konstitution ent¬
wickelt.
Es liegen ja bereits Veröffentlichungen, die für eine solche
Erörterung verwertbar sind, vor. Ich nenne ausser den
besonders wichtigen Untersuchungen von Hedinger auch
die Arbeiten von Kayser, Flügge, Soinma und
D u r a n t e. Die meisten der in diesen Veröffentlichungen er¬
wähnten Beobachtungen sind jedoch aus verschiedenen Grün¬
den nicht als beweisend heranzuziehen. Meistens fehlt die
Angabe des Thymusgewichtes, und es wird allein die Grösse
des Organes angegeben, die nur unsichere Schlüsse zulässt.
Ferner ist fast stets nur der Thymus bei der Beurteilung des
Falles berücksichtigt, da er durch seine Grösse in den Vorder¬
grund des Obduktionsbefundes trat. Es wird weiter durchweg
bis auf drei Beobachtungen von Hedinger und Kayser,
die ich kurz anführen will, die Untersuchung des lymphatischen
Apparates des Körpers vermisst.
In dem Falle von Kayser handelt es sich um ein ausgetragenes
Jeugeborenes, das 12 Stunden nach der Geburt starb. Der Thymus
war 5 cm lang, 5 cm breit und 2 cm dick. Es fand sich ferner eine
Vergrösserung der Milz, eine Schwellung der Lymphknoten an der
1 eilungsstelle der Luftröhre und des Mesenteriums und eine Ver¬
grösserung der Darmlymphknötchen. Unter den 12 Fällen H e -
i i n g e r s kommen hier folgende in Betracht. In dem einen handelte
iS sich um einen unausgetragenen Fötus von 43 cm Länge und 1805 g
ue wicht. Das Gewicht des Thymus betrug 12 g. „Die Follikel der
nilz waren zahlreich und gross.“ Bei einem anderen, kurz
nach der Geburt gestorbenen Kinde von 50 cm Länge und
5500 g Gewicht wog der Thymus 21 g. Die Milz „zeigte in der
chwarzroten Pulpa deutlich graue Follikel. Die Follikel des Diinn-
ind Dickdarmes sind deutlich, aber nicht vergrössert, die Peyer-
ichen Plaques sind nicht kenntlich.“ Die mikroskopische Unter¬
suchung der Milz ergab: „Die Follikel sind klein und bestehen nur
ius Lymphozyten.“
Ausser den vorstehend erwähnten pathologisch-anatomi-
chen Untersuchungen finden sich in der Literatur auch klini-
che Beobachtungen, die wohl für ein Angeborensein des Status
Drechen können, die aber deshalb nicht ohne weiteres be¬
weisend sind, weil hier die Einwirkung von äusseren Ein-
lüssen des extrauterinen Lebens nicht abgestritten werden
unn. Ich lasse sie daher ausser Betracht.
So kommt es denn, dass heutzutage noch der Streit darüber
errscht, ob die in Rede stehende Anomalie als solche ange-
— - -
') An Stelle des meiner Ansicht nach sprachlich nicht richtig
cbildeten Wortes thymico-lymphaticus habe ich stets die angeführte
»ezcichnung gebraucht Ich bemerke das hier, weil M a r t i u s in
einem Buche „Konstitution und Vererbung“ die von mir benützte
Fortbildung als unrichtig anzusehen scheint.
Nr. 44.
boicn sei oder nicht. Wenn auch von einigen Seiten eine
kongenitale Hyperplasie des Thymus anerkannt yvird; so gibt
es auf dei anderen Seite Stimmen, die einen angeborenen
Status lymphaticus gänzlich leugnen und damit natürlich auch
einen Status thymo-lymphaticus.
Diese ganze Unsicherheit liegt darin begründet, dass
vergleichende Untersuchungen mit normalen Neugeborenen
bei denen die vorliegenden Gesichtspunkte ganz besonders
beachtet sind, völlig fehlen. Meiner Ansicht nach ist
die Entscheidung auf diesem Gebiete nur dadurch zu treffen,
dass eine grosse Anzahl von Föten bis zur Reife unter¬
sucht wird, die unter der Geburt gestorben, bei denen also
äussere Einflüsse vollkommen ausgeschaltet sind. Es müssen
hier natürlich alle solchen Fälle ausgeschieden werden, bei
denen die Mütter irgendwelche besonderen Krankheiten wie
Tuberkulose, Syphilis usw. aufweisen, und ferner solche, bei
denen an den Geborenen Missbildungen vorhanden waren, oder
bei denen es sich um Zwillinge und Drillinge oder um über¬
tragene Kinder handelt. Es. ist ferner unbedingt zu fordern,
dass alle hier in Betracht kommenden Befunde mikroskopisch
festgestellt, und dass auch die Merkmale, die für den Status
des Erwachsenen bedeutungsvoll sind, Berücksichtigung er¬
fahren. Ob alle diese Eigentümlichkeiten allerdings bei den
Föten schon gefunden werden, ist aus verschiedenen Gründen
fraglich, da sich beispielsweise die Endokardsklerose der
Aortenausflussbahn erst im Laufe der Jahre entwickeln kann,
also eine Folgeerscheinung darstellt.
Es muss bei den Untersuchungen an Totgeborenen natür¬
lich zuerst gesucht werden, herauszufinden, was als normal
zu bezeichnen sei. Wir werden sehen, dass sich bei dieser
Frage Schwierigkeiten ergeben, und dass die Breite des Nor¬
malen in grossen Grenzen schwankt. So werden denn nur
solche Fälle schliesslich als beweisend gelten können, die weit
jenseits der Grenze liegen, und die Folge wird sein, dass ihre
Anzahl auch bei grossem Material nur klein sein kann. Allein
wenn auch nur ein einziger Fall als unzweifelhaft anerkannt
würde, so wäre das doch schon eine einwandfreie Ent¬
scheidung.
Von den mir zur Verfügung stehenden 185 Totgeburten
habe ich, um allen Einwürfen begegnen zu können, 126 aus¬
geschieden und nur 59 Fälle zur Untersuchung herangezogen.
Bei diesen Beobachtungen hat sich ausser den besonderen, hier
in Rede stehenden Befunden weder bei der Obduktion, noch
bei der mikroskopischen Untersuchung der Organe irgend ein
pathologischer Befund ergeben.
Aus den bis jetzt vorhandenen Untersuchungen über das
Gewicht der Thymusdrüse in den fötalen und extrauterinen
Lebenszeiten ist bekannt, dass hierbei erhebliche Schwan¬
kungen Vorkommen. Diese Untersuchungen sind allerdings
nicht als völlig zuverlässig zu betrachten, da die konsequente
mikroskopische Untersuchung fehlt, die allein entscheiden kann,
ob der I hymus pathologisch gebaut ist, ob nicht vielleicht eine
Markhyperplasie vorliegt. Es seien hier jedoch die Durch¬
schnittszahlen die Hammar und Sury für den Neugeborenen-
thymus angeben, angeführt, die 14,4 g und 13,26 g betragen.
Für die vorliegende Untersuchung werde ich mich jedoch
allein auf die von mir erhaltenen Zahlen beziehen, da in jedem
Falle der Thymus genau mikroskopisch untersucht wurde, und
so einmal alle pathologischen Thymusdrüsen ausgeschieden,
andererseits die hier in Betracht kommenden Eigentümlich¬
keiten des Thymus erkannt und bei der Beurteilung bewertet
werden konnten. In den Tabellen, die nach männlichen und
1
2162
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 44.
weiblichen Individuen geordnet wurden, sind ausser den Ge¬
wichten des Thymus auch die der Milz mit eingetragen, da es
mir zugleich darauf ankam, auch über die üewichtsverhält-
nisse der beiden Organe Aufklärung zu erhalten. Um einen
grösseren Ueberblick zu erhalten und zu sehen ob auch schon
im früheren fötalen Leben sich gewisse Befunde erheben lassen,
sind alle einwandfreien Totgeburten von 40—55 cm Länge be¬
rücksichtigt worden.
Es muss noch hervorgehoben werden, dass bei der Obduktion
besonders auf das Verhalten der Zungenbalgdrüsen, Gaumen¬
mandeln, Lymphknötchen der Milz und des lymphatischen
Apparates des Darmkanales geachtet wurde. Da ich die
Uebersicht der Tabelle möglichst klar anlegen wollte, habe
ich von einer Eintragung dieser, in Tabellenform ja auch sehr
schwer wiederzugebenden Befunde abgesehen. Nach den
Untersuchungen muss es aber als feststehend gelten, dass
normalerweise im fötalen Leben bis zur Geburt makroskopisch
weder die Lymphknötchen der Milz noch die des Darmes deut¬
lich in Erscheinung treten. Wenn im Darme und besonders
in der Milz in allen in der Tabelle aufgeführten Fällen auch
lymphatisches Gewebe schon vorhanden ist, so ist es doch
so gering entwickelt, dass es mit dem unbewaffneten Auge
nicht erkannt werden kann. Die Methode ist also sehr ein¬
fach, hier festzustellen, ob ein normaler oder ein pathologischer
Befund vorlegt. Sie muss selbstverständlich durch das Mikro¬
skop nachgeprüft werden. Hinsichtlich der Gaumenmandeln
ist zu bemerken, dass sie bei normalen Neugeborenen zu
sehen sind, und dass es recht schwer ist, aus ihrer Grösse
Schlüsse zu ziehen. Ich hatte gehofft, durch mikroskopische
Untersuchungen weiter zu kommen, da meine Schülerin
A. Goslar nachgewiesen hat, dass erst nach der Geburt sich
in den Mandeln Keimzentren finden. Ich glaubte nun, dass
vielleicht beim Status lymphaticus, falls er beim Neugeborenen
vorkommt, hier schon solche Keimzentren zu beobachten
wären. Es hat sich jedoch sowohl an den Mandeln wie an
dem lymphatischen Gewebe der Milz und des Darmes gezeigt,
dass niemals im fötalen Leben Keimzentren entstehen, son¬
dern dass sie sich stets erst im extrauterinen Leben ausbilden.
Das ist, so weit meine Erfahrungen reichen, sowohl unter nor¬
malen wie unter pathologischen Verhältnissen der Fall,
In der jetzt folgenden Tabelle sind die Länge des Neu¬
geborenen und die Gewichte des Thymus und der Milz auf¬
geführt. Es sind nur Werte in ganzen Grammen angegeben, da
einmal tatsächlich eine feinere Auswiegung für die in Betracht
kommenden Fragen keinen grossen Wert hat, und zweitens,
weil ja doch der reine Parenchymwert nicht bestimmt werden
kann, auch die Angaben in Milligrammen ebenfalls Fehler auf¬
weisen. Ganz die gleichen Voraussetzungen treffen auch für
die Länge der Neugeborenen zu.
Männliche Weibliche
Totgeburten.
Länge
Thymus
Milz
Länge
Thymus
Milz
40
5
3
40
5
3
40
15
4
40
5
5
41
7
3
41
7
2
42
3
4
• 42
4
3
42
11
7
43
5
2
43
5
4
45
7
5
45
9
5
45
8
4
45
12
6
45
15
7
46
8
8
46
4
3
46
14
5
47
4
3
47
4
7
47
11
5
47
10
10
48
7
10
48
7
15
48
9
9
48
10
7
Männliche Weibliche
Totgeburten.
Länge
Thymus
Milz
Länge
Thymus
Milz
48
19
11
50
11
7
50
10
7
50
13
10
50
19
7
51
11
11
51
11
16
51
12
10
51
14
27
51
15
22
52
13
12
52
10
15
52
19
12
52
14
13
52
20
14
52
15
8
53
12
9
53
8
4
53
10
15
53
12
15
53
13
15
53
16
14
54
10
9
54
10
15
54
10
9
54
12
8
54
12
8
54
16
14
Aus den vorstehenden Tabellen ergibt sich verschiedenes,
das ich, bevor ich zu meinem eigentlichen Thema übergehe,
kurz besprechen möchte. Es zeigt sich einmal, dass die Werte
in ziemlich weiten Grenzen schwanken, und dass die weib¬
lichen Thymusdrüsen im Durchschnitte geringer an Gewicht
sind als die männlichen. Wenn man die ganz besonders hohen
Gewichte, die scheinbar bei männlichen Föten ziemlich häufig
Vorkommen, ausnimmt, so ist es doch besonders auffällig, dass
beispielweise Föten von 45 cm Länge dasselbe Thymus¬
gewicht aufweisen wie ausgetragene Neugeborene von 52 und
54 cm Länge. Auch bei Föten der gleichen Länge finden sich
grosse Verschiedenheiten, so bei 42 cm Länge die Gewichte
von 3 und 11 g. bei 46 cm von 8 und 14 g, bei 47 cm Länge
von 4 und 11 g. Und doch handelt es sich, wie oben schon
gesagt, um normale Föten, wie das die Anamnese, die Ob¬
duktion und die mikroskopische Untersuchung der Organe be¬
stätigt haben. Es liegen also ausgesprochen individuelle Ver¬
schiedenheiten bei den menschlichen Föten vor, wie das in
ähnlicher Weise F u 1 c i jüngst für die Kaninchenföten ge¬
zeigt hat.
Es sei ferner auf das auffällige Verhalten der Milzgewichti
hingewiesen. Hier möchte ich allerdings betonen, dass dabei
die Ausbildung der Lymphknötchen keinen nennenswerten Ein¬
fluss hat, sondern dass die oft beträchtliche Gewichtshöhe fast
ausschliesslich, wie das die mikroskopische Kontrolle zeigt,
durch das Pulpagewebe bedingt ist (Herrman n).' Das lym¬
phatische Gewebe entwickelt sich allmählich bis zum normale;’
Ende des fötalen Lebens hin, und nur in den noch zu be¬
sprechenden, besonderen Fällen weist seine Ausbildung eine
quantitative Abweichung auf.
Die Milz des normalen Neugeborenen soll nach den bisher
vorliegenden Angaben im Mittel 10,8 g (V i e r o r d t) wiegen
In der vorliegenden Tabelle sehen wir aber schon bei einem
Föten von 48 cm Länge eine Milz von 15 g Gewicht, bei Föten
von 51 cm Länge ja sogar von 22 und 27 g, obwohl nichts den
Anhaltspunkt für irgend eine Erkrankung, auch nicht der
Mutter gegeben hat. Es zeigt diese Zusammenstellung also,
dass an einem grossen, auch mikroskopisch untersuchten
Materiale Klarheit geschaffen werden muss, wenn ich auch
glaube, dass wir sehr mit individuellen Schwankungen zu
rechnen haben.
Ich erwähne diese Milzgewichte aber vor allem auch des¬
halb, weil sie lehren, dass man auf keinen Fall allein aus der
Grösse der Milz auf die geringere oder grössere Mächtigkeit
des lymphatischen Gewebes schliessen darf. Das ist besonders
wichtig bei der Beurteilung des Status thymo-lymphaticm.
Hier ist nur entweder die sichtbare Grösse und nachfolgende
mikroskopische Untersuchung oder allein die mikroskopische
Untersuchung ausschlaggebend. Es ist selbstverständlich
richtig, dass durch eine Vergrösserung der zahllosen Lymph¬
knötchen in der Milz eine gewisse Zunahme des Organ-
volurnens hervorgerufen wird.
Nach diesen Vorbemerkungen sei nun an die Haupt¬
frage der vorliegenden Arbeit herangetreten, ob es
einen angeborenen Status thymo-lymphati-
cus gibt. Ich habe schon oben gesagt, dass zum
Beweise nur solche Fälle herangezogen werden können,
die weit ausserhalb der Grenzen der gewöhnlichen Be¬
obachtungen stehen. Um diese Forderung zu erfüllen,
habe ich auch in der ersten Tabelle Fälle mit so hohen
Werten untergebracht, dass sie sicher die alleräussersten
Grenzen einnehmen. Wenn wir nach Hammar als Mittel¬
wert für den normalen Neugeborenenthymus 14,4 g oder auch
15 g annehmen, so braucht es wohl keiner Auseinandersetzung,
dass die Gewichte von 15 g bei einem 40 cm langen Fötus,
von 19 g bei einem 48 cm langen, von 19 und 20 g bei Föten
von 52 cm Länge sehr weit vom Mittel entfernt sind. Ich be¬
merke jedoch gleich, dass ich diese Fälle trotz der hohen
Werte in die Tabelle aufgenommen habe, weil die mikro¬
skopische Untersuchung am Thymus keine besonderen Ab¬
weichungen, und die Obduktion und das Mikroskop am ge¬
samten lymphatischen Parenchym keine Hyperplasie fest¬
gestellt haben.
Die folgenden Fälle, deren eingehendere Beurteilung erst
nach Schilderung der Einzelheiten erfolgen soll, betrachte ich
jedoch als vom Normalen abweichend, als pathologisch.
Fall 1. S.-Nr. 237/1912. 54cm lange männliche Tot¬
geburt mit Perforation des Schädels.
Das Fettpolster gut entwickelt, über den Bauchdecken 4 mm
dick. Das Gewicht des Thymus 19 g.
Milz: Gewicht 29 g. Die Ma 1 p i g h i sehen Körperchen deut¬
lich zu erkennen. Ausserdem waren 4 ungefähr erbsengrosse Neben-
milzen vorhanden.
November 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2163
D u n ii d a r m : Die Peyer sehen Haufen und die Lymph-
lötclien deutlich zu sehen.
Zungcnbalgdrüsen und Gaumenmandeln wenig ent-
ickelt.
Leber: Gewicht 200g.
Nieren: Deutliche embryonale Lappung.
Nebennieren: Linke 7 g, rechte 5 g.
Schilddrüse: Gewicht 7 g.
Mikroskopische Untersuchung:
'1 hymus: Mark deutlich verbreitert. Wenige, ziemlich grosse
a s s a i sehe Körperchen.
Milz: Sehr reichlich entwickeltes lymphatisches Gewebe
ine Keimzentren.
Leber: Reichlich Blutbildungsherdc sowohl in den Läppchen
e im periportalen Gewebe.
Lall 2. S.-Nr 236/1913. 54cm lange männliche Tot¬
bur t. unter der Geburt abgestorben
Auffällig fettes männliches Neugeborenes. Das Fettgewebe
er der hi ust 5 mm, am Oberschenkel 5 — 6 mm dick, weisslich-gelb.
Hals: etwas kurz.
Haare: Hellblond, bis 3,5 und 4cm lang.
Thymus: Auffällig gross, 24g.
Zungenbalgdrüsen: Nur mässig entwickelt.
Die ganze Rachenschleimhaut von kleinen
m p h kn öt chen durchsetzt
Milz: Gewicht 15g Die Lymphknötchen sind sehr deutlich
erkennen.
Dünndarm: Lymphatisches Gewebe kaum zu sehen
Leber: Gewicht 240 g.
Linke Niere: Gewicht 15 g.
Rechte Niere: Gewicht 20g, beide deutliche embryonale
ipung.
Linke Nebenniere: Gewicht 6,5g.
Rechte Nebenniere: Gewicht 6 g.
Mikroskopische Untersuchung:
1 hymus: Deutliche Markhyperplasie.
Milz: Reichlich entwickeltes lymphatisches Gewebe
Leber: Mässig reichlich Blutbildungsherde.
Fall 3. S.-Nr. 152/1914. 55cm lange männliche Tot¬
bur t. 4500 g. Unter der Geburt abgestorben.
Haut von weisslich-gelber Farbe, sehr zart.
Fettpolster der Bauchdecken auffallend stark entwickelt,
8 mm dick.
Thymus: Linker Lappen grösser als der rechte. Gewicht 26 g.
Zungenbalgdrüsen treten nicht besonders stark hervor,
i kann jedoch lymphatisches Gewebe in Gestalt kleiner Knöt-
n bis zum Kehldeckel verfolgen.
Gaumenmandeln: Gut entwickelt.
Milz: 16g Auf dem Durchschnitt treten die Lymphknötchen
r deutlich hervor.
Dünndarm: Die Lymphknötchen sinJ gut ausgebildet, die
yer sehen Haufen treten in geringerem Masse hervor
Leber: Gewicht 210g.
Linke Niere: Gewicht 19 g.
Linke Nebenniere: Gewicht 2,5 g.
Mikroskopische Untersuchung:
Thymus: Deutliche Markhyperplasie mit einzelnen, grossen
ss a Ischen Körperchen, die ausgesprochenen Zellzerfall auf-
$en,
Milz: Reichlich entwickeltes lymphatisches Gewebe, zum Teil
>n richtige Knötchenbildung, jedoch keine Keimzentren.
Leber: Reichlich Blutbildungsherde in den Läppchen, weniger
periportalen Gewebe. Mässiger, flecken weiser Fettgehalt der
erzellen und der K u p f f e r sehen Sternzellen.
Niere: Vereinzelte hyaline Glomeruli. Ziemlich reichlich kleine
en.
Dieser letzte Fall beansprucht deshalb ganz besonderes
resse, weil am gleichen Tage die Mutter, die an Eklampsie
orben war, zur Obduktion kam. Ich gebe hier aus dem
luktionsprotokolle nur die in Betracht kommenden Be-
le wieder.
S.-Nr. 151,1914 22 jährige Frau.
Die Obduktion ergab eine typische Eklampsieleber mit
"osen und Blutungen.
Ausserdem fand sich ein Status thymo-lymphaticus:
iser Habitus, kurzer Hals, mässige Hypertrophie des linken Herz-
rikels, Hypoplasie der Gefässe, stark entwickelte Zungenbalg¬
en mit Verbreitung auf den Pharynx, grosse Milz (189 g) mit
sen Lymphknötchen, langer Wurmfortsatz (16 cm), embryonale
>ung der grossen Nieren, Gewicht der linken Nebenniere 7 g,
stehende Lymphknötchen in der Magenschleimhaut, mässig zahl-
e Lymphknötchen im unteren Teile des Ileum und Colon ascen-
■ t, • Thymus wog 21 g und zeigte reichlich Substanz mit auf¬
breitem Marke, in dem grosse, kernlose H a s s a 1 sehe Körper¬
sich zeigen. Die Rinde bestand aus kleinen, knopfförmigen
"ken
Die Obduktionsbefunde der Totgeborenen
zeigen in erster Linie, dass es sich um auffällig grosse
Kinder von 54 und 55 cm Länge handelt. Bemerkenswert
ist weiter die starke Ausbildung des Unterbaut-
fettgewebes, das in zwei Fällen als weisslich-gelb
bezeichnet wird. In der letzten Beobachtung wird auch auf
die Zartheit der Haut hingewiesen. Der Thymus ist
immer s e h r s t a r k v e r g r ö s s e r t, 19, 24, ja 26 g schwer
und weist mikroskopisch eine Markhyperplasie auf.
Bei allen drei Kindern sind die Lymphknötchen in der
Milz so stark entwickelt, dass sie schon mit unbewaffnetem
Auge aufs deutlichste erkannt werden. Die mikroskopische
Untersuchung bestätigt diese Hyperplasie und bemerkt beim
letzten Falle, dass hier schon richtige Knötchenbildung vor¬
handen ist. ln der ersten und dritten Beobachtung treten im
Darme die Lymphknötchen deutlich hervor, während
dies bei der zweiten nicht der Fall ist.
Wenn man diese Befunde, die auffällige Grösse der fett¬
reichen, pastösen Kinder, den weit über die äussersten Grenzen
vergrösserten Thymus mit seiner Markhyperplasie, die starke
Entwicklung der sonst im uterinen Leben makroskopisch über¬
haupt nicht erkennbaren Lymphknötchen der Milz und des
Darmes, übersieht, und sie mit unseren Feststellungen bei Er¬
wachsenen mit Status thymo-lymphaticus vergleicht, so ist
wohl kein Zweifel vorhanden, dass diese Bilder sich völlig
gleichen. Es handelt sich auch hier um einen
echten Status thymo-lymphaticus und zwar
um einen angeborenen.
Es fehlen natürlich bei diesen I otgeboreneii eine Reihe
von bestimmten Merkmalen, die allerdings beim Erwachsenen
auch nicht konstant sind, die aber vielleicht auch erst später
im Leben sich ausbilden. Andere wieder werden bei den vor¬
liegenden kleinen Verhältnissen gar nicht zu erkennen sein,
wieder andere sind, da die Organe noch in der Entwicklung
begriffen, jetzt überhaupt noch nicht festzustellen. Ich weise
nur auf die embryonale Lagerung der Nieren hin, die beim
Erwachsenen ein bestimmtes Kriterium darstellt, die aber beim
Neugeborenen eine regelrechte Erscheinung darstellt, von der
man abei nicht behaupten kann, ob dieser Zustand normaler¬
weise verschwindet oder ob er bestehen bleibt. Auch hin¬
sichtlich der Nebennieren bin ich hier noch zu keinem Schluss
gekommen. Es mag das an der kleinen Anzahl der Fälle
liegen.
Auf einige andere Feststellungen, die mir bemerkenswert
erscheinen, möchte ich jedoch aufmerksam machen. Es ist
. hier vor allen Dingen das hohe Gewicht der Leber zu
nennen, die gegenüber dem Durchschnittsgewicht von 142 g
(V i e r o r d t) sehr hohe Werte von 200, 210 und 240 g auf¬
weist. In diesen drei Lebern fanden sich nun mehr oder minder
reichlich Blutbildungsherde. Da im allgemeinen die An¬
schauung gilt, dass die Blutbildung am Ende des uterinen Le¬
bens in der Regel aus der Leber verschwunden ist, so glaubte
ich in solchen Befunden für die Beurteilung ein gewisses
Kriterium erhalten zu haben. Die Untersuchung an Lebern
von 13 normalen Neugeborenen von 52—54 cm Länge ergab
jedoch, dass in jeder Leber noch Blutbildung, oft in ziemlich
reichlichem Masse vorhanden war. Es handelt sich also um
eine normale Erscheinung. Ferner erscheint mir der Befund
in den Nieren des letzten Falles erwähnenswert, die mikro¬
skopisch vereinzelte hyaline Glomeruli und ziemlich reichlich
kleine Zysten darboten. Es ist in Zukunft meiner Ansicht nach
auf diese ja bekannten Missbildungen zu achten, ob sie nicht
vielleicht doch für die vorliegende Frage von Wert sind.
Zum Schlüsse möchte ich noch im besonderen auf meinen
dritten Fall eingehen, der mir in verschiedener Hinsichl
von Wichtigkeit zu sein scheint. Einmal zeigt er das überaus
hohe Th y musgewicht von 26 g. Aber ganz' besonders
ist er deshalb bedeutungsvoll, weil dieses Kind von einer
M u 1 1 e r stammt, die, wie die Obduktion erwies, eben¬
falls einen ausgesprochenen Status thymo-
lymphaticus hatte. Wenn ja auch nach den Unter¬
suchungen H e d i n g e r s und durch klinische Beobachtungen
ein familiäres Auftreten dieser Konstitutionsanomalie
bekannt ist, so liegt hier ein autoptisch erwiesener Fall von
hereditärem Status thymo-lymphaticus vor.
r
2164
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 44
Die vorstehenden Untersuchungen haben also zwe| Fragen
beantwortet, dass es einen angeborenen Status
thymo-lymphaticus gibt, und dass diese Kon¬
stitution sano in alie erblich ist.
Literatur.
A Goslar: Dars Verhalten der lymphozytären Zellen in den
Gaumenmandeln. Zieglers Beitr. 56. — E. Hedinger: Mors thy-
mica bei Neugeborenen. Jb. f. Kinderhlk. N.F. 63. — J. Wiesel:
Pathologie des Thymus. Ergebnisse der allgem. Pathol. 1912. 51.
Th. Herrmann: Das Gewicht der Neugeborenenmilz. Anat.
Anzeiger 47. 1914.
Aus Prof. Unnas Dermatologikum in Hamburg.
Die Entfernung des Frauenbartes.
Von Dr. Karl Unna.
Von den zahlreichen Methoden der Epilation, welche im
Laufe der letzten Jahrzehnte angegeben sind, werden heute
wohl nur noch die Epilation mittels des elektrischen Stromes
und die mit der Kromayer sehen Stanze geübt. Beide
Methoden setzen langjährige Uebung voraus, sie stellen an das
Auge und das Handgeschick des Arztes hohe Anforderungen,
sie nehmen die Geduld und die Ausdauer von Arzt und Patient
stark in Anspruch und im Zusammenhang damit auch das
Portemonnaie des letzteren. Oft haben wir es erlebt, dass das
einzelne Haar, dass scheinbar für immer epiliert war, wieder
nachwuchs. Andrerseits bildete sich in einigen Fällen dort,
wo früher ein Haar sass, trotz vorsichtigsten Vorgehens, eine
entstellende Narbe, besonders bei solchen Patienten oder
Patientinnen, welche schon früher zur Keloidbildung neigten.
Die Unannehmlichkeiten und die Gefahren dieser Methoden
brachten es mit sich, dass wir sie zu vermeiden suchten, wo
wir konnten. Dies ist vor allem möglich bei einer grossen
Gruppe von Frauen, nämlich denen, deren Gesichtsbehaarung
weniger wegen der Dicke der einzelnen Haare auffallend ist,
sondern lediglich wegen ihrer schwarzen Farbe. Der kos¬
metische Effekt nämlich kann hier leichter erreicht werden
durch blosse Depigmentation der Haare als durch das Entfernen
Hunderter oder Tausender von ihnen. In unserer Klinik
wurden schon Ende der 90 er Jahre diese Fälle mit Natron-
superoxydseifc behandelt. Der Schnurr- und Backenbartflaum
dieser Frauen wurde von der Krankenschwester ein- bis zwei¬
mal täglich mit einem festen Wattebausch, der steigend mit
2, 5, 10 und 20 proz. Natronsuperoxydseife armiert war, ein¬
geseift und dieses Seifen dauerte für einen ganzen Frauenbart
etwa 2 — 5 Minuten lang, nämlich so lange wie es vertragen
wurde, ohne dass sich die Haut entzündete. Zweimal täglich
wurde die Prozedur nicht von allen Patienten vertragen, so
dass sic längere Zeit hindurch nur einmal täglich eingeschäumt
werden konnten, ln allen Fällen war hinterher die Gesichts¬
haut stark gerötet, beruhigte sich aber immer bald nach dem
Aufträgen von Gelanthcreme. Gewöhnlich war der kosmetische
Effekt in etwa 14 Tagen erreicht. Dann war statt des dunklen
Bärtchens ein hellerer, weniger auffallender Flaum vorhanden.
Die Patientinnen wurden weiterhin angewiesen, das Ein¬
schäumen nur ein- bis zweimal wöchentlich zu wiederholen.
Nur selten hatten wir nötig, die Kur ganz auszusetzen, weil
das Seifen und Einschäumen nicht vertragen wurde. Stärkere
Reizungen wurden durch Einbinden des Gesichts mit Zink¬
ichthyolsalbenmull während der Nacht stets prompt beseitigt.
Die Frauen, welche mit Ausdauer eine solche Kur durch¬
machten, waren stets mit dem kosmetischen Effekt zufrieden.
Der Einwand, der oft zu Beginn gemacht wurde, ob nicht viel¬
leicht die Haare zwar depigmentiert würden, jedoch durch den
Reiz des Einschäumens stärker wüchsen, erwies sich nicht
nur als hinfällig, sondern wir machten die sehr erfreuliche Be¬
obachtung, dass gerade das Gegenteil der Fall ist. Behandelt
man die Haare zwecks Depigmentation lange Zeit mit Sauer¬
stoffseifen wie Pernatrolseife, so wird der Haarwuchs allmäh¬
lich spärlicher. Es ist dies eine Erfahrung, welche wir bei
allen Patientinnen ohne Ausnahme in den letzten Jahren
machen konnten. Nach einer intensiven Anfangskur genügte
später wöchentlich bis vierzehntägiges einmaliges Behandeln,
um die Haarentwicklung zunächst zu verlangsamen, allmählich
aber unter Kleiner- und Brüchigwerden der Haare den Nach¬
wuchs stark zu beschränken.
Soweit waren wir im Ersatz der instrumentellen Epi
lationsmethoden gelangt, als wir die Methode von Fra
Dr. Schwenter-Trachsler - Bern kennen lernten. Di
Kollegin zeigte, dass einfaches, methodisch ausgeführtes „Po
lieren“ der zu enthaarenden Stellen allmählich den ge
wünschten Erfolg zeitigt. Diese mechanisch zerstörende Me
thode haben wir sofort in den mannigfachsten Abänderungei
angewandt und konnten die guten Resultate von Frai
Dr. Schwenter-Trachsler durchaus bestätigen. D;
der gewöhnliche Bimstein zu scharfkantig ist und zu ungleich
Flächen besitzt, liess auf Anregung meines Vaters Dr. Meriai
aus Lapis pumicis pulverisatus zusammengepresste handlich:
Stücke fabrikmässig formen. Unter diesen haben sich zue
Formen bewährt: 1. kreisrunde Platten mit Griff und 2. wetz
steinförmige Stücke1). Diese wurden nass gemacht und zun'
Polieren verwandt, hatten aber den Nachteil, dass ihre duren
Pressen hergestellte Oberfläche zu glatt war. Deshall
tauchten wir den angefeuchteten Polierstein in Polierpulve
(Pulvis cutifricius) und wiesen die Patientinnen an, jede;
Abend einmal und zwar so lange, bis die Haut sich rötete, diij
behaarten Stellen unter sanftem Druck zu polieren (2—5 Mi
nuten). Noch schonender wurde bei empfindlichen Häuten da:
Polieren mit einem Wattebausch ausgeführt, welcher vorhe
nass in Pulvis cutifricius getaucht worden war. Neben diese
Hauptmethode wurde auch folgende Modifikation angewandt
Polieren mit dem in Pulvis cutifricius getauchten Finger. Beide
Modifikationen verwendeten wir für die Fälle, wo die Polier
steine nicht vertragen wurden. Die für die Patientinnen
schonendste, für die Wärterinnenhand allerdings angreifendi
Methode, welche jedoch bis zu 10 Minuten vertragen wurde
war die mit dem trockenen Finger und Pulvis cutifricius.
Etwa 8 — 14 Tage nach Beginn der Behandlung pflegtet
alle wegpoliert zu sein und dann wurde die Behandlung ir
milderer Form fortgesetzt, so dass die Haut fortdauernd ge
schont blieb. Eintretende Reizungen beseitigte prompt de
Zinkichthyolsalbenmull bei nächtlicher Anwendung.
Es lag nun nahe, diese Poliermethode, deren Prinzip du
mechanische Zerstörung der Haare ist, mit unserer Sauerstoff¬
methode, deren Prinzip in erster Linie die Depigmentation um,
erst in zweiter Linie die haarzerstörende ist, zu kombinieren
Und so hat sich im letzten Jahre folgendes Verfahren bei um
eingebürgert.
1. Zum Einschäumen, was 2 — 10 Minuten lang vertraget
wird, dient jetzt nur noch die feste, in Stücke gepresste!
Natronsuperoxydseife (Pernatrolseife).
2. Die eingeschäumten und noch feuchten Hautpartic:
werden sodann mit dem Polierstein (ohne Zuhilfenahme voi
Pulvis cutifricius) poliert und zwar die Wangen, Arme, Hai:
mit dem runden Polierstein mit Handgriff, die Gegend un
Nase und Mund und zwischen den Augenbrauen mit dem wetz¬
steinförmigen Polierstein. Diese Prozedur dauert 2 bis 5 Mi¬
nuten.
3. Die Haut wird dann trocken abgewischt und sofort inii
Gelanthcreme bedeckt.
Ausserordentlich verschieden sind die Fälle von Gesichts-
behaarung des weiblichen Geschlechtes, wegen derer der Arzt
in Anspruch genommen wird. Handelt es sich um nur einige
wenige kräftige lange Haare, wie wir sie am Mundwinkel, am
Kinn und an der Backe älterer Frauen finden, die sonst keim
Hypertrichose zeigen, so war früher die Elektrolyse immer
noch die beste Methode. Dasselbe lässt sich sagen von den
Frauen, welche eben die Pubertät beendet haben und meist
aus stark behaarten Familien stammen (die Väter haben meist
starke Schnurr- und Backenbärte und auffallend starkes Haar),
die zu uns kommen, um einzelne kräftige Haare in der Ver¬
bindungslinie der beiden Augenbrauen entfernen zu lassen und
auch meist vereinzelte starke Haare in der Schnurrbartregior
aufweisen. Auch hier wurde früher elektrolysiert, jetzt nur
noch mit Sauerstoffseife poliert.
Ebenso Hessen sich die Achselhaare und die der Areolae,
wegen deren Entfernung Schauspielerinnen, Tänzerinnen,
Artistinnen die Aerzte aufzusuchen pflegen, früher nur durch
Elektrolyse oder die Kromayer sehe Stanzmethode ent¬
fernen. Doch sind beide Methoden schmerzhaft. Sie werdet'
’) Dieselben sind in der Schwanapotheke, Hamburg, vorrätig-
November 19H.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2165
zt ersetzt durch Einschäumen mit Wattebausch und
ilvis cutifricius an der Mamma, in der Achselhöhle ebenso,
er zweckmässigerweise hier nach vorhergehender Epilation
it Baryumsulfid.
Nun gibt es eine grosse Gruppe von Fällen, in denen das
iar dicht und gleichmässig das ganze Gesicht der Frauen
deckt und deren Schnurr- und Backenbärte, von feinstem,
um sichtbarem Flaum bis zum stattlichen Männerbart
riiert. Sie kommen meist in die Sprechstunde des Dermato-
,ren, nachdem sie schon alles mögliche probiert haben: Die
ästen rasieren sich täglich selbst oder epilieren sich 1—2 mal
jchentlich mit einem Epilationspulver (BaS oder CaS), oder
■ kommen, weil sie von Aerzten oder Laien schon mit
jktrolyse ohne Erfolg (schlechte Technik) oder mit schlech-
n Erfolg (wulstige Narben) behandelt worden sind. Man
nn diese gleichmässig im Gesicht Behaarten in 3 Abteilungen
heilen, je nach Beschaffenheit der Haare:
1. Solche, die einen ganz leichten Flaum als Gesichts-
haarung tragen. Die Härchen sind gleichmässig lang, sehr
rz, stehen aber sehr dicht, sind ganz pigmentlos und werden
n einer unbefangenen dritten Person nicht leicht wahr-
nommen; die Haare ähneln sehr den Härchen von Salbei-
ittern. Sie kommen meist bei Roten oder Rotblonden vor,
ren pigmentarme Haut oft zugleich zu Ephelidenbildung
igt, namentlich vom mittleren Alter au, etwa mit den 30 er
iren beginnend. Hellblonde dagegen zeigen sehr selten nur
sen flaumigen Behaarungstypus. Elektrolytische Mass-
hmen waren hier immer unmöglich, da das Haar viel zu
ht steht und das Einzelhaar zu schwach und kurz ist. In
sen bisher überhaupt nicht angreifbaren Fällen feiert die
rnatrol-Poliermethode bei einiger Ausdauer ihre grössten
umphe. Es möge an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden,
is wir in mehreren Fällen (Schauspielerinnen) in eben der¬
ben Weise auch einen dichten Flaum, der Arme und Beine
leckte, entfernt haben.
2. Die zweite Gruppe bilden die dunkelblonden und brü¬
ten Frauen, die eine mehr oder minder kräftige Behaarung
nentlich der Backen oder des Kinns aufweisen. Die Haare
hen lange nicht so dicht wie bei der ersten Gruppe, sind
nchmal untermischt mit einzelnen kräftigeren Haaren; die
are sind etwas pigmentiert. Bei diesen Fällen haben wir
'> früher mit Erfolg darauf beschränkt, die kräftigeren Haare
ktrolytisch zu entfernen, während wir auf Entfernung des
ten Flaums verzichteten oder ihn mit Pernatrolseife be-
tdelten. Die Patientinnen waren meist schon zufrieden,
nn wir die paar Hundert der stärkeren Haare dauernd ent-
it hatten. Jetzt haben wir für diese Fälle die Elektrolyse
iz aufgegeben und lassen die Frauen den gesamten Haar-
chs ohne Unterschied mit Pernatrolseife polieren.
3. Die dritte Gruppe bilden die dunkel pigmentierten bis
warzbehaarten Frauen, die an einer allgemeinen Hyper-
hosis des Gesichtes leiden; Schnurrbart wie Backenbart
i in gleicher Weise befallen. Schon zu Beginn der Pubertät
nmen derartig behaarte junge Damen, meist Südländerinnen,
uns, um gegen den wachsenden Schnurrbart etwas zu tun,
hrend ihr Backenbart erst etwa vom 25. Lebensjahre
genstand der Behandlung wird. Wieder war früher die
<trolytische Methode dann angezeigt, wenn es sich um
rke Haare in nicht allzugrosser Anzahl handelte, während
die Behandlung der grossen schwarzen Frauenbärte über-
Pt verzichtet wurde. Jetzt weichen auch diese Fälle sicher
ausdauernder Behandlung der kombinierten Pernatroi-
iermethode.
Ich möchte dieses Behandlungsverfahren durch eine
inkengeschichte aus früherer und eine aus der letzten Zeit
iutern.
Fall 1. M. S., Kontoristin, 23 Jahre alt, war stets gesund;
13 Jahren menstruiert, hatte sie damals schon einen schwarzen
nurrbart und beginnenden Backenbart. Schwarzes üppiges Haupt-
r 13. Februar 1012 erster Besuch beim Arzt. Gleichmässige
aarung mit starken Haaren über Backe. Kinn, Schnurrbartregion
i erstreckend. Auf der linken Wange sieht man einen etwa
ergrossen, weniger behaarten Fleck, der Erfolg einer Vs jährigen
mit Elektrolyse. Pat. gibt an, dass dieses Verfahren 1. zu lange
erte, da sie des Schönheitsfehlers wegen im Kontor nicht fehlen
te und höchstens einmal wöchentlich den Arzt aufsuchen könne:
s sei für sie zu kostspielig und 3. ziemlich schmerzhaft. An Stelle
der elektrolytischen Kur hätte ihr Verlobter sie jeden zweiten Tag
bisher rasiert. Verordnung: Polierstein und Polierpul ver an Backe
und Kinn Der Schnurrbart soll jeden Abend mit 5 proz. Natronsuper-
oxydseifc geschäumt werden.
v ^ ^12. . erscheint wieder in der Sprechstunde. Sie war
, Hiebt wieder gekommen, „weil sie nun zufrieden gewesen
sei . Tatsächlich ist von den Haaren des Backenbartes nichts mehr
zu sehen und statt des schwarzen auffallenden Schnurrbarts sieht
mail kaum noch die jetzt weissen, kleinen Härchen, Das Polieren
und das Schäumen war in diesem Falle sehr gut von Anfang an ver¬
tragen worden. Ich Iiess nun beides zugleich anwenden, so dass
alternierend einen lag mit Polierstein poliert, den zweiten Tag mit
20 proz Seife geschäumt wurde, ohne dass wir nötig hatten, wie
in manchen anderen Fällen, am 3. Tage noch einen Nichtbehandlungs¬
tag einzuschalten. Dieses Verfahren wurde wieder Vs Jahr fortge¬
setzt Vom 1. Dezember 1912 bis 15. Mai 1913 setzten wir die
ganze Kur aus: Nur einige wenige, dürftige Härchen kamen langsam
zum Vorschein. Bis heute setzt die Pat. die kombinierte Methode
fort und zwar nur noch alle 8 Tage wird je einen Tag poliert und
einen Tag geschäumt mit dem Erfolg, dass das kosmetische Re¬
sultat dem erhofften Erfolg vollkommen entspricht.
I a U -• Frau 0. sucht die Klinik auf wegen Alopecia sebor¬
rhoica und rosacea. Zugleich ist sie Besitzerin eines gut gepflegten
dunkelblonden Backenbartes. Dieselbe wurde ohne Unterbrechung
der sonstigen Kur in 5 Wochen durch zweimaliges tägliches Ein¬
schäumen mit Pernatrolsttickseife und Polieren mit dem runden Polier¬
stein mit Griff von ihrem Barte befreit Als sie die Klinik verliess,
sah man nichts mehr vom Barte Die Pat. setzte zu Hause das
Polieren in derselben Weise fort, allmählich immer grössere Intervalle
einschiebend.
Die Beseitigung des Bartes fand im Mai-Juni 1913 statt.
Bis jetzt — über 1 Jahr — ist das Resultat gut geblieben. Die
Pat. braucht die Seifenpolitur noch 1—2 mal die Woche. Bei diesem
seltenen Gebrauche tritt eine Empfindlichkeit der Haut überhaupt
nicht mehr ein.
Das Endergebnis dieser Mitteilungen
dürftedahin zusammen zu fassen sei n, dass das
Problem der Beseitigung des Frauenbartes
durch die Kombination der Sauerstoff¬
methode meines Vaters und der Polier¬
methode von Frau Dr. Schwenter-Trachsler
in zufriedenstellender Weise gelöst und
gleichzeitig sehr vereinfacht worden ist.
Aus der inneren Abteilung des städt. Krankenhauses St. Rochus
zu Mainz (dirig. Arzt: Dr. Hans Curschmann).
Tödliche Filixvergiftung bei einem klinisch latenten
Morbus Addisonii.
Von Dr. F e r d. Schotten, Assistenzarzt.
Zur Abtreibung der Darmparasiten, der Bandwürmer,
Taenia solium, Taenia mediocannelata, botriocephalus latus,
des Spulwurms, Ascaris lumbricoides und der Oxyurcn ge¬
brauchen wir empirisch gefundene Substanzen, die zu den Des¬
infektionsmitteln zu rechnen sind. Es sind dies die Anthel-
mintica.
Wie die Desinfektionsmittel, so sind auch die Anthel-
mintika Zellgifte und als solche können sie natürlich auch dem
menschlichen Körper gefährlich werden. Daher muss man von
ihnen ausser der Wirkung auf die Parasiten noch eine schwere
Resorbierbarkeit vom Darm aus verlangen, die auch schon
deshalb geboten ist, weil sich die Entozoen in den tieferen Ab¬
schnitten des Darmes aufhalten.
Die Parasiten brauchen nun durch das Mittel bekanntlich
nicht getötet zu werden, sondern die Anthelmintika betäuben
sie oft nur, so dass sie sich mit ihren Saugnäpfen nicht mehr
an der Darmwand festhalten können, sondern in die unteren
Darmabschnitte getrieben werden. Dann entfernt man sowohl
die Würmer als au,ch den noch unresorbierten Teil des Giftes
durch ein Abführmittel.
Wir besitzen heute eine grosse Zahl von Wurmmitteln. Von den
eigentlichen Anthelminthicis ist nicht jedes bei allen Parasiten wirk¬
sam. Das gegen Bandwürmer seit Jahrzehnten besonders empfohlene
Mittel und wohl auch, das wirksamste Mittel ist das Ex tr actum
filicismarisaethereum. Es wird durch Ausziehen der Farn¬
wurzel mit Aether und nachfolgender Eindampfung hergestellt. Es
ist ein dünnes, durch Chlorophyll lebhaft grün gefärbtes Extrakt.
Die Wurzel darf nicht älter als ein Jahr sein. Die Wirksamkeit ist
verschieden, je nach dem Standort der Pflanze und der Jahreszeit
und dem Verfahren der Herstellung des Extraktes.
In den letzten Jahren versuchte man den ätherischen Extrakt
2166
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 44.
in einzelne charakteristische Substanzen zu zerlegen. Dies ist be¬
sonders Poulsson, Kraft und Böhm geglückt. 0 m e i n e r
gibt an, dass sich aus den Untersuchungen ergeben hätte, dass
85—90 Proz. des Filixextraktes aus fettem Oel und Chlorophyll be¬
stehen, die beide für die antheimintische Wirkung nicht in Betracht
kommen. Der Rest von 10—15 Proz. ist ein Gemisch saurer Körper,
vor allem die F i 1 i x s ä u r e (Filicin), die in frischem Extrakt in einer
amorphen, wirksamen Form vorkommt, ausserdem Flavaspidsäure,
Albaspidin und Aspidinol. Kraft entdeckte eine amorphe Säure,
das Aspidinolfilicin. das den Handelsnamen ..Filmaron“ erhalten
hat. Diese Substanzen sollen in dem Extrakt die wurmtreibende Wir¬
kung haben.
Was die Dosierung des Extractum filicis betrifft, so verordnet
H a r n a c k 2,0 — 4,0 g auf 2 — 3 mal zu nehmen in Pillenform oder
in Gallertkapseln. Tappeiner gibt 7—10 g an, Meyer und
G o 1 1 1 i e b 8 — 10 g (10,0 g! Dosis max. pro dosi, sowie auch pro die
D. A. 1911). Strümpell will die Dosis von 10 — 12 g niemals über¬
schritten haben wegen Vergiftungsgefahr.
L e n h a r t z sagt im Lehrbuch von Penzoldt-Stintzing:
„Die gewöhnliche Dosis des Extractum filicis maris aethereum für Er¬
wachsene beträgt 6 — 8 g, für Kinder 2 — 3 — 4 g und die Dosis von
10 g sollte niemals überschritten werden. Matthes gibt die ge¬
wöhnliche Dosis für Erwachsene mit 10 g an. Mehr als 15 g sollte
wegen der Vergiftungsgefahr nicht gegeben werden. Aus diesen An¬
gaben ersieht man, dass man bis 10 g geben kann.
Trotz der genannten Neuerungen (z. B. des Filmaron) hat
sich in der Praxis der Gebrauch des Extractum filicis maris
aethereum unter anderem auch in Gestalt des sehr bequemen
Pieterich - Helfenberg sehen Bandwurmmittels meist
erhalten.
Seit langer Zeit wird bekanntlich davor gewarnt,
Filixextrakt und Rizinusöl zusammen zu ver¬
abreichen. Eine ganze Reihe der führenden Kliniker hat sich
gegen diese Kombination ausgesprochen. Es sind auch in der
Literatur Todesfälle und Fälle von schwerer Intoxikation be¬
kannt geworden, die auf die Kombination von Rizinusöl und
Filixextrakt zurückgeführt wurden.
v. Jak sch gibt an, dass bei Verabreichung von Rizinusöl die
Gefahr der Intoxikation sehr wesentlich steigt.
In einem Falle von Schlier traten die Erscheinungen der
Vergiftung 9 Stunden nach Verabreichung von 7,5 g frisch bereite¬
tem Extractum filicis maris und einem Löffel Ricinusöl auf.
H a r n a c k rät ebenfalls, kein Rizinusöl nach Verabreichung
des Filixextraktes zu geben.
Auch Drenkhahn warnt vor der üblichen Darreichung von
Rizinusöl, das er durch Kalomel ersetzt. Er geht von der Annahme
aus, dass die Filixsäure der wirksame Bestandteil des Farnwurzel¬
extraktes ist und dass dieser Körper in Alkalien und Fetten leicht
löslich ist. Er sucht deshalb den Magen-Darmkanal von Alkalien
und Fetten möglichst frei zu halten und verwirft deshalb das Rizinus¬
öl als Abführmittel.
K o b e r t nimmt an, dass die Butanone im Extractum filicis maris
die Wirkung bedingen. Da nun die Butanone sich sehr leicht in Oel
lösen und so nicht nur wurmwidrig, sondern bei grösseren Dosen
auf den Wirt der Tänie sehr giftig wirken, so rät K o b e r t, während
und gleich nach der Kur kein überschüssiges Oel. insbesondere kein
Rizinusöl zu geben, falls man die Resorptionsgefahr vermeiden will.
O u i r 1 1 hat mit Extractum filicis maris an Kaninchen Versuche
angostellt und gefunden, dass erstens ein direkter Einfluss auf die
Magen und Darmschleimhaut stattfindet und dass zweitens vom Darm
ins Blut aufgenommene Substanzen toxisch auf das Zentralnerven¬
system wirken können. Er gibt an, dass das Gift nur langsam
wirke, da es vom Darmkanal nur langsam resorbiert werde.
O u i r 1 1 gibt weiter an, dass die Resorption des Mittels durch ölige
Substanzen beschleunigt und dadurch die Gefährlichkeit
des Mittels erhöht wird.
P e n z o 1 d t, der zwar selbst nie Nachteile gesehen hat, warnt
auch vor der Darreichung von Rizinusöl zum Filixextrakt, da es eine
erhöhte Resorption der Filixsäure zu begünstigen scheint.
Einzelne andere Autoren halten die Schädlichkeit des Rizinusöls
für zu stark übertrieben.
L e n h a r t z scheint die Warnung vor der gleichzeitigen Verbin¬
dung des Extraktes mit Fetten, namentlich vor der Anwendung des
Rizinusöls zur Nachkur für durchaus unberechtigt.
Matthes gibt ruhig Rizinusöl. Die Warnung vor gleichzeitiger
Verabreichung von Extractum filicis maris und Rizinusöl sei rein
theoretisch, aber praktisch unbegründet.
Jaquet, der viele Jahre hindurch Bandwurmkuren vor¬
genommen hat, will trotz Verordnung von Rizinusöl als Abführmittel
keine unangenehme Nebenwirkung zu beklagen gehabt haben.
Den Autoren, die gegen die Kombination von Filix¬
extrakt und Rizinusöl sind, scheint ein von uns beobachteter
Fall Recht zu geben, den ich im folgenden mitteilen will.
Es handelte sich um eine 27 Jahre alte Frau, die am 6. Oktober
1913. abends 11 Uhr in bewusstlosem Zustand eingeliefert wurde.
Die Mutter, die mitkam, machte folgende Angaben:
Meine Tochter suchte am 3. Oktober ihren Hausarzt auf, da sie
angeblich einen Bandwurm hätte. Der Arzt verordnete ihr das all¬
bekannte Helfenbergsche Bandwurmmittel. In der Schachtel, die sie
bekommen hatte, seien 15 Kapseln gewesen, von denen 8 schwarz
und 7 weiss ausgesehen hätten. Da sie am 3. Oktober noch zur Arbeit
hätte gehen wollen, die sie noch gut ausführen konnte, hätte sie mit
der Kur erst am 4. Oktober begonnen, nachdem sie am Abend vor¬
her Häringe gegessen hätte. Am 5. Oktober abends nahm sie
5 weisse Kapseln, am 6. Oktober, früh 4 Uhr 8 schwarze Kapseln
und später am Nachmittag noch die letzten 2 weissen Kapseln.
Den ganzen 6. Oktober soll sie sich wohlgefühlt haben. Der
Bandwurm soll zum Teil abgegangen sein. Da sie Hunger hatte,
hätte sie Kaffee und Suppe getrunken. Am Abend desselben Tages
zeigten sich Brechreiz, Mattigkeit und Müdigkeit, aber keine Schmer¬
zen. Stuhl dünn. Am 7. Oktober morgens hätte sie teilnahmslos
dagelegen, ausserdem hätte ein krampfartiger Zustand bestan¬
den und die Sprache wäre verschwunden gewesen. Der sofort her¬
beigeholte Arzt hätte Rotwein, warme Umschläge und Baldrian ver¬
ordnet.
Wegen Mangel an häuslicher Pflege Einlieferung ins Kranken
haus.
Nachzutragen wäre noch, dass Pat. am 29. März 1913 schon
einmal hier im Krankenhaus war. Damals klagte sie über rheuma¬
tische Beschwerden in Armen und Beinen, die schon 4 Wochen be¬
standen haben sollten. Ausserdem will sie seit 14 Tagen gelb sein.
Appetit angeblich gut. Stuhl unverändert. Gröbere organische Er¬
scheinungen fehlten damals, es bestand der Verdacht auf einen Duo¬
denalkatarrh und eine Gallenblasenaffektion. Die Pigmentation der
Frau erweckte aber schon damals ausserdem den Verdacht der Mög¬
lichkeit einer Nebennierenaffektion.
Status praesens: Bei der Aufnahme liegt die Frau in
somnolentem Zustand da. Auf Berührung reagiert sie, doch fehlt
ihr vollkommen die Sprache, sie bewegt nur ganz wenig die Lippen
Kein Fieber, kühle Extremitäten, kein Schweiss.
Bei Betrachtung fällt eine starke, dunkelbraune Pigmentation des
Gesichts, beider Unterarme und Hände, der Brustwarzen und des
Mons veneris auf. Die Frau ist sehr schlecht genährt. Muskulatur
und Fettpolster mässig entwickelt. Der Mund ist fest geschlossen.
Eine Inspektion des Rachens ist deshalb unmöglich.
Lungen: In normalen Grenzen, reines Vesikuläratmen.
Herz: Spitzenstoss innerhalb der Mammillarlinie. Keine Ge¬
räusche. Puls: Beschleunigt, 90, sehr klein und weich.
Abdomen: In den unteren Teilen schmerrzempfindlich.
Urin: Eiweiss stark positiv. Azeton und Azetessigsäure
sehr stark positiv. Zucker: Negativ. Mikroskopisch:
Keine Zylinder.
Stuhl nach Einlauf dünn, gelbbraun gefärbt. Keine Bandwurm¬
glieder zu finden.
Pupillen reagieren prompt auf Licht und Konvergenz. Kor-
nealreflexe auslösbar. Patellarreflexe wenig gesteigert.
Achillessehnenreflexe vorhanden; keine Lähmungen.
Therapie: In der ersten Nacht Eisblase auf den Kopf. 2 mal
1 Spritze Kampfer. Am 8. Oktober 750 ccm Kochsalzlösung
+ 10 Tropfen Adrenalin subkutan. Stündlich Kampfer, Koffein und
Digitalysatum.
Am nächsten Tag erfolgte 5 Uhr früh der Exitus letalis.
Die klinische Diagnose lautete: Akute Vergiftung mit
Extractum filicis maris und Rizinusöl: ausserdem
bestand der Verdacht einer Nebennierenaffektion,
vielleicht Tuberkulose der Nebennieren.
Die Sektion wurde gerichtlich ausgeführt.
Sektionsprotokoll:
A. Aeussere Besichtigung: Leiche einer grazil gebauter
weiblichen Person. Farbe im Gesicht, am Hals, an den beiden Vor¬
derarmen bis in die Ellenbeugen gelblich-braun, nahezu bronziert,
an den übrigen Teilen der Leiche graugelb bis hellbraungelb, am
Rücken mit Ausnahme der Druckstellen, am Nacken und an der Innen¬
fläche der Oberschenkel durch Leichenflecken blaurötlich diffus ver¬
färbt.
An der nasalen Seite der Bindehaut des linken Augapfels sowie
an der Schläfenseite der Bindehaut des rechten Augapfels ist eine
grauschwarze, annähernd dreieckige (Basis des Dreiecks narb dem
Augapfel gekehrt), von der Umgebung gut abgegrenzte Verfärbung,
welche am linken Auge bündelförmig angeordnete Gefässstämmchen.
die bis zur halben Rundung etwa gefüllt sind, zeigt.
Lippenschleimhaut ist blass, feucht, lässt nirgends besondere
Veränderungen erkennen.
B. Innere Besichtigung: Das Herz entspricht annähernd
der Grösse der geballten Faust der Leiche. Die linke Herzhälfte. n4
gut zusammengezogen. An der Aussenfläche ist wenig gelbEches
Fett.
An der Gefässfurche eine isoliert stehende punktförmige Blut-
austretung unter dem Ueberzug. an der Rückseite der linken Herz-
hälfte nach dem Herzgrund zu und an den Wandungen der grossen
Gefässe sind zahlreiche, vereinzelte, zum Teil zusammenfliesseude
dunkelrote Blutaustretungen von rundlicher Form.
Die beiden Nebennieren werden mit Rücksicht auf die auf¬
fallende braune Gesichtsfarbe herauspräpariert und erscheinen die-
. November 19H.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCH RIFT.
eiben nahezu doppelt vergrössert, vollständig verkäst, so dass nir-
ends die normale Zeichnung zu erkennen ist.
Die mikroskopische Untersuchung (Prof. Boström-
icsscn) ergab, dass beide Nebennieren total tuberkulös waren
is auf kleine Reste der Nebennierenrinde, die allein erhalten waren,
erner fand sich eine hyperplastische Beinebenniere,
e keine Spur einer Verkäsung zeigte.
Der Magen ist gefüllt mit glasigem Schleim. Die Schleimhaut
t gelockert und hat an der hinteren Magenwand sowie in der Gegend
Pförtners infolge zahlreicher punktförmiger Blutaustre-
n n g e n, welche an mehreren Stellen in Gruppen stehen, ein dunkel-
>t gesprenkeltes Aussehen.
Im Dickdarm und in den unteren Schlingen des Leerdarms ist
e Schleimhaut stellenweise mit blutig gefülltem Schleim
.‘deckt. Im Grimmdarm und im Zwölffingerdarm zeigen sich keine
eränderungen.
Auf die Schnittflächen der weichen Schädeldecken treten nur
:reinzelt aus den durchschnittenen Gefässen Blutpunkte hervor.
Zur Beurteilung der Todesursache lässt sich auf Grund
iS klinischen Verlaufes und des anatomischen Befundes fol-
mdes sagen: Zwei Krankheitszustände kommen in Betracht,
rstens derjenige der Vergiftung, zweitens die (klinisch
sher latente) Addisonsche Krankheit der
atientin.
Dass nicht nur klinisch, d. i. aus dem akuten Ein¬
te611 der kurzen tödlichen Erkrankung nach Einnehmen des
vtractum filicis und dem darauf folgenden typischen Krank -
itsverlauf, sondern auch anatomisch die Annahme einer
ergiftung gerechtfertigt ist, zeigten die Blutungen am Herzen,
i den Abgangsstellen der grossen Gefässe, insbesondere in
■r Magenwand und in den weichen Hirnhäuten; auf Grund
:s anatomischen Befundes wurde denn auch vom gerichts-
ztlichen Obduzenten, Herrn Med. -Rat Sch äff er, die Dia-
i°se einer Intoxikation gestellt. In der Tat entsprechen die
fundenen Veränderungen ganz denen, die v. Jak sch als
pische Zeichen der Filixvergiftung schildert; auch der kli-
sche Verlauf deckt sich in allen Phasen mit demjenigen, wie
in den tödlich verlaufenden Fällen der Literatur be-
hrieben wird, insbesondere denjenigen, in denen Rizinusöl
m Filixextrakt gegeben wurde.
Trotzdem ist bei der Beurteilung der Todesursache die
age aufzuwerfen: Ist der Tod der Patientin nicht doch' etwa
lein durch die bei der Obduktion gefundene Nebennieren-
krankung oder wenigstens durch das Zusammen-
i r k e n von Addison scher Krankheit und Filixvergiftung
erklären?
Was die erstere Farge anbelangt, so möchte ich sie ent-
hieden verneinen. Es gibt allerdings Fälle — und diese
itsache gibt uns vielleicht ein Recht, diese Frage überhaupt
fzuwerfen — , die mit den Hautveränderungen des Morbus
Idison behaftet, aber sonst noch bei leidlicher Gesundheit
:mlich plötzlich im Koma, also einem einer exogenen In¬
dikation ähnlichen Zustand, zugrunde gehen.
Die Fälle, in denen die Nebennierenerkrankung einen der-
tigen Verlauf nimmt, sind aber sicher ungeheuer selten,
lermeist wird der perakute Ausgang der Addison sehen
ankheit ohne Kachexie durch irgend ein exogenes Mo-
:nt. eine Infektion (oder möglicherweise auch Intoxikation)
wirkt werden.
H. Curschmann teilte mir den Fall eines ihm nahe-
henden Kranken mit, der nach jahrelanger Pigmentation
ne wesentliche Abnahme des Körperbestandes, der Kräfte
d der Arbeitsfähigkeit blieb, bis dann eine leichtere Er-
Itung mit nachfolgender, klinisch ebenfalls leichter akuter
phritis, ohne den Patienten bettlägerig zu machen, zu einem
ma führte, dem der Kranke in wenigen Stunden erlag.
Der eben genannte Fall, auf dessen Einzelheiten ich nicht
her eingehen möchte, lag ähnlich wie der unsrige, nur war
zweifellos bezüglich der Addisonveränderungen der Haut
d auch des vorausgehenden subjektiven Krankheitsgefühls
ch weit schwerer. Ich möchte bei ihm die Komponente
ddison“ auch bezüglich der Kausalität des Todes wesentlich
her einschätzen und die andere Komponente der exogenen,
s Ende beschleunigenden Infektion dementsprechend ge-
ger, als dies in unserem Falle anzunehmen ist. Unsere
tientin war, das ist nicht zu vergessen, bis zum Einnehmen
> Filixextraktes in praxi völlig arbeitsfähig, wenn auch
t allerlei allgemeinen körperlichen und nervösen Be¬
schwerden behaftet. Der Umstand, dass trotz vorgeschrit¬
tener Verkäsung beider Nebennieren eine eigentliche Kachexie
fehlte und ein leidlich guter Kräftezustand erhalten blieb, ist
ja auch anatomisch als der Befund einer hyperplastischen
(also wohl vikariierender tätig gewordenen) Beinebenniere er¬
klärt worden.
Bei diesem klinischen Status (der Arbeitsfähigkeit) und
uem anatomischen Befund müssen wir, scheint mir, an dem
Postulat festhalten, dass nicht die Nebennierenerkrankung
allein, sondern zum mindesten das Zusammen¬
wirken dieser — bisher klinisch ziemlich latenten — Ne¬
bennierenveränderung und der Filixvergiftung als Todes¬
ursache anzusprechen ist. Die Vergiftung hat eben eine durch
eine vitale Organschädigung bereits mürbe gewordene Kon¬
stitution rasch völlig gebrochen.
Unser Fall enthält einen nicht unwichtigen Beitrag zum
Kapitel der Kontraindikationen bzw. zur bedingten und> vor¬
sichtigen Indikationsstellung einer Filixkur. Die bisher be¬
kannten Kontraindikationen beziehen sich ebenfalls meist auf
allgemein schwächende Krankheiten und deren Folgen. Es
seien genannt die Folgen eines Abdominaltyphus oder anderer
akuter Infektionen, überstandene Appendizitis, Peritonitis, ins¬
besondere operativ behandelte Bauchaffektionen. Auch sehr
hohes Alter, grosse allgemeine Schwäche, Verdacht auf
Magen- und Darmgeschwüre sind mit Recht Kontraindi¬
kationen, ebenso apoplektische Anfälle, schwere Herzfehler.
Neigung zu Lungenblutungen u. a. m. Von Wichtigkeit sind
endlich Schwangerschaft und Wochenbett als Gegenanzeige
zu nennen.
Zu diesen — in der Praxis übrigens noch viel zu wenig
beachteten — Kontraindikationen tritt nun die Addison-
sche Krankheit, bzw. schon Krankheitszustände, die mit Pig¬
mentanomalien verlaufen und so den entfernten Verdacht einer
Nebennierenerkrankung erwecken können. Es ist der Hin¬
weis auf diese Kontraindikation praktisch nicht so unwichtig
oder „ausgefallen“, als man vielleicht denkt; denn man erlebt
es auffallend häufig, dass Kranke mit chronisch kachekti-
sierenden Leiden ihre Zuflucht zur Diagnose Bandwurm
nehmen und nach einer Wurmkur verlangen oder sie gar
selbst (auf Grund von Kurpfuscherannoncen) einleiten.
Die spezielle Ursache, weswegen gerade eine Erkrankung
der Nebennieren zur tödlichen Vergiftung durch Filixsäure
disponieren konnte, möchte ich in zwei Momenten suchen:
erstens kommt wohl die allgemeine Giftschock¬
wirkung, wie bei jeder anderen Vergiftung, in Betracht.
Noch mehr aber scheint mir die ausgesprochen nieren¬
schädigende Wirkung des Filixextraktes bei einer be¬
stehenden Nebennierenerkrankung von ominöser Wichtigkeit.
Denn nach Beobachtungen von Hans Curschmann scheint
es, dass bei bestehender Erkrankung und Insuffizienz der
Nebennieren auch anatomisch leichte Schädigungen der Niere
selbst ausserordentlich schwere Zustände, selbst den raschen
Jod, zur Folge haben können. Man kann sich dabei des Ein¬
drucks nicht erwehren, als ob die Nebenniere bei auftretender
Nierenschädigung eine innersekretorische Funktion zu leisten
habe, der sie, insuffizient geworden (wie beim Morbus Addi-
sonii), eben nicht mehr nachkommen kann.
Wir können es, um auf -den toxikologischen Ausgangs¬
punkt unserer Betrachtungen zurückzukommen, nicht von der
Hand weisen, dass auch in unserem Fall die Kombination des
Lilixextraktes mit Rizinusöl die tödliche Vergiftung ver-
anlasste, bzw. schwerer gestaltete.
Es darf nicht als Zufall angesprochen werden, dass die
in der Literatur bisher bekannt gewordenen tödlichen
Filixvergiftungen fast sämtlich durch Extractum filicis mit
Rizinusöl hervorgerufen wurden. Wir müssen darauf aufs
neue und energischste die Warnung derjenigen Autoren (s. o.)
unterstützen, die vor dieser Kombination als lebensgefährlich
warnen.
Es ist dringend wünschenswert, dass diese Kombination,
auch wenn sie in tausend Fällen ohne Schaden genommen
wurde, weil sie eben in einem oder zwei Fällen zu tödlicher
Vergiftung führte, aus dem Arzneischatz gestrichen wird, dass
sich also auch die Chemische Fabrik Helfenberg A.G. vorm.
Eugen Dieterich in Helfenberg entsch’iesst. aus i h r e p>
2168
MUENCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 44.
Bandwurmmittel das Rizinusöl prinzipiell
wegzulassen. Tut sie dies nicht, so muss nachdrücklich
vor diesem Mittel gewarnt werden.
Literatur.
Qm ein er: Klinische Untersuchungen über das Filmaron, als
wirksamen Bestandteil der Wurmfarnwurzel. D. tierärztl. Wschr.
15. Jahrg. Nr. 37 u. 38. — Harnack: Lehrbuch der Arzneimittel¬
lehre und Arzneiverordnungslehre. 1883. — Tappeiner: Lehr¬
buch der Arzneimittellehre. 1910. — Strümpell: Lehrbuch der
speziellen Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten. Leip¬
zig 1902. — Penzoldt-Stintzing: Handbuch der gesamten
Therapie 2. 1909. — Mering: Lehrbuch der inneren Medizin. Jena
1905. — v. Jak sch: Die Vergiftungen. Wien 1897. — Schlier:
M.m.W. 37. 1890. S. 553. — Kobert: Lehrbuch der Pharmako¬
therapie. Stuttgart 1908. — Penzoldt: Lehrbuch der klinischen
Arzneibehandlung. Jena 1908. — Jaquet: M.m.W. 1911 Nr. 48
S. 2564.
Aus dem Röntgenlaboratorium der Frauenklinik der Universität
Tübingen (Direktor: Professor Dr. Seilheim).
Die vergleichende Messung der Wirkung von Röntgen¬
strahlen und /-Strahlen.
Von Dr. rer. nat. Walther Gerlach.
In letzter Zeit sind in dieser Wochenschrift eine Reihe von
Abhandlungen publiziert, die sich mit dem Vergleich der
therapeutischen Wirkung von Röntgcnstrahlen und y-Strahlen
des Radiums und Mesothoriums befassen. Einige der Autoren
geben Versuche rein physikalischer Art an, deren Ergebnisse
sie mit biologischen Erfahrungen vergleichen oder auf bio¬
logische Vorgänge anwenden. Es werden hier oft die physi¬
kalischen Grundlagen der Erörterung mit grosser Bestimmt¬
heit ausgesprochen, so dass Gefahr .vorliegen dürfte, sie
möchten als gesicherte Tatsachen in die medizinische Literatur
eingehen, während es sich vielfach nur um Hypothesen oder
sehr zweifelhafte Erklärungsversuche handelt. Es sei mir
daher gestattet, einige Bemerkungen zu machen, die den
Zweck haben sollen, allgemein auf grösste Vorsicht bei
Schlussfolgerungen aus einzelnen selbst quantitativen Ver¬
suchen hinzuweisen, denn die Schwierigkeiten der Erklärung
der bei der Durchdringung und Absorption von X- und y-
Strahlen und ihrem Energieumsatz auftretenden Erscheinungen
sind so grosse, dass sich bis heute noch lange nicht alle Be¬
obachtungen befriedigt verstehen lassen.
Je durchdringender, d. h. je härter eine Strahlung ist, desto
weniger wird von ihrer Energie in der durchstrahlten Schicht ab¬
sorbiert. Eine Wirkung verlangt aber eine Absorption: das gilt in
vollem Masse für die direkte Wirkung der Strahlen, bei der man es
mit einem Energieumsatz zu tun hat (Wärmewirkung, chemische Wir¬
kung, elektrische Wirkung, primäre Verbrennungserscheinungen),
wie auch, in allerdings beschränktem Masse, für eine Wirkung von
Sekundärstrahlungen, die selbst durch die primäre Strahlung in einem
Umsetzungs- oder Auslösungsvorgang erzeugt sind. Allgemein muss
d i e Strahlung am meisten wirken, die in dem Gebiet, in dem ein
Effekt erzielt werden soll, am stärksten absorbiert wird. Es handelt
sich hier im wesentlichen um folgende 4 Punkte:
1. Die Erzeugung der sekundären Strahlung, die
unter gewissen Bedingungen bei dem Durchgang von Röntgenstrahlen
und Radiumstrahlen durch Materie entstehen, kann erfolgen entweder
durch einen Energieumsatz oder durch eine Auslösung oder durch
beides. Dabei versteht man unter Energieumsatz die Absorption
eines Feiles der primären Röntgenstrahlenenergie und die Umwand¬
lung dieser Energie in eine neue Energieform, also z. B. der pri¬
mären Röntgenstrahlenenergie in die a priori nicht gleichartige
Energieform, wie sie durch die Sekundärstrahlung dargestellt wird.
Der Auslösungsvorgang besteht darin, dass eine durch andere Kräfte
angesammelte — gewissermassen potentielle — Energiemenge durch
einen äusseren Anstoss frei wird. Dabei muss zwischen der Energie
dieses Anstosses und der freiwerdenden Energie kein quantitativer
Zusammenhang bestehen. Im ersten Fall (Umsatz) muss die neue
Energieform quantitativ gleich der primären sein (Gesetz von der
Erhaltung der Energie), während im zweiten Fall (Auslösung) auch
durch eine sehr kleine Energie ein beliebig grosser Energievorrat
zur Entbindung gebracht werden kann.
2. Eine Schwierigkeit in der therapeutischen Anwendung der
Röntgenstrahlen liegt darin, dass die Absorption im Gewebe
relativ gross ist, also bei sehr tiefliegenden Tumoren schon ein
grosser Betrag der Gesamtenergie verloren gegangen ist, nutzlos
oder sogar schädigend.
3. Die grosse Penetrationsfähigkeit der y-Strahlen von
Radium C und Mesothorium sollte vom Standpunkt des Energie¬
umsatzes aus eine geringere Wirkung als durch Röntgenstrahlen
erwarten lassen: eine etwaige selektive Wirkung der y-Strahlen
ist hierbei natürlich ausser acht gelassen.
4. Der Mechanismus der Einwirkung der Röntgen-
und Radiumstrahlen ist nicht bekannt; ebensowenig wissen wir, ob
die biologischen Wirkungen beider Strahlenarten quantitativ oder
qualitativ gleich oder verschieden sind, und ob ihre physikalische
Wirkung oder ihre chemische Wirkung der biologischen Wirkung
analog ist. Schon allein die Behauptung, dass es röntgensensible und
radiumsensible Tumoren1) gibt, deutet auf wesentliche biologische
Unterschiede beider Strahlenarten hin. Der Vergleich2) mit dem
Unterschied zwischen rotem und violettem Licht liegt nahe, entbehrt
aber innerer Begründung. Er kann höchstens als Analogon, nicht
aber als Erklärungsversuch angeführt werden.
Kürzlich haben Bumm und Warnekros3) quantitative Ver¬
suche über die Tiefenwirkung von Röntgenstrahlen und harten
y-Strahlen mitgeteilt. Krönig4) hat darauf hingewiesen, dass die
Schlüsse aus ihren Resultaten nicht verallgemeinerungsfähig sind.
Auch ihre rein physikalischen Versuche konnten keine allgemeinen
Resultate geben, da, wie im folgenden gezeigt werden soll, ihnen
keine einheitlichen und einwandfreien Versuchsmethoden zugrunde
liegen.
B u in m und Warnekros finden in grösseren Tiefen als
2 — 3 cm kaum eine Wirkung der y-Strahlen des Radiums. Als
Reagentien dienen ihnen sowohl Schwärzung der Kienböckstreifen
und Ionisation einer Luftkammer wie biologische Einflüsse. Das
negative biologische Resultat hat seinen Grund in dem in¬
homogenen Strahlungsfeld des Radiumpräparates, d. h. also im
wesentlichen in der Art ihrer Strahlung und Anwendung, der Be¬
strahlungsanordnung. Wenn die Verfasser mit grösseren Dosen und
längeren Bestrahlungszeiten schwere äussere Nebenschädigungen bei
nur geringem Erfolg in der Tiefe erhalten, so liegt das nicht etwa an
einer besonderen Eigenschaft der Radiumstrahlen (qualitativ andere
Eigenschaften der y-Strahlen in der Nähe des Präparates als in eini¬
ger Entfernung), sondern vielmehr daran, dass die relativ kleine,
dazu immer gleiche Einfallspforte von viel zu
viel Strahlen durchlaufen wird, wegen der In¬
homogenität des Bestrahlungsfeldes aber in einer
grösseren Tiefe nur eine geringe Flächendichte
der Strahlung herrscht. Durch die grosse Strahlungsdichte
an der Einfallspforte wird die Erythemdosis schon erreicht sein, ehe
in einer gewissen Tiefe eine für eine Beeinflussung genügende
Strahlenmenge die Gewebe durchdrungen hat.
Diese Nachteile der Radiumbestrahlung fallen bei der Ver¬
wendung von Röntgenstrahlen nicht weg. Im Gegenteil, sie sind
wegen der hier vorhandenen sehr weichen Strahlung noch viel mehr
zu befürchten, aber die Technik der Röntgenstrahlen ist physikalisch¬
theoretisch und medizinisch-praktisch so weit ausgebildet, dass die
Nebenbeschädigungen auf ein Minimum reduziert werden können.
Die Röntgenbestrahlung erfolgt eben nach einer richtigen Methode.
Bumm und Warnekros vergleichen physikalisch die Wir¬
kung von Röntgenstrahlung und y-Strahlung durch Messung der
Schwärzung der Kienböckstreifen (photochemische Reaktion) und der
Ionisation der Luft (elektroskopische Reaktion).
Als erste Bedingung für die Berechtigung einer solchen Ver¬
gleichsmessung muss die gestellt werden, dass die beiden in Frage
stehenden Wirkungen überhaupt vergleichbar sind.
Will man quantitative Vergleichsmessungen anstellen, so
muss die Art der Einwirkung auf das Reagens qualitativ dieselbe
sein. Diese hängt aber in hohem Masse von der Härte der Strahlen
ab. Es muss also vor allem verlangt werden, dass nur Röntgen¬
strahlen mit solchen y-Strahlen des Radiums verglichen werden, die
dieselbe Härte haben. Dieser Punkt ist bei den Versuchen der Ver¬
fasser nicht berücksichtigt worden. Weiterhin hängt der geringe
Effekt, den Bumm und Warnekros durch y-Strahlen, ver¬
glichen mit Röntgenstrahlen, finden, auch von der Filterung ab. der
die Strahlen bis zu der Stelle, an der ihre Wirkung gemessen wird,
unterworfen waren. Auch in bezug auf die Homogenität resp. die
Strahlungsgemische müssen die Strahlengattungen gleichartig sein,
wenn sie quantitativ verglichen werden sollen.
So folgt auch aus den Angaben der viel grösseren Neben¬
schädigungen durch die y-Strahlen als durch Röntgenstrahlen, dass
die Erythemdosis für Röntgenstrahlen nicht die gleiche ist als wie für
y-Strahlen, obwohl sie in dem „gleichen“ Masse, Anzahl der X
gemessen ist.
Diese Einwände beziehen sich in gleicher Weise auf die beiden
Messmethoden, denn auch die Ionisation der Luft ist von der Härte
der Strahlen abhängig, und zwar wird die Luft um so mehr ionisiert,
je weicher die Strahlung ist: denn sie wird mehr absorbiert. Dabei
ergeben, wie aus eigenen Versuchen, die noch nicht abgeschlossen
sind, folgt, die photochemische und elektroskopische Reaktion neben¬
einander ausgeführt nicht übereinstimmende Resultate, selbst wenn
man Röhren exakt gleicher Härte unter gleichen Bedingungen be¬
nutzt.
Zu diesen Einwänden, die gegen die Ausführung der Versuche
selbst zu erheben sind, kommt noch ein weiterer hinzu, der die An-
U z. B.: B. Krönig, M.m.W. 1914 Nr. 31.
2) z. B.: B. Krönig. 1. c.
3) Bumm und Warnekros: M.m.W. 1914 Nr. 29.
4) B. K r ö n i g, 1. c.
November 1914.
MUFNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
en düng der Resultate auf biologische Vorgänge betrifft. Nur wenn
e biologische Wirkung der photochemischen oder elektroskopischen
eaktion parallel geht, können aus einwandfrei ausgeführten Mes-
ngen Schlüsse nach dem Vorgang von B u m m und Warnekros
l die er\vendbarkeit der Röntgen- und y-Strahlung gezogen wer-
n. as ist aber eine unbewiesene Voraussetzung. Man darf nach
e en bekannten \ ersuchsergebnissen wohl annehmen, dass man
bei der Wirkung der Rontgenstrahlen und y-Strahlen sowohl mit
ne,a , -'’crgieumsatz als auch mit einem Auslösungsvorgang zu
n ba. ' Pa,s. g! in gleicher Weise für die biologischen wie für die
n Pjiysikal ischen Einwirkungen der Röntgenstrahlen. Denn keine
ysikahsche Theorie, die sich nur auf den Energieumsatz stützt,
rmag b'sher alle Erscheinungen bei dem Durchgang der Röntgen-
d y-^trahlung durch Materie zu erklären. Die physikalischen Rc-
tionen sind aber gerade lediglich auf der Messung eines speziellen
.ergieumsatzes aufgebaut.
Die Fortschritte der D e s s a u e r sehen Arbeiten und die Ver-
sserung der Rontgeninstrumentarien durch die Veifawerke zur
zeugung einer durchdringenden homogenen Röntgenstrahlung sind
n ausserordentlicher Bedeutung. Es darf aber hier nicht übersehen
.rden, dass mit einer stärker penetrierenden Strahlung allein noch
:ht alles erreicht ist. Die Durchdringungsfähigkeit darf nur so
ige gesteigert werden, als tatsächlich auch eine Vergrösserung der
Aschen Wirkung mit ihr Hand in Hand geht. Das hängt aber
von der Tiefe, in die man die Strahlung in einem speziellen Fall
n?.e.P ,W1 ’ and V0.P ,c!em Zweck, den man erreichen will, d. h. ob
Wirkung hauptsächlich durch primäre Einflüsse (Absorption der
ahlung) oder durch sekundäre Einflüsse (Erregung der Sekundär-
ahlung z B erfolgen soll. Das Ideal wäre: für jeden ein-
Inen Fall eine Strahlung solcher Märte und
i s a in m ensetzung zu erzeugen, dass möglichst
el Energie bis zum Tumor kommt, davon ein
aximum !m Tuinor zur Wirkung gelangt und da-
i doch in dem Härtebereich zu bleiben, der die
iut möglichst wenig schädigt und die wirksamen
kundaren Strahlungen des zu beeinflussenden
iwebes zu erregen fähig ist.
Zum Schluss möchte ich auf ein recht gefährliches Versehen in
zitierten Abhandlung von B u m m und Warnekros hinweisen
• Absorption von 71,3 Proz. der Strahlung in 12 cm Gewebs-
lcht wird auf eine Absorption von 5,94 Proz. in 1 cm geschlossen,
h. die Prozent, ge Absorption wird einfach durch die Dicke der
ucht dividiert. Die Absorption der Röntgenstrahlen erfolgt aber
h einer viel komplizierteren (logarithmischen) Funktion. Bei der
achen Ableitung der Absorptionsformeln, die in vielen Lehrbüchern
finden ist, wird allerdings die in den einzelnen Schichten ent-
lende Sekundärstrahlung nicht berücksichtigt; sie setzt ferner
aus, dass die Strahlung vollkommen homogen ist. Beides gilt aber
die primären Röntgenstrahlen nicht, so dass man nur von
unter ganz genau zu
ezjjaüsi er enden Bedingungen sprechen kann
s heute als „Rontgenstrahlen“ in den technischen Röhren und
m Betrieb und als „y-Strahlen“ in den Radium- und Mesothorium-
paraten zur Verfügung steht, sind Strahlungsgemische; jedes
ih ungsgemisch enthält Strahlen verschiedener Härte (gleiche
ihlenarten selbstverständlich vorausgesetzt). Es ist sehr wahr-
«mlich, dass sich in physikalischer Beziehung die y-Strahlen von
Rontgenstrahlen nur durch die Härte unterscheiden, etwa so
weiche und harte Röntgenstrahlen. Hiermit kann aber keines-
:s, wie schon oben betont, gesagt werden, dass diese Differen-
ung auch biologisch richtig ist. Um hierfür oder für das Gegen¬
sichere Anhaltspunkte zu gewinnen, muss zunächst die Möglich¬
gegeben sein, überhaupt mit definierten Strahlen zu arbeiten,
hierzu ist der erste, zum Teil schon erfolgreiche, Annäherungs-
>uch von Dessauer durch schrittweise Erfüllung der Forde¬
ren seiner „Homogenstrahlungslehre“ gemacht5). Hieraus ergibt
aber auch ein wesentlicher praktischer Vorteil, der durch
möglichst homogene Röntgenstrahlung geschaffen würde; eine
eutend grössere mögliche Sicherheit bei der Dosierung der
trah en unter Berücksichtigung der Körpertiefe der zu bestrahlen-
btelle durch die Kenntnis des richtigen Absorptionskoeffizienten
verschiedenen Gewebsschichten. Erst einwandfreie Messungen
diesem Gebiete werden die Frage nach dem Mechanismus der
hlenwirkung ihrer Lösung näher bringen.
2169
t es einen schädlichen Nahrungsrest beim Säugling?
ze Bemerkung zu meiner obigen Arbeit in dieser Wochen¬
schrift Nr. 40 und 41.
In der genannten Arbeit habe ich das gemeinsame
k von Tob I er und Bessau „Krankheiten durch abnormen
mt der Ernahrungsvorgänge und des Stoffwechsels“ (Brüning-
■valbes Hb. d. allg. Pathol u. path. Anat. d. Kindesalters i. Abt. 2
sbaden 1914) mehrfach zitiert. Herr Kollege G. Bessau in
■lau hatte nun die Freundlichkeit, mich darauf aufmerksam zu
5) S. die zusammenhängenden Ausführungen von F. Dessauer
:r Strahlentherapie H. 11.
Nr. 44.
machen, dass die Abschnitte Bakteriologie des Magens, bakterio¬
logische Vorgänge im Darm und Immunität und Ernährung in diesem
Werke von ihm bearbeitet sind und sein alleiniges und ausschliess¬
liches geistiges Eigentum darstellen, was sich auch aus Fussnoten
an Handbuchtext ergibt. Ich bringe dies gerne an dieser Stelle
zur Kenntms. Es kommt demnach das Zitat auf S. 2028 d. Wschr
tatsächlich auf 1 o b 1 e r s Konto, während auf S. 2068 für den Namen
i o o l e r s stets der seines Mitarbeiters Bessau einzusetzen ist.
A. Uffenheimcr.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
lieber die physikalischen Grundlagen der Radiumtherapie *).
(Mit Lichtbildern und Experimenten.)
Von Prof. Kohlrausch in Freiberg i/S.
Auf Ersuchen Ihres Vorstandes werde ich mir erlauben, Ihnen
PnHinnW-rZ-t^ Ppberblick über die physikalischen Grundlagen der
f S?vre ZU Keben’ um dann an der Hand so gewonnener
Medizin 7«h^rhMH^enntmSSe dlf, BedeutunS der Radioelemente für die
4 f schildern. Ihnen allen ist noch in frischer Erinnerung der
und hHPrAnf|Sat7U der BrHanatlonsbehandlung im geschlossenen Raume
p'otzbche Niedergang, als im Januar 1913 in der Berliner
diese^Rphandi3656 -SC^aft pachgewiesen wurde, dass die Grundlagen
dieser Behandlung irrige, dass im besonderen eine 6— 8 fache An¬
reicherung im Blute der Patienten zu Unrecht behauptet worden war
u,Pr ,w,CSa unzaTeffetnd®P Beobachtungen können nur so gedeutet
werden, dass die physikalischen Messmethoden in der Hand des
Mediziners versagten. Von weit grösserer Bedeutung scheint aber
fj"! Bewegung zu sein, die erst Anfang 1913 besonders in Deutsch-
land einsetzte und die von so erheblichen Erfolgen der Radiumbe¬
strahlungstherapie bei Karzinom und bösartigen Tumoren zu be-
"S“ Wj?ste,’..dafs in aben grösseren Gemeinwesen, so auch in
Dresden, die Mittel zur Anschaffung grösserer Radiummengen zur
Verfügung gesteht wurden. Aber auch hier sehen wir schon Tm
rHeibft 1913 auf der Wiener Naturforscherversammlung grosse Zu¬
rückhaltung, insbesondere Mitteilungen über schwerwiegende Ver¬
brennungen und Todesfälle. s ver
;,KAriXerf°lg* ma£ nup die neuere Literatur, so kommt man zu dem
üh^ H^hew-ev Ergebnis- dass über die Grundlagen der Behandlung,
über die Wirkung der durchdringenden Strahlung, über die Ver-
wendung der Absorptionsfilter noch vollkommene Unsicherheit
ct Jni aoT11 erb 1 jk~n in der sog- durchdringenden Gamma¬
strahlung des Radiums und Thoriums das eigentlich wirkende Agens
andeJje W1.ede,r m den Sekundärstrahlen, die durch die Gamma-’
Strahlung in den Geweben hervorgerufen wird. Nach der anderen
Anschauung sollen die Sekundärstrahlen, die in den Bleifiltern er¬
zeugt werden, die schweren Verbrennungen hervorrufen, nach einer
anderen sollen gerade sie mit zu den Heilfaktoren zählen.
Es erscheint deshalb unerlässlich, immer wieder die Grund¬
elemente der Radiophysik so klar als möglich herauszuheben. Sehr
lehrreich erscheint der geschichtliche Entwicklungs- und Werdegang
der radioaktiven Elemente, weshalb er der eigentlichen Radiophysik
V0Il?,n^eSte tjW»jrden mag‘ Ben Schluss bilden alsdann die Mess-
methoden und Messinstrumente.
Die Erscheinungen der Radioaktivität können als ein hervor¬
ragendes Beispiel für die Bedeutung wissenschaftlicher Hypothesen
angesehen werden. Eine so rasche und stürmische Entwicklung
e!n4er.iv.0‘lkomme„nen1neaen Erkenntnis der Materie, wie sie die Radio-
ltat. u.ns gebracht hat, ist noch niemals in der Naturwissenschaft
beobachtet worden. Bis zum Jahre 1896 waren alle radioaktiven
Erscheinungen völlig unbekannt, und heute kennen wir nicht weniger
als 37 strahlende, d. h. radioaktive Elemente.
Diesen einzigartigen Werdegang verdanken wir der Hypothese
von Rutherford und Soddy (Phil. Mag. Sept.-Nov. 1902) die
schon 1902 im ersten Entwicklungsstadium, als nur einige wenige
unzusammenhangende Beobachtungen Vorlagen, den fruchtbaren Ge-
danken aussprachen, dass die Atome radioaktiver Substanzen unbe-
standig sind, dass m jeder Sekunde ein bestimmter Bruchteil der
vorhandenen Atome seine Stabilität verliert und mit explosions-
a„tlgff .Qewalt kr allt, ein Vorgang, der als Begleiterscheinung eine
ununterbrochene Strahlung zeigt. Der Rest eines solchen zerfallen¬
den Atoms erscheint um einen bestimmten Bruchteil, d. h. um das
ausgeschleuderte Teilchen leichter als das unversehrte bisherige
Atom. Der zuruckbleibende Rest des Atoms wird Zerfallsprodukt
genannt. Er schliesst sich sofort zu einem neuen Atomgebilde zu¬
sammen, das von der Muttersubstanz in chemischer und phvsi-
kähscher Beziehung völlig verschieden ist. Während das ursprüng-
hche Element einen festen Körper darstellte, kann sein Zerfalls-
produkt beispielsweise gasförmig sein, es kann die Umwandlung des
einen Elementes in tausenden von Jahren vor sich gehen, die seines
Kindes oder Enkels in Tagen oder Minuten.
»«*2 VprAr^g ,mit Lichtbildern und Experimenten, gehalten am
14. Marz 1914 in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
2
2170
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 44.
Was versteht man nun eigentlich unter Radioaktivität? Zu¬
nächst nichts anderes als die Eigenschaft bestimmter Elemente, spon¬
tan Strahlen auszusenden, welch letztere allerdings besondere Eigen¬
schaften besitzen, indem sie andere, sonst undurchlässige Körper,
wie Metalle u. dergl. mit Leichtigkeit durchdringen, Eigenschaften,
die wir an den bis dahin bekannten Strahlungserscheinungen wie
Licht- und Wärmestrahlen nicht kennen.
Während das 19. Jahrhundert im wesentlichen dem Physiker
und Chemiker das Wesen der Materie erweitern half, indem es die
äusseren Eigenschaften der Atome, die atomistische und molekulare
Architektur, und das Studium zusammengesetzter Gebilde, der Mole¬
küle, vermittelte, so brachte das Ende des Jahrhunderts uns mit der
Erkenntnis der Radioaktivität etwas ganz neues. Bisher waren die
Atome dem Naturwissenschaftler das Gleiche wie die Bausteine dem
Architekten: die Einheiten für sein Gebäude, die in unbegrenzter
Mannigfaltigkeit zu immer neuen Formen und Verbindungen zu¬
sammengeschlossen werden konnten. Erst der radioaktiven Forschung
war die Erkenntnis Vorbehalten, dass das chemische Atom doch nicht
das kleinste unteilbare Ganze sein könne, wie der Name „äiufxos“
eigentlich verlangt.
Die Radioaktivität brachte den Einblick in die innere Struktur
der alten Bausteine, sie zeigte uns ein Innenleben dieser Gebilde, mit
dem gewaltige Energien verknüpft scheinen. Das Atom müssen
wir uns als ein kleines Weltall für sich denken, in dem eine un¬
geheure Zahl kleinster Massenteilchen elektrischer Energie vereinigt
ist, die sich in oszillatorischer oder kreisförmiger Bewegung be¬
finden.
Diese Energie der Atome wird bei den radioaktiven Umwand¬
lungen frei, indem jedesmal Strahlen in den Raum hinaustreten.
Die Geschichte der Radioaktivität geht zurück auf das Jahr 1895
und hat ihren Ausgangspunkt in der Entdeckung der X-Strahlen
durch Röntgen, die in engem Anschluss an die bekannten Erschei¬
nungen G e i s s 1 e r scher Röhren gefunden wurden, nachdem der
Kieler Physiker L e n a r d die von ihm zuerst beobachteten Kathoden¬
strahlen der Vakuumröhre experimenteller Forschung zugänglich ge¬
macht hatte. Die grosse Bedeutung der Röntgenstrahlen ist heute
unbestritten. Ihre merkwürdigen Eigenschaften, sie traten durch die
Glaswand heraus, durchdrangen die Metalle etc., lenkten die Augen
der ganzen wissenschaftlichen Welt auf sich. Die angestellten Unter¬
suchungen erstrebten Aufschluss über die Eigenschaften dieser Strah¬
len, also auch über ihre Natur und ihren Ursprung. Man fand den
Zusammenhang zwischen den Kathoden- und Röntgenstrahlen. Im
Jahre 1897 konnte J. J. Thomson endgültig den Nachweis er¬
bringen, dass die Kathodenstrahlen aus einem Strom von Partikeln
bestehen, die negativ geladen sind und sich mit grosser Geschwindig¬
keit bewegen.
Diese Teilchen haben eine scheinbare Masse von nur Visoo der¬
jenigen des Wasserstoffatoms und stellen somit die kleinsten bisher
bekannten Körper dar — wir bezeichnen sie als Korpuskeln oder
Elektronen. Sie sind offenbar ein Bestandteil aller Materie und aus
ihnen können wir uns die Atome zusammengesetzt denken.
Nun fand man leicht eine Hypothese für das Wesen der Röntgen¬
strahlen.
Prallen die negativ geladenen Kathodenstrahlen, d. h. die eben
gezeichneten Elektronen mit ihrer ungeheuren Geschwindigkeit, die
200 000 bis 300 000 Kilometer per Sekunde beträgt, auf die Glaswand
— also Materie — oder die Antikatode auf, so wird der umgebende
Aether in Erschütterung versetzt. Es werden ihm eine Reihe un¬
regelmässiger Impulse aufgezwungen, die wir als Röntgenstrahlen
wahrnehmen. Die Impulse sind nicht periodisch. Die weiteren Folge¬
rungen dieser Hypothese der Aetherimpulse zur Erklärung der Rönt¬
genstrahlen waren ein ausserordentliches Durchdringungsvermögen
der Strahlen, das Fehlen der direkten Reflexion, der Brechung und
Polarisation.
Diese neue wissenschaftliche Erkenntnis hatte unvermutet noch
wichtigere Folgen in ganz anderer Richtung. Unmittelbar nach der
Entdeckung stellte man die Vermutung auf, dass die Aussendung und
Bildung der Röntgenstrahlen im Zusammenhang stände mit der Phos¬
phoreszenz, die durch die Kathodenstrahlen auf den Wänden der
Vakuumröhre erzeugt wird. Man kam auf die Idee, dass vielleicht
alle die Körper, die unter dem Einfluss des Lichtes phosphoreszieren,
die Eigenschaft besitzen könnten, solche X-Strahlen auszusenden.
Und so hielt man systematisch bei all diesen Körpern nach solchen
X-Strahlen Umschau.
Im Jahre 1896 fand der französische Physiker Becquerel,
als er unter anderen eine phosphoreszierende Uraniumverbindung
untersuchte, und zwar das Urankaliumsulfat, dass dieses auf eine
lichtdicht eingewickelte Platte einwirkte. Es zeigte sich bald, dass
die Schwärzung der Platte einer Strahlung zugeschrieben werden
musste, die imstande war eine Materie, d. h. das schwarze Papier,
zu durchdringen, die für gewöhnliches Licht undurchlässig ist.
Mit der Phosphoreszenz der Uranverbindung konnte jedoch diese
Strahlung nicht in Zusammenhang gebracht werden, -weil die Strah¬
lung auch dann vorhanden war, wenn das Salz in der Dunkelkammer
längere Zeit aufbewahrt wurde, d. h. also fern von den Lichtstrahlen,
die die Phosphoreszenz anzuregen hatten.
Vor allem konnte aber deshalb die Phosphoreszenz nicht die
Ursache sein, weil die Strahlen von allen Uranverbindungen aus¬
gingen, also auch solchen, bei denen niemals eine Phosphoreszenz
beobachtet wurde, dahin gehört auch das metallische Uran selbst.
Die Strahlen bezeichnete man nach ihrem Entdecker als Becque¬
relstrahlen.
Die Untersuchungen Becquerels wurden aufgenommen durch
das spätere Ehepaar Curie, die systematisch alle Mineralien und
Verbindungen untersuchten. Sie fanden, dass auch die Thorverbin¬
dungen oder thoriumhaltigen Mineralien ähnliche Strahlungserschei¬
nungen zeigten. Kurz vor ihnen hatte G. C. Schmidt diese Er¬
scheinungen beim Thorium beobachtet.
Bei der Untersuchung der Mineralien kam Madame Curie zu
einem unerwarteten Resultat. Sie untersuchte die Einwirkung der
Strahlen nach der elektrischen Methode in der Weise, dass sie zwei
parallele Platten von 8 cm Durchmesser in Abständen von 3 cm ein¬
ander gegenüberstellte. Die untere Platte wurde mit der feingepul-
verten Uran- oder Thorverbindung in dünner Schicht bedeckt und
nun der Strom untersucht, welcher infolge der Strahlung zwischen
den beiden Platten überging.
Dieser Stromübergang wird durch Bild 1 veranschaulicht. Durch
die radioaktive Strahlung werden die neutralen Luftpartikelchen in
positive und negative Ionen
zerlegt, die nun entsprechend * Elektrometer
ihrer Ladung und der An¬
ziehungskraft der positiven
oder negativen Platte an
diese Platte wandern. Nach \
dem Fundamentalsatze, dass ® ©
gleichnamige Elektrizitäten J
sich anziehen, während un¬
gleichnamige sich abstossen, — ~ - ünmiinw
entsteht sonach ein Strom,
der bei gleichbleibender Span¬
nung lediglich von der Stärke
der strahlenden Substanz ab- Bild l.
hängig ist. Indem Madame
Curie stets die gleiche Menge der zu untersuchenden Sub¬
stanz prüfte, erhielt sie somit eine Reihe von Stromwerten,
deren Grösse im absoluten Verhältnis der jeweiligen Strahlungs¬
intensität des Minerals stand. Hierbei zeigte es sich, dass einige
Mineralien einen höheren Stromwert, also grösseres Strahlungsver-
mögen aufwiesen als das metallische Uran selbst. Aus der folgenden
geschichtlich wertvollen Tabelle der Madame Curie:
B
.Batterie..
. Erde
Pechblende von Johanngeorgenstadt 8,3-10 11
„ „ Joachimsthal ... 7,0 ,
„ „ Przibram . 6,5 „
„ , Cornwall . 1,6 ,
Cleweit . 1,4 „
Chalkolith . 5,2 „
Autonit . 2,7 „
Carnotit . 6,2 „
Thorit . 0,2— 1,4 ,
Orangit . 2,0 v
Uran, welches etwas Kohle enthält 2,3 ,
Schwarzes Oxyd des Urans .... 2,6 „
Grünes Oxyd des Urans . 1,8 „
Sulfat des Urans und des Kaliums . 0,7
Acetat des Urans und des Kaliums 0,7
Phosphat des Kupfers und Urans) i- 0,9
Ampere
ergibt sich, dass einige Uranmineralien eine 4 mal grössere Strah¬
lungsaktivität zeigten als das Uran selbst.
Nun hatte Madame Curie bereits vorher nachgewiesen, dass
die Aktivität einer Uranverbindung lediglich von dem Urangehalt ab¬
hängig sei, ganz gleichgültig, in welche chemische Verbindung das
Uran gebracht wurde. Wenn also Uranmineralien existierten, die
ein grösseres Strahlungsvermögen aufwiesen als dem Prozentgehalt
an Uran entsprach, so musste die Ursache darin gesucht werden, dass
in diesen Uranmineralien noch weitere strahlende Materie vorhanden
war.
Es ist nun das grosse Verdienst der Madame Curie, diese
Hypothese nicht bloss ausgesprochen, sondern sich das Ziel gesetzt
zu haben, dieses unbekannte Strahlende zu finden. Und so unternahm
sie den kühnen Versuch, aus den Uranmineralien diese hypothetische
Materie chemisch abzuscheiden. Dank dem Entgegenkommen des
österreichischen Arbeitsministeriums konnte sie eine Tonne Uranrück¬
stände aus Joachimsthal in Böhmen für ihre Versuche verwenden.
Es waren dies die Rückstände der Pechblende, des Uranits, welche
auf Uran bereits verarbeitet waren. Nach mühsamer langjähriger
Arbeit gelang es ihr, zwei Elemente abzuscheiden, von denen eines
mit dem Wismut ausfiel, sie nannte es ihrer Heimat zu Ehren Polo¬
nium, während sie das andere, das dem Barium folgte, mit dem Worte
Radium, „das Strahlende“, belegte. Die Wahl des Namens war sehr
glücklich, weil sich sehr bald herausstellte, dass die so abgeschie¬
denen neuen Elemente das Uran an Strahlung bedeutend überlrafen.
so das Radium um das zweimillionenfache.
Besonders mühsam war die Trennung des Radiums vom Barium.
Sie gelang auch damals nicht bis zur völligen Reinheit und so wurde
das Atomgewicht, das Madame Curie zu 225 bestimmte, etwas
zu niedrig befunden.
Das Spektrum des Radiums wurde zuerst von Demarcay
untersucht. Schon 1 Jahr nach der Entdeckung des Radiums und
Poloniums fand Debierne in den Uranrückständen ein radioaktives
November 1914.
M UHNCHeNER MEDIZI NISCHE W()CH ENSCH R I FT.
21 fl
mit der Eisengruppe ausficl und dem Thorium vcr-
' andtc Eigenschaften zeigte, dem es an Strahlungsvcrmögen icdoclt
.•eit überlegen war. Dieses Element wurde AkSm SSt.
Während Madame C u r i e die Trennung des Radiums vom
larium nach der Methode der fraktionierten Kristallisation der
rhl o r 1 d exornahm, zeigte Giesel 1902, dass durch die Verwen-
iing der Bromide die Kristallisation sehr erleichtert wurde und
ass schon 6 Kristallisationen nahezu genügten.
nH<.tDmanhmmHAnheTi^etailS d<^ .Aufarbcitl,nK der Uraiiriickstände
r , f”rheS^ PTeS' ™,Ia bacultd des Sciences 1913“ von
ndd rVc h e’ f rner in den ”Wiener Berichten“ von Haitinger
.1903 konnte Marek w a 1 d, als er eine polierte Wismutplatte
.eine geeignet präparierte Radiumlösung tauchte, ein Element ab-
eShne/wurdl ^ T° UF verbunden schien und Radiotellur
Später konnte aus dem physikalischen Verhalten dieses Elemen-
s ohne irgendeine Kenntnis seiner chemischen Eigenschaften, ohne
iss es jemals wagbar in die Erscheinung trat, gefolgert werden,
iss es mit dem 1 olonium der Madame Curie identisch sein musste.’
eide Elemente waren von derselben kurzen Beständigkeit, d. h.
e verwandelten sich nach 136 Tagen zur Hälfte in ihre Zerfalls-
odukte und nur hieraus wurde ihre Identität gefolgert
Den Untersuchungen Hahns um 1905 und den folgenden Jahren
.rdanken wir die Kenntnis des Mesothoriums und Radiothoriums
s Zerfallsprodukte der Thoriumreihe.
Im Jahre 1907 entdeckte Boltwood das Vorhandensein einer
eiteren radioaktive,, Substanz in den Uranm?neraHen die Tr Ionium
.nnte. Sie lasst sich vom Thorium nicht trennen und konnte später
s der direkte Vorfahre des Radiums nachgewiesen werden.
Erst im Jahre 1911 gelang es der Madame Curie reines metal-
ches Radium abzuscheiden. Sie unterwarf eine bestimmte Menge
idiumchlond der Elektrolyse, indem sie metallisches Quecksilber
’ ^atAhL°^e .verwendete, es bildete sich ein Radium-Arnaleam
irch Abdestillieren des Quecksilbers gelangte sie schliesslich dahin
fElem ebSrtWRadieummeta NiederschIag zurückblieb, es war
ii,'nHe.KgeSnChichtl^7e ?/eber.fic,lt sowie eine Zusammenstellung der
tuptlehrbucher und Zeitschriften findet sich am Ende der Abhand-
nnDiernVnJ0lgende Einführung in die Physik der Radioelemente
nn natürlich nur in grossen Zügen einen Ueberblick gestatten, dem
ederteSjstreibUng dCF Messmstrumente und Messmethoden ange-
Die Radiumphysik kennt heute nicht weniger als 37 strahlende
miente, die in enger Verwandtschaft miteinander verknüpft sind,
der Spitze steht das Urelement Uran mit dem Atomgewicht 238.
;ses Element verwandelt sich über einige Zwischenprodukte, im
Tierei! aber ,das. bekannte Ionium in das von Madame Curie
~ re 1898 gefundene Element Radium, dessen Atomgewicht 226
ragt. Das Zerfallsprodukt dieses wichtigen Elementes ist ein gas-
miger Körper, die Radiumemanation mit dem Atomgewicht 222
;se wieder verwandelt sich in kurzer Zeit in weitere Elemente!
als feste Niederschläge unter dem Namen Radium A-F be-
mt sind. Das Radium F ist identisch mit dem ebenfalls von Ma¬
rie C u r i e 1898 gefundenen Element Polonium, und dieses wandelt
1 voraussichtlich wieder in das gewöhnliche Element Blei. Eine
iz ähnliche Abstufung und Umwandlung ist bei zwei weiteren
loaktiven E ementen, dem Thorium und Aktinium, bekannt. Die
roaktiven Elemente in ihren Abstufungen besitzen verschiedenes
imgewicht und spezielle chemische Eigenschaften. Ihr wesent-
ister Unterschied charakterisiert sich durch ihr verschiedenes
ahlungsvermogen, das nicht bloss durch grundverschiedene Strah-
gsarten in die Erscheinung tritt, sondern vielmehr auch durch
e wechselnde Reichweite gleichgearteter Strahlungskomplexe,
unterscheiden sich ferner sehr wesentlich durch eine Zeitkonstante
zum Ausdruck bringt, innerhalb welcher Zeit die Umwandlung
Elemente zur Hälfte vor sich geht. In einer Tabelle sind alle bis
te bekannten Radioelemente, ihre Eigenschaften und Konstanten
n den neuesten Angaben zweckentsprechend zusammengestellt.
Die Umwandlung der Elemente lässt sich nach der grundlegen-
,.°I.ie von Rutherford und Soddy dadurch erklären,
S t,die t/ ernen*e 0'nem dauernden Atomzerfall unterworfen sind,
eher Vorgang bei dem einen Element rascher, bei dem anderen
isamer verläuft. Während das Uran sich zur Hälfte in Millionen
ren, das Radium in 2000 Jahren umwandelt, kennen wir Zerfalls-
oukte, die in wenigen Tagen — so die Radiumemanation in
lagen — oder solche, die in wenigen Sekunden — wie die Thor-
na IOf ^ Sekunden — zur Hälfte in ihre weiteren Abkömm-
c zerfallen. Dieser Wandlungsvorgang geschieht nun mit einer
trugen Stosskraft, dass das jeweils betroffene Atom vollkommen
■prengt wird und weiter mit einer solchen Energie, dass unsere
Tuschen und physikalischen Machtmittel diesem Vorgänge voll-
imen hilflos gegenüberstehen. Wir können den Umwandlungs-
■tang weder beschleunigen, etwa durch Anwendung grösster Tem-
ituren, noch langsamer gestalten durch Anwendung grösster
egrade. Mit eherner Gleichmässigkeit gelangt die im Atom auf-
’eicherte Energie zum Durchbruch; die ursprünglichen Atome
euaern winzige Strahlenteilchen heraus und die verbliebenen
scl'J.lcssclli sicb sofort zu einem neuen Energiezentrum,
d prC7 prftn6!! zusammen. Besonders auffallend ist es, dass
tripivh™." - der J^d'oaktiven Elemente nicht bloss von einer einzigen
üihlmdSI!!rn Strahlung begleitet ist, sondern dass neben positiv
U a^enen,.R°.rpu5ku,aJ'stra,llen auch noch negative Elektronen frei
beJÄt ^inHini deriRe.Kei von- ,weiteren Strahlungserschütterungen
£Ie^ ?md> dlp als dritte wichtigste Strahlenart in der Therapie
nnLr^ahf-,d°*T1"i,di,-ei Hauptrol!e zu spielen berufen scheint. Man
und6 y-sfrahlen3^11 *Ch W1C lm Röntgenrobr 3 Strahlenarten: a-, ß-
sammenge^el'l'r. 1 ^ diC Eigenschaften der 3 Strahlenarten zu-
Strahlen
Grosse
Geschwindigkeit
Natur
(X
ß
y
Wasserstoffatom
V 1800 des Wasser-
stoffatomes
.
20 000 km pro Sek.
200 000 -300 000 km
pro Sek.
Heliumatome (4)
(materielle Natur)
Elektronen
Aetherimpulse
positiv
negativ
Bild 2.
Wir erkennen, wie die a-Strahlen nichts anderes als Helium¬
atome sind, bewaffnet mit positiver Ladung und dem Atomgewicht 4
elementSShSteUsomitnS emeS S°'Chen Heliumatoms au^ dem Radium-
die Verringerung
des jeweiligen
Atomgewichtes um
die Zahl 4 zur
Folge.
Entsprechend
ihrer verschie¬
denen Natur lassen
sich die 3 Strahlen¬
arten im Magnet¬
felde auseinander¬
ziehen, wie Bild 2
erkennen lässt.
Da die Strah¬
len entsprechend
ihrer verschieden
grossen Energie
auch ein ungleiches Durchdringungsvermögen gegenüber anderen
Körpern, wie Luft, Metallen etc., besitzen müssen, so kann man sie
mit Hilfe von Metallfiltern aussieben. Während die a-Strahlen be¬
reits von Luft-, Papier- oder feinsten Metallschichten absorbiert
werden, können die negativen ^-Teilchen noch bis zu 2 mm Blei¬
schichten durchdringen, ehe sie vollkommen aufgehoben sind. Hin¬
gegen haben die y-Strahlen dann erst einen Bruchteil, etwa 18 Proz.,
ihier Energie eingebüsst. Will man z. B. ein Radiumpräparat nur
hinsichtlich seiner y-Strahlen messen, so braucht man zwischen Mess¬
instrument und Präparat lediglich einen Bleifilter von der Stärke
einiger Milimeter aufzustellen, wie dies unten genauer beschrieben
wird.
Durch derartige Bleifilter wird dann die gesamte a- und ^-Strah¬
lung absorbiert. Da bei der Bestrahlungstherapie in der Hauptsache
nur mit den y-Strahlen operiert wird, so ist es wichtig, die Energie
der einzelnen Strahlenarten zur Gesamtenergie eines Präparates
festzulegen. Das Verhältnis kann ungefähr wie folgt angesetzt wer¬
den: 90 Proz. müssen wir der cc-Strahlung, 9 Proz. der /J-Strahlung
und nur 1 Proz. der y-Strahlung zuschreiben, wenn das Ra¬
diumsalz vollkommen unbedeckt, also ohne jeden
Filter untersucht wird.
Man ersieht ohne weiteres, dass schon aus diesem Grunde für
Bestrahlungszwecke speziell bei Tumoren sehr starke Präparate zur
Verfügung stehen müssen, meist 100 mg, weil unter Benutzung ledig¬
lich der y-Strahlung ja nur 1 Proz. der Gesamtenergie zur Wirkung
gelangt. Benutzt man noch die härtesten ^-Strahlen, so erhöht sich
die Ausnutzung doch nur um wenige Prozent. (Schluss folgt)
Bücheranzeigen und Referate.
J. R o s m a n i t, Chefarzt der österreichischen Südbahn in
Wien: Anleitung zur Feststellung der Farbentüchtigkeit. Mit 8 Ab¬
bildungen im Text und 6 lithographischen Tafeln. Leipzig und Wien
Franz Deut icke, 1914. Preis 7 M.
Die Anleitung Rosmanits stellt ein Buch von 193 Seiten dar.
Es werden in einer theoretischen Einführung die verschiedenen Far¬
bensysteme: die dichromatischen, das normale und die anomalen
trichromatischen Systeme besprochen. Insbesondere geht R. auf die
anomale Trichromasie ein : auf die Geschichte ihrer Erkenntnis und
insbesondere auch auf ihre für die Diagnose und die Praxis wichtigen
sekundären Merkmale. Ein grosser Teil des Werks ist der Be¬
schreibung des Nagel sehen Anomaloskops und der Anweisung zum
Gebrauche desselben gewidmet, wobei der Verfasser auf reiche eigene
Erfahrung zurückgreifen kann. Eine spezielle Methodik der Farben¬
sinnprüfung mit Zuhilfenahme der verschiedensten Untersuchungs¬
methoden, die praktische Beurteilung der Farbensinnstörungen, die
Bewertung der S t i 1 1 i n g sehen und Nagel scheu Tafelproben sind
2*
2172
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 44,
besonders wertvoll für die Praxis der Untersuchung auf Farben-
störungen. , . . ,
Das Werk ist besonders für Spezialisten geschrieben, die sich
eingehender mit der schwierigen Untersuchung von Farbensinnstö¬
rungen zu befassen haben und wird insbesondere durch die Berück¬
sichtigung der Untersuchung mit dem N a g cl sehen Anomaloskop
für diese von grossem Werte sein. F 1 e i s c h e r - Tübingen.
Handbuch der Gesundheitspflege an Bord von Kriegsschiffen.
Hcrausgegeben von Marineoberstabsarzt Dr. M. zur Verth, Ma¬
rineoberstabsarzt Dr. Bentmann, Marinegeneralarzt Dr. Dirk-
sen und Marinegcneralarzt Prof. Dr. Rüge. Jena. Verlag von
Gustav Fischer. 1914. 2 Bände, Preis 40 M.
Das vorliegende, in 2 stattlichen Bänden erschienene Werk ist
bestimmt, eine empfindliche Lücke in der medizinischen Literatur
auszufüllen. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes ist eine ein¬
gehende Würdigung durchaus am Platze.
Eingeleitet wird das Handbuch durch einen Abriss der Geschichte j
der Schifishygiene, der den bekannten Rüge als Verfasser hat. In |
fesselnder Weise führt uns der Verfasser ein in die Zustände an
Bord während der vergangenen Jahrhunderte. Aus den nicht reich¬
lich ilicsscnden Quellen hat der Verfasser mit grossem Fleisse alles
das herausgesucht, was uns ein Bild von dem damaligen Bordleben
zu geben vermag. Wir lernen die Verpflegung und Unterbringung
von Gesunden und Kranken kennen. Furchtbar sind die Verluste,
die fast alle Schiffe bei längeren Fahrten durch die Schiffsseuchen
erlitten. Furchtbarer umsomehr, als sie zu einem grossen Teile zu
vermeiden waren, wenn einige bedeutende Schiffsärzte mit ihren aus¬
gezeichneten Vorschlägen im Kampfe gegen Gleichgültigkeit und Un¬
verständnis der Behörden siegreich gewesen wären. Besonders reiz¬
voll wird das Kapitel dadurch, dass in ausgiebiger Weise Aerzte der
verschiedensten Zeiten selbst zu Worte kommen.
Auf den nächsten 320 Seiten hat der Marinegeneralarzt Dr. D i r k-
s e n das moderne Kriegsschiff als Wohn- und Arbeitsraum behandelt.
Auch nur andeutungsweise den Inhalt dieses Kapitels wiederzugeben,
ist im Rahmen eines Referates unmöglich. Ich kenne aber keinen
Zweig dieses so umfangreichen Gebietes, der nicht auf das ein¬
gehendste besprochen worden ist. Ja an manchen Stellen möchte
man sagen, dass weniger vielleicht mehr gewesen wäre, ich denke
dabei besonders an den Abschnitt über Maschinen. Doch dürfte durch
diesen kleinen Schönheitsfehler der Wert der ganzen Arbeit nicht
beeinträchtigt werden, umsoweniger, als zahlreiche Angaben über
wichtige hygienische Fragen den Niederschlag eigener nichtveröffent-
lichter Untersuchungen darstellen. Durch zahlreiche Abbildungen,
Kurven und Tabellen wird das Verständnis dieses ebenso wichtigen
wie schwierigen Kapitels erleichtert.
Hygienisch sehr wichtig sind die beiden nächsten. Sie haben
als Verfasser den Marineoberstabsarzt Dr. Riegel. Das erste ist
der Luft im Kriegsschiff und den Belüftungseinrichtungen gewidmet,
während im zweiten Heizung, Beleuchtung, Wasserversorgung, Bade-
und Wascheinrichtungen, Eisbereitung und Kälteerzeugung, Beseiti¬
gung der Abfallstoffe und die Ungeziefervertilgung besprochen sind.
Auch diese beiden Kapitel haben eine sehr eingehende und sorg¬
fältige Bearbeitung erfahren. Ihr gründliches Studium scheint mir
für jeden Schiffsarzt unerlässlich, zumal es durch eine fesselnde
Schreibweise sehr erleichtert wird.
Dasselbe lässt sich auch von dem Kapitel über die Hygiene des
Dienstes an Bord von Kriegsschiffen mit Marinegeneralarzt Dr. U t h e-
m ann als Verfasser, sowie den Anhängen zu diesem Kapitel über
Torpedoboots- und Unterseebootshygiene von dem Marinestabsarzt
Dr. Wessel und über Taucherhygiene von dem Marinestabsarzt
Dr. Valentin sagen. Durch diese Aufsätze wird der Neuling in
das weitverzweigte Getriebe des Bordlebens eingeführt und lernt
die Anforderungen kennen, die in jedem Dienstzweig gestellt wer¬
den müssen.
Im 6. Kapitel behandelt der amerikanische Marinearzt Dr. Beyer
die Ernährung an Bord von Kriegsschiffen, ein Kapitel, das den
Schiffsarzt in seiner Eigenschaft als Mitglied der Verpflegungskom-
mission besonders angeht. Berücksichtigt sind die Physiologie der
Ernährung, die Zusammensetzung und der Wert der verschiedenen
Nahrungs- und Genussmittel, die Zubereitung von Konserven und
vieles andere mehr, alles Fragen, die an einen Schiffsarzt jederzeit
herantreten können. Eine Zusammenstellung der Beköstigungs¬
portionen sämtlicher Marinen der Erde bildet den Abschluss und
ermöglicht die Anstellung interessanter Vergleiche.
Bei der Alkoholfrage in der Marine haben die Herausgeber
einen Anhänger der gemässigten Richtung (Beyer) und einen völlig
abstinenten (Marineoberstabsarzt Dr. Buchinger) zu Worte kom¬
men lasse«. Wenn erfreulicherweise der Alkohol in den täglichen
Rationen nicht mehr zu finden ist, auch der wirkliche Wert des
Alkohols kaum noch überschätzt werden dürfte, so ist die doppelte
Besprechung dankbar zu begrüssen, weil die Worte eines völlig
Abstinenten bei sehr vielen schwerer Gehör finden wie die eines
der gemässigten Richtung angehörenden Vertreters. Das Resultat
in der Wertschätzung des Alkohols ist bei beiden das gleiche. Be¬
sonders der kurze, ernste und ruhige Aufsatz von Dr. Beyer ver¬
dient eine eingehende Würdigung. Erfreulich für uns Deutsche ist
das Ergebnis der seinen Ausführungen beigegebenen Tabelle, in der
die Erkrankungen und Todesfälle infolge Alkoholmissbrauch in den
Marinen von Deutschland, England und Amerika zusammengestellf
sind. Die Besprechung der Bekleidung an Bord von Kriegsschiffen
hat ein Hygieniker von Fach, Prof. Dr. P. Schmidt, übernommen
dem über dieses Gebiet eigene Beobachtungen und Erfahrungen zui
Verfügung stehen. Schon dadurch ist für die Güte der Arbeit Gewähr
geleistet. Im nächsten Kapitel behandelt Marineoberstabsarzt Dr
Stab y den Krankendienst an Bord von Kriegsschiffen. Wir lernen
nicht nur die Einrichtungen eines Schiffslazarettes kennen, sondern
auch die Schwierigkeiten, den am besten geeigneten Platz für seine
Unterbringung zu finden. Vermisst habe ich nur ein Eingehen aui
Dinge, die an sich unerheblich, für den Schiffsarzt aber von grosser
Bedeutung sind, ich erwähne nur die Konservierungsmethoden der
leicht verderblichen Ausrüstungsgegenstände.
In den jetzigen Zeiten besonders wertvoll ist das 9. Kapitel. Ir
ihm bespricht Marineoberstabsarzt zurVerth den Gefechtssanitäts¬
dienst an Bord von Kriegsschiffen, die allgemeine Seekriegschirurgie
Nach einer Schilderung der in Frage kommenden Geschosse erfahret
in erster Linie die Ergebnisse des russisch-japanischen Krieges an der
Hand zahlreicher Tabellen und Abbildungen eine eingehende Wür¬
digung. Auf Grund dieser Erfahrungen gibt der Verfasser dem
Schiffsarzt Ratschläge darüber, wie er am besten seine Vor¬
bei eitungen für ein Seegefecht zu treffen hat. Ein Merkblatt für die
Mannschaft über ihr Verhalten im Gefecht hat bereits dadurch seine
Anerkennung von seiten des Reichsmarineamtes gefunden, dass e>
in zahlreichen Exemplaren unter die Mannschaft verteilt worden ist
Ebenso dankenswert ist es, dass ein Sonderabdruck des-ganzei
Kapitels mit seinen Anhängen in grosser Zahl unter die Marine¬
sanitätsoffiziere verteilt worden ist.- Diese Massregel war ums<
erfreulicher, als bisher im Gegensatz zur Landarmee die Marine
eine Kriegschirurgie nicht besitzt. In den erwähnten Anhängen liai
die Einrichtung eines Lazarettschiffes, die Genferkonvention und Sa¬
nitätsrecht im Seekrieg und endlich die freiwillige Krankenpflege in
Seekriege Besprechung gefunden.
Den Schluss des ersten Bandes bildet ein Kapitel über Sanitäts¬
dienst bei Landungen und Expeditionen, besonders in den Tropen
von den Marineoberstabsärzten Dr. S t a b y und zur Verth. Auel
sein Inhalt wird gerade in jetziger Zeit dem Sanitätsoffizier wert¬
volle Dienste leisten, da es alles enthält, was für ihn zu wisssen
wert ist.
Der ganze zweite Band ist der Krankheitsverhütung an Bord
von Kriegsschiffen gewidmet.
Im ersten Kapitel, dem allgemeinen Teil, hat Marineoberstabs¬
arzt Dr. Bentmann in einer Reihe von Tabellen und Kurven die
gesundheitlichen Verhältnisse in der Marine von allen Seiten be¬
leuchtet. Aus der Fülle der Tatsachen sei nur die erwähnt, dass für
die Mortalität in der Marine auch heute noch die Tuberkulose die
erste Rolle spielt, dass sie aber als Entlassungsgrund durch die Herz-
und Gefässerkrankungen völlig in den Hintergrund gedrängt ist. Mil
scharfer Kritik sind dann die gesundheitlichen Verhältnisse in der
verschiedenen Marine« gegenübergestellti eine Kritik, die umsc
nötiger ist, als ja die Gesundheitsberichte der verschiedenen Mariner
natürlich nicht von denselben Gesichtspunkten bearbeitet werden
Besprochen werden die Krankheiten und Krankheitsursachen an Bore
vor, Kriegsschiffen, endlich die allgemeinen Gesichtspunkte für die
Krankheitsverhütung. Besonders werden die Momente berücksichtigt
auf die bei der Einstellung und bei der Untersuchung auf Bord- und
Tropendienstfähigkeit zu achten ist.
Die weiteren Kapitel sind der speziellen Krankheitsverhütung ge¬
widmet. Um dieses Referat nicht zu umfangreich werden zu lassen
muss ich mir versagen, näher auf die einzelnen Kapitel einzugehen und
werde nur den Inhalt mit dem Namen der Verfasser wiedergeben.
Alle aber sind so geschrieben, dass der Schiffsarzt sämtliche Fragen
beantwortet findet, die an ihn herantreten können.
Verhütung von übertragbaren Krankheiten an Bord von Kriegs¬
schiffen von Marineoberstabsarzt Dr. Bentmann.
DiQ Desinfektion an Bord von Kriegsschiffen von Marineober¬
stabsarzt Dr. Riegel. i
Verhütung von Krankheiten der Ernährungsorgane, von Stoff¬
wechsel- und Blutkrankheiten und von Vergiftungen von Marine¬
oberstabsarzt Dr. Weber.
Verhütung der Tuberkulose, der Krankheiten der Atmungsorgane,
der Kreislaufs- und Harnorgane von Marineoberstabsarzt Dr. Wiens.
Verhütung von Nerven- und Geisteskrankheiten von Marine¬
oberstabsarzt Dr. Auer.
Verhütung der mechanischen Verletzungen, der chirurgischen In¬
fektionskrankheiten und der Krankheiten der Bewegungsorgane von
Marineoberstabsarzt Dr. zur Verth.
Verhütung von Haut- und Geschlechtskrankheiten von Marine¬
oberstabsarzt Dr. Rost.
Verhütung der Krankheiten des Auges von Marineoberstabsarzt
Prof. Dr. 0 1 o f f. V-y
Verhütung der Krankheiten des Gehörorganes von Marineober¬
stabsarzt Dr. Huss.
Grundzüge der Fleischbeschau an Bord bei der Schlachtung ein¬
heimischer und tropischer Schlachtticre von Obertierarzt Prof. Dr.
Ginge. ~ ;|4.J
Fasse ich mein Urteil über das vorliegende Werk zusammen, so
kann ich es am besten durch den Wunsch zum Ausdruck bringen,
dass es nicht allein in Aerztekreisen, sondern auch in allen anderen
3. November 1914.
MüKNCHKNKR MEDIZINISCHE WOCH ENSC H R I F'l
Maiinekreisen, sowohl der Kriegs- wie der Handelsmarine, die Be¬
achtung und Verbreitung finden möge, die es verdient. Ich bin
überzeugt, dass das Werk sehr bald zum eisernen Bestände jedes
Kriegsschiffes gehören wird. Vielleicht gelingt es ihm, Verständnis
und Interesse für hygienische Fragen auch in solche Kreise hinein¬
zutragen, die ihnen bisher im besten Falle gleichgültig gegenüber¬
stehen. Bohne- Hamburg.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Iinniunitätsforsciuing und experimentelle
Therapie. 22. Band. 1. Heft. (Auswahl.)
S. Kjaergaard-Kopenhagcn: Ueber Abderhaldens
Qra\ iditätsreaktion, ihre Methodik und Spezifität, Untersuchungen
von gesunden Frauen post- und prämenstruell.
Verf hat mit der verbesserten Technik Abderhaldens seit
dem Frühjahr 1913 Sera von ungefähr 300 Personen untersucht. Er
kommt zu dem Schlüsse, dass jedes Serum proteolytische Eigen¬
schaften für Plazentagewebe hat und dass daher der Unterschied in
Jer Abderhalden sehen Reaktion zwischen Graviden und Nicht¬
graviden quantitativer Natur ist. Bei den Versuchen ist deshalb
grosses Gewicht auf die Reaktionszeit, auf die Menge von Plazenta
und auf die Menge und die Konzentration des Serums zu legen
Wahrend der Gravidität findet eine merkbare Erhöhung der proteo¬
lytischen Eigenschaft des Serums statt, jedoch gibt es eine Reihe von
Leiden (Krebs, Achylie etc.), bei denen die Proteolyse gesteigert ist,
so dass Serum von solchen Patienten stärker reagieren kann als
die am schwächsten abbauenden Sera von Graviden. Eine negative
Reaktion nach 16 ständiger Dialyse spricht stark gegen progressive
Gravidität. Ein positiver Ausfall ist jedoch aus den obigen Gründen
von weit geringerem diagnostischem Wert.
E. Levy und H. D o 1 d - Strassburg: Weitere Versuche über
Immunisierung mit desanapliylatoxiertem Bakterienmaterial.
Die Verfasser haben in Band 19 d. Zschr. gezeigt, dass man
:ine wirksame Immunisierung erzielen kann mit Bakterien, denen
iurch wiederholte Aufschwemmung in frischem Meerscnweinchen-
erum die Anaphylatoxine, die zweifellos an den krankhaften Be¬
gleiterscheinungen der aktiven Immunisierung schuld sind, entzogen
vurden. Da sich Typhusbazillen jedoch erst durch 10 maligen
;erumwechsel desanaphylatoxieren Hessen, so haben sie nach dem
’organg von D o 1 d und A o k i spezifisches Serum verwendet, wo-
lurch der Prozess wesentlich abgekürzt wird. Die Prüfung der so
:ewonnenen, in Granula zerfallenen Bakterien ergab im Tierexperi-
uent eine sehr befriedigende Ausbeute an bakteriziden und agglu-
inierenden Antikörpern. Aus diesem Grunde hielten die Verfasser
ich wiederum für berechtigt, dieses Material zur Schutzimpfung
on Menschen zu verwenden. Die Resultate waren msoferne sehr
efriedigend, als nur sehr geringe Folgeerscheinungen mit leichten
’emperatursteigerungen zu bemerken waren. Vorläufig hat der
mpfstoff noch den Nachteil, dass er jedesmal ad hoc hergestellt
.erden muss und sich dadurch zu Massenimpfungen noch. nicht
ignet. L. Saathoff - Oberstdorf.
Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie.
314, Heft 9.
C. Rose-Erfurt: Eine Grundursache der Harnsäureiibersätti-
ung beim Menschen.
Verf. hat an sich selbst sehr ausgedehnte und mühsame Unter¬
teilungen angestellt über die Abhängigkeit der Harnsäuremenge und
es Harnsäurelösungsvermögens des Harnes von der Nahrung. Er
nd, dass beide in innigem Wechselverhältnis zum Basengehalt der
ahrung stehen, gleichgültig, ob es sich um tierische oder pflanzliche
ahrungsmittel handelt. Massgebend ist allein der Ueberschuss von
lorganischen Säuren oder Basen. Mit einseitiger Brotnahrung kann
an ebenso eine Gicht hervorrufen wie mit einseitiger Fleischnahrung,
ja Gegensatz dazu sind die basenreichen Kartoffeln und Bananen
iradezu Heilmittel für Gicht- und Harnsäurediathese. Purinarm
aucht die Nahrung nicht zu sein, wenn nur ihr Basengehalt gross
t. Denn wenn auch die absolute Harnsäureitienge steigt, so sinkt
ich nicht die Harnsäurelöslichkeit und ein Gichtanfall bleibt aus.
L. Jacob- Wiirzburg.
Zeitschrift für Tuberkulose. Band 22, Heft 6.
.1 o b 1 i n g und Petresen - New York: Ueber die Ursache der
berkulösen Verkäsung.
Ein kurzer Bericht über Ergebnisse von experimentellen Arbeiten
er Fettsäuren in Tuberkelbazillen und in verkästem Drüsenmaterial,
e Einzelheiten, die für den Bakteriologen mehr Interesse haben als
" den Praktiker, sind nachzulesen.
Lau- Berlin: Ueber menstruelle Temperatursteigerungen bei
mgentuberkulose.
Die Untersuchungen des Verf., gemacht in der Lungenheil-
itte Ruppertshain, führten zu dem Ergebnisse, dass menstruell auf-
itendes Fieber keinen diagnostischen Wert hat.
A. F a g i u o 1 i - Catania : Versuche einer doppelseitigen Pneumo-
iraxbehandlung.
Bericht über die im Titel genannten Versuche. „Die gleichzeitige
legung des Pneumothorax auf beiden Seiten hat niemals irgend-
2173
welche Störungen gebracht, abgesehen von einer geringen Atemnot,
die besonders im Beginn der Behandlung zu beobachten war.“
M a n n h e im e r - New York: Ergänzender Bericht über Patien¬
ten, die vor über einem Jahre mit Injektionen der Friedmann-
sehen Vakzine behandelt wurden.
Der Bericht bestätigt das jetzt wohl allgemeine Urteil, dass
das r riedmann sehe Mittel nicht empfohlen werden kann.
S t e r n - 1 annenberg: Zur Frage der Disposition zur Lungen¬
tuberkulose.
P®r Verf. sucht auf 2K Seiten nachzuweisen, „dass die tuberku¬
löse Infektion primär sich auf derjenigen Seite entwickelt, wo eine ge¬
wisse Degeneration, sei es eine primäre Bildungsanomalie, wie Nävi,
Verrucae, oder eine erworbene pathologische Veränderung, wie
Irauma, Drüsenerkrankung, sich findet.“
Liebe- Waldhof Elgershausen.
Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. Bruns.
93. Band, 2. Heft. Tübingen, Laupp, 1914.
Aus der chirurgischen Klinik zu Leiden referiert J H. Zaaijer
über ein Dauerresultat einer autoplastischen Nierentransplantation
bei einem Hunde und berichtet darin über seine Methode dieser
Operation und über einen Hund, der nun mehr als 6 Jahre in voll¬
kommener Gesundheit mit der einen transplantierten Niere lebt.
. Aus der Baseler Klinik gibt H. Heinz eine Arbeit über Poly-
posis recti. H. bespricht sowohl die reinen Schleimhautpolypen, als
die von mehr adenoidem Bau und schildert einen Fall von Polyposis
ventr. aus de 0 u e r v a i n s Klinik, bei dem die Diagnose gestellt,
der 1 umor exstirpiert und makroskopisch und mikroskopisch näher
untersucht werden konnte. Die Röntgenuntersuchung erscheint für
I die Erkennung dieser hauptsächlich im unteren Drittel des Magens
und vorwiegend bei jüngeren Leuten vorkommenden Geschwülste
besonders bei solitär gestielt auftretenden von diagnostischem Wert.
Anschliessend berichtet K. über einen Fall typischen Zylinderkrebses,
der in polypöser Form aufgetreten und auch typisches Röntgenbild
lieferte.
Aus der v. A ti g e r e r sehen Klinik bespricht Alwin Ach die
Pathogenese und Therapie des Prolapsus ani und geht besonders
auf die Therapie näher ein, bei der er die Methode mit Ver¬
engerung des Sphinkter resp. Stärkung des Beckenbodens (Ka¬
re w s k i, Thiersch scher Silberdrahtring, Dieffenbach) von den
Resektionsmethoden (Rehn-Delorme etc.) und den Suspensions¬
methoden (Kolopexiemethode von Verneuil, König etc.) unter-
scheidet. A. rät, zunächst bei jedem Prolaps einen Versuch mit
der 1 h i e r s c h sehen Silberdrahtmethode zu machen. Während auch
die Rehnsche Methode gute Resultate gibt, sind die Resektions¬
methoden im allgemeinen wenig zu empfehlen und auch die bis¬
herigen Suspensionsmethoden lassen 56 Proz. Rezidive verzeichnen
(da kein richtiges Fixationsmaterial und keine entsprechenden Fixa¬
tionspunkte gegeben). Ach empfiehlt deshalb eine neue Art der
Rektopexie mit Benützung eines frei transplantierten Lappens der
Fase, lata und Fixation am Lig. Cooperi. Nach suprasymphysärem
Schnitt legt er bei Beckenhochlagerung und Anziehung des Colon pelv.
den Douglas frei und mobilisiert nach Inzision des Peritoneum rings
um das Rektum sehr weit nach unten (bis in die Nähe des Sphinkter)
und dringt zwischen Vagina und Rektum nach unten vor. Nach
Entnahme eines ca. 25 cm langen, 8 cm breiten Lappens der Fase,
lata, der unten längsgespalten wird, führt A. den einen Lappen um
das Rektum zirkulär herum und fixiert ihn mit einer grösseren
Zahl von Nähten am Rektum, den anderen bringt er zwischen Rektum
und Vagina weit nach unten und fixiert ihn am Rektum und an der
oberen Hälfte der Vagina, der Streifen wird dann extraperitoneal
gelagert, indem das Peritoneum nach Herauspräparieren und Zurück¬
lagern des Urether durch das rechte Lig. lat. bis zum horizontalen
Schambeinast unterminiert wird und hier, nachdem durch starkes
Anziehen des Faszienstreifens Rektum und Vagina soweit als möglich
nach oben gezogen, mit einer Reihe von Knopfnähten am Cooper-
schen Ligament fixiert, während der freie Rand extraperitoneal in die
Bauchdecken gelagert und hier an die Muskulatur mit Nähten be¬
festigt wird.
Der gleiche Autor berichtet aus der Münchener Klinik über sub¬
kutane Nierenrupturen, speziell die Indikationsstellung zur operativen
Behandlung. Eine Reihe von Fällen müssen auf Grund des Allge-:
meinzustandes und der objektiven Erhebungen der Operation zuge¬
führt werden, in anderen muss man mit allen klinischen Unter¬
suchungsmethoden, besonders Zystoskopie und Uretherkatheterismus
über die Art und Schwere sich Klarheit zu verschaffen suchen.
Doch bleibt der Prozentsatz nicht klein, in dem letztere versagen
und man lieber operieren soll als warten bis Urininfiltration oder
Infektion eingesetzt haben. A. hält operatives Vorgehen mit mög¬
lichst konservativer Tendenz für einen gangbaren und sicheren Weg.
In 2 Fällen gelang es ihm selbst totale Querrisse mit breiter Eröffnung
des Nierenbeckens durch Naht und Uebernähen mit dem umgebenden
Bindegewebe zur Heilung mit unveränderter Funktion zu bringen.
Weiterhin berichtet Ä. A c h über die operative Behandlung der
Wanderniere. Der operative Eingriff ist absolut indiziert bei den
höchsten Graden der Wanderniere (Ren migrans), bei denen die
Niere tief unten auf die Fossa iliaca oder ins kleine Becken tritt,
ein förmliches Mesoren sich bildet (durch die Entwicklung der Niere
in den Peritonealsack hinein), zumal wenn es zu Schmerzanfällen,
2174
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 44.
Stauungserscheinungen, H.vdronephrose kommt und diese Zustände
durch Rückenlage oder Repositionsmanöver sich nicht beseitigen
lassen. Bei der einfachen Wanderniere ist zunächst Konservative
Therapie zu versuchen und wenn diese versagt, zu operieren; ge¬
wisse Vorsicht ist besonders in den Fällen am Platz, wo die Wander¬
niere mit den Erscheinungen allgemeiner Gastroenteroptose einhei-
geht, die Pat. schwere Nervensymptome darbieten, so dass nach
einer Nephropexie oft noch andere Eingriffe (Appendektomie, Be¬
handlung des Coec. mobile etc.) in Frage kommen. — Die bisherigen
Methoden der Nephropexie kranken fast alle daran, dass die richtige
Fixationsmöglichkeit nicht gegeben ist. A. benutzt deshalb die Fascia
lata zur Fixation und geht in der Weise vor, dass er nach Frei¬
legung der Niere durch Simon sehen Lendenschnitt und Luxation
derselben an der vorderen und hinteren Seite durch die Capsula
fibrosa eine ca. 7 cm lange Inzision anlegt und von einer zur
anderen die Kapsel stumpf über die Konvexität der Niere ablöst,
dann einen ca. 20 cm langen, 6 cm breiten, dem Oberschenkel ent¬
nommenen Fascia-lata-Lappen von einer Inzision zur anderen durch¬
zieht und nun die Inzisionen vernäht (indem er dabei gleichzeitig den
Fascia-lata-Zügel an das tiefe, wie das oberflächliche Blatt der
Capsula-fibrosa-Sack eingehiillte Niere wird reponiert und die beiden
Fascia-lata-Zipfel an das tiefe, wie das oberflächliche Blatt der
Fascia lumbo-dorsalis fixiert. In 17 Fällen fand A. diese Methode
bewährt.
Ueber die Technik bei Kropfoperationen referiert A. A c h des
weiteren aus der Münchener Klinik. Die betreffenden Pat. erhalten
abends vor der Operation V2 — 1 g Veronal, 1 Stunde vor der Opera¬
tion 0,02 Pantopon subkutan, von Morphium-Skopolamin ist man in
der v. Angerer sehen Klinik abgekommen, die Lokalanästhesie
(zum Hautschnitt 3 — 4 ccm % proz. Kokainlösung) wird bevorzugt.
Bei einseitigem Kropf wird bei Frauen Kragenschnitt, bei Männern
und bei sehr grossen Kröpfen fast immer Winkelschnitt gewählt,
selbst die kleinsten Gefässe werden nach Durchtrennung von Haut
und Platysma unterbunden, Jugul. ant. und obliquae vor der Durch¬
trennung doppelt ligiert, die vorderen Halsmuskeln durchtrennt, bei
grossen Kröpfen wird Sternokleidomastoideus eingekerbt, die äussere
Kropfkapsel wird stumpf eingerissen bis zu den Venae accessor. ab¬
gelöst, nach doppelter Unterbindung der V. access. der Kropf luxiert,
nach oben hervorgehoben, die V. thyreoid. inf. etwas entfernt vom
Kropf unterbunden, dann die Thyr sup. freigelegt und im Stamm
oder den beiden Aesten ligiert, hierauf die Struma medial verlagert
und nun ausserhalb der äusseren Kapsel die V. thyreoid. inf. extra-
faszial unterbunden. Nun wird mit 2 Pinzetten durch die äussere
Kropfkapsel der Nv. recurrens freigelegt (vor oder hinter der Art.
thyreoid. inf., meist durch die Gabel der Thyr. inf. ziehend). A. hält
es für geboten, sich über den Verlauf des Nv. recurrens zu infor¬
mieren, da er sonst leicht bei der Luxation nach oben gezogen
und leicht durchschnitten oder bei der Ligatur geschädigt wird. —
Nach Unterbindung der Arterie und Freilegung des Nerven schneidet
A. am oberen Pol, hart am Kropf die äussere Kapsel ein und geht
(sich hart an die Caps, propr. des Kropfes haltend) mit stumpfer
Schere zwischen Kropf und Trachea vor und löst die Caps, propr.
neben der Trachea los — exakteste Blutstillung, mit dünnstem Kat-
gut, Naht der Muskeln, Faszie und Platysma nach Einlegung eines
Zigarettendrains — , Vereinigung der Wunde mit Michelklammern.
Bei doppelseitigem Kropf bevorzugt A. die Kocher sehe einseitige
Resektion (je nach dem Resultat der Röntgenuntersuchung) und auf
der anderen Seite wird entweder in Keilform reseziert oder bei
retrosternalem Kropf der untere Pol entfernt und Unterbindung der
Thyr. inf. vorgenommen. Tetanie hat A. danach nie gesehen. Bei
retrosternalem Kropf wird in allen Fällen der Kragenschnitt bevor¬
zugt, partielle Durchtrennung eines oder beider Sternokleidomastoidei
vorgenommen. Die Auslösung beginnt mit der Unterbindung der
oberen Gefässe, hierauf wird die Inf. unterbunden und der Nerv frei¬
gelegt, der Kropf von der Trachea abgelöst, worauf durch Zug am
oberen Pol der retrosternal gelegene Teil der Struma sich ent¬
wickeln lässt — Bei sehr grossen retrosternalen Kröpfen stellt man
sich zu Häupten des Pat.. mobilisiert mit dem eingeführten Zeige¬
finger den Kropf und hebelt ihn sukzessive mit Zuhillenahme des
zweiten Zeigefingers heraus, ev. entbindet man den Kropf mit Zu¬
hilfenahme der Kropffasszange unter seitlichen Bewegungen. Die
Anwendung des Kropflöffels vermeidet A. Bei Basedowstrumen ver¬
meidet er Jodanstrich der Haut, wählt immer den Winftelschnitt als
Zugang zum Kropf, da er das Gebiet sehr breit freilegt und eine
Abkürzung der Operationszeit ermöglicht, bei doppelseitigem Kropf
beschränkt er sich auf die Ektomie auf einer Seite, höchstens
Arterienunterbindung auf der anderen Seite, niemals Resektion oder
Enukleation (da Sekret in der Wunde zur Resorption kommen
könnte). Bei schwerem Basedow sah A. enorme Anhäufung von
Epithelkörperchen in Fällen, in denen keine Thymusdrüse vorhanden
war. Es legt dies die Frage nahe, ob dieser Befund nicht ev. den
mangelhaften Erfolg mancher Basedowoperation erklären lässt.
(Schluss folgt.)
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 42.
Dr. S t e i n t h a 1 - Stuttgart: Zur Symptomatik und Behandlung
der Patellarfraktur.
Verf. berichtet ausführlich über einen Fall von Patellarfraktur,
bei der er die Beobachtung von Dreyer bestätigt fand, wonach
durch Anlegung eines Streckverbandes bei Ausschaltung der Quadri-
zepswirkung geprüft werden kann, ob der Streckapparat völlig durch¬
gerissen ist. Die Behandlung bestand in blutiger Vereinigung beider
Bruchstücke durch Katgutnaht und Anlegung eines Streckverbandes
nach Dreyer. Am 3. Tage nach der Operation wird die Kausch-
sche Schlinge angelegt und mit Beugeversuchen begonnen. Nach
15 Tagen steht Pat. auf und geht mit Stöcken, nach 30 Tagen ist
der Gang kaum hinkend auf ebenem Boden, Streckung völlig frei.
Beugung bis 100° (im Kniegelenk). Den auffallend günstigen Hcilver-
lauf schreibt Verf. der Kombination des Dreyer sehen Streckver¬
bandes mit der Kausch sehen Schlinge zu und empfiehlt diese Me¬
thode zur Nachprüfung. E. H e i m - Oberndorf b. Schwcinfurt.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 42, 1914.
R. S c h r ö d e r - Rostock: Ueber Anatomie und Pathologie des
Menstruationszyklus. (Kurze Mitteilung.)
Aus dem regelmässigen Parallelgehen von Wachstum und Blüte
des Corp. luteum und Sekretion im Endometrium schliesst S. auf die
Abhängigkeit der Sekretion vom Corp. luteum. Statt Post- und Prä¬
menstruum und Intervall solle man entsprechend der Biologie des
Zyklus von einer proliferativen (5. — 15. Tag) und sekretorischen
Phase (15. — 28. Tag) reden. Sch. hat 709 Fälle anatomisch unter¬
sucht. 139 Fälle zeigten Entzündungszentren von akutem, rezidi¬
vierendem Charakter mit normalem Zyklus, 84 chronische Basal¬
infektionen, 21 Oberflächeninfektionen ohne Störungen des Zyklus-
ablaufcs, 33 schwerere Infektionen mit solchen Störungen, ferner 54
diffuse Hyperplasien, wo das Zyklusbild völlig verwischt war.
Letztere kommen besonders in Pubertät und Klimax vor und erklären
die hier häufigen Uterusblutungen.
Ausführlicheres soll in einer demnächst erscheinenden Arbeit ge¬
bracht werden.
A. G 0 e n n e r - Basel: Zur Frage der Intrauterinstifte.
G. hat im Gegensatz zu Opitz (Zbl. f. Gyn. Nr. 42) keine
schlechten Erfahrungen mit Intrauterinstiften gemacht. Allerdings
soll man sie nicht im Anschluss an eine grössere Operation ein-
legen G. verwendet Metallstifte mit grossen Seitenöffnungen. Sie
sind besonders bei gewissen Formen von Sterilität und bei Dys¬
und Amenorrhoe infolge von schlecht entwickelten Geschlechtsteilen
von Nutzen. J a f f e - Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 43, 1914.
L. L i c h t w i t z - Göttingen: Zur Behandlung der Cholera.
Im Stadium algidum der Cholera scheint eine intravenöse
Adrenalinkochsalzdauerinfusion besonders empfehlenswert zu sein.
Als bestes Adsorbens hat sich die Blutkohle bewährt. Das Mittel
soll nicht prophylaktisch angewandt und nur eine Stunde nach der
Nahrung gegeben werden.
R. du Bois-Reymond - Berlin : Ueber die Anwendbarkeit
des Gesetzes der korrespondierenden Geschwindigkeiten auf die
Gangbewegung von Menschen und Tieren. (Nach einem Vortrag in
der physiol. Ges. zu Berlin am 10. Juni 1914.)
Soweit die angeführten Zahlenreihen als beweiskräftig gelten
können, zeigen sie, dass das Gesetz der korrespondierenden Ge¬
schwindigkeiten auf die Ortsbewegung des Menschen nicht passt,
sondern dass grosse und kleine Menschen bei gleicher Anstrengung
gleich schnell gehen.
L. Newmark-San Franzisko: Ueber im Anschluss an die
Lumbalpunktion eintretende Zunahme der Kompressionserscheinungen
bei extramedullären Rückenmarkstumoren.
Zur Bekräftigung der lehre, dass bei Verdacht auf kompr-
mierende Rückenmarksgeschwulst die Lumbalpunktion nicht ohne
zwingenden Grund vorgenommen werden sollte, führt der Verf. zwei
Fälle an, in welchen im Anschluss an den Lendenstich die Läh¬
mungen eine erhebliche Zunahme erfuhren.
Viktor M a n d 1 e r - Wien: Uteramin in der Praxis.
Das Uteramin Zyma stellt das salzsaure Salz des Paraoxy-
phenyläthylamin dar, eines Hauptvertreters der wirksamen Sub¬
stanzen des Mutterkorns. Es erwies sich in der Praxis als brauch¬
bares Styptikum. Den Sekalepräparaten gegenüber hat es als Vor¬
züge die wasserhelle Durchsichtigkeit der Lösung, den leicht salzigen
Geschmack und die Ungiftigkeit. Es reizt die Injektionsstelle nicht.
Hans K e r n - Rummelsburg: Ueber die Anwendung der epi-
faszialen (bzw. intramuskulären) Neosalvarsaninjektionen nach
W e c h s e 1 in a n n im Kindesalter.
Verf ist mit der epifaszialen oder intramuskulären Methode der
Salvarsaninjektion sehr zufrieden; sie ermöglicht oft erst die An¬
wendung des Neosalvarsans. Darin besteht ihr grosser Wert für das
kindliche Alter. Sie ist zu benützen, wenn intravenöse Injektionen
nicht am Platze sind oder aus technischen Gründen nicht gemacht
werden können. Die Bildung von Infiltraten lässt sich bei einiger
Uebung fast immer vermeiden.
Hans W i e n s k 0 w i t z - Wiesbaden: Ueber die angeborene
Wassersucht. (Schluss.)
Der angeborene Hydrops mit fötaler Anämie, von dem der' Verf.
ein typisches Beispiel rezidivierender Art beschreibt, ist offenbar die
Folge einer toxischen Einwirkung auf die fötale Blutbildung, höchst¬
wahrscheinlich von seiten der Mutter.
3. November 1914.
MUHNCHHNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2175
Coenen- Breslau: Der Pfeil als Fliegerwaffe
Der Verf. beschreibt in Wort und Bild französische Fliegerpfeile
Verletzungen durch dieselben konnte er selbst nicht beobachten. Sie
dürften keinen besonderen Wert haben.
Hr. (i r a s s in a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 41 u. 42. 1914.
E v. Behring: Indikationen fiir die serumtherapeutische Te-
niiusbekampfung.
Das erste Erfordernis bei Tetanus ist die lokale chirurgische und
lok.a e antitoxische Behandlung des Brutherdes des Tetanusvirus
iei W unden mit übelriechendem Sekret empfiehlt Verf. das Jodoform
n grobkristallmischer Form, bei gutartig aussehenden Wunden die
rngation mit Jodtrichloridlösiing (0,1— 0.5 proz.). Ausserdem ist bei
verdächtigen Wunden die prophylaktische Seruminiektion angezeigt
y aber das vom Pferd stammende antitoxische Serumprotein aus
e'rl menschlichen Organismus bald verschwindet und deshalb öfter
.er Ausbruch des Tetanus nicht völlig verhindert, sondern nur ver-
ugert wnd. empfehlen sich wiederholte Injektionen.
Fälle von anaphylaktischer Vergiftung sind dabei bis jetzt nicht
leobachtet, aber doch bei der zunehmenden Zahl der Fälle nicht
uszuschhessen; daher stellen die Behringwerke nun Serumpräparate
c.'' wc . e _die Gefahr der anaphylaktischen Sensibilisierung und Ver-
ittung in viel vermindertem Grade haben (schwach giftiges Immun-
erum): dem Serum wird eine genaue Gebrauchsanweisung beige¬
ren werden.
.1. Scheresche wsk y - Marburg: Primäraffekt und Keratitis
larenchymatosa beim Kaninchen, bewirkt durch Reinkulturen von
*yrhilisspirochäten.
Zusammenfassung . Die Soirochätenkulturen Sch.s bewirken am
loden und Auge von Kaninchen syphilitische Veränderungen in einer
ein Gewebsvirus gleichen Weise. Spirochätenreinkulturen können
ei 37 und nachträglich bei Zimmerwärme viele Wochen rein und
iii lent erfüllten werden. Die Exzision einer Kaninchensklerose war
on einer neuen Sklerose gefolgt. Das Sperma des Tieres enthielt
auernd Spirochäten vom Typus der Pallida.
(i. Otto, und G. B 1 u m en t h a 1 - Berlin: Erfahrungen mit dem
bderhalden sehen Dialysierverfahren.
Dem durch Gravidenserum fast regelmässig bewirkten Abbau der
lazenta kommt nur eine beschränkte diagnostische Bedeutung zu,
a auch andere Sera, vor allem auch die von Karzinomkranken, mit
lazenta positive Ninhydrinreaktion geben; die negative Reaktion
iricht mit starker Wahrscheinlichkeit gegen Gravidität. Das Serum
on an Dementia praecox leidenden Männern reagiert ziemlich regel-
aässig positiv mit Hoden, oft mit Gehirn, stets auch mit Plazenta,
aller ist die positive Reaktion mit Hodensubstrat auch nur von
ischranktem diagnostischem Wert, unter Umständen vielleicht diffe-
intialdiagnostisch verwertbar. Eine Spezifizität der A b der h al¬
ogischen Abwehrfermente Iiess sich nicht .erweisen. Fiir die allge-
eine Praxis lässt sich die Reaktion wegen ihrer Fehlerquellen nicht
npfehlen.
A. F. d e r - Berlin : Ueber die Abderhalden sehe Schwanger¬
haftsreaktion.
Der negative Ausfall der Reaktion lässt nach E.s Untersuchungen
k allergrösster Wahrscheinlichkeit eine Schwangerschaft aus-
hüessen. Die positive Reaktion kann aber auch durch Karzinom,
ies oder eitrige Prozesse bewirkt werden.
W. v. M ö 1 1 e n d o r f f - Greifswald : Vitalfärbung mit sauren
irbstoffen und ihre Abhängigkeit vom Lösungszustand der Farb-
offe. Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet.
G r o e no u w - Breslau: Augenerkrankungen im Krieg.
Nach kürzerer Besprechung der wichtigsten Erkrankungen und
netzungen gibt G. den Rat, mit Ausnahme der nötigsten äusseren
inigung und allenfalls der Abtragung vorgefallener oder ganz zer-
sener 1 eile, sich vollständig auf die Anlage des Schutzverbandes
beschränken und den Verletzten baldigst der augenärztlichen Be-
ndlung in einem Kriegslazarett oder Krankenhaus zuzuführen.
D i c c k - Berlin: Die Aufgaben des Zahnarztes im Kriege.
Vor dem Ausmarsch ins Feld sollte eine genaue Untersuchung
r Zahne, wenn möglich die Plombierung, bei erkrankten Wurzeln
- Extraktion stattfinden. Die Militärsanitätsverwaltung hätte ein
osses Interesse an der prophylaktischen Schulzahnpflege. Emp-
ueiiswert wäre es, nicht nur wie bisher den Kriegslazarettabtei-
igen. sondern auch den mobilen Feldformationen Zahnärzte beizu-
hen. Fiir die Behandlung der Kieferschussfrakturen kommen ic
ch den Verhältnissen des Einzelfalles Fixierungsschienen oder die
mediatschicnung durch Knochennaht oder Kombinationen mit Draht¬
gelverbänden in Betracht.
S c h u s t e r - Berlin: Aus der Organisation des Sanitätsdienstes
Kriege. Schluss.
H. M u c h - Hamburg: Von einer ägyptischen Reise.
Fortsetzung folgt.
Nr. 42 E. v. B e h r i n g - Marburg: Experimentelle Analyse
i Theorie der anaphylaktischen und apotoxischen Vergiftung.
Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet.
Mathias und B 1 o h m k e - Königsberg i. Pr.: Beitrag zur
tliologie und Klinik des menschlichen Milzbrandes.
Bemerkenswerte Krankengeschichte und Sektionsbefund. Diener 1
m einer Häutehandlung. Primärer Infektionsherd Nase, Schnupfen
mit profusem Nasenbluten, regionäre Submaxillardrüsenschwellung,
lymphatische Verbreitung nach den Rachenorganen in die Neben-
10 Iilen , Leptomeningitis. Durch Verschlucken des Schleimes Infektion
ues Darmkanales mit Ulzerationen, Peritonitis, hämorrhagische
Lymphdrusenschwellung, Uebertritt durch den Ductus thoracicus in
die Zirkulation. Die Erkrankung wurde als Folge eines Betriebs¬
unfalles anerkannt.
1.. G. D r e s e I - Heidelberg: Zur Aetioiogic und klinischen Dia¬
gnose der Aktinomykose.
Besprochen M.m W 1914 S. 1649.
0 J uli us berger- Berlin-Steglitz: Zur Thiokoltheraple.
T. . i i .n » c^'e wiederholt beschriebene gute Verwendbarkeit des
tuokois bei Magen- und Darmstörungen bestätigt, so z. B. bei den
die Morphiumentziehung häufig begleitenden Diarrhöen; bei den ver¬
schiedensten Störungen tat es (2— 3 mal 2 Tabletten) gute Dienste,
ev. nach Darreichung eines Abführungsmittels oder neben Darmaus¬
spulungen mit Kamillenthee. Das Mittel hat den Vorzug, dass es
nicht wie das Opium die Psyche alteriert und keine nachträgliche
Obstipation bewirkt.
C li r i s t i a n - Berlin: Die Organisation der Lazarettzüge.
C. Neuberg - Berlin : Ernst S a I k o w s k i zum 70. Geburtstag.
. , Schlüsse der Nummer findet sich eine Mitteilung des preus-
sisclien Kriegsministeriums zur Aufklärung der einzelnen von
U z er n y in Nr. 40 gemachten Bemerkungen über den Transport
der Verwundeten: dieselben seien zwar gut gemeint und theoretisch
gi osstenteils richtig, unter den praktischen Verhältnissen, wenigstens
im Anfänge des Krieges, grossenteils nicht durchführbar.
Nr. 43. Joch m atin- Berlin : Wundinfektioiiskrankheiten.
Klinische Vorträge. I. Tetanus.
S c h u s t e r - Berlin: Die Marschkrankheiten, ihre Entstehung,
Verhütung und Behandlung.
K u h n - Berlin-Schöneberg: Feld- und Lazarettapparat für Lokal¬
anästhesie in Massenanwendung.
Der Apparat besteht (Abbildung) aus einer Handluftdrucknumpc
mit Windkessel, wodurch aus einem Vorratsgefäss die % — 1 proz.
Novokain-Adrenalinlösung mittels Unterbrechungsvorrichtung dis¬
kontinuierlich der Injektionsnadel zugeführt wird. Der allen
modernen Erfordernissen entsprechende Aooarat (Karl Dankert,
Berlin-Schöneberg, Hauptstrasse 48) erleichtert sehr, eine grössere
Anzahl von Verwundeten in Serien mit Lokalanästhesie zu behandeln.
M o m b u r g - Bielefeld: Ersatz von Verbandmitteln im Kriege.
Verf. empfiehlt sehr den Gebrauch der vorzüglich aufsaugenden
Scharpie zum Ersatz der ungerecht verteuerten Verbandstoffe, und
beabsichtigt auch ihre künftige dauernde Verwendung.
A. B u s c h k e - Berlin: Die Bekämpfung der Geschlechtskrank¬
heiten im Kriege.
Bemerkungen zu dem Aufsatz von A. B 1 a s c h k o in Nr. 40.
F. Cahen-Köln: Eine neue Methode der Transplantation bei
Nervendefekten.
C. hat bei einem grossen, durch Entfernung eines Neurofibroms
entstandenen 10—12 cm grossen Defekt im Nerv, ulnaris ein Stück
des sensiblen N. cutaneus antibrachii medialis zwischen die beiden
Enden des N. ulnaris durch Naht eingeschaltet. Nach Freilegung des
Nerven vor der Vena axillaris lateral vom N. ulnaris wird er in
der Höhe des peripheren Ulnarisstumpfes durchtrennt, das zentrale
Ende des Cutaneus perineural auf das periphere Ende des Ulnaris
aufgepflanzt und das zentrale Ende des Ulnaris an den Stamm des
Kutaneus angeheftet. Die typischen Erscheinungen der Ulnaris¬
lähmung gingen unter Elektrisieren auffallend rasch zurück; schon
in der 5. Woche funktionierten die Muse, interossei wieder. Dem¬
nach kann ein sensibler Nerv zur Leitung motorischer Imoulse heran¬
gezogen werden. Eine Wiederherstellung der sensiblen Funktion des
Nerv, ulnaris fand nicht statt.
H. Ep s t e i n - Prag: Foligan ..Henning“.
In der Volksmedizin (Frankreich) wird ein Orangenblätteraufguss
zur Beruhigung schlafloser Kinder gebraucht, medizinisch fanden die
Blätter als Amarum aromaticum oder als Bestandteil eines Nerven-
thees (gegen Kolik u. dgl.) Verwendung. Das neue Präparat Foligan,
auf Veranlassung des Verfassers von der Firma Henning herge¬
stellt. enthält die wirksamen Stoffe der Blätter und ist nach den Be¬
obachtungen von Walko in Gaben von 0.1— 1 g ein brauchbares
Sedativum, in Gaben von 1 — 1,5 ein in der Regel prompt wirkendes
Schlafmittel, ungiftig, billig, gut schmeckend, frei von unangenehmen
posthvpnotischen Erscheinungen und Nebenwirkungen.
C. B r e u e r - Berlin-Friedenau: Die DurchschreibpacRung für
Röntgennegativpapier.
Die neue Packung (N.P.G.), welche u. a. auch den Vorteil hat,
mit einer Durchleuchtung zugleich mehrere gleichwertige Kopien zu
erhalten und durch praktische Kennzeichnung Verwechslungen zu
vermeiden, wird dazu beitragen, die Trockenplatten noch mehr durch
das Röntgennegativpapier zu ersetzen.
H M u c h - Hamburg: Von einer ägyptischen Reise. (Schluss.)
Tagebuchskizzen aus der Zeit des Kriegsausbruches.
B e r g e a t - München.
2176
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Vereins- und Kongressberichte.
Reservelazarett II Tübingen, Universitätskliniken.
Kriegschirurgischer Abend, Chirurgische Klinik,
Dienstag, den 6. Oktober 1914.
Herr Reich:
1. Vortr. demonstriert einen leichten Fall von Zehenerfrierung
bei einem Soldaten, der weder an Nahrungsmangel noch an Darm¬
krankheiten gelitten hatte oder leidet und auch im übrigen völlig
gesund ist. Pat. hatte während einer längerdauernden Regenperiode
36 Stunden in einem wassergefüllten Schützengraben gelegen, doch
hatten bei weitem niemals Temperaturen von 0° und darunter be¬
standen. Nach der Ablösung auf dem 8 km langen Rückmarsch ins
Quartier musste Pat. sich marschunfähig melden wegen heftiger Fuss-
schmerzen. Die Schädigungen, welche der Pat. nach 5 Tagen noch
bot, waren Gefühllosigkeit der Qrosszehe und Parästhesien in der¬
selben. Die Zehenhaut war glänzend, glatt. Ausgang: völlige Er¬
holung. Es werden die Erklärungen für derartige Kälteschädigungen
bei Temperaturen über 0° besprochen und Vortr. pflichtet der An¬
schauung von W i e t i n g bei, dass tatsächlich die Kältewirkung
das Wesentliche, andere zirkulationsschädigende Wirkungen ver¬
schiedenster Art das unterstützende Moment in solchen Fällen sind.
Es ist mit einer Häufung solcher Fälle in Zukunft zu rechnen. Mög¬
lichst konservative Behandlung erscheint angezeigt.
2. Demonstration von Schädelschüssen.
Im Reservelazarett II Tübingen, Abt. Chirurgische Klinik, wur¬
den bisher 12 Impressionsbrüche und Rinnenschüsse des Schädels
durch Kleinkalibcr, Schrapnell und Granatschüsse behandelt. Es ist
ein Fall an Gehirnkontusion und Hirnhautentzündung gestorben, wäh¬
rend die anderen Verletzten teils als geheilt teils als in Behandlung
stehend vorgestellt werden unter Mitteilung der Krankengeschichten.
Zu den interessantesten gehört ein Fall von rinnenförmiger Impres¬
sionsfraktur, bei welcher die Splitter das Bein- und Fusszentrum
beiderseits geschädigt hatten und ein Splitter im Sinus longitudinalis
steckte, so dass die Beherrschung der Sinusbildung bei der Operation
wie späterhin erhebliche Schwierigkeiten machte.
Im Vordergrund des praktischen Interesses steht die Indikations¬
stellung zum chirurgischen Eingreifen. Die allgemein anerkannte
Forderung, Schädelbrüche genannter Art in frischem Zustand opera¬
tiv zu versorgen, kann im Felde, wie auch Herr Generaloberarzt Prof.
Perthes privatim berichtet, nur ausnahmsweise unter genügend
günstigen Bedingungen erfüllt werden. So kommen die Fälle 4 Tage
und später erst in die Behandlung der heimatlichen Krankenhäuser.
In diesem sekundären Stadium der Schädelschussfrakturen mit Ge¬
hirnschädigung gehen aber die Ansichten bezüglich der Indikations¬
stellung auseinander. In der Tübinger Klinik wurden kleine um¬
schriebene zentrale oder periphere Depressionsfrakturen mit oder
ohne Ausfallserscheinungen, da virulente Infektion nicht bestand, erst
der Heilung der meist kleinen Wunden zugeführt und dann mit gutem
Erfolg operiert. In der Behandlung der ausgedehnten Impressions¬
splitterfrakturen mit Gehirnverletzung und bei den Rinnenschüssen
sprechen die bisherigen Erfahrungen für ein aktives Vorgehen auch
im Sekundärstadium, obgleich 2 Fälle gezeigt werden konnten, die
ohne operative Behandlung trotz Gehirnvorfall vorerst in Heilung be¬
griffen sind. Zwar sind die Gehirnzerstörungen nicht wieder herzu¬
stellen, nur die Wirkungen von Blutung und Oedem können zurück¬
gehen. In einem grossen Teil der Fälle wird aber im Verlauf der
ersten 2 Wochen noch eine virulente Infektion mit ihren Komplika¬
tionen cintreten. Dieser vorzubeugen und zugleich das gedrückte und
ödematöse Gehirn zu entlasten, ist Aufgabe des chirurgischen Han¬
delns, auch bei nicht mehr ganz frischen Fällen. In Verfolgung dieses
Standpunktes hat sich gezeigt, dass grosse Gehirnabszesse und um¬
schriebene Meningitis schon vorhanden sein können, ohne charakte¬
ristische Symptome zu machen. Erkennbare meningeale Erschei¬
nungen bilden keine unbedingte Gegenindikation gegen die Wund¬
versorgung, denn in 2 Fällen sind diese nach der Operation zurück¬
gegangen. Nur bei schweren allgemeinen Gehirnerscheinungen wird
abgewartet, bis diese entweder zuiückgehen oder durch ihre Fort¬
dauer zeigen, dass ein Eingriff nichts nützen kann. Spätblutungen,
die gleichfalls chirurgisch anzugreifen wären, wurden bisher nicht
beobachtet, ebensowenig diametrale Durch- und Steckschüsse.
Herr Schloessmann: Ueber Gasphlegmone und Gasgangrän.
Unter den Wundinfektionen der Kriegsverletzungen drängt sich,
neben dem Tetanus, besonders die Gasinfektion dem Interesse des
behandelnden Arztes auf. Auch dem Chirurgen ist sie gewisser-
massen ein Novum, das er in Friedenszeiten nur äusserst selten sieht
und über dessen Krankheitscharakter, Verlauf und Behandlungsmög¬
lichkeit er selbst erst Beobachtung und Versuche machen muss. Es
scheint, so viel bis jetzt bekannt ist, zweckmässig, 2 Formen der
gasbildenden Wundinfektion zu unterscheiden: die Gasphleg¬
mone und die Gasgangrän. Die bakteriologischen Unterschiede
beider Formen sind noch nicht einheitlich geklärt. Man neigt zur
Ansicht, dass Gasphlegmonen vorzüglich bei Mischinfektion von An¬
aeroben mit Eitererregern entstehen, während die Gasgangrän von
dem Bacillus aerogenes capsulatus hervorgebracht wird. Jedoch sind
weitere bakteriologische Untersuchungen an dem sich jetzt leider so
reichlich bietenden Material dringend nötig.
In bezug auf Verlauf und Prognose ist die Gasphlegmone zwei-
Nr. 44.
fellos die gutartigere Erkrankung. Das Allgemeinbefinden ist weni¬
ger schwer beteiligt. Verhältnismässig langsam fortschreitende ent¬
zündlich phlegmonöse Hautveränderungen mit Hautknistern, nicht
selten eitrige Gewebseinschmelzung und Bildung gashaltiger, jauchiger
Abszesse. Durch geeignete Inzisionsbehandlung lassen sich diese
Gasphlegmonen meist erfolgreich bekämpfen. Anders mit der Gas¬
gangrän! Ihr Charakteristikum ist der mit widerlichem Fäulnis¬
geruch einhergehende gangränöse Zerfall alles ergriffenen Gewebes,
das unheimlich rasche Fortschreiten nach allen Seiten (Gangröne fou-
droyante) und die schwere Störung des Allgemeinzustandes. In den
phlegmonösen, deutliches Luftknistern zeigenden Hautgebieten ent¬
steht durch fortschreitende Hämolyse eine ganz typische, gelbliche
bis kupferbraune Verfärbung, während die befallene Muskulatur als
schmutziggelbe, morsche und zunderweiche Masse daliegt. Aus allen
Geweben quillt trübbraune, gashaltige Flüssigkeit. Richtige Eiteruni:
fehlt bezeichnenderweise.
Unter den Gasinfektionen der Kriegswunden ist leider die Gas¬
gangrän die weit häufigere. Meist handelt es sich um Verletzungen,
die Tage und Nächte lang unverbunden geblieben waren und so
schwer infiziert wurden. Die Prognose der Gasgangrän ist immer
sehr ernst, am meisten, je näher sie am Rumpfe sitzt und je fort¬
geschrittener sie ist. In den dicken Muskelmassen der Gesäss- und
Oberschenkelgegend vermag sie sich besonders bösartig einzunisten.
Für die Behandlung kommt selbstverständlich nur rücksichtslose Er¬
öffnung der kranken Gebiete in Frage. Hilft diese nicht alsbald, so
darf an den Extremitäten mit der Absetzung nicht lange gezögert
werden. Es handelt sich ja um das Leben der Kranken, die nur zu
leicht septisch werden. Die Amputationen müssen ebenfalls rück¬
sichtslos weit im Gesunden erfolgen, will man das Wiederauftreten
der Gasinfektionen im Stumpf vermeiden.
Im Speziellen sind nach den bisherigen Erfahrungen des Redners
noch folgende Punkte für Operation und Nachbehandlung der Gas¬
gangrän vielleicht von Bedeutung. Die von der Anaerobeninfektion
befallenen Gewebe sollten aufs Ergiebigste mit der Luft in Be¬
rührung gebracht werden, um das Bakterienwachstum zu hemmen.
Dazu ist wünschenswert, dass die Haut am besten in Form mehrerer
grosser Lappen nach allen Seiten von dem phlegmonösen Gebiete
abpräpariert und zurückgeschlagen wird. Das Verfolgen des phleg¬
monösen Prozesses in die Tiefe zwischen die Muskulatur sollte mög
liehst stumpf, nur mit den Fingern geschehen. Scharfe Eröffnung
von Blut- und Lymphgefässen ist möglichst zu vermeiden. Der Gan¬
grän verfallene Muskelstränge werden ohne Rücksicht auf eventuellen
Funktionsausfall entfernt. Dadurch wird für die tieferliegenden, erst
teilweise infizierten Gewebsschichten der Luftzutritt begünstigt.
Keine Tamponade! Die Tampons verkleben sehr rasch und innig mit
dem toten Gewebe und bilden einen luftdichten Abschluss nach
aussen. Dagegen Einführen möglichst vieler Drainstücke zwischen
die Gewebsspalten. Redner hat in letzter Zeit den Versuch mit voll¬
kommen offener Wundnachbehandlung gemacht, unter Vermeidung
jedes Verbandes. Dabei trocknen die Wunden überraschend schnell
aus, der Wundgeruch verschwindet augenblicklich und die Heilungs¬
resultate waren in so behandelten Fällen von anfänglich ganz schiecn-
ter Prognose sehr gute. Das Behandlungsprinzip ist in der Schaffung
reichlichsten Luftzutrittes zum Infektionsherd und in der Umwand¬
lung der feuchten Gangrän in die trockene Nekrose zu erblicken.
Versuche, zu dieser Behandlungsmethode noch reinen Sauerstoff zu
Hilfe zu nehmen, wurden biher noch nicht gemacht.
Herr Hartert spricht über die Lokalisierung des Sitzes von
Fremdkörpern spez. Geschossen mit Hilfe des Röntgenverfahrens und
zeigt einen grossen stereoskopischen Apparat zur Demonstration sol¬
cher Fremdkörper vor, der in der Tat ganz Vorzügliches leistet.
Kriegs medizinisch er Abend. Medizinische Klinik.
9. O k to b e r 1914.
Herr Otfried Müller stellt folgende aus dem Felde zugegangene
Patienten vor:
1. einen hartnäckigen Muskel- und Gelenkrheumatismus, der
durch intramuskuläre Injektionen mit Antipyrin geheilt ist. Er emp¬
fiehlt zugleich auch intravenöse Salizylinjektionen für Fälle, die der
gewöhnlichen Behandlung nicht zugänglich sind.
2. eine Bronchialdrüsentuberkulose, die im Felde aktiv gewor¬
den ist.
3. einen im Abklingen begriffenen Tetanus, der 700 Antitoxin¬
einheiten bekommen hat und bei dem gegen Ende der Behandlung
2 mal anaphylaktische Schocks zu beobachten waren.
4. eine Tetragenussepsis.
5. eine Endo-Myokarditis nach Pneumonie.
6. 2 Fälle von typischem Typhus abdominalis, welche die sämt¬
lichen Instanzen des Rücktransportes unerkannt durchgemacht haben.
Dabei werden Diagnose und Therapie des Typhus eingehend be¬
sprochen.
Herr N a e g e 1 i stellt ebenfalls Kranke aus Reserveiaza-
rett II vor:
1. Erworbenen hämolytischen Ikterus bei akuter Polyarthritis.
Besprechung der Theorie des hämolytischen Ikterus und der dabei
notwendigen Untersuchungen.
2. 2 Fälle von Hämatothorax als Gegenbeispiele des Nicht-
auftretens von Ikterus trotz grossen Blutverfalles wegen normaler
Leberfunktion.
3. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
, . A .Patient, mit enormem Gewichtsverlust und Bluteindickung
bei Durchfall und raschem Ersatz der Körperflüssigkeit (+ 10 Pfd
in 7 Tagen).
4. 1 Fall von typischer Ruhr (S higa-Kruse).
5. 2 zunächst atypische lyplien und Besprechung der abortiven
und ambulatorischen Typhusfälle.
Freie militärärztliche Vereinigung in Erlangen.
(Eigener Bericht.)
3. Sitzung vom 3. Oktober 1914.
Vorsitzender: Prof. Dr. Penzoldt.
Herr K ii m in e 1 1 spricht über die bisher beobachteten Kriegs-
verw undungen des Sehorganes, die meist mit anderen Verletzungen
kompliziert sind, ln 3 Fällen war es durch ein Infanteriegeschoss nur
zu isolierter und z 1. umschriebener Eröffnung des Auges gekommen,
von Bedeutung ist die Sprengwirkung, durch welche der Aug-
aptel stark zertrümmert wird. Zur Vermeidung der sympathischen
Ophthalmie ist sorgfältige Entfernung des zerfetzten Bulbus nötig.
Orbitale Ouerschüsse können teils durch Sprengwirkung zu einer
Herausschleuderung von Teilen des Orbitalinhaltes führen, teils
kommt es zu schweren Kontusionswirkungen am hinteren Augenpol
(Zerreissung der Netz- und Aderhaut, Blutungen etc., später Re¬
tinitis proliferans). So kommen auch Rupturen des Bulbus zustande;
Durchscluessungen des Sehnerven sind nicht allzu selten.
Während die Augenverletzungen im Kriege von 1870/71 nur
0,86 Proz. aller \erletzungen und 8,5 Proz. aller Kopfverwundungen
betrugen, hat das prozentuale Verhältnis in den neueren Kriegen
erheblich zugenommmen, so dass z. B. auf japanischer Seite 1904/05
die Verwundungen des Auges 2,22 Proz. sämtlicher und 21,91 Proz
der Kopfverletzungen betrugen.
Herr v. K r y g e r und Herr Kreuter projizieren eine grosse
Anzahl von Röntgendiapositiven, vorwiegend von Extremitäten¬
schüssen.
In der D i s k u s s i o n fragt Herr Generalarzt Penzoldt an,
ob sich Anhaltspunkte für Dumdumschüsse ergeben haben, was
von beiden Rednern verneint wird. Kreuter.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzungen vom 8. und 15. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer: Herr Stieda.
VI.
Herr Abderhalden (a. ü.): Die experimentellen Beweise für
das Vorkommen von Abwehrfermenten unter verschiedenen Bedin¬
gungen. (S. d. Wschr. Nr. 36 S. 1897.)
Herr Lindemann: Die Diskussionsbemerkungen erstreckten
sich bisher in der Hauptsache auf die Beeinflussung der Abder¬
halden sehen Reaktion, die durch das Substrat zustande kommen
kann, obgleich von dem Autor der Reaktion selbst die Ansicht
geäussert worden ist, dass auch einmal das Serum den Ablauf der
zugrundeliegenden Fermentation atypisch gestalten könne.
Ein Beispiel dafür glaube ich erbringen zu können. Bei der Be¬
schäftigung mit der Abderhalden sehen Reaktion fiel mir auf,
dass dieselbe mit fortschreitender Schwangerschaft schwächer aus¬
fällt. Den stärksten Ausfall der Ninhydrinprobe erhielt ich stets in
der Mitte der Gravidität im 5 — 6 Monat und dann nahm ihre Intensität
bis gegen Ende ab.
Dass hieran eine geringere Produktion von Plazenta abbauendem
Ferment schuld wäre, schien mir wenig wahrscheinlich, denn es
vergrößert sich ja die mit dem mütterlichen Blute kommunizierende
Oberfläche des Choriums mit fortschreitender Schwangerschaft stän¬
dig und es müsste eher eine vermehrte Produktion von Ferment ein-
treten.
i _ Es konnte sich daher eigentlich nur um Substanzen handeln, die
dch im Blute der Mutter vermehren und die Fermentation im Sinne
-iner Hemmung beeinflussen.
Von den hier in Betracht kommenden Körpern habe ich das Ver¬
alten der Fette einer näheren Betrachtung unterzogen.
Durch meine früheren Untersuchungen konnte ich nämlich fest-
hellen, dass vvährend der Gravidität eine Vermehrung des Fettes und
J.er fettähnlichen Substanzen progredient stattfindet. Es vermehrt
>ich nicht nur das Gesamtneutralfett, sondern auch das Cholesterin
iowohl in freier als in Esterform.
Es hat sich nun herausgestellt, dass das Cholesterin die Eigen-
•chaft besitzt, die der Abderhalden sehen Reaktion zugrunde¬
iegende Fermentation zu hemmen.
Wenn man dem zu prüfenden Serum eine geringe Menge einer
terilen Cholesterinemulsion zusetzt, so fällt die Ninhydrinprobe deut-
ich schwächer aus und kann bei grösserer zugesetzter Menge voll-
tändig negativ werden.
Die nähere Versuchsanordnung ist in der Zschr. f. exper. M.
eröffentlicht, weswegen ich mir ein näheres Eingehen darauf an
leser Stelle ersparen kann.
Nr. 44.
Von Wichtigkeit scheint mir die Feststellung für die Theorie der
Eklampsie zu sein. Hier wurde oft ein schwacher Ausfall der
A b d e r h a I d e n sehen Reaktion beobachtet. In quantitativen
Analysen konnte ich nun früher feststellen, dass gerade bei Eklampsie
eine starke Vermehrung des Cholesterins stattfindet. Es ist möglich,
dass auch hier diese I atsache bei dem schwachen Ausfall der Re¬
aktion eine Rolle spielt und wir sind demnach nicht zu der Annahme
gezwungen, dass bei der Eklampsie eine mangelhafte Produktion von
Ferment, wie R. Freund behauptet, stattfindet.
Es soll nun nicht die Meinung vertreten werden, dass das Chole-
sterin a 1 1 e i n es wäre, welches die schwache Abderhalden-
sche Reaktion gegen Ende der Schwangerschaft bedingt, es mögen
dies auch noch andere Faktoren tun, z. B. Reaktion des Serums.
Ebenso müssen die Neutralfette noch einer genaueren Prüfung in
dieser Hinsicht unterzogen werden.
Einen direkten Beweis dafür, dass ein hoher Fettgehalt des
ß utes die Reaktion negativ beeinflusst, kann man durch Fettfütte¬
rung erbringen.
Wenn man 2 Stunden nach einer Fettmahlzeit das Serum zur
Keaktion ansetzt, so bekommt man eine bedeutend schwächere Nin-
hydrinreaktion als im nüchternen Zustande der Person.
Ich mochte auch hierbei hervorheben, dass in der Verdauungs¬
periode nicht nur das Neutralfett, sondern auch das Cholesterin in
ireier und Esterforrn sich im Blute vermehrt.
(Demonstration zweier Ninhydrinreaktionen von einer Schwan-
geren rni 6. Monat nüchtern und 2 Stunden nach Fettfütterung.)
a u ri S u zu, saf^n> dass> allgemein gesprochen, das Fett die
^dTe-rh-aid^n,SC?e.ReJaktion zu hemmen imstande ist und dass
das „Lipoid -Cholesterin diese Fähigkeit im Speziellen besitzt
leb mochte darauf hinweisen, dass diese Feststellung bei allen
Ä ,.dl<r zu einer Lipämie führen, die meist auch mit einer
Cholesterinamie verbunden ist, berücksichtigt werden muss. Es ist
nicht ausgeschlossen, dass manche Fermentation die an und für sich
schon schwach war, durch Ursachen, die in der Lipämie begründet
sind, unterdrückt werden kann.
Herr Willige: Von unseren ersten Versuchsserien soll nur
GehSlfh?,, bferiC)hteL w*rden- tass sich bei Paralytikern meistens
, er! ™akbau fand, oft aber auch Abbau von anderen Organen. In
2 Fallen von Hypophysenaffektion fand sich deutlicher Abbau von
Hypophysensubstanz.
_ Lassen wir diese ersten Versuchsreihen und alle die Versuche
deH-ni ^«anweisbarer technischer Fehler (zweifelhaftes
Organ, Hulsenfehler usw.) vorlag, beiseite, so bleiben 100 und einige
einwandfreie Versuche übrig, die nach den letzten verschärften Vor-
innv” Abderhaldens ausgeführt wurden. Ueber diese
100 Versuche soll berichtet werden.
Von 34 Paralytikern ergaben 26 Gehirnabbau, 8 nicht; von
chesen 8 war bei 3 die Diagnose zweifelhaft. Hodenabbau wurde
in 8 Paralysefa len gefunden. 5 mal wurde Schilddrüse abgebaut,
1 mal Leber. Plazenta wurde nie abgebaut.
V°n 18 untersuchten Kranken der Katatoniegruppe waren
q f-uüC?’ welche beide Gehirn und Ovarien abbauten, eine auch
Schilddrüse. Hoden wurden von beiden nicht abgebaut. Die 16 männ-
hchen Katatoniker zeigten in 10 Fällen Gehirnabbau, in 12 Fällen
Hodenabbau (in 7 von den Gesamtfällen der männlichen Patienten
fand sich sowohl Gehirn- wie Hodenabbau), Thyreoidea, Ovarien und
Plazenta wurden nicht abgebaut.
Bei 14 Epileptikern fand sich in 6 Fällen Gehirnabbau, 2 mal
wurden Hoden abgebaut, 1 mal Schilddrüse. Plazenta wurde nie
abgebaut. Wir haben bei Epileptikern oft auch mit Bandwurm¬
substrat dialysiert, besonders in den Fällen, wo die Möglichkeit einer
Zystizerkose vorlag, haben aber nie einen Abbau von Bandwurm-
erhalten. Es stand nun allerdings nur Taenia saginata zur
Verfügung. Uebrigens ergaben auch zweifellose Bandwurmträger
(Taenia saginata) keinen Bandwurmabbau.
5 manische und melancholische Kranke zeigten keinerlei Abbau
(Gehirn, Thyreoidea, Ovarien, Hoden); nur bei einer alten manischen
Frau fand sich ein schwacher Abbau von Plazenta, der sich weder
durch einen nachweisbaren Versuchsfehler noch durch bestehende
Schwangerschaft erklären liess.
, t* Beiuuiner graviden Paranoischen Kranken fand sich ein zweifel¬
hafter Abbau von Gehirnsubstanz und ein deutlich positiver Plazenta¬
abbau.
1 Fall von akuter Halluzinose baute Gehirn und Hoden ab.
v°n ? Fällen von R e c k 1 i n gh a u s e n scher Krankheit zeigte
einer Gehirn- und Hodenabbau, der andere schwachen Thyreoidea¬
abbau, andere Organe wurden nicht abgebaut (Nebenniere, Pankreas
Hypophyse).
. , , Alle Fälle von Hysterie, die untersucht wurden, ergaben keinerlei
Abbau (Gehirn, Hoden, Ovarien, Thyreoidea, Plazenta).
. Auch bei sämtlichen Kontrolluntersuchungen von Blutserum
klinisch nicht kranker Personen wurde kein Organabbau von uns
gefunden.
Erwähnt sei noch, dass unsere bisherigen Parallelversuche mit
gefärbten Substraten (Karminfärbung) mit den Ergebnissen der Dia-
lysierversuche übereinstimmten, es handelt sich allerdings vorläufig
nur um eine geringe Anzahl solcher Versuche.
Aus unseren Erfahrungen mit dem A b d e r h a 1 d e n sehen Dia-
lysierverfahren und den Mitteilungen der psychiatrischen Literatur
ziehen wir vorläufig folgende Schlüsse:
3
2178
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. *14.
1. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von progressiver
Paralyse findet sich Abbau von Gehirneiweiss im Dialysatversuch.
2. Die Kranken der Katatoniegruppe zeigen oft Abbau von
Geschlechtsdrüsen und Gehirn.
Weitere Schlüsse aus den bisherigen Befunden zu ziehen er¬
scheint uns verfrüht, insbesondere bezüglich der Ursachen und des
Wesens der Psychosen.
Nach unserer Ansicht hat die Abderhalden sehe Reaktion
auch für die Psychiatrie eine grosse wissenschaftlich-theoretische
Bedeutung, und ihre weitere Anwendung ist nicht nur gerechtfertigt,
sondern durchaus notwendig. Es muss aber vorläufig dringend davor
gewarnt werden, sie zu praktisch-diagnostischen Zwecken anwenden
zu wollen und besonders ihr eine ausschlaggebende Bedeutung in
differentialdiagnostischer oder gar forensischer Beziehung zu geben.
Herr Anton: Ich habe zunächst die Resultate des Herrn
Kollegen Dr Willige vollauf zu bestätigen, und ich kann ver¬
sichern, dass die Untersuchungen nach längerer Uebung und Er¬
fahrung unter Weglassung zweifelhafter Fälle vor sich gingen.
Ich will daraus zunächst den vorsichtigen Schluss ziehen, conform
dem Kollegen Mohr, „dass an der Reaktion Abderhaldens
etwas Reales sein muss.“ Die klinischen Fragestellungen sind der¬
zeit noch nicht so weit gediehen, dass wir in den vorhandenen
Publikaiionen sprechen können: „Exakte Fragestellung nach klini¬
schen Gesichtspunkten hat allgemein gültige und verwendbare Er¬
gebnisse gebracht.“
ln der Psychiatrie werden wir in erster Linie verwiesen auf
die Frage nach der Konstitution: aus dieser heraus entwickeln sich
die verschiedenen Krankheitsformen. In der Lehre von den Ent¬
wicklungsstörungen muss wohl jeder Fall an und für sich durchdacht
werden. Wir können mit dem Röntgenbilde aufdecken, wie ver-
schiedengestaltig der Aufbau des Schädels vor sich geht, wie
wechselvoll der Ausdruck der Entwicklungsstörungen t in der Kind¬
heit und in der Pubertät am Schädel und Skelett sich gestaltet.
Der Ausdruck „Dementia praecox“ bezeichnet nicht einen ein¬
heitlichen Zustand und kann nicht als eine scharfe Diagnose gelten.
Es muss ausgesagt werden, dass wir hier ein Schlagwort für sehr
verschiedenartige Zustände gebraucht sehen.
Bei den Entwicklungsstörungen, die ja mit Recht mit verbauten
Schiffen verglichen werden, sind auch die abnormen Driisenbefunde
schwer zu beurteilen bezüglich der Frage: Welche Störung im poly¬
glandulären Apparat ist die primäre, und welche ist Folgezustand?
Um ein Beispiel herauszugreifen, so sehen wir bei verschiedenen
Entwicklungsstörungen und Epilepsien Thymus persistens. Die
gleichen Zustände können aber auch ohne abnorme Grössenentwick¬
lung des Thymus vorhanden sein. In meinem Falle mit zystischen
Nebennieren war der Thymus auffällig gross mit allen 3 Arterien
noch erhalten. In diesem Falle bestand Hypertrophie des Gehirnes.
Andererseits scheint es aus den Experimenten an Tieren hervor¬
zugehen, dass bei Exstirpation beim Fehlen des Thymus das Gehirn
abnorme Gewichtszunahme erfährt. Wir werden in solchen Fällen
recht tun, weder das Fehlen der Thymusdrüse noch des fort¬
bestehenden grossen Thymus als Ursache der Gehirnhypertrophie an¬
zusehen.
Auf meiner Klinik ist eine Familie in Evidenz, in welcher 6 Mit¬
glieder zur Pubertätszeit schwere Kyphoskoliose erfuhren, gleich¬
zeitig schwere zerebellare Ataxie. Bei allen ist die Pubertätszeit der
kritische Moment. Trotzdem fand sich gerade bei solchen Mit¬
gliedern der Familie kein Abbau des Hodens. Aber auch der so
häufige positive Befund von Hodenabbau muss entschieden vor¬
sichtiger in der Schlussfolgerung verwertet werden. Wir wissen
nicht einmal, ob der positive Befund einer Disfunktion oder Hyper¬
funktion der Hodendrüse entspricht. Abderhalden meint, dass
die Hyperfunktion hiefür ausreicht. Doch auch hier ist die Deutung
nicht so einfach. Es kann keineswegs daraus etwa schon ein solenner
Protest gegen das Zölibat gefolgert werden. Auch wäre es ein vor¬
schneller Schluss, auf Hodentoxine zu schliessen, durch welche der
gleichzeitige Gehirnabbau und der vorzeitige geistige Verfall ursäch¬
lich bewirkt wird.
Hier ist auch die Deutung zulässig, dass die Abderhalden-
sehe Reaktion dazu dient, ein bereits vorhandenes Unver¬
mögen des Organismus zu entlarven, einen Mangel der
Selbstregulierung des Stoffwechsels, Mangel einer rechtzeitigen Ent¬
fernung von blutfremden Stoffen, wie sie durch Nieren, Schweiss-
driisen und andere Organe regulär geleistet wird: also eine indi¬
viduelle Illustrierung dessen, was wir als Konstitution des Organis¬
mus bezeichnen, nicht aber Aufdeckung des entscheidenden ursäch¬
lichen Momentes.
Es hat nur den Wert eines Beispiels, wenn ich darauf verweise,
wie durch die Reaktionsstärke auf Phlorogluzin der auftretende
Diabetes eine Disposition zu diabetischer Erkrankung evident machen
kann.
Die Anwendung der Methode Abderhaldens bei den epi¬
leptischen Erkrankungen ist entschieden verheissungsvoll,
doch muss gleichzeitig auf Grund der interessanten Untersuchungen
von Binswanger hinzugefügt und bestätigt werden, dass es uns
bisher noch nicht gelungen ist, durch diese Reaktion die maligneren
d. h. zur Demenz führenden Fälle von den gutartigen zu trennen, also
durch den positiven oder negativen Gehirnabbau. Der Gehirnabbau
nach epileptischen Anfällen muss wohl mit grösster Vor¬
sicht beurteilt werden; denn der epileptische Anfall ist ein so brutales
körperliches Geschehnis, auch oft mit Trauma verbunden, so dass eine
Abbaureaktion möglicherweise durch die andere gedeckt wird, abge¬
sehen von der allgemeinen Veränderung der Organfunktionen.
Zur Vorsicht der klinischen Folgerungen fordern auch heraus
die sehr verschiedenen Befunde von Organabbau bei Melancholie
(Binswanger, Kafka, Wegner). ln unseren Fällen hat sich
gar kein Abbau ergeben. Es wird sich bei vorsichtigem Abwarten
auch für diese widersprechenden Resultate ein Reim finden. Be¬
sonders werden wir mehr als bisher auf die Alterskategorie
Bedacht nehmen. Das ganze Driisenlebcn ist gewissermassen Ur¬
sache und Folge zugleich des jeweiligen Alterszustandes. Gerade die
Alterskategorien heben sich in ihrem Drüsenleben gut begrenzbar
voneinander ab. Die artfremde Entwicklung lässt sich von da aus
oft gut begründen, so die artfremde Persistenz des kindlichen Zu¬
standes in geistiger und körperlicher Beziehung, und die Frage wird
sich dabei bald sichten lassen : Welche Befunde kommen
bei den Abbaureaktionen der Alterskategorie als
solcher in typischer Weise zu?
Noch einmal die sog. Dementia praecox! Wir brauchen nach
dem Gesagten möglichst genaue klinische Befunde, wobei die Rönt¬
genbilder des Schädels nicht fehlen dürfen. Wir können dabei jeder¬
zeit sehen, wie enorm verschieden die Entwicklungsstörungen
und ihre weiteren Folgen geistig und körperlich sich zum Ausdrucke
bringen. Es geht nicht an, so verschieden gestaltige Zustände mit
einer Vignette zu bezeichnen und wertlose Statistik zu machen.
Vielleicht ist es noch aussichtsvoller, den wohl bewährten Begriff der
„sekundären Psychose“ dabei festzuhalten.
Die Entscheidung der Frage, wann nach akuten Psychosen eine
dauernde psychische Schwäche diagnostiziert werden darf, ist eine
recht schwierige, und mit Recht haben die besten Psychiater daran
Scharfsinn und psychiatrisches Urteilsvermögen geübt. Bisher wurde
dies meist psychologisch-klinisch angegangen, und es besteht vor¬
läufig die Hoffnung, dass gerade durch .die Abbaureaktionen sich ein
stetiger körperlicher Befund eruieren lässt.
Was nun den Wert der Reaktion selbst betrifft, so wurde
derselbe gewiss durch die vielen vorliegenden Arbeiten vertieft und
in seiner Gesetzmässigkeit immer wahrscheinlicher gemacht. Es geht
nicht mehr an, diesen Fortschritt ohne eigene Untersuchungen zu
negieren. In dieser Auffassung wurde ich auch bestärkt durch den
kompetenten medizinisch-chemischen Fachmann Pregl, welcher
durch die Untersuchungsergebnisse eines sehr geeigneten Materials
in der Steiermark energisch für die Spezifität der Abderhaldenreaktion
eintrat.
Herr L o e n i n g : Gestatten Sie auch mir einige kurze Bemerkungen.
Wir haben an meiner Abteilung im Diakonissenhaus seit dem Herbst
vorigen Jahres die Serumreaktionen angewandt. Herr Dr. v. Roh¬
den hat sich in die Methode eingearbeitet. Ich kann aber doch aus
dem kleinen Material, ca. 40 Fälle, die für eine Beurteilung in Be¬
tracht kommen, einiges Wichtige mitteilen.
Die Methode war uns in einzelnen besonders diagnostisch schwie¬
rigen Fällen von Wert und hat uns gerade in diesen nicht im Stich
gelassen. So hat sich die Methode bewährt in Fällen, bei denen
die Frage aufgeworfen wurde, ob neben einem Magenkarzinom noch
Lebermetastasen Vorlagen oder nicht. Wir haben z. B. einen der¬
artigen Fall, bei denen die nur mit der Methode festgestellten kleinen
Lebermetastasen bei der späteren Sektion gefunden wurden. In einem
anderen Fall handelte es sich um die Differentialdiagnose zwischen
Cholelithiasis und Karzinom. Die Diagnose wurde ebenfalls mit Hilfe
der Reaktion gestellt. Bei der Operation fand sich die mit Steinen
prall gefüllte Gallenblase, das Karzinom griff in die Leber über.
Dann findet sich unter unseren Untersuchungen ein Fall, bei dem
die histologische Untersuchung den Verdacht auf Karzinom des Uterus
zu stützen schien, die Serumreaktion war aber negativ. Die Opera¬
tion ergab dementsprechend Myom ohne jeden Anhaltspunkt für Kar¬
zinom. Ich glaube, dass Ihnen die Fälle zeigen, dass die Methode
wohl imstande ist unsere klinische Diagnostik zu sichern. Allerdings
gehört dazu auch eine Beurteilung, auf was die Organe untersucht
werden müssen und deshalb glaube ich, dass der Kliniker grosse Ver¬
anlassung hat, sich mit der Methode näher zu beschäftigen, und zwar
die Dinge selbst zu bearbeiten, da bei der Vielseitigkeit der Methode
nur auf diese Weise ein Urteil gewonnen werden kann.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 21. Juli 1914 (Schluss).
Vorsitzender: Herr Marchand.
Schriftführer : Herr R i e c k e.
Herren Rausch und Schilder: Demonstration zweier Fälle
von Pseudosklerose.
Es handelt sich um 2 Schwestern, von denen die eine seit
17 Jahren krank jetzt 43, die andere seit 4 K Monat krank, jetzt
33 Jahre alt. ist.
Die Symptomatologie des Leidens besteht in folgendem:
1. Erkrankung der Leber:
2. eigenartige Pigmentierung der Hornhaut;
3. ein nervöses Leiden, das eine gewisse Aehnlichkeit mit der
multiplen Sklerose hat.
3- November 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Die Erkrankung der Leber ist in dem frischen Falle palpatorisch
eststellbar, die Leber reicht 3 Querfinger über den Rippenbogen.
)ie Milz ist palpabel. In beiden Fällen besteht alimentäre Lävu-
osurie. Beide Kranken zeigen eine grüngelbliche Verfärbung der
’eripherie der Hornhaut, sie ist ausgesprochener bei dem älteren
'alle.
Die nervösen Symptome sind bei dem akuten Falle folgende:
1. Grobschlägiger Wackeltremor, der bei Fixation und Intention
auftritt, eine erhebliche Frequenz hat und auf einem Wechsel¬
spiel der Agonisten und Antagonisten beruht. Das linke Bein
ist relativ wenig betroffen.
2. Es besteht Unfähigkeit, rasch aufeinanderfolgende Impulse ab¬
zugeben, die sog. Adiadochokinese B a b i n s k i s. Unseres
Erachtens liegt ein Versagen der Innervation vor.
3. Es besteht skandierende Sprache.
4. Lachen ist sehr leicht auslösbar.
Keine Hypertonien, keine Augenhintergrundsveränderungen, kein
Jystagmus.
Bei der seit länger erkrankten Schwester ist der Tremor ge-
inger, die Adiachokinese ausgesprochener. Hypertonie fehlt. Rumpf-
nd Extremitätenbewegungen deutlich ataktisch. Das Skandieren ist
ehr ausgeprägt. Die Mimik hat etwas Regungsloses. Sie ist affek-
;v ubererregbar und intellektuell eingeschränkt. Wassermann bei
eiden Schwestern negativ.
Nun zur Deutung: Pathologisch-anatomisch ist bekannt,
ass dje Leberveränderungen eigenartig sind, möglicherweise
egen Entwicklungsstörungen vor. Die Veränderungen am Gehirn
ind nach Alzheimer durch die Bildung merkwürdiger grosser
iliaelemente charakterisiert. Diese Störung findet sich vorwiegend
i den subkortikalen motorischen Ganglien. Es gibt Erkrankungsfälle,
i denen vorwiegend der Linsenkern betroffen ist. In diesen Fällen
nden sich jedoch fast stets Hypertonien (Wilson).
Es ist derzeit noch am wahrscheinlichsten, dass die Leber Toxine
bgibt, welche das Gehirn schädigen, doch kann es sich auch um ko-
rdinierte Störungen der Leber und des Gehirns handeln. Die Natur
es Pigmentes ist noch nicht völlig aufgeklärt. Die Pigmentierung
er Hornhaut ist nicht in allen Fällen beschrieben. Jedenfalls fällt
e Erkrankung in das Gebiet der Heredodegeneration.
Die Differentialdiagnose in unseren Fällen ist leicht. Der Horn-
autring und die Leberveränderungen sichern die Diagnose. Doch
äre diese auch auf Grund des neurologischen Bildes zu stellen,
egen Paralysis agitans spricht die Eigenart des Schiittelns und das
ehlen der Spannungen.
Gegen multiple Sklerose und die verwandte diffuse Sklerose
•rechen u. a. der Mangel aller Erscheinungen, welche auf Pyra-
idenbahnläsion hin weisen, und damit kommen wir zu dem wichtigen
unkte, dass sich die Erkrankung als eine solche des subkortikalen
otorischen Apparats darstellt.
Die Ataxie, die Adiadochokinese (auf die Wichtigkeit dieser im
'ankheitsbild verweisen wir besonders), das Schütteln sind auf Lä-
on dieser zu beziehen. Sind Spannungen vorhanden, so tragen sie
eichfalls nicht den Charakter der Spasmen nach Pyramidenbahn¬
sion.
Der subkortikale motorische Apparat ist in diesen Fällen mehr-
ch getroffen und in seiner Kompensationsfähigkeit gestört. Die
»-ramidenbahn ist wenigstens im wesentlichen intakt.
Diese Fälle zeigen, dass der subkortikale motorische Apparat für
e präzise Durchführung einer Bewegung von entscheidender Wich-
ikeit ist.
(Ausführliche Veröffentlichung in der D. Zschr. f. Nervhlk.)
Herr Harzer demonstriert einen Fall von Myasthenia gravis
eudoparalytica.
Bei dem 17 jährigen Patienten C. S. begann ohne besondere Ur-
che das Leiden vor 1A Jahren mit rascher Ermüdbarkeit der Arme
im Turnen. A Jahr später dieselben Beschwerden in Armen und
■inen bei der Arbeit als Maschinenschlosser. Vor A Jahr rasche
miidung beim Kauen fester Speisen, näselnde, unverständliche
•rache nach längerem Sprechen.
, Die klinische Untersuchung ergibt bei willkürlicher Innervation
ringen Lagophthalmus, der nach öfters wiederholtem Lidschluss
•vas stärker wird und in geringem Grade auch nachts besteht, typi-
ies „Nasenlächeln“ (G o w e r s), rasche Ermüdbarkeit der Gaumen¬
gelmuskulatur, speziell des Tensor veli palatini. Beim Vorlesen
rd nach 1 A Minute die Sprache deutlich nasal. In der Extremi-
enmuskulatur findet sich eine abnorm rasche Ermüdbarkeit der
tensoren der Finger. Nach mehrfach wiederholtem willkürlichen
amen und Schliessen der Hände können der 4. und 5. Finger beider-
ts nicht mehr vollständig gestreckt werden und bleiben in leichter
ugestellung zurück. Dieselbe Erscheinung einer abnorm raschen
schöpfbarkeit zeigt sich im M. deltoideus beiderseits bei öfters
ederholtem seitswärts Hochheben der Arme.
Bei der elektrischen Untersuchung findet sich deutliche myasthe-
| che Reaktion in der vom mittleren Fazialisaste versorgten Ge-
| ntsmuskulatur bei Reizung mit dem faradischen Strome. Keine
| tartungsreaktion. Der übrige körperliche Befund des sehr muskel-
•ftigen Pat. ergibt nichts Besonderes. Klinisch und röntgenologisch
me Anhaltspunkte für substernale Struma. Sensibilität intakt,
ine Reflex- oder Blasen-Mastdarmstörungen, weder Atrophien noch
!"illäre Zuckungen. Blut: Hgb. 90 Proz., Erythrozyten 5 200 000,
2179
: Leukozyten 7200, darunter 70 Proz. polynukleäre, 25 Proz. Lympho¬
zyten, 3 Proz. Eosinophile, 2 Proz. mononukleäre Leukozyten.
Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin
und Nervenheilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
33. Versammlung vom 17. Mai 1914 zu Bonn.
Vorsitzender : Herr D i n k 1 e r - Aachen.
Schriftführer: Herr L a s p e y r e s - Bonn.
III.
d . H5.r r Denzmann- Duisburg: Weitere Erfahrungen über die
Behandlung des Scharlach mit Salvarsan. (Vergl. Nr. 43 S. 2143.)
,. Diskussion: Herr S c h u 1 1 z e - Bonn: Wir haben in Bonn
bis je^zt aus zwei Gründen das Salvarsan bei Scharlach nicht ver-
sucht. Vor allem ist der Verlauf bei unseren Krankheitsfällen ein
sehr günstiger, so dass wir trotz lange andauernder Epidemien nur
em b^ar Prozent Todesfälle haben und auch keine stärkeren Nach-
Kiankheiten sehen. Es ist das gleiche, wie bei der Diphtherie, die so
milde verläuft, dass früher sogar von einem Bakteriologen bezweifelt
wurde, dass es sich um echte Diphtherie handle. Es hat aber Herr
Prot. St rasburger stets auch bei den leichten Fällen L o c f f 1 e r-
sche Diphtheriebazillen nachweisen können.
Sodann erschien uns das Mittel doch nicht ungefährlich genug
Die günstigen Erfahrungen des Herrn Vortr. ermutigen allerdings zu
weiteren Versuchen. Besonders der von ihm gesehene Einfluss auf
die nekrotische Angina ist sehr bemerkenswert. Weniger Gewicht
möchte ich auf das zeitweilige Sinken der Körpertemperatur legen
Ich erinnere an eine ähnliche Wirkung des Kalomel bei Typhus
abdominalis, eine Wirkung, die zu der früheren Meinung Veranlassung
gab, das Kalomel sei ein Spezifikum gegen diese Krankheit.
Bedenklich ist der Umstand, dass bei gleichzeitigem Vorhanden¬
sein eines Status thymo-lymphaticus das Salvarsan zum Exitus führen
kann. Der Herr Redner hob selbst hervor, dass man leider bei
einem Schwer-Scharlachkranken diesen Status nicht mit Sicherheit
feststellen könne. Man sollte meiner Meinung wenigstens durch
Perkussion und Röntgenuntersuchung festzustellen versuchen, ob
eine vergrösserte Thymus vorhanden ist. Leider ist eine solche
Feststellung nicht mit Sicherheit zu machen, weil eine Dämpfung
oder ein Schatten in der Gegend des oberen Teiles des Sternum
auch andere Ursachen, z. B. eine Struma haben kann.
Herr C o s s m a n n - Duisburg: Wie bereits Herr Lenzmann
erwähnt hat, habe ich Scharlach ebenfalls mit Salvarsan behandelt.
Bestätigen kann ich, dass das Salvarsan die nekrotisierende Angina
günstig beeinflusst. Nicht folgen aber kann ich Herrn Lenz mann
in dem, was er über die Beeinflussung der Temperatur durch Sal¬
varsan gesagt hat. Es ist richtig, dass gewöhnlich nach einer Sal-
varsaneinspritzung ein Temperaturabfall beobachtet wird, meist folgt
aber wieder ein Anstieg. Das sind aber Beobachtungen, welche man
auch dann macht, wenn keine Salvarsaneinspritzungen vörgenommen
worden sind. Um zu entscheiden, ob wirklich die Temperaturkurve
durch das Salvarsan in günstigem Sinne beeinflusst wird, müsste
man bei derselben Epidemie zwei Reihen von Scharlachkranken in
der Weise behandeln, dass man bei der einen Reihe Salvarsan ein¬
spritzt, bei der anderen nicht. Das ist selbstverständlich mit Erfolg
nur möglich bei sehr grossem Material, bei meinem kleinen Material
habe ich dieses Verfahren eingeschlagen und dadurch ist jedenfalls
schon festgestellt, dass der Temperaturverlauf bei Scharlach nie ein
so typischer ist, wie es meist in den Lehrbüchern dargestellt wird.
Die Temperaturtabellen, welche ich Ihnen hier herumgebe, zeigen
das deutlich, bei der ersten Temperaturtabelle handelte es sich um
eine Patientin, welche andauernd hoch fieberte, so dass ich schon in
Erwägung zog, ob ich sie nicht doch zu der Reihe der mit Salvarsan
zu Behandelnden nehmen sollte. Als ich die Einspritzung machen
wollte, war die Temperatur von 39,4 auf 36,6 gefallen.
Herr M e n z e r - Bochum: Während des letzten Jahres hatte
ich Gelegenheit, in Bochum etwa 200 Scharlachfälle im Krankenhause
zu beobachten. Die Epidemie war schwer. In der Stadt war die
Mortalität in manchen Monaten 15—20 Proz., und nicht geringer war
sie im Krankenhause.
Aus den Todesfällen hebe ich vor allen Dingen diejenigen heraus,
bei denen die Kinder mit schweren phlegmonösen Drüsenschwel¬
lungen zu beiden Seiten des Halses eingeliefert werden und von vorn¬
herein einen schwerseptischen Eindruck machen. Diese Kinder sind
wohl für jede Therapie als verloren zu betrachten. Dann beobachtet
man nicht selten Fälle, die scheinbar leicht einsetzen und plötzlich
— - auch bei Bettruhe — einen bösartigen Charakter annehmen, indem
eine schwere Nephritis, metastatische Eiterungen sich entwickeln
u. dgl. m. Auch hier wird die Therapie nicht selten machtlos sein.
Die eigentlichen Scharlachfälle, die mit anfänglicher hoher Tem¬
peratur, stärkerer Pulsbeschleunigung, lebhaftem Ausschlag u. dgl.
einhergehen, sind nun gerade ein Ausdruck der lebhaftesten Abwehr¬
reaktion der betreffenden Organismen gegen die Krankheitserreger.
Wer gerade diese Fälle als geeignet für eine besondere Therapie
bezeichnet und daraus Schlüsse auf die Heilwirkung eines Mittels
ziehen will, der sucht sich eben das prognostisch günstigste Krank¬
heitsmaterial aus, bei dem man auch mit einfacher physikalischer
2180
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4
Behandlung gute Erfolge erzielt. Wenn hier davon gesprochen ist,
dass wir dem Scharlach gegenüber bisher gar nichts leisten, so muss
ich mit allem Nachdruck daran festhalten, dass eine konsequente Be¬
handlung mit lauen Bädern (3 — 4 mal täglich) auch bei schweren
Scharlachfällen in Kombination mit Exzitantien und guter Pflege aus¬
gezeichnete Wirkung hat.
Anders steht es mit den Fällen, die unter starker Benommenheit,
blaurotem Ausschlag event. mit vielfachen Blutaustritten, sehr
schlechtem und beschleunigtem Puls usw., also mit schwerstem
toxischen Scharlach eingeliefert werden. Diese können wir meist
nicht retten. Leider will aber Herr Lenzmann gerade diese Fälle
nicht als geeignet für die Salvarsantherapie bezeichnen. Ferner soll
der Status thymico-lymphaticus eine Kontraindikation für das Sal-
varsan bieten. Ja wie soll ich das an meinen Krankheitsfällen
klinisch so schnell feststellen? Wieviele blieben denn überhaupt
übrig für die Salvarsantherapie, da bei den schweren Scharlach¬
fällen die lymphatische Konstitution so ausserordentlich häufig ist.
Wie bei allen akuten Krankheiten, so ist auch bei Scharlach das
Urteil über etwaige therapeutische Erfolge sehr unsicher. Ich habe
schwere Scharlachfälle teils mit Streptokokkenserum, teils mit
Rekonvaleszentenserum behandelt, in manchen Monaten habe ich
dabei ganz vereinzelte Todesfälle nur gehabt und war sehr erfreut
über die erfolgreiche Therapie, bis ich dann einige Monate später
wieder trotz der gleichen Behandlung eine grössere Zahl von Fällen
verlor. Das Bild des Scharlachs ist eben ein wechselndes und vor
allen Dingen abhängig von der Witterung und von der Konstitution
der Kinder. Je mehr diese schon durch schlechte soziale Lebens¬
bedingungen geschädigt sind, desto schwerer erkranken sie auch an
Scharlach. Diese oft weit zurückliegenden Konstitutionsschädigungen
wird bei einmal ausgebrochenem Scharlach keine Therapie mehr
wettmachen können. Das gleiche gilt auch von der Diphtherie.
Herr Lenzmann hat ferner die Streptokokkentheorie des
Scharlachs so unbedingt abgelehnt. Ich muss demgegenüber be¬
tonen, dass ich auf ganz anderem Standpunkte stehe. Meiner Ansicht
nach ist der Scharlach nur ein Symptomenkomplex, der eine be¬
sonders lebhafte Reaktion des meist jugendlichen Organismus auf
eingedrungene Bakterien und ihre Toxine darstellt.
Stets findet man auf den Tonsillen massenhaft Streptokokken,
zu denen sich sehr häufig Staphylococcus aureus in reichlicher
Menge, ferner auch Diphtheriebazillen, gewöhnliche Fäulnisbazillen,
Kolibakterien usw. gesellen.
In metastatischen Eiterungen konnte ich stets Streptokokken,
meist in Reinkultur nachweisen, in dem Eiter der phlegmonösen
Drüsen waren nicht selten noch hämolytischer Staphylococcus aureus
und gelegentlich auch Kolibakterien enthalten. Das Blut von Kranken,
die an Scarlatina gravissima gestorben waren, enthielt regelmässig
spärliche Streptokokkenkolonien, daneben mehrfach Staphylococcus
aureus, in einem Falle konnte ich eine Kolonie des Staphylococcus
aureus züchten. Die geschwollenen Drüsen am Halse bis in den
Thorax hinein stecken ebenfalls voll von Bakterien aus der Gruppe
der Eitererreger, so dass in Analogie zu den Exanthemen bei
schwerer Wundsepsis der Schluss ein nicht allzukühner ist, der
Scharlachausschlag sei eine besonders heftige Reaktion des jugend¬
lichen Organismus auf banale Krankheitserreger, also nur eine Angina
mit besonders heftigen Begleitsymptomen.
Dabei ist es durchaus nicht nötig, dass nur Streptokokken die
alleinigen Krankheitserreger sind, vielfach wirken Streptokokken,
Staphylokokken, Diphtheriebazillen, gewöhnliche Fäulniserreger zu¬
sammen, um den als Scharlach bezeichneten Symptomenkomplex aus¬
zulösen. Der Scharlach ist also ein ätiologisch nicht einheitliches
Krankheitsbild.
Auch die Vorstellung von der abnormen Kontagiosität des
Scharlachs, der starken Flüchtigkeit des hypothetischen Scharlach¬
erregers, ist meiner Ansicht nach eine irrige.
Bei engem Zusammenleben von Kindern in schlechten Woh¬
nungen steckt Scharlach natürlich an, wie dies auch gewöhnliche
Anginen tun, dagegen haben wir in einem gut geleiteten Kranken¬
hause, wo einfach die Vorschriften der Reinlichkeit beachtet werden,
auch ohne besondere Desinfektionsmassnahmen mit einer Ansteckung
von Bett zu Bett bzw. zu anderen Krankenzimmern meiner Erfahrung
nach nicht zu rechnen. Alle die Berichte über Krankheitsfälle, bei
denen z. B. im Krankenhause zu Masern oder Keuchhusten Scharlach
hinzutritt, sind mit Vorsicht aufzufassen und auch einer anderen
Deutung fähig.
Nach alledem komme ich zu dem Schluss, dass die Salvarsan-
behandlung des Scharlachs weder theoretisch begründet ist, noch ihre
Erfolge irgendwie überzeugend sind. Jedenfalls müssen wir uns
dagegen wehren, wenn Herr Lenzmann hier die Nichtanwendung
des Salvarsans in schweren Scharlachfällen fast als einen Kunst¬
fehler zu betrachten geneigt ist.
Herr L e i c k - Witten: Nach dem hier Vorgetragenen und nach
den in der Literatur niedergelegten Berichten glaube auch er, dass
man bei schweren Fällen von Scharlach mit kleinen Dosen von Neo-
salvarsan in vorsichtiger Weise einen Versuch machen könnte. Man
möge aber doch auch so viel Kritik üben, um offen einzugestehen,
dass bisher noch keinerlei sicherer Beweis für die Wirksamkeit des
Salvarsan beim Scharlach erbracht worden sei. Das sei ja auch gar
nicht zu verwundern. Das Bild des Scharlachs sei so wechselvoll,
dass ein sicheres Urteil in prognostischer Hinsicht in den meisten
Fällen unmöglich sei. Wie oft komme es vor, dass aus einem an¬
scheinend schweren Scharlachfall in einigen Tagen auch ohne Sa!
varsan ein leichter würde und umgekehrt. Man möge also in gc
eigneten Fällen in sehr vorsichtiger Weise das Salvarsan versuchei
sich aber bewusst bleiben, dass der Beweis seiner heilsamen Wirkun
beim Scharlach erst noch geliefert werden müsse.
Herr Lenzmann (Schlusswort): Es ist in der Diskussion ai
die Gefahren des Salvarsan hingewiesen worden. Ich bin der letzt»
der sie unterschätzt Ich bin der Ansicht, dass derjenige, der Sai
varsantherapie treiben will, sich mit dem Mittel genau vertrau
machen muss. Ich habe noch keinen Unglücksfall erlebt. Für mic
ist es kein Zweifel, dass in allen Fällen, in denen Todesfälle be
obachtet sind, die Regeln der Kontraindikation arg vernachlässig;
wurden, vor allem aber zu hohe, ja geradezu brutale Dosen angt;
wandt worden sind. Ich habe überall, wo ich in Wort und Schrili
mich über die Salvarsanbehandlung ausgelassen habe, vor z
grossen Dosen gewarnt. Ich habe mit kleinen und häufiger wieder
holten Dosen dieselben Erfolge erzielt.
Der Todesfall, den Herr Lossen erlebt hat, war doch wohl ei
schwerer toxischer Scharlach. Ich habe bereits hervorgehoben, das
ich diese Fälle von der Salvarsanwirkung vorläufig noch ausschaltc
möchte trotz der Beobachtung von Jochmann, der von 4 Fälle
3 genesen sah.
Auf die Anfrage des Herrn Ungar, wie lange die behandelte-
Scharlachfälle auf Nachkrankheiten beobachtet sind, erwidere ich
dass wir die Patienten immer bis zur Beendigung der Abschuppun
— durchschnittlich 6 Wochen — im Krankenhaus behalten habet
Nach dieser Zeit tritt wohl eine Nachkrankheit nicht mehr au
Ich muss gegenüber Herrn Bauer doch daran festhaltei
dass der Scharlach eine heimtückische und unter Umständen ein*
sehr gefährliche Erkrankung ist. Der Arzt, der längere Zeit in de
Praxis steht, wird diese Beobachtung auch gemacht haben. Ich hab«
beobachtet, dass in einer Familie die ersten Fälle sehr leicht ver¬
liefen — und dann kam ein weiterer Fall, der die schwersten Kompli
kationen zeigte, die nur denkbar waren. Das hat mich beim Scharl
lach doch sehr bedenklich gemacht. Ich habe allen Respekt vor eine
Skarlatina, selbst wenn sie scheinbar harmlos beginnt.
Ich halte doch entgegen Herrn M e n z e r den Scharlach für ein<
einheitliche Erkrankung. Ich kann mir kaum eine Krankheit denken
die ein so charakteristisches Gepräge zeigt. Wenn in späteren Stu
dien die Krankheit in verschiedener Weise verläuft, so ist dies»
Tatsache auf das Konto der Sekundärinfektion mit ihrem verschie1
denen Gesicht zu setzen.
Jm Uebrigeti will ich doch nicht unterlassen, hier ausdrücklicl
zu bemerken, dass meine Anschauung, der Scharlach sei mit Sal
varsan zu behandeln, eine rein persönliche ist, zu der ich auf Grüne
meiner Erfahrungen und der Erfahrungen anderer mich für berechtig
halte. Ich gehe selbstverständlich nicht so weit, dass ich es als
einen Kunstfehler bezeichne, wenn auf Grund des bisherigen Stande:
unserer Kenntnisse ein Kollege einen schweren Scharlach nicht mi
Salvarsan behandelt. Ich hoffe aber, dass die Salvarsanbehandlun:
des Scharlach allmählich weiter verfolgt und Allgemeingut der Kol
legen wird. Ich habe mich in diesem Sinne auch ausgedrückt. IcH
habe durch meine Darlegungen eine Anregung zu weiteren Ver
suchen geben wollen.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzungen vom Mai und Juni 1914.
Herr W. Altschul berichtet über seine Röntgenuntersuchunger
bei Enuresis nocturna. Im ganzen kamen 25 Fälle zur Untersuchung
in 8 derselben fand sich ein normaler Befund, in 5 Fällen wai;
nur eine Verkümmerung der Dornfortsätze und Verschmälerung den
Wirbelbogen vorhanden und 10 mal konnte die Missbildung nicht
klar gedeutet werden.
Herr Luksch zeigt die Leiche eines totgeborenen Kindes, mit
einer Reihe von Missbildungen, Krötenkopf mit einem kindskopf¬
grossen Sack am Okziput, einer Encephalocele occipitalis. ln der
Kreuzbeingegend eine Rhachischisis mit schön entwickelten 3 Zonen.'
darüber ein mit einem Haarkranze umgebenes Grübchen. An der
Vorderseite der Brust, in deren Mitte eine ziemlich tiefe Grube, die
linke untere Extremität fehlt vollständig, ebenso die linke Becken-j
hälfte, äusseres Genitale und Anus normal und an normaler Stelle.
Im Abdomen unregelmässige gelappte Leber, Magen und Enddarrn
sind im Bauchraume, während der übrige Darm durch eine Zwerch¬
fellhernie in die linke Brusthöhle eingetreten ist. Uterus unicornis
dexter mit gut ausgebildetem Ovarium und ebensolcher Tube, von
dem Uterushorne zieht sich nach links ein Ligament, an dem sich
ein Ovarium und eine rudimentäre, proximal blind endigende Tube
findet. Dieselbe Missbildung konnte der Vortr. vor kurzem ar. der
Leiche einer erwachsenen Frau zeigen, bei der ausserdem ein Defekt
der linken Niere bestand, bei vollständigem Fehlen einer Tuben¬
anlage
Tagesgeschichtliche Notizen
siehe „Feldärztliche Beilage“.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
München, Amulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. P. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 44. 3. November 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 13.
Nervöse Erkrankungen bei Kriegsteilnehmern*).
Von R. Wollenberg in Strassburg.
Dem folgenden Bericht liegen Beobachtungen zugrunde,
welche ich in den ersten 6 Wochen des gegenwärtigen Krieges
gemacht habe. Meine Mitteilungen beziehen sich also auf
einen verhältnismässig kleinen Abschnitt des Kriegsschau¬
platzes, und mein Material ist insofern einseitig, als es nur
die einem grossen Sammelplatz wie Strassburg zuströmenden,
nicht aber die in der Front selbst vorkommenden. Krankheits¬
fälle berücksichtigt; in quantitativer wie qualitativer Beziehung
bedarf dieses Material also der Ergänzung. Freilich scheint
es aus Gründen, die weiter unten dargelegt sind, von vorn¬
herein nicht wahrscheinlich, dass sich dabei prinzipiell Neues
ergeben wird. Andererseits können unsere Beobachtungen,
wenigstens zum Teil, gegenüber denen von anderen Teilen des
Kriegsschauplatzes vielleicht gerade deshalb ein besonderes
Interesse beanspruchen, weil sie sich nicht auf offene Feld¬
schlachten, sondern auf unendlich schwierige, aufregende und
\ erlustreiche Gebirgskämpfe beziehen, welche wohl gewisse
individuelle Sonderwirkungen erwarten lassen.
Die Erfahrungen der letzten Kriege, besonders des
russisch-japanischen, haben zu der Annahme geführt, dass die
Zahl der psychisch Erkrankten in einem modernen Kriege eine
sehr hohe sein werde. Aus diesem Grunde hatte man in
Strassburg bei den kriegssanitären Vorbereitungen von vorn¬
herein ausser der psychiatrischen Klinik ein besonderes La¬
zarett für Militärpsychosen in Aussicht genommen. Ich will
gleich hier bemerken, dass diese Erwartung sich bis jetzt
nicht bestätigt hat, wenn wir von den Mobilmachungstagen
ubsehen. Was die Zukunft bei langer Dauer eines strapazen-
;nd verlustreichen Krieges in dieser Beziehung noch bringen
wird, lässt sich nicht Voraussagen, vielleicht liegen die Ver¬
hältnisse auch an anderen Orten anders; jedenfalls hat aber die
<Iinik bis jetzt für die Unterbringung der Geisteskranken
zollkommen ausgereicht. Dagegen hat sich die Einrichtung
-ines besonderen Lazaretts für Nervöse als notwendig er-
■viesen. ^ Ich verstehe unter „Nervösen“ die sämtlichen psychi-
>chen Grenzzustände, die ich hier als bekannt voraussetze,
äir diese Fälle und ausserdem für Nervenkranke im neurologi¬
schen Sinne ist mir eine der schönen Volksschulen Strassburgs
Thomasschule) als Festungslazarett zur Verfügung gestellt
vorden. Weil von vornherein darauf verzichtet wurde, hier
''.ich Geisteskranke unterzubringen, sind keine wesentlichen
»aulichen Aenderungen nötig geworden. Von den vorhandenen
80 Betten ist aber meist nicht viel mehr als etwa der dritte
eil mit Nervenkranken in obigem Sinne belegt. Im übrigen
'efmden sich hier auch innerlich Kranke und leicht Ver¬
wundete. Diese Mischung hat sich als sehr zweckmässig er¬
wiesen, weil ein Lazarett, das Nervöse gewissermassen „in
Reinkultur enthält, mit grossen inneren und äusseren
'Chwierigkeiten zu kämpfen hat, auf welche ich hier nicht
inzugehen brauche.
Die von mir beobachteten Fälle lassen sich nach ihrer Be¬
lebung zu den kriegerischen Ereignissen in drei Gruppen
rdnen. Die erste Gruppe umfasst die während der Vor-
ereitung des Krieges, also schon in der Mobilmachungs-
*) Nach einem in der Strassburger kriegsärztlichen Vereinigung
shaltenen Vortrag.
Periode, zugegangenen Fälle; die zweite Gruppe die
während der kriegerischen Operationen selbst zum Ausbruch
gekommenen Erkrankungen; die dritte Gruppe die ner¬
vösen Störungen des Wundbettes und Krankenlagers.
Obwohl die in jeder dieser Perioden einwirkenden Schäd¬
lichkeiten sich nicht ohne weiteres vergleichen lassen, gibt
doch die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Gruppe einen
gewissen Massstab für die Widerstandsfähigkeit des betr. Indi¬
viduums. Diese ist offenbar am grössten bei den Angehörigen
uer dritten, am kleinsten bei jenen der ersten Gruppe.
Verweilen wir zunächst bei den Erkrankten der
M o b i 1 m a c h u n g s p e r i o d e, so ist es lehrreich, zu
sehen, mit welcher Sicherheit und Schnelligkeit der Organis¬
mus des Heeres sich dieser seiner untüchtigsten Glieder sofort
entledigte. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, dass in
Elsass-Lothringen der Landsturm sofort mit aufgeboten, und
damit eine Anzahl gesundheitlich und sozial unsicherer Ele¬
mente plötzlich in ganz ungewohnte Verhältnisse versetzt
worden war. Vom 1. Mobilmachungstage an ergoss sich dem¬
entsprechend über die psychiatrische Klinik eine wahre Sturm¬
flut von aufgeregten Kranken, während auf den anderen Ab¬
teilungen des Bürgerspitals noch die friedlichste Ferienruhe
herrschte. Die Verhältnisse gestalteten sich für. uns um so
schwieriger, als das erprobte männliche Pflegepersonal zum
grössten Teil einberufen war, und auch die Aerzte der Klinik
bis auf zwei sofort haben einrücken müssen 1). Es kam dazu,
dass uns die Kranken meist ohne jede Anamnese durch Mann¬
schaften, die gar nichts von ihnen wussten, zugeführt wurden
und, wenigstens im Anfang, um Platz zu gewinnen, oft schon
nach wenigen Tagen evakuiert werden mussten. So ging es
anfangs in der Klinik etwas lebhaft zu, und die Beobachtungen
waren nicht sehr eingehend. Indessen gelang es mit Hilfe
einiger tüchtiger Studenten der verschiedensten Fakultäten
bald, den Dienst wieder ordnungsmässig durchzuführen.
Was die verschiedenen Krankheitsformen dieser Gruppe
betrifft, so sehe ich ab von den Fällen, in denen die Kriegs¬
ereignisse nur den Anstoss zum Ausbruch einer Psychose
gegeben hatten, die auch sonst bei entsprechender Gelegenheit
aufgetreten wäre, also von Anfällen manisch-depressiven Irre¬
seins, von paranoiden und schizophrenen Erkrankungen etc.
Unter den übrigbleibenden Fällen heben sich besonders ab ein¬
mal die Alkoholdelirien, sodann gewisse mehr epi¬
sodenhafte Erregungszustände bei Psycho¬
pathen-). Die Alkoholdelirien, waren meist aus¬
gezeichnet durch besonders tiefe Bewusstseinsstörung und
sehr starke motorische Erregung, während die charakteristi¬
schen Tierhalluzinationen fehlten, ferner war in den Fällen,
die gut ausgingen, nachher meist volle Amnesie vorhanden.
Ein nicht geringer Teil der Fälle endigte aber schnell tödlich,
infolge von Herzschwäche.
Die zu zweit erwähnten Erregungszustände
zeichneten sich meist durch schweren Angstaffekt aus, zu¬
weilen mit religiös exaltierter Färbung und pathetischer Rede-
) Es sind dies die Herren Rosen fei d, Pfersdorf f,
Steiner, S c h a r n k e und Anhalt. Dr. Leva ist als Oberarzt
des mir unterstellten Festungslazarettes, Dr. Edzard als einziger
Assistenzarzt der Klinik zurückgeblieben.
") Gewisse, wohl auf Erschöpfung beruhende Dämmerzustände
habe ich vorläufig nicht berücksichtigt.
218 2
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 44.
weise. Der Gedanke, für einen Spion gehalten und erschossen
zu werden, spielte dabei eine grosse Holle. Die Erregung,
auch wenn sie sehr hochgradig war, lief meist rasch ab; die
Kranken wurden überraschend schnell ruhig und klar. Sie
erwiesen sich dann als nach verschiedener Richtung krankhaft
veranlagt: also als habituell ängstliche, zu paranoider Eigen¬
beziehung geneigte, emotive, vielfach mehr oder weniger
schwachsinnige Individuen. Auch in diesen Fällen war als
Nebenursache Alkoholmissbrauch oft im Spiel.
Die zweite der oben unterschiedenen Gruppen ent¬
hält zunächst einige Fälle, in denen die Aufregungen und
Schrecknisse des Kampfes ganz unmittelbar psychische Stö¬
rungen hervorgerufen hatten. Hier handelte es sich einmal
um hysterische Schreckpsychosen mit dramatischer Repro¬
duktion gewisser Schlachterlebnisse oder um Zustände von
„Attonität“ mit stark herabgesetzter Reaktion, wie man sie
auch sonst nach schweren Katastrophen beobachtet. Natür¬
lich fehlten auch Fälle paroxysmaler und monosymptomati¬
scher Hysterie (Aphonie, Dysbasie, Monoparesen etc.) nicht.
Ein besonders grosser Raum kommt sodann den Fällen
zu, in denen die psychisch-nervösen Störungen auf Er¬
schöpfung beruhten. Abgesehen von den bekannten
geistigen und körperlichen Zeichen der Uebermiidung ist hier
das Auftreten von optischen Sinnestäuschungen zu er¬
wähnen. So erzählte mir ein Kollege, der zunächst bei
der Truppe war, dass bei ihm und ebenso bei verschiedenen
Offizieren seines Bataillons nach sehr ermüdenden Märschen
übereinstimmend die Vision weisser Häuserreihen am Strassen-
rande aufgetreten sei. Ein anderer Offizier berichtete mir,
dass er nach sehr anstrengenden Kampftagen Gesichtshalluzi-
nationen gehabt habe, die ihn sogar beinahe zu falschen Mel¬
dungen und unzweckmässigen Anordnungen veranlasst hätten;
er glaubte nämlich, in einer Mulde des vor ihm liegenden Ge¬
ländes feindliche Kavallerie sich aufstellen und dann ein Luft¬
schiff niedergehen zu sehen, aus welchem eine blauweissrote
Fahne herabgeworfen wurde, alles dies befand sich in eigen¬
tümlich fliessender Bewegung.
In anderen Fällen hatte ein plötzlich eintretender Anfall
von Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit ein neurasthenisches
Krankheitsbild eingeleitet. Die betreffenden Leute sprachen
dann meist von H i t z s c h 1 a g, doch war die Schilderung des
Anfalles meist so wenig genau, dass man nicht sicher be¬
urteilen konnte, ob diese Bezeichnung gerechtfertigt war.
In mehreren Fällen handelte es sich in der Tat um
die von S t e i n h a u s e n 3) als komatös bczeichnete Form.
In anderen Fällen lag aber wohl überhaupt kein Hitzschlag.
sondern nur ein Ohnmachtsanfall aus Schwäche vor. Zwei
der bestbeobachteten Fälle betrafen Offiziere, die im Gefecht
nach erheblichen Anstrengungen und bei schwüler Hitze das
Bewusstsein verloren und erst nach Stunden wieder erlangt
hatten. Im Anschluss daran stellte sich ein neurasthenischer
Symptomenkomplex ein, bei dem besonders die allgemeine
Mattigkeit mit bleierner Schwere in den Beinen, ferner Miss-
empfindungen im Kopf und akustische Reizerscheinungen
(Glockenläuten) unangenehm hervortraten. In einem dieser
Fälle entwickelte sich infolge der erzwungenen Untätigkeit
eine schwere seelische Depression, die den Betreffenden in
halbgenesenem Zustand wieder hinaustrieb. In dem anderen
Falle zeigten die erwähnten nervösen Erscheinungen eine
ausserordentliche Hartnäckigkeit, und es besteht jetzt nach
Monaten noch insbesondere eine ausserordentliche Müdigkeit
und dadurch bedingte Erschwerung des Gehens. — Eine
andere Entstehung haben die wohl zweckmässig als „Granat-
kommotion“ zu bezeichnenden Fälle, in denen die Leute durch
den Luftdruck platzender Granaten zu Boden geworfen
wurden, ohne zunächst erkennbaren Schaden zu nehmen; auch
da wurde noch nach Wochen über ähnliche Folgeerschei¬
nungen geklagt.
Besonders hervorzuheben ist in dieser Gruppe der
neurasthenischen Störungen ein Krankheitsbild, das am besten
als neurast henische Depression zu bezeichnen ist
und übrigens im Russisch-Japanischen Kriege von Awto-
:|) Steinhausen' Nervensystem und Insolation. Bibliothek
von C o 1 e r, 30.
k r a t o w ’) ganz ebenso beobachtet zu sein scheint. Diese
Patienten hatten sämtlich sehr schwere, meist wochen¬
lang fortgesetzte Kämpfe im Gebirge hinter sich. Sie
waren die ganze Zeit über kaum zur Ruhe gekommen, hatten
sich nicht genügend ernähren können und dabei einen ausser¬
ordentlich verschlagenen Feind vor sich gehabt, dem sie
jeden Schritt Terrain verlustreich abgewinnen mussten. Sie
waren bei der Aufnahme meist vollkommen niedergebrochen,
nicht imstande, mit anderen zu verkehren, vollkommen schlaf¬
los, von qualvollen Erinnerungen Tag und Nacht gequält und
nicht selten auch nervösen Angstanfällen unterworfen.
Wochenlang konnten sie die Vorstellungen des Schlachtfeldes
nicht los werden, hatten die Empfindung, als käme immer je¬
mand hinter ihnen, als sähen sie die Laternen heranschleichen¬
der Feinde etc. Die verzweifelte, mehrfach bis zum Lebens¬
überdruss gehende Stimmung besserte sich nach einiger Zeit,
eine ausgesprochene krankhafte Uebererregbarkeit, quälender
Kopfdruck und andere neurasthenische Symptome sowie Stö¬
rung des Schlafes, bestanden aber fort. Auf körperlichem
Gebiet war hier, wie übrigens auch sonst bei vielen unserer
„Nervösen“, also beim Fehlen organischer Affektionen, öfters
der volle, gespannte und stark verlangsamte Puls bemerkens¬
wert; diese Erscheinung schwand meist nach einiger Zeit.
Eine grosse, aber wenig erfreuliche Sondergruppe stellen
endlich die Fälle von Neurasthenie dar, die bei sehr geringen
objektiven Erscheinungen, wie Zittern der Finger, gesteigerten
Sehnenreflexen und Dermographie, sehr lebhaft und aufdring¬
lich vorgebrachte subjektive Beschwerden aufweisen.
Diese waren übrigens auch unter den Kranken der Mobil¬
machungsperiode zahlreich vertreten.
Die Fälle der dritten oben unterschiedenen Grupp;'
zeigen bis jetzt eine grosse Einförmigkeit, insofern sie nur
solche Kranke betreffen, die im Zusammenhang mit einer Ver¬
wundung eine ausgesprochene Hyperästhesie aufweisen.
Es handelte sich dabei nach meiner Erfahrung meist um Ver¬
letzungen der peripheren Nerven. Dem Arzt wird dadurch
erschwert, den Grad der objektiv begründeten Beschwerden
richtig zu beurteilen.
Versuchen wir, aus dem Vorstehenden einige Schluss¬
folgerungen zu ziehen, so ergibt sich zunächst, dass es
eine besonders für den Krieg spezifische
Psychose oder Neurose nicht gibt. Die An¬
strengungen, die Gemütsbewegungen, der ungenügende
Schlaf, die unregelmässige und oft ungenügende Er¬
nährung, alles dies sind Schädlichkeiten, die uns auch sonst
als wesentliche Ursachen der psychisch-nervösen Erkran¬
kungen wohlbekannt sind; sie treten im Kriege nur durch ihre
besondere Intensität und Extensität hervor. Ebenso sind auch
die durch sie hervorgerufenen Krankheiten an und für sich
nicht von den im Frieden beobachteten Formen verschieden,
sondern nur durch eine gewisse Kriegsfärbung modifiziert.
Auch die obenerwähnten Fälle von Schreckpsychosen und von
neurasthenischer Depression haben nichts besonderes.
In praktischer Beziehung müssen auch die psychisch¬
nervösen Erkrankungen der Kriegsteilnehmer zunächst unter
dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob und auf welche
Weise die Felddienstfähigkeit am schnellsten wieder
hergestellt werden kann. In dieser Beziehung scheiden
alle Psychosen von vornherein aus, weil überstandene Geistes¬
krankheit nach der Dienstanweisung Dienstunbrauchbarkeit be¬
dingt. Dasselbe gilt von nachgewiesener Epilepsie und muss auch
ausgedehnt werden auf schwerere, nicht monosymptomatische
Fälle von Hysterie, insbesondere auch auf die mit aus¬
gesprochenem Krampftypus. Die Fälle von Alkoholdelirium
fallen selbstverständlich auch unter obigen Gesichtspunkt; es
braucht sich dabei nicht um ein ausgesprochenes Alkohol¬
delirium gehandelt zu haben, sondern auch die chronischen
Alkoholisten mit Neigung zu Trugwahrnehmungen sollten
völlig vom Dienste ausgeschlossen werden, weil es zu gefähr¬
lich ist, ihnen eine Waffe in die Hand zu geben. Auch Indi¬
viduen mit ausgesprochen psychopathischer Veranlagung
sollte man ohne weiteres ausschalten, wenn eine Neigung zu
krankhaften Erregungen und Verstimmungen erweislich ist.
*) Awtokratow: Die Geisteskranken im Russischen Heere
während des Japanischen Krieges. Allgem. Zschr. f. Psych. 1907.
3. November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch. med. Wochenschrift.
2183
Besonder s hartnäckig erweisen sich, wie schon oben erwähnt,
die Fälle von neurasthenischer Depression und die Neur¬
asthenien nach Hitzschlag, schwerem nervösen Schock und
(iranatkomrnotion. Ob hier auch volle Garnisondienstfähig-
keit zu erreichen sein wird, scheint mir nach den bisherigen
Erfahrungen zweifelhaft. Die Prognose stimmt überein mit
derjenigen anderweitiger schwerer Unfallneurosen.
Gegenüber diesen schweren Erkrankungen bildet endlich
die grosse Schar der Neurastheniker unbestimmter Farbe eine
wahre Crux der Lazarette. Sie unterscheiden sich in nichts
von jenem unerfreulichen I yp der traumatischen Neurosen,
der jedem Gutachter bekannt ist, nur dass die Begehrungsvor¬
stellungen hier nicht wie bei den letzteren auf die Erlangung
einer Rente, sondern auf die Befreiung von der militärischen
Dienstpflicht gerichtet sind. Hier ist es oft nötig, gegen den
deutlich erkennbaren Widerstand der Kranken auf Wiederauf¬
nahme des Dienstes zu dringen, freilich wohl selten mit
dauerndem Erfolge.
Ueber Fleckfieber und Rückfallfieber *).
/on Marineoberstabsarzt Prof. Dr. P. M ü h 1 e n s in Wil¬
helmshaven.
Unter den Seuchen, deren Bekanntschaft wir vielleicht
m gegenwärtigen Kriege machen müssen, sind Fleck-
y phus und Rückfallfieber wohl den meisten deut-
chen Aerzten in der Praxis noch nicht begegnet. Daher
lochte ich kurz die Aufmerksamkeit auf diese beiden Kränk¬
elten lenken, die bekanntlich noch in den letzten Balkan¬
riegen ganz ungeheure Verluste in den Balkanstaaten und in
er Türkei verursacht haben, nicht nur während des
.rieges, sondern auch noch nachher. Ich sah selbst noch
n Mai dieses Jahres zahlreiche Flecktyphus-, Rekurrens- und
yphuskranke in vielen Lazaretten der Türkei. Im Juni hörten
ann die Flecktyphuserkrankungen ziemlich plötzlich auf.
Unter den Kriegsseuchen spielen zweifellos die sogen,
typhösen^ Fieb er“ die wichtigste Rolle. Der Name
Fy phu s“ (rvcpng = Rauch, Dunst) kennzeichnet das Haupt-
ymptom dieser Erkrankungen: die Umnebelung der Sinne,
v ährend man in älteren Zeiten alle typhösen Zustände unter
em Namen „Typhus“ zusammenfasste, gelangte man später
j der Erkenntnis, dass unter diesen Krankheiten mindestens
rei ursächlich verschieden und daher von
nander scharf zu trennen sind, nämlich: 1. Typhus ab-
ominalis, Unterleibstyphus, Ileotyphus, oder auch
an uns Deutschen schlechtweg „Typhus“ genannt, 2. Ty-
h u s exanthematicus, petechialer Typhus, Fleck -
Phus> Fleckfieber (von Franzosen und Engländern
lyphus“1) genannt), 3. Typhus recurrens, Rekurrens,
ii c k f a 1 1 f i e b e r.
Das Fleckfieber.
Epidemiologie: Das Krankheitsbild ist bereits seit
nfang des 16. Jahrhunderts genauer beschrieben. Damals
•H die Seuche sich zum ersten Male über den europäischen
antinent ausgebreitet haben. Das Fleckfieber ist eine der
furch tetsten Kriegsseuchen. Weil Flecktyphus und Kriege
•iher fast stets mit einander verknüpft waren, so hat man die
ankheit auch als Pestis belli oder Tj^phus bellicus be-
ichnet. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Krimkriege
53/56 sollen an Flecktyphus2) gestorben sein: 16 000 Engländer
000 Franzosen und 800 000 Russen. Auch im 30 jährigen
iege, während der napoleonischen Feldzüge und im letzten
ssisch-türkischen Kriege verursachte Flecktyphus unzählige
adesfälle.
Als „hauptsächlichste Brutstätte“ des Fleckfiebers und
ester bekannter Herd gilt Irland, daher die Bezeichnung
Nach einem am 19. IX. in der Marineärztlichen Gesellschaft
Wilhelmshaven gehaltenen Vortrag.
’) Dadurch^ ist die Behauptung entstanden, dass die Deutschen
Krieg 1870/71 an Flecktyphus gelitten hätten, offenbar weil in
'Cren Berichten die Bezeichnung „Typhus“ (französisch dem Fleck-
>hus entsprechend) gebraucht ist.
) Vielleicht sind darunter auch andere typhöse Fieber mitge-
hnet
„irischer Typhus“. Ferner ist die Krankheit in Russland,
namentlich in den russischen Ostseeprovinzen und Polen, zu
Hause. Die zu Anfang des vorigen Jahrhunderts aus Russland
zurückkehrende geschlagene napolconische Armee litt
stark unter Flecktyphus und verbreitete die Seuche über
Europa. Die 1 ürkei und der Balkan, ebenso Teile von
Oe sterreich-Ungarn (besonders Galizien) sind
offenbar von Russland her infiziert, während bekanntlich
irische Auswanderer die Seuche häufig in überseeische
Länder verschleppt haben. Auch Schiffsepidemien
. .i* s spielten früher, namentlich zur Zeit der Segel¬
schiffahrt ein grosse Rolle.
Eine kleine Schiffsepidemie aus neuerer Zeit wurde im
vongen Jahre von Mar kl - Triest beschrieben: Ein österreichischer
Lloyddampfer hatte zwischen dem 14. und 20. V. 1912 etwa 2800
türkische boldaten von Valona und Semeni nach Konstantinopel trans-
P°rtI,ert- ,,Die pol,daten waren fast alle elend, 200 ausgesprochen
Tank. Man glaubte, es handele sich um „Erschöpfungszustände“,
ffenbar aber müssen Flecktyphuskranke an Bord gewesen sein, wie
auch die Folge zeigte. 30 Mann starben auf der Ueberfahrt. Nach
der Ausschiffung der Soldaten ging der Dampfer nach Triest. Da¬
selbst wurde die Hälfte der Besatzung ausgewechselt. Ende Mai und
anfangs Juni erkrankten nun von den Ausgeschifften und den an
“ord Gebliebenen im ganzen 40 Mann an Flecktyphus mit 15 Proz
Mortahtat. — In dem Berichte ist noch erwähnt, dass die öster¬
reichische Besatzung während der Ueberfahrt stark verlaust war.
Nachdem später eine Entlausung vorgenommen war, erfolgte keine
Uebertragung mehr.
Ausser in Kriegen haben Fdecktyphusepidemien sich auch
oft in Zeiten sozialer Not, namentlich bei Hungersnot
(„Hungertyphus“) ausgebreitet, z. B. grosse Epidemie in Irland
und Grossbritannien Mitte des vorigen Jahrhunderts. Ein
weiterer günstiger Boden ist da, wo Menschenanhäu-
f n n g e n in engen schmutzigen Räumen stattfinden, so z. B.
in Herbergen, Gefängnissen, früher auch in Kasernen, Irren¬
anstalten und Hospitälern. In den alten Hospitälern wurden
auch häufig Aerzte und Pflegepersonal infiziert, ferner Des¬
infektoren und Wäscherinnen, die die Krankenwäsche be¬
sorgten.
Im Jahre 1853 entstand in Giessen eine Gefängnisepi-
denue durch Einschleppung. Nach Räumung des Gefängnisses
kamen die Schwerkranken in die Giessener medizinische Klinik. Da¬
selbst erfolgten zahlreiche Ansteckungen von Pflegepersonal und
anderen Kranken, ausserdem im Lande in fast jedem Dorfe, in dem
Entlassene aus dem Gefängnis zugezogen waren.
Der Flecktyphus ist vorwiegend eine Erkrankung
der sozial am schlechtesten gestellten Be¬
völkerungsklassen.
In den letzten Jahren ist der Flecktyphus (der vor
2 Jahi zehnten noch in Oberschlesien vorkam und im vorigen
Jahrhundert wiederholt in unseren verschiedensten Landes¬
teilen epidemisch aufgetreten ist) meines Wissens in
D e u t s c h 1 a n d nicht mehr endemisch, vielleicht aber gegen¬
wärtig schon von Russen eingeschleppt. Eingeschleppte
Fälle sind nicht selten, so noch vor Kriegsausbruch 4 Fälle
m Hamburg (russische Auswanderer) und im Juli 1 Fall in
Memel (Russin). — In Russland sind noch in neuerer Zeit
Epidemien aufgetreten, so kürzlich gemeldet aus dem Gou¬
vernement P o d o 1 i e n (östlich von Galizien) und aus vielen
anderen Gegenden. Leider sind auch einige Gebiete von
Oesterreich-Ungarn nicht frei von Flecktyphus ge¬
blieben. Am meisten leidet Galizien: in den Jahren 1901
bis 1913 jährlich 1747 bis 4176 Fälle; vom 1. Januar bis
1. August dieses Jahres schon rund 1700 Fälle in gewissen
Bezirken, in Bukowina etwa 60 Fälle in derselben Zeit,
feiner einige in Dalmatien und anderen Küstenländern in
diesem Jahre berichtet. — Ausser den russischen, galizischen,
türkischen und Balkanepidemien sind in neuerer Zeit noch Epi¬
demien in Nordafrika (I unis, Algier, Tripolis und vielleicht
auch Marokko), sowie in Japan (mehrere tausend Falle seit
Februar 1914) für uns von besonderem Interesse. Ueber Ir¬
land bin ich zurzeit nicht unterrichtet. Doch sollen im Jahre
1912 Dublin und Belfast noch Flecktyphus gehabt haben.
Die mitgeteilten Tatsachen zeigen zur Genüge die uns
gegenwärtig^ namentlich von den hunderttausenden verlausten
russischen Gefangenen her bedrohende Gefahr.
Die meisten Flecktyphuserkrankungen pflegen, so auch in
Galizien und früher in Deutschland, im Frühjahr bzw. in
2184
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4*4
in der ersten Hälfte des Jahres aufzutreten, vielleicht im Zu¬
sammenhang mit der Läuseentwicklung bzw. -aktivität.
Das klinische Bild hat manche Aehnlichkeiten mit den
anderen „typhösen“ Krankheiten, bietet aber in ausge¬
sprochenen Fällen auch einige besondere Eigentümlichkeiten.
Im folgenden kurz die w i c h t i g s t e n M e r k m a 1 e. Als
Inkubationsdauer werden 3—21 Tage angegeben.
Meist nach mehrtägigen Vorerscheinungen (Appetit¬
losigkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel) setzt die
Krankheit in der Regel plötzlich mit Schüttelfrost
oder wiederholtem Frieren ein, dem sogleich hohes Fieber
folgt. Die Temperaturkurve steht etwa zwischen Ab¬
dominaltyphus- und Rekurrenskurve: etwa 8—17 Tage lang
anhaltendes hohes Fieber zwischen 39,5 und 41° und
selbst mehr (Fieber bei Typhus länger dauernd und meist nicht
so hoch, bei Rückfallfieber ebenso hoch, aber von kürzerer
Dauer). Der meist am 12. — 14. Krankheitstage, innerhalb 12
bis 36 Stunden, selten langsamer erfolgenden kritischen
Entfieberung geht nicht selten eine Perturbatio critica
mit Anstieg bis 42° und höher voraus; der Abfall geht häufig
bis zur subnormalen Temperatur (35° und weniger). — Puls
im Gegensatz zum Abdominaltyphus stets beschleunigt
(110 — 140), weich, nicht gespannt, oft kaum fühlbar, selten
dikrot, mitunter unregelmässig. — Allgemeinerschei¬
nungen meist von vornherein recht schwer und schnell
zunehmend: heftige Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen,
Abgeschlagenheit, quälende Schlaflosigkeit, rasch einsetzende
Benommenheit, Delirien, oft Aufregungs- und Depressions¬
zustände (Selbstmordversuche). — Bezeichnend ist vor allem
der Ausschlag, der am 3. — 6., meist am 4. oder 5. Krank¬
heitstage beginnt: Stecknadelkopf- bis linsengrosse rote, flache
Fleckung, auf Fingerdruck verschwindend, manchmal spärlich,
häufig aber sehr ausgebreitet, meist am Rumpf (Brust- und
oberer Bauchgegend) beginnend, dann oft auch auf Glied¬
massen, jedoch in der Regel nicht auf Gesicht und Hals über¬
gehend (Unterschied von Masern). Die Haut kann bei reich¬
lichem Ausschlag eine livide Verfärbung annehmen. Der Aus¬
schlag wird besonders typisch, wenn die sog. „petechiale
Umwandlung“ eintritt infolge von kleineren und grösseren
Ekchymosen, die eine dunkel- bis blaurote Verfärbung im Zen¬
trum und eine mehr bräunliche an der Peripherie zur Folge
haben. Diese petechialen Stellen verschwinden meist lang¬
samer als die anderen, höchstens 3 — 8 Tage sichtbaren roten
Flecken. Grössere Hautblutungen sind selten, jedoch kommt
hämorrhagische Diathese vor. In der Genesung häufig kleien¬
förmige Abschilferung. Brauer machte kürzlich auf das
sog. „Radiergummiphänomc n“ im Spätstadium oder
nach Abklingen der Erscheinungen aufmerksam:
„Streicht man mit einem Finger leicht reibend über die Haut der
Kranken, so sieht man die oberen Epidermisschichten sich abstossen
und als dichte feine Schuppung einen zarten, leicht geröteten Unter¬
grund decken. Das Ganze erweckt den Eindruck, als habe man mit
einem weichen Gummi radiert und als seien nun die kleinen Papier-
und Gummifasern aufgelagert.“ Ob dies Phänomen nicht auch bei
anderen exanthematischen Krankheiten vorkommt, ist nicht gesagt.
Die kürzlich von Eugen Fraenkel als spezifisch beschriebenen
Veränderungen an den Hautarterien in exzidierten Roseolen kommen
für die Frühdiagnose im Felde wohl kaum in Betracht.
Das Exanthem ist im Gegensatz zu den in der Regel schub¬
weise auftretenden Abdominaltyphusroseolen meist bald be¬
endet. Die Vollendung ist aber dann nicht wie bei den akuten
Exanthemen der Beginn der Besserung im Befinden; viel¬
mehr setzen nun häufig schnell die tödlichen Symptome ein.
In den typischen schweren Fällen liegen die teilnahm-
losen, soporösen, anscheinend schwerhörigen Kranken da mit
hochrotem, gedunsenem Gesicht, geröteten Augenbindehäuten,
halboffenem Munde, trockener dickschmutzig-gelblich bis
bräunlich belegter Zunge und ausgesprochenem Exanthem.
Häufig auch Husten und bronchitische Erscheinungen. Milz
meist deutlich, nicht sehr gross, in manchen Epidemien kaum
geschwollen (wie ich z. B. im April 1914 bei einer Gefängnis¬
epidemie in Jerusalem feststellen konnte). Häufig besteht
Albuminurie mit Nephritis. Andere besonders gefürchtete
Komplikationen sind: Blutungen, Pneumonie, eitrige
Parotitis oder Otitis media, ferner Dekubitus und Gangrän mit
Verlust von Gliedmassen. Im Mai lernte ich in Konstantinopel
einen türkischen Militärarzt kennen, der infolge einer solchei
Gangrän eine Hand verloren hatte.
In den akut schwer verlaufenden Fällen erfolgt dit
Krise gewöhnlich gegen Ende der 2. oder anfangs dei
3. Krankheitswoche. Dies sind überhaupt die gefährlichste
Tage: es kann infolge von Herzschwäche oder von Korn
plikationen der Tod eintreten, oder es erfolgt der Uebergain
in eine oft durch Schwächezustände, starke Blutarmut, nervöse
Erscheinungen oder durch Komplikationen verzögerte Re¬
konvaleszenz.
Nicht alle Epidemien verlaufen gleichartig und gleich-
mässig schwer. Der Verlauf richtet sich nicht nur nach der.
Endemie- bzw. Immunitätsverhältnissen durch früheres Ueber-
stehen der Krankheit, sondern auch nach den begleitenden
namentlich sozialen Verhältnissen (Elend, Hunger). Manche
Epidemien sind gutartig (nur flüchtiges, geringes oder gai
überhaupt kein Exanthem), andere bösartig. Dementsprechend
werden Sterblichkeitsziffern zwischen 5 und
50 Proz. (Durchschnitt 15 — 25 Proz.) angegeben. Kindei
sterben im allgemeinen seltener als Erwachsene una ältere
Leute.
Eine spezifische medikamentöse Behandlung kennen
wir noch nicht. In Jerusalem hörte ich, dass Jodtinktur,
tropfenweise in Wasser gegeben, mitunter scheinbar günstig
gewirkt habe (Dr. Hallaby). Wie mir ferner türkische
Militärärzte in Konstantinopel kürzlich mitteilten, sollen m
einigen Fällen gute Erfolge durch Injektion von Rekon¬
valeszentenserum erzielt sein (auch früher schon von.
N i c o 1 1 e berichtet und zur Prophylaxe empfohlen). Ich
selbst versuchte in einigen schweren Fällen Arsalyt-
therapie (s. auch unter Rückfallfieber) ohne jeden Erfolg. Ich
bezweifle daher, dass Salvarsan günstig wirken soll. Die Be¬
handlung ist also vorläufig eine rein symptomatische.
Dabei ist besonders die Herztätigkeit, vor allem vor,
während und nach der Krise, im Auge zu behalten und durch
Digalen, Kampher, Koffein u. dgl. anzuregen. Laue Bäder und
Einpackungen sind mitunter von wohltuendem Einfluss. Als
Antipyretikum wird vielfach Chinin gegeben.
Nach Ueberstehen tritt eine hochgradige Immunität
ein, die aber Wiedererkrankungen nicht immer völlig aus-
schliesst. Rückfälle wie bei Rekurrens kommen nicht vor.
Die Ursache des Flecktyphus ist noch nicht sicher erkannt.
Viele Forscher haben Mikroorganismen beschrieben, so am häufigsten
Diplobazillen (von M. Rabinowitsch „Diplobacillus
exanthematicus“ genannt), deren ursächliche Bedeutung aber
noch nicht allgemein anerkannt ist. Die von v. Prowazek be¬
schriebenen roten Granula in nach G i e m s a gefärbten mehr-
kernigen weissen Blutkörperchen sind vielleicht differentialdia¬
gnostisch verwertbar. N i c o 1 1 e und seine Mitarbeiter halten die
Leukozyten für die Virusträger.
Uebertragbarkcit auf Affen und Meerschwein¬
chen durcli intraperitoneale Blutüberimpfung ist nachgewiesen.
Rabinowitsch berichtet auch über gelungene Uebertragungen
mit dem Diplob. exanthematicus auf junge Ferkel.
Die natürliche Uebertragung des Flecktyphus geschieht durch
Läuse, hauptsächlich Kleider-, aber auch Kopfläuse. Dafür
sprechen nicht nur die sämtlichen epidemiologischen Beob¬
achtungen, viele Beispiele (die geschilderte österreichische
Schiffsepidemie), sondern auch die gelungenen tierexperimen¬
tellen Uebertragungen N i c o 1 1 e s und seiner Mitarbeiter in
Tunis (seit 1909) sowie amerikanischer Forscher in Mexiko,
die auch die Identität des „T a b a r d i 1 1 o“ in Mexiko mit
Flecktyphus nachwiesen. Auch die sog. Brill sehe Krank¬
heit in New York ist mit Flecktyphus identisch. Die Ueber¬
tragung erfolgt entweder durch den Stich selbst oder dadurch,
dass Läuse beim Stechen zerquetscht werden und ihr Inhalt
durch Kratzen und Reiben in die Haut gelangt. Selbst die
Nachkommenschaft einer infizierten Laus soll die
Krankheit übertragen können.
Da wir den Erreger noch nicht im kranken Menschen be¬
kämpfen können, so ist der Kampf und die Prophylaxe gegen
Flecktyphus vor allem gegen die Läuse zu richten.
Es gilt in erster Linie, die Läuse von den Kranken, aus ihren
Kleidern und aus den von ihnen bewohnten Räumen zu ent¬
fernen und sie auch weiterhin von ihnen fernzuhalten. In
der Türkei wurden im April und Mai dieses Jahres ganze
Armeekorps mit grossem Erfolg entlaust: Die Kasernen
3. November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, ined. Wochenschrift.
2185
wurden geräumt, die Läuse im Freien vom Körper durch
gründliche Abwaschungen mit Bürste und Seife, event. nach
Rasieren behaarter Körperteile entfernt. Einreibungen mit
grauer Salbe waren sehr wirksam. Die Kleider wurden durch
Dampfdesinfektion, die Kasernenräume durch gründliches Aus¬
schwefeln gereinigt, ln Russland reinigt man zum Teil die
Räume, Bettstellen usw. mittels strömenden Wasserdampfes,
Jer in transportablen Kesseln entwickelt wird. Der sicherste
Schutz für Aerzte und Pflegepersonal ist die* Entlausung
ier Kranken vor der Aufnahme in den reinen Kranken-
>aa!. In dem mustergültig geleiteten Militärhospital „Gürnül
,S u j u in Konstantinopel kamen alle Verdächtigen zunächst
n besondere Räume und dann erst nach gründlichster Ent-
ausung in die Krankensäle. So wurden daselbst Ueber-
ragungen vermieden. Aerzte und Pflegepersonal
(önnen sich beim, Besuch von nicht entlausten Kranken
schützen durch Kleider (Ueberröcke) mit festanschliessendem
\ermelschutz, gutem Abschluss an Hals und Beinen, ferner
iurch Einstreuen von reichlich Insektenpulver daselbst. Auf
;olche \\ eise blieb ich selbst bei Untersuchung von vielen
mndert Kranken, mit deren Körper, Kleidern, Entleerungen,
Hut bei Untersuchungen usw. ich stellenweise (z. B. im Ge-
ängnis in Jerusalem) wiederholt und längere Zeit ohne Des-
nfektionsmöglichkeit in Berührung kam, frei von Flecktyphus.
)er Schutz vor Läusen scheint also am besten vor der In-
ektion zu bewahren.
Wie bei allen Infektionskrankheiten ist es für die Ver-
liitung der Weiterverbreitung auch von der grössten Wichtig-
:eit, dass die ersten Fälle gleich erkannt und iso-
i e r t werden.
Bei der Diagnose (Differentialdiagnose siehe später) ist es
- ebenso wie bei dem so häufig übersehenen Leberabszess —
ie Hauptsache, dass man an die Krankheitsmöglichkeit denkt,
mf sie besonders aufmerksam zu machen, ist Zweck meiner
Vorte.
Unsere Soldaten können und müssen wir auch jetzt
chon vor eventueller Epidemiegefahr schützen, dadurch,
ass wir Militärärzte sorgfältig darauf achten,
ass sich bei den Truppenteilen, namentlich
ei den im Osten stehenden, keine Läuse ein¬
isten. 1870/71 sollen ganze Armeekorps verlaust gewesen
ein. Glücklicherweise blieb damals Flecktyphus fern. Es sei
och darauf aufmerksam gemacht, dass gegenwärtig nicht nur
i Russland selbst Infektionen unserer Truppen
löslich sind, sondern auch im eigenen Lande durch erkrankte
jssische Gefangene veranlasst werden können, so z. B. event.
i Eisenbahnwagen, in denen Russen infizierte Läuse hinter¬
issen haben. Ich halte daher die Desinfektion
olcher Wagen durch Ausschwefelung und Lysol¬
aschungen für unbedingt notwendig, zumal auf dieselbe
^eise (durch Läuse) auch noch eine zweite von Russland her
lohende Gefahr, das Rückfallfieber, übertragen wird.
(Schluss folgt.)
Wasserstoffsuperoxyd und seine Präparate in der
Wundbehandlung.
on Prof. Dr. Walther in Giessen, zurzeit Chefarzt des
Reservelazaretts I Giessen.
Wohl zu keiner Zeit hat die Frage der Wundheilung ein
1 aktuelles Interesse gehabt, wie gerade jetzt, wo tagtäglich
lenthalben Verwundete vom Schlachtfelde heimkehren, die
cht nur einer sorgfältigen Nachbehandlung für die erste Zeit
■ dürfen, sondern auch einer Wiederherstellung ihrer Arbeits-
nigkeit für spätere Zeiten. Gerade von diesem Gesichts-
inkte aus muss die Wundheilung immer wieder diskutiert
erden und scheint mir jeder, auch der bescheidenste Beitrag
:r Beachtung wert zu sein. In diesem Sinne mögen die
Igenden Mitteilungen aufgefasst werden, insofern sie über
ne in den mir unterstellten Lazaretten mit ausgezeichnetem
folge geübten Wundbehandlung — nämlich diejenige mit
asserstoffsuperoxyd bzw. den hochprozentigen
asserstoffsuperoxydpräparaten — einen Beitrag liefern
llen.
Die Zeit der übertriebenen Antisepsis der Wunde ist gott¬
lob schon lange überwunden und durch die streng durchgeführte
Asepsis längst überholt. Die ausgezeichneten, meiner Ansicht
nach sehr beachtenswerten Grundsätze, wie sie in dieser Bei¬
lage von Angerer, neuerdings von Graser und Kirschner1)
aufgestellt wurden, lassen ja durchblicken, dass wir in der asep¬
tischen Wundbehandlung im konservativen Sinne ein vortreff¬
liches Heilmittel besitzen, nach dem Prinzip, welches (ähnlich
unseren geburtshilflichen Grundsätzen) obenan gesetzt werden
muss: die Wunde als ein noli me tangere anzusehen. Immer¬
hin sind antiseptische Mittel nicht ganz auszuschalten; un¬
bedingt zu unterlassen sind unnütze Irrigationen mit giftigen,
eicht resorbierbaren Mitteln — von Karbol, das überhaupt
wohl nirgends mehr genannt wird, gar nicht zu reden; auch
Subhmatlösungen sollten ferngehalten oder nur in starker Ver¬
dünnung gebraucht werden. Für die seltenen Irrigationen
breiter Wundflächen habe ich Phobrol-Roche (= Chlormeta-
kresol) als ein vortrefflich wirkendes Antiseptikum in der
btarke von 5 ccm in 1 Liter Wasser, sehr schätzen gelernt.
Dagegen besitzen wir in dem offizinellen Hydrogenium
peroxydatum ein Mittel, welches, an sich ungiftig, ohne
die Wunde zu reizen, ohne die Granulationsbildung zu
stören, unbeschadet zur Reinigung der Wunde sehr gut be¬
nützt werden kann. Es hat dabei den grossen Vorteil, dass
das unsinnige, gerade so schädliche „Auswischen“ der Wunde
durch die schäumende, also mechanische Wirkung sich er¬
übrigt, also dass ihm dadurch vorgebeugt wird 2)
WacA1S im Jahre ,1905 für die Gynäkologie und Geburtshilfe das
Wasserstoffsuperoxyd empfahl, tat ich dies auf Grund der vortreff¬
lichen Resultate, die ich gelegentlich meiner Stabsarztübung im hiesi-
gen Garmsonslazarctt mit Perhydrol- Merck, später auch mit dem
offizmellen Wasserstoffsuperoxyd in der Wundbehandlung er¬
zielt hatte. Das Mittel war damals noch nicht etatsmässig, ist aber spä¬
ter etatmassig geworden und seit derZeit meines Wissens in allen Mili-
Szare^n eingeführt. Die früher noch üblichen, mitunter doch
ment ungefährlichen Karbol- oder Sublimatverbände sind glücklicher-
weise dadurch gänzlich verdrängt worden. Damals verwendete ich
zunächst das Perhydrol-Merck, bekanntlich ein 33— 34 proz. säure-
rdes Wasserstoffsuperoxyd, später das offizinelle, für grösseren Be-
ar^uatUr billigere Präparat. Der Vorteil der Wasserstoffsuper¬
oxydbehandlung der Wunde, sei es der in Verheilung begriffenen.
sei,es ~Z W£ls gerade fetzt eine besondere Rolle spielt — der primär
und auch sekundär verunreinigten Wunde scheint mir gerade in der
Einwirkung dieses Präparats auf die Wunde zu liegen, wie sie oben
schon angedeutet wurde: zunächst vollzieht sich ganz spontan eine
mechanische Reinigung der Wunde, dadurch, dass bei Aufgiessen
wässrigen Lösungen (selbst noch in Lösung 1 HsOs auf
. i” leile Wasser) ein Aufschäumen entsteht und hierdurch Ge¬
rinnsel, nekrotische und andere Fetzen schonend weggerissen werden
Die schaumende Wirkung entsteht dadurch, dass durch Berührung der
Wundfläche mit Wasserstoffsuperoxyd eine Abspaltung von Sauer-
stoff in statu nascendi zur Einwirkung kommt, welche, wie schon
v. Bruns hervorhebt, zweifellos einen stimulierenden Einfluss auf
die Gewebe ausübt und ihre Reaktionserscheinungen stärkt. Es ver¬
bindet sich mit dieser mechanischen Reinigung, welche, um es noch
f'nmal zu wiederholen, das früher übliche, höchst überflüssige Tupfen
Wischen, Spulen überflüssig macht, zweifellos, wie die Unter-
suchungen von v. Bruns, H o n s e 1 1, D e c i u s u. a. 3*) mit Sicher-
ll yf die Feldärztl. Beilage Nr. 1 u. 5 (M.m.W. Nr. 32 u. 36).
■ u müchte an dieser Stelle einen Irrtum vorwegnehmen, dem
ich auffallenderweise recht oft begegnet bin, nämlich dass Wasser¬
stoffsuperoxyd zu teuer sei. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Das
Kilo kostet im En-gros-Preis 50 Pf.! Gerade deshalb ist es ja unter
die etatsmässigen Arzneimittel in der militärärztlichen Praxis eben
eingefuhrt worden. Natürlich ist das offizinelle Wasserstoffsuperoxyd
nicht identisch mit dem Perhydrol, einem 10 mal so starken Präparat,
welches aber recht teuer ist. Das offizinelle Wasserstoffsuperoxyd
ist, wie festgestellt ist, auch in lOfacher Verdünnung wirksam, also
gerade ein ausserordentlich billiges Antiseptikum!
3) Walther: Wasserstoffsuperoxyd-Merck (Perhydrol) in der
gynäkologischen Praxis. Vgl. M.K1. 1905 Nr. 3. Ich habe das HsO*
in der Gynäkologie und Geburtshilfe sehr schätzen gelernt. Zu Spü¬
lungen (3 Esslöffel des offiz. H2O2 in 1 Liter Wasser) bei frischen
Kolpitiden ist es unübertrefflich, ebenso zu Eingiessungen bei jauchen¬
dem Abort, falls das Ovum oder eine retinierte Plazenta in der
Scheide liegt und ebenso bei submukösen, in partu befindlichen
Myomen, schliesslich bei jauchendem Karzinom und Sarkom
> v;BrunsÄB-kLW- 1900 Nr. 19. - Honsel 1: Beitr. z. klin.
Lhir. 27. 1900. — Guttmann: Aerztl. Praxis 1901 Nr. 1. — De¬
el u s: Inaug.-Diss., Halle 1902. — Die gleichen günstigen Erfahrungen
m; , ,Swb?m „ xt* C ln d 1 6 V Wien veröffentlicht, dessen Aufsatz
(W.kl.W. 1914 Nr. 30 u. 31) mir während der Drucklegung erst be¬
kannt wurde. Er bezeichnet Wasserstoffsuperoxyd geradezu als das
souveräne Spülmittel für chirurgische Zwecke auf Grund seiner
reichen Erfahrungen im serbisch-bulgarischen Kriege 1913. Auch
2186
Feldärztliche Beilage zur Münch, ttied. Wochenschrift.
Nr. 44.
Iieit ergeben haben, eine antiseptische, schliesslich aber auch,
was gerade für jauchende Weichteilverletzungen in Betracht kommt,
eine desodorisierende. Ich wüsste kein einziges
antiseptisches Mittel, welches in gleich schonen¬
der Weise, gleich ungiftig, gleich geruchlos eine
Wundfläche zu reinigen imstande wäre! Dazu kommt,
dass die Reinigung vollkommen schmerzlos und reizlos ist,
und — worauf ich einen besonderen Wert lege — auch die Umgebung
der Wunde nicht ätzt, sowie die üranulationsbildung nicht stört, son¬
dern gerade anregt. Man vergleiche damit die früher üblichen, selbst
verdünnten Karbol-, auch Sublimatverbände, wie hier etwa die Haut
der Umgebung unsinnig malträtiert und die Wundheilung gestört
wurde.
Die von anderer Seite hervorgehobene hämostyptische Wirkung,
habe ich nicht so sehr beobachten können, möchte sie aber nicht be¬
streiten; doch erscheint eine mit Wasserstoffsuperoxyd übergossene
Wundfläche erheblich frischer, was vielleicht auf die Veränderung
des Hämoglobins zurückzuführen sein dürfte.
Zur Anwendung kommt in der Regel das reine Wasserstoffsuper¬
oxyd, angeblich 3 proz., wie Untersuchungen ergeben haben, schwankt
indessen der Gehalt etwa zwischen 0,8 und 2 Proz. Nichtsdesto¬
weniger sehen wir sowohl bei dieser Anwendung, als auch bei Ueber-
giesen einer verdünnten Lösung (z. B. wie ich es versuchte: 1 Teil
Wasserstoffsuperoxyd, 2 Teile 2 proz. Borsäurelösung)* * * 4) fast die
gleiche Wirkung : intensive Reinigung der Wunde
ohne Reizung der Umgebung! Im übrigen wird —
falls die Umgebung der Wunde vorher gereinigt war (Ra¬
sieren, Reinigen mit Benzin oder Alkohol, Bestreichen mit
Jodtinktur) — die Wunde weiter aseptisch behandelt: Verband mit
aseptischer Gaze, Verbandwechsel, je nach dem Einzelfall, erst nach
einigen Tagen. Wird der aseptische Trockenverband im allgemeinen
bevorzugt, so lasse ich den feuchten Verband nur ausnahms¬
weise anwenden, lediglich bei entzündlicher Infiltration des um¬
gebenden Gewebes auf einige Tage, und zwar wiederum mit Wasser¬
stoffsuperoxyd-Borsäurelösung (1:2). Im Prinzip habe ich aber
feuchte Verbände nur ganz ausnahmsweise machen lassen und in der
Mehrzahl der Fälle, übereinstimmend mit Punkt 7 der Graser sehen
Vorschläge den trockenen aseptischen Wundverband durchführen
lassen, der nach Möglichkeit lange liegen bleibt. Etwaiger Wund¬
oder Blutschorf, der sich gebildet hat, löst sich bei der so schonenden
Uebergiessung mit Wasserstoffsuperoxyd ganz von selbst und er
stösst sich später spontan ab. Es kann gar nicht genug davor ge¬
warnt werden, solchen Wundschorf, der eben doch einen Schutz
gegen sekundäre Wundinfektion gibt, entfernen zu wollen!
Waren die Resultate bei diesem billigen, allenthalben anwend¬
baren Mittel ganz vortreffliche, insofern die Wunde sich, ohne in
Uebertreibung zu fallen, vorzüglich reinigte, die Jauchung ver¬
schwand, die Granulationswirkung angeregt wurde, so drängte sich
mir doch der Gedanke auf, ob es nicht möglich wäre, das Präparat
in fester Form nicht nur in Lazaretten, sondern gerade draussen,
in einer Form, die man jederzeit sozusagen in der Tasche mit sich
führen kann, anzuwenden. Hier bot sich für mich eine ganz vor¬
treffliche Gelegenheit dadurch, dass die Firma Bayer & Co., Lever¬
kusen mir für gynäkologische Zwecke gegen Zervixkatarrh, Ero¬
sionen, Kolpitis, Dekubitalgeschwüre bei Prolapsen u. ä. Ortizon
in fester Form zur Verfügung gestellt hatte. Dieses etwa 30 proz. Prä¬
parat — ähnlich dem Perhydrit-Merck eine Verbindung von Wasser¬
stoffsuperoxyd mit Karbamid [Harnstoff] (welch letzterer an sich be¬
kanntlich antibakterielle Eigenschaften besitzt) — hat den Vorteil,
dass es in fester Form, da leicht löslich in Wasser, zur Ex-tempore-
Herstellung frischer Lösungen dienen kann. An Stelle des offizineilen
nicht ganz säurefreien Hydrogenium wandte ich daher in einer
Serie von Fällen nur die Ortizonlösung an, sowie zur Wei¬
terbehandlung der auf diese Weise gereinigten Wundflächen sogen.
Ortizonstifte, die ich ursprünglich für Zervikalkatarrh u. ä. (s. o.)
mir habe konstruieren lassen. Bezüglich der wässrigen Ortizon¬
lösung (5 g granuliertes Ortigon in 3 Esslöffel, möglichst in warmem
[35 — 40°] Wasser gelöst) konnte ich die oben beschriebene schäumende,
mechanisch reinigende Wirkung des offizinellen H2O2 noch in wesent¬
lich erhöhtem Masse feststellen. Das Ortizon hat übrigens wie die
anderen bekannten hochprozentigen Ha02-Präparate (Perhydrol-
Merck, Perhydrit-Merck, Pergenol-Byk, Peraquin-Henning) den
grossen Vorteil, dass es absolut rein und säurefrei ist, dass es dauernd
haltbar und schliesslich seine Anwendung sehr bequem ist. Gerade
in letzterer Hinsicht scheinen mir die Ortizontabletten für die rasche
Herstellung einer H202-Lösung äusserst empfehlenswert (3 Ortizon¬
tabletten in 100 g = 7 Esslöffel Wasser), auch draussen im Felde.
Eine geradezu glänzende Wirkung entfalteten aber die Ortizonstifte —
nach ihm kann die 0,3ptoz. Lösung, die noch „schäumend“ wirkt,
noch angewandt werden, wobei eben die Verdünnung des 3 proz.
Originalpräparats in der Stärke von 1: 10 Wasser in Betracht kommt.
4) Die gleiche Zusammensetzung findet sich in dem sogen. Per-
genol pulv. medicinale von Dr. Byk, insofern dieses einer 12 proz.
Wasserstoffsuperoxyd und einer 22 proz. Borsäure entspricht. 2 g
1 gestrichener Theelöffel Pergenol in 100 g Wasser gelöst ergibt
ein 0,25 proz. Wasserstoffsuperoxyd, zugleich mit 0,5 proz. Borsäure.
1 Esslöffel des gleichen Pulvers gibt mit 100 g Wasser etwa ein
1 proz. Wasserstoffsuperoxyd und gleichzeitig eine 2 proz. Borsäure¬
lösung
meines Wissens neuerdings erst im Handel, aber leider noch zu wenig
bekannt! - : ich liess die mechanisch mit der Ortizonlösung ge¬
reinigte (wohlgemerkt „abgeschäumte“) Wundfläche mit den Ortizon-
stäbchen etwas tuschieren und habe gerade durch diese Anwendung
bei den schlimmsten, jauchigen Wunden eine geradezu staunen¬
erregende Reinigung der Wunde von der Tiefe heraus beobachtet.
Weichteilschüsse, grössere Weichteilverletzungen durch Artillerie¬
geschosse, wie ich sie gerade bei den, in meinem Lazarett
internierten Franzosen sah, befinden sich trotz einer anfänglich
bestandenen Jauchung jetzt in vortrefflicher Heilung. Eine geradezu
unbeschreibliche, jauchende Weichteilverletzung fast der gesamten
Oberschenkelmuskulatur (Granatschuss), mehrere Wadenmuskulatur¬
verletzungen, eine Zerreissung der Schulter- und Oberarmmuskula¬
tur der Franzosen (primär mit dem französischen Verbandpäckchen
verbunden) befinden jetzt sich in ausgezeichneter Verheilung. Aut
Einzelheiten kann ich aus Mangel an Raum leider nicht eingehen.
Noch ein Ortizonpräparat muss ich in diesem Zusammenhang noch
erwähnen, da es gleichfalls eine geradezu überraschende Wirkung
äusserte — die Ortizon-Mundwasserkugeln. Es handelte sich um
mehrere Fälle von Mundschüssen: bekanntlich muss man in der Mund¬
höhle mit Desinfektionsmitteln sehr vorsichtig sein. Die Anwendung
dieser wie auch der Ortizonlösung zu Mundspülungen führte zu
glatter Verheilung schwerer, mit ulzerierenden Wunden und schwerer
Stomatitis einhergehenden Verwundungen. Die gleiche Wirkung
werden wohl die Perhydrol-Mundwassertabletten erzielen, die mir
leider nicht zur Verfügung standen.
Was ich bezüglich des Ortizons, das mir in grösseren Mengen
zur Verfügung stand, mitteilte, konnte ich in gleicher Weise bezüg¬
lich des Perhydrits-Merck beobachten. Bezüglich der Trocken¬
behandlung der Wunde, die in beginnender Granulation sich befindet,
möchte ich schliesslich noch ein ausgezeichnetes, örtlich reinigend
und desinfizierend wirkendes Mittel erwähnen: das Zink-Perhy-
drol-Merck: Aufstreuen ganz geringer Mengen, Auflegen des sterilen
Mulls befördert durch die adstringierende Wirkung des Zinksuper¬
oxyds und diejenige des H2O2 die Wundheilung in bestem Masse.
Gerade das H2O2 in fester Form bewirkt durch die katalytische Wir¬
kung, wie auch Steindel hervorhebt, eine intensive Sauerstoffwirkung.
Das Zinkperhydrol hat übrigens noch eine, nicht zu unterschätzende
anästhesierende 5) und auch hämostatische Wirkung. Es verursacht
im Gegensatz zu anderen Antisepticis keine Gerinnung des Gewebs-
eiweisses, ruft eine Ausscheidung von Leukozyten hervor und be¬
günstigt somit die Phagozytose. Uebrigens ist auch dieses absolut
reizlos, ungiftig und haltbar. Die gerade hier erreichten Resultate
sind sehr gute gewesen. Neuerdings mache ich Versuche mit Orti-
zonpulver, das mit Talkum und Bolus sterilisata zu gleichen Teilen
gemischt ist. Die Resultate sind sehr befriedigend.
Schliesslich möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass
schon das billige offizineile H2O2 die meines Erachtens für
Wunden nicht einwandfreie essigsaure Tonerdelösung, da sic
nach einigen Tagen sich zersetzen kann, mit Recht verdrängen
wird; diese kommt lediglich für Umschläge ohne Wunden in
Betracht; sie leistet hier gewiss sehr gute Dienste, während ich
die mitunter noch in der Kassenpraxis übliche Verwendung bei
offenen Wunden nicht wagen möchte.
Alles in allem erblicke ich in dem Wasserstoffsuper¬
oxyd, wie ich es 1905 für die Gynäkologie und Geburtshilfe
empfohlen und hier in vielen Fällen erprobt habe, auch nach
meinen jetzigen Beobachtungen bei den Verwundeten (mehr
als 800 bis jetzt!) ein vortreffliches Mittel in der Wundbehand¬
lung, welches gerade in der Form der hochprozentigen neuen
Wasserstoffsuperoxydpräparate geradezu überraschende Ten¬
denz zur Heilung zeigt. Mögen diese Mitteilungen Anregung
geben zur Anwendung des offizinellen Wasserstoff¬
superoxyds, wenn die Mittel es gestatten, auch der hoch¬
prozentigen Präparate, zu Nutz und Frommen unserer tapferen
braven Verwundeten, wobei auch mich der Grundsatz leitet,
gerade für sie nicht das Billigste, sondern das Beste zur
Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit und
ihrer späteren Arbeitsfähigkeit zu benutzen.
Beiträge zur Heilserumbehandlung des Tetanus.
Von Dr. A. Heddäus, Spezialarzt für Chirurgie in Heidel¬
berg, zurzeit Chefarzt des Reservelazarettes Schulhaus W.
Ueber die wirksamste Behandlung des Tetanus ist trotz
zahlreicher Publikationen der Neuzeit noch keine Einheitlich¬
keit erzielt. Vor allem sind auch die Ansichten über den
Wert des Heilserums geteilt. Während ein Teil der Autoren
auf vollkommen ablehnendem Standpunkt steht, ist der andere
geneigt, ihm einen realen Wert zuzuschreiben. Ich rechne mich
zu den letzteren und gründe meine Ansicht auf frühere Be-
- \
5) Hauschmidt: Fortschr. d. M. 1911 Nr. 42.
3, November 19H. _ _ Feldärztliche Beilage zur
Pachtungen (vgl. diese Woehensclir. 1898 No. 11, 12, Id) und
uif die Erfahrungen an bis dato 8 Fällen seit Beginn des
vrieges. In 6 Fällen gelang es mir Heilung zu erzielen
= 75 Proz.). Es scheint mir dies nach den anderweit ge-
nachten schlechten Erfahrungen ein aussergewöhnlich guter
’rozentsatz zu sein. Dass dies blosser Zufall sein sollte, ist
uir unwahrscheinlich. Ich halte es deshalb im Interesse der
Ulgemeinheit für angebracht, die von mir geübte Behandlungs-
nethode mitzuteilen.
Ich habe ausser der intravenösen und subduralen (ban¬
alen) Anwendung noch einen anderen Weg eingeschlagen,
ausgehend von der Ueberlegung, dass die hauptsächliche Ver-
■ftung wohl nach übereinstimmendem Urteil zerebraler Lo-
alisation ist, habe ich den Weg gewählt, der am kürzesten
um ( iehirn führt »und am sichersten alle Feile des Gehirns
rreicht, den i n t r a a r t e r i e 1 1 e n, und habe ihn meist in
.ombination mit der subduralen Methode an-
ewandt, um so den Feind von zwei Seiten zu fassen. Die
echnik ist kurz folgende: man legt die Karotis (entweder in
arkose oder in Lokalanästhesie, je nach Art des Falles) frei
nd spritzt, die Nadel schräg in der Richtung des Blutstromes
inführend, die entsprechende Menge Heilserum ins Blut. Es
-i vorweg bemerkt, dass ich in keinem Falle irgend eine un-
tigenehme Nebenerscheinung dieser Applikation gesehen
abe. Die kleine Hautwunde wird mit 3—4 H e r f f sehen
lainmern geschlossen.
Die von mir gemachten Erfahrungen mit den i n t r a -
rteriellen, subduralen und teilweise auch intra-
e n ö s e n Antitoxinanwendungen sollen an folgenden 6 Fällen
ustriert werden. ■
Fall t, H. (Franzose). Am 20. Aug. 14 Gewehrschuss auf der
capula. Ein- und Ausschuss verbunden durch kleine Hautbrücke,
nkend. Brücke wird durchtrennt, darunter stinkendes nekrotisches
.'webe. Tuchfetzen! Verband mit Perubalsam. Verlauf:
unde reinigt sich.
29. Aug. 9. Tag (!) Trismus, zunächst keine Mitteilung an den
zt.
1. Sept. Erst am 12. Tag Meldung. Befund: Hochgradiger Tris-
is, Mund nur 2 mm zu öffnen, Risus sardonicus, Opisthotonus mit
ka alle Minuten folgenden heftigen Stössen, Schluckbeschwerden,
hlingkrämpfe.
Therapie: Heilserum 7,5 subdural zwischen 2. und
Lendenwirbel + 7,5 intraarteriell in die Art. car. dextra. Ausser-
m 6 stündlich je 4 g Chloralhydrat als Klystier. Nach
'.wachen aus der Narkose sehr selten Krampf-
össe leichter Art, etwa innerhalb 2 Stunden
S t o s s (Beobachtung der sehr zuverlässigen Schwester, die am
tte sitzt). Anhaltende Besserung bis zum anderen Abend. Dann
rschlimmerung durch Geräusche (Glocken, psychische Erregung),
'd.: Chloralhydrat
3. Sept. Am 3. Tag erneute Stösse: nochmals Heilserum, dies-
G ganze Dosis sub dural (lumbal). In der Nacht wenig Stösse
'arkotikum nebenbei). Am nächsten Tag Aussetzen der Narkotika
[d Einschaltung von Magnesiumsulfat 10 g pro die sub-
tan. Nach den ersten Injektionen Eindruck von Besseiung, später
ie Einwirkung. Rückkehr zu den Narkoticis.
8. Sept. 10. lag. Bis heute Wechsel im Befinden, Trismus und
isthotonus ohne nennenswerte Veränderung. Ab und zu Stösse.
hrungsaufnahme (flüssig) im ganzen sehr gut. Heute subjektive
sserung. Objektiv Risus geringer.
9. Sept. 11. Tag. Erneut heftige Stösse Heilserum beabsichtigt,
in wegen Besserung aufgegeben.
H. Sept. 13. Tag. Trismus besser, aber heftige opisthotonische
'sse. Heilserum 7,5 lumbal, 7,5 intravenös.
15. Sept. 17. Tag. In den letzten Tagen zunehmende Besserung.
Ismus schwindet. Opisthotonus noch wenig verändert. Ab und zu
Stoss. Heute Kopf wieder beweglich. Allgemeinbefinden sehr
1 • Fortschreitende Heilung.
20. Sept. Patient kann als geheilt betrachtet werden. Geht
um und bedient die im selben Zimmer liegenden, noch schwer-
nken deutschen Tetaniker. Der Trismus ist fast vollkommen ge¬
wunden, noch leichte Starre im Rücken.
Fall 2, G. Am 26. Aug. 14. Zerfetzung des rechten
erarms durch Granatschuss. Exartikulation sofort nach
Iieferung am 2. Tag nach der Verletzung. Schmierige, nekro-
■ he, stinkende Wunde, verunreinigt durch Steine und Tuch-
zen. Verlauf zunächst gut, Fieber, Reinigung der Wunde.
4. Sept. 9. Tag (!). Trismus und Nackensteifigkeit,
s u s.
Therapie : Zunächst prophylaktische Dosis intra-
nös, da die Heildosis nicht zur Hand. Am Abend Heilserum
* lze Dosis = 100 AE.) subdural (lumbal). Chloralhydrat
P. cl. Nacht gut, keine Stösse.
■ med. Wochenschrift. 2187
5. Sept. 10. l ag. Zunahme des Trismus und Opisthotonus. Nar-
kotica (C h 1 o r a 1 mit O p., S k o p. - M o r p h.).
6. Sept. 11. Tag. Höchster Trismus und Opistho-
f.0 11 11 s- Krampfstösse mit zunehmender Heftigkeit, schliess¬
lich alle 3 Minuten und öfter. Daher Heilserum intraarte-
l iell 'i, intravenös 'A. Auch in tiefer Narkose vollkommene
Starre der ganzen Rückenmuskulatur.
Wirkung: In der Nacht kein einziger starker
Krampfstoss, ab und zu ein leichter, nur vom Patient empfun¬
dener, nicht von der Schwester beobachteter Stoss. Während der
Nacht kein Narkotikum.
7. Sept. 12. lag. Trismus und Opisthotonus un¬
verändert. Keine Stösse mehr. Pat. hat Hunger und
trinkt sehr fleissig flüssige Nahrung.
G- Sept. 19. lag. In den letzten Tagen objektiv keine auf¬
fallend^ Veränderung, schmerzhafte lokale Krämpfe in der Wunde
l esp. Schultermuskulatur Keine allgemeinen Stösse, nur einmal ein
kurz andauernder während der Visite Trismus heute geringer
Mund etwa 1 mm zu öffnen. Seit Tagen subjektives Befinden' wesent¬
lich besser.
15. Sept. 20. Tag 1 rismus weiter schwindend. Opithotonus
scheinbar unverändert. Allgemeinbefinden sehr gut. Fortschreitende
Heilung.
20 Sept. Trismus geht sehr langsam zurück. Mund kann heute
etwa X- cm geöffnet werden. Patient nimmt breiige Nahrung.
Opisthotonus noch deutlich, doch kann der Kopf wieder nach allen
Seiten bewegt werden, am wenigsten nach vorn. Risus besteht noch.
Die Wunde granuliert, sondert wenig ab, riecht kaum mehr. All¬
gemeinbefinden und psychische Stimmung sehr gut. Pat. kann als
geheilt betrachtet werden.
Fall 3, D. Am 25. Aug. 14 Schrapnellverletzung an
der Innenseite des rechten Knies. 20 cm lange schmie¬
rige Wunde mit Tuchfetzen.
4. Sept. 10. Tag. Leichte Kieferklemme, Risus (?). Zunächst
unklarer Fall, erinnert an Mumps.
7. Sept. Zunahme des Trismus, zunächst prophylaktische
Injektion intravenös.
8. Sept. Trismus vermehrt, Risus desgl. Beginnende
Nackensteifigkeit, tonischer Krampfzustand des
verletzten Beines mit sehr intensiven Krampf-
stössen, bei denen Pat. vor Schmerz aufschreit. Bei jeder Be¬
rührung, besonders beim Verbinden heftige Stösse.
Therapie: Heilserum lumbal 3A, intravenös 34.
Wirkung: Vollkommenes Aufhören der Krampf¬
stösse. Tonus bleibt, nimmt gegen Abend ab. Nachts Chloral 4,0.
9. Sept. Risus geringer, Trismus unverändert. Urinverhaltung
(Bauchstarre), Katheterismus.
10. Sept. 16. Tag. Trismus wesentlich besser. Oeffnung des
Mundes etwa 34 cm. Retentio urinae. Katheterismus. Krampfstösse
nicht mehr aufgetreten.
15. Sept. Beim V.W. leichter tonischer Krampf des Beines.
Trismus weiter gebesert. Oeffnung des Mundes ca. 34 cm.
20. Sept. Ab und zu noch Krampfstösse im Bein, die aber vor¬
sichtig durch langsame Streckung des Beines überwunden werden
können. Wunde reinigt sich, riecht kaum mehr. Trismus bis auf
2 cm-Oeffnung geschwunden. Kann feste Nahrung kauen. Allgemein¬
befinden sehr gut.
Kann als geheilt betrachtet werden.
Fall 4, L. Am 7. Sept. 14 Streifschuss auf der linken
S t i r n e, 8 cm lange, 1 cm breite Wunde an der Haargrenze. Schorf
aus geronnenem Blut.
11. Sept. 4. Tag. Bei der Einlieferung Trismus, Mund 1 cm
weit zu öffnen, Nackenstarre, heftige Kopfschmerzen. Gibt an, dass
die genannten Symptome bereits gestern (also am dritten Tag)
angefangen haben. Es wird sofort Antitoxin injiziert, und zwar bei
dem Prävalieren der zerebralen Symptome % der Heil-
dosis, also 75 AE. intraarteriell in die linke Carotis in¬
terna, der Rest in die V e n. m e d. c u b i t i. Die Wirkung äussert
sich in einem Stillstand des tetanischen Prozesses
für diesen Tag und die nächste Nacht. Stösse sind nicht aufgetreten.
12. Sept. Am nächsten Tag ausgesprochene Besserung subjek¬
tiver und objektiver Art.
14. Sept. Fortschreitende Besserung. Trismus schwindet,
Opithotonus ebenfalls. Allgemeinbefinden sehr gut, noch Kopfschmerz.
20. Sept. Pat. fühlt sich wohl, sitzt täglich im Sessel und liest.
Trismus und Nackensteifigkeit kaum mehr nachweisbar. Kopf wird
immer noch etwas steif gehalten, Kopfschmerzen nicht ganz ge¬
schwunden. Allgemeinbefinden sehr gut. Patient kann als geheilt
betrachtet werden.
Fall 5, D. (Franzose). Am 29. Aug. a) Gewehrschuss durch
die rechte Brust,; b) Schussfraktur der rechten Tibia
in der Mitte mit starker Splitterung, in der Wunde
zahlreiche Kleiderfetzen und losgelöste Knochensplitter, Wunde
im ganzen schmierig belegt und übelriechend
11. Sept. 14. Tag (!). Trismus. Deshalb gleich am näch¬
sten Tag ins hiesige Lazarett verlegt. Rasche Zunahme des Tris¬
mus und Auftreten sehr heftiger lokaler Krämpfe im verletzten Bein.
Das Bein wird dabei in rechter Beugung im Kniegelenk gehalten. Alle
Beinmuskeln sind in starrer Kontraktion Eine Streckung ist aus¬
geschlossen. Jede Berührung löst neue Krämpfe aus.
2188
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 44.
Therapie: Subdurale (lumbale) Injektion von % der
Heildosis des Antitoxins, des Restes in die Vena
mediana cubiti. Die Einwirkung ist zunächst gering, so dass
am Abend Narkotikum (Chloralhydratklysma 4 g) gegeben wird.
Daraufhin nachts etwas Ruhe. Stösse aber immer noch sehr häufig.
13. Sept. Hochgradigster Trismus, zunehmen¬
der Opisthotonus und Bauchstarre. Wieder Narkotika (Sko¬
polamin-Morphium).
14. Sept. Keine Besserung. Heftige Schmerzen in der Wunde.
Deshalb heute 1 Uhr mittags Antitoxin intraarteriell in
die Carotis dextra. Am Nachmittag noch keine deutliche Verände¬
rung und viel Stösse. Am Abend deutliche Besserung:
Stösse seltener und weniger heftig. Trismus unver¬
ändert, Opisthotonus nicht mehr so starr. Allgemeinbefinden gut.
In der gleichen Narkose, die für die intraarterielle Injektion statt¬
hatte, wird die Wunde gründlich nachgesehen, die zersplitterte Tibia
von zahlreichen Knochensplittern und Kleiderfetzen gereinigt und
Gipsverband in Streckstellung des Knies angelegt mit grossem Fen¬
ster über der Wunde.
20. Sept. Seit dem 14. Sept. langsam fortschreitende Besserung.
Als Narkotikum wird seither das früher als wirksam befundene Opium
subkutan verabfolgt. Tct. op. spl. 3 Teilstriche.
23. Sept. In der letzten Nacht bekam Fat. nach bereits im
Laufe des Tages sich einstellenden Vorboten einen schweren Anfall
von Delirium alcoholicum, der mit grossen Dosen Opium bekämpft
wird. Die genauere Nachforschung ergibt, dass Pat. bereits seit
langem grosse Dosen Alkohol zu sich zu nehmen gewohnt war.
Dabei wird auch bekannt, dass, ganz im Gegensatz zu dem Verfahren
bei uns, während der Mobilmachungstage auf Bahnhöfen in Frankreich
die Soldaten mit Alkohol in jeder Form in übermässiger Weise regu¬
liert wurden.
25. Sept. Pat. hat sich wieder gut erholt. Beim Verbinden noch
deutliche Krämpfe in der Wunde. Trismus bis zu 1 cm Mundöffnung
gebessert. Opisthotonus sehr wesentlich gebessert. Fortschreitende
Heilung.
Fall 6, Sch. Am 7. Sept. Schrapnellverletzung an
der rechten Hand, dem rechten Knie, dem linken
Ober- und linken Unterschenkel. Rechter Daumen und
4. und 5. Finger zerfetzt, werden amputiert, plastische Deckung mit
Haut aus der Umgebung. Am rechten Knie ist die Vorderseite mit
Patella und Kapsel zertrümmert. Einlieferung hier am 11. Sept. mit
Notverbänden, die seit dem 1. Verband nicht gewechselt wurden,
f in Gelenk liegt Schmutz, Kleiderfetzen etc.
Patella wird teilweise entfernt, Gelenk beiderseits seitlich drai-
niert. Desinfektion mit Jodtinktur. Fixation mit gefenstertem Gips¬
verband. Aluminium-Gipsbügel am Gelenk. Am linken Oberschenkel
(Innenseite) ein zehnpfennigstückgrosser Einschuss , schmierig, kein
Ausschuss, keine Fraktur. An der Innenseite des linken Schienbeines,
handbreit unter dem Gelenk, eine gleiche Wunde, Einschuss ?, kein
Ausschuss. Knochen jedenfalls verletzt, keine Dislokation. Gelenk
gut beweglich.
14. Sept. 7. Tag. Bei der Abendvisite Klage über Schluck-
besch werden Mundöffnung etwas erschwert. In der Nacht
Zunahme der Beschwerden, vor allem des Trismus und heftige
lokale Krämpfe im rechten Bein. Der Ausgangspunkt des
Tetanus ist demnach in das schwerverletzte rechte Knie zu verlegen.
15. Sept. 8. Tag. Bis zur Ankunft der Heildosis in der Frühe
prophylaktische Dosis intravenös. Opisthotonus.
Lokale Krämpfe von grosser Heftigkeit, Pat. schreit vor Schmerzen.
Am Mittag subdurale (lumbal) Applikation der gesamten
Heildosis (100 AE.). Von dem flott abfliessenden Liquor werden
in unbestimmter Vorstellung einer event. Wirkung 6 ccm sofort in
die Armvene injiziert, ohne Reaktion. Wirkung? Nach der lum¬
balen Injektion wird das untere Bettende hochgestellt, um das Serum
zerebralwärts zu leiten; es treten in dieser Stellung aber solche
Schmerzen im Knie ein ,dass ein Narkotikum (Skopolamin-Mor¬
phium) gegeben werden muss. Am Abend lokal wesentliche Besse¬
rung, dagegen häufig Krämpfe der Schling- und Atem-
muskulatur. Der Versuch zu schlucken löst heftiges Ver¬
schlucken mit krampfhaftem beängstigendem Husten aus, so dass
die Gefahr der Erstickung naheliegt, ln der Nacht ein Erstickungs¬
anfall, später Chloralhydrat per Klystier.
16. Sept. 9. Tag. Lokale Krämpfe gebessert, selten
und wenig schmerzhaft; Schluck- und Atemkrämpfe un¬
verändert. Pat. ist ausserstande etwas zu geniessen. Nähr¬
klystier. Mit Rücksicht auf die Zunahme und Heftigkeit der zere¬
bralen Vergiftungserscheinungen wird eine intraarterielle In¬
jektion der ganzen Heildosis (100 AE.) in die Karotis gemacht. Eine
deutliche Einwirkung ist im Laufe des Tages nicht zu bemerken.
Durch Narkotika wird Pat. in leichtem Dusel erhalten. Am späten
Abend wieder viel Atem- und Schlingkrämpfe, ab und zu Stösse im
Bein. Wasserzufuhr mit Tröpfelapparat.
17. Sept. 10. Tag. In der Frühe Zustand der gleiche. Tct. opii
subkutan 3 ccm. Nachmittags fortwährende Zwerchfellkrämpfe.
18. Sept. Kniewunde sieht recht septisch aus. In der Annahme,
dass ein gewisser Grad septischer Infektion bei dem schweren Krank¬
heitsbild (hohes Fieber) mitwirkt, werden 5 ccm Elektrargol intra¬
venös appliziert, ohne Reaktion und Wirkung. Lokale Krämpfe
verhältnismässig selten, die zerebralen unverändert, so
dass Pat. alle Flüssigkeit per os verweigert.
19. Sept. Allgemeinbefinden schlechter, zeitweise Bewusstseins¬
störungen. Nochmalige Antitoxin dosis intravenös, ohne
deutliche Einwirkung. Am späten Abend vollkommene Somnolenz,
kleiner rascher Puls. Ein Aderlass von ca. 200 g und nach¬
folgende intravenöse Injektion von 600 ccm p h y s i o 1.
Kochsalzlösung hat den Erfolg, dass der Pat. wieder erwacht,
spricht, zu trinken versucht und Yi Tasse Tee nach und nach schluckt,
Puls wieder kräftig. Im Laufe der Nacht leidlicher Zustand.
20. IX. Früh erneute Verschlimmerung, nochmals intravenöse
Infusion und sonstige Exzitantien, ohne Erfolg. Um 12 Uhr Exitus.
Die Autopsie ergab neben der beschriebenen Kniewunde eine
quere Fraktur des Femur suprakondylär, ferner eine Jauchehöhle
von Eigrösse im linken Oberschenkel mit Granatsplitter und eine
Splitterfraktur der linken Tibia durch einen an der Wade ein- und
durch die Tibia ausgetretenen Schrapnellschuss.
F a 1 1 7, B. (Franzose). 21 Sept. 14 Granatschussverletzung der
Hinterseite des rechten Oberschenkels. Haut fehlt in der halben Zir-
kumferenz von der oberen Grenze des mittleren Drittels bis zur Mitte
der Kniekehle, Wunde schmierig belegt, stinkend, Ränder unter¬
miniert, nekrotische Gewebspartien, Muskeln zerrissen. Bei der
Einlieferung keine Anzeichen von Tetanus.
1. Okt. 10. Tag. Trismus, rasch zunehmend, geringe Nacken¬
starre, leichte Zwerchfellkrämpfe, eingenommener Kopf. Am Abend
intraarterielle Antitoxininjektion in beide Ar-
teriae carotis in Lokalanästhesie, ungefähr die Hälfte der Heil¬
dosis beiderseits. Pat. erklärt unaufgefordert, dass er sich im Kopf
wieder ganz frei fühle. Im übrigen ist eine nennenswerte Beein¬
flussung des Tetanus nicht zu konstatieren.
2. Okt. In der Nacht Zunahme des Trismus und besonders der
Zwerchfellkrämpfe. 2 mal Erstickungsanfälle. Mund kann heute früh
nicht mehr geöffnet werden. Gegen Morgen Skopolamin-Morphium
subkutan. Am Vormittag wird angesichts der Verschlimmerung auch
sub dural (lumbal) die ganze Heil dosis verabreicht. Bis
zum Abend leidlicher Zustand, dann kurz nach Chloralhydratklysma
um 7 Uhr ein Erstickungsanfall von grösster Heftig¬
keit unter enormen opisthotonischen Stösse n.
Durch eine alsbald eingeleitete Chloroformnarkose gelang es mir,
des Anfalls Herr zu werden.
Von nun an wurde Pat. durch Narkotika in beständigem Dusel
erhalten, abwechselnd durch Pantopon, Veronal-Kodein, Skopolamin-
Morphium. Sobald er erwachte und Zwerchfellkrämpfe oder stär¬
kere opisthotonische Stösse eintraten, wurde irgendein Narkotikum
gegeben.
8. Okt. Auf obige Weise gelang es mir, bis dato den Pat. in
leidlich gutem Zustand zu erhalten. Eine ziemlich starke Bronchitis
machte dem Pat. in den letzten Tagen viel zu schaffen. Bei den zur
Entfernung des Schleims gemachten Anstrengungen wurden sehr
leichte Zwerchfellkrämpnfe ausgelöst, die die Expektoration sehr er¬
schwerten.
Der Trismus ist im Rückgang, der Opisthotonus bedeutend ge¬
ringer und Krampfstösse im Rücken treten kaum mehr auf. Pat kann
sich zum Verbandwechsel allein herumdrehen, ohne Krampfstösse zu
bekommen. Im Bein sind keine lokalen Krämpfe aufgetreten.
Der Pat. ist nach meinen Erfahrungen als gerettet zu betrach¬
ten, so dass ich ihn zu den geheilten rechne.*)
F a 1 1 8, J. (Franzose). Am 20. Sept. 14 Granatsplitterverletzung
des Thorax. Zersplitterung der 9. und 10. Rippe in der hinteren
Axillarlinie. Bei der Einlieferung 29. Sept. hochgradige Dyspnoe
durch Hämothorax. Sofort Operation: Eröffnung eines jauchi¬
gen Hämatothorax, Schusskanal durch das Zwerchfell in die Leber,
Leberabszess, Peritoneum verklebt. Scheinbar Senkungsabszess in
der rechten Peritonealseite, abgekapselt, zunächst ohne Bedeutung,
Drainage von Pleura und Leber.
1. Okt. 11. Tag. Bei der Abendvisite ohne Vorboten starke
opisthotonische Stösse beim Aufsitzen zum Verbinden.
Sofort Heilserum intraarteriell in beide Karotiden
(in Lokalanästhesie), rechts 7, links 9 ccm. Die Freilegung der
Arterien erschwert durch hochgradige Venenstauung, die Injektion
durch forcierte Atmung und häufige tetanische Krampfstösse.
Unmittelbar nach der Injektion scheinbar vollkommenes Wohl¬
befinden, hält ca. 1 Stunde an. Im 2. Teil der Nacht wieder Zunahme
der Krampfstösse, häufig ausgelöst durch die Unruhe eines anderen
im Zimmer liegenden, etwas unleidlichen Patienten (Fall 5).
Im 2. Teil der Nacht ziemliche Ruhe und Schlaf bis 6 Uhr früh.
Von da an wieder Verschlimmerung.
2. Okt. Bei der Morgenvisite hochgradiger Trismus. Häufige
Stösse. Die Art der Stösse in diesem Fall ausgezeichnet durch grup¬
penweises Auftreten von jedesmal 5 — 6 Stössen hintereinander, dann
Pausen von 2 — 3 Min.
Ehe es zu der beabsichtigten lumbalen Injektion kommt, um
9 Uhr früh plötzlich unvermittelt Exitus letalis durch Herz¬
schwäche.
Wegen Raummangels muss ich es mir versagen, auf eine
epikritische Besprechung der einzelnen Fälle einzugehen,
*) Anmerkung bei der Korrektur: Eine nochmalige Zunahme der
opisthotonischen Krämpfe veranlasst eine erneute lumbale Antitoxin¬
injektion. Seitdem auffallend rascher Rückgang aller tetanischen Er-
i scheinungen. Tetanus nunmehr definitiv geheilt.
November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
2189
2nn auch dabei die persönlichen Beobachtungen sich besser
edergeben lassen als bei der meist schematischen Auf¬
innig der I atsachen in der Krankengeschichte. Anderseits
rken die letzteren objektiver. Vor allem möchte ich
) e r h e r v o r h e b e n, d' a s s *i c h mich nicht, wenig-
-fis in 7 von den 8 Fällen, auf die alleinige An-
e n d u n g des Antitoxins beschränkt habe,
udern dass ich gleichzeitig ausgiebigen
e b r a u c h von N a r k o t i c i s gemacht habe. Dadurch
natürlich das Urteil über das Heilserum, wie ich
r nicht verhehle, kein ganz einwandfreies. Ich
’lt mich aber nicht für berechtigt, bloss auf das in seiner
irkung seither nicht sicher anerkannte Heilserum zu ver-
uen, sondern glaubte, im Interesse der Kranken die er-
iirungsgemäss sehr beruhigend wirkenden Narkotika,
e Chloralhydrat, Opium resp. Fantopon, Skopolamin-Mor-
i in, Veronal mit Kodein, nicht ausser Betracht lassen zu
rfen. Diesem Prinzip werde ich auch weiter-
;n huldigen in der Ueberzeugung, dass das
Uilserum allein kein Allheilmittel ist. Und
glaube, dieser Kombination von spezifisch
d symptomatisch wirkenden Mitteln meine
r folge zu verdanken. Der einzige Fall, in dem ich
die ersten 12 Stunden zur Beobachtung der Antitoxin-
> -kung auf Narkotika verzichtete (Fall 8), ging nach
I Stunden an akuter Herzschwäche zugrunde. Dass er aller-
• ?s, ebenso wie der zweite letal endende Fall (Fall 6), auf
und der schweren Verletzung an sich die Berechtigung
:n Exitus hatte, soll nicht ausser acht gelassen werden.
Zusammenfassung: Mein Urteil über die Ein-
kung des Antitoxins beim Tetanus möchte ich dahin zu-
i imenfassen, dass meines Erachtens eine Einwirkung ausser
: eifei steht. Haben meine Fälle auch an sich als Tetanus-
; rankungen keine letale Prognose ergeben, so war doch die
. u irkung von mindestens 4 von den 6 Fällen eine solche,
>: man sie ohne spezifische Einwirkung, beispielsweise bloss
Narkoticis, nicht zu beobachten gewohnt ist. Ob meine
n ersten Male geübte Anwendung der intra-
teriellen Applikation eine vorzugsweise Einwirkung
1 ■ ,wa£e ich nach den wenigen Erfahrungen nicht zu ent-
■ eiden. Jedenfalls ist sie der Nachprüfung wert, vor allem
der gleichzeitigen Kombination mit sub-
raler Einspritzung, welch letztere ich stets als be-
1 ders wirksam erkannte. Die kombinierte Art der An-
‘ ldung däucht mir nach dem, was wir von der Lokalisation
tetanischen Vergiftung und ihren Verbreitungswegen
-sen, rationell.
Während ich anfangs nur einseitig injizierte, machte ich
|den beiden letzten Fällen die Einspritzung • doppelseitig,
nn auch anzunehmen ist, dass eine so strenge Scheidung
< Gefasssystems nicht besteht, dass nicht das Antitoxin auch
. der anderen Seite gelangt, so dürfte für eine gleich-
l.sige Wirkung die beiderseitige Anwendung doch wohl an-
' rächt sein, zumal, wenn es sich nicht bloss um lokale Ex-
nitätenkrämpfe, sondern um zerebrale Allgemeinerschei¬
tgen handelt.
Im übrigen habe ich die Ueberzeugung, dass das T e -
[,usgift ähnlich wirkt wie eine Apoplexie¬
werden Zerstörungen an Zellkomplexen im Gehirn und
kenmark erzeugt, die längere Zeit zu ihrer Regeneration
• inen. Daraus erklärt sich die lange Dauer der Erkrankung
ihr ganz allmähliches Abklingen im Laufe langer Wochen.
' werden demgemäss nicht imstande sein, mit irgend
ir Medikation sofort den ganzen Symptomenkomplex aus
- Welt zu schaffen, sondern nur dem Fortschreiten der Er-
ikung Einhalt zu tun, indem wir weitere Giftwirkungen
i eben.
Damit stimmt überein die Beobachtung, dass die Ampu-
'ii \ on Gliedern mit Tetanuswunden oder die Ausrottung
I Bischer Herde keine Garantie für den günstigen Ausgang
Metanus gibt. Dagegen ist es wichtig, dass die vor-
i lenen Gifte neutralisiert und damit unschädlich gemacht
•den, sei es durch Bildung von Gegengiften im Körper
M, sei es durch Einführung von fertigen Gegengiften, wie !
as Antitoxin, wie es vielleicht auch Magnesiumsulfat und 1
Karbolsäure sind. I
Die Prognose wird um so besser sein müssen, je
eher der Giftwirkung Einhalt getan wird. Deshalb wird
es von grösster Bedeutung sein, dass wir mög¬
lichst frühzeitig unser ganzes antitetanisches Geschütz
auffahren, um zu verhüten, dass irreparable Einwirkungen
auf lebenswichtige Zentren stattfinden. Aus diesem Grunde
werden wir auch der prophylaktischen Antitoxin-
einspritzung besonderen Wert beilegen müssen und sie
häufiger anwenden als bisher. Schwierig ist dabei nur die
Abschätzung der Möglichkeit der Entwicklung des Tetanus
nach der Art der Wunde. Die Art der Beschmutzung gibt uns
abei gewisse Anhaltspunkte. Disponierend sind nach meiner
Erfahrung vor allem Kleiderfetzen, ferner sandige Bei¬
mengungen mit kleinen Steinchen. Die Erfahrung der Tier¬
ärzte, die den Tetanus bei Pferden fast ausschliesslich bei
Vei letzung des Hufes durch Nägel beobachten, lehrt nach mir
gewordenen persönlichen Mitteilungen, dass die prophy¬
laktischen immunisierenden Einspritzungen
von Antitoxin sich sehr bewähren.
Leitsätze für die erste Behandlung von Seekriegs¬
verletzungen 1).
Von Marineoberstabsarzt Dr. M. zur Verth.
Allgemeines.
Händereinigung:
1. Händereinigung ist für Anlegung des fertigen Verbandes2) un¬
nötig, erübrigt sich daher auf der Empfangsabteilung.
2. Für Eingriffe drei Akte:
a) Kurzes Waschen mit Wasser, Seife und Bürste, wenn mög¬
lich warmem Wasser. Wasser wechseln!
b) Gründliches Abreiben der Hände mit reinem, besser sterilem
Tuch.
c) Kräftiges Scheuern der Hände mit 70 proz. Alkohol (3 bis
4 Minuten); es genügt denaturierter Spiritus.
3. Wenn vorhanden, sterilisierte Zwirn- oder Gummihandschuhe an-
legen. Möglichst Berührung von Wunden mit den Fingern ver¬
meiden!
Wundversorgung.
4. Vor jeder Wundversorgung wahllos jedem Verletzten Morphium
0,02 — 0,03 unter die Haut!
5. Auf jede Wundreinigung wird unter jeder Bedingung verzichtet!
Bei grossem Jodtinkturvorrat ist sparsame Jodtinkturbestreichung
(5 proz.) der Wundränder (nicht der Wunden selbst) erlaubt, aber
nicht erforderlich!
6. Wesentlicher als alles andere ist die sichere sterile
W u in d b e d e c k u n g. Das beste Mittel dazu sind die fertigen
Verbände2). Die sterile trockene Wundbehandlung ist bei den
meisten Verletzungen die einzige Aufgabe des Arztes!
7. Der Verband darf nicht scheuern, er muss schulgerecht angelegt
werden. Sind Verbandpäckchen nicht vorhanden, so wird steriler
Mull mit Heftpflaster befestigt und darüber eine Binde gewickelt.
8. Bei Knochenbrüchen und schweren Muskel- und Sehnenver-
letzungen sind unter allen Umständen Stützverbände (fixierende
Verbände) anzulegen! Die sichere Feststellung ist entscheidend
für den weiteren Verlauf, oft über Leben und Tod.
9. Der gut angepasste Gipsverband ist der beste Stützverband. Zug-
veTbände (Extensionsverbände) sind an Bord nicht brauchbar.
10. Uftene Knochenbrüche sind steril abzudecken und mit Stützver¬
banden zu versehen. Beide benachbarten Gelenke feststellen'
Nicht reinigen! Nicht rasieren.
11. Zur Wundversorgung gehört in gewissen Fällen die Entfernung
von der Nekrose geweihtem Gewebe mit Pinzette und Schere
oder Messer. Grundsätzliche Ausschneidung der Wundränder
und der Wundhöhle ist nicht angängig. Finger weg von der
Wunde! Niemals tamponieren! Nur in breite, völlig zerfetzte
Wunden sterilen Mull einlegen!
12. Steckschüsse sind überaus häufig. Fremdkörper sind überall zu
entfernen, wo sie ohne Durchtrennung von Gewebslagen durch
Auseinanderziehen der Wundränder mittels Wundhaken zu er¬
reichen sind. Vermeide auch hier möglichst den Gebrauch von
- °nde und Finger. Langes Suchen ist nicht gestattet.
) Durchgearbeitete Fassung. In der ersten Fassung, von der
die mitgeteilten Leitsätze etwas abweichen, wurden sie vervielfältigt
und in der Marine verteilt.
) Die fertigen Verbände der deutschen Marine werden in drei
verschiedenen Grössen angefertigt. Sie bestehen aus sterilisierten
“in,Ven> tauf , nalie dem äusseren Ende eine vielfache Lage von
Mull aufgenaht ist. Dieses Mullpaket misst in der Fläche bei den
grossen Verbanden 20 X 30 cm, bei den mittleren 15 X 20 cm, bei den
kleinen 10 \ 13 cm. Demgemäss ist die Binde der grossen 20 cm
der mittleren 15 cm, der kleinen 10 cm breit, bei einer Länge von
i m, 7 m und 5 m. Die aufgerollte Binde ist in Zwirntuch ein-
geschlagen, das mittels Bindfaden zugebunden ist.
2190 Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift. _ _ _ Nr. 4-
Chirurgische Eingriffe:
13. Operationen sind auf das unbedingt Nötige zu beschränken.
14. Kein Eingriff, auch keine schmerzhafte Wundversorgung darf ohne
Schmerzbetäubung vorgenommen werden. Das beste Mittel ist
die Allgemeinbetäubung (Aetherrausch, Chloräthylrausch, Chloro-
formrausch. Chloroformnarkose); Aether ist feuergefährlich!
Auch Chloräthyl ist nicht ganz ungefährlich.
15. Der chirurgische Standpunkt, was Gliedabsetzungen anlangt, ist i
konservativ, ohne gegebenenfalls bei der Schwere der Seekriegs¬
verletzungen vor Absetzen zurückzuschrecken. Meist werden nur
noch Weichteilbrücken zu durchschneiden sein.
16. Spritzende Gefässe sind ohne Zögern zu unterbinden. Sehnen
und Nerven sind, wenn möglich, zu nähen. Luftröhrenschnitt und
Harnröhrenschnitt können nötig werden.
Nachbehandlung:
17. Stille den Durst der Verletzten! Bauchverletzte und Verletzte
mit Eröffnung der Speiseröhre dürfen weder Nahrung noch Flüs¬
sigkeit geniessen. Aus wischen des Mundes mit feuchtem Mull!
Wiederholte kleine Einläufe oder Tropfeneinläufe!
18. Unnützer Verbandwechsel schadet und vergeudet Material.
19. Bei nicht fiebernden und nicht besonders schmerzenden Wunden
wird der erste Verbandwechsel am achten Tage vorgenommen.
20. Für Stuhlentleerung muss besonders bei fiebernden Kranken ge¬
sorgt werden (Rizinusöl).
Besonderes.3)
I. Kopf.
A. Schädel.
21. Bei jedem Schädelschuss Haare kurz schneiden, Rasieren ist meist
unnötig.
22. Furchungsschüsse des knöchernen Schädeldaches (Tangential¬
schüsse) baldigt (möglichst in den ersten 24 Stunden) freilegen
und säubern!
23. Steckschuss bedarf, wenn nicht in extremis, meist sofortiger
operativer Behandlung.
24. Durchschüsse bei starker Sülitterung und Blutung und bei Ver¬
letzung des Augenzentrums (Hinterhaupt) operieren, sonst konser¬
vativ behandeln.
25. Vorsicht beim Transport des Schädelschusses! Wenn angängig,
weiteren Transport in der ersten Woche vermeiden!
B. Gesicht.
26. Bei Weichteilschüssen meist Naht erforderlich. Blutung stillen!
27. Bei Kieferbrüchen Stützverband! Bei Schüssen am Mundboden
Luftröhrenschnitt.
II. Hals.
28. Bei Blutungen Gefässe beiderseits abbinden. Tamponade genügt
meist nicht.
29. Bei allen Kehlkopf- und Luftröhrenschüssen Kanüle einführen
(gelingt oft ohne Luftröhrenschnitt von der Wunde aus).
30. Eröffnung der Speiseröhre zunähen oder Wundränder an die Haut
nähen! Keine Nahrung verabreichen.
31. Verletzungen grosser Nerven nähen.
III. Wirbelsäule.
32. Wirbelsäulenbrüche auf Trage oder Gipsbett ohne Umbettung
lagern. Wenn nötig, steril katheterisieren! Bei Transport Dauer¬
katheter! Darmlähmung gegebenenfalls bekämpfen (Abführ¬
mittel, Glyzerinspritzen)! Gegen Wärme und Kälte schützen!
IV. B r u s t.
33. Brustschüsse nicht angreifen! Ruhe und Morphium ist das beste
Heilmittel!
34. Bei starkem Emphysem kann der Luftröhrenschnitt nötig werden.
Lässt sich eine Verletzung der Speiseröhre nachweisen, Ent¬
haltung von jeder Nahrung und Flüssigkeit!
V. Bauch.
35. Bauchschüsse mit Eingeweideverletzung durch See kriegs-
geschosse sind meist nur durch Operation zu retten. Dagegen
spricht von seiten des Kranken Schock und schneller Verfall, der
das Ueberstehen des Eingriffes unwahrscheinlich macht, von seiten
des Arztes Arbeitsüberhäufung. Die Operation ist, wenn über¬
haupt, sofort auszuführen. Eingriff nach 1 — 2 Tagen k^rnrnt zu
spät oder für die Lokalisierung des Abszesses zu früh (v. Oet-
fingen).
36. Bei Eröffnung der Bauchhöhle mit Vorfall von Netz oder un-
eröffneten Darmschlingen sind die vorgefallenen Eingeweide stets
zurückzulagern, wenn nötig unter Erweiterung der Oeffnung in
den Bauchdecken.
37. Bei Eröffnung der Bauchhöhle mit Vorfall von verletzten Ranch¬
schlingen Schlinge steril einhüllen und vor dem Bauch befestigen
(gegebenenfalls Serosanähte) oder nach allen chirurgischen Ge¬
setzen vernähen, versorgen und zurücklagern!
3) Bei der Eigenart der Marineverletzungen (meist Artillerie und
Mine) weichen die besonderen Leitsätze hie und da bewusst ab von
dem Verfahren am Lande. Siehe zur Verth: Seekriegschirurgie
und kriegschirurgische Dogmen; Feldärztl. Beilage H. 3 u. 4.
38. Bei allen Bauchverlctzten mit Verdacht auf Verletzung der Dam
wege in den ersten 4 Tagen Enthaltung von jeder Nahrung un
Flüssigkeit. Flüssigkeitszufuhr unter die Haut! Reichliche Moi
phiumbehandlung. Bauchverletzte, wenn angängig, in den erste
5 Tagen nicht transportieren!
VI. Harn- und Geschlechtsorgane.
39. Nierenschüsse zunächst konservativ behandeln! Sekundäre Nal
oder bei schweren Zerreissungen — Nierenexstirpation kan
wegen andauernder Blutung (Darmlähmung) oder wegen Vci
eiterung in Frage kommen.
40. Blasenschüsse werden konservativ behandelt, wenn der Ur|
leicht nach aussen abfliesst (durch Harnröhre oder Blasenwunde
sonst äusserer Harnröhrenschnitt, dem, wenn erforderlich, di
Blasenpunktion vorausgeht.
4L Beim ersten Zeichen von Harninfiltration ausgiebige Einschnitt!
in das infiltrierte Gewebe und äusserer Harnröhrenschnitt.
42. Bei Harnröhrenschüssen Dauerkatheter, gegebenenfalls vo
äusserem Harnröhrenschnitt aus. Gelingt die Einführung nicb j
Punktion der Blase.
VII. Gliedmassen.
A. Arm.
43. Weichteilwunden steril bedecken! Gefässe unterbinden! Sehne
und Nerven alsbald nähen! Bei schweren Unterarm- und Hand
Verletzungen schienen, auch wenn Knochenbruch nicht vorliegt.
44. Jeder verletzte Arm gehört in ein Armtragetuch, dessen dauernde1
Tragen, ausser bei Bettruhe, mit aller Schärfe zu überwachen isj
45. Knochenbrüche gut polstern und fixieren! Bestes Mittel Gips
schiene, auch Pappschienen.
B. Bein.
46. Weichteilwunden steril bedecken! Sie machen dienstunfähig un
fesseln ans Lager. Gefässe unterbinden! Sehnen und Nerve
alsbald nähen! Schwere Verletzungen am Unterschenkel schienen
Unterschenkelwunden neigen zur Vereiterung!
47. Knochenbrüche eingipsen! Bei offenen Knochenbrüchen, besor
ders am Unterschenkel. Fenster schneiden in den Ginsverband!
48. Den verletzten Fuss hochlagern! Bei Verdacht auf Phlegmoni
nicht sofort einschneiden, sondern abwarten.
Röntgenuntersuchungen^im^Kriege.
Von Dr. med. Gustav Loose, Spezialarzt für Röntgend
logie in Bremen.
Die nachfolgenden Zeilen mögen dazu dienen, auch deil
röntgenologisch weniger geübten Kollegen einige Anhalts,
punkte bei Röntgenuntersuchungen im Felde oder im Lazare;
zu bieten. Aus den Erfahrungen des Russisch-Japanische
Krieges, der Balkanwirren, sowie aus den bereits vorliegende
Berichten aus den jüngsten Schlachten ergibt sich in übereir
stimmender Weise, welch grosse Fortschritte die modern
Kriegführung auf humanitärem Gebiete gewährleistet. Vc
allem ist dies auf der einen Seite die Tendenz, den Gegnc
kampfunfähig zu machen, ohne ihn zu zerreissen und zu zer!
trümmern (moderne Infanteriegeschosse), auf der andere
Seite eine grosszügig angelegte und durchgeführte Vej
sorgung der Verwundeten (Heeressanitätsdienst). Bei letz
terer wird die Röntgenuntersuchung eine wichtige, in viele
Fällen massgebende Rolle zu spielen berufen sein. Es frag
sich nun, wann resp. wo und vor allem' wie können wir un
den Röntgenapparat am besten dienstbar machen?
Auf dem Schlachtfelde selbst, sowie in der Frot:
(Truppenverbandplatz, Hauptverbandplatz) wird die Röntgeri
Untersuchung nicht in Frage kommen, da einmal keine App;
rate vorhanden sind, andererseits die chirurgische Versorgun
die Hauptsache ist. Günstiger liegen die Verhältnisse bereif
in den grossen Feldlazaretten (je 12 auf ein Armeekorps für
200 Betten), für die, wenn ich recht orientiert bin. Feie
Röntgenwagen (Siemens & Halske) vorgesehen sind; wij
viele zurzeit zur Verfügung stehen, entzieht sich meine
Kenntnis; wo sie vorhanden sind, werden sie die beste
Dienste leisten. Die Hauptarbeit auf röntgenologischem Gc
biete wird und muss naturgemäss den Haupt-, Reserve- un
Hilfslazaretten der Etappe (Bindeglied zwischen Armee unj
Heimat) und denen der Heimat selbst zufallen. Glückliche!
weise steht auch hierin Deutschland wohlgerüstet da. indet
wohl alle zu Kriegszwecken herangezogenen Krankenhäust
bis zu den kleineren und Privatkliniken abwärts mit gute
Röntgenapparaten ausgerüstet sind und in der Lage sei
dürften, röntgendiagnostischen Anforderungen gerecht A
werden.
3. November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2191
Wie soll nun eine Röntgenuntersuchung vor sich gehen?
Sie hat sich in jeder Weise den modernen chirurgischen For¬
derungen (aseptischer Wundverband, Fixation des verletzten
Feiles) anzupassen, so dass es in der grossen Mehrzahl der
Fälle nicht nötig sein wird, die Verbände zu lösen. Bei dem
heutigen Stande der Röntgentechnik sind wir durchaus in der
Lage, durch die meisten Verbände hindurch gröbere Dia¬
gnosen zu stellen, vor allem, ob Fremdkörper vorhanden sind,
und ob Knochen verletzt sind oder nicht.
Zu den Verbandmitteln, die gar nicht stören, gehören alle
aseptischen und feuchten Verbände. Ausserordentlich hindern
können Verbände, die in Salbenform Mctallsalze enthalten
(z. B. Zinksalbe) oder deren Gaze mit schattengebenden Sub¬
stanzen imprägniert sind (z. B. Jodoform, Dermatol, Vioform
11 sw.). Zum Glück ist die Antisepsis durch die Asepsis über¬
wunden.
Zu den Fixationsmitteln, die gar nicht oder wenig stören,
gehören alle Stärke- und die meisten Gipsverbände. Ferner
alle Schienen aus Pappe, Filz, Holz, Metalldraht. Einzig und
allein hindern vollkommen Metallschienen, besonders in der
gebräuchlichen emaillierten oder lackierten Form. Es ist
deshalb dringend zu empfehlen, schon auf den Verbandplätzen
Rücksicht auf die kommende Röntgenuntersuchung zu nehmen
und bei Verbänden möglichst alle Stoffe zu vermeiden, die
später stark stören oder hindern.
Ich persönlich pflege so die Röntgenuntersuchungen vor¬
zunehmen, dass ich unsere Verwundeten, so wie sie mir ge¬
bracht werden, im Sitzen oder Rückenlage mit dem Leucht¬
schirm untersuche, um im groben festzustellen, wo ungefähr
Geschosse oder Geschosssplitter sitzen, sowie ob gröbere
Knochenverletzungen vorliegen. Von der betreffenden Partie
mache ich im Anschluss hieran ein Röntgenogramm, einmal
um eine Art Urkunde von dem Befunde zu haben, ferner aber
auch, um kleinere Metallsplitter und feinere Knochenläsionen,
die sich der Leuchtschirmuntersuchung entziehen können, mit
Hilfe der Platte sicher zu diagnostizieren.
Die bisherigen Betrachtungen dienten der allgemeinen
Röntgendiagnostik. Ganz besondere Aufmerksamkeit bedarf
das Kapitel der Lokalisation von Fremdkörpern, resp. die hier¬
mit in engstem Zusammenhang stehende Frage: Sollen Fremd¬
körper entfernt werden oder nicht? Leicht zu beantworten
ist diese Frage bei Verwundungen mit breiter Einschuss¬
öffnung und ausgedehnten Gewebszerreissungen, wie sie z. B.
durch Granatfeuer oder in Seeschlachten hervorgerufen
werden. Die chirurgische Versorgung dieser Wunden allein
wird wohl in der Mehrzahl der Fälle die gleichzeitige Ent¬
fernung grosser Geschosssplitter leicht ermöglichen. Dasselbe
gilt von Geschossen, die ganz oberflächlich sitzen und von
aussen durchzufühlen sind. Ganz anders, ja genau gegenteilig,
''egen die Verhältnisse bei der grossen Masse der Schussver¬
letzungen mit kleinem Einschuss (Infanteriegeschoss, Granat¬
splitter), bei denen wir über den Sitz des Geschosses ganz
m Unklaren sind. In all diesen Fällen fordert schon allein
ansere moderne chirurgische Ueberzeugung, nihil nocere durch
sondieren oder dergleichen: aber auch, wenn wir uns durch
lie oben beschriebene Art der Röntgenuntersuchung eine Vor¬
stellung im groben von dem Sitz einer Kugel gemacht haben,
\'ann nicht dringend und nicht scharf genug davor gewarnt
verden, jetzt schon nach ihr zu suchen, vorausgesetzt, dass
lie klinischen Verhältnisse dies nicht unbedingt erfordern. Es
ässt sich auf Grund einer Röntgenplatte eben nur sagen,
lass eine Kugel vorhanden ist, nicht aber, an welcher Stelle
•ie genau liegt. Ganz sicher werden alle diejenigen, die auf
irund einer ungenügenden Röntgenuntersuchung sich ver-
citen lassen, operativ einzugehen, zum Nachteil unserer Ver¬
wundeten die grössten Enttäuschungen erleben.
Wie lässt sich nun der genaue oder wenigstens annähernd
.enaue Sitz einer Kugel bestimmen? Lokalisationsmethoden
ind so alt, wie die Röntgenuntersuchung selbst, und es würde
u weit führen, sie hier alle aufzuzählen. Einen gewissen An¬
walt gewinnt man schon durch Drehung des Patienten und
Untersuchung in zwei senkrecht zu einander liegenden
-benen. Einen weiteren Fortschritt bedeuten die Methoden,
ie mit Röhrenverschiebung arbeiten, so dass durch die Ver-
ehiebung der Fremdkörperschatten sich die Tiefenlage des
Fremdkörpers selbst berechnen lässt. Alle diese erfordern
eine ausserordentlich exakte und komplizierte Technik und
sind dadurch zeitraubend und ungenau. Die beste, durch ihre
Einfachheit und Genauigkeit konkurrenzlos dastehende Me¬
thode ist heute die stereoskopische. Sie gewährleistet nicht
nur einen direkt körperlichen Einblick in das Untcrsuchungs-
objekt, sondern sie gibt auch dem Operateur dadurch, dass er
den Fremdkörper vor seinem Auge schweben sieht, einen,
ich möchte sagen, automatischen Wegweiser für sein Vor¬
gehen, zumal er es in der Hand hat, je nach Einstellung der
latten, aus verschiedenen Richtungen in das Objekt hinein¬
zusehen und sich so ausserordentlich leicht eine genaue Vor¬
stellung von der Tiefenlage zu machen. Wesentlich erleich¬
tern 'lässt sich die Bestimmung noch dadurch, dass man auf
der Haut beliebige Punkte markiert, die auch während der
Operation die Anhaltspunkte für ein richtiges Eingehen bilden.
Ich glaube, dass jeder, der zum erstenmal mit dieser Methode
Fremdkörper bestimmte und suchte, überrascht gewesen ist.
wie einfach, sicher und exakt sie arbeitete. Ich glaube, nicht
zu viel zu sagen, dass mit Hilfe der Stereographie die Ent¬
fernung von Kugeln und Geschossen zu einer Art von chirur¬
gischem Sport wird. Dennoch kann man geteilter Ansicht da¬
rüber sein, ob man Fremdkörper, die in günstiger, d. h. für
seinen Träger ungefährlicher Position liegen, die keine Be¬
schwerden machen und reaktionslos einheilen, entfernen soll
oder nicht. Vom rein ärztlichen Ermessen aus ist der konser¬
vative Standpunkt wohl der richtige; aber ich glaube, neben
dem rein ärztlichen soll man nicht ganz die Psyche des
Patienten ausser acht lassen. Der Laie verbindet mit Fremd¬
körper, ganz gleich, ob Nadel, Eisensplitter oder Kugel, stets
den Begriff des Krankhaften und kann sich nicht so leicht mit
dem Gedanken vertraut machen, dies als gleichgültig ruhig
sitzen zu lassen. Schon in Friedenszeiten habe ich mich oft
davon überzeugen können, dass der Patient sich erst wieder
völlig gesund fühlt, wenn der Fremdkörper heraus ist. Diese
Ueberzeugung ist auf Grund der Erfahrungen an unseren
Kriegsverwundeten noch fester geworden. Der Soldat fühlt
sich viel eher wieder feldfähig, wenn er „seine“ Kugel an der
Uhrkette oder im Geldbeutel bei sich trägt und bewundern
lassen kann, als wenn er weiss, „es ist noch etwas drin“. Ich
neige mich deshalb der Ansicht zu, dass man da, aber auch
nur da, wo die nötigen Einrichtungen zur Verfügung stehen,
lieber den kleinen Eingriff bei günstigen Objekten ausführen
soll, um mit der Entfernung der Kugel auch die Psyche des
Verwundeten heilend zu beeinflussen. Ich bin der letzte, der
in irgend einer Weise den Charakter unserer Soldaten in ein
schiefes Licht stellen möchte; aber wir sind alle Menschen
und leben in der Zeit der Versicherung und der Renten. Auch
von diesem Gesichtspunkt aus glaube ich, soll man mit der
Entfernung der Geschosse nicht zu ängstlich sein.
Nach dem Gesagten möchte ich meine Ansicht dabm zu¬
sammenfassen und folgende Anwort auf die obigen Fragen
geben :
1. Röntgenuntersuchungen zu rein diagnostischen Zwecken
(ob Kugel, ob Knochenverletzung) möglichst bald durch
den Verband hindurch.
2. Röntgenuntersuchungen zwecks Lokalisation und Ent¬
fernung einer Kugel ohne die nötigen Hilfsmittel nur in
dringenden Fällen. In allen anderen lieber auf sie ver¬
zichten und sie späteren günstigeren Verhältnissen
überlassen.
3. Bei günstigen röntgenologischen Verhältnissen und bei
einigermassen günstiger Lage lieber eine Kugel operativ
entfernen als einheilen lassen.
Schiessbrillen.
Von Sanitätsrat Dr. Fritz Schanz, Augenarzt in Dresden.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass sich bei hellem Himmel
an sonnigen Tagen die Schiessresultate verschlechtern. Bei bedeck¬
tem Himmel sind dieselben günstiger. Das helle Licht des Himmels
wirkt rasch ermüdend auf die Augen, aber auch schon für das nicht-
ermiidete Auge macht sich der störende Einfluss des intensiven Tages-
ichtes geltend. Die Ursache für diese Störungen liegt an dem Ge-
halt des I ageslichtes an Strahlen, die dem Auge nicht direkt als Licht
wahrnehmbar sind, die aber indirekt das Auge reizen und rasch er-
2192
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 44.
müden. Wenn man das Tageslicht durch ein Prisma zerlegt und auf
einer photographischen Platte auffängt, so erhält man ein Spektrum,
das noch einmal so lang ist als das Spektrum, das man mit den
Augen wahrnehmen kann. Die Differenz der Spektren wird durch
die besonders kurzwelligen Strahlen erzeugt, die die Netzhaut
unseres Auges nicht mehr zu erregen vermögen, die aber auf die
photographische Platte besonders intensiv einwirken. Am Auge wer¬
den diese Strahlen, bevor sie zur Netzhaut gelangen, in der Augen¬
linse zum Teil vollständig absorbiert, zum Teil in Licht grösserer
Wellenlänge verwandelt. Die Linse fluoresziert sehr lebhaft unter
der Einwirkung dieser Strahlen. Sie erzeugen hinter der Pupille
gleichsam das Glühen eines Glühwürmchens. Man kann das Leuchten
dieses Glühwürmchens bei geeigneter Anordnung auch bei Tageslicht
am eigenen Auge wahrnehmen. Zu diesem Zweck bringt man in der
Seitenwand eines Kastens1) ein dunkelblaues Glas und an der Rück¬
wand einen Spiegel an. Hält man diesen Kasten wie ein Stereoskop
vor das Gesicht und lässt durch das blaue Glas Tageslicht auf das
Auge fallen, so sieht man in dem Spiegel an der Rückwand seine
Pupille grau erscheinen. Selbst bei bedecktem Himmel ist dies dem
helladaptierten Auge wahrnehmbar und bei einer Beleuchtung, bei
der noch alle Einzelheiten am Auge deutlich erkennbar sind. Scheint
die Sonne durch das blaue Glas auf das Auge, so leuchtet das Fluo¬
reszenzlicht besonders deutlich aus der Pupille heraus. Dieses Fluo¬
reszenzlicht zieht sich wie ein leuchtendes Band durch die ganze
Linse, erleuchtet diffus das ganze innere Auge und erregt die Netz¬
haut. Dieselbe nimmt es wahr als diffusen Lichtnebel, der sich vor
das Auge legt. Ich habe in einer Arbeit, die im v. Graefeschen Archiv
86. H. 3. S. 549 abgedruckt ist, ein einfache Vorrichtung beschrieben,
mittels der man zeigen kann, wie dieser Lichtnebel das Sehen be¬
einträchtigt. Wenn man bei dem dort angegebenen Versuch das
Pupillenspiel beobachtet, so kann man auch sehen, wie diese Strahlen,
die das Fluoreszenzlicht erzeugen, auch eine sehr lebhafte Pupillen¬
verengerung veranlassen. Ein Reiz, der einen deutlich wahrnehm¬
baren Lichtnebel vor dem Auge zu erzeugen vermag, der eine leb¬
hafte Pupillenreaktion auszulösen imstande ist, vermag auch die Netz¬
haut rasch zu ermüden, zumal er sich im Gegensatz zu dem Reiz, den
die sichtbaren Strahlen auslösen, immer auf die ganze Netzhaut er¬
streckt. Es kann daher kein Zweifel mehr sein, dass die direkt nicht
sichtbaren Strahlen des intensiven Tageslichts den Sehakt nachteilig
beeinflussen, und dass sie erheblich an den Blendungserscheinungen
und der raschen Ermüdung der Augen beteiligt sind. Zu den Strahlen,
die Fluoreszenz der Augenlinse erzeugen, gehören auch Strahlen aus
dem Wellenlängenbereich der blauen und violetten Strahlen. Ich
habe ein Glas, das Euphosglas, angegeben, welches so abgepasst
ist, dass es diese nicht direkt sichtbaren Lichtstrahlen möglichst voll¬
ständig absorbiert, dabei aber die sichtbaren Strahlen möglichst wenig
schwächt. Wegen dieser Eigenschaft eignet es sich ganz besonders
zu Schiessbrillen und wild von keinem im Handel befindlichen Glas
in dieser Eigenschaft erreicht. Die meisten anderen Gläser, die als
Schiessbrillen Verwendung finden, absorbieren die nicht direkt sicht¬
baren Strahlen in geringerem Grade, oder schwächen gleichzeitig die
sichtbaren mehr, als dies nötig ist. Da auch Strahlen aus dem
Wellenlängenbereich der blauen und violetten an den störenden Wir¬
kungen beteiligt sind, müssen auch diese von einem solchen Schutz¬
glas absorbiert werden. Das Glas sieht daher gelbgrün aus.
Aber diese nicht direkt sichtbaren Strahlen haben bei hoher
Intensität noch eine andere Störung am Auge zur Folge. Sie setzen
die Erregbarkeit der Netzhaut in der Dämmerung herab. Schützt
man an sonnigen Tagen sein Auge durch eine Euphosbrille von den
Wirkungen dieser Strahlen, so hat man am Abend in der Dämme¬
rung ein besseres Sehen. Dazu kommt noch, dass durch die gelb¬
grüne Farbe die Kontraste in der Natur gesteigert werden. Die
bläulichen Töne erscheinen durch eine solche Brille schwarz, dadurch
treten die Teile, auf denen noch rötliches und gelbliches Licht liegt,
besser hervor. Man kann noch Ziele erkennen, die das unbewaffnete
Auge nicht mehr zu unterscheiden vermag.
Man kann die Vorteile, die eine solche Brille durch Abhaltung
des Fluoreszenzlichtes bietet, an sonnigen Tagen auf dem Schiess¬
stand feststellen. Ich habe durch meine Versuche mit dem Spiegel¬
visier häufig Gelegenheit, auf dem Schiessstand zu schiessen; man
merkt ganz deutlich, wie sich mit der Abhaltung der nicht direkt
sichtbaren Lichtstrahlen durch ein Euphosglas die Schiessleistungen
erhöhen. Auch an hellen Tagen auf der See habe ich diese Vorteile
wahrgenommen. Ich fuhr an einem sonnigen Morgen auf See. Die
ferne Küste erschien bald nur noch als matter, blauer Hauch, in dem
Einzelheiten nicht mehr zu erkennen waren. Mit einer lichten Euphos¬
brille erschien sie mir dunkler, und es traten Einzelheiten hervor, die
ich vorher nicht zu erkennen vermochte. Ich habe auf derselben See¬
fahrt, wie schon früher einmal, Beobachtungen gegen den Sonnen¬
reflex auf dem Wasser angestellt. Ich habe vor allem Schiffe be¬
obachtet. die am fernen Horizont in den Sonnenreflex kamen. Mit
dem freien Auge verschwanden Objekte, die dem Auge sichtbar
waren, wenn man von ihm die nicht direkt sichtbaren Strahlen ab¬
hält.
Hierher gehören auch die Beobachtungen von Major Meyer2),
die derselbe gelegentlich einer Uebung auf einem Torpedoboot ge¬
') Zu haben bei R. W urach in Berlin C., Neue Promenade 5.
2) Wschr. f. Hyg. u. Ther. d. Auges 16. Jahrg. Nr. 37.
macht hat: „Zunächst beobachtete ich über See anhaltend gegen die
Reflexe des Sonnenlichtes. Ich war imstande, ohne Ermüdung und
ohne Schmerzen längere Zeit über die blendende Fläche hinweg —
die aber dem mit Euphos bewaffneten Auge keine blendende mehr
ist _ zu beobachten. Welchen wohltätigen Einfluss dieses Glas auf
das Auge hat, zeigt die folgende Beobachtung. Ich fuhr vom Lande
weg in die See hinaus, und die Sonne stand uns direkt im Rücken.
Mit blossem Auge sah man der Blendung wegen die rechts und links
liegenden Konturen der Küste in der Mitte nicht zusamnienfliessen.
sobald ich die Euphosbrille aufsetzte, ergab sich trotz des Sonnen¬
reflexes das einheitliche und vollständige Bild der Küste.“ Marine¬
stabsarzt Gross3) konnte mit „Euphoslicht B eine volle Stunde
gegen den blendenden Sonnenreflex der See beobachten, ohne Blen¬
dungsgefühl oder andere Beschwerden zu bekommen. Man kann
wahrnehmen, dass die einzelnen glitzernden Reflexstreifen des be¬
wegten Wassers schmäler werden (Wegnahme des Lichtscheins) und
sieht vor allem deutlich die Konturen des Horizontes im Reflexgcbiet.
ebenso Schifte, die sich in diesem befinden. Gegen Scheinwerferlicht
kann man ohne Belästigung beobachten, zielen und richten.“ Es ist
dies dasselbe, was auch schon Major Meyer festgestellt hat.
Es wird dies erreicht durch Abhaltung der nicht direkt sichtbaren
Lichtstrahlen, die im Auge die Fluoreszenz und die rasche Ermüdung
des Auges veranlassen.
Diese Strahlen sind es, die in intensiver Einwirkung auch die
Erscheinungen der Schneeblendung und Schneeblindheit erzeugen,
die wir bei Wanderungen auf Schneefeldern im Hochgebirge am häu¬
figsten beobachten. Ganze Heere sind schon bei Uebergängen über
beschneite Pässe an so heftigen Augenentzündungen erkrankt, dass
sie lediglich durch solche Lichtstörungen in ihrem Fortkommen be¬
hindert worden sind. Die Ursache liegt nicht in der grossen Hellig¬
keit des Lichtes, sondern in dem grossen Reichtum des Lichtes im
Hochgebirge an solchen nicht direkt sichtbaren Lichtstrahlen. Ehe
das Licht in die Tiefebene gelangt, wird ein Teil dieser Strahlen
von der Luft absorbiert. Unsere Flieger werden auch bei Hochfahrten
durch solche Strahlen belästigt. Wie guten Schutz dabei das Euphos¬
glas bietet, lehrt die Beobachtung, über die Dr. Flemming be¬
richtet. Er hatte eine Ballonhochfahrt, bei der er über 8000 m hoch
gekommen war, ausgeführt. Er hatte eine lichte Euphosbrille, sein
Begleiter eine dunkelgraue. Er war von den Erscheinungen der
Blendung verschont, sein Beg'eiter hatte sehr heftig darunter zu
leiden. Gläser, die die sichtbaren Strahlen schwächen, sind nicht
nötig, weil über Beschwerden durch die sichtbaren Strahlen nicht
geklagt wird. Sie sind nachteilig, weil sie das scharfe Beobachten
beeinträchtigen. Die Flieger verlangen die Höchstleistung ihres Seh¬
organes bei anhaltender intensiver Lichteinwirkung. Wer auf See
gezwungen ist, sich viel dem blendenden Licht auszusetzen, wer gegen
Wasserreflexe anhaltend zu beobachten hat, wird die sichtbaren
Strahlen nicht von seinem Auge abhalten, wenn es genügt, die nicht
direkt sichtbaren Strahlen fernzuhalten, um dem Licht die blendende
Wirkung zu nehmen. Beim Schiessen wird man erst recht die sicht¬
baren Strahlen nicht schwächen, wenn es genügt, die nicht direkt
sichtbaren abzuhalten, um die Schiessresultate bei intensiver Tages-
beleuchtung zu verbessern.
Wie gut diese Etmhosgläser die Augen schützen, zeigt auch der
Versuch, den A m u n d s e n bei Gelegenheit seiner Südpolrcise aus¬
führte. Er wollte bei dieser Gelegenheit die Schutzbrillenfrage klä¬
ren. Er hatte deshalb seine Expedition mit den verschiedenartigsten
Schutzbrillen ausgerüstet. Er hatte auch 2 lichte Euphosbrillcn bei
diesen Versuchen verwandt. Wie er in seiner Reisebeschreibung be¬
richtet, sind nur 2 von der Expedition von den Erscheinungen der
Schneeblendung verschont geblieben, er selbst und Helmer Hansen,
die die beiden Euphosbrillen trugen. Alle andern hatten erheblicn
unter Blendung zu leiden.
Unsere Heere stehen im Feld, die Marine steht auf der Wacht,
da gilt es die Augen zu schärfen. Heller Sonnenschein lag im Anfang
der Kriege auf dem Kampfplatz, die blendenden Schneeflächen werden
den Augen der Kämpfenden noch lästig werden. Es dürfte daher jetzt
mehr als sonst angebracht sein, darauf hinzuweisen, wie man in
solchen Lagen sein Auge am besten schützt.
Als Schiessbrille dürften sich für das Landheer bei Sonnenschein
die Euphoslicht-B-Gläser am besten eignen, für die Marine und bei
Truppen, die in schneebedeckten Gebirgen werden zu operieren
haben, dürfte Euphoslicht-C angebracht sein. Was die Form der
Brillengläser betrifft, so sind grosse runde etwas durchgebogene Glä¬
ser am besten geeignet. Was das Brillengestell betrifft, so sind die
Horngestelle, die bei Jägern allgemein beliebt sind, zu meiden. Sie
sind für den Soldaten zu zerbrechlich. Ein festes Nickelgestell ist
das geeignetste. Sogen. Schiessbrillengestelle, welche durch ein
Scharnier an den Bügeln gestatten, das Glas etwas schräg zu stellen,
sind für Truppen, die meist im Liegen zu schiessen haben, anderen
vorzuziehen.
Bei der Marine kommen Blendungen durch künstliche Licht¬
quellen, Scheinwerfer etc. bei Blendung in Frage. In solchen Fällen
kann man sein Auge mit Euphos g r a u gläsern schützen, die auch
in 3 Abstufungen im Handel sind
3) D. militärärztl. Zschr. 1914, H. 4.
3' November 19M.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Chirurgische Beobachtungen und Erfahrungen im Felde.
Von Geheimen Medizinalrat Prof. l)r. Schlange, General¬
arzt und beratendem Chirurgen beim X. Armeekorps.
Her "\a n * Gi t s d i e n s t war durch die anhaltenden anstrengen-
den Marsche des Korps lind die zahlreichen blutigen Kämpfe — am
19. August bei . 22.-24. August bei ... ., 28.— 30. August
bei •,•••’ 5.-9. September am .... und vom 12. September bis
10. Oktober iast ununterbrochen bei .... auf eine ausserordentlich
harte I robe gestellt. Besonders erschwerend wurde die Tatsache
empfunden, dass die grossen Schlachten immer mehrere Tage hinter¬
einander stattfanden, stets bis spät in die Nacht hinein andauerten
und zwar so, dass die Stellungen zunächst im wesentlichen gehalten
wurden, was das Aufsuchen und Sammeln der Verwundeten umso¬
mehr erschwerte, als die Krankenträger vom Feind, wo irgend mög¬
lich, beschossen wurden. Irotzdem haben die Krankenträger ihre
Pflicht gut erfüllt und es lässt sich wohl annehmen, dass die Ver¬
wundeten mit wenigen Ausnahmen stets am Abend resp. in der Nacht
nach dem Kampf den Hauptverbandplätzen oder den Feldlazaretten
zugeführt wurden. Hier war die Arbeit in der Regel eine ausser¬
ordentlich grosse und anstrengende. Sie wurde aber stets ordnungs-
massig erledigt dank der grossen Hingebung der Aerzte, die mit
äusserster Aufbietung ihrer Kräfte die ganzen Nächte hindurch ar¬
beiteten Wo die Zahl der Aerzte in den Lazaretten gegenüber der
sich schnell häufenden Masse der Verwundeten nicht auszureichen
schien, fanden sich stets Aerzte anderer Formationen zur Mitarbeit
bereit, so dass eine bedenkliche Stockung in der Abfertigung der
Verletzten nirgends eintrat.
habe, wo ich irgend konnte, die Hauptverbandplätze und
Feldlazarette besucht und oft die Nächte hindurch mitgeholfen, stets
aber den erfreulichen Eindruck gewonnen, dass der Wille zur hin¬
gebungsvollen Mitarbeit bei allen Organen des Sanitätskorps, Aerzten
wie Krankenträgern, in schönster Weise vorhanden war, dass mit
gutem Verständnis auf meine etwaigen Ratschläge eingegangen und
mit bestem Erfolge gearbeitet wurde.
i v Tätigkeit der Aerzte finde ich im allgemeinen sehr
lobenswert. Zunächst muss ich hervorheben, dass die ersten
verbände auf dem Schlachtfelde von den Truppenärzten und unter
deren Anleitung von dem untergeordneten Sanitätspersonal im ganzen
ausserordentlich gut angelegt waren. Sie lagen sehr häufig durchaus
zweckentsprechend und nicht selten so vorzüglich, dass ein Wechsel
nicht erforderlich, ja direkt schädlich erscheinen musste. Das be¬
traf insbesondere die Gewehrschüsse aus nicht zu naher Entfernung,
wo auch der Ausschuss nicht besonders gross war. Hier bewährte
sich das im Besitz iedes Soldaten befindliche Verbandpäckchen ausser¬
ordentlich. Der Verband deckte gut die kleinen Hautwunden, er be¬
gann beim Eintritt des Mannes ins Lazarett bereits auszutrocknen,
klebte damit fest an der Haut in der Umgebung der Wunde und
bildete so eine sichere Schutzdecke, unter der die weitere Heilung
erfahrungsgemäss sehr sicher und schnell sich vollzieht. Jede Stö¬
rung dieses Schutzes durch unnötiges Wechseln des Verbandes wäre
ils eine mindestens nicht ungefährliche Prozedur anzusehen.
Die ersten Verbände grösserer Wunden konnten demgegenüber
natürlich nur einen mehr provisorischen Charakter tragen; ihre starke
Durchblutung und die Notwendigkeit, die Wunde selbst näher zu
intersuchen fiir die Bestimmung des weiter einzuschlagenden Heil¬
verfahrens, machte einen Verbandwechsel in der Regel erforderlich.
4ber auch diese ersten Verbände entsprachen gewöhnlich ihrem
'Lveck — dem ersten Wundschutz. Wo gleichzeitig Knochenbrüche
Vorlagen, war stets versucht worden, das betreffende Glied durch
mprovisierte Schienung — mittels Seitengewehr, Strohbündel, Holz-
>täben u. dergl. — genügend festzustellen, ln vereinzelten Fällen
varen die Verbände zu fest angelegt. Das war offenbar geschehen
n der guten Absicht, durch festes Anziehen der Binde der Blutung
ntgegenzuwirken. Der Erfolg war aber leider öfter die Verursachung
■in Stauung und damit vermehrter venöser Blutung.
Die Sanitätskompagnien und Feldlazarette funk-
lomerten ausgezeichnet. Im Bedarfsfälle waren sie stets und ln
usreichender Anzahl zur Stelle, auch stets gut und zweckmässig an-
'v'G'T so nahe am Schlachtfeld, dass die Zufuhr der Verwundeten
löglichst erleichtert war. Trotz der grossen und in den stets mehr-
agigen Schlachten sich ausserordentlich häufenden Zahl von Ver¬
wundeten hat eine anhaltende Ueberfüllung der Lazarette in der
vrt. dass eine ordnungsmässige Versorgung nicht möglich gewesen
■ are. nicht stattgefunden. Dafür sorgte der nie versagende Pflicht-
«fer der Aerzte und der erfreuliche Umstand, dass schon immer
e,lr bald, oft schon am nächsten Tage nach der Einlieferung eine
rosse Anzahl transportabler Verletzter — und zwar nicht nur leicht
erletzter — unbesorgt auf der Etappenstrasse weiterbefördert wer-
en konnte. Der ausserordentliche Wert der Krankenautomobile
cigte sich hierbei in hellem Licht.
Die Ausstattung der Sanitätskompagnien und Feldlazarette
rwies sich als durchaus zweckmässig und reichhaltig. Das 1 n -
trumentarium ist in Friedenszeiten mit grosser Umsicht zu-
unmengestellt und enthält wohl alles, was man für die im Felde
i Frage kommenden Operationen unbedingt gebraucht. Einzelne
istrumente wird ja mancher Operateur je nach seiner früheren
ewohnheit vermissen oder anders wünschen; ein wirklicher Mangel
2193
an notwendigen Instrumenten ist aber kaum hervorgetreten. Immer¬
hin werden die Kriegserfahrungen veranlassen, einzelne Wünsche für
besondere chirurgische Eingriffe in Zukunft zu berücksichtigen. Die
Verbandstoffe sind ausgezeichnet sowohl in bezug auf ihre
Vorbereitung wie Verpackung; ich habe den Eindruck, dass sie als
durchaus sicher und zuverlässig zu betrachten sind, wie das auch
dem günstigen Heilungsverlauf der Wunden entspricht. — An die
Menge der Verbandstoffe wurden nicht selten bei den mehrtägigen
Kämpfen sehr grosse Anforderungen gestellt. Dabei traten natürlich
gelegentlich Momente ein, wo eine Beschränkung im Verbrauch der
Vei bandstoffe auf das notwendigste Mass verlangt werden musste.
Die wunden haben indessen unter dieser Massnahme nicht zu leiden
gehabt Ein wirkliches Ausgehen der Verbandstoffe ist jedenfalls nie-
’nal?...eir.lgetret.en> ^a es stets gelang, durch Vermittelung anderer
Sanitatsiormationen oder auf dem Etappenwege für genügenden Er¬
satz rechtzeitig zu sorgen.
I iir die Fixierung gebrochener Knochen kommen m. E. in erster
Reihe ca. 6 cm breite, genügend lange Streifen starker Pappe in Frage
Sie haben den grossen Vorteil, dass sie für alle Formen von Frak¬
turen, insbesondere auch für Oberschenkelbrüche, sehr gut ver¬
wendbar und dass sie gut transportabel sind, und dass ihre Benutzung
leicht auch von weniger geübten Aerzten zu erlernen ist. Das ist ein
sehr grosser Vorteil gegenüber den Gipsverbänden, die nur von ge-
ü b t c Händen gut angelegt werden können. Diese habfen ausserdem
das Missliche, dass der Gips in feuchter Luft leicht verdirbt und dass
seine Anwendung die Anwesenheit von warmem Wasser in ge¬
nügender Menge sehr oft mindestens wünschenswert macht. Die
Sanitätsformationen führten grosse, zum Zerschneiden in passende
Streifen geeignete Papptafeln in ziemlich ausreichender Menge mit.
Aber auch anderes Schienenmaterial, wie Volkmann sehe Blech¬
schienen und Schienen aus Drahtgeflecht standen in genügender
Menge zur Verfügung und fanden häufig Verwendung.
Fiir die Etablierung der Feldlazarette und Hauptver-
bandplatze gelang cs stets zweckentsprechende Räumlichkeiten in
Schlössern, Kirchen, Schul- und Privathäusern zu finden. Die Um-
sieht, welche die verantwortlichen Oberstabsärzte bei der Wahl der
Platze und weiter für die Ordnung und Sauberkeit im Lazarett und
für die Verpflegung der Verwundeten betätigten, verdient wohl die
vollste Anerkennung. Schwierigkeiten bereitete mitunter nachts die
Beleuchtung. Doch liessen sich auch diese durch guten Willen und
Bescheidenheit in den Ansprüchen genügend überwinden.
. P1? W“ ndversorgung erfolgte nach ziemlich feststehenden
Prinzipien, für deren möglichst gleichmässige Befolgung im Korps ich
nach Möglichkeit eintrat. Gewehrschüsse mit kleinem Ein- und Aus¬
schuss erhielten, wenn ein Verbandwechsel überhaupt vorgenommen
wurde, einen einfachen leichten Deckverband nach vorheriger Be-
streiclung der Wunde und ihrer Umgebung mit einer 5 — 10 proz.
Jodaikohollösung. Sie zeigten eine fast sichere Neigung zu schneller
primärer Verheilung, sowohl die reinen Weichteilschüsse wie auch die
Knochen- und Gelenkschüsse, w'enn diese gut* geschient waren.
Sehr günstig verliefen auch die Brustschüsse. Wer mit einem
ßrustschuss noch lebend und in leidlichem Zustande* ins Lazarett
gebracht wurde, hatte grosse Chancen, am Leben zu bleiben Der
Heilungsverlauf selbst gestaltete sich freilich ie nach der Schwere
der Verwundung, wobei Grösse der Thoraxwunde, Rippenver¬
letzungen, Hämo- und Pneumothorax eine grosse Rolle spielten sehr
verschieden.
Ich habe Grund zu der Annahme, dass auch Herzschüsse zur
Heilung gelangten, ohne dass besonders auffallende Herzstörungen
nachweisbar waren.
Mehrfach sah ich, dass quer durch den Schädel gedrungene
Gewehrschüsse nach einigen Tagen gewissermassen „geheilt“ waren
— d. h. bis auf Ausfallserscheinungen, die in der Folgezeit immer
mehr zurücktraten. Nach der Schlacht bei . fand ich einen
Mann, der mit querdurchschossenem Kopf und bewusstlos eingeliefert
war, am 3. Tage im Garten unter einem Baum sitzend; auf die
Hirnverletzung wies nur ein gegen sonst wohl gesteigerter Grad
von Stumpfsinn hin.
Einen hohen Prozentsatz von Todesfällen zeigten leider, wie zu
erwarten war, die Bauchschüsse. Sie operativ zu behandeln, scheint
inir aber trotzdem entschieden nicht ratsam ( — von einzelnen Aus-
nahmen abgesehen — ). Dazu fehlen zunächst alle unerlässlichen
Vorbedingungen an Zeit, Beleuchtung, Assistenz, Sicherheit der
Aseptik usw. Auch ist zu bedenken, dass die nicht seltenen schweren
Fälle mit ausgedehnter Zerreissung der Eingeweide auch durch die
beste Operation nicht zu retten sein würden, während die leichteren
Fälle mit einfacher Darmperforation sehr wohl die Aussicht auf einen
günstigen Ausgang — ohne Operation — durch primäre Verklebung
der Verletzungsstellen zulassen. Tatsächlich sehen wir auch eine
nicht geringe Anzahl von Bauchschüssen zur Genesung gelangen,
entweder in ganz kurzer Zeit ohne irgendwelche Störung des Wund¬
verlaufes, mitunter langsamer unter Bildung von abgekapselten Abs¬
zessen, auf deren rechtzeitige und zweckmässige Eröffnung sehr zu
achten ist. So glaube ich bestimmt, dass bei zuwartender Behand¬
lung weit mehr Bauchschüsse heilen, wie das bei einer konsequent
durchgeführten operativen Behandlung geschehen würde. Diese hat
sich m. E. auf die Behandlung von Eingeweideprolapsen sowie auf
ganz besondere Indikationen (wie Blasen-, Nieren- und Milzver¬
letzungen) zu beschränken, zu der sich öfters Gelegenheit findet
2194
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 44.
Nacli den Nachtgefechten, insbesondere bei Reims, sehen wir
oiters Gewehrschüsse mit dem gewöhnlichen kleinen Einschuss, aber
mit einer Ausschussöffnung von 2- 3-Markstückgrösse: die zunächst
den Verdacht erregen konnten, dass es sich um die Wirkung von
Dumdumgeschossen handle. Eine nähere Aufklärung der Fälle er¬
gab indessen, dass die Verletzungen stets in Nahgefechten ent¬
standen waren in Entfernungen von 100 m und wenig mehr. Ich
glaube, dass hierauf die ungewöhnliche Form des Schusskanals zu¬
rückzuführen ist.
Ungünstiger wie bei den Gewehrschüssen gestaltet sich der
Heilungsverlauf bei den Schrapnellverletzungen, was sich wohl daraus
erklärt, dass der Schusskanal von Anfang an ein grösserer ist,
weniger den Charakter einer Stichverletzung wie der Gewehrschuss,
sondern schon mehr den einer Quetschwunde trägt; auch bleiben
die Kugeln nicht selten im Körper sitzen. Nachträgliche Entzündungen
dieser Wunden beobachtet man deshalb öfters, mitunter gleichzeitig
unter dem Bilde der schnell fortschreitenden Gasphlegmone.
Weitaus die schwersten und leider sehr häufige Verletzungen i
verursachen die Granatsplitter. Die Kraft dieser Eisenstücke ist eine
ganz gewaltige. Auch die kleinsten Splitter dringen meist sehr tief
in den Körper ein und machen dort unberechenbare Zerreissungen;
die grösseren verursachen die fürchterlichen Zerstörungen der Weich-
tcile und Knochen. Die Heilung dieser unregelmässigen, zerfetzten
Wunden wird sehr erschwert dadurch, dass sie meist sehr ver¬
schmutzt sind, noch mehr aber dadurch, dass es sich immer um
ausgesprochene Quetschwunden handelt, bei denen eine mehr oder
weniger tiefe Schicht der Wundfläche seiner Ernährung beraubt ist
und damit der Nekrose verfällt. Die Abstossung dieser nekrotischen
Teile vollzieht sich sehr oft unter heftigsten Entzündungserschei¬
nungen mit Eiterung, Jauchung, Nachblutungen usw. Wo es angeht,
dürfte es sich deshalb m. E. empfehlen, gleich primär die ober¬
flächlichen Wundschichten operativ zu entfernen. Auch diesen
schweren Granatverletzungen gegenüber habe ich den Standpunkt
vertreten, zunächst versuchsweise recht konservativ zu verfahren:
wo die Zirkulation im Fuss oder in der Hand erhalten war, wurde
von einer Amputation des Beines resp. Armes in der Regel einst¬
weilen Abstand genommen.
Von Wundinfektionskrankheiten haben wir eitrige Entzündungen,
Phlegmonen und die sog. Gasphlegmone natürlich öfters beobachtet;
dagegen habe ich ein Erysipel bisher nach meiner Erinnerung nicht
gesehen.
Trismus und Tetanus kamen bei .... in ca. 10 Fällen zur Be¬
handlung, von denen die Hälfte Deutsche, die andere Franzosen be¬
trafen. Die Art der Verletzung, gross oder klein, schien auf die
Entstehung der Infektion keinen Einfluss gehabt zu haben. Der Ver¬
lauf war meist ein ungünstiger trotz Anwendung der üblichen, aber
auch in der Friedenspraxis sehr unsicher wirkenden Heilmittel. Chro¬
nisch verlaufende Fälle haben eine leidliche, akut verlaufende eine
schlechte Prognose.
Was die P f 1 e g e. d e r V erletzten in den Lazaretten betrifft,
so ist sie nach meinen Eindrücken verhältnismässig sehr gut. Die
Chefs der Lazarette sind ausnahmslos aufs eifrigste bestrebt, in dieser
Beziehung alles aufs beste für ihre Kranken herzurichten.
Die Kost ist sehr gut, zweckmässig und reichlich; Ordnung und
Sauberkeit sind in den Krankenräumen, sobald der erste Andrang
überwunden ist, mustergültig.
Das Pflegepersonal hat sich allmählich immer mehr ein¬
gelebt. Es ist ja nicht möglich, wirklich durchgebildete Kranken¬
pfleger in ausreichender Zahl in Friedenszeiten für den Krieg vorzu¬
bereiten, und dieser Mangel mag nach den ersten verlustreichen
Schlachten natürlich hier und da empfunden sein. Aber die brauch¬
baren Leute haben im Kriege ihre Aufgaben für den Krieg schnell
begriffen, und so ist. wie mir scheint, jetzt in allen Lazaretten eine
genügende Anzahl von intelligenten und tüchtigen Pflegern heran¬
gebildet, die ihren schönen Beruf mit Liebe und Verständnis erfüllen.
Eine Feldtrage.
Nachtrag zu dem Artikel in Nr. 38 d. W.
Von Obergeneralarzt Dr. Reh.
Der Beschreibung der Feldtrage (Lochtrage) wäre noch beizu¬
fügen: Ein im Felde (St. Qu.) innerhalb 2 Tagen hergestelltes
Muster dieser Trage ergab, dass die Defäkationsöffnung nur 20cm
lang und 15 cm breit sein darf. Der Defäkationslappen muss 45 cm,
also nahezu die Breite der Trage zwischen den Holmen haben und
um je 5 cm nach oben und unten über die Oeffnung hinausragen, also
30 cm hoch sein. Derselbe erhält, um gleichmässig tragen zu helfen,
4 (nicht 3 wie in der früheren Zeichnung) 5 cm breite, 70 cm lange
Gurten, die auf den Lappen gleichmässig verteilt an dessen Unter¬
seite angenäht werden und zwar auf 45 cm Länge — entsprechend
der Breite des Lappens (s. Fig ). Diese Gurten werden durch 4 um¬
säumte Löcher — 5 X 1 cm ■ — , die sich ganz nahe an einem Schlauche
des Bezugs finden, um den Schlauch bzw. Holm herum nach unten
durch 4 an der Unterseite der Naht des Schlauches befestigte kräftige
Mcssingschnallen — eiserne Schnallen, auch lackiert, rosten bald —
kräftig gezogen *). Zum Zwecke der Stuhlentleerung wird der
Lappen gelockert und der flache, etwa 10 cm tiefe, 20 — 25 cm im
Durchmesser haltende Nachttopf — ohne nach innen überspringenden
Rand aus Papiermache (weil leicht und unzerbrechlich) hinein¬
gestellt und durch Anziehen der Gurten gegen das Gesäss gepresst.
Zu jeder Trage gehört ferner eine
Ente aus dem gleichen Material.
Für den Winter erhält die
Trage eine warme Decke, die in
Leinen oder Baumwollstoff einge¬
näht wird und einen Ausschnitt in
der Grösse 20x15 cm besitzt —
entsprechend der Defäkations¬
öffnung. Die Ausmasse dieser
Decke sind 50X180 cm. Zum Zu¬
decken des Verwundeten ist un¬
bedingt eine sog. abgenähte Decke
nötig, wie sich diese hier im Felde
in den Kriegslazaretten bereits
vorzüglich bewährt haben. Die
Grösse dieser abgenähten Decken
ist I : 1,50 m. Sie werden aus
Wolle als Füllmaterial, im Notfälle
aus Watte oder ähnl. und farbigen
Baumwollstoff hergestellt, der in
quadratischen Feldern aufgenäht
wird. Unsere Wolldecken eignen
sich nicht zum Zudecken, sie sind
zu schwer, wenn doppelt zu-
sammengclegt und halten doch
nicht warm. Der Defäkationslappen
wird ohnehin mit Polsterwatte bedeckt aus Reinlichkeitsgründen,
hält also selbst warm. Das Holz der Trage soll mit Leinölfirnis
od. ähnl. getränkt werden, um durch Feuchtigkeit nicht zu quellen.
Die Vorstecker müssen, damit sie nicht verloren gehen, durch Kett¬
chen oder Riemen mit dem Kopf- bzw. Fussgestell verbunden bleiben.
Durch freundliches Entgegenkommen von interessierter Seite wird in
nächster Zeit eine grössere Zahl meiner Tragen in Gebrauch kommen.
Wird die Trage in Kriegslazaretten etc. verwendet, so wird sie auf
2 aus Latten gefertigte, 65 cm hohe, Schrägen gestellt zur Bequem¬
lichkeit des Pflegepersonals und des Kranken.
Grotan und Festalkol zur Händedesinfektion.
Eine Bemerkung zu dein gleichnamigen Artikel von Dr. Karl
S ü p f 1 e auf S. 2017 d. Wschr.
Von O. Prym in Bonn.
Für die häufigen Fälle, wo zum Abspülen und Abtrocknen der
Hände nach der Desinfektion mit Seifenspiritus oder mit Festalkol
steriles Wasser und auch ein steriles Waschbecken zur Aufnahme
des sterilen Wassers und sterile Tücher nicht zur Verfügung stehen,
hat sich mir seit Jahren in Poliklinik und Klinik das folgende Ver¬
fahren bewährt: Ehe man anfängt sich zu waschen, legt man in die
in einem reinen, nichtsterilen Waschbecken befindliche Sublimat¬
lösung, die ich dazu bisher benutzte, oder in die empfohlene Grotan-
lösung zwei grosse Bäusche entfetteter Watte. Die Watte braucht
nicht steril zu sein, da etwa in ihr vorhandene Keime während der
Zeit, in der man sich die Hände mit dem Seifenalkohol wäscht, ab¬
getötet werden. Ist die Seifenalkoholwaschung beendet, greift man
vorsichtig, d h. so dass möglichst wenig Seife in die Sublimat- oder
Grotanlösung gelangt, einen Wattebausch heraus und lässt die von
ihm abtriefende Flüssigkeit ausserhalb des Waschbeckens, also
so, dass sie nicht in das Waschbecken zurückläuft, über die Hände
laufen und wischt unter allmählichem Ausdrücken des Wattebausches
die Seife möglichst von den Händen ab und legt den benutzten
Wattebausch fort. Dann geht man mit den Händen in den Rest
der Sublimat- oder Grotanlösung, spült die Hände darin nochmals
ab, oder bürstet sie nach Süpfles Vorschlag mit dem Desinfiziens,
ergieift den zweiten Wattebausch, drückt ihn, jetzt über der Wasch¬
schüssel, sehr fest aus und wischt mit ihm die Hände trocken.
Der Vorteil dieser Methode ist, dass man ohne steriles Wasser,
ohne steriles Waschbecken, ohne steriles Handtuch durchaus sicher
geht und nur Va Liter desinfizierende Flüssigkeit gebraucht.
Kleine Mitteilungen.
Aus Feldpostbriefen.
.... Wir glauben uns für die freundliche Uebersendung der
Feldärztlichen Beilage nicht besser bedanken zu können, als indem
wir Ihnen die Schilderung einer Situation übermitteln, in die unser
Feldlazarett vor kurzem geraten war. Am 11. Oktober wurde unser
Feldlazarett auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz damit beauftragt,
den Hauptverbandplatz einer Sanitätskompagnie zu übernehmen. Wir
fanden in einem Komplex von 3 Häusern ungefähr 300 frisch Ver¬
wundete vor, deren Zahl infolge der unmittelbaren Nähe des Schlacht-
*) Sehr erwünscht wäre es, wenn an Stelle der Schnallen eine
einfache Klemmvorrichtung angebracht würde, etwa wie wir sie
an Jalousien sehen.
Defäkationslappen.
). November 1914.
2195
Feldärztliche Beilage zui Münch, med. Wochenschrift.
eldcs sich innerhalb der nächsten Stunden verdoppelte. Im Laufe
les auf die Einrichtung folgenden Tages geriet das Lazarett in das
iranatfcucr der Russen. Um die Verwundeten vor der Gefahr des
/erbrennens im Stroh zu retten, wurde die Anordnung getroffen, sic
us den Häusern, die den Mittelpunkt des feindlichen Feuers bildeten,
u eine gesichertere Stellung zu bringen. Während das ganze Per-
anal einschliesslich aller Offiziere und Beamten bei dieser schwie-
igen und gefahrvollen Tätigkeit war, schlug eine Granate in eines
nserer Häuser ein. tötete 2 unserer Sanitätsunteroffiziere und einen
ussischen Verwundeten und verletzte 6 weitere Insassen des La-
arettes T rotz dieser Katastrophe und trotzdem die Geschosse
veiter um uns herum niederprasselten, gelang es uns, die Ver¬
wundeten bis auf den letzten Mann zu bergen. Am folgenden Tage
' urde das Lazarett durch die Verleihung von 20 eisernen Kreuzen
n Offiziere und Mannschaften ausgezeichnet, eine Ehrung, wie sie in
er Geschichte 'des Sanitätskorps wohl vereinzelt dasteht.
Drahtgeflechte als Scliienenmaterial.
Allen I cldsanitätsformationen sei die Beschaffung von Drahtgc-
eclitcn, gewöhnlich der mittleren und feineren Sorte, wie sie zu
.bgrcnzungsz wecken dienlich, allenthalben erhältlich sind, bestens
mpfohlen. Bei bequemer Beschaffungsgelegenheit in Heimat und
eindesland stellen sie ein schmiegsames, bequem zu adaptierendes,
acht zu verpackendes Schienenmaterial dar. Erheblich verstärkt
erden diese Verbände noch durch einfache Blechstreifen. Auch
ieser Verbandstoff ist ebenso leicht zu beschaffen, wie mit Blech-
chere zurechtzuschneiden. Seine scharfen Kanten stören, dem
rahtgeflechte aufruhend, nicht, während sonst Blechstreifen natür-
ch gut gepolstert sein müssen.
Wir haben bei der Kompagnie mit diesen Verbänden die besten
rfahrungen gemacht.
berstabsarzt Widmann, Chefarzt der 3. San.-Komp., III. bayer.
Armeekorps.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 2. November 1914.
— Obwohl seit langem vorausgesehen, hat der Ausbruch der
cindseligkeiten zwischen Russland und der Türkei doch wie eine
tberraschung gewirkt. Die Tragweite dieses Ereignisses ist nicht
izusehen Aber selbst wenn ein Uebergreifen auf andere Völker des
lams nicht stattfinden sollte, werden Heer und Flotte der Türkei sich
iseren Feinden fühlbar genug machen. Die Energie, mit der die
rkische Flotte in den Kampf eingetreten ist, berechtigt zu den
:sten Hoffnungen. In Belgien und Frankreich haben die deutschen
"uppen am Yserkanal und bei Lille, ferner bei Verdun, langsame
irtschritte gemacht. In Polen hat das Auftreten neuer überlegener
ssischer Streitkräfte unser Vordringen gegen Warschau zunächst
ifgehalten. Im Seekrieg haben neue Taten unserer U-Boote und
euzer, vor allem der schneidigen „Emden“, bei den Freunden Be-
underung, bei den Feinden Schrecken erregt.
Der Gesundheitszustand der Truppen ist andauernd gut.
ährend man hört, dass in Russland Krankheiten, namentlich die
lolera, beträchtliche Opfer fordern, ist es gelungen, im deutsch-
terreichischen Heere die Cholera bisher auf einzelne Fälle zu be-
hränken: auch sonstige Seuchen sind in nennenswertem Umfange
:ht aufgetreten. Ueber den Gesundheitszustand des bayer. I. Armee-
rps ist soeben folgender amtliche Bericht ausgegeben worden:
>er Gesundheitszustand der Truppen des I. bayerischen Armee-
rps ist fortgesetzt ein sehr günstiger. Trotz der herbstlichen Witte¬
ng und der grossen Anstrengungen der Mannschaften sind nur
uiige Fälle von Erkältungskrankheiten vorgekommen. Infektions-
ankheiten wurden nur in vereinzelten Fällen beobachtet. Für
s stellvertretende Generalkommando: Der Chef des Stabes: Dep-
r t.“ Vom Funktionieren des deutschen Sanitätsdienstes im Felde
:>t ein an das Kgl. preuss. Kriegsministerium erstatteter, an anderer
-Ile dieser Nummer abgedruckter Bericht des Generalarztes Prof.
• Schlange ein sehr befriedigendes Bild.
— Man schreibt uns aus Breslau: Ihre Majestät die
userin weilte vom 23. bis 26. Oktober früh in Breslau; ihr
• such galt einzig und allein den Verwundeten und der Besichtigung
Einrichtungen für die Pflege der Verwundeten und für die Ver¬
dung der I ruppen mit Liebesgaben. Die Kaiserin, welche die
;ile der Hilfstätigkeit im Kriege geworden und ihren fördernden und
ebenden Antrieb überall in deutschen Landen eingesetzt, konnte
Hi überzeugen, dass in den Breslauer Lazaretten alles, was Men-
lenkraft und Aerztekunst zu leisten vermag, geschehen ist und ge-
tieht. Ihre Majestät besuchte der Reihe nach das Augusta-
1 spital, das Diakonissenkrankenhaus „Bethesd a“,
^Israelitische Krankenhaus, die Chirurgische
liversitätsklinik (letztere, da Geheimrat Küttner im
'de weilt, unter Führung des Rektors Geheimrat Küstner);
Hier besuchte die Kaiserin das Garnisonlazarett und die
* ttnersche Privatklinik. Am Sonntag besuchte sie das Kranken-
is Bethanien und das Kloster der Barmherzigen
üder. Ueberall sprach die hohe Frau mit jedem einzelnen der
"wundeten, für jeden hatte sie ein gütiges Wort und jeder erhielt
Ce Blumenspende. Von den Offizieren erhielt ausserdem jeder
eine Ansichtskarte mit dem Bildnis des Kaiserpaares und dem eigen¬
händig auf die Vorderseite gesetzten Namenszug „Victoria 1914“.
unter den Offizieren befanden sich auch einige Oesterreicher, auf
welche die Huld der Kaiserin tiefsten Eindruck machte, ln wie
mütterlicher Weise sie sich mit dem einzelnen unterhielt, erhellt aus
ihrer ^gelegentlichen Bemerkung: „Auch ich habe fünf Jungen im
i'elde . Die Kaiserin hatte im Schloss Wohnung genommen; am
26. früh verliess sie Breslau, um Posen einen Besuch abzustatten.
Die Deutsche Medizinschule für Chinesen in
Shangai, über die anlässlich der Besprechung des Jahresberichtes
über das 5. Schuljahr 1912/13 in 1914 Nr. 15 d. Wschr. ausführlich
berichtet wurde, versendet ihren Bericht über das 6. Schuljahr vom
Februar 1913 bis Januir 1914. Danach hat sich das Areal auf
ca. 32 000 qm vergrössert, die begonnenen Bauten gehen der Vollen-
dung entgegen, die neue I urnhalle wurde bezogen, ebenso das Lehr¬
gebäude für Pathologie. Im Klinikum wurden insgesamt 17 Schüler
unterrichtet, davon 11, die das Vorexamen 1913 bestanden hatten;
das yorklinikum hatte 12 alte und 8 neue Studenten, die Sprachschule,
v'er^Dssig eingerichtet wurde, hatte im Sommersemester
9i3 183, im Wintersemester 1913/14 170 Schüler, die neuerrichtete
IV. Klasse musste in 3 Parallelabteilungen mit zusammen 111 bzw.
109 Schülern geführt werden. Die Vorprüfung bestanden alle (11)
alten Schüler des Vorklinikums, die sich ihr unterzogen, die nächste
Approbationsprüfung soll im Februar 1915 stattfinden.
Die das Mastisol herstellende Firma Gebr. Schubert
in Berlin schreibt uns, dass ihr nicht allein der Name „Mastisol“ ge¬
schützt sei, sondern auch das Verfahren zur Herstellung solcher
stark klebenden Mastixlösungen mittels Zusatzes von flüssigen Estern
ai omatischer Säuren. Durch die Herstellung eines „Mastisol“-Er-
satzes, wie er jetzt öfters angegeben wird, würden sich die Dar¬
steller also einer Patentverletzung schuldig machen, gegen die die
Firma mit allen gesetzlichen Mitteln vorgehen müsste.
Auch die Firma Louis Ritz & Co., Generalvertreterin der
Firma Seabury & Johnson für den europäischen Kontinent, legt Wert
darauf festzustellen, dass es sich bei Seabury & Johnsons
P fl a s t e r um ein amerikanisches und nicht um ein englisches
I räparat handelt. Wir verweisen auf das in Nr. 41 S. 2088 Gesagte.
— Für den Sanitätsdienst am Bahnhof der Stadt
Halle a. S. hat Prof. E. Abderhalden, der mit der Leitung
des 1 runsportes der am Bahnhof Halle ankommenden Verwundeten
nach den Lazaretten beauftragt ist, eine Instruktion herausgegeben.
Die Stellung Halles als Eisenbahnknotenpunkt bringt es mit sich, dass
fortwährend zahlreiche verwundete und kranke Soldaten ankommen,
die teils die Reise fortsetzen, teils in den dortigen Lazaretten bleiben!
Ls musste daher ein I ag und Nacht funktionierender Sanitätsdienst
am Bahnhof eingerichtet werden. Da die von Prof. Abderhalden
gelrcffenen Einrichtungen sich sehr gut bewährten, ist die Bekannt¬
gabe der Instruktion an weitere Kreise zu begrüssen. (Druck und
Verlag von Otto Hendel in Halle a. S.)
Friedrich v. Esmarchs Leitfaden für Samariterschulen:
„Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen“
ist jetzt in 30. (unveränderter) Ausgabe erschienen (146. bis
151. Tausend, Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel). Es bedarf
keiner besonderen Erwähnung, dass das klassische Buch in der jetzi¬
gen Zeit wieder erneute Bedeutung gewonnen hat.
— Cholera. Oesterreich-Ungarn. Vom 4 bis 10. Oktober
wurden in Oesterreich 160 Erkrankungen (und 22 Todesfälle) fest¬
gestellt, und zwar in Wien 11 (4), in Steiermark in 1 Gemeinde
(Graz) 1, Kärnten, Krain und Vorarlberg in je 1 Gern. 1, Mähren in
6 Gern. 16 (4) — davon in Brünn 2 (1) — , in Schlesien in 4 Gern 8 (4)
— davon in Teschen 3 (1) — , Galizien in 16 Gern. 121 (10) — davon
in Krakau 11 (4). Von sämtlichen Erkrankungen betrafen 17 die ein¬
heimische Bevölkerung. Bei 2 Erkrankungen in Wien handelte es
sich um Matrosen von Schleppschiffen, die aus Ungarn eingetroffen
waren. Alle übrigen Fälle kamen bei Personen vor, die vom nörd¬
lichen Kriegsschauplatz angelangt waren, und zwar bei 135 Militär¬
personen und bei 6 aus Galizien zugereisten Ortsfremden. In Ungarn
wurden in derselben Zeit 238 Erkrankungen angezeigt, davon in den
Städten Arad 1, Pest 66, Debreczen 1, Grosswardein 11, Hermann¬
stadt 2, Kaschau 2, Klausenburg 3, Komorn 1, Miskolcz 3, Pressburg 1
Stuhlweissenburg 2, Szegedin 3, Temesvar 1. In Slavonien wurde
im Komitat Syrmien 1 Erkrankung mit tödlichem Verlauf, in Bosnien
im Kreise Banjaluka 1 Erkrankung gemeldet.
— Pest. Griechenland, ln Piräus hat die Zahl der in der Zeit
vom 22. Juli bis 4. September bakteriologisch festgestellten Pestfälle
9 betragen. Seither sind zufolge Mitteilung vom 29. September wei¬
tere Erkrankungen nicht gemeldet. — Niederländisch Indien. Vom
23. September bis 6. Oktober wurden 866 Erkrankungen (und 734
Todesfälle) gemeldet. Für die Zeit vom 26. August bis 22. September
wurden nachträglich noch 37 Erkrankungen (und 32 Todesfälle) mit¬
geteilt. — Cuba. In El Alceite bei El Caney vom 27. Juli bis 2. August
2 neue Erkrankungen, in Santiago am 17. und 23. September je 1 Er¬
krankung, darunter 1 mit tödlichem Ausgang. — Ecuador. In Guaya-
quil im Juli 1 tödlich verlaufener Pestfall.
— In der 4L Jahreswoche, vom 11. bis 17. Oktober 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich-
keit Regensburg mit 33,8, die geringste Lehe mit 3,8 Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Königsberg, Königshütte, Zabrze, an Diphtherie
und Krupp in Bottrop, Gotha, Lübeck, an Unterleibstyphus in Frank-
furt a- °- Vöff. Kais. Ges.A.
2196
Feldärztliche Beilage zur Miincli. med. Wochenschrift.
Nr. •
(Hochschulnachrichten.)
Bonn. Dr. Q. A. Rost, Oberarzt der Hautklinik, hat sich
Ende des vorigen Sommersemesters an der Universität Bonn für
Dermatologie habilitiert.
E r a n k f u r t a. M. Die Medizinische Fakultät, deren Lehrer
zum grossen Teil im Heere stehen, hat Fürsorge getroffen, dass nahe¬
zu in allen Fächern ein geordneter Unterricht stattfinden kann, (hk.)
— Mit der Leitung der chirurgischen Klinik an der dortigen Uni¬
versität an Stelle des im Felde stehenden Geh. Med.-Rats Prof. Dr.
L. R e h n für dieses Wintersemester wurde der ordentliche Honorar¬
professor für orthopädische Chirurgie daselbst, Dr. Karl L u d 1 o f f,
Direktor der orthopädischen Heil- und Erziehungsanstalt, betraut, (hk.)
Halle. Privatdozent Dr. W. Schürmann aus Bern, der zu
diesem Winterhalbjahr nach Halle an das Hygienische Institut über¬
siedeln wollte ist durch den Ausbruch des Krieges an der Verwirk¬
lichung dieser Absicht verhindert worden und kann daher erst nach
Beendigung des letzeren seine neue Stellung antreten. — Priv.-Doz.
Dr. Karl J u s t i ist für das Wintersemester mit der Vertretung des
Ordinariats für pathologische Anatomie an der Universität Breslau
beauftragt worden.
Heidelberg. Dem ordentlichen Honorarprofessor und Leiter
der Nervenabteilung’ und Nervenambulanz an der medizinischen Klinik
Dr. Johann Hoff mann ist die etatsmässige ausserordentliche Pro¬
fessur für Neuropathologie übertragen worden, (hk.) — Der Wirkl.
(ich. Rat Prof. Dr. Erb feierte am 27. Oktober sein goldenes
Doktorjubiläum.
Pest. Der Ordinarius und Direktor der chirurgischen Klinik,
Hofrat Prof. Dr. Julius D o 1 1 i n g e r, wurde zum Generalstabsarzt
ernannt (hk.)
(Todesfälle.)
Am 20. Oktober starb als ein Opfer seines Berufes der diri¬
gierende Arzt des St. Josephshospitals in Beuel, Privatdozent für
innere Medizin an der Bonner Universität, Prof. Dr Josef Esser,
im Alter von 41 Jahren, (hk.)
In Bonn starb am 26. d. M. der Medizinalrat Prof. Dr. Robert
Thomse n, Privatdozent für Psychiatrie an der dortigen Univer¬
sität, dirigierender Arzt und Leiter der Dr. Hertz sehen Privat-,
Heil- und Pflegeanstalt, Mitglied des Medizinalkollegiums der Rhein-
prt vinz, im Alter von 56 Jahren, (hk.)
Im Alter von 64 Jahren ist der Privatdozent für medizinische
Statistik an der Universität Pest, Dr. Moriz Szalardi de Rakos-
falva, Direktor-Chefarzt des Landes-Findelhausvereins des Weissen
Kreuzes und ehemaliger Direktor-Stellvertretr des Kgl. ungarischen
staatlichen Kinderasyls, gestorben, v. Szalardi war der Be¬
gründer der ungarischen Säuglingsschutzbestrebungen, (hk.)
Die Liste der mit dem Eisernen Kreuze Ausgezeichneten be¬
findet sich auf dem Umschlag dieser Nummer.
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Dr. Heinrich Bart h, Unterarzt, am 18. Okt.
Dr. Ernst Alfr. E h r 1 e, St.A. d. Res. aus Freiburg i. Br., in
Frankreich an Typhus gestorben.
San.-R. Elgnowski, Lazarett Kom. Orteisburg.
Dr. Hermann, St. u. Reg.A., üardekürassiere, durch eine
Fliegerbombe am 9. Okt.
Dr. E. Hildenstab, O.A. d. L., Bezirksassistenzarzt.
Stud. med. Walter Hösel, Einj.-Freiw.
Stud. med. Friedr. Jahn, Kriegsfreiwilliger, Inf.-Reg. 106.
Feldunterarzt Dr. Georg Link (Offenburg), 3. Bat., 112. Inf.-
Reg., am 12. X. bei la Bassee.
Stud. med. Werner Magnus (Berlin), Kriegsfreiwilliger,
3. Garde-Art.-Reg.
St.A. d. L. M a i w e g (Langendreer), Res.-Feldart.-Reg. Nr. 14,
Münster, Stab.
Dr. Karl Heinz Müller aus Köln, Unterarzt im Jägerbat. 8,
am 12. Okt.
Dr. Richard Schlüter, O.A., 5. San.-Komp., 5. bayer. Res.-
Korps.
Dr. Hans Schulz, Unterarzt des Füsilierbat. Grenadier-Reg.
Kronprinz, am 7. Okt.
Stud. med. Walter Servatius (Freiburg), Einj.-Freiw. im
Inf.-Reg. 113, am 23. Okt.
Dr. Walter S t e u d e 1 1, Leutnant d. Res.
Dr. Richard Stumpf, Privatdozent f. path. Anatomie in Bres¬
lau, am 17. Oktober auf dem östlichen Kriegsschauplatz.
Assistenzarzt Curt Weichsel, Inf.-Reg. 102.
Cand. med. Wenzel (Berlin), Offiziersstellvertreter.
Stud. med. Benno Ziegler, Einj.-Freiw.-Gefreiter im Inf.-
Reg. 113.
Berichtigung. Herr Stabsarzt Dr. Dehme 1, der
in Nr. 38 als gefallen aufgeführt war, ist am 22. August in der
Schlacht bei Audun le Roman nur verwundet worden.
Korrespondenz.
Zur Frage der Dumdumgeschosse
entnehmen wir dem Privatbrief eines hervorragenden schweb
rischen Hochschullehrers folgende Bemerkungen:
„ . . . Auch die Frage der Dumdumgeschosse harrt noch der I
ledigung. Freilich herrscht darüber Unklarheit, was ein Dumdu
geschoss ist. Solche können nur aus Geschossen hergestellt werd>
die aus einem Metallmantel mit einem B 1 e i k e r n besteln
z. B. aus dem deutschen, schweizerischen Stahlmantelgeschoss, al
auch aus dem englischen. Man braucht nur die Spitze des Met;
mantels irgendwie zu entfernen. Hingegen kann man aus dem Vol
geschoss der französischen Armee keine Dumdum machen, w
sie keinen Bleikern enthalten. Das was in der Literatur als fr;
zösisches Dumdum bezeichnet wird, ist nichts anderes als Zie
in u n i t i o n — „Stand“munition. Jedes bessere Wörterlexikon zei
dass unter „stand“: Schiessstand zu verstehen ist. Kein Zweii
dass einzelne französische Einheiten, vielleicht aus Mangel an Krietj
munition und sicher hinter dem Rücken der oberen Befehlshab
solche Zielmunition angewandt haben. Im Eisass ist derartiges siel
nicht vorgekommen. Diese Munition ist natürlich kein Dumdum, v
solches in der letzten Nummer der Feldärztl. Beilage behauptet \m
den ist. Die Frage ist ja sehr schwer zu entscheiden, weil ja ü
Aussehen der Wunde keinen Beweis für Dumdum abgibt, wie ich a
eigenem Augenschein bei Franzosen, die von deutschen K|
geln getroffen worden waren, bestätigen kann. Ueberdies habe i!
ein deutsches Stahlmantelgeschoss gesehen, das nach Durcj
schlagen eines Hindernisses so aufgeplatzt ist resp. deformiert wur«,
dass man ein Dumdum vermuten könnte.“
Aerzte gesucht.
Unter Bezugnahme auf das „Eingesandt“ teile ich ergebenst ir,
dass in den Reserve lazaretten des I. Armeekorps noch ei:
Anzahl Zivilärzte vertraglich verpflichtet werden können (täglic)
Entschädigung 18 M. und Naturalquartier, freie Hinreise, everi
nach längerer Beschäftigung auch Rückreise). Meldung beim S
nitätsamt I. A.-K. in Königsberg, Königstr. 82.
Dr. v. M i e 1 e c k i, Generalarzt
Amtliches.
(Bayern.)
Nr. 5285 c 66. M ü n c h e n, 27. Oktober 1914^
Kgl. Staatsministerium des Innern.
Betreff : Preise für Arzneimittel und Verbandstoff.
Beratungen, die auf Veranlassung des Reichsamts des Innern ;
Kaiserlichen Gesundheitsamte mit den Vertretern der Verbandst»
industrie geführt worden sind, haben ergeben, dass der Vorrat
Baumwolle in Deutschland knapp, der Bedarf an Verbandstoffen ui
Verbandwatte dagegen ausserordentlich gross ist. Es wird desln
auf die Verwendung von Ersatzmitteln aus Zellstoff zurückgegriff
werden müssen. Als solche werden empfohlen Holzwollscharpie u
Zellstoffwatte. Diese sollen sich zwar nicht dazu eignen, um unmitn
bar mit den Wunden in Berührung gebracht zu werden, aber sie wd
den als Polster- und Aufsaugemittel, wie verlautet, schon verschi
dentlich verwendet und sollen bereits in einer Reihe von Kranke
häusern in Gebrauch sein. Das Gesundheitsamt hat vom gesun
heitspolizeilichen und hygienischen Standpunkt aus gegen die Ve
wendung solcher Stoffe, falls sie nicht mit den Wunden unmittelb
in Berührung gebracht werden, keinen Einwand zu erheben.
Wenn auch die Verwendung dieses Verbandstoffersatzes viel
Aerzten schon bekannt sein wird, so empfiehlt es sich doch, Aerz
und Krankenhäuser auf die von jeder Verbandstoffhandlung beziel
baren Ersatzstoffe für Baumwollverbandsachen aufmerksam
machen. Durch die vermehrte Verwendung dieser Stoffe würde si
ein verminderter Verbrauch der Verbandstoffe aus Baumwolle sow
eine sparsame Benutzung des Baumwollverbandstoffes für jene Fä>
erzielen lassen, in denen dieser durch andere nicht ersetzt werden kari
Eine Fabrik führt an Ersatzmitteln für Baumwollverbandsacti'
in ihrer Preisliste folgende auf: Zellstoffbaumwolle, Zellstoffwatt
Zellstoffwattemull, Zellstoffwatteunterlagen, Zellstoffwindeln, Hol
faserscharpie und eine Reihe anderer Holzfaser-, Holzmehl-, Holzfil
und Holzwollpräparate.
Bei den Besprechungen wurde ausserdem noch mitgeteilt, da
die Behörden und Verbände bedeutende Ersparnisse erzielen würde,
wenn sie ihre Lieferungen unmittelbar leistungsfähigen Firmen, Ve.
bandstoffabriken oder Verbandstoffhändlern übertragen und dav«
absehen würden, Mittelspersonen heranzuziehen, die, wie dies vo,
gekommen sei, nicht einmal sachverständig seien und nur zur Ve
teuerung der Waren beitrügen.
Dieser Rat bezog sich nicht etwa auf denjenigen gewerb
mässigen Zwischenhandel, gegen den sich nach Lage der Verhältnis
nichts einwenden lässt, wohl aber auf Kommissionsaufträge an solcl
Personen, die sich ohne selbst sachverständig zu sein, unnötigerwei
bei den Verbandstofflieferungen als überflüssiges Zwischenglied zw
ochen Erzeuger und Verbraucher einschieben.
I. V.: v. Kahr.
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
Preis der einzelnen Nummer 80 J,. • Bezugspreis in Deutschland
. • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen • • .
Inserotenschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
MÜNCHENER
c- j- - , . Zusendungen sind zu richten
Für die Schnftleitung: Arnulfstr. 26 (Sprechstunden 8V£ — 1 Uhr)
Für Bezug: an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26
rur Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8.
- «vuagtH. au ivuuuii musst-, i iieaunerstrasse c
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Sr. 45. 10. November 1914.
Originalien.
Ins dem Zentral-Röntgeninstitut des k.k. allgemeinen Kranken-
hauses m Wien (Vorstand: Holzknecht).
Fremdkörperlokalisation.
Von Primararzt Prof. Holzknecht in Wien.
Die zwei Hauptleistungen der Röntgenuntersuchung bei
oiegsv erletzungen finden uns vom Frieden her verschieden
ut vorbereitet. Die Frakturen zeigen zwar eine überraschende
.igeiiart, die vom Mangel des Nachdruckes der brechenden
jewalt herruhrt und deshalb die im Frieden gewohnten
rossen Dislokationen der Fragmente vermissen lässt, dafür
ber reichliche Splitterung zeigt. Ueberall wird der tref-
mde Vergleich vom Spiegel gefunden, der vom Steinwurf
ersphttert wird, dessen Fragmente aber vom schwachen
ahmen iestgehalten werden. Aber diese Eigenart bedarf
jntgenologisch keines anderen Vorgehens als im Frieden:
nt zwei tunlichst aufeinander senkrechten Aufnahmen an den
'rten der äusseren Vv undöffnungen und der Beschwerden ist
len Indikationen genügt. Auch die Beurteilung der Bilder
t dabei nicht schwer und verhängnisvolle Täuschungen sind
uteu. im Durchleuchten Geübte können unter Verzicht auf
nen kleinen Prozentsatz bedeutungsloser Absprengungen
ich mit der Durchleuchtung allein das Auslangen finden
aher soll hier über die Radiologie der Knochenschussver-
tzungen nicht weiter gesprochen werden.
Anders stellt es mit den Fragen der Fremdkörper: Ge-
iss, die die Geschosse betreffenden Massnahmen stellen nicht
e Hauptaufgabe der Kriegschirurgie dar, aber es zeigt sich
eltach wider Erwarten, dass das „Quieta non movere“ doch
hr häufig nicht zutrifft. Durch oberflächliche, zwischen Haut
id. Skeletteilen liegende, den Sehnen oder Gelenken und
ichtigen Organen nahe Projektile werden Schmerzen, Be-
merungs- und Ausfallserscheinungen bedingt und in infizierten
.■reichen ist der Fremdkörper ein unliebsamer Gast. Dazu
'inmt, dass noch längst vor Stellung einer chirurgischen
uikation die Frage, ob ein Teil der zahlreichen Beschwerden
rch das in einer der obigen Beziehungen stehende Geschoss
dingt ist,, diagnostisch von Bedeutung ist. Dazu die Un-
’ Hässlichkeit der Angaben und Befunde über Steck- oder
»irchschuss, über geschehene Fremdkörperentfernungen, die
;h meist als unvollständig erweisen und nur kleinere ober-
cnlicn stecken gebliebene Fragmente betreffen, die Häufig-
t, mit der wir die z. B. am Schultergürtel eingetreteuen
_ schosse in den Organen der Brust- und Bauchhöhle finden,
e rolge der Bauchlage in der Schwarmlinie. Also auch
'vor noch an einen Eingriff gedacht wird, ist der Nach-
k-is und die Lokalisation von Bedeutung.
Der erster e ist leicht, jede gute Platte zeigt die
isten Splitter mit Evidenz. Scheinbar ebenso evi-
n t zeigt sie leider auch eine scheinbare Lage
n erhalt beim Betrachten der Bilder den Eindruck,
H dAS Pr °jek til in der Ebene des ihm zu-
nst liegenden Skeletteiles liegt und von ihm
die im Bild sichtbare Strecke entfernt ist1). Nun weiss
I e jeder Arzt, dass dieser Eindruck falsch ist und dass eine
eite Aufnahme in anderer Richtung eine andere Scheinlage
tousclrh Leider aber glauben fast ausnahmslos alle, auch
T beruh t auf einer optischen Täuschung psychischer Provenienz:
>ung von den verschiedenen nicht unterscheidbaren Möglich¬
en dir. einfachste und bequemste anzunehmen.
Nr. 45.
die sonst im Röntgengebiet einigermassen Bewanderten, dass
aus zwei solchen Aufnahmen die Lage des
, 0 ] e k t i i es erschlossen werden kann. Das ist
aber falsch und zwar so falsch, dass daraus mit Not¬
wendig ke i tz a h 1 1 o s e grobe Irrtümer entstehen
müssen. Trotzdem werden so die meisten Fremdkörper-
lokahsationen gemacht, und Chirurgen, die über Verwundeten¬
versorgung sprechen und natürlich die Radiologie zu ihrem
Ressort rechnen, preisen diesen unheilvollen Satz wie eine un-
verherbare Errungenschaft an und finden speziellere Methoden
überflüssig. Daneben steht nun die Tatsache, die heute nach
mehrwochentlicher kriegssanitärer Tätigkeit allgemeine Zu¬
stimmung erlangen dürfte, dass die Chirurgen in Wirklichkeit
neim praktischen Finzeifall mit der röntgenologischen Fremd-
korperlokalisation recht unzufrieden sind. Ein sehr grosser
Prozentsatz Fehlaufsuchungen und grosse Unsicherheit und
Unlust im operativen Vorgehen treten überall zutage.
Zunächst sei der Beweis erbracht, dass der obige Satz falsch
ist. Fig. I, 1, Schädel von der Seite und Fig. I, 2, Schädel von
vom gesehen, zeigen die Schatten eines Fremdkörpers. Die über-
1.u"d .? Röntgenbilder eines Projektes, trotz zweier Aufnahmen scheinbar in
h,Tp 'iegHendc lUJ'r 41 Das ProJek,il ist mi* Heftpflaster der Haut aufgeklebt
d,e Projektion m das Schadelinnere ist eine scheinbare: Auch mehrere Aufnahmen
genügen nicht zur Lokalisation.
wiegende Mehrzahl der Betrachter werden diagnostisch einen Fremd¬
körper in der Hirnoberfläche, in der Schläfenstirnübergangsgegend
diagnostizieren. Einzelne lassen sich — ich habe die Probe oft
gemacht - sogar auf den Gyrus näher ein. Allein ich habe den
Fremdkörper mit Heftpflaster auf den Haarwinkel zwischen Stirn
und Schlafe meines Assistenten aussen aufgeklebt. Es ist auch ganz
natürlich, dass er beidemale scheinbar im Schädel liegen muss, wie
sich aus der Fig. I, 3 und I, 4 und den eingezeichneten Projektions-
linien ergibt.
Die Ursache dieses Fehlers ist ganz die gleiche wie bei Be¬
trachtung eines Bildes, man macht eben zwei willkürliche Aufnahmen
aber diese grössere Kompliziertheit ist eben keine Gewähr für die
Richtigkeit Das Richtige ist auch nicht einfach, aber anders kom¬
pliziert. hin Fremdkörper liegt nicht dann innerhalb eines Hohl-
raumes, wenn er in zwei oder drei Projektionsrichtungen innerhalb
liegt, sondern wenn er in keiner einzigen von allen
möglichen ausserhalb liegt. Alle möglichen Projek¬
tionsrichtungen können aber nicht mittels Aufnahmen hergestellt
sondern nur mittels der Durchleuchtung gewonnen wer-
1
2198
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 45
den; mit dieser allerdings leicht nnd rasch. Das gleiche Resultat
haben alle anderen lokalisatorischen Erwägungen.
Ich kenne nur drei praktisch brauchbare Hauptmethoden
der Lokalisation:
I. Die Durchleuchtung bei stetiger Rotation des Körper¬
teils zur Ermittlung a) des fremdkörpernächsten Hautpunktes
oder b) des fremdkörpernächsten Knochenpunktes ä).
II. Die Durchleuchtung in zwei einander schräg kreuzen¬
den Richtungen mit Markierung der vier Hautpunkte an der
Durchtrittsstelle der fremdkörperabbildenden Strahlen2 3).
III. Die Doppelaufnahme auf eine Platte nach Wachtel,
eine neue instrumenteile Lokalisationsmethode, welche die
komplizierten älteren an Genauigkeit übertrifft und dabei ein¬
fach in der Ausführung ist. Vorrichtung durch Sommer-
Wien VII.
Nach dem oben Gesagten sollen hier die beiden ersten 4)
zur Darstellung gelangen.
Leiden ist die Durchleuchtung gemein. Sie ist notwendig,
weil sie „im Handumdrehen“ alle Richtungen liefert und weil sie
die Uebertragung auf die Haut gestattet. Ihr Resultat sind
Hautpunkte und Angaben über Richtung und Tiefe,
z. B.: „Liegt in dem und dem Organ, hier hinein, senkrecht 5 cm
tief!“, nicht aber zwei Bilder als Nahrung für die Imagination5 6).
Was die Bedenken der „Gefährlichkeit der Durch-
1 e u c h t u n g“ überhaupt und besonders so zahlreicher Durchleuch¬
tungen, wie sie jetzt nötig sind, anlangt, so ist wiederum zu sagen,
dass unsere einfachen und handlichen Durchleuchtungseinrichtungen
(Beclercstativ, Klinoskop, Wiener Modelle) so gearbeitet sind, dass
sie einen völlig zureichenden Schutz bieten. Vom
direkten Licht lassen Hängeblende und Blendenkästchen nur einen
Lichtkegel, der den Patienten trifft, hindurch. Das aus ihm aus¬
tretende Licht wird vom Bleiglas des Durchleuchtungsschirmes auf¬
gefangen. Der Arzt wird von Sekundärstrahlen und wenigem
das Bleiglas penetrierendem Licht getroffen. Es ist nicht wahr, dass
er dadurch geschädigt wird. Alle Schädigungen sind durch sinnloses
Belichten mit direktem Licht entstanden, in der ersten Zeit, aus Un¬
kenntnis der Wirkungen. Dass einige Pioniere des Faches ohne
alle Schutzmassnahmen Schaden gelitten haben und dass diese Schä¬
digungen naturgemäss jetzt ihre schlimmen Spätfolgen zeigen, darf
für uns kein Grund sein, die zureichenden jetzigen Schutzmassregeln
zu verdächtigen, den Schutz zu übertreiben und dabei technische
Einrichtungen zu schaffen, welche die Arbeit hindern oder fast un¬
möglich machen. In der Nummer vom 6. X. 14 der M.m.W. hat
Moses in ganz unzutreffenden Ausführungen durch mehrfache un¬
richtige Angaben und Abbildung einer unglaublich schlechten Be¬
nützung der Durchleuchtung diese jetzt so wichtige Methode dis¬
kreditiert und durch Angabe einer neuen Einrichtung für die ^Nicht-
besitzer derselben unheimlich gemacht, statt dass er den Un¬
kundigsten den einfachen Rat wiederholt hätte, die Blende immer
so eng zu halten, dass der ganze direkte Strahlenkegel vom Schirm,
der ihn zeigt, aufgefangen wird. Denn nur darin wird gefehlt. Solche
Irrtiimer finden leider viel Anklang, denn sie unterstützen die Ab¬
lehnung der Durchleuchtung seitens jener, welche sich keine Uebung
in derselben erworben haben. Die Zahl dieser ist gross; denn da das
Anschauen der Röntgenbilder leicht ist, besitzt unser Fach 90 Proz.
Dilettanten, die natürlich durch das, was sie nicht wissen, nicht ge¬
hindert werden, sich für sachkundig zu halten. Ich gelte als ein Lieb¬
haber der Durchleuchtung, es ist aber nur das, dass ich sie kenne.
Welche Methode wendet man im Einzelfall an? Zuerst wird
in jedem Falle die erste (Rotation) angewandt. Sie ist meistens
anwendbar und dann sind die anderen überflüssig. Ist sie nicht an¬
wendbar, dann wird die zweite (4 Punkte) gebraucht. Ist diese
wegen der grossen Zahl oder Kleinheit der Fremdkörper oder wegen
der Lebenswichtigkeit der fraglichen Organe nicht genau genug, dann
die dritte (Doppelaufnahme nach Wachtel).
1. Durchleuchtung bei stetiger Rotation.
Durchleuchtung am stehenden oder sitzenden Patienten für Kopf,
Hals, Thorax, Abdomen und obere Extremität oder am Untertisch
für untere Extremität oder Schwerkranke. Licht wie bei Tiefen¬
therapie, an zweifelhaften Stellen und bei allen Markierungen enge
Blende. Wir erblicken den Fremdkörper, drehen den Körperteil
(Fig. I, 1 — 3) und sehen entweder (a), dass der Fremdkörper in
manchen Richtungen nahe an die Körperoberfläche herantritt oder (b),
2) Zuerst von Holzknecht und G r ü n f e 1 d t angegeben.
3) Zuerst von S. E x n e r angegeben.
*) Die Dritte soll unten vom Autor selbst dargestellt werden. Sie
tritt an die Stelle der in der Literatur enthaltenen exakt messenden
Methoden, welche sich sämtlich — ich will sie nicht aufzählen —
wegen ihrer Kompliziertheit im grossen Betriebe des Krieges als
praktisch nicht durchführbar erwiesen haben. Die neueste von
Robinsohn, in der Ausführung wirklich einfach, bedarf einer Ab¬
änderung unserer Durchleuchtungseinrichtungen.
6) Auch stereoskopische bieten nicht das, was der Diagnostiker
und der Chirurge braucht.
dass er in der Nähe des Skelettes“) bleibt. Danach entschliessei
wir uns der Diagnostik der (1.) zur Lokalisation auf die Hau
oder (2.) auf Haut und Skelett.
La Lokalisation auf die Haut: Die am Schirm sicht
bare Distanz zwischen Fremdkörperschatten u n <1
Hautkontur im Auge behaltend, wenden wir den Körpertei
drehend hin und her (Fig. II, 1—3) und verfolgen diejenige Dreh
richtung. bei welcher die Hautfremdkörperdistanz kleine
wird. Jene Stellung, in der sie am kleinsten ist (z. B. Fig. 11, 2)
halten wir fest, sie gibt die wahre Hautdistanz des Fremd
körpers7) Dreht man über diese Stellung in der gleichen Richtum
hinaus, so wird die Distanz wieder grösser, man kehrt also zur ge
fundenen wieder zurück“). Wir zeichnen nun die Hautgeschoss|
distanz mit Fettstift auf den Schirm ( - ). Die Körpersteiluni
aber halten wir fest, denn wir wissen jetzt zwar die senkrecht
Distanz (Tiefe), aber nicht, von welchem Hautpunkte aus si<[
gilt. Dieser Punkt wird am
Körper gefunden, indem wir
eine stiftförmige Marke B)
an die Körperoberfläche
(Verband) berührend
heranbringen und auf ihm
gleitend bald näher zum
Schirm, bald näher zur
Röhre bewegen. Dabei
sehen wir ihn mit seiner
Spitze meist im Schatten
der Weichteile (Fig. II, 4)
und nur in einer einzigen
Gleitlage in ganzer Länge
bis zur Spitze frei10) (Fig. II,
5). Diese Stellung des Stif¬
tes halten wir fest, denn
jetzt bezeichnet seine Spitze
jenen Hautpunkt, für den die
obige Distanz (Tiefe) gilt;
senkrecht unter ihm, in der
früher gefundenen Tiefe,
liegt das Geschoss. Lapis¬
punkt; Uebertragung vom
Verband auf die Haut beim
Verbandwechsel; bei wei¬
chen Verbänden durch Fest¬
halten der Stelle mit einem
Finger, während der übrige
Verband weggeschnitten
wird, bei starren Verbän¬
den durch Stehenlassen
eines den Punkt enthalten¬
den Ringes. Tiefe mit La¬
pis auf die Haut schreiben.
Die Haut vorher mittels ge¬
stieltem Tupfer mit photo¬
graphischem Entwickler befeuchten.
Ist der Punkt markiert, so fügt man immer noch den Yersucl
hinzu, von ihm aus durch stärkeres Eindrücken des Stiftes M i t b e
wegungen des Fremdkörpers zu erzielen11). Dadurcl
findet man oft noch einen genaueren Punkt in der nächsten Umgebum
des ersteren (Ort der grössten Mitbewegung). Schliess
lieh versucht man, ob der Fremdkörper nicht an der gefundene!
Stelle p a 1 p a b e 1 ist, was hauptsächlich von den Unterlagsverhalt
nissen abhängt. _ ,
I,b. Lokalisation auf das Skelett oder ein sicht
bares12) tiefes Organ. Das gleiche Verfahren. Wir drehet
Fig. II. 1, 2, 3: Rotation bis zur kürzeste
Fremdkörper-Hautdistanz (7) 4, 5: Bei unvei
änderter Stellung wie 2 gleitet der schaben
gebende Stift auf der Haut bis er frei sichtbs
ist. 3 Auf Verband im grössten Hautabstand.
°) Oder in der Tiefe der Eingeweide.
7) Bloss ein wenig durch die Divergenz der Strahlen vergrössert
Wird vernachlässigt oder einfach und zweckmässig nach Robi"
sohn folgendermassen berücksichtigt: Der Farbstift, welcher dei.
Hautpunkt bezeichnet, wird mit einem kurzen Blechrohr umhüllt, da:
auf ihm verschoben werden kann. Nach Auffinden des Hautpunkte
wird das Röhrchen so weit an die Haut herangeschoben, bis sein«
Distanz von der Haut ebenso gross ist, wie diejenige des Fremd
körpers von der Haut. Ohne Röntgenlicht betrachtet gibt jetzt du
Distanz des Röhrchens von der Bleistiftspitze die fehlerfreie Fremd
körpertiefe. . ,
8) Beim Lesen dieses Teiles der Arbeit empfiehlt sich als Modei
des Körpers ein leeres Wasserglas mit einem fix hineingehaltenei
Bleistift. Ein Uebungsmodell aus Zelluloid für Lampen- statt Röntgen
licht fertigt Sommer, Werkstätten für Wiener Röntgenmodelk
Wien VII.
°) Die roten Fettstifte haben eine gut sichtbare Füllung (Zin
nober). .
10) Bei Vorhandensein eines . Verbandes sogar vom Weichten
kontur entfernt.
n) Natürlich nur, wo keine starren Wände (Schädel, Thorax
über ihm liegen. .J
12) Ev. auf einen sichtbar gemachten Teil des Verdauungs- ode.
Harntraktus.
). November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2199
n Körperteil nach jener Richtung weiter, bei der der
r e m d K 0 1 p c r s c hatten sicli vom Skelettschatten
1 1 f e r n t. 1 ) i e grösste so gewonnene Distanz ist die
a h i e, z. B. 1 cm. Sie wird notiert, die Stellung aber festgchalten,
nn wir haben ja noch den Überflächenpunkt des Knochens fest¬
stellen, der jetzt dem Geschossschatten zugewandt ist, z. B.
s Planum popliteum, 5 cm oberhalb des Epicondylus externus13).
ir fügen auch den Oberflächenpunkt und die Tiefe nach dem
.-rfahren I a hinzu.
Wir können mit vielem Nutzen noch den sog. Gegenpunkt
lzufügen, wenn wir den gefundenen Hautpunkt (Kreuz: Inzision) mit
r sichtbaren I ettstif tspitze bedecken und dann den Körper so
ehen, dass Marke und Projektil sich decken. Jetzt markieren wir
s Projektil auf der dem Hautpunkt entgegengesetzten Körperseite
mg : Scheibe, Ziel). Schliesslich fügen wir unsere Vorstellung über
s Organ oder den Organabschnitt hinzu, in welchen wir den Fremd-
iper sicher oder mutmasslich verlegen. Ein solcher Befund würde
nn beispielsweise lauten: 3,5 cm senkrecht unter dem Lapispunkt
gt ein nicht deformiertes Gewehrgeschoss. Vom Planum popli-
im (5 cm oberhalb des Epic. ext.) ist es 2 cm entfernt. Vom Lapis-
euz in der Kniekehle 4 cm nach der Richtung des Lapisringes auf
r Patella bei gestrecktem Knie. Region der Gefäss- und Nerven-
imme.
Diese und andere Details lassen sich leicht hinzufügen, wenn
ui einmal das Prinzip erfasst hat. Z. B. kann man ein Projektil
ch auf die innere Schädeloberfläche lokalisieren. Die dabei ge-
ichten Tiefenangaben haben für den Neurologen und Chirurgen
:hr Wert als die auf die geschwollenen Weichteile bezogenen,
in verfährt wie bei der Lokalisation auf die Haut, die kleinste
danz ist die wahre. Alle diese Dinge sind mittelst der Auf-
h m e n unmöglich.
Noch ein paar selbstverständliche Konsequenzen: Ein Projektil
Krt ausserhalb eines sphärischen Hohlraumes (Schädelkapsel,
orax, Haut, Knochenoberfläche), wenn es auch nur in einer ein¬
en Körpcrstellung ausserhalb desselben gesehen wird. Es liegt
erhalb desselben, wenn es in sämtlichen Richtungen (nicht einigen
Grundfehler der Plattenlokalisation) innerhalb gesehen wird. Der
lachte Hohlkörper muss dabei überall von innen konkaven oder
nen Flächen begrenzt sein; wenn seine Begrenzung irgendwo nach
-sen konkav ist (Lungenraum am Zwerchfell), dann gilt das obige
ht und es muss nach der gleichen Regel auf den kugeligen (hier
. Abdomen) lokalisiert werden.
Wenn wir bei der ersten Methode, der Durchleuchtung mit
tiger Rotation, der Drehung der Körperteile noch vor der sicheren
itmdiing der kleinsten Haut- oder der grössten Knochengeschoss¬
tanz auf eine Durchleuchtungsrichtung stossen, in welcher der
:mdkörper nicht sichtbar ist (Rumpf quer oder schlechtes
:ht) und auch hinter dieser Drehstellung nicht deutlich eine
inste resp. grösste Distanz finden, dann ist das Verfahren mit
tiger Drehung nicht anwendbar und wir verlassen es und gehen
;r zu
II. Durchleuchtunginzweieinanderschrägkreu-
nden Richtungen mit Markierung der 4 Haut¬
et e- Sie kann auch mit Vorteil den nach I,b gelungenen Lokali-
donen (tiefer Sitz) als Kontrolle hinzugefügt werden.
Von den bei der Drehung (Methode I) versuchten Durchleuch-
gsrichtungen sucht man zwei aus, welche beide den Fremdkörper
itlich erkennen lassen und deren Winkel zu einander möglichst
'S$ ist (möglichst nahe einem rechten). Oft sind aber z. B. nur
Winkelgrade möglich, dann kommt eben eine Drehstellung, in der
Fremdkörper verschwindet. Man nimmt nun zuerst die eine
zwei Richtungen vor, durchleuchtet, mahnt den Kranken, sich
iz ruhig zu halten, wozu man auch manuell mancherlei beitragen
in, und entlässt ihn nicht früher aus dieser Stellung, bevor man
it sowohl vorn, hinter dem Schirm, als auch an der entgegen-
etzten Körperseite den Ort auf der Haut, wo Fremdkörper-
atten und Bleistiftspitze sich decken, markiert hat, z. B. mit zwei
uzen. Manche wollen hier den rückwärtigen Punkt nach Um¬
rung des Patienten malen, damit sie den Farbstift besser sehen;
h ist dann ja nicht die gleiche Durchleuchtungsrichtung garantiert.
;i wendet man sich zur zweiten Durchleuchtungsrichtung und ver-
rt ebenso (zwei Ringe). Es ist gut sie zu überprüfen, indem man
Bleistifte an die eine Marke setzt, jetzt den Fremdkörper mit
zur Deckung bringt und den Bleistift hinten wie zur Anbringung
zweiten Marke aufsetzt und nachsieht, ob er wirklich auf aen
ier gezeichneten fällt. Ebenso bei der anderen Richtung. Das
ultat siehe an dem Schulterquerschnitt (Fig. III, 1).
Die gewonnenen vier Hautpunkte verwertet man a) zur
ätzung der Fremdkörperlage nach dem Augemnass, b) zur Be-
imung derselben nach der Querschnittszeichnung, c) zur Er-
telung der Aufsuchungsrichtung und Tiefcnlage von einem be¬
igen Inzisionsorte aus. (Siehe Fig. III.)
Ad a). Schon beim Betrachten der vier Punkte oder der an
>elben angelegten Finger ergibt sich, wenn man die zusammen-
örigen Punktpaare im Geiste durch zwei Linien verbindet, ein
eil über die Lage des Kreuzungspunktes der Linien, in welchem
lf) Dazu wählt man sowohl röntgenologisch gut sichtbare als
:h palpatorisch gut zugängliche Skelettpunkte.
der Fremdkörper liegt. Diese Ueberlegung kann dadurch sehr unter¬
stützt werden, dass man vier Stäbe (Bleistiftstäbe etc.) an die
vier Punkte setzt und sic so im Raum richtet, dass sie durch den
Körper hindurch nach ihrem Gegenpunkt zeigen.
Fig. III. Erläuterung der 4 Punkt-Methode und ihrer Verwertung an Schulterquerschnitten
Die freien bedeuten das Objekt selbst mit den Hautmarken, die eingerahmten das Zeichen¬
blatt mit seinen Eintragungen. X = Inzisionsort, O = Gegenpunkt, s = Schirm, Res.
= Resultat.
Ad b). Die Querschnittszeichnung (Fig. m, 2 — 9).
Dazu verwendet man einen grossen Zirkel 14). Mit diesem nimmt
man die Distanz zweier benachbarter Punkte ab und trägt sie auf
Papier auf (Fig II, 2), dann nacheinander die Distanzen dieser beiden
Punkte zu dem dritten und vierten, also vier Distanzen, setzt auf
der Zeichnung jedesmal auf dem ersten oder zweiten Punkt auf und
beschreibt mit dem anderen Zirkelschenkel einen Kreisbogen
(Fig. III, 3).
Die zwei Schnittpunkte der vier Kreisbogen entsprechen dem
dritten und vierten Hautpunkt. Nun ergänzt man die zwischen den
vier auf dem Papier gezeichneten Hautpunkte durch die Körper¬
kontur, indem man einen biegsamen Blechstreifen15) von Haut¬
punkt zu Hautpunkt legt, ihn überall dem Körper anpassend (Fig. III, 4),
diesen Abdruck der Körperkontur auf die gleichbedeutenden Punkte
der Zeichnung auflegt und mit Bleistift nachfährt (Fig. III, 5). Nun
liegt die in Betracht kommende Körperkontur mit den eingetragenen
4 Punkten vor (Fig. III, 6). Wenn man dieselben mit einem Lineal
kreuzweise verbindet (Fig. III, 7) erhält man den Fremdkörperort als
Schnittpunkt. Seine Entfernung von jedem Punkte der Oberfläche
kann nun mittelst eines Massstabes überall abgemessen werden.
Ad c). Es ist nur ein besonderer Fall davon, wenn nun der
Chirurge nach Kenntnisnahme von der Lage, die ihm die Quer-
schnittszeichnung und die vier mittelst Lapis dauerhaft gemachten
Hautpunkte vermitteln, den Patienten nochmals zuweist, damit für
eine bestimmte von ihm gewählte Inzisionsstelle (Fig. III, 8, J) Tiefe
und Richtung angegeben werde. Man verfährt ohne neuerliche
Röntgenuntersuchung so, dass man (Fig. III, 9) mit dem Zirkel oder
Bleistreifen die Distanz des neugewählten Punktes von einem seiner
alten Nachbarpunkte abmisst und in die Zeichnung überträgt, von
diesem aus nun die Verbindungslinie einerseits zum Fremdkörper
(Kreuzungspunkt) zieht, andererseits in entgegengesetzter Richtung
über die Körperkontur hinaus verlängert. Die Verlängerung ergibt
die Richtung, in der eingedrungen werden muss. Die Tiefe kann mit
dem Massstab direkt abgemessen werden. Die Chirurgie bevorzugt
senkrecht zur Oberfläche gelegene Richtungen ihres Eindringens in
den Körper. Gelegentlich nimmt sie aber, wenn dadurch eine ge¬
ringere liefe desselben möglich ist oder aus anatomischen Rück¬
sichten mit schrägen Richtungen vorlieb. In diesem Falle und auch
14) Schulkreidezirkel und Tafel oder schwarzes Papier. Eine der
als Spitäler eingerichteten Schulen kann mit ihren vakanten Zirkeln
alle Röntgenlaboratorien versorgen. Ein gynäkologischer Zirkel
mit mittelst Heftpflaster befestigtem Bleistift tut den Dienst noch
besser
1B) Am besten Bleiblech 3 mm dick, 2 cm breit und 50 cm lang.
1*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4!
2200
sonst, wo ,. senkrecht“ bei den mannigfaltigen Oberflächenforma¬
tionen ein schwankender Begriff ist, soll die Richtung vom Inzisions¬
ort zum Fremdkörper näher definiert werden. Sie wird am ein¬
fachsten durch den „Oegcnpunkt" auf der entgegengesetzten
Körperoberfläche ang-egeben (siehe I, b) l0).
111. Die Doppelaufnahme nach Wachtel, über welche, wie
gesagt, der Autor selbst berichten wird.
Die Methoden I und II sind in allen, auch den bescheiden¬
sten und improvisierten Röntgenzimmern anwendbar. Zeit¬
aufwand einige Minuten. Immer sollen wir uns vor Augen
halten, dass wir für den rein diagnostischen Zweck Organ und
Organteil kennen lernen wollen, in welchen der Fremdkörper
liegt, für den chirurgischen Zweck aber ausserdem ganz un¬
abhängig vom anatomischen, rein geometrisch einen zweck¬
mässig, eventuell gemeinsam mit dem Chirurgen gewählten
Punkt ermitteln müssen, von welchem aus und eine Richtung
nach welcher hin, sowie eine Tiefe, in der der Fremdkörper
zu finden ist. Zu diesem Ende müssen wir aber alle verfüg¬
baren Mittel gebrauchen und dürfen uns nicht mit den allgemein
verständlichen begnügen.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik Jena (Geh. Rat Prof.
Dr. E. L e x e r.)
Zur Methodik des Abderhald enschen Dialysier-
verfahrens.
Von Dr. Herrn. Nieden, Assistenzarzt der Klinik, zurzeit
Feldlazarett No. 1, XI. Armeekorps.
Dem Wunsch Abderhaldens, den er nach der aus¬
führlichen Bekanntgabe seiner Untersuchungsmethoden aus¬
sprach, dass jetzt die Verfahren in der Hand der Kliniker an
ihrem klinischen Material einer Prüfung unterzogen werden
möchten, ist im Laufe des letzten Jahres in ausgedehnter Weise
nachgekommen worden. Ein ungewöhnlich umfangreiches
Untersuchungsmaterial aus den verschiedensten Spezial¬
gebieten ist inzwischen bearbeitet worden; der weitere
Wunsch Abderhaldens, der sich daran schloss, dass
dadurch eine Klärung der Frage der klinischen Verwertbarkeit
der Methode bald herbeigeführt werden möchte, ist bisher noch
unerfüllt geblieben. Im Gegenteil ist von verschiedener Seite
bezweifelt worden, ob überhaupt eine Spezifität der Abwehr¬
fermente vorhanden ist, wie sie von Abderhalden ange¬
nommen wird.
Die Vorbedingungen einer einheitlichen Beurteilung der
mit der Dialysiermethode gewonnenen Resultate ist eine mög¬
lichst grosse Einheitlichkeit der Methodik, da sonst von vorne-
herein eine solche Reihe von Fragestellungen und Einwänden
auftauchen, dass ein Ueberblick ausserordentlich erschwert
wird. Dieser Vorbedingung ist auch von der Mehrzahl der
Nachuntersucher nachgekommen worden. Fast stets wird
betont, dass sich die Methodik streng an die von Abder¬
halden gegebenen Originalvorschriften angeschlossen hat.
Wenn dabei von den Einzelnen gewisse Ergänzungen dieser
Vorschriften hinzugefügt sind, oder die Kontrollen wie z. B.
durch Verwendung inaktivierter Sera erweitert sind, so ist
dadurch noch nicht die einheitliche Beurteilung beeinträchtigt.
Abderhalden selbst hat nun für die Verschieden¬
artigkeit der Ergebnisse bei manchen Nachuntersuchern die
Fehlerquellen, die in der Methodik liegen können, schuldig ge¬
macht und darunter in erster Linie die drei Kardinalfehler:
Mangelhaftigkeit der Dialysierhülsen, ungenügende Zu¬
bereitung der Organe und hämolytisches Serum.
Diesen Hauptpunkten ist dann von anderen eine Reihe
kleinerer, aber unter Umständen nicht weniger ausschlag¬
gebender Fehler hinzugefügt worden, so erinnere ich an die
von D e e t j e n und F r ä n k e 1 hervorgehobene Bedeutung
des Glases, aus dem die Reagenzgläser bestehen, für den
Ausfall der Ninhydrinreaktion (M.m.W. 1914 No. 9), ferner
an die von Plaut beobachteten Adsorptionserscheinungen, in
denen andere allerdings lediglich Hülsenfehler sehen (M.m.W.
1914 Nr. 6), oder endlich die vor kurzem gemachte Beob-
16) Statt der improvisatorischen Zeichnung mittels Zirkel und
Bleiblechstreifen findet an stabilen Arbeitsstätten der Zeiger¬
rahmen nach Moscovicz (Otto Sommer, Wien VII) ge¬
eignete Verwendung.
achtung, dass bei zu hoher Stcrilisationstemperatur der Watt
ninhydrinreagierende Stoffe auftreten können.
Ich selbst möchte in dieser Mitteilung auf eine Beobachtun
hinweisen, die ich beim Arbeiten mit der Dialysiermethod
machen konnte, die ebenfalls auf eine mögliche und — wie ic
mich überzeugt habe — sehr wesentliche Fehlerquelle hin
weist.
Während ich mich im allgemeinen bei den Dialysicrver
suchen ausschliesslich trocken sterilisierter Glasinstrument
bediente, war ich bei der Wiederholung einer angesetzten Nin
hy drinprobe gezwungen, statt eines trocken sterilisierten, ei
gereinigtes Reagenzglas, das mit Alkohol und Aether aus
geschwenkt wurde, zu verwenden.
Die Reaktion zeigte einen so auffallend starken Ausfal1
dass ich nachprüfte und schliesslich die Ursache der Ver
Stärkung in dem zurückgebliebenen Aether feststellen konnte
Ich lasse die daraufhin angesetzten Versuche über de-
Einfluss des Aethers folgen. Ich bemerke, dass ich dabei de’
von Merck- Darmstadt hergestellten Aether reinst p. n. ver,
wendete, dass also nicht irgendwelche Verunreinigungen ii
Frage kommen.
Versuch I.
1. Reagenzglas. 10 ccm einer stark verdünnten Eiweisslösuii!
+ 1 ccm Aether pur. + 0,25 Ninhydrin.
2. Reagenzglas. 10 ccm der gleichen verdünnten Eiweisslösun:
4- 0,25 Ninhydrin.
3. Reagenzglas. 10 ccm Aqu. dest. 4" 1 ccm Aether pur
4- 0.25 Ninhydrin.
Nach 2 Minuten langem Kochen folgende Reaktion:
1. R 4-4*4- (dunkel violett).
2. R. 4* (schwach violett).
3. R. — .
Versuch II.
1. Reagenzglas. 10 ccm Aqu. dest. + 0,1 ccm einer lOproz. Qe
hirnpeptonlcsung + 0,3 ccm Ninhydrin.
2. Reagenzglas. Reagenzglas mit Aether ausgespült, dann übe
der Flamme erhitzt. Nach Abkühlen 10 ccm Aqu. dest. 4- 0,1 ccrr
der gleichen Gehirnpeptonlösung + 0,3 ccm Ninhydrin.
3. Reagenzglas. 10 ccm Aqu. dest. 4* 1 ccm Aether 4* 0,3ccn
Ninhydrin.
Nach 2 Minuten langem Kochen folgende Reaktion:
1 R. — .
2. R. 4*.
3. R. — .
Versuch III.
P. Ernst, Pyelonephritis.
Jede Hülse 1,5 ccm Serum.
10 ccm Dialysat allein mit Niere 1 mit Niere 1
0,25 Ninhydrin — — —
Das gleiche Dialysat bei Zusatz von 0,5 ccm Aether ergab:
allein mit Niere 1 mit Niere 2
schwach positiv stark positiv stark positiv
( — ?) C++) ' C++).
Es geht aus dem Vorstehenden hervor, dass nicht durcl
den Aether allein eine positive Ninhydrinreaktion hervor
gerufen werden kann, dass aber schon Aether in äusserst ge
ringen Mengen beim Vorhandensein ninhydrinreagierendei
Stoffe die Reaktion, die sonst negativ ausfallen würde, in eine
stark positive umwandelt.
Abderhalden hat zwar darauf hingewiesen, dass die
Gläser trocken zu verwenden seien, da bei Zurückbleiben vor
Wasser eine Verdünnung und damit eine Veränderung in der
Reaktionsstärke auftreten würde. Einen Hinweis auf die Bc
einflussung der Reaktion durch den Aether habe ich — sowei-
ich die Literatur übersehe — nicht finden können. Ich halb,
aber die Beobachtung auch dieser möglichen Fehlerquelle fiii
wichtig.
Aus der Kgl. dermatologischen Poliklinik zu München
(Vorstand: Prof. Dr. Leo v. Zumbusch).
Superinfektion bei Tabes dorsalis.
Von Dr. A. P ö h 1 m a n n, Assistenzarzt.
Die Anschauung, dass die Syphilis analog anderen In¬
fektionskrankheiten eine dauernde Immunität hinterlasse, galt
den meisten älteren Forschern als feststehende Tatsache, odei
man leugnete überhaupt ihre Heilbarkeit, wie H e b r a es tat
Der prinzipielle Nachweis, dass die Syphilis heilbar war, und
dass die durch das Ueberstehen der Syphilis erworbene Im-
0. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tiunität nur eine zeitlich begrenzte sein konnte, lieferte
) i d a y, als er 1863 die ersten einwandfrei beobachteten Fälle
on syphilitischer Reinfektion publizierte. In neuerer Zeit
.urde dann vor allem durch die bekannten experimentellen
tudien von Finger und Landsteiner und N eis sei*
nd seiner Mitarbeiter eine eingreifende Wandlung in unseren
nschauungen über die Immunitätsvorgänge bei der Syphilis
erbeigeführt.
Wir wissen jetzt, dass es bei der Syphilis eine echte
mnunität nicht gibt; nach der Heilung ist vielmehr der
»rganismus ebenso empfänglich für eine neue Infektion wie
n Körper, der noch nie mit syphilitischem Virus in Berührung
jiu. Nur so lange als der Körper selbst noch Spirochäten
eherbergt, besteht Unempfänglichkeit gegen Neuinfektion,
iir diesen Zustand des Refraktärseins infolge Parasiten-
-'rsistenz hat S i e b e r t den Begriff der „Anergie“ eingeführt
.Halbimmunität“ Ehrlich). Diese Anergie bei der Syphilis
t jedoch nur eine relative, denn während des Nochbestehens
;r Krankheit — auf jeden Fall im Endstadium der Erkran-
ing — sind Superinfektionen möglich.
Wir haben also zwei Arten der Neuinfektion strenge von
nander zu trennen und sprechen von Reinfektion bei
ner Neuinfektion nach vollständigem Ablauf und Heilung der
sten Erkrankung, während wir Neuinfektionen bei schon
id noch syphilitischen Menschen als Superinfektion
■zeichnen.
Echte Reinfektionen sind kein zu seltenes Ereignis. John
•t 1909 in seiner bekannten Monographie 322 Fälle von Re¬
aktionen aus der Weltliteratur zusammengestellt und davon
9 als einwandfrei anerkannt. Durch die Erfolge der Abortiv¬
handlung und der kombinierten chronisch-intermittierenden
g-Salvarsanbehandlung ist der Ablauf der Syphilis weiterhin
idifiziert und gekürzt worden, so dass Benario aus einer
•riode von nur wenigen Jahren 112 Fälle zusammenstellen
nnte.
Im Vergleiche zur Reinfektion ist das Beobachtungs-
i iterial über Superinfektion ausserordentlich spärlich.
Deshalb und weil ein meiner Beobachtung entsprechender
Hl noch nicht bekannt ist, halte ich die Mitteilung einer
Lenen Beobachtung für geboten.
Krankengeschichte (gekürzt): 63 jähriger Patient. Im
ore 1878 harter Schanker, im gleichen Jahre Roseola, Plaques im
nde und Iritis. Behandlung nur mit Kal. jodat. (Den seinerzeit
sandelnden Arzt kann Pat. nicht mehr angeben, auch nicht die
L-calisation des ersten Schankers.) Weiterhin frei von Erschei-
lgen. Erst 1888/89 2 gründliche Schmierkuren auf Anraten von
'rn Prof. K. K o p p. Januar 1913 wegen Gehörbeschwerden bei
•rn Prof. Heine, im selben Jahre auch wegen Herzbeschwerden
i Jehandlung. Damals Wassermann sehe Reaktion (Dr. K ä m -
i rer) negativ.
Am 10. III. 14 Coitus condomatus in einem Bordell, am 20. III. 14
< tus ohne Vorsichtsmassnahmen mit unbekannter Frauensperson
i der Strasse. Anfang April bemerkt Pat. am inneren Vorhaut-
Ht eine wunde Stelle, der er zunächst keine besondere Beachtung
; enkt, da er öfters an Herpes an gleicher Stelle gelitten hat. Da
■ Affektion jedoch diesmal nicht äbheilt, konsultiert er Herrn Kur-
11 Dr. Re sch -Tölz, welcher mir den Pat. zur spezialärztlichen
ersuchung überwies.
Status vom 9. IV. 14: Grosser, etwas hager aufgeschossener
mn. Fettpolster gering, Ernährungs- und Kräftezustand mittel-
1 >sig. Keine Drüsenschwellungen. Die sichtbaren Schleimhäute
meinen normal injiziert. An den Ober- und besonders an den
' erschenkeln ausgedehnte Varizen, jedoch keine Geschwürsbildung.
.Genitalien: Am inneren Präputialblatt findet sich dorsal
*: rundlich ovale (3:5 mm Durchmesser), etwas elevierte weiche
■el, welche ganz oberflächlich erodiert ist, aber frei von Belag
1 a^f Druck nur wenig schmerzt. Spirochäten im Tuschpräparat
*ii Burri negativ. Keine Lymphadenitis inguinalis. Trockener
■utzverband, Blutentnahme. Die W a s s e r m a n n sehe Reaktion
tene Untersuchung) ergibt mit 4 Antigenen negatives Resultat.
'h fallt die zeitlich sehr verlangsamte Lösung des Serums auf
"athämolyse)!
15. IV. Die Papel präsentiert sich heute deutlich elevierter und
Jt sich auch etwas härter an. Die oberflächliche Erosion ist un-
undert, ihre Begrenzungslinien bilden ein der Form der Papel
: prechendes Oval (im Gegensatz zu der polyzyklischen Begren-
p» herpetischer Erosionen!), nur geringe seröse Sekretion. Spiro-
en negativ. Keine Lymphadenitis inguinalis. Trockener Schütz¬
end. Der sehr intelligente und gebildete Pat. lässt sich von der
•vendigkeit noch längerer Beobachtung ohne jede differente Bc-
Hlung leicht überzeugen.)
25. IV. Während bei der Jr<*nektion die Papel nicht vergrössert,
2201
nur noch elevierter erscheint, lässt sich, zwischen die Finger ge¬
nommen, eine direkt knorpelharte Induration der ganzen Gcwebs-
partie konstatieren. Noch geringe Sekretion aus der oberflächlichen
Erosion, kein Belag. Keine Lymphadenitis inguinalis. Blutentnahme.
Die Seroreaktion (eigene Untersuchung) ergibt mit 4 Antigenen
(cholestearin. Meerschweinchenherzextrakt, cholestearin. Rinderherz¬
extrakt nach S a c h s, alkoholischem luetischen Leberextrakt und
künstlichem Antigen nach Desmouliere) fast komplette bis kom¬
plette Hemmung der Hämolyse, also ein stark positives Resultat.
Porgesreaktion und Perutzreaktion negativ.
25. IV. mit 20. VI. Pat. erhält in dieser Zeit 11 Mercinolinjek-
tionen (7 — 12 Teilstriche der Z i e 1 e r sehen Spritze) und 5 intra¬
venöse Neosalvarsaninfusionen (1 mal dos. II und 4 mal dos. III), so¬
wie lokal zuerst Kalomel und später Hg-Pflaster. Unter dieser Be¬
handlung nur sehr langsame Abheilung: erst am 25. IV. ist die
Erosion epithelisiert und nach Beendigung der Behandlung ist immer
noch ein minimales, vielleicht nur stecknadelkopfgrosses hartes Knöt¬
chen fühlbar.
Interner Befund (Dr. Grandau er. Assistent der
kgl. med. Poliklinik):
Heber den Lungen etwas hypersonorer Schall; die Grenzen
etwas tiefer als normal, aber beiderseits gut verschieblich.
Ueber sämtlichen Lungenabschnitten reines Vesikuläratmen ohne
Beimischung von irgendwelchen Rasselgeräuschen.
Das Herz erweist sich nach rechts und links etwas verbrei¬
tert (der Spitzenstoss ist nur nach körperlicher Anstrengung sichtbar,
und zwar ein Finger ausserhalb der Mammillarlinie im 6. Interkostal¬
raum). Ueber allen Ostien ein leises, systolisches Geräusch, am
stärksten über der Mitralis vernehmbar (muskulär bedingt). Keine
Akzentuation des 2. Pulmonal- und 2. Aortentons.
Die Aa. radiales etwas rigide, nicht geschlängelt.
Der Puls weich, äqual, regelmässig. In der Ruhe 65, nach An¬
strengung 80—90. Fusspulse sind beiderseits normal fühlbar.
Das Blutdruckmaximum (Riva-Rocci) schwankt zwischen
105 und 110.
Das Abdomen ist leicht eingesunken.
Die Leber reicht 3 Finger breit unter den rechten Rippen¬
bogen herab, ist weich; die Oberfläche ziemlich erheblich druck¬
empfindlich.
Die Milz ist nicht palpabel. Keine Druckempfindlichkeit des
übrigen Abdomens, keine Tumoren.
Der Urin reagiert sauer, hat ein spezifisches Gewicht von 1022,
enthält weder Eiweiss noch Zucker. Im Sediment nichts Patho¬
logisches.
Die Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane stellt ein
leichtes Lungenemphysem fest. Ausserdem besteht eine gleich-
mässige Verbreiterung des Herzschattens nach rechts und links. Das
Aortenband ist erheblich verbreitert (über 5 Finger), sowohl im
Bereich der Aorta ascendens und descendens als auch des Arcus
aortae; jedoch besteht keine aneurysmatische Erweiterung des Ge-
fässes. (Fernphotographie!)
Blutuntersuchung: Hämoglobingehalt (nach Sahli)
72 Proz. Rote Blutkörperchen 3 400 000. Keine Leukozytose (spe¬
ziell keine Lymphozytose). Die Blutausstriche ergeben keinen patho¬
logischen Befund.
Neurologische Untersuchung: Die Reflexe an den
oberen Extremitäten sind normal auslösbar, rechts = links.
Die Patellarreflexe sind normal auslösbar, rechts = links.
Von den Achillessehnenreflexen ist der linke nur mit
Zuhilfenahme des Jendrassik sehen Kunstgriffes manchmal
äusserst schwach auslösbar. Der rechte Achillessehnenreflex
ist auf keine Weise auszulösen.
Skrotal- und Bauchdeckenreflexe sind vorhanden,
desgleichen Konjunktival-, K o r n e a 1 - und W ü r g r e f 1 e x.
Die Pupillen sind beiderseits gleich rund und reagieren prompt
auf Licht und Konvergenz.
Die Sensibilitätsprüfung ergibt an den beiden unteren
Extremitäten folgendes: Watteberührung wird fast ausnahmslos rich¬
tig angegeben und lokalisiert; spitz wird an der Aussenseite des
linken Unterschenkels in einem Bezirk von Handbreite als stumpf
empfunden. Desgleichen wird hier die Schmerzempfindung als deut¬
lich herabgesetzt angegeben.
Warm resp. heiss wird an der Aussenseite des linken Unter¬
schenkels, und zwar vom unteren Rand des Kniegelenkes nach ab¬
wärts nur als Berührung — an der Innenseite von der Mitte ab
ebenfalls nur als indifferente Berührung empfunden. Die gleichen
Verhältnisse bestehen für k a 1 1. Auf der rechten Seite werden warm
und kalt von der Mitte des Unterschenkels ab — ganz besonders
im Bereich der Innenseite — nur als Berührungsempfindung an¬
gegeben.
In den übrigen Körperabschnitten Sensibilität für alle
Hautsinnesarten intakt (keine Zonen).
Die Ataxieversuche fallen an den oberen und unteren
Extremitäten negativ aus.
R o m b e r g sches Phänomen negativ.
Keine Lageempfindungsstörungen.
A b a d i e sches Phänomen negativ.
Ulnarisphänomen negativ.
Diagnose: Herzhvpertrophie auf arteriosklerotischer Basis
Aortitis (wahrscheinlich auf luetischer Basis). Leichte Insuffizienz
2202
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 45.
des Herzens, leichte (sekundäre) Anämie. Beginnendes Lungen¬
emphysem; Varizen. Tabes dorsalis incipiens.
Die ophthal mologische Untersuchung (Geh. Rat
v. H e s s) ergibt, dass Sehschärfe, Pupillenreaktion und Hintergrund
völlig normal sind; cs besteht beiderseits Myopie, rechts etwas mehr
als links.
Ich darf nochmals zusammenfassen:
Lin 63 jähriger Herr, der sich vor 36 Jahren syphilitisch infiziert
hatte und ganz ungenügend behandelt worden war, leidet jetzt an
Aortensklerose und beginnender Tabes. Bei diesem Herrn trat
ca. 12 Tage nach einer Infektionsgelegenheit am innern Präputialblatt
eine Erosion auf, aus der sich eine elevierte Papel und unter all¬
mählicher Induration bis ca. zum 30. Tage post infectionem ein knor¬
pelharter oberflächlich erodierter Knoten entwickelte. Die anfangs
negative WaR. wurde mit Ausbildung der Induration komplett positiv.
Die Affektion heilte erst auf eine energische kombinierte Mercinol-
Salvarsanbehandlung ab, und zwar sehr träge: erst 3 Wochen nach
Einleitung der spezifischen (auch lokalen) Therapie war die Erosion
überhäutet, und nachdem der Patient 11 Mercinolinjektionen und
5 Neosalvarsaninfusionen erhalten hatte, war immer noch ein mini¬
males hartes Knötchen zurückgeblieben.
Dass es sich hier um einen syphilitischen
Primäraffekt gehandelt hat, kann heute nach ab¬
geschlossener genauer Beobachtung nicht mehr zweifelhaft
sein. Die Entwicklung des Affektes mit typischer Inkubations¬
zeit nach einer Infektionsgelegenheit, die allmähliche In¬
duration einer anfänglich weichen erodierten Papel bis zur
Knorpelhärte, die geringe Sekretion, das charakteristische
Verhalten der Seroreaktion und endlich die Abheilung dieses
pathologischen Produktes erst unter spezifischer Therapie, all
diese Momente zusammen genommen, dürften die Diagnose
„Primäraffekt“ wohl zur Genüge erhärten!
Auf das charakteristische Verhalten der WaR. darf ich
nochmals genauer eingehen.
Die WaR. war im Januar 1913 negativ gewesen (Dr. Käm¬
me r e r) und war es auch noch am 9. IV. 14 (erste eigene Unter¬
suchung). Doch fiel bereits damals auf, dass das Serum auffallend
langsam löste. Diese sogen. Späthämolyse kommt nun zwar auch bei
Seren von latenten oder behandelten Patienten vor, die nur noch
wenig Reagine besitzen, muss hier aber doch zweifellos als der Be¬
ginn des Positivwerdens der Reaktion als Folge der Infektion am
20. III. 14 angesehen werden. Denn wollte man die positiv gewordene
WaR. auf die alte Syphilis des Patienten beziehen, so müsste man
einmal ein spontanes Umschlagen derselben und dann gerade zwi¬
schen dem 9. IV. und dem 25. IV. 14 annehmen. Weiter sind jedoch
im Gegensatz zur Friihlatenz in den spätesten Stadien der Syphilis
solche plötzliche, spontan ohne vorausgegangene Therapie erfolgende
Reaktionsumschläge etwas Aussergewöhnliches. In meinem Falle
hiesse es jedenfalls den Verhältnissen direkt Zwang antun, wollte man
die positive WaR. nicht auf die neue Infektion beziehen. Die WaR.
verhielt sich vielmehr hier genau wie bei einer
frischen Infektion: Sie war 3 Wochen post infectionem noch
negativ, doch deutete die Späthämolyse bereits den Anstieg zur posi¬
tiven Reaktion und das Auftreten von Reaginen an, und wurde dann
bis zum 25. IV. 14 (2. eigene Untersuchung), also 5 Wochen post inf.
und gleichzeitig mit der vollendeten Induration des Primäraffektes
komplett positiv.
Dass in diesem Primäraffekt Spirochäten nicht gefunden wurden,
spricht meines Erachtens eher für als gegen eine Superinfektion. Auf
dem tertiärsyphilitischen, umgestimmten Terrain konnten sich die bei
der Infektion eingebrachten frischen Spirochäten nicht halten und ihre
grosse Mehrzahl ging durch die im Gewebe als Folge der ersten In¬
fektion vorhandenen Immunstoffe zugrunde. Auch bei 3 von N e i s -
s e r beobachteten Superinfektionen gelang der Spirochätennachweis
in keinem Falle. Endlich wurden auch bei den bei tertiärer Lues
durch Inokulation mit spirochätenhaltigem Material experimentell
(N ei ss er) erzeugten Syphilomen Spirochäten nie gefunden und
verliefen Impfversuche auf Affen negativ!
Das Ausbleiben regionärer Drüsenschwellung in meinem Falle
kann nach keiner Richtung hin verwertet werden. Denn einmal
kommen nicht zu selten erste frische Syphilisinfektionen zur Be¬
obachtung, bei denen die regionäre Lymphadenitis ausbleibt, und
andererseits tritt dieselbe meist erst 4—5 Wochen post inf. auf (erst
nach Eintritt + WaR.), also zu einer Zeit, als ich bereits mit der
spezifischen Behandlung begonnen hatte. Eine Exzision war aus
äusseren Gründen nicht möglich, doch hätte die histologische Unter¬
suchung im besten Falle nur zur Differentialdiagnose gegenüber re¬
zidivierendem Gumma oder sekundärer Spätpapel verwertet werden
können und glaube ich den wesentlich grösseren Vorteil dafür ein¬
getauscht zu haben, dass ich das Verhalten des fraglichen patho¬
logischen Produktes gegenüber der spezifischen Therapie genau be¬
obachten konnte.
Die Diffcrentialdiagnose hat sowohl nichtspezifische Affektionen
als auch spezifische syphilitische Manifestationen auszuschliessen, so¬
weit sie mit einem Primäraffekt verwechselt werden könnten.
So beweist die lokale Induration an und für sich noch nicht eine
frische Infektion, denn bei noch syphilitischen Individuen können her¬
petische Erosionen. Follikulitiden, Ulccra mollia verhärten (vielleicht
infolge zurückgebliebener Gefässveränderungen!), besonders in der
Nähe der Corona glandis. Ja gelegentlich mag vielleicht sogar eine
durch mechanische (Trauma) oder chemische (Medikament) Reize
bewirkte lokale Induration bei einem noch Syphilitischen primär¬
affektähnlich werden. In solchen Fällen handelt es sich jedoch meist
um eine Sklerosierung des Walles einer vorher entstandenen Ulzera-
tion, cs bilden sich ferner diese nichtspezifischen indurierten Efflores-
zenzen bei indifferenter Behandlung rasch zurück und die WaR. wird
nicht positiv!
Schwieriger gestaltet sich die Abgrenzung gewisser spezifischer
Luesprodukte von der Superinfektion.
Da in meinem Falle der erste Primäraffekt ohne Narbe verheilt
ist und seine Lokalisation nicht mehr angegeben werden kann, muss
vor allem der sogen. Chancer redux (Hutchinson) ausgeschlossen
werden. Die Differentialdiagnose ist in meinem Falle leicht, denn
während es sich beim Chancre redux um die Reinduration eines erst
vor Tagen bis Monaten, und zwar nicht ganz restlos abgeheilten
Primäraffektes handelt, indurierte bei meinem Patienten nach einem
freien Intervall von 36 Jahren eine zunächst ganz weiche Erosion.
Nach F o u r n i c r ist auch die Grösse der Reinduration charakte¬
ristisch, die die des ursprünglichen Initialaffektes weit überträfe, so¬
wie ihre schnelle Zurückbildung unter spezifischer Behandlung. In
meinem Falle war die vollständig ausgebildete knorpelharte Papel
nur klein und bildete sich unter der energischen Therapie nur sehr
allmählich zurück.
Die merkwürdigen, zuerst von Hutchinson und dann von
F o u r n i e r beschriebenen indurierten Pseudoschanker sind sicheren
tertiären Charakters. Neisscr hat 1898 diese Frage ausführlich
erörtert und dargelegt, dass die Fälle, in denen sich harte Knoten in
gummöse Ulzerationen umwandeln, die auf Jod schnell heilen, als
tertiäre Erscheinungen zu deuten sind, die Knoten aber, die mit In¬
kubation nach einer Infektionsgelegenheit auftreten und ohne Hg nicht
heilen, war er schon damals geneigt auf Neuinfektionen zurückzu¬
führen, auch wenn Sekundärerscheinungen nicht auftraten. Wie beim
indurierten Pseudoschanker erweicht auch beim gewöhnlichen Gumma
ein bereits bestehendes Infiltrat. Das völlig andersartige Verhalten des
pathologischen Produktes in meinem Falle braucht nicht nochmals
ausgeführt zu werden.
Auch die sekundären Spätsyphilide (F o u r n i e r) sind vom Pri¬
märaffekt leicht zu unterscheiden. Sie bieten die geläufigen klinischen
Merkmale der Sekundärpapeln, das Vorkommen in der Mehrzahl, die
stärkere Sekretion, eventuell Ulzeration, positive WaR., leichten
Spirochätennachweis und leichte Beeinflussbarkeit durch die
Therapie.
Die Papeln des Sekundärstadiums selbst können in seltenen
Fällen, besonders wenn eine intensive (vor allem Salvarsan-) Be¬
handlung vorausgegangen war, Merkmale aufweisen, wie wir sie
sonst nur bei Sklerosen zu sehen gewöhnt sind. Nach Ehrlich ist
es der Ausschluss jeder Konkurrenz, der bei der Sterilisatio fere
completa das energische Wachstum solcher Einzelherde auslöst.
Diese „chancriformen“ Papeln (hierher gehören die „Frührezidive"
(Bettmann), die „Monorezidive“ (Gennerich), die „Pseudo¬
primäraffekte“ (F r i b o e s) und die „Solitärsekundäraffekte“ (Thal-
m a n n) treten demnach im Gegensatz zu meinem Falle nur im Se¬
kundärstadium. und zwar meistens nach einer abortiven Behandlung
auf, sie sind ferner meist viel grösser und mit anderen klinischen
Symptomen, wie Exanthem oder + WaR., kombiniert.
Ich glaube damit die Reihe der differentialdiagnostisch
wichtigen Affektionen erschöpft zu haben und auch per ex-
clusionem das fragliche pathologische Produkt in meinem Falle
nur als einen Primäraffekt ansprechen zu können.
Nun ist bei meinem Patienten die früher erworbene
Syphilis noch nicht ausgeheilt, denn er leidet an Aortensklerose
und beginnender Tabes, Affektionen, welche wir jetzt als
aktive luetische Prozesse bewerten müssen, nachdem der
Spirochätennachweis in der erkrankten Aortenwand (Reuter.
Schmorl, Wright, Richardson) und in neuester Zeit
auch im Rückenmark bei Tabes (Noguchi) gelungen ist.
(Die syphilitische Natur der Aortensklerose kann ja nicht mit
Sicherheit bewiesen werden, erscheint aber im ganzen Zu¬
sammenhänge und besonders wegen der charakteristischen
Koinzidenz mit Tabes wohl nicht zweifelhaft!)
Noch syphilitisch, noch unter dem Einfluss der Spirochäten
der ersten Infektion stehend, hat sich mein Patient eine neue
Infektion mit Syphilis, also eine Superinfektion zugezogen.
Von massgebender Bedeutung für die Gestaltung dieses
Superinfektionsherdes war der Grad der Umstimmung des
Terrains, auf dem er sich etablierte. Die Beeinflussung des
1 errains durch Umstimmung und Anergie war nur noch gering,
auf jeden Fall war die tertiäre Umstimmung des Gewebes
nicht mehr erhalten, denn die neue Spirochäteninvasion rief
keinen den Erscheinungen tertiärer Syphilis entsprechenden
Prozess hervor. Doch war die kutane Immunität nicht voll-
10, November 19N. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2203
ständig abgeklungen und lag kein absolut jungfräulicher Boden
für die neue Infektion vor. denn in der Kleinheit des patho¬
logischen Produktes, vielleicht auch in der etwas verkürzten
Inkubationszeit und dem Fehlen der regionären Lymphadenitis
dokumentierte sich der Einfluss einer noch vorhandenen rela¬
tiven Immunität. Gegen die Deutung, dass es sich hier nur
um eine spezifische Kutanreaktion und nicht um eine Spiro-
chätcn-SuperinokuIation gehandelt habe, spricht schon zur Ge¬
nüge die wesentlich längere Inkubationszeit.
Nach den gemachten Ausführungen muss meine Be¬
obachtung wegen des gegenwärtigen Befundes zweier nicht
gleichzeitiger Infektionen als eine echte Superinfektion auf¬
gefasst werden. Dabei erscheint es mir von Interesse, dass
die Immunitätsverhältnisse in diesem speziellen Falle derart
gelagert sind, dass er, wenn ich mich so ausdriieken darf, dort
zu rubrizieren ist, wo die Superinfektionsmöglichkeit eben noch
besteht, ganz nahe der Grenze, wo die echte Reinfektion be¬
ginnt.
Literatur.
Diday: Histoire naturelle de syplii!., Paris 1863, und: de la
Reinf. syphilitique. — - Finger: Allgemeine Pathologie der Syphilis
in Handbuch der Geschlechtskrankheiten, Wien 1912. — Land¬
steiner: Experimentelle Syphilis. Ebenda. — Neisser: Bei¬
träge zur Pathologie und Therapie der Syphilis 1911. — Bruck:
Immunität bei Syphilis in Kolle-Wassermann. Hb. d. pathog. Mikroorg.
Bd. VII. — John: Rcinfectio syphilit. Volkmann Vortr., Leipzig
1909. — Benario: Die Reinfektionen bei Syphilis. Samml. zwangi.
Abhandl. usw. 3. H. 3/5. — Jadassohn: Syphilidologische Beiträge.
Arch. f. Dcrm. u. Syph. 86. — Lipschitz: Superinfectio syphilitica.
Ebenda 109. - — Schleicher: Reinfectio syphilitica vom Stand¬
punkte der modernen Syphilisforschung. Derm. Zschr. 1914 H. 5.
Welche Harzlösungen sind für Verbandzwecke geeignet?
Von Privatdozent Dr. K. Dieterich, Direktor der Chemischen
Fabrik Helfenberg, A.-G.
Dass die meisten der Harze eine bedeutende Klebkraft
besitzen, ist eine Tatsache, die man sich schon im Altertum
zunutze gemacht hat. Es war also nicht verwunderlich, dass
die Technik später aus dem gewöhnlichen Pflaster, dem Em-
plastrum Lithargyri simplex, welches eine Mischung von öl¬
sauren Bleiverbindungen darstellt, durch Zusatz von stark
Klebendem Kolophonium und Terpentin das „Heftpflaster“ her¬
stellte und aus der wenig klebenden Grundmasse ein nunmehr
svohl klebendes Verbandmaterial schuf. Freilich lag die
Chemie der Harze damals noch vollkommen darnieder, so dass
nan sich nicht wundern konnte, dass man als Endziel nur das
gute Kleben des Pflasters zu erreichen suchte, ohne Rücksicht
iarauf, ob das betreffende Harz grosse Mengen Harzsäuren ent¬
lieh, die dann auch prompt die unvermeidlichen Hautreizungen
icrvorriefen. Aus diesem Grunde brachte in den 70 er Jahren
ies vorigen Jahrhunderts Eugen Dieterich ein sogen,
eizloses Heftpflaster „Emplastrum adhaesivum mite“ in den
Jandel. bei dem durch weitere Zusätze einer Reizung durch
ias Pflaster möglichst vorgebeugt wurde. Heute ist dieses
.Emplastrum“ fast ausschliesslich durch das moderne „Collem-
ilastrum“ verdrängt. Auch bei diesem Präparat werden
ifters Reizungen beobachtet, die einerseits auf ungeeignete
larzzusätze, anderseits auf die Verwendung von Kautschuk-
Jenzinlösungen und die damit verbundenen Zersetzungspro-
iukte zurückzuführen sind. Die Herstellung reizloser und
tut klebender haltbarer Kautschukpflaster muss deshalb der
Technik Vorbehalten bleiben, da nur die maschinelle Arbeit,
licht die Vorschriften im Kleinen, z. B. nach dem D.A.V.
lauernd brauchbare Resultate zeitigen.
Unterdessen hat man sich mit Erfolg für Schnellverbände wieder
len Harzlösungen zugewendet und hat speziell eine Lösung von
lastix in Chloroform gewählt. Derartige Harzlösungen für Verband¬
wecke sind ebenfalls schon alt und hatten ihre Vorläufer in dem
üssigen Englischen Pflaster, das Ausgang des vorigen Jahrhunderts
on Oesterreich in den Handel gebracht wurde. Dieses flüssige
Pflaster war in kleine Fläschchen abgefüllt, etwas Stoff beigegeben
nd das Ganze in kleinen Blechhiillen untergebracht. Ebenso wie
eim modernen Mastixverband wurde die Wunde mit der Harzlösung
epinselt und dann mit dem Stoff überdeckt. Man sieht, dass
er Harz verband durchaus nichts Neues ist, wenn-
leich damit das Verdienst derjenigen Aerzte nicht geschmälert wer-
en soll, die die Anwendung in der Form der Mastixlösung wieder
aufleben liessen und dieselbe in moderne Bahnen lenkten, insbesondere
hierbei die Fixierung der Bakterien gleichzeitig verfolgten.
Eigentümlich ist es nun, dass man bei dem Bestreben, Harz¬
lösungen für V erbandzwecke wieder einzuführen, gerade auf Mastix
und Chloroform zurückgekommen ist. Der Harzchemiker schüttelt
ebenso wie der Kaufmann den Kopf, den Mastix ist ein säurereiches
Harz und muss in der Lösung bei empfindlichen Kranken Reizungen
hervorbringen, wie ja wiederholt in der Literatur1) festgestellt worden
ist. Ausserdem ist das Harz ebenso wie das zum Lösen verwendete
Chloroform sehr teuer, ganz abgesehen davon, dass der Geruch der
Lösung nicht sehr verlockend am Krankenbett ist.
In Rücksicht darauf, dass ich mich seit mehr als 2 Dezennien
eingehend mit der Analyse der Harze beschäftige2), sei es mir ge¬
stattet, die Reihe der klebenden Harze einer kritischen Sichtung zu
unterziehen und diejenigen Produkte herauszugreifen, welche sich
für Verbandzwecke besonders eignen oder deren Verwendung von
vornherein ungeeignet erscheint. Besonders die Säurezahlen, weiter¬
hin auch die Löslichkeit, der Gehalt an indifferenten Stoffen geben
uns hier gute Fingerzeige, welches Produkt den Vorzug verdient.
Zuvor möchte ich diejenigen Anforderungen festlegen, die wir an
eine moderne Harzlösung für Verbandzwecke stellen dürfen. Eine
Harzlösung für Verbandzwecke muss
L keine zu dunkle Farbe haben, damit die hellen Verbandstoffe
nicht unnötig gefärbt erscheinen,
2. muss eine möglichst gute und schnelle Klebkraft zeigen,
3. darf keinen zu starken Geruch haben oder nach dem Ver¬
dunsten einen solchen hinterlassen,
4. muss möglichst frei von Harzsäuren sein oder sie in neutrali¬
sierter Form enthalten, damit Reizerscheinungen möglichst ausge¬
schaltet sind,
5. muss sowohl in Bezug auf das Harz selbst wie auf das Lö¬
sungsmittel und die Art der Herstellung möglichst billig sein.
Von klebenden Harzen müssen wir folgende berücksichtigen:
Kopaiva-, Kanada-, Mekka-, Tolubalsam, Benzoesorten, Kolophonium,
weiche rezente Kopale, Dammar, Elemi, Mastix, Olibanum, Sandarak,
Schellack, Terpentin und Fichtenharze.
Betrachten wir die Zusammensetzung, Löslichkeit und Azidität
dieser Balsame und Harze, wozu auf die obengenannten Literatur¬
stellen verwiesen sei und berücksichtigen die Preise, so ergibt sich
folgendes:
Die Balsame kommen nur in kleineren Zusatzmengen als Ab-
stimmungsmittel, wie bei den Lacken, in Frage; es spielt also hier
Preis und Azidität nicht eine so grosse Rolle. Immerhin dürfte der
teure Kanada- und Mekkabalsam ausscheiden. während Kopaiva- und
Tolubalsam sehr hohe Säurezahlen zeigen, also ohne weiteres nicht
in grösserer Menge verwendet werden können, wenn man Reizungs¬
erscheinungen ausschalten will. Von den Harzen muss die teure
Benzoe Siam ausscheiden und Olibanum wegen seines hohen wasser¬
löslichen Gummi- und Bassoringehaltes, der das Gummiharz nur teil¬
weise löslich macht. Vom Standpunkt der relativen Billig¬
keit aus und dem geringen Gehalt an Harzsäure hebt
sich Dammar heraus mit der von allen Harzen niedrigsten Säure¬
zahl, hohem Gehalt an indifferenten Resenen und einer' relativ guten
Löslichkeit Elemi ist als Abstimmungsmittel sehr brauchbar, enthält
wenig Säure, aber sehr viel stark riechendes Oel, was seiner
alleinigen Verwendung entgegensteht. Sehr billig ist das in der
Pflastertechnik am meisten gebrauchte Kolophonium und sein Aus¬
gangsmaterial, die Terpentine. Alle diese letzteren Harze haben
grosse Mengen Harzsäuren und können nur in möglichst neutrali¬
sierter Form, wie ich zeigen werde, Verwendung finden. Die Kopale
kommen wegen ihrer relativ schweren Löslichkeit und der hohen
Säurezahl weniger in Frage, die Preise sind teilweise hoch und
schwankend.
Sandarak ist nur in einisren Lösungsmitteln und zwar gerade
den teueren, löslich, in den billigeren zumeist nur teilweise löslich.
Der Säuregehalt ist ziemlich hoch.
Schellack ist nur in dem teuren Alkohol gut löslich, wenngleich
seine I ösung eine niedrige Säurezahl zeigt. Mastix, das jetzt als
Grundlage für die Harzlösungen ausschliesslich verwendet wird, ist
jedenfalls von den Harzen dasjenige, das recht wenig ge¬
eignet erscheint. Dasselbe gilt von dem billigen „künstlichen“
Mastix des Handels, der ebenfalls eine stark saure Lösung gibt.
Beim echten Mastix ist der Gehalt an Säure ziemlich hoch, worauf
die Reizerscheinungen zurückzuführen sind und dann ist der Preis ein
sehr hoher, augenblicklich ein unerschwinglicher, von über 20 M.
pro Kilo. Die Lösung ist recht dunkel und das Chloroform doch
relativ teuer. Jedenfalls stellen die Mastixlösung und die Mastix ent¬
haltenden Handelsformen durchaus nicht das Ideal der Harzlösung für
Verbandzwecke dar. sondern sind verbesserungsfähig.
Vor allem möchte ich das Augenmerk auf das Datnmarharz
lenken, das gut und sehr hell löslich, viel billiger wie Mastix ist
*) Vergl. neueste Literatur: Oberarzt Dr. Hey mann, Pharm.
Ztg. 1914 Nr. 82.
•’) Vergl. K. Dieterich. Analyse der Harze. Julius Sprineer-
Berlin, Abderhalden, Biochemisches Handlexikon, Abteilung
Harze, bearbeitet von K. Dieterich und Lunge, Chemisch-techn.
Untersuchungsmethoden, Abteilung Harze, bearbeitet von K. Diete¬
rich usw.
2204
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4
und eine ganz geringe Menge Harzsäure und eine erhebliche Menge
indifferenter Resene enthält. Dammar ist also viel geeig¬
neter als Mastix.
Nun zu den Lösungsmitteln! Diese sollen möglichst hell und
geruchlos sein, nicht zu schnell und zu langsam verdunsten, die
Harze gut und dauernd klar lösen und vor allem keinen penetranten
Geruch zeigen: vor allem aber müssen sie billig sein und indifferent
an und für sich. Alles das kann man dem Chloroform
nicht nachsagen! Chloroform kostet per Kilo 2 M.
Der starke Aethylalkohol, der Aether, Essigäther kommen schon
wegen des hohen Preises nicht in Frage. Terpentinöl riecht zu stark
und Chloroform ist bereits als ungeeignet bezeichnet. Azeton ist
nicht ganz billig, ebensowenig Methylalkohol. Petroläther und
Benzin lösen die Harze nur teilweise.
Der Tetrachlorkohlenstoff ist noch zu teuer und sehr stark
riechend, auch trüben die Lösungen nach. Es bleibt nur noch ein
sehr gutes, indifferentes Lösungsmittel für Harze: das Benzol, das
ausserdem noch sehr billig ist und fast allen oben gestellten
Anforderungen entspricht. Benzol (das 90 proz. Handels-
benzoi, das auch für Motore verwendet wird) kostet nur 35 Pfg.
per Kilo. Verwendet man an Stelle von Mastix Dammar nnd nimmt
statt Chloroform Benzol, so stellen sich die Selbstkosten wie
folgt:
Alter Preis
M. 4.50 per Kilo
250 g Mastix * M. 1.15
30 g Rizinusöl M. —.30
720 g Chloroform M. 1.45
5 gtt Birnenäther M. — .01
Jetziger Preis
M. 20. — per Kilo
M. 5.—
M. —.30
M. 1.45
M. —.01
Mastixlösung: per Kilo M. 2.91 per Kilo M. 6.76
250 g Dammar (Kilo M. 1.80) . 45 Pfg.
30 g Rizinusöl . 30
720 g Benzol . 25 ”
5 gtt Birnenäther . 1 "
Dammarlösung per Kilo 101 Pfg.
Die Dammarbenzollösung ist der Mastix-Chloroformlösung vor¬
zuziehen. Sie ist viel weniger sauer, klebt ebenso gut und ist
augenblicklich 5 m a I so billig wie die Mastixlösung im Selbst¬
kostenpreis, gar nicht zu reden von dem Preis, der für fertige Mastix¬
spezialitäten jetzt angelegt werden muss.
Noch viel billiger und von noch grösserer Kleb¬
kraft ist nun das Kolophonium und die Terpentine. Wie
können diese trotz der hohen Azidität verwendet werden? Die
Harzsäuren smd im allgemeinen schwache Säuren, die natürlich nicht
in allen Fällen zu reizen brauchen; das hängt von der Säure selbst
und der betreffenden Haut, auf der sie angewendet werden, ab. Jeden¬
falls reagieren alle diese Harzlösungen stark sauer, wenn man auf
blaues, vorher mit Alkohol befeuchtetes Lackmuspapier einen Tropfen
Mastix-Dammar-Kolophonlösung bringt. Die Existenz aller dieser
Harzsäuren ist durch die sog. fraktionierte Ausschiittelung mit Ka¬
lium- und Ammonkarbonatlösung nacheinander festgestellt worden.
Ich habe infolgedessen ähnliche Wege eingeschlagen, wobei ich aber
die Säuren nicht entferne, sondern abstumpfe, da sich zeigte, dass
die entsprechenden Salze eine zum Teil erhöhte Klebkraft wie das
Ausgangsmaterial zeigten und die Löslichkeit in Benzol nicht ein-
büssten. Eine Entfernung der Säuren würde auch einen zu grossen
Materialverlust und damit eine Verteuerung hervorrufen. Zur direkten
Neutralisation und teil w eisen Ueberführung der Harz-
sauren in benzollösliche Natronverbindungen
eignet sich am besten eine schwache Base und zwar das pulver-
förmige Natrium bicarbonicum. Kalium und Natrium carbonicum,
ebenso Laugen geben sehr bald bei der Aufbewahrung alkalisch rea¬
gierende Harzlösungen, Bleioxyd solche, die sofort nach dem Aufstrei¬
chen hart werden und schlecht kleben, und Zinkoxvd solche Mischungen,
die sehr schlecht filtrieren. Man braucht die obige Lösung von 250
bis 300 g Dammar in 700—750 Benzol nur mit 50 g doppelkohlen¬
saurem Natron zu versetzen und unter Umschütteln ein paar Tage
in Zimmei temperatur stehen zu lassen, um nach dem Filtrieren eine
neutrale (Prüfung wie oben!) oder manchmal amphoter, also ganz
schwach sauer und alkalisch reagierende, jedenfalls von der sonst
üblichen sauren Harzlösung prägnant unterschiedene, ganz helle und
nur eine Spur nach Birnenäther riechende und gut klebende Harz¬
lösung zu erhalten. Nach diesem Verfahren kann man auch Kolo¬
phonium und Terpentin abstumpfen und hervorragend gut klebende
Harzlösung von neutraler Reaktion herstellen. Kolophonium
kostet nur 45 Pfg. per Kilo, so dass das Kilo der gan¬
zen Lösung mit dem Natrium bicarbonicum zu-
sammenauf ungefähr75Pfg Selbstkosten zu stehen
kommt!
Ich stelle folgende Vorschriften, die alle viel billigere Präparate
wie die übliche Mastixlösung ergeben und die eine fast neutrale Re¬
aktion erstreben — hierdurch wird einer Reizung auf der Haut mög¬
lichst entgegengearbeitet — , zur Verfügung mit der Bitte, diese
neuen Harzlösungen, die man sich selbst ganz bequem bereiten oder
sich in der Apotheke hersteilen lassen kann, in der Praxis zu nro-
bieren 3).
1 „Abgestumpfte“ Mastix-Chloroformlösung:
30U g Mastix, 30 g Rizinus- oder Leinöl, 700 g Chlorform. 5t
Natrium bicarbonicum. Man lässt unter öfterem, starkem Schütti
in Zimmertemperatur einige Tage stehen, bringt dann nach d
Lösung des Harzes die gut aufgeschüttelte Lösung auf ein vorh
mit dem Lösungsmittel befeuchtetes Filter und filtriert. E
schlechtem Filtrieren setzt man noch etwas Talkum vor dem Ai
giessen auf das Filter zu, schüttelt gut um und filtriert unter t
Ersatz des verdunsteten Lösungsmittels. Das Filtrat wird auf 1
eingestellt, falls zuviel Lösungsmittel verdunstet ist. Man setzt no
einige Tropfen Birnenäther zu und hebt die Lösung wohlverschloss
auf.
2 „Abgestumpfte“ Mastix-Benzollösung:
300 g Mastix, 30 g Rizinus- oder Leinöl, 700 g Benzol. 50 g N
trium bicarbonicum, einige Tropfen Birnenäther. Herstellung u
bei 1. Selbstkosten pef Kilo ca. 3 M.
3. „Abgestumpfte“ D a m m a r - B e n z o 1 1 ö s u n g:
250 g Dammar, 30 g Rizinus- oder Leinöl, 700 g Benzol, 50
Natrium bicarbonicum, einige Tropfen Birnenäther. Herstellung w
bei 1. Selbstkosten per Kilo ca. 1 M.
4 „Abgestumpfte“ Kolophonium-Benzollösun
300 g helles Kolophonium, 20 g venetianischer Terpentin, lü|
Rizinus- oder Leinöl, 700 g Benzol, 60 g Natrium bicarbonicum. eine
Tropfen Birnenäther. Herstellung wie bei 1. Selbstkosten per Ki
ca. 75 Pfg.
Die Vorschrift Nr. 1 gibt ein ganz teueres, Vorschrift Nr. 2 e
schon billigeres, Nr. 3 ein billiges und Nr. 4 ein ganz billiges Präpar.
Zusammenfassung: Die übliche Mastix-Chlor,
formlösung und die nach ihr bereiteten Handelsprodukte en
sprechen nicht den Anforderungen, die man nach dem Star
der Wissenschaft an eine solche Harzlösung für Verbam
zwecke zu stellen berechtigt ist; sie sind viel zu teuer un
enthalten vor allem zu viel freie Harzsäuren, so dass die Gt
fahr der Reizung auf der Haut besteht. Von den uns bt
kannteren Harzen dürften sich vor allem Dammar, Kolophoniui
und die Lerpentine, letztere nur in abgestumpfter Form, fi
\ erband-HarzIösungen eignen und zwar unter Verwendun
des Benzols als Lösungsmittel.
Ohne behaupten zu wollen, dass meine heute angegebene
Vorschriften schon die idealen Endpräparate darstellen, hoff
ich doch, als Pharmakochemiker den Weg gezeigt zu habei
der uns zu rationelleren und billigeren Präparaten wie bishe
führt.
Der Betrieb eines Reservelazarettes.
Von Professor Dr. Herrn. S c h r i d d e, derz. ärztlichem un
Verwaltungsdirektor der Städtischen Krankenanstalten i
Dortmund.
Erfahrung zeigt, ist in den einzelnen Reservelazarette
die Handhabung des Anstaltsbetriebes, der sich natürlich in vieler
von dem in Friedenszeiten üblichen unterscheidet, ein recht ver
scruedener Das ist vielfach sogar in den Reservelazarettabteilunge,
ein und derselben Stadt der Fall, obwohl es wünschenswert, rieh
tiger und erspriesslicher wäre, wenn überall nach bestimmte.
Giundsatzen gehandelt würde. Einige hauptsächliche Bestimmunge
sind ja schon vom Generalkommando getroffen worden. Allein e
sind doch noch mancherlei Dinge vorhanden, die im Interesse de
jetzigen, veränderten. Anstaltsbetriebes zu ordnen sind, und di.
bisher der eine so, der zweite anders anfasst. Ich halte es dahe'
fiir angebracht und nützlich, die Erfahrungen, die ich bis jetzt in den
Reservelazarette der Städtischen Krankenanstalten gesammelt habe
auch wenn die Zeit dazu eine beschränkte war, in kurzen Striche,
aufzuzeichnen. Vielleicht wird dieses und jenes noch einer Aende
jung und \ erbesserung bedürfen. Aber gerade deshalb wird, wk
ich glaube, eine öffentliche Aussprache am ehesten Nutzen bringet'
Die hauptsächlichste Abteilung der Städt. Krankenanstalten stell
im Augenblicke natürlich die chirurgische Klinik dar, wäh
rend die innere Station bis heute weniger mit erkrankten Soldatei
belegt ist. Als eine sehr wichtige Abteilung hat sich die Klinik fii?
Haut - und Geschlechtskranke erwiesen. Zur Zeit besitz
sie 60 Reservelazarettbetten, wird aber binnen kurzem auf eine
Bettenzahl von 100 gebracht werden. Die Zuweisung von Krankei
ist so gross, dass die Station stets voll belegt ist, und dass wegei
augenblicklichen Platzmangels Anfragen zurückgewiesen werden
müssen. Die Bedeutung dieser Abteilung besteht darin, dass es hier
durch eine fachmännische Behandlung gelingt, die erKrankten Sol
daten auf viel schnellerem Wege zu heilen, als das in gemischter
Lazaretten möglich ist. Es erscheint deshalb, zumal die Geschlechts
kranken eine nicht geringe Zahl der erkrankten Soldaten ausmachen,
in hohem Grade wünschenswert, dass dort, wo Hautabteilungen an
3) Der Zusatz von aromatischen Estern ist wertlos; er erhöht
weder Klebkraft noch Reizlosigkeit, sondern verteuert nur und ver¬
leiht einen unangenehmen, aufdringlichen Geruch.
November 1914.
MLENCHENEff MftfjfZfNfsCHF WOCHENSCHRIFT.
2205
i^iaaacalten bestehen, diese für Reservdazarettzweckr ,
. dmat ansgenützt werden. cwzareuzw ecfce nach
Lazarett Spezialärzte für ttalv
Ofcr«»k«nkhe.ten rur A ... ; f ir Zahn- und Mund-
frfnzu»*- Endlich sind auch noch eine Nerven-
™ rUf beuehen' d“; bl letzt noch nicht m
Jang fc. '.mmen sind, eingerichtet.
*■* irZtti-CfcC yüs°r*u"Z hat leider durch die Einbe-
os.se Lucken erhalten Die Leiter der chirurgischen, m-
inS gynäkologischen Abteilungen ,tehen im Felde oder sind
caza re trenzuze wiesen Von 19 Assistenten sind 16 einze¬
ln der ciMTirzischen Abteilung ist kein Assistent geblieben,
snern eu. rar die Dauer des Krieges angesteilten Ober-
- *«^hen hier jetzt zwei Feldunterärzte den Dienst. Wir
- da» « uns gelingt. ihnen in Bälde noch einen Assistenten
~- zd zu steilen.
r'' ®t hier nicht der Platz und es ist jetzt auch nicht die
m sm^ocfaeH. °° « ncfatiz zew esen ist. die Krankenanstalten
-nz von emgearbeiteten Aerzten zu entbldssen. Das aber
-- -cn nerv erheben, dass ärztlich zut versorgte Reserve-
-™ Krieze einen nicht zu unterschätzenden Dienst
uen ü.nnen. Denn dass hier die Behandlung und Pflege
: besonders gm und erfolgreich sein müssen, und die
- ■*«; de? vorzüglichen Bedingungen die raschesten Fort-
j itte jtac.it. dass weiter die Mehrzahl der verwundeten und
i xes Soldaten in den Reservelazaretten umergebracht werden
Cxricer bedan es wohl keiner Auseinandersetzung,
is Jim die Einrichtung des Lazarettes anbetrifft, so
-« .'inkenraume von den anderen, für Zivilkranke bestimm-
~jc abgesondert, und ebenso ist mit Ausnahme der Aerzte
- :-r teraöonsschwestern das Personal für das Reservelazarett
: - minderes. Ausser Schwestern und eigenen Krankenwärtern
it.-icu noch_eine Anzahl von Militärkrankenwärtern nebst einem
- ..-sunterotnzier Dienst.
:c den Räumen, die für unsere erkrankten Krieger bestimmt
- -äe -immer für Gefangene scharf getrennt
> teilen, unter besonderer Bewachung.
BcsMias wichtig halte ich die Anordn ig . ; bei der Ein-
f ^ -L 1 5 - in Krankentransporten angewendet wird.
een deutschen Soldaten wie den Gefangenen w erden sogleich
Bcihtr Gräeiernag die Kleidung und die Wäsche a b -
JJien und sorgfältig desinfiziert. Auf diese
1 :: zrösstmöglichste Schatz gegen Einschleppung von
* tegeoen. Die gereinigte Kleidung und Wäsche werden
r Anstritte der Kranken aus dem Lazarette auf einer
• . derkammer aufbewahrt. und die W äsche w ird aus Liebes-
reder ergänzt.
' erweist sich ferner als dringend notwendig, ganz besonders
- : ra echte-, ob die Soldaten oder Gefangenen irgendwelche
nieten ansteckender Krankheiten aufweisen. Für de Zukunft
w es sch weiter sehr empfehlen, sogleich bei der A n -
-Jg von Verwundetenzügen mitzuteilen, ob
rate aus verseuchten Gegenden oderHeeres-
-gteilen stammen.
* ranken erhalten ferner, nachdem sie gleich nach ihrer Ein-
~ rir Rac genommen haben oder gewaschen worden sind.
- tsw äsche und Anstaltskleidung. Durch die An-
. es auch am besten, u e So dateil von un-
- len Entfernen aus dem Krankenhausgelände abzuhalten, und
kf-nar m ™ berbeizutphren- Das wird aber am sichersten in Kran-
i/' rij X i Cf!ieiChen iSein' td,e ein «eschu!tes Personal besitzen
f- ' die arfztll?he. Behandlung und für die sachgemässe
f zen ( h VV H ? erforderlichen Einrichtungen und Mittel ver-
und em! meinen Forderungen sogar noch weiter gehen
rr dglich i-t e, r° r d n u n * wünschen, nach der, wenn es überhaupt
g seht n f nUr ein‘germassen schweren c h i r u r-
I errf.n H-ä * nur Krankenhäusern überwiesen
e nt n r * dhU/en’ d,eden genannten Anforderungen
h e l[zen 'hp • tnd- e,nAen ausgebildeten Chirurgen
„ - Z Jtr “ meiner Ansicht nach geradezu unverantwortlich,
h^-.r .n tros, .stadten in den ausserhalb der eigentlichen Kranken-
■ ; >' ' _r e,ngenchteten Lazarettabteilungen, in denen von einer wirk-
Iich einvandrreien ärztlichen Einrichtung nur selten die Rede sein
n'n unter *anz primitiven Verhältnissen ohne Not grössere
Operationen vorgenommen werden. Wenn derartiges im Felde ge-
nur durch die Lage gezwungen. Sind
u ^tadt Krankenhäuser mit allen erforderlichen Einrich-
tu.^en vorhanden, so ist es eine ärztliche und menschliche Pflicht,
dujri man ‘5L fe die mehr oder minder schweren Verwundungen
überweist. Daher wäre es auch sehr erstrebenswert, wenn gleich
S«* dv ^ J r 1 e 1 1 p l der verwundeten und kranken
-Oii- aten darauf Rücksicht genommen würde, dass
die chirurgisch Kranken und die Schwerkran-
k e n s ok .eich den Krankenhäusern zugeteilt wer¬
den, wahrend die leichter Kranken den ausserhalb
der Krankenanstalten eingerichteten Lazarett-
abteilungen zuzufiihren sind.
Von allgemeinen ärztlichen Massnahmen ist endlich noch die
-cfiutzpockenimpfung zu nennen. Ihr werden nach mini¬
sterieller Anordnung die Gefangenen sofort nach ihrer Einlieferung
untcrworten. An den Dortmunder Krankenanstalten ist ferner bald
nach Ausbruch des Krieges das gesamte ärztliche, Pflege- und Wirt-
schaftspersonal. auch die Beamten der Verwaltung, geimpft worden
Ich halte diese Massnahme, die alle Angestellten und ment nur das
Personal, das direkt mit den Kranken in Berührung kommt, einbe-
greift, in einem Reservelazarette für unbedingt erforderlich aus
* münden, die ich einem ärztlichen Kreise wrohl nicht airseinander-
zusetzen brauche
Ich komme nun auf die rein wirtschaftlichen Anord¬
nungen zu sprechen, die natürlich in einem Lazarette ebenfalls
Abweichungen von dem gewöhnlichen Betriebe zeigen, und deren
Kenntnis zur Zeit auch nicht ohne Wichtigkeit ist. Hinsichtlich der
riiiege und Behandlung sind besondere Vereinbarungen getroffen
worden Die städtischen Krankenanstalten sind hierin zusammen
mit den anderen hiesigen Krankenhäusern vorgegangen.
Die im Lazarette untergebrachten Soldaten, die wie die
anderen Kranken der Hausordnung unterstehen, erhalten, wie schon
gesagt, uie \ erpflegung dritter Klasse. Ganz die gleiche
Beköstigung bekommen auch die Gefangenen, die auch sonst
Hinsichtlich der Krankenräume und der ganzen Pflege vollkommen
gleich wie unsere Verwundeten und Kranken behandelt werden
tm Unterschied wird nur betreffs der Liebesgaben (Esssachen,
Rauchwaren. Unterhaltungsspiele, Lesestoff) gemacht, von denen
nichts ihnen zugeteilt w i r d. Weiter ist von Anfang an das
Betreten der Gefangenenkrankensäle für Unbefugte verboten ge¬
wesen, wie das ja neuerdings auch das Generalkommando an ge¬
ordnet hat.
ac' Möglichkeit einer ev. Flucht von Gefangenen
■ *. -IjTltll.
<Se deatsefeen Soldaten oder die Gefangenen eingeliefert
nd Air notwendige fantMcbe ive-s: w --j
Ei-c dem C h e f a r z t des Lazarettes schriftlich Bericht
-e s ingebrachten Kranken erstattet. Ausser uen
chikhema finftägigen Meldungen gehen ferner jeden Morgen
u cem C -et'arzt Mitteilungen darüber zu. wieviel Betten
wie riei frei sind, und weiter wird er täglich davon
cjrgr. »eiche Kranken in den nächsten Tagen entlassen
tinnen. Gerade auf die Beschleunigung der Ent-
L * K Cekübei oder kurz vor der völligen Genesung stehender
besonderer Wart nt lagen, damit möglichst schnell
e men für neu etnzu weisende Verwundete frei werden, und
•o* dem Staate unnütze K sten erspart. Denn viele Ge~
icnner bc ihren Ersatztruppenteilen oder bei ihren Ange-
t • vöfige Wiederhersteflnag ab warten Es wäre deshalb
Ha^se wünschenswert, wenn alle Formsachen und
b b e I der Eatla s s u n g i n j e d e r W e i s e a
>:e erledigt würden.
ciesen Zweck noch mehr zu erreichen, und um weiter die
•*** Bebandhng eines modern- \ .nhauses
**• Krieger in weitgehendstem Masse ai s . en, sehe
yfcr Wgg an» besten man Ziele zu \
ausserhalb der Krankenans
kk bs Reservelazarettes bat aesc t Küche die
' 'V' i . •..bernorrtme" Sc- s. ri
Ge zu. saug eatgegengebenden deutschen S
-ne so in Jen Krankenanstalten wieder Bette ’ tur neue
resorce-s Sc1"' er% . ■ --ccic. "c nachen Denn
•Xk es in allererster l -ie ankOMwen. Jie Meilur. - nell
Die Gefangenen dürfen ferner ohne Beaufsichtigung ihre Säle
nL^j. v erlasssen. Den Soldaten ist jedoch die Benutzung der Garten-
aulagtn des Krankenhauses gestattet. Ausserhalb des Krankenhaus-
^eländes ist der Aufenthalt verboten. Das Verlassen der Kranken¬
anstalten wird auch schon dadurch in wirksamer Weise verhindert
dass die Soldaten, wie oben schon erwähnt, Anstaltskleidung tragen’
Das Betreten der Verwundetenabteilung bedarf
Jet jedesmaligen Genehmigung der Verwaltung. Grundsätzlich ist es
nur den Angestellten der Krankenanstalten, die dort ihren Dienst zu
versehen haben, gestattet. Für die Soldaten sind besondere Be¬
suchsstunden angesetzt und zwar Mittwochs und Sonntags
nachmittags von 2 — 4 Uhr. Es werden hier nur Angehörige zuge¬
lassen. Diese Bestimmung ist, wie das ja eigentlich selbstverständ¬
lich. ist. sowohl im Interesse der Kranken, ihrer Ruhe und der unge¬
störten Genesung wie eines geordneten Krankenhausbetriebes an
sich schon unbedingt notwendig. Sie hat sich als umso erforderlicher
erwiesen, als es vielfach versucht wird, aus reiner Neugierde in die
\ erw undetensüle zu gelangen.
Aus dem gleichen Grunde ist es auch untersagt, dass ausser den
dazu von der Verwaltung besonders bestellten Personen irgend
jemand Liebesgaben direkt an die Verwundeten verteilt. Auch von
der- Angehörigen wird gefordert, dass sie Liebesgaben, besonders
Obst. Ess- und Trinksachen bei der Wirtschaitsinspektion abgeben,
die füi die richtige Zuwendung an die Soldaten sorgt. Es können
sich ja leicht die grössten Missstände einstellen, wenn die in grossen
Mengen gebrachten Essachen von den Soldaten in den Nachttischen
und Schränken verstaut werden und hier dann schliesslich in Ver¬
derbnis übergehen. Es ist ferner zu bedenken, dass durch über¬
mässigen Genuss von Obst und Kuchen den Heilverlauf schädigende
Parmstörungen hervorgerufen, oder durch Obst Krankheiten wie
l'yphus eingeschleppt werden können.
2
2206
Als erspriesslich hat es sich für eine bestimmte Art von Lie¬
besgaben herausgestellt, dass ich an den Krankenanstalten eine
eigene Sammelstelle eingerichtet habe. Es handelt sich hier
um Bücher, Zeitschriften, Schreibsachen, Unter¬
haltungsspiele, Rauchwaren jeder Art und Leib¬
wäsche (Hemden, Unterhosen, Strümpfe, Leibbinden) für die
zur Entlassung kommenden Soldaten. Damit die Mildtätigkeit
auf die Dauer nicht erlahmt, bringen die hiesigen Zeitungen
in entgegenkommender Weise ungefähr alle 14 Tage kleine,
von mir verfasste Aufrufe, in denen ich die Einwohnerschaft an das
Spenden der Liebesgaben erinnere. Die Bücher und Zeitschriften
müssen natürlich ir. völlig einwandfreiem, sauberem Zustande sein.
Bis jetzt haben wir ungefähr 4000 Bücher und 20 000 Zeitschriften
erhalten. Sowohl von diesen wie von den anderen genannten
Liebesgaben werden nach Möglichkeit auch die anderen Lazarett¬
abteilungen Dortmunds versorgt. Die Verwaltung dieser Sammel¬
stelle habe ich der Einfachheit halber und, damit ich stets über
alle Angelegenheiten hierbei Bescheid weiss, meiner Frau übertragen,
der auch die Verteilung dieser Liebesgaben an die Soldaten obliegt.
Ich möchte weiter noch hervorheben, dass auf meine Bitte hin
die sämtlichen hiesigen 6 Zeitungen ungefähr 200 Stück ihrer täg¬
lichen Ausgaben dem Lazarette zur Verfügung stellen, und dass, um
auch sonst den Verwundeten den Aufenthalt im Krankenhause mög¬
lichst erfreuend zu gestalten, ein Teil des hiesigen Philharmonischen
Orchesters zweimal in der Woche Konzerte veranstaltet.
Wenn die im Vorstehenden geschilderten Anordnungen und Mass¬
nahmen im Hinblick auf die Soldatenfürsorge getroffen sind, so haben
wie anderorts so auch hier die Krankenanstalten die Aufgabe über¬
nommen, Helferinnen für das Rote Kreuz auszubil¬
den. Da auch die Erfahrungen in dieser Hinsicht manches Be-
meikenswerte ergeben haben, so seien sie noch kurz angeführt.
Zu Anfang waren uns eine recht grosse Anzahl von Damen
zugewiesen worden. Hierunter fand sich eine nicht geringe Zahl,
die entweder körperlich oder, weil ihnen die strenge Arbeitserfüllung
nicht zusagte, oder auch aus anderen Gründen sich nicht als ge¬
eignet erwies. Es zeigte sich weiter, dass eine wirklich gute Aus¬
bildung nur zu erzielen war, wenn die Teilnehmerzahl eine be¬
schränkte war. Deshalb nehmen wir jetzt im Einvernehmen mit
dem Vaterländischen Frauenvereine nur noch 20 Schülerinnen auf,
deren Auswahl in jeder Beziehung eine besonders strenge ist. Alle
sich meldenden Damen werden auch vor ihrem Eintritt ärztlich unter¬
sucht, Schwächliche und irgendwie Kranke werden zurückgewiesen,
und solchen, die an stärkeren Menstruationsbeschwerden zu leiden
haben, der Rat gegeben, an dem Kurse nicht teilzunehmen.
Die Helferinnen haben von morgens 8 Uhr bis abends 7 Uhr
Dienst zu tun und iede Arbeit, die ihnen übertragen wird, auszu¬
führen. Sie erhalten ferner von den Oberärzten der chirurgischen
und inneren Abteilung theoretischen und von einer Oberschwester
praktischen Unterricht in der Verwundetenpflege und -behandlung.
Bei dieser strengen Durchführung der Ausbildung hat es sich gezeigt,
dass die Zahl der Schülerinnen nach und nach kleiner wird. Aber
die, die übrig bleiben, haben damit bewiesen, dass sie in jeder
Beziehung geeignet sind, das Amt einer Helferin und Pflegerin aus¬
zuüben Und das ist ja auch das Erstrebenswerte, denn nur dann
kann das Vaterland von ihnen Nutzen haben.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Ueber die physikalischen Grundlagen der Radiumtherapie.
Von Prof. Kohlrausch in Freiberg i/S.
(Schluss.)
Neben der Kenntnis der Eigenschaften und Bedeutung der ein¬
zelnen Strahlen ist für das Arbeiten mit radioaktiven Substanzen,
im besonderen für klinische Versuche, die Eigenschaft und Stufenfolge
der Elemente als solcher von grösster Bedeutung. Zwar verwandeln
sich die neuen Elemente, wie wir gesehen haben, nach ganz bestimm¬
ten Gesetzen und doch bietet gerade diese Umwandlung ungeahnte
Schwierigkeiten für den Versuch, weil die Elemente uns in ihren
Umwandlungen nicht einzeln entgegentreten, sondern weil wir
immer mit einer übereinandergelagerten Gruppe nachfolgender Ver¬
wandlungsstufen zu arbeiten haben. Nicht so sehr aus einer Un¬
kenntnis der Messmethoden oder Messinstrumente sind die vielen kli¬
nischen Beobachtungsfehler zu erklären, als aus einer nicht richtig
kritisierten Schätzung der Beobachtungsresultate. So ist es viel¬
fach in der Bestrahlungstherapie ganz unbekannt, dass man gar nicht
mit den Strahlen des Radiums oder der Radiumemanation arbeitet,
sondern mit den y-Strahlen des Radiums B und des Radiums Ci.
Es ist ferner in der ganzen bisherigen Literatur oder in der An¬
wendung der bisherigen Bestrahlungspräparate viel zu wenig Wert
darauf gelegt, dass die Präparate emanationsdicht eingeschlossen
sein müssen, wenn man die volle Strahlungsenergie, d. h. die Summe
der überhaupt verfügbaren y-Strahlen verwenden will. Die vielen
früher gebräuchlichen Präparate, z. B. in Hartgummikapseln hinter
Glimmerscheiben etc., zeigen keineswegs eine völlige Emanations-
Nr. 45.
dichte. Jede entweichende Emanationsmenge vermindert aber die
y-Strahlungsfähigkeit des Präparates. Denn es ist einleuchtend,
dass, wenn die Radiumemanation in dem Präparat nicht aufgespei¬
chert wird, sich auch die Zerfallsprodukte, im besonderen die Gamma¬
strahlenträger Radium B- und Radium Ci nicht ansammeln können.
Haben wir beispielsweise ein Präparat, dem dauernd 50 Proz. Ema¬
nation entweichen, was immerhin möglich ist, so würde dieses Prä¬
parat. das z. B. 100 mg Substanz repräsentieren möge, in seiner
Strahlungsfähigkeit nur 50 mg gleichwertig sein unter der Voraus¬
setzung, dass das zum Vergleich benutzte 50-mg-Präparat emana¬
tionsdicht eingeschlossen ist. So kommt es vor, dass Präparate bei¬
spielsweise für die Messung und Eichung im Laboratorium in einem
Glasröhrchen luftdicht eingeschlossen werden. Ihre volle Strahlungs¬
stärke wird alsdann richtig gemessen, sei es, dass man aus 2 an¬
steigenden Beobachtungsintervallen den Endwert des radioaktiven
Gleichgewichtes berechnet, sei es, dass man dieses radioaktive
Gleichgewicht, das nach etwa 4 Wochen erreicht wird, abwartet, wie
es z. B. die physikalisch-technische Reichsanstalt für ihre Messungen
verlangt.
Die Reichsanstalt hat für die Eichung radioaktiver Präparate be¬
stimmte Normen aufgestellt, die auf Wunsch jedem Interessenten zur
Verfügung gestellt werden.
Nach denselben Grundsätzen prüft auch das Freiberger Radiuns-
institut, das vom Kgl. sächs. Finanzministerium erhebliche Mittel zur
Anschaffung eines sog. Radiumstandards erhalten hat.
Tabelle der radioaktivenEle mente undKonstanten.
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Absorption
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Charakter
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Uran I
238
5 . 10»a
a
2,37
2,50
.
_
_
_
Gewöhnliches
Uran.
Uran Y
230
1 05 d
ß
—
—
ca. 300
0,002
—
—
Unbekannt.
Uran Xx
234
24,6 d
ßy
—
—
510
0,001
0,72'
0,96
Identisch mit,
Thorium
Uran X4
234
1,15m
ß
—
—
14,4
0,048
—
Nächst Analo-
gon: Tantal.
Uran II
234
2 . 10«a
a
2,75
2,90
—
—
—
—
Identisch mit
Utan.
Ionium
230
2. 10r' a
a
2,85
3,00
—
—
—
—
Identisch mit
Thorium.
Radium
226
1750 a
aß
3,13
3,30
312
■0,002
—
—
Nächst. Analo-
gon: Barium.
Emanation
222
3,85 d
a
3,94
4,16
—
—
—
—
Edelgas.
£
a
(Ntton)
4,50
4,75
Radium A
218
3 m
a
—
—
—
—
Radium B
214
26,7 m
ßy
—
—
13 u.
0,05 u
4-6
0,18b.
91
0,007
0,12
Radium Cj
214
19,5 m
aßy
—
—
13,5
0,053
0,5
1,39
Identisch mit
Wismut.
Radium Ca
210
1,4 m
ß
—
—
—
—
—
—
Identisch mit
Thallium.
Radium C'
214
10— 6 s
a
6,57
6,94
—
—
—
—
Identisch mit
Polonium.
Radium D
210
16,5 a
ß
—
—
130
—
—
—
Identisch mit
Blei.
Radium E
210
5,0 d
ß
—
—
43,3
—
—
—
identisch mit
Wismut.
Radium F
210
136 d
a
3,58
3,77
—
—
—
—
Nächstes Ana-
(Polonium)
log. : Tellur.
Aktinium
226
_
ohne
—
—
—
—
—
—
Nächst. Analu-
Str.
gon : Lanthan.
Radio-
226
19,5 d
aß
4,36
4,60
170
0,004
—
—
Identisch mit
aktinium
4,40
Thorium.
Aktinium X
222
1 1 ,6 d
a
4,17
—
—
—
—
Edelgas.
E
Emanation
218
3,9 s
a
5,40
5,70
—
—
—
—
3
Aktinium A
214
0,002 s
a
6,16
6,50
—
—
—
—
Identisch mit
Polonium.
<
Aktinium B
210
36,1 m
ß
—
—
sehr
weich
—
—
Identisch mit
Blei.
Aktinium C
210
2,15 m
a
5,12
5,40
—
—
—
—
Identisch mit
Wismut.
Aktinium D
206
4,7 m
ßy
—
—
29
0,024
1,2 bis
0,58 b
Identisch mit
1,8
0,39
1 hallium
Thorium
232
al.3,1010
a a
2,58
2,72
_
_
_
_
Element der.
IV. Gruppe
(= gewöhnl
Thorium).
Meso-
228
5,5 a
ohne
—
—
—
—
—
—
Identisch mit
thorium I
Str.
Radium,
Meso-
228
6,2 h
ßy
—
—
20,2
0,034
0,53
1,31
Identisch mit!
thorium 11
bis
0,018
Aktinium.
38,5
Radio-
228
737 d
a
3,67
3,87
—
—
—
—
Identisch mit
thorium
Thorium
E
Thorium X
224
3,64 d
aß
4,08
4,30
?
—
—
Identisch mit
3
*C
o
Radium.
Emanation
220
53 s
a
4,74
5.00
—
—
—
—
Edelgas
Identisch mit
JZ
f—
Thorium A
216
0,14 s
a
5,40
5,70
—
—
—
Polonium.
Thorium B
212
10,6h
ß
—
—
110
0,005
—
—
Identisch mit)
Blei.
Thorium C,
212
55 m
aß
4,55
4,80
?
?
—
—
Identisch mit
Wismut.
Thorium C
212
10— « S
a
8,16
8,60
—
—
—
Identisch mit
Polonium.
Thorium D
208
3,1 m
ßy
_
15,7
0,044
0,46
1,51
Identisch mit.
Thallium.
Kalium
30,15
—
ß
—
30
0,023
—
—
Rubidium
85,5
—
ß
—
300
0.0023
—
—
a bedeutet Jahre; d — Tage; h = Stunden; m — Minuten; s = Sekunden.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
0. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2207
Nach einer jeden Prüfung wird das Präparat in den meisten
a||en aus dem vorerwähnten Ülasröhrchen wieder herausgenommen,
m für Bestrahlungszwecke verwendet zu werden. Dabei zeigt sich
ann häufig infolge ungenügender Emanationsdichte, dass die Strah-
ingsenergie therapeutisch nicht annähernd den Wert besitzt wie bei-
pielsweise ein Radiumpräparat, das vollkommen in einem Platin-
eschlosse^bleiM Cma UF BestrahlunSszwecke emanationsdicht ein-
Dieses einfache und lehrreiche Beispiel zeigt, dass die Kenntnis
er. BnVvand!Hn2 der Elemente von grösster Bedeutung ist. Dieser
er/.all bzw. diese Umwandlung geschieht nach Gesetzen, die mathe-
lignrchfn •" Exponentialkurven sich darstellen lassen. Ein
nfaches Beispiel möge den mathematischen Begriff erläutern.
• e?n "L3",.2' B' eiaer Radiumquelle emanationshaltiges Wasser
it nimmt und dieses auf eine Reihe von Flaschen verteilt, die Iuft-
Jit erschlossen werden, und diese in bestimmten Zeitintervallen
ektroskopisch prüft, so findet' man, dass eine Flasche, die 4 Tage
ng gestanden hat, gerade noch halb soviel Emanation aufweist
ic eine Masche, die sofort nach der Entnahme aus der Quelle der
essung unterworfen wurde. Prüft mail entsprechend eine Reihe
ilcher Flaschen, also beispielsweise die eine nach 24 stündiger die
nthmLnHn/p^l,ÜndiSerwerSchl0Ssener Aufbewahrung usw„ so er-
ilt man eine Reihe von Werten, die mit den zugehörigen Zeiten auf-
*bei?Cn daS nac^° gende BiJd 3 (Radiumemanationsabnahme) er-
■too
Bild ' 3.
-16 Tage
Diese Verringerung der Emanation beruht lediglich darauf, dass
dHI'JUiw1 • abge^hl?ssenen Flasche das Gas sich weiter ver-
mdelt hat in seine Zerfallsprodukte Radium-A, -B, -C, -D -E und
Die Zeit, in welcher sich die Radioelemente zur Hälfte um-
tndeln, bezeichnet man als ihre Halbwertsperiode.
Auch das Thorium und das Aktinium besitzen ein gasförmiges
rtallsprodukt, die Thor- bzw. Aktiniumemanation, deren Halbwerts-
node jedoch nur 53 oder gar 3,9 Sekunden beträgt.
Die im Bild 3 A gezeichnete Radiumzunahme erklärt sich daraus
;>s ein frisch bereitetes Radiumsalz zunächst emanationsfrei ist'
öS dieses Salz aber, wenn es trocken ist oder besser luftdicht
i geschlossen wird, eine allmähliche Aktivitätszunahme aufweist
. durch, dass die sich stets bildende Emanation in dem Salz auf-
^ichert und dass sich damit auch alle weiteren Zerfallsprodukte
Radium A — F ansammeln können.
Die Kenntnis der physikalischen Grundgesetze der Radioaktivität
naturgemass von Bedeutung für die chemische Darstellung und
Scheidung radioaktiver Elemente. Eine ausführliche Beschreibung
chemischen Gewinnung des Radiums findet sich, wie schon ein-
•igs gesagt m den Berichten der Akademie der Wissenschaften
■ enH,n7’ Ja ^l1"- 619> 1908’ wo Haitinger und Ulrich die
zelheiten beschreiben.
, Wir ersehen daraus, wie neben der rein chemischen Analyse
I Radiumerze die physikalische Messung den richtigen Weg zur
•>cheidung des Radiums gewiesen hat. Diesen Weg hat schon
dame Curie im Jahre 1898 beschritten, indem sie Niederschlag
r WM*™* ]ede9 )veiteren Behandlung elektroskopisch prüfte und
teststellte, in welcher der beiden Bestandteile die grösste Menge
Kadiums enthalten war. Dieser Bestandteil wurde dann jeweilig
1 ter verarbeitet. Wie mühsam die Herstellung des Radiums ist
ennt man aus der Berechnung, wieviel Tonnen Pechblende er-
Jerlich sind, um ein Gramm Radium zu extrahieren. Diese Be-
’hnung lässt sich aus der Lebensdauer der Radioelemente speziell
Urans leicht herleiten. Nehmen wir an, dass 1000 kg Joachims-
e.j", ?, e zur Verfügung stehen, diese mögen im Durch-
""jt 6S0kg Uran enthalten. Wieviel Gramm Radium können maxi-
daraus gewonnen werden? Ursprünglich, als die Pechblende in
logischer Vergangenheit vor Millionen Jahren an ihrer Lagerstätte
'tand, enthielt sie vielleicht nur das Anfangsglied der Reihe- das
l*r s£ofort begann aber auch schon der Zerfall desselben, und
i:d auf Glied der Reihe der Umwandlungsprodukte musste sich
en. Im selben Masse jedoch wie diese wieder weiter zerfielen
unzten sie sich durch Nachschub aus den vorhergehenden Gliedern
' *«[?,«• un<? so musste sich schliesslich ein Gleichgewichtszustand
•lusbilden, in welchem Zerfall und Neubildung einander eben aus-
inen. Je langsamer ein radioaktives Element zerfällt, umso länger
iewissermassen seine Lebensdauer, um so mehr wird von ihm bei
nchung des Gleichgewichtszustandes vorhanden sein können.
>e Ueberlegungen lehren, dass der Gehalt eines Uranerzes an den
einzelnen radioaktiven Stoffen der Uranreihe direkt proportional
aer Lebensdauer, also umgekehrt proportional der Zerfallgeschwin-
üigkejt der Linzeielemente ist, und man gewinnt so eine Grundlage
lur die Berechnung, wieviel Radium in einem Erz vorhanden sein
muss, das eine bekannte Menge Uran enthält.
Die mittlere Lebensdauer des Urans ist rund 3 Millionen mal so
gross wie diejenige des Radiums, folglich ist der Radiumgehalt eines
Ulanerzes immer nur — wie oben ausgeführt — der dreimillionste
1 eil des im Erz vorhandenen Elementes Uran. 1000 kg Joachimsthaler
.,9. lende mit 680 kg Uran können somit im Höchstfälle ein Drei-
millionstel von 680 kg — - o,22g Radiumelement enthalten, von denen
jedoch nur ein Teil chemisch rein zu gewinnen ist. Man kann un-
SC j rnAiü i .en’ dass zur Herstellung von 1 g metallischen Radiums
rund 10000 kg bester Joachimsthaler Pechblende erforderlich sind. Der
Preis von M. 400 000 pro lg Radiumbromid ist deshalb wohl ver¬
ständlich. Metallisch reines Radium ist nicht vorhanden, geschweige
denn im Handel befindlich, sondern lediglich Radiumverbindungen, die
entsprechend ihrem Molekulargewicht hier aufgeführt werden:
Radiummetall .
Radiumkarbonat (Ra COa)
Radiumchlorid (Ra CI*) .
Radiumsulfat (Ra S04) .....’
Radiumbromid (Ra Br*) ’
Radiumbromid + Wasser (RaBr* + 2H*Ö)
. 226 Molekulargewicht
. 286
. 297
. 322
. 386
. 422
»»
♦ »
Die Zahlen lassen sich leicht berechnen, wenn man die ent¬
sprechenden Atomgewichte der einzelnen Elemente zugiunde legt.
Die Preise sind dementsprechend.
Neben dem Radium und seinen Zerfallsprodukten hat in erhöhtem
Masse das Mesothorium und seine Derivate das Auge der Mediziner
auf sich gelenkt. Das Mesothorium iet das erste Umwandlungs¬
produkt des Thoriums, vergleiche Tabelle. Es sendet ß- und y-
Strahlen aus und verwandelt sich in rund 5,5 Jahren zur Hälfte,
wobei wir Mesothorium I und II der Einfachheit halber zusammen
betrachten. Das nächste Zerfallsprodukt führt den Namen Radiothor
und verwandelt sich nach rund 2 Jahren zur Hälfte in Thorium X.
Das Mesothorium und seine Zerfallsprodukte werden neuerdings in
den Thorfabriken aus den Rückständen ihrer früheren Produktion er¬
schlossen. Im besonderen dient als Ausgangsmaterial der Brasiliani¬
sche Monazitsand. Die Gewinnung selbst ist kaum billiger als die
Herstellung von Radium. Sie erfordert erhebliche Mengen Schwefel¬
säure und Wasser. Gleichwohl ist der Preis gegenüber dem Radium,
da die Ausgangsmaterialien billiger sind, bedeutend geringer. Das
Milligramm wurde mit 150 M. bewertet, ist jedoch in der letzten Zeit
auf 200 M. und mehr gestiegen. Wenn trotzdem in den meisten
Fällen der Ankauf von Radium vorgezogen wird, so ist das be¬
greiflich, wenn man bedenkt, dass das Radium in Jahrzehnten kaum
einen Bruchteil seines Wertes und damit seiner Energiestrahlung ein-
büsst, während das Mesothorium nach etwa 10 Jahren nur noch etwa
die Hälfte seines ursprünglichen Wertes besitzt. Wir haben nämlich
beim Mesothorium mit der Tatsache zu rechnen, dass ein frisch
hergestelltes Mesothoriumpräparat zunächst noch einen Anstieg über
den ursprünglichen Wert zeigt, derart, dass das Maximum der Aktivi¬
tät nach ungefähr 3 Jahren erreicht wird, und erst nach 10 Jahren
geht der Abbau des Präparates mit seiner Zerfallskonstante von
534 Jahren vor sich. Diese Zahlen gelten unter der Voraussetzung,
dass ursprünglich vollkommen reines (also nicht mit anderen radio¬
aktiven Substanzen vermischtes) Mesothorium vorliegt.
Nun enthält aber das technisch hergestellte Mesothorium immer
einen bestimmten Prozentsatz Radium. Die Menge des Radiums
richtet sich nach dem Urangehalt des Ausgangsmaterials. In den
meisten Fällen ist das Verhältnis vom Mesothor zum Radium etwa
3:1. Es werden also in technischem Mesothor von 100mg Aktivität
75 mg vom Mesothor und
25 mg vom Radium her¬
rühren. Dementspre¬
chend ist auch die Strah¬
lung eine kombinierte
und wechselt je nach
dem Alter des Präpa¬
rates, und die Abklingung
erfolgt bei diesem tech¬
nischen Mesothor, wie es
anders im Handel nicht
zu haben ist, nach be¬
liebigen Zeiten immer
langsamer, als der Peri¬
ode des Mesothor ent¬
spricht, weil die 25 Proz.
Radium während dieser
Zeit so gut wie gar nicht
abklingen. Daraus folgt,
dass nach 10 Jahren
die Aktivität noch etwas stärker ist als zur Zeit der Her¬
stellung und nach 20 Jahren ungefähr halb so stark und schliess-
iibri W6nn Ä CS Mesothor zerfallen ist, bleiben die 25 Proz. Radium
Deshalb wird es auch für Bestrahlungszwecke immer von Be¬
deutung sein, zu wissen, welches Alter ein derartiges Präparat seit
seiner Herstellungszeit besitzt.
%
2
2208
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 45.
Ganz ähnliche Erscheinungen müssen wir beim Thorium X, Beweglichkeit der Quarzfäden modifizieren. Big. 4 b zeigt das In¬
dem Zerfallsprodukt des Radiothoriums, berücksichtigen. Man ge- I strument von aussen,
winnt das Thorium X. indem man Radiothor¬
salze mit ganz schwach gesäuertem destillier¬
tem Wasser übergiesst, und erhält so eine
wässerige Thorium-X-Lösung, die für Trink¬
kuren und Injektionszwecke verwandt werden
kann. Auch hier finden wir zunächst einen An¬
stieg derart, dass nach iVz Tagen der Ur¬
sprungswert erreicht ist, von dem ab der Zer¬
fall mit einer Halbwertszeit von 3,7 Tagen ein¬
setzt. Vergl. Fig. 3 a.
a
Bild 4 b.
a Bild 5. bj
Das Thorium X liefert die Thoremanation,
von der man sich gleiche Wirkungen wie von
der Radiumemanation verspricht. Da die Thor¬
emanation in 53 Sekunden zur Hälfte zerfällt,
so ist ihre Anwendung analog der Radium¬
emanation unmöglich. Man ist immer darauf
angewiesen, dem Organismus die Muttersub¬
stanz, also das Thorium X mit einzuverleiben,
so dass dieses im Organismus selbst die Thor¬
emanation zur Produktion bringt. Die Er¬
kenntnis all dieser für die Anwendung wich¬
tigen Regeln verdanken wir den gut durchge¬
bildeten Messinstrumenten und dem Ausbau
der Messmethodik.
Bild 4 a.
2. Messmethoden und Messinstrumente.
An dieser Stelle können natürlich nur die einfachen Messungen
an Beispielen erläutert und auch nur die Messinstrumente erwähnt
werden, die sich in der Praxis erfolgreich eingebürgert haben. Dazu
gehört das Elektrometer nach Th. Wulf und das Fontaktoskop nach
C. En gl er und H. Sieveking oder in verbesserter Form nach
Mache und Meyer.
Jedes vollständige Instrument zur Messung der Radioaktivität
besteht im wesentlichen aus 2 Teilen, dem eigentlichen Messinstru¬
ment und dem Ionisationsraum.
Alle Messinstrumente benutzen die bekannte Eigenschaft der
Elektrizität, dass sich elektrisch geladene Körper gleichen Vorzeichens
abstossen, ungleichen Vorzeichens aber anziehen. Ein Aluminium¬
blättchen wird an einem Metallstab befestigt und das Ganze isoliert
aufgestellt. Wird mit Hilfe eines durch Reiben elektrisierten Hart¬
gummistabes oder durch direkte Berührung mit einem Zelluloidstab
dieser Vorrichtung eine elektrische Ladung erteilt, so spreizt sich
das Blättchen und bleibt in einer Lage stehen, die ein Mass für die
Menge der heraufgebrachten Elektrizität abgibt. Wird eine sorgfältig
isolierte Metallstange mit Elektrizität geladen, so ist in trockener
Luft kein nennenswerter Verlust an Ladung wahrzunehmen, und die
Stange behält stundenlang ihre Ladung, weil die neutralen Luft¬
partikelchen ein Weiterleiten der Elektrizität in ihrer Eigenschaft
als schlechte Leiter nicht zulassen. Wird nun ein radioaktiver Körper
in ihre Nähe gebracht, so werden durch die von ihm ausgeschleuderten
Strahlen oder Teilchen die umgebenden Luftpartikelchen ionisiert,
d. h. elektrisch leitend gemacht. Die Blättchen fallen allmählich zu¬
sammen und zwar umso rascher, je stärker das Radiumpräparat
ist oder je näher es herangeführt wird.
Die Ablesung des Zusammenfalles der Blättchen wird mit Hilfe
einer sich spiegelnden Skala, Ablesemikroskop oder Vergrösserungs-
glas, genau verfolgt und zeitlich mit Hilfe einer Stoppuhr fixiert.
Alle Instrumente sind mit einer Eichtabelle oder Kurventafel
versehen, aus welcher sich ergibt, wieviel Aufladespannung notwendig
ist, um die Blättchen bis einem bestimmten Punkte auseinander
zu spreizen, so dass man umgekehrt jederzeit zu einer bestimmten
abgelesenen Blättchenstellung die zugehörige Spannung, d. h. Volt¬
zahl, ablesen kann.
a) Das Fadenelektrometer von Th. Wulf.
Dasselbe besitzt wie Bild 4 zeigt, 2 Quarzfäden F, die einige
Zentimeter lang, etwa 0,001 mm dick sind und durch Kathoden¬
zerstäubung elektrisch leitend gemacht sind. Die Fäden sind durch
leitende Verbindung mit dem Zerstreuungskörper Z verbunden und
werden an ihrem unteren Ende durch die isolierten Quarzbügel Q
gespannt. Der Zerstreuungskörper ragt nach oben in eine aufgesetzte
Metallglocke A hinein und kann von aussen direkt aufgeladen werden.
Der ganze Luftraum im Innern der Glocke konzentrisch um diesen
Zerstreuungsstab herum bis an die seitlichen Metallwände stellt den
Ionisationsraum dar, welcher im ganzen oder auch in allen seinen
Teilen die Fortführung der Elektrizität über die Metallwände zur
Erde zu übernehmen hat.
Im Normalzustände setzen die nichtleitenden Luftteilchen der
Ableitung der Elektrizität vom Stabe rings zur Glocke ein Hindernis
entgegen. Treffen Radiumstrahlen auf die Luftteilchen, so lassen
diese den Uebergang der Elektrizität zu.
Bringt man eine Ladung auf das Instrument, so stossen sich die
beiden Fäden bogenförmig ab. Die Grösse der Abstossung wird mit
Hilfe eines Mikroskopokulars abgelesen. Die Empfindlichkeit des
Instrumentes kann nach Bedürfnis abgeändert werden, da die Quarz¬
fäden von 2 Kondcnsatorplatten S S umgeben sind, die durch die
Zuleitung K beliebig geladen werden können und dadurch die
b) Das Fontaktoskop nach C. Engler und H. Sieve¬
king.
Nicht so empfindlich wie das Wulf sehe Elektrometer ist das
Fontaktoskop nach C. Engler und H. Sieveking. Aber auch
hier kann man mit beträchtlicher Genauigkeit noch geringe Aktivi¬
täten messen.
Das Fontaktoskop besteht aus folgenden Teilen: einem Elektro-
skop mit Zerstreuungsstab Z und einer 2 Liter bzw. 10 Liter fassen¬
den Blechkanne J, welche den Ionisationsraum in sich birgt. (Ver¬
gleiche Bild 5.)
Das Elektroskop zeigt im wesentlichen einen vorn und hinten
mit Glasscheiben bedeckten Kopfteil, in dessen Innenraum zentrisch
eine Metallstange von oben nach unten verläuft, welche in einer
Bernsteinplatte isoliert eingelassen ist. An den Metallstab sind oben
2 Aluminiumblättchen befestigt, die in der Ruhe durch 2 seitlich be¬
wegliche, einschiebbare Schutzbacken S geschützt werden können.
Der Metallstab ist nach unten verlängert durch den schon bekannten
Zerstreuungsstab Z, welcher eingeschoben wird und dann in die
Messkanne, d. h. den Ionisationsraum durch die Oeffnung des Metall-
fusses hineinragt. Die Bewegung der Blättchen wird durch eine
Lupe beobachtet, während gleichzeitig die Blättchenstellung an einer
sich spiegelnden Messskala fixiert wird. Diese Skala hat von der*
Mitte betrachtet nach jeder Seite 20 Teilstriche — in Summa also 40.
Der Nullpunkt wird in die Mitte der Skala gelegt gedacht.
Zu den Messkannen gehört ein Gummistopfen, um für das
Schütteln die Kannen luftdicht zu verschliessen, denn die Emanations¬
prüfung wird dadurch erreicht, dass die herausgeschüttelte Emanation
die Luft elektrisch macht, welche sich zwischen dem in die Kanne
ragenden Zerstreuungsstab und den ringsumgebenden Kannenwan¬
dungen befindet. Mit Hilfe einer Stoppuhr wird beobachtet, wie rasch
die Elektrizität vom Elektroskop, d. h. vom Zerstreuungsstab über
die leitenden Luftteilchen zur Kanne und damit zur Erde abfliesst.
c) Für die Ausführung von Messungen, besonders für die Eichung
starker Radiumpräparate ist es von grösster Bedeutung geworden,
dass man Ende 1913 ein internationales Standardpräparat geschaffen
hat, das in Sevres bei Paris aufbewahrt wird und welches in Ueber-
einstimmung befunden wurde mit österreichischen Präparaten, die im
Wiener Radiuminstitut deponiert sind. Auf diese Standardpräparate
sind eine ganze Reihe von Präparaten eingestellt worden, die wieder
als Unterstandard bei den einzelnen Regierungen aufbewahrt werden,
so z. B. in Berlin in der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
und in Freiberg-Sachsen im Radiuminstitut der Kgl. Bergakademie.
Es kann aber natürlich auch jedes Institut und jeder Privatmann sein
Radiumpräparat entsprechend eichen lassen, das dann als Standard
Verwendung finden kann unter der Voraussetzung, dass an dem
emanationsdichten Verschluss keine Veränderung vorgenommen wird.
Die Messung aller Bestrahlungspräparate erfolgt nun in der ein¬
fachsten Weise, indem man das Wulf sehe Elektrometer oder auch
ein anderes Messinstrument in eine genau fixierte Lage bringt
und dass man das zu untersuchende Präparat, wie auch das Standard
selbst, in einem bestimmten Abstand hinter Bleiplatten verborgen auf
das Messinstrument einwirken lässt. Die Voraussetzung ist, dass
alle Präparate emanationsdicht eingeschlossen sind. Die Prüfung auf
Emanationsdichte geschieht wie folgt:
Man löst bei einer 2 bzw. 10 Liter Messkanne den Boden des
Gefässes ab, so dass die Kanne unten offen ist. Man bestimmt bei
der so hergerichteten Kanne den Normalverlust. Alsdann schiebt man
das Radiumsalz unter die Kanne und lässt es eine Minute oder länger
dort liegen. Nach dieser Zeit hebt man die Kanne vorsichtig auf,
nimmt das Radium darunter fort und setzt die Kanne dann rasch
und sorgsam wieder nieder. Nunmehr beobachtet man, ob der Nor¬
malverlust der Kanne angestiegen ist. Wenn dies der Fall, dann ist
das Präparat nicht dicht verschlossen, muss also neu gedichtet
in. November 191-4.
MUENCHENKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
v’ erden. Es ist selbstverständlicli, dass alle anderen Radiumpräpa-
ate aus dem Zimmer entfernt werden, ehe die Messung erfolgt.
Nunmehr wird das Standardpräparat hinter den Bleiplatten
xiert, welche, je nach der Stärke des Präparates. 20—50 cm vom
nstrument entfernt sein können. Es wird mit Hilfe einer Stoppuhr
eobachtet, wie rasch die Entladung über eine bestimmte Strecke vor
ich geht. Beim Wulf sehen Elektrometer empfiehlt es sich, auf
twa 75 Skalenteile beiderseits aufzuladen und dann den Abfall von
P auf 50 zeitlich festzulegen. Dies entspricht nach der zugehörigen
abclle etwa einem Voltabfall von 59. Beobachtete man diesen
pannungsabfall von 59 Volt beispielsweise in 36 Sekunden, so würde
as pro Stunde einen Voltabfali von 5900 Volt bedeuten. Von
i es ein Spannungsabfall ist der sogen. Leerabfall oder Normalverlust
1 Abzug zu bringen, das ist derjenige Spannungsverlust, der bei
‘dem Instrument beobachtet wird und der auf die Emanation der
rdoberfläche oder andere Vorgänge zurückgeführt wird. Dieser
pannungsabfall beträgt bei neuen Instrumenten pro Stunde nicht
iehr als 10 — 50 Volt. Man beobachtet ihn vor der eigentlichen
lessung, indem man z. B. während 10 Minuten den Spannungsabfall
es Instrumentes abliest, das natürlich fern von jedem radioaktiven
toffe aufgebaut sein muss. Der 6 fache Wert des Beobachteten gibt
ann den Normalabfall pro Stunde. Nunmehr bringen wir genau an
e Stelle des zu untersuchenden Präparates unser Standardpräparat,
is beispielsweise 10 mg Radiurrtbromid enthalten möge. Wir be¬
dachten wieder die gleiche Strecke von 70 auf 50 und finden, dass
ese Strecke bei unserem Standardpräparat in 72 Sekunden durch-
ufen wird. Wir finden also, dass unser Standardpräparat 59 X 50
2950 Volt pro Stunde entspricht. Der Normalverlust möge in bei-
?n Fällen 50 Volt betragen. Unter Abzug des Normalverlustes haben
ir sonach für unser unbekanntes Präparat einen Spannungsabfall
)n 5850 Volt, für das Standardpräoarat einen Spannungsabfall von
'00 Volt gefunden. Wir erhalten also:
Unser unbekanntes Präparat x verhält sich zu dem Standard-
äparat, dessen Schalt 10mg Radiumbromid beträgt, wie 5850:2900.
ir erhalten also die Gleichung: x: 10 = 5850:2900. x =
20,02 mg Radiumbromid. Bei dieser Gelegenheit sei darauf hin¬
wiesen, dass beim Ankauf von Radiumpräparaten die grösste Vor-
:ht geboten ist. Vielfach werden Präparate angeboten, die nicht
5 Radiumbromid, sondern als Radiumbromid + Wasser (RaBr»
2 H;Q) deklariert sind.
Radiumbromid enthält allgemein 2 Moleküle Kristallwasser. Da
ch der früheren Tabelle das Molekulargewicht für Radium-
omid (RaBrs) 386 beträgt, so kommt für RaBra + 2 HaO, d. h. plus
asser. ein Molekulargewicht von 422 heraus; für Waser ist das
alekulargewicht 18 zu setzen, für 2 Moleküle Kristallwasser also
Wird beispielsweise RaBra + 2 HaO. wie das besonders in Frank-
ch beliebt ist, sagen wir zu M. 340 offeriert, so kostet tatsächlich
«s Milligramm Radiumbromid , gleich rund 372 M. Es emp-
:hlt sich, wenn irgend möglich, sich den Preis für Radiummetall
; geben zu lassen, weil man dann sicher ist, dass man nur die strah-
iide Materie, das Radium, selbst bezahlt. 372 M. für Radiumbromid
Beben auf Radiummetall berechnet — — = 635 M.
d) Für die Prüfung von Quellwässern oder Salzen, die in Wasser
-er in Säuren löslich sind, verfährt man in der Weise, dass die
1 tivität der Emanation aus der Lösung durch Kochen ausgetrieben
;rd und in einem geeigneten Messzvlinder mit der Emanation einer
i derselben Weise behandelten Radiumnormallösung verglichen
'rd. Auf Grund dieser Messungen wird der Emanationsgehalt der
1 ersuchten Lösung in Millicurie angegeben. 1 Millicurie ist der
t sendste Teil von einem Curie, d. h. von derjenigen Emanations-
r nge, welche sich mit einem Gramm Radium im radioaktiven Gleich-
‘ -vicht befindet. Die Messgenauigkeit, die bei dieser Methode er-
■;ht werden kann, beträgt etwa 5 Proz. Unter Verwendung des
Q H. Mache und St. Meyer angegebenen Reduktionsfaktors
I Millicurie — 2.7 X108 Mache-Einheiten) kann der in Millicurie
uegebene Emanationsgehalt ausserdem auch in Mache-Einheiten an-
-ceben werden.
Bücheranzeigen und Referate.
Emil Abderhalden - Halle a. S. : Abwehrfermente. Das Auf-
ten blutfremder Substrate und Fermente im tierischen Organismus
1 er experimentellen, physiologischen und pathologischen Be¬
dungen. Vierte, bedeutend erweiterte Auflage. Berlin 1914.
Lus Springer. Preis 12 Mark.
Innerhalb zweier Jahre jetzt die vierte Auflage und ein An-
'chsen des Buches von 110 auf 404 Seiten! Eine Tatsache, die
; Genüge für die ausserordentliche Arbeit spricht, die in dieser
' zen Zeitspanne auf diesem Gebiete geleistet ist, aber auch von
bi Interesse, mit dem die ganze medizinische Welt die neuen Er¬
lösungen verfolgt.
Inzwischen hat der letzte Wiesbadener Kongress eine mündliche
bsprache gebracht und wohl jeder Teilnehmer ist überrascht ge-
^sen durch die geradezu frappierende Gegensätzlichkeit der Urteile
br Wert und Unwert der Methode, wie sie kaum je in wlssen-
1 aftlichen Dingen erhört gewesen ist. Der Kernpunkt dieser Un-
1 icrheit liegt zweifellos in der ausserordentlich grossen Rolle,
die dem subjektiven Urteil in der Deutung der Reaktion zugewiesen
ist, und so konnte der unbeteiligte Hörer nicht anders, als für sich
ein stilles „non liquet“ sprechen. An dem früher hier schon ausge¬
sprochenen Werte des Studiums des ganzen erst durch Abder¬
halden erschlossenen Forschungsgebietes ist jedoch trotz aller
Zweifel nicht zu rütteln. L. Saat hoff - Oberstdorf.
p.. Lipo wsk 1, Chefarzt der inneren Abteilung der städt.
Diakonissenanstalt in Bromberg: Kompendium der Arzneimittellehre
mit besonderer Berücksichtigung der neuen Arzneimittel, der Or¬
ganotherapie, Serologie und Nährpräparate. Verlag von Urban &
Schwarzenberg. Berlin-Wien 1914. 256 Seiten. Preis ge¬
bunden 5 Mark.
L i p 0 w s k i, der 1908 eine Anleitung zur Beurteilung und Be¬
wertung der wichtigeren neueren Arzneimittel schrieb, hat nun die
Arzneimittellehre in kurzer Form bearbeitet.
Die Einteilung des Stoffes richtet sich dem praktischen Bedürfnis
entsprechend im grossen und ganzen nach den Organen, die in
erster Linie therapeutisch beeinflusst werden. Die Auswahl der
Arzneimittel, insbesondere der neueren, die nur insoweit berück¬
sichtigt sind, als ihr Wert einwandfrei sichergestellt ist, ist dem
Verfasser gut geglückt. Trotz der Kürze der Darstellung sind
manche praktische Winke eingeflochten. Ein Ueberblick über Organo¬
therapie, Serologie und Nährpräparate bildet den Schluss. Nur in
den als Anhang beigefügten chemischen Formeln dürfte der Stellung
der Kohlenstoffe in der aromatischen Reihe etwas mehr Sorgfalt
gewidmet sein.
Die frische, leicht verständliche Darstellung, die Berücksich¬
tigung der modernen Anschauungen über Wirkungsmechanismus
sichern dem Buche einen ausgedehnten Leserkreis.
A. Jodlbauer.
Oesterreichisches Bäderbuch. Offizielles Handbuch der Bäder,
Kurorte und Heilanstalten Oesterreichs. Ueber Veranlassung und mit
Unterstützung des k. k. Ministeriums des Inneren auf Grund des
amtlich eingeholten Materiales verfasst und herausgegeben vom
kaiserl. Rat Dr. Karl D i e m. Mit 2 Karten. Verlag von Urban
& Schwarzenberg, Berlin und Wien 1914. Preis geh. 40 M.
816 Seiten.
Das vorliegende, unter Mitwirkung namhafter Gelehrten ent¬
standene Werk ist das Ergebnis einer zehnjährigen, mühseligen
Riesenarbeit des Verfassers und darf als völlig ebenbürtig dem
deutschen, 1907 erschienenen Bäderbuch an die Seite gestellt werden.
Wie dieses gliedert es sich in einen allgemeinen und einen speziellen
Teil.
Eine kritische Besprechung der wissenschaftlichen Arbeiten des
allgemeinen Teiles erübrigt sich; es seien nur — um zu zeigen, wie
reichhaltig und vielseitig dieser Abschnitt ist und welch glänzende
Namen sich unter den Bearbeitern dieses Teils finden — die Arbeiten
einzeln angeführt: Landeskundliche Skizze von Oesterreich von
N. K r e b s. Die geologischen Verhältnisse der Heilquellen Oester¬
reichs von R. Schubert. Die klimatischen Faktoren vom balneo-
logischen Standpunkte und allgemeine Uebersicht über die klima¬
tischen Bezirke Oesterreichs von J. Hann. Ueber die chemische
Zusammensetzung der Mineralwässer und ihre Klassifikation von
E. Ludwig. Pharmakologische Gesichtspunkte in der Balneologie
von Hans H. Meyer. Die praktische Anwendung der Mineral¬
wässer von N. O r t n e r. Hydrotherapie in Wasserheilanstalten und
Kurorten von A. Strasse r. Wechselwirkungen zwischen Baineo¬
technik und Balneotherapie von A. Loebel. Radiumtheraoie von
F. Dautnik. Die Radioaktivität der Heilquellen und die Technik
ihrer Verwertung von J. T u m a. Grundzüge der Mineralquellen¬
technik, Topik, Physiographie und Statik: Fassung. Behandlung und
Verwendung von Mineralquellen von J. K n a 1 1. Kurorthygiene von
K. Zörkendörfer. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Kur¬
orte von J. S 1 0 k a r.
Im speziellen Teil werden die Kurorte, eingeteilt in Mineral¬
quellen, Moorbäder, Seebäder und Luftkurorte, einzeln besprochen.
Die chemischen Analysen der verschiedenen Quellen sind in der glei¬
chen Weise wie im deutschen Bäderbuch in Form der Berechnung auf
Ionen (Metalle und Säurereste) dargestellt, und dazu kommen An¬
gaben über die geographischen und geologischen sowie die klima¬
tischen Verhältnisse. Ein eigener Abschnitt bringt dann noch die
verschiedenen Heilanstalten Oesterreichs (Sanatorien, Wasserheil¬
anstalten, Ambulatorien etc.). Den für die wissenschaftliche Be¬
urteilung erforderlichen Daten reihen sich an Angaben über Ver¬
pflegung, Unterkunft. Aerzte. Apotheker. Vergnügungen und Sport¬
gelegenheiten, beiläufige Kurkosten. Verkehr u. a.
Dass das Werk eine empfindliche Lücke in bester Weise ausfüllt
und als Nachschlagewerk für viele Zwecke unentbehrlich sein wird,
braucht wohl nicht eigens hervorgehoben zu werden.
Lindemann - München.
Neueste Journalliteratur.
Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. B r 11 n s.
93. Band, 2. Heft. Tübingen, Laupp, 1914. (Schluss.)
Wilhelm Pettenkofer gibt ebenfalls aus der Münchener
Klinik einen Beitrag zur operativen Behandlung zweiseitiger
Strumen. Er plädiert für präliminare Unterbindung der Art. thyreoid.
2210
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4:
im. und sup., Fortnahme des Isthmus mit nachfolgender Resektion,
indem er zum Schutz des Nv. recurrens und des unteren Epithel¬
körperchens stets einen Drüsenrest zurücklässt. Diese Operation in
18 — 19 Fällen systematisch ausgeführt, hatte vorzügliches kos¬
metisches Resultat. P. hat alle seine Fälle in Narkose operiert
und glaubt nicht, dass die vorsichtige Aethernarkose melir schädigt
als der psychische Schock bei Verzicht auf Allgemeinnarkose. Post¬
operative Erscheinungen von Insuffizienz der Epithelkörperchen hat
P. nie beobachtet. Die durchschnittliche Heilungsdauer beträgt fünf
Wochen.
Fritz Genewein berichtet aus der chirurgischen Poliklinik
in München über „Selbstheilung“ eines traumatischen Aneurysma
und schildert unter Beigabe von Abbildungen einen Fall traumati¬
schen Aneurysmas der Axillaris näher, der mit hochgradigen Folge¬
erscheinungen den Arm zu einem gebrauchsunfähigen und lästigen
Körperteil machte, der aber (da Operation verweigert wurde)
schliesslich ohne jede Therapie durch' Thrombosierung des aneu-
rysmatischen Sackes, Rückgang der Venenstauung etc. wieder zu
annähernd normalem Aussehen und Gebrauchsfähigkeit für grobe
Arbeit gelangte.
P. L. Friedrich bespricht aus der Königsberger Klinik die
dekompressive Thoraxsprengung durch longitudinale Sternotomie bei
die Luftwege komprimierendem Aneurysma und Tumoren des Me¬
diastinums und teilt eine Reihe von betreffenden Fällen näher mit
(u. a. 2 Fälle sehr ausgedehnter mediastinaler Tumoren, in denen
hiedurch die drohende Lebensgefahr behoben und Zeit für Röntgen¬
tiefenbestrahlung gewonnen wurde). Bei tiefem Sitz der Stenose
der Trachea oder Hauptbronchen ist die Tracheotomie aufzugeben
und die dekompressive Thoraxsprengung durch transversale oder
longitudinale Sternotomie auszuführen.
Hans B o i t berichtet aus der gleichen Klinik über die Be¬
deutung und die Schädigung des Pleuraendothels bei Operationen
und beim künstlichen Pneumothorax und kommt durch seine Tier¬
versuche zu dem Schluss, dass die Endothelzellen der Pleura hoch¬
organisierte Zellen sind, welche die Pleurahöhle weitgehend gegen
Infektion zu schützen vermögen, andererseits aber sehr leicht lädiert
und vernichtet werden können, dass selbst die physiologische Koch¬
salzlösung nicht als eine indifferente Flüssigkeit anzusehen, so dass
bei therapeutischen Massnahmen, besonders in der Brust- und Bauch¬
höhle, die Forderung berechtigt erscheint, sie durch eine physio¬
logischere (Ringer sehe Lösung) zu ersetzen. — Durch operative
Läsion und durch die Einwirkung von Luft und Oasen wird das
Pleuraendothel (das durch Phagozytose und bakterizide Kräfte Bak¬
terien zu vernichten vermag) geschädigt und zerstört und damit
das wesentliche Moment für das Zustandekommen einer Infektion
von aussen oder von der Lunge her gegeben.
Der gleiche Autor berichtet über die Anästhesierung des Plexus
braehialis nach Kulenkampff auf Grund von über 200 Fällen. Von
160 selbstbeobachteten Pat. hatte keiner eine länger dauernde oder
bleibende Schädigung durch die Plexusanästhesie behalten. Er stimmt
mit IT a e r t e 1 und K e p p 1 e r überein, dass bei manifesten Stö¬
rungen seitens des Plexus die Kulenkampff sehe Anästhesie nicht
anzuwenden ist und bestätigt deren Angabe, dass Phrenikuslähmung
nicht selten derselben folgt; in der Regel war sie aber nach 3 bis
4 Stunden geschwunden. Nie hat B. danach bronchiale oder Lungen¬
komplikationen gesehen. Ist bei- Lungenaffektionen ein ohne An¬
ästhesie nicht ausführbarer Eingriff nötig, so ist die Plexusanästhesie
trotz der vorübergehenden Phrenikuslähmung als die harmlosere Me¬
thode der Allgemeinnarkose vorzuziehen, falls nicht die Oberst-
sche Anästhesie oder die Umspritzung möglich ist B. empfiehlt zur
Vermeidung traumatischer Läsion des Plexus die Braunschen
feinen, kurz abgeschliffenen Hohlnadeln.
Martin Jastram berichtet aus der Königsberger Klinik über
Aneurysmenbildung der Art. carotis externa und teilt mit Beschrei¬
bung des Präparates einen Fall walnussgrossen Aneurysmas mit, das
bei vollständigem Fehlen der Pulsation für einen entzündlichen
Tumor angesehen worden urd inzidiert worden war.
W. Carl bespricht (ebenfalls aus der Königsberger Klinik) die
Immobilisierung und Schrumpfung der Lunge durch einseitige Phre¬
nikusresektion und deren Einfluss auf die experimentelle Lungen¬
tuberkulose und kommt nach seinen Tierversuchen unter eingehender
Beschreibung der Versuchsprotokolle und der Röntgenogramme, Ab¬
bildungen und Präparate zu dem Schluss, dass durch die Ausschal¬
tung des Zwerchfells eine Schrumpfung des knöchernen Thorax her¬
vorgerufen wird, dass die Einengung des Volumens der Lunge in
einzelnen Fällen eine äusserst hochgradige, die Schrumpfung des
Lungengewebes nicht in allen Fällen gleich stark gewesen.
Rud. Linke gibt aus der gleichen Klinik einen Beitrag zur
Kenntnis, Kasuistik und Therapie der akuten atoniscnen Magen -
dilatation und teilt 3 Fälle der Friedrich sehen Klinik näher mit,
in denen das charakteristische Symptomenbild (plötzlich eintretendes
starkes Erbrechen gewaltiger schwärzlicher bzw. schwarzgalliger
flüssiger Massen, rasch eintretender Kollaps und enorme Erweiterung
des Magens) typisch vorhanden war und geht auf die Erklärungs¬
versuche desselben (arteriomesenterialer Darmverschluss durch Ab¬
knickung des Duodenums infolge Verlagerung des Duodenums ins kleine
Becken), funktionelle Störungen der Magenmuskulatur durch mecha¬
nische und toxische Einwirkungen näher ein und neigt sich auch der
Auffassung zu, dass zentralnervöse Einflüsse (Stieda, v. Herff) hie¬
bei eine Rolle spielen, wie auch die Bedeutung der Narkose hic
von grosser Wichtigkeit ist, indem durch Tierversuche nach de
Narkose eine Magenblähung konstatiert werden konnte und bei de
meisten Patienten unmittelbar nach dem Ausklingen einer Narkos
eine deutliche Atonie und Erweiterung des Magens in Erscheinun:
tritt. Eine Lähmung der Magenmuskulatur ist wohl in den meiste)
Fällen Ursache der akuten Magendilatation, sie kann verursacht seii
durch zentrale, die periphere durch mechanische und toxisch in
fektiöse direkte Schädigung der Muskelfasern, vielleicht auch durcl
Störung der inneren Sekretion. Betreff der Therapie ist die voi
Schnitzler empfohlene Bauchlage, die von Bäum ler emp
fohlene Knieellenbogenlage, ev. rechte Seitenlage (S. Müller) wie
derholte Entleerung des Magens mit dem Magenschlauch und Dauer
drainage des Magens zu raten. Die von K u n d r a t und anderei
empfohlene Gastroenterostomie ist bei akuter Magenblähung zweckloti
und aus der Therapie derselben zu streichen und der Standpunkt
derer gerechtfertigt, die vor jeder operativen Behandlung des Leiden-
warnen. L. gibt eine Uebersicht über 173 Fälle (für die sich 54 Proz:
Mortalität berechnet). Frühzeitige Diagnose ist hier das wichtigste!
Die Gesamtzahl der Mitteilungen beträgt über 200. Nach Opera¬
tionen und Narkose wurden 105 Fälle (mit 45,7 Proz. Mortalität!
beobachtet. —
Aus der chirurgischen Klinik und Kinderklinik des Johns Hop
k i n s sehen Spitals in Baltimore geben Walter E. Dandy und Kenetl
D. B 1 a c k f a n eine experimentelle Arbeit über Hydrocephalus in¬
ternus (eine experimentelle klinische und pathologische Untersuchung),!
die mit zahlreichen instruktiven Abbildungen ausgestattet, über
eingehende Versuche, Hydrozephalus experimentell zu produzieren
(durch Verschluss des Aquaeduct. Sylvii und solchen mit nachfolgen¬
der Exstirpation des Plexus chor. beider Seitenventrikel), berichtet,:
die erwiesen, dass ein einfacher mechanischer Verschluss des Aquae¬
ductus Sylvii regelmässig zu Hydroceph. int. führt, und dass den
Aquaeduct. Sylvii zur Ableitung der Zerebrospinalflüssigkeit nötig!
ist. Des weiteren werden Versuche über die Unterbindung der Vena
magna Galeni und deren Effekt berichtet und das Problem der Bil¬
dung der Zerebrospinalflüssigkeit ,die Art der Bildung derselben, die
Resorption derselben etc. auf Grund bestimmter Versuche eingehend
besprochen. In einem zweiten Teile geben die Autoren unter Be¬
sprechung zahlreicher Fälle klinisch-pathologischer Studien über Hy-
drocephalus int. und zwar in zwei Gruppen, nämlich: 1. Hydro¬
cephalus int. mit Verschluss des Austrittskanals aus den Ventrikeln,
2. Hydroc. int. mit freier Kommunikation zwischen den Ventrikeln
und dem Subarachnoidealraum; sie gehen auf die Beziehungen der
Meningitis, der venösen Stauung etc. zu Hydroc. int. näher ein.
Die Art der etwaigen chirurgischen Behandlung hat sich nach der
vorliegenden Varietät von Hydroc. int. zu richten. Beim obstruk-i
tiven Typus muss das Hindernis, wenn möglich, entfernt werden,
beim kommunizierenden Typus müsste man das Areal der zur
Flüssigkeitsresorption dienenden Fläche vergrössern. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 43.
Dr. Joh. K u m a r i s - Athen: Zur Beseitigung des Aszites.
Verf. berichtet kurz über eine Heilung von Aszites dadurch, dass
er eine grosse Partie des parietalen Peritoneums aus der Bauch¬
höhle entfernte und so reichliche Verwachsungen zwischen Bauch¬
wand und Eingeweiden hervorrief. 6 Monate nach der Operation
waren Oedeme und Aszites nicht wieder aufgetreten.
Dr. Georg Wilhelm S c h i e 1 e - Naumburg a. S.: Hochprozentige
Karbol-Kampferspiritusinjektionen gegen Phlegmonen in Gelenken
und Sehnenscheiden.
Verf. empfiehlt folgende Lösung zur Behandlung von Gelenk-
und Sehnenscheidenphlegmonen: Acid. carbol. liquefact. 30,0, Camphor.
trit. 50,0, Spirit, vin. 8,0. Davon spritzt er 1 mal oder öfters je 5 ccm
in das kranke Gelenk ein. Seine Erfolge damit sind sehr gute, wie er
an 5 Beispielen kurz erläutert: die Gelenke oder Sehnen blieben er¬
halten und behielten ihre normale Funktion.
E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 43, 1914.
A. M a y e r - Tübingen: Ueber den Geburtmechanismus bei durch
traumatischen Pfannenbruch und zentrale Luxation des Oberschcnkel-
kopfes verengtem Becken.
M. beobachtete 2 Fälle von Spontangeburt bei der an sich schon
sehr seltenen, in der Ueberschrift näher bezeichneten Komplikation
und beschreibt deren Geburtmechanismus genauer. Es handelte sich,
kurz gesagt, dabei um eine Kombination des Geburtsmechanismus
beim platten und allgemein verengten Becken. Im ersten Falle han¬
delte es sich beim kindlichen Kopfe zuerst um „weitständige“ Ein¬
stellung, dann „schräge“ hintere Scheitelbeinstellung, hierauf Nach-
rückcn der grossen Fontanelle und schliesslich Geburt in Hinterhaupts¬
lage. Beim zweiten Falle, der anatomisch ähnlich las>\ war zuerst
„engständige“ Einstellung der Pfcilnaht, dann Zurückbleiben des Vor¬
derhauptes am Tumor und maximales Herabtreten des Hinterhauptes,
hierauf Abrollen des Vorderhauptes am Tumor und nachträgliches
Herabdrücken desselben, endlich Spontangeburt in erster Vorder¬
hauptslage. Unter „Tumor“ ist hierbei der ins Becken prominente
Fixierte Kopf des Femur zu verstehen. J a f f 6 - Hamburg.
10. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2211
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. XIII, 1914. Nr. 4
Alex. Brinckmann - Christiania : Der Dermographismus im
Kindesalter. (Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Berlin.)
Bei den meisten Kindern entsteht durch mechanisches Streichen
der Haut eine mehr oder weniger deutliche rote Linie, welche die
natürliche Reaktion des Körpers auf einen Reiz darstellt. Wenn
diese rote Linie besonders ausgesprochen ist, nennt man das Phäno¬
men Dermographismus und es gilt als ein Zeichen einer erhöhten Irri¬
tabilität des Gefässnervensystems. Diese Labilität der Vasomotoren
findet man ausser bei verschiedenen Krankheiten auch bei Gesunden,
und man kann daher aus dieser partiellen Empfindlichkeit eine ge¬
steigerte Irritabilität des gesamten Nervensystems nicht schliessen.
Für die Diagnose der Neuropathie im gewöhnlichen Sinne des Wortes
hat also die Dermographie keine Bedeutung, auch nicht, wie es
scheint, für die Diagnose der exsudativen Diathese.
F. Lust: Zur Praxis und Theorie des F r i e d m a n n sehen
Tuberkulosemittels. (Aus der Heidelberger Kinderklinik.)
Vortrag, gehalten in der Versammlung Südwestdeutscher und
Münchener Kinderärzte in Stuttgart. (Vergl. das Referat über diese
Versammlung in dieser Wochenschrift.)
Heinrich Davidsohn: Ueber die Azidität im Mageninhalt der
Säuglinge. (Aus dem Waisenhaus und Kinderasyl der Stadt Berlin.
Oberarzt: Prof. F i n k e 1 s t e i n.)
Den früher publizierten Anschauungen D.s über die Azidität im
Mageninhalt liegt umfangreiches Material zugrunde. D. versucht, die
Divergenz in seinen und den jüngst von Schackwitz publizierten
Ergebnissen aufzuklären. Ursache: Verschiedenheit der Methodik.
I). wird Parallelversuche mit beiden Methoden in Angriff nehmen.
0. Herbst: Eine historische Bemerkung zum Krankheitsbilde
der rezidivierenden Nabelkoliken bei Kindern. (Aus dem Grossen-
Friedrich-Waisenhaus der Stadt Berlin in Berlin-Lichtenberg. Leiten¬
der Arzt: Prof. E. Müller.)
Dies Krankheitsbild wurde bereits vor F r i e d j u n g und M o r o
von dem Münchener Kinderarzt Wertheimber beschrieben.
Georg Siewczynski: Zur Therapie der Larynxstenosen im
Kindesalter. (Aus dem Kinderkrankenhause in Bremen. Dir. Arzt:
Dr. S c h e 1 b 1 e.)
Man soll möglichst versuchen, ohne Operation der Larynxstenose
durchzukommen. Hiebei spielt die Verwendung von Narkoticis eine
grosse Rolle. Besonders werden Narkophin und Chloralhydrat emp¬
fohlen. S. ist gerade kein Freund der Intubation. Er zieht sie nur bei
Säuglingen der Tracheotomie vor. Die Technik der Tracheotomie
wird eingehend besprochen: am Bremer Kinderkrankenhause unter¬
lässt man jede Narkose und übt die quere untere Tracheotomie. Tech¬
nische Details müssen im Original nachgelesen werden.
Albert Uffenheimer - München.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 52. Bd., 3. bis
4. Heft.
H. 0 p p e n h e i m - Berlin: Der Formenreichtum der multiplen
Sklerose.
Von dem reichen Inhalt dieses Aufsatzes, der als Vortrag für
den Berner internationalen Neurologentag bestimmt war, lassen sich
hier nur Bruchstücke referieren. Verf. unterscheidet zunächst eine
akute, subakute, chronische und eine Etappenform der multiplen
Sklerose. Die akute Form ist durch einige Symptome gekennzeichnet,
die der chronischen fremd sind; das sind vor allem Pupillenstörungen
(minimale Reaktion — reflektorische Starre) und Hypotonie der Mus¬
kulatur. Ferner scheint für die akute Sklerose das ungleichmässige
Verhalten der Knie- und Fussphänomene zu sein, z. B. Verlust des
ersteren und Steigerung des letzteren und umgekehrt, sowie der zeit¬
liche Wechsel derart, dass Verlust und Steigerung mit einander ab¬
wechseln. Die psychischen Erscheinungen, die bei der akuten Form
auftreten, sind meist schwerer Natur. Verf. konnte einen Fall be¬
obachten, der unter dem Bilde einer K o r s a k o f f sehen Psychose
verlief.
Die spinale Gruppe der multiplen Sklerosen lässt sich in eine
dorsale, zervikale, lumbosakrale, sakrale und gemischte Form ein¬
teilen. Der zervikale Typus ist durch seinen akuten bis subakuten
Verlauf und durch die Prävalenz der Hinterstrangsymptome vor den
anderen ausgezeichnet. Der sakrale Typ ist sehr selten und wird
von den Störungen der Blasen und Mastdarmfunktion beherrscht.
Die zerebralen Formen gleichen häufig dem Bilde einer Psychose.
Zum Schlüsse betont Verf., dass es kaum ein Rückenmark- oder
Hirnleiden gäbe, welches nicht in differentialdiagnostischer Beziehung
zu dieser Krankheit stünde. Besondere Schwierigkeiten mache die
Abgrenzung nach dem Tumor medullae spinalis und der Pseudo¬
sklerose.
E. S c h w a r z - Riga: Die heutige Stellung zur Parasyphilis und
äle Beeinflussung der spezifischen Erkrankungen des Nervensystems
durch Salvarsan.
Verf. kommt in seiner umfangreichen Abhandlung zu folgenden
Ergebnissen: Die sog. metasyphilitischen Erkrankungen des Zentral¬
nervensystems sind durch die Spirochaeta pallida erzeugte, echt
syphilitische Erkrankungen, die ihre Entstehung einer Infektion mit
nesonderen Stämmen verdanken. Während die Paralyse unheilbar
ist — wahrscheinlich infolge ganz spezifischer Eigenschaften des
infizierenden Spirochätenstammes — ist die Tabes eine heilbare
Krankheit. Sie ist durch grosse Salvarsandosen und wiederholte
Kuren einer objektiven und subjektiven Besserung zugänglich, wozu
auch vollkommener Schwund aller Liquorveränderungen gehört.
Pathologische Liquorbefunde sind als Vorzeichen von Tabes oder
Paralyse anznsehen, darum ist die Behandlung der Syphilis bis zum
völligen Verschwinden der Liquorveränderungen durchzuführen. Das
Salvarsan ist auch in hohen Dosen ein unschädliches Mittel für das
Zentralnervensystem; es ist nicht neurotrop, sondern nur das syphi¬
litische Virus ist neurotrop. Von den dem Salvarsan zur Last ge¬
legten Todesfällen ist ein Teil durch Lumbalpunktion zu retten resp.
mit Lumbalpunktion und energischer Salvarsantherapie zu vermeiden.
M. H e 1 1 s t e n - Stockholm: Ein Fall von Ganglion Gasseri-
Tumor.
Kasuistik. 0. Renner - Augsburg.
Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. 48. Bd. 1914.
2. Heft.
W e h r 1 e - Berlin: Das Veterinärwesen einschliesslich einiger
verwandter Gebiete in Frankreich.
Der nach den Mitteilungen des landwirtschaftlichen Sachver¬
ständigen beim kais. deutschen Konsulat in Paris, Dr. H a i 1 e r, und
nach anderen Quellen bearbeitete Bericht umfasst das tierärztliche
Personal, den Viehbestand, den Viehverkehr, die Bekämpfung der
Viehseuchen, die Schlachtvieh- und Fleischbeschau. Aus statistischen
Angaben geht u. a. hervor, dass in Paris der Verbrauch von
Schweine- und Pferdefleisch stetig zunimmt, dagegen nimmt der Ver¬
brauch von Rind- und Hammelfleich ab. Obligatorische Trichinen¬
schau gibt es in Frankreich nicht.
W e h r 1 e - Berlin: Das Veterinärwesen einschliesslich einiger
verwandter Gebiete in Britisch-Indien und der Kolonie Ceylon.
Als Unterlagen dienten die Berichte von Dr. H. Fink, Arzt des
kais. Generalkonsulates in Kalkutta, sowie des kais. Konsulates in
Colombo auf Ceylon. Die Zusammenstellung umfasst dieselben Ein¬
zelkapitel wie der vorangehende. Medizinisch bemerkenswert ist,
dass Tierseuchen eine ziemliche Rolle in Indien spielen, von denen
besonders Rotz, Surra, Dourine, Rinderpest, Milzbrand, Hämorrha¬
gische Septikämie, Rauschbrand, Maul- und Klauenseuche, Lyssa ge¬
nannt sein mögen. In Muktesar ist ein Laboratorium eingerichtet, in
welchem der ganze Serumbedarf, mit Ausnahme des Tetanusanti¬
toxins hergestellt wird. Immunisiert und vakziniert wird gegen Rin¬
derpest, Milzbrand, Hämorrhagische Septikämie, Rotz, Tuberkulose
und Pferdedruse.
G m i n d e r - Berlin: Die Behandlung des ansteckenden Scheiden-
katarrhes der Rinder mit Colpltol, Verkalbin, Provaginol. Bissulln
und Eucerinsalbe.
Die Arbeit enthält eine Prüfung der im Handel befindlichen
Mittel gegen den ansteckenden Scheidenkatarrh der Rinder. Das
C o 1 p i t o 1, ein gelblich-weisses Pulver soll die immunisierenden
Stoffe des Erregers enthalten, die durch Adsorption physiologisch
und chemisch an Kolloide gebunden sind. Verkalbin soll neben
Salizyl-Borsäure, Formiaten in Verbindung mit eipem Kampfer,
hochwertige Terpene und Pentene verschiedener Kräuter enthalten.
Die Zusammensetzung des Provaginols wird nicht angegeben,
es besteht nach Untersuchungen im Kais. Gesundheitsamte aus Zink¬
sulfat, Alaun und Borsäure, nebst etwas rotem Bolus. Bissulin
ist Sozojodol-Quecksilber. Die Eucerinsalbe enthält 8 Proz.
Bazillol. Bei einer durchschnittlichen Behandlungsdauer von 33 Tagen
mit Colpitol, Provaginol, Bissulin und Eucerinsalbe und bei 6 tägiger
Behandlung mit Verkalbin konnte in keinem Falle eine Heilung er¬
zielt werden. Besonders wichtig erscheint, dass der ansteckende
Scheidenkatarrh durch Tiere, die längere Zeit behandelt wurden und
auf ihrer Scheidenschleimhaut nur noch wenige blasse Knötchen
aufwiesen, auf gesunde Rinder übertragen werden konnte.
L i n d n e r - Berlin: Die Tuberkulinreaktion beim Schwein.
Bei Läuferschweinen zeigt eine Temperatursteigerung auf mehr
als 41 0 nach der Einspritzung von Tuberkulin Tuberkulose an, bei
älteren Schweinen schon eine Temperatur von mehr als 40,5°, weil
die Temperatur älterer Schweine an sich etwas niedriger ist als die
der Läuferschweine. Glyzerin bringt häufig eine von der des Tuber¬
kulin dem Grad und der Dauer nach nur wenig verschiedene Intra¬
kutanreaktion hervor. Epikutan- und Augenprobe mit Alttuberkulin
eignen sich nicht zur Feststellung der Schweinetuberkulose.
R. 0. N e u m a n n - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 44, 1914.
Anton L e h n e r t - Frankfurt a. M.: Ueber Ekzem und Neuro¬
dermitis im Kindesalter.
Verf. erörtert die differentialdiagnostischen Unterschiede; bei
beiden Erkrankungen konnte er mit dem Karboneol gute Heilresul¬
tate erzielen. Es ist dies eine glänzende, schwarze, dünne Flüssigkeit
von nicht unangenehmem Geruch, die durch Verdampfen einer Lösung
von Steinkohlenteer in Tetrachlorkohlenstoff gewonnen wird. Man
pinselt es 2 mal täglich in dünner Schicht auf.
L. D ü n n e r - Berlin: Zur Frage der diagnostischen Bedeutung
hämoglobinreicher Megalozyten.
Nach den Erfahrungen des Verf. erscheint es wünschenswert, in
Fällen von sekundärer Anämie Blutuntersuchungen anzustellen und
zu eruieren, ob hyperchrome Makrozyten bei sekundärer Anämie nur
2212
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 45
als Kuriosum angesehen werden müssen, oder ob sie in die Sympto¬
matologie der sekundären Anämie, wenn auch als Seltenheiten auf¬
genommen werden dürfen.
E. F r o e h 1 i c h - Berlin: Der Kriegssanitätsdienst in Berlin:
VI. Ueber Schussverletzungen der Armnerven.
Verf. empfiehlt, bei Nervenverletzungen wiederholte genaue
elektrische Prüfungen der entsprechenden Muskeln vorzunehmen, um
zu sehen, ob wirklich volle Leistungsunfähigkeit dauernd besteht.
Im allgemeinen kann man mit einem chirurgischen Eingriff zögern,
weil die Erfolge später gleich gut sind, wie bei sofortigem Eingriff
nach der Verletzung. Nur ganz besonders starke Muskelabmagerung
würde einen frühzeitigen Eingriff rechtfertigen. Sonst genügt es,
Bäder, Elektrizität und leichte Massage anzuwenden.
Aladiar Henszelmann - Pest: Eine einfache Aufnahmetechnik
zur Röntgenuntersuchung der Baucheingeweide.
Der Vorzug des vom Verf. angegebenen Apparates besteht darin,
dass er den bis jetzt mit Erfolg angewendeten konischen Kompressor
zu Aufnahmezwecken dienlich macht.
M a r o c k i - Potsdam: Ein Beitrag zur Atoxylamaurose.
Verf. veröffentlicht einen Fall, bei dem auf 7 Einspritzungen
von im ganzen nur 0,725 Atoxyl vollständige Erblindung eintrat.
Dieses ist die bis jetzt bekannte geringste Menge Atoxyl, nach der
Erblindung erfolgte.
Hans L i e s k e - Leipzig: Aerztliche Rechtsfragen zur Kriegszeit.
Juristischer Beitrag. Dr. Qrassmann - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 39 40. A. Fränkel: Einige allgemeine Bemerkungen zur
modernen Kriegschirurgie.
Aus des Verf. Aufsatz: Kriegschirurgische Erfahrungen aus den
Balkankriegen 1912/13. Beitr. z. klin. Chir. 91.
Nr. 4L J. Kowarschik und H. K e i 1 1 e r - Wien: Die Dia¬
thermie bei gynäkologischen Erkrankungen.
Bericht über 50 Fälle, wovon bei 40 eine längere Behandlung
durchzuführen war. 23 wurden geheilt, 8 wesentlich, 9 mässig ge¬
bessert. Die Indikation für die Diathermie ist die der Wärme¬
behandlung überhaupt: Förderung der Resorption (im nichtakuten
Stadium der entzündlich exsudativen Prozesse) und Schmerzstillung,
die meist anfangs vorübergehend, später dauernd wird. Als Kontra-
indikation sind alle frischen, besonders die fieberhaften Infektionen zu
betrachten, vor allem die eitrigen: ausserdem alle, auch die geringsten
Blutungen. Die Diathermie wirkt subjektiv sehr angenehm und lässt
Puls und Respiration fast unbeeinflusst, da eine allgemeine Ueber-
hitzung nicht eintritt.
Nr. 42. F. Passini: Ueber Lumbalpunktion bei Chorea in-
fectiosa.
Die von P. in 5 Fällen vorgenommene Lumbalpunktion hat
zwar keinen bakteriologischen Aufschluss über den Infektionserreger
der Chorea gebracht: bemerkenswert war aber der Befund einer
Flüssigkeitsvermehrung im Zerebrospinalkanal. Von Bedeutung ist
auch die Tatsache, dass von 5 sehr schweren Fällen 3 nach der
Lumbalpunktion in kürzester Zeit eine auffallende Besserung, rasches
und vollkommenes Schwinden der Erscheinungen aufweisen. Es er¬
scheint demnach in solchen schweren Fällen ein therapeutischer
Versuch mit der Lumbalpunktion als sehr berechtigt.
Nr. 43. M Kraus- Wien: Der Zahnarzt im Kriege.
Ueberblick über die wichtigsten Verletzungen und die Behand¬
lung der Kieferbrüche.
Prager medizinische Wochenschrift. Nr. 23.
W B i 1 1 n e r - Brünn: Ueber die akute typhöse Gallenblasen-
entzündung im Kindesalter.
\ erf beschreibt 3 Fälle von schwerer eitriger Cholezystitis,
welche auf 395 Typhen im Kindesalter trafen. Diese noch wenig
beobachtete, gefährliche Komplikation fällt in der Regel in die Zeit
der Rekonvaleszenz. Peritonitische Erscheinungen erfordern dringend
die Operation, bei welcher der Befund der „galligen“ Peritonitis mit
gelblichem, schleimigem, nicht fäkulentem Exsudat eine Perforation
der Gallenblase annehmen lässt Klinisch fällt die umschriebene
Druckempfindlichkeit der Gallenblasengegend auf. Ikterus fehlte in
B.s Fällen. Von letzteren wurden zwei durch die Cholezystotomie
mit Drainage und Tamponade gerettet, der dritte Fall mit teilweiser
Gangrän der Gallenblase starb. Bei schlechtem Allgemeinzustand ist
vor der Operation eine subkutane Kochsalztransfusion mit Adrenalin¬
zusatz und eine Kampferinjektion zu machen. Auch bei diffuser Peri¬
tonitis ist gerade bei Kindern immer noch ein operativer Versuch
zu wagen.
K. Springer- Prag- Die plastische Tenotomie mittels Treppen¬
schnitt nach K. Bayer.
Ueberblick über die Technik des Treppenschnittes und seiner
Modifikationen (Abbildungen): eine Verbesserung bedeutet eigentlich
nur der dreistufige Trepoenschnitt v. Hackers.
0 Sachs- Prag Ueber die Therapie der Ellenbogenfrakturen.
Bei deren grosser Neigung zur Versteifung werden die Ellbogen¬
frakturen an der Bayer sehen Klinik mit den wenigen Ausnahmen
von starker Schwellung, und dann nur kurze Zeit auf einer Schiene
immobilisiert, soweit irgend möglich werden die Fälle sofort ir
Extension gebracht (in gestreckter oder mit Doppelextension in ge¬
beugter Stellung); möglichst bald, etwa von der dritten Woche al
oder auch früher werden aktive Bewegungen eingeleitet, dann folge:
Bäder und ausgiebige passive Bewegungen, so dass öfter schon -
namentlich auch bei Kindern — nach 5 Wochen wieder volle Funk
tionsfähigkeit erreicht wird. Operative Eingriffe wurden sehr seiten
bei sehr starker Dislokation oder veralteter Ankylose notwendig
Nr 24 R Eben- Prag: Beiträge zur Diagnose der frühen
Schwangerschaftssladien nebst Untersuchungen über den diagnosti¬
schen Wert der Kutanreaktion in der Schwangerschaft.
E. bestätigt, dass sich auf Grund der bekannten Frühsymptonn
die Gravidität sehr oft durch die sorgfältige bimanuelle Untersuchung
feststellen lässt.
Weitere Untersuchungen bestätigen die Verwertbarkeit der
Abderhalden sehen Reaktion.
Versuche nach den Angaben von Engelhorn und W i n t z
durch kutane Impfung mit Plazentaextrakten die Diagnose zu sichern,
hatten bisher keinen Erfolg B e r g e a t - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Berlin. Juli — September 1914.
Cytronberg Suchor : Zur Karzinomdiagnose mittels des Abder¬
halden sehen Dialysierverfahrens.
Frost Conrad: Ueber den Tetanus im Kriege.
Rudel off Max: Ueber die chirurgische Behandlung der Nieren¬
entzündung
Sawidowitsch Wolf: Einfluss von Ernährung und Erkrankungen
auf das Wachstum des Gehirns im 1. Lebensjahre.
Pr ümers Heinrich: Ueber Verletzungen grösserer üefässe und
traumatische Aneurysmen.
Schnittkin Theodor: Ein Beitrag zur Topographie in der Niere
und ihre Bedeutung für die Nierenchirurgie.
Bjaloblotzki Abram: Ueber Fistula gastro-colica.
Haberlandt Friedrich: Zur Symptomatologie der endogenen De¬
pressionen.
Krins ki Abraham: Ueber die tabischen Gelenke.
R o s e n t h a 1 Maximilian: Dauerresultate und Technik der Vesiko-!
fixation des Uterus
Scheinberg Ascher-Anschel: Ueber einen Fall von chronischer
Septikopyämie.
Buch Lothar: Der vaginale Kaiserschnitt in der geburtshilflichen
Klinik der Kgl. Charitee.
Ja witsch Salkind: Beitrag zur freien Knochentransplantation.
Salomono witsch Judel: Ueber Thorakoplastik.
Hoff mann Ernst: Die Toleranz gegen Galaktose in der Norm
und während der Menstruation.
Müller Julius: Die Onkometrie des Herzens und seiner Teile.
Rothenberg Fritz: Ein kasuistischer Beitrag zu den Oesophagus-
missbildungen.
Pinn er Rudolf: Milz und Traubenzucker. Experimenteller Beitrag
zur Lehre von der Glykolyse.
K a n k e I e i t Otto: Zur vergleichenden Morphologie der unteren
Säugetierolive mit Bemerkungen über Kerne in der Oliven¬
peripherie.
Bin gl er Curt: Ueber die Häufigkeit der tuberkulösen Larynx-
erkrankungen als Komplikation bei der Lungentuberkulose.
Deist Helmut: Ein Fall von ausgetragener Extrauterinschwanger¬
schaft.
Edel Max: Ueber die Menschenpathogenität des Bacillus pyocyanetis.
Epstein M.: Ueber sekundäre Anämie nach Lues.
Erlich mann Schliana: Beitrag zur vaginalen operativen Behand¬
lung der Extrauterinschwangerschaft.
Faehndrich Carl: Ueber die Multiplizität der Nierenvenen.
F eldmann: Die Nekrose der Myome in Schwangerschaft und Wo¬
chenbett.
Filintel Lea: Ueber das Sarcoma duodeni.
Frank Mojscha: Ein Beitrag zur Leitungsanästhesie mit besonderer
Berücksichtigung der Oberst sehen Anästhesie.
Ga er tn er Wolf: Untersuchung über die Ursachen der Sterblich-
keitsverschiedenheit in den Gemeinden Stassfurt und Leopoldshall
unter besonderer Berücksichtigung der Tnnkwasserverhältnissc.
Gr inst ein Monduch: Tabes und Lues spinalis im Hinblick auf
die Inkubationszeit.
Hesse Franz: Beitrag zur Kenntnis der Psychose bei Lues cerebro¬
spinalis.
L a n d s b e rg Martin: Anatomische Untersuchungen über Tracheo-
pathia chondro-osteoplastica.
Poller Leib: Ein Beitrag zu der Frage der Erkrankungen des
Nervus opticus infolge der Affektionen der Nebenhöhlen,
v. R o q u e s Curt-Rüdiger : Ueber Abbaufermente im Blute,
v. Roznowski Johann: Zur Diagnostik der metastatischen Kno-
clienmarkstumoren aus dem Blutbefund.
Sa ss Maximilian: Die Aenderung der Blutalkaleszenz beim Pan¬
kreasdiabetes unter dem Einfluss von Muskelkrämpfen.
S c h a u s s Wilhelm: Ein Fall von Pseudohermaphroditismus.
!0. November 1014. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2213
Vereins- und Kongressberichte.
Freie militärärztliche Vereinigung zu Erlangen.
(Eigener Bericht.)
4. Sitzung vom 16. Oktober 1914.
Vorsitzender: Generalarzt Prof. Dr. Penzoldt.
Herr Koniger teilt seine neurologischen Erfahrungen an
Kriegsverwundeten mit. Periphere Lähmungen sind recht häufig
und \\ erden besonders nach Prognose und Therapie besprochen.
... . ! s x,weren notorischen und trophischen Störungen ist die
frühzeitige Nervennaht zu empfehlen.
Nicht selten kommen T e i 1 1 ä s i o n e n, hauptsächlich im Ge¬
biete des Ischiadikus vor bei Schussverletzungen in der Nähe des
Beckens, bei denen nur eine Peroneuslähmung eintritt; eine Be¬
stätigung der neueren Arbeiten über die Topik der peripheren Nerven¬
bahnen (S t o f f e 1 u. a.). Schwere und komplizierte Störungen be-
dtngen die auch nicht seltenen Schüsse durch die einzelnen Plexus.
Bei \ erletzungen des Halsmarkes kamen interessante Sympathikus-
phanomene zur Beobachtung. Unter den Gehirnschüssen bean¬
spruchten die halle ganz besonderes Interesse, bei denen doppel¬
seitige spastische Lähmungen zustande kamen. An den Beinen sind
sie aus der benachbarten Lage der beiden Zentren und durch Fern-
Wirkung eines Herdes auf die gegenüberliegende Seite zu verstehen.
Heri \V eichardt spricht über Typhusbekämpfung.
Zunächst wird der Unterschied zwischen Kontakt- und Nahrungs-
mtttdeptdemie erörtert. Bei ersterer langsames Ansteigen der An¬
zahl der Fa le bis zur Höhe und ebenso allmähliches Absinken. Bei
letzterer schnellt die Erkrankungsziffer sogleich zu beträchtlicher
Hohe au und fallt rasch ab, nachdem das infizierende Nahrungsmittel
gefunden und ausgeschaltet ist. Kontaktfälle pflegen sich noch anzu-
schliessen
Durch Kontakt finden die meisten Uebertragungen statt. Direkter
Kontakt und indirekter durch Gebrauchsgegenstände, Wäsche etc.,
Kann durch zweckmässige Massnahmen stark eingeschränkt, ja voll¬
kommen unterbunden werden. Solche sind: Belehrung, Bereitstellen
von v\ ascheinrichtungen, Aborten und Latrinen, damit in stark be¬
legten Orten die Fäzes nicht in der Umgebung niedergesetzt und
wieder in den Ort getragen werden. Bereitstellen gekochten
und wieder abgekuhlten Wassers, Instandsetzen der Brunnen uam.
Selbst Bazillenausscheider, die besonders in Typhusgegenden
und unter einer grossen Anzahl von Menschen stets Vorkommen, sind
in hygienisch guten Verhältnissen verhältnismässig ungefährlich.
Diese I ersonen, welche, ohne klinisch krank zu sein, jahrelang mehr
oder weniger Bazillen ausscheiden, sind durch systematische bak¬
teriologische Untersuchung der Fäzes aufzufinden und vor allem aus
Nahrungsmittelbetrieben zu entfernen.
Die gründliche systematische deutsche T y -
ohusbekämpfung hat in den typhusverseuchten
Aufmarschgebieten in jahrzehntelanger hingeben¬
der Arbeit Vorbildliches geschaffen.
Kommen Truppen in Gegenden, deren Einrichtungen in hygieni¬
scher und seuchenprophylaktischer Hinsicht als rückständig bezeich¬
net werden müssen, so ist aktive Immunisierung, d. i. sub-
oitane Injektion mit abgetöteten Typhusbazillen, zu empfehlen. Vor
tllem sollten Aerzte und Pflegepersonal, die ja besonders gefährdet
>ind, so geschützt werden. In der amerikanischen Armee ist eine
vollständige Durchimmunisierung durchgeführt und der Schutz der
Irupper. auch in ausgesprochenen Typhusgebieten ein vorzüglicher.
Die neueren Typhusimpfstoffe unterscheiden sich von den älteren
lathirch, dass die Abtötung der Bazillen bei sehr viel niederer Tem¬
peratur (53—55°) als früher vorgenommen wird. Durch die bei
löheren Temperaturgraden (60° und darüber) abgetöteten Bazillen
•Milden früher oft stärkere lokale Reaktionen, ja sogar Eiterungen
erar.lasst, und der Impfschutz auch dementsprechend geringer.
Bei den neueren Impfstoffen fehlen die lokalen Reaktionen fast 1
:anz!ieh und der Impfschutz, besonders nach mehrmaligen Injek-
lenen ist ausgezeichnet.
Vortr. legte sich die Frage vor, ob wohl durch das Erhitzen
■er Impfstoffe Gifte gebildet würden, welche die lokalen Reaktionen
»edingen könnten? Er studierte die Wirkung der Impfstoffe auf
solierte Organe und fand, dass selbst die hochempfindlichen Herzen
nbeeinflusst bleiben, wenn in Ringerlösung aufgeschwemmte erhitzte
ypbusbazillen auf sie einwirkten. Ganz geringe Giftwirkung un-
rhitzter Kulturen verschwanden sogar, wenn höhere Hitzegrade auf
:e Impfstoffe eingewirkt hatten.
Die stärkere lokale Reaktion höher erhitzter Kulturen ist also
nders zu erklären : Das Eiweiss der Typhusbazillen
v 1 rd offenbar durch die höheren Hitzegrade so
er ändert, dass an das Verdauungsvermögen der
u bk utanen Gewebe stärkere Anforderungen ge¬
teilt werden, als durch das Eiweiss der wenig er-
itzten Kulturen. Während letztere glatt resorbiert werden,
onimt es nach Injektion erhitzter Stämme eher zu entzündlichen
rozessen, Leukozyteneinwanderungen und Eiterungen.
Man muss also Impfstoffe zur aktiven Immunisierung möglichst
chonend hersteilen und erhält dann vorzügliche Resultate.
Die Angaben in der ausländischen Literatur, dass derartige Impf-
Nr. 45.
stotfe in der Inkubation des Typhus gegeben, einen überraschend
leichten \ erlauf der Erkrankung selbst bedingen, sind sehr beachtens¬
wert und sollten auch bei uns nachgeprüft werden. Kreut er.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzungen vom 8. und 15. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer: Herr S t i e d a.
VII.
Herr Abderhalden (a. Ci.): Die experimentellen Beweise für
das Vorkommen von Abwehrfermenten unter verschiedenen Bedin¬
gungen. (S. d. Wschr. Nr. 36 u. ff.)
Herr Budde: In meinen Ausführungen am letzten Mittwoch
tonische Fragen bei der A b d e r h a 1 d e n sehen Me-
thode, speziell auf die Beziehungen zwischen der histologischen Struk¬
tur der Substrate und der die Abwehrfermente hervorrufenden Tu¬
moren eingegangen.
Als Mitglied der chirurgischen Klinik bin ich fast immer in der
Lage gewesen, meine serologischen Befunde duich mikroskopische
Untersuchung der Operations- bzw. Sektionspräparate zu kontrol¬
lieren, ich möchte aus meinem Material 2 Fälle genauer besprechen,
die aus klinisch-diagnostischen Gründen besonders interessant sind
Der 1. Fall betrifft eine Pat., die mit einem durchaus als Kar¬
zinom imponierenden Tumor in die Klinik kam. Wie die Anamnese
ergab, war der Tumor langsam entstanden und hatte nur hin und
wieder leichte ziehende Schmerzen gemacht, wie sie ja beim Kar-
zmom häufig Vorkommen. Bei der Aufnahme bestand eingezogene
Mammnla, dahinter im Zentrum der Mamma ein derber höckeriger
nuf ^e,nig bewe£licher und nicht druckempfindlicher Tumor von
gut Walnussgrösse. Fluktuation war nicht nachzuweisen Die Pat
war ziemlich korpulent, so dass die Palpation der Achselhöhle kein
sicheres Ergebnis hatte Nach diesem Befunde bestand dringender
Verdacht auf Karzinom, so dass wir der Pat. die Ablatio mammae
Vorschlägen wollten. Die serologische Untersuchung ergab mit
3 Karzinomsubstraten — und zwar Szirrhus-, Plattenepithel- und Zy-
linderzellenkrebs sowie mit Sarkom ein absolut negatives Resultat.
Die dann vorgenommene Probexzision deckte einen alten ein¬
gedickten offenbar schleichend entstandenen Abszess auf, und der
weitere Verlauf bestätigte das Fehlen maligner Veränderungen. Ich
war in diesem Falle trotz der Diskrepanz zwischen klinischem und
serologischem Befund von der Richtigkeit der Abderhalden sehen
Reaktion überzeugt, aus dem Grunde, weil ich bei der Untersuchung
Substrate von ziemlich allen in Betracht kommenden Tumoren ver¬
wendet hatte.
Im Gegensatz zu diesem Fall zeigt folgende Beobachtung die
Grenze der klinischen Verwertbarkeit der A b d e r h a 1 d e n sehen
Methode.
Es handelte sich um eine ältere Pat., die mit einem grossen
derben Tumor in der Nabelgegend in die Klinik kam. Das Röntgen-
bild ergab einen totalen Pylcrusdefekt. Auch nach den übrigen kli¬
nischen Anzeichen konnte es sich wohl nur um ein präpylorisches
Karzinom handeln, und zwar der Grösse und Konsistenz des Tumors
nach wahrscheinlich um ein Adenokarzinom. Die serologische Unter¬
suchung ergab überraschenderweise mit einem sonst' sehr scharf
reagierenden Adenokarzinomsubstrat ein negatives Resultat Dabei
konnte ich die hypothetische Abnahme des Fehlens der Abwehrfer-
mente infolge Kachexie dadurch widerlegen, dass Magenschleimhaut
s ark abgebaut wurde, ein Verhalten, das ich bei ulzerierenden
Magentumoren stets gefunden habe. Die Untersuchung mit Sarkom
war ebenfalls negativ.
In diesem Falle war das Gewicht der klinischen Erscheinungen
d° überwältigend, dass der negative Abderhalden nicht dagegen in
Betracht kommen konnte. Die Probelaparotomie ergab denn auch
ein grosses, vollkommen inoperables Karzinom.
Die Erklärung für das bemerkenswerte serologische Verhalten
erhielt ich erst 2 Monate später, als die Pat. einer rapid zunehmenden
Kachexie erlag. Die Sektion ermöglichte die mikroskopische Unter¬
suchung des Tumors, und dabei stellte sich heraus, dass es sich um
ein reines Belegzellenkarzinom handelte. Bekanntlich gleicht der Zell-
!iypu^bei der, weitaus überwiegenden Mehrzahl der Adenokarzinome
des Magens dem Typus der Hauptzellen: auch das zur Untersuchung
benutzte hubstrat stammte von einem Tumor dieser Art. Dass das
-_erum der Patienten mit dem Belegzellenkarzinom das Eiweiss des
Hauptzellenkarzinsoms nicht abbaute, halte ich nur für einen neuen
Beweis für die Spezifität der Abwehrfermente. Aber gerade dieser
Fall zeigt wieder, wie vorsichtig man bei der Verwertung der
Reaktionen in diagnostischer Hinsicht sein muss, denn der negative
Austall der Reaktion beweist nicht, dass der Patient kein Karzinom
hat, sondern nur, dass ihm Abwehrfermente fehlen, die auf ein Kar-
zmom von analogem Bau, wie das zur Untersuchung benutzte, ein¬
gestellt sind.
Herr K a b a n o w - Moskau (a. G.): M. H.l Ich arbeite jetzt
dabr mit dern A b d e r h a 1 d e n sehen Dialvsierverfahren
Mein Material umfasst ca. 100 Fälle, die klinisch von mir persönlich
genau verfolgt wurden. Einen Teil dieser Ergebnisse habe ich be¬
reits publiziert, einen arideren auf dem V. Kongress für innere Medizin
3
2214
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
in Petersburg im Dezember vorigen Jahres vorgetragen. Heute
möchte ich ganz kurz über Versuche berichten, die ich im Verlaufe
des letzten Monats im hiesigen Physiologischen Institut mit Hilfe der
Mikrostickstoffbestimmung im Dialysat ausgeführt habe. Die Ver¬
suche zerfallen in 3 Gruppen: die erste umfasst 20 Versuche an
Kaninchen. Es handelte sich um den Nachweis von Fermenten, die
auf Plazentaei weiss eingestellt waren, ln 11 Fällen wurde mensch¬
liche Plazenta nicht abgebaut, in 9 Fällen fand ein Abbau statt.
Jedesmal stimmte die Diagnose. Unter den 11 negativen Fällen wur¬
den mir 6 Tiere als sicher trächtige geliefert und schienen mir
auch so zu sein. Die Reaktion fiel jedoch negativ aus. Die nach- j
folgenden Obduktionen bestätigten den Ausfall der Reaktion.
Die zweite Gruppe der Versuche umfasst 18 menschliche Sera,
die mir Herr Prof. Abderhalden in liebenswürdiger Weise zur
Verfügung stellte. In keinem Falle war mir die Diagnose vorher be¬
kannt. Auch hier deckten sich die Ergebnisse der Mikrostickstoff¬
bestimmung mit der klinischen Diagnose. Es handelte sich jedesmal
um die Frage gravid oder nicht gravid?
Die dritte Gruppe umfasst vorläufig nur 2 Tiere, 2 Weibchen.
Dem einen wurde Nierenemulsion subkutan eingespritzt, dem zweiten
10 ccm einer 1 proz. Nierenpeptonlösung. Das Serum des ersten
Tieres baute 72 Stunden nach der Injektion Kaninchenniere ab, nicht
aber Plazenta- und Muskeleiweiss. Nach 112 Stunden war kein
Abbau von Niere mehr nachzuweisen. Die Versuche mit dem zweiten
Tiere und anderen Tieren sind im Gange.
Ich komme zum Schluss und möchte meiner Meinung dahin Aus¬
druck geben, dass wir in der Mikrostickstoffbestimmung eine zum
Nachweis der Abwehrfermente sehr geeignete Methode besitzen.
Herr Beneke: Leider ist Herr Kohlhardt, der in seiner I
Praxis bereits zahlreiche wertvolle Beobachtungen über das I
A b d e r h a 1 d e n sehe Verfahren gemacht hat, heute verhindert; ich
erlaube mir daher einen mir von ihm mitgeteilten Fall an seiner
Stelle kurz zu erwähnen, der auf die therapeutischen Effekte
des neuen Abderhalden serum hinweist. Ein an Zungenkrebs
schwer Leidender wurde mit Serum einmal injiziert. Alsbald er¬
folgte wesentliche subjektive Erleichterung, Abschwellung der Zunge,
beginnende Reinigung des jauchigen, sehr grossen Geschwürs. Aller¬
dings konnte der letale Ausgang bei der hochgradigen Entwicklung
des Karzinoms, welches die halbe Zunge zerstört hatte —
ausserdem bestand Lungenkarzinom — , nicht vermieden wer¬
den. Die histologische Untersuchung des Karzinoms aber, welche
ich, ohne die Vorgeschichte zu kennen, ausgeführt habe, ergab
ganz wesentliche Unterschiede im Bilde der Karzinomzapfen gegen¬
über der gewohnten Entwicklung derselben. Sie erschienen durch
auffällige Atrophie der jungen wuchernden Zellzonen, welche die ver¬
hornenden Zentra einschliessen, ausgezeichnet; stellenweise war
diese Zone sehr schmal, aus dünnen, atrophischen Zellen zusammen¬
gesetzt; hier und da fehlte sie ganz. Leukozytenansammlungen
fanden sich nicht auch. Keine Stromaveränderung. Das Bild er¬
innerte an die Effekte der Radiumbestrahlungen und hat mir den
Eindruck gemacht, dass die Wucherungen durch das Serum tat¬
sächlich geschädigt worden waren.
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 16. September 1914.
Kriegschirurgischer Abend.
Hers v. Stubenrauch: Allgemeine Gesichtspunkte bei der
Behandlung von Schussverletzungen. Daran anschliessend Demon¬
strationen von Lichtbildern einzelner Verletzungsformen.
Herr Kr ecke: Beobachtungen über Schussverletzungen.
Herr Krecke kann im allgemeinen den Bemerkungen des Vor¬
redners durchaus zustimmen. Die Grundsätze für den ersten
W undverband auf dem Felde dürften jetzt so festgelegt sein,
dass eine Meinungsverschiedenheit kaum mehr besteht. Bezüglich
der W undheilung war auch K. sehr überrascht durch die auf¬
fallend verschiedenen Resultate bei den einzelnen Verwundetentrans¬
porten. Während zum Beispiel 5 bei dem ersten Transport einge¬
laufene Oberschenkelfrakturen durchaus glatt geheilt sind, zeigten die
mit einem späteren Transporte eingetroffenen zum Teil sehr schwere
Eiterungen, die wiederholt Einschnitte notwendig machten. Was die
Ursache für diese auffälligen Unterschiede ist, konnte mit Bestimmt¬
heit noch nicht festgestellt werden. Auffallend war, dass die mit
Eiterung verbundenen Oberschenkelschüsse erst nach ziemlich langer
Zeit hier eingetroffen und in mehreren Lazaretten (bis zu 5) Ge¬
handelt worden waren; die ohne Eiterung geheilten waren dagegen
grösstenteils unmittelbar vom Schlachtfelde hierher verbracht wor¬
den^ und zeigten recht gute Wundverhältnisse, obwohl sie bis zu
30 Stunden im Freien hatten liegen müssen.
Von besonders bemerkenswerten Schussverletzungen erwähnt K.
zunächst 2 Schädelschüsse. Bei einem derselben, einen Tan¬
gentialschuss. musste die Entsplitterung und die Entfernung des vor¬
gefallenen Gehirns vorgenommen werden. Der Kranke starb nach
14 Tagen an Gehirnabszess und Meningitis. Bei einem zweiten Kopf¬
verletzten konnte eine Verletzung des Knochens nicht nachgewiesen
werden, wohl aber bestand eine Schädigung des Gehirns, die zu einer
rechtseitigen Hemiparese mit starker Ataxie geführt hatte.
Nr. 4;
Von den Gesichtsverletzungen zeichneten sich mehrer
grosse Schüsse durch recht schwere Erscheinungen aus. ln einer
Falle waren beide Oberkiefer, das knöcherne Nasengerüst, die ganz
Oberlippe und ein Teil der Zunge durch einen Granatschuss zerstör
worden. Sehr wichtig erscheint bei Kieferschüssen die frühzeitig
zahnärztliche Behandlung.
Von Nervenverletzungen kamen zur Beobachtun:
6 Lähmungen des Radialis, 1 des Medianus, 1 des Plexus cervicalis
3 des Ischiadikus. Die letzteren zeichnen sich, wie auch sonst be
obachtet, durch ausserordentlich schwere Neuralgien aus. Di«
Nervenverletzungen an der oberen Extremität zeigten alle eine zu
nehmende Besserung, während die Ischiadikuslähmung noch voll
kommmen unverändert sind. Hier wird wohl die Nervennaht not
wendig werden.
Von Gefässverletzungen kamen zur Beobachtung eir
Aneurysma varicosum der Arteria brachialis, ein Aneurysma dei
Arteria radialis, zwei der Femoralis, 1 der Poplitea und 1 Zerreissunsi
der Arteria tibialis. Die letztere und ein Aneurysma brachialis wur¬
den durch die Operation geheilt. Der Defekt in der Arteria brachiali:
wurde durch Gefässimplantation der Vena saphena ausgefüllt.
ln 2 Fällen hatte die Verletzung der Arteria poplitea zur Gangrär
des Unterschenkels geführt; beide Fälle mussten amputiert werden
In einem Falle von Rückenmarksverletzung konnte
das Geschoss röntgenologisch im Rückenmarkskanal in der Höhe des
ersten Lendenwirbels nachgewiesen werden. Das Geschoss wurde
nach voraufgegangener Laminektomie entfernt. Das Rückenmark
fand sich vollkommen zerquetscht Eine Besserung der Lähmungs-
erscheinungen ist naturgemäss nicht eingetreten.
Von zahlreichen Bauchverletzungen sind erwähnenswert zwei
Verletzungen der Blase, bei denen eine in der Hüftgegend einge¬
drungene Schrapnellkugel bis in die Blase vorgedrungen und dort
liegen geblieben war. In beiden Fällen bestanden Erscheinungen
wie beim Blasenstein. Beide Geschosse konnten durch den hohen
Blasenschnitt entfernt werden.
Ein schwerer Fall von Harnröhren- und Mastdarm-
zerreissung mit ausgedehnter Urininfiltration wurde durch die
Urethrotomie und ausgedehnte Spaltungen über die drohende Gefahr
der Sepsis hinweggebracht. Der Harnröhrendefekt wird noch
weitere Operationen notwendig machen.
Herr F e s s 1 e r: Ueber Querschlägerverletzungen.
Der Vortrag erscheint in der M.m.W.
Herr G e b e 1 e demonstriert 3 Kriegsverletzungen, die durch die
Verlaufsrichtung des Schusses merkwürdig sind.
1. 21 jähr. Infanterist, verwundet am 28. VIII. bei Lüneville.
Einschuss rechte Glutäalgegend, kein Ausschuss.
Entzündliche Infiltration am linken Oberschenkel,
auf dessen medialer Seite. Im Zentrum des Infil¬
trationsherdes harter Körper fühlbar. Röntgendurch¬
leuchtung ergibt Infanteriegeschoss. Projektil durch links absteigen¬
den Schambein- und aufsteigenden Sitzbeinast abgelenkt. Hier auch
Schmerzhaftigkeit und Sugillation. Röntgenbild ergibt aber keine
Knochenläsion Keine Mastdarm- oder Harnröhrenverletzung vor¬
handen. Der Mann wurde in stark gebückter Stellung getroffen.
2. 30 jähriger Infanterist, verwundet am 22. VIII. bei Avricourt.
Einschuss linke Lende in der Höhe des 2. Lendenwirbels,
2 Querfinger von der Wirbelsäule entfernt. Kein Ausschuss.
Linke Brust stark sugilliert. Ausgedehntes Hautemphysem. LHU.
Dämpfung. Pektoralfremitus abgeschwächt. Auskultatorisch Bron¬
chialatmen. Sputum sanguinolent. Herzdämpfung geschwunden.
Herztöne hörbar. Puls mittelkräftig, 76 in der Minute. Linke Taillen¬
linie verstrichen. Linke Bauchwand etwas reflektorisch gespannt.
Links aussen Dämpfung, welche sich bei Lagewechsel nicht aufhellt.
Urin: E. +, Hg. — , mikroskopisch zahlreiche Blutkörperchen. In
der Höhe der 3. Rippe links, nahe der vorderen
Axillarlinie harter Körper fühlbar, welcher sich bei der
Durchleuchtung als Schrapnellkugel erweist. Der Steilschuss hat
also linke Niere und Lunge verletzt. Das Schrapnell muss nahe oder
an dem Erdboden explodiert sein, der Mann wurde in aufrechter
Stellung in der Marschkolonne getroffen.
3. 22 jähriger Infanterist, verwundet am 22. VIII. bei Vergaville.
EinschussrechteHalsseite, AusschussIinkeAxilla.
Einschuss sehr klein, am medialen Rand des Sternokleidomastoideus.
Ausschuss klaffend, offenbar Querschläger.
Aufnahmebefund: Starke Anämie. Ziemliche Benommenheit.
Auffallende Pupillendifferenz — rechts eng, links weit. Fazialisparese
links. Vordere Wand der Karotis infiltriert. Kopfhaltung steif, 4.
und 5. Halswirbel druckempfindlich. Klavikula links frakturiert.
Schlaffe Lähmung des linken Armes. Radialpuls links fehlt. Ober¬
flächliche Venen thrombosiert. Linker Arm weist keine Schwellung,
Verfärbung, keinen Temperaturunterschied auf. Nachblutung am
4. Tag nach der Aufnahme ergibt Verletzung der Vena subclavia
hinter der Bruchstelle der Klavikula. Der Halsbrustschuss hat also
zur Verletzung der Karotis (inzwischen Aneurysmabildung!), des
Halsteiles des Sympathikus, des Körpers des 5. Halswirbels (Sprung
nach dem Röntgenbild!), der Vena subclavia, der Klavikula und des
linken Plexus brachialis geführt. Die Fazialisparese ist zentral. Fs
liegt nach Röntgenbild und otiatrischem Befund zwar keine Schädel¬
basisfraktur vor. Der Mann ist aber nach der Verletzung zu¬
sammengebrochen und von 2 Uhr nachmittags bis 10 Uhr abends
10. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
bewusstlos liegen geblieben (Commotio und Contusio cerebri). Auf
lj.en äuch eine Luxation des sternalen Endes der rechten
Klavikula nach oben zurückzuführen. Die embolische Pneumonie
links hinten unten dürfte später entstanden sein.
Herr Sielmann: Oberschenkelschussfrakturen.
Bei den im Reservelazarctt B München vorgenommenen Röntgen-
Untersuchungen fiel uns die relative Häufigkeit der Oberschenkel-
schussfrakturen auf. Oft stammen die Fälle aus einer Schlacht und
aus einer Abteilung. Die knieende Stellung im Anschlag beim
Schiessen scheint besonders zu Oberschcnkelschüssen zu disponieren.
' on den 40 ( »berschenkelschussfrakturcn, die wir bisher zu unter¬
suchen Gelegenheit hatten, war in den meisten Fällen die Diaphyse
Detronen, seltener die Kondylen; der Kopf des Femur scheint so ge¬
schützt zu liegen, dass er nicht leicht getroffen werden kann. Die
Schwere der Verletzung wechselt von leichten Fissuren bis zu den
schwersten Zertrümmerungen des Knochens; sehr häufig sind die
Schmetterlingsfrakturen. Oft ist Ein- und Ausschussöffnung beim
.intreffen der Verwundeten bereits glatt geheilt, es ist eine einfache
Splitterung des Knochens im Röntgenbild nachzuweisen. Ein ander-
nal schwerste Weichteilverletzung: Knochensplitter entleeren sich aus
^eij t i’ Röntgenbild zeigt starke Dislokation ad longitudinem
md ad latus, eine grosse Zahl von Splittern umlagert die Bruch¬
teile. Demonstration von ca. 20 Diapositiven, die das Gesagte er-
lärten. Doch nicht nur diagnostisch verwerten wir in der Kriegs-
:hirurgie die Röntgenstrahlen, auch zur Kontrolle unserer thera-
>eutischen Massnahmen leisten sie uns grosse Dienste. Mit ihrer
lilfe erkennen wir unter dem Schirm, ob die Bruchenden einer
Taktur gut aneinanderliegen, ob die Konsolidation des Knochens
rfolgt ist. Demonstration von Diapositiven, die dies erhärten be-
onders eine angelegte H a c k e n b r u c h sehe Klammer (Chir Ab-
eilung des Herrn Ob.-St. Dr. Kreck e).
Wie ein roter Faden zieht sich durch alle heute Abend ge-
altenen Vorträge die Bedeutung der Röntgenstrahlen in der Kriegs-
hirurgie, sei es in der Diagnostik, sei es in der Kontrolle thera-
eutischer Bestrebungen.
Eine nicht minder wichtige Rolle werden dieselben nach Beendi-
ung des Krieges spielen und zwar bei der richtigen Einschätzung
twaiger Invalidität als Folge der erhaltenen Verletzung. Da es oft
ehr schwer ist ein einige Zeit nach dem Unfälle aufgenommenes
öntgenbild richtig zu deuten — ich erinnere nur an die arthritischen
eränderungen bei Gelenkverletzungen — werden diese ersten
öntgenbilder nach dieser Richtung hin eine grosse Bedeutung haben
nd für den Gutachter oft von unschätzbarem Werte sein. Ich
löchte daher aus diesem Grunde hier die Anregung gegeben haben,
lese Bilder für die Militärsanitätsbehörde sorgfältigst aufzubewahren!
Herr R. v. H ö s s 1 i n: Lungenschüsse.
Meine Herren! Ich möchte Ihnen ein ganz kurzes Bild von dem
hnischen Verlauf der Lungenschüsse geben, soweit dies bei einem
och nicht grossen Material möglich ist.
Charakteristisch ist die erste Geschosswirkung; alle Verwun-
eten brachen sofort nach dem Schuss zusammen und konnten sich
ngere Zeit nicht mehr rühren. Zwei von 18 Fällen blieben sofort
ewusstlos liegen, nur wenige konnten nach mehrstündigem Liegen
jrückkriechen, nur ein Mann konnte geführt zurückgehen.
Leber Schmerz wurde gar nicht geklagt, dagegen fast ausnahms-
s über grosse Atemnot unmittelbar nach der Verwundung, einige
erwundete hatten direkte Erstickungsanfälle. Weitaus die Mehrzahl
^ Fälle, bekamen sofort Blut in den Mund, bei zweien
at der Bluthusten erst später auf und bei zweien fehlte Blut
luernd im Auswurf. Der Blutverlust ist meist ein sehr grosser,
tls durch die Brustwunde und den Bluthusten, vor allem aber
irch die Blutung in die Pleurahöhle.
Dieser Erguss in die Pleurahöhle fehlte nur bei wenigen unserer
ranken, nur bei vieren konnte er bei der Aufnahme nicht nachge-
iesen werden. Die Ansammlung von Blut im Pleuraraum war in
anchen Fallen so gross, dass es zur Dyspnoe und Verdrängung des
;rzens kam. Physikalisch verhalten sich diese Ergüsse genau wie
euritische Exsudate, über dem Exsudat leerer Perkussionsschall,
'geschwächtes oder aufgehobenes Vesikuläratmen, abgeschwächter
uctoralfremitus; oberhalb der Exsudatgrenze Tympanie, lautes Bron-
iialatmen.
Resorption der Ergüsse sehr langsam. Punktion besonders in
;r ersten Zeit gewagt wegen der Gefahr der Nachblutung. Der
uterguss komprimiert die Lunge und bietet einen Schutz gegen
eitere Blutung. In der Umgebung des Schusskanals kann es auch
i anfangs fieberfreiem Verlauf zu pneumonischen Infiltrationen
■men, daher grosse Vorsicht in der Behandlung! Der Pneumothorax
ar in einem grossen 1 eile unserer Fälle schon resorbiert, in
-nreren Fällen in Verbindung mit dem Bluterguss noch vorhanden.
Von Komplikationen sahen wir zweimal Empyeme, einmal mit
’ontandurchbruch unter die Haut, das andere Mal' Entleerung durch
•'Sektion zweier durchschossener Rippen; in letzterem Falle kam
noch zur Entleerung von Galle in die Empyemhöhle und die Bron-
ien, es wurde also voraussichtlich auch die Leber verletzt. In
iem Falle kam es zu einer Hämaturie, weil gleichzeitig mit der
nge auch die eine Niere durchschossen war.
Der weitere Verlauf unserer Lungenschüsse war, obwohl die
Listen in schwerkrankem Zustande eingeliefert wurden, bei den
nsten Fällen ein sehr günstiger.
2215
Sechzehn von unseren Kranken sind in voller Rekonvaleszenz
und auch bei den zwei noch fiebernden Kranken ist eine bedeutende
Besserung eingetreten.
p... Was nun. die äusseren Wunden betrifft, so ist ja in den meisten
r allen die Einschussöffnung kleiner als die Ausschussöffnung, wir
haben aber auch das umgekehrte Verhältnis wahrgenommen, so dass
man annehmen muss, dass die Kugel als Querschläger eingetreten, in
gerader Längsrichtung ausgetreten ist. Sehr grosse Schussöffnungen
erschweren die Prognose dann, wenn dadurch eine offene, nicht ver¬
klebende Kommunikation mit der äusseren Atmosphäre hergestellt
wird.
(Demonstration von Photographien von Lungenschüssen und
dazugehörigen Röntgenphotographien.)
Diskussion: Herren Kästle und v. Stubenrauch.
Herr v. Baey er: Ueber das Verhalten von Kupfer im Organis-
mus habe ich eingehende Untersuchungen angestellt (Beitr. z. klin
58UH- V 1908> M.m.W. 1909 Nr. 47, Beitr. z. klin. Chir. 70. H. 1.
UlOj. Das französische Geschoss, das aus einer Art Neusilber be¬
steht und nur mit einer dünnen Kupferhaut überzogen ist, kann keine
Kupferwirkung entfalten, weil das Kupfer infolge elektrischer Vor¬
gänge zwischen der Kupferhaut und dem an einer Nute des Ge¬
schosses zutage liegenden Kern, nicht oxydabel ist. Das in Lösung
gehende Zink ist unschädlich, weil es im Organismus sofort un¬
lösliche balze bildet. Das französische Geschoss ist also chemisch
.au,s.?.eror^en^c^. harmlos, es verhält sich im Körper etwa ebenso
indifferent wie ein vergoldeter Fremdkörper.
Herr Wassermann: Was die Erfahrungen des Herrn Vor¬
sitzenden bei Lungenschüssen betrifft, so decken sich dieselben voll
und ganz mit den meinigen. Auch ich habe im Reservelazarett B
unter ca. 200 Verwundeten 20 Patienten mit Lungenschüssen zu be¬
handeln Gelegenheit gehabt.
Dieselben wiesen teils einen Hämatothorax von nur wenigen
Zentimetern hinten unten, teils bis zur Spina scapulae und darüber
hinaus auL Bei den meisten zeigte die Dämpfung eine allmähliche
langsame Rückbildung, nur in einem Falle konnte in den ersten Tagen
des Spitalaufenthaltes noch eine Vergrösserung wahrgenommmen
werden. Es handelte sich grösstenteils um Durchschüsse durch den
Ihorax oder auch um Einschüsse ohne Ausschuss, so dass die Kugel,
wie in einem Falle, mitten im Schatten des Hämatoms auf dem
Kontgenbilde zu sehen war. Bei einem Patienten drang das Geschoss
links hinten unten ein und trat gerade vorne unter dem Spitzenstoss
im 5. Interkostalraum aus, ohne das Herz zu verletzen.
Der Verlauf war grösstenteils überraschend günstig. Tem¬
peratursteigerungen und Dyspnoe hatten nur 4 Verletze, blutigen
Auswurf einer. Von diesen zeigten 3 Temperatursteigerungen ledig¬
lich in den ersten Tagen; bei einem Lungenschuss dagegen veran-
lasste eine dreiwöchentliche Fieberperiode und starke Prostration eine
Untei suchung des Exsudates durch Probepunktion an verschiedenen
b teilen. Da nui an einer zirkumskripten Stelle in dem hämor¬
rhagischen Exsudat einige Eiterflocken gefunden wurden, die übrigen
Punktionen aber eine blutige Flüssigkeit ergaben, wurde auch in
diesem Falle von einem weiteren Eingriff abgesehen. Gegenwärtig
sind alle Patienten mit Ausnahme des zuletzt geschilderten Falles
fieberfrei und grösstenteils in der Lage, längere Zeit ausser Bett zu
bleiben und sich im Freien aufzuhalten. Einige davon sind für Er¬
holungsheime in Reichenhall vorgemerkt.
Hinsichtlich der Prognose muss man etwas vorsichtig sein, denn
wir wissen, dass Traumen des Brustkorbes, wie Kontusionen, Frak¬
turen, Stichverletzungen mit Blutaustritten und Zerreissung der
Pleura ein prädisponierendes Moment zur Tuberkulose abzugeben
scheinen. Oberndorfer.
Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin
und Nervenheilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
33. Versammlung vom 17. Mai 1914 zu Bonn.
Vorsitzender: Herr D i n k I e r - Aachen.
Schriftführer : Herr Laspeyres - Bonn.
IV.
Herr Brian-Köln: Klinische Erfahrungen mit dem Dialysler-
verfahren nach Abderhalden.
Herr K e u p e r - Düsseldorf : Ueber Abbau von Lungengewebe
nach der Methode von Abderhalden.
Auf Anregung von Geheimrat Hoff mann arbeiteten wir uns
in . „ Abderhalden sehe Methode ein und nahmen uns vor.
speziell ihre Anwendbarkeit in der Diagnostik der Lungentuberkulose
und Nierenerkrankungen zu prüfen.
Nach den eingehenden Erörterungen meines Herrn Vorredners
über die der Methode zugrunde liegenden Theorien kann ich wohl
sogleich zu dem Bericht unserer Versuchsresultate bei Lungentuber¬
kulosen übergehen.
Vorausschicken möchte ich, dass ich die Versuche zusammen
mit Herrn V e e 1 k e n, Praktikant unserer Klinik und z. T. mit Herrn
Prof. v. d. Velden machte, von dem ich auch die Technik erlernte,
die er sich selbst in Halle bei Abderhalden angeeignet hatte.
Im übrigen hielten wir uns an die von Abderhalden in der
3. Auflage seines Buches über Abwehrfermente gegebenen Vor-
>216
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4!
schriften. Durch mikroskopische Schnitte nach Art der Küretten¬
präparate überzeugten wir uns, dass die versuchsfertigen Organe
noch genügend Parenchym enthielten und bei Eosinfärbung wenig¬
stens keine Reste von Erythrozyten sichtbar waren.
Ausser 2 normalen und 2 tuberkulösen Lungen verwandten wir
als Versuchsorgane Kaninchenlungen, Nieren, Plazenten, Hoden,
Ovarien, Bauchmuskel, Schilddrüse, Thymus, Leber, Karzinomge¬
webe aus Lebermetastasen eines Oesophaguskrebses und Urin-
eiweiss, das wir aus dem Harn eines Patienten mit arterioskleroti¬
scher Schrumpfniere gewannen.
Nachdem wir uns an der Schwangerschaftsreaktion eingestellt
hatten, begannen wir unsere Lungenversuche in der Weise, dass wir
an einem Tage sowohl Serum Lungenkranker und Lungengesunder
ansetzten, als auch stets noch andere Organe als nur Lungen mit¬
laufen Hessen.
Bevor ich zu unseren Versuchen selbst übergehe, möchte ich
einen kurzen Ueberblick über die bisher über Lungenversuche vor¬
liegende Literatur geben.
Lampe konstatiert an 30 Fällen, dass das Serum Leichtkranker
und klinisch Gesunder im allgemeinen nur Tuberkelbazilleneiweiss
angreift, das Serum Schwerkranker nur normales und tuberkulöses
Gewebe abbaut.
Aus den Versuchen von Jessen geht hervor, dass sowohl offene
wie geschlossene Tuberkulosen in hohem Masse entfettete Tuberkel¬
bazillen abbauen, dagegen mit normaler oder tuberkulöser Lunge
angesetzt nur in der Hälfte der Fälle positiv reagieren. Die Ergebnisse
von Gumpertz sind ermutigender, während Fraenkel an dem Ma¬
terial des Heidelberger Krebsinstitutes konstatiert, dass die Abder¬
halden sehe Methode zu der Karzinom- und Tuberkulosediagnose
keine klinische Brauchbarkeit besitzt.
Aus diesem Monat liegen 2 Arbeiten vor. G w e r d e r und
M e 1 i k i a n z konstatieren, dass von 29 Lungentuberkulosen 93 Proz.
tuberkulöse und 69 Proz. normale Lunge abbauen und stellen diesen
29 einen Lungengesunden gegenüber, der keine Lunge abbaute
= 0 Proz. Abbau.
So wenig wie diese Arbeit verwertbar ist, weil die Kontrollen
am Lungengesunden fehlen, ist es auch die kürzlich erschienene
Arbeit von Geheimrat W o 1 f f und Kurt Frank in Berlin.
Sie kommen zu einer Verwerfung der Methode auf Grund des
häufigen unspezifischen Lungenabbaus durch Gesunde. Doch be¬
richten sie nichts über den Ausfall ihrer Serumkontrollen und setzten
nur Tuberkelbazillen und Lungen und keine anderen Organe mit an.
Wenn ich nun zu unseren Versuchen übergehe, so begnüge ich
mich mit der Angabe der Zahlen, die auf normale und tuberkulöse
Lunge Bezug haben. Herr Veelken wird an anderer Stelle eine
ausführliche Veröffentlichung der Protokolle bringen.
Mich wir haben genau die einzelnen Stadien der Tuberkulosen
voneinander getrennt und in ihrem Verhalten den einzelnen Lungen
gegenüber verglichen, doch sahen wir keine wesentlichen Unter¬
schiede, so dass ich einfach Lungentuberkulose den Lungengesunden
und den nicht tuberkulös Lungenkranken gegenüberstelle. Insgesamt
untersuchten wir 44 Phthisiker, 21 Lungengesunde und 7 Patienten
mit klinisch als nicht tuberkulös erkannten Lungenaffektionen.
Das Serum von 42 Tuberkulösen aller Stadien baute in 10 Fällen
normale Lunge ab = 24 Proz., in 7 Fällen war die Reaktion zweifel¬
haft = 16 Proz., in 25 Fällen war sie negativ = 59 Proz.
Das Serum 35 Tuberkulöser baute tuberkulöse Lungen in
29 Fällen ab = 83 Proz., in 3 Fällen war die Reaktion zweifelhaft
= 8 Vz Proz., in 3 Fällen war sie negativ = 8Vs Proz.
Das Serum 20 Lungengesunder baute normale Lunge in 4 Fällen
schwach ab = 20 Proz., in 2 Fällen war die Reaktion zweifelhaft
= 10 Proz., in 14 Fällen war die Reaktion negativ = 70 Proz.
Das Serum 14 Lungengesunder baute tuberkulöse Lunge in
3 Fällen ab = 21 Proz., in 5 Fällen war die Reaktion zweifelhaft
= 35,7 Proz., in 6 Fällen war sie negativ = 43 Proz.
Das Serum von 7 Patienten mit akuter oder chronischer Bron¬
chitis oder kruppöser Pneumonie ergab mit normaler Lunge an¬
gesetzt: positive Reaktion 3 mal = 43 Proz., war zweifelhaft 1 mal
= 14 Proz., war negativ 3 mal = 43 Proz.
Von 4 mit tuberkulöser Lunge angesetzten reagierten 3 positiv
= 75 Proz., 1 negativ = 25 Proz.
Gerade diese letzten Resultate bedürfen jedoch unserer Ansicht
nach noch einer weiteren Nachprüfung, da sie sich auf zu wenig
Fälle stützen.
Fassen wir zusammen, so reagierten mit normaler Lunge
Lungengesunde in 20 Proz., Lungentuberkulose in 24 Proz.; mit
tuberkulöser Lungen Lungengesunde in 20 Proz., Lungentuberkulose
in 83 Proz. sicher positiv.
Kaninchenlunge wurde von 6 inzip. Phthisen 3 mal abgebaut.
Niere, häufig mit angesetzt, wurde nur 1 mal von einer graviden
Lungenkranken abgebaut, von 4 Nierenkranken jedoch 2 mal sicher
und 1 mal zweifelhaft.
Aus dem Harn gewonnenes Eiweiss wurde von keinem
Phthisiker, dagegen von 6 Nierenkranken 4 mal stark abgebaut.
Plazenta wurde 12 mal mit angesetzt: 6 gravide Frauen
reagierten alle stark positiv. Schwach positiv reagierte eine Frau
mit Peritonealtuberkulose, bei einer nichtgraviden war die Reaktion
zweifelhaft, bei 2 nichtgraviden Frauen und 2 Männern negativ.
Ziehen wir aus unseren Versuchsresultaten einen Schluss, so
können wir sagen, dass zwar ein prozentual überwiegender Abbau
tuberkulöser Organe durch das Serum Tuberkulöser stattfindet, da?
jedoch bei uns auch Nichttuberkulöse sowohl normale wie tubei
kulöse Lunge abbauten. Wir sind jedoch nicht imstande zu en'
scheiden, ob es sich dabei wirklich um einen unspezifischen Abba
handelt, da es möglich ist, dass Versuchsfelder bei der ausserorden
lieh schwierigen Technik den Ausfall der Resultate beeinträchtigei
Herr May er- Bonn erwähnt kurz, dass er an der med
zinischen Klinik mit der Dialysiermethode, die er selbst im Abder
h a ! d e n sehen Institut kennen gelernt hat, bisher in 15 klinisc
sicheren Fällen von Tumor ventriculi noch keine eindeutigen Resu
täte erzielte. Bei den Versuchen wurde als Substrat Karzinom- un
Lymphosarkomgewebe benutzt, das beides von Magenresektione
herstammte. In den meisten Fällen wurden Karzinome und Sarkom
in annähernd gleicher Stärke abgebaut bei Anwendung doppelte
Kontrollen, ln einem Falle, der ante operationem die Symptome vo
Carcinoma incipiens oder Ulcus perforans in der Nähe des Pyloru
bot, wurde Lymphosarkom sehr stark, Karzinom zwar auch, abel
wesentlich schwächer abgebaut. Die mikroskopische Untersuchun
des bei der Magenresektion gewonnenen Präparates ergab tatsäch
lieh Lymphosarkom. Bei einem anderen Falle jedoch, bei dem ausse
gesunder Magenschleimhaut nur noch Lymphosarkom sehr stark al¬
gebaut wurde, fand sich nachher ein karzinomatöses Geschwür.
Herr Menzer: Für den Kliniker wäre es von grosser prak
tischer Wichtigkeit, wenn die Abderhalden sehe Reaktion für di
Geschwulstdiagnose eine ausschlaggebende Bedeutung hätte; all
übrigen Ergebnisse der A. R. für Schwangerschaft, Psychiatrie usv
sind doch mehr von theoretischem Interesse. Leider hat die A. R. i
der ersteren Frage bisher nicht sichere Resultate gegeben, wie auc
der Herr Vortr. anerkannt hat. Das liegt wohl daran, dass nebe
den Abwehrfermenten gegen die Geschwulstzellen noch unspezifischt
gegen das im Karzinom so reichliche Bindegewebe entstehen un]
diese zu Fehlresultaten führen. Man hat deshalb schon versuch
Epithelzellen u. dgl. isoliert zu gewinnen und gegenüber diesen di
Sera der geschwulstverdächtigen Menschen zu prüfen.
Auch die Prüfung der Sera verschiedener Menschen gegenüber
tuberkulösen Lungen ist nicht einwandfrei, weil in diesen auch daj
Tuberkelbazilleneiweiss enthalten ist und auch hier reine Reaktione
gegenüber Lungengewebe nicht erhalten werden.
Aus den Wiener medizinischen Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
K. k. Gesellschaft der Aerzte.
Sitzung vom 16. Oktober 1914.
Der Vorsitzende, Prof. Dr. S. Exner begrüsst die zahlreic
erschienenen Mitglieder und rühmt die ausserordentliche Aufopfe
rungsfähigkeit, die Tüchtigkeit und Grösse der Leistungen unsere
Aerzte bei ihrer oft freiwillig übernommenen Tätigkeit im Interess
der armen kranken und verwundeten Soldaten. Die Gesellschaft de
Aerzte hat schon drei Mitglieder als Opfer des Krieges verloren, e
sind dies die Herren: Primararzt Dr. Alfred Jungmann, Dr. Le>
G r ü n f e 1 d und Dr. Ernst Venus. Die Gesellschaft wird ihr An
denken stets in Ehren halten.
Dr. Siegfried G a t s c h e r stellt einen russischen Gefangene
vor, der einen Schuss in den Rücken bekam, wobei das Projekti
subkutan weiter ging und sodann (röntgenoskopisch) in der linkei
hinteren Schädelgrube, dem Basalteil anliegend, konstatiert wurde
Der Mann, der überdies einen leichten Streifschuss am linken Ober
arm aufwies, war nach dem Rückenschusse sofort bewusstlos zu
sammengestiirzt, klagte sodann über starke Kopfschmerzen, hatte Er
brechen und Bradykardie (50 Pulse), ferner eine Abduzensparest
hochgradige Stauungspapille mit retinalen Blutungen rechts etc. D;
am Schädel selbst keine Einschussöffnung zu finden ist, muss mai
annehmen, dass das Projektil vom Rücken aus, als der Mann ge
bückt stand, unter der Haut in die Schädelhöhle eingedrungen war
vielleicht durch das Foramen occipitale. Eine leichte Lähmung de
Mundfazialis und die Abduzenslähmung sind wohl zurückgegangen
doch besteht die Gefahr, dass sich die Kugel gegen die Medull;
oblongata senken könnte, weshalb in den nächsten Tagen operier
werden wird.
Dr. R. Schwarzwald zeigt einen Mann, der eine Schuss
Verletzung in die rechte Lendengegend bekam und nur einma
Hämaturie aufwies. Das Röntgenbild zeigt eine Schrapnellkugel h
der Blase. Auch in diesem Falle wird man operativ vorgehen
Der Vortr. erinnert an eine Demonstration im Vorjahre, bei welche
der gleiche Befund bestand, wobei der Patient nach der Operatioi
rasch genas.
In der Diskussion rät v. Eiseisberg ebenfalls im erstei
Falle zur Extraktion des Geschosses, da sich in der Mehrzahl de
Fälle um dieses ein Erweichungsherd und später ein chronische
Hirnabszess bilde. Hinsichtlich des zweiten Falles glaubt v. Eiseis
b e r g, dass hier die Blase offenbar stark muskulös und kontrahier
war, daher die Kugel in der Blase selbst liegen blieb. Er hat einet
Fall beobachtet, bei welchem ein Projektil durch die Bauchdeckei
eindrang und eines Tages mit dem Stuhle abging. Der Mann hatti
nur einige diarrhoische Entleerungen und etwas Blutabgang, sons
aber keinerlei bedrohliche Erscheinungen.
Redaktion: Dr. B. Spatz,
München, Amulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 45. 10. November 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 14.
Ueber Gasgangrän.
Von Eugen Fraenkel.
Es war vorauszusehen, dass dieser grausige Krieg mit den
durch die Wirkung der modernen Geschosse unausbleiblichen
schweren Verletzungen zur Beobachtung allerhand ernster, in
Friedenszeiten nur selten zu beobachtender Wundinfektions¬
krankheiten Anlass geben würde. So liegen schon jetzt zahl¬
reiche Mitteilungen, über gehäuftes Auftreten besonders von
zwei hierher gehörigen Erkrankungen vor, den Wundstarr¬
krampf und die sogen. Gasgangrän. Während dem Gros der
Aerzte Erfahrungen über die erste der beiden hier genannten
Affektionen wohl zur Seite stehen, dürfte das Gleiche nicht
für die als Gasbrand, Gasphlegmone, auch Gangrene fou-
droyante bezeichnete Erkrankung Geltung haben.
Ich komme daher gerne einer seitens der verehrlichen Re¬
duktion dieser Wochenschrift an mich ergangenen Aufforderung
nach, einen ganz kurzen Ueberblick über die Lehre von Gas¬
brand zu geben. Erst die moderne Bakteriologie der letzten
beiden Dezennien hat uns Klarheit über seine Aetiologie ver-
schafft. Die Affektion schliesst sich als Wundinfektion häufig
an schwere, Weichteile und Knochen betreffende Verletzungen
an, kann aber bisweilen nach geringfügigen Läsionen
Jer Haut und des Unterhautgewebes, wie beispielsweise nach
subkutanen Injektionen, auftreten. Bei den Kriegsverletzungen
scheinen nach den bisherigen Beobachtungen Granatschüsse
.jme verhängnisvolle Rolle zu spielen, und zwar durch das Ein¬
dringen von Splittern, die nach dem Krepieren der Geschosse
im Erdboden sich mit Erde verunreinigt haben.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass im Erdboden
acht selten sowohl die Erreger des Wundstarr-
v r a m p f e s, als auch desmalignen Oedems und des
Jasbrands angetroffen werden. So dürfte es zu ver¬
gehen sein, dass Aerzten der verschiedensten Lazarette die
raurige Gelegenheit gegeben ist, diese seit Einführung der
\nti- und Asepsis in Friedenszeiten extrem selten gewordenen,
fürchteten Infektionskrankheiten jetzt in grösserer Zahl zu
ehen. So haben zwei meiner bisherigen, jetzt auf dem
restlichen Kriegsschauplatz im Felde stehenden Assistenten
her viele Fälle von Gasgangrän berichtet und ähnliches hat
nir ein befreundeter Pathologe geschrieben, der neben einer
^.gewöhnlich grossen Zahl von Tetanusfällen auch mehrere
Jasphlegmonen zu sezieren Gelegenheit hatte.
Das, was der Erkrankung ihren Namen verschafft hat, ist
as Auftreten von Gas im Gewebe, das sich palpa-
,?nsch durch feines, bei leisem Betasten wahrnehmbares
.nistern verrät, wie wir es von dem sich bisweilen nach
racheotomien, nach ungeschicktem Katheterisieren der Tuba
ustachii, nach starken Hustenanfällen bei keuchhustenkranken
indem einstellenden Unterhautemphysem her kennen. Im
Gegensatz zu diesem, durch das Eindringen von Luft bewirkten
niphysem handelt es sich beim sogen. Gasbrand um ei n
|Urch Bakterienansiedlung in den Geweben
ntstehendes, mit zunderartigem Zerfall des
nterhaut - und Muskelgewebes und geringem
ustritt einer annähernd fleischwasser-
rtigen Flüssigkeit einhergehendes E m -
nysem, das man wegen der begleitenden, meist schweren,
.as Leben bedrohenden Störungen des Gesamtorganismus
nach Analogie des Oedema malignum auch als Emphysema
malignum bezeichnet.
Die Haut über dem so veränderten Gewebe kann im
ganzen unverändert, bisweilen auffallend blass erscheinen.
Letzteres erklärt sich ungezwungen aus der durch die oft sehr
rapide Gasbildung verursachten Auftreibung von Unterhaut-
und Muskelgewebe und aus der sich dann auf die Haut über¬
tragenden Spannung. In anderen Fällen kann aber die Haut
ein missfarben rotes Kolorit darbieten, wie es scheint besonders
dann, wenn es zu stärkerer hämorrhagischer Durchsetzung der
verletzten Weichteile gekommen ist. Hierbei spielt wahr¬
scheinlich die Fähigkeit des Krankheitserregers, den Blutfarb¬
stoff zu verändern, eine massgebende Rolle; bisweilen sieht
man auch Blasenbildung an der Oberhaut.
Schneidet man auf in dieser Weise erkrankte Gewebe ein,
dann entleert sich unter deutlichem Knistern Gas, und man
kann, namentlich in der Muskulatur, spaltförmige oder kreis¬
runde Lücken sehen, die den durch lokalen Effekt der an-
gesied eiten Bakterien erzeugten, von Gasblasen durchsetzten
Zerfallsherden entsprechen. Das Muskelgewebe zerfällt dabei
m allei feinstes Material und man kann am mikroskopischen
Praparat unter Umständen die mit einem molekularen, aus er¬
weichter kontraktiler Substanz bestehenden Brei erfüllten
barkolemmschläuche erkennen, zwischen denen die krankheits-
auslösenden Bakterien in dichten Schwärmen zusammenliegen
Bei längerem Bestehen der Erkrankung schwellen die den Sitz
einer solchen abgebenden Körperteile ganz unförmig an, und es
kann dann sekundär zur Thrombosierung ober-
sächlicher und tiefer Verienstämme kommen,
,rc,h verhängnisvolle Komplikationen her¬
beigeführt werden. Bei ausschliesslicher Infektion mit den
Erregern der Gasgangrän bleibt jede Spur einer
Eiterung aus. Es ist daher vielleicht zweckmässig, von
der Bezeichnung Gasphlegmone, die event. die Vorstellung
einer von Gasbildung begleiteten Gewebseiterung erwecken
könnte, Abstand zu nehmen und die Erkrankung entweder
kurzweg als Gasbrand oder, wie oben erwähnt, als m a -
rl g.P? s Emphysem zu benennen. Ganz zutreffend sind
freilich, wie bemerkt werden mag, auch diese Ausdrücke
nicht.
as mm die in Betracht kommenden Krankheitserreger
anlangt, so handelt es sich nach der grossen Reihe der jetzt
ciiis allei Herren Länder vorliegenden kasuistischen Mit¬
teilungen nahezu ausnahmslos um anaerobe Bakterien.
Es fehlt zwar nicht an vereinzelten Angaben, denen zufolge
ciin-Ii durch i den Proteus Hauseri (spez. bei Diabetikern) auch
durch den Kohbazillus Oasgangrän erzeugt werden könne. In¬
des spielen diese Bakterien, deren Bedeutung für die Aetio-
Icgie des Gasbrandes keineswegs allgemein anerkannt ist, eine
ganz untergeordnete, für die Praxis nicht zu berücksichtigende
Kölle. Im wesentlichen sind, wie nochmals betont sei,
exquisit anaerobe Bakterien für die Entstehung des
Gasbrandes verantwortlich zu machen.
Ich vertrete dabei den Standpunkt, nur solchen B a k -
t e r i e n eine für die uns beschäftigende Krankheit mass-
geb endeätiologische Bedeutung zuzuerkennen,
di e in Fallen von bei Menschen beobachtetem
Gasbrand gefunden worden sind, nicht aber allen
möglichen Bakterien, die sich aus Erde, aus zersetzter Milch,
2218
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4?
aus menschlichen oder tierischen Schaumorganen züchten
lassen, und mit denen man bei Versuchstieren ein dem beim
Menschen spontan auftretendes ähnliches Krankheitsbild her-
vorrufen kann. Und weiterhin stelle ich die Bedingung, dass
die aus Fällen echter menschlicher Gasgan¬
grän durch Kultur gewonnenen Bakterien
imstande sind, im Experiment die gleiche Er¬
krankung zu erzeugen. Hält man sich diese For¬
derungen vor Augen, dann schrumpft die Menge der von ein¬
zelnen Autoren als Gasbranderreger angesehenen Bakterien
auf ein Minimum zusammen.
Ausdrücklich möchte ich bemerken, dass es Fälle geben
kann, die klinisch den Eindruck des Gasbrands machen, und
die ätiologisch doch von diesem zu trennen sind, weil die kul¬
turelle Untersuchung der Krankheitsprodukte Bakterien zutage
fördert, die von denen des echten Gasbrands wesentlich ver¬
schieden sind. Ich denke dabei vor allem an das sogen,
maligne Oedem. Wenn auch im allgemeinen, wie schon der
Name besagt, ein gewaltiges, das Unterhaut- und intramusku¬
läre Gewebe betreffendes, bald rein seröses, bald sanguino¬
lentes Oedem, ähnlich dem bekannten Milzbrandödem, im
Vordergrund steht, so ist doch nicht in Abrede zu stellen, dass
neben dieser Durchtränkung der Gewebe mit Flüssigkeit eine
Durchsetzung desselben mit allerfeinsten Gasbläschen bestehen
kann. Aber diese Erscheinung tritt vollkommen zurück gegen¬
über dem starken Knistern, das den Gasbrand charakterisiert,
bei dem die Ausschwitzung von Flüssigkeit einen mehr unter¬
geordneten Befund darstellt. Es sind also in diesen Fällen
schon klinische Unterscheidungsmerkmale vorhanden und
Kultur- und Tierversuch führen erst recht zu einer Differen¬
zierung beider Prozesse. Namentlich der Tierversuch ermög¬
licht eine Trennung beider Erkrankungen unschwer. Für den
Erreger der Gasgangrän ist das Versuchstier
x«r oyry das Meerschweinchen, für den des ma¬
lignen Oedems vor allem das Kaninchen, das sich
dem Haupterreger der Gasgangrän gegenüber vollkommen
refraktär verhält.
Es genügt also zur Entscheidung der Frage, ob man es in
einem bestimmten Fall mit echtem Gasbrand oder mit ma¬
lignem Oedem zu tun hat, die Einbringung von etwas er¬
kranktem Unterhaut- oder Muskelgewebe unter die Bauch-
haut eines Meerschweinchens und Kaninchens, um meist nach
12—18 Stunden die sichere Diagnose nach der einen oder
anderen Seite stellen zu können. Im: ersten Fall bleibt das
Kaninchen gesund, im letzteren stellt sich bei ihm ein ge¬
waltiges, 1 — 2 Qnerfinger dickes, sich von der Impfstelle meist
über die ganze Bauch- und vordere Thoraxfläche ausdehnen¬
des, gallertähnliches Oedem ein, in dem man hier und da
allerkleinste Gasbläschen erkennen kann. Das Meerschwein
erkrankt in beiden Fällen, ist aber differentialdiagnostisch doch
insofern zu verwerten, als auch bei ihm, falls der Erreger des
malignen Oedems in Frage kommt, die Gasbildung gegenüber
dem mächtigen Oedem vollkommen in den Hintergrund tritt.
Als bei weitem wichtigster, weil bei der grössten
Mehrzahl aller Fälle von echtem Gasbrand in den verschieden¬
sten Teilen des Erdballs nachgewiesener Bazillus kommt der
vom Verfasser im Jahre 1892 gefundene, seitdem in der
deutschen Literatur als Fraenkelscher Gasbazillus
bezeichnete Mikroorganismus in Betracht, der obligat anaerob,
unbeweglich ist, nur ganz ausnahmsweise Sporen bildet.
Namentlich in traubenzuckerhaltigen oder mit anderen redu¬
zierenden Substanzen (ameisensaures Natron) versetzten
Nährböden wächst er unter starker Gasbildung, am besten bei
Körpertemperatur, aber, wenngleich erheblich langsamer, auch
bei Zimmerwärme. Er verflüssigt Gelatine und bringt Milch
unter lebhafter Gasproduktion zur Gerinnung. Es ist ein ziem¬
lich plumpes, kurzes, dickes, sich mit allen Anilinfarben, auch
nach der Gram sehen und erst recht nach der Weigert-
schen Methode tingierendes Stäbchen, dessen Nachweis an
\usstrichpräparaten von erkranktem Gewebe mühelos gelingt.
Er unterscheidet sich vom Milzbrandbazillus durch seine ab¬
gerundeten, nicht wie bei diesem abgeschrägten Enden und
durch die ihm fehlende, dem Oedembazillus aber eigne
Schlankheit. Man kann also bei einiger Uebung schon aus
dem einfach herzustellenden, mit dünner Karbolfuchsinlösung
gefärbten Ausstrichpräparat die Wahrscheinlichkeitsdiagnos
auf Gasbrand, Milzbrand oder malignes Oedem stellen.
Es sind späterhin, namentlich von Ghon und Sach
und von v. H i b 1 e r, andere ausgesprochene Anaerobier bt
Fällen von menschlicher Gasgangrän gezüchtet worden, di
sich teils kulturell, teils im Tierversuch von dem Fraenkel
sehen Gasbazillus unterscheiden. Ueber die Häufigkeit ihre
Vorkommens beim Gasbrand wissen wir bislang nicht
Sicheres.
Für das praktische Handeln ist das auch unerheblich. 1;
allen Fällen von Gasbrand kommt es darauf an, ein
möglichst frühzeitige klinische Diagnose zk
stellen und rasch einzugreifen. Denn der Prozess ha;
die Tendenz, sich unter Umständen ganz rapid auszubreite»
und innerhalb weniger Stunden eine halbe, ja ganze Extreinitä1
zu befallen. Man muss deshalb rasch grosse Inzisione;
machen und für ausgiebigen Zutritt von Sauer
Stoff sorgen, der die Weiterentwicklung der in Betracli!
kommenden Krankheitserreger hemmt. Neuerdings hat maf
erfolgreich Infiltrationen der erkrankten Ge
webe mit ein strömendem Sauerstoff aus den be
kannten Sauerstoffbomben, die zu diesem Zweck mit eine
langen Injektionsnadel armiert werden, vorgenommen. Es ist
auf diese Weise gelungen, ein Weiterschreiten des Prozesse:
zu verhüten und so das Leben und die erkrankte Extremitä
zu erhalten. Wo diese Massnahmen nicht ausreichen, bleib
nichts übrig, als die Amputation der ergriffenen Extremität
wonach auch noch Heilung eintreten kann.
Ernst ist die Prognose der Gasgangrän unte
allen Umständen, aber nicht absolut infaust. In etwi
einem Viertel aller Fälle dürfte es gelingen, durch die an
geführten Encheiresen (Sauerstoffinfiltration der Gewebe, aus
gedehnte Spaltungen und Ausstopfen der Wunden mit vo\
Wasserstoffsuperoxyd durchtränkten Tampons) das Leber
und die Extremität zu erhalten, in anderen, nach Absetzung
der letzteren, wenigstens das Leben der Patienten zu retten
Ist der Prozess auf den Hals oder den Thorax fortgekrocheq
dann dürfte allerdings jede chirurgische Hilfe erfolglos sein
Von einer spezifischen, antibakteriellen Thera
p i e ist nach unseren, bis jetzt in dieser Beziehung angestellter
experimentellen Untersuchungen nichts zu erwarten
Auch eine innere Behandlung des Leidens kennen wir bishe
nicht. Der Arzt muss sich hier darauf beschränken, sein Han
dein so einzurichten, dass die Kräfte der Patienten hoch
gehalten werden.
Aus dem Feldlazarett I. Kgl. bayer. II. Armeekorps.
Lieber einige Fälle von Gasphlegmonen.
Von Privatdozent Dr. Franke aus Heidelberg, Oberarzt in
Lazarett.
Während der Tätigkeit unseres Lazarettes in Longueva
vom 29. September bis 5. Oktober 1914 hatte ich Gelegenheit
6 Fälle der erwähnten Erkrankung zu beobachten und mi
einer Ausnahme selbst zu operieren. Bei der Seltenheit der
artiger Fälle im Frieden dürfte das Krankheitsbild nicht all
gemein bekannt sein und das mag diese Mitteilung recht,
fertigen.
Sämtliche Erkrankten hatten als Infektionsquelle zerrissene
Wunden am Unterschenkel, wohl ausnahmslos hervorgerufen durch
Artilleriegeschosse. Mit bereits ausgebildeter Phlegmone eingeliefer
wurde keiner von den Verwundeten, sondern erst während des Laza
rettaufenthaltes entstand diese schwere Entzündung. Der Gruntj
dafür ist das ausserordentlich schnelle Fortschreiten der Phlegmone
und der schnelle Verfall des Körpers. Meist war es so, dass die be¬
treffenden Patienten sich am Abend noch völlig wohl fühlten; an
nächsten Morgen bei der Visite klagten sie dann über sehr heftige
Schmerzen in der entsprechenden Extremität, das Aussehen war ver
fallen, der Puls stark beschleunigt, und die Temperatur zwischen
39° und 40°. Eine Ausnahme soll später erwähnt werden. Dü
Untersuchung zeigte übereinstimmend den Fuss und den grösste:
Teil des Unterschenkels im ganzen graugelb verfärbt mit starkei
bläulicher und grüner Marmorierung, beim Angreifen eiskalt. Die
Verfärbung reichte immer beträchtlich weiter als die kalte Partie
und soweit die Erkrankung reichte, bestand starke Schwellung. Au
den ersten Blick musste man nach den Erfahrungen im Frieden ar
eine schnell fortschreitende Venenthrombose denken. Zweifel in Bei
Diagnose aber waren immer schnell zu beseitigen durch den Nach-
10. November 1914.
2219
Fcldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
weis ausgedehnter (iasansammlungen im subkutanen Gewebe, die
auch noch über die verfärbte Zone hinaus nach dem Rumpfe hin
sich erstreckten. Gerade die Grenze des Erkrankten gegen das Ge-
sunde war besonders druckempfindlich, viel mehr als der periphere
Teil der Extremität. Wenn man einmal dieses Bild gesehen hat,
wird man es immer leicht auf den ersten Blick erkennen.
Die Drage der Behandlung war in 4 Fällen leicht entschieden.
Der periphere I eil der Extremität war bereits eiskalt, das Allgemein¬
befinden schlecht, und wer es nicht gesehen hat, wird kaum glauben,
wie schnell von A zu A Stunde die Phlegmone nach dem Zentrum
zu fortschreitet. Die schleunigste Amputation an der Grenze des Ge¬
sunden und Kranken war das einzig Gegebene. Wir haben mit ein¬
zeiligem Zirkelschnitt operiert und die Wunde selbstverständlich
\ollständig offen gelassen. In den beiden anderen Fällen aber war
das Hautemphysem bereits auf dem Rumpfe bis zum Bauch und in
einem lalle bis zur seitlichen rhoraxwand fortgeschritten, so dass
man sich fragen musste, ob eine Operation überhaupt noch Zweck
naben konnte. Aber die Ueberlegung, dass man nichts zu verlieren,
sondern nur zu gewinnen hatte, erleichterte die Entscheidung und
ich habe beidemale die Exartikulation im Hüftgelenk gemacht nach
vorheriger extraperitonealer Unterbindung der Arteria iliaca externa.
Zu meiner grossen Freude und Erstaunen hat sich der eine Patient
danach schnell erholt, und als wir ihn am dritten Tage nach der
Operation aus militärischen Gründen forttransportieren mussten, war
_as Emphysem am Bauch und der seitlichen Thoraxwand zum gröss¬
ten Teil resorbiert. Die Temperatur hatte nach der Operation 37,3°
nicht mehr überschritten bei sich ständig besserndem Allgemein¬
befinden. Der andere Verwundete aber, der vor der Operation be-
reits eine Temperatur von 36,8° hatte und sehr schlechtes Allgemein¬
befinden (Kollaps) ist sofort nach Beendigung des Eingriffes ge¬
storben.
Zusammenfassend möchte ich deshalb sagen: 1. das er¬
mähnte Krankheitsbild ist leicht zu erkennen aus dem schnellen
Entstehen und Fortschreiten der hohen Temperatur und dem
Nachweis des subkutanen Emphysems bei zusehends sich ver¬
schlechterndem Allgemeinbefinden. 2. Auch wenn eine A b -
Atzung im Gesunden nicht mehr möglich ist, braucht
nan nicht vor der Operation zurückzuschrecken, die auch
)hne die Mittel der modernen Klinik, und ich denke da in
nster Linie an Sauerstoffinjektionen, doch noch von Erfolg
begleitet sein kann.
tus dem Reservelazarett Diakonissenhaus — Universitäts-
Nervenklinik Freiburg i. B.
Ueber Kriegsverletzungen des Nervensystems*).
Von Prof. Hotz.
Unter den bisher beobachteten Schädigungen des Nerven-
ystems fanden sich besonders am Anfang des Feldzuges
inige Fälle von Commotio cerebri (durch Aufschlagen
ines Granatsplitters auf den Helm, Kolbenschlag), Verletzte,
ei welchen die Schädigung des Gehirns, Benommenheit,
tupor, Pulsverlangsamung bis unter 50, zunächst ein be-
ngstigendes Bild darboten. Die genaue Untersuchung des
chädels, das Verhalten des Pulses, welcher stets regelmässig
nd ohne die charakteristische Spannung blieb, das Ausbleiben
gend welcher Herdsymptome und nachträglicher Erschei-
ungen einer Basisfraktur Hessen erwarten, dass eine schwere
rganische Verletzung nicht vorliege. Diese Patienten er¬
sten sich dann im Laufe einiger Tage vollkommen, ohne dass
die Indikation zu einem operativen Eingriff erwachsen wäre,
lehrfach machten wir die Beobachtung funktioneller
törungen im peripheren Nervensystem, Sensibilitäts¬
prung im Bereich der einen Körperhälfte oder des Unter-
ibes, verbunden mit Blasenretention, angebliche Lähmung
-S Beines nach einem Schuss durch die Wade, nach wirk¬
ten, meistens harmlosen perforierenden Verletzungen oder
ich im Anschluss an den Schock eines in der Nähe explo-
erenden Artilleriegeschosses. Die objektive Untersuchung
ss eine durch die angegebene Schusswirkung erfolgte anä¬
mische Veränderung nicht erkennen; irgendwelche Läh-
ungserscheinungen waren auszuschliessen. Trotzdem drängten
‘rade die von derartigen Verletzten angegebenen inten-
‘ en Schmerzen und die zur Schau getragenen, oft hoch-
udigen Funktionsstörungen dazu, eine tiefgreifende orga-
sche Verletzung auf den ersten Blick anzunehmen. Alle
*) Nach einem gemeinsam mit Herrn Geh.-Rat Prof. Hochc
gehaltenen Vortrag für die Freiburger Lazarettärzte am 20. Sep-
nber 1914.
diese Fälle kamen nach einigen Tagen ohne besondere
Iherapie langsam zur Ausheilung und die in dieser Zeit mit
den Verletzten vorgenommene eingehende Unterhaltung
zeigte, dass es sich meist um Individuen handelte, deren Or¬
ganismus durch irgend welche frühere allgemeine Schädigung
so weit disponiert war, dass es nur der Ueberanstrengung des
Feldzuges oder einer mehr schreckhaften als ernstlichen Ver¬
letzung bedurfte, um Erscheinungen rein funktioneller Stö¬
rungen des Nervensystems in mehr oder weniger starker
Intensität auszulösen, ohne dass hierbei allerdings eine be¬
wusste Täuschung oder absichtliche Aggravation zutage ge¬
treten wäre, wie wir sie in Friedenszeiten so häufig beob¬
achten als Folge der sozialen Unfallsgesetzgebung. Selbst bei
Verwundung der Schädeldecken durch Schrapnell- oder
leichte Streifschüsse konnten wir gelegentlich derartige, rein
funktionelle und mit keiner Gehirnlokalisation zu vereinbarende
Störungen beobachten. Eine Tatsache, die uns mit Rück¬
sicht auf die operative Tätigkeit überaus wichtig erscheint und
einer exakten neurologischen Untersuchung besonderen Wert
verleiht Q.
Die Hirnkontusionen werden uns immer veranlassen, mit
der operativen Therapie zurückzuhalten. Wenn wir uns auch
bewusst sind, dass die im Feldzug beobachteten Kopfver¬
letzungen durch ganz andere mechanische Verhältnisse ent¬
stehen als die Schädigungen in Friedenszeit, bei welchen die
Basisfrakturen und die intrakraniellen Blutungen überwiegen,
so müssen wir doch zugeben, dass eine sichere Diagnose viel¬
fach nicht leicht und erst nach Tagen der Beobachtung zu ent¬
scheiden ist. Besondere Aufmerksamkeit erfordern die ver¬
schiedenartigen Herdsymptome, eingerechnet Störungen des
Sehvermögens, Stauungspapille und die Qualität des Pulses,
welcher nicht den Charakter des Druckpulses oder der Vagus¬
lähmung annehmen soll, neben den psychischen Erscheinungen
der bei ernster Verletzung in Somnolenz übergehenden Be¬
wusstseinsstörungen.
Die Mehrzahl der sogen, Kopfschüsse, welche in
unsere Beobachtung gelangten, umfasst Verletzungen der
Schädel- und Gehirnwölbung. Nur in zwei Fällen, welche
ohne weiteres ausheilten, sahen wir Querschüsse durch die
Basis mit Verlust des einen Sehnerven.
Für die operative Therapie kommen haupt¬
sächlich in Betracht die zahlreichen Fälle
von Tangential Schüssen, deren Einfluss auf das Ge¬
hirn durch die Impression des Schädeldaches, Dura- und Ge¬
hirnverletzung bekannt ist. Nicht in jedem Falle ist der
Knochen selbst mitbeteiligt, wie aus folgender Beobachtung
hervorgeht:
F B- w„ 8- Jägerbataillon. Verwundet am 29. VIII. Eintritt
IX. 14. Streifschuss über die rechte Kopfseite. Anfangs ohne
Besinnung, konnte dann wieder mit der Truppe marschieren, fühlte
jedoch sogleich eine Störung im linken Fuss.
Hef un dl: Ueber der rechten Scheitelhöhe, 2cm neben der
Mittellinie findet man einen 6 cm langen, kaum 2 mm breiten Streif¬
schuss der ualea ohne Infiltration oder palpable Veränderungen des
Knochens. Dei linke Fuss kann in Sprunggelenk, Vorderfuss und
Zehen nicht bewegt werden. Beim Gehen wird er in leichter Aus¬
wartsrotation nachgezogen mit spastischem Gang, starker Fussklonus.
Kmescheibenrefiex links gesteigert, deutliche Gefühlsstörungen in
Unterschenkel und Fuss. Das Röntgenbild lässt eine Knochen-
veranderung nicht erkennen
Operation am 4. IX 14: Da die Symptome immer gleich
bleiben, wird eine Schädigung durch Depression der Lamina vitrea
vermutet. Lokalanästhesie, Exzision des Wundstreifens führt auf die
intakte Schädeloberfläche. Mit dem Trepan wird erst eine Oeffnung
gebohrt bis. auf die Dura, dann die Knochenlücke mit L u e r scher
Zange erweitert. Zwischen Dura und Knochen findet sich ein dunkles,
etwa 5 cm breites, flächenförmiges Hämatom, welches mit dem
Löffel entfernt wird. Genaues Nachfühlen zeigt, dass keine Knochen-
depression der Lamina vitrea vorliegt. Die Dura wird punktiert,
etwas altes Blut entleert und dann gespalten auf 2 cm Länge. Man
tindct über dem obersten Teil der vorderen Zentralwindung eine
blutige Verfärbung der weichen Hirnhaut. Durch Punktion lassen
sich 3 ccm erweichter hämorrhagischer Hirnsubstanz mit der Spritze
entleeren, Nun ist lebhaftere Pulsation zu erkennen. Da keine
penetrierende Oeffnung vorhanden war, wird die Dura völlig ver¬
näht. Im Knochen resultiert ein Defekt von Mi: 2 cm. Darüber
wird die Kopfschwarte völlig verschlossen. Heilungsverlauf unge¬
stört, die Parästhesien verschwinden am 4. Tag. Am 13. IX. kann
U Die neurologische Bearbeitung des vorliegenden Materiales
verdanke ich der Mitarbeit des Herrn Geheimrat Prof. Hoche.
2220
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift.
Nr. 45
Pat. plötzlich den linken Fass und die Zehen wieder bewegen; Fuss-
klonus ist noch vorhanden, aber geringer; der Gang bessert sich
rasen. Wunde p. p. geheilt.
Wir ersehen daraus, dass der Streifschuss durch
Finbiegen der Konvexität des Schädels eine
lokalisierte, und je nach der Lage eingreifende Schädigung der
Gehirnkonvexität zur Folge haben kann, welche sich durch
den einfachen Eingriff der Trepanation und Funktion beseitigen
lässt.
2 K„ Res.-Inf.-Reg. Nr. 15. Verwundet am 29. VIII. 14, Streif¬
schuss an der linken Schläfe. Fintritt am 2. IX. 14.
Befund: Tangentialschuss der linken Schläfenseite, kleiner
Einschuss unterhalb des Tuber frontale. Ausschuss 3 qcm gross, 3 cm
oberhalb der Mitte des Jochbeins, Streifschuss der Ohrmuschel.
Zwischen diesen beiden Punkten ist die Kopfdecke stark geschwollen,
i emperatur 38,6, Puls 60, kehren am nächsten Tag zur Norm zurück,
doch zeig; sich eine fortschreitende Herabsetzung der Aufmerksam¬
keit, zunehmender Stupor, Sprachstörungen durch schlechte Arti¬
kulation, während die Rede und das Hörverständnis nicht beein¬
trächtigt erschien. Extremitäten frei, leichte Parese des rechten
Fazialis. Zunge gerade vorgestreckt, geringe Schluckbeschwerden.
7. IX. sehr starke Kopfschmerzen, einmal Erbrechen. Puls ge¬
spannt, 57.
Operation 7. IX.: In Narkose wird der Schusskanal gespalten,
die Ränder exzidiert. Man findet nun eine Knochenrinne, beginnend
4 cm oberhalb des Orbitarandes über Stirnbein und Scheitelbein bis
oberhalb des Kiefergelenks. Die Rinne, % cm breit, ist ausgefüllt
von zahlreichen kleinen Knochensplittern, welche z. T. weit unter den
Knochen auf die Dura hereingedrückt sind. Diese Rinne wird er¬
weitert, ausgeräumt, Duraverletzung ist nicht zu erkennen. Man
trifft auf die A. meningea media an ihrer Teilungsstelle in vorderen
und hinteren Ast. Durch Umstechung wird dieses Gefäss ver¬
schlossen. Dann punktiert man durch die Dura, spaltet dieselbe und
entfernt im Bereich der 3. Stirnwindung und der Fossa Sylvii 3 ccm
hämorrhagischen Gehirnbreies. Naht der Dura. In die auf 3 cm ver¬
breiterte, 6 cm lange Knochenrinne wird ein Drain eingelegt und
darüber die Weichteildecke vernäht
ln den folgenden Tagen bei gutem Temperaturverlauf wird das
Sensorium wesentlich freier. Am 9. IX. fängt Pat. an zu lesen und
zu schreiben Die Sprache ist bis auf die noch deutlichen Störungen
in der Artikulation ganz frei 16. IX. wesentliche Besserung in der
Sprache. Allgemeinbefinden ungestört, die Wunde ist p. p. geheilt.“
3. M. G„ Inf.-Reg. 172 Eintritt am 11. IX. 14, Verwundet am
7. IX. 14. Infanteriestreifschuss auf der rechten Seite des Hinter¬
kopfes. Kurze Zeit bewusstlos, geht dann selbst zum Verbandplatz.
Befund: Keine Bewusstseinsstörungen. Auf der rechten Seite
des Hinterkopfes findet sich eine 6 cm lange, vertikal aufsteigende
Strcifschusslinie von der Lambdanaht aufwärts in blutig sulziger
Umgebung. Geringe Sekretion. Eine Knochendepression lässt sich
nicht durchfühlen. Bewusstsein vollkommen klar, alle Bewegungen
normal, angeblich keine Augenstörungen. Temperatur afebril. Puls
70, regelmassig. Bei dem Fehlen aller Gehirnsymptome wird von der
Annahme einer den Schädel perforierenden Verletzung abgesehen.
Geringe Wundsekretion. Verlauf bis zum 13. IX. ohne Störungen,
dann Klagen über Kopfschmerzen im Hintertiaunt. Pat. mag nicht
mehr essen, gibt vollkommen klare Auskunft, Nystagmus. 15. IX.
Puls zwischen 70 und 60 Zeitweise etwas benommen. Gibt an,
er könne nicht mehr deutlich sehen. Nystagmus, starke Stauungs¬
papillen beidseits, rechts mit beginnender Neuritis. Sehschärfe hat
rasch abgenommen. Heftige Kopfschmerzen, keine Temperatur¬
steigerung.
Das Röntgenbild zeigt in der Gegend des rechten Parietal¬
lappens eine tiefe Impression von etwa Dreimarkstückumfang.
Operation am 16. IX.: Lokalanästhesie durch Umspritzung.
Umstechungsnähte zur Blutstillung Man umschneidet in vertikaler
Linie die Wundränder und gelangt auf eine 4:2cm grosse De¬
pressionsfraktur der Schädeloberfläche. In kreisförmigen Lamellen
sind die Knochenstücke in die Tiefe gepresst, so stark, dass weder
Blut noch Gehirnsubstanz austreten kann. Die Knochenlücke wird
auf allen Seiten etwas erweitert. Es gelingt so, 3 grössere De¬
pressionsstücke über der Dura zu entfernen. An einer Stelle findet
sich ein 1 cm langer Riss in der harten Hirnhaut, aus welcher sofort
mit Druck altes Blut und etwa 1 Kaffeelöffel voll breiförmige Hirn¬
substanz herausquillt. Die Splitter werden entfernt, die Dura legt
sich nun in den knöchernen Defekt ein Ein kleiner Tampon wird
in den Schlitz derselben eingeführt, grosser Verband. 2 Stunden
später gibt Pat an, er fühle sich bis auf geringen Wundschmerz
wieder vollkommen wohl. Die Kopfschmerzen seien ganz ver¬
schwunden. Weitere Heilung ungestört.“
Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass das Ver¬
halten der äusseren Schädelwunde in keinem
he stimmten Verhältnis steht zu der funk¬
tionellen Gehirnstörung. Die Palpation lässt mei¬
st! ns wegen der starken Anschwellung der Weichteile keinen
Rückschluss zu auf die Ausdehnung der Verletzung des Schädel¬
daches. Einzig das Röntgenbild kann uns in dieser Hinsich
genaueren Aufschluss geben.
In einem Falle von Querschuss durch das Parietalhiri
sahen wir 3 Wochen nach der Verletzung keinerlei funktio
nelle Störung. Der Ausschuss zeigte geringe Fistelbildung in
folge eines kleinen demarkierten Sequesters. Steck
s c h ii s s e können recht harmlos verlaufen. Zweimal saher
wir französische Infanteriegeschosse, welche als Querschlägei
von vorne in das Stirnhirn eingebrochen waren. Es zeigt!
sich auch hier, dass bei umfangreicher Verletzung keine Folget
von Gehirndruck eintraten. Kleinere Steckschüsse wiederun
können ausgedehnte Lähmungserscheinungen im Gefolgt]
haben, wenn das motorische Rindengebiet beteiligt ist.
4. L. B.. Regt, de ligne 220. Eintritt am 27. VIII. Schussver-
Ietzung der rechten Schädelseite am 25.. VIII., kann nicht angeben,
durch welche Waffe.
Befund: Kleine, trockene Galeawunde über dem rechten
Parietale mit derber Infiltration der umgebenden Weichteile. Art
zwei Stellen geringfügige Schürfung. Linker Arm und linkes Bein
sollen gleich nach der Verletzung gelähmt gewesen sein, so dass
der Verletzte nicht mehr gehen konnte. Jetzt zeigt sich eine schlaffe
Lähmung der linken Hand und des linken Vorderarmes. Elevation
de.-, Oberarms nur mit geringer Kraft möglich. Unterschenkel, Fuss
gut zu bewegen, der Oberschenkel wird nur mit geringer Kraft ge¬
hoben und gestreckt Temperatur 37,2, Puls 80. 29. VIII. Während
der Nacht zunehmende Kopfschmerzen, Apathie, stärkere Parese des
linken Beines.
Diagnose: Knochendepression (Schussverletzung des rechten
Arm- und Beinzentrums).
Operation 29. VIII.: Nach Krönlein wird der Sulcus
centralis markiert, dann in Narkose ein kleinhandtellergrosser osteo-j
plastischer Lappen mit Trepan und Fräse freigelegt. Man findet
eine Vs cm grosse rundliche, glatte Perforation des Knochens, welche
auch die Dura perforiert hat. Aus dieser Oeffnung quillt beim Ab¬
heben sofort unter Druck etwas braunroter Gehirnbrei vor.
Vorerst wird punktiert, mit der Spritze noch etwa 4 ccm dieser
hämorrhagischen Masse aspiriert, dann die Dura gespalten. Man
findet über c’cr vorderen Zentralwindung unter der Dura ganz
geringe blutige Auflagerungen. Die weichen Gehirnhäute sind in-
farziert und lassen noch etwas Gehirnbrei austreten. Ein Projektil1
ist mit der Sonde nicht zu fühlen, wird auch nicht weiter gesucht.
Mit der Fräse wird die Knochenlücke erweitert, dann durch den
Einschuss ein Drain durch die Dura bis in den Erweichungsherd
eingelegt und darüber der Knochendeckel reponiert, die Haut vernäht.
30. VIII. Temp. 37.8, Puls 70. Der Vorderarm kann wieder bewegt
werden, in den folgenden Tagen stellt sich die Beweglichkeit des
gelähmten Armes und des Beines wieder her. Es bleibt noch eine
leichte Ataxie zurück, welche das Gehen etwas erschwert. Entlassen
am 10. IX. Trepanation p. p. geheilt. Keine Sekretion. Leichte
Parese und Ataxie.
Eine Zerstörung von Gehirnsubstanz kann
direkt durch das Geschoss oder die ver¬
lagerten Knochensplitter zustande kommen.
Aus unseren Fällen sehen wir, dass aber noch ein anderer
Vorgang für die Gehirnschädigung massgebend ist, einei
posttraumatische Gehirnerweichung, welche
auf frische Blutungen, Oedem und lokale Zir¬
kulationsstörungen zu beziehen ist. Unter
diesem Einfluss, wie auch unter dem Druck eingetriebener
Knochensplitter kommt es zu vitalen Ernährungsstörungen der
primär Ungeschädigten Hirnsubstanz in der Umgebung der
Verletzungsstelle und es resultiert daraus eine mehr oder
weniger ausgedehnte Nekrose progredienten Charakters, wie
sic z. B. Bergmann, neuerdings wieder Borchardt her¬
vorgehoben hat. Diesen durch den Operationsbefund nach¬
gewiesenen Veränderungen entsprechen auch die klinischen
Beobachtungen. Nach Abklingen der ersten Ver¬
letzungsfolgen sehen wir bei diesen Hirn¬
schüssen regelmässig ein Intervall, welches
sich bei recht gutem Befinden über mehrere
Tage erstrecken kann. Erst später zeigt sich
dann eine zunehmende Verschlimmerung,
welche in allgemeinen Druckerscheinungen.
Bewusstseinsstörungen, heftigen Kopf¬
schmerzen, Druck puls und in lokal gestei¬
gerten Reizungs - oder Lähmungssymptomen,
kombinierten Herderscheinungen, z. B. Bra¬
ch i o -, später k r u r a 1 e r Typus oder Sprach¬
störungen mit Fazialisparese zum Ausdruck
kommt. In allem erkennen wir auch kliifisch die
10. November 1914.
2221
Feldärztlichc Beilage zur Münch. med. Wochenschrift.
Tatsache einer progredienten H i r n s c h ä d i -
-ung, bedingt durch die aus Trauma und Zirkulations¬
störungen resultierende aseptische Hirnerweichung, welche
namentlich bei den I angentialschüssen durch ausgedehnte
Knochendepression und vermehrten Hirndruck begünstigt wird.
Perforationsschüsse zeigen im allgemeinen sel¬
tener diesen Verlauf, weil meistens die Knochendeformation
geringfügiger und die beiden Schussöffnungen besser geeignet
sind zu natürlichem Ausfluss und Druckentlastung. Eine
spontane Heilung der Tangentialschussverletzung i s t
zweifellos möglich. Der Herd kommt zur Abkapse¬
lung, kann sich nach Resorption zu einer Zyste formieren oder
bindegewebig organisiert werden. Immer tesultiert daraus
auch eine Narbe mit der Möglichkeit von Spätfolgen wie
traumatischer Epilepsie.
Neben der unter aseptischen Verhält¬
nissen sich vollziehenden traumatischen Ge¬
hirnerweichung kennen wir eine infektiöse
Form, Enzephalitis, bei welcher ausser den genannten
mechanischen Störungen die infektiöse Schädigung in den
Vordergrund tritt. Entzündungserreger werden durch das Ge¬
schoss, häufiger durch eingetretene Teile der äusseren Schädel-
dccke, Haare, Kopfbedeckung, in die Tiefe verschleppt und
finden in dem durch die Verletzung vorbereiteten Medium Ge¬
legenheit zu ausgedehnter Zerstörung. Diese infektiöse En¬
zephalitis kann bei primär harmlos erscheinenden Gehirnver¬
letzungen (besonders geeignet sind wiederum die Tangential-
:nd Steckschüsse) jederzeit einsetzen. Oft finden wir auch in
Jiesem Krankheitsbild ein anfängliches Latenzstadium, nament-
ich bei wenig ausgedehntem Trauma.
„5- K. J., Inf -Regt. 40 Verwundet: Tangentialschuss des
schädels, am 4 IX. 14. Eintritt 11. IX. 14. Kopfschuss über dem
inken Stirnbein. Einschuss links. Tuber frontale, Ausschuss 5 cm
iberhalb der Mitte des Jochbogens. Haut hier sternförmig ge¬
palten, motorische Aphasie. Wortverständnis erhalten, Wortbildung
eilweise erloschen. Drucksymptome bestehen vorerst nicht. Pat.
st etwas euphorisch. Fieberfrei. 13. IX. Sprache wesentlich ge-
»cssert, erkennt Bekannte, mit denen er sich gut unterhält. Abends
Alls 60, gespannt. Temperatur 38,5. Aus der Hirnwunde ergiesst
-ich ziemlich viel braunroter Brei. 14. IX. 14. Sprache wieder
nonoton, leichte Lähmung des rechten Nervus facialis. Röntgenbild
eigt oberhalb und hinter dem Stirnhöcker eine tiefe Depression.
Alls schwankend, Parese dauert an.
15. IX. 14 Operation in Lokalanästhesie. Nach Umstechung
vird die Wunde exstirpiert, gegen den Stirnhöcker zu erweitert.
Jan findet einen vorne schmalen, hinten breiteren Rinnenschuss mit
ingedrückten Fragmenten. Diese werden entfernt. Hiebei quillt
nter der weit zerfetzten Dura eine grosse Menge braunroter übel¬
iechender Gehirnsubstanz unter starkem Druck vor. Man findet in
er Tiefe noch einige eingedrückte Splitter, welche herausgezogen
verden. Spülung des Defektes mit NaCl-Lösung, welche reichlich
erfetzte Gehirnsubstanz herausfördert. Die Knochenrinne beträgt
twa 6: 2% cm. Finführen eines kurzen dicken Drains in die Tiefe
er Wunde. Lockere Tamponade der Weichteile. Abends Reizungen
ii rechten Arm und Bein. 16. IX. Schlaffe Lähmung des Armes
nd Beines. Sprache auf „ja und nein“ beschränkt. Kein Druck¬
es. Wiederum viel Gehirnbrei ausgetreten. Drain entfernt. 18. IX.
öllig benommen. Deviation nach links. Starker Prolaps nekroti-
cher Hirnmassen. Temp. 39,8. 21. IX. Exitus. Die Sektion zeigt
einahe vollständige Zerstörung der ganzen linken Grosshirn-
emisphäre. Erhalten ist nur eine etwa 1 cm dicke wandständige
Glicht im Stirnhirn und Schläfenhirn. Die Erweichungshöhle hat
twa die Grösse einer Faust. Ins Innere ragt die thrombosierte
. fossae Sylvii. Ein Durchbruch in den Ventrikel ist nicht erfolgt.
Die eitrige Enzephalitis schliesst sich oft ohne Intervall
irekt an das Trauma an bei ausgedehnten Hirnverletzungen,
innenschüssen mit Sprengung des Schädeldaches und Hirn-
rolaps, wenn die Infektionsquelle nicht primär durch ge-
ignete operative Massnahmen beseitigt wurde.
S., Leutnant. Verwundet, Kopfschuss. 2. IX. 14. Einschuss auf
"r Höhe der rechten motorischen Windungen, markstückgross. Aus¬
muss am Hinterkopf rechts handtellergross. Völlige Lähmung des
nken Armes, der Hand und des Beines. Nystagmus. Konjugierte
eviation nach rechts. Bewusstsein fehlt. Gestern plötzlich Tem-
-raturanstieg bis 40,5. Leichte Krämpfe in der linken Hand. Puls
Hangs sehr schlecht, jetzt 120. Lässt Urin unter sich.
Operation am 2. IX. 14 nachts 1 Uhr in Wolfach.
Man eröffnet den Einschuss, findet bis zum Ausschuss eine Tan-
mtialrinne im Schädelknochen und Gehirn. Dieses prolabiert stark,
t aussen jauchig belegt. Die ganze Schussrinne wird gespalten, die
hnmtzigen Hirnteile abgetragen, ein Drain eingelegt, die Weichteile 1
darüber vernäht. Morgens 5 Uhr Temperaturabfall, gut erholt, Läh¬
mung von Arm und Bein unverändert. 4. IX. 14 gestorben. Enze¬
phalitis. Sektion nicht möglich.
Diese infektiöse, häufig jauchige Enzephalitis zerstört sehr
rasch auch solche Gehirnteile, welche dem Verletzungsherd
sehr fern liegen und führt unter zunehmenden Reizungs-, dann
Lähmungserscheinungen, C h e y n e - S t o k e s scher Atmung
in wenigen lagen zum Exitus. Man wird versuchen, das in¬
fektiöse Material aus der Wunde zu entfernen,, den Schädel
weit zu eröffnen, den Erweichungsherd freizulegen und zu drai-
nieren. Leider ist die Aussicht auf Erfolg recht gering.
Unser Beobachtungsmaterial führt zu der Erkenntnis, dass
in der Mehrzahl der Schädelschüsse ein
grösserer Erweichungsherd vorliegt, wel¬
cher häufig progredienten Charakter zeigt,
wenn auch keine Infektion vorhanden ist. Un¬
günstig verlaufen die Fälle der eitrigen oder jauchigen En¬
zephalitis.
Für die T h e r a p i e empfehlen wir auf Grund der eigenen
Ei tahrungen und in Anlehnung an die Empfehlungen von
Dettingen, D i 1 g e r und Meyer die Tangential¬
schüsse operativ anzugreifen, sobald dies
von geübter Hand unter guten aseptischen
Bedingungen in Ruhe geschehen kann. Sehr
dringlich ist die Operation nur in den Fällen mit sehr aus¬
gedehnter Schädel- und Gehirnverletzung. Die grosse
Mehrzahl der Tangentialschüsse kann unter
exaktem aseptischen Verband auch nach den
L a n d e s s p i t ä 1 e r n im Innern in mehrstündiger Auto¬
oder Eisenbahnfahrt transportiert werden, ohne dass
für den Kranken aus diesem Transport ein grösserer Schaden
erwachsen wird. Zweckmässig ist in jedem Falle eine
Röntgenaufnahme, welche uns. über die Ausdehnung der
Schädelverletzung und das Vorliegen von Projektilen sicheren
Anhalt gibt. Die Operation besteht in der unter Lokal¬
anästhesie mit Heidenhain scher Umstechung ausgeführten
Exzision der Weichteilwunde, Entfernung der Knochensplitter,
besonders auch solcher, welche zwischen Dura und Cranium
verlagert sind. In der Dura werden wir grössere Gefässe, wie
die A. meningea media, zweckmässig umstechen, dann punk¬
tiert man, falls die Dura nicht verletzt ist, über der Höhe des
Quetschungsherdes, um erweichte Gehirnmasse zu aspirieren.
Man inzidiert die Dura auf 1 — 2 cm Länge und entleert mög¬
lichst schonend mit leichtem Strahl physiologische Kochsalz¬
lösung, gequetschte Teile der Gehirnrinde.
Nachdem sich die Pulsation des Gehirns wiederher¬
gestellt hat, vernäht man die Dura völlig, verschliesst über
der rinnenförmigen Knochenlücke die äusseren Weichteile
exakt bis auf eine kleine Drainöffnung. Im Falle einer pri¬
mären Perforation der Dura wird man die eingedrückten
Splitter und naheliegenden Projektile bei Steckschüssen mög¬
lichst schonend extrahieren, vorgefallene Gehirnmassen über
der Dura sind abzutragen, der Riss in der Dura wird ange¬
frischt und nach der vorgenommenen Splitterausräumung bis
auf eine kleine Lücke vernäht, aus welcher ein kleines Drain
oder ein lockerer Gazestreifen das Wundsekret nach aussen
ableitet. In jedem Falle aber hat die operative Behandlung
grösste Rücksicht zu nehmen auf die durch die Verletzung
nicht geschädigte Umgebung. Nur bei der infektiösen En¬
zephalitis werden wir uns dazu entschliessen müssen, die
Knochen- und Duraöffnung weiter zu gestalten und durch
Drain offen zu halten, um völlig freien Abzug nach aussen zu
haben. Den Hirnprolaps, soweit er nicht durch Vernähen der
Dura verhindert werden kann, dürfen wir bei voraussichtlich
mcht infizierten Wunden durch eine aufgelegte Faszienplatte
\ erschlossen. Bei der eitrigen Enzephalitis werden wir ver¬
suchen müssen, durch aufsaugende komprimierende Verbände
die durchquellenden Hirnmassen zurückzuhalten und können
eine Deckung erst für spätere Zeit in Aussicht nehmen.
(Schluss folgt.)
2222
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4f
Zur Behandlung der Schussverletzungen des Rücken-
' marks.
Von Prof. Dr. Quieke, zurzeit Leiter des Festungslazarettes I
in Strassburg i. E.
Die Schussverletzungen des Rückenmarks bilden eines
der traurigsten, wenn nicht das traurigste Kapitel der Kriegs-
chirurgie. Vom Moment der Verletzung an hilflos gelähmt,
unfähig, sich fortzubewegen, unfähig sich sauber zu halten,
gehen die unglücklichen derart Verletzten an Meningitis, auf¬
steigender Infektion der Harnwege, rapide zunehmendem De¬
kubitus, allgemeiner Sepsis oder sonstigen Komplikationen in
wenigen Wochen oder Tagen zugrunde. Eine Heilung tritt in
den allerseltensten Fällen, und nur da ein, wo das Rücken¬
mark verhältnismässig leicht verletzt ist. Uebereinstimmend
wird von allen Kriegschirurgen auf die sehr schlechte Pro¬
gnose auch operativ behandelter derartiger Verletzungen hin¬
gewiesen.
Kein Wunder, wenn nach den schlechten bisherigen Er¬
fahrungen unter den im jetzigen Kriege tätigen Aerzten selbst bei
manchen Chirurgen wenig Neigung besteht, den Rückenmarks¬
schüssen gegenüber aktiv vorzugehen. Kein Wunder, wenn
mancher derartige Fall als aussichtslos gelegentlich auch vom
Chirurgen in ein Lazarett für innere Kranke gelegt wird, wie
ich mehrfach gesehen habe. Und doch ist dieser Standpunkt
meines Erachtens falsch!
Das Schicksal der Rückenmarksverletzten hängt davon
ab, ob das Rückenmark durch das Trauma so schwer ge¬
schädigt ist, dass eine Erholung nicht mehr eintreten kann,
oder ob das Rückenmark noch erholungsfähig ist. Das
Rückenmark kann völlig zerquetscht oder durchspiesst sein,
es kann durch das Projektil oder Knochensplitter gequetscht
oder nur leicht gedrückt werden. Der Druck auf das Rücken¬
mark kann ganz vorübergehend im Moment des Durch¬
schlagens des Projektils einwirken, oder er kann bei Liegen¬
bleiben des Projektils im Wirbelkanal oder bei Verlagerung
von frakturierten Knochenstücken dauernd bestehen bleiben.
Die verschiedenen Abstufungen der Gewalteinwirkung, von
denen das Leben des Verletzten abhängt, sind diagnostisch
nicht ohne weiteres zu unterscheiden. Wenn auch das
Röntgenbild wertvolle Aufschlüsse über den Sitz des Projek¬
tils und die Anwesenheit von Knochensplittern gibt, so haben
wir doch keinen Gradmesser für die Schädigung des Rücken¬
markes. Darüber kann uns nur die operative Freilegung Auf¬
schluss geben.
Es liegt nun auf der Hand, dass bei schwer ge¬
schädigtem oder völlig zerquetschtem Rückenmark jeder Ein¬
griff nutzlos ist. Wo jedoch das Rückenmark an sich er¬
holungsfähig ist, der fortdauernde Druck von Knochensplittern
oder Projektilen aber schädigend weiterwirkt, da ist die Ope¬
ration indiziert und von Nutzen; sie muss nur früh genug aus¬
geführt werden, um das Rückenmark rechtzeitig zu entlasten,
ehe sekundäre degenerative Störungen eingetreten sind, die
den Zustand irreparabel machen.
Da vorläufig die Fälle, bei denen ein chirurgischer Eingriff
am Rückenmark Erfolg bringt, von denen nicht zu unter¬
scheiden sind, bei denen jeder Eingriff nutzlos bleiben muss,
so ergibt sich die Forderung, bei allen Fällen, bei denen
nicht bestimmte Kontraindikationen vorliegen, die Laminek-
tomie — analog einer Probelaparotomie und Probethorako¬
tomie — vorzunehmen. Zweifellos wird bei einem derartigen
Vorgehen häufig umsonst operiert werden, und es wird viel¬
leicht ab und zu ein Fall operiert werden, der auch ohne
Operation zur Heilung gelangen kann. Dadurch entsteht aber
bei richtiger Technik weniger Schaden, als durch das Zu¬
grundegehenlassen von Fällen, die bei rechtzeitigem Eingreifen
gebessert werden könnten.
Die Laminektomie bei den Schussverletzungen des
Rückenmarkes ist für den Geübten technisch sehr einfach, be¬
sonders wenn man in Lokalanästhesie operiert, wodurch die
Blutung ausserordentlich herabgesetzt wird. Die Höhe der
Verlctzungsstelle am Rückenmark lässt sich durch Rekonstruk¬
tion des Schusskanals bei vorhandenem Ein- und Ausschuss,
bei Steckschüssen durch den Nachweis von Dornfortsatzfrak¬
turen oder mit Hilfe des Röntgenbildes meist leicht bestimmen.
Eine geeignete L u e r sehe Knochenzange erwies sich mir stet
als schoncndstes und sicherstes Instrument zur Freilegung de
Rückenmarks und zur Entfernung der oft weithin gesplitterte
Knochenfragmente. Wenn möglich, suche ich die Wunde pri
mär zu schliessen, doch rate ich zur Tamponade, wenn be
legte Knochenhöhlen (besonders bei Schrapnell- und Granat
Verletzungen!) vorhegen. Das Bestehen eines Hämothorax -i
eine häufige Komplikation der Rückenmarksschüsse — dar
nicht als Kontraindikation zur Operation angesehen werden
wenn der Hämothorax nicht zu hochgradig ist. Ich habe in
dieser Beziehung nie Nachteiliges erlebt. Auch das Be
stehen von Dekubitus und von Blaseninfektionen kann an siel;
den Eingriff nicht kontraindizieren. Allerdings werden di»
Chancen der Heilung durch eine schon längere Zeit bestehend»!
Infektion der Harnwege fast absolut verschlechtert. Ein»
Gegenindikation zur Operation sehe ich in ausgesprochene)
Meningitis, schwer infizierten offenenWunden, ausgesprochene.
Urosepsis und Pneumonie. Fälle, bei denen die Lähmungs:
erscheinungen bei der Aufnahme in das Lazarett bereits in de)
Rückbildung begriffen sind, nehme ich selbstverständlich vor
der Operation aus.
Was die bei einem derartigen Vorgehen erzielten Resultate anJ
langt, so lässt sich Definitives noch nicht mitteilen, da eine grosse
Zahl der bis jetzt operierten Fälle noch nicht zum Abschluss ge¬
kommen ist. Immerhin lassen sich einige Erfolge verzeichnen. Ich
habe in dem mir unterstellten Festungslazarett I in Strassburg bis
jetzt unter mehr als 3200 stationär behandelten Verwundeter
26 Rückenmarksschüsse gesehen. Von diesen wurden 17 operativ be¬
handelt. Die Operation wurde in allen Fällen leicht überstanden
einen Todesfall im Anschluss an die Operation habe ich nicht erlebt
Dagegen starben im weiteren Verlauf nach der Operation bis jetzi
8 Fälle, 2 an Meningitis, die übrigen fast alle an aufsteigender In¬
fektion der Harnwege, die schon vor der Operation bestand ‘)-
Gegenüber diesen Misserfolgen ist bei 4 Fällen Heilung oder
doch eine so gleichmässig fortschreitende Besserung eingetreten, dass
bei ihnen eine völlige Heilung erwartet werden darf. Einige weitert
Fälle hätten wohl gleichfalls gerettet werden können, wenn sie recht¬
zeitig zur Operation gekommen wären. Denn die Sektion ergab be
ihnen, dass die Rückenmarksverletzung ausgeheilt und die Todes¬
ursache die schon bei der Einlieferung bestehende schwere Pyelo¬
nephritis war.
Auch bei den Fällen, bei denen die Laminektomie den schliess-
lichen tödlichen Ausgang nicht abwenden konnte, beeinflusste die
Operation den Allgemeinzustand vielfach in auffallend günstiger Weise;
Der Dekubitus reinigte sich und zeigte Tendenz zur Heilung, die
Zystitis nahm ab, und das Allgemeinbefinden der Kranken und ihr
Aussehen besserte sich. Ich hatte den Eindruck, dass die trophischen
Störungen mit der Befreiung des Rückenmarkes von dem auf ihm
lastenden Druck zum Rückgang gebracht wurden oder doch wenig¬
stens zum Stillstand kamen.
Wenn wir auch mit den operativ geheilten Rückenmarks¬
schüssen nie Statistik werden machen können, gelingt es doch
in einigen wenigen Fällen mit der frühzeitigen Freilegung des
Rückenmarkes gute Resultate zu erzielen. Da die Fälle fast
alle zugrunde gehen, wenn sie unbehandelt bleiben, und dä
andererseits der Eingriff als gefahrlos angesehen werden kann,
wenn er richtig ausgeführt wird, so halte ich die prinzipielle
Frühoperation der Rückenmarksschüsse für ein berechtigtes
Verfahren.
Aus dem St. Norbert-Krankenhaus Berlin-Schöneberg.
Pneumatische Lokalanästhesie.
Von Dr. Kuhn, Direktor des Krankenhauses.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass in der Chirurgie
der gegenwärtigen Kriege die Lokalanästhesie eine grosse Rolle
spielt. Die Entfernung von Geschossen und Fremdkörpern, das
Nähen vieler kleinerer und mittlerer Verwundungen, zahlreiche
plastische, kosmetische und viele andere Nach Operationen
lassen häufig zur Lokalanästhesie greifen.
*) Das regelmässige frühzeitige Auftreten der Infektion der Harn¬
wege nötigt zu ganz besonderer Vorsicht in dieser Beziehung, so¬
wohl bei Ausführung des Katheterismus, als auch bei der Versorgung
solcher Verwundeten auf Transporten. Ich habe Fälle gesehen, bei
denen der Urin nicht spontan abfloss und die während des 5 — 6 tägi¬
gen Transportes nur ein einziges Mal katheterisiert waren! Sie
kamen vollständig urämisch mit überstauten Harnorganen und schwe¬
ren Blasen- und Nierenblutungen ins Lazarett. Bei kurzen Trans¬
porten mag ein vorheriger Katheterismus genügen, bei weiteren
Transporten muss unbedingt ein Dauerkatheter eingelegt werden.
10. November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2223
Gewiss ist diese dann oft sehr praktisch; aber es wird
vielen Chirurgen oft wie mir gegangen sein: sie werden sich
gelegentlich an einer gewissen „Umständlichkeit“ des
Verfahrens gestossen haben und werden — rasch zum Aether-
rausch oder zur Vollnarkose gegriffen haben, weil diese
„schneller gehen. Die Zubereitung der Lösung für den Einzel¬
fall ist oft umständlich, mehr noch ist das ö f t e r e W i e d e r -
füHen der Spritzen lästig und zeitraubend und beein¬
trächtigt die Sterilität; jedenfalls geht die Injektion grösserer
Flüssigkeitsmengen oft zu langsam vor sich und erfordert zu
viel Zeit.
Unter diesen Umständen kann ich nicht umhin, auf einen
Apparat hinzuweisen, der sich mir in meinem Krankenhause
für die poliklinischen Zwecke sowohl als jetzt für die Behand¬
lung der Verwundeten ausserordentlich bewährt; es ist ein
Injektionsapparat mit Luftdruckbetrieb.
Der kleine Apparat, den ich anbei abbilde, liefert nach
Kolbenstössen Druckluft, und Druck von 2 — 4 Atmosphären,
falls Druck hinreichend genug, um
eine Injektionsnadel zu bedienen.
Die Druckluft sammelt sich im
Windkessel (W), und wird von
Jort nach dem Reservoir (R) ge-
eitet, in welchem nach Art einer
Spritzflasche die Novokain-
Adr enalinlösung aufbewahrt
ind vorrätig gehalten ist. Dieses
Vorratsgefäss ist graduiert und
asst 200 — 300 g. Von ihm wird die
mästhesierende Lösung nach einer
Sadel (N) gedrückt, vor welcher
mittels eines kleinen, durch den
einigen
jedes-
- R.
- N.
- St.
o.
_ w.
Fig. 1. Pneumoanästhesieapparat Fig. 2. Pneutnoanästhesieapparat
im Ruhezustand. (georauchsfertig).
= Flüssigkeitsreservoir. N. = Nadel. St. = Stativ. O. = Griff. W. = Windkessel.
inger des Operateurs zu bedienenden Hebels eine „Unter-
rechungsvorrichtung“ angebracht isF
.... Bie Bedienung des Apparates ist nun recht einfach: ein
värter stellt durch einige Pumpenstösse mittels des Griffes G die
buckhöhe in dem Windkessel her. In das Vorratsgefäss (das ab-
chraubbar ist) füllt (gegebenenfalls wiederholt) die Schwester die
lovokain-Adrenalinlösung. Der Operateur hat nun nichts Weiteres
u tun, als durch ein rhythmisches Oeffnen und
ch Messen des kleinen Hebels vor der Nadel die Flüs-
igkeit s t o s s w e i s e in die Gewebe einspritzen zu lassen. Die
'osierung erfolgt durch die Anzahl der rhythmischen Unter¬
rechungen. In diesen „Unterbrechungen“ bzw. „Stössen“, an deren
rzeugung sich der Finger sehr bald gewöhnt, hat man ein aus-
ezeichnetes Mittel der Kontrolle für die Menge der eingespritz-
;n Lösung.
Der Vorteil der Methode ist ihre Kontinuierlich-
e i t und Selbsttätigkeit: die Unterbrechungen werden
ach kurzer Uebung vom Finger automatisch ausgeführt und
er Operateur kann seine ganze Aufmerksamkeit dem Vor¬
lieben und der Einstellung der Nadel, die er mittels des
iandgriffes und eines Ringes vollzieht, widmen. Dadurch wird
ie Verteilung der Flüssigkeit eine viel gleichmässigere und
vielseitigere; gleichzeitig geht die Infiltration mit diesem „feuer¬
wehrspritzenartigen“ Instrument auch bei Massenanforderung
denkbar rasch vor sich.
So ist man in der Lage, rasch Serien von Patienten zu an¬
ästhesieren, die man dann zurücktreten und ihre halbe Stunde
warten lässt, um sie dann (in der kleineren Chirurgie, wie
z. B. der Fremdkörperchirurgie) ebenso serienweise zu ope¬
rieren. Auf diese Weise ist die Lokalanästhesie nicht lästig,
auch nicht für den Chirurgen, dessen Zeit beschränkt ist.
Mir selbst leistet, wie gesagt, der Apparat *) jetzt bei der
Kriegschirurgie sehr gute Dienste. Eine Schwester sorgt mir
dafür, dass die Flüssigkeit nicht ausgeht, ein Wärter sorgt, dass
der Druck der Luftpumpe nicht unter 2 Atmosphären sinkt:
so ist es ein Vergnügen, die Lokalanästhesie an zahlreichen
Kranken anzuwenden und selbst grosse Aufgaben mit ihr in
relativ rascher Zeit zu erledigen.
Aus der chirurgischen Abteilung der städt. Krankenanstalten
Mannheim (Chefarzt: Med.-Rat Dr. Gustav Heuck).
Die Anaphylaxiegefahr bei der Serumbehandlung
des Tetanus.
Von Dr. Ludwig Simon, Oberarzt der Abteilung.
H.. 4ahre 1909 habe ich in Nr. 40 der M.m.W. zwei mit Antitoxin
„Höchst behandelte Fälle von schwerem Tetanus mit günstigem
Ausgang mitgeteilt. Im Jahre 1912 konnte ich den zwei Heilungen
zwei weitere geheilte Fälle von Tetanus hinzufügen, die nur mit
Antitoxin behandelt waren. (Verhandlungen der deutschen Gesell¬
schaft für Chirurgie 1912.) Besonders auffallend war mir, dass die
vier geheilten Fälle Kinder unter 12 Jahren waren, dass dagegen das
Antitoxin bei Erwachsenen bis dahin immer versagt hatte. In dem
Umstande, dass die vier geheilten Fälle besonders leichte Fälle be¬
trafen, kann die merkwürdige Tatsache nicht ihren Grund haben,
denn die vier Fälle von kindlichem Tetanus hatten eine sehr kurze
Inkubationszeit, bei zweien war schon vor dem Ablauf von 24 Stun¬
den nach der Verletzung der Tetanus ausgesprochen. Im vorigen
Jahre bekamen wir wiederum Gelegenheit einen Tetanusfall zu be¬
handeln, den wir in der gleichen Weise wie unsere früheren Te¬
tanuspatienten grosse Dosen von Antitoxin verabreichten. Wir be¬
rechnen die Heildosis so, dass wir pro Kilo Körpergewicht 8 Immuni¬
tätseinheiten in den ersten 48 Stunden geben, und zwar % bis
zur Hälfte intralumbal, nachdem wir eine entsprechende Menge
Liquor cerebrospinalis haben abfliessen lassen, den Rest intravenös.
In den folgenden Tagen geben wir je nach Schwere der Erschei¬
nungen 100 — 200 — 300 Immunitätseinheiten intravenös bis zum Ab¬
klingen der tetanischen Erscheinungen.
Bei dem Falle des Jahres 1913 handelte es sich um ein junges
Mädchen von 17 Jahren mit schwerer Maschinenhandverletzung.
8 Tage nach der Verletzung (14. V.) trat ein typischer Tetanus,
mit Starre der Halsmuskulatur, Trismus und ausgesprochenem
OpistQtonus auf. Es wurden deshalb sofort 200 I.-E. intralumbal,
200 intravenös und ebensoviel intramuskulär gegeben. Am folgen¬
den T age (15. V.) war noch Steigerung der tetanischen Erscheinungen
zu konstatieren. Daher nochmals 100 intralumbal, 300 I.-E. Intra¬
muskulär.
17. V. Da der Tetanus an Intensität noch weiter zunahm, die
Zuckungen häufiger auftraten, wird die Amputation des Vorder¬
armes vorgenommen, zugleich 200 I.-E. intravenös gegeben.
18. V 200 I.-E subkutan. 19. V. 200 I.-E. 20. V. 200 I.-E.
21. Trismus hat etwas nachgelassen, häufige Zuckungen in den
unteren Extremitäten, Risus sardonicus stark ausgeprägt. 200 I.-E.
23. V. Weitere Besserung des Trismus, 100 I.-E. subkutan.
Weiterhin allmähliche, langsame Besserung des Zustandes, der dann
in Heilung überging.
Diese Pat. hat also innerhalb 10 Tagen 2100 I.-E. erhalten.
Unangenehme Nebenerscheinungen oder gar anaphylaktische Sym¬
ptome konnten bei ihr nicht beobachtet werden.
Leider brachten uns in diesem Jahre die Kriegsverletzungen
schon reichlich Gelegenheit, Erfahrungen in der Tetanusbehandlung
zu sammeln. Wir haben hier in unserem Krankenhaus unter etwa
700 Verwundeten in den 4 Wochen unserer kriegschirurgischen Tätig¬
keit schon 8 Fälle von Tetanus zu behandeln gehabt. Die vier
ersten Fälle, die selten schwerer Art waren, verliefen in kurzer
Zeit tödlich. Es handelte sich um sehr schwere Verletzungen, die
Inkubationszeit war eipe kurze, 3—6 Tage. Die tetanischen Erschei¬
nungen setzten sehr stürmisch ein, innerhalb weniger Stunden war
Trismus, Opistotonus, begleitet von den heftigsten Zuckungen, die
den ganzen Körper befielen, in einem Masse aufgetreten, dass man
die Fälle als allerschwerste bezeichnen musste. Zwei von den
Patienten behandelten wir mit Antitoxin nach obigem Prinzipe, zwei
*) Bezugsquelle: Karl D a n k e r t, Berlin-Schöneberg, Haupt¬
strasse 24.
2224
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4
mit dem von Kocher und Arndt empfohlenen Magnesiumsulfat,
das wir in lüproz. Lösung in einer Menge intralumbal injizierten,
dass auf das Kilo Körpergewicht 0,03 Magnesiumsulfat kamen. So¬
wohl die beiden mit Antitoxin, wie die mit Magnesiumsulfat be¬
handelten Fälle kamen rasch ad exitum.
Sodann kam eine Serie mittelschwerer Fälle zur Behandlung, die
wir wieder mit Antitoxin behandelten. Es handelte sich dreimal
um Soldaten mit Verletzungen, einmal um einen Zivilisten mit kleinen
Hautabschürfungen an den Füssen, die wir als Eingangspforte an¬
sprechen mussten. Alle 4 Patienten sind jetzt von ihrem Tetanus
geheilt. Da ich in diesen Zeilen nicht über die Therapie des Te¬
tanus. nicht über den Wert der einzelnen Behandlungsmethoden
sprechen möchte, will ich ihre Krankengeschichten nicht genauer an-
fiihren, nur soviel möchte ich sagen, dass man bei diesen Fällen
wieder den Eindruck gewinnen musste, dass in diesen mittelschweren
Fällen das Antitoxin einen günstigen Einfluss auszuüben scheint.
Der Zweck dieser Zeilen soll der sein, die Aerzte, die das
Tetanusantitoxin anwenden, auf eine Gefahr der Serumtherapie
hinzuweisen. Ich hatte vor einigen Tagen hei Anwendung der
Antitoxintherapie Gelegenheit, an einem Tage zwei schwere
Fälle von Anaphylaxie zu beobachten. Ich muss zur genaueren
Orientierung kurze Auszüge aus den Krankengeschichten
vorausschicken :
Infanterist M. Verletzt 12 Tage vor der Aufnahme durch In¬
fanteriegeschoss Infizierter Ellbogengelenkschuss, mit ausgedehnter
Knochensplitterung und grosser Weichteilzerreissung. Aufgenommen
am 9. IX. 14, erste Erscheinungen von Zuckungen am verletzten
Arm, Schluckbeschwerden, Kieferklemme am 4. IX. auf dem Schiffs¬
transport. Wurde uns vom Transportschiffe als Tetanus geschickt.
Bei der Aufnahme war der Tetanus schon deutlich ausge¬
sprochen. Mund konnte nicht mehr geöffnet werden. Masseteren
in ständigem Krampf, Zuckungen am rechten Arm, doch auch am
linken und den Beinen. Opistotonus massig stark ausgesprochen.
Deshalb sofort, also am 9. IX., Verabreichung von 200 Tetanus-I.-E.
intralnmbal 200 intravenös.
10. IX. Besserung der Schluckbeschwerden, Trismus in gleicher
Stärke, Zuckungen heftiger, doch seltener. Atmung frei. 200 I.-E.
intralumbal, 200 intravenös.
11. IX. Keine Verschlimmerung der Zuckungen und des Trismus,
Opistotonus dagegen stärker, auch Spannung der Bauchdecken.
100 I -E. intravenös.
12. IX. Die Urinentleerung ist spontan nicht mehr möglich,
Verweilkathcter Sonstiger Zustand unverändert. 100 I.-E. intra¬
venös
13. IX. Vollständige Steifigkeit des verletzten Armes infolge des
Muskelkrampfes, Allgemeinzustand noch nicht besser. Man hat den
Eindruck, dass es durch die Antitoxingaben gelingt, eine Zunahme
der tetanischen Erscheinungen hintanzuhalten, dass aber offenbar
von dem Wundherd aus immer neue Toxine in den Kreislauf kommen.
Da der Arm infolge der schweren Zertrümmerung doch nicht mehr
gebrauchsfähig zu werden scheint, wird, um den Infektionsherd aus¬
zuschalten, die Amputation über dem Ellbogengelenk vorgenommen.
300 l.-E. intravenös.
14. IX. Zuckungen haben nachgelassen, kann den Mund etwas
weiter öffnen.
15. IX. 100 I.-E. intravenös.
16. IX Keine wesentlichen Veränderungen, 100 I.-E. intravenös.
17. IX. 100 I.-E. intravenös.
18 IX. 100 I.-E. intravenös.
20. IX. Zuckungen werden viel seltener, Trismus noch ausge¬
sprochen. 100 I.-E. intravenös.
22 IX. Keine Zuckungen mehr. Muskelstarre der Rücken¬
muskulatur und Trismus bestehen noch, wenn auch nicht mehr so
hochgradig. Deshalb 100 I.-E. intravenös.
Im Anschluss an diese Injektion kollabierte Pat. plötzlich; irgend
ein technischer Fehler, Lufteintritt oder etwas derartiges war aus¬
geschlossen Der Puls verschwand nahezu vollständig, Atmung stark
beschleunigt und oberflächlich. Gesicht wurde erst blau, dann sehr
blass; enormer Schweissausbruch.
Auf Kampferinjektionen wurde der Puls wieder besser, Atmung
vertiefte sich wieder langsam, innerhalb einer Stunde erholte sich
der Pat. Am folgenden Tage zeigte der Körper ein scharlachähn¬
liches Exanthem, das nach 2 Tagen wieder verschwand.
Da es sich unserer Ansicht nach um einen anaphylaktischen
Schock handelte, wurde mit dem Tetanusantitoxin ausgesetzt, zumal
der Zustand sich ständig besserte.
Jetzt sind die tetanischen Erscheinungen vollständig geschwun¬
den, Zuckungen treten nicht mehr auf, Wirbelsäule und Kopf können
wieder frei bewegt, der Mund auf 3 cm geöffnet werden. Der Pat.
befindet sich ausser Bett, ist jetzt wohl als geheilt zu betrachten.
Am gleichen Tage erlebten wir noch einen zweiten Fall von
Anaphylaxieschock :
Artillerist Z. wurde am 29. VIII. durch Granatsplitter am rechten
Ellenbogen und der Brust verletzt. Es handelte sich um einen kom¬
plizierten Oberarmbruch, mit grossem Ein- und noch grösserem
Ausschuss. Aufnahme am 4. IX. 14.
5 IX. Röntgenaufnahme ergibt eine Oberarmfraktur mit Be¬
teiligung des Ellenbogengclenkes. Pat. ist merkwürdig apathisch, gil
nur schläfrig Antwort, öffnet den Mund auf Dreifingerbreite.
6. IX. Pat. ist noch teilnahmsloser geworden. Er öffnet di
Mund w eiliger gut, höchstens noch auf Fingerbreite. Ausserdem we
den deutliche Zuckungen im Gesicht und am linken Arm beobachte
die jedoch nur von kurzer Dauer sind. Sofort 300 I.-E. intravenö
Abends fühlt sich Pat. wohler, keine Zuckungen mehr aufgetretc
kann den Mund besser öffnen In den nächsten Tagen konnte nicli;
tetanusverdächtiges beobachtet werden, so dass wir uns kaum bt
rechtigt glaubten, den Fall als Tetanus anzusprechen, zum mindeste
ihn als einen ganz leichten erklären mussten.
18. IX. Wundverlauf normal Dagegen ist an Brust, Baucl
Rücken, Oberarm und Oberschenkel ein zart rosafarbenes, mitte
fleckiges Exanthem, das leicht erhaben ist, zu sehen; die Quaddel
jucken nicht, machen überhaupt keinerlei Beschwerden.
19. IX. Heute kann Pat. den Mund wieder nicht so gut öffned
bringt die Zahnreihen nur auf Fingerbreite auseinander, deutliche
Trismus, vor allem der Masseteren. Nachmittags wird der Trismu
noch stärker, kann den Mund gar nicht mehr öffnen, auch die Nacken
und Rückenmuskulatur befinden sich in starkem Tonus. Da Pa
jetzt ein ungleich schwereres Bild wie beim ersten Anfall bot, wur
den ihm nochmals 300 I.-E. intravenös verabreicht; da wegen de
kleinen und dünnen Venen dieselben zur Injektion freigelegt werde
mussten, bekam Pat. einige Tropfen Chloroform, zumal bei den Be
wegungen, dem Transport usw\ der Trismus und Opistotonus stärke
wurden. Nach der intravenösen Injektion, die vollständig glatt von
statten ging, und nachdem die Narkose schon einige Minuten entfern
war, Pai. auch noch nicht spannte, wurde der Kranke plötziic
stark zyanotisch, und zwar nicht nur an den Lippen und im Gesicfn]
sondern am ganzen Körper, jedoch nur auf kurze Zeit, während de]
auch der Puls immer gut zu fühlen war und die Atmung in nor
rnaler Weise vor sich ging. Nachdem der Pat. wieder auf die Station
gebracht war, setzte ein heftiger Schüttelfrost ein, Temperatu
stieg auf 40,9 °.
20. IX Allgemeinbefinden gut. Temperatur 37,5°. Pat. kam
den Mund wieder gut öffnen, keine Zuckungen, keine Spasmen.
22 IX. Allgemeinbefinden gut. Pat. bekommt prophylaktisch
100 I.-E. intravenös. Direkt nach der Injektion, bei der eine Luft]
emboüe ausgeschlossen war (ebenso war das Serum vollständig klau
und zeigte keine Verunreinigungen) fing Pat. an zu husten, klagte!
über schlechte Luft. Einige Momente nachher werden die Lippen
schwarzblau, dann das Gesicht, Hals, Körper und Extremitäten: At
mung zeigt nichts besonderes, dagegen ist der Puls kaum zu fühlen
Auf Anruf reagiert Pat. nicht, die Pupillen sind mittelweit, am Körpei
treten langsam schwarzblaue Flecken auf, die mit ganz weisseü
Hautpartien abwechseln, sodass der Körper ein marmoriertes Aus¬
sehen bekommt. Applikation von Kampfer, Sauerstoff, Kochsalz suÖt
kutan. Allmählich hat der ganze Körper Leichenblässe angenommen
die Atmung wird allmählich tiefer, die Haut nimmt dann wieder
einen rötlichen Ton an, langsam reagiert der Kranke auf Anruf. Auch
die Herztätigkeit bessert sich wieder unter ständiger Kampferver-*
abreichung.
Vi Stunde danach starker Schüttelfrost, mit Temperaturanstieg
bis 40,1 °, dann heftiger Schweissausbruch.
23 IX. Pat. hat sich wieder vollkommen erholt, Puls kräftig.
Atmung normal, nirgends mehr Anzeichen von Spasmen oder
Trismus.
Weiterhin war der Verlauf ein glatter, es traten keine tetani¬
schen Erscheinungen mehr auf.
Nach diesen Beobachtungen kann kein Zweifel bestehen,
dass es sich bei beiden Patienten um einen Anaphylaxieschock
handelte. Es ist von K 1 i m e n k o eine Zusammenstellung und
Sichtung der Fälle von Anaphylaxieschock vorgenommen,
wobei 33 schwerere Erkrankungen, die schliesslich wieder
in Genesung übergingen, angeführt werden, sowie ein Ana¬
phylaxietodesfall anerkannt wird. Ich glaube, dass derartige
unangenehme Nebenerscheinungen häufiger beobachtet
werden, dass sie aber öfters nicht richtig gedeutet werden.
Das Krankheitsbild ist ja auch noch kein genau umschriebenes.
Gemeinsam war unseren beiden Fällen die Aenderung im
Aussehen der Patienten, das Blauwerden, das dann einer
Blässe Platz machte, das Oberflächlicherwerden der Atmung,
sowie das Abnehmen der Pulsqualität. Bei beiden traten die
Erscheinungen sehr plötzlich auf, was wohl darauf zurück¬
zuführen ist, dass bei beiden das Serum intravenös ver¬
abreicht worden war. Auch das Exanthem, das bei beiden
sehr ausgeprägt war, wird von den meisten, die derartige Fälle
beobachtet haben, als ein typisches bezeichnet. Während bei
dem ersten Falle das Bewusstsein nicht vollständig schwand,
war der zweite etwa eine halbe Stunde bewusstlos. Ueber-
haupt war der zweite Fall weit schwerer. Nachträglich wurde
mir klar, dass schon der Kollaps 3 Tage vor dem schweren
Schock auf anaphylaktische Vorgänge zurückzuführen war,
dass er nur von uns nicht richtig gedeutet war. Bei diesem
in. November 1914.
Fcld-irztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Patienten trat sowohl nach dem ersten wie dem zweiten
schock Schüttelfrost mit hohen Temperaturen auf. Auffallend
war bei beiden I atienten, dass sic sich sehr rasch erholten,
d.iss am anderen l ag schon der Puls, Atmung und Allgemein-
befindc n xollständig normal war. also keinerlei Nach¬
wirkungen nach Ueberstehen des Schocks zu konstatieren
waren.
A,n ^ichti^ten ist die Frage, wie kann man derartige
/.malle, die immerhin einen recht beängstigenden Eindruck
machen, vermeiden? Man weiss aus Erfahrung und aus dem
Tiercxpcriment, dass anaphylaktische Erscheinungen erst bei
Reinfektionen nach dem 10. Tage eintreten; P.Krau s e nennt
illerdings nur die ersten 6 Tage als gefahrlos für Reinjektionen.
10 ah gemeinen klinischen Erfahrungen sprechen für die
angcrc Inkubationszeit der Serumkrankheit, also 10 _ 12 Tage
von unseren beiden Patienten zeigte der erste erst nach
A Tagen anaphylaktische Erscheinungen, obwohl er am
“ un a}? ebenfalls intravenöse Seruminiektion be-
commen hatte, beim zweiten trat am 13. Tage, ohne Re¬
sektion das Exanthem, also ein Symptom der Serumkrankheit
?ge der erste ,eichtere anaphylaktische Schock,
TaJ.® der zweite schwerere Anfall. Auch unter unseren
mheren Fallen waren mehrere, die länger als 10 Tage Serum-
ijektion erhielten, ohne üble Nebenwirkungen der Serum-
hcrapie zu zeigen. Offenbar reagieren die einzelnen Indi-
iduen versclneden, vielleicht ist auch die verschiedene Pro-
enienz des Serums von Bedeutung. Doch glaube ich aus der
iteratur und auch aus unseren Erfahrungen schliessen zu
urien, dass man bis zum 10. Tag Reinjektion machen kann,
enn nicht vorher Reizerscheinungen von Serumkrankheit, wie
xanthem, Drusen- und Gelenkschwellung, Oedeme, Schleim-
autaffektionen aufgetreten sind.
Nach den sehr interessanten Untersuchungen von Neu-
eld und Besredka, nach Friedberger und Mita
min man eine Antianaphylaxie erreichen, wenn einige
un en xor der geplanten Reinjektion von Serum eine mini-
aIe Menge Serum subkutan gegeben wird; wie Joseph in
^Arbeit über „Änaphylaxiegefahr bei der Anwendung des
iphtherieserums und ihre Verhütung“ angibt, kann man diese
ntianaphylaxie auch durch tropfenweise intravenöse Ein-
irtobung von Serum mittels eines besonderen Apparates, wie
n r r i e d b e r g e r und Mita angaben, erzielen. Einfacher
eint uns jedoch die erstere Methode zu sein, wenn auch
cht absolut sicher, wie ich aus einer Selbstbeobachtung
liliesse, die G a u t i e r mitteilte. 1902 Diphtherieserum, pro-
iy taktisch 5 ccm. Nach 11 Jahren war er genötigt Tetanus-
titoxin zu nehmen. Um anaphylaktische Erscheinungen zu
rmeiden, injizierte er sich zuerst nur 1 ccm Serum, die
st ichen 10 ccm nach 8 Stunden. 6 Tage nach der zweiten
,e™j, trat eine heftige Urtikaria auf, mit Uebelsein, Koliken,
Tonfällen und Temperatursteigerungen. Zwei Tage später
men alle Erscheinungen abgeklungen.
Ein weiterer Ausweg wäre der, wenn die Fabriken ebenso,
e es bereits beim Diphtherieserum geschehen ist, zur Her-
• ung des Antitoxins nicht nur Pferde, sondern etwa auch
jider oder andere, speziell für Tetanus empfindliche Tiere
nmen würden, so dass man mit dem Serum abwechseln
1 nnte.
Endlich dürfte es sich vielleicht empfehlen, bei solchen
anusfallen, die nach 10 Tagen auf Antitoxinbehandlung noch
nt geheilt sind, die Serumtherapie zu verlassen und eine
fere Behandlungsmethode anzu wenden. In einem solchen
■le haben wir nach 10 Tagen, nachdem der Patient 1000 IF
avenos erhalten hatte, sein Zustand wohl als gebessert,
'p noc'1 n,c"t a's geheilt zu bezeichnen war, das Antitoxin
^Sftzt und eine Magnesium sulfuricum-Behandlung durch-
uhrt, indem wir täglich 40—60 ccm einer 25 proz. Lösung
utan injizierten. Der Patient ertrug die Behandlung sehr
■> ie tetanischen Erscheinungen klangen immer mehr ab,
1 feute jst er als geheilt zu betrachten.
Jedenfalls haben wir aus unseren zwei Fällen gelernt,
■ l maa mit Reinjektion von Tetanusantitoxin nach der kri-
recht vorsichtig sein muss, um die Anaphylaxie-
mr zu vermeiden. Selbstverständlich besteht ja auch für
atienten, der vor Jahren einmal Diphtheriepferdeserum
2225
oder reiries Pferdeserum wegen Blutungen erhalten hat und
bei dem dann eine Tetanusantitoxininjektion nötig wird, die
Gefahr der Anaphylaxie. Man muss sich deshalb bei jedem
Hauenten vor der Injektion nach dieser Möglichkeit erkundigen,
rui sehr wünschenswert hielte ich es auch, wenn gerade bei
den Verwundeten, die ja häufig von einem Feldlazarett ins
andere, von einem Krankenhaus ins andere geschickt werden,
den I atienten selbst eingeschärft würde, sie möchten die
eizte des Krankenhauses, in das sie kommen, darauf auf¬
merksam machen, dass sie eine Pferdeseruminjektion be-
kommen hattem auf dass eine ahnungslose Reinjektion in der
gefährlichen Zeit vermieden wird.
Aus dem Städt. Krankenhaus Ludwigshafen a. Rh.
Zur Tetanusbehandlung mit Magnesiumsulfat.
Von Dr. Kurt Werner Eunike.
Eine absolut sicher wirksame 1 herapie des Tetanus gibt
es zurzeit nicht, und es scheint, dass die leichten Fälle mit und
. 0.e jede Therapie geheilt werden, während die schweren
keiner zugänglich sind. Wenn wir auch die Serumtherapie in
weitestem Masse beibehalten wollen, so sind wir doch, da sie
keinesfalls absolut sicher ist, auch auf die rein symptomatische
Behandlung angewiesen, d. h. wir müssen suchen, die Zahl
c.er Krämpfe nach Möglichkeit einzuschränken und ihre Stärke
abzuschwächen. Morphium und Chloral sind auch nicht im-
stande dieser Forderung zu genügen. Etwas besser dürfte
sich Skopolamin verhalten, aber auch dieses befriedigt keines-
wegs. Dagegen scheint die Behandlung mit Magnesium¬
sulfat günstigere Aussichten zu bieten. Sie beruht auf der von
Meitzer und Auer gemachten Entdeckung, dass Ma-
gnesiumsulfat die Nervenleitung unterbricht.
, . Ini uCr r-m, zu?iingIichen Literatur fand ich im ganzen. 27 derart
behandelte Falle veröffentlicht, worunter sich nur neun Todesfälle
"5’,,“ Zah ’ d,<; ,mT Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden
recht klein erscheint. Immerhin bleibt auch bei dieser Beurteilung
zu bedenken, dass die Schwere der Infektion sehr verschieden ist
und dies ev. einen günstigen Erfolg ergeben kann. Es ist dies analog
dem bei Erwähnung der Serumtherapie geschilderten Verhalten. In
tfezug auf die Applikationsmethode scheint die von Kocher be¬
sonders empfohlene intradurale die günstigsten Resultate zu geben
vv cm ger günstig durfte die subkutane Methode, oft wohl direkt ge¬
fährlich die intravenöse sein. Der Konzentrationsgrad einer solchen
Losung ward seinerzeit von Meitzer auf 25 Proz. , angegeben.
oii 'fi/ Km£ auT, e,n(L 15 Proz. Lösung herab und glaubt mit dem¬
selben therapeutischen Erfolg auch eine 10 proz. anwenden zu können,
wie diese Arr, d zur subkutanen Injektion empfiehlt. Nebenbei soll
man aber keinenfalls — wie dies Bongianini ausdrücklich her¬
vorhebt — die spezifische Serumtherapie unterlassen. Es fragt sich
nun, welche Dosis man verabreichen soll. Franke injizierte 2 ccm
einer 25 proz. Lösung intradural ohne unangenehme Nebenwirkungen
zu beobachten. Griffon und Li an empfehlen 1 ccm pro 25 Pfund
Körpergewicht derselben Lösung; Ramond und Dury geben
5 ccm mit demselben Erfolg: Arnd verabfolgte 3 ccm einer 15 proz
Losung und Kocher empfiehlt von 10 proz. Lösung bis zu 10 ccm
mtradural zu injizieren.
Wir hielten uns hei Anwendung der Therapie mit
Magnesium an die zuletzt erwähnte K o c h e r sehe Methode
und haben bis heute 8 Fälle derart behandelt. Es wurde
hierbei die Serumtherapie niemals unterlassen. Von vorn¬
herein aber will ich betonen, dass es sich in all diesen Fällen
um sehr schweren Tetanus mit zumeist nur kurzer Inkubations¬
zeit handelt. In Nr. 43 der M.m.W. ward berichtet, dass die
Inkubationszeit bei unseren Fällen 12—18 Tage betrug Nun
sind aber mittlerweile Fälle mit einer Inkubationszeit von
sogar nur 4 Tagen beobachtet und diejenige der mif 'Ma-
gnesmmsuILit behandelten Fälle liegt zwischen 4 und 14 Tagen
Alle Fälle zeigten eine rasche Zunahme der Krankheits¬
symptome: äusserst starke Erregtheit, sehr starken Opistho¬
tonus und starke Erschwerung oder fast gänzliche Unfähigkeit
zu schlucken.
Die Lumbalpunktion ward in kurzer Chloroformnarkose vorcc
ZT\Cn- FT, Fälle zei«ten *»r keine Beeinflussung durch das
Magnesiumsulfat, es waren dies die schwersten überhaupt hier be¬
obachteten. Zweimal war eine deutliche Wirkung erkennbar und bei
zwei weheren bähen war ein überraschender Erfolg zu verzeichnen
ie vier m ihren Krämpfen gänzlich unbeeinflussten Patienten kamen
an fu ,riUcher Zanahrne dieser universellen Krämpfe innerhalb 8 bis
40 „ tunden nach der Injektion zum Exitus. Bei fast allen Fällen
2226
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
wurde über Beklemmungsgefühl in der unteren Thorax- und Herz¬
gegend geklagt, ohne dass dabei der Puls oder die Atmung verändert
gewesen wäre. Wir warteten das Abklingen der Wirkung ab und
wiederholten dann nach 3 Tagen die Dosis. Hiernach traten Gehör¬
täuschungen neben heftigem Phantasieren auf. Dies ward aber von
dem Patienten selbst als durchaus pathologisch empfunden. Es waren
dies diejenigen Fälle, die den besten therapeutischen Erfolg gaben.
In dem einen schwanden die Krämpfe derart, dass der Pat. sich
schon völlig gesund glaubte. Dieser krampffreie Zustand hielt knapp
3 Tage an und es traten dann in dem verwundeten Bein langsam
zunehmende, aber nachdem das ganze Bein hiervon ergriffen war,
sich rasch auf die Rumpfmuskulatur erstreckende Krämpfe auf. Nach
einer abermaligen* intralumbalen MgSOi-Injektion Hessen auch diese
sich wiederum glatt beseitigen, und es entstand das oben be¬
schriebene Bild des Phantasierens. Durch Morphium Hessen sich
diese Sensationen abschwächen, um im Laufe des folgenden Tages
gänzlich zu schwinden. Eine äusserst günstige Wirkung des Ma¬
gnesiums ist hier klar erkennbar. Der andere Fall, der auf
Magnesium gut reagierte, wurde ebenfalls zweimal injiziert, da nach
vier Tagen wieder starke Krämpfe aufgetreten waren. Auch hier
war eine Sistierung der Krampfanfälle nach jeder Injektion aufge¬
treten, und nach der zweiten Halluzinationen, wie in dem eben be¬
schriebenen Fall. Durch Morphium waren diese ebenfalls zu be¬
einflussen. Bei Wiederholung der Dosis wurden jedesmal nur 8 ccm
gegeben. In zwei weiteren Fällen war eine bei weitem nicht so
starke aber dennoch deutliche Wirkung zu erkennen. Hier nahm
zwar die Intensität der Krämpfe prompt ab, jedoch ohne dass diese,
auch nur für kurze Zeit, ganz schwanden.
Mit dieser Beeinflussbarkeit der Krämpfe durch Ma¬
gnesiumsulfat in indirektem Verhältnisse stand die Schwere
der so behandelten Fälle. Wenn ja auch alle an und für sich
schwer verliefen, so lässt sich doch erkennen, dass diese Fälle
etwas leichtere waren. Sie zeigten etwas längere Inkubation,
langsameres Uebergreifen der Krämpfe auf die gesamte
Körpermuskulatur, sowie geringere Erregbarkeit auf äussere
Reize.
Bei Betrachtung dieser Wirkung des Magnesiums lässt
sich erkennen, dass auch diese Methode nicht imstande zu sein
scheint, die schwersten Fälle, diejenigen mit nur kurzer In¬
kubationszeit und raschem Einsetzen universeller Krämpfe,
zu heilen. Immerhin ist ein Versuch gerechtfertigt, da die
Magnesiumtherapie noch die beste aller symptomatischen Be¬
handlungsmethoden sein dürfte. Da nun aber diese nur eine
rein symptomatische ist, so soll man keinesfalls, auch selbst
bei gutem Erfolg, die spezifische Serumtherapie unterlassen,
denn sie ist das einzige gegen das Toxin gerichtete Mittel, von
dem man sich doch vielleicht in diesem oder jenem Falle
etwas versprechen darf, wenn auch in den allermeisten
schweren Fällen seine Wirkung unsicher ist.
Aus dem Reservelazarett Ingolstadt (Reservelazarettdirektor:
Oberstabsarzt Dr. Carl Koch).
Zur Behandlung des Wundstarrkrampfs.
Von Dr. Albert Angerer, Assistenzarzt d. R.
Am Reservelazarett Ingolstadt wurden bis jetzt insgesamt 24 Te¬
tanusfälle behandelt, was mich veranlasst, Mitteilungen über die ge¬
meinsam mit Feldunterarzt Alexander behandelten Fälle zu
machen.
Zuerst wurde mehrmals eine Behandlung mit Magnesiumsulfat
unter Beobachtung der von Kocher aufgestellten Vorschriften ver¬
sucht. Wir erlebten nur Misserfolge, in keinem Falle eine Heilung.
Deshalb wurde diese Therapie aufgegeben.
Nach einigen mehr fastenden Versuchen haben wir uns für die
weiteren Fälle auf folgende Art der Behandlung festgelegt und damit
Erfolge gehabt.
Nach Feststellung der Initialsymptome wurden sofort 100 Te-
tanus-A.-E. subkutan und gleichzeitig 100 A.-E. intralumbal oder intra¬
venös verabreicht. Wir wiederholen die Injektion innerhalb 12 bis
24 Stunden, und zwar geben wir sie in der Folge intravenös. Dies
wird so lange fortgesetzt, bis ein deutlicher Rückgang der Er¬
scheinungen erkennbar ist. Auf diese Weise wurden von 300 bis
1600 A.-E. gegeben.
Nicht minder grosser Wert wurde aber auch auf die rein sympto¬
matische Behandlung im Verein mit der Serumtherapie gelegt. Zu
diesem Zwecke haben wir uns ausschliesslich des
Chloralhydrats bedient und scheuen uns nicht vor
der Verabreichung ziemlich hoher Dosen. Sie wurden
gut vertragen; in keinem Falle konnte eine schädigende Wirkung
festgestellt werden. Im Gegenteil, die Pat. wurden beständig in einer
Art Dämmerschlaf erhalten, waren infolgedessen gegen äussere Reize
ziemlich unempfänglich, dadurch wieder weniger der Häufigkeit der
Krampfanfälle und einer zunehmenden Erschöpfung ausgesetzt.
Nr. 4
Chforalhydrat wurde im allgemeinen zweimal täglich zu je 5g p
klysma verabreicht. Alexander gibt auf einmal 10 g ohne weite
Verabreichung für einen Tag. Daneben wurde noch 1 — 2mal 0,01 Mo
pliiutn gegeben.
Diese Kombination der Serumtherapie mit der symptomatisch»
Behandlung hat gute Erfolge gezeitigt. Wir sehen natürlich ab, jei
von Natur aus leichteren Fälle mit längerer Inkubation als Bewe
heranzuziehen. Aber nachdem es gelungen ist, Tetanuserkrankung»
mit einer Inkubation von 7 — 9 Tagen auf diese Art zu heilen, möchte
wir nicht versäumen, diese Erfahrung zur Kenntnis zu bringen.
Aus dem Reservelazarett Wetzlar (Chefarzt Medizinalr;
Dr. Fl o eck).
Beiträge zur Behandlung von infizierten (Schuss-
Wunden und zur raschen Ueberhäutung grosser Defekti
Von Dr. Bandorf in Wetzlar.
Bei aseptisch gesetzten Wunden (Operationen) ist der aseptisch1
Verband der Verband; die Wundsekretion ist die denkbar geringste
bei infizierten Wunden dagegen ist der Verband der beste, der de
Abfluss des reichlichen, mehr oder weniger dickflüssigen, eitrige
Sekrets am besten ermöglicht. Dass unsere Kriegsverletzungen ai
infiziert zu betrachten sind, ergibt sich 1. aus der Erwägung, das
Unterzeug und Uniformen unserer biwakierenden Krieger nicht
weniger als steril sind; 2. aus der Tatsache, dass die Verwundete
mit stark sezernierenden (eitrigen), teilweise sogar stinkend jauch
gen Verletzungen zu uns kommen.
Immer habe ich nun die Beobachtung gemacht, dass der trocken
aseptische Verband bei infizierten Wunden zur Retention des Eiter
und durch Verklebung mit den Wundrändern zu üppiger Wucherun
von Bakterien und Fäulniskeimen führt; ferner dass das Ablösen de
Verbände zu einem Abreissen der Granulationen und Epidermis mi
geringer Blutung führt. Diese Tatsache muss notwendig eine Vei
zögerung des Heilungsverlaufes bedingen. Wir müssen vom Ver
band verlangen, dass er die Wunde vor weiterer Infektion schütz
dieselbe reinigt und sie baldigst durch Verschluss infolge Granula
tion- und Epidermiswucherung bringt. Diese Forderungen hat mi
schon in der Praxis, in der wir es ja auch nur mit infizierten Wun
den zu tun haben, der Pellidolsalbenverband am vollkommensten er
füllt. Dazu kommt die Eigenschaft des Pellidols die Epithelisierun
anztiregen.
Ich bin deshalb gleich von Anfang an vom trockenen aseptische
Verband bei meinen Verletzungen abgegangen und habe die Wundei
mit steriler Gaze, die mit Pellidolsalbe bestrichen war, bedeck’
Jetzt, nach ca. 3 Wochen, haben wir im Reservelazarett in Wetzla
bei ungefähr 700 teils schweren teils leichteren Wunden die Erfolg*
dieser Behandlung beobachten können und dürfen wir, glaube ich
mit dem Erzielten zufrieden sein.
Zunächst noch ein Wort darüber, welche Wunden ich im Aug
habe. Ich meine alle kleineren und grösseren Weichteilwunden mi
breiter Kontinuitätstrennung der äusseren Haut, mit klaffenden Wund
rändern, Muskelzertrümmerungen, wie sie bei Querschlägern un»
Nahschüssen erfolgen. Diese Wunden halte ich alle für infiziert.
Wir behandeln diese Wunden wie folgt: Die Wunden werdet
mit 2 volumprozentigem Wasserstoffsuperoxyd berieselt, das über
schüssige Wasserstoffsuperoxyd mit steriler Gaze abeetunft. Dar
nach legen wir sterile Gaze, die mit Pellidol messerrückendick be
strichen ist, so in die Wunde, dass die Salbe nach Möglichkeit mi
allen Buchten der Wunde in Berührung kommt. Wir verwenden di»
2 proz. Salbe: Rp. Pellidol (Azodolen) 2,0, Lanolin, ad 100,0. M. f. ung
Der Verbandwechsel nach 24 Stunden geschieht ohne jede mechanisch
Reizung, da Verklebung unmöglich ist. Dieser Verband wird täglicl
erneuert, bis die Wunde gereinigt ist. was meistens in wenigen Taeer
erreicht ist. Von jetzt ab ist ein Abwechseln von aseptischem Ver
band und Salbenverband angezeigt. Gleichzeitig beginnt unter den
Reiz des Pellidols eine rasche Epithelisierung von den Rändern her
Nekrosen, stärkeren Reiz oder andere schädigende Einwirkungen
des Pellidols konnten wir nicht beobachten.
Ich möchte mich dahin zusammenfassen: Der Pellidolsalben-
verband leistet gute Dienste, denn er leitet die Wundsekrete gut
reinigt die Wunden und führt zu rascher Epithelisierung.
Aus dem Reservelazarett B in München, Station A2
(Oberstabsarzt Dr. Kr ecke).
Zwei Blasenverletzungen durch Schrapnellkugeln.
Von Dr. P i t z n e r.
Zwei bei uns beobachtete Blasenverletzungen durch
Schrapnellkugeln scheinen einer kurzen Mitteilung wert zi
sein.
1. Am 20. VIII. wurde Musketier L. durch einen SchrapneJ-
scliuss in die linke Gesässhälfte verletzt. Er wurde von einem
Kameraden mittels Verbandpäckchen verbunden und wurde später
in ein Feldlazarett gebracht. Von dort wurde er nach 9 Stunden m
10. November 191-4.
Fcklärztliclic Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
2227
den Lazarettzug gebracht, wo ihm ein neuer Verband angelegt wurde
Am 23. VIII. gelangte Pat. ins Lazarett B München.
Pat. gibt an, dass er unmittelbar nach dem Schuss keinerlei
Meschwerden in der Blase gefühlt habe, nur habe der Urin blutige
Gerinnsel enthalten. Der Urin ist auch jetzt (23. VIII.) noch stark
blutig: gefärbt. Pat. klagt jetzt auch über zeitweilige leichte
Schmelzen, die er in die Glans penis lokalisiert.
Die l nfersuchimg ergibt eine haselnussgrosse reaktionslosc
A undc unterhalb des linken Tuber ischii. Der Leib ist weich, zeigt
mr gan: geringfügige Druckempfindlichkeit in der Blasengegend. Auf
ier Röntgenphotographie sieht man einen zchnpfennigstückgrossen
-chatten 2 Querfinger oberhalb der Symphyse, nahe der Median-
inie (Fig. 1).
\
I
Fall 1.
S = Schrapnell.
E = Einschuss
unterhalb des Tuber
isch. sin.
Der Pfeil deutet die
Richtung des Schuss¬
kanals an.
Seit 26. VIII. kein Blut mehr im Urin, doch ist der Harn trübe
nd entha t leichlich Eiterkörperchen untermischt mit Schleim und
ilasenepithelien. Daher seit 28. VIII. täglich Blasenspülungen mit
proz. Kollargollösung. Auf die Spülungen hin erhebt sich die Tem-
eratur, die bisher zwischen 37 und 37,5° C sich bewegt hatte,
" em»1 38,5 0 C, um am 2. IX. auf 36,8 0 C abzusinken, auf
elcher Hohe sie sich von jetzt an dauernd hält.
Am 8. IX. darf Pat. aufstehen. Pat., der bisher ohne Be-
.h'.\ erden uriniert hatte, klagt jetzt plötzlich über Harndrang beim
ufrichten in die \ ertikale und über jähes Abbrechen des Harn-
rahles.
Die am 10. IX. vorgenommene Zystoskopie zeigte eine
c h r a p n e 1 1 k u g e 1, die frei beweglich im Blasengrunde
g. Die Blasenschleimhaut ist etwas injiziert und aufgelockert. Trotz
inauester Ableuchtung der ganzen Blase gelang es nicht, die Ein-
mussörfnung zu entdecken. Offenbar war es bereits zu einer voll-
immenen Verheilung gekommen. Am 14. IX. wurde in Parasakral-
lasthesie mittels Sectio alta (Hofrat Dr. K r e c k e) das Projektil
itfernt. Es wurde von der Blase aus ein Dauerkatheter eingelegt,
e Blase vernäht, die ßauchdecken mit Zwirnnähten geschlossen,
id in den unteren Wundwinkel ein Zigarettendrain eingeführt.
Die Blase wird nun täglich 2 mal mit 2 proz. Borsäurelösung
■spült. Die Temperatur bleibt normal. Am 19. IX. wird Katheter
id Drain entfernt; Pat. uriniert ohne Beschwerden 5 — 6 mal in
Stunden. Am 29. IX. durfte Pat. aufstehen und am 5. X. wurde
entlassen.
2. Musketier H. erhielt am 20. VIII. einen Schrapnellschuss in
- rechne Gesässhälfte und traf nach einmaligem Verbandwechsel
i 23. VIII. im Lazarett B ein. Keinerlei Beschwerden von seiten
r Harnergane. Es fand sich eine reaktionslose Einschussöffnung
Juerfinger breit rechts von der Crena ani. Das Röntgenbild zeigte
inerlei Knochenverletzung. Ein scharf umschriebener runder
Schatten war, wie beim Fall 1,
2 Querfinger oberhalb der Sym¬
physe sichtbar (Fig. 2).
Pat. hatte nie blutigen Urin
bemerkt. Auch hatte Pat. im
Gegensatz zu Fall 1 stets voll¬
kommen klaren Urin, so dass
man vermuten konnte, die Ku¬
gel sitze zwar in der Gegend
der Blase, habe aber die Mu¬
kosa nicht verletzt. Als aber
Pat. am 10. IX. zum ersten
Male aufstehen durfte, klagte
er über Urindrang und Absetzen
des Urinstrahles.
Die am 12. IX. vorgenommene
zystoskopische Unter-
chung ergab fast das gleiche Bild wie bei Fall 1; eine frei be¬
gliche, nicht inkrustierte Schrapnellkugel im Bl äsen -
u n d. Es fehlten alle zystitischen Erscheinungen: die Schleimhaut
glatt, gelblich glänzend. Auch hier konnte die Einschuss-
iu:ig nicht mehr entdeckt werden.
Am 14. IX. wurde die Kugel in gleicher Weise wie bei Fall 1
lernt. Die Wundheilung erfolgte ungestört, die Temperatur blieb
ts normal. Am 3. X. wurde Pat. als Rekonvaleszent entlassen.
Fall 2.
S = Schrapnell. E = Einschuss.
I deutet die Richtung des Schusskanals an
Die beiden mitgeteilten Fälle stellen zweifellos eine grosse
Ftenheit dar. Es mag sein, dass im Laufe des Krieges noch
i hrere derartige Verwundungen Vorkommen werden; aus
h letzten Kriegen sind, soweit uns die Literatur zur Ver¬
fügung stand, ähnliche Blasenverletzungen nicht bekannt ge¬
worden. Nach dem Gesetz von der Duplizität der Fälle
mussten natürlich gleich zwei derartige seltene Verletzungen
zur Beobachtung gelangen.
Das Bemerkenswerteste an beiden Fällen besteht darin,
dass das Geschoss alle Weichteile des Beckens, einschliesslich
der einen Blasenwand durchschlagen hatte und in der Blase
liegen geblieben war, ohne die sonst bekannten
schweren Erscheinungen der Blascnverletzung hervorzurufen.
Ob die Blasenverletzung den extraperitonealen Teil der Blase
oder den intraperitonealen betroffen hat, lässt sich nachträg¬
lich schwer entscheiden. Jedenfalls muss man annehmen, dass
die Blasenwunde, die unbedingt der Grösse des Schrapnells
entsprochen haben muss, sich sofort wieder schloss, da sonst
eine Harninfiltration oder eine Peritonitis die unausbleibliche
Folge gewesen wäre. Ein solcher rascher Verschluss würde
mehr einer intraperitonealen Verletzung als einer extraperi¬
tonealen entsprechen, weil gerade bei intraperitonealen Wunden
die Oeffnung durch die Verklebung der beiden Serosaflächen
alsbald verschlossen werden kann.
Ob eine Füllung der Blase mit Urin die Ge¬
schossgeschwindigkeit so verminderte, dass das Projektil in
der Blase liegen blieb, lässt sich nicht sicher feststellen. Auf
jeden Fall kam in beiden Fällen das Geschoss schon mit ziem¬
lich verminderter Geschwindigkeit in der Blase an, da sich
sonst wohl die explosionsartige Wirkung des hydraulischen
Druckes auf die gefüllte Blase geltend gemacht hätte, die man
bei Schiessversuchen auf die gefüllte Blase beobachtet hat.
Unter den Symptomen der Verletzung ist besonders
auffällig, dass beide Patienten im Moment des Schusses
keinerlei besondere Empfindungen in den
Harn Organen hatten, weder Brennen in der Harnröhre,
noch Urindrang, noch Schmerzen in der Blasengegend. Bei
Fall 2 blieb das Wohlbefinden ungestört bis zu dem Augen¬
blick, wo er das Bett verlassen durfte. Da stellten sich dann
Beschwerden ein, wie sie sonst beim Blasenstein Vorkommen,
Harndrang beim Aufrichten, plötzliche Unterbrechung des
Harnstrahles. Im ersten Fall waren ebenfalls stärkere
schmerzhafte Störungen ausgeblieben, wohl aber trat bei
diesem Patienten nach einigen Stunden Blut im Urin auf, und
diese blutige Färbung hielt mehrere Tage an. In diesem Falle
schien es von vornherein wahrscheinlich, dass das Geschoss
die Blase verletzt hatte.
Entzündliche Erscheinungen waren gleichfalls
nur bei Fall 1 vorhanden. Bei dem 2. Fall hingegen blieb der
Harn während der ganzen Zeit der Beobachtung vollkommen
klar. Man muss also wohl eine vollkommene Sterilität der
Schrapnellkugel annehmen.
Das zystoskopische Bild war in beiden Fällen
sehr eindrucksvoll: die runde Schrapnellkugel im Grunde der
Blase ist ein Befund, wie er bisher wohl kaum in der Friedens¬
praxis erhoben sein dürfte.
Nach Feststellung der Diagnose war die Therapie ge¬
geben. Durch die Sectio alta wurden die Kugeln ohne be¬
sondere Schwierigkeiten entfernt. Die Verheilung der Blasen¬
wunde erfolgte in beiden Fällen ohne Störung.
Spontaner Abgang eines in die Harnblase gedrungenen
Granatsplitters.
Von Dr. Hermann Nobiling.
* J" uCr- Sitzung ^es Aerztlichen Vereins München vom 16. Sep¬
tember berichtete K r e c k e über 2 im Reservelazarett B beobachtete
bchussverletzungen, bei denen das in der Gesässgegend eingedrungene
Geschoss von hinten in die Blase gelangte, dort liegen blieb und durch
die Sectio alta entfernt werden musste. Einen ähnlich gelagerten Fall
mochte ich hier in Kürze mitteilen.
H. R., 30 Jahre alt. Es fand sich bei ihm auf der linken Hinter¬
backe, ca. 3 cm von der Afteröffnung entfernt, eine erbsengrosse
leicht gerötete, in der Mitte mit einem Schorf bedeckte Wunde: Ein¬
schussöffnung. Eine Ausschussöffnung ist nicht aufzufinden. In der
nose, der Einschussöffnung entsprechend, ein kleines Loch. Ucber
den Hergang machte der Verletzte folgende Angaben: Am 26 VIII
mi Kampfe bei Luneville platzte 10—15 m hinter R. eine Granate!
K. empfand sofort einen heftigen Schmerz in der Aftergegend und fiel
ohne das Bewusstsein zu verlieren, zu Boden. Er vermochte sich
aber gleich wieder zu erheben; nur blutete die verletzte Stelle etwas
2228
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 4:
Der Mann konnte noch 60 — 80 m weiter laufen, bis ein unwidersteh¬
licher Drang zu Urin- und Stuhlentleerung ihn zwang, mitten im
Granatfeuer stehen zu bleiben. Mit vieler Mühe und nach längerer
Zeit erst gelang dem Verwundeten die Harnentleerung, welche zu¬
erst nur tropfenweise, später in ganz dünnem, fadenförmigem Strahl
erfolgte. Dabei empfand R. auch Schmerzen im After. Da der
Verwundete nicht mehr laufen und nur mehr schlecht gehen konnte,
begab er sich zu dem 2 Stunden weit entfernten Verbandplatz, wo
die Wunde in der (iesässgegend sowie eine Streifschussverletzung
der linken Wade, die er bei den durch die ersterwähnte Verwundung
verursachten Schmerzen nicht bemerkt hatte, verbunden wurde. Auf
dem ganzen Wege musste Patient immer wieder wegen Harndrang
stehen bleiben; fast immer ohne, selten mit geringem Erfolg. Die
Nacht verbrachte R. in einem Stadel. Er konnte schlafen, bei gerader
Rückenlage war er schmerzfrei.
Am 27. VIII. fuhr R. teils in stark rüttelndem Wagen, teils per
Bahn nach D. Bei der Harnentleerung musste der Verwundete immer
stark pressen und empfand dabei solche Schmerzen, dass er Angst
vor jedem Wasserlassen hatte. Er verspürte auch starke Schmerzen
an der Peniswurzel. Alle 'A Stunde stellte sich Drang zur Harnent¬
leerung ein. Nach dem Urinieren (immer sehr wenig) traten Schmer¬
zen im vorderen Teil der Harnröhre auf.
Am 28. VIII. Transport nach K.. Ankunft am 29. VIII. Zustand
immer der gleiche. Pat. wird am Abend noch verbunden; klagt über
Schmerzen beim Wassermachen und in der Gesässgegend. Stuhl¬
verstopfung. Diät: Pat. bekommt kein Bier und kein Fleisch, bloss
Limonade und Eier.
31. VIII. mit 2. IX. Pat. ist wegen starker Schmerzen im Gehen
sehr behindert und kann sich auch nicht auf die Seite legen. Schmer¬
zen am Penisansatz. Patient beobachtet hier, dass in der Frühe,
am Schlüsse des Wasserlassens mit dem Harn etwas Blut abging.
„Der Urin war wie Rotwein gefärbt, als ich in die Klosettschüssel
schaute.“
Am 3. IX. trank R. gegen das Verbot des Arztes etwas Bier und
schlief um 8 Uhr abends ein, nachdem er vorher noch Wasser ge¬
lassen hatte. Um 'A 10 Uhr bekam Pat. in der Dammgegend furcht¬
bare Schmerzen, heftigen Drang zum Urinieren und war kaum mehr
imstande zu gehen. Nachdem etwas Harn entleert worden war. hatte
Pat. das Gefühl, „als ob es in der Harnröhre einen Ruck getan hätte“,
und der Harnstrahl versiegte sofort. Die Schmerzen waren dabei so
stark, dass R. den Atem verhalten musste. Nach kurzer Zeit „tat es
noch einmal einen Ruck“, der Verwundete fühlte sich sehr erleichtert,
viel Wasser entleerte sich und zum erstenmal wieder in dickem Strahl.
Der Urin war blutig verfärbt. Da nun der Mann das Gefühl hatte,
als ob etwas aus der Harnröhre herausgefallen wäre, suchte er mit
dem Wärter in der Klosettschüssel und fand in ihr einen Granat¬
splitter.
R. bemerkte seitdem bei der Harnentleerung kein Blut mehr.
Am vorderen Ende der Harnröhre hatte der Verletzte noch 3 — 4 Tage
Schmerzen, die dann vollständig verschwanden. Der Urin zeigte nur
noch ganz leichte Trübung; bei der mikroskopischen Untersuchung
fanden sich Erythrozyten und Leukozyten in grösserer Anzahl. Das
Urinieren vollzieht sich jetzt in ganz normaler Weise, nur muss R.
in der Nacht noch 1 — 2 mal zur Harnentleerung aufstehen, was vor
jxgi* seiner Verwundung nie der Fall war. Der Urin ist gegen-
wärtig vollkommen klar und enthält nur noch vereinzelte
O w Erythro- und Leukozyten.
M'W Der Granatsplitter, welcher 1.4 g wiegt, hat neben-
) stehende Form, ist dreikantig und hat sehr scharfe, fein¬
es ) gezähnte, sägeartige Ränder. Grösste Länge: 1.4 cm,
Nat. Grosse Breite: 7 cm. Er war offenbar in der Gesässgegend in der
Nähe des Mastdarms in den Körper eingedrungen, war von
hinten her — wahrscheinlich extraperitoneal — in die Harnblase ge¬
langt, hatte dort als Fremdkörper die Erscheinungen eines Blasen¬
steines hervorgerufen und war dann spontan mit dem Urin entleert
worden.
Ueber Fleckfieber und Rückfallfieber.
Von Marineoberstabsarzt Prof. Dr. M ü h 1 e n s in Wilhelms¬
haven.
(Schluss.)
Das Rückfall- (Rekurrens-) Fieber.
Die Krankheit (auch Rückfalltyphus, Typhus recurrens,
Febris recurrens genannt) ist früher vielfach für eine weniger
schlimme Form des Flecktyphus gehalten worden, zumal da
das Rückfallfieber unter denselben epidemiologi¬
schen Bedingungen aufzutreten pflegt wie Flecktyphus,
also unter gewissen Völkerklassen: Landstreichern,
Pennbrüdern, Gefängnisinsassen, bei schlecht untergebrachten
Arbeitern in Massenquartieren, in Russland bei Nachtasyl¬
gästen, zu Zeiten von Hungersnot, schliesslich auch im Kriege,
wie der letzte Balkankrieg bewiesen hat. Wir wissen seit der
Entdeckung der Spirochaeta recurrentis (Ober¬
in e i e r) im Blute von Rückfallfieberkranken im Jahre 1873
bestimmt, dass die Krankheiten ätiologisch verschieden sine
Beide Seuchen treten aber häufig zusammen auf, so jüngst au
dem Balkan und in Tunis.
Klinisch ist das Rückfallfieber seit Mitte des 18. Jahrhundert
genauer beschrieben. In England waren im 18. und 19. Jahr
hundert grosse Epidemien; Hauptherd anscheinend in Irland; letzt»
grosse Epidemie 1868 — 73. Auch Russland kennt zahlreicht
heftige Epidemien. So z. B. wurden noch im Jahre 1908 in St. Pe
t er s bürg 7895 Fälle mit 3 Proz. Mortalität (35 Proz. aller Fällt
unter Nachtasylgästen) gezählt. Bekannte jüngere europäische bpi.
demien sind ferner beobachtet in Bosnien und Herzegowina
auf dem Balkan und in der Türkei. In Deutschland sine
4 grosse Epidemien bekannt in den Jahren 1847/48. 1868/70, 1871/7.-
und 1878/80, alsdann aus Deutschland fast gänzlich verschwunden
Seit den 1880 er Jahren geriet das Rückfallfieber bei uns immer
mehr in Vergessenheit, bis im Jahre 1905 von R. Koch ir
Deutsch - Ostafrika eine auf Chinin nicht reagierende Fieber¬
krankheit durch Spirochätennachweis als Rückfallfieber erkannt
wurde, das sog. „Zeckenfieber" (weil durch die Zecke Ornitho-'
dorus moubata übertragen). Seitdem fand man auch in vielen
anderen Ländern Rekurrenserkrankungen. Man trennt jetzt!
m e h r e r e Arten auf Grund gewisser Unterschiede in Verlauf,.
Tierempfänglichkeit, Immunitätsverhältnissen und Uebertragung:
1. europäisches Rückfallfieber (Spirochaeta Obermeieri), 2. z e n-i
tral afrikanisches Rückfall- oder Zeckenfieber (Spir. Duttoni),i
3. amerikanisches Rückfallfieber (Spir. Novyi), 4. asiati¬
sches, insbesondere indisches Rückfallfieber (Spir. Carteri) und
5. nordafrikanisches Rückfallfieber.
In den gegenwärtigen Kriegszeiten ist eine Einschlep¬
pung von Rückfallfieber aus den genannten europäischen1
Staaten, auch aus Nordafrika und Indien, nach Deutsch¬
land möglich.
Die wichtigsten Krankheitszeichen sind (in
der folgenden Tabelle im Vergleich zu Abdominaltyphus und
Flecktyphus zusammengestellt) kurz zusammengefasst fol¬
gende: Plötzlicher Beginn mit Schüttelfrost und schnell an¬
steigendem hohem Fieber. Mehrere Anfälle. Fieberdauer im
L Anfall 5 — 8 Tage, in den späteren Anfällen (Rclapsen)
kürzer, Intervalle zwischen den Anfällen werden grösser,
7 — 12 Tage. Fieberabfall kritisch unter Schweissausbruch.
Puls 110 — 130, anfangs gespannt, später klein. Von vorn¬
herein schweres Krankheitsbild, insbesondere mit heftigen
Kopf-, Glieder- und Muskel-, insbesondere Wadenschmerzen.
Schnell zunehmende schmerzhafte Milz- und auch Lebcr-
schwellung. Oft Blutungen, namentlich häufig heftiges Nasen¬
bluten (Tamponade erforderlich). Gesichtsfarbe anfangs ge¬
rötet, später meist blass mit Stich ins Zyanotische und Gelb¬
liche: bleigrau bis bronzefarben; mitunter Herpes labialis. Be¬
wusstsein meist vollkommen erhalten (Ausnahmen bisweilen
im kritischen Stadium). Nicht selten Albuminurie oder gar
hämorrhagische Nephritis.
Als Komplikationen sind besonders gefürchtet: Blu¬
tungen der Schleimhäute und Pneumonie.
Als ein ominöses Symptom wird ferner das Auftreten
von starkem Ikterus mit septischen Erscheinungen angesehen.
(Tabelle siehe nächste Seite.)
Das sogen, „b i 1 i ö s e T y p h o i d“ gilt als eine sep¬
tische Rekurrensform (Recurrens septica), vielleicht
durch Kombination mit Sepsiserregern. Symptome:
schwere Allgemeinerscheinungen mit starkem Ikterus, Kräfte- ,
verfall, Somnolenz, Delirien, Hämorrhagien verschiedenster i
Art, besonders im Magen-Darmkanal, schmerzhafte Milz- und
Leberschwellung. 50 — 70 Proz. Mortalität. Vorkommen
namentlich in wärmeren südlichen Staaten (Mittelmeerstaaten,
Indien). Die Zugehörigkeit zum Rekurrens ist durch Spiro¬
chätennachweis erkannt.
Die Rückfallfieberspirochäte lässt sich im all¬
gemeinen nur während der Anfälle im Blutpräpärate nach-
weisen: entweder macht man dünne Ausstriche und färbt sie
nach Alkoholfixierung wie Malariapräparate nach Giemsa.
oder besser sogen, dicke Tropfenpräparate.
Dicke Blutstropfen werden ungefähr in 1 cm Breite auf dem
Objektträger ausgebreitet; dann lässt man sie gut (einige Sekunden)
an der Luft trocknen. Alsdann Färbung ohne Fixierung
Vs Stunde lang mit Giemsalösung, je 1 Tropfen auf je 1 ccm Wasser.
Nach Abgiessen der Farbe mehrmaliges Eintauchen (nicht Ab-
spülcn) in ein Glas Wasser. Lufttrocknen. In dem Tropfenpräparat
werden die roten Blutkörperchen vom Wasser der Farblösung aus¬
gelaugt und man sieht die Spirochäten zwischen den Leukozyten.
10. November
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift
J. Differentialdiagnose zwischen Typhus abdominalis, exanthematicus und recurrens.
Typhus abdominalis
Typhus exanthematicus
Febris recurrens
1. Inkubation.
| 10-20 Tage.
3-21 Tage angegeben, in der Regel 8—14 Tage.
2. Prodromal¬
erscheinungen
^erj”^es °der massiges allgemeines Mattigkeits-
gefuhl. Mitunter Angina.
1 ^e'SL.e*^*je vorher Unwohlsein, Kopfschmerzen
Schwindel, Appetitlosigkeit, mitunter Erbrechen.
, Meist keine oder nur geringe Prodromal¬
erscheinungen
3. Beginn.
7U ®e£*nn Frösteln. Kein ausgesprochener
Schüttelfrost. Allmählich ansteigendes Fieber.
Nach Schüttelfrost in der Regel schneller
hoher Fieberanstieg.
j Plötzlich mit Schüttelfrost und schnell an¬
steigendem hohen Fieber. Relapse auch plötzlich.
| Nach staffellörmigem Anstieg kontinuierliches
Fieber, geringe Tagesschwankungen zwischen
39—40,5°. In der 3. und 4. Woche grössere
Schwankungen (steile Kurven). Lytischer
*n 4~ 8 Tagen. Fieberdauer insgesamt
| 3-5 Wochen.
Kontinuierliches Fieber, in der Regel zwischen
39,5 und 41" und mehr. Dauer 8—17 Tage.
Abfall meist kritisch am 12—14. Tage. Nicht
selten Pertubatio critica bis 42“ und Abfall zur
subnormalen vbis 35°) und weniger.
Continua bis 41“ und mehr mit geringen Remis¬
sionen. Abfall kritisch unter Schweissausbruch.
Mitunter Pertubatio critica. Fieberdauer:
1. Allfall: 5—8 Tage. 4. Anfall: etwa 3 Tage.
2- „ : 4-ö „ . 5. „ : „ 1-2 „ .
3. ,, : etwa 8 ,,
Im Vergleich zum Fieber la ngsa m , 80-100 Schläge,
anfangs gut fühlbar; sehr häufig deutlich dikrot,
regelmässig; später oft unregelmässig.
110—140 Schlage, nicht gespannt, leicht unter¬
druckbar, oft kaum fühlbar; klein, oft unregel¬
mässig, selten dikrot.
110-130 Schläge, im Fieber meist anfangs deutlich
gespannt fühlbar. Vor der Krise oft klein und
unregelmässig.
Symptome.
Krankheitsbild meist zu Anfang nicht schwer.
Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit. Oft heftige
Kopfschmerzen.
Von vornherein schweres Krankheitsgefühl:
Kopf- und Gliederschmerzen, starke Abgeschlagen-
heit.
Schweres Krankh eitsbifd: Kopf-, Kreuz-,
Glieder-, Muskelschmerzen, z. B. oft starke
7. Objektiver
Befund:
a) Gesicht.
Mitunter anfangs Rötung einer oder beider
Wangen, später Blässe, Wangen abgemagert.
Nasenbluten. — Nicht selten kein Herpes
labialis.
Dunkelrot, gedunsen, Augenbindehäute gerötet.
Anfangs meist gerötet; später mehr blass-
gel blich; oft bronzefarben oder bleigrau.
Herpes labialis nicht selten.
b) Haut,
Exanthem.
Meist Ende der 1. oder anfangs der 2. Woche
deutlich Roseolen, mitunter sehr spärlich.
Hauptsitz: Oberbauchgegend und seitliche
Brustkorbpartien; mitunter auch Rücken. Ex¬
tremitäten frei. Nicht selten im Verlauf Nach¬
schübe.
Am 3.-5. Tage beginnend, Stecknadelkopf- bis
linsengrosse Exanthemflecke am Rumpf und
oft auch Gliedmassen (Beugeseite der Vorder¬
arme). Mitunter spärlich, oft sehr ausgebreitet;
manchmal schnell verschwindend. Charakteristisch:
„Petechiale Umwandlung“. Kein e Nach¬
schübe. In Rekonvaleszenz häufig kleienförmige
Desquamation.
ln der Regel keinerlei Exanthem.
c) Lungen.
Sehr häuiig bronchitische Erscheinungen.
Nicht selten im Verlauf katarrh. Pneumonie.
Oft Husten, Bronchitis, eventuell Hypostasen.
Fibrinöse und Bronchopneumonien gefürchtet.
Seltener Bronchitis. Auch Pneumonie (fibrinöse)
seltener.
d) Herz.
Tendenz zu Herzschwäche durch anatomische
Veränderungen oder nervöse Störungen.
Tendenz zu Herzschwäche, namentlich zur
Zeit der Krise.
Häufig systolische Geräusche, ohne Endokarditis.
Herzschwäche, besonders in Kriseperiode.
Stark grau-weiss belegt, spater oft trocken, mit
Borken belegt, rissig.
I rocken, dick schmutzig-grau-gelblich bis bräunlich
belegt, rissig.
Dick belegt.
f) Darm
und Magen.
1 y p i s c h häufig : erbsensuppenartige
Stühle; nicht immer, manchmal auch, nament¬
lich zu Anfang und in Rekonvaleszenz Obstipation.
— Ileozoekalgurren und Druckempfind¬
lichkeit. Später oft Meteorismus.
Smhluniegelmässigkeiten, mitunter Durclitälle, oft
auch Obstipation. Häufig nichts Abnormes. Meist
keine Druckempfindlichkeit. Mitunter Darm- und
Magenblutung.
Meist Obstipation, mitunter auch Durchfälle.
Magenblutungen können Vorkommen.
g) Milz.
Schwellung fehlt fast nie; meist schon in der
1. Woche beginnend und dann allmählich
zunehmend.
Im allgemeinen nicht immer so deutlich
wie bei T. a. und Rekurrens, nicht wesentlich
druckempfindlich. Schwellung in manchen Epi¬
demien nicht nachweisbar
Schwellung schnell und erheblich
meist druckempfindlich; oft auch spontan
bei Atmung schmerzhaft. Eventuell Milzabszesse.
h) Leber.
ln der Regel ohne auffallende Veränderungen.
1
Schwellung höchstens gering, nicht so auffallend
wie bei Rekurrens.
In der Regel deutlich geschwollen, druck¬
empfindlich.
i) Nieren,
Urin.
Nicht selten Albuminurie, Nephritis.
Diazo meist -f-, kann auch fehlen.
Fieberharn mit hohem spez. Gewicht. Auf Fieber¬
höhe oft Albuminurie. Mitunter schwere
Nephritis.
Fieberharn; nicht se.ten Eiweiss und Zylinder.
Manchmal Nephritis, selten hämorrhagisch.
k) Blut¬
befund.
Leukopenie (wenn keine Komplikation).
Anfangs meist etwas Leukopenie, dann (nicht hoch¬
gradig) polynukleäre Leukozytose.
1
Massige Leukozytenvermehrung, haupt¬
sächlich der polynukleären. Abnahme der
roten Blutkörperchen und des Hämo¬
globingehaltes.
1) Nerven¬
system.
Von der 2. Woche an sehr häufig Zittern der
Oesichts-(Mundwinkel-)Muskeln u. Zunge. Später
Unruhe, besonders nachts, Delirien.
Anfangs quälende Schlaflosigkeit, später
Bewusstseinsstörungen, Delirien,
Exzitations- und Depressionszustände.
Oft Schlaflosigkeit ; Bewusstsein erhalten.
Vor Krise oft Störungen.
m) Sonstiges
Meist starke Abmagerung von der 3. Woche ab.
ln schweren Fällen oft eigenartiger moderiger
Körpergeruch.
Sonstige Kom¬
plikationen.
Darmblutungen in 3.-5. Woche. Perforations- 1
peritonitis. Otitis media. Parotitis. Venenthrom-
oose (Schenkelvenen). Dekubitus.
Blutungen höchst selten. Otitis und Parotitis
purulenta. Gangrän, namentlich der Extremi¬
täten.
Nasen-, Darm-, Genital- und andere Blutungen,
im Krisestadium nicht selttn. Otitis und
Parotitis. Mitunter gutartige Schenkel¬
venenthrombose.
Rekonvales¬
zenz.
Erholung von Beginn fester Ernährung an häufig
schnell. Oft aber lang dauernde körperliche und
geistige Schwäche. Nicht selten Haar¬
ausfall.
Meist nur langsame Erholung. Schwere Ab-
geschlagenlieit.
Schnelle Erholung. Milz- und Leberschwel¬
lung verschwinden schnell.
Immunität.
Jr 1
Lang anhaltende Immunität.
w. 1
L a n g anhaltende Immunität.
Von kurzer Dauer. Neuinfektionen schon
nach 2-3 Monaten möglich; dann meist leichter
Rückfälle.
5 — 14 Tage nach Entfieberung möglich.
Höchst seilen.
Fast stets Relapse, in zunehmenden Zeitabständen
von 7—11 Tagen, bis zu 5 Relaosen.
Mittlere
Mortalität.
8—12 Proz.
10—25 Proz.
2—3 Proz. (ohne Salvarsan).
Ae tiologi e.
Typhusbazillus; Nachweis in Blutkultur und
Entleerungen. — Widal-Reaktion.
Noch nicht gesichert. Diplobazillus exan¬
thematicus (?) Leukozyteneinschlüsse (?).
Spirochaeta recurrentis (Obermeieri) ; wäh¬
rend der Anfälle im Blute nachweisbar
u eb er¬
trag U n g.
Meist infizierte Nahrungsmittel, namentlich
Milch, Wasser und Obst. Indirekte Vermittlung
durch Fliegen.
Kleider- und Kopfläuse.
Kleider- und Kopfläuse.
Pathologische
Anatomie.
1
Typische Dar m verä n d e ru n g eil : Schwellung
der Follikel u. Peyerschen Plaques, Oeschwürs-
bildung. Milz- und D rii s e n Schwellungen.
Keine Daimveränderungen. Milz weich, brüchig,
nicht so stark geschwollen wie bei Rekurrens
Oft ausser Hautveränderungen nichts
Charakteristisches.
Insbesondere : hochgradig weiche, brüchige Milz,
mit herdförmigen Erscheinungen (lymphomartige
Wucherungen und Infarkte). Rotes Knochen¬
mark. Leber vergrössert.
jektionsfertig in Ampullen) tut dieselbe Wirkung. Bei 2 von
mir in Konstantinopel mit 0,5 Arsalyt intravenös injizierten
Kranken waren die Spirochäten in 45 Minuten im kreisenden
Blute nicht mehr nachzuweisen. A r r h e n a 1 injektionen er¬
wiesen sich nach Schneider in Syrien auch als spezifisch
wirksam.
Erwähnt sei noch, dass auch Injektionen von Re¬
konvaleszentenserum, 16—60 Tage nach dem 2. An¬
fall entnommen und in Mengen .von 8—10 ccm den Kranken
eingespritzt, sich als spezifisch wirksam erwiesen, wie mir
wiederholt türkische Aerzte persönlich mitteilten. So z. B. hat
Res cha d Riza B e y mehrere Hundert Fälle erfolgreich mit
Seruminjektionen ohne schädliche Nebenwirkungen behandelt.
Die Seruminjektionen sind also bei Epidemien ein gutes Hilfs¬
mittel, wenn kein Salvarsan zur Hand ist. — Im übrigen dürfte
Die Mortalität des unkomplizierten Rückfallfiebers [
1 trägt 1 — 5 Proz., selten mehr. Die gefährlichste
- 'it ist die vor, während und nach der Krise, alsdann event.
bllaps oder Tod an Herzschwäche.
In dieser Zeit ist daher bei der Behandlung besonders
;ch an Herzexzitantien zu denken. — Seit der Ent-
ickung des Salvarsans haben wir in diesem Präparate das
! >2e gesuchte Spezifikum gegen Rekurrens. Eine e i n -
1 tlige intravenöse Injektion von 0,4 — 0,5 g Salvarsan
( er der entsprechenden N e o s a 1 v a r s a n dosis, während
Fiebers injiziert, bringt in kurzer Zeit die Spirochäten zum
-hwinden; der Anfall wird wie mit einem Schlage ab-
i- schnitten . Schnelle Rekonvaleszenz. Rückfälle bleiben fast
s ts aus. Auch das von der Firma Boehringer in Mann-
1 m hergestellte Arsalyt (gelöstes Arsenpräparat, in-
2230
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
seit Einführung der spezifischen Salvarsantherapie bei recht¬
zeitiger Anwendung die Mortalität fast Null sein.
Als Ueberträger des Rückfallfiebers sind durch Be¬
obachtungen und Versuche in Indien, Nordafrika, im Kaiser¬
lichen Gesundheitsamt und anderwärts Läuse erkannt
worden. Man nimmt an, dass die Krankheitserreger mit spiro¬
chätenhaltigen Entleerungen der Läuse, oder mit dem beim
Zerdrücken freiwerdenden spirochätenreichen Körperinhalt der
Läuse durch Kratzen und Reiben in die menschliche Haut ge¬
langen. Bekannt ist, dass Spirochäten auch durch die schein¬
bar unverletzte Haut (z. B. am Nagelfalz) in den Körper ge¬
langen können. Daher ist Vorsicht gegenüber spiro¬
chätenhaltigem Blut geboten. Es sind eine ganze An¬
zahl von Laboratoriumsinfektionen bekannt.
Die Bekämpfungsmassnahmen haben sich gegen
die Erreger im Menschenblut (spez. Salvarsanbehandlung) und
gegen die übertragenden Läuse zu richten. Hier gilt das schon
bei der Bekämpfung des Flecktyphus Gesagte. Die recht¬
zeitige Vernichtung der Körper läuse ist das
sicherste Verhütungsmittel einer Weiter¬
verbreitung von Flecktyphus und Rückfall¬
fieber. Die vorbeugenden Massnahmen haben sich aber
auch auf die rechtzeitige Erkennung, Reinigung
und Isolierung der ersten eingeschleppten Krankheits¬
fälle zu erstrecken. Und da ist es für uns in den gegenwärtigen
Zeiten besonders wichtig, dass wir die gefangenen Russen
aufmerksam unter ärztlicher Aufsicht halten. Gerade bei ihnen
ist die Läusevertilgung sehr wichtig. Dass unsere Truppen
in Russland Infektionsgefahren — z. B. beim Uebernachten in
ärmlichen russischen Häusern — ausgesetzt sind, bedarf keiner
besonderen Begründung. Aus privaten Mitteilungen ist mir
bekannt, dass unsere Truppen im Osten schon vielfach die
Bekanntschaft mit Läusen gemacht haben. Vorbeugung,
d. i. Läuseschutz und -Vernichtung, ist bei den geschilderten
Seuchen die beste Bekämpfung.
Vereine.
Kriegsmedizinischer Abend in Tübingen.
Sitzung vom 20. Oktober 1914.
Herr Gaupp demonstriert:
1. Französische Waffen und Geschosse, auch verschiedene
Formen von Dum-Dum-Geschossen.
2. Einen im Tornister eines französischen Offiziers aus Orleans
gefundenen grossen Phallus aus Gips von 19,5 cm Länge, 5,5 cm Durch¬
messer. Derartige Phalli wurden bei mehreren gefallenen französi¬
schen Offizieren vorgefunden und hatten in militärischen Kreisen
die Besorgnis erweckt, dass es sich um Instrumente für rohe Schän¬
dungsversuche an deutschen Frauen und Mädchen handeln könnte.
Gaupp glaubt dies nicht. Eine Austragung französischer Ver¬
wundeter ergab keine Erklärung, sie meinten nur: „c‘est seulement
pour rire“. Diese Annahme ist nicht wahrscheinlich, zumal der
Gegenstand ein grosses Gewicht hat und den Tornister doch zu sehr
beschwert, um nur als harmloses Ulkobjekt zu dienen. Die Ver¬
mutung, dass es sich um ein Instrument für päderastische Zwecke
handelt, hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Näher liegt der Ge¬
danke, darin eine Art von Talisman zu erblicken. Nur widerspricht
dieser Annahme das grosse Format und Gewicht. Vielleicht liegt
eine Form des Exhibitionismus vor, bei dem sich der sexuell Perverse
an der Scham und Verlegenheit durch den Anblick des Riesenphallus
erschreckter und verletzter weiblicher Personen geschlechtlich er¬
regt.
3. Einen Fall von rein traumatischem Korsakoff nach Huf¬
schlag ins Gesicht, der zu einer Fraktur des Unterkiefers geführt
hatte Nach einstündiger Bewusstlosigkeit zunächst leicht deliranters
Bild, dann reiner amnestischer Symptomenkomplex, der nach etwa
5 wöchiger Dauer rasch völlig abheilte.
4. Einen Fall schwerer Riickemnarksverletzung durch eine
Schrapnellkugel, die hinten im Nacken eindrang, die Rückgratshöhle
durchquerte, das Rückenmark teilweise zerriss, den Wirbelkörper
durchbohrte und zwischen Wirbelkörper und hinterer Rachenwand
liegen blieb. Allgemeine Ausführungen über die Prognose und Be¬
handlung partieller Rückenmarksverletzungen.
Herr K. Brodmann: Zerebrale Störungen nach Schädel¬
schüssen.
Der Vortrag wird ausführlich in der M.m.W. erscheinen (Feld¬
ärztliche Beilage).
Herr Kühler- Reutlingen zeigt eine grosse Anzahl von
Röntgenaufnahmen mit Geschossen an den verschiedensten Körper¬
stellen und spricht über Indikation zur Entfernung von Geschossen.
Nr. 4,:
- -
Kleine Mitteilungen.
Ueber die geistige Bewertung der Japanesen
schreibt Geheimrat Prof. Dr. D. v. Hansemann in der Voss. Ztg.
„Die Japaner werden im allgemeinen als ein geistig besonder
veranlagtes Volk betrachtet, nach meinen Erfahrungen aber werde
sie in dieser Richtung vielfach nicht unerheblich überschätz!
Seit mehr als 20 Jahren habe ich Gelegenheit, Japaner in meiner
Laboratorium in ihrer Tätigkeit zu beobachten, und habe ausserden
eine Uebersicht über die geistigen Leistungen der Japaner auf medi
zinischem Gebiete an anderen Stätten. Dabei stellt sich ganz all
gemein heraus, dass, solange die Japaner unter irgendeiner geistige!
Einwirkung eines europäischen Forschers stehen, sie gute und wissen1
schaftlich wertvolle Arbeiten machen. Es beruht das auf ihrer Eigen'
Schaft, die Anweisungen, die sie für ihre Arbeiten erhalten, aufs ge'
naueste durchzuführen, mit grossem Fleiss und grosser Genauigkeit
Dabei stellt sich aber immer heraus, dass sie selbst gar nicht in de t
Lage sind, aus dem von ihnen bearbeiteten Gebiete irgendwelche!1
geistigen Schluss zu ziehen. Wenn man daher in deutschen wissen
schaftlichen Zeitschriften Arbeiten von Japanern aus irgendeinen
deutschen Laboratorium findet und diese Arbeiten einen fast durch;
weg guten Eindruck machen, so muss man dabei immer berücksichti¬
gen, dass der Japaner selbst daran nicht viel mehr als die mecha
nische Arbeit geleistet hat, während der ganze geistige Inhalt
sowie das sich ergebende Resultat von dem betreffenden Lehrer aus¬
geht.
Damit stimmen vollständig die Resultate überein, die die Japanen
in ihrem eigenen Lande, wenn sie aus Europa oder aus den ver-,
schiedenen Forschungszentren der Vereinigten Staaten, die sie neuer-,
dings stark frequentieren, zurückgekehrt sind, hervorbringen. Ich ver¬
folge seit Jahren die japanischen Zeitschriften, die zum Teil it
deutscher oder englischer Sprache erscheinen, oder wenigstens Aus¬
züge in solchen Sprachen enthalten. Alle die Arbeiten, die die Ja¬
paner selber aus eigener Kraft auf wissenschaftlichem Gebiete her-!
Vorbringen, sind durchaus minderwertig, sowohl in bezug auf der'
Untersuchungsgang als auch in bezug auf die Resultate. Keine dieser
Arbeiten lässt die Aufstellung eines wissenschaftlichen Problems er¬
kennen. Darin sind sie vollkommen geistesarm. Mir ist auch in medi¬
zinischer Beziehung keine einzige wesentliche Entdeckung bekannt,
die die Japaner aus sich heraus ohne Einfluss europäischer Kultur ge¬
macht hätten.
In früherer Zeit waren die Japaner bescheiden in ihrem Auf¬
treten. Seit dem russisch-japanischen Kriege sind sie hochnäsig und
eingebildet geworden. Sie kommen schon mit der Ueberzeugung ihrer
grossen Leistungsfähigkeit nach Europa. Dabei haben sie die Ge¬
wohnheit, in den Ländern die einzelnen Methoden und Gebräuche
genau abzusehen und sie dann in ihrem Lande gewissermassen als
geistiges Plagiat, als ihre eigene Erfindung auszugeben. Schon im
Jahre 1896 schreibt mir darüber ein sehr angesehener und ungewöhn¬
lich begabter japanischer Profesor über K i t a s a t o, den bekannten
Mitarbeiter von Koch und Behring, wörtlich:
„Nach seiner Rückkehr aus Deutschland steht er unter dem
Volke in grossem Ansehen, indem er das Volk glauben lässt, dass
er mit Koch das Tuberkulin erfunden hätte. Es ist bei uns
Sitte und Mode jetzt, alle Antitoxine Kitasatos Erfindungen;
zuzuschreiben.“
Aus allen Erfahrungen, die wir hier mit Japanern in wissen¬
schaftlichen Instituten gemacht haben, ergibt sich ihre grosse Be¬
fähigung zur Nachahmung, aber ihre absolute Un¬
fähigkeit zu selbständigen Erfindungen. Ich möchte
glauben, dass das übereinstimmt mit den Leistungen der Japaner
überhaupt. So ist ja auch unzweifelhaft ihre Kunst der Bronze-,
technik, der Porzellane und Malerei von den Chinesen übernommen,
und ich zweifle nicht daran, dass sie auch ihre Kriegskunst, die sie
fast ausschliesslich deutschem Einfluss verdanken, imitatorisch aufs
genaueste durchführen werden, wie sie das schon im russisch-japa¬
nischen Krieg gezeigt haben. Ob sie darin auch neuen Situationen,
gewachsen sind, die in das von ihnen erlernte Schema nicht hinein
passen, möchte ich bezweifeln. In wissenschaftlicher Beziehung ver¬
sagen sie in dieser Richtung durchaus.“
Ersatz für Kanadabalsam.
Bei der Einbettung mikroskopischer Präparate bildet einen sehr
guten Notbehelf, ja ich möchte fast sagen Ersatz, tlir den Kanada¬
balsam das M a s t i s o 1 - 0 e 1 1 i n g e n. Ich war neulich gezwungen
solches zu verwenden und war überrascht von dem Erfolg. Die
Masse erstarrt fast sofort und das Deckgläschen haftet nach einigen
Stunden so fest, dass man das Präparat ohne Gefahr transportieren
oder verschicken kann. Die Färbung leidet, so weit ich untersuchte,
keine Einbusse, und die leicht rötliche Färbung des Mastisois ver¬
schwindet völlig infolge der dünnen Ausbreitung der Masse. Ein
weiterer Vorteil ist, dass man die Präparate sofort untersuchen kann,
ohne, wie beim Kanadabalsam in Gefahr zu laufen, dass bei Schief¬
stellung des Mikroskopes oder bei Projektion das Präparat abläuft:
aus diesem Grunde eignet es sich besonders bei solchen Präparaten,
welche man in Glyzerin etc. ohne Deckglas untersucht. Im Uebrigen
ist bei seiner grossen Verbreitung das Mastisol im Notfälle stets zur
0. November 19M.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
22M
;,"d: manchen der Kollegen interessiert vielleicht dieser Wink; ich
ofte im beide wertere Versuche auf diesem Gebiete damit an-
jstellen- rh- V a t e r n a h m - Frankfurt a. M.
Sterilisationsverfahren für Trinkwasser.
A VÜer * r‘n*<wasser werden 0.15 g (d. i. rund ein Siebentel
ramm) Calcium hypochloratum (Chlorkalk) am Rande eines Glases
ii einigen Tropfen Wasser zu einem dünnen Brei verrieben mit dem
ter Wasser vermischt und gleich darauf 7 Tropfen einer 25 proz
tlzsaurclosung der Mischung zugesetzt.
Liner wiederholtem Umschütteln 30 Minuten einwirken lassen,
eraiit Zusatz von 0,30 g (d. i. rund ein drittel Gramm) kristall-
asserhaltigem Natriumsulfit (Natrium sulfurosum) und Umrühren,
ich dem Umruhren und I -Ösen des Natriumsulfit ist das Wasser
mkfertig. (Nach Vorschrift von Prof. P r a u s n i t z.)
Wie man Impfgegner bekehren kann!
Französische Verwundete kamen; alles, was an Personal noch
cm geimptt ist, wird geimpft, Aerzte, Schwestern, Damen vom
neu Kreuz, Mitglieder der Sanitätskolonnen usw
Ein Träger (Sektionsführer), sehr tüchtiger Mann, entpuppt sich
’ Impfgegner, will sich nicht impfen lassen; auf die Mitteilung, dass
dann im Mause nicht weiter arbeiten kann, süsssaueres Gesicht
i stelle ihm aber weiters vor: „Für heute legen Sie Ihren Grundsatz
, lassen sich impfen, morgen können Sie dann wieder Impfgegner
in. Diesem schlagenden Argument konnte er sich nicht entziehen
hess sich impfen. _ Dr. 0 1 1, Oberstabsarzt.
Therapeutische Notizen.
Zells t o f f w a 1 1 e Auf die Zweckmässigkeit des Ersatzes der
umwollwatte durch Zellstoffwatte ist in dieser Wschr mehrfach
igewiesen worden, zuletzt in der amtlichen Mitteilung in Nr 44
oben dieses Verbandstoffe5 sandte uns die Internationale Spe'zial-
irik für Watten Schonlau & Co. in Riehen-Basel und Weil i. Baden,
ist ein w eicher, schmiegsamer Stoff von schneeweisser Farbe und
. isser Aufsaugefähigkeit. Er ist erheblich billiger als Baumwoll-
itte.
Im Nebel nur wagt es Engeland.
Sie sagen an der Wasserkant’:
„Im Nebel nur wagt es Engeland!
Peitscht aber der Sturm das tosende Meer,
Hoiho, dann kommt der Deutsche daher!“
Wenn stinkender Nebel niederflennt,
Dann ist es Englands Element!
Es streckt die schleimigen Fühler aus
Und schleicht heran um Hof und Haus.
Doch wenn der Sturm die Nebel zerreisst,
Und sie in tausend Fetzen zerschmeisst.
Zieht Deutschland seine Flagge hoch
Und stürzt sich ins englische Nebelloch!
Die deutsche Kraft, der deutsche Zorn
Nimmt den Polypen sich aufs Korn
Und braust einher im ehrlichen Sturm,
Zerschmetternd den erbärmlichen Wurm..
Dr. Max Nassauer- München.
Tagesgeschichtliche Notizen
München, den 9. November 1914.
Unter den zahlreichen erfreulichen Kriegsereignissen der
> gangenen Woche steht obenan der ruhmvolle, mit der Ver-
itung zweier vollwertiger englischer Schiffe verbundene Seesieg
dei chilenischen Küste. Zum ersten Male standen sich hier an-
• ernd gleiche deutsche und englische Seestreitkräfte in offener
Macht gegenüber. Dass sich dabei die deutschen Schiffe an Schnei¬
en und Entschlossenheit des Angriffes wie an Treffsicherheit und
leerender Wirkung ihrer Artillerie den englischen ebenso iiber-
n erwiesen, wie bisher schon unsere Unterseeboote und Kreuzer
i Iren kühnen Einzelunternehmungen, lässt für die künftigen Taten
^ ,tte das beste hoffen. Dieser schöne Erfolg lässt uns auch
* beklagenswerten Verlust des Kreuzers Yorck eher verschmerzen,
ingleich der I od so vieler tüchtiger Seeleute unersetzlich ist.
den Kriegsschauplätzen in Ost und West hat sich auch in der
Gau lenen Woche nichts Entscheidendes ereignet.
Unser Stützpunkt im fernen Osten, Tsingtau, ist nach helden-
, iderstand den Angriffen der verbündeten Japanesen und
nander leider erlegen; noch im Fall Deutschland zum Ruhm, Eng-
1 zur ewigen Schande.
I Recht England als treibende Kraft und letzte Ursache
den Ausbruch des blutigen Krieges angeklagt werden muss, so
«t dieses unselige Volk auch die Schuld an der unerhörten Härte,
welcher der Krieg geführt wird. Völkerrechtliche Bestimmungen
exislieien für England nicht; die humanitären Errungenschaften, an
denen die Volker jahrzehntelang gearbeitet haben, um die Greuel
es Krieges abzumildern, sie werden von England mit Füssen ge-
treten. Die Nichtachtung des Privateigentums, die widerrechtliche
Aneignung fremder Patente, die Heranziehung halbwilder Völker-
senatten gegen einen rasseverwandten Feind, die Verletzung und der
Missbrauch der Genfer Flagge, die jetzt unzweifelhaft nachgewiesene
Verwendung von Dumdumgeschossen, kennzeichnen eine Rohheit der
uesmnung wie man sie bei einem wenigstens in äusserlicher Kultur
so hochstehenden Volke nicht für möglich gehalten hätte. Kein Wun-
cer darum, dass wie bei unseren Soldaten, bei allen Deutschen die
gründliche Abrechnung mit England als höchstes Kriegsziel gilt.
c fJt'her englische Dumdumgeschosse machte Exzellenz
,• V jer 11 in g in einer Versammlung von Kriegsberichterstattern
im Grossen Hauptquartier interessante Mitteilungen. Die demon-
str erten Geschosse, die alle von Engländern aus der Gegend von
Lille stammen, sehen äusserlich aus wie eine gewöhnliche Patrone.
lJas Geschoss hat aussen, ebenso wie das deutsche, einen Mantel.
ÄÄ" Si(r1' eine Aluminiumspitze, dann kommt
cALP L ein Knochen getroffen, so zersplittert das Ge¬
schoss in Mantel, Alummmmspitze und Kern, welche die bekannten
schweren zerreissungen erzeugen. (Entsprechende Fälle kommen
demnächst in d. Wschr. zur Veröffentlichung.)
— Durch Erlass vom 14. Oktober wurde bestimmt, dass vertrag-
Sj? lchtetÄe' n+icht «e diente Zivilärzte sowie Iand-
»,ilchilge^Aerzte zur vorgeschriebenen Uniform (vergl Nr 41)
als Waffe das O f f i z i e r s s e i t e n g e w e h r mit Portepee erhalten.
~ Ueb« die Be z ii g e der vertraglich verpflichteten Zivilärzte
bestehen folgende Bestimmungen:
I. Bei Verwendung in Stellen mobiler Forma¬
tion e n, z. B. in Kriegslazaretten usw., monatlich 655 M. Dieser
Betrag wird der bei einer Kriegsdienstbeschädigung zu gewährenden
1 ension zugrunde zu legen sein. Ausserdem erhalten sie bei der er¬
wähnten Verwendung zur Beschaffung ihrer Uniform und Ausrüstung
eine einmalige Ausrustungsentschädigung von 300 M„ die sich im
falle der Berittenmachung auf 500 M. erhöht.
Ferner erhalten sie:
a) Feldkost oder die entsprechende Geldvergütung und Natural-
quartier,
b) die wirklich entstandenen Fuhrkosten für die Reisen nach und
von ihren Verwendungsorten.
II. Bei Verwendung beim Besatzung sheer, also in
erster Linie bei den Reservelazaretten im Heimatgebiet und bei
den Ei satztruppen, erhalten sie Tagegelder in folgender Höhe-
a) bei Verwendung in ihrem Wohnorte: 15 M
b) bei Verwendung ausserhalb ihres Wohnortes: 18 M und
iNaturalquartier oder die entsprechende tarifmässige Geldvergütung
sowie die wirklich entstandenen Fuhrkosten für die Reisen von und
nach ihren Verwendungsorten
~ Für die Pensions- bzw. Hinterbliebenenversorgung der ver-
BetrachtVerPfllChteten Zivilärzte kommen folgende Bestimmungen in
, zum Heere im privatrechtlichen Vertragsverhältnis stehen-
den Zivilärzte erhalten Pension, wenn infolge einer durch den
Krieg heibeigefuhrten Dienstbeschädigung ihre Erwerbsfähigkeit auf¬
gehoben oder um wenigstens 10 Proz. gemindert worden ist
, ()b eine Gesundheitsstörung als Dienstbeschädigung anzusehen
und ob die Schädigung durch den Krieg herbeigeführt ist, darüber
entscheidet ein aus 3 Offizieren oder Beamten der Heeresverwaltung
gebildetes Kollegium endgültig. s
2 Falls der vertraglich verpflichtete Zivilarzt zum Feldheere
gehörte (ausserhalb der Grenzen des Deutschen Reiches tätig war)
und un Kriege geblieben oder infolge einer Kriegsverwundung oder
Kriegsbeschadigung gestorben ist, haben die Hinterbliebene n
einen Rechtsanspruch auf Kriegswitwen- bzw. Kriegswaisengcld.
War der durch eine Kriegsdienstbeschädigung verstorbene Zivil-
fr.2 dagegen im Heimatgebiete tätig, so erwerben die Hinter¬
bliebenen keinen Rechtsanspruch. Es ist vielmehr in das Fr-
messen der obersten Militärbehörde gestellt, ob und in welcher'Höhe
sie eine Kriegsversorgung der Hinterbliebenen gewähren will.
Die I ension beträgt für die Dauer völliger Erwerbsunfähigkeit
7a 1 roz. des pensionsfahigen Diensteinkommens; sie beträgt bei
teilweiser Erwerbsunfähigkeit je nach dem Grade derselben einen
in U“n.de.r*steIn auszudrückenden Teil des bei völliger Erwerbs¬
unfähigkeit zu gewährenden Betrages. Neben der Pension ist Ver-
stummelungszulage, Kriegszulage, Pensionserhöhung und Tropenzu¬
lage nach den Vorschriften der §§ 32, 59, 72 des Offizierpensions¬
gesetzes zu gewahren.
r.((- ,Die Verstümmelungszulage beträgt (nach § 11 des
Offizierpensionsgesetzes) bei dem Verlust einer Hand, eines Fusses
cer Sprache, des Gehörs auf beiden Ohren jährlich je 900 M. und
bei Verlust oder Erblindung beider Augen jährlich 1800 M
Die Verstummelungszulage von je 900 M. kann ferner mit Ge-
nehmigung der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents
bewilligt werden bei Störung der Bewegungs- und Gebrauchsfähig-
,eit <?‘?er Hand- ,eines Armes, eines Fusses oder eines Beines, wenn
die Storung so hochgradig ist, dass sie dem Verluste des Gliedes
gleich zu achten ist, bei Verlust oder Erblindung eines Auges im
Falle nicht völliger Gebrauchsfähigkeit des anderen Auges, bei
2232
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
anderen schweren Gesundheitsstörungen, wenn sie fremde Hilfe und
Wartung nötig machen
Wird durch eine der vorstehend angegebenen Gesundhejts-
schädigungen schweres Siechtum verursacht in dem Grade, dass
der Pensionär dauernd an das Krankenlager gefesselt ist, oder be¬
steht die Gesundheitsschädigung in Geisteskrankheit, so kann mit
Genehmigung der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kon¬
tingents die einfache Verstümmelungszulage bis zum Betrage von
1 SOU M. jährlich erhöht werden.
— Man schreibt uns unterm 7. ds: Nach Zusammenstellungen aus
Zeitungen haben bis heute nicht weniger als 920 Aerzte das „Eiserne
Kreuz“ erhalten. Auch die Sanitätsoffiziere erhalten, wie in der Er¬
neuerungsurkunde vom 5. VIII. 14 ausdrücklich gesagt wurde, für
Verdienste auf dem Kriegsschauplatz das Eiserne
Kreuz nur am schwarzen Bande, genau wie die Offiziere. Damit
ist ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. — Das Eiserne
Kreuz I. Klasse hat 1870 ausser v. Langenbeck und W i 1 m s auch
noch v. Bardeleben - Berlin erhalten. Gefallen 82 Aerzte, ver-
, uundet 122.
— Die Vorsitzenden des Leipziger Verbandes und des Deutschen
Aerztevereinsbundes haben beschlossen eine „Hilfskasse zur
Linderung der Kriegsnot in Aerztekreisen“ zu er¬
richten und wenden sich an alle Kollegen in Stadt und Land, sowie
an die Aerztekammern und ärztlichen Vereine mit der Bitte um
Gaben. Wir hoffen, dass diesem Aufrufe reichlich entsprochen wird.
- Wie 11 Policlinico nach dem Lancet berichtet, hat sich der
Preis des Aspirins in England verfünffacht, der des Chloralhydrats
verdreifacht, der des Kokains verdoppelt; alle Salizylpräparate sind
erheblich im Preis gestiegen. Man spürt auch das Fehlen wichtiger
pflanzlicher Drogen, die in grossen Mengen in Deutschland, Frank¬
reich und Belgien gesammelt werden: Kolchikum, Digitalis, Gentiana,
Belladonna, Arnika, Kamillen u. a. Einige englische Fabriken haben
schon mit der Herstellung der fehlenden Chemikalien begonnen; auch
die Fabrikation der organischen Arsenpräparate soll möglichst rasch
in Angriff genommen werden — und zwar ist es die von früher her
durch ihre aufdringliche Reklame und trotz ihrer teueren Preise bei
den deutschen Aerzten wohlbekannte Firma Burroughs Wellcome
& Co„ die den Diebstahl des Salvarsanpatentes unternehmen will.
— Zu unserer Mitteilung in Nr. 13 d. Wschr. über den Betrieb
der medizinischen Fachpresse während des Krieges tra¬
gen wir, ebenfalls nach dem Policlinico, nach, dass auch die fran¬
zösische Presse medieale ihr Erscheinen nicht eingestellt, sondern
sich militärmedizinischen Fragen gewidmet hat. Demnächst werden
auch die Archives de Medecine des Enfants ihre Veröffentlichungen
wieder aufnehmen; auch die Academie de Medecine und die Societö
des Höpitaux werden, wie gewöhnlich, nach den Sommerferien ihre
Sitzungsberichte wieder erscheinen lassen. Ueberhaupt bestätigt der
Policlinico, dass zwar in den ersten Wochen des Krieges ein Stillstand
in der Zufuhr der französischen Zeitschriften eingetreten war, dass
aber viele derselben bald wieder ihren regelmässigen Lauf nahmen.
— Für die Dauer des Kriegs sind von Kaiser Franz Joseph im
militärärztlichen Offizierskorps der Honved (ungar. Landwehr) er¬
nannt worden: Die ordentlichen Professoren an der Pester Univer-
tät Dr. Alexander v. K o r a n y i, Direktor der medizinischen Klinik,
und Dr. Paul K u z m i k, Direktor der chirurgischen Klinik, zu Ober¬
stabsärzten erster Klasse, der Privatdozent für Chirurgie Hümer
Hiiltl in Pest zum Stabsarzt. Ferner wurde dem a. o. Professor
für Laryngologie Dr. Arthur lrsay in Pest der Titel und Charakter
eines Stabsarztes verliehen, (hk.)
— Die Verteilung der diesjährigen Nobelpreise ist auf den
nächsten Herbst verschoben worden. Der Zeitpunkt für die Preis¬
verteilung wird von 1916 an vom 10. Dezember auf den 1. Juni ver¬
legt. Im Jahre 1916 kommen Preise für 1915 und 1916 zur Verteilung.
— Die Karlsruher Lebensversicherung teilt uns mit,
dass bei ihr die Kriegsgefahr für den gesamten, am 1. Juli 1914 in
Kraft gewesenen Bestand von rund 166 000 Versicherungen ohne
weiteres, also ohne besonderen Antrag und in der Regel auch ohne
besondere Zusatzprämie bedingungsgemäss voll eingeschlossen ist.
Eine nachträgliche Umlage zur Deckung der Kriegsschäden wird bei
der Anstalt von den Kriegsteilnehmern nicht erhoben. Bis Ende
Oktober sind bei der Anstalt Kriegssterbefälle über rund 3 K Millionen
Mark Versicherungssumme angemeldet.
Im Verlage von F. A. Brock haus in Leipzig erschien
soeben dei Plan „Paris mit seinen Festungswerken und der weiteren
Umgebung-' (Massstab 1:160 000). Der Plan ist in fünf Farben ge¬
schmackvoll ausgeführt, enthält sämtliche Forts und Zwischen-
stcilungen und kostet nur 50 Pf.
Cholera. Oesterreich-Ungarn. Vom 11. — 17. Oktober
wurden in Oesterreich 175 Erkrankungen (und 104 Todesfälle) fest¬
gestellt, und zwar in Niederösterreich 20 (10) — davoll in Wien 11 (4)
der Gemeinde Krems 9 (6) — , in Salzburg (Stadt) 1, in Steiermark
und Kärnten in je 1 Gemeinde 1 (1), in Vorarlberg in 1 Gern. 1,
Mähren in 8 Gern. 13 (4), in Schlesien in 4 Gern. 4 (1), Galizien
in 17 Gern. 134 (87) — davon in Krakau 4. Von den Erkrankungen
betrafen 122 die einheimische Bevölkerung; die übrigen Fälle kamen
bei Personen vor, die vom nördlichen Kriegsschauplatz angelangt
waren, und zwar bei 48 Militärpersonen und bei 5 aus Galizien zu¬
gereisten Ortsfremden. Laut Bericht der Statthalterei für Galizien
sind bis 17. Oktober in der Gemeinde Lisko 65 Erkrankungen (und
50 1 odcsfälle), in der Gemeinde Sanok 39 (24) unter der einheimischen
Bevölkerung aufgetreten, ln Ungarn wurden in derselben Zeit 2
Erkrankungen angezeigt, davon in den Städten Baja 1, Pest '
Debreczen 3, Grosswardein 8, Hermannstadt 1, Klausenburg 2, Ni
satz 1, Panczova 1, Pressburg 5, Stuhlweissenburg 3. In Kroatii
Slavonien wurden in den Städten Agram und Semlin je 1,
Komitat Syrmien 2 Erkrankungen gemeldet.
Pest. Türkei. In Bagdad ist am 30. September 1 Erkra
kung festgestellt worden. — Brasilien. In Pernambuco vom 1 1
15. August 2 Todesfälle.
- In der 42. Jahreswoche, vom 18.— 24. Oktober 1914, hatt
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblic
keit Regensburg mit 36,7, die geringste Berlin-Friedenau mit ‘
Jodesfallen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehn!
aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bottrop, Buer, Gleiwii
Thorn, Zabize, an Masern und Röteln in Beuthen, an Diphther
und Krupp in Bottrop, Gera, Hamborn, Lehe, Wilhelmsnaven ;i
Unterleibstyphus in Kattowitz. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Albert E u 1 e n b u r g feier
sein 50 jähriges Dozentenjubiläum.
Breslau. Der Dekan der medizinischen Fakultät Geheimr
Prof. Dr. Minkowski steht als beratender innerer Mediziner i
Felde. Er wird durch den Prodekan Geheimrat Prof. Dr. N e i s s e
vertreten. — Mit der Leitung des pathologisch-anatomischen Institr
wurde vertretungsweise für die Zeit vom 1. November bis 15 Febru
1915 Privatdozent Dr. Karl J u s t i - Halle a/S. beauftragt.
Köln. Die Akademie für praktische Medizin in Köln hat m
dem Oktober ds. Js. auf ein zehnjähriges Bestehen zurückgesehe
Von einer besonderen Feier wurde im Hinblick auf die Zeitlage selhs
verständlich Abstand genommen, dagegen wird eine Festschrift, di
für den Oktober geplant war, wenn auch mit Verzögerung erscheine]
Im ganzen haben an den von der Akademie bisher veranstaltete!
Kursen 3221 Aerzte teilgenommen. Die Kurse waren teils allgemeine
Art, das ganze Gebiet der Medizin umfassend, teils wurden Spezia
kurse, und zwar über Röntgenkunde, Unfallheilkunde, Kinderhei
künde, Diätetik und Stoffwechselkrankheiten, Chirurgie und Gynäkc
logie, ferner Kurse für Schulärzte, Bahnärzte und Zahnärzte gehaltei
An der Krankenpflegeschule der Akademie wurden in einjährige
Kursen 167 Krankenpflegerinnen, zumeist den gebildeten Kreisen dei
Volkes angehörend, ausgebildet. Kurse für Missionare und Missid
narinnen wurden von 114 Personen besucht. Die Einrichtungen de)
Akademie haben dank dem Interesse, welches die Hochschule seitem
der Stadt Köln geniesst, eine beständige Fortentwicklung erfahrci
Zurzeit ist der Neubau eines hygienisch-bakteriologischen und einei
pathologisch-physiologischen Instituts im Werden.
Bern. Prof. Dr. W. Kolle, der seit Beginn des Krieges al
Stabsarzt dem im Eisass kämpfenden deutschen Heere zugeteilt war
wurde als beratender Hygieniker zu einem in Belgien stehender
Armeekorps abkommandiert. Unsere Behörden haben verschieden!
Schritte getan, seine Beurlaubung aus dem Kriegsdienste mit Rück
sicht auf die wieder aufgenommenen Vorlesungen zu bewirken, leide:
ohne Erfolg. Die deutsche Heeresleitung hat erklärt, die Dienste de
hervorragenden Gelehrten während der Dauer des Kriegs nicht ent
behren zu können.
(Todesfälle.)
Der berühmte Biologe Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. August Weis¬
mann in Freiburg i. B„ der im Januar d. J. seinen 80. Geburtstag
feierte, ist am 6. ds. gestorben. Ein Nekrolog folgt.
In Berlin starb der Frauenarzt Prof. Dr. Sigmund G o 1 1 s c h a 1 k
54 Jahre alt.
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Cand. med. E. B o 1 1 z (Dallgow).
U.A. Ludwig Hassencamp, 6. Jäger-Reg. z. Pferd.
Ludwig J a c o b i, Feldunterarzt, cand. med. (Reibnitz, Schles.),
am 22. August bei Etalle (Südbelgien).
Stud. med. K. Schröter, Res.-Feld-Art.-Reg. Nr. 15.
Offiziersstellvertreter cand. med. Rud. Friedr. S i e g r i s t von
Emmendingen (Baden).
Berichtigung. Der Generalarzt Dr. Feodor Korsch
ist vor Verdun, nicht in Russland gefallen.
Briefkasten.
Herrn Dr. G. in .1 Hazelinschnee ist ein indifferenter
Hautcreme, angeblich fettfreier Hautcreme, obwohl er Stearinsäure
(mit fettartigem Charakter) enthält. Ein weiterer Hauptbestandteil
ist Glyzerin, ausserdem eine geringfügige Kleinigkeit von „Hama-
meliswasser . Der letztere Zusatz dient lediglich dazu, um dem
Hautcreme den Charakter eines medizinischen Präparates zu geben.
Dieses englische Produkt kann durch jeden fettfreien Hautcreme
deutscher Herstellung ersetzt werden. Gleich gut bewähren sich
Kalodermacreme oder Kombellacreme.
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2. Paul Heysestr. 26. - Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München,
»reis der einzelnen Nummer 80 -9, _ J
. . und Ausland siehe unten unter Bez u gsli "ed fn j; i i iV^e ü
nseratenschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
Bezugspreis in Deutschland
;be ‘
MÜNCHENER
• • _ . , Zusendungen sind zu richten
Pur die Schriftleitung: Arnulfstr. 26 (Sprechstunden 8Vf — 1 Uhr)
Für Bezug: an I. F. Lehraann’s Verlag, Paul Heyscstrasse 26.
ci Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse fl
mmrnar FBr AnzeiSfn und Beilagen: an Kudolf Mosse, Theatinerstrasse t
Medizinische Wochenschrift.
r. 46. 17. November 1914.
Originalien.
'S der II Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheit im
k. Allgemeinen Krankenhause in Wien (Vorstand: Professor
S. Ehrman n).
Jeber Abortivkur, Spirochätenreste und kombinierte
Behandlung der Syphilis.
Von Dr. Wilhelm L i e r, Assistent.
I.
jJ1’ meinem Aufsatze „Ueber die Abortivbehandlung der
Phihs (D.m.W. 1913 Nr. 46) hatte ich schon nachdrücklich
'. Forderung erhoben, in allen zur Frühbehandlung geeigneten
dien sofort den Primäraffekt zu exzidieren, oder, wo dies
. ht mogheh ist, radikal zu zerstören. Ich begründete dieses
Hangen besonders auch durch den Hinweis auf zwei
i mkcngeschichten, die ich im folgenden nochmals wieder-
- )en mochte.
e er* Woche. ^ März lm W' M;' bemerl" ein Q^chwur seit
■enrieaCHprn/BatS.en rl -Kr°nenStÜCkKr0SSe’ zllln tiefel1 Zerfall
in *» Lels,e"' «W keine
l licrapie: Exzision der Sklerose, dann am 3. März 9. und
cvMruitr9' Ma‘ a6 °’t5’ °’9, °’45, 0,9 Neosalvarsan und 22 Hydr -
'S ’Ä neltAm/nfe dieser Kur und noch 2 Monate später
t he \\ a.R negativ, doch stellt sich der Patient am 18 August
!jril?HpeiFr en’ 3Uf mudurierter Basis aufsitzenden Geschwür
reMi'nken IdektpXh1Sb°nSnarbe und kleinnussgrossen, harten Drüsen
Wa P ietzt tipuineHngmSlen ebensolchei1 in der rechten wieder
vv a.R. jetzt wieder deutlich positiv. Wird daher nach Exzision
ü s c lankers wieder in spezifische 'Behandlung genommen.
I a 1 1 6. 4. Dezember 1912. J. R.
i f6Sb”S: Skler°s,e am Frenulum, keine Sklerade-
i'r loi - wh6 ,Erscfein.™sen ^aR. negativ; erhält bis 22. Fe-
r. lo -0 Hydr.-salicyl.-Injektionen, stellt sich einen Monat später
- n der GesgkJür an der Unterseite des Penis
, fV v i/6 früheren Sklerose wieder vor; das Geschwür
t aut Applikation von Kalomelsalbe und neuerliche Hydr -salicyl -
kUonen kerne Tendenz zur Heilung, geht erst nach einer Ka-
kularen Neosalvarsaninjektion und Einleitung einer Zittmannkur
E<5j-rSSden h2IFnnI^!!S-e(n.Wir annehmen» dass an der Stelle
ien w|i«*e 34 info,Ke ungenügender Exzision — Spiro-
gebheben sind; diese sind nach einem grösserem
i rch dTlni- 7 » ZH- starkf Vermehrung gekommen und haben
e Hasst °ka en Pezidlve und die Wiederanschwellung der Drüsen
i ^nehWISSenJa ai‘^ den Untersuchungen von E h r m a n n, die
c j- mLl!! mCcS-e Uü-f- vielfach bestätigt worden sind, dass
,Spirochaten SIch nicht im Infiltrat selbst befindet,
?Pl te Strecken von demselben entfernt sind oft ganz kolos-
'n von Spirochäten zwischen den anscheinend ganz nor-
Bmoegewebsbnndeln vorhanden, die nur eine Vergrösserung
il roblasten und eine Vermehrung der Kapillaren, aber noch keine
1 ation zeigen.
Diese so spirochätenreiche Umgebung der Sklerose muss mit-
• nt werden; und auf die Schädigung der hier gelegenen Spiro-
‘ | dur*te w°.hl die Krossere Wirksamkeit der Sklerosenzerstörung
Jem Paquehn zurückzuführen sein. Wo aber die Spirochäten
der Lymphgefasse schon über das Bereich der Sklerose hinaus-
ni^Smd’ ’st lhre Vermehrung durch den lokalen Eingriff
ln unmöglich, sondern muss der Allgemeinbehandlung vorbe-
*n werden.
Anai0ge Beobachtungen über solche Reindurationen oder den
io,,- i„UX bzw. davon ausgehende Autoreinfektionen sind schon
r du anger j}.\ bekannt. Dann wurden in oft jahrealten Narben
»Klerosen Infdtratreste, besonders auch Plasmazellen gefunden
a n n, Hjelmann, Unna) und später auch durch die
'Ir. 46.
Levaditifärbung Spirochäten nachgewiesen (Pasini) die sich in
JoGte wurT Tchnr n? Firuient Zeigten (S a n d m a n n, H ofmann).
derl-xzsi.fn borderung nach Einleitung der Behandlung mit
V , Sklerose öfter erhoben. Doch erst seit der inten-
mvui Inangriffnahme der Abortivbehandlung in den letzten lahren ist
OppSe^htinm”v™e<1Fr ;tfkerb'toi't «■*«. » be"ond“rsenvoI
uppentieim, von Fruhwald, der über gelungene Abortiv-
de uifdeüber ReinH befricllt^’. bei dem zwei Sklerosen exzidiert wur-
Svphi Miher i l“r5n bei e,nen? im Reichen Stadium befindlichen
i i Politiker, dessen Sklerosen nicht entfernt worden waren- von
L . e r, von Fritz F i s c h 1, der über Resistenz lokaler Spirochäten?
icrdc gegenüber kombinierter Luesbehandlung mit Hydrargyrum und
Salvarsan berichtet, und von W e r t h e r. Ky m und
Zwei Beobachtungen aus der letzten Zeit haben uns wieder
lSi; f t SMSÄ
" ' xanthem. Machte damals eine Schmierkur durch (30 Ein-
VÄ austtderefkTe-angeSliCh kei"e Erscheinungen, bis im No-
Eic d en st rM S kI.f ,nen; braunen Knötchen ein Geschwür an der
Dienet entstand. 1 at. gibt selbst an, dass es an der Stelle der seiner-
zeiögen Sklerose sitze; da es unter indifferenter Salben- und Bäder¬
therapie nicht heilte, suchte er das Spital auf.
.,.± tatuspr nesens; An der linken Hälfte der Glans eine
hellerstuckgrosse, zarte, leicht deprimierte Narbe von der Farbe
£otnRS: 3n -hrem medialen unteren und äusseren Rand
,m ^-Kreisform, ein serpiginöses, speckig belegtes, von einem
emlit rotbraunen Infiltratsaum begleitetes Geschwür. In beiden
L Es haPndeiet 'ff’h ^ S°nSt ohne Erscheinungen,
falls Vüms adn Her Um ^en Patienten- bei dem eben-
nach 7 Jahrenln Hpm rpderFSkar0S-e iege? seblieben war und nun.
„actl. 3T deiT Gewebe des inzwischen umgestimmten (iiher-
mpfind hchen) Organismus Anlass zur Entstehung eines tertiär lueti¬
schen Geschwürs gegeben hatte.
Übtr e!ne zweite’ anal°Se Beobachtung ans dem
letzten Jahie, über die ich aber mangels der notwendigen Daten nicht
5p"aaer berichten kann. Noch viel beredter spricht der im folgen-
en nutgeteilte und von mir in der Sitzung der k. k. Gesellschaft
der Aerzte vom 29. V. 1914 mitgeteilte Fall von wirklicher Re
SS ÄCro£r dle Drln,!,IChkeil der Ä.
ver Wochen.3 ™r
j Ltatus Praesens: Hellerstückgrosse Sklerose in der Mitte
des - ulcus coronarius. Spirochäten im Dunkelfeld leicht nachzu¬
weisen Geringe, bohnengrosse Drüsenschwellung in beiden Leisten.
Sonst noch keine Drüsensehwellungen vorhanden. WaR. + ~ ~ ~
(spur weise Komplementablenkung).
1 herapie: Sofortige Zerstörung der Sklerose mit dem Pa.
que in in Lokalanästhesie; Pat. erhält dann am 10. und 14. I. je eine
17 [' und 1 ~ 1°^ 6 k-t 1 h n ’ am -15' i 0,6 NeosaIvarsan intravenös, am
JochmaK 0 6 Nen^'n. r ]C em.e Elydr.-salicyl.-Einspritzung, am 20. I.
nochmals 0,6 Neo-Salvarsan intravenös. Die Leistendrüsen erscheinen
rein'11 C > a t v^r s J t°ie ’ Hd 1 ° r' "i0 ° mCh der Galvanokauterisation
■: ln ri«Ä2. etaLduaSuSb,taI' wd Slch die anderen Injektionen
ambulatoriseh holen; doch holt er’ sieh nur mehr dreidaTon Zu
dieser Zeit hat er keine manifesten Erscheinungen. Die WaR ist
"uSSn RAraVe2?m Ä Wien- ,»""e aber die Kur auswärts f„“!
zu ctzen. Am 22. III. stellt er sich wieder bei uns vor. Die Wunde
negativ d Vernarbt’ sonst erscheint er gesund, die WaR. ist
Am 25. V kommt er wieder zur Aufnahme. Er gibt jetzt an zu
Antang April — etwa 14 Tage nach einem Ende März stattgefundc’nen
£,n -AVimmcrl“ an der Oberlippe bekommen zu haben Jas
allmah beb grosser wurde. Dazu gesellte sich eine schmerzlose
- cliNVtliung in der rechten Unterkiefergegend; seit 3 oder 4 Tagen
bemerkt er einen Ausschlag ani Körper
u ?tatus praesens; In der Mitte des Dorsum penis immittel
cte„s!l liehe" weiss“ Na, rb”ari“S 'lamllS- e,w* % cm •«»« »"d
lacÄÄ
1
2234
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4(
nussgrosses, ausserordentlich derbes, kupferbraunrotes Infiltrat ent¬
spricht, das die ganze Dicke der Oberlippe durchsetzend, diese an
der Hautseite flachkugelig vorwölbt. Entsprechend finden sich sub-
inaxillar rechts eine eigrosse, indolente, harte Drüsenschwellung,
während sonst allenthalben eine universelle starke Skleradenitis be¬
steht. Am Stamm und den Extremitäten ein ausserordentlich dichtes,
maktilp-papulöses Exanthem, welches seinen kurzen Bestand noch
durch den hellroten, vielfach fast urtikariellcn Farbenton dokumentiert
und durch die Regelmässigkeit der Anordnung und die gleiche Grösse
der Efiloreszenzen sich deutlich als erstes Exanthem charakterisiert.
Sehr zahlreiche, z. T. schuppende Papeln am Penis und Skrotum,
auch im Gesicht und an der behaarten Kopfhaut papulöse Efflores-
zenzen ziemlich zahlreich vorhanden
WaR. ++++.
Dass wir es hier mit einem Fall wirklicher Reinfectio syphilitica
zu tun haben, ergibt sich aus der klinisch und mikroskopisch ge¬
stellten Diagnose der ersten Sklerose im Januar d. J. mit der nach¬
folgenden regionären Skleradenitis inguinalis und der damals bloss
spurweisen Komplementablenkung, aus der klinisch und serologisch
festgestellten Heilung, als sich der Patient im März wieder vorstellte;
und aus der klinisch keinen Zweifel aufkommen lassenden und wieder
durch den Spirochätenbefund erhärteten Sklerose an der Oberlippe
mit der nachfolgenden regionären Driisenschwellung, dem universellen
Exanthem, das alle charakteristischen Merkmale des ersten hatte,
der jetzt universellen Skleradenitis und der nun -j~H 1— f- WaR.
Wenn es nun in diesem Falle, in dem die erste Sklerose bei
der Aufnahme des Patienten im Januar allerdings erst 8 Tage be¬
stand, zu einer wirklichen Heilung und so zur Möglichkeit einer
Neuansteckung kam, so ist wohl der sofortigen radikalen Zerstörung
des Primäraffektes durch den Paquelin dabei eine Hauptrolle zuzu¬
weisen, umsomehr, als der Patient die Kur gar nicht bis zu dem
von uns gewünschten Ende geführt, sondern vorzeitig abgebrochen
hatte. Es war eben offenbar durch den frühzeitigen Eingriff alles
lokale Virus zerstört worden, so dass die auch sofort in Angriff
genommene Allgemeintherapie die Heilung herbeiführen konnte.
Ich möchte hier ganz kurz auch die schon vor vielen Jahren
unternommenen Versuche erwähnen, durch die Exzision der Sklerose
allein den Ausbruch der Syphilis zu kupieren. Sie sind begreiflicher¬
weise fast durchwegs ohne Erfolg geblieben; wissen wir ja heute,
wie rasch die Spirochäten in die Lymph- und auch in die Blutgefässe
cindringen. Wohl ist damals von mehreren Seiten über Patienten
berichtet worden, die nachher durch lange Zeit frei von klinischen
Symptomen der Lues geblieben sind. Da indes bei allen diesen die
Kontrolle durch die serologische Untersuchung aussteht, können sie
nicht als geheilt bezeichnet werden; umsoweniger, als bei vielen
von ihnen oft nach Jahren doch noch Erscheinungen aufgetreten sind.
Hielier gehört z. B. ein Patient meines Chefs, dem im Jahre 1889 die
Sklerose exzidiert worden war. Er wurde dann durch ein Jahr
hindurch allwöchentlich untersucht, ohne dass sich ein Exanthem
zeigte und war infolgedessen nicht dazu zu bewegen, eine Kur durch¬
zumachen. Dann blieb er aus. 8 Jahre später kam er zu Matzen¬
aue r mit einem angeblichen Ekzem, das sich aber als regionäres,
tertiäres Syphilid am Rücken herausstellte. Vor 2 Jahren wurde er
dann mit der Diagnose Aortitis und ++++ WaR. von Herrn Prof,
v. S t e j s k a 1 meinem Chef wieder zugeschickt.
Umso bemerkenswerter erscheint mir der Fall Scherbers,
das klinische und serologische Gesundbleiben eines Patienten, dessen
klinisch und nachträglich auch histo-bakteriologisch sichergestellte
Sklerose vor 9 Jahren exzidiert wurde. Da ich der Ansicht bin, dass
die sorgfältige Beobachtung eines einzelnen oder weniger Patienten
fiir unser ätiologisches Denken und therapeutisches Handeln oft von
grösserem Werte ist als die wohl jedesmal ungenauere Massenbeob¬
achtung, so möchte ich gerade auf den obigen Fall hinweisen, wenn
er auch sicherlich ein Ausnahmefall ist. Denn es ist bei ihm gelungen,
einen Patienten bei 9 jähriger genauer Kontrolle bisher klinisch und
serologisch gesund zu erhalten, nachdem der Primäraffekt seinerzeit
exzidiert worden war. Es folgt daraus logischerweise, dass wir
keinem der jetzt zur Frühbehandlung kommenden Menschen, deren
Chancen dank der kombinierten Behandlungsmethoden nunmehr we¬
sentlich günstigere sind, die durch die Entfernung des Primäraffektes
gegebene Unterstützung der Heilungsmöglichkeit vorenthalten sollen;
umsomehr, als eben diese Entfernung in ganz ausnahmsweisen Fällen,
wie im erwähnten auch allein zur Heilung führen kann, selbst wenn,
wie sich bei den histologischen Nachuntersuchungen im Falle Scher¬
bers herausgestellt hat, durch die Exzision nicht alles Virus beseitigt
worden ist. „Wir können daraus schliessen, dass geringe Mengen
von Virus, falls sie in das Blut oder in die Organe gelangen, noch
nicht unbedingt krankmachend zu wirken brauchen, sondern vom
Organismus verarbeitet und unschädlich gemacht werden, falls es nur
gelingt, die weitere Zufuhr von Virus aus dessen Hauptvermehrungs¬
herd abzuschneiden.“ (Finger: Die allgemeine Pathologie der Sy¬
philis. II. Bd. d. Hb. d. Geschlechtskrkh. S. 917.)
Noch eine Forderung habe ich am Schlüsse meiner eingangs er¬
wähnten Arbeit erhoben: „Die Behandlung muss unbedingt bis zum
Schwinden der klinischen Symptome und zum Negativwerden der
Komplementbindung fortgesetzt werden.“ Wir sollen also die Kur
nicht beendigen, so lange noch irgendwelche Manifestationen der Lues
da sind Als solche kommen ausser der Sklerose bei unseren Früh¬
fällen ja nur Lymphgefäss- bzw. 1 ymphdrüsenerkrankungen in Be-
j tracht. Wo am Schlüsse der Kur noch erhebliche Drüsenschwellungei
j da sind, müssen wir früher oder später mit einem Rezidiv rechnen
[ auch wenn die WaR. schon negativ war, denn ebenso wie von de:
in der Sklerose können von den in den Lymphwegen liegen ge
bliebenen Spirochäten lokale Erkrankungen und Autoreinfektionci
ihren Ausgang nehmen; eine Tatsache, welche in letzter Zeit nament
lieh wieder von Ehrmann betont worden ist.
Auch der weitere Verlauf des in meiner Publikation als geglückt!
Abortivheilung beschriebenen Falles 20 beweist das. Hier waren an
Schlüsse der Behandlung in der rechten Leiste noch bohnengrosse
harte Drüsen vorhanden; WaR. negativ. Sonst keine Erscheinungen
Sieben Monate später stellte sich der Pat. mit kleinnussgrossei
Drüsen in der rechten, bohnengrossen, harten in der linken Leiste unt
positiver WaR. wieder vor. Gleichzeitig bestand eine Papel an dei
Unterseite der Glans, Papeln an den Tonsillen, der Zunge und der
Lippen.
Also auch da Wiederaufflackern liegen gebliebener Nester, ge¬
kennzeichnet durch die stärkere Wiederanschwcllung der seinerzeit
nicht ganz zur Norm zurückgebildeten ersten Drüsenschwellung und
Autcreinfektion des ganzen Organismus.
Daher unsere weitere Forderung für die Abortivbehandlun^
auch schon bestehenden spezifischen Drüsen- bzw. Lymphgefiiss
erkrankungen die nötige Aufmerksamkeit zuzuwenden, und dieselbe::
lokal (durch graue Pflaster, Einreiben mit Jodsalbe) solange zu be¬
handeln, bis sie geschwunden sind. Auch ist die Allgemeinbehand-
lung gerade in diesen Fällen noch weiter fortzusetzen.
Ueberhaupt erblicken wir in der möglichst intensiven und exten-i
siven Ausgestaltung der Abortivbehandlung — gleichwie Wechsel¬
mann — eine der wichtigsten Aufgaben der jetzigen Luestherapie.
Aus diesem Grunde haben wir auch unser Behandlungsschcma, das
früher nur 20 Injektionen ä 0,05 Hydr. salicyl. und 3 — 4 Neosalvarsan-
injektionen umfasste, für die Frühbehandlung etwas modifiziert. Wir
setzen jetzt an den Beginn, um eine möglichst rasche Merkuriali-
sierung zu erzielen, einige Injektionen löslicher Hydr.-Salze und
fangen sehr frühzeitig auch mit den intravenösen Neosalvarsancin-
spritzungen an; etwa so, dass wir nach der Zerstörung der Sklerose
durch 2 Tage hindurch je eine Embarininjektion machen, dann folgt
die erste Neosalvarsaneinspritzung. Dann drei weitere Embarin-
injektienen durch je einen Tag getrennt, hierauf die zweite Neo-
salvaisaninjektion. Dann die ganze Serie der 20 Hydr.-salicyl.-Injek-
tionen, zwischen welche noch 3— 4 Ncosalvarsaneinspritzungen in
mindestens einwöchentlichen Intervallen verteilt werden. Es hat
also dann der Pat. 5 Embarin-, 20 Hydr.-salicyl.-Injektionen ä 0,05 ccm
und 5 — 6 Neosalvarsaneinspritzungen erhalten. Wobei wir Wert
darauf legen, die beiden ersten Neosalvarsaninjektionen tunlichst im
Beginne der Behandlung zu geben, ev. auch ohne Hydr.-Vorbehand-
lung, während die übrigen durch regelmässige, mindestens einwöchent¬
liche Zwischenräume voneinander getrennt sind und die Einzeldosis
von 0,6 Neosalvarsan nicht überschritten wird. Durch die einleitendei
Applikation der schmerzlosen Embarininjektionen, welche aber den
Zweck einer raschen Merkurialis,ierung prompt erfüllen, gelingt es
uns leicht, das Vertrauen des Patienten zu gewinnen, so dass dieser
die Unannehmlichkeiten 'der folgenden Einspritzungen mit unlöslichen
Salzen gerne auf sich nimmt.
Zweifellos lassen sich durch eine solche Ausgestaltung der1
Abortivkur die bisher erzielten Resultate noch wesentlich verbessern.
Natürlich ist auch da ein Individualisieren unbedingt nötig. Während'
wir uns bei einem Patienten, der ohne wesentliche Beteiligung der
regionären Drüsen und mit noch negativer WaR. in unsere Be¬
handlung getreten ist, mit der im obigen Schema dargestellten Kur
begnügen können, werden wir in anderen Fällen bei noch vorhandener
Adenitis bzw. bei resistenterer WaR. die Kur fortsetzen. Und jedes¬
mal werden wir — wie dies Hof mann neuerdings hervorhebt—,
eingedenk des wichtigen angestrebten Zieles die Behandlung noch1
über das Negativwerden der Komplementbindungsreaktion eine Zeit¬
lang fortsetzen. Doch wird man wohl in der grossen Mehrzahl der '
Fälle mit einer dem obigen Behandlungsschema ungefähr entsprechen¬
den Therapie auskommen.
Wenn ich nun im folgenden die bisherigen Resultate unserer
Abortivbehandlung kurz mitteile und dabei nur jene Fälle berück- 1
sichtige, bei denen seit Abschluss der Behandlung ein Zeitraum von
mindestens einem Jahr vergangen ist, so kann ich über 35 Patienten 1
berichten. Bei mehr als einem Drittel von ihnen wurde in den
letzten Wochen die Nachuntersuchung durch die provokatorische
Einspritzung von Neosalvarsan ergänzt. Von den seinerzeit als ge¬
heilt geführten ist der schon oben erwähnte Fall 20 wegen Auftretens
klinischer Erscheinungen in Wegfall gekommen, während bei Fall 27
und neuerdings auch bei Fall 12 nach einer provokatorischen Neo-
salvarsaninjektion die WaR. eine, wenn auch nicht vollständige, posi¬
tive Ablenkung ergab, so dass wir sie jetzt unter die Misserfolge
rechnen, wenn wir sie auch durch eine neue Kur von dieser positiven
WaR. endgültig befreien dürften. Es sind also bei nunmehr 1 — 2 jahr.
Beobachtungsdauer von 35 abortiv behandelten Syphilitikern des
ersicn Stadiums bisher 25 klinisch und serologisch gesund geblieben;
10 hatten teils klinische, teils serologische Rückfälle, weshalb wir
sie als missglückt bezeichnen (obzwar dies nur dann gilt, wenn wir
von der Abortivbehandlung mit einer einzigen Kur reden, denn einige
von ihnen wurden durch eine zweite Kur von ihren Erscheinungen
vollständig und, seitdem dauernd, befreit). Wir haben also 71,4 ProZ-
7. November 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Jjfc ™S,Ch"rn- Un<! ?"*< sind «•» Ergebnisse durch
me Iherapie erzielt, die wir jetzt keinesfalls als sehr energisch
ezeiehnen können; wurde doch damals nur in einem Teile der Fälle
leist ' Sfvr eim iCrt!ft: 3UC 1 IStL die ZahI der Neosalvarsaninjektionen
ewesen K d 1 zweckmassig über die Behandlung verteilt
hjef,u haben wir bei unserem, im gleichen Zeitraum
ioss mit 11g. behandelten, Patienten des Primärstadiums lauter Miss-
rfolge in Form klinischer und serologischer Rezidive gesehen. Lieber
leiches berichtet Blumenfeld, so dass wir wohl unbedingt der
SSrÄÄ'a.^" dC" ^eosalvarsaniniektionen, L
Ich möchte hier, am Schlüsse meiner bisnun vorwiegend prak-
Ausführungen eine Betrachtung einschalten, die mir rein theo-
, tisch für die Berechtigung der Abortivtherapie zu sprechen scheint
egei?.d'ese w“rden la bekanntlich auf rein theoretischer Basis vori
„rschiedenen Seiten Bedenken geäussert. Namentlich wurde unter
:m Hinweis auf die angeblich grössere Häufigkeit metaluetischer
rkrankungen bei jenen Syphilitikern, die relativ wenig äussere
.mptome gezeigt hatten, die Befürchtung ausgesprochen, dass Sh
e Frühbehandlung und die daraus folgende Unterdrückung mani-
ster Erscheinungen der Ausbruch metaluetischer Affektionen be-
mstigt werden konnte Indessen wissen wir faktisch über das Ent-
ehen von Tabes und Paralyse nichts, ja es gibt da einander direkt
idersprecliende Statistiken, also auch solche, bei denen ein Auf-
^ ?M-^iaraS,vp 11 ^lsc^er Manifestationen gerade bei oft erkrankten
Politikern ersichtlich zu sein scheint ankten
ltJ?'eS7 l®tzere Ansicht erhält eine Stütze durch eine in der aller-
lgsten Zeit erschienene Arbeit Leopolds. In dieser wird darauf
fmerksam gemacht, in welch grossem Prozentsatz das Nerven-
Fruhü\tadlum dfr Syphilis affiziert befunden wird.
n,Uid dies nicht nur im Liquorbefunde, sondern auch in der
nischen Untersuchung. Diese Arfektion des Nervensystems findet
in meist bei intensiven Allgemeinerscheinungen mit stark sichtbaren
• numfmT6"' f S- ers,cbeint ia. auch bei einer Krankheit wie der
i *1*1 is, die eine Spirochatose, eine Spirochätensepsis darstellt von
rnherein wenig natürlich, einen Gegensatz zwischen Haut- und
neren Erscheinungen aufzustellen.
Was nun den so häufig gemachten Einwand der Neurologen be-
i it, dass gerade klinisch leichte Fälle später an Tabes und Paralyse
l u° ‘st dasegen überdies einzuwenden, dass unter diesen
Mlen atmall end. oft grossmakulöse Syphilide sich befinden. Die sind
r nichts weniger denn als leichte Fälle aufzufassen. Denn gerade
ihnen handelt es sich um förmliche Embolien von Spirochäten in
1 in Ansammlungen derselben um die Gefässe, die nur Exsudation
vorrufen; was wir ja geradezu als Mangel einer sonst gewöhn¬
ten ^chutzmassregel des Organismus ansehen müssen. Ferner
' d. £esagt, dass vielfach solche Fälle der Paralyse und Tabes
leimfallen, die sehr intensiv antiluetisch behandelt worden sind
1 nn man aber, wie wir es wiederholt gemacht haben, solche Fälle
’ cce!’7SMniaCht-maaL die Erfahrung, dass sie zwar nominell eine
, ssc Zahl von Einreibungen gemacht haben; diese schrumpfen aber
i »Virkhchkeit zu einer sehr geringen zusammen, wenn man erfährt,
s sie z. B immer nur einen Vorderarm, einen Oberschenkel, einen
• erschenkel wahrend eines Tages gerieben hatten und dies für eine
■ reibung zahlen; so dass auf diese Weise oft nur ganz kleine
:hen gerieben worden sind, wie das früher selbst von ganz her¬
ragenden Dermatologen geübt wurde und auch zurzeit noch geübt
• d. Oder dass sie wegen Unkenntnis der Injektionstechnik oder
Angst vor dem Infiltrat nur sehr schwach dosierte Injektionen
* eiten Vielfach sind darunter direkt unbehandelte Fälle
Darum mochte ich — wie mir dünkt, mit gleicher Berechtigung —
! ttieoretisches Argument für die abortive Behandlung der SyphilB
* Vorbringen. Ich gehe dabei aus von der WaR. Ueber das
j>en dieser wissen wir ja nichts. Fast überall aber wird sie heute
ibyniplom einer aktiven Lues aufgefasst, d. h. es wird bei posi-
r WaR. wohl immer auch ein Spirochätenherd irgendwo im
mer da sein. Wenigstens scheint mir auch die Möglichkeit, durch
provokatorische Neosalvarsaninjektion eine bisher negative WaR.
ne positive umwandeln zu können, kaum eine andere Deutung als
eines direkten kausalen Zusammenhanges zwischen Spirochäten
-eroreaktion zuzulassen. Reizung des Spirochätenrestes und die
* uf folgende Wucherung lässt eben jene biologisch-chemische Ver-
■rung des Serums entstehen, die in der positiven WaR
l Ausdruck findet. Nun wissen wir ja, dass die WaR. im
(Stadium durch eine energische Therapie meist leicht, im Spät¬
er1 fast immer schwer zu beeinflussen ist, d. h. den obigen
ialnexus angenommen, können wir rein theoretisch deduzieren,
die Spirochäten im Frühstadium gut, im Spätstadium viel
efer za beeinilussen sind. Tatsachen, die wir ja durch die
^che Erfahrung tausendfach bestätigt finden. Die Spirochäte, die
aralytikergehirn liegt und durch das Tierexperiment als echte
da erkennbar ist, ist eben, abgesehen von ihrer durch den Sitz
lgten schwierigeren Beeinflussung» offenbar auch durch uns un-
nnte biologische Vorgänge der antiluetischen Behandlung weniger
nglich geworden, als es die des Primär- und Sekundärstadiums ist
Darum werden wir nicht abwarten, bis sich diese Resistenz der
JChaten gegenüber unseren Mitteln ausgebildet hat, sondern
t mit der Behandlung beginnen; geradeso wie wir ja auch bei
2235
anderen Infektionskrankheiten, wo uns eine spezifische Therapie zur
V cifugung steht, diese möglichst rasch anwenden.
Zusammenfassung: Jeder Syphilitiker des Primär-
stadiums soll sofort einer energischen, individuell abzustufen-
den Behandlung mit Quecksilber und Neosalvarsan unterzogen
\\ ei den. Diese hat mit der weitgehenden Entfernung der
oklerose und ihrer Umgebung zu beginnen und muss über das
vollständige Schwinden der klinischen und serologischen Er¬
scheinungen noch eine Zeitlang fortgefiihrt werden. Die Er¬
gebnisse der Therapie sind durch von Zeit zu Zeit auszu-
fuhrende provokatorische Injektionen von Neosalvarsan bzw.
durch die Untersuchung der Lumbalflüssigkeit zu kontrollieren
und zu ergänzen.
II.
der sekundären Lues sind wir gleichfalls unbedingte
Anhänger der kombinierten Behandlung. Bevor wir jedoch
auf die Art derselben eingehen, möchte ich über die Mittel
unserer Therapie und die Technik ihrer Anwendung einiges
et wähnen. Bei den Injektionen, die wir hauptsächlich prakti¬
zieren, bevorzugen wir die unlöslichen Salze, unter ihnen
wiederum das Hydrargyrum salicyl. in lOproz. Emulsion mit
Faiatfinum liquid, oder Vasenolum liquid, und zwar geben wir
durchschnittlich bei einer Kur 20 Einspritzungen ä 0,05 ccm,
davon 2 mal wöchentlich je eine Einspritzung. Wir ziehen
die halben Injektionen den ganzen zu 0,1 ccm vor, weil sie
1. weniger häufig Infiltrate machen und daher weniger
schmerzhaft sind und wir 2. durch die Untersuchung We-
I anders wissen, dass die Resorption und Ausscheidung bei
- mal wöchentlicher Applikation von 0,05 ccm günstigere sind
als bei der einwöchentlichen von 0,1 ccm.
Das Kalomel, das wir ja als stärkst wirkendes Quecksilbersalz
kennen, verwenden wir gleichwohl wenig, weil seine Nachteile (starke
Schmerezn, Nieren- und Zahnfleischreizung und starke Beeinträch¬
tigung des Allgemeinbefindens) in unseren Augen die Vorteile über-
wiegen, so dass wir es nur in den Fällen schwerster und fortwährend
rezidivierender Lues für kurze Zeit geben. Wir glauben auch das-
se be, umso eher entbehren zu können, als wir ja jetzt gerade in
solchen renitenten Fällen im Salvarsan ein Mittel zur starken Beein¬
flussung der Krankheit haben. Endlich möchte ich hier noch einen
Umstand anführen, der für uns ein Grund gegen die reguläre An¬
wendung des Kalomeis ist. Wir haben es nämlich bei der Syphilis
wenigstens bei der Behandlung auf der Klinik, vielfach mit un¬
disziplinierten, schlecht genährten, häufig auch durch Alkoholgenuss
herabgekommenen Individuen zu tun, die lieber die Behandlung auf¬
geben, als die Unannehmlichkeiten wiederholter schmerzhafter Injek¬
tionen auf sich zu nehmen Und wir glauben, dass man gerade alles
* ni nIu^s’ um diese Leute zu einem möglichst langen Besuch der
Ambulatorien und zur tunlichst intensiven Behandlung ihrer Krankheit
zu erziehen. Daher kann man ihnen die Kalomelinjektionen nicht
zumuten.
Dabei ist es vielleicht möglich, dass wir mit der von Zieler
angegebenen Injektion eines hochprozentigen Kalomelöls, die wir
neuerdings, mit seiner Spritze aufgenommen haben, günstigere Re¬
sultate erzielen und auch unsere bezügliche Ansicht ändern werden.
Lösliche Salze benützen wir auch, aber immer nur temporär. Ihr
Anwendungsgebiet, das vor allem durch ihre rasche Wirkung gegeben
ist, hat ja allerdings durch die noch prompter wirkenden Ehrlich-
schen 1 l raparate eine bedeutende Einschränkung erfahren. Wir geben
meist Sublimat und Hydrargyrum succinimidat. in 2 und 3 proz. Lö¬
sung, neuerdings auch das Embarin. Vor allem verwenden wir sie
und zwar hier hauptsächlich das Sublimat, zur Einleitung aer Be¬
handlung bei den syphilitischen Erkrankungen des Gehirns; stets aber
nur, um nach der dadurch erreichten gewünschten Beeinflussung,
also meist etwa nach 5 — 10 solcher Einspritzungen, die Kur wie
gewöhnlich mit unlöslichen Salzen fortzusetzen. Ferner machen wir
guten Gebrauch davon in jenen nicht seltenen Fällen, wo Luetiker
die mitten in der Behandlung mit unlöslichen Präparaten stehen z. B.
naJi der 15. Quecksilber-Salizylinjektion, bei noch positiver oder
schon negativer WaR. plötzlich wieder syphilitische Erscheinungen
(am häufigsten in Form von Papeln an den Tonsillen) bekommen.
ii sehen bei diesen Patienten von mehreren Injektionen löslicher
Präparate meist einen prompten Effekt auf die so spät aufgetretenen
Mamfestaticnen, wahrend sic durch die Fortsetzung der Behandlung
mit unlöslichen Salzen nur wenig beeinflusst werden. Es dürfte diese
Tatsache, auf die wir hiermit nachdriicklichst hinweisen, vielleicht
auf einer vorübergehenden Störung in der Auflösung der am Injek¬
tionsorte befindlichen schwer löslichen Quecksilbersalzc beruhen.
Nach der Darreichung einiger löslichen Injektionen bzw. der Er¬
reichung des angestrebten Zweckes beendigen wir die Kur wieder
mit unlöslichen.
Von der Schmierkur machen wir hauptsächlich in jenen Fällen
Gebrauch, wo häufig Infiltratbildung nach den Injektionen auftritt und
starAC Empfindlichkeit denselben gegenüber besteht; ierner bei jenen
r
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 46.
2236
Patienten, die nicht regelmässig zur Vorstellung und Behandlung
kommen können, und dann namentlich bei den stets unter der Form
der Roseola rezidivierenden und meist ungeheuer hartnäckigen
Formen der Exantheme, liier scheint die direkte lokale Wirkung
der grauen Salbe bei der Beseitigung des Ausschlages und der Ver¬
minderung der Zahl der Rückfälle eine wesentliche Rolle zu spielen.
Die Einreibungen können gewiss vorzügliche Dienste leisten, wenn
sie entsprechend, d. h. mit der notwendigen Grnüdlichkeit, gemacht
werden Dass dies indes meist nicht der Fall ist. ergibt sich, wenn
man sich der Mühe unterzieht, Patienten nach der Art und Weise
zu befragen, in der sie früher geschmiert haben. Dass eine solche,
schlecht ausgeführte Schmierkur wertlos ist und keinen Erfolg hat.
ßt natürlich. Weshalb es ausserordentlich wichtig ist, Einreibungen
nur zu verordnen, wenn man ihrer sorgfältigen Ausführung sicher ist.
(Schluss folgt.)
Weitere Beiträge zur Behandlung der Hypertrichose
mit Röntgenstrahlen.
Von Dr. Demetrius C h i 1 a i d i t i in Konstantinopel, Pera.
Im September vergangenen Jahres habe ich über eine
Methode berichtet, durch die es möglich ist, die Röntgen¬
empfindlichkeit der Haarpapille bis um ein Drittel ihres Wertes
zu steigern *). Es kann hiedurch bei Markhaaren (Flaumhaare
sind weniger geeignet) in einer einzigen Sitzung eine definitive
Zerstörung der Papille ohne weitere Schädigung der Haut
erreicht werden. Die stärkste Empfindlichkeitssteigerung der
Haarpapille wurde nach verschiedenen Versuchen dadurch er¬
reicht, dass die Haare mit Pinzette epiliert werden und die
zurückbleibenden Papillen einige Tage nachher, zu welcher
Zeit das Haar sich wieder zu bilden beginnt, und die Papille
den stärksten Wachstumstrieb zeigt, bestrahlt wird. Diese
Prozedur beruht auf der bekannten Tatsache, dass lebende
Zellen ceteris paribus um so empfindlicher auf Röntgenstrahlen
reagieren, je lebhafter sich in ihnen karyokinetische Vorgänge
abspielen, mit anderen Worten, je stärker ihr Wachstums¬
trieb ist.
Die angewandte Technik mag hier kurz resümiert werden.
2 — 3 Tage nach der Pinzetteepilation wird bei Benutzung
eines Filters von 3 mm Aluminium plus 5 mm Leder und einer
über mittelharten Strahlung eine Dosis appliziert (über deren
Grösse s. weiter unten), bei der die Haut eine schwache bis
mittelstarke Reaktion ersten Grades zeigt. Es zeigt sich mithin
nach der üblichen Latenzzeit eine leichte, nach einigen Tagen
verschwindende Rötung, ohne Spuren zurückzulassen, resp.
eine intensivere Rötung mit leichter Schwellung, einige Tage
darauf Bräunung mit event. folgender Schuppung der Haut.
Keine Blasenbildung, keine Exsudation. Dauer der intensiven
Reaktion 1 — 2 Wochen. Nach einem Monat durchschnittlich
zeigt die Haut ihr gewöhnliches Aussehen 1).
Der Grund der Verwendung stark gefilterter Strahlen be¬
ruht auf der u. a. von Regaud und N o g i e r 2) experimentell
erhärteten Tatsache, dass die Papille bei Anwendung stark ge¬
alteter Röntgenstrahlen viel empfindlicher gegen letztere ist
als die Epidermis.
*) Chilaiditi: Ueber eine Möglichkeit dauernder Epilation
durch Röntgenstrahlen ohne Schädigung der Haut, durch Steigerung
der Empfindlichkeit der Haarpapille für Röntgenstrahlen. Erste Stu¬
dienreise der Deutschen Röntgengesellschaft, Wien, 20. Sept. 1913.
In Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen 21. H. 4. — Derselbe:
Die Behandlung der Hypertrichosis mit Röntgenstrahlen bei Ver¬
meidung einer Schädigung der Haut. W.m.W. 1913 Nr. 45. — Der¬
selbe: Dauernde Epilation durch Röntgenstrahlen ohne Schädigung
der Haut. D.m.W. 1913 Nr. 47.
l) Die durch stark filtrierte Strahlen erzeugte Reaktion zweiten
Grades, von französischen Autoren „radioepidermite“ genannt, da sie
merkwürdigerweise sich zum grössten Teile auf die Epidermis zu be¬
schränken scheint, zum Unterschied von der durch unfiltrierte Strahlen
erzeugten „Dermitis“, hat bekanntlich einen viel leichteren Verlauf
als letztere. Selbst wenn daher aus Unvorsichtigkeit oder aus sonst
einem Grunde die leichte bis mittelstarke Reaktion durch bedeutende
Uebcrdcsierung überschritten werden würde, so ist (man sieht das
ja oft genug bei der Karzinomtiefentherapie) das Unheil nicht gross
und gewöhnlich in 2 — 3 Wochen die Haut wieder hergestellt. Aber
dies ist bei entsprechender Technik zu vermeiden.
'-) Regaud und Nogier: Les effets produits sur la
peau par les hautes doses de rayons X selection-
n6es par les hautes doses de rayons X selection-
Ap pli cation ä la Röntgentherapie. Archives d‘Electr.
Med. Nr. 350 (25 I. 13). Die Arbeit wurde von der französischen
Akademie ejer Wissenschaften preisgekrönt.
Diese bei stark gefilterter Strahlung viel deutlicher als bei
ungefilterter zutage tretende gewissermassen elektive Wirkung
der Röntgenstrahlen auf die verschiedenen üewebsarten der
Haut habe ich im Laufe der letzten drei Jahre nicht nur bei
der Behandlung der Hypertrichose, sondern überhaupt bei An¬
wendung entsprechender Tietentherapie häufig bestätigen
können. Die starke Filterung ist daher ein weiteres Hilfs¬
mittel bei der Röntgenbehandlung der Hypertrichose, auf das
ich unter keinen Umständen verzichten möchte.
Die Dosis stark gefilterter Strahlen, durch die eine
schwache bis mittelstarke Reaktion ersten Grades erzielt
wird, ist gleichzeitig jene Dosis, bei der die auf obige Weise
sensibilisierte Papille eines gut ausgebildeten Haares (Flaum¬
haare sind, wie gesagt, weniger geeignet) definitiv zer¬
stört wird, so dass in den meisten Fällen das gewünschte
Resultat in einer Sitzung erreicht werden kann. Die
nach Applikation dieser Dosis nach 3 Monaten wieder¬
kehrenden Haare sind gewöhnlich so spärlich (durchschnitt¬
lich etwa 5 — 10 Proz. der Haare), dass es sich nicht lohnt, eint
neue Sitzung zu applizieren, abgesehen davon, dass es nach
meinen Erfahrungen häufig Haare sind, die trotz Sensibili¬
sierung und trotz Filtrierung auch bei Applikation einer
grösseren Dosis wiederkehren würden. Es ist daher ein¬
facher. diese wenigen Haare durch Elektrolyse zu entfernen.
Der Verzicht auf eine weitere Bestrahlung ist daher nicht
so aufzufassen, dass letztere sich als schädlich erwiesen habe.
In früherer Zeit, als ich öfters bestrebt war, alle Haare
radikal zu entfernen, habe ich — immer nach Ablauf von
mindestens 2 Monaten — auch nach zwei- und nach drei¬
maliger Wiederholung der Dose unter den etwa 40 Fällen, die
mit der stark filtrierten Strahlung behandelt worden waren,
bis heute, also seit fast 3 Jahren, keine Schädigung gesehen.
Die flüchtige Reaktion darf wohl nicht als Schädigung im
engen Sinne des Wortes aufgefasst werden. Heute, wo ich
bei obiger Technik und gut ausgebildeten Haaren fast immer
in einer Sitzung die definitive Epilation erreiche, wiederhole
ich die Sitzung nur dann, wenn trotz der starken Dosis über
10 Proz. der Haare wiederkehren (unter den letzten 9 Fällen
zweimal), oder wenn eine kleinere Dosis appliziert worden
war (sei es wegen Befürchtung einer empfindlicheren Haut,
sei es aus irgend einem anderen Grunde).
Falls einige Haare übrigbleiben und die Elektrolyse nicht
ausgeführt oder verweigert wird, kann man die Haare auch
einfach mit Pinzette epilieren. Es ist mir dabei sehr häufig
vorgekommen, dass diese trotz Bestrahlung wiedergekom¬
menen, sehr häufig pigmentarmen Haare schon nach der ersten
Pinzetteapplikation nicht wieder erschienen.
Im allgemeinen kann man also sagen, dass man mit einer
einzigen Sitzung (die zweckentsprechend in toto, und nicht in
Teilsitzungen verabreicht werden soll) in der Mehrzahl der
Fälle auskommt. Welche Fälle geeignet sind, habe ich schon
anderwärts erörtert. Die ungeeigneten Haare, vor allem
Fiaumhaare, soll man lieber überhaupt nicht angehen, denn die
in diesen Fällen sehr mässigen Resultate der ersten in ent¬
sprechender Dosis verabreichten Sitzung werden durch
die folgenden gleichstarken nur um weniges verbessert. Zwei
bis drei folgende Sitzungen scheinen auch in derartigen Fällen
nicht schädlich, aber meist überflüssig zu sein, und sind neben¬
bei zeitraubend.
Nun zur Höhe der zu applizierenden Dosis.
Ich habe bisher absichtlich vermieden, die Höhe der Dosis ir
Messeinheiten anzugeben, weil ich zum Schluse auf diesen Funkt
etwas näher eingehen wollte.
Ich hatte seinerzeit angegeben, dass die Dosis, die zur definitiven
Epilation sensibilisierter, gut entwickelter Haare nötig ist, bei An¬
wendung von 3 — 4 mm Aluminiumfilter 8 — 12 Holzknechteinheiten be¬
trägt. Diese filtrierte Dosis bewirke eine schwache, knapp sicht¬
bare, bis mittelstarke Reaktion ersten Grades.
Ich habe mich seitdem überzeugen können, dass ich die appli¬
zierte Dosis zu niedrig gemessen habe. Sie scheint in Wirklichkeit
bei 3 mm Aluminium (die Filterung durch mehr als 3 mm Aluminium
habe ich seitdem als überflüssig aufgegeben) p 1 u s 5 mm Leder um
15 H. zu liegen, und zwar die eben sichtbare Reaktion bei etwa 12 H..
die mittelstarke entsprechend höher, aber jedenfalls nicht über 20 H-
Der Unterschied zwischen den ursprünglichen und den jetzigen An¬
gaben rührt nicht von einer seitherigen Erhöhung der applizierten
Dosis her, sondern von der Rektifizierung der Abschätzungsweise.
Ich verwende zur Messung fast ausschliesslich die Holz¬
knecht sehe Skala zu den Sabouraud-Noire sehen Pastillen.
17. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2237
Linen . cssapparat, den ich nicht nur fiir äusserst praktisch, sondern
auch -für sehr verlässlich halte, wenn es sich darum handelt, die
\on demselben Autor gewonnenen Resultate untereinander zu ver¬
gleichen. Rcim Vergleich der von verschiedenen Autoren ge¬
wonnenen Resultate können aber, und zwar sowohl bei diesem,
ant*cren geläufigen Messinstrumenten, ziemlich
erhebliche Differenzen in der Ablesung entstehen. So haben,
!‘m nur c.m ßewPiel zu bringen, das ich gerade bei der Hand habe,
Ke g a u d und No gier in ihrer oben zitierten Arbeit nachweisen
können, dass in einem bestimmten Falle die Differenz in . der Be¬
messung ein und derselben Dosis, die mit demselben (Bordier-
schen) Radiometer von verschiedenen Fachleuten gemessen wurde
Jas vierfache der geringsten Schätzung betrug. Beim Ver¬
gleich der von demselben Autor gewonnenen Resultate können
3ber ceteris paribus wohl nur dann namhafte Differenzen in der
Jewertung dei Dosis entstehen, wenn die Ablesungstechnik geändert
aird. Dies war bei mir der Fall, als ich mit stark gefilterten Strahlen
?u arbeiten begannn.
Ich habe ursprünglich die Pastille vorschriftsgemäss in halber
-okus-haut-Distanz plaziert. Nach Einführung der starken Filte-
iiiig, die die Applikation von bedeutend grösseren Röntgendosen als
niher mit sich brachte, plazierte ich die Pastille in gleiche Entfernung
nit der zu bestrahlenden Haut (die abgelesene Dosis war so mit
(zu multiphzieren). Es bestand nun eine zweifache Möglichkeit-
)ie Pastille entweder a) v o r oder b) hinter dem Filter (selbst-
erstandlich beide in gleicher Entfernung vom Fokus der Röhre)
ii plazieren. Im ersten Falle musste von der abgelesenen mit 4
nultiplizierten Dosis die durch die Filterung absorbierte, nach
j e I o t - oder Q u i 1 1 e m i n o t scher 7 abeile :t) berechnete Rönt-
enmenge abgezogen werden.
Im zweiten Falle konnte die mit 4 multiplizierte Dose natürlich
irekt abgelesen werden. Ich habe einige Zeit hindurch beide Ver-
ahren gleichzeitig geübt und dabei gefunden, dass bei der Messung
inter dem Filter regelmässig eine viel höhere Dosis abgelesen wurde
s bei der Messung vor dem Filter. Die Differenz betrug oft mehr
1s 50 Proz. Da die Pastillen für mittelweiche, unfiltrierte Strahlen
eeicht sind, so hielt ich die Messung vor dem Filter für die
ich tigere, dies um so mehr, als von den Autoren nur zu oft auf die
ehlerquelle hingewiesen wurde, die bei Messung stark gefilterter
arf<rv S!rahle? ^llrc^ unsere üblichen Messinstrumente entstehen.
Die in meinen ersten Arbeiten zahlenmässig angegebenen Rönt-
enmengen sind durch Messung vor dem Filter gewonnen.
Diese Messart mag im Prinzipe die richtige sein; sie setzt aber
enau bekannte Filterdicke und Konstantbleiben der Röhrenhärte
“raus Letzteres ist, besonders bei länger dauernden Bestrahlungen
icht immer zu erreichen. Dazu kommt, dass für diese grossen
itzungen oft Röhrenwechsel notwendig ist. Ich für meinen Teil
usste früher mindestens 5 Röhren nacheinander bis zur Erreichung
;r gewünschten Dosis (in 20 — 30 Minuten) in Betrieb setzen. Diese
Öhren hatten selbstverständlich nicht alle denselben Härtegrad,
usserdem ist es nicht a priori von der Hand zu weisen, dass die
ich erwähnten französischen Tabellen für die Röntgenapparate ver-
:hiedenster Systeme und Konstruktion nicht den gleichen Wert
iben. Wie dem auch sein mag, die Messung vor dem Filter hat
denfalls auch ihre Schattenseiten, und ich bin heute überzeugt, dass
eine ursprünglichen Messungen zu tief gegriffen sind. Dies um so
ehr, als die durch Messung hinter dem Filter gefundene Röntgen-
enge ziemlich genau mit der Menge übereinstimmt, welche von den
eisten anderen Autoren zur Erreichung bestimmter Röntgeneffekte
gegeben wird. Um z. B. bei 3 mm Filterung und einer Röhren¬
de von 7—8 B. (9—11 Wh. oder 8—9 Bauer bei meinem In-
umentarium und meiner gewöhnlichen Betriebsart) eine eben erst
ditbare Reaktion nach der üblichen Latenzzeit zu erreichen, wird
s nötige Dosis von den meisten Autoren 10—15 H. angegeben,
es ist ungefähr die Dosis, die ich bei Messung hinter dem Filter zu
halten gewohnt bin.
Wenn demnach auch die Messung hinter dem Filter theo-
: tisch ungenauer ist, so liefert sie unter Umständen richtigere Re¬
nate als die Messung vor dem Filter, da die letzterer Methode
i haftenden Fehlerquellen nicht immer leicht zu vermeiden sind.
Ob nun vor oder hinter dem Filter gemessen wird, ob das eine
'er das andere Messinstrument benutzt wird; sicher ist, dass die
J.-ssungen stark filtrierter, harter Röntgenstrahlen von seiten ver-
Miedener Autoren vorläufig wenigstens nur einen bedingten Wert
• ben können. Da aber bei der Behandlung der Hypertrichose
lt’ exochen das Endresultat von der applizierten Dosis abhängt, so
*rd es manchem Kollegen angenehm sein, sich nicht nur nach der
,n einem anderen zahlenmässig angegebenen Röntgenmenge, son-
f n auch nach dem zu erreichenden Effekt richten zu
janen. Ob der eine zur Erzielung dieses Effektes 10 H„ der andere
| H. gebiaucht zu haben glaubt, ist dann gleichgültig, denn der
ie wird eben jedesmal 10, der andere jedesmal 12 H. nach
jner Messungsart gebrauchen, und so kann sich jeder leicht zurecht-
1 en, wieviel Einheiten er nach seiner Messungsart applizieren muss,
1 einen bestimmten Effekt zu erreichen.
a) Vorausgesetzt ist hiebei natürlich, dass der Härtegrad der
Ihre während der Dauer der Bestrahlung unverändert bleibt und
I Dicke des Filters genau bekannt ist.
Man kann daher zwecks Fixierung der
Hosis sagen; Die definitive Epilationsdosis
gut entwickelter, auf obige Weise sensibili¬
sierter Gesichts haare durch über mittel¬
harte, stark filtrierte Röntgenstrahlen ist
diejenige Dosis, durch die eine schwache
(eben sichtbare) bis mittelstarke Reaktion
ersten Grades erreicht wird.
Was die mit der Methode erreichten Resultate anlangt, so
kann auf das seinerzeit Gesagte verwiesen werden.
Eine Bemerkung betreffs der Behandlung von Flaum¬
haaren :
Unter den nunmehr 40 Fällen, bei denen die Methode teils
zu therapeutischen, teils zu Versuchszwecken angewendet
\\ ui de, befindet sich auch ein Flaumhaarfall, dessen Behandlung
ich auf ausdrücklichen Wunsch der Patientin und mit Hinweis
auf eventuelle Resultatlosigkeit der Behandlung (zu einem Er¬
folg auf Kosten der Haut wollte ich es unter keinen Um¬
ständen kommen lassen) übernommen hatte.
Es handelte sich in dem Falle um dichtgesäten, ziemlich langen,
-ii, Cl i s.r zarten, dunkelbraunen Flaum auf beiden Backen bei einem
30 jährigen Fiäulein mit feiner Oesichtshaut. 2 Tage nach der in dem
halle ziemlich umständlichen Pinzetteepilation wurde auf beiden
beiten m gewohnter Weise je eine mittelstarke Erythemdosis (etwa
15 (,ltncr.tf Holzknechteinheiten) mit Verschiebung der Ränder appli-
zieit. 5 Monate nach der in dem Falle etwas stärkeren Reaktion (die
gebräunte Epidermis Hess sich einen Monat nach der Bestrahlung in
zigai ettenpapierdiinnen Lamellen ablösen, die darunter befindliche
rotbiaune Haut hatte erst nach 2 Wochen ihr normales Aussehen
wiedei erlangt), waren zwar kaum 10 Proz. der Flaumhaare wieder
erschienen (die durch Elektrolyse leicht entfernt wurden), aber die
Umgebung, der bestrahlten Stellen, welche ebenfalls, wenn auch viel
weniger sichtbar, flaumig behaart war, und welche infolgedessen
nicht mit Pinzette epiliert und nur zum Teil bestrahlt worden war,
sti_ht nunmehr infolge ihres unverändert gebliebenen Flaumes (auch
an den bestrahlten, nicht vorepilierten Stellen!) immerhin etwas ab,
was zwar von der Patientin jetzt nicht störend empfunden wird’
erm aber später5) der nicht behandelte Flaum der Umgebung, etwa
durch vikariierenden Wachstumsreiz, stärker sichtbar wird (was nach
meinen Erfahrungen durchaus nicht ausgeschlossen ist), so wird das
erreichte Resultat direkt unästhetisch wirken. Es ist also auch aus
letzteren (indirekten) Gründen bei derartigen Fällen Reserve in der
Behandlung geboten.
Zusammenfassung: Durch die Vorepilatioh der
Haare lässt sich die Röntgenempfindlichkeit der Papille stei¬
gern. Je zarter das Haar, je geringer sein Wachstum, um so
geringer ist die Röntgenempfindlichkeitssteigerung. Bei zartem
Flaum ist sie am geringsten. Es ist infolgedessen die Röntgen¬
behandlung des Flaumes undankbar, nicht nur weil der Flaum
für Röntgenstrahlen a priori ziemlich unempfindlich ist, sondern
auch weil seine Sensibilitätssteigerung sehr gering ist. Bei
gut entwickelten Haaren, sowohl an der Oberlippe, wie auch
ganz besonders am Kinn, beträgt die Empfindlichkeitssteige¬
rung unter günstigen Umständen ein Drittel der Epilationsdosis.
Durch diese Methode können bei obigen Fällen dauernde Epi¬
lationsresultate erreicht werden, ohne dass die Haut weiter
geschädigt wird. Dies, wenn man will, in einer einzigen
Sitzung. «Die Applikation in mehreren Sitzungen, sei es aus
anfänglicher Vorsicht, sei es aus irgend einem anderen Grunde,
kann im Prinzipe nicht verworfen werden, ist aber im allge¬
meinen überflüssig. Die definitive Epilationsdosis gut ent¬
wickelter, auf obige Weise sensibilisierter üesichtshaare
durch über mittelstarke, stark filtrierte Röntgenstrahlen ist
diejenige Dosis, durch die eine schwache (eben sichtbare) bis
mittelstarke Reaktion ersten Grades erreicht wird (10— 12 H
15—18 H.).
’) Nachtrag: Bis heute, 10 Monate nach der Behandlung, ist aller¬
dings noch keine dunklere Haarfärbung der Umgebung aufgetreten,
das kann aber auch nach Monaten noch geschehen. An den be-
handelten Stellen sind keine Haare nachgewachsen, trotzdem machen
die Stellen glücklicherweise nicht den so unangenehmen Eindruck des
Kahlen, da ganz kleine, kaum sichtbare Flaumhaare an diesen Stellen,
die mit der Pinzette nicht vorepiliert worden waren, trotz der Be¬
strahlung auch nicht ausgefallen sind. Es ist nicht unmöglich, dass
auch diese kleinen Haare späterhin etwas stärker werden und so
die Differenz zwischen behandelter und unbehandelter Stelle ausge¬
glichen wird.
2238
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Die Infektionen des Fötus.
Vorläufige Mitteilung.
Von Prot. Dr. Fernand Masay in Konstantinopel.
Das weite Gebiet der fötalen Pathologie ist nur un¬
genügend erforscht, und speziell betreffend die Infektionen, die
das Kind im Mutterleibe befallen können, sind die Resultate
der Beobachtungen und Experimente unklar und wider¬
sprechend. Im besonderen ist man durchaus nicht einig über
das Verhalten der Plazenta gegenüber den Bakterien, die sich
im Blut der Mutter befinden.
Die plazentare Infektion wird von vielen Forschern nur in
Ausnahmefällen für möglich gehalten; andere nehmen an, dass
die Plazentargefässe krank sein müssen, um das Durchdringen
der Virus zu ermöglichen.
Wir sind in den Besitz eines Mikroben gelangt, der durch
sein Verhalten irn Körper schwangerer Tiere zu interessanten
Beobachtungen Gelegenheit bietet. Es handelt sich um
Streptobacterium foetidum, das wir vormals beschrieben
haben. Wir wollen kurz seine hauptsächlichsten Merkmale
wiederholen.
Wir haben St. f. im Auswurf, pleuralen Ergüssen und
inneren Abszessen gefunden. In zwei Fällen hat es den Tod
verursacht. Es ist ein kleiner Kokkobazillus, sehr beweglich,
sich bei Züchtung in Bouillon zu Ketten gruppierend. Es
nähert sich im Aussehen dem Pestbakteriurn. Es färbt sich
mit allen Anilinstoffen und nicht nach Gram. St. f. ist fakul¬
tativ aerob und lässt sich leicht auf allen Nährböden züchten.
In Agarstrichkultur bedeckt es die ganze Oberfläche ohne ab¬
gegrenzte Kulturen zu bilden, und wird erst dann sichtbar,
wenn die ganze Oberfläche mit einer fortgesetzten Schicht
überzogen ist.
St. f. ruft bei allen Laboratoriumstieren eine hyperakute
allgemeine Sepsis hervor oder auch eine chronische Krankheit
mit serösen oder viszeralen Lokalisationen.
St. f. bildet sehr aktive Toxine.
Endlich haben wir gleich bei den ersten Versuchen be¬
merkt, dass St. f. die Plazenta mit grosser Leichtigkeit durch¬
dringt. Diese Besonderheit Hess uns annehmen, dass St. f. sich
dazu eignen könnte, die Infektionen des Fötus zu erforschen.
Diese Annahme erwies sich als gerechtfertigt. Das rasche
Verbreiten des St. f. in dem infizierten Organismus und die
Einfachheit der Identifizierung vermittels der Kulturen er¬
leichterten die Untersuchungen.
Wir haben unsere Experimente folgendermassen aus¬
geführt:
1. Einer ersten Gruppe schwangerer Meerschweinchen
brachten wir eine tödliche Dosis lebender Kulturen des
St. f. bei.
2. Einer zweiten Gruppe eine etwas geringere Dosis als
die tödliche.
3. Einer dritten Gruppe eine Dosis, die unfähig ist, Sepsis
hervorzurufen.
Ohne in die Einzelheiten einzugehen, die wir späterhin
veröffentlichen werden, wollen wir die Resultate .dieser Ex¬
perimente kurz aufzählen.
Erste Serie: Alle Weibchen starben, einige von ihnen
nach stattgefundenem Abort. Letztere widerstehen im allge¬
meinen etwas besser der Infektion. Alle Föten, ob aus-
gestossen oder nicht, enthalten St. f. in grosser Menge. Man
entdeckt an der Plazenta keinerlei Spur früherer Krankheiten.
Zweite Serie: Ein Teil der Weibchen abortiert, und
bei diesen ist die Heilung fast allgemein. Die Weibchen, die
nicht abortiert haben, sterben alle. Alle Föten enthalten St. f.
in grosser Menge.
Dritte Serie: Die Mortalität ist sehr gering unter den
Müttern. Einige Weibchen abortieren, die meisten gelangen
bis zum Ende der Schwangerschaft. Bei manchen Föten —
zum Teil einige Stunden nach der Infektion ausgestossen. zum
Teil nach mehreren Tagen zur Welt gekommen — findet
man St. f.
Aus diesen Tatsachen ziehen wir folgende Schlüsse, die
wir anderweitig ausführlich erörtern werden:
1. St. f. ruft allgemeine Sepsis hervor; dieselbe geht leicht
auf den Fötus über. 2 Stunden nach der Einspritzung findet
Nr. 4
man St. f. sowohl im Blute der Mutter als auch im Blute d.
Fötus. Dieser rasche Uebergang des Virus zum Fötus bewe
die geringe Widerstandsfähigkeit des Plazentarfilters gewiss
Infektionen gegenüber.
II. Der Abort ist immer günstig für die Mutter.
III. Alles verhält sich so, als ob der Fötus, indem er ei
grosse Menge Bakterien in sich aufnimmt, eine Art Fixation
abszess für die Mutter bildet. Diese Tatsache steht in direkte
Widerspruch mit der Theorie, dass die gesunde Plazenta i
die Bakterien eine undurchdringbare Schranke bildet. A
diese Weise erklärt sich die Heilung der Mutter nach de
Abort, und letzterer erscheint wie eine Abwehrreaktion d
mütterlichen Organismus.
IV. Es kann Vorkommen, dass die Bakterien durch d
Plazenta in den Embryo Vordringen, ohne dass die Mutter vq
einer Infektion befallen zu sein scheint.
Wir glauben, dass diese Beobachtungen von einig*
Wichtigkeit sind, nicht nur vom Standpunkt der fötalen Path,
logie aus betrachtet, sondern auch was die Therapie di
Abortes bei den Infektionskrankheiten anbetrifft.
Aus dem anatomischen Institut der Universität Heideiber
Ein Fall von Megacolon sigmoides bei einem 70jährige
Manne*).
Von Dr. Oskar Wiedhopf, I. Assistent.
Im letzten Wintersemester kam auf dem Präpariersaal d^
anatomischen Instituts ein Befund zur Beobachtung, der ai
verschiedenen Gründen Interesse beanspruchen kann.
Es handelt sich um die Organe einer männlichen Leiche, die End
August 1913 abgeliefert und im November 1913 auf dem Präpariej
saal untersucht wurde.
Der Verstorbene befand sich seit 10 Jahren wegen Idiotie ut
hohen Alters in der Kreispflegeanstalt Sinsheim und war dort nie •]
bis auf die letzten 5 Tage seines Lebens — bettlägerig krank. V(
Krankheiten, die er ausserhalb der Anstalt event. durchgemacht hatt
liess sich nichts eruieren. Die Krankheit vor seinem Tode bestand
heftigen Leibschmerzen, starkem Meteorismus und Verhaltung vr
Stuhl und Wind. Stuhlgang war durch Abführmittel nicht zu e
zielen, auch ein Darmrohr hatte keinen Erfolg. Erst eine Maget
sonde, die sich ohne Schwierigkeit ganz einführen liess, brachte En
Ieerung von Gas und reichlichen Massen dünnflüssigen Stuhls zi
stände. Die Sonde war öfter verstopft und man konnte schliesslic
ein grösseres Quantum Holzwolle entfernen, das der Patient ai
seiner Matratze aufgegessen hatte. Trotz der Entleerung erholte <
sich nicht und starb am 5. Tage seiner Erkrankung im Alter vd
70 Jahren, wohl an einer Autointoxikation. Für die persönliche Mi
teilung der Krankengeschichte bin ich Herrn Medizinalrat Eschl
in Sinsheim zu grossem Dank verpflichtet.
Anlässlich des Bauchsitus an dieser Leiche wurden wir auf d
abnormen Verhältnisse in der Bauchhöhle aufmerksam gemacht. D
Studenten konnten sich nach Eröffnung der Bauchhöhle nicht zurccl
finden, weil die sich darbietenden Verhältnisse keineswegs der Nori
entsprachen.
Man sah weder Leber noch Dünndarm, sondern konnte nur ei
enorm weites gasgefülltes Gebilde erkennen, das darmähnlich 5
Oberschenkeldickc aus dem kleinen Becken heraus im Bogen we
unter die beiden Hypochondrien sich erstreckte. Es liess sich leid
unter dem Rippenbogen hervorziehen und nach unten klappen uni
entpuppte sich als die abnorm lange, weit ausgedehnte Elexura sit,
moidea. Dieser Befund und ein gleich noch zu erwähnender an Je
Leber Hessen es wünschenswert erscheinen, den Fall etwas genant
zu untersuchen und ich wurde dabei von Herrn Dr. Elze in Hebens
würdiger Weise unterstützt.
Auf Einzelheiten der Peritonealverhältnissc will ich mich hie
nicht einlassen, sondern nur das wichtigste hervorheben:
Der Thorax befand sich in Inspirationsstellung und die Zwerch
fellkuppe stand beiderseits im 2. Interkostalraum. Da. wo ma
das Herz vermuten sollte, fühlte man eine geringe kaudale Ausbuch
tung des Zwerchfells.
Die Leber, die man sich nach Zurückklappen des Sigmoids sicht
bar machen konnte, fand sich in höchst auffälliger Weise veränder
Das weithin nach oben reichende S romanum hatte den meiste
Raum für sich beansprucht und sowohl den rechten als den linke
Leberlappen von dem Zwerchfell losgedrängt. Dabei wurde bc
sonders der rechte Leberlappen derartig gedrückt, dass er grössten
teils atrophierte. Unter dem I.ig. falciforme hepatis, das ja vorne di'
einzige Fixation der Leber bildet, sind die beiden Lobi, die den Kon
*) Vorgetragen anlässlich der Demonstration des Präparats ii
der Sitzung vom 19. V. 14 im Naturhistorisch-medizinischen Vereii
zu Heidelberg.
17. November 1914.
MIJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2239
i.ikt mit dem Zwerchfell aufgegeben haben, spitzwinklig aneinander-
gepresst.
, ^"'sdien Leber und Magen wird das Lig. hepatogastricum
dureh einen Tumor vorgebuchtet, der in Form und Konsistenz am
ehesten sich mit der Herzspitze vergleichen lässt. Da die Bursa
omentahs verschlossen ist, wird in das Mesocolon transvcrsum ein
Loch eingerisscn. Habei lässt sich die merkwürdige Tatsache fest¬
stellen, dass der herzförmige Körper der sehr stark vergrösserte
Lobus caiR atus der Leber ist. Fr entspricht in seiner Ausdehnung
etwa der Hand eines 10 jährigen Kindes.
A'” Magen und Dünndarm sind bezüglich ihrer Lagerung wesent¬
liche Abnormitäten nicht vorhanden. Die letzten 20 cm des Ileum
verlaufen retroperitoneal. Es besteht ein tiefer Recessus retro-
coecahs, von der Appendix ist nichts zu sehen, sie liegt retroperi¬
toneal. Colon ascendens, transversum und descendens sind normal
gelagert, ihr Umfang mit Ausnahme des stark erweiterten Colon
““"ft ,W?mg Yergc^ssert. Der Ucbergang des absteigenden
kolonsclienkels in das Sigmoid ist nicht scharf markiert. Doch be¬
ginnt am Sigmoid plötzlich die schon erwähnte gewaltige Erweite-
rung. ie sichtbare 1 änie ist um ein vielfaches verbreitert und die
Wand nicht unwesentlich verdickt. Infolge der grossen Länge —
es misst (an der Konvexität) 125 cm - ist cs gezwungen, sich in
fsn o nger*i ZU legenLund,dab,ei k°mrTd es zu einer Achsendrehung um
1 L>n l.^ 1 rec. ds’, bei der der Kolonschenkel des S romanum unter
Jen Rektumschenkel zu liegen kommt (s. Abb.). Dieser Volvulus be¬
stand zweifellos
schon lange, dafür
spricht eindeutig
der Befund an der
Leber. Er ist zu
den sogenannten
physiologischen
Drehungen der
Flexur um 180° zu
rechnen, das sieht
man, wenn man
eine Rückdrehung
versucht; dabei
wird dann der
sogen. Rektum¬
schenkel der Fle¬
xur um ebensoviel
Grade in der ent¬
gegengesetzten
Richtung gedreht,
und es muss hier
zu einer Passage¬
störung kommen,
während sie in
unserem Falle
nicht einzutreten
braucht — es ist
ja nur eine ein¬
fache Schlinge
vorhanden -, aber
jederzeit dadurch
zustande kommen
kann, dass der
p. Rektumschenkel
r riexur den Kolonschenkel oder umgekehrt komprimiert. Wollte
i Unrurg diesen Volvulus detorquieren, so würde er also statt des
ysiologischen, gewissermassen potentiellen, einen absoluten Darm-
rscnluss an der Stelle setzen, wo das bewegliche Sigmoid in das
lertere Rektum übergeht.
Die Wurzel des Mesosigmoids liegt in der Mitte der Linea ter-
nalis. Sie ist an der Basis so schmal und die Fusspunkte der Fle-
r sind sich dermassen genähert, dass nur die Arterie und Vene
zwischen Platz haben. Es ist mit Auflagerungen versehen und
nt unwesentlich verdickt.
Das Rektum ist ebenfalls erweitert und die Muskulatur beträcht-
n vermehrt.
Dass es bei einem derartigen Meteorismus zu einer Atelektase
' n Lungengebiete kommen musste, ist selbstverständlich.
Das Herz weicht in seiner Grösse nicht von der Norm ab. Von
ier -ektion desselben und der Lunge wurde abgesehen, da ja bei
S langen Zeit, die zwischen Tod und Untersuchung lagen, Fein-
ten doch nicht mehr zu erkennen gewesen wären.
Nirgends am Darm war ausser dem Volvulus ein Hindernis,
1 ln Horm eines Klappenmechanismus, nachzuweisen.
Dass es bei einer solchen Dilatation des Darmes zu Entleerungs-
iwierigkeiten und damit zu Stauungen im venösen Kreislauf
nmcn musste, beweisen die zahlreichen Hämorrhoiden.
An der Blase befinden sich neben der Einmündung des rechten
J*e{’s 2 zirka fingerhutgrosse Divertikel, ausserdem ist ein Steiss-
obchen oder eine Foveola coccygea vorhanden, eine Einsenkung,
■ der Stelle entspricht, wo einmal die Schwanzwrirbel des Men¬
en nach aussen sich erstreckten.
Ganz kurz möchte ich noch die Darmmasse erwähnen, die an
Konvexität des nicht herausgeschnittenen Darms gewonnen
rden:
Der Dünndarm ist 769 cm lang gegen 500—600 cm Normallänge,
Kolon mit Ausnahme des Sigmoids 102 cm, Sigmoid 125 cm, Rek¬
tum 25 cm.
• Die. Gesamtlänge beträgt 10,21 m, gegen 7—8 m in der Norm,
ein beträchtliches Mehr!
Der Umfang des Sigmoids beträgt durchschnittlich 40 cm.
Das Sigmoid allein fasst 8 Liter Wasser, das ist so viel, als in
einem gewöhnlichen Putzeimer Platz haben.
Es handelt sich bei dem Präparat im wesentlichen um ein
Megacolon sigmoides, das sicher seit langen Jahren bestand;
das beweist uns einmal die Atrophie des grössten Teiles des
rechten Leberlappens und andererseits die sehr bedeutende
Hypertrophie des Lobus caudatus, die wohl als kompen¬
satorische anzusprechen ist, ebensowohl als die Hypertrophie
der Wand, insbesondere der Muskularis der Flexura sig-
moidea.
^?er..^?nn muss sich trotz dieser Veränderungen ver¬
hältnismässig wohl befunden haben, denn er erreichte ein Alter
von 70 Jahren und wäre wohl wegen des Megakolon nicht
gestorben, wenn nicht der Genuss von Holzwolle einen abso¬
luten Darmverschluss verursacht hätte und er dann einer Auto¬
intoxikation erlegen wäre.
Der Fall muss dem immer noch heftig umstrittenen Kapitel
dei Hirschsprung sehen Krankheit zugerechnet werden
und zweifellos sind hier in der kongenitalen Länge der Flexur
und in dem Volvulus derselben die Faktoren zu suchen, die zu
den übrigen Ei scheinungen: der Hypertrophie und Ausdehnung
des S romanum, Atrophie der Leber und auch zu der Obsti¬
pation Anlass gegeben haben, von der wir zwar aus der
Anamnese nichts erfahren konnten, für die aber die Ver¬
dickungen und Auflagerungen des Mesosigmoids als Zeichen
peritonealer Reizung und dann aber Analoga in der Literatur
sprechen.
Dass es sich hier um einen sehr seltenen Fall handelt, be¬
weist die Tatsache, dass in der Literatur nur ganz wenige
Fälle bekannt sind, bei denen Leute mit derartigen Befunden
em so hohes Alter erreichten. Besonders interessant aber ist
die bedeutende Atrophie der Leber, von der Verse 1909
angibt, dass er wohl den ersten Fall beschreibe; von einer
kompensatorischen Hypertrophie derselben ist mir in der
Literatur überhaupt nichts bekannt geworden.
Technik der Furunkelbehandlung — zugleich meine
eigene Krankengeschichte.
Von Dr. Fried, Stabs- und Regimentsarzt im 12. bayer. Feld-
Artillerieregiment.
von j um 19 12 bis November 1913 litt ich sehr an Furunkeln
Krankheitsursache: Verschleppung, weil ich die Fortsetzung eines
Reitkurses am herrlichen Bodensee und in der Folge die Fortsetzung
meines Dienstes als Truppenarzt zu Pferde und bei den Herbst-
uburigen gewaltsam erzwingen wollte. — Ich mag wohl an die
200 Furunkel gehabt haben.
Ergebnis der Beobachtung und Behandlung: Hefe- und Arsen-
kuren — ebenso rein pflanzliche Ernährung — sind völlig zwecklos.
Heisse Bader und heisse Breiumschläge bewirkten wohi erhebliche
Linderung und rasche Reifung der einzelnen Krankheitsherde, jedoch
auch Ausbreitung und Aussaat von Krankheitserregern auf der durch
die Behandlung weich und wund gewordenen Haut.
einfachste, schnellste, billigste und angenehmste ört¬
liche Behandlung empfand ich das Salizylseifenpflaster 1). Mit irgend
einem gut klebenden Heftpflaster, z. B. mit Leukoplast, auf der
Vprhn nHpCS ZClgt. CS a*16 Vorzuge eines idealen, erweichenden
Verbandes in knappsten Massen.
Durch die Behandlung werden die Krankheitsherde gut abge¬
schlossen und die Eitererreger gebannt, gleichwie durch Jod und
Mastisol. The Technik ist auch für Sanitätsmannschaften sehr leicht
erlernbar. Erneuerung der alten Pflaster nach 12—36 Stunden: Auf-
weichen der alten Pflaster und Entfernung der Klebstoffreste mit
^?hr.yieJ Venz,n- — Nachwaschen mit Brennspiritus (Keimtötung)
Diefi.e Jj-chmk muss ein Abwaschen, ein Abspülen, ein Auflösen sein
— Drucken und Reiben ist em Kunstfehler. Das Salizylseifenpflaster
S°Jr-°SSu ZUa n,e.hmen’ dass es aus gesunder Haut heraus über den
Krankheitsherd hinweg wieder weit in gesunde Haut hineinreicht
Ergänzt werden* ^ ^ ^ Kraftwagen und aus Flugzeugschuppen
J) Aus der Stadt¬
lau, Nikolaistrasse 46.
Pflaster.
und Hospitalapotheke zu Allerheiligen. Bres-
— Man verlange „extra dick" gestrichenes
2240
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Bei bösartigen und bei fortschreitenden Furunkeln, besonders
des Gesichtes und bei Lymphgefässentzündung ist Eröffnung mit
Messer oder Gliihstift notwendig.
Die sonst so nützliche Saugglocke dürfte im Felde zu viel Zeit
und Umstände erfordern.
Bei ausgebreiteter und bei bösartiger Furunkulose wirkt die
Vakzinebehandlung Wunder.
Bei mir selbst kamen trotz sorgfältigster örtlicher Behandlung,
trotz grösster Reinlichkeit und geradezu verschwenderischem Um¬
gehen mit Leib- und Bettwäsche iVt Jahre lang immer wieder
Rückfälle — bis ich 4 Tage vor Beginn der Herbstübungen 1913
ausser stände, mit 6 grossen, bösartigen Furunkeln (am Ansatz des
rechten grossen Beiziehermuskels und in der Schambeingegend)
weiter zu reiten, mit Opsonogeneinspritzungen 2) begann. Sämtliche
Furunkel heilten noch während der Manöver.
Ich konnte den ganzen anstrengenden Dienst zu Fuss und zu
Pferd mitmachen. Die allgemeinen gesundheitlichen Verhältnisse
waren fiir mich recht ungünstig (verregnete Biwaks und 8 Durch¬
nächte, in welchen ich nicht aus den Kleidern kam. Wäschewechsel
war nur jeden 3. Tag möglich.
Nach den Manövern bekam ich einen Rückfall der Furunkulose,
weil ich die Vakzinebehandlung zu früh ausgesetzt und irrtümlicher
Weise geglaubt hatte, eine Staphylokokkenantigensalbe hätte die
Besserung bewirkt.
Von nun ab führte ich die Opsonogenbehandlung energisch und
regelmässig durch. Ich bekam dann zwar noch vereinzelte Nach¬
zügler, aber diese verliefen alle ungewöhnlich mild (Erweichung und
Verflüssigung binnen wenigen Tagen — ohne Zuhilfenahme von
Messer und Glühstift).
Nun bin ich im 11. Monat völlig frei von Furunkeln, trotzdem ich
fast täglich geritten, viel Sport getrieben, jedenfalls viel geschwitzt
und meine Haut gar nicht geschont habe.
Im Frühjahr 1913 bekam ich bei Rekrutenuntersuchungen Krätze
mit so unerträglichem Juckreiz, dass ich dem Kratzen nicht wider¬
stehen konnte — aber die gefürchteten Furunkel blieben aus. Jetzt
im Krieg kam ich von Mitte August bis Anfang Septemner — 3 Wo¬
chen lang — weder zum Baden noch zum Wechseln der Wäsche. Trotz
dieser Unsauberkeit, auch trotz Durchfall und unvermeidlicher Be¬
schmutzung der Wäsche, trotz Hundstagshitze und trotz täglichem
Reiten bekam ich keinen Rückfall.
Bei einem an ebenso hartnäckiger Furunkulose wie ich leiden¬
den älteren Verwandten wurde derselbe günstige Erfolg erzielt.
Von 6 weiteren, mit O. scheinbar geheilten Kranken fehlt mir
wegen des Krieges weitere Nachricht.
0. ist vollkommen unschädlich. In den ersten Tagen der 0.-
Anwendung gibt es scheinbar eine vorübergehende Verschlimmerung
(„negative Phase“).
Behelfsarbeiten, Improvisationen, Glühstift.
Fähnrich K. hatte seit 1. IX. 14 Schmerzen in der rechten
Kniekehle. Am 2. IX. 14 morgens konnte er es nicht mehr aus-
halten, er hatte heftige klopfende Schmerzen in der reciiten Knie¬
kehle, dazu Lymphgefäss- und Lymphdrüsenentzündung.
Wasser und bewohnte Häuser waren weitab. Aseptisches und
antiseptisches Arbeiten mit dem Messer unmöglich. Deshalb wurde
der Abszess mit dem Gliihstift eröffnet.
Ein Hufnagel wurde in einem Kochgraben glühend gemacht und
mittelst einer Schmiedezange quer durch einen Flaschenkork ge¬
steckt. Der Kork diente beim Halten des „Thermokauters“ als
schlechter Wärmeleiter.
Beim Anbohren des Abszesses kam Eiter. Von der ersten
Oeffnung aus wurde dann noch viermal der glühende Nagel nach
unten, oben, innen, aussen eingeführt.
Die Entspannung des entzündeten Gewebes war nun eine so
wesentliche, dass der mit Verbandpäckchen versehene Kranke sofort
aufstehen und von seinen Schmerzen befreit im Schritt 1 Stunde
weit zu einer rückwärtigen San-itätsanstalt reiten konnte.
Wie ich aus mehrfacher Erfahrung am eigenen Leibe weiss. ist
die günstige Wirkung dieser Behandlung wirklich ganz erstaunlich.
Der Gliihstift tut nur im ersten Augenblick weh. Die Wiederholung
des Verfahrens ist (nach Zerstörung der oberflächlichen Hautnerven¬
enden?) nicht mehr schmerzhaft.
Desinfektion des Thermokauters: Er wird für wenige Augen¬
blicke in die Glut gelegt: Dabei verbrennt der Eiter, der Kork
wird aber nur ein wenig angekohlt und ist weiterhin verwendbar.
* * *
Bei der Notwendigkeit, mit Verbandmitteln zu sparen, möchte
ich auf den I eibgiirtcl (ceinture) der Franzosen aufmerksam machen
— zum Aneinanderwickeln der Beine bei Knochenbrüchen, als Deck¬
verband bei Bauch- und Brustverletzung. Es empfiehlt sich halbe
Breite zu nehmen (Der Gürtel ist mehrere Meter lang und etwa
eine Elle breit.
* * *
2) Opsonogen 100- und 500 millionenfach (l ccm enthält 100 oder
500 Millionen abgetötete Staphylokokken). Am 1. Tage werden
100, am 3. 100, am 5. 300, am 7. 500 Millionen O. eingespritzt.
Im übrigen sei auf die Gebrauchsanweisungen der Herstellerin, der
Chemischen Fabrik Güstrow (Mecklenburg) verwiesen.
Nr, y
Unterarmschiene: Gerade Fichtenzweige, Stamm oder Wip
eines jungen Bäumchens werden ausgeästet und dann zu zweit od
dritt nebeneinander gelegt. Eine graue Halsbinde wird ausgebrei:
und dann um die Zweige gewickelt. Das gibt biegsame und ras
herzustellcnde Schienen. (Die an der Naht aufgeschnittenen Aern
dienen nach Anlegung des Wundverbandes als Polster.)
Neue Apparate zur Schreibkrampfbehandlung*).
Von Dr. O. B. Meyer, Nervenarzt in Würzburg.
Unter Sehreibkrampf verstehen wir eine Anzahl differe
zierter Störungen des Schreibens. Es werden spastisch
paralytische, tremorartige Formen unterschieden, zu denen s
vierte nach Gowers eine neuralgische hinzukommt. 1
folgenden werden wir uns mit der spastischen Form, mit de
eigentlichen Schreib-„Krampf“, befassen. Auch hier werdi!
verschiedene Modifikationen beobachtet, je nachdem es sid
z. B. um Beuge- oder Streckkrampf der Finger-, der Unte
arm- oder Oberarmmuskulatur handelt. Hierüber wird in d*
Literatur ausführlich berichtet. Ich verweise auf das Kapit
„Beschäftigungsneurose“ in der Realenzyklopädie der g
samten Heilkunde, wo Remak die Frage bespricht und a;
dasselbe Kapitel in Oppenheims Lehrbuch der Nerve:
krankheiten, ferner auf die Besprechung dieses Themas vc
T. Cohn im Handbuch der Neurologie von Le war
d o w s k y Bd. I, 2. Teil.
Meine therapeutischen Versuche werde ich an zwei Be
spielen darlegen und andere einschlägige Behandlungsmethodi.
gelegentlich kurz streifen. Als erstes Beispiel wähle ich d
Erkrankung des 21 jährigen Notariatsgehilfen S. Ich werc
mich hier nur auf die Wiedergabe der wesentlichen Punk
beschränken und auf den Nervenstatus im übrigen nicht eil
gehen. Beim Schreiben traten schmerzhafte Gefühle im Ar
auf, so dass Patient berufsunfähig wurde. Ich gebe Ihnen hif
zunächst eine Schriftprobe wieder, die Patient bei seine
ersten Besuch in der Sprechstunde im Juni 1910 aufzeicl
nete **). Zu dieser möchte ich bemerken, dass sie vom Pa
mit einem besonders dicken Halter geschrieben wurde, der
den Schreibwarenhandlungen für solche Zwecke verkau
wird. Ohne diesen Halter war er meist nicht imstande, mel
als einen oder zwei Buchstaben zu Papier zu bringen.
Die nähere Beobachtung ergab, dass hier ein Beugekrampf dt
Finger kompliziert mit einem Supinationskrampf der ganzen Han
vorlag. Es wurde
für diesen Fall der
Apparat angefertigt,
den Sie hier im
Bilde sehen (Fig. 1).
Die konvex gestal¬
tete Prothese, die
ungefähr die Form
einer Muschel hat.
füllt die Konkavität
der Hohlhand aus.
Der laterale (ul¬
nare) Bestandteil der
Muschel ist etwas
erhöht und so ge- F,g-
eignet der Drehung
der Hand durch den Supinationskrampf entgegenzuwirken. Die Finge
liegen in den Interphalangealgelenken gestreckt und in den Metakarpo
phalangealgelenken gebeugt auf dem Apparat auf. Der Fedcrhalte
steckt in einer Röhre, ist distal- und proximalwärts verschiebbar um
durch eine Schraube festzustellen. Durch ein Gummizugband, da'
über den Handrücken läuft, wird der Apparat an die Vola manu
angehalten. Die Patienten müssen sich natürlich zunächst an dei
Apparat gewöhnen. Etwa 14 Tage nach der Anfertigung schrieb mi
Pat. einen Brief.
Ich bin nicht berechtigt, den Namenszug wiederzugeben, was be
dauerlich ist, da durch Vergleich derselben Worte die erzielte Bessernd;
besonders sinnfällig wird. Nach einer gesprächsweisen Mitteilum
des Bruders des Pat. im Mai 1912 hat er zwar, wozu ich ihm auch h
Rücksicht auf sein jugendliches Alter geraten habe, seinen Bern
gegen einen solchen vertauscht, in dem er weniger schreiben muss
Pat. soll jetzt aber auch ohne Apparat schreiben können.
*) Nach einem Vortrag in der 7. Jahresversammlung der Ge
Seilschaft deutscher Nervenärzte in Breslau am 30. September 1913
**) Anm. des Verf. bei der Korrektur: Die Abbildungen <k
Schriftproben von Fall I sind auf Anordnung der Redaktion in Weg
fall gekommen] die Schriftprobe in Fig. 4 ist wesentlich gekürz
worden.
17. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2241
i • betrifft den 44 jährigen Bureaubeamten der
rv ^tseisenbahn, K. H„ der im Januar 1912 zur Behand-
"c tdlt 'rul in ^"^ St0ri'^Cn ha!tCn sich vor etwa 2 -Hihrcn ein-
kCSu cn r n c er( °irt 'n]mcr mehr verschlimmert. Eine Schrift-
f dor Al'f”ahme in die Behandlung sehen Sie hier
(big. .). Nach wenigen Zeilen versagt die Hand ihren Dienst. Die
Fig. 2.
uia'yse dieses Schreibhramptes ergab Streckkrampf im Zeigefinger
nd v treck- und Abduktionskrampf im Daumen, so dass die Finger
ach kurzer Zeit vom Eederhalter abkamen. Ferner stellte sich
le.chzeitig Pronationskrampf der Hand ein. Die Prothese, die, wie
le aus der Abbildung 3 erkennen, eine feste Kapsel in Form eines
.Fig. 3.
Fig. 4.
Jel L" Handschuhes darstellt, verhindert vor allem den Extensions-
hrVihcin tl0n?r?m^ de£. genannten Finger. Sie hält sie in der
fCSt Der Federhalter ist in seiner Führung in den
ni™ Richtungen verschieblich wie beim ersten Apparat, jedoch ist
olge strenger Einpassung eine Feststellung durch Schraube nicht
,'«• R -f ,, age nach Anfertigung des Apparates schrieb mir Pat.
ui Brief, dessen Schriftzüge kaum mehr eine krankhafte Verände¬
rt r^r,WHSe"' AlIu teuinem anderen> etwas später geschriebenen
ier reproduziere ich Ihnen hiermit eine Schriftprobe (Fig. 4). Es
; uJDnHeneir Siej den ,?cbIuss eines volle zwei Folioseiten
"5 i?C-hrftf u?kel darstellt und dass im Vergleich mit dem
lang aes Briefes keine Ermüdungserscheinungen in der Schrift nach-
Aeisen sind. Zu dem Vortrage selbst habe ich Aufnahmen der
lete im ganzen in Lichtbildern gezeigt, nebst einigen anderen, hier
Km ze wegen nicht wiedergegebenen Bildern von Apparaten und
riftproben. Zuletzt hatte ich Gelegenheit Herrn H. im März 1913
sprechen. Er Kann auch ohne die Kapsel jetzt leidlich, jedenfalls
■ser als früher, schreiben. Er ist mit dem Apparat, den er ständig
lutzt, sehr zmrieden, da er ohne ihn seinen Beruf hätte aufgeben
ssen. Uebrigens hatte auch dieser Pat. mit einer im Handel be¬
lachen Vorrichtung, nämlich einer Korkkugel, durch die der Feder-
er lundurch^esteckt wird, seine Schrift zu verbessern gesucht
och nur mit geringem und jedenfalls nur ungenügendem Erfolg’
ae Kranke liess ich zuvor Versuche mit dem N u s s b a u m sehen
nband machen, das sich aber für diese Fälle, wie übrigens auch
' ani!er~n Schreibkrampfkranken als völlig untauglich erwies.
Lieber die I echnik, auf der die Besonderheit der hier vorge-
lagenen Behandlungsmethode beruht, sei folgendes bemerkt. Es
' i "V* ,ein(£ plas.tischen, nach kurzer Zeit erstarrenden Masse ein
iiruck der Hand in Schreibstellung genommen, wobei die gegen die
■ ziehe Krampiform gerichteten Widerlager entsprechend geformt
' den bzw. werden mehrere Abdrücke in mehreren Sitzungen, um
■ Kranken nicht allzusehr zu ermüden, gemacht und der beste zur
ertigung des Apparates ausgewählt. Die Masse wird nach folgen-
h Rezept1) hergestellt.
^ Abdrucksmasse (Stentsimitatio n).
YVeisser Manilakopal 30 Teile
Französisches Kolophonium 30
Weisses Karnauba wachs 10
Reine Stearinmasse =;
Talkum 75
Perubalsam 2V2
■ E”,ie ahHTliche Abdruckmasse kann fertig in den sog. Dentaldepots
r dem Namen Stentskomposition bezogen werden2). Der Ab-
k wird mit Gips ausgegossen und dieser Abguss mit Kautschuk
L.^ A- S e il 1 a c e k: Chemisch-technische Rezepte und Notizen
Die Zahnpraxis.
Nr. 46.
berzogen bzw. ausgekleidet, natürlich entsprechend den Teilen der
, 1 f dcr flitze oder hülsenartiger Umkleidung bedürfen. Der
StÄC,1Uk ™,ir^ vuIkanisiert und hierauf poliert. Die Polierung ist
P- lY-fi* darnv d,!r Apparat beim Schreiben leichter über das
apier gleitet. Die Prothesen sind ziemlich leicht; die Ihnen hier
a„25?£e WI|C*-t Ct'V* 7,0g' Wenn auch diese Vorrichtungen im
Zeh vi ih relatlv . einfach sind, so erfordert doch die Ausführung
Fa c h, l!'1 C"ure,S |cchnisfclies Geschick. In einem späteren
bei dem, das Widerlager für die Hand gleichzeitig mit einer
nmsllekChnIpndS^ hnha n .übcrSrcifenden Vorrichtung vereint werden
c_t>‘ • ’ . ?,n S19.b allcrdings anfänglich nicht geringe technische
Schwierigkeiten, die sich aber vollkommen überwinden liessen.
Wie schon in den Krankengeschichten erwähnt, betrafen
die Krampfe der beiden hier beschriebenen Fälle Muskel¬
gruppen mit verschiedenen Funktionen, wie Beugekrampf der
zum Schreiben gebrauchten Finger plus Supinationskrampf
r! Streckkrampf der Finger plus Pronationskrampf.
Auch in anderen solchen Fallen meines allerdings nur kleinen
Materials # habe ich meist ähnliche Kombinationen in der Er¬
krankung von Muskelgruppen angetroffen.
F,,,?1? aTgebe^ F.rothesen eignen sich für hartnäckige
Falle, bei denen Krampfe in den Fingern, in der Hand und
allenfalls im Vorderarm in Frage
kommen. Ist die Muskulatur des
Oberarmes bzw. der Schulter er¬
griffen, so werden die Prothesen
meist versagen, wie leicht begreif¬
lich ist und wie ich mich in einem
Fall überzeugt habe. Dies er¬
gibt sich aber schon bei
dem Versuch, den Ab¬
druck herzustellen. Die
Prothesen sind ferner nicht ange¬
zeigt für Fälle von Schreibtremor.
n ., , Wenn R e m a k (I. c.) komplizierte
t rothesen zur Behandlung ablehnt und rät, mit einfachen Vor¬
richtungen sich zu begnügen, so ist demgegenüber zu sagen,
dass in meinen Fällen mit einfachen Vorrichtungen vergebliche
oder unzulängliche Versuche bereits von den Kranken selbst
gemacht worden waren. Auch sind die von mir konstruierten
1 rothesen an sich nicht kompliziert.
In der Diskussion zu diesem Vortrag bekannte Boetti-
^ e r _ Hamburg seine Gegnerschaft gegen alle Prothesen und
empfahl Uebungstherapie (Schreibgymnastik). Er räumte aber
ein, dass in hartnäckigen und vergeblich behandelten, Fällen und
besonders bei mehr als 40 jährigen Personen Apparate an¬
gezeigt wären. Demgegenüber möchte ich betonen, dass die
e Forderung für meinen zweiten Fall ohne weiteres zu¬
trifft und dass mir bis jetzt nur verzweifelte, mehrfach ander-
weitig behandelte Fälle zugingen. Auch scheint es mir nicht
unwesentlich zu sein, dass die Behandlung mit Schreib¬
gymnastik und Massage meist Monate in Anspruch nimmt und
dass andererseits der Schreibkrampf meist Leute befällt, die
sich eine kostspielige, langwierige und auch mit langdauernder
Berufsstörung einhergehende Behandlung nicht leisten können
Meine Patienten waren fast durchweg Beamte in gering be¬
zahlten Stellungen, in denen vieles Schreiben gefordert wird
Bei meiner Behandlungsmethode konnte in 4—5, längstens
innerhalb 14 lagen hinlänglich oder sogar wieder gut und flott
geschrieben und die berufliche Arbeit wieder ausgeiibt werden.
Lei dei von der Mehrzahl der Autoren als sehr ungünstig ge¬
schilderten Prognose des Schreibkrampfes, der z. B. in" dem
zweiten Fall zur vorzeitigen Pensionierung geführt haben
wurde dürfen, die erzielten Erfolge als besonders erfreulich
bezeichnet werden.
Zusammenfassung; Die Besonderheit der hier an-
gegebenen Methode beruht auf dem Prinzip, Abdrucke mit
plastischer Masse von der erkrankten Hand in Schreibstellung
unter entsprechender Formung von Widerlagern bzw. hülsen-
iormigen Vorrichtungen zu nehmen und hiernach die Prothesen
aus Kautschuk oder auch aus einem anderen Stoffe wie Zellu¬
loid etc. anzufertigen. Die Apparate sind also je nach der
w.. "} D>e Herstellung der Apparate hat die Firma H. Katsch
bSfe Paawtr' i8 ubern?mm5n, die darauf einen Musterschutz
,.e nl.k a 1S‘ Patentamte erworben hat. Durch die Firma gelangt auch
die Masse für den Abdruck und eine ausführliche Anleitung zur Vor¬
nahme desselben zur Versendung.
2
2242
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4(
Form des Schreibkrampies und der Hand von einander
wesentlich verschieden. Den speziellen Wert der Methode
sehe ich in der Möglichkeit strenger Individualisierung und
feinerer Anpassung in die Hand, als wie sie mit den bisherigen
Prothesen erreicht werden kann. Nach meinen Erfahrungen
sind meine Apparate in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
des eigentlichen Schreib-„Krampfes“ mit gutem Erfolge zu ver¬
wenden.
- - .. • • > ‘ . So ^ og==^« • •• -
Die Eröffnung der Universität Frankfurt a. Main
am 26. Oktober 1914.
Am 10. Juni 1914 vollzog der Deutsche Kaiser durch Unter¬
schreiben der Kabinettsordre im neuen Palais die Gründung der
Universität Frankfurt a. M.
Im Herbst 1914 sollte die alma mater francofurtensis ihre Pfor¬
ten den Studierenden öffnen, nachdem für den Jahrestag der Völker¬
schlacht bei Leipzig, den 18. Oktober, die Eröffnungsfeierlichkeiten
festgesetzt waren, denen der Kaiser beiwohnen wollte.
Da kam im Sommer 1914 der grosse Krieg, der alle wehrfähigen
Deutschen zu den Fahnen rief. Auch in Frankfurt selbst glaubte man
anfangs kaum, dass die neue Universität während des eben erst
hereingebrochenen Krieges ihre Pforten öffnen werde. Allein schon
der 8. August 1914 brachte die kaiserliche Entscheidung, nachdem
der Kaiser am Tage der Mobilmachung, am 1. August 1914, die
Satzungen der Universität unterschrieben hatte; in aller Stille sollte
die Arbeit aufgenommen werden.
Dem tiefen Ernst der Zeit entsprechend fand am 26. Oktober
1914 schlicht und ohne allen äusseren Prunk in der Mittagsstunde die
Eröffnung der Universität Frankfurt a. M. in der Aula statt.
Als einziger Redner begrüsste der erste Rektor der Universität,
Prof. Wachsmut h, die Dozenten und Studenten in feierlicher An¬
sprache.
Er gab in gedrängter Kürze ein Bild von dem Werden der Uni¬
versität die im Verein mit grosszügigen Stiftungen Frankfurter Bür¬
ger der nie erlahmenden Tatkraft des Alt-Oberbürgermeisters
A d i c k e s ihre Existenzmöglichkeit verdankt.
Mit den Worten: „Wir Deutsche sind in das Spiel der Welt¬
kräfte gestellt, um sittliche Tüchtigkeit nicht für uns, sondern für die
ganze Menschheit zu erarbeiten, zu bewähren; wir wollen mit den
Waffen des Geistes kämpfen, damit der deutsche Name nicht unter¬
gehe und wollen uns unserer wackeren Kameraden, die siegreich vor
dem Feinde stehen, würdig erweisen“, schloss der Rektor seine
eindrucksvolle Rede.
Besonderen Widerhall fand die Verlesung des kaiserlichen Tele¬
gramms und das Glückwunschschreiben des Kultusministers, die als
kulturhistorische Dokumente für alle Zeiten ein wertvoller Besitz der
Universität sein werden.
Auf eine Meldung, die die Vertreter der Universität an den Kaiser
zum 18. Oktober 1914 gerichtet hatten, erhielten Rektor und Senat
folgendes Telegramm:
Grosses Hauptquartier.
Ich danke herzlich für die Meldung, dass die dortige Universi¬
tät ihre Arbeit jetzt beginnen wird. Gern hätte ich am heutigen
bedeutungsvollen Gedenktage die hochherzige Stiftung Frank¬
furts und seiner opferwilligen Bürgerschaft persönlich eingeweiht.
Die notwendig gewordene Verteidigung des Vaterlandes gegen
ruchlose Angriffe unserer Feinde hat mir dringendere Pflichten auf¬
erlegt. Meine wärmsten Wünsche geleiten die neue Pflanzstätte
deutscher Bildung und Wissenschaft. Möge sie aus der ernsten
Zeit ihrer Begründung heraus sich zu kräftiger Blüte in glück¬
licheren Tagen entwickeln. Möge die treue Arbeit der Lehrer
und der Fleiss der zu ihren Füssen sitzenden deutschen Jugend
allezeit getragen sein von dem Geiste einmütiger Liebe zum Vater¬
lande, der jetzt unser deutsches Volk so stark und unbesiegbar
macht.
Gott der Herr aber segne Frankfurt und seine Bürgerschaft,
gez.: Wilhelm R.
Der Kultusminister sandte folgendes Glückwunschschreiben:
Berlin, den 21. Oktober 1914.
Der Universität zu Frankfurt a. M. entbiete ich bei Ueber-
sendung der von Seiner Majestät dem Kaiser und König Aller¬
höchst vollzogenen Errichtungsurkunde und Satzung meine herz¬
lichsten Glück- und Segenswünsche. In grosser, ernster Zeit
tritt die neue deutsche Hochschule, die der Opferwilligkeit Frank¬
furter Bürger ihre Entstehung verdankt, an die Seite ihrer älteren
Schwesternanstalten.
Ihre Satzung trägt das weltgeschichtliche Datum des 1. August
1914, des Tages, an dem der Kaiser zur Verteidigung des Vater¬
landes die Mobilmachung des deutschen Heeres und der deutschen
Flotte anordnete.
Die akademische Jugend ist in grosser Zahl zu den Fahnen
geeilt, und viele Lehrer der Universität stehen im Westen und
im Osten vor den Feinden im Feld. Da werden die Hörsäle „ruhm¬
voll verödet“ sein, jene „fausta infrequentia“ aufwefsen, die nac
den Worten August B o e c k h s die Universität Berlin in den Frei
heitskriegen zierte. Aber die Zurückgebliebenen werden nun auc
an der neuen Stätte wissenschaftlicher Lehre und Forschung ii
Herzen Deutschlands in treuer Pflichterfüllung ihre Arbeit aut
nehmen. Auch das ist Dienst am Vaterlande.
Jeder Mann auf seinem Posten. Und so möge dit
wenngleich kleine Zahl der Lehrenden und Lernenden sich de
auch der Universität Frankfurt a. M. obliegenden Aufgabe widmen:
Die geistigen und sittlichen Werte menschlichen Lebens mehre
zu helfen, vor Augen den Imperativ der Pflicht, im Herze
den felsenfesten Glauben an die Zukunftsmacht de
deutschen Volkes.
gez. : von Trott zu Solz.
Mit besonderen Schwierigkeiten bei der Einrichtung der Vor'
lesungen hatte die Medizinische Fakultät zu kämpfen. Sind doch nicli
weniger als 10 der neuernannten Professoren zu den Fahnen geeilt
E 1 1 i n g e r (Pharmakologie), Embden (Physiologie), Fische
(Pathologie), Goeppert (Anatomie), v. Mettenheim er (Kin
derheilkunde), Neisser (Hygiene), Rehn (Chirurgie), Sch wen
kenbecher (Innere Medizin), Strasburger (Innere Medizin
W a 1 1 h a r d (Gynäkologie), ebenso wie mehrere der Herren, die ali
künftige Privatdozenten für Vorlesungen in Betracht kamen.
Es gelang der Fakultät 2 der obengenannten Herren, bei dene:
es ihre militärischen Verhältnisse möglich machten, für die Universi;
tat zu reklamieren (Ellinger, Walthard).
Dadurch, dass die Professoren Quincke und v. N o o r d e :
die klinische Vorlesung über innere Medizin, Prof. L u d 1 o f f di*
chirurgische Vorlesung übernahmen, indem ferner einzelne Vertrete
der klinischen und Institutsdirektoren mit der Abhaltung von Vor
lesungen betraut wurden, gelang es für fast alle in Betracht kommen!
den Fächer Vorlesungen einzurichten, so dass zurzeit in der gesamte])
Medizin ein regelrechter Unterricht ermöglicht ist.
Zum Dekan der medizinischen Fakultät wurde Prof. Ellingc
ernannt, Schriftführer ist Prof. Schnaudigel.
Bisher (4. XI. 14) wurden 80 Studenten der Medizin (daruntc
22 Kandidaten der Medizin) immatrikuliert.
Ohne feierliche Einleitung haben die Vorlesungen in den Kliniker
und Instituten begonnen.
So darf die jüngste Universität Deutschlands, die in so aussei
gewöhnlicher Form und in so ernster Zeit eröffnet wurde, hoffen, dei
deutschen Wissenschaft eine Bereicherung, der deutschen Jugeiu
eine willkommene Bildungsstätte zu sein. D.
Bücheranzeigen und Referate.
A. Beythien, C. Hartwich und M. Klimmer: Handbuct
der Nahrungsmitteluntersuchung in 3 Bänden. Vollständig ii
30 Lieferungen ä M. 2.50. Verlag von Chr. Herrn. T a u c h n i t z,
Leipzig.
Von dem Handbuch der Nahrungsmitteluntcrsuchung liegt dei
1. chemisch-physikalische Teil, welcher die Lieferungei
1 — 10, 12, 14, 15, 18 — 20 umfasst und von A. Beythien bearbeitet
wurde, fertig vor. Der Band zählt über 1000 Seiten und enthält, zu¬
mal vom Kleindruck ausgiebiger Gebrauch gemacht wurde, eine unge¬
mein grosse Menge wissenschaftlichen Materials. Da das Buch keine
Nahrungsmittelkunde sein will, sondern ein „unbedingt zuverlässigeii
Ratgeber im Laboratorium“, so ist das Hauptgewicht auf die Me¬
thodik gelegt. Mit präziser Schärfe hat Verf. die Spreu von den
Weizen gesondert, d. h. in kritischer Sichtung das in den Vorder¬
grund gestellt, was zweckmässig ist und sich als praktisch brauch¬
bar, sicher und als einfach erwiesen hat. Dabei sind aber auch
ältere oder weniger häufig angewendete Methoden ebenfalls be¬
sprochen und angeführt, um den Untersucher selbst Kritik üben zu
lassen. Der hohe Wert des Buches liegt aber auch darin, dass tieii
Autor sein Buch von Anfang bis zu Ende selbst mit seinen Er¬
fahrungen und Ratschlägen begleitet, so dass es nicht nur ein Kom-
pilatorium fremden Gutes ist, sondern ein grosses Stück geistiger1;
Arbeit des Verf. selbst. Hervorzuheben ist ferner die ausgezeichnete
Uebersicht und Klarheit in der Darstellung und die fortwährenden:
Hinweise auf die Literatur, die das Eingehen auf speziellere Sachen!
ungemein erleichtern. Alle Methoden sind so exakt beschrieben, das>
ohne Zuhilfenahme anderer Bücher sofort danach gearbeitet werden
kann.
Der Inhalt erstreckt sich auf die Untersuchung des Fleisches.
Wurstwaren, Fleischextrakte u. dergl., Fischwaren, Eier und Eier¬
konserven, Milch, Milchkonserven. Käse, Speisefette und -öle, Ge-
treidekörner und Leguminosen, Mehl, Griess und andere Mahlpro-
dukte, Brot und Backwaren, Teigwaren, Presshefe, Gemüse und Wur¬
zelgemüse, Gemüsekonserven, frisches Obst, Fruchtsäfte, Frucht-
syrup und Fruchtgelees, Marmeladen u. dergl., alkoholfreie Getränke.,
Honig, Wachs, Zucker und Zuckerwaren, künstliche Süssstoffe, Bier,
Wein, Branntwein und Liköre, Essig, Gewürze, Kaffee und deren
Surrogate, Thee, Kakao und Schokolade, Wasser, Gebrauchsgegen¬
stände, Harnuntersuchung.
Ein Kapitel über Luftuntersuchung wurde von B e h r e, die Aus¬
mittelung von Giften von Hans H e m p e 1 bearbeitet. Ein ausführ¬
liches Sachregister schliesst den Band.
17. November 1914.
Ausstattung des
Papier alles getan wurde darf d is w.-ri- ersichtlichen Druck und das
S£""E dd™
R- O. Neumann - Bonn
Muenchener Medizinische Wochenschrift
2243
wSÄÄ
UebeÄSEjas“ ÄS« %*? $£*%£*?& %
StedSeden' OTpfoh“nk' wertS" Nta möchT' ‘„“"“Vf BOchlel" ka""
revisionsbedürftig Pu„We h?nwelsen ^te Referen‘ auf einlse
sentltteWmd'QesioSeiWtokKd-eS BucU“ “‘sprechen, „nr das We-
gunsten wichtigerer Dinge wie 7 H denf L-rhe,lslon’ wegfallen, au,
SHFiö
Ä n"h,AS0„f;i„wah„dfref"be'raCh' der ”°,w“dl‘“ ^
:eichSgeB„“C,r„dS",St'ch^ffi BÄ* Lehrb0chCT” übernommene
llpisilisli
chen Zwecken dienen soll, entgegensehen.
v. Stauffenberg.
1 e n ?iVI ® D„iiä t *ue ?beilage enthält einen Bericht von S c h e I-
bis I9li ^'^pr)pcr.tshain:IIDa,iererfo!gstatlstik über die Jahre 1909
D s 1911 Grund von Umfragen 1912 1913.
Liebe- Waldhof Elgershausen.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Tuberkulose. Band 23, Heft 1.
tUstä«eP„kEe„;iSn“eTn: Dle F“rS0r2e f“r die aus den
s^ispss
ikF'KFsS
in pp n h f3t dS1CK der Kräftezustand gehoben, der vorgeschrittene
ingenbefund aber nicht merklich gebessert. Diese sollen £ E
>rdenfap-SkeK dur,cfl häufige kurze Wiederholungskuren gestützt
steht aüfedem°Stiera Beachtu,ng erfordern die weiblichen Kranken
■ er aktiven ^"Standpunktedass nur der einwandfreie Nachweis
■"5; r d? - ää'äää
'* DfevSf“ Eriallr"n£e"
ttrihtrr^ l' b9de früh<rr ln Hohenhonnef, beschreiben unter
> thn i a Vr>n Krankengeschichten genau ihre motivierte Stich
, Z0de d,es Pneumothorax. Die Erfolge waren nicht sehr glänzend'
,wadhl /rpffil" geeigneten FälIen kann man nicht immer eine strenge
,P„ in ffCn’ sondern muss manchmal die Operation zumal sie
■h zu helfS°vereuchSlff V°rStelIt’ 3,8 letzte Mög,ichkeit vielleicht
lskraf?df/l!'oMeiS«ngenL Vntersuchu,,«en über die Desinfek-
iSberiSöser“ rstoffwaschmi ltte,s Persi> für die Wäschebehand-
Persn eignet sich nicht zur Wäschedesinfektion.
M Luwl^Äerg: Kreosot'’ Ka,k- Und Ph0Sph0r-
. hepSnonfcr,e Empfehlung eines Kreosotmittels nach folgendem Re-
j e inl n Sr'1" -6’0’, CaIc' glyeerino-phosphoric. 1,2,
'00,0. Aq’ 50,0 3dde SirUP' simnl” Sirup, cerasorum ää 60,0, Aq.
Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 44, 1914.
Gebrauch der" VertaÜd" JC0e„;Brall”s'=h»"^: Geber Sparsamkeit beim
zumaHe"zt°wähjendSdMS toferrmfTf1^ v*2?^-'56 der Verbandstoffe,
sparen, dass die Gaze- uSd MuMhiüL Ve' läs,s,‘ tich dad“reh ein-
nicht zu oft stattfinden soll mvi,t *?ind,en heim Verbandwechsel, der
dern abgewickelt und 24 s’fmi durchschnitten und verbrannt, son-
werden; am* anderen Tal tS„in die Lauge ,der Wäscherei gelegt
und sterilisiert- dann sinrliv • Cin sie nochmals gewaschen, gespült
er mit dwXfelT FerneTbeÄ Sfr Eb“s°
mittel. Ireendwelrhp tr viel die Scharpie als Verband-
Verf. nicht beobachtet "(seit 2?' JahJe.n)Ur? ?lSe- SParmethode hat
Wäscherinnen. p keine Infektionen bei
L. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
und ^eitschrift orthopädische Chirurgie. Bd. 24, Heft 1
Hose und KyUoskoliose0^ ZuStand der Rückenmuskulatur bei Sko-
von 3 skoliotische^Le'ichen'^deren0 Skelett0 h de-+ Rückenmuskulatur
Zschr. f. orth. Chir v™ L u Skelett bereits im Band 29 der
Muskelgruppe des normalen Mensd^n*6^ wurde‘ Jede einzelne
den Befunden an den skoliotischen I f4ri^lrd gen,au ^schrieben und
gestellt. Für jeden, der Sne sknlinH. i?" Tvergleichend gegenüber¬
wird diese Beschreibung eine unäiSH L?'che Präparieren will,
V i r c h o w s Ergebnissen gre ?P -^hrJ^he 9rundlage bilden. Von
flächlichen Rückenmuskeln cfnu lcb f?Igende heraus: Die ober-
tiefen dagegen zeigen^ Verkürzun^'und"^110 WCni5 verändert. Dta
anderungen sind sekundär durch den 5e”.eratc?n-, Diese Ver‘
gerufen und sind im ens-qp,,^! den Z.ustand des Skelettes hervor-
des Skelettes lokalisiert lft ri^wl"8 mit den Verschiebungen
Partien einerseits Folge der Skdettverlchth™® einzeIner Muskel-
seits wieder Ursache der weiteren Ve^hTrh^0 Wlrd si,e anderer-
fmdet nirgends eine nützliche AnnQC ers"b lechterung. Virchow
nisse“; die Muskeln halten nfpA p ?Ung ar? unSe wohnte Verhält-
angestammten Ansatzpunkten fest DarsÄ3"110?1 kxeit“ in ihren
dass die genauere Kenntnis ri;AC'„ ^as ^ckIusswort V l r c h o w s,
Verhältnisse die Indikationsstellumr hef dSeSeiRrnen^iich komPlizierten
Skoliosen noch mehr erschwe rt ift f?ir dJ BÄndIl?5g hochgradiger
Wahrheit. Mir scheint dass die tilfl te,J 0r hopäden eine bittere
der Rückenmuskulatur 'von hier aus weifer °fühfeT mJss PhysioIogie
des essentietn^es aSdauctus.InnSbrUCk; °ie °Perat've 'Behandlung
pädischen Qesdfscha'ft^ dCn XIk Kongress der Deutschen ortho-
"eUesSeRÜf dif Behandlung de* Ylfdens ^ ISChiaS U"d
Pädischen GeseeiShaUfter dCn X,IL Kongress der Deutschen ortho-
schen^ ModelHerstuhles." Dresden ' Ein neues Modell des Schanz-
werdenPSabSÜSSe fÜr QehaPParate sollen im Stehen modelliert
Synostose.3 aSZ~ Berkn; Zur Operation der kongenitalen Vorderarm-
pädischen (fesd^schaft.61^ de” XIk Kongress der Deutschen ortho-
mun2Ae'n.bt0ffeUMannheini: Z,lr Handlung der spastrschen Läh-
pädischen Qes^Üschaft61^ d6tl Xlk Kongress der Deutschen ortho-
nachLvcrnMayer'NewY0rk: Kongem'taIe Subluxation des Knies
InstituiesPräDarat aUS dGr SammIung des Münchener pathologischen
meisL avo?eanemCduychUndieeAnoerriar^dSbdrUriS: isr’ WJe überhaaPt
F” Je eBhehra3mT,Zle!i! M- SchWss??S,r0k"en"US bedlnSt'
sichten. Reposition 'bal/nach'"^^ Geh Wl/d’ wmS° grösser die Aus¬
blutige Operation Das Hairnfhind? b-Urt- tWenn sie erfolglos ist.
Ouadrizeps, der durch Tenoloffi? «Ä* '^,m?ist der verkürzte
rositas tibiae verfit Ä Ä durch Verlagerung der Tube-
Schlaffheit der hinteren Kapsel dÄ kann durch die
mentum cruciatinj, JSch ! AnomaS^ V°rderci1 Liga'
version der Femürepiphvse ZJ 9,eIe[lk,fIachen' durch Ante-
kne,SUc h l^R Werd,en' ■ AusfühJüchir^ÄStarSÄ. (GaStr°'
exaktes SkoliosemessverSen. Ei” HeUeS' eInfaches billiges und
pädischen6 GesdShaR6" dCn X'L Kongress der Deutschen ortho-
scheu Gelenkerkrank üngen! * ^ Dlfferentlaldia8nose der chroni-
2*
22 44
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 46
Siehe Referat über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
Schepelmann- Halle: Plastischer Ersatz bei Totaldefekt des
rechten Daumens.
Rin 5 cm langes Stück Fibula wurde reseziert und unter der
Haut des Abdomens eingeheilt, dort allmählich wieder mobilisiert
und am Metacarpus vernäht.
J 0 a c h i m s t h a 1 - Berlin : Ueber A b b o 1 1 s Methode der Be¬
handlung seitlicher Rückgratsverkrümmungen.
Siehe Referat über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
R. D e 1 o r in e - Halle: Ueber Veränderungen an den Epiphysen
bei Gelenktuberkulose.
Siehe Referat über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
G a u g e 1 e - Zwickau: Ueber Fettembolie und Krampfanfälle
nach orthopädischen Operationen.
G. unterscheidet zwei Formen der Fettembolie:
1. Die respirative Form, die einige Stunden bis lVs Tage nach
einem Redressement auftritt, unter Atemnot und Blaufärbung des
Gesichtes bei fadenförmigem Puls und Temperatursteigerung. Hier
wirkt die von Schanz empfohlene Kochsalzinfusion direkt lebens¬
rettend, so dass G. sie prophylaktisch anwendet. Jede Bewegung
also auch die Abnahme des Gipsverbandes, ist zu vermeiden.
Die 2. Form ist die zerebrale, die meist in direktem Anschluss
an die Narkose unter Pupillenstarre und Krampfanfällen auftritt.
Zu unterscheiden von diesen beiden Formen der Fettembolie
sind Krampfanfälle, die am 3. — 1 0. Tage nach dem Redressement auf-
treten unter Bewusstseinsstörungen, Pupillenstarre und erhöhter Tem¬
peratur. Sie werden fast nur nach der Einrenkung von Hüft-
luxationen beobachtet. Der Gipsverband ist sofort zu entfernen.
G. M ü 1 1 e r - Berlin: Ein Fall von Riesenwuchs.
Siehe Referat über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
.1. J b r a h i m - München: Die chronische Arthritis im Kindes-
alter.
Siehe Referat über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
Guido E n g e 1 m a n n - Wien : Rachitis der Wirbelsäule.
1. Röntgenbilder einzelner Wirbel. Die Knorpelfugen sind ver¬
breitert und unregelmässig, die stärksten Veränderungen sind am
Lumbalteil, das Wirbelloch ist herzförmig, der frontale Durchmesser
verkleinert, die Ossifikation zurückgeblieben.
2. Röntgenbilder der ganzen Wirbelsäule.
a) Ant.-post.-Aufnahmen: In der Mehrzahl zeigen sich links
totale Krümmungen, in einigen Fällen links lumbale mit Beginn einer
dorsalen Gegenkrümmung.
b) Seitliche Bilder zeigen stärkere Halslordose, Abflachung der
normalen Dorsalkrümmung und Kyphose an der dorsolumbalen
Grenze oder am 1. oder 2. Lendenwirbel. Unterhalb dieser Kyphose
ist die Lendenlordose vermehrt. Die Rachitis wird kaudalwärts
stärker. Das Vorspringen des ersten Lendenwirbels kann auch in
späteren Jahren als Zeichen einer früher überstandenen Rachitis
gelten.
A. S c h a n z - Dresden: Zur Aetiologie und Therapie der Ar¬
thritis deforinans.
Siehe Referat über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
Murk Jansen: Muskelbündellänge und neurogene Kontrak¬
turen.
Siehe Referat über den XII. Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft.
Alfred Saxl-Wien: Luxatio humeri voluntaria.
Der beschriebene Fall konnte beide Schultergelenke willkür¬
lich durch Anspannung der M. pectoralis und latissimus nach unten
ausrenken. Das Röntgenbild zeigte beiderseits eine Verbreiterung
der Humerusdiaphyse, die S. als alte Fraktur deutet, durch die
vielleicht eine Schädigung des Nervus axillaris, eine Parese des
Deltoides und Schlaffheit der Kapsel verursacht wurde.
Fr. Schede- München.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 44/45, 1914.
J. Veit-Halle: Das untere Uterinsegment und seine praktische
Bedeutung.
V. wendet sich gegen Sternberg, einen Schüler Aschoffs,
der angegeben, dass das Erkennen des unteren Uterinsegmentes nur
mikroskopisch möglich sei. V. erkennt die Dreiteilung des Uterus,
ebenso wie Asch off, an, er hält aber die Kenntnis des unteren
Uterinsegmentes für die Klinik für äusserst wichtig, vor allem um
das Drohen einer Uterusruptur zu erkennen und die Möglichkeit der
Technik der Hysterotomia anterior zu begreifen.
P. Z w e i f e 1 - Leipzig: Ueber das untere Uterinsegment.
Z. stimmt Veit in allen Punkten bei. Er findet den Ausdruck
Sternbergs „Isthmus“ für das untere Uterinsegment weniger
zweckmässig und schlägt dafür „unteres Korpussegment“ vor. Die
anatomische Dreiteilung des Uterus in Zervix, Isthmus und Korpus
am nichtgraviden Uterus hält Z. für bedeutungslos Dagegen kommt
dem Zwischenteil des Uterus während der Geburt sicher eine Be¬
deutung zu, vor allem bei der Erklärung der Uterusruptur und Pla-
centa praevia. Zum Schluss stellt Z. die jetzt unbestritten an¬
genommenen 8 Grundsätze über das untere Uterinsegment zusammen
die im Original nachgesehen werden mögen.
A. R i e c k - Altona: Ueber die Gefahren des Intrauterinstiftes
R. wirft Opitz vor, dass er gläserne, mit Drainlöchern ver¬
sehene Stifte benutzt habe. R. hat kurze, glatte, geknöpfte, metallene
Stifte empfohlen und ist nach wie vor von deren Unschädlichkeit
überzeugt. Als Vorbedingungen hierzu bezeichnet R„ dass der Stift
ärztlicherseits zur Erzielung regelmässiger und genügend starker
Perioden eingeführt werde, zweckmässig geformt sei und im Tragen
'vorn Arzte kontrolliert werde. J a f f e - Hamburg.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. XIII, 1914, Nr. 5.
E. Wieland- Basel : Ueber Bronchotetanie.
Die Bronchotetanie bildet einen scharf umschriebenen klinischen
und pathologisch-anatomischen Symptomenkomplex im Verlauf ein¬
zelner, besonders schwer verlaufender Spasmophiliefälle. Sie lässt!
sich anscheinend nur auf Grund des typischen Röntgenogramms der
Lungen von einer gewöhnlichen Pneumonie bei einem spasmophilenj
Kind unterscheiden. Ihre Prognose ist eine infauste. Die Zuverlässig¬
keit der klinischen Differentialdiagnose zwischen Bronchotetanie und
zwischen Pneumonie bei Spasmophilie auf Grund des Röntgeno¬
gramms erfährt eine erhebliche Einschränkung wenn es sich um
kleinste oder um initiale Lungenveränderungen handelt. An Stelle
der für Lungeninfiltration typischen scharfen Schattenbildung kommt
es unter diesen Umständen zu einem verschwommenen Bild der
Lungenstruktur, welches an die schleierförmige Trübung bei broncho-
spastischer Atelektase erinnert und welches beim Fehlen ander¬
weitiger charakteristischer Symptome von grippaler Infektion die
Diagnose irreleiten kann. Ueber die Symptomatologie etwaiger leich¬
ter Formen von Bronchotetanie mit günstiger Prognose ist zurzeit
noch wenig Sicheres bekannt. Die Annahme einer ätiologischen Be¬
ziehung der Spasmophilie zu gewissen asthmatischen Zuständen im
Säuglingsalter ist einleuchtend, aber schwer beweisbar. Weitere
klinische und vor allem anatomische Stützen sind notwendig.
Bodo Ahrens: Ein Fall von Hungerschädigung bei habitueller
Unterkieferluxation im Säuglingsalter. (Aus der Göttinger Kinder¬
klinik — Prof. G ö p p e r t.)
Es trat eine leichte Intoxikation ein. Die Luxation wurde prompt
nach einmaliger Urethanverabreichung geheilt. Auffassung der habi¬
tuellen Luxation als Folge eines pathologischen Bedingungsreflexes, i
P. Rohm er: Ueber die Erzielung von Dauererfolgen bei der
Kalziumbehandlung der Spasmophilie. (Aus der med. Universitäts-
Klinik zu Marburg — Geh. Rat M a 1 1 h e s.)
Die Kombination von hohen Kalziumdosen mit PhosphorleberPaiL
gewährleistet bei spasmophilen Krämpfen so sichere Erfolge wie keire
andere der bisher üblichen Behandlungsmethoden. Gewöhnlich blie¬
ben schon am ersten, spätestens aber am zweiten Tag die Krämpfe
weg, um auch nach Aussetzen der Kalkmedikation nicht mehr auf¬
zutreten. Aber auch die Wirkung auf die galvanische Erregbarkeit
war in den meisten Fällen derart, dass pathologische Werte über¬
haupt nicht mehr auftraten. Die dauernde Heilung war meist nach
8 Tagen erzielt. 8 Beobachtungen.
Wolf S a w i d o w i t s c h - Odessa: Einfluss von Ernährung und
Erkrankungen auf das Wachstum des Gehirnes im ersten Lebens¬
jahre. (Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Berlin.)
7 Leitsätze als Extrakt der Berliner Inauguraldissertation. Zum
Referat nicht geeignet.
Ed. Handrick: Schutzimpfung bei Varizellen. (Aus der Kin¬
derabteilung der Krankenanstalt Altstadt zu Magdeburg — Prof.
11. Vogt.)
Von 127 Kindern, die durch Impfung mit dem Blaseninhalt von
Varizellenkranken vor der Ansteckung geschützt werden sollten, er¬
krankten 45 an Windpocken. Von einer nennenswerten oder gar zu¬
verlässigen Schutzwirkung kann also für diese Fälle nicht gesprochen 1
werden. Nur 3 mal sah man nach der Impfung eine Eruption an der j
Impfstelle, ohne das dadurch die Entstehung eines allgemeinen Aus¬
schlags verhütet wurde. Der Gegensatz zwischen diesen und
Klings Beobachtungen ist sehr auffallend.
Albert Uffenheimer - München.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 80. Band, 1. Heft.
Georg Hi Niger: Ueber periodisches Erbrechen mit Azeton-
ämie. (Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Berlin.) (Hiezu 1 Ab¬
bildung im Text.)
Die Versuche, welche an einem einschlägigen Falle von periodi¬
schem Erbrechen in der Klinik vorgenommen wurden, Hessen die
Bedeutung der Kohlehydrate der Nahrung zur Genüge erkennen: es
Hess sich durch eine Beschränkung derselben auf die Hälfte ein
typischer Anfall von periodischem Erbrechen auslösen. Wohl als
Ausdruck mangelhafter Oxydationsfähigkeit sah der Verf. im Harn
mit dem Ansteigen der Azetonmenge auch die Werte für die Amino¬
säuren gleichsinnig ansteigen bzw. fallen. Als wichtige Tatsache
wurde ferner ein Herabsinken des Blutzuckergehaltes auf etwa die
Hälfte des normalen Wertes zur Zeit des periodischen Erbrechens
beobachtet. H i 1 1 i g e r fasst diesen Befund nicht etwa als den
Ausdruck einfacher Verarmung des Organismus an zuckerbildenden
Substanzen auf, sondern glaubt mit R o 1 1 y einen Ausfall des Neben¬
nierensekretes als Ursache annehmen zu müssen; dieser Ausfall des
17. November 1914.
M l J FNCHFNER MEDIZI N1SC HE WOCHENSCHRIFT.
NebennicreHsekretreize5 auf die Leber verhindere den normalen
m h* Ä* • )Iyko,R1en "is Blut, wodurch das Herabsinken des
i Blutzuckerspiegels erklärt würde. Therapeutisch empfiehlt Hil-
1 1 K eJ .m Periodischen Erbrechen als das Wichtigste die Zufuhr
von Kohlehydraten per os, per klysrna oder ev. auch subkutan in
1 orm von isotonischen I rsubenzuckerinfusioncn.
Georg Benes tad-Christiania (Norwegen): Wo liegt die Ur¬
sache zur ..physiologischen Gewichtsabnahme neugeborener Kinder?
er. schreibt die physiologische Gewichtsabnahme Neuge-
w« .rc*I«U hl1Cn,Z lhreS KCSamtcn Stoffwechsels, insbesondere
des W asserstoffwechsels, zu. Bei dieser Stoffwechselinsuffizienz
sp'dt eine mangelhafte Magendarmfunktion die grösste Rolle Die
Gewichtsabnahme ist nicht zu verhindern, doch ist Dauer und Höhe
derselben von gewissen Faktoren abhängig, wovon die wichtigsten
E Entwic,klunKssrad des Kindes, 2. sein Anfangsgewicht,
3. die Milchmenge der Mutter.
Brustcrnährung1Cher Ernährung ""günstigere Verhältnisse als bei
Erich Müller Und Ernst Schloss: Die Versuche zur An¬
passung der Kuhmilch an die Frauenmilch zu Zwecken der Säuglings-
ernahrung. Eine historisch-kritische Studie. (Aus dem Grossen-Fried-
nchs-W aisenhaus der Stadt Berlin in Rummelsburg )
I rC ?miSMM uSteIlungnahr"e zur Theorie und Praxis der molken¬
adaptierten Milch von Friedenthal.
Zu kurzem Referate ungeeignet.
Hermann B r ti n i n g - Rostock: Experimentelle Studien über die
Entwicklung neugeborener Tiere bei längerdauernder Trennung von
Jur saugenden Mutter und nachheriger verschiedenartiger künstlicher
Ernährung. (Hierzu 6 Abbildungen im Text.)
Es gelang dem Autor neugeborene Ratten am Leben zu erhalten
.venn sie vom ersten Lebenstage bis zu ein Viertel der gesamten
'aiighngszeit von der Mutier getrennt gehalten und nachher möglichst
•iweiss- und fett- oder auch kohlehydratreich künstlich weiter ge-
lahrt wurden Dabei blieben sie kleiner als die dauernd bei der
vlutter verbliebenen Geschwister. Künstliche, aber möglichst ein-
•eitige Ernährung mit reichlich Eiweiss und Fett ergibt nach der
-ntwohnung bei allen Tieren sofortige erhebliche und stetige Zu-
lahme. Bei einseitiger Kohlehydratnahrung erfolgt dagegen eine
leichmassige Abnahme.
Röntgenologisch lassen sich nur die Grössenunterschiede, da-
egen lceine Knochenveränderungen bei den Tieren nachweisen. Bei
vOhlehydratnahrung weist der Magendarmkanal den Typus der
nanzen-, bei Eiweissfiitterung denjenigen der Fleischfresser auf; bei
rsterer ist das Fettgewebe ausserordentlich spärlich, bei letzterer
agegen reichlich entwickelt. Die Darmflora zeigt keine Unterschiede
dagegen konnte eine relative Keimarmut der oberen Dünndarm-
artien bestätigt werden. Organanalysen oder Universalstoffwechsci-
ersuche wurden nicht vorgenommen.
Erich Conradi: Vorzeitiges Auftreten von Knochen- und
genartigen \ erkalkungskernen bei Chondrodystrophia foetalis hypo-
astica. Histologische und Röntgenuntersuchungen. (Aus dem patho-
gischen Institut und der Kinderklinik der Akademie für praktische
ledizin zu Köln.)
ilun^'t ^ "nd 2 Abbildungen im Text. — Kasuistische Mit-
Vereinsbcricht. Literaturbericht, zusammengestellt von A Ni c-
a n n - Berlin. Buchbesprechungen. 0. Rommel- München.
2245
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde.
Heft.
52. Band, 5. u.
Ottorino Rossi -Sassari: Angeborene Muskelhyperplasie.
Bei einem 4 Monate alten Kind fand sich eine seit der Geburt
stellende starke Verdickung der Muskulatur des rechten Armes und
r Schulter Bei der mikroskopischen Untersuchung eines ausge-
nmttenen Muskelstückchens liess sich feststellen, dass die Muskel-
'rhgn0rma e (irösse hatten> dass also eine echte Muskelhyperplasie
Ottorino R o ss i - Sassari: Beitrag zur Kenntnis der Sympto-
«tologie der Balkenerweichung.
V erf. hatte Gelegenheit einen Fall von Balkenerweichung klinisch
d anatomisch genau zu untersuchen. Der Erkrankte zeigte einen
Ecntiimhchen Torporzustand, bei welchem nur die höchsten psyclii-
i n runktionen, denen ausgebreitete Assoziationsprozesse zugrunde
gen, beeinträchtigt waren. Es bestanden ferner eine vorüber-
iende Pupillendifferenz, eine leichte Hypofunktion der vom Fazialis
rsorglen Muskeln und eine spastische Lähmung aller Extremitäten
■ Steigerung der Reflexe und vorhandenem Ba b i n s k i sehen Phä-
, ncn- Wahrend sich keinerlei apraktische Störungen nachweisen
psen, war das Bestehen einer amnestischen Aphasie auffallend.
_ anatomische nUtersuchung des Gehirns ergab eine streng auf den
iKen beschränkte Erweichung, die am meisten die rechte Hälfte
‘ rat Zur Erklärung der aphasischen Störung durch den Sektions-
luna macht Verf. auf den Umstand aufmerksam, dass der Kranke
ts mit aer rechten wie mit der linken Hand gleich geschickt
jVesen war, dass somit der rechten Sprachrcgion eine grössere Be-
itung wie normaler Weise zukommen müsse. Dementsprechend
rden die Fasern, die von dem rechten zum linken Sprachzentrum
i ’O durch den Balken) zögen, ziemlich erhebliche Komponenten der
• aehfunktion besorgen.
Hör if*:. R' ^a,st.C^ und P- Bolo- Durand: Angioma racemosum
aer linken motorischen Region.
Ein Angiom in der motorischen Region wurde durch Unterbindung
\er?,1} erfolgreich operiert, so dass alle Erscheinungen (Lähmung
K m e MVon -1 a c.k s 0 " scher Epilepsie) völlig zurückgingen.
^ M a r S u 1 i s - Moskau: Ueber pathologische Anatomie und
t athogenese der amyotrophischen Lateralsklerose.
Die pathologisch-anatomische Untersuchung dreier Fälle von
amyotrcphischer Lateralsklerose ergab folgendes: Bedeutende Ver¬
dickung und Verwachsung der weichen Häute, untereinander und mit
aer Peripherie des Rückenmarkes, die in den untersten Teilen ihre
bedeutendste Intensität hat, Degeneration im ganzen Vorderseiten-
segment, hauptsächlich in den Pyramidenseitenbahnen, Pyramidenvor-
oerstrange intakt, Erscheinungen von Lymphstauung mit Oedem und
bcgeMratioii des anliegenden Gewebes, Atrophie und Tigrolyse in
den Vorderhornern und Degenerationserscheinungen in den peripheri¬
schen Nerven. \ erf bringt diesen Befund in Beziehung zu den
Untersuchungen von H o m e n, durch die festgestellt wurde, dass die
in das Rückenmark oder die peripherischen Nerven eingebrachten
Bakterien sich hauptsächlich den Lymphbahnen entlang verbreiten.
Die von diesem Forscher auf experimentellem Wege gefundenen Tat¬
sachen fanden sich in allgemeinen Zügen auch in den vom Verf
beschriebenen Fallen. Wahrscheinlich gelangt die Infektion durch die
perineuralen Lymphbahnen der peripherischen Nerven (diese Nerven
sind auch in den meisten Fällen zuerst geschädigt) in das Rücken¬
mark und breiten sich hier durch das lymphatische System aus. Die
Ioxine scheinen dann elcktiv auf die einzelnen Bahnen einzuwirken,
sich erklärt, dass die Pyramidenbahnen am meisten betroffen
A.Szp anbock- Ueber die Beteiligung der dynamischen
Eigenschaften der Nervenapparate am Verlaufe der motorischen Er¬
scheinungen nach hemiplegischen Lähmungen.
Verf. wendet das Prinzip der verschiedenen dynamischen Eigen¬
schaften der Nervenapparate zur Erklärung des Prädilektionstypus
der hemiplegischen Lähmungen und ihrer Restitutionen an. So sind
die dynamischen Kräfte der Zentralneuronen in einigen Apparaten
starker, in anderen schwächer entwickelt. Die Neurone, die eine
grossere Erregbarkeit besitzen, leisten eine grössere Widerstands¬
fähigkeit gegen schädliche Lähmungsmomente. Die Restitution nach
totaler motorischer Lähmung ist abhängig von den dynamischen
Eigenschaften der subkortikalen Zentren und Bahnen. Nervenorgane
von höherer Erregbarkeit sind einer bedeutenderen Besserung fähig
as die mit schwächerer. Andererseits neigen Nervenapparate mit
schwächerer Erregbarkeit zu Lähmungen, die mit stärkerer Erregbar-
keit zu spastischen und Erregungszuständen.
R. R a u s c h und P. S c h i 1 d e r - Leipzig: Ueber Pseudosklerose.
■ i tnL uen } FälIe dieser in der vorliegenden Zeitschrift schon
wiederholt beschriebenen Erkrankung mit. Beide (Geschwister)
zeigten ausser den nervösen Erscheinungen grünliche Verfärbung der
Kornea und Leberinsuffizienz.
M- E a p i n s k y - Kiew: Ueber Nacken- und Schulterschmerzen
und ihre Beziehungen zu Affektionen der im kleinen Becken liegen¬
den Organe.
i \iCr!' w'd f.n aden Fällen, in denen er eine Druckempfindlichkeit
der Nackenmuskulatur, Hautverdickungen und Erhöhung der vaso-
motoiischen Reflexe dort fand, entzündliche Erscheinungen in den
lganen des kleinen Beckens beobachtet haben. Zur Erklärung dieses
merkwürdigen Zusammentreffens ruft L. den Sympathikus zu Hilfe.
Dci Reiz, der durch die primäre abdominelle Erkrankung in den
sympathischen Bauchgeflechten entsteht, soll auf das obere Dorsal¬
mark übertragen werden, hier eine Hemmung der Funktion der
Vasomotoren des Halses und der Schultern bewirken und durch die
daraus resultierende Gefässerweiterung und Blutstauung die er¬
wähnten Erscheinungen hervorrufen.
K . G o 1 d s t e i n - Königsberg: Einige Bemerkungen zu der Arbeit
von Stert z: Die klinische Stellung der amnestischen und trans-
kortikalen Aphasie usw.
Polemik. q. R e n n e r - Augsburg.
Archiv für Hygiene. 83. Band. 3. und 4. Heft. 1914.
C* ,:Kar!.J- A.n g e r e r . Erlangen: Experimentelle und theoretische
Studien über die Epiphaninreaktion.
Der Autor fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen dahin zu¬
sammen, dass die Gelatine, welche bei diesen Versuchen verwendet
wurde den Neutralitätspunkt von Ba(OH)2 + H.SO« oder von NaOH
HU bis mindestens zur Konzentration 1:10 000 verschiebt, sofern
uu Moment der Neutralisierung ein Niederschlag gebildet wird
Ebenso verändern die Gelatinelösungen die Oberflächenspannung!
Ls ist wahrscheinlich dass die Verschiebung des Neutralitätspunktes
auf einer durch verschiedene Oberflächenspannung beeinflussten Ad-
soiption von Alkali an den Niederschlag beruht. Gleichzeitig ist
,eiae ^f.eV,lf!utxUHg d,cr sich bildenden Niederschlagsoberfläche mög-
!i ’ Vielleicht beruhen nach des Verf. Meinung die Ausschläge bei
der V erwendung von Serum und Antigen gleichfalls auf Aenderungen
der Oberflächenspannung.
W ob s a - Hannover: Einfluss der Umgebung auf die Wärme¬
abgabe des menschlichen Körpers.
Aus den Ermittelungen des Verf. würde zu schliessen sein, dass
die in der Haut hegenden Kälte- und Wärmemesser nicht als das den
2246
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ganzen Regulierungsvorgang beherrschende Organ anzusehen sind,
wenn sie auch an demselben mitwirken. Sie reagieren nur auf rela¬
tive, nicht auf absolute Temperaturhöhe und sie scheinen auch nicht
geeignet, den Regulierungsvorgang zu überwachen. Von welchem
Organ die Betätigung des Regulierungsmechanismus ausgeht, Ist noch
nicht mit Sicherheit zu sagen.
Knud A h 1 b o r n - München: Die desinfizierende Wirkung der
Gasbeleuchtung auf Zimmerluft.
Die von Samuel R i d e a 1 gemachte Angabe, wonach die Keim¬
zahl bei Gas- und elektrischer Beleuchtung geringer sein solle als
ohne Beleuchtung, wurde in den vorliegenden Versuchsreihen nach¬
geprüft. Es zeigte sich in der Tat eine Verminderung des Keim¬
gehaltes. In einem Zimmer von 57,1 cbm Inhalt sank die Keimzahl
in der Mengeneinheit Luft „ohne“ Gasbeleuchtung innerhalb 1 Stunde
bei möglichst gleichmässiger künstlicher Luftbewegung, im Mittel von
100 Proz. auf 76 Proz. = 24 Proz. Bei gleichzeitiger Gasbeleuchtung
mit 3 grossen Graetzinbrennern, die mit offenen Glocken versehen
waren, zeigte sich dagegen ein Absinken der Keimzahl von 100 auf
60 Proz. — 40 Proz. in der Stunde. Wahrscheinlich ist die Verminde¬
rung der Keime auf Abtötung durch heisse Gase oder auf Verbrennung
der Keime an den Glühkörpern zurückzuführen. Für eine etwaige
Desinfektion der Luft hat jedoch diese geringfügige Vernichtung der
Luftkeime keine Bedeutung. R. O. N e u m a n n - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 45, 1914.
A d 1 e r - Berlin-Pankow: Beitrag zu den perforierenden Schuss¬
verletzungen des Magens.
Der Patient hatte einen Schuss in den Magen bekommen. Die
Röntgenuntersuchung zeigte das Geschoss frei im Magen liegend
und liess es auf seiner Wanderung durch den Darmkanal verfolgen.
Nach 3 Tagen wurde das Projektil im Stuhl gefunden.
Hans M ü h s a m - Berlin: Beitrag zur Behandlung des Tetanus.
Verfasser rät folgendes Verfahren: Alles mit der Zirkulation nicht
mehr in ausreichendem Masse zusammenhängende Gewebe wird ent¬
fernt, alles reduzierende Material, das durch Sauerstoffabsorption
den Tetanusbazillen die Entwicklungsmöglichkeit verschafft, wird
beseitigt, die Wunde wird ausgiebig mit Sauerstoff durchtränkt
(Wasserstoffsuperoxydkompressen), ausserdem werden Tetanusserum
und Narkotika angewendet.
E. F r o e h 1 i c h - Berlin: Geber einen Fall von Rückenmarks¬
verletzung.
Der Fall beweist, dass selbst schwere zentrale Nervenver¬
letzungen Aussicht auf Besserung bieten und die Prognose durchaus
nicht ungünstig stellen lassen, wie es im Anfang leicht scheinen
möchte.
Kurt S t e i n d o r f - Berlin: Die Kriegschirurgie des Sehorgans.
Sammelreferat.
M. B e r n h a r d t - Berlin: Beitrag zum Symptomenkomplex der
Brown-Sequard scheu Lähmung.
Kasuistischer Beitrag.
C. D. d e L a n g e n - Groningen: Beitrag zur Kasuistik des re¬
nalen Diabetes.
Verf. beantwortet die Frage, ob in der diabetischen Glykosurie
auch ein renales Element eine Rolle spielt, folgendermassen: Es gibt
Nierenkrankheiten, welche die Durchlässigkeit der Nieren für Zucker
erschweren. E gibt einen experimentellen, auf abnorme Durchlässig¬
keit der Nieren begründeten Diabetes. Hierzu gehört gewiss der
Phloridzindiabetes, vielleicht gehören auch einige andere toxogene
Glykosurien hierzu. Es gibt einen klinischen renalen Diabetes, der
sicli, was Ursache, Verlauf und Prognose betrifft, scharf von dem
Diabetes mellitus unterscheidet. Aber die Zahl genau beobachteter
Fälle ist noch sehr gering.
Franz F i d 1 e r - Göttingen: Ein Beitrag zur Entstehung der Her-
nia diaphragmatlca und Dilatation des Zwerchfells.
Kasuistischer Beitrag. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift.
Nr. 44. V. C z e r n y - Heidelberg: Zur Therapie des Tetanus.
Fortsetzung folgt.
A. Falk- Berlin: Einige Beobachtungen bei Behandlung von
Tetanus Verwundeter mit subkutanen Magnesiuminjektionen.
Zur Injektion diente meistens eine 30 proz. Magnesiurnlösung;
eine Einzeldosis von 9 g, Tagesdosis 24 g, wurde gut ertragen; in
einem Falle wurde eine Einzeldosis von 12 g erreicht, in einem
anderen 6 Tage hintereinander 20 g gegeben. Niedrige Dosen wirken
eher reizend und vermehren die Anfälle. Die Magnesiuminjektion
wird schmerzlos durch vorhergehende Novokaininjektion (i proz.,
2— 3 ccm). Bei schweren Fällen kann die Nahrungsaufnahme etwa
1 Stunde nach der Injektion erfolgen. Nützlich sind mässige Dosen
von Morphium und Chloral neben dem Magnesium.
A. S c h m i d t - Halle a. S. : Ueber Lungenschüsse.
Zu erwähnen ist, dass Verf. die Probepunktion als ungefährlich
betrachtet und bei derselben die absichtliche Einlassung von etwas
I-iift als diagnostisch nützlich empfiehlt. Eitrige Entzündung des
Lungengewebes sah er nur bei Rippenverletzungen und grösserer,
nicht verklebter Ausschussöffnung als eine Folge von Wundinfektion
Echte Pneumonien, Abszesse und Gangrän sah er nicht, auch Spät-
empyeine sind selten. Mit dem Transport von Lungenschüssen soll
man vorsichtig sein und schwerere Fälle oben bezeichneter Art
Nr. 46.
möglichst in den Feld- und Etappenlazaretten ruhig liegen lassen.
Leichteres Fieber ist unbedenklich, bei stärkerem soll die Wunde
ev. erweitert und drainiert werden.
ü. L e d d e r h o s e - Strassburg: Sparsame und beschleunigte
Wundbehandlung Im Kriege.
L. empfiehlt Wundgaze in wenigen Lagen, statt der schlecht
aufsaugenden Watte Zellstoff und als undurchlässigen Stoff weiches
Pergament- oder Oelpapier; Waschen und Wiederverwenden der
Binden: zur Fixierung kleiner Verbände statt Binden Mastisol oder
Leukoplast. Sehr verwendbar ist die Scharpie. Die Wundheilung
wird beschleunigt durch Perubalsam, auch durch eine mit Dermatol
versetzte Zinkpaste. Wesentlichen Nutzen gewährt oft die Sekundär¬
naht (ev. nach Ablösung der Hautränder von der Unterlage) und die
Verwendung der H e r f f sehen Hautklammern.
E. P. F r i e d r i c h - Kiel: Die ohrenärztlichen Aufgaben im
Kriege.
Auch bei Verletzungen des Gehörorganes ist zunächst die mög¬
lichst konservative Versorgung ohne Berührung der Wunde die
Regel, ln den Lazaretten ist die s p e z i a I ä r z 1 1 i c h e genaue
Beobachtung und Behandlung und Aufzeichnung der Befunde er¬
forderlich; wichtig sind deshalb für die richtige Zuteilung dieser
Verletzten entsprechende Vermerke gleich auf den Wundtäfelchen.
Labyrinthschüsse schwerer Art sind zunächst transportunfähig, Laby¬
rintherschütterungen durch Detonationen bedürfen langer Ruhe und
Schonung in Lazaretten.
Bei Furunkulose des äusseren Gehörganges sind Inzisionen zu
unterlassen, durch Salbentampons ev. Priessnitzumschläge erfoUt
baldige Heilung, die Kranken können bei der Truppe bleiben. Das
wichtigste für den Feldarzt sind die Erkrankungen des Mittelohres
Je nach dem Befunde ist alsbald Parazentese und Schutzverband
am Platze, bei Schmerz im Warzenfortsatz Priessnitzumschlag,
Aspirin. Meist ist nur eine achttägige Schonung, keine Entfernung
von der Truppe nötig. Tritt keine Besserung ein, so wird die Be¬
handlung im Lazarett notwendig, gleichwie für alle anderen
schwereren Mittelohrerkrankungen. Daher ist die Anwesenheit einer
genügenden Anzahl von Ohrenärzten im Felde erforderlich.
W. Kümmel- Heidelberg: Ohrenerkrankungen im Felde.
Mit Anführung einiger Fälle vertritt K. die Forderung, schwerere
Verletzungen und sonstige Schädigungen des Gehörorganes baldigst
in fachkundige Behandlung, möglichst in ständigen Lazaretten zuzu¬
führen und warnt eindringlich vor jeder unnötigen Berührung der
frischen Wunden.
A. E. S t e i n - Wiesbaden: Zur Technik der medizinisch-photo¬
graphischen Aufnahme.
Zur weiteren Erleichterung der in vielen Fällen durchaus vor¬
zuziehenden Aufnahmen bei künstlicher Beleuchtung empfiehlt
Verf. die neue, leicht transportable Jupiter-Handlampe, die an jede
elektrische Lichtleitung angeschlossen und für viele andere Zwecke
als Beleuchtungsmittel verwendet werden kann.
B e r g e a t - München.
Schwedische Literatur.
Ad. Lichtenstein: Ueber Ernährung kranker Säuglinge mit
Eiweissmilch. (Hygiea 1914 H. 1 u. 2.)
Mitteilung der Resultate einer 2 jährigen klinischen Prüfung der
Eiweissmilch. Verwendet wurde eine nach Finkeistein und
Meyers Vorschriften in der Milchküche des Krankenhauses zu¬
bereitete Milch; doch kam anstatt Buttermilch saure Magermilch
(Fettgehalt ca. 1 Proz.) zur Anwendung bei 50 Fällen von fast aus¬
schliesslich schweren Ernährungsstörungen. Dosierung nach Fin¬
ke 1 s t e i n - M e y e r. Die Resultate waren sehr gut, sowohl bei
chronischen wie akuten Ernährungsstörungen. Auch bei Ernährungs¬
störungen infolge parenteraler Infektionen hat sich die Eiweissmiich
gut bewährt. Indikation für Eiweissmilchtherapie sind nicht nur Er¬
nährungsstörungen mit Diarrhöe, sondern auch Fälle, wo andere
künstliche Ernährung ohne Erfolg versucht worden ist. Die Ent¬
wöhnung geschah in akuten Fällen nach 2 — 3 Wochen, in chronischen
nach 3 Monaten. Die Eiweissmilch wird als ein zweifelloser thera¬
peutisch-diätetischer Fortschritt bezeichnet.
Sigurd Berg: Zur Behandlung der Leukämie mit Benzol und
Thorium X. (Hygiea 1914 H. 11.)
Verf. gibt eine Uebersicht über die bisherigen Erfahrungen bei
Behandlung der Leukämie mit Benzol und Thorium X und referiert
dann einen eigenen Fall von myeloischer Leukämie, wo bedeutende
Besserung mit obengenannten Mitteln erreicht wurde. Verf. sieht in
Benzol und Thorium X gute symptomatische Mittel, betont aber die
Gefährlichkeit insbesondere des ersteren.
Otto Löf b erg: Zur Deckung der Kranialdefekte. (Nord. med.
Arch., Kir. Abt. 1913 H. 3.)
Mitteilung von 4 Fällen, wo Kranialdefekte durch autoplastische
Knochentransplantation mit bestem Resultate gedeckt wurden.
Einar Key: Exclusio vesicae bei schwerer Blasentuberkulose.
(Ibidem.)
Mitteilung zweier Fälle sowie Zusammenstellung von 10 publi¬
zierten Fällen dieser Operation. In beiden von Verf. operierten Fal¬
len Aufhören der Schmerzen und bedeutende Besserung des All¬
gemeinzustandes.
Bei schwerer Blasentuberkulose werden die schmerzhaften sub¬
jektiven Blasensymptome durch die Kontraktionen der Blase ver-
7. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCH R I FT.
rsiciit und diese werden durch den lierabfliessenden Harn ausgelöst
»urch voilstandiges Ableiten des Harnes, Exclusio vesicac, können
ir diese Symptome zum Schwinden bringen. Nach der bisher ge-
°rn Erfahrung muss Ureterostomic bei nicht oder nur wenig
er“n e-rt m Ureter und Nephrostomie bei hochgradig verändertem
reter oder Pyonephrose ausgeführt werden.
Torsten Rietz: Ein fall von Bifurcatio urethrae. (Ibidem.)
F...I>as,u!.s,tlscI'e Mittedung von einem solchen Falle, wovon nur
halle früher bekannt sind.
S\ en .1 o h a n s s o n: Zur Kasuistik der primären Geschwülste
es Omeiit. majus. (Ibidem.)
v10HPrimäreü Omentgeschwülsten. 1 Fibrosarkom mit
t eldrehung, 1 Hypernephrom und 2 Zysten des Netzes, sind mit-
.teilt. Zusammenstellung der Literatur.
Gustaf Asplund: Ueber Arthrodese im Schultergelenk bei Del-
ideuslahmung. (Hygiea 1914 H. 14.)
\erf. hatte Gelegenheit, die Arthrodese im Schultergelenk bei
ihmung in S Fallen mit überwiegend gutem Resultat zu erproben.
Pei(inffPrAÜ1F"ude ,Y u 1 p * a s- Nach der Operation, besonders
i jüngeren I allen 6—7 Monate Fixation des Gelenks in Gips. Alter:
,, J ,a irS; ^ cr ' der Ansicht, dass es wegen der schwierigen
ichbehandlung ungünstig ist, die Operation in einem Alter unter
iPMfinn anUirhtf!mren' ' £rf‘ ist dafiir- dass die Indikation für diese
ff™"1? a]lzu eng begrenzt werde. Je mehr die Lähmung auf
Y^psn6 °ldeUi begrenzt ist> desto besseres funktionelles Resultat.
8 hallen wurde feste Ankylose erhalten, jedoch in keinem Falle
ocherne Verbindung. Die aktive Beweglichkeit des Armes war in
hSidtp^aPlpntSehr iSUt; JerL *st der Ansicht, dass Arthrodese im
hultergelenk, nach richtigen Indikationen ausgeführt, der Eingriff
. der das beste funktionelle Resultat gibt.
IJn k VÄf t:-Von der Behandlung und Heilung der Gonor-
oe des Weibes. (Hygiea 1914 Bd. 11.)
\ erf. injiziert halbfeste Massen in die Urethra, um eine Aus-
denr ’^baut zu erhalten; nachher bleibt die Masse
! u ä®?* Schleimhautfalten eine gewisse Zeit. Als gonokokken-
endes Mittel in diesem Gelee wird 1 proz. Albargin angewandt.
? daLBu?b-lChtUYgeil b£‘ ,20 FaIlen schliesst Verf., dass die Gonor-
>e des Weibes durch Behandlung geheilt werden kann; dass es
.glich ist, frische Falle von Gonorrhöe beim Weibe in kurzer Zeit
; lagen) zu heilen; dass die Notwendigkeit einer längeren Behand-
i g der Gonorrhöe beim Weibe sehr oft von besonderen Kompli-
lonen abhangt; und dass auch ältere und komplizierte Fälle der
1 norrhoe des Weibes nicht unheilbar sein müssen.
G. C. J acobaeus nud Hj. T i d e s t r ö m: Eine neue Methode
Beseitigung von Verwachsungen bei Pneumothoraxbehandlung
; ' Lungentuberkulose. (Hygiea 1914 H. 15.)
Verf haben die ersten Versuche gemacht, mit Hilfe der Thorako-
■ipie mit einem Galvanokauter, eingeführt durch einen dünnen Tro-
' ’ strangformige ; Verwachsungen bei Pneumothoraxbehandlung ab-
. trennen. In 2 Fallen waren nur kleinere Versuche gemacht wor-
: , aber hierbei waren sowohl Stränge als Häute ohne Schmerz und
: 'e Blutung in der Pleurahöhle abgebrannt worden. In einem dritten
’ W01e.inJe Kaverne durch eine schmale Adhärenz am Zusammen-
D11!'. wal’ xYurde diese ohne die geringste Ungelegenheit
i den Patienten abgebrannt. Nach nur ganz wenigen weiteren In-
iationen wurde die Kaverne komprimiert, und das Sputum des Pat
i zuvor ziemlich reichlich gewesen war und zahlreiche Tuberkel-
! T" enthalten hatte, hörte fast unmittelbar nach dem Zusammen-
cken der Kaverne auf. Das Allgemeinbefinden des Pat. besserte
■ i m demselben Masse.
1 Mü Y' c 0 b s s 0 n: Ein Versuch, Verwachsungen bei Pneumo-
1 £ba“« 7 ) Unt6r Röntgendurchleuchtung abzubrennen.
Anlässlich der Mitteilung von Jacobaeus und T i d e s t r ö m
r eine neue Methode, Verwachsungen bei Pneumothoraxbehand-
/ abzubrennen, berichtet Verf. über einen, von ihm vor einem
■ -e gemachten, aber nicht geglückten Versuch, eine solche Ver-
hsung unter Röntgendurchleuchtung abzubrennen. Verf. hält die
ihode des Dr Jacobaeus mit Hilfe seines Thorakoskops Ver-
nsungen abzubrennen, für ein bedeutend sichereres Verfahren da
i hierbei deren Grösse und Beschaffenheit direkt beobachten kann
t "rer E'n™ Tf UntCr ^öntgendurcbleuchtung wäre jedoch ein ge-
, Abraham Troell: Zur Kenntnis der anormalen Appendixlagen.
- Blr'Cht Ü£er 3 vom Verf‘ beobachtete Fälle, wo die Appendix
oben rechts, ganz unter der Leber lag; 2 von diesen Pat. hatten
j kern Colon asc. Das Zoekum ging unmittelbar in das Colon
UX , e/-. Die Anomalie veranlasste in einem der Fälle Verdacht
iwholelithiasis, m allen erschwerte sie die Appendektomie. Onto-
. tisch erklärt sie sich leicht als eine Hemmungsmissbildung. Die
Undix hatte hier keinen fötalen Typus bewahrt.
Abraham T rocll: War die Erklärung Landströms über die
,*inndw Augensymptome bei Morbus Basedowii richtig?
Anlässlich zweier beobachteter Basedowfälle mit einseitigen
-nsymptomen hat Verf. die L a n d s t r ö m sehe Basedowhvpo-
.m Erwägung genommen. Bei Durchmusterung des Basedow-
l riales des Seraphincrlazarcttes fand er 10 Proz (16 von 165)
»einseitigen oder vorwiegend einseitigen Augensvmptomen. Mit
2247
F-nia!" ^\ts.acbe konnte er die L a n d s t r ö m sehe Theorie nicht in
.‘nK i?.n.? bringen. Denn einerseits war nicht zu erklären, warum nach
vpLn/n ‘ r>?ifch,e,n Schilddrüsentheorie eine durch die Zirkulation
vermittelte Giftwirkung von der kranken Schilddrüse her zuweilen
auf den Halssympathikus der einen Seite beschränkt sein sollte.
Andererseits war es auch nicht zu erklären durch einen direkten,
Sarfrc*!?® auf der ejnen $eite des HaIses gegen die Tiefe hin am
stärksten ausgesprochene Vergrösserung der Schilddrüse verursach-
ttn mechanischen Druck. Denn, von anderen Umständen abgesehen,
esT3'unbesreiflich, warum Pupillenerscheinungen fast nie bei
Morbus Basedowii Vorkommen.
... F- Y cstermark: Zur Frage der Blasenmole und der gleich¬
zeitigen Lutemzysten der Ovarien. (Hygiea 1914 H. 14.)
rlpn ncrf\ berichtet über 2 Fälle von Blasenmole und Luteinzystcn in
Cn' • Bieide FaIle wurden wegen Stieldrehung von Övarial-
tumoren operiert, der erste Fall 2 Monate nach, der zweite kurz vor
OvnrilY den-M° CV ” beiden Fällen zystische Veränderungen in den
rjax"en> ,P!® exs,tjrpierten Tumoren bestanden aus typischen Lutein-
(iv L Lr ‘ schliesst sich der von Fränkel u. a. aufgestellten
Srh s. a?’ dass die Luteinzysten im Verhältnis zur Blasenmole
primär und Ursache zur Degeneration des Chorions sind
Luteinzysten wird nur von Komplikationen,
w ie Stieldrehung, Infektion oder dergl., indiziert.
A™oId Josefsson: Dentition, Haarentwickiung und innere
Sekretion. (Hygiea 1914 H. 4.)
IahrPZlloaiT1Yf,Kf|aS-SUtg: Verif' ;eiIt elne Bestätigung seiner schon im
ra.,re, 191^ Publizierten vorläufigen Mitteilungen über die Abhängig¬
en dn- Dentition und Haarentwicklung von der inneren Sekretion
nut. Die Hypofunktion der endokrinen Drüsen verursacht eine Ver¬
zögerung der Dentition und der Haarentwicklung, die Hyperfunktion
e,ntfgege.ngesetzte Der gleichzeitige Befund von Hypertrichosis
und deformierten Zahnen deutet eine Hypofunktion der endokrinen
Drusen an; dann ist eine Opotherapie indiziert.
luiertei/ ScI,,asberg: Ueber Heilung der Gonorrhöe bei Prosti-
Verf. hat im Krankenhaus „Eia“ in Stockholm bei Prostituierten
die Gonorrhoe mit einem Kupferpräparat „Cusylol“ behandelt Be¬
schreibung der Zusammensetzung und Technik der Behandlung. Es
wurden im ganzen etvva 100 Fälle behandelt. Das Resultat gibt dem
v ert. Anlass zu der Ansicht, dass die Gonorrhöe der Prostituierten
in den meisten Fällen geheilt werden kann
IkterüflMygrea'iST kIT Z"r Ke'",‘,"S S°&
■ ^ Na^ ei"er Uebersicht der Literatur berichtet Verf. über 5 Fälle
in derselben Familie. Alle zeigen den charakteristischen Symptomen-
komplex. Verf. hat auch die neulich publizierten Beobachtungen
H ub ers von Jol.lykörperehen und mit Giemsa blaugefärbten, baso-
Pjasmatischen Erythrozyteneinschlüsse im Blute bestätigt. Oft wird
die Krankheit mit Cholelithiasis verwechselt; in 3 der vorliegenden
Falle kamen Schmerzanfälle in Leber- und Milzgegend vor. die als
Gallenstemko hken gedeutet wurden; Verf. betont, dass solche
^chmerzattacken auch durch eine Steigerung der hämolytischen Pro¬
zesse entstehen können.
/„ 9östa A1^ mann: Zur Frage der syphilitischen Reinfektion.
(Hygiea 1914 H. 11.)
Verf., der das Wort „Reinfektion“ in seiner eigentlichen und
weiteren Bedeutung anwendet, also sog. Superinfektion mit ein-
schhesst, berichtet 2 Krankheitsgeschichten, wovon die erste insofern
merkwürdig ist, als der Pat. zu 3 verschiedenen Malen mit Svnhilis
infiziert worden zu sein scheint. Ob hier Sunerinfektionen vorliegen
lasst Verf. dahingestellt sein. Der andere Fall bietet dagegen be-
stimmte Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Pat. noch svohi-
htisch war, als er sich die zweite Infektion zuzog. Mit Hinblick
hier,a.1iI.fi.scllie^st.s‘cb ,Verf- der Ansicht an, die es verneint, dass eine
«yphilitische Reinfektion als ein absoluter Beweis dafür angesehen
werden kann, dass eine vorhergegangene Infektion abgelaufen sei.
H. C. Jacobaeus - Stockholm.
Inauguraldissertationen.
Universität Berlin. Juli— September 1914.
S m a r g o n s k i Gerschen: Ueber den Unterschied im auskultatori¬
schen Befunde beider Lungenspitzen mit Berücksichtigung de
Frühdiagnose der Lungentuberkulose.
Staemmler Theodor: Ueber die Bedeutung der Gewichtsverhält¬
nisse bei der Behandlung der Lungentuberkulose.
At sc har kan Jeheskel: Die Beeinflussung der Leukämie durch
Iuberkulose und die Tuberkulinbehandlung der Leukämie.
Mayer Wilhelm: Beiträge zur Kenntnis des hohen Gradstandes
(ulle Carl: Duraersatz durch Faszienplastik.
Lipschütz Itzik: Ein Fall von akuter lymphatischer Leukämie
mit Lymphosarkom des Thymus.
Tr a pp Bodo: Die in den Jahren 1907—12 in der Kgl. Chirurg. Klinik
in Berlin gesammelten Erfahrungen über die angeborene Hüft-
verenkung.
Brind Zeilik: Die Entstehung und Behandlung der Kalkaneus-
frakturen und ihre Folgen in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit.
Grass Heinrich: Untersuchungen zur Physiologie der Galle beim
Kaninchen.
2248
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 46
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Per Einfluss des Krieges auf die ärztliche Tätigkeit. — Die
Invaliditäts- und Hinterbliebeiienversorgung der vertraglich ver¬
pflichteten Zivilärzte.
Die Unruhe und Ungewissheit, welche beim Ausbruch des
Krieges wie in allen anderen Bevölkerungskreisen auch unter den
Aerzten herrschte, hat allmählich ernster Ruhe und regelmässiger
Arbeit Platz gemacht Während wir mit gespanntester Aufmerk¬
samkeit den Verlauf der kriegerischen Ereignisse und die Tätigkeit
unserer Kollegen im Felde verfolgen, setzen wir, soweit nicht ein¬
zelne durch den Dienst in Rcscrvelazaretten in Anspruch genommen
sind, die aus der Friedenszeit gewohnte Arbeit in wenig veränderter
Form fort. Alle kollegialen Meinungsverschiedenheiten, alle Streitig¬
keiten mit den Kassen sind zum Schweigen gekommen, es herrscht
ungestörter Burgfrieden. Obwohl eine Anzahl Berliner Aerzte für
den Feld- und Etappendienst einberufen ist, macht sich doch ein
Mangel an Aerzten in keiner Weise geltend. Eher ist das Gegenteil
der Fall, die meisten stellen eher eine Verminderung als eine Ver-
grösserung ihrer Praxis fest. Das hat vielerlei Gründe. Zunächst
ist zu bedenken, dass viele Aerzte, die ihre jungen Jahre auf dem
Lande zugebracht haben, später aus Rücksicht auf die eigene Ge¬
sundheit und auf die Erziehung ihrer Kinder in die Grossstadt
ziehen, so dass sich hier die Zahl der älteren Aerzte, die nicht
mehr dienstpflichtig und auch nicht mehr felddienstfähig sind, häuft.
Da ferner der Aerzteiiberscliuss in den Grossstädten zu Friedens¬
zeiten ein sehr bedeutender ist, so macht sich die Abwesenheit
der einberufenen Aerzte fiir die zurückgebliebenen wie auch für die
Bevölkerung nicht sehr bemerkbar und die Einrichtung der Vertretung
begegnet keinen grossen Schwierigkeiten. Es kommt aber noch
hinzu, dass ärztliche Hilfe jetzt im allgemeinen seltener in Anspruch
genommen wird als in Friedenszeit. Das geschieht bei manchen
aus Sparsamkeitsrücksichten, bei vielen aber deshalb, weil sie jetzt
für ihre kleinen Leiden keinen Sinn haben und sie kaum spüren.
In so bewegter grosser Zeit erscheint es ihnen kleinlich, dem eigenen
Körper besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der Gedanke an die
Entbehrungen und Strapazen unserer tapferen Krieger, die so gar
keine Rücksicht auf das körperliche Wohlbefinden kennen, lässt die
eigenen kleinen Beschwerden sehr in den Hintergrund treten, und die
Patienten, die sonst wegen jeder Migräne, jedes Magendrückens,
jedes Leibschmerzes und jeder Erkältung den Arzt zu befragen und
eine gründliche Behandlung zu verlangen pflegten, schämen sich fast,
wegen solcher Beschwerden Hilfe zu suchen. Das Heer der „Ner¬
vösen" ist bedeutend zusammengeschmolzen; und wenn man dereinst
nach glücklich erkämpftem Frieden die Bilanz dieses Krieges ziehen
wird, so wird man zwar viel Elend, viel Krankheit und Siechtum
aut die Verlustseite, aber auch diese Fähigkeit zur Selbstüber¬
windung, die Hintansetzung des eigenen Ich als moralische Werte
ruf die Gewinnseite setzen müssen.
Es sind zum überwiegenden Teile ernste Erkrankungen, welche
/ic Berliner Aerzte jetzt zu behandeln haben, und fast alle haben
rieh auch der Heeresverwaltung zur Verfügung gestellt, allerdings
.-ehr viele nur für Gross-Berlin. Die natürliche Folge davon ist,
lass die Heeresverwaltung von dieser Bereitwilligkeit nur in be¬
schränktem Umfang Gebrauch machen kann, und das hat wiederum
eine kleine Verstimmung unter den hilfsbereiten Aerzten hervorge¬
rufen. die nicht ganz unberechtigt ist. Man hat sich zwar anfangs
bemüht, jede Kritik zu vermeiden, konnte sie jedoch, da es sich um
die ärztliche Versorgung der Verwundeten handelt, nicht ganz
zurückdrängen. Wenn man hört, dass beim Sanitätsamt des Garde¬
korps 800 Aerzte für Gross-Berlin gemeldet sind, so ist es selbst¬
verständlich, dass nur ein kleiner Bruchteil von ihnen Verwendung
findet, und dass Meldungen, in denen Bedingungen in bezug auf
Zeit und Stadtgegend gestellt sind, überhaupt wertlos sind. Wenn
aber aus der Mitteilung, dass die Bereitwilligkeit auf den Heimat¬
ort beschränkt ist, ein leiser Vorwurf herausklingt, so ist ein solcher
sicherlich nur zu einem Teile berechtigt. Denn zahlreiche ältere
Aerzte sind, auch wenn die Rücksicht auf ihre Familie und ihre
Patienten keine Rolle spielen darf, körperlich den Strapazen des
Leid- und auch des Etappendienstes nicht mehr voll gewachsen, und
sie glauben, ihre Pflicht dem Vaterlande gegenüber besser in der
Heimat erfüllen zu können, während der Dienst ausserhalb den
jüngeren Kollegen überlassen bleiben kann. Die Verstimmung hat
aber gerade darin ihren Grund, dass man hier Aerzte in
Tätigkeit sicht, welche geeignet und bereit sind, ins Feld zu gehen,
wo es ja vielfach an Aerzten fehlen soll, während ihre hiesige Arbeit
sehr gut von älteren Zivilärzten geleistet werden könnte. Auch sonst
gab die Auswahl zur Kritik Anlass; denn man sieht Kollegen, deren
Sonderfach von chirurgischer Tätigkeit weitab lag, in Verwundeten-
lazaretten, während chirurgisch vorgebildete vergeblich auf Be¬
schäftigung warten. Wenn solche auffallende Erscheinungen der Er¬
örterung unterzogen werden, so geschieht es nicht zum Zwecke un¬
fruchtbarer Kritik; denn auch bei den Kritikern bleibt die Ueber-
zeugung, dass alles, was mit der Mobilmachung zusammenhängt, in
wunderbarer Ordnung und Umsicht vorbereitet ist, unerschüttert.
Wenn plötzlich dem dritten Teil der deutschen Aerzte ein neues
Arbeitsgebiet angewiesen werden muss und unter ihnen vielen, weicht
einem militärischen Befehl zur Friedenszeit nicht unterstehen, so is
es gar nicht möglich, dass überall der rechte Mann an die rechtt
Stelle gestellt wird. Da wir aber das Ende des Krieges noch nicht
absehen können und leider noch mit vielen Verletzungen und Krank
heilen rechnen müssen, so wäre freilich eine Verschiebung ues ärzt
liehen Personals in dem Sinne erwünscht, dass die nach Massgabt
der vorhandenen Kräfte beste Fürsorge fiir die Truppen erreicht
wird.
Als beim Ausbruch des Krieges sich viele Zivilärzte der Heeres¬
verwaltung zur Verfügung stellten, da haben sie nicht danacn gefragt
welche Rechte und Pflichten ihnen daraus erwachsen. Sie wollten
einfach nach ihren besten Kräften Hilfe leisten, alles andere war
Nebensache; ja manche waren sogar überrascht, als sie erfuhren
dass ihre Tätigkeit nicht ehrenamtlich, sondern gegen Entgelt au-.-
geübt v ird. Später wurde die Frage aufgeworfen, ob und in welcher
Weise Aerzte oder ihre Hinterbliebenen entschädigt werden, wenn)
sie infolge ihrer Kriegstätigkeit invalide werden oder sterben. Ueber
diese Frage herrschte vielfach Unklarheit. Der Aerzteausschuss von
Gross-Berlin hat sich daher in einer Sitzung, an der auch der Ab-1
teilungschcf im Kriegsministerium. Herr Generalarzt P a a I z o w, teil¬
nahm und .in dankenswerter Weise alle nötigen Aufklärungen' gab
die Verträge der Zivilärzte einer eingehenden Erörterung unterzogen.
Näheres über die Ansprüche der zum Heere in Vertragsverhältnis
stehenden Aerzte an Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung warf
in der vorigen Nummer dieser Wochenschrift mitgeteilt.
Vereins- und Kongressberichte.
Freie militärärztliche Vereinigung in Erlangen.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 30. Oktober 1914.
Vorsitzender: Generalarzt Prof. Dr. P e n z o 1 d t.
Herr Toeni essen stellt zunächst einen Kranken vor. der im
Anschluss an einen Halsschuss okulo-pupilläre Sympathikusstörungen
zeigt und erörtert die anatomischen Grundlagen des Symptomcn-
komplexes.
Hierauf hält Herr T. seinen Vortrag über die Ergebnisse der
klinischen Beobachtung an 34 Schussverletzungen der Lunge auf
Grund des Materiales der medizinischen Klinik. Die interessanten
Befunde bei Hämatothorax.Pneumohämothorax und Pyopneumothorax
werden an Röntgcnbildern demonstriert. Die Ausführungen sollen
unter den Originalien der M m.W. erscheinen.
Herr Kreuter berichtet über die Resultate einer einheitlichen
Serumbehandlung in 31 Fällen von Wundstarrkrampf nach Kriegsver¬
letzungen. Durch intravenöse und intra spinale Appli¬
kation des Serums ist es gelungen, die Mortalitätsziffer sehr beträcht¬
lich herunterzudrücken. Dieser Vortrag erscheint an anderer Stelle
dieser Nummer (S. 2255).
Herr v. K r y g e r demonstriert einen Fall von Aneurysma arterio-
venosum der Femoralis unter Vorausschickung kurzer Bemerkungen
über die traumatische Aneurysmabildung überhaupt. Kreuter.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1681 Ausserordentliche Sitzung vom 17. August 1914
abends 7 Uhr im Sitzungssaal.
Vorsitzender: Herr Quincke.
Schriftführer: Herr B a e r w a 1 d.
Herr H. Sachs: Ueber Typhusschutzimpfung.
Die 1 yphusschutzimpfung stellt eine aktive Immunisierung gegen |
I yphus dar, d. h. es werden die Krankheitserreger eingespritzt und
der Impfling erwirbt dadurch, ähnlich wie bei der Schutzpocken¬
impfung aktiv eine Immunität. Die Typhusimpfstoffe stellen demnach,
Aufschwemmungen von Typhusbazillen in geeigneter Form dar. Maiij
verwendet nach dem Vorgang von Pfeiffer und Kolle, von
denen die erste Methode der Schutzimpfung gegen Typhus stammt,
in Deutschland in der Regel Agarkulturen. Die neuerdings herge-
stellten 1 yphusimpfstoffe unterscheiden sich aber von den letzteren!
dadurch, dass die Abtötung der Bazillenaufschwemmung bei nie¬
drigerer I emperatur erfolgt und geringere Mengen injiziert werden, ;
Modifikationen, deren Bedeutung man aus den Erfahrungen englischer,
französischer und amerikanischer Aerzte (Wright, Harrison,
L e i s h m a n, Vincent, B e s r e d k a, Russell u. a.) kennen
gelernt hat. Während Besredka lebende Typhusbazillen, die mit
Immunserum _ beladen sind (sensibilisierter Impfstoff) injiziert und
Vincent zur Abtötung Aether verwendet, werden in Deutschland
nach dem Vorgänge von Russell die Bazillenaufschwemmungen
durch 1—1 V2 ständiges Erhitzen auf 55 0 abgetötet. Die Aufschwem¬
mung wird so verdünnt, dass der Impfstoff im Kubikzentimeter etwa
1000 Millionen Keime, entsprechend 14 Oese enthält. Als Konser¬
vierungsmittel wird 0,5 Proz. Karbolsäure zugesetzt.
Es empfiehlt sich dreimal, in Abständen von 7—10 Tagen, zu
inijzieren, und zwar das erste Mal 0,5 ccm. das zweite und dritte
17. November 1914.
■MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
Mal 1 ccm (subkutan). Die eintretenden Reaktionen, welche sich lokal
mi iSCu ^otung und Schmerzhaftigkeit, allgemein in Abgc-
schlagenheit, I emperatursteigerung, cv. Schüttelfrost und Erbrechen
aussern, sind nach den vorliegenden Berichten im allgemeinen gering,
hoher und erhebliche Störungen des Wohlbefindens sollen nur relativ
selten auftreten und verschwinden und dann nach 24 — 48 Stunden,
ohne jemals dauernde Schädigungen zu hinterlassen. Die statistischen
fcrhcbungen, dm Sich vorzüglich auf die Armeen beziehen (Deutsch-
Midwestairika, England und Indien, Japan, Frankreich, Amerika)
sprechen für glänzende Erfolge, die in der amerikanischen Armee
soKar | zur Einführung der obligatorischen Schutzimpfung (1911) ge-
u*-ri. l!ab.Cn f Def Schutz wird auf etwa 3 Jahre geschätzt. Bei der
\\ irksamkeit und Harmlosigkeit des Verfahrens kommt die Schutz¬
impfung Vber;111 da> wo e]nc wesentliche Typhusgefährdung besteht,
ils \yichtige Massnahme der Typhusbekämpfung in Betracht
Diskussion: Herr Kohnstamm fragt, ob Anhaltspunkte
Jatur vorhanden sind, dass die Impfung noch nützen kann nach
möglicherweise erfolgter Infektion.
Herr Braun: Zu den Ausführungen von Herrn Sachs möchte
ch mir einige Bemerkungen erlauben. Zunächst möchte ich darauf
m merksam machen, dass wir im hygienischen Institut einen poly-
. alenten Typhus.mpfstoff hergestellt haben, der an einigen Menschen
Hb‘er a nUy ge.n"ge Lokalerscheinungen verursachte. Dieser
•teht den Aerzten jederzeit umsonst zur Verfügung. Was die Er-
ÄSTSli®1 wr ImPfung betrifft, so sind sie durchaus nicht immer
uohtcr Natur. Wenn auch die Angaben der einzelnen Autoren nicht
S° uaün n3af1,aas den vorliegenden Daten immerhin
ltnehmen, dass nach der Injektion des Typhusvakzins in etwa 1 bis
Froz. der Falle schwere Erscheinungen (Fieber bis 40° und Kopf-
Jmnerzen, starke Schwellungen an der Injektionsstelle) sich aus-
! ltDar ?u,ss der Praktische Arzt wissen, da er seinen Patienten
uf diese Gefahr wird aufmerksam machen müssen. Andererseits
iuss aber betont werden, dass nach den vorliegenden Statistiken
le Immunisierung gute Resultate zeitigt und in der Mehrzahl der
alle (etwa 88 Proz .) die Impfung nur mit geringen oder gar keinen
ifS““ bereitet: wird. Es ist deshalb erforderlich, dass auch
e praktischen Aerzte sich in Zeiten der Typhusgefahr der Vak-
ination gegen Typhus bedienen. Die auftretenden Lokalerschei-
ungen kann man durch kalte Umschläge usw. mildern. Was die
ijektmnsstelle betrifft, so empfiehlt es sich bei Rechtshändern am
nken Oberarm bei Linkshändern am rechten Oberarm zu injizieren.
r‘nQt1Y'ud bif‘cd!,eSen ApP’lkatl0n kaum Störungen lebenswichtiger
rgane durch Schwellung beobachten.
.r2's ^.urde an uns die Frage gestellt, ob Kinder immunisiert
erden können. Es liegen bis jetzt keinerlei Erfahrungen darüber
or. Immerhin wurden wir die Immunisierung der Kinder bei be¬
eilender Gefahr ebenfalls empfehlen, natürlich unter Anwendung
.tptPnriRSWAr- Injektlonsdosen. Da der Typhusimpfstoff aus abge-
lergest,eIlt ,lst’ besteht keine Gefahr, dass der
ehandelte an Typhus erkrankt oder Typhus verbreiten kann.
2249
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzungen v o m 8., 15. u n d 22. Juli 1914. (Schluss.)
Vorsitzender: Herr B e n e k e.
Schriftführer: Herr Stieda.
Herr Abderhalden (a. G.): Die experimentellen Beweise für
s Vorkommen von Abwehrfermenten unter verschiedenen Beda¬
ngen. (S. d. Wschr. Nr. 36 u. ff.)
r,iHtrrwbd^rhalden (Schlusswort): Ich danke allen Herren
h tu» dauUi T-’ ,1as.s !ie so umfassender Weise meine Methoden
tu ic ifi1 klinischen Fragestellungen versucht haben. Ich darf
ihl als Schlussfolgerung aus der ganzen Debatte den Eindruck mit
ch Hause nehmen, dass Einstimmigkeit darin herrscht, dass die
;thoden es wert sind, weiter auf dem Gebiete der Pathologie an¬
wandt zu werden.
Ich bin aufgefordert worden, die rätselhaften Ergebnisse von
ichaelis, Mosbach er, Stephan und 0 e 1 1 e r, Freund
1« t3/111’! , ?• ow usw- zu erklären. Ich bin dazu
verstände. Ich bin mit voller Absicht nicht auf diese Ver-
snthehungen eingegangen. Ich begrüsse es ganz ausserordentlich,
nn scharfe Kritik an Auswüchsen und voreiligen Schlüssen geübt
• d. Ebenso bin ich sehr dankbar dafür, wenn schwache Punkte
den ganzen Ideengängen und in der Forschung und Methodik mög-
st Klar herausgearbeitet werden. Wir stehen ja erst im Beginne
es "e.uea Forschungsgebietes! Es bleibt noch unendlich viel zu
'■ ,.lch habe es auch für meine Pflicht gehalten, alle Einwände
ekbv nachzuprufen und zu ihnen objektiv Stellung zu nehmen.
' lon in dem manche der gegnerischen Arbeiten geschrieben sind,
bietet mir, auf diese einzugehen. Wenn Fraenkel in Heidel-
■ni /■a.tow in München (Mediz. Klinik von Friedrich
1 1 1 e r) diejenigen Forscher, und ihre Zahl ist nicht klein, welche
meinen Methoden Erfolge zu verzeichnen haben, verdächtigen,
v Hs? , oder. unbewusst sich und andere zu täuschen, so hört jede
glichkeit einer Verständigung auf. Ich werde diesen Herren nicht
ir antworten. Selbstverständlich prüfe ich alle Ergebnisse nach.
- Behauptungen von F 1 a t o w, auch die neueste, jedes Serum
Nr. 46.
baue Kasein ab, haben sich als vollkommen irrig erwiesen. So lange
er keine Kontrollversuche ansetzt und nicht mit inaktiviertem Serum
arbeitet und ferner seine Mitteilungen so wenig sachlich gestaltet,
wird es unmöglich sein, zu entscheiden, weshalb F 1 a t o w stets
Resultate erhält, die den Tatsachen nicht entsprechen. Herr Prof,
t regl m Graz, einer der sorgfältigsten Experimentatoren, die wir
annZi t besitzen> ermächtigt mich, mitzuteilen, dass er auf Grund von
3UU Untersuchungen zu dem Resultate gekommen ist, dass die Ab¬
wehrfermente streng spezifisch seien. Ich erinnere auch noch einmal
..? Feststellung von Paul Hirsch, dass das Interferometer, das
ich übrigens so zu ergänzen trachte, dass es zu grösseren Reihen
yermentuntersuchungen noch geeigneter wird, genau die gleichen
Resultate erhalten hat, wie ich und zahlreiche Kliniker sie mit ganz
anderen Methoden gewonnen haben.
Noch auf einen Punkt möchte ich kurz eingehen. Es ist be-
worden, man könne die Organe nach meinen Vorschriften
h ?LbiUti!rei^ euha teii- Ferner ist behauptet worden, dass Organe,
hnnmm 6 • ndej worden seien- wie ich es verlange, so schwer miss¬
handelt seien, dass man nicht mehr von Geweben sprechen könne
Ich erinnere z. B. an die Mitteilung von L a n g e aus dem Wasser-
mannschen Institute. Ich habe nun z. B. Plazenta histologisch
lwpietPrp?7ni aSSCn'a 5Jan erkennt auf iedem einzelnen Schnitte ohne
weiteres Zellen und Kerne. Die Zotten sind fast unverändert. Es
Mipmri-aUn — W1£, aus£ezeichnet das Gewebe noch erhalten ist.
Nicht eine einzige Blutzelle konnte nachgewiesen werden! Ich habe
schon vor einiger Zeit unabhängig von Bornstein und Deetjen
den Vorschlag gemacht, Organe, die der Einwirkung eines Serums
unterlegen sind, nachträglich zu härten und zu färben. Ein Vergleich
mit (lern nicht mit Serum behandelten Gewebe zeigt, welche Teile
von den Abwehrfermenten angegriffen worden sind. Man wird auf
diesem Wege wahrscheinlich so weit kommen, dass man die Art des
Gewebes, das zum Abbau kommt, genauer charakterisieren kann
Td dann ,™stande sein’ «ir jeden Fall die Substrate
spezifischer auszuwahlen, als es bisher der Fall war. Mikroskop und
Farbetechnik gehören unmittelbar zu den unentbehrlichen Er¬
gänzungen der ganzen Fermentforschung.
Nicht genug kann ich zu Tierversuchen raten. Zur Einstellung
von Organen leistet das Tierexperiment ganz vorzügliches.
Nach meiner Empfindung gehört die Anwendung der Methodik
auf pathologische Fälle an die Klinik. Niemals ist behauptet worden,
dass zurzeit auf Grund des Ausfalls meiner Fermentreaktion eine
Diagnose möglich sei. Die Methoden sollen den Kliniker und
Arzt nur unterstützen. Sie können eine Vermutung zur Ge¬
wissheit erheben oder den Arzt auf ganz neue Wege bringen
Es wird eines sehr grossen Materials bedürfen, bis man imstande
sem Wird, zu entscheiden, ob die Methoden und die ganze Forschung
praktische Bedeutung erlangen werden. Zunächst handelt es sich
nur darum das Anwendungsgebiet der Methoden zu umgrenzen. ' Ich
hoffe angelegentlich, dass die Zeit der unsachlichen Angriffe vorüber
ipeü? + die Zu- wiederkehrt, in der Gegensätze in den Forschungs-
i l^ten sac,bbch ergründet und aufgeklärt werden. Der Fortschritt
der Wissenschaft wird nicht gehemmt, wenn Widersprüche auftreten
Im Gegenteil wird sehr oft aus einer sachlich geführten Polemik eine
fülle von Anregung hervorgehen. Niemand ist mehr überzeugt als
t’ • t.SS c Methoden ausbaufähig sind und niemand wird leichter
als ich auf Vorstellungen verzichten, wenn Tatsachen zutage ge-
foidert werden, welche mit meinen Ideen nicht vereinbar sind Vor¬
läufig sehe ich allerdings nicht einen Befund, der mit meinen An¬
schauungen in Widerspruch steht.
Tch hatte vor bald 2 Jahren die Herren Kliniker gebeten, meine
Ideen und Methoden auf dem Gebiete der Pathologie und der
experimentellen Forschung zu prüfen und festzustellen, ob sie sich
als fruchtbar und anwendbar erweisen. Es Hess sich ja gar nichts
Voraussagen. Ich hatte mir vorgestellt, dass in ruhiger Forschung
entschieden wurde, ob der eingeschlagene Weg auch für den Patho-
?jnguar sei- f?b erwartete nicht sogleich einen bestimmten
Bescheid. Hatte es sich herausgestellt, dass aus diesen oder jenen
Gründen die Methoden für die Pathologie von keinem Werte sind
so wurde das mich nicht schwer getroffen haben. Die Fundamente
stehen auf dem Gebiete der Physiologie und diese stehen ganz sicher.
. s wäre nicht meine Schuld, wenn keine Organstörungen existieren
in deren Gefolge es zu blutfremden Substraten und Fermenten
kommt. Erweist sich meine ganze jahrelange Forschung als eine
jrimdlage, aut der der Kliniker Weiterarbeiten kann, dann bedeutet
das für mich eine grosse Freude. Der Theoretiker darf es als ein
ganz besonderes Gluck betrachten, wenn ihn die Forschung zu Resul¬
taten fuhrt, welche praktisch brauchbar sind.
i ln. d(Lr Sitzung vom 22. Juli d. J. berichtet noch Herr Kohl-
a ‘ r d 1 “bet seine Erfahrungen, die er mit dem Abderhalden-
bbalysi.erverfahren in der allgemeinen Praxis und in der
j : H^Hkejihtmstätigkeit machte. Sie erstrecken sich auf ca. 40 Krank¬
heitsfälle verschiedener Art.
nr.-ift1' ml,n!äSt wurde eine Gruppe von Krankheitszuständen ge-
j ruft, die sich namentlich in runktionell-nervösen Störungen aller
Al t ausserten. Nur 3 von 12 Fällen Hessen sich nach dem klinischen
in^pphp6 .Hy1 • '\abrS-^^ einlichkeit als thyreotoxische Störungen an-
sprcchen; bei den übrigen war die Aetiologie eine unsichere und
unbestimmte. Die Ergebnisse der Abderhalden sehen Reaktion
.eigten nun, dass sie alle in gleicher Weise auf Störungen und Ver¬
änderungen der Schilddrüse und der Thymusdrüse zurückzuführen
22 50
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4(i.
waren. In allen Fällen ergab sich mehr oder minder starker Abbau
von Basedowschilddrüse und von Thymusdrüse, weniger ausge¬
sprochen und nicht regelmässig auch von normaler Schilddrüse.
Dass es sich bei diesen Fällen tatsächlich um die genannte
Aetiologie handelte, war nur in 2 Fällen objektiv durch pathologisch¬
anatomische Befunde zu belegen. Ferner konnte es noch 2 mal be¬
wiesen werden durch die gleichzeitig mit der Besserung der Krank¬
heitserscheinungen einsetzende Wandlung des positiven Ausfalls der
Abderhalden sehen Reaktion in den negativen nach der
Operation. In den übrigen Fällen musste man sich zunächst mit der
Diagnose ex juvantibus begnügen. Es wurden mit den bei thyreo¬
toxischen Zuständen bewährten Behandlungsmethoden in allen Fällen
erhebliche Besserungen erzielt, nachdem vorher oft jahrelange all¬
gemeine und symptomatische Nervenbehandlung nicht oder nur sehr
unbefriedigend geholfen hatte. Besonders trat dies in einem Falle
schwerer Schlaflosigkeit hervor, der stark Thymus abbaute. Die
jahrelang bestehende und sehr ausgiebig ohne Erfolg behandelte
Schlaflosigkeit verschwand prompt nach wenigen Tagen auf die
Behandlung mit einem Organpräparat (Thymin).
II. Von ganz besonders hohem Werte erscheint die Ab der -
haldensche Reaktion als diagnostisches Hilfsmittel bei der Dia¬
gnose und Differentialdiagnose der bösartigen Geschwülste, sowohl
der Karzinome als auch der Sarkome.
In 2 Fällen von Sarkomen (1 der Schilddrüse, 1 des Ovariums)
konnte der positive Ausfall der Abderhalden sehen Reaktion
bewiesen werden durch den pathologisch-histologischen Befund der
exstirpierten Tumoren. In beiden Fällen war es nicht möglich, eine
sichere Diagnose und eine schnelle Indikation zur Operation zu stellen
auf Orund der klinischen Erscheinungen. Bei einer Halsdrüsen¬
geschwulst, die nach Verlauf und Befund den Verdacht auf maligne
Neubildung erweckte, ergab die Abderhalden sehe Reaktion
einen negativen Befund. Die Operation bestätigte die Richtigkeit
dieses durch das Vorhandensein einer Drüsentuberkulose.
Von 20 Karzinomfällen wurde das positive Ergebnis der Abder¬
halden sehen Reaktion in 6 Fällen durch pathologische Befunde
als richtig erwiesen. In einem Falle von Magenkarzinom, der in den
letzten Zügen zur Beobachtung und Behandlung kam, wurde der
Abbau von Magenkarzinom vermisst. In 4 weiteren Fällen liegt
nach dem klinischen Befunde mit Sicherheit Krebs vor. Bei 5 Fällen,
die positiv auf Karzinom reagierten, konnte die Frage bisher nach
dem Verlaufe und den klinischen Erscheinungen noch nicht in der
einen oder anderen Richtung entschieden werden. In den übrigen
4 Fällen, die negativ reagierten, verwischte der weitere Verlauf den
anfänglichen Verdacht auf Karzinom ganz. Weitere Beobachtungen
müssen über alle diese fraglichen Fälle noch sichere Aufschlüsse geben.
III. Aussichtsreich erscheint mir die Verwertung der Abder¬
halden sehen Reaktion bei der Differentialdiagnose der funktionellen
und organischen Herzerkrankungen. In 3 sicher als funktionelle
Störungen anzusprechenden Fälle wurde ein Abbau nicht nach¬
gewiesen; während in 3 ausgesprochen muskulären Erkrankungen
Herzmuskulatur abgebaut wurde. Interessant ist, dass bei einem
jungen, frischen, herzgesunden Mädchen Abbau von Herzmuskulatur
14 Tage nach ihrer Entbindung stattfand. Vielleicht hängt dies mit
einem Rückgang der psychologisch-hypertrophierten Herzmuskulatur
zusammen. Umfangreicheren Untersuchungen bleibt in diesen Fragen
noch ein reiches Feld.
IV. In den 4 Fällen, in denen Gehirn abgebaut wurde, war bei
2 Fällen eine bestimmte klinische Diagnose nicht zu stellen — in 1
handelte es sich um vorübergehende starke Kopfschmerzen, in dem
anderen um leichten Kopfdruck und Schwindel ohne erkenntliche
Ursache. Bei beiden sind die Beschwerden bald verschwunden.
Wassermann sehe Reaktion war negativ. Im 3. war eine Epi¬
lepsie vorhanden, die unter dem Einfluss einer Schwangerschaft mehr
hervorgetreten war. Im 4. Falle endlich lag eine Lues zugrunde.
WaR. +. Besonders interessant war hier die Beobachtung, dass vor
der Behandlung die Abderhalden sehe Reaktion stark positiv
(++, ++) ausfiel, während nach einer energischen Kalomelinjek-
tionskur und 3 Salvarsaneinspritzungen die Abderhalden sehe
Reaktion negativ wurde zugleich mit Verschwinden der zerebralen
Erscheinungen und der Hebung des Allgemeinzustandes.
Die Abderhalden sehe Reaktion ist hiernach imstande, schon
frühzeitig uns wichtige Aufschlüsse über die Natur und Lokalisation
der verschiedensten Erkrankungen zu geben. Sie gibt -uns so wichtige
therapeutische Fingerzeige und leistet uns sehr gute Dienste bei der
Beurteilung der Richtigkeit und der Wirksamkeit unserer thera¬
peutischen Massnahmen.
Vortr. stellt sodann einen Fall von Magen-Leberkrebs vor,
welcher mit einem nach Abderhaldens Angaben hergestellten
Serum behandelt wurde.
Der 62 jährige Kranke kam im August 1913 in die Behandlung.
Sein Zustand verschlechterte sich zunehmend trotz guter Pflege und
medikamentöser Behandlung. Radium, Mesothorium und Röntgen¬
strahlen wurden nicht angewandt. Seit Weihnachten war er infolge
starker Entkräftung und Abmagerung dauernd bettlägerig. Er ass
nichts, brach alles gebotene zugleich mit kaffeesatzartigen Magen¬
inhalt aus; die Leber war stark im ganzen geschwollen und zeigte
einen grossen Knoten, der sich durch die dünne Bauchdecke gut
durchfühlen liess. Darunter eine nicht genau bestimmbare Resistenz
und Druckempfindlichkeit. Starke Oedeme der erheblich abge¬
magerten Unterschenkel. Gewicht 109 Pfund.
Da er nach dem bisherigen Verlaufe dem Tode verfallen schien,
wurde mit seiner Einwilligung der Versuch mit genanntem Serum
gemacht: am 28. II. 1914. Auffallend war, dass schon in den nächsten
Tagen das Erbrechen ganz aufhörte, der Appetit zunahm und Pat.
sich angeblich wohler fühlte. Trotzdem grosse Skepsis, weil nach
<8 Tagen eine weitere Gewichtsabnahme um 5 Pfund eingetreten war.
Da die Injektionen keinerlei unangenehme Nebenerscheinungen
machten, wurden sie fortgesetzt mit dem Erfolge, dass das Allgemein¬
befinden und der Appetit sich weiter hoben. DiQ Gewichtszunahme
stieg Woche um Woche ganz allmählich bis auf 26 Pfund. Die
Lebcrsclnvellung und der Knoten gingen gleichfalls allmählich zurück.
Jetzt fühlt sich Pat. wohl, bricht nicht mehr, isst alles und macht
leichte Haus- und Gartenarbeiten. Sein Aussehen ist ein gutes und
erinnert nicht mehr an das von Ende Januar. Die anfängliche Ge¬
wichtsabnahme nach den ersten Injektionen liess sich nach der Beob¬
achtung auf das baldige Verschwinden der Oedeme zurückführen. 1
Während der Zeit vom 28. II. bis 19. VI. wurden 3Abderhalden- I
sehe Serumuntersuchungen gemacht, die alle 3 starken Abbau von 1
Karzinomgewebe ergaben.
Es wäre wohl ein Wagnis, einen solchen einzelnen Erfolg init-
zuteilen, wäre nicht noch in 2 anderen Fällen eine zweifellose Ein¬
wirkung auf Karzinome beobachtet worden. In dem einen handelte
es sich um ein Zungenkarzinom mit Halsdrüsen- und Lungen¬
metastasen. Auch in diesem wurde eine deutliche Besserung der
objektiven Erscheinungen und subjektiven Beschwerden festgestellt.
Leider starb der 72 jährige Mann einige Zeit nach der Serumbehand-
lung infolge allgemeiner Entkräftung und an Lungenentzündung. In
diesem Falle war nun der mikroskopische Befund des Zungentumors
von ganz besonderem Interesse und von grosser Beweiskraft für die
Einwirkung des Serums. Es zeigten sich nicht nur im Tumor zentrale \
Zerfallserscheinungen, sondern auch ganz auffallende Degenerations- 1
erscheinungen der in das Zungengewebe eindringenden jungen Krebs¬
zellen ohne Entzündungserscheinungen des Stromas. (GR. Prof. !
Dr. B e n e k e.)
Bei dem anderen Falle fand ein auswärtiger Chirurg bei der
Laparotomie eine karzinomatöse Infiltration des Mesocolon des-
cendens dicht oberhalb der Pleura sigmoidea. Eine Radikaloperation !
war ausgeschlossen. Es wurde deshalb eine Anastomose zwischen
Colon transversum und dem unterhalb des Tumors liegenden Darm-
absclmitt angelegt Eine energische Behandlung mit Röntgenstrahlen.
Radium und Mesothorium blieb ohne wesentlichen Erfolg auf die
Grösse des Tumors. Als Pat. in die Behandlung trat, war sie sehr
reduziert, hatte Uebelkeit und Erbrechen, starke Verstopfung und
Stuhldrang, ass nichts und fühlte sich sehr elend. Auch in diesem
Falle traten schon nach wenigen Injektionen deutliche Besserung der
Allgemeinerscheinungen und Verschwinden der Schmerzen, ces
Appetitmangels und der Stuhlgangsnöte ein. Der Tumor wurde zu¬
sehends ohne jede andere Therapie kleiner, der Stuhlgang erfolgt
jetzt spontan. Der Verlauf der Erholung wurde durch die Entwick¬
lung eines Abszesses an einer Injektionsstelle gestört, die sonst noch
nie beobachtet werden konnte.
Bei der Wirkung des Serums handelt es sich offenbar um eine
zweifache. Die eine erstreckt sich auf die in den Blutkreislauf ge¬
langten Karzinomzellenbestandteile, die zu allgemeinen Intoxikations¬
erscheinungen geführt haben; die andere greift den lokalisierten
Tumor im Sinne einer abbauenden Wirkung der Zellen an. Die be¬
reits erwiesene Tatsache, dass das Serum Krebskranker nur Kar¬
zinomsubstrate der gleichen Art abbaut — ein Beweis der hohen
Spezifität der Abwehrfermente — , bedingt nach Abderhalden
die Forderung, dass das zur Behandlung verwandte Serum, dessen
Wirkung auf dem Gehalt an Fermenten beruht, mit Hilfe des Dia-
lysierverfahrens genau auf die Tumorart des zu behandelnden
Kranken eingestellt wird. Auch die vorhandene Wirkung des so
eingestellten Serums auf den entsprechenden Krankheitsfall liefert
einen neuen Beweis für die hohe Spezifität der Abwehrfermente.
Äerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 20. Oktober 1914.
Vorsitzender: Herr Brauer.
Herr Brauer berichtet die lange und interessante Kranken¬
geschichte eines differentielldiagnostisch schwierigen Falles, in deni
es sich um einen chronischen Mediastinalabszess handelte. Beginn
der Erkrankung mit Tonsillitis und multipler Abszessbildung in den
Tonsillen, Tonsillektomie. Danach Auftreten von substernalen
Schmerzen, die als Neuralgie, Rheumatismus, Aneurysma, Endokar¬
ditis usw. angesprochen wurden. Die mehrfache Entleerung von
Eiter durch Husten liess an ein abgesacktes Empyem denken.
Schluckbeschwerden, systolisches Geräusch, am lautesten über dir
Pulmonalis, atelektatisches Knistern. Röntgenbild schien die An¬
nahme eines Empyems zu bestätigen. Mehrfache Operationen, durch
die endlich ein extrapleural im Mediastinum auf dem Perikard ge¬
legener (Senkungs- ?) Abszess eröffnet und nach entsprechender
Drainage geheilt wurde.
Herr Jacobsthal hat den B ü h r i n g sehen Feld-Taschen-
kohlenfilter auf seine Leistungsfähigkeit geprüft und für absolut wir¬
kungslos befunden. Das Filter lässt Bakterien, Algen und anorga-
. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
2251
clien Schmutz durch und ist daher nicht zu empfehlen. J warnt
- pseudohygienischen Massnahmen im beide
In der Diskussion macht u. a. Herr' Plaut darauf auf-
rksani, dass in verschiedenen Merkblättern empfohlen würde,
tsser durch Zusatz von Zitronensäure genussfähig und keimfrei
. machen. Diese Angabe sei falsch. Die Truppen seien davor zu
rnen.
Herr Fahr demonstriert ausgedehnte Stirnliirnschussver-
t ungen von einem 4jährigen Kinde. Das Kind war vom eigenen
er 3 mal m die Schlafe geschossen, nach anfänglicher Bcnommen-
* w'eder1 erwacht und in gutem Zustande geblieben, bis eine Meilin¬
gs hinzutrat, der das Kind nach 14 Tagen erlag. Der Fall lehrt
s nicht die schwere Stirnverletzung, sondern die hinzutretende
»nmgitis den Tod verursacht.
Herr v. Bergmann demonstriert Röntgenbilder von einer
' ressanten Schussverletzung. Ein Infanterist erhielt im 2 Inter-
: talraum einen Lungenschuss, der nach 8 Tagen Feldlazarettruhe
, geheut zu sein schien. Der Mann klagte aber dauernd über
zschmerzen. Bei der Durchleuchtung fand sich das Geschoss
1 b euV ^ *ij 1 1Ir! ,.e r * k a r d. wurde durch das Herz und bei
e Wechsel bald nach links bald nach rechts geschoben. Es be-
i t dabei ein Hämatoperikard.
Herr Haenisch berichtet über einen Offizier, der in der
zoekalgegend von einem Geschoss getroffen war, und bei dem
‘ 1 Gagen, m denen er sich relativ wohl befand und nur über ge-
ntnehe Blasenbeschwerden oder Bauchschmerzen klagte, eine
V e ! \1},de,r Bauchhöhle bewegende Kugel, die ganz
lutende Wanderungen mit Lagewechsel machte, auf dem Trocho-
1 ' festgestellt wurde. Baryumeinlauf in den Darm, um den extra-
itmalen Sitz des Geschosses zu beweisen.
Ferr Pr?^eckeJ ze‘g* aus der Zahl der Nervenschtissver-
ingen 3 Falle von Faziallsläsion:
1. Schuss in die Parotis: Parotisfistel, periphere Fazialisparese
: untersten Astes.
2. Schuss in die Gegend des Processus mastoideus. das Geschoss
i le abgelenkt und trat am äusseren Gehörgang wieder aus. Kom-
se periphere Fazialislähmung.
3. Einschuss in den Proc. mastoideus. Ausschuss am hinteren
‘ nenbogen. Komplette zentrale Fazialislähmung.
Herr Sudek: Lieber die Wundinfektionen des Krieges.
1. 1 eil. tiasphlegmone, bedingt durch den Bacillus
" h y s e m a t. F r a e n k e 1. Prognose bisher schlecht, 80 bis
roz. Mortalität, rapide einsetzendes Oedem, Gangrän der Ex-
1 Behandlung bisher: sehr breit ausgedehnte Spaltungen und
i eitige Amputationen. Nach Müller- Rostocks Vorschlag wird
' ? ? u e 0 [f s u b k u t a n i n j i z i e r t. 3 Fälle mit Erhaltung
i.xtremitat geheilt.
Diskussion: Herr A 1 s b e r g hat einen Fall von Gasphleg-
bnadegehdlt Art dUI"Ch breite Inzisionen l,nd Vioformgaze-
lerr Sick hat mit Wasserstoffsuperoxyd die breit gespaltenen
onen tamponiert.
1eür FJ,aen,kel demonstriert pathologisch-anatomische Prä-
e dei Erkrankung. Die Muskeln sehen aus wie ein Schwamm
uerperium sieht man metastatische Infektionen. Besprechung
Diagnose, bei der das Tierexperiment (Meerschweinchen) be-
■ ist, und der Differentialdiagnose gegen malignes Oedem
; peutische Versuche mit übermangansaurem Kali schienen beim
erioigreicn.
,einem am 20- IX. durch einen Querschläger
• linke Supraklavikulär grübe Getroffenen war die Klavikula zer-
Jiert und die Lunge durchschossen. Am 26. IX. wurde ein
es Pleuraexsudat durch Punktion entleert. Am 18. X. wurde
nehreren Tagen hohen Fiebers ein Empyem gefunden und durch
I nresektion entleert. In dem stinkenden Exsudat fand sich der
Hmphys. Fraenkel.
lerr Schottmüller hat den F r a e n k e 1 sehen Gasbazillus
»orten sehr häufig gefunden. 128 mal gelang kulturell im Uterus-
und vereinzelt auch vorübergehend im Blut der Nachweis,
st die Prognose viel besser, nur 5 Proz. Mortalität. Bei der
on kommt es auf die Disposition der Gewebe an. Im Uterus-
! ™a<"‘1^ d‘e Infektion nicht viel, in den parametranen Lymph-
lutbahnen verlauft die Infektion ebenso foudroyant wie in den
nirurgischer Seite beschriebenen Fällen,
err S i m m o n d s zeigt die bei einer Sektion frisch gewonnenen
morgane. Werner- Hamburg.
urhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
Sitzung vom 16. September 1914.
Vorsitzender: Herr M o r o.
Schriftführer: Herr Homburg er.
; Pzernj/ Einleitender Vortrag über Kriegschirurgie,
ic i einleitenden statistischen Bemerkungen über kricgschirur-
rtahrungen wendet sich Czerny 2 besonderen Punkten zu:
ansportfrage und dem Starrkrampf. Den ersten Punkt be¬
treffend sollten die Behörden den lokalen Delegierten vom Roten
?lhr reie Mai?d Iassen' Wenn der Abteilungsarzt die
cnstfalngkeh beantragt, müsste das Bezirkskommando mit dem Gut¬
achten des Garnisonsarztes die Frage entscheiden dürfen.
pi Fs.,war.?f als Regel z” verlangen, dass je 50 Verwundete von
n n^m ^gehilfen und e,ner Krankenschwester und jeder Zug von
^‘begleitet werde"- Ei” Aufruf und die nötige Schulung
urde den Bedarf an geeigneten Personen reichlich decken. Ein Arzt
ka in auf einem grossen Zug nicht viel leisten, wenn er nicht auf der
rt \°'! ,eine',’1 W^en in den anderen gehen kann. Am besten wäre
tränd«nnr?hi ?e5*D_ZugI wahrend des Krieges für den Verwundeten-
ransport zu benutzen. Es müsste auch technisch möglich sein Ge¬
päckwagen so einzurichten, dass sie vorne und hinten eine Türe
haben, und man durch Fusstritt und Handhabe einen Uebergang von
eineni^ zum anderen Wagen herstellte. oergang VOn
Es sollte zur Erleichterung der Sortierung an jeder wichtigen
-tappe ein Passantenlazarett am Bahnhof errichtet werden wo die
"b s,c wei,er in ESÄ
beobach?etHwnrddpiberS: Hind bisheru 17 Fälle von Wundstarrkrampf
beobachtet worden, von denen wahrscheinlich 9 genesen werden
günstiges' Ergebnis11 hift MortaHtät (80-90 Proz.) erstaunlich
Hpr vl! Crgebms- I”, }3 Fallen waren Granatsplitter die Ursachen
waren Und bl0SS 4 mal Gewehrschüsse. Sämtliche Fälle
waren m Leiterwagen transportiert und mit schlecht aussehenden
Sen“ "de? wi„deber£ 8ekomme"' Meh™‘>Is fände,, sich Kleider.
üpc wi7ie-leicht Anhaltspunkte für eine prophylaktische Einspritzung
des Anütoxms zu gewinnen, haben die Herren Dr. Spier i n g und
1 e u t s c hlander auf Anregung des Herrn Prof. H. K o s s e 1 frisch
emgeheferte Granatsphtterwunden auf Tetanusbazillen untersucht
aber bisher stets mit negativem Ergebnis, v. Behring empfiehlt'
TroncniVfrt0rrr?? Antltoxm in die Wunden einzustäuben. Ob die
Frage kommen d‘C f[Üh®r IÜr Pferde be,lützt wurden, in
rräge kommen (v. Oettingen), musste genauer untersucht werden
modernSnÄdblhSrnethUn* ^ PraMSCh bewäh"e" °™‘lsäte
rn a rfn ?fr Se£r ^bhaft,en D 1 s k u s s i o ii berichtet Exz. v. J a g e -
f a" n uber. d,e der obersten Behörde bereits zugegangenen Vor-
|cblage z”r Verbesserung der Transportverhältnisse, vor allem betr
Schaffung eines Uebernachtungslazaretts auf dem Güterbahnhof
sten Punktier 5ofmanfn und I) i 1 g e r bezeichneten als wunde¬
sten Punkt der Transportfrage den Uebergang von der Front zur
Etappe; an dieser Stelle fehle es an Personal.
Herr B. S c hm i d t beklagt sich über die oft unbegründet in die
Lange gezogene Dauer der Transportfahrten. uegrunuet in die
Tetanmrnach°B aCc c Vl aeriChte‘ ßb“ die ^bolbehandta* des
Anfn,lieiJ M 6 n g e Arat. Bringend zur Anwendung wesentlich grösserer
Anfangsdosen von Antitoxin und warnt vor allzugrosser Anaphvlaxie-
angst bei wiederholter Einspritzung in kurzen Zwischenräumen ‘ Das
5SÄevoraus aPhYlaXie SetZt ebie PaUSe VOn b“
Herr Gottlieb bezeichnet die subkutane Injektion als völlig
illusorisch; er empfiehlt vor allem die endoneurale Einspritzung.
,. ,, H|Cf~i,Hte/da(eu? spritzt das Antitoxin in die freigelegte Karo-
tis und fuhrt darauf seine in der Tat sehr guten Heilresultate zurück.
• r^5.fr ^ 0 s s ® ! glaubt nicht an die nachträgliche Tetanusinfektion
HÄSS&Ä" v,elmel,r d,e ers,e ,nkkn°" ,ar tIle
Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin
und Nervenheilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
33. Versammlung vom 17. Mai 1914 zu Bonn.- (Schluss)
Vorsitzender: Herr D i n k 1 e r - Aachen.
Schriftführer: Herr L a s p e y r e s - Bonn.
dystrophie.HU,SmanS'KÖln: Ueber ,nfantilismus und Chondro-
,, i bat‘e Gelegenheit, bei einer Gesellschaft von Zwereen
und in der Sprechstunde eine erhebliche Anzahl der verschiedensten
?phLUngenHder-ku°rperlichen und geistigen Entwicklung zu beob-
anknüpfennd m°Chte 30 dieser Stelle einige klinische Bemerkungen
l .rn,2;11"??5] Xrar, CS ihm interessa”t- wie sehr bei den 12 kleinen
Leuten, die er leider nur vorübergehend sah, die Genese differierte
scheiden Äei?61 ,^berf!achlichcr Betrachtung zwei Gruppen unter-’
„^r‘e,b.en nessen. Bei der einen bestand fast jedesmal ein Dvs-
gemtälismus, die Genitalien blieben infantil oder bildeten sich viel
w i rfZUrUCki bei dcr anderen k0””te davon keine Rede lein
Wahrend ferner die erstere Gruppe auch psychisch infantil war sich
lappisch benahm, an kindlichem Eigensinn litt, fand sich bei anderen
eine ausgesprochene Libido sexualis und Potenz, die in 2 Fällen schon
zu dem traurigen Ergebnis geführt hatte, dass 2 kleine ZwerüfrSuen
2252
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4(
mit normal grossen Kindern schwanger wurden und nach Angabe
des Managers in partu starben.
Schon aus diesem einen Gesichtspunkte schied sich der Infantilis¬
mus von der Chondrodystrophie — 2 Fälle von Kretinismus mit er¬
haltener Potenz bildeten den Uebergang. A. Souques (Bulletin
des Höpitaux 1912) hat also bedingt Recht, wenn er behauptet, beim
Infantilismus sei immer eine funktionelle Störung der Genitalorgane
vorhanden, entweder primär (z. B. traumatisch) oder sekundär bei
Erkrankungen der Hypophysis oder pluriglandulären Störungen.
Es handelt sich um 10 Fälle von formalem Infantilismus, die
topische Diagnose ist nicht leicht. Fälle von rein dysthyreogenem
Infantilismus fanden sich nicht.
H. hat die letztere Erkrankung in Köln häufiger beobachtet (cf.
Zschr. f. klin. M. 1901, Ther. d. Gegenw. 1902) und möchte hier nur
einfügen, dass er bei einem 25 jährigen Mädchen mit Myoedema
infantile von Schilddriisentabletten nur eine mässige Belebung der
Psyche sah, während ein 8 jähriges Kind F. aus M. durch dieselbe
Medikation in einem Jahre 9 cm wuchs und gute geistige Ent¬
wickelung (Schulbesuch mit Erfolg) zeigte. Eine Schilddrüsenkur
hat also nur in jungen Jahren Aussicht.
Auch reinen Dysgenitalismus (cf. Peritz: Ergebn. d. inneren
Med. u. Kdhlk. 17. 1911) konnte er nicht feststellen. Es gehörten
vielmehr alle Fälle zum pluriglandulären Infantilismus und bestätigten
die v. S t a u f f e n b e r g sehe Definition (M.m.W. 14/5): „Infantile
sind solche Individuen, die in wesentlichen Punkten kindliche Merk¬
male aufweisen, somatisch oder psychisch, und die zugleich nicht in
eine der qualifizierten monoglandulären Krankheitsformen gehören.“
Heute kann ich Ihnen im wesentlichen nur die recht interessanten
Röntgenplatten zeigen.
Fall 1. St., 19 Jahre, m., 112cm gross, kommt wegen einer
Lungenentzündung ins Vinzenzhaus. Grazilsymmetrisch gebaut.
Auffallend das trichtermörmige Zoekum. Bekanntlich vertritt
v. Hansemann den Standpunkt, dass infolge Einbeziehung des
Appendix in das Zoekum, wie er es bei infantilistischen Störungen
beobachtete, eine Appendizitis bei Infantilismus unmöglich sei. Der
Appendix war bei St. nicht sichtbar, es liess sich aus dem Röntgen¬
bilde die Frage nach seinem Vorhandensein weder mit Ja noch mit
Nein beantworten. Möglich, dass auch in unserem Falle die von
v. Hansemann beschriebene Sachlage vorhanden war.
8 Fälle waren quoad genitale durchaus dystrophisch, ich möchte
nicht sagen infantil, weil beim normalen Kind die Keimdrüsen noch
nicht ausgereift sind, während man bei diesen Fällen annehmen muss,
dass die normale Entwicklung zum Stillstand kam oder sogar eine
Rückbildung eintrat. Bei dem Fall e 2, welche nie die Menses hatte,
bestanden deutliche Ausfallsymptome, welche durch Oophorintabletten
gebessert wurden.
In den letzten Fällen, welche in das Gebiet der Kretinoiden ge¬
hören, bestand auffallenderweise sogar gesteigerte Libido sexualis.
Bei H. M. u. a. — M. ist 46 Jahre alt — fand sich eine zentrale
Epiphyse am Daumen. Nie sah ich die von A. Köhler (M.m.W.
1912 Nr. 41) bei infantilem Myxödem, von S i e g e r t bei Mongoloiden
beobachteten vollzähligen proximalen Metakarpalepiphysen der
Sirenen.
Ueberall fand sich ein starkes Zurückbleiben des Zahnwachstums,
Zähne sonst gesund. Am Schädel Knochendefekte.
Durchaus verschieden verhalten sich die Vertreter der zweiten
Gruppe, die wir dem chondrodystrophischen Zwergwuchs (cf. auch
Siegert: Erg. d. inneren Med. u. Kinderheilk. 8. 1912) zuzählen
müssen. Auffallend sind der übergrosse Schädel, die Fettsucht, Lor-
dosis lumbalis mit horizontalem Kreuzbein, die von Langer 1861
gefundene prämature Synostose der Keilbeine und des Hinterhaupt¬
beins (Tribasilarsynostose), normale Zahnung, Osteosklerose, kurze,
derbe, plumpe Knochen, normales Genitale.
H. M ü 1 1 e r - Würzburg (1860) hielt die Krankheit für eine fötale
Rhachitis, die Wachtsumshemmung durch die fehlende Wucherung der
Epiphysenknorpel bedingt.
Der Zustand ist vererbbar, charakteristisch das Missverhältnis
zwischen Rumpf und Extremitäten.
Bei unserem ersten Falle (Zirkusclown, 47 Jahre alt, 120 cm
gross) fällt im Röntgenbild insbesondere die Osteosklerose auf; im
zweiten Falle ist die Tatsache erwähnenswert, dass der Zwillings¬
bruder gesund und 145 cm, unsere 12 jährige Pat. dagegen nur 116 cm
gross ist. Die letztere bietet deutliche Anzeichen von Rhachitis an
den Zähnen, auch sind die oberen bleibenden Eckzähne erst seit
2 Jahren durch. Steiler Gaumen. Kopfumfang 58 cm. Genitale
normal.
Der erste Patient war 3 mal verheiratet.
Ich beschränke mich absichtlich auf diese kurzen Mitteilungen,
um Ihnen die interessanten Röntgenplatten zeigen zu können.
Herr Hess-Köln: Ueber funktionelle Nierendiagnostik mittels
Phenoisulfophthalein.
Es wird auf Grund von über 300 Untersuchungen der Wert der
Methode in diagnostischer und prognostischer Beziehung besprochen.
Dabei wird eine Tabelle mit eingezeichneter Normal-Phthaleinkurve
demonstriert; in derartige Tabellen*) werden die gefundenen Farb¬
stoffwerte eingetragen, so dass man stets den Mittelwert zum Ver¬
gleich hat.
Das obige Thema ist ausführlich in Nr. 34 und 35 der M.m.W
behandelt worden.
Herr Moritz-Köln: Ein transportables Blutdruckmanomete
(Beschreibung erfolgt demnächst in dieser Wochenschrift.)
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.) •
Sitzungen vom Mai und Juni 1914.
Herr Kramer bespricht an der Hand eines Falles von genuine
Epilepsie die Wirkung der Autoseruminjektionen. Es handelt sic:
um einen 24 jähr. Mann, der während seiner Militärzeit seinen erste
Anfall bekommen, seither Häufung der Anfälle bis 30 im Laufe voi
24 Stunden, am Tage meist petit mal, in der Nacht grosse Anfäll:
mit Zungenbissen und Bettnässen. Erfolglosigkeit aller Therapie
Ueber Rat eines französischen Arztes, Dr. Dupuy, begann Kra
m e r mit Autoseruminjektionen. Durch Abstehenlassen und Zentri
fugieren des durch Venaepunktion gewonnenen Blutes wurde ei
Serum gewonnen, das frei von allen Formelementen war. Begönne
wurde mit 16 g Serum (ad nates) und gestiegen bis 80 g. Anaphylal
tische Erscheinungen traten nach der 2. Injektion auf (Pulsakzelerc
tion auf 120, Schwindel, Kopfschmerz, Schweissausbruch), die abe
nach 24 Stunden ohne weitere Wiederholung zurückgingen. Dabe
wurde Brom, 4 g täglich, weitergegeben. Nach Auslassen des Brom
trat sofort ein Anfall auf. Gegenwärtig (Juli) keine weitere Wiedea
holung bei Fortsetzung der Therapie, indem Patienten in rege,
mässigen Intervallen immer grössere Serumdosen injiziert werdet
An eine Wunderkur oder eine Dauerwirkung des Verfahrens glauf
Herr K. nicht, hält aber den Erfolg für wichtig zur Nachprüfung.
Herr Kalmus spricht über die Feuerbestattung vom hygienische
volkswirtschaftlichen und gerichtlich-medizinischen Standpunkt. Di
Feuerbestattung bietet überall da hygienische Vorteile, wo für ei
einwandfreies Erdbegräbnis nicht gesorgt werden kann, besonder
bei Infektionskrankheiten, deren Erreger im Erdboden noch lang
virulent erhalten bleibt (Pest, Cholera etc.). Es würde eine obligr
torische Feuerbestattung grosse Vorteile bringen, wenn ein Modi
gefunden werden könnte, sie auch auf dem Schlachtfelde zu vei
wenden. Vom wirtschaftlichen Standpunkte könnte die Feuerbesta;
tung nur in Betracht kommen, wenn sie an einem grossen Prozen)
satz von Leichen stattfinden würde. Die Kremation hat aber de
grossen Nachteil, dass das Material, welches die Leiche als Objelj
der gerichtlich-medizinischen und gerichtlich-chemischen Unte(
suchung bildet, nahezu völlig unbrauchbar gemacht wird. Sie be
darf daher viel strengerer Kautelen als das Erdgrab, die nach dei
Erachten des Vortr. vor allem in einer viel strengeren obligatorische)
ärztlichen Leichenbeschau durch einen beamteten Arzt, dem vorhe
eine ausführliche Krankengeschichte des behandelnden Arztes vorzi
legen wäre, bestehen müsste. In allen Fällen von angeblichen Selbs
morden und in allen nicht absolut einwandfrei aufgeklärten Tode;
fällen müsste obligatorisch eine sanitätspolizeiliche Obduktion vorgi
nommen werden, während die Fälle, bei denen die äussere Besicl
tigung der Leichen oder die sanitätspolizeiliche Obduktion die ge
ringsten Verdachtsmomente ergeben würde, unbedingt der gerichj
liehen Obduktion zugeführt werden müssten. Demgemäss müsste
die Leichenteile bei Verdacht auf Vergiftung obligarorlsch vom gt
richtlichen Chemiker untersucht werden. Unerlässlich sei die Fes)
Stellung der Identität der Leiche unmittelbar vor der Einäscheruti:
Internationale Abmachungen müssten die Umgehung der angeführte
Vorsichtsmassregeln beim Transporte der Leiche ins Ausland ui
möglich machen.
Herr Marx: Schussverletzungen durch Flobert.
Im Anschlüsse an einen Fall (Einschuss in die rechte Brustseit
im 5. Zwischenrippenraum, Perforation der rechten Herzkamme|
Durchsetzung des rechten Unterlappens, die Kugel war an de
11. Rippe abgeprallt und durch die Ausschussöffnung in der rechte:
Lunge wieder in dieselbe zurückgeprallt) bespricht Herr M. die viej
fach verbreitete Ansicht, dass Flobertwaffen als ungefährliche Wafic
zu betrachten sind. Er beweist die Unrichtigkeit dieser Ansicht
Grund der in der Literatur mitgeteilten tödlichen Fälle von Flober
Schüssen und der im gerichtlich-medizinischen Institute in Prag obdi
zierten 7 Fälle, von denen 2 Schädelschüsse waren. In demselbd
Institute hat seinerzeit Beckert Schiessversuche gegen ein 6nr
starkes Schädeldach aus einer Flobertpistole von 13 cm langem Lai
und 6 mm Kaliber angestellt und aus einer Entfernung von V*
noch vollständiges Durchschlagen erzielt. Die kleinste Waffe, in
der ein erwachsener Mensch sich eine tödliche Schussverletzung be.
brachte, welche im Institute aufgehoben ist, ist eine Flobertpisto
von 6 cm Lauf und 6 mm Kaliber (Herzschuss). In dem vom Vort
demonstrierten Falle war von der Oberfläche des Projektils ein Stücl
chen abgesprengt und in dem dadurch entstandenen Spalt ein kleint
Knochensplitter eingekeilt. Er bespricht im Anschlüsse daran d
forensische Wichtigkeit jener Fälle, wo einem Projektil ein Frerm
körper anhaftet, für die Frage eines etwaigen Ricochetschusses. He
M. kommt zu dem Schlüsse, dass vom gerichtsärztlichen Standpunk
Flobertwaffen als lebensgefährliche Instrumente (im Sinne des Gt
setzes) angesehen werden müssen.
) Von Heilige 6c Co., Freiburg i. Brsg. zu beziehen.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz,
München, Arnulf Strasse 26.
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
MÜNCHENER
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 46. 17. November 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 15.
Erfahrungen über die Behandlung des Tetanus1).
Von Prof. Dr. Hochhaus in Köln a. Rh.
M. H.! Das ungemein häufige Vorkommen des Starr¬
krampfes bei den Verwundeten gestattet es jetzt auch dem
inzelnen Beobachter, an einer grösseren Reihe von Fällen
Erfahrungen über die Wirksamkeit der so zahlreich emp-
ohlenen und bis heute noch vielfach umstrittenen Behandlungs¬
nethoden zu machen; dass die Beobachtung derartiger stets
ach denselben Prinzipien ausgesuchter und behandelter Fälle
veit zuverlässiger ist, als die Sammlung kasuistischer Er-
ahrungen Anderer, ist selbstverständlich; früher war das bei
ler Seltenheit der Erkrankung eben nicht möglich. Nur auf
Jiesem Wege wird es auch gelingen, die Unsicherheit, welche
ich bis heran in unserem praktischen Handeln geltend machte,
:u beseitigen.
Meine Erfahrungen stützen sich auf die Beobachtung und
lehandlung von 46 Fällen von Tetanus, die meiner Abteilung
ius den verschiedenen Festungslazaretten der Stadt Köln iiber-
viesen wurden; wenn dieselbe auch noch nicht vollkommen
'.bgeschlossen ist, so genügt sie doch auch heute schon zu
inem sicheren Urteil über den Wert der angewandten
Mittel 2).
Da für die Behandlung die frühzeitige Erkennung der
(rankheit von grösster Wichtigkeit ist, mögen einige Worte
:uerst darüber Platz finden; besonders da die ersten Zeichen
ielfach so unbedeutend sind, dass sie dem Patienten selbst als
;anz harmlos und auch dem Arzte als unbedeutend erscheinen
können.
Am häufigsten wurde als erstes Zeichen bei unseren Fällen
in leichtes Ziehen, eine geringe Spannung, unbedeutende
Schmerzen in den Gesichtsmuskeln beobachtet; seltener
schmerzen oder Kratzen im Halse, wie bei einer beginnenden
lalsentzündung, oder auch eine geringfügige Erschwerung des
Schluckens; bei manchen trat zuerst eine Steifigkeit in der
'Jackenmuskulatur, oder eine Spannung auf der Brust auf;
rst nach diesen Prodromen, die mehrfach so geringfügig
varen, dass der Kranke sie gar nicht für der Erwähnung wert
lielt, traten dann deutlichere Erscheinungen: Erschwerung
>eim Oeffnen des Mundes oder Steifigkeit im Nacken hervor.
Recht häufig sah ich auch das erste Auftreten in der ver-
vundeten Extremität, als einfaches Ziehen oder auch aus¬
gesprochenen Schmerz, dem bald nachher ein Zucken oder
Steifwerden der Muskulatur folgte, erst danach traten dann
ler Trismus und die übrigen Symptome auf, die das Krank-
leitsbild bald klärten; auf dessen Einzelheiten ich an dieser
helle nicht eingehen will.
Die bisher bekannten Behandlungsmethoden bezwecken
■ntweder eine mehr kausale Therapie durch Entfernung des
Krankheitsherdes oder durch Bindung des Tetanusgiftes oder
ie versuchen die Symptome, also im wesentlichen die Krampf-
ustände zu bekämpfen.
Die Amputation des verletzten Gliedes ist das energischste
Tittel, die Krankheitsursache zu beseitigen; dass man bei
l) Nach einem Vortrage an einem „Kriegsärztlichen Abend“ der
torzte Kölns.
*) Fine ausführliche Publikation unserer Beobachtungen wird
päter durch meine Assistentin Frl. Dr. Knippen erfolgen; die Zahl
erselben ist inzwischen (10. XI.) auf über 60 gestiegen.
rechtzeitigem Eingriff diesen Zweck erreichen kann, ist theo¬
retisch zuzugeben; die Frage ist nur, ob man bei Ausbruch des
Tetanus noch rechtzeitig mit der Operation kommt; von ver¬
schiedenster Seite wird das verneint, auch auf Grund experi¬
menteller Erfahrungen, die erwiesen haben, dass, wenn man
eine Extremität, an der eine Tetanusvergiftung gesetzt ist, am¬
putiert bevor der Tetanus ausgebrochen ist, der Eintritt desselben
doch nicht verhindert wird. Ich selbst habe eine Amputation
bei beginnendem Tetanus nicht ausführen lassen, doch verfüge
ich über 5 Beobachtungen, bei denen nach der Amputation
der Tetanus doch ausgebrochen ist; dieselben seien in aller
Kürze erwähnt.
F a 1 1 I. R. H., am 18. IX. an der linken Hand verwundet durch
Intantcriegeschoss. Am 27. IX. Amputation mehrerer Finger, 24 Stun¬
den später Beginn des Tetanus, der am 6. X. tödlich endigte.
Fall II. S. F., am 17. IX. am linken Vorderarm verwundet
durch Granatsplitter; am 24. IX. Oberarmamputation; am 30 IX. Tris¬
mus; am 3. X. tot.
Fall III. G. R„ am 17. IX. am Fuss verwundet durch Schrap¬
nellschuss; am 28. IX. Amputation des Fusses; am 4. X. Trismus;
geheilt.
F a 1 1 IV. W. F., am 27. IX. Wunde am rechten Unterschenkel
durch Infanteriegeschoss; am 4. X. Amputation; am 7. X. Trismus;
am 11. X. tot.
F a 1 1 V. T. H„ am 29. IX. verwundet am linken Fuss durch
Schrapnellschuss; Amputation am 9. X.; am 10. X. Tetanus; am
14. X. tot.
Die vorstehenden Fälle beweisen wohl zur Genüge, dass
auch eine Amputation vor Ausbruch des Tetanus keinen Schutz
vor der Erkrankung gewährt; dieselbe dürfte also nach diesen
Erfahrungen nicht anzuempfehlen sein.
Noch recht umstritten ist bis jetzt die Wirkung des T e -
tanusserums; zur richtigen Schätzung des Heil wertes des¬
selben muss man sich stets der durch das Experiment fest-
gestellten Tatsache erinnern, dass nur eine frühzeitige Injektion
eines möglichst hochwertigen Serums von Erfolg sein kann und
dass es auch dadurch nur gelingt, den Teil des Giftes, der noch
in Zirkulation ist, unschädlich zu machen, nicht den der bereits
fest an die Nervenzellen gebunden ist. B e h r i n g, dem wir
diese Kenntnisse in der Hauptsache verdanken, fordert deshalb
auch, dass die Einspritzung möglichst innerhalb der ersten
30 Stunden nach der Infektion erfolgen solle.
Zur Injektion benützte ich durchweg das Behring sehe
Serum zu 100 A.E. und zwar wurde täglich eine Dosis ein¬
gespritzt, die erste fast durchweg intralumbal, die folgende
meist subklavikular, da sich die Lumbalpunktion wegen des
starken Opisthotonus selbst in Aethernarkose bei vielen nur
schwer ausführen Hess. Bei einer grösseren Zahl war es uns
auch möglich, die Injektion innerhalb der ersten 24 Stunden
zu machen.
Behandelt wurden im ganzen mit' diesen grösseren Dosen
22 Fälle; dieselben waren meist schwer, mit einer In¬
kubationszeit bis zu 10 Tagen und betrafen Verwundete,
die durch Strapazen und langen Transport recht er¬
schöpft waren und zum Teil auch ausgedehnte, eiternde
Wunden hatten. Von diesen erhielten 11 wenigstens an
3 Tagen je 100 A.E., die meisten aber mehr, bis zu 12 mal
100 A.E.; 2 erhielten zweimal 100 A.E. und 9 nur eine ein¬
malige Einspritzung von 100 A.E.
Es starben von den 11 ersten Kranken 7 und das waren
sämtlich die sehr schweren Fälle, während 4 mittelschwere.
22 54
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift. _ Nr. 4(
die natürlich auch am längsten injiziert wurden, durchkamen;
die beiden, welche zweimal 100 A.E. erhielten, starben am
3. Tag; es waren foudroyant verlaufende Fälle; von den 9. die
nur einmal eingespritzt wurden, starben die schweren Fälle
sämtlich nach der ersten Injektion, während die leichteren Fälle
heute nach längerer Zeit noch am Leben sind und wahrschein¬
lich durchkommen (4 Fälle).
Das Resultat kann ich also dahin zusammenfassen, dass
die wirklich schweren Fälle trotz rechtzeitiger Serumbehand¬
lung alle gestorben sind, während 4 mittelschwere und 4 leichte
durchgekommen sind.
Wie viel an der Genesung der 8 zuletzt erwähnten Kranken
der Serumbchandlung zuzuschreiben ist, lässt sich deshalb
nicht so leicht sagen, weil sämtliche Kranke gleichzeitig in
energischer Weise symptomatisch behandelt wurden.
Man wäre m. E. berechtigt, eine zweifellos spezifische
Heilwirkung des Mittels anzunehmen .wenn bald nach der
Einverleibung desselben der Charakter der Erkrankung wenig¬
stens eine deutliche Besserung gezeigt hätte; das glaubte ich
aber nur in einem einzigen Falle, der allerdings ziemlich
schwer war, konstatieren zu können.
Es handelte sich um einen 10 jährigen Artilleristen, der mit einer
schweren Verletzung des linken Armes herein kam. die er am 9. VT1T.
bei .Maubeuge erlitten; am 15. VIII. trat Trismus auf und am 19. VIII.
wurde er mit ausgesprochenem Trismus und Opisthotonus in sehr
elendem Zustande aufgenommen; schon nach der ersten intralumbalen
Injektion besserten sich die Erscheinungen auffällig und diese Besse¬
rung hat sich nach den weiteren Injektionen fortgesetzt.
Bei den übrigen Kranken muss die Möglichkeit, dass das
Serum an dem guten Ausgange mitgeholfen hat, wohl zuge¬
lassen werden, obschon mir nach meinen übrigen Erfahrungen
dieselbe nicht sehr gross erscheint.
Jedenfalls sind die Wirkungen des Serums bis jetzt keine
evidenten und durchschlagenden; nicht die, welche man von
einem spezifischen Heilmittel erwarten kann: bei den ganz
schweren Fällen sah ich gar keinen Erfolg, allerdings
auch von keinem der anderen von mir angewendeten Mittel;
bei den mittelschweren ausgesprochen nur in einem Falle;
trotzdem würde ich nicht so weit gehen, wie viele Aerzte, die
das Mittel ganz verwerfen; es ist immerhin möglich, dass unter
günstigen Umständen, wenn vielleicht noch relativ viel Gift
im Blute kreist und weniger an die Nervenzellen gebunden ist,
ein guter Erfolg eintritt.
Nebenwirkungen des Serums waren in zwei Fällen
Exantheme; eines trat nach 12 Tagen auf mit heftigem Fieber
und schmerzhaften Gelenkerscheinungen und verschwand nach
5 Tagen; ein anderes nach 10 Tagen, mit geringem Fieber
ohne sonstige Beschwerden.
Mehrmals traten nach der intralumbalen Einspritzung des
Behringschen Serums leichtes Fieber und ziemlich heftige
Kopfschmerzen auf, die aber nach einigen Tagen schwanden;
wie die Lumbalpunktion erwies, handelte es sich dabei um
leichte meningitische Reizungen: der Lumbaldruck war wesent¬
lich erhöht; das Punktat getrübt, zeigte vermehrten Eiweiss¬
und Zellgehalt; die Erscheinungen sind vielleicht auf den Kar¬
bolgehalt des Serums zurückzuführen, weshalb Behring
selbst auch ein anderes Präparat zur intralumbalen Anwen¬
dung anrät; wir hatten das mit Karbol versetzte injiziert, weil
uns ein anderes nicht zur Verfügung stand.
Ueber die prophylaktischen Wirkungen des Serums be-
sitzo ich eigene Erfahrungen nicht; nach zahlreichen in der
Literatur niedergelegten Erfahrungen zuverlässiger Autoren
müssen dieselben aber ganz unbestreitbar sein und würde sich
daher in allen Fällen, wo die Wundverhältnisse eine Infektion
mit Tetanus wohl möglich erscheinen lassen, die Anwendung
empfehlen.
Von den symptomatischen Mitteln habe ich Morphium und
Chloral. besonders aber das Magnesiumsulfat und Karbol an¬
gewendet.
Das Morphium, subkutan in der Dose von 0,02, schafft
am schnellsten und sichersten Ruhe und Aufhören der Krämpfe,
in leichteren Fällen genügt eine mehrmalige Einspritzung über
24 Stunden verteilt vollkommen zur Behandlung. In schweren
Fällen, deren ich 3 systematisch mit Einspritzungen von Mor¬
phium behandelt habe, alle 2 — 3 Stunden eine Injektion, trat
die Wirkung jedesmal bald nach der Injektion auf, verflog
aber sehr rasch, trotzdem dieselbe durch Eingabe von 3 m;
2.0 Chloral per Klysma noch unterstützt wurde; alle 3 Fäl!
starben. Später habe ich dann in einigen Fällen jeder Mot
phiuminjektion lA mg Skopolamin hinzugefügt, wodurch di
Wirkung wesentlich vertieft und auch verlängert wurde: m
3 Injektionen gelang es in 24 Stunden auch in schwerere
Fällen ziemliche Ruhe zu verschaffen, obschon ich den Eii
druck hatte, dass durch diese länger dauernde Narkose, bi
sonders bei Kranken mit Katarrhen der Respirationsschiein
häute die Neigung zu Bronchopneumonien erheblich verstärl
wurde; immerhin halte ich die vorsichtige Anwendung vo
Morphium-Skopolamin noch in Verbindung mit Chloralhydrr:
für sehr empfehlenswert.
In einer grösseren Reihe von Fällen habe ich das M;
gnesiumsulfat angewendet; die Empfehlung desselben stiit/
sich auf experimentelle Arbeiten von Meitzer3) und Aue
die erwiesen, dass das Mittel bei intravenöser, besonder
aber intralumbaler Einspritzung neben einer allgemeinen B'
ruhigung eine vollkommene motorische und sensorische Läl
mung zuerst der unteren, dann auch der oberen Extremitätei
herbeiführt. Die Anwendung beim Menschen ergab, dass mn
diesen Effekt mit einer lumbalen Einspritzung von 3—5 cct
e;ner 10 — 25 proz. Lösung erzielen kann; der Effekt tritt sei
bald, 14 — 20 Minuten nach der Einspritzung auf und hat ein
Dauer, die zwischen 12 und 24 Stunden schwankt. Zur B<
kämpfung des Tetanus ist das Mittel von vielen amerikanische
Autoren1), in Deutschland in erster Linie von Kocher, dan
von W e i n t r a u d und Stadler empfohlen worder
Kocher gelang es, von 5 Patienten 4, vorzugsweise durc
die intralumbale Anwendung dieses Mittels, zur Heilung /
bringen. Eine nicht unerhebliche Gefahr bei der Einspritzun
besteht darin, dass die Lähmung sich auch auf die Respiration1
muskeln erstrecken kann, und tatsächlich ist plötzlicher Stil
stand der Respiration mehrfach beobachtet worden; zur Bd
seitigung dieser unangenehmen Nebenwirkung musste dan
die Tracheotomie mit künstlicher Respiration angewendi.
werden. Von anderen wird zu diesem Zwecke die intravenös
Einspritzung von Calc. chlorat. oder die Auswaschung de
Lumbalsackes mit Kochsalzlösung empfohlen 5). Immerhin il
diese Nebenwirkung so gefährlich, und ihre Bekämpfung untu
Umständen so zeitraubend, dass die intralumbale Anwendun
sich für die allgemeine Praxis wohl kaum eignen dürfte.
Zuerst habe ich in 3 sehr schweren Fällen das Magnesiun
sulfat intralumbal angewendet in einer Dosis von 6 ccm eine
25 proz. Lösung; auch hier beobacheten wir mehrfach nehd
der guten Wirkung auf die Krämpfe kurze Stillstände der Rc
spiration, die durch geeignete Gegenmittel aber gehobe
wurden. Die 3 Kranken starben sehr bald trotz Anwendun
des Mittels; später habe ich dann das Mittel nur subkutan an
gewendet, da auch in dieser Form nach den experimentelle
Erfahrungen von Meitzer und Auer sich eine volle B<j
ruhigung des Nervensystems, besonders auch der sensible
und motorischen Nerven erzielen lässt; grössere praktisch
Erfahrungen über die subkutane Anwendung sind nur vei
amerikanischen Aerzten und in Deutschland von Falk") i
zwei Fällen gemacht worden.
Die Zahl der von mir behandelten Kranken, welche durcl
weg an schwerem Tetanus litten, betrug 17; es waren die
jenigen, welche auch mit Behring schem Serum behände!
wurden. Da über die Dosierung bei dieser Anwendung noC
keine genauen Angaben existieren, musste dieselbe zuerst vei
suchsweise festgestellt werden; in den ersten Fällen nahm ic
3 mal 10 — 15 ccm der 25 proz. Lösung, nachher habe ich durcl
weg von der 25 proz. Lösung in 24 Stunden 100 ccm eiti
gespritzt und später, um. das Volumen der eingespritzte
Flüssigkeit zu verkleinern, eine 40 proz. Lösung angewencL
von der ich in 24 Stunden 60 — 80 ccm, in ganz schweren Fälle
auch 100 ccm subkutan eingespritzt habe. Die subkutane Eiti
spritzung hat den Nachteil, dass sie recht schmerzhaft ist. ur
deshalb war ich gezwungen vielfach vorher eine Morphiim
3) B.kl.W. 1906 Nr. 3. )
4) Ausführliche Literatur und Zusammenstellung der Kasuisti
bei Stadler; B.kl.W. 1914 Nr. 1 u. 3.
5) Siehe auch Weintraud; B.kl.W. 1914 Nr. 42.
*) B.kl.W. Nr. 35.
7. November 1914.
2255
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
ljektlon von 0,02 zu machen; der Effekt der Einspritzung tritt
rst im Verlauf XA Stunde ein, dauert dann 5 — 6 Stunden, unter
[inständen auch länger. Der Kranke verfällt in einen leichten
chlaf, die Spannungen und Krämpfe der Muskulatur werden
lieblich geringer, in mittelschweren und leichten Fällen auch
ollkommen unterdrückt.
Es starben von den 17 mit dem Mittel behandelten 12;
wurden geheilt, allerdings waren das nicht die schwersten
alle.
Das Magnesiumsulfat in subkutaner Anwendung zeigte
emnach in den eben genannten Dosen eine langsam ein-
:tzende und ziemlich lang anhaltende sedative Wirkung, die
ch am ausgesprochensten geltend machte bei mittclschwerer
nd leichter Erkrankung, viel weniger bei den stärkeren
iraden; am vorteilhaftesten hat es sich uns stets erwiesen,
aerst durch eine Spritze Morphium schnelle Ruhe zu ver¬
haften und diese durch die subkutane Magnesiumeinspritzung
u verstärken und zu verlängern. Ein recht grosser Uebel-
and ist bei der Anwendung, wie schon eben hervorgehoben,
ie grosse Schmerzhaftigkeit, die noch längere Zeit die Ein-
iritzung überdauert und nur wenig durch eine aufgelegte
isblase gemildert wurde; auch stellten sich ferner mehrfach
n den Injektionsstellen Abszesse ein, die aber nach der In¬
sion schnell heilten; die Entstehung derselben ist wohl darauf
»riickzuführen, dass sich an der Stelle der Einspritzung, wie
h bei mehreren Autopsien wahrnehmen konnte, ziemlich um-
ngliche Blutungen im Zellgewebe und der angrenzenden
üiskulatur bildeten.
Wenn ich nach diesen Erfahrungen auch nicht von so
appanten Erfolgen sprechen kann, wie besonders Kocher
ld S t a d 1 e r sie durch die intralumbale Injektion und auch
idere Aerzte durch die subkutane erzielten, so kann ich das
.agnesiumsulfat doch als ein recht brauchbares Mittel
npfehlen, besonders in der eben genannten Verbindung mit
.orphium.
Bemerkenswerte üble Nebenwirkungen, ausser der er¬
ahnten Schmerzhaftigkeit bei der Injektion, sah ich nicht,
otz der grossen von mir angewandten Dosen; nur in 3 Fällen
agten die Patienten vorübergehend über Gefühllosigkeit und
:hwäche in den unteren Extremitäten, sowie über Blasen-
ischwerden, indes gingen diese Erscheinungen bald vorüber,
ichdem das Mittel einen Tag ausgesetzt wurde; Anfälle von
espirationslähmung habe ich bei dieser Anwendung nie ge¬
hen.
Ausser dem Magnesiumsulfat habe ich dann noch in
' Fällen die Phenolbehandlung angewendet. Die Methode,
eiche von B a c c e 1 1 i 7) ausserordentlich empfohlen wird,
1 besonders von italienischen Autoren versucht worden und
var mit dem überraschenden Erfolge, dass fast sämtliche
die durchgekommen sind, was wohl zweifellos auf die ge¬
ige Intensität der Erkrankung zu beziehen ist.
Die Kranken wurden mit Einspritzung einer 3 proz. Kar-
»llösung behandelt und zwar bekamen die ersten 3 mal
ccm in 24 Stunden, die übrigen 5 mal 10 ccm subkutan, so
iss 1 g und mehr Karbol dem Körper einverleibt wurde,
e Injektionen waren wenig schmerzhaft und zeigten keine
»len Nebenwirkungen, besonders auch nicht in bezug auf die
erentärigkeit. Es trat danach bei den meisten Kranken etwa
ch dem Verlauf einer guten Az Stunde eine gewisse allge-
eine Beruhigung und auch ein Nachlass der Krämpfe auf,
enigstens bei den weniger schweren Fällen, doch war der
folg nie so sicher und durchgreifend wie bei der Anwendung
s Magnesiumsulfats; sehr häufig waren wir genötigt, um die
dge Ruhe zu erzielen, noch eine Morphiumeinspritzung von
- zu machen, oder Chloral in entsprechender Dosis zu
ben.
Es wird sich demnach die Phenolbehandlung allein nur für
c leichteren Fälle empfehlen, bei schweren wird man die
iterstützung durch Morphium oder Chloral nie entbehren
nnen. Von den 15 von uns behandelten Fällen starben 9 und
kamen durch, ein Umstand, der aber darauf zu beziehen ist,
ss ein Teil der Fälle leichterer Art war.
Eine grosse Rolle spielt die Pflege und Ernährung der
anken; wenn möglich muss jeder derselben, in einem
7) B.kl.W. 1911 S. 1021.
•
Einzelzimmer untergebracht werden, in dem die möglichste
Ruhe herrscht und die Fernhaltung jedes unnötigen Reizes er¬
strebt wird. Die Ernährung darf per os natürlich nur bei den
Kranken geschehen, die keine Schluckkrämpfe haben, weil
sonst die Gefahr der Schluckpneumonie zu gross ist; die mei¬
sten mussten wir per Klysma ernähren, was bei den Kranken
deshalb leichter ist, weil sie wegen des Sphinkterkrampfes im¬
stande sind, auch voluminösere Flüssigkeitsmengen längere
Zeit bei sich zu behalten.
Auch die subkutane Injektion von Kochsalzlösung, sowie
die intravenöse Einverleibung einer 5 — 10 proz. Trauben¬
zuckerlösung leistet sehr gute Dienste.
Wenn ich zum Schluss kurz skizzieren soll, wie mir die
Behandlung der Tetanuskranken am rationellsten erscheint,
so würde ich in erster Linie prophylaktisch empfehlen, neben
einer kunstgerechten Behandlung der Wunde die Einspritzung
von Tetanusserum, wenigstens 1—2 mal 20 A.E.; bei aus¬
gebrochenem Tetanus sofortige Injektion in den Lumbalsack
von 100 A.E., die am folgenden Tage event. wiederholt wird;
dann noch einige Tage die gleiche Dosis subklavikular. Zur
symptomatischen Behandlung erscheint mir am zweck-
mässigsten die Einspritzung von Morphium in Verbindung mit
der subkutanen Anwendung von Magnesiumsulfat; neben der
medikamentösen Behandlung muss dann einer entsprechenden
Pflege und Ernährung die grösste Aufmerksamkeit gewidmet
werden.
Aus dem Reservelazarett. (Chefarzt: Generalarzt Professor Dr.
P e n z o I d t) und den Lazarettabteilungen der Universitäts¬
kliniken in Erlangen.
Bericht über 31 Tetanusfälle nach Kriegsverletzungen,
einheitlich intraspinal und intravenös mit Serum behandelt*).
Von Prof. Dr. Kreuter in Erlangen.
Von 60 000 Verwundeten und Kranken der verschiedensten
deutschen Truppenabteilungen, welche bis Ende September
1914 in Bayern behandelt wurden, sind 0,7 Proz. gestorben
und nicht weniger als 0,4 Proz., also mehr als die Hälfte an
Starrkrampf zugrunde gegangen. Dieser enorme Prozentsatz
beweist, welch kolossale Bedeutung die Tetanusinfektion, die
wir in der Friedenszeit meist als Rarität erleben, auch im
Heimatgebiet in Kriegszeiten gewinnt.
Wir hatten in Erlangen in zwei Monaten nicht
weniger als 31 Tetanusfälle unter den Augen, ein Material, das
man in Friedenszeiten aus manch grosser Klinik nicht in
10 Jahren sammeln kann. Das Interesse an der Frage bestand
in hohem Masse und wurde von Herrn Generalarzt Pen-
z o 1 d t in jeder Weise unterstützt. So ergab sich eine seltene
Gelegenheit, die Behandlung in fast allen Fällen in gleich-
mässiger Weise durchzuführen und als Basis den neuesten
Stand der experimentellen Forschung zu wählen, der in der
noch öfter zu erwähnenden ausgezeichneten Arbeit von Per-
tn i n (Mitt. Grenzgeb. 27. 1913) niedergelegt ist.
Bevor ich auf unsere Behandlung und ihre Resultate zu
sprechen komme, erscheint es mir zweckmässig und lehrreich,
einige Punkte aus der Symptomatologie und Patho¬
genese der Erkrankung zu streifen, welche allgemeines
Interesse beanspruchen dürften. Sie wurden bei der genauen
Durchsicht der fast ausnahmslos sehr gut geführten Kranken¬
geschichten gesammelt und verdienen besonders hervor¬
gehoben zu werden.
Zunächst ist man überrascht, dass doch auch die Ver¬
letzungen durch Gewehrschüsse in recht hohem Pro¬
zentsatz zu Tetanuserkrankungen führen. Bei unserem Ma¬
terial waren 12 Infanterieschiisse, 17 Granatverletzungen und
nur 2 Schrapnelltreffer die Ursache der Erkrankung. Die Ge¬
wehrschüsse betrafen überwiegend die untere Extremität.
Nicht weniger als 6mal handelte es sich um Durchschüsse
durch die Wade, ausnahmslos mit schwerer sekundärer
Infektion, starker Jauchung und verschieden intensiver Gas¬
bildung. Diese Prädisposition der Unterschenkelverletzungen
zu Tetanus ist unschwer zu erklären. Fast stets waren die
*) Nach einem Vortrag in der 6. Sitzung der freien militär¬
ärztlichen Vereinigung in Erlangen am 30. Oktober 1914.
2256
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift.
Nr. <
Schaftstiefel durchschossen, mit denen lange Märsche in auf¬
gewühltem Boden gemacht oder ein längerer Aufenthalt in
aufgeworfenen Schützengräben vorausgegangen war. Aus¬
nahmslos im Zustand übelriechender Eiterung befanden sich
die Wunden durch Granaten, welche zur Entstehung des
Starrkrampfes veranlassten.
Was die Inkubationszeit anlangt, welche zweifellos
für die Prognosestellung von grösster Wichtigkeit ist, so be¬
trug sie bis zu 7 Tagen 5 mal, von 8 bis 14 Tagen 20 mal und
von 15 bis 21 Tagen 6 mal. Bei der Erkrankung in der
ersten Woche lag die Verletzung einmal 4, einmal 5, einmal 6
und zweimal 7 Tage zurück.
Die ersten Anzeichen der Erkrankung äusserten sich
überwiegend in T r i s m u s und Schluckbeschwerden;
an zweiter Stelle sind lokale Krämpfe in der ver¬
letzten Extremität zu nennen. Sie betreffen meist einzelne
Muskelgruppen und bleiben nicht selten während der ganzen
Krankheitsdauer auf diese beschränkt. Sie können in den all¬
gemeinen Krampfanfällen aufgehen, sich aber auch im Zustand
der allgemeinen Muskelstarre als äusserst schmerzhafte, vor¬
übergehende Verstärkungder Rigidität im ver¬
letzten Glied bemerkbar machen. Wir haben sie 14 mal, also
nahezu in der Hälfte der Fälle beobachtet. Gewiss
bestehen manchmal grössere Schwierigkeiten, diese Muskel¬
zuckungen als tetanische zu erkennen, besonders bei |
grossen Wunden, die zu den mannigfachsten Sensationen
führen können. Intelligente Patienten geben von selbst an,
dass diese Krämpfe besonders bei äusseren Reizen
auftreten, dass sie sich einstellen, wenn die Türe geöffnet wird
oder wenn sich jemand mit schwerem erschütternden Tritt
dem Krankenbett nähert, wenn Türen zugeschlagen werden
oder dergl. Wenn man spontan oder auf Anfrage in dieser
Weise des näheren über die Muskelzuckungen belehrt wird,
kann man nicht mehr im Zweifel sein, dass es sich um echte
tetanische Krämpfe handelt. Da sie sehr häufig früher
auftreten als andere sichere Erscheinungen des Starr¬
krampfes, wie besonders der Trismus, kann man nicht ein¬
dringlich genug empfehlen, sein Augenmerk ganz besonders
auf sie zu richten. Wiederholt haben wir auch gesehen, dass
der Trismus sich nicht von vornherein als Starre der
Masseteren entwickelte, sondern dass auch diesem Zustand
echte isolierte Krämpfe vorausgehen und zu recht heftigen
Z u n g e n b i s s e n führen. Auch L i c h t s c h e u e wurde trotz der
Infektion an den Extremitäten zweimal notiert. Wir
sahen nur einen Fall von Kopftetanus mit der charak¬
teristischen Fazialislähmung, der trotz aller Be¬
mühungen t ö 1 1 i c h ausging.
Es handelte sich um einen ganz oberflächlichen Streifschuss
an der linken Stirnseite, aber über die Mittellinie herüber-
reichend, mit schmierigem Belag. Die Inkubation betrug 9 Tage,
die Krankheitsdauer 5 Tage. Die Wunde wurde exzidiert und er¬
reichte nicht einmal das Periost. Der ungünstige Ausgang war nicht
aufzuhalten.
Bei einem Kranken mit einer fast vollständigen Durchtrennung
der Wadenmuskeln und 18 tägiger Inkubation kam es zu einer
Dauerstarre in der Muskulatur des verletzten Unterschenkels in
stärkster Streckstellung mit entsprechender Plantarflexion, Adduktion
und Supination des Fusses. Dieser Fall bot absolut das gleiche Bild,
das man beim Kaninchen u. a. Tieren so leicht und regelmässig er¬
zeugen kann. Der Zustand bestand fast unverändert 3 Wochen lang
fort, auch nachdem Trismus und Risus — die einzigen sonstigen
Tetanuserscheinungen — schon verschwunden waren.
Die Krankheitsdauer schwankte von 36 Stunden bis zu
27 Tagen, diejenige der tödlichen Fälle von 1 bis zu 8 Tagen.
Von unseren 11 Todesfällen betrafen 8 die ersten 4 Tage nach
Beginn der Erkrankung.
Wenn ich nun auf die Art unserer Behandlung eingehe, so
entsprach sie den Grundsätzen, die ich erst vor kurzem in
der M.m.W. 1914. Nr. 40 entwickelt habe. Sobald die ge¬
ringsten tetanischen Erscheinungen sich
offenbarten, wurde die Serumbehandlung ein¬
geleitet. Bei langer Inkubationszeit und
leichteren Symptomen bloss intravenös, bei
bedrohlichen Anzeichen und kurzer Inku¬
bation sofort auch intralumbal.
Die Spinalpunktionen haben wir in letzter Zeit lieber in
Chloroformnarkose gemacht. Der Aether führt zu
leicht zu besonders schweren Bronchitiden und pneumonisch'
Infiltraten, mit denen die Kranken bei der Erschwerung c-
Expektoration ausserordentlich mühsam zu kämpfen habt.
Bei stärkerem Opisthotonus ist die Narkose nicht zu umgeht.
Wir haben sie schadlos in einer Woche 6 m '
bei einem schweren, ausgeheilten Fall ang .
wendet.
Die intravenösen Einspritzungen (fast stets i
die Kubitalvene) können zweifellos sehr häufig wiederh t
werden. Sie wurden von N o c a r d zuerst in grösserem Ui-
fang angewendet, kamen jedoch durch die Mitteilung ,v. Be -
rings (1900), dass grössere Mengen Serum toxisch wirkt,
wieder ab. In neuerer Zeit wurden sie durch v. Graff, S-
m o n. Kirchmayr u. a. warm empfohlen. Wir haben u
in schweren Fällen zweistündlich gemacht und n i e ei :
Serumschädigung gesehen. So kamen wir bis auf 600 A .
pro die in die Blutbahn. Subdural wurde nie unter 100 A .
gegeben, bisher nur in einem Fall zweimal pro Tag, sott
nach Bedarf täglich, oder in grösseren Pausen, die sia
nach dem Ablauf der Erscheinungen richteten. Mening-
tische Störungen haben wir nicht erlebt. Unten
lassen mussten wir die Lumbalpunktion in solchen Fällt,
bei denen der Ort der Wahl durch die Wundverhältnisse if
zugänglich war.
Was die Serumquantitäte n anlangt, die wir in ei-
zelnen Fällen verwendeten, mögen als Beispiel die 6 schwer;
Fälle herangezogen werden, bei denen wir veranlasst wart),
über 1000 A.E. zu verabfolgen. Sie erhielten im einzeln i
in 5 Tagen 1100 A.E. ; davon subdural 150; intraven. 950; gestorb» :
8 ,
1350 , ;
9
n
200;
„ 1000; subkuta
150 ; geheilt;
12 „
1700 „ ;
•
400;
„ 1300; geheilt;
12 .
1950 , ;
n
n
400;
, 750; subkutai
800; geheilt;;
16 .
2200 „ ;
9
9
600;
„ 1600; geheilt;
16 „
2400 , ;
9
If
200;
„ 2200 ; geheilt.
Die M a x i m a, die wir bisher geben konnten, waren s
mit für den Einzelfall einmal 600 A.E. subdural und einnl
2200 A.E. intravenös. Die Höchstgabe an Serum für ein«
Kranken betrug 2400 A.E.
Eine fast unmittelbare Wirkung des Serums konnte nn
namentlich bei den intravenösen Einspritzungen scr
häufig beobachten. Während die allgemeine Muskc-
starre wenig, oder nicht beeinflusst wurde, verloren d;
Krämpfe in unverkennbarer Weise an I -
tensitätund Häufigkeit; auch der Trismus Hess mejt
etwas nach und die Möglichkeit, zu schlucken, wurde gross .
Von den Injektionen in den Lumbalsack hatten wir di
Eindruck, als ob sie das Krankheitsbild langsamer bec-
flussten. Es ist natürlich sehr schwierig, bei den Massengabi
durch den Blutkreislauf ein Urteil über den absoluten Wert ctri
intraspinalen Applikation zu gewinnen, zu der man sich jedori
aus experimentellen Erwägungen in ernsten Fällen stets vt-
pflichtet fühlt. Ausserdem sprechen für die Methode <p
günstigen Erfahrungen anderer Autoren wie Hof man.
Suter, Pancratio u. a.
Dass Wundexzisionen, Exartikulationen und Amputationli
bei ausgebrochenem Tetanus keinen Einfluss auf den Vt~
lauf der Erkrankung haben, konnten wir auch in 3 Fällen ats
Neue bestätigt finden. Besonders beachtenswert erschein)
jedoch zwei Erlebnisse, bei denen wir nach der Amputatic.
die ich unter allen Vorsichtsmassregeln durchaus im G -
sunden ausführte, Tetanus auftreten sahen. Bei dem einji
Kranken handelte es sich um einen Granatschuss in den Fu
mit Eröffnung des Fussgelenkes und weitgehender Zertrü-
merung der Fusswurzel. Bei ihm traten 24 Stunden na'!
der Operation die ersten Anzeichen von Starrkrampf a,
der ebenso tödlich endete, wie bei dem zweiten PatientL
der vier Tage nach einer Operschenkelamp-
t a t i o n wegen totaler Gangrän des Unterschenkels <-
Initialerscheinungen zu bieten anfing. Diese Fälle zeigen,
wir unter Umständen von „prophylaktischen“ Amp-
tationen zu halten haben! Sie weisen aber m. E. vor all»!
darauf hin, dass der Tetanusbazillus nicht bloss an dr
Eintrittspforte sitzen bleibt, sondern i1
Körper verschleppt werden kann. Denn andis
7. November 1914.
2257
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
und diese balle nicht zu erklären, da wir wissen, dass die
iiftleitung sowohl im Blut als im Nerven sehr rasch vor
ich geht (P er mi n).
Bevor ich schliesslich zu unseren Resultaten, den für
iie Praxis springenden Punkt übergehe, erscheint es unum¬
gänglich notwendig, ganz kurz über den gegenwärtigen
' t a n d der 1 etanusstatistik zu berichten, soweit sic
n brauchbarer Form vorliegt. Fast in allen Lehr-
»lichern findet man die von Rose gesammelten Zahlen, dass
io Mortalitätsziffer für den Starrkrampf iiber-
laupt 80 bis 90 Proz. beträgt, dass die Sterblichkeit in der
rsten Woche 90 bis 95 Proz. erreicht und bei späterer
nkubation auf ,50 bis 5,5 Proz. sinkt. D i es e Zahlen sind
e r a 1 1 e t. Eine Reihe neuerer Statistiken sind durch Samml¬
ung von Einzelfällen aus der Literatur entstanden und, wie
uch Permin empfindet, mit Misstrauen zu betrachten,
’ermin unterzog sich, um ein möglichst klares Bild zu be-
omrnen, der grossen Mühe, die Fälle aus 18 Kliniken des
n- und Auslandes zu sammeln, wobei allerdings auf die Art
er Serumbehandlung keine Rücksicht genommen werden
onnte. Er berechnete — abweichend von der bisher
blichen Zeitbegrenzung — die Sterblichkeitsziffern nach In-
ubationen bis zu 10 Tagen und solchen darüber. Es ergaben
ich bei einer Inkubation
bis zu 10 Tagen . .
über 10 Tage . .
unbekannter Inkub.
199 Fälle mit 78,9 Proz. Mortalität,
108 , , 37 , „ ,
23 , - 34,8 „ „ .
Im ganzen 330 Fälle mit 62,1 Proz. Mortalität.
Diese Statistik gibt zweifellos ein richtiges Durchschnitts-
ild davon, was im allgemeinen mit der Serumtherapie
isher geleistet worden ist. Dass man von „Leistungen“
er Antitoxinbehandlung sprechen kann und muss, geht auch
ir die grössten Skeptiker aus einer weiteren Zusammen¬
teilung von P e r m i n hervor, welche mit der gleichen Gründ-
chkeit, durch welche sich die ganze Arbeit des genannten
>utors auszeichnet, alle Fehlerquellen berücksichtigt. Diese
ählen entstammen einem anderen Material und ergeben bei
iner Inkubation
Ohne Serum
bis zu 10 Tagen 94,7 Proz.
über 10 Tage 70,2 „
unbekannter Inkub. 58,3
Im ganzen 78,9 Proz.
Mit Serum
72,8 Proz. Mortalität,
57,7 Proz. Mortalität.
Wenn wir nun unser Material von 31 Fällen auf die
'er in in sehen Ziffern beziehen und die Fälle nach einer In-
ubation von 10 Tagen und darüber ausscheiden, so
atten wir
bis zu 10 Tagen 14 Fälle mit 9 Toten = 64,3 Proz. Mortalität,
:i mehr als 10 . 17 „ , 2 „ = 12,2 „
Im ganzen 31 Fälle mit 11 Toten = 35,5 Proz. Mortalität.
Berechnet man die Mortalitätsziffern unseres Ma¬
riales nach Wochen der Inkubation, wie das in allge-
leinerem Umfang gebräuchlich ist, dann bekommen wir fol-
ende Zahlen: eine Inkubation hatten
bis zu 7 Tagen 5 Fälle, mit 3 Toten = 60 Proz. Mortalität;
» » H , 20 „ „ 7 „ = 35^ „ „ ;
» „ 21 „ 6„ , 1 „ — 1 6,7 „ . ,
Jer wenn man die Fälle generell nach der ersten Woche
nd darüber hinaus rubriziert
bis zu 7 Tagen 5 Fälle mit 3 Toten = 60 Proz. Mortalität;
über 7 Tage 26 „ „ 8 „ = 30,8 „
Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass es uns
i 31 Fällen von Tetanus durch intraspinale
nd intravenöse Seruminjektionen unter Ver¬
ödung grosser Dosen gelungen ist, die
terblichkeitsziffer ganz erheblich zu
rücken. Die Gesamtmortalität, welche ohne
er um 78,9 Proz., mit Serum, 57,7 bis 62,1 Proz.
eträgt, ist in unseren Fällen auf 35,5 gesun-
en; die Sterblichkeit bis zu 10 Tagen Inku-
a t i o n von 78,9 Proz. auf 64,3 Proz., bei mehr als
•Tagen Inkubation von 37 Proz. auf 12,2 Proz.
c fallen; innerhalb der ersten Woche betrug
'6 nur 60 Proz., jenseits derselben 30,8 Proz.
Diese Zahlen sind durchaus objektiv und sprechen für sich;
sie bedürfen keiner Stärkung ihrer Beweiskraft durch leicht
zu beschaffende Erläuterungen. Ich möchte aber doch nicht
verschweigen, dass gerade von unseren schwersten Fällen
drei nur mangelhaft behandelt wurden. Einer wurde
zu spät erkannt, die beiden anderen fielen zweifellos dem
immer mehr fühlbar werdenden Mangel an Heilserum
zum Opfer. Aus demselben Grunde haben wir 2 mal zu
Magnesiumsulfat und Karbol gegriffen, ohne den
tödlichen Ausgang verhindern zu können. Vielleicht wäre
ohne diese Misslichkeiten unsere Statistik noch besser ge¬
worden!
Es wäre gewiss vermessen, behaupten zu wollen, dass
uns.ere .Resultate ein einwandfreies Bild von der Leistungs¬
fähigkeit der Antitoxintherapie des Tetanus geben. Dazu sind
die Zahlen trotz ihrer relativen Ansehnlichkeit zu klein!
Allein sie sind in folgerichtiger Anwendung biologischer
Tatsachen gewonnen und verdienen Beachtung; sie sprechen
eine eindringliche Sprache zu gunsten der spezifischen
Behandlung des Starrkrampfes1).
Einige Ratschläge für die Behandlung des Wundstarr¬
krampfes.
Von Prof. Eduard Müller in Marburg, zurzeit Stabsarzt
und leitender Arzt eines Seuchenlazaretts.
Bei einmal ausgesprochenem Wundstarrkrampf bezweckt
die Behandlung, die meist qualvollen Beschwerden des Kranken
zu mildern und die düstere Prognose des Leidens womöglich
zu verbessern. Die Lösung dieser Aufgabe muss am besten
bei möglichst frühzeitigem Einsetzen sachgemässer Therapie
und damit auch bei möglichst frühzeitiger Erkennung des
Leidens gelingen. Hierzu ist eine bessere Kenntnis
der Frühsymptome des Wundstarrkrampfes
erforderlich. Den meisten Kollegen gilt der Kaumuskelkrampf
als erstes Krankheitszeichen. Bei der Mehrzahl der Patienten
trifft dies keineswegs zu. Dem Trismus geht gerne der sogen,
„lokale Tetanus“ voraus: eine auffällige Steifigkeit des
verletzten Gliedes, ein schmerzhaftes Ziehen und Spontan¬
zuckungen daselbst. Hierzu treten oft gewisse „Allgemein¬
symptome“ wie Neigung zum Schwitzen, Stuhlverstopfung,
auch Dysurie und Schlafstörung. Dieser lokale Tetanus wird
leicht übersehen, wenn man nicht besonders danach fahndet.
Er hat eine grosse theoretische Bedeutung. Man kann ihn als
klinischen Beweis dafür betrachten, dass das Tetanusgift
weniger durch die Blutbahn als längs der peripherischen
Nerven das Zentralnervensystem erreicht. Bei hämatogenem
Gifttransport wäre der Krankheitsbeginn in den zu den ver¬
letzten Körperteilen gehörigen Segmenten des Zentralnerven¬
systems kaum, verständlich.
Schon bei den ersten verdächtigen Krankheitserschei¬
nungen muss eine energische Behandlung eingeleitet werden.
Allergrössten Wert lege ich auf die Allgemeinbehand¬
lung. Meist lässt sich die reflektorische Auslösung der
Spasmen leicht feststellen. Der Kranke krampft z. B. bei
einein lauten Ruf auf dem Krankensaal, beim raschen Oeffnen
oder Zuschlägen der Türe, beim Hinfallen eines Gegenstandes,
beim festen Auftreten des Personals auf dem Fussboden, bei
plötzlicher greller Beleuchtung, beim „Anknipsen“ des elek¬
trischen Lichtes, beim Anfassen mit kalten Händen. Mög¬
lichste körperliche und geistige Ruhe mit
strengster Fernhaltung aller stärkeren und
rasch einsetzenden sensiblen Reize ist er¬
forderlich (also vorsichtiges Auftreten des Personals,
event. mit Benutzung von Filzschuhen, leise Unterhaltung, ge¬
dämpfte Beleuchtung usw.).
Als bestes Heil- und Linderungsmittel betrachte ich
namentlich in leichteren und mittelschweren Fällen die
heissen Bäder. Wir verordnen täglich durchschnittlich
zwei, beginnen mit 36° C und steigen durch Zulauf heissen
Wassers bis 41 ja 42°. Die Dauer des Bades bemessen wir
auf etwa 20 bis höchstens 30 Minuten. Die meisten Kranken
*) Aus Raummangel muss ich mir es leider versagen, auf die
Krankengeschichten auch nur in Kürze einzugehen.
2258
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr.
verspüren in diesen Bädern eine ausserordentliche Erleich¬
terung. Man kann das Nachlassen des Trismus in den heissen
Bädern geradezu messen. Diese Gelegenheit der verbesserten
Mundöffnung muss man zur Ernährung des Kranken
sowie zur Darreichung etwaiger Arzneimittel benützen. Es
ist merkwürdig, wie wenig diese altbewährte Wirkung heisser
Bäder den Kollegen bekannt ist. Gute Badetechnik erfordert
gerade bei Tetanus geübtes Personal. Etwaige Extremitäten¬
verbände werden im Bade durch wasserdichte Stoffe ab¬
gedichtet.
Als Arzneimittel hat sich mir bisher am besten das
L u m i n a 1 bewährt. Bei stärkerem Trismus und bei Schluck¬
beschwerden macht man subkutane Einspritzungen von
Luminalnatrium 1). Dieses leichter lösliche Luminal-
n a t r i u m kommt in sterilisierten Fläschchen in den Handel,
die 1 g des Präparates enthalten und vor dem Gebrauch ein¬
fach mit destilliertem Wasser aufgefüllt werden. Da die
Fläschchen 5 ccm Fassungsraum haben, erhält man so eine
ungefähr 20 proz. Lösung, die man vor der Einspritzung fil¬
trieren soll. 2 ccm dieser Lösung enthalten dann ungefähr
0,4 g Luminalnatrium. Gewöhnlich geben wir abends 0,4 g
Luminalnatrium sowie vor- und nachmittags je 0,2 g. Die
krampfmildernde, sch merzstillen de und schlaf¬
bringende Wirkung des Luminals kommt beim Wund¬
starrkrampf gut zur Geltung. Wir haben das Luminal deshalb
versucht, weil man ihm eine besondere depressive Wir¬
kung auf motorische Erregungszustände nicht
mit Unrecht zuschreibt. Ich erinnere hierbei an die guten
Wirkungen der Luminalbehandlung in vielen Fällen von Epi¬
lepsie. Innerlich versucht man zunächst abends eine ganze
Luminaltablette von 0,3 und tagsüber zweimal eine halbe. So¬
wohl bei innerlicher wie subkutaner Darreichung kann man die
Gesamtdosis erheblich steigern vor allem in Form häufiger
Einzelgaben. Das Leiden ist derartig qualvoll und die Pro¬
gnose bei kurzer Inkubationsdauer und stürmischerem Krank¬
heitsbeginn so schlecht, dass man dreiste Dosen von
Beruhigungsmitteln riskieren muss, ja nur von
hohen Gaben sich Erfolge versprechen kann. So haben wir
bis zu fünfmal täglich 0,4 Luminalnatrium gegeben. Ernstere
Nebenwirkungen haben wir selbst nicht beobachtet. Vielleicht
kann man auch die Luminaldosen mit der rektalen Darreichung
des in grösseren und häufigeren Gaben gleichfalls wirksamen
Chloralhydrats — mehrmals täglich 2 g — kombinieren. Nach
unseren bisherigen Erfahrungen ist die Wirksamkeit anderer
Beruhigungsmittel, vor allem von Brom, Veronal, Morphium,
Skopolaminum hydrobromicum geringer als diejenige des
Luminals. — ln leichteren Fällen verschreiben wir gerne und
scheinbar mit Erfolg die seit langem empfohlenen Salizyl-
Präparate.
Ueber die beste Wundbehandlung haben sich wohl
schon die Chirurgen seit Kriegsbeginn wiederholt geäussert. —
Weintrau d machte im Hinblick auf das anaerobe Wachs¬
tum der Tetanusbazillen den sehr verständigen Vorschlag, von
einem festen Luftabschluss der Wunden durch dicke Verbände
möglichst abzusehen und zur ausgiebigen Sauerstoffzufuhr in
die oft zerklüfteten buchtigen Wunden einen Versuch mit
festen Wasserstoffsuperoxydpräparaten, z. B. mit den von den
Elberfelder Farbenfabriken hergestellten Ortizonstäbchen zu
machen. Auch wir benützen jetzt diese Stäbchen, die in be¬
quemer handlicher Form geliefert werden. Gleichzeitig ver¬
suchen wir mehrmals täglich längere Berieselungen der
Wunden mit dünnen Wasserstoffsuperoxydlösungen, ausserdem
lokale Sauerstoffbäder der verletzten Glieder und häufigere
energischere gasförmige Sauerstoffzufuhr in die Wunden mit
Hilfe der Sauerstoffbomben. Ueber die Erfolge besitzen wir
noch kein sicheres Urteil; jedenfalls sprechen theoretische
Ueberlegungen für solche Wundbehandlungen, und bei einem
so entsetzlichen Leiden muss man schliesslich alles versuchen,
was Erfolg versprechen kann und bei vorsichtiger Anwen¬
dung kaum etwas schadet. — Amputationen der verletzten
Glieder sind wohl nur dann am Platze, wenn auch ohne Wund¬
starrkrampf die Absetzung des Gliedes das Nächstliegende ist,
1) Luminal und Luminalnatrium wurden uns von den Farben¬
fabriken vormals Bayer & Co. sowie von der Firma E. Merck, Darm¬
stadt zur Verfügung gestellt.
und wenn bei schweren infizierten Schussverletzungen e
frühzeitiger starker lokaler Tetanus einsetzt. Falls aber d
Schwere der Verletzung schon an sich die Amputation nah
legt, darf man bei den ersten Krankheitszeichen des Tetan
wohl nicht länger mit der Operation warten.
Von der Magnesiasulfatbehandlung und d
Serumtherapie des Wundstarrkrampfes habe ich siche
Erfolge nicht gesehen. Neuerdings wird behauptet, dass d
einmalige „Heildosis“ keineswegs ausreicht; man müsse e
Dosis zunächst täglich subkutan weiter reichen und ausserde
noch mehrfach die gleiche Menge intralumbal geben. Solei
grosse Serummengen lassen sich — abgesehen von de
Preise, der ja keine ausschlaggebende Rolle spielen darf — b
dem jetzigen gewaltigen Bedarfe gar nicht auftreiben. D.
Vorschlag von Opitz, dieses Serum besser zu der sicherliij
wirksameren und damit notwendigeren prophylaktischen Ei
spritzung zu benutzen, verdient sicherlich Beachtung. B
kannten Offizieren, die ins Feld zogen, habe ich ihre Schut;
dosis mitgegeben und angeraten, sie womöglich in einer Roc'
tasche ebenso wie die bekannten Verbandpäckchen au
zubewahren. Leider lässt sich auch diese Fürsorge nur in b
schränktem Masse durchführen. Wir müssen auch beim T
tanus versuchen, eine wirksame und ungefährliche Art aktiv]
Immunisierung bei den ins Feld ziehenden Mannschaften ;
erreichen. Im Massenbetrieb lässt sich die konsequen
Durchführung der prophylaktischen Serumspritzung jetzt ga
nicht ermöglichen. Schliesslich sind eben alle Wunden „ve
dächtig“, nicht nur die breiten flächenhaften buchtigen Weicj
teilverletzungen, die gerne durch Granatsplitter und Schraj
nells gesetzt werden und besonders zum Wundstarrkrain
disponieren.
In zwei schweren Fällen von Wundstarrkrampf mit b
drohlicher Erstickungsgefahr durch die begleitenden Kramp,
der Atemmuskulatur haben wir — zum mindesten mit aui
fälligem symptomatischen Erfolg — die Tracheotomi
ausgeführt. Der mitunter plötzliche Tod der Kranken mit Tj
tanus erinnert sehr an eine Erstickung durch Glottiskramp
Die Atmung wird nicht nur durch die Krämpfe des Zwcrd
felis und der Rumpfmuskulatur, vor allem der Interkostal^
sehr erschwert, sondern auch durch den Trismus und, wie io
glaube, auch durch die Spasmen der Zungen-, Pharynx- un
Larynxmuskulatur. Ich darf hier vielleicht an Versuche el
innern, die Lehmann und ich beim anaphylaktischen Schoa
des Meerschweinchens im Marburger physiologischen Instit
gemacht haben. Da das klinische Bild des akut tödlichen anj
phylaktischen Schocks lebhaft an einen Erstickungsvorgar;
durch Glottiskrampf erinnert, haben wir an die Möglichkc
gedacht, dass beim anaphylaktischen Schock für den rasche
Exitus ein Stimmritzenkrampf mit verantwortlich sei. Tä
sächlich zeigte es sich, dass tracheotomierte, „sensibilisierte
Tiere im Gegensatz zu Kontrolltieren intrakardiale Eii
Spritzungen von 5 mg Pferdeeiweiss überstanden. Es konnte
sogar Tiere, die unter schweren Schocksymptomen fast ve
endet schienen, dadurch gerettet werden, dass eine schon zuve
vorhandene T-förmige Trachealkanüle schleunigst direkt nac
aussen wegsam gemacht wurden. Durch diese Versuche wuro
uns bewiesen, dass der rasche anaphylaktische Tod, wie sehe
das klinische Bild erwarten lässt, in der Tat ein Erstickung
tod ist und dass hierbei wohl ein Atemhindernis eine Rob
spielt, das oberhalb des Trachealschnittes gelegen ist, ve
mutlich also ein krampfhafter Glottisverschluss. Abgesehe
von dem Atemhindernis, das die Spasmen im Bereich de
oberen Luftwege, vor allem der Stimmbandmuskulatur, in dt
Krampfanfällen des Tetanus bedingen, werden Kranke
schwereren Fällen durch eine rasch einsetzende Bronchitis nj
reichlichem mitunter dickflüssig-eitrigem oder auch schleim
gern Sekret gequält. Die Expektoration ist aber schon durc
den Trismus ungemein erschwert. In einem der beide
tracheotomierten Fälle bestand in den Anfällen mitunter e
deutlicher inspiratorischer Stridor. Von diesen Ueberlegungc
ausgehend, haben wir tracheotomiert und waren in beide
Fällen durch die ganz auffällige Verbesse r u n
der Atmung und durch das fast völlige Ver
schwinden der Zyanose während aller wei
teren Anfälle geradezu überrascht. Ausserdem wurc
t. November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
2259
on beiden Kranken sofort nach dem Luftröhrenschnitt ganz
lassenhaft Sekret durch die Trachealwunde herausgeschleu-
-rt. Wir werden nach diesen Erfahrungen zukünftig alle
etanuskranken nach dem ersten ausgesprochenen und mit
arker Zyanose einhergehenden Anfall sofort tracheotomieren.
Unser konsultierender Chirurg, Geheimrat Reisinger,
achte mich darauf aufmerksam, dass schon in Langenbccks
rchiv Bd. 29 im Jahre 1883 Fälle beschrieben sind, die vor
inleitung der Kurarebehandlung tracheotomiert wurden. Es
eisst dort: „Die Tracheotomie bei Tetanus steht in einem
;hlechten Rufe. Wo sie infolge momentaner Indicatio vitalis
.macht wurde, da stellte sich bald eine so erhebliche Sekret-
ahäufung in den Bronchien ein, dass ihr wenigstens zum Teil
n dem späteren letalen Ausgang schuld gegeben werden
msste.“
Diese entgegengesetzte Bewertung der Tracheotomie kann
ns von dem Vorschlag, den Luftröhrenschnitt bei der oben
iedergelegten Indikation zu versuchen, nicht abbringen. Es
t ein grosser Unterschied, ob man nach Kuraredarreichung
•ucheotomiert oder zur besseren Sekretentleerung aus den
ronchien und zur Beseitigung von Atemhindernissen, die
berhalb der Trachealwunde gelegen und durch Krämpfe der
harynx- und Larynxmuskulatur, zum Teil auch der Zungen-
nd Kaumuskulatur bedingt sind. In beiden Fällen wurde die
racheotomie in Chloroformnarkose ausgeführt. Der erste
all kam später — trotz fast vollkommen freier Atmung auch
den Anfällen — an Herzinsuffizienz zum Exitus, der zweite
atient mit gleichfalls sehr schwerem Tetanus lebt noch und
jfindet sich jedenfalls besser wie vor der Tracheotomie. An
-T Tatsache, dass man durch den Luftröhrenschnitt zu mindest
e qualvollen .Erstickungszustände mildern
ann, besteht für uns kein Zweifel.
Die vorstehenden Zeilen geben nur meine subjektiven Ein¬
ücke wieder, die ich an den Kranken mit Wundstarrkrampf
den hiesigen Festungslazaretten sowie auf der Tetanus-
iracke des von mir geleiteten Seuchenlazarettes gewonnen
ibe. Die seit Kriegsbeginn vorliegende Literatur ist mir nur
hr lückenhaft bekannt.
Das vom hiesigen Garnisonarzt angeordnete Verfahren,
öglichst alle Kranken mit Wundstarrkrampf sofort nach der
sten Krankheitsfeststellung auf besonderen Abteilungen zur
öglichst eingehenden Behandlung und zu besserem thera-
utischen Weiterstudium zu sammeln, empfiehlt sich wohl
ich anderwärts.
us dem Reservelazarett V Hamburg, Institut für Schiffs- und
ropenkrankheiten (Obermedizinalrat Prof. Dr. N o c h t) und
Abteilung Hafenkrankenhaus (Oberarzt Dr. Rothfuch s).
Zur Behandlung des Tetanus.
un Dr. Rothfuch s, Oberarzt des Hafenkrankenhauses.
Unter den Wundinfektionskrankheiten steht für den
uirurgen zurzeit an erster Stelle der Tetanus. Erscheint
>ch in den letzten Wochen fast regelmässig in den ärztlichen
itschriften ein Artikel, der sich mit dem Tetanus und dessen
äiandlung befasst. Ueberall erschreckend hohe Sterblich-
itsziffern trotz Antitoxin und Magnesiumsulfat. Sogar Kar-
Isäure und Bauchhöhlentranssudat von Herzkranken ist in-
iert worden; alles Zeichen dafür, dass wir gegen diese
rchterliche Krankheit im allgemeinen noch ziemlich machtlos
id. Während einige eine günstige Beeinflussung des Tetanus
rch das Antitoxin sahen, berichten eine grosse Anzahl
derer von dem Unwert dieses Medikamentes.
Willkommen muss daher ein Mittel sein, das berufen er-
heint, die Sterblichkeitsziffer herabzudrücken. Ich habe am
. Oktober auf dem wissenschaftlichen Abend des St. Georger
ankenhauses über 2 Fälle von Tetanus berichtet, die durch
lwendung von Salvarsan neben Antitoxin in ungeahnter
eise günstig beeinflusst worden waren. Diese beiden
anken sind heute vollkommen genesen. Heute nun bin ich
der Lage, mir ein abschliessendes Urteil über 6 Fälle ge¬
lten zu können. Ich schicke hier gleich voraus, dass 2
ttelschwer Erkrankte vollständig genesen sind, dass von
schwer Erkrankten 1 an Pneumonie gestorben, 1 vollständig
heilt ist, 2 zurzeit erheblich gebessert sind. An schweren
Fällen lässt sich der Wert eines Heilmittels am besten be¬
urteilen.
Unter schwerem Tetanus verstehe ich ein Kranklieitsbild,
das sich kennzeichnet durch vollständigen Trismus, völlige
Starre der Nacken-, Rücken- und Bauchmuskulatur, allge¬
meine Krämpfe bei leisen Geräuschen und vorsichtigen Be¬
rührungen, durch Atemnot, höheres Fieber und frequenten
Puls; unter mittelschwerem Tetanus ein Bild, bei dem neben
Trismus und Opisthotonus die allgemeinen Krämpfe nur bei
gröberen Geräuschen und Berührungen auftreten, die Zwerch¬
fellkrämpfe fehlen, das Fieber niedriger, der Puls gut ist. Von
diesen Gesichtspunkten aus bitte ich meine Fälle zu betrachten.
Fall 1 (schwer). Soldat 0., 22 Jahre alt, verwundet am
20. IX. Knochenschuss durch den rechten Mittelfuss, grosse
stinkende Ausschusswunde am Fussrücken. Ins Hafenkrankenhaus
aufgenommen am 29. IX, Erste Anzeichen von Tetanus am 4. X.
— 14 tägige Inkubation. Sofort 100 A.-E. intravenös; 5. X. Amputation
des Busses, 100 A.-E. intralumbal, 6. X. 100 A.-E. intravenös, 7. X.
100 A.-E. intralumbal, in Summa 240 intralumbal, 260 intravenös. Trotz
Antitoxin und Fussamputation am 9. X. schwerer allgemeiner Tetanus
mit Zwerchfellkrämpfen. Am 10. X., da Antitoxin nicht
mehr zu erhalten, 0,3 Salvarsan intravenös. Am 12. X. morgens
sprunghafte Besserung bemerkbar. Der vorher schwer Erkrankte
sitzt. etwas aufgerichtet im Bett und liest die Zei-
t u n g. Allmähliche Besserung. Am 15. X. nochmals 0,3 Salvarsan.
Am 25. X. alle Erscheinungen des Tetanus geschwunden.
Fall 2 (mittelschwer). Soldat Sch., verwundet am 21. IX.
Splitterbruch des linken Wadenbeines, Durchschuss, reine Wunden;
aufgenommen ins Hafenkrankenhaus am 26. IX. Erste An¬
zeichen von Tetanus am 4. X. = 13 tägige Inkubation. Behand¬
lung wie in Fall 1. Er erhält in Summa 100 A.-E. intralumbal,
240 A.-E. intravenös. Tägliche Verschlechterung. Sobald der im
selben Zimmer liegende erstgenannte Kranke Krämpfe bekam, lösten
diese durch Erschütterung des Bettes auch bei ihm Anfälle aus. 10. X.
0,3 Salvarsan, da Antitoxin nicht zu beschaffen; 1% Tage später
dieselbe sprunghafte Besserung wie in Fall 1. Am 16. X.
zweite Salvarsaninjektion. Am 21. X. alle Zeichen von Tetanus
geschwunden.
Fall 3 (schwer) Soldat St., 22 Jahre alt, Schuss durchs rechte
Ellbogengelenk, keine Eiterung, in das Institut für Schiffs- und Tropen-
krankheiten, dessen Räume von dem Direktor, Herrn Obermedizinal¬
rat Prof. Dr. Nocht dem Reservelazarett V zur Verfügung gestellt
wurden, eingeliefert am 10. X. Erste Erscheinung des Tetanus 14. X.
— 13 tägige Inkubation. Da Antitoxin nicht zu erhalten war, sofort
0,3 Salvarsan. Am folgenden Tage insofern Besserung, als der
Kranke, der tags zuvor nicht eine einzige Tasse Flüssigkeit hinab¬
schlucken konnte, 2 Liter Milch ohne Beschwerden zu gemessen
vermochte. Sonst aber Zunahme der Starre. Am 19. X. das Bild
des schweren Tetanus. Am 20. X. zweite Salvarsaninjektion, am
21. X. gibt der Pat. an, dass die Zuckungen in den Beinen bedeutend
besser geworden wären, am 22. X. Beginn mit Antitoxin, täglich
dann 100 A.-E. teils intravenös, teils intralumbal eingespritzt, zu¬
sammen 800 A.-E. Die Krankheitserscheinungen blieben einige Tage
stationär, dann allmähliche Besserung. Heute, am 4. XL, macht der
Kranke sowie die Schwester die Angabe, dass die in den letzten
Tagen seltener aufgetretenen allgemeinen Krämpfe seit gestern auf¬
gehört und sich nur noch im rechten Arm zeigten. Die Temperatur,
welche früher über 39° war, ist seit 31. X. dauernd unter 38°. Der
Puls, früher bis zu 140, ist jetzt unter 100; Atemnot seit 8 Tagen
völlig geschwunden, Allgemeinbefinden nach eigener Aussage „aus¬
gezeichnet“. Trismus und Nackensteifigkeit bedeutend nachgelassen,
ebenso Starre der Bauchmuskeln.
Fall 4 (schwer). Soldat Th., 22 Jahre alt, am 1. X. verwundet,
schwerer Knochenschuss des linken Unterschenkels, eiternde Wunde.
Aufgenommen ins Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten am
10. X. Erste Anzeichen von Tetanus am 13. X. = 12 tägige
Inkubation. Am 13. X. 0,3 Salvarsan, da Antitoxin nicht vorhanden;
langsame Verschlechterung; am 18. X. schwerer allgemeiner Tetanus
mit Zwerchfellkrämpfen; tags zuvor 0,3 Salvarsan. Am 19. X. keine
allgemeinen Krämpfe; am 20. X. unter hohem Fieber und schlechtem
Puls Ausbruch einer linkseitigen Lungenentzündung (Unter- und Ober¬
lappen). Am 22. X. 100 A.-E. intralumbal und am 23. und 24. X.
je 100 A.-E. Die Nackensteifigkeit lässt in den nächsten Tagen nach,
die allgemeinen Krämpfe werden bedeutend weniger, am 25. X. Tod
durch Pneumonie: bis zuletzt fester Trismus.
Fall 5 (mittelschwer). Wehrmann W., 28 Jahre alt; verwundet
am 2. X., schwere Zertrümmerung des rechten Unterschenkels (Durch¬
schuss), stinkende Eiterung. Erste Anzeichen von Tetanus
am 15. X. = 13 tägige Inkubation. Sofort 0.3 Salvarsan; zunächst
bleibt der Trismus stationär, dann wird er vollständig. Opisthotonus
tritt auf; am 23. X. schwere allgemeine tetanische Krämpfe. Darauf¬
hin nach Eintreffen von Antitoxin 80 A.-E. intralumbal. Am 24. X.
wieder Salvarsan. Am 25. X. „Schmerzen in den Kiefern geschwun¬
den“. Er erhielt dann noch 700 A.-E. intravenös, wovon 300 A.-E.
nicht mehr notwendig waren, da die Erscheinungen bereits nachge¬
lassen hatten. Seit dem 28. X. keine Krämpfe mehr, fieberfrei, guter
Puls. Am 4. XI. alle Zeichen von Tetanus geschwunden.
2260
Feldärztliche Beilage zur Mtincli. mcd. Wochenschrift.
Nr. *1
hall 6 (schwer). Soldat W„ 22 Jahre alt. abgemagert. Am
24. VIII. schwer verwundet durch Schuss ins linke Kniegelenk; mit
hohem Fieber, Vereiterung des Kniegelenkes am 14. X. nachts ins
Hafenkrankenhaus eingelicfert. Spaltung der Phlegmone am 15. X.
früh. Entfernung von Tuchfetzen aus dem Gelenk. Erste An¬
zeichen von Tetanus am 24. X. = 9 tägige Inkubation. Sofort
100 A.-E. intralumbal; am 25. X. fester Trismus, Opisthotonus. Am
26. X. allgemeiner Tetanus. Er erhielt bis 29. X. inkl. 400 A.-E.
am 25. X. bereits Salvarsan. Am 30. X. begann die Besserung; abends
2. Salvarsaninjektion; am 31. X. subjektiv grosse Besserung. Gutes
Allgemeinbefinden. Heute ist der Trismus und die Nackensteifigkeit
bedeutend geringer, der Puls ist unter 100, die Temperatur unter 38.
Am 3. XI. wurde er dabei ertappt, wie er eine Zigarette im Bett
rauchte.
Wenn ich noch einmal kurz rekapituliere, so ist von
4 schweren Tetanuskranken 1 an Pneumonie gestorben, 1 ge¬
heilt, 2 sind hei Abfassung dieses Artikels (5. XI.) ausser Ge¬
fahr, so dass ihre Heilung zu erwarten steht. Die beiden
mittelschweren Fälle sind genesen.
Ausgezeichnet wirkte das Salvarsan neben der Dar¬
reichung von Antitoxin in Fall 1 und 2. Bei den folgenden
3 Patienten ist zu berücksichtigen, dass zunächst nur Sal¬
varsan gegeben und erst später mit der Antitoxinbehandlung
angefangen werden konnte, in Fall 3 volle 8 Tage, in Fall 4
9 Tage, in Fall 5 8 Tage nach erfolgtem Ausbruch des Te¬
tanus. Fall 6 ist besonders erwähnenswert, weil er erheblich
gebessert worden ist trotz der schweren Vereiterung des
Kniegelenkes mit anschliessender Oberschenkelphlegmone, die
die Kräfte dieses abgemagerten Kranken ganz erheblich ge¬
schwächt hatten. Hier eine andere Inkubationszeit anzu¬
nehmen als die 9 tägige, ist nicht angängig, da andernfalls bei
60 tägiger Inkubationszeit der Tetanus nicht innerhalb 3 Tagen
so schwer aufgetreten, vielmehr ein langsamer und leichter
Verlauf zu erwarten gewesen wäre. Erst die am 15. Oktober
vorgenommene Operation, welche aus dem eröffneten Knie¬
gelenk Tuchfetzen entfernte, hat m. E. die Tetanusbazillen
mobil gemacht.
Alle Kollegen, die meine Patienten angesehen und mit¬
beobachtet haben, haben den Eindruck gehabt, dass das Sal¬
varsan den Tetanus günstig beeinflusse, seinen akuten Verlauf
in eine leichtere, langsamer verlaufende Form überführe. Es
ist nicht ausgeschlossen, dass das Salvarsan allein eine gleiche
Wirkung entfaltet wie das Antitoxin. Das muss zunächst an
Tierversuchen nachgewiesen werden. Ich bin der Ueber-
zeugung, dass die kombinierte Behandlung (Antitoxin + Sal¬
varsan) am meisten leistet und möchte daher empfehlen, so¬
fort nach Ausbruch des Tetanus mit Antitoxin zu beginnen
und am 2., vielleicht den 3. Tag Salvarsan zu geben. Zwei
Injektionen genügen im allgemeinen. Theoretische Er¬
örterungen unterlasse ich heute.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass auf meine
Anregung vom 16. Oktober hin, Salvarsan bei Tetanus neben
der Antitoxinbehandlung zu versuchen, die Herren Dr. Ja¬
cob s t h a 1 und Dr. Roseher-Liman Versuche angestellt
haben, die heute bereits eine gewisse günstige Einwirkung des
Salvarsans auf Tetanustoxin erkennen lassen. Die Herren
werden über ihre Versuche später selbst berichten.
Ueber die Behandlung des Tetanus mit Luminal.
Von Dr. K ii h n in Bad Neuenahr.
Ich hatte im Reservelazarett Neuenahr in den letzten Wochen
einen Fall von Tetanus in Behandlung, bei dem ich Morphium mit
Atropin, Brom, Tetanusserum intralumbal und auch intravenös ohne
den geringsten Erfolg angewandt hatte; der Krankheitsprozess schritt
unaufhaltsam weiter und der Fall erschien mir hoffnungslos. Anfälle
mit Bewusstlosigkeit von 25 Minuten Dauer, dabei der Patient blau¬
schwarz, Atmung stockend, der Puls klein und jagend, mögen die
Schwere des Zustandes charakterisieren. Mit einem Schlage trat
eine Wendung im Krankheitsbilde ein, als ich Luminal anwandte,
ohne jedoch im Anfang Morphium ganz auszusetzen. Als erste Dosis
gab ich 0,3 g, dann alle 4 — 5 Stunden 0,1 g. Dazwischendurch noch
0,3 am Abend, so dass in den ersten 3 Tagen durchschnittlich pro die
1,0 g verbraucht wurden. Der Patient schlief viel, die Anfälle traten
immer noch auf, waren aber leichter Natur, die Zuckungen im Körper
waren lange nicht sehr so heftig. Am vierten Tage der Luminal-
behandlung setzte ich dasselbe 10 Stunden aus, da der Patient
stärker hustete und ich die Entstehung einer Senkungspneumonie
durch das reichliche Schlafen befürchtete: das Resultat war, dass
wieder ein. etwas stärkerer Anfall auftrat und der Patient über
stärkere Zuckungen klagte. Auf Luminaldarreichung trat sofort \vi
der Besserung ein. Der Trismus besserte sich allmählich und konn
der Patient 8 Tage nach dem letzten grossen Anfalle wieder fes
Kost zu sich nehmen.
Felgende Ueberlegungcn haben mich zur Anwendung des I.
minals geführt; von der Epilepsiebehandlung her kennen wir d
eminent krampfstillende Wirkung desselben. Wir können mit L
minal einen Epileptiker noch von seinen Anfällen befreien oder dj
Häufigkeit derselben vermindern, bei welchen die höchsten Brot
dosen keinen Einfluss haben. Wenn es uns gelingt bei einem T
tanuskranken die Krämpfe zu unterdrücken, so gewinnt der Körp
Zeit, das Antitoxin zu bilden, wenn er dazu fähig ist. Der Tri
erfolgt ja doch gewöhnlich als Folge der Krämpfe, seltener untt
septischen Erscheinungen.
Auf jeden Fall erscheint mir das sicher, dass Luminal de
Chloralhydrat, unserem ältesten und schlechtesten Schlafmittel übe
legen ist, auch wirkt es nicht so ungünstig auf das Herz ein w
Chloralhydrat. Ein Vorzug ist auch, dass es als Luminalnatriu
leicht löslich ist und bei starkem Trismus leicht subkutan gegcbi|
werden kann.
Aus dem Reservelazarett Ingolstadt II (Reservelazarettdirekto
Oberstabsarzt Dr. Carl Koch).
Zur Behandlung des Tetanus.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Karl Alexander, Feldunterarzt.
Im Reservelazarett Ingolstadt II wurden vom 30. Atigti
bis 7. Oktober 1914 zehn Tetanusfälle beobachtet. Dies
kamen, soweit es sich feststellen liess, frühestens 3 Tad
nach der Infektion in unsere Behandlung und zeigten ehestcij
am 10., spätestens am 19. Tage die ersten Erscheinunge
Die ersten beiden Fälle wurden erst nach Auftreten typisJ
tetanischer Krämpfe in Behandlung genommen, da bei def
selben jedenfalls bereits auf dem Transport der Ausbruch vd
Tetanus erfolgt war. Sie erhielten neben 100 A.E. Tctanu
serum pro die je 5 g Chloralhydrat per Klysma. Die sedativ
Wirkung des Chloralhydrats war sehr gering, und die beide
Kranken gingen im Anfall an Zwerchfellähmung durch E
stickung zugrunde.
Da wir bei diesen beiden Fällen eine zu geringe Wirkung dt
Chloralhydrats zu beobachten glaubten und von der Ansicht au!
gingen, dass es vor allen Dingen darauf ankommen müsse, die Ii
tensität der Krampfanfälle herabzusetzen, haben wir die Einzeldos
erhöht. Es wurden bei den übrigen 8 Fällen neben dem Heilsera
10 g Chloralhydrat per Klysma in einer Dosis gegeben. Die Wirkutj
war eine ganz ausgezeichnete. Die Zuckungen — aber nicht dj
tonische Starre der Gesichtsmuskeln und der anderen Körpe
muskulatur — , die Schmerzen und der stark gesteigerte Blutdruc
w'eiter die Pulszahl (120 — 130 bei einer Temperatur von 37—38.1
gingen nach 2—3 Minuten zurück. Der Kranke fühlte sich ausse
ordentlich erleichtert. Erst am anderen Tage setzten die Kramp
anfälle wieder ein. Das Mittel wurde am späten Nachmittag g<
geben, so dass die beruhigende Wirkung auch den Schlaf herbe
führte.
Trotz der überaus hohen Chloralhydratdose war eine schädlicl
Wirkung niemals nachzuweisen, auch wurden keine bedrohlichen E
scheinungen seitens des Herzens oder der Atmung beobachtet. Ij
Gegenteil. Der zuvor wie erwähnt abnorm gespannt und frequent
Puls bekam normale Spannung und die Zahl ging auf etwa 80, al>
normale Werte, zurück.
Zur Linderung der während der Muskelkrämpfc auftretendd
Schmerzen gaben wir im Laufe des Tages je nach Bedarf 2 c
Morphium zweimal täglich subkutan. Eine Minderung der Kramp
anfälle haben wir durch Morphium nicht erzielen können.
Resultat: Von 10 bisher behandelten Fällen starben als
2, die neben Serum mit 5 g Chloralhydrat behandelt worden wäre
im Anfall. Die übrigen 8, die mit einer einmaligen Dosis von 10
pro die behandelt wurden, wurden geheilt. Von ihnen starb späte
einer nach vollkommener Heilung vom Tetanus infolge Fernoralij
blutung aus dem Amputationsstumpf.
Wir müssen also wohl annehmen, dass die Wirkung der hohe!
Chlcralhydratdosen eine entscheidende war zur symptomatische
Bekämpfung der Allgemeinkrämpfe.
Selbst wenn wir zugeben, dass bei einigen Fällen der Eü
wand eines an und für sich günstigen Verlaufes wegen der lange
Inkubationszeit von bis zu 19 Tagen berechtigt wäre (trotzdem fes
zustellen ist, dass die Intensität der Krämpfe in vielen Fällen sei
bedeutend war), spricht die Tatsache, dass sämtliche Fälle gehei
wurden, für sich selbst.
Wir rekapitulieren unsere Behandlungsmethode, die wir auc
auf spätere Fälle auszudehnen beabsichtigen:
Sobald ein Patient mit den ersten Zeichen der Tetanuserkrai
kung (Trismus, Halsweh, Rückenschmerezn) zur Beobachtung g<
langt, werden ihm
7. November 191-4.
Feldärx.tliclic Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2261
am 1. Tage: 100 A.-E. intravenös und abends 10 k Chloralhydrat
i 250 k W asser per Klysma gegeben,
am 2. Tage: 100 A.-E. intradural, abends 10 k Chloralhydrat,
am 3. Tage: 100 A.-E. subkutan, abends 10 g Chloralhydrat.
Wesentlich bei unserer Behandlung ist demnach neben den
.alten von Antitoxin die Verabreichung einer ein-
1 a ^ ? n hohen. Dose von Chloralhydrat am T a k e
er Klysma. Hierauf legen wir ganz besonderes Gewicht.
Die obenerwähnte Behandlung wiederholt sich in gleicher Weise
is keine Erscheinungen mehr nachzuweisen sind: jedoch wird mit
er intraduralen Injektion und der Verabreichung des Chloralhydrats
usgesetzt, sobald keine Krämpfe mehr bestehen, wenn auch noch
rismus vorhanden ist. Es werden dann nur noch abwechselnd
OO A.-E. intravenös oder subkutan gegeben.
Bei sehr schweren Fällen, in denen die Gefahr einer neuen In¬
dikation von der Wunde aus besteht, werden in den ersten Tagen
eben den loo A.-E. weitere 100 A.-E. pro die intravenös oder
ubkutan verabfolgt. Ausserdem w'ird die Wunde mit flüssigem
ci um tamponiert oder mit Trockenserum behandelt. Dies wurde
uf Grund der Anschauung getan, dass so vielleicht das neu von
cn Bakterien gebildete Gift am Orte selbst gebunden und entgiftet
erden könnte.
,us der orthopäd. Station des Krankenhauses München 1. d. I.
(Vorstand Dr. v. B a e y e r).
Künstliche Beine.
Von Privatdozent Dr. v. B a e y e r.
Vor mehr als einem Jahre demonstrierte ich im Münchener
rztlichen Verein eine Anzahl von Neukonstruktionen künst-
cher Beine, die sich in der Zwischenzeit aufs beste bewährt
ahen. Ich konnte seitdem mehrfach Vergleiche an einem und
emseiben Patienten mit anderwärts gefertigten Prothesen
nstellen und hörte von den Patienten ausnahmslos, dass sie
dt den im folgenden beschriebenen künstlichen Beinen am
esten gingen.
Ich bat damals in dem Vortrag die Kollegen, mir behilflich
u sein, die Erfahrung und Vorschläge Amputierter zu sam¬
tein und mir zuzuleiten. Auch animierte ich zwei Berufs-
enossenschaften an Hand eines Fragebogens, die Nachteile
nd Vorteile der verschiedensten Prothesen in Erfahrung zu
ringen, um aus dem grossen Material das Beste heraus-
ehen zu können, und um all die kleinen, aber wichtigen Ver¬
besserungen und Kniffe, welche fast jeder Kranke anwendet,
icht verloren gehen zu lassen.
Leider blieb diese Anregung vollkommen resultatlos; ich
'hielt nicht eine Mitteilung und konnte somit nur langsam
jf Grund eigener Erfahrungen dem angestrebten Ziele näher
’mmen. Dies Ziel skizzierte ich damals in den Worten:
Wir werden, wenn das in dieser Art gesammelte Material
itsprechend verarbeitet ist, den wegen Unfall und Krankheit
mputierten ihr Leben erleichtern und wir werden traurige
olgen der Kriege mildern können und somit eines der wich-
gsten Kapitel der auch heute noch stark vernachlässigten
riegsorthopädie ausbauen.“
Da die Zeiten herangerückt sind, wo wir eine sehr grosse
nhl von Prothesen benötigen, teile ich meine bisherigen Er-
hrungen mit und hoffe, dass sie Nutzen stiften werden.
Wenn man die geschichtliche Entwicklung der Prothesen
'erblickt (sie beginnt 484 v. Chr. Herodot), so findet man,
iss die Konstrukteure immer wieder versuchten, die natiir-
:hen Gelenke getreu nachzuahmen, dass aber hierbei die
rmöglichung der wichtigsten Funktionen einer Extremität
eist nicht erreicht wurde. Was nützt z. B. dem Amputierten
n Fussgelenk, das nach allen Seiten hin wie ein normales
enschliches Gelenk beweglich ist, wenn es den gewöhnlichen
ehritt nach vorne nur beschwerlich und unbeholfen gestattet?
a diese komplizierten Prothesen ausserdem schwer sind,
iufige Reparaturen erfordern und hoch im Preise stehen, so
chen auch heute noch viele Amputierte den primitiven und
ischönen Stelzfuss als Ersatz vor und geben an, dass sie mit
‘in Stelzfuss am besten gehen.
Da erscheint es nun wohl verständlich, wenn man nach
ner Prothese sucht, welche die Vorteile des
tinstlichen Beines und die des Stelzfusses in
ich vereinigt. Diese Bandage soll also leicht sein und
var vor allem an dem distalen Ende, weil sie dann für den
atienten leichter dirigierbar ist und weniger beim Vor¬
schwingen des Beines pendelt. Sie soll möglichst einfach und
dauerhaft sein, ferner soll sie kosmetisch nicht auffallen, also
die Form eines normalen Beines besitzen und sie soll nicht in
einem kleinen schmalen Stück enden, das in weichem Boden
tief einsinkt.
Diesen Forderungen entspricht nun eine Prothese, die ich bei
den verschiedensten Amputationen am Bein ausprobiert habe. Die
Leichtigkeit der Prothese ist dadurch erreicht, dass ich prinzipiell
das Knöchelgelenk fortliess und den Unterschenkel bis zur Ferse aus
einem Stück arbeitete. Er besteht aus einem ausgehöhltem Kork, der
durch Stahlbänder versteift, reichlich mit Zelluloid imprägniert und
mit Leimvandband umwickelt ist. Diese Technik gibt ein sehr festes,
dauerhaftes und doch leichtes Material. Der Vorfuss ist, wie aus der
Zeichnung (Fig. 1) ersichtlich, gelenkig mit dem Unterschenkel ver¬
bunden. Dieses Gelenk braucht nun nicht aus Metall zu bestehen,
weil es nichts zu tragen hat, es genügt ein dickes Leder, das an der
Sohlenfläche der beiden Prothesenteile, wo ein Holzkern eingefügt ist,
angenagelt ist. Das Fortlassen des Knöchelgelenkes hat ausser der
beträchtlichen Gewichtsersparnis noch verschiedene Vorteile. Erstens
ist eine breitere Stützfläche für das Bein gegeben, was sich bei den
Patienten darin günstig äusserte, dass sie auf dem amputierten Bein
allein länger frei stehen konnten; während sie mit Prothesen, die ein
gelenk. Abrollungdes Fusses.
Ferse wird gehoben.
Fig. 3.
Bei Prothesen mit Knöchel-
gelenk bleibt beim Abrollen
des Fusses die Ferse am
Boden.
nicht fixiertes Knöchelgelenk besassen, sofort nach vorne oder hinten
umfielen, stehen sie hier doch gleichsam auf einer schmalen Rolle.
Fixiert man das Knöchelgelenk durch Gummipuffer, wie es meistens
geschieht, so hat das Knöchelgelenk, besonders auf ebenem Boden,
keinen wesentlichen Nutzen, weil es sich dann kaum mehr bewegt.
Zweitens ist die angegebene Konstruktion für das Abwickeln des
Fusses am Boden von Vorteil, weil beim Abstossen des Beines die
Ferse abgehebelt wird, was bei Prothesen mit Knöchelgelenk nicht
der Fall ist und was den Gang unnatürlich macht (Fig. 2 u. 3).
Drittens fällt mit dem Fortlassen des Knöchelgelenkes auch die Ur¬
sache häufiger Defekte, und die Betriebssicherheit des Beines ist be¬
trächtlich erhöht, denn, wenn das Knöchelgelenk bricht, so kann
der Amputierte meist kaum einen Schritt mehr machen.' Ein Schad¬
haftwerden des Fussgelenkcs meiner Prothese dagegen hat auf den
Gang kaum einen Einfluss, weil der Stiefel die beiden Teile dann
immer noch zusammenhält.
Das Kniegelenk wurde in den meisten Fällen so eingerichtet,
dass der Patient beim Gehen das Knie feststellen und somit sein
Bein in einen steifen Stelzfuss umwandeln konnte. Diese Fixierung
des Kniegelenkes hat an der Aussen- und Innenseite der Prothese
zu erfolgen, weil eine einseitige Feststellung ein Drehmoment im
Apparat erzeugt und ihn infolgedessen stark beansprucht.
Der Ersatz des Hüftgelenkes bietet bei Exartikulation in diesem
Gelenk grosse Schwierigkeiten. Bringt man das Gelenk an der
Aussenseite der Prothese an, so muss es so kräftig gearbeitet sein,
dass es das Gewicht der Bandage übermässig erhöht. Macht man
das Gelenk schwächer, so braucht man noch ein Gleitgelenk an der
medialen Seite, das ebenfalls das Gewicht steigert und die Prothese
kompliziert macht. Ich will nicht auf all die Versuche, die ich in
dieser Richtung umstellte, eingehen, sondern nnr eine Lösung dieses
Problems beschreiben, die sich sehr gut bewährte. Ich verzichtete
auch hier auf ein eigentliches Gelenk und sorgte bei der Konstruktion
nur dafür, dass sich der Beckenkorb, in den das künstliche Bein
unbeweglich übergeht, in toto um das Becken des Patienten drehen
kennte. Wenn der Patient sich also setzt, gleitet die ganze Bandage
inklusive Beckenkorb um das Becken. Beim Stehen und Gehen
dagegen sitzt der Beckenkorb so fest am Becken, dass Pat. mit Hilfe
von kleinen Beckenbewegungen das ganze künstliche Bein vor- und
rückwärts schwingen und ab- und adduzieren kann.
Mit dieser sehr einfachen und leichten Prothese (2800 g Bein mit
Beckenkorb) konnte eine wegen Sarkom im HiiftgelenK exartikulierte,
sehr schwächliche 21 jährige Patientin sofort allein ohne Stock gehen
und Stiegen steigen. Nach 8 Tagen ging sie schon auf der Strasse
über eine halbe Stunde allein und stieg täglich in ihre im 2. Stock¬
werk gelegene Wohnung. Allmählich konnte sie 2 ständige Spazier¬
gänge machen.
4usser der Leichtigkeit der Prothese ist sehr wesentlich, dass
das künstliche Bein mit dem Körper des Amputierten so innig wie
möglich verbunden ist. Wenn es wirklich fest sitzt, so kann der
22 62
Feldärztliche Beilage zur Münch, tned. Wochenschrift.
Patient es viel besser dirigieren, als wenn es nur locker angebracht
ist. Ferner ist durch ein exaktes Haften am Stumpf die Ursache des
Wundscheuerns grossenteils beseitigt. Dieses Festhalten der Pro¬
these am Körper darf man nun nicht nur durch festes Zuschnüren der
Hülse erreichen wollen, denn dadurch würde man die meist an
und fiir sich gestörte Zirkulation ungünstig beeinflussen, sondern
man muss die natürlichen Knochenpunkte etc. ausnützen. Ferner
soll man auch nicht durch Riemen, z. B. über die Schulter, den
übrigen Körper in seiner Beweglichkeit beeinträchtigen. Durch Be¬
lastung von Knochenteilen, die direkt unter der Haut liegen und nicht
weit von der Amputation entfernt sind, kann man, wie gesagt, diesen
Uebelständcn ausweichen. So lässt sich durch einen wirklich gut¬
sitzenden Beckenkorb, der hinten ein Gelenk (am besten bewährte
sich das abgebildete [Fig. 4] Gelenk, das ich auch sonst bei Becken¬
bandagen benütze) besitzt, das sich nicht
nach kurzer Zeit ausleiert, ein ganzes künst¬
liches Bein in genügender Weise am Rumpf
befestigen.
Wenn wir durch osteoplastische Ope-
iationen auch tragfähige Stümpfe erhalten,
so glaube ich, dass es dennoch richtiger
ist, nicht die ganze Last des Körpers
durch das Ende des Stumpfes tragen zu
lassen, denn die hier zur Verfügung stehende
Fläche ist meist nur verhältnismässig klein
und mangelhaft mit Fett gepolstert. Es
scheint mir vorteilhafter zu sein, wenn man die Last auf verschiedene
Punkte des Körpers möglichst verteilt; bei Unterschenkelamputationen
kann man das obere Ende der Tibia dazu mitbenützen und bei
höheren Amputationen den Sitzknorren; der Schambeinast soll unbe¬
lastet bleiben, man braucht ihn auch nicht.
Die Unterlage in der Prothese für das Stumpfende selbst polstern
wir sehr wenig oder gar nicht. Das widerspricht dem bisherigen
Vorgehen, hat sich aber sehr bewährt. Vorbedingung ist aber, dass
wir einen sehr genauen Abguss des Stumpfendes in weichbelastetem
Zustande haben. Zu diesem Zwecke lege ich Gipsbinden um das
Stumpfende und lasse nun in einen dicken Bausch Watte oder auf
einen sehr dicken Gummischwamm das Stumpfende drücken. Man
erhält so einen Abguss des weichbelasteten Stumpfes. Nach dieser
Form habe ich eine steinharte Schale gemacht (Wasserglas) und sie
in der Prothese als Tragfläche angebracht. Die Patienten gingen auf
diesem „Steinboden“ ausgezeichnet und hatten das Gefühl, als ob
sie wieder ihr natürliches Bein hätten. Dieses Experiment empfiehlt
sich aber nur in den Fällen zu machen, wo man Prothese und
Stumpf unverrückbar aneinander befestigen kann. Ist dies nicht
möglich, so gebe ich nur eine sehr dünne Polsterung, weil jede
dickere Polsterung sich sehr bald Zusammentritt und die Form ver¬
ändert und dann nicht mehr exakt sitzt.
Unter den mit dieser Prothese versehenen Patienten bean¬
spruchen diejenigen besonderes Interesse, die andere künstliche Beine
Fig. 5. Fig. 6
schon hatten. Ich konnte bei all diesen konstatieren, dass sie mit
der beschriebenen Konstruktion nicht nur leistungsfähiger waren,
sondern auch sich wohler fühlten. Eine Patientin z. B., die etwas
über der Mitte des Oberschenkels amputiert war, hatte vor 2 Jahren
auf Kosten einer Behörde ein künstliches Bein erhalten, das von
einem Bandagisten ohne sachverständige ärztliche Aufsicht geliefert
wurde. Der Erfolg war, dass Patientin 2 Jahre lang nicht aus dem
Krankenhaus entlassen werden konnte. Nachdem sie ein Korkbein
nach meinen Angaben und unter meiner Aufsicht bekommen hatte,
konnte sie das Krankenhaus nach kürzester Zeit verlassen. Der
Nr. 4
Unterschenkel dieses Korkbeines wog nur etwa die Hälfte der erst«
Prothese. Aehnlich erging es einer anderen Patientin (Fig. 5 u. (
Sie war erst einseitig unter dem Knie amputiert und war mit ein
ebenfalls fachärztlich nicht kontrollierten Prothese sehr schlec
daran, weil diese falsch konstruiert war und ständig Druckstelli
verursachte. Nachdem Patientin auch am anderen Bein und zw
dicht unter dem Hüftgelenk amputiert werden musste, liess ich i
für beide Seiten Korkbeine machen, durch welche die Kranke instai
gesetzt ist, in ihr Geschäft zu gehen und sich Geld zu verdienen.
Aus diesen beiden Fällen erhellt wohl schon zur Genüg
wie unklug Behörden und Wohlfahrtseinrichtungen handel
wenn sie Prothesen, womöglich sogar nur unter dem Gesicht
Punkt des Kostenaufwandes an Bandagisten vergeben, d
keiner sachverständigen ärztlichen Kontrolle unterliege
Allerdings hat eine Kontrolle durch Aerzte, die auf diese'
Gebiet nicht speziell geschult sind und die Technik und di
Literatur nicht kennen, auch nur wenig Wert. Der bisherig
Usus bewirkte, dass die Prothese, wie ich es bei Unbemittelte
sah, häufig nur notdürftig angepasste Fabrikware war, die de
speziellen anatomischen und physiologischen Anforderungd
des jeweiligen Falles nur wenig Rechnung trug.
Ein nach P i r o g o f f amputierter Patient hatte eine Pn
these, die 3 Pfund wog und auf der allein er nicht frei stehe,
konnte, weil das künstliche Knöchelgelenk keine Stütze bq
Mit dem nach den oben geschilderten Prinzipien gebaute
Bein, das nur 2 Pfund wog und noch dazu weiter nach ohe
zum Knie hinreichte, konnte er ohne Stock frei stehen. Dt
Gang des Patienten war so gut, dass er kaum hinkte.
Kurz zusammengefasst habe ich also den Bau eine!
Stelzfusses angestrebt, der die kosmetische
Vorzüge eines künstlichen Beines hat. Di
Konstruktion ist sehr einfach und infolge
dessen dauerhaft und billig. Vorbedingun
für eine gute Funktion der Prothese ist, das
sie am Stumpf oder Rumpf sehr fest sitzt u n
dass die Körperlast auf mehrere tragen d
Punkte verteilt wird und dass die periphere1
Teile des künstlichen Beines so leicht w i
möglich sind. Diese letztere Forderung läs;
sich erfüllen, wenn man Kork in angegebene
Weise verwendet und das Knöchelgelen
fortlässt.
Zum Schlüsse spreche ich nochmals die Bitte aus an al
Aerzte und auch an die Patienten, die Prothesen tragen, sic
an einer Sammelforschung zu beteiligen. Die vielen E
fahrungen und Verbesserungen gingen bisher meist wied«
verloren und könnten doch, wenn sie verzeichnet, gesicht
und verwertet werden, grossen Nutzen für alle diejenige
stiften, die auf Ersatzextremitäten angewiesen sind.
Fragebogen.
Länge, Gewicht. Alter und Beruf des Amputierten?
Art, Stelle und Zeit der Amputation?
Seit wann wird eine Prothese getragen?
Sind verschiedene Konstruktionen getragen worden?
Beschreibung derselben?
Länge, Gewicht und Preis der Prothesen?
Dauerhaftigkeit der Prothesen?
Häufigste Reparaturen an der Prothese?
Beschwerden durch die Prothese?
Was wird als Vorzug und Nachteil der getragenenProthesen betrachte
Vorschläge zu Verbesserungen?
Was erleichtert den Gebrauch der Prothese?
Was kann Patient in seinem Beruf und ausserhalb desselben leistet
Die Hackenbruchschen Distraktionsklammern v
Behandlung von Knochenverletzungen im Felde.
Von Dr. med. AdolfSchnee, dz. Bataillonsarzt beim Eise|
bahnregiment Nr. 3, XVIII. Armeekorps.
Die Hacke nbruchschc Distraktionsklammert
behandlung hat in kurzer Zeit zahlreiche Anhänger gefunden u
es dürfte wohl kaum einen Chirurgen geben, der mit ihrer Han
habung nicht vertraut wäre. Dass natürlich die Zahl jener ei
grosse ist, die dieser oder jener anderen Methode aus Gewohnh
oder auf Grund persönlicher Vorliebe den Vorzug geben, lässt si
nicht leugnen, darf aber nicht verhindern, dass man mit dem ganz
Gewicht gewonnener eigener Erfahrungen für diesen Modus sich ei
setzt, besonders wenn es sich wie jetzt in einem voraussichtli
lange dauernden Kriege darum handelt, den einzelnen Verwundet
Fig. 4
November 19H.
Fekkirztliclic Beilage zur Miindi. med. Wochenschrift.
2263
'V '«r'?,ztcn mößlichst rasch, wenn auch in besctieidenem Masse,
itionsfähig zu machen, ihn sogar ambulant behandeln zu können,
inen Abtransport aus überfüllten Lazaretten ohne Nachteil für
ine spätere Leistungsfähigkeit schnellstens zu bewerkstelligen und
ncrhalb kürzester I ■ r is t unter Vermeidung jeder Schädigung seine
iegsdienstfähigkeit wieder zu ermöglichen.
Frakturen an oberen und unteren Extremitäten, Knoclienvcr-
zungen durch gross- und kleinkalibrige Geschosse und Geschoss¬
igmente, die Behandlungen im Sinne komplizierter Frakturen er-
rder lieh machen, treten mehr denn je zuvor im gegenwärtigen
iege in die Erscheinung und dem gewissenhaften Kriegschirurgen
wachsen daraus nicht nur interessante Aufgaben, sondern auch
le erhöhte Verantwortung für die seiner Pflege anvertrauten Ver-
mdeten.
Es würde zu weit führen und nicht in den Rahmen dieser
appen Betrachtung passen, wollte ich hier nochmals auf alle
izelheiteii der 1 echnik eingehen, die bei Benutzung der Hacken-
uchschen Distraktionsklammern zu beachten sind,
i muss sie als bekannt voraussetzen. Hervorheben will ich nur,
ss es durch die kugelgelenkige Verbindung der Fussplatten mit
m in .Stahlbüchsen verlaufenden Gewindestab sowie unter paar-
■iser Verwendung dieser Distraktionsklammern (Fig. 1), welche
beiden Seiten des in der Frakturebene zirkulär durchtrennten
psverbandes durch Gipsbinden befestigt sind, nach erfolgter
ngsdistraktion durch die gelösten und leicht feststellbaren Kugel-
enke ermöglicht wird, einen wirksamen Einfluss auf die
naue Einrichtung der Fragmente des Knochen-
uches unter gleichzeitiger Kontrolle mit Röntgenstrahlen aus-
iben um die Fragmente in dieser reponierten Stellung bis
r knöchernen Vereinigung zu erhalten; dass es bei
hzeitigem Anlegen der Klammern unter viel geringerer Kraftauf-
ndung gelingt, die Distraktion der Fragmente und
2. Bildnis eines aus 30 m Höhe abgestürzten Fliegers. Freistehend photographiert
ein Monat nach dem Unfall. Fünf Knochenbrüche.
. rei1 genaue Reposition im Verlauf von einigen
s e n zu bewerkstelligen, w'eil Muskulatur und Weichteile
anglich viel dehnbarer und nachgiebiger sind; dass sich auch
in plizierte Frakturen bequem unter Benutzung
:>es gefensterten Gipsverbandes auf diese Weise be-
J dein lassen; dass, wenn durch die Röntgenaufnahme festgestellt
; dass die Bruchflächen richtig zu einander stehen, der Verletzte
4- 2) sofort aufstehen und anfangs mit Krücken
! “ S töcken Gehversuche ausführen kann, da die
nldistraktionsklammcrn eine zuverlässige Stütze gewähren; dass
| Distraktionsklammergipsverband bei Unterschenkelbrüchen das
‘jegelenk zu Bewegungen freilässt; dass diese Me-
Ge auch mit Vorteil bei supramalleolären Knochen¬
brüchen mit ihrer grossen Neigung zur Dislokation unter aktiver
| und passiver Bewegungsfreiheit im Fussgelenk, ebenso bei Kon-
d y 1 e n b r ii eben a n T i b i a u nd Fe m u r unter bestehenbleiben-
uer Distraktion und Fixation und gleichzeitiger Ausführbarkeit
kleiner Bewegungen im Kniegelenk, bei Brüchen der D i a -
pliysc des Oberschenkels sowie des Schenkel¬
halses, wobei die Verletzten in den Stand gesetzt werden, schon
| nach Ablauf einer Woche nach eingetretener Fraktur das Bett zu
[ verlassen, in gleicher Weise bei Brüchen an den oberen
! Extremitäten und in Verbindung mit einem Gipskorsett bei
Br üc hen der Wirbelsäule angewendet wird; dass also diese
[ Distraktionsklammern in Verbindung mit Kontentivverbänden als
U n iversalklammern fast bei allen Arten von Kno¬
che n b r ü c h e n (einschliesslich der komplizierten Frakturen) vor¬
teilhafte Verwendung finden und in geeigneten Fällen schliesslich
erfolgreich zur Distraktion und Mobilisation ver¬
steifter Gelenke sowie zur Beseitigung
von Gelenkkontrakturen benutzt werden.
Die Schmerzhaftigkeit bei Anlage des Gips-
verbardes und der darauffolgenden Distraktion
zwecks Adaption der Bruchenden ist sehr gering.
Bewegungen in den benachbarten Gelenken
können sofort ausgeführt werden. Frühzeitig
mögliches Aufstehen und Gehen führt zur bal-
... . digen Entlassung, Gelenkversteifungen oder In-
aktivitatsatrophien können sicher vermieden werden, die Gefahr
hypostatischer Pneumonien ist ausgeschlossen, die Verheilung er¬
folgt in denkbar kürzester Zeit unter völliger Gebrauchsfähigkeit der
Extremität.
Fig. 3. B. 49Jahre. Frischer Unterschenkel- Fig. 4. Die gleiche Bruchstelle, geheilt
bruch mit Verkürzung und Verschiebung nach etwa 8 Monaten,
der unteren Bruchstücke nach aussen.
Stückbruch der Fibula.
Unter Berücksichtigung aller dieser Momente wird eine aus¬
gedehnte Anwendung der Hacke nbruchschen Dis¬
trakt i o n s k 1 a m m e r n *) im Felde die denkbar besten
Erfolge zeitigen.
Zur Evakuierung des Feldheeres.
Von Dr. E b. V e i c 1, Oberarzt der Reserve im Feldlazarett 10
des XIII. (K. Württ.) A.-K. und Privatdozent an der 1. niediz.
Klinik in München.
Vielfach wird in den uns regelmässig zugehenden Feldausgaben
unserer ersten medizinischen Wochenschriften die Frage der Evaku¬
ierung des Feldheeres behandelt, insbesondere ist jüngst von
psychiatrischer Seite, von B o n h ö f f e r und Weygand t, auf die
beginnenden Psychosen, Psychopathien etc. hingewiesen worden. Es
wird mit Recht gefordert, scharf auf diese Dinge zu achten und
bei Ausbruch oder Verdacht auf eine psychische Störung den be¬
treffenden Soldaten aus der Front zu nehmen. W e y g a n d t spricht
dann auch noch von der Beurteilung einiger Krankheiten, die der
innere Mediziner besonders häufig sieht, z. B. von Formes frustes
von Basedowscher Krankheit. W. sagt, solche Kranke seien
höchstens garnisondienstfähig. Diese Anschauung trifft für unsere
süddeutschen Armeekorps m. E. nicht zu. Jedem, der in Süddeutsch-
land, speziell in Württemberg, ärztlich tätig war, ist bekannt, wie
") Werden von den Veifa-Werken in Frankfurt a. M. herge¬
stellt und für Kriegszwecke zu ermässigten Preisen abgegeben.
2? 64 Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift. _ _ Nr. >.
häufig solche Formes frustes von Basedow scher Krankheit vor- i
kommen. Wenn man alle diese Leute aus dem Feldheer ausmerzen
wollte, würden, glaube ich. recht grosse Zahlen resultieren. Das Gros
dieser Fälle hält m. E. die Anstrengungen des Feldzuges aus, zu- j
gegeben sei, dass sie öfters einmal einen oder mehrere Tage Ruhe
brauchen. Aber nicht nur die Formes frustes von Bas. Krankheit, J
sondern eine ganze Reihe von Störungen, die zunächst als innere
Erkrankung imponieren, verlieren sich im Felde oft unter Ruhe, Pflege
und geeigneter Behandlung in wenigen Tagen, so manche Herz¬
störungen. Magendarmverstimmungen, unbestimmte „rheumatische“
Schmerzen u. a. Dass es von grosser Bedeutung für unser Feldheer
ist, wenn solche Leute nicht gleich zur Etappe oder gar in die Heimat
zurückgesandt werden, sondern einige Tage möglichst nahe der Front
beobachtet, behandelt und dann womöglich in die Front zurückge¬
schickt werden, ist klar.
Solche Gelegenheit in ausgedehnterem Masse hatten wir kürz¬
lich auf einem dem Feldlazarett unterstellten Krankensammelpunkt.
Der Krankensammelpunkt war, wie dies ja auch Vorschrift ist, nur
wenige Kilometer hinter der Front in einem Dorfe angelegt. Dort
konnten die Kranken ordentlich untergebracht werden, meist in
grösseren luftigen Räumen, teils in Betten, teils auf Matratzen oder
Strohsäcken. Da kamen die Soldaten mit den verschiedensten Klagen,
Herzbeschwerden, Atembeschwerden, Schmerzen in den Gliedern, in
erster Linie waren sie eben nervös und körperlich erschöpft. Gewiss
fanden sich unter ihnen Kranke, die wir zur Etappe zurückschicken
mussten, erwähnt seien von Herzaffektionen Mitralstenosen und Dila¬
tationen mit stark hebendem Spitzenstoss. Aber die meisten erholten
sich nach einigen Tagen Ruhe und Pflege, nach immer wiederholter
genauer Untersuchung des schmerzhaften Organes, z. B. des Herzens,
und der Versicherung, dass an dem Herzen nichts krankhaftes sei,
dass die Störung eine Folge der grossen Ermüdung sei, sehr rasch
und gingen mit Freuden wieder in die Front zurück. Fand sich eine
krankhafte Veränderung, die aber in ihrer Art den Transport nach
rückwärts nicht rechtfertigte, so sagte man das ganz offen. Auch
diese Leute gingen beruhigt zur Front zurück. Selbstverständlich ist
es für den Arzt leichter, solche Leute in die Heimat zurückzusenden,
bei Herzstörungen z. B. läuft man immer ein Risiko, wenn man
sie wieder in die Front entlässt, dieses Risiko muss aber
im Felde im Interesse des Heeres auf sich genommen werden. Im
Frieden ist man, um ja sicher zu gehen, geneigt, solche Soldaten aus
dem Dienst zu nehmen und längere Zeit zu beobachten, im Krieg
kann man dies eben nicht, da muss man rasch handeln.
Vorzüglich erfüllt den Zweck, solchen Kranken einige Tage
Ruhe Pflege und ärztlichen Zuspruch zu gewähren, der Kranken¬
sammelpunkt, allerdings nur unter der Bedingung, dass die
Front sich während dieser Tage nicht sehr verschiebt. Nur dann
kann der Krankensammelpunkt an einer und derselben Stelle bleiben.
Sind diese Bedingungen gegeben, so wird man durch obiges Ver¬
fahren auf dem Krankensammelpunkt der Front des Feldheeres eine
grosse Zahl tüchtiger Soldaten erhalten können.
Aus dem Rcservelazarett Diakonissenhaus — Universitäts-
Nervenklinik Frciburg i. B.
lieber Kriegsverletzungen des Nervensystems.
Von Prof. Hotz.
(Schluss.)
Die Schussverletzungen des Rückenmarks
können entweder durch Kontusionen oder Blutung eine vor¬
übergehende und partielle Schädigung bedingen, welche einer
spontanen Heilung fähig ist. ln diesem Falle prävalieren Er¬
scheinungen, welche mit denjenigen der langsamen Kom¬
pression bei Rückenmarkstumoren Aehnlichkeit haben. Ein¬
zelne Funktionen sind dauernd erhalten, zum Teil mit Reiz¬
erscheinungen kombiniert. Bei den Totalquerschnitts¬
läsionen handelt es sich entweder um eine Zertrümmerung
durch das Geschoss selbst oder um eine Schädigung durch
verlagerte Splitter. Eine sichere Entscheidung hierüber dürfte
auch durch das Röntgenbild nicht möglich sein. Neben den
zahlreichen Fällen von Querschüssen beanspruchen unser be¬
sonderes Interesse die S t e c k s c h ü s s e, bei welchen das
Projektil im Spinalkanal festsitzt. Zwei derartige Fälle
zeigten eine vollständige Querschnittlähmung mit gänzlich auf¬
gehobenen Reflexen unterhalb des verletzten Segmentes,
Blasen-, Mastdarmlähmung und Tendenz zu rasch progre¬
dienten trophischen Störungen. Im dritten Fall ergab sich
eine mit Infektion kombinierte Druckwirkung auf die Kauda.
7. F. D., Inf.-Reg. 110. Eintritt am 11. IX. 14, verwundet
3. IX. 14.
Befund: Einschuss in der hinteren linken Axillarlinie. Völlige
Rückenmarkslähmung vom 8. Dorsalwirbel ab. Reflexe erloschen.
Sensibilitätszone vorne dicht unter dem Rippenbogen, hinten hand¬
breit höher, schlaffe Lähmung der Beine, Urinretention. An r
Wirbelsäule äusserlich keine Deformität.
Röntgenaufnahme zeigt französisches Spitzgeschoss n
Rückenmarkskanal in schräger Richtung im Bereich des 8. Bn .
Wirbels.
Operation 12. IX. 14: Laminektomie. Ucber dem 6. s
9. Dornfortsatz wird die gerade Rückenmuskulatur zu beiden Sein
abgelöst, die hinteren Wirbelbogen freigelegt. Man erkennt z -
sehen 7 und 8. Bogen die sichtbare Spitze des Projektils. Dassce
steckt schräg mit der Spitze gegen den Einschuss gerichtet ui r
dem 8. Wirbelbogen. Der 7. und 8. Dornfortsatz wird mit r
Knochenzange entfernt, die hintere Vereinigung und die behi
Wirbelbögen werden reseziert Nun wird die Spitze des Geschoss
frei. Sie steht 2 cm ausserhalb des Duralsackes. Das Geschoss li;i
schräg aufsteigend im Rückenmark. Die Knochenlücke muss ge r
den Querfortsatz zu noch etwas erweitert werden, um das Projeil
ohne Zwang entfernen zu können. Dann gelingt die Extraktion leiu
Man erkennt, dass das Rückenmark in schrägem Verlauf perfor-|
ist. Nach Extraktion bleibt ein Schusskanal im Mark bestehen id
es entleert sich Liquor mit kleinen Markpartikelchen. Dorsal wd
die Dura auf kurze Strecke inzidiert, die Pia zeigt starke Hyperär:
kein Blutextravasat. Die Hinterstränge sind nicht durchgerissen c
auch makroskopisch nicht hochgradig gequetscht. Eine totale Qi --
durchtrennung liegt also nicht vor. Naht der Dura, die Muskulaji
wird reponiert, durch Naht vereinigt und darüber die Haut vom
geschlossen Während der Ablösung der Muskulatur hatte U
Kcagulen vorzüglich bewährt gegen die Blutung. Abends gut i;
der Narkose erholt. Bauchdeckenreflexe, welche vorher nicht :•
standen, sind vorhanden. Im Uebrigen zeigt der Befund keine:
Aenderung. 18. IX. Wunde reizlos, nervöser Zustand unveränd t
Temperaturen schwanken zwischen 39 und 37, Bronchitis, Blast
bildung in der Umgebung des Mastisolverbandes, auch an Druk-
stellen zwischen den Knieen, beginnender Dekubitus am Krcuzbtt
28. IX Wunde primär geheilt. Lähmungszustand unverändert.
8. K. W., Brig.-Ers.-Bat. 5. Eintritt 10. IX. 14, verwürfe'
8. IX. 14. Schrapnellschussverletzung der Wirbelsäule, Einsern«
unter dem rechten Angulus scapulae. Völlige Paraplegie der Bcc
Querschnittslähmung entsprechend dem 8. Dorsalsegment.
Die Röntgenplatte zeigt ein Schrapnellgeschoss im Berel
des 11. Brustwirbels
Operation 12. IX. 14: laminektomie im Bereich des 8. i:
11. Dornfortsatzes. Diese 3 Processus spinosi und die zugehörig
Dorsalwirbelbogen werden mit Euer abgetragen. Nun liegt die Dp
frei. Von oben her fliesst etwas Liquor mit weissen Markpartill
chen. Das Geschoss ist zunächst nicht zu sehen, doch fühlt rju
durch die Dura eine harte Stelle im Bereich des 11 Rückenwirbs
Der Duralsack wird nach rechts beiseite geschoben. Man fiie
die Schrapnellkugel im hinteren Teil des Wirbelkörpers, zur Hau
eingesenkt in den Knochen, zur anderen Hälfte^ in den Spinalkra
prominent und löst dieselbe sorgfältig heraus. Völlig glattes, runii
Projektil. Eine Zertrümmerung des Rückenmarkes ist an der f i
gelegten Stelle bis zum 8. Wirbel nicht zu sehen. Möglicherweise^
das Geschoss von vorneher in den Wirbelkanal eingedrungen k
diesem entlang 3 Segmente weit nach unten geglitten. Eine völb
Rückenmarksdurchtrennung lässt sich also durch die Operation np
naohweisen. Weichteile und Haut werden völlig vernäht, Heiluis
verlauf örtlich ungestört. Temperaturen schwanken zwischen'!
und 37,8, Nervenbefund unverändert. 27. IX. Wunde p. p. geh t
Lähmung unverändert.
9. M., 99. Reg. de ligne. Eintritt 28. VIII., verwundet 21. VIII. 4
1. Schussverletzung durch den rechten Oberarm, Ulnarislähmig
glatte Weichteilwunde. 2. Zwei Einschüsse in der linken Lenen
gegend, angeblich Schrapnellwunden. Diese beiden ca. zweima
stückgrossen Oeffnungen sezernieren stark. Es entleert sich nU
einigen Tagen auffallend viel helle eitrige Flüssigkeit, von np
urinösem Geruch. Starke Schmerzen im Verlauf des lin;i
Ischiadikus. 10 IX. Seit 2 Tagen hohe Temperaturen, heute plötzd
Nackensteifigkeit, grosse Aufregung, heftige Schmerzen nach un
Bein ausstrahlend. Kernig sches Symptom, gesteigerte Reihe
akute Meningitis.
Die Röntgenaufnahme zeigt entsprechend der Becki
schussöffnungen 2 unregelmässige Projektile. Das eine sitzt auf -
Beckenschaufel unterhalb des linken Darmbeinkammes, das ano
im Bereich des vierten Lendenwirbels. Man vermutet eine Sclu>
Verletzung des Spinalkanals. Meningitis.
Sofort Operation: Ueber dem 4. Lendenwirbel wird h
Muskulatur abgelöst. Beim Freilegen der Bogen findet inan m
Zeitrtiminerung des 4. Lendenbogens und des zugehörigen Querft
Satzes und innerhalb dieser zerquetschten Knochenpartie einen -
formierten Bleikern. Der Bogen wird entfernt, die Dura ist
rissen, Liquor tritt nicht aus. Man punktiert hinter dem 12. Dd
fortsatz, Liquor ist nicht zu aspirieren; von einer Spülung v'<
abgesehen, um die Eiterung im Spinalkanal nicht höher zu treilr
Die Wunde zeigt in der Tiefe einige Stränge der Kauda. Man J
ein Drain ein und tamponiert in ganzer Ausdehnung. Bleikern 1
Stahlmantel des deutschen Geschosses hatten zwei getrennte P
sehüsse bewirkt. Ueber dem Darmbeinkamm wird aus der andt'i
Schusswunde der zerdrückte Stahlmantel entfernt. 11. IX. 14. Ti
peraturabfall. Pat. hat sich auffallend gut erholt. Nackensteifig 1
I November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift. 2265
wieder geschwunden. Verbandwechsel, starke eitrige Sekretion.
13. IX. zunehmende meningitischc Erscheinungen führen zum
: tus
Die Sektion zeigt, dass der rechte Ulnaris in eine derbe
be eingebettet, aber makroskopisch in seinem Vejlaufe nicht
, letzt ist. Das Präparat wird herausgenommen. Die Eröffnung
Wirbelkanals und die Gehirnsektion ergibt eine ausgedehnte
lingitis, besonders an der Schädelbasis und über dem Stirnhirn.
Dura ist im Bereich des 2. Lendenwirbels eröffnet, das Riicketi-
k und die Kaudastränge zeigen keine anatomische Läsion.
Ausser den Querschüssen kommen etwa auch Längs-
. üsse zur Beobachtung. Die Kugel dringt über dem 2. Dorn-
:satz ein, tritt am 9. wieder aus. Die sämtlichen Dornfort-
;e sind durch das Geschoss abgestreift und in zahlreichen
ittern in die Medulla eingedrückt worden. Die Verletzung
r zustande gekommen beim Liegendschiessen im Moment,
i sich der Schütze zur Deckung auf den Boden warf. Be-
dere therapeutische Bedeutung haben die drei mitgeteilten
le insofern, als man annehmen konnte, dass hier durch das
schoss eine komprimierende Wirkung auf das Rückenmark
i glich war. Es zeigte sich dann auch bei unseren beiden
■ckschüssen der Medulla, dass keine vollständige Kontinui-
■durchtrennung Vorgelegen hat, trotzdem das klinische Bild
•r völligen Querschnittslähmung bestand. Die Beob-
tungen von C o 1 1 e y und Braun haben bewiesen, dass
h Entfernung kleiner Projektile eine weitgehende Resti-
i on möglich ist. Wenn man berücksichtigt, dass
Ir Verletzte, seinem Zustand überlassen,
ienfalls einem traurigen Ende entgegen-
; h t, dürfte sich der Versuch, durch La minek¬
nie die Geschosse zu entfernen, wohl recht-
tigen. Inwieweit der Eingriff zu einer Besserung wirk¬
beitragen kann, wird die spätere Erfahrung zeigen. Die
i ktion ist nicht zu befürchten, falls das Geschoss steril ein-
rungen ist. Bei den Durchschüssen allerdings wird man
i vorerst kaum zu einem operativen Eingriff entschliessen.
Unter den zahlreichen Verletzungen des peri-
eren Nervensystems treffen wir eine ganze Anzahl
Schussverletzungen des Plexus brachiaüs. Es handelt sich
chweg um Läsionen, welche nicht als anatomische Durch-
unung aufzufassen waren. Nach Verlauf von 4 — 5 Wochen
lten sich meist deutliche Regenerationsvorgänge ein. Die
i ven sowohl wie die Arterien haben, soweit sie als isolierte
1 inge verlaufen, auch gegenüber den modernen Geschossen
Fähigkeit, auszuweichen. Eine Gefäss- oder Nervenver-
: ung sahen wir hauptsächlich da, wo bei Abzweigung eines
>es oder durch Anlagerung am Knochen eine stärkere
ation besteht. So bei den Arterien des Truncus thyreo-
'/icalis, A. femoralis am Abgang der Profunda, A. cubiti,
,'adialis.
Die Mehrzahl der Nervenverletzungen
rch Geschosswirkung besteht nicht in
ier Durchtrennung, sondern in einer star-
n Quetschung des Nerven, bei Nahschüssen
■nen reichlich Pulverkörner in den Strang eingepresst sein,
resultiert daraus eine motorische, oft auch gemischte Läh-
ig, welcher nach etwa 10 Tagen die Entartungsreaktion
en kann. Diese Kontusionsverletzungen zeigten mehrfach
) rhalb der ersten 4 Wochen die spontane Wiederkehr der
ktion. Zu operativem Eingreifen gaben andere Fälle Ver¬
lesung.
lü. J. R., 126 Inf.-Reg. Eintritt 16. IX., verwundet 16. VIII. 14
' h perforierenden Infanterieschuss im rechten Oberarm. So¬
li völlige Lähmung im Bereich des N. radialis.
Befund: Rechter Arm: Einschuss am Ansatz des Deltoideus,
Schuss etwas höher an der Hinterseite des Oberarms. Derbe,
iRförmige Narbe mit leichter Knochenverdickung. Völlige Ra¬
slähmung mit ausgesprochener Entartungsreaktion. Leichte
; se des Trizeps.
Operation 16. IX. 14: Schnitt in der Furche zwischen
Jt longum und laterale des Trizeps dicht am Ansatz des Del-
-us, führt auf eine sehr derbe Narbe. Man isoliert den intakten
'•en unter dem lateralen Trizeps und dem Caput longum. Die
■ircumflexa wird hier unterbunden, dann mit Mühe zwischen den
■cn intakten zentralen und peripheren Teilen der Nerv mit einer
1 langen, derben Narbe vom Knochen abgelöst. In dieser Narbe
•t man einen 1 ccm grossen scharfen Knochensplitter aus der
1 ikalis des Humerus, welcher den Nerv völlig durchtrennt und
1 zwischen die beiden narbigen Enden cinlagert. Da durch diesen I
Knochensplitter eine Kontinuitätsdurchtremumg schon gegeben ist,
wird das ganze, in Narben eingebettete Nervenstück in der Länge
von 4 cm reseziert, der zentrale und der periphere Stumpf werden
mobilisiert, bis die Vereinigung möglich ist. Dann wird durch einige
perineurale Nähte die Nervenscheide ringsum vereinigt und so die
einzelnen Bündel exakt aneinandergefügt. Die Nahtstelle liegt direkt
dem Knochen an. Um eine Kallusumwachsung zu verhindern, wird
ein, Stück der Faszie des Trizeps röhrenförmig darumgelegt und
schliesslich noch ein 6 cm langer Muskellappen zwischen Humerus
und Nerv cingelägert. Wunde bis auf kleines Drain geschlossen.
19 IX. 14. Wundheilung ungestört.
B. W„ Inf.-Reg 105. Eintritt 18. IX. 14. Verwundung durch
Artilleriegeschoss am 16. VIII. 14. Humerusfraktur, völlige Radialis-
lähmung.
Befund: Kleine Schusswunde über der Mitte des Oberarms
völlig abgeheilt. Humerus etwa in der Mitte gebrochen ohne weit¬
gehende Splitterung mit geringer Verschiebung des oberen Frag¬
mentes nach hinten bereits konsolidiert. Es besteht eine komplette
gemischte Radialislähmung mit Entartungsreaktion, Parästhesien in
Hand und Fingern.
Operation 21. IX.: Der N. radialis wird an der Aussenseite
des Humerus freigelegt, von der Umschlagstelle aus zentral verfolgt.
Auf eine Länge von 6 cm ist der Nervenstrang völlig in dem jungen
Kallus eingeschlossen und von diesem stark überwuchert. Die Aus¬
lösung gestaltet sich ziemlich schwierig. Die Bruchstelle muss wie¬
der mobilisiert werden, doch gelingt es, den Nerv ohne Schädigung
im ganzen Verlauf freizubekommen. Er erscheint deutlich verdickt,
lässt jedoch eine Kontinuitätsunterbrechung nicht erkennen. Aus
Faszie und Fett aus dem Trizeps wird eine S cm lange Hülse ge¬
formt, der Nerv umscheidet und reponiert. Glatte Wundheilung.
Nach 8 Tagen zeigt der M. extensor carpi radialis wieder deutliche
Extensionswirkung.
Leutnant S., I. bayer. Res.-Inf.-Reg. Verwundet 19. VIII. 14.
Eintritt 25. IX. 14. Glatter Weichteilschuss in der rechten Ellbeuge.
Im Moment der Verletzung konnte die Hand nicht mehr kräftig ge¬
schlossen werden, Gefühlsunempfindlichkeit in der Handinnenfläche,
am 2., 3. und 4. Finger. Oppositionsstellung unmöglich. Die Schuss¬
wunde heilte ohne Störung, doch traten zunehmend heftigere, in die
Finger ausstrahlende Schmerzen auf bei verminderter Beweglichkeit.
Operation 24. IX. 14: Schnitt in der Ellbeuge über dem
N. medianus. Arterie und Begleitvenen erweisen sich als intakt.
Der Nerv ist unter dem Lacertus an seiner Rückseite in eine derbe,
bindegewebige Narbe eingeschlossen. Er wird vorsichtig frei¬
präpariert, zeigt an der Quetschungsstelle eine rötliche Verdickung
und Verbreiterung ohne Unterbrechung des Faserverlaufes. Er wird
in eine dem Bizeps entnommene Faszienfettscheide eingelagert und
reponiert. Glatte Wundheilung. Die Parästhesien haben sofort
aufgehört, die Beweglichkeit der Finger bessert sich rasch.
Ch L., Reg de ligne 325. Eintritt 13. VIII. 14. Explosionsschuss
im linken Vorderarm am 11. VIII. 14. Mächtige Einschussöffnung
im unteren Drittel an der Aussenseite des Oberarms, entsprechend
dem Verlauf des N. radialis, mit Pulverkörnern stark imprägniert.
Ausschuss an der Innenseite dicht oberhalb des Gelenkes. Mus¬
kulatur zerfetzt, sehr viel gangränöses Gewebe. Schlaffe Radialis¬
lähmung. 24. VIII. Unter wechselnden Verbänden hat sich die
Wunde gut gereinigt, gangränöse Hautpartien sind abgestossen,
überall gute Granulationen.
Röntgenaufnahme zeigt nur eine geringe Veränderung
am Periost, keine wesentliche Knochenverletzung. Durch Heft¬
pflaster wird der Defekt verkleinert, es bleibt aber noch eine grosse
Wundfläche, welche durch Sekundärnaht geschlossen Werden soll.
Operation am 11. IX. 14: Die eingestülpten Hautränder
werden angefrischt, mobilisiert, die Granulationsfläche wird exstir-
piert. Man sucht zentral den N. radialis auf und findet denselben
im Verlauf nicht unterbrochen, völlig in Narben und eingeheilte
Pulvermassen eingebettet. Der Nerv wird ausgelöst und zwischen
die Muskulatur verlagert. Vorerst soll die spontane Regeneration
abgewartet werden. Die mobilisierten Hautränder werden durch
Naht vereinigt und ein kleines Drain im unteren Wundwinkel ein¬
geführt. 19 IX. 14. Gute Heilung bei geringen Reizsymptomen. In
den Lähmungserscheimmgen zeigt sich keine Aenderung. 27. IX. 14.
Wunde geheilt, noch keine Regeneration.
Eine wirkliche Durchtrennung peripherer Nerven durch
Schusswaffen findet nach unserer Erfahrung an ca. 20 Fällen
nur ausnahmsweise statt. In der grossen Mehrzahl handelt es
sich um mehr oder weniger ausgebreitete Dehnungs- und Kon¬
tusionsfolgen, welche spontan aushcilen. selbst wenn Er¬
scheinungen der Entartungsieaktion vorhanden sind. Die kom¬
plette Entartungsreaktion zeigt uns nur, dass die Mehrzahl der
Nervenfasern eines Stammes eine Unterbrechung erfahren hat
und lässt somit eine Unterscheidung zu zwischen leichten Kon¬
tusionen, welche mit grosser Wahrscheinlichkeit von selbst
gut werden und den schwereren Läsionen. Eine anatomische
Quertrennung lässt sich nicht daraus schliessen. Die Er¬
scheinung findet sich ebensowohl bei der bindegewebigen
Umwachsung als bei Kallusdruck und Splitterverletzung.
2266
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr.
Die Indikation zu operativer Therapie ergibt
sich nach den angeführten Beispielen hauptsächlich aus diesen
besonderen Eigentümlichkeiten des Verletzungsmechanismus
und -Befundes. Eine Revision des verletzten Nerven ist ge¬
boten :
1. bei scharfer Verletzung, Hiebwunden, entweder im ganz
frischen Zustand oder nach der Ausheilung per granu-
lationem.
2. bei Schussverletzungen, wenn in unmittelbarer Nähe
des lädierten Nerven eine Knochenverletzung (Fraktur oder
Splitter) festgestellt werden kann. Die hierdurch gegebene
Möglichkeit einer Anspiessung oder Kalluskompression, welche
insbesondere auch durch die verzögerte natürliche Regene¬
ration und durch Reizsymptome nahegelegt wird, fordert dazu
auf, den Nerven freizulegen, nachdem die äussere Weichteil-
wunde abgehcilt ist.
3. Die gleiche Indikation besteht auch für einfache Weich¬
teilwunden mit Nervenbeteiligung, wenn zunehmende Be¬
wegungsstörungen und Parästhesien im Verlauf der Wund-
heilung einsetzen. Bindegewebige Narben können ähnliche
Folgen haben wie die Kalluskompression. Der operative
Eingriff besteht in einer sorgfältigen, wo¬
möglich unter Blutleere ausgeführten Neuro-
1 y s i s. Der Nerv muss frei aus seiner Unterlage aufgehoben
werden können und wird dann zweckmässigerweise vor
weiteren Verwachsungen dadurch geschützt, dass wir ent¬
weder einen Muskellappen interponieren oder besser aus einer
naheliegenden Muskelfaszie mit dem anhaftenden Fett eine
Hülle bilden, welche um den ganzen Nervenstrang herum¬
gelegt, zu einem Zylinder vernäht und an den beiden End¬
punkten durch fixierende Nähte ausgespannt wird.
So wenig einerseits einer allzufrühen Inangriffnahme der
Nervenverletzungen das Wort gesprochen werden kann — die
Schusswunden müssen jedenfalls geheilt sein und ein völlig
aseptisches Vorgehen ermöglichen — , so sehr empfiehlt sich
doch andererseits bei bestehenden Beschwerden, welche auf
eine lokale Reizung des Nerven hindeuten, die Neurolysis nicht
allzulange hinauszuschieben. Eine Resektion des Nerven
dürfte nur da in Betracht kommen, wo ein Knochensplitter
die Kontinuität bereits gänzlich durchbrochen hat; es wird
dann nötig sein, den Nervenstrang anzufrischen und die ge¬
sunden Enden zu vernähen. Bei grösseren Defekten empfiehlt
es sich, Ersatz zu schaffen durch plastische Verlagerung der
beiden Nervenstümpfe. Für diesen komplizierten Eingriff
hatten wir bisher noch keinen Anlass.
Nach unseren Erfahrungen zeigt sich, dass in gewissem
Gegensatz zu allen übrigen Kriegsverletzungen gerade die
Läsionen des Gehirns und Nervensystems bei vorsichtiger
Auswahl der Fälle häufig zu chirurgischen Eingriffen Ver¬
anlassung geben können.
. » »y..T P- » «
Von einer Automobilfahrt zum westlichen Kriegsschauplatz.
Wir erhalten nachstehenden Bericht:
Ihrer freundlichen Aufforderung, über medizinische Eindrücke
vom westlichen Kriegsschauplatz zu berichten, kann ich nur in sehr
unvollkommener Weise folgen, da meine Fahrt zur Front nach Frank¬
reich leider nur wenige Wochen gedauert hat. Von eingehenden Er¬
hebungen kann dabei nicht die Rede sein, immerhin fallen manche
Wahrnehmungen ganz besonders auf, die einen beträchtlichen Gegen¬
satz zu den überlieferten Erfahrungen früherer Kriege aufweisen.
Einige Momente bedeuten eine Erschwerung der ärztlichen Auf¬
gabe: Zunächst ist es schwieriger geworden, bei Gefechten einiger-
massen sichere Truppenverbandplätze zu finden, schon auf Grund der
bedeutenden Tragweite der Infanterie- und noch mehr der Artillerie-
geschosse. Bekanntlich sind darum auch schon recht zahlreiche Kol¬
legen auf dem Feld der Ehre gefallen. Gerade bei den langwierigen
Positionskämpfen an der Aisne werden die feindlichen Stellungen
dauernd bestrichen, so dass auch Feldlazarette durch Zufallstreffer
gefährdet sind. Insbesondere kann auch die Aufklärung durch Flieger
das Artilleriefeuer auf Truppenteile lenken, in deren Nähe Ver¬
wundete anscheinend in Sicherheit gebracht waren. So kam es vor
bei Roye, dass eine Munitionskolonne in vermeintlich guter Deckung
neben einer Kirche stand, in der Verwundete untergebracht waren.
Die Stellung der Kolonne wurde jedoch durch feindliche Flieger fest¬
gestellt und bald darauf unter Feuer genommen, zum Schrecken der
hilflosen Verwundeten in der Kirche, auf die auch noch geschossen
wurde, nachdem die Munitionskolonne selbst in bessere, auch n;n
eben maskierte Deckung gebracht war.
Sehr schwierig gestaltet sich im langwierigen Positionskampf ik
rasche Versorgung der Verwundeten in den Schützengräben und ga:
besonders nach einem versuchten Angriff auf dem Gelände zwiscln
den Feuerlinien. In letzterem Fall ist selbst das Abholen zur Nac
zeit mit Schwierigkeiten verknüpft, da dann das Vorrücken der Kr;,
kenträger von feindlicher Seite leicht verkannt und für einen Nac
angriff gehalten wird, der zu üegenmassregeln nötigt.
Im allgemeinen jedoch ist der Transport der Verwundeten ;<
eine früher nicht bekannte Höhe gebracht. Vor allem das Kra-
fahrwesen hat nicht nur für militärische Operationen und Transpor,
sondern auch für sanitäre Zwecke eine geradezu umwälzende Bedö
tung. Es wird dadurch ermöglicht, auch schwer Verwundete in ki
zester Zeit vom Verbandplatz in ziemlich weit abgelegene, gut
sicherte Feldlazarette zu bringen und weiterhin diese ausserordentliii
rasch zu evakuieren und ihre Insassen in die Etappen zu schafft
Selbst Nachblutungen, die nach Anlegen des ersten Verbands no,
häufig sind, verlieren so ihre gefährliche Bedeutung. Auch Vtl-
wundete schwerster Art, mit Hirnschüssen z. B., lassen sich mit Ni-
verband unter Morphium in geeigneten Automobilen ohne Schadi
transportieren. Der Bedarf an geeigneten Krankenautomobilen ;
aber noch keineswegs gedeckt, vor allem reichen die Verkehrsmitl
an Gefechtstagen und auch bei grossen Truppenbewegungen noi
lange nicht aus. Als ich mit einer Hamburger Automobil-Liebi
gabenkolonne beim IX. Armeekorps gerade nach einem Gefcq:
anlangte, wurde mit Dank von unserer Bereitwilligkeit Gebraui
gemacht, Verwundete vom Verbandplatz zu den Lazaretten t
schaffen. Glücklicherweise werden immer wieder von privater Se:
Automobile zur Verfügung gestellt, die sich in praktische Krankej-
transportwagen für je 4 Tragbahren umarbeiten lassen. Zweckmäs1:
wäre es auch, kräftige Motorräder von 3 und mehr PS. unter A-
bringung einer seitlichen Tragbahre zu Dreirädern umzuarbeiten, t»
sich auch schwierigem Gelände anpassen würden und kein so H
quemes Schussziel abgeben, wie Automobile.
Erfreulicherweise sind nun auch den Generalärzten Automob:
zur Verfügung gestellt, die es ihnen ermöglichen, sämtliche Fei¬
lazarette ihres Armeekorps in rascher Folge zu besichtigen.
Von grösstem Interesse ist es, zu sehen, mit welcher Findigkt
die Feldlazarette improvisiert werden, in Kirchen, Schulen, Kindt¬
bewahranstalten, dann in den mannigfachen Schlössern, die von fra-
zösischem Reichtum zeugen. Glasveranden geben treffliche Opet-
tionsräume ab. Originell waren in der Gegend von Blerancourt c:
dort neben natürlichen Höhlen häufigen, höhlenartig ausgebauten Ste-
brüclie benutzt, aus denen seit alters das Baumaterial für die Woh-
häuser der Gegend gehauen wird. Diese oft recht ausgedehnten unti-
irdischen Räume sind zur Unterbringung von Truppen und Pferde
aber auch von Verwundeten gut zu verwenden; sie sind schusssich,
ziemlich warm, auffallend trocken und, auch trotz der Verwendu:
einzelner Teile als Pferdestall, doch frei von üblem Geruch.
Die Prophylaxe der Infektionskrankheiten hat bisher ausgezeic-
nete Erfolge gebracht, ausser vereinzelten Typhusfällen kam ir
mehrfach Dysenterie vor, zweifellos in Zusammenhang mit der schw
rigen Verpflegung beim raschen Vorrücken grosser Truppenteile, U-
ner auch begünstigt durch die Gelegenheit zum reichlichen Ob-
genuss. Vielfach wurden gute Erfahrungen bei Dysenterie mit d"
Anwendung von Bolus alba gemacht.
Ueber den Tetanus, bei dessen Verhütung auch eine möglich
schnelle Fortbringung des Verwundeten vom Schlachtfeld vil
grösster Wichtigkeit ist, haben die Leser d. Wschr. Authentisch-
aus dem Bericht über die Versammlung der Sanitätsoffiizere ifc
9. Armeekorps in Chauny erfahren, die auf Anregung der Gener-
ärzte Dr. Witte und Geheimrat K ii m m e 1 1, des konsultierend!
Chirurgen des 9. Korps, zustande kam, gerade am 5. IX. 14, für di
letzterer noch in Friedenszeit die ehrenvolle Einladung erhalten hat,
in Paris einen Kongressvortrag zu halten. Mit Recht wurde j
Bericht von einer Veröffentlichung über die Wirkung von Dumdu-
geschossen abgesehen. Allerdings sind an anderer Stelle aus di
Geschosswirkungen bei den in die Heimat gebrachten Verwundet!
beruhigende Schlüsse hinsichtlich der Verwendung von Dumdu-
geschossen gegen manche Truppenteile gezogen worden (vergl. Ha ■
burger Aerztekorrespondenz 17. S. 456). Immerhin lassen sich a
massenhaften Funde an solchen Geschossen in Maubeuge, wo h
mich selbst davon überzeugen konnte, in Longwy usw. nicht mit di
beschönigenden Ausreden, sie seien für Jagdzwecke oder für Sch
benschiitzen bestimmt, aus der Welt schaffen.
Dass von feindlicher Seite die Grundsätze der Neutralität cf
sanitären Einrichtungen nicht immer strenge beachtet wurden, ln-
man vielfach bestätigen. Auch hinsichtlich der Fortschaffung c
eigenen Verwundeten bei einem Rückzug wird auf französischer Se:
nicht das Gleiche geleistet wie bei uns. Wie peinlich genau vt
deutscher Seite die Vorschriften des Roten Kreuzes innegehalt»
werden, konnte ich in C. beobachten: Ein prächtiges Schloss eigne
sich trefflich für sanitäre Zwecke, aber unsere Artillerie benutzte d-
hochragende Dach als Bcobachtungsposten; infolgedessen musste ;
das Hissen des Roten Kreuzes verzichtet werden und es schlugt
auch mehrfach dort noch feindliche Geschosse ein. Selbstverstän
lieh ist jeder Missbrauch des Neutralitätszeichens, wie er ja bei sän
liehen Feinden vielfach beobachtet und schamloser Weise von diesi
7. November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2267
-rade uns zum Vorwurf gemacht worden ist, deutscherseits strenge
isgeschlossen. Manchmal freilich scheint die Anwendung des
eichens in etwas pedantisch übertreibender Weise eingeschränkt zu
erden, so wenn von einzelnen Stellen des Heimatgebiets den Liebcs-
ibenkolonnen, die doch auch Spenden für Lazarettkranke bringen
id sich am Verwundetentransport beteiligen, das Zeichen versagt
°rden ist, während es ihnen anderweitig, so von der Kommandantur
Aachen oder dem Gouvernement in Lüttich, in vorschriftsmässiger
eise gegeben wurde. Aus anderen Gründen erscheint es freilich er-
iinscht, dass solche Automobilkolonncn nur in organisierter Weise
id möglichst erst von den Eisenbahnendstationen der Etappe aus
hren.
Zwei Punkte erregten mein besonderes Interesse. Hinsichtlich
:r ü e i s t e s s t ö r u n g e n haben sich erfreulicherweise die Be-
■rgnisse, die auf Grund der Erfahrungen der Südwestexpedition und
:s Mandschureifeldzuges gehegt wurden, nicht verwirklicht. Es
>mmen selbstverständlich vereinzelt Fälle von typischen Psychosen
)J' 4ie wohl auch ohne den Feldzug bei Disponierten aufgetreten
ären. Auch einzelne Paralysen wurden in entsprechende Etappen¬
ationen gebracht, wobei vielleicht die Einflüsse des Feldzuges die
ankheit aus dem latenten Stadium aufflackern Hessen, möglicher¬
eise aber auch an eine auslösende Wirkung bei luisch Disponierten
dacht werden kann. Ferner sind gelegentlich epileptische
mptome und psychogene Erregungen vorgekommen, wie auch
nige Verwirrtheitszustände auf Grund von Trauma oder Er-
höpfung, doch vorwiegend von günstiger Prognose. Im all-
ineinen gilt wohl, was Veteranen aus dem Stidwestafrika-
schen Feldzug bestätigen, dass damals die Strapazen entschieden
■ch grösser gewesen sind als gegenwärtig in Frankreich.
Hinsichtlich des Alkohols hat sich offenbar die bei der Mobil-
ichung angeordnete strenge Abstinenz während des Feldzuges nicht
nz einhalten lassen. Gelegentlich scheint beim Genuss des fran-
sischen Rotweins eine angemessene Grenze nicht genug beachtet
arden zu sein. Wie mir von militärjuristischer Seite mitgeteilt
arüe, sind manche Disziplinarvergehen daraufhin zurückzuführen,
geschieht wohl alles mögliche, um die Truppe mit Kaffee zu ver-
hen, aber auch anderweitige Ersatzgetränke würden sich emp-
ilen, vor allem 1 ee und Kakao. Leider gibt es bei uns noch keine
nügenden Erfahrungen über Yerba mate, dem auch eine hunger-
llende Wirkung zugeschrieben wird.
So überwältigend auch die Eindrücke im Operationsgebiet selbst
td, so geben doch auch das Etappen- und das Heimatgebiet reiche
iregungen. Es ist erstaunlich, wie mancher kleine Ort, so Chauny,
sserordentlich dicht mit Lazaretten belegt wurde, zum Teil unter
rwendung von Schulen und anderen Lokalen, in denen bereits von
nzösischer Seite Krankenräume improvisiert worden waren.
Bei einer Fahrt durch das Heimatgebiet kann es erstaunen, wie
rschiedenartig die Verwundetenfürsorge organisiert ist. Mancher-
s stellen die bestehenden, mit allen neuzeitlichen Einrichtungen
mich ausgestatteten und in erfahrenem Betrieb befindlichen öffent-
ien Krankenhäuser den Kern der Verwundetenfürsorge dar, woran
h improvisierte Feldlazarettabteilungen in Schulen usw. an-
lliessen; zu Chefärzten wurden vor allem die leitenden Kranken-
jsärzte herangezogen, die über die grössten Erfahrungen im Kran-
nhausbetrieb verfügen, einerlei, ob sie bisher eine militärische
dlung hatten oder nicht; in Köln z. B. sind die Chefärzte der
Festungslazarette mit einer Ausnahme Zivilärzte, von denen, so-
it bekannt, 8 überhaupt nie gedient haben. In anderen Orten hat
n zu Reservelazaretten in erster Linie die durch Mittel des Roten
auzes usw. adaptierten Gebäude benutzt, Schulen, Tanzlokale, Bier-
luereien, Gewerkschaftshäuser usw., und zu Chefärzten lediglich
aktivierte Kollegen herangezogen, ohne dass chirurgische oder kran-
[ maustechnische Erfahrung verlangt .wurde, während die zur Ver-
i ung stehenden grossen öffentlichen, völlig ausgestatteten Kranken¬
der geraume Zeit zahlreiche bereitgestellte Betten leer hatten; zu
: ntgenuntersuchungen müssen die Verwundeten aus ihrer unvoll-
nmenen Unterkunft in das Laboratorium eines solchen Kranken¬
des gefahren und dann wieder in die immer einen Notbehelf dar¬
benden Räume von Schulen oder anderen Lokalen zurückgebracht
rden. Es sei hier nicht erörtert, welcher Weg am meisten dem
| streben entspricht, unsere Verwundeten auf die denkbar beste
:ise wieder zur Heilung und Dienstfähigkeit zu bringen und sie
Hh dem Grundsatz zu behandeln, dass für sie, die ihr Blut für
btschlands Heil dahingaben, das Beste gerade gut genug ist.
Mit erhebender Freude lässt sich allenthalben, in der Front, im
matgebiet, wie in der Etappe, in Belgien und Frankreich, in grös-
en Städten wie Lüttich, Brüssel, Antwerpen, St. Quentin sowohl
auch in den kleinsten Plätzen, bei den Stäben, in den Schützen-
' ben, in den Lazaretten immer wieder wahrnehmen, dass wirklich
unseren Truppen der gute Geist lebt, der auf dem Bewusstsein
gerechten Sache, der gediegenen Ausbildung und Ausrüstung
zielbewussten Führung, wie auch der trefflichen Verpflegung
1 Verwundetenfürsorge beruht und ihnen dadurch die Bereit-
aft zu jedem Opfer und den sicheren Willen zum Siege ver-
Mit hochachtun'gsvollen Empfehlungen bin ich
Ihr ergebenster
Dr. W. W e y g a n d t.
Kleine Mitteilungen.
Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten hat nachstehendes Merkblatt herausgegeben:
Merkblatt für Soldaten.
Jeder Soldat hat die heilige Pflicht, sich für sein Vaterland
gesund zu halten, doppelt und dreifach in Kriegszeiten, wo an seine
Leistungsfähigkeit die grössten Anforderungen gestellt werden.
Durch nichts wird Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Sol-
i -p geschädigt als durch die Geschlechtskrankheiten: Syphilis
und i ripper. Sie verursachen nicht nur grosse Schmerzen, sondern
machen den Mann auch schlapp, marsch- und kampfunfähig — ganz
zu schweigen der schweren Gesundheitsschädigungen, weiche diese
Kiankheiten für das ganze spätere Leben nach sich ziehen.
Gesclilechtskrankheiten holt man sich bei leichtsinnigen Mäd¬
chen und brauen, die infolge ihres lockeren Lebenswandels fast alle
krank sind und ihre Krankheit dann wieder auf die Männer, mit
denen sie verkehren, übertragen. Der Soldat muss daher besonders
in Kriegszeiten sich von diesen Mädchen streng fernhalten, sowohl
iin Feindesland als auch in der Heimat, wo er in Quartier liegt.
Er muss sich besonders vor dem Genuss geistiger Getränke
Uchnaps, Bier, Wein) in acht nehmen, da er im Rausch, ja schon
in leichter Angetrunkenheit leichter der Verführung unterliegt. Er
muss, soweit das irgend möglich ist, nicht nur den übrigen Körper
sondern auch die Geschlechtsteile peinlich sauber halten.
Er muss während der ganzen Dauer des Krieges gesund und
frisch bleiben in seinem eigenen Interesse und im Interesse des
Vaterlandes, das für den Kampf um seine Freiheit die ganze Kraft
eines jeden braucht.
Wer das Unglück hatte, schon vor dem Kriege eine Geschlechts-
krankheit zu bekommen, melde jede kleinste Verschlimmerung dem
zuständigen Arzt, damit nicht durch Vernachlässigung ein ernstes
Leiden entsteht.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 14. November 1914.*)
— Auch in der ablaufenden Woche haben sich entscheidende Er¬
eignisse auf den Kriegsschauplätzen nicht zugetragen. Doch ist auf
allen Stellungen im Westen, namentlich in Nordfrankreich und Flan¬
dern, ein langsames aber stetiges Zurückdrängen des Gegners fest¬
zustellen. Die Türkei hat bei ihrem Vorgehen sowohl im Kaukasus
wie in Aegypten bereits Erfolge zu verzeichnen. Von grosser Bedeu¬
tung ist auch der immer mehr um sich greifende Aufstand der Buren
gegen die Herrschaft der Engländer in Südafrika. Mit schmerzlichen
Gefühlen verzeichnen wir die Vernichtung unserer tapferen „Emden“
durch einen australischen Kreuzer, nachdem sie 3 Monate lang unsere
Gegner in Atem gehalten und ihren Handel schwer geschädigt hatte.
Sie hat bis zur letzten Stunde, in der ihr unvermeidliches Geschick
sich erfüllte, dem deutschen Namen Ehre gemacht.
— Die zahlreichen Fälle von Wundstarrkrampf, die in
unseren Kriegs- und Reservelazaretten auftreten, fördern begreif¬
licherweise auch eine Fülle von Veröffentlichungen zutage, die von
den Bemühungen, der furchtbaren Krankheit Herr zu werden, be¬
richten. Den früheren, in unserer feldärztlichen Beilage erschienenen
Mitteilungen schliessen sich in der heutigen Nummer sechs weitere
Arbeiten an. Trotz des grossen, jetzt vorliegenden Beobachtungs¬
materiales können die wichtigsten therapeutischen Fragen noch nicht
als geklärt betrachtet werden; vor allem nicht die Frage der Wir¬
kung des Heilserums. Bei ganz schweren Fällen versagt es; aber
auch bei weniger schweren Fällen ist seine Wirkung nicht zuver¬
lässig, wenngleich nach der Statistik von K r e u t e r eine erhebliche
Herabdrückung der Sterblichkeitsziffer dadurch erzielt wird Auch
über die Wirkung des Magnes. sulf. bleiben die Ansichten geteilt; be¬
merkenswerte Erfolge damit werden ja von einigen mitgeteilt. Von
anderen symptomatisch wirkenden Mitteln ist Luminal zu erwähnen,
dem Vorzüge vor dem meist verwendeten Chloral nachgerühmt wer-
den. E. Müller hat mit heissen Bädern ausserordentliche Er¬
leichterung für die Kranken erzielt. Auffallend sind die von Roth-
r u c h s berichteten Fälle von Behandlung mit Salvarsan. Wenngleich
ihre Zahl zu gering ist, um beweisend zu sein, sind die Ergebnisse
in seinen Fällen doch so günstige, dass sich die Nachprüfung des
Vorschlages an einem grösseren Krankeninaterial jedenfalls recht¬
fertigt.
.. , ,7T D,ie Unzulänglichkeit unserer Feldpost, die sicher haupt¬
sächlich durch uie ins Ungemessene gestiegene Benützung durch die
Bevölkerung bedingt ist, veranlasst Herrn Dr. R. S c h ä f f e r - Berlin.
Abschaffung der Portofreiheit der Sendungen anzuregen. Durch
Einführung eines mässigen Portos (zum mindesten für die Briefe
ins reld) würden nicht nur die Berge von Postsendungen ver¬
ringert und ihre Bewältigung erleichtert werden, sondern die Sen¬
dungen selbst würden höher bewertet werden. Sch. zieht die
*) Die heutige Nummer musste wegen eines sächsischen Buss¬
und Bettages mit Rücksicht auf die über Leipzig gehende Auflage
früher fertiggestellt werden.
2268
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Parallele mit den unentgeltlichen ärztlichen Leistungen, die uic
(irundursache der kassenärztlichen Klagen seien, und die den Aerzte-
tag veranlassten, eine teilweise Bezahlung der kassenärztlichen
Leistungen durch den Inanspruchnchmer selbst vorzuschlagen. Die
Anregung Dr. Sch.s ist sehr beachtenswert. Jeder würde gerne ein
geringes Porto bezahlen, wenn dadurch die Möglichkeit rascherer
und sicherer Beförderung von Sendungen an unsere Angehörigen ge¬
geben würde.
— Die Irrenanstalt Friedrichsberg in Hamburg be¬
geht am 18. XI. 14 den Tag ihres 50 jährigen Bestehens. Sie wurde
von Ludwig Meyer gegründet als die erste deutsche Anstalt nach
dem Prinzip zwangloser Behandlung. Zur Zeit ist ein durchgreifender
Umbau und Reorganisation der Anstalt im Gange.
Der Verein pfälzischer Aerzte beging den Gedenk¬
tag seines 75 jährigen Bestehens. Von einer Feier wurde Abstand
genommen.
Demnächst gelangt zur Ausgabe: Taschenbuch des
Feldarztes, 11. Teil. Uebertragbare Krankheiten von General¬
arzt Prof. Dr. Dieudonne und Prof. Dr. Weich har dt. Innere
Krankheiten von Prof. Dr. S i 1 1 m a n n und Proff. (iudden, Spiel-
m ann, Salzer, Heuck. Haslauer. Das Buch bildet gewisser-
massen die Ergänzung zu Schönwerths chirurgischem Vademekum
des Feldarztes.
Einen bemerkenswerten Bericht über seine kriegschi¬
rurgischen Erfahrungen im Balkankriege gibt Laurent-
Brüssel (La Guerre en Bulgarie et en Turquie, Paris, Maline 1914).
Ausser den Abhandlungen über die verschiedenen Kapitel der Kriegs¬
chirurgie gibt der Verf. anregende Schilderungen von den allge¬
meinen militärischen und gesundheitlichen Verhältnissen Bulgariens.
Das Buch wird in der jetzigen Zeit vielen Kollegen Anregung und
Förderung bringen. Kr.
- Der 25. J ahrg. der „T herapeu tischen Leistungen“
von Pollatschek und C h a r m a t z gibt wie seine Vorgänger
eine gute Uebersicht über alle Fortschritte der Therapie im Jahre
1913. Die bewährte alphabetische Anordnung ermöglicht eine schnelle
Auffindung jeder Heilmethode. Erschienen ist der Jahrgang bei
Josef S a f a r, Wien und Leipzig. (Preis 5 Mark.)
Aehnliches ist von dem Therapeutischen Jahrbuch von
N i t z e 1 n a d e 1 zu sagen, das zum 24. Male erschienen ist (Leipzig
und Wien, D e u t i c k e Preis 5 Mark.). Ein besonderer Vorzug
dieses Jahrbuches ist eine alphabetische Uebersicht über die neueren
Arzneimittel und ein besonderes Kapitel über neuere diagnostische
Methoden der Blut- und Harnuntersuchung. Kr.
Cholera. Oesterreich-Ungarn. In der Woche vom 18. bis
24. Oktober wurden in Oesterreich 413 Erkrankungen (und 142 Todes¬
fälle) festgestellt, und zwar in Niederösterreich 21 (7) — davon in
Wien 6 (2), der Gemeinde Krems 15 (5) — , in Steiermark in 1 Ge¬
meinde 1, in Kärnten in 2 Gemeinden 4 (2), in Tirol und Vorarlberg in
2 Gemeinden je 1, in Böhmen in 3 Gemeinden 5 (2), in Mähren in
6 Gemeinden 15 (8), in Schlesien in 4 Gemeinden 4 (4), in Galizien in
37 Gemeinden 361 (119) — davon in Krakau 2 (1). Von den Erkrank¬
ten in Galizien waren 130 Militärpersonen und 231 Einheimische: in
den anderen Verwaltungsgebieten handelte es sich bei 40 Erkran¬
kungen um Militärpersonen, die vom nördlichen Kriegsschauplatz
angelangt waren, hierunter um 4 russische Gefangene, und bei 6 um
zugereiste Ortsfremde aus Galizien. Die Bezirke Lisko und Sanok in
Galizien sind unter dem 30. Oktober für choleraverseucht erklärt
worden. In Ungarn wurden in derselben Woche 344 Neuerkran¬
kungen angezeigt, davon in den Städten Arad 1, Pest 15. Debreczen 4,
Klausenburg 4, Miskolcz 1, Grosswardein 1, Szatmar-Nemeti 1, Szege¬
din 1, Stuhlweissenburg 1. — Straits Settlements, ln Singapore wur¬
den vom 28. Juni bis 1. August 44 Erkrankungen und 39 Todesfälle
gemeldet. In den Vereinigten Malayenstaaten scheint die Seuche in
einigen Bezirken des Staates Perak in letzter Zeit besonders heftig
aufgetreten zu sein.
- Pest. Niederländisch Indien. Vom 7. bis 20. Oktober wur¬
den 737 Erkrankungen (und 670 Todesfälle) gemeldet. Für die Zeit
vom 23. September bis 6. Oktober wurden nachträglich aus Soera-
karta und aus Magetan noch je 1 Todesfall mitgeteilt. — Ecuador.
In Guayaquil vom 1. bis 31. August 8 Erkrankungen und 1 Todesfall.
In der 43. Jahreswoche, vom 25. — 31. Oktober 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Brandenburg mit 30,7, die geringste Rüstringen mit 4,0 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Recklinghausen Land, Zabrze,
an Masern und Röteln in Herne, an Diphtherie und Krupp in Bottrop,
Gera, Pforzheim. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschul nachrichte n.)
Breslau Bis zum 5. November, dem letzten Immatrikula¬
tionstermin, betrug die Zahl der eingeschriebenen Studierenden 2686
(darunter 211 Damen); 744 (35 Damen) gehören der medizinischen
Fakultät an; hiervon sind 99 (14 Damen) seit Beginn des Winter¬
semesters neu immatrikuliert — gegen 167 (6 Damen) in dem
gleichen Zeitraum 1913/14. Die Gesamtimmatrikulation für das
Wintersemester steht um etwa die Hälfte gegen das Vorjahr zu¬
rück (290 gegen 539).
Dresden. Der König von Sachsen empfing am 6. XI. 14 den
Augenarzt. Stabsarzt d. R. Dr. E n z m a n n, der in französische
Gefangenschaft geraten war, aber durch Vermittlung des Roten
■ . | ■■ - - . — ■ ■
Nr. 4(
Kreuzes über Spanien nach Dresden heimkehren durfte, in Audien
zum Bericht über seine Erlebnisse.
Frankfurt a. M. In Abwesenheit der Institutsdirektore
lesen : Prosektor Dr. B 1 u n t s c h I i über Anatomie, Dr. S c h m i t
iiner Physiologie, Prosektor Dr. E. (ioldschmidt über pathi
logische Anatomie, Dr. Braun über Hygiene. Die Medizinische Klini
wird in Vertretung von Prof. Schwenkenbecher abwechsein
von (ieh. Rat Quincke und Prof. v. N o o r d e n gehalten, di
Chirurgische Klinik in Vertretung von Geh. Rat Rehn von Pro
L u d 1 o f f. Mit dem Abhalten von Vorlesungen sind ferner beaul
tragt: Dr. E. Reiss: Innere Medizin, Dr. G. Dreyfus: Inner
Medizin, Dr. Teichmann: Protozoenkunde, Dr. Gon der: Protc
zoenkunde, sowie die Zahnärzte Dr. Schaeffer-Stucker
Dr. Autz und Dr. Fritsch.
Gi es sen. Die Privatdozenten Dr. Kurt Berliner (Ps\
chiatrie und Nervenkrankheiten), Assistenzarzt an der Klinik fü
psychische und nervöse Krankheiten und Dr. Arthur Weber (Inner
Medizin) wurden zu ausserordentlichen Professoren ernannt, (hk
Rostock. Der Assistenzarzt der Frauenklinik, Dr. Roben
Schröder, hat sich mit einer Probevorlesung über „Die Sterilitü
der Frau“ für das Fach der Gynäkologie habilitiert. Seine Habih
tationsschrift ist betitelt: Anatomische Beiträge zur normalen um
pathologischen Physiologie des Menstruationszyklus. Sehr, wurd
gleichzeitig Oberarzt der genannten Klinik.
Wien. Im landwehrärztlichen Offizierskorps wurden ai
Kriegsdauer ernannt: zu Oberstabsärzten I. Klasse Dr. Alois Lodt
Professor für Hygiene in Innsbruck, Dr. Franz Kabrhel, Proiesso
für Hygiene in Prag, Dr. Alexander Fraenkel, Professor fii
Chirurgie in Wien, Dr. Julius S c h e f f, Professor für Zahnheilkundi
in Wien; zu Oberstabsärzten II. Klasse: Dr. Roland Grassbergei
Professor für Hygiene, Dr. Otto Zuckerkand 1, Professor fü
Chirurgie, Reg.-Rat Dr. H. Schloss, Direktor der niederösteri
Landes-Irrenanstalt „Am Steinhof“, sämtliche in Wien; zu Stab>-
ärzten: der Privatdozent für Hygiene in Prag Dr Edmund Wei
und der Privatdozent für Augenheilkunde in Wien Dr. Leopoli
Müller.
(Todesfall.)
Der italienische Hygieniker Prof. Angelo Celli in Rom is
57 Jahre alt, gestorben. Ein Nachruf wird folgen.
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Alfred Steinebrunner, Unterarzt im 20. bayer. Inf.-Reg.
am 23. September bei Peronne (Schrapnellschuss).
Oesterreich-Ungarn.
Dr. Ladislaus v. N a g y, Privatdozent für Anatomie an der
Universität Pest, kgl. ung. Oberarzt d. R., am 2. Oktober
in Usvece (Serbien) (Schrapnellschuss).
Korrespondenz.
Die Entschädigung kollegialer Leistungen.
Man schreibt uns:
ln der oit erörterten und nie ganz befriedigend gelösten Frage
wie ein Arzt dem anderen gegenüber am besten seine „Verpflichtung
für Behandlung von Familienangehörigen erledigen könne, will ic
hier nicht kritisch Stellung nehmen. Es genügt auf die Tatsach
hinzuweisen, dass viele niemals dazu zu bringen wären, dem Kollege
eine Rechnung zu schicken, und dass dieser sich doch irgendwi
erkenntlich zeigen möchte. So kommt es zur Uebersendung eine
Weihnachtsgeschenkes, dessen Auswahl den Spender meist viel Kopi
zerbrechen und oft verhältnismässig viel Geld kostet, und das dei
Beschenkten nicht selten mehr Verlegenheit als Freude bereitet. We
in diesem Jahre daran denken möchte, jenem „Drang zu schenken
nachzugehen, kann einen einfachen und nützlichen Ausweg findet
Er übersende eine Geldsumme zur freien Verfügung des Empfänger'
aber mit der Bitte, sie für „Kriegszwecke“ zu verwenden, d. h. si
einer Unterstützungskasse für notleidende Arztangehörige oder dei
Roten Kreuz usw. zugehen zu lassen. Selbst wenn die Spende i
Anbetracht der Zeit noch so bescheiden ausfällt, wird sie dem Bc
schenkten eine grössere Befriedigung gewähren als ein kunstge
werblicher Gegenstand oder als eine Kiste Wein — was die Haupt
sache ist — sie kommt solchen zu gute, die sie brauchen können
Prof. B.
Aerzte gesucht.
Jüngere, in Chirurgie etwas vorgebildete Aerzte können Ver
wendung in auswärtigen Lazaretten finden. Näheres durch die Re
daktion dieser Wochenschrift.
Verlag von J. F. Lebmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
Zusendungen sind zu richten
Für die Schriftleitung: Armmstr.26 (Sprechstunden 85^ — 1 Uhr).
Für Bezuir: an (. F. Lchmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26
Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Preis der einzelnen Nummer 80 ■$,.
• . • und Ausland siehe unten
Inseratenschluss i
Bezugspreis in Deutschland
unter Bezugsbedingungen. • • •
Donnerstag einer Jeden Woche.
MÜNCHENER
Nr. 47. 24. November 1914. Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
B Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Ueber erfolgreiche Behandlung des Tic convulsif durch
Chlorkalzium.
Von Rudolf Emmerich und Oskar Loew.
E. Ringer hat zuerst den bedeutenden Einfluss der
Kalziumsalze auf die Herztätigkeit und die Erregbarkeit der
Herznerven festgestellt. J. L o e b zeigte späterhin, dass
Kalziumsalze im Nerven einen Zustand verminderter, und
Kalzium fällende Salze einen Zustand erhöhter Erregbarkeit
hervorrufen i).
S a b b a t a n i ■) hat diese Resultate durch Tierversuche be¬
stätigt: Kalksalzlösungen auf die motorischen Felder eines bloss¬
geiegten Hundegehirns appliziert, hatten eine Herabsetzung der elek¬
trischen Erregbarkeit, die Applikation kalkbindender Salzlösungen
eine Steigerung derselben, im weiteren Verlauf allgemeine Krämpfe
zur Folge.
Bei der Steigerung der Erregbarkeit der Nerven durch Kalk¬
entziehung handelt es sich um eine Wirkung, welche die verschie¬
densten Nerven betreffen kann. So konnte Otto Loewi3) nach-
\v eisen, dass die Erregbarkeit des Herzvagus für elektrische Reizung
durch geringgradige Kalziumentziehung vermittels kleiner Oxalat-
mengen beim Warmblüter beträchtlich und auf lange Zeit gesteigert
wird.
_ Während F. Silvestri4) durch Versuche einen direkten Anta¬
gonismus zwischen Kalksalzen und den verschiedenartigen krampf¬
erregenden Substanzen feststellen konnte, haben Meitzer und
Auer gezeigt, dass die gestörte Leitfähigkeit der Nerven durch
Kalksalze günstig beeinflusst wird, insbesondere kann, wenn die Leit¬
fähigkeit der Nerven durch Magnesiasalze gestört wird, durch Ringer¬
lösung infolge ihres Kalziumgehaltes die Leitfähigkeit wieder herge¬
stellt werden. In ähnlichem Sinne äussert sich auch Lauder Brun¬
ton: „Ich habe bei einem Falle von Tremor, welcher bei Beginn
allgemeiner Paralyse auftrat, Kalksalze verordnet in der Voraus¬
setzung, dass die Schnelligkeit der von den Nerven ausgehenden
Reize eine Störung erlitten hat und in der Tat war der Tremor auf
Monate verschwunden.“
Nach Netter5) u. a. werden Fälle von Kindertetanie durch
Kalksaize günstig beeinflusst und andererseits wurde behauptet, dass
durch Exstirpation der für den Kalkstoffwechsel als wichtig an¬
gesehenen Epithelkörperchen Tetanie erzeugt werden kann. Die
Erforschung der Funktion der Epithelkörperchen dürfte das Dunkel,
in welches der Kalkstoffwechsel und die Wirkungsweise des Kalziums
noch gehüllt ist, zum Teil aufhellen. Vor kurzem hat in dieser Be¬
ziehung Marie Pachon6) die interessante Beobachtung mitgeteilt,
dass Verbitterung von 15 cg Schilddrüsensubstanz an Kaninchen die
Kalkausscheidung pro Kilo und Woche von 0,007 g CaO auf 0,228 g
und Verbitterung von 30 cg Schilddrüse auf 0,662 g CaO pro Kilo
und Woche steigert und dass die Tiere im ersteren Falle nach 7—17,
im letzteren nach 5 Tagen starben 7).
Blühdorn- Göttingen hat bei Spasmophilie und anderen
Krampfformen durch Chlorkalzium schöne Erfolge gesehen. Aelin-
liche Resultate erzielte L. F. Meyer bei Laryngospasmus durch
Calcium brematum.
Nachdem also in so evidenter Weise die normale Funktion
der Nerven und Muskeln von dem normalen Ablauf des Kalk¬
stoffwechsels abhängt, nachdem weiterhin O u e s t durch kalk-
) Siehe die Literatur bei Dr. Jerome S. Leopold und
A. v Reuss: Ueber die Beziehung der Epithelkörperchen zum Kalk¬
bestand des Organismus. W.kl.W. 1908 S. 1243.
•) Riv. sperim. di freniatria 1901.
;‘) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 70. S. 323.
*) Oaz. degli osped. e dellc clin 1911.
') Soc. de Biol. 1907, März.
°) B.kl.W. 1913 Nr. 23.
7) Vielleicht ergibt sich hieraus auch ein Fingerzeig zur Er¬
klärung des merkwürdigen heilenden Einflusses von Kalksalzen bei
Jodismus
Nr. 47.
arme Diät den Zustand der elektrischen Uebererregbarkeit des
peripheren Nervensystems beliebig hervorrufen konnte und
da endlich Fälle von gesteigerter Erregbarkeit gewisser Nerven
erfolgreich mit Kalziumsalzen behandelt wurden, so wird
der Arztbeiallen Krampfform enanStörungen
des Kalkstoffwechsels bzw. an eine Unter¬
bilanz denken und sich über die Kalkein - und
-ausfuhr Klarheit verschaffen müssen. Wie
richtig dieser Grundsatz ist, zeigen die beiden folgenden Fälle
von Tic convulsif.
Der erste Fall betrifft einen 49 Jahre alten Schlossermeister
B. T. aus München. Derselbe gab an, schon vor 20 Jahren ganz
leichte Krämpfe der Nackenmuskulatur gehabt zu haben, die im
Laufe der letzten 10 Jahre viel heftiger wurden. Es handelt sich
hauptsächlich um klonische Krämpfe des M. cucullaris, des Splenicus,
Sternoldeidomastoideus und des M. obliquus capitis superior et in¬
ferior der rechten Seite, sowie um solche der Beuger des rechten
Vorderarmes und der Finger der rechten Hand; erstere bewirken
ein Seitwärtsdrehen des Kopfes; infolgedessen glaubt man, der Patient
sehe sich nach einer neben ihm sitzenden Person um, so dass ihm
von solchen schon der Vorwurf gemacht wurde, dass er gar so
neugierig sei, weil er sich beständig nach ihnen umsehe.
Wir hatten den Patienten schon vor 12 Jahren als einen kräf¬
tigen, gesunden Arbeiter kennen gelernt. Es fiel uns daher auf, als
wir ihn im vorigen Sommer in sehr schlechtem Gesundheitszustand
zufällig wieder trafen. Er war blass, ziemlich stark abgemagert und
litt an heftigen Krämjifen der Muskulatur des Nackens und des
rechten Armes.
Im April 1913 beobachteten wir bei B. T. 39 Seitwärtsdrehungen
des Kopfes in der Minute und 5 Wochen später sogar 45 Kopf¬
drehungen in der Minute. Er teilte uns mit, dass er an ausser¬
ordentlich grosser Müdigkeit und Schwäche leide, so dass er die
Schlosserei bald aufgeben müsse. Nachts seien die Krämpfe oft so
heftig, dass Kopf und Schultern in die Höhe geschnellt werden. Bei
näherer Untersuchung ergab sich eine starke Hypertrophie des
M. cucullaris dextr., der als dicker Längswillst den Nacken herab¬
zieht, während der gleichnamige Muskel der linken Seite kaum zu
sehen und zu fühlen ist, so dass es sich bei diesem vielleicht um
einen gewissen Grad von Atrophie handelt. Auch der Sternokleido-
mastoideus dexter ist viel kräftiger entwickelt als der sinister. Anam¬
nestisch wurde ermittelt, dass auch der Bruder des B. im 30. Lebens¬
jahre an gleichen, aber viel leichteren Muskelkrämpfen litt und bald
starb.
Unsere an den Patienten gestellte Frage, ob er sich seit langem
hauptsächlich nur mit Fleisch ernährt habe, überraschte ihn umso
mehr, als wir seine Ernährungsweise erraten hatten. Er versicherte
uns, dass er nur sehr selten Gemüse und Gbst und nie¬
mals Milch genossen habe und lieferte uns die folgende Ueber-
sicht über seine durchschnittliche tägliche Ernährung, welcher wir
noch die durchschnittlichen Werte der Kalk- und Magnesiagehalte
beifügen.
Zeit der Nahrungs¬
aufnahme
Speisen und Getränke
Kalkgehalt
Magnesiagehalt
7 Uhr früh
200 ccm Thee
1 Ei
0,030
0,073
0,012
0,014
10 Uhr vormittags
70 g Wurst oder Fleisch
60 g Brot
0,5 Liter Bier
0,024
0,021
0,040
0,033
0.035
0,091
12 Uhr mittags
250 ccm Suppe
200 g Fleisch
200 g Kartoffel
30 g Brot
0,5 Liter Bier
0,037
0,063
0,074
0.010
0,040
0,014
0,074
0,159
0,017
0,091
4 Uhr nachmittags
0,75 Liter Bier
30 g Brot
0,060
0,010
0,136
0,017
7 Uhr abends
200 ccm Suppe
150 g Fleisch
200 g Kartoffel
30 g Brot
!,0 Liter Bier
0,030
0,045
0,074
0,010
0,080
0.012
0,052
0,159
0,017
0,180
Summa
0,721
1,113
1
I
2270
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 47.
Die Nahrungsaufnahme war also sehr bedeutend und doch er¬
reichte der Kalkgehalt derselben pro Tag noch nicht drei Viertel
eines Gramms 8).
Dadurch, dass der geringe Kalkgehalt sich auf so viel Nahrung
verteilte, also so sehr verdünnt dem Körper dargeboten wurde und
andererseits der Magnesiagehalt weit höher war als der Kalkgehalt,
waren Kalkaufnahme und Kalkretention sehr ungünstig beeinflusst9).
Mit Einschluss des beträchtlichen Quantums Bier betrug die
Nahrungsaufnahme pro Tag volle 4370 g. Von kalkreicheren Nah¬
rungsmitteln wurden Gemüse, wie erwähnt, nur selten verzehrt.
Es war daher unsere Ansicht, dass jene Krankheit durch Kalkmangel
sehr begünstigt wurde, sicherlich berechtigt und es erschien deshalb
selbstverständlich, dass wir versuchten, die heftigen und zahlreichen
klonischen Krämpfe sowie die grosse Müdigkeit und Schwäche durch
Verabreichung von Chlorkalzium günstig zu beeinflussen. Von An¬
fang Mai 1913 an erhielt Patient dreimal täglich einen Kaffeelöffel
voll der Lösung:
Chlorcalcium cryst. pur. 100
Aqua destillata 500.
Ausserdem empfahlen wir ihm, reichlich Gemüse und frisches
oder gekochtes Obst zu verzehren10).
Am 15. September 1913 zählten wir nur noch 8 und einige Tage
später nur 7 maliges Drehen des Kopfes nach rechts in 1 Minute.
Pat. war überaus glücklich über den Erfolg und erklärte, dass er
sich wieder so kräftig fühle, dass er nicht mehr daran denke, die
Schlosserei aufzugeben.
Am 6. Dezember zählten wir nur noch 3 Krämpfe in der Minute
und besonders auffallend war nun die rasche Besserung von Mitte
Dezember ab. da am 25. Dezember auf 2 Minuten nur noch 1 Krampf
gezählt wurde. Im Januar hörten die Krämpfe ganz auf; nur wenn
Patient schwere Arbeiten ausführte oder in lebhafte Diskussion ver¬
wickelt wurde oder andere Erregungen, namentlich auch durch
Alkohol stattfanden, wurde ab und zu im Verlaufe von Minuten noch
eine Seitwärtsbewegung des Kopfes beobachtet. Die Müdigkeit war
ganz verschwunden, das Aufhören derselben fiel mit dem Aufhören
der Krämpfe zusammen.
Nachdem wir diesen Fall von Tic convulsif mit so durchschlagen¬
dem Erfolge durch Chlorkalziumzufuhr behandelt hatten, wendeten
wir dieselbe auch in dem folgenden Falle an:
Briefträger E. B. aus München litt an einem häufigen und meist
stundenlangen Schütteln des Kopfes, ähnlich wie es bei Paralysis
agitans bekannt ist und welches durch Krämpfe des Obliquus inferior
verursacht wird (Tic rotatoire). Anamnestisch ist nichts über ähn¬
liche Erkrankungen in der Familie dieses Patienten zu ermitteln ge¬
wesen. Von anfangs Februar 1914 an nahm er auf unseren Rat
die schon oben erwähnte Kalziumlösung in vorgeschriebener Weise.
Das Kopfschütteln nahm nach mehreren Monaten ab und im Juni war
es nur noch gelegentlich in sehr geringem Masse zu beobachten. Bei
übermässigem Biergenuss nahm es vorübergehend wieder zu. An¬
fangs Juli 1914 hat B. keine Krämpfe mehr, fühlt sich viel kräftiger
als früher und ist glücklich, das lästige Leiden los zu sein.
Die Krämpfe, welche sich in den Hals- und Nackenmuskeln
abspielen, gehören nach Prof. Oppenheim11) „wegen ihrer
Hartnäckigkeit und ihres schädigenden Einflusses auf das Ge¬
samtbefinden zu den schwersten Krampfformen“.
Der erste der von uns beschriebenen Fälle war aber be¬
sonders schwer und er würde bei seiner raschen Progredienz
und bei der zunehmenden Schwäche und der raschen und be¬
trächtlichen Verschlechterung des Ernährungszustandes wahr¬
scheinlich bald zum Tode geführt haben. Wenn trotzdem das
Chlorkalzium in beiden Fällen bei monatelanger Verabreichung
eine evidente Heilwirkung entfaltet hat, so beweist auch dies,
dass man bei der Aetiologie der Krankheit des Tic convulsif und
der Myoklotüe an Anomalien des Kalkstoffwechsels zu denken
berechtigt ist, zumal ja auch als begünstigendes Moment für
die Entstehung der infantilen Form die Rachitis angesehen
wird. Mit der von Oskar L o e w entdeckten grundlegenden
Tatsache, dass vom Kalkgehalt des Zellkernes die normale
Funktion der Zelle abhängt, steht die Beobachtung und An¬
sicht im Einklang, „dass dem Tic convulsif kein grob anatomi¬
sches Substrat zugrunde liegt, dass es vielmehr feinere (mole¬
8) Was den Kalkgehalt des Tees und der Suppe betrifft, so wurde
derjenige des relativ kalkreichen Münchener Leitungswassers zu¬
grunde gelegt. Für Fleisch, Kartoffel und Brot dienten die Mittel¬
zahlen aus Koenigs Tabellen.
9) Kochmann fand, dass bei vermehrter Nahrung auch eine
höhere Kalkzufuhr nötig wird. Wahrscheinlich weil mehr durch die
Fäzes verloren geht.
in) Siehe auch unsere Ausführungen in Zschr. f. Hyg. u. Infek¬
tionskrankheiten 77. S. 316
") Lehrbuch der Nervenkrankheiten, Berlin 1912, Verlag von
K a r g u r, S. 1070.
'-) Ci. Prof. Dr. H. Oppenheim: Ibidem S. 1071 und 1063.
kulare?) Veränderungen im Kern der Rindenzellen bzw. in den
kinästhetischen Zentren für die Halsmuskulatur sind, die sich
in einem Zustand ererbter oder angeborener ,Labilitätl be¬
finden und den Reizzustand unterhalten, welcher sich durch
die Krampfbewegungen dokumentiert“.
Aus der k. k. deutschen dermatologischen Klinik in Prag
(Vorstand : Prof. Dr. K. K r e i b i c h).
Komplementbindung bei Variola.
Von Dr. Alfred Klein, Abteilungsassistenten,
* Es ist erstaunlich, wie spärlich die Arbeiten sind, die sich
mit dem Nachweis von Antikörpern bei Variola vermittels der
Komplementbindung befassen, wenn man bedenkt, dass diese
Reaktion bereits im Jahre 1901 angegeben worden ist und
bald darauf (1906) durch die Wassermannsche Reaktion
eine hohe Bedeutung erlangt hat. Eine Erklärung für diese
auffallende Tatsache kann man vielleicht darin finden, dass
die Ansicht, die Immunität bei Variola sei eine histogene, in
den letzten Jahren immer mehr an Boden gewonnen hat, so
dass sie heute als gesichert gelten kann und dass infolgedessen
Forschungen nach komplementbindenden Stoffen im Serum
von Variolakranken als überflüssig und aussichtslos erscheinen
konnten.
In den Lehr- und Handbüchern habe ich nur unsichere
und schwankende Angaben gefunden: So heisst es z. B. in
Kolle-Hetsch „Die experimentelle Bakteriologie und die
Infektionskrankheiten“ 1911 mit bezug auf etwaige Antikörper
bei Variola wörtlich: „Die Methode der Komplementveranke¬
rung nach Bordet und G e n g o u führte hier nicht zum
Ziele“. Im Handbuch der pathogenen Mikroorganismen 1913
von Kolle-Wassermann lesen wir: „Zu ganz wider¬
sprechenden Resultaten führten die Untersuchungen über den
Befund von komplementbindenden Stoffen bei der Variola¬
vakzine.“
Vielleicht ist die vorliegende Arbeit geeignet, diese Ver¬
wirrung einigermassen zu klären und dadurch zu neuen Unter¬
suchungen anzuregen. Ich beginne mit der Darstellung
meiner eigenen Untersuchungen und gelange zusammen¬
fassend zu Schlussfolgerungen, die aus der kritischen Sichtung
früherer Arbeiten und aus den Resultaten der eigenen Ver¬
suche sozusagen von selbst sich ergeben sollen. Mit Absicht
beschränke ich mich dabei strenge auf das Gebiet der Variola
und werde nicht ermangeln, an geeigneter Stelle die Gründe
darzulegen, die mich dazu bewogen haben.
Am 12. Mai 1914 wurde nach längerer Zeit ein Fall von Variola
ins Prager Krankenhaus eingebracht, dem alsbald 4 weitere Fälle
folgten. Diese Erkrankungen entbehrten sowohl ätiologisch als auch
klinisch nicht eines gewissen Interesses und ich verweise diesbezüg¬
lich auf eine Publikation, die demnächst in der Prager m. Wschr.
erscheinen soll. Hier will ich nur über serologische Studien be¬
richten, die ich an 4 Variolakranken angestellt habe. Verfüge ich
auch nur über 4 Fälle, so sind doch die Resultate so deutlich und
einwandfrei, dass ich eine Publikation für gerechtfertigt, ja für ge¬
boten halte. Vorausschicken muss ich noch, dass alle Fälle einen
leichten, zum Teil ganz abortiven Verlauf nahmen, so dass die Pa¬
tienten grösstenteils bereits rekonvaleszent waren, als ich meine
Versuche anstellen konnte; denn es soll nicht unerwähnt bleiben,
dass ich mannigfaltige technische Schwierigkeiten zu überwinden
hatte, bevor ich mit Aussicht auf Erfolg arbeiten konnte. _ _
Von der feststehenden Tatsache ausgehend, dass der Pustelinhalt
bei Variola infektiös ist, d. h. die Erreger der Variola enthält, dachte
ich mir, dass derselbe als Antigen verwendet mit etwaigen im Blute
der Pockenkranken vorhandenen Antikörpern die Komplementbindung
geben müsste. Ich bereitete mir also das Antigen aus dem Pustel¬
inhalt eines Patienten, der zu dieser Zeit allein noch Pusteln in
grösserer Menge aufwies. Es war dies am 8. Tag nach Auftreten
der ersten Krankheitssymptome, am 5. Tag nach Beginn des Pocken¬
exanthems, die Höhe der Suppuration war bereits überschritten. Ich
ging dabei in der Weise vor, dass ich den eitrig getrübten Inhalt eini¬
ger Pusteln nach Eröffnung der Blasendecke mittels einer Schere
oder Lanzette aufnahm und in ungefähr 2 ccm physiologischer Koch¬
salzlösung abspülte. Die grösseren Eiter- und Gcwebsfetzen wurden
durch Reiben und Quetschen mit einem Glasstab verkleinert, so dass
eine schwach getrübte Flüssigkeit resultierte. Ich wählte mit Ab¬
sicht eine Suspension, da mir ja nicht bekannt war, woran das be¬
sagte Antigen hafte.
Der erste Versuch, den ich mit diesem Antigen und dem Blute
des ebenerwähnten, gleichen Patienten anstellte, um in grober Weise
! November 1914. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2271
I KomplemcntbinduiiK nachzuweisen, hatte ein ermunterndes Re¬
it: ich erhielt vollständige Hemmung beim Variolaserum gegen-
r vollkommener Lösung beim Normalserum.
Ich stellte mir dann ein zweites Antigen aus Pockenkrusten her,
sich derselbe Patient selbst abgehoben hatte. Die Krusten füll¬
eben die Kuppe einer Lprouvette, ich fügte 2,5 ccm physiologischer
h Salzlösung hinzu und erhielt nach Verreiben mit dem Qlasstab
milchig-getrübte Suspension, die durch die Mazeration in den
] sten Tagen noch grössere Qleichmässigkeit erlangte und in
das supponiertc wirksame Agens enthalten sein musste. Ich
te nun in Parallelversuchen vergleichend die beiden Antigene und
; cliloss mich für das aus den Krusten bereitete. Ob diese bessere
ssamkeit des Krustenantigens bloss auf einer stärkeren Konzen-
on beruhte, ob sie durch bessere Haltbarkeit des Materials oder
h sonst einen mir unbekannten Umstand bedingt war, muss ich
: itscliieden lassen. Es ist aber von Wichtigkeit, festzustellcn,
sich mir die Krustensuspension als Antigen bewährt hat; ich
sendete fortan nur dieses Antigen und gab 0,1 ccm pro Röhr-
. Dabei war die milchige 1 rübung dieses kleinen Flüssigkeits-
i liums für die Beurteilung des Versuchsergebnisses in keiner
se hinderlich.
Als Komplement kam bei allen Versuchen 5 proz. Meerschwein¬
serum in Verwendung, als hämolytisches System eine 5 proz.
chwemmung von Hammelblutkörperchen in physiologischer
. lsalzlösung mit Ambozeptor in der 2A fachen Menge der im
ersuch glatt lösenden Dosis.
Mit dem inaktivierten Serum von 3 Variolakranken (entnommen
). bis 14. Tag vom Beginn der Erkrankung gerechnet) stellte ich
den Komplementbindungsversuch an und verwendete als Kon¬
en 2 normale Sera (WaR. negativ) und 2 Sera von Luetikern
R. +++). Das Ergebnis war folgendes:
Variolaserum K. J.: im Antigenröhrchen (0,1 Serum, 0,1 Antigen,
n Komplement, 1 ccm häm. Syst.) komplette Hemmung, im Kon-
öhrchen (0,2 Serum, 1 ccm Komplement, 1 ccm häm. Syst.) völl¬
ige Lösung;
Variolasermn S. A.: im Antigenröhrchen komplette Hemmung,
i ontrollröhrchen vollständige Lösung;
Variolaserum H. A.: im Antigenröhrchen komplette Hemmung,
i .ontrollröhrchen Hemmung, jedoch in geringerem Grade als im
jenröhrchen.
Die Normalsera und die Luessera zeigten hingegen im Antigen-
:hen wie im Kontrollröhrchen vollständige Lösung. Ebenso war
; tntigenkontrolle vollkommen gelöst. Das Versuchsergebnis war
ezug auf das dritte Variolaserum H. A.) noch deutlicher, nach-
die Röhrchen 12 Stunden im Eisschrank gestanden waren: die
:enröhrchen aller Variolasera zeigten eine farblose, wasserhelle
igkeit über der Kuppe ungelöster Blutkörperchen, in den Kon-
öhrchen war die Flüssigkeit überall rot gefärbt, in dem des
ns H. A. war ausserdem eine Kuppe ungelöster Blutkörperchen.
: nkt man aber, dass im Kontrollröhrchen die doppelte Dosis des
eigenhemmenden Serums sich befand, so ist der positive Aus¬
ter Reaktion auch im Falle H. A. ganz evident. Indessen will
deich hier erwähnen, dass diese Auffassung vollkommen ge-
rt war, als kurz hernach in einem zweiten Versuche das Serum
leichen Patienten im Antigenröhrchen hemmte und im Kontroll-
1 hen vollkommene Lösung zeigte.
dieser zweite Versuch wurde mit 3 Variolaseren vorgenommen,
urden 2 Patienten nochmals untersucht (S. A. und H. A.). der
• K. F., erstmalig. Die Sera waren entnommen am 18. bis
ag vom Beginn der Erkrankung gerechnet; als Kontrollen dien¬
ern normales Serum (WaR. negativ) und ein Luesserum
R. H — f — (-).
das Variolaserum S. A. und, wie schon oben erwähnt, das
laserum H. A. zeigten komplette Hemmung (+++) in den Anti-
’hrchen gegenüber vollkommener Lösung in den Kontrollröhr-
das Variolaserum K. F. schwache (+), aber ganz deutliche
nung gegenüber vollkommener Lösung im Kontrollröhrchen.
ales Serum und Luesserum hatten in allen 4 Röhrchen völl¬
ig gelöst, ebenso wie die Antigenkontrolle.
Ule 4 Sera wurden sodann mit dem Antigen, das wir zur An-
ng der W a s s e r m a n n sehen Reaktion benützen, auf Komple-
ündung untersucht und zeigten vollkommene Hämolyse, d. h.
iven Ausfall der W a s s e r m a n n sehen Reaktion.
<Var somit die Beweiskette geschlossen, dass es sich nicht
: um eine Wassermann sehe Reaktion handle, wie sie
Scharlach und anderen Infektionskrankheiten öfters be¬
itet wird, indem Luessera mit Variolaantigen einerseits,
>lasera mit Wassermannantigen andererseits keine Korn-
-■ntbindung bewirkten, so lag das weiteren die Vermutung
dass hier im Gegensatz zur Wassermannreaktion die
ilementbindungsreaktion für Variola spezifisch sei. Einer
•fung meines Chefs, Herrn Prof. K r e i b i s c h, folgend,
? ich mir analog dem Variolaantigen eine Suspension von
Itigokrusten her, verwendete diese Suspension als Antigen
durfte wohl annehmen, dass dabei bis auf die supponierten
‘ fischen Substanzen ähnliche Stoffe in Betracht kamen.
Das Resultat der Komplementbindungsreaktion mit Variola¬
seren und diesem Antigen war ein völlig negatives, indem
prompt überall vollständige Hämolyse eintrat. Dadurch wurde
natürlich meine Ansicht von der Spezifität der Reaktion er¬
heblich gestützt.
In letzter Stunde stellte ich schliesslich auf Anraten des
Herrn Dozenten Dr. Weil (hygien. Institut) noch einen Ver¬
such an, der geeignet erscheint, auf die Natur des wirksamen
Antigens ein Licht zu werfen. Da das Variolaantigen nur
mehr in geringer Menge vorhanden war, verdünnte ich es
zehnfach und beliess die Hälfte dieser verdünnten Lösung in
einer Eprouvette durch 10 Minuten im kochenden Wasser.
Dann wurde der Komplementbindungsversuch mit unver¬
ändertem und erhitztem Antigen (in zehnfacher Dosis) auf¬
gestellt und zwar mit einem Variola- und einem Luesserum
(WaR. +++). Und es zeigte sich, dass das erhitzte Antigen
seine Wirksamkeit vollkommen eingebüsst hatte gegenüber
dem unveränderten Antigen, das abermals mit dem Variola¬
serum komplette Hemmung, mit Luesserum vollständige Lö¬
sung gab. Nun hat Weil nachgewiesen, dass Bakterienanti¬
gene kochbeständig sind, seine Befunde wurden von Pfeiler
und W eber bestätigt. Demnach war der Schluss berechtigt,
dass das hier wirksame Antigen kein Bakterienantigen sei.
Es ergab sich aus meinen eigenen Versuchen, dass kom¬
plementbindende Stoffe bei Variola vorhanden sind, dass die
Reaktion im Gegensatz zur Serumreaktion bei Syphilis spe¬
zifischen Charakter habe, d, h. dass es sich offenbar um echte
Erregerantigene handle, die mit den ihnen entsprechenden
spezifischen Antikörpern Komplementbindung bewirken. Dazu
stimmte sehr gut die Feststellung, dass das Antigen nicht
bakterieller Natur sei. Denn bekanntlich sucht man den noch
nicht mit Sicherheit festgestellten Erreger allgemein nicht
unter den Bakterien, sondern unter den Protozoen. Es scheint,
dass sich hier wieder, einmal die prinzipielle Verschiedenheit
von Bakterien und Protozoen dokumentiert.
Bei Durchsicht der in der Literatur vorliegenden Ar¬
beiten fällt es auf, mit welch verschiedenem Material
die Autoren, die grossenteils unabhängig von einander
arbeiteten, die aufgeworfene Frage nach der Komplement¬
bindung bei Variola zu lösen versuchten*). Vor allem ver¬
wendeten sie verschiedene Antigene bei ihren Untersuchungen.
Daher ist es auch ganz unzulässig, ihre Resultate ohne weiteres
mit einander zu vergleichen. Man muss vielmehr eine Ein¬
teilung aller Untersuchungen treffen je nach dem Antigen, das
in Verwendung kam. Nur so kann man zu einer richtigen
Beurteilung der Resultate gelangen. Das ist nun in der bei¬
gegebenen Tabelle geschehen; sie verzeichnet die Resultate
der Untersucher nach dem angewandten Antigen geordnet und
ist nach dem Gesagten leicht verständlich.
Untersuchungen auf komplementbindende Stoffe im Serum pocken¬
kranker Menschen:
Name des Untersuchers
mit Serum von Pocken¬
kranken oder mit Organ-
extr. von Pockenleichen
i mit Lymphe
mit Pocken¬
pusteln
als Antigen
Casagrandi .
2 negativ, 1 positiv
positiv
positiv
.
Beintker .
positiv
Sugai .
positiv
positiv
Dahm .
positiv
positiv
Moses .
negativ
negativ
Kryloff .
Shiga .
negativ
negativ
positiv
positiv
Bizzari und Palmas . . .
positiv
positiv
positiv
Teissier und Oastinel . .
positiv
Arzt und Kerl ....
negativ
.
Klein .
positiv
Wir ersehen aus dieser Zusammenstellung, dass die sicher¬
sten Resultate mit Pockenpusteln als Antigen erzielt wurden;
weniger günstig präsentiert sich diesbezüglich die Kuhlymphe,
am wenigsten zuverlässig erscheinen Organextrakte und das
Blutserum von Pockenkranken. Die auf solche Weise ge¬
sichteten Resultate werden nur dann verständlich, wenn man
echte Erregerantigene bei der Komplementbindung als wirk¬
sam annimmt. So sind wir unversehens auf ganz anderem
Wege, durch das Studium der Literatur, zu derselben Ansicht
*) Eine genauere Besprechung der Literatur findet sich im Sepa¬
ratabdruck.
1
227 1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
gelangt, die wir auf Grund eigener Untersuchungen früher
schon ausgesprochen haben.
Die Organe und aus ihnen bereitete Extrakte sowie das
Blutserum sind offenbar deshalb unzuverlässig, weil sie die
Erreger gewöhnlich in zu geringer Menge oder überhaupt nicht
enthalten. Schon im Jahre 1894 berichtete M o n t i über
negative Resultate bei Verimpfungen von Nieren und Milz
von Pockenleichen gegenüber erfolgreichen Impfungen mit
Hautpresssaft. Vor einigen Jahren haben v. Prowazek
und Aragao durch Impfversuche mit Organextrakten und
mit dem Blute von Pockenkranken neuerlich dargetan, dass
das Variolavirus nur selten im Blute und in den inneren Or¬
ganen anzutreffen ist, dass es eine grosse Affinität für die Haut
besitzt und vornehmlich ein Hautorganvirus darstellt. Danach
kann es nicht wundernehmen, dass Organextrakte als Antigen
verwendet keine konstanten Resultate liefern und infolge¬
dessen zu diesem Zwecke unbrauchbar sind.
Mit Kuhlymphe sind in der Mehrzahl positive Resultate
erzielt worden, doch gelangten zwei Untersucher zu negativen
Ergebnissen. Um diesen Widerspruch zu erklären, ist es an¬
gezeigt, daran zu erinnern, dass auch Kuhlymphe keineswegs
ein einheitliches Material vorstellt. Die Vakzineerreger haben
eine verschiedene Virulenz, je nachdem, ob die Vakzine nach
Abimpfung von Menschen rein animal von Tier zu Tier fort¬
gezüchtet wird oder ob sie nach ein, zwei oder drei Fort¬
züchtungen auf Kälbern auf Menschen übertragen und von
dort auf Kälber zurückgeimpft wird (Retrovakzine 1., 2. oder
3. Generation). Wir könnten uns sehr wohl vorstellen, dass
solche biologische Verschiedenheiten des Vakzineerregers, die
in dem immer wiederkehrenden Sammelnamen „Lymphe“
keinen Ausdruck finden, auch für die Komplementbindung von
Bedeutung sein könnten; vielleicht derart, dass sich bei ge¬
ringerer Virulenz die Keime nicht in genügender Weise ver¬
mehren können und die Lymphe dann in einem solchen Falle
zu wenig spezifische Erreger enthält, um als Antigen wirken
zu können.
Wie dem immer auch sein möge, weitaus die besten Er¬
folge haben die Untersuchungen mit Pockenpusteln gezeitigt.
Das ist sehr begreiflich. Hier allein haben wir es mit den so¬
zusagen unverfälschten, in allen ihren Eigenschaften er¬
haltenen, ungeschwächten Erregern der Variola zu tun; dass
sie zudem auch in richtiger Menge vorhanden sind, zeigt die
hohe Infektiosität des Pockeneiters. Alle Untersucher bis auf
Moses haben mit diesem Material als Antigen positive Re¬
sultate erhalten und selbst bei diesem Autor ist der eine Fall,
bei dem die Reaktion positiv ausfiel, mit Pockenpustelinhalt
als Antigen untersucht worden. Angesichts dieser überein¬
stimmend positiven Befunde sind die Misserfolge des eben
genannten Untersuchers schwer zu verstehen und man kann
sich des Eindruckes nicht erwehren, dass dabei vielleicht Un¬
gunst des Materiales mit im Spiele war. Jedenfalls sind die
Misserfolge dieses einen Autors nicht danach angetan, die
positiven Resultate sechs anderer Untersucher zu entkräften.
Nach allem Gesagten erscheint es nunmehr mit Sicherheit
festgestellt, dass komplementbindende Stoffe im Serum von
Variolakranken nachweisbar sind. Diese wichtige und inter¬
essante Tatsache konnte in so überzeugender und einwand¬
freier Weise nur durch strenge Beschränkung auf das Ge¬
biet der Variola ermittelt werden; eine Verquickung mit den
Untersuchungsresultaten bei Vakzination hätte nur den wahren
Sachverhalt durch scheinbare Widersprüche verschleiert.
Denn die Resultate der Komplementbindung bei Vakzination
sind, wie es scheint, vorwiegend negativ. Nichts berechtigt
uns aber meines Erachtens, Variola und Vakzine, die ja ge¬
wöhnlich gemeinsam abgehandelt werden, auch in bezug auf
Komplementbindung von vornherein als eine Affektion zu
betrachten. Die Variolaimmunität, die beiden Prozessen ge¬
meinsam ist, ist nach den derzeitigen Ansichten eine histogene,
keine Serumimmunität (s. Kolle-Wassermann: Hand¬
buch der pathogenen Mikroorganismen 1913). Sonst aber be¬
stehen grosse, bedeutsame Unterschiede zwischen Variola und
Vakzine. Hier eine ausgesprochene Allgemeinerkrankung
durch Infektion mit hochvirulenten Keimen, dort ein meist
ganz lokaler Prozess, von abgeschwächten, durch Tierpassage
veränderten Erregern hervorgerufen. Scheint es doch nach
Nr. 7
mannigfaltigen Versuchen, dass das Virus bei der gewci
liehen Vakzination im Gegensatz zur Variola überhaupt n i
im Blute kreist. Uebrigens sind eigene Untersuchungen öl
die Komplementbindung bei Vakzination im Gange und \ t
leicht wird es bald möglich sein, über sie im Zusanmienlia ,,
mit der Literatur in ähnlicher Weise zu berichten, wie t:
jetzt bezüglich der Variola geschehen ist.
Es wäre zum Schluss noch einiges über die Technik a
Komplcmentbindungsreaktion bei Variola zu sagen. Als Anti a
kommt nach meinen Feststellungen selbstverständlich nur mr
Pockenmaterial in Betracht und es wird das Hauptaugenir-1
darauf zu richten seim ein möglichst konstantes AntigenSi
erzielen. Dazu scheinen mir nun Pocken k r u s t e n, die >i
mir erstmalig verwendet wurden, eher geeignet zu sein I
der frische Pustelinhalt. Wenn die Krusten in einem von ui
Krankheitsprozess selbst abhängigen Zeitpunkt abgenomm
werden, etwa dann, wenn das Ablösen dem Patienten ktjn
Schmerzen mehr bereitet, so dürften sie im allgemeinen (ki
ziemlich konstante Zusammensetzung aufweisen und in du.*
Beziehung dem flüssigen Pustelinhalt als Ausgangsmaterial i
das Antigen überlegen sein. Auch hat man bei Verwendi]
der Krusten die Sicherheit, dass der ganze Pustelinhalt 't
arbeitet wird, was sonst nicht so leicht zu bewerkstelligen kl
Mit einem konstanten Antigen wären sodann an eirte
grossen Material die Beziehungen der Antikörper zur Kl il
der Pockenerkrankung zu studieren. Es wäre von grösst
diagnostischem Werte, wenn die spezifischen Antikörper frjh
zeitig, etwa zugleich mit den ersten klinischen Symptom
im Blutserum durch Komplementbindung nachweisbar wä r
Denn es gibt kaum eine zweite Erkrankung, die einen k
leichten und abortiven Verlauf nehmen kann und bei dere
doch zugleich von der grössten Bedeutung ist, jeden einzele
Fall frühzeitig und mit Sicherheit zu erkennen:
Ich gelange zu den Schlussfolgerungen:
1. Es ist mit Sicherheit festgestellt, dass im Serum Poctoi
kranker Antikörper vermittels der KomplementbinduL
reakion nachweisbar sind.
2. Die Komplementbindungsreaktion bei Variola ist n
schieden von der Serumreaktion bei Syphilis; sie istir
Gegensatz zu letzterer spezifisch, d. h. es handelt jr
um eine echte Antigen-Antikörperreaktion, wobei x
grösster Wahrscheinlichkeit die Erreger der Varl
selbst das Antigen darstellen.
3. Als Antigen erscheint dementsprechend derzeit ali
Pockenpustelmaterial verwendbar. Alle anderen Ati
gene sind unzuverlässig und daher zu, verwert
Zwecks Erreichung einer grösseren Konstanz dite
Antigens empfehle ich Pockenkrusten als Ansgars
material.
Literatur.
E. W ei 1: Ueber den Luesantikörpernachweis im Blute von Ie
tischen. W.kl.W. 1907 Nr. 18. — Pfeiler und Weber: Ute
die Herstellung von Bazillenextrakten zu Ablenkungszwecken. Zsn
f. Imm.Forsch. 15. 1912. — Oddo Casagrandi: Sulla filtrabt
del virus varioloso, sulla sua natura e suoi rapporti col vu
vaccinico. Cagliari Tipografia Sesta 1908. Ref. in d. Zscln
Imm.Forsch. 1909. — Beintker: Ueber das Verhalten der B'
d e t sehen Reaktion bei Variola. Zbl. f. Bakteriol. 48. 1909.-
Sugai: Ueber den Komplementbindungsversuch bei Variola v:
Zbl. f. Bakteriol. 49. 1909. — Dahm: Serologische Untersuchung
bei Variola vera. Zbl. f. Bakteriol. 51. 1909. — Moses: Ueber *
Nachweis von Antigen und Antikörper durch Komplementablcnk >
Memorias do Instituto Oswaldo Cruz T. I Fac. II 1909. — Kryldj
Ueber die Komplementbindungsreaktion bei der Variolois und e
Variola vera. Zbl. f. Bakteriol. 60. 1911. — Shiga: Ueber Konie
mentablenkung bei Pocken. Ogata-Festschrift. Ref. in Weichat
Jb. d. Imm.Forsch. 1910. — A. Bizzari e C. Palmas: Ricevi
sulla fissazione del complemento nel vairiolo. Pathologica Voll
1911. Ref. in der Zschr. f. Imm.Forsch. 5. — P. Teis^
P. Gast in el: De la reaction de fixation dans la vaccine d
variola. C. r. Soc. de Biol. T. 73 1912. Ref. in Zbl. f. Bakteriol.!
— Arzt und Kerl: Variola und Flecktyphusstudien an den 's
nischen Rückwanderern aus dem Balkan. W.kl.W. 1913 Nr. 20-
Monti: Ueber die Aetiologie der Variola. — Zbl. f. Bakteriol.!
1894. — v. Prowazek und Aragao: Variolauntersuchun '
Memorias do Instituto Oswaldo Cruz T. 1 Fac. II 1909.
■ November 1914.
MUENCHENEI^ MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
227.1
Therapie des Erysipels mit Antidiphtherieserum*).
h Dr. Otto Doläk, Primararzt im Bezirkskrankenhaus zu
Böhmisch Brod.
Durch eine kleine Bemerkung in der Fachliteratur wurde
aufmerksam gemacht, dass man versucht habe, Erysipel-
i* niit Antidiphtherieserum zu behandeln; bei späterer
chsicht der mir zugänglichen Literatur fand ich nur ganz
iige Anmerkungen über dieses Thema, so in Schmidts
rbüchern 190-4, Arghir Babe s in Eichhorsts Lehrbuch
internen Medizin, in der M.m.W. 1905: M a s t r i, Toma-
li.
Diese Versuche waren gewiss höchst interessant und
>en sich schwer mit den bestehenden Theorien über die
! Wirkung spezifischer Sera in Einklang bringen. Da wir
>ch bis heute kein wirkliches Heilmittel bei Erysipel be¬
eil, versuchte auch ich den angegebenen Weg zu betreten,
e mir jedoch viel von dieser Methode zu versprechen.
Es wurde gerade in unser Krankenhaus ein desperater, scheinbar
' .'rener Fall von Säuglingserysipel aufgenommen. Der 3 Monate
I Säugling war fast am ganzen Körper vom Erysipel ergriffen
hatte so schwere Allgemeinsymptome, dass er sicher verloren
-n. Infolge der Anschwellung der Lippen und der Nase konnte
Kind überhaupt nicht die Brust nehmen, der ganze Oberkörper
gerötet und geschwollen, Skrotum und Penis waren immens an-
i nwollen, das Kind wimmerte nur, war ganz apathisch, hatte
i peraturen über 40° C usw Den Aussagen der Mutter gemäss
das Erysipel nicht vom Nabel ausgegangen, sondern von einer
en Exkoriation an der linken Brust. Wir gaben dem Kinde eine
;tion von Paltaufs Antidiphtherieserum Nr. II und zu meiner
i vunderung ging es dem Kinde am nächsten Tage viel besser. Es
m jetzt noch eine Injektion und 24 Stunden nachher war das
i fast ganz gesund.
Durch diesen unerwarteten Erfolg ermutigt, versuchten wir dann
len Erysipelfällen diese Methode und wir hatten das Glück, dass
in einer ununterbrochenen Reihe von 15 Fällen nur prompte
ge verzeichnen konnten. Es war mir daher begreiflicherweise
i llig. warum diese einfache, unschädliche Methode nicht längst
n allgemein eingeführt war. Aber bald sollte auch ich den
lid erfahren, denn es kamen jetzt auch Misserfolge — in zwei
i uanderfolgendcn Fällen. Es waren dies zufälligerweise zwei
i Leute und ich erklärte mir den Misserfolg durch die geringe
tionsfähigkeit des alten, hinfälligen Organismus. Dann kam aber
. ein Versager bei einem jungen Manne. Im nächsten Falle eines
ierfolges bei einem jugendlichen Patienten gab ich nach 48 Stunden
i neue Injektion und da stellte sich der Erfolg wieder nach
tun den prompt ein.
Unsere bisherige Dosis von 1500 Einheiten war also zu
ii gewesen und darum gaben wir von nun an gleich bei der
n Injektion 3000 — 4000 Einheiten. Die erzielten Erfolge
jetzt vollkommen befriedigend und ich bin fest überzeugt,
Erfolge durch noch grössere Dosen noch verbessern zu
iien.
Der typische Verlauf nach der Injektion, natürlich nur bei
n, mit anderen Krankheiten nicht komplizierten Fällen,
), dass das Fieber in 24 — 30 — 48 Stunden kritisch zur Norm
llt, die Hautröte und Hautschwellung zurückgeht und eine
lüge Euphorie eintritt. Oftmals stellt sich schon Euphorie
bevor noch die Temperatur ganz abgefallen ist, was mir
er schon ein gutes Omen zu sein schien. Fällt das Fieber
.‘r angegebenen Zeit nicht ab, oder tritt wenigstens keine
■ ndere Euphorie ein, muss man die Injektion erneuern und
mals 3000 Einheiten applizieren; es wird wohl dann nur
■ ge Fälle geben, bei welchen nach 24 Stunden keine voll-
nene Euphorie eintritt, natürlich nur bei reinen Erysipel-
i, was ich noch einmal betone. Einen solchen Verlauf
i keine andere Erysipeltherapie aufweisen.
3ei mit anderen fieberhaften Krankheiten (Phlegmonen,
:rän, Pneumonien usw.) komplizierten Erysipelfällen fällt
Fieber wohl nur wenig ab, aber die Hautröte und die
ikteristische erysipelatöse Hautschwellung verschwinden
‘cs stellt sich eine relative Euphorie ein; das Erysipel, ist
verschwunden, die fieberhafte Komplikation (oder auch
irundkrankheit, je nach dem Falle) aber ist geblieben,
fs kommt auch vor, dass die Temperatur am anderen
I nach der Injektion bis zur Norm herabsinkt, aber nach-
) Vertrag, gehalten am V. Kongress der böhmischen Natur-
'cr und Aerzte (29. Mai bis 3. Juni 1914).
mittags wieder für einige Stunden ansteigt- und dann wieder
herabsinkt.
Zwei Fälle, bei welchen das Fieber nach einer Injektion
lytisch sank im Verlauf von 4 — 5 Tagen, fasse ich in meiner
Statistik als Versager auf.
Wir beobachteten weiter folgende 3 Fälle: in allen 3 Fällen trat
nach der Injektion eine prompte Wirkung ein; die Apyrexie und
Euphorie währten einige Tage bis eine Woche, dann trat eine Ver¬
schlimmerung des Allgemeinzustandes ein und zwei dieser Kranken
starben an eitriger Meningitis und eine Kranke, bei der es sich um
eine Exstirpation der Mamma wegen exulzerierten Karzinoms
handelte, starb an einer Thrombose der Vena femoralis und iliaca.
Die erwähnten Fälle und manche Erwägungen bei anderen kompli¬
zierten Erysipelfällen scheinen mir meine Ansicht zu bestätigen, dass
das Antidiphtherieserum nicht auf die eigentlichen Streptokokken ein¬
wirkt, sondern nur auf ihre Produkte, oder wenn man will, auf das
unbekannte Agens, das zur Streptokokkeninfektion noch hinzutreten
muss, um ein Erysipel hervorzubringen; nach der Injektion ver¬
schwindet das Erysipel, der Streptokokkus aber bleibt und kann
weiter septisch und pyämisch wirken.
Wir haben ja ein Analogon bei der kruppösen Pneumonie:
Nach eingetretener Krisis stellt sich Euphorie ein, die Pneumo¬
kokken bleiben jedoch noch an Ort und Stelle und können
örtliche und entferntere Eiterungen hervorrufen.
Vor einiger Zeit war ich genötigt, bei einer Patientin mit
Basedow wegen Kompression der Trachea bald nach einer
abgelaufenen typischen kruppösen Pneumonie die Strumek-
tomie zu machen. Die Wunde vereiterte und bakteriologisch
fand man den Pneumokokkus im Eiter. Ich glaube hier einen
direkten Zusammenhang zwischen Pneumonie und Wund¬
eiterung annehmen zu müssen.
Doch ich bin weder Bakteriologe noch Serologe, um mich
in eine theoretische Lösung der verschiedenen, gewiss inter¬
essanten Fragen, die sich bei dieser paraspezifischen Wirkung
des Antidiphtherieserums ergeben, einlassen zu können; ich
erwähne bloss Fakta, wie sie sich bei dieser Therapie in
unserem Krankenhaus ergeben haben.
Seit dem Jahre 1905 hatten wir im Böhmisch-Broder Kranken¬
haus im ganzen 135 Erysipelfälle in Behandlung; von diesen wurden
62 ohne Serum und 73 mit Antidiphtherieserum behandelt. Von
diesen 73 Fällen heilten in typischer Weise 64 oder 87,6 Proz., ohne
Erfolg wurden 9 oder 12,3 Proz. behandelt.
Von den reinen, mit anderen Krankheiten nicht komplizierten
Erysipelfällen starben bei der Scrumtherapie 3 oder 4,1 Proz., ohne
Scrumtherapie 6 oder 9,6 Proz., also beiläufig um die Hälfte Unter¬
schied zu Gunsten der Scrumtherapie.
Im Durchschnitt betrug der Aufenthalt der Erysipelkranken in
der Periode vor der Serumtherapie 21 Tage, in der Periode der
Serumtherapie 13 Tage, also ein Unterschied von 8 Tagen zu Gunsten
der Serumtherapie Dieses Faktum entkräftigt auch den Vorwurf,
dass die Serumtherapie für Privat- und Krankenhauspraxis zu teuer
sei, denn neben der Verkürzung der Krankheitsdaucr entfällt auch
noch jede andere Ausgabe für andere interne und externe Medi¬
kamente. Kalte Ueberschläge mit B u r r o w scher Lösung sind den
Kranken immer angenehm und genügen vollkommen zur Linderung
der spannenden Schmerzen im ergriffenen Gebiet. Jede andere Medi¬
kation kann entfallen
Antidiphtherieserum verschiedener Provenienz, wie Paltaufs,
B u j w i d s, Pasteurs und Höchster Serum wirken in gleichen
Dosen gleich und man muss natürlich die einzelnen Dosen nicht nach
der Menge der injizierten Flüssigkeit, sondern nach den Antitoxin¬
einheiten berechnen.
Anaphylaktische Erscheinungen bemerkten wir nur ln einem
Falle nach einer Dosis von 3000 Einheiten, in Form einer fieber¬
haften Urtikaria bei einem erwachsenen Manne. Diese verschwand
spurlos in 2 Tagen.
Vor Rezidiven scheint die Behandlung des Rotlaufs mit Anti¬
diphtherieserum nicht zu schützen. So beobachteten wir wenigstens
einen Fall von Gesichtserysipel bei einer Frau von 40 Jahren, bei
welcher prompt nach einer Injektion das Erysipel zurückging, so dass
die Frau am 4. Tage vollkommen geheilt das Krankenhaus verlassen
konnte Nach beiläufig 3 wöchentlichem Wohlbefinden trat wieder
ein Gesichtserysipel auf, das wieder prompt auf die Injektion
reagierte. Anderseits beobachteten wir wieder 2 Fälle, bei welchen
früher oftmalige Erysipelanfälle im Gesicht aufgetreten waren. Durch
die Injektion wurde nicht nur das gerade bestehende Erysipel
prompt geheilt, sondern es trat auch später weiter kein Rezidiv oder
eigentlich keine neue Erysipelerkrankung mehr auf. Es sind zu
wenig Fälle, um aus ihnen einen bestimmten Schluss ziehen zu
können
Die Injektionen wurden subkutan oder viel öfter intramuskulär
in die Glutäalgegend appliziert; ein wesentlicher Unterschied in
der therapeutischen Wirkung bei diesen beiden Applikationsmethoden
wurde nicht beobachtet. Intravenöse Injektionen wurden nicht ange-
2274
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ordnet, obzwar von ihnen in desperaten Fällen eine viel raschere
Heilwirkung zu erwarten ist. So teilte mir ein Kollege mit, dass
er in einem sehr schweren Fall von Kopferysipel mit heftigen Delirien,
bei einer Temperatur von 40,5° C, mit fast unzählbarem Puls, eine
intravenöse Injektion von 4000 Antitoxineinheiten mit dem Erfolge
angev. endet habe, dass in 12 Stunden nach der Injektion Apyrexie und
Euphorie eintrat.
Wir stellten auch verschiedene Versuche an Menschen und Tieren
an So winden bei einem Qesichtserysipel 15 ccm reinen Pferdeblut-
serums subkutan eingespritzt, ohne jede Einwirkung auf den Verlauf.
Nach Injektion von 3000 Einheiten jedoch trat sofort Temperaturabfall
und Euphorie ein.
Ich kombinierte weiter das Antidiphtherieserum mit anderen
Anlistreptokokkenseren: so mit Marmorecks Antistreptokokken¬
serum, mit B u j w i d s Antistreptokokkenserum und Deutsch¬
mail n s polyvalentem Serum, ohne je einen besonderen Erfolg von
dieser Kombination zu sehen.
Wir prüften auch die Wirkung des Antidiphtherieserums auf
andere Krankheiten, die bekanntermassen gewöhnlich vom Strepto¬
kokkus verursacht werden, so bei Puerperalsepsis, bei eitriger Peri¬
tonitis nach Appendizitis und auch bei anderen Peritonitiden, bei Kar¬
bunkel und Phlegmonen, doch waren die erhaltenen Resultate sehr
ungleichmässig und unzuverlässig.
Experimente in vitro wurden von Prof. Honl in seinem Labora¬
torium ausgefiihrt und einige Versuche an Kaninchen, die mit ver¬
schiedenen Schwierigkeiten verbunden waren, führte ich selbst aus.
Die Versuchsreihe ist jedoch noch nicht geschlossen, aber die bis¬
herigen Resultate sprechen bestimmt nicht gegen unsere Erfah¬
rungen.
Aus dem Rundschreiben, das ich an verschiedene böh¬
mische Krankenhäuser, die sich mit dieser neuen Therapie be¬
schäftigten, sandte, geht hervor, dass sich die Erfahrungen der
Kollegen, die so liebenswürdig waren, mein Rundschreiben zu
beantworten, mit unseren Erfahrungen decken. Fast alle Miss¬
erfolge sind auch bei ihnen kleinen Dosen (es wurden z. B.
auch nur 1000 Einheiten verabfolgt) zuzuschreiben, oder waren
durch bestehende Komplikationen verursacht. In 10 Kranken¬
anstalten wurden 105 Erysipelfälle mit Antidiphtherieserum
behandelt; von diesen wurden typisch geheilt 86, also 82,3 Proz.
Im ganzen sind mir also noch mit meinen Privatfällen 189 Fälle
bekannt, die dieser Therapie unterzogen wurden; und typische
Heilung trat bei diesen Fällen in 85.1 Proz. ein. Es lässt sich
also diesen Erfolgen nach die therapeutische Wirkung des
Antidiphtherieserums bei Erysipel nicht bestreiten, natürlich
kann man einen vollen Erfolg nur bei reinen, unkomplizierten
Fällen erwarten und dann nur, wenn man Dosen von 4000 bis
5000 Einheiten benützt, welche man im Bedarfsfälle am zweiten
Tage nach der Injektion wiederholen kann und soll, wenn der
erwartete Erfolg sich nicht einstellte.
Die Wirkung der Diphtherieserumtherapie scheint mir
auch aus zwei folgenden Fällen bewiesen:
In unser Krankenhaus wurde ein Gesichtserysipelfall aufge¬
nommen, dem der behandelnde Arzt eine Seruminjektion applizieren
sollte. Als am anderen Tage das Erysipel keinen Stillstand machte,
erfuhr ich auf mein Befragen, dass während der Injektion die In¬
jektionsnadel abgebrochen sei, so dass nur einige Tropfen Serum
einverleibt wurden. Es wurde daher die Injektion wiederholt, die
volle Dosis eingespritzt und am nächsten Tage trat Apyrexie ein.
Zu einem anderen Gesichtserysipelfalle wurde ich pro consilio
gerufen. Es sollte in diesem Falle auch die Serumtherapie ange¬
wendet werden, doch fungierte bei der Injektion die Spritze so
schlecht, dass kaum 1000 Einheiten eingespritzt werden konnten. Ich
machte sofort darauf aufmerksam, dass diese Injektion wohl wir¬
kungslos bleiben werde, doch war es uns aus verschiedenen Gründen
nicht gut möglich, die Injektion sofort zu wiederholen. In den
nächsten 2 Tagen machte das Erysipel rapide Fortschritte. Es wur¬
den mm 3000 Einheiten eingespritzt und in 24 Stunden trat Defer-
veszenz ein Am 7. Tage nach Beginn der Krankheit stellte sich
mir der Kranke vollkommen gesund persönlich vor, ganz verwundert
und dankbar über den raschen Verlauf der Krankheit, da er schon
einmal 7 Wochen und ein andermal 5 Wochen mit Gesichtserysipel
schwer darnieder gelegen hatte.
Ich glaube also annehmen zu dürfen, dass die Anti¬
diphtherieserumbehandlung des Erysipels sich für die Praxis
vollkommen bewährt hat.
In der Diskussion, die sich diesem Vortrage anschloss, be¬
stätigten alle Redner die eben angegebenen Erfahrungen und
forderten zur Nachprüfung dieser Methode auf; alle betonten,
dass man nur von grösseren Dosen, die eventuell wiederholt
werden müssen, einen vollen Erfolg hoffen kann. Im Schluss¬
wort hob Autor noch einmal hervor, dass man sich bei der
Anwendung der beschriebenen Erysipeltherapie bewusst sein
Nr. J
müsse, dass das Antidiphtherieserum nach den bisherigen
fahrungen nur auf das eigentliche Erysipel einen Einfluss hafc
während jede andere begleitende Krankheit oder Komplikai i
unbeeinflusst bleibe.
Die Ausleihung dsr ärztlichen Krankengeschichten
Von Medizinalrat Dr. Max Fischer, Direktor der Heil- i
Pflegeanstalt Wiesloch.
Auf der Herbstversammlung der südwestdeutschen Irrenärztih
Karlsruhe habe ich am 23. November 1913 einen Vortrag über u
Thema „Berufsgeheimnis und Herausgabe der Krankengeschichte
gehalten, der in erweiterter Form unterdessen in der Allgem. Zsir
f. Psych.“ (71. S. 464 u. f.) erschienen ist; dort findet sich auch u
Material gesammelt, das für die Beurteilung der Frage von Bedeute
ist. Die Karlsruher Versammlung hat nun bei der Wichtigkeit fcj
Themas für unsere Standesinteressen beschlossen, an den Vorsth
des deutschen Vereins für Psychiatrie einen Antrag in dem Siii
zu richten, er möge über die nach meinen Ausführungen noch stjt
tigen Punkte in eine eingehende Prüfung eintreten und wo nötig Air
Schläge ausarbeiten, die den Organen der Gesetzgebung zur r
gänzung der bestehenden Bestimmungen zu unterbreiten wären, j
deutsche Verein für Psychiatrie hat auf seiner diesjährigen Tag),
in Strassburg zu diesem Anträge Stellung genommen und ihn :l
zu eigen gemacht. Die Justizkommission des Vereins wird sich ü
der Materie eingehend befassen; auf die Resultate wird später j
rückzukommen sein. • I
Da diese Frage jedoch nicht nur uns Irrenärzte, sondern lii
Gemeinschaft aller Aerzte angeht, so möchte ich es für angezg
halten, auch an dieser Stelle über die Hauptgesichtspunkte, die ;!
mir bei meiner Untersuchung ergeben haben, zu berichten, u
eine Interpretation des § 300 StGB., der für die Beurteilung e
Frage massgebend ist, kann ich hier nicht eingehen, ich darf sw
Auslegung wohl auch in der Hauptsache als bekannt vorausset r
Bei der Herausgabe der ärztlicherseits geführten Kranketje
schichten an Behörden, insbesondere die Staatsanwaltschaft
ist zunächst ein Unterschied zu machen zwischen Privatärzten n
Aerzten in staatlicher Beamtenstellung; dieser gleichzusetzen ist d
kommunale oder provinziale Anstellung, weil sie mittelbar ebentl
dem Staatszwecke dient.
Für Privatärzte nun liegt die Situation ganz klar ; i
können sich immer auf den § 300 berufen und die Herausgabe e
Krankengeschichten unter Hinweis auf § 95 StPO, letzten 9t
(„Gegen Personen, welche zur Verweigerung des Zeugnisses e
rechtigt sind — also unter anderem Aerzte — , finden keine Zwais
mittel Anwendung“) und § 97 StPO., wonach schriftliche Mitteilure
in unserem Falle der Beschlagnahme nicht unterliegen, verweigir
Bei beamteten Aerzten im obigen Sinne dagegen e
stehen, obwohl sie ihren ärztlichen Charakter durch ihr Amt nar
lieh nicht verloren haben können, auf Grund gemachter Eine!
erfahrimgen immerhin Zweifel, ob in bezug auf sie, insbesondere
der Rechtspflege, die gleichen Grundsätze uneingeschränkte Gü!g
keit haben. So muss es als unsicher erscheinen, ob für unsi
unserer Stellung als öffentliche Beamte die bestehenden oder bei e
Neuregelung beabsichtigten Gesetzesbestimmungen nach allen Rih
tungen hin zum Schutze des ärztlichen Berufsgeheimnisses ausreic r
ob insbesondere unsere Position gegenüber dem Anfordern der ät
liehen Krankengeschichten unserer Krankenhäuser nach auswärts
nichtärztliche Behörden, insbesondere die Staatsanwaltschaften, e
niigend gefestigt sei.
Im Speziellen ergeben sich bei genauerer Untersuchung folgd
strittige Punkte:
1. Kann der beamtete Arzt oder Direktor öffentlicher Kran«
anstalten auch in seiner Eigenschaft als Arzt, d. h. in seinem Ar
trauensverhältnis zum einzelnen in seiner Behandlung befindlich
Kranken als Beamter angesprochen werden? Und gelten für ii
anderen Behörden gegenüber und besonders beim gerichtlichen 1t
fahren in dieser Beziehung die betreffenden §§ 53, 75. 96. 159 St¬
über die Zeugenschaft und die Herausgabe von Aktenstücken sein
Beamter und Behörden oder aber untersteht er, nach wie vor. >r
§ 300 und den diesen schützenden Vollzugsbestimmungen, nän?
den §§ 52, 54, 76, 95 letzter Satz und 97 StPO.? Kann also ji
Beamtenpflicht in gewissen Fällen die Berufspflicht der Verschwieg
heit gefährden oder aber nicht?
Ich bin meinerseits der Ansicht, dass ein Paragraph des Stil
gesetzbuches nicht durch anderslautende Paragraphen seiner
fiihrungsbestimmungen, d. h. der Strafprozessordnung, aufgeluh
werden könne. Wo sich Widersprüche zu ergeben scheinen, nß
sich durch Betonung des übergeordneten Gesichtspunktes, in dielt
Falle des Strafgesetzparagraphen und der ärztlichen Ethik, auch i
befriedigende Lösung herbeiführen lassen.
Ebensowenig darf uns die Beamtenpflicht in Widerspruch t
unserer ärztlichen Berufspflicht bringen; auch hier muss durch 1
Auseinandersetzung ein AVeg gefunden werden, wobei der Ber'
Pflicht bedingungslos der Vorrang eingeräumt wird. Auch als «
amte sind wir vor allem Aerzte geblieben und wir werden d t
bessere Beamte sein, je gewissenhafter wir es mit unserem äd
24. November 191-4.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2275
liehen Berufe und seinen Pflichten, insbesondere dem Berufsge¬
heimnisse, nehmen. Gegenüber den unserer Behandlung anver¬
trauten Kranken nehmen wir keine andere Stellung ein als der
Privatarzt auch, liier handelt es sich einfach um das gegenseitige
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Dieses Vertrauen
ist die unerlässliche Basis für die ganze Ausübung unseres Berufes:
es darf durch nichts getrübt oder in Frage gestellt werden. Auch
die Beamtenpflicht darf und kann die berufliche, insbesondere die
Berufsverschwiegenheit, auch wenn sie wie hier über das Amtsge¬
heimnis hinausgeht, keinesfalls gefährden. Wir sind kraft unseres
Berufes Beamte geworden; unser Amt ist aber nach wie vor ein
ärztliches. Wir sind vom Staate als Beamte angestellt worden in
der Erwartung, dass wir unseren ärztlichen Beruf in jeder Beziehung
und bis in alle Konsequenzen zuverlässig ausüben. Auch der Bc-
amteneid bezieht sich hauptsächlich darauf, dass wir alle Pflichten
dieses ärztlichen Amtes, von dem ja auch der § 300 StrGB. spricht,
gewissenhaft erfüllen werden. Dazu gehört aber tn erster Linie die
Hochhaltung des ärztlichen Berufsgeheimnisses Jedermann gegen¬
über. Darin sprechen also § 300 und Beamteneid dieselbe Sprache.
Konflikte können sich nur da ergeben, wo die Pflicht des Beamten
zur Zeugnisablegung (§ 53), zur Sachverständigentätigkeit (§ 75),
zur Herausgabe von Schriftstücken (§ 96) und zur Auskunftserteilung
(§ 159 StPO.) in Widersprüchen stehen zur Pflicht oder zum Recht
des Arztes auf Zeugnisverweigerung (§§ 52 und 54), auf Ver¬
weigerung der Gutachtertätigkeit (§ 76 erster Absatz) und auf Ver¬
weigerung der Herausgabe von Schriftstücken etc. (§ 95 letzter Satz
und § 97 StPO.).
In allen derartigen Fällen müssen meiner Ueberzeugung nach die
ärztlichen Berufsrechte und Pflichten Vorgehen, weil hier nicht
unsere Beamtenstellung, unser Verhältnis zur Staatsverwaltung und
zu anderen Behörden oder die administrative Seite unserer Tätigkeit,
sondern vor allem das Vertrauensverhältnis des einzelnen Kranken
zum behandelnden Arzte berührt wird und bei gegenteiliger Stellung¬
nahme aufs empfindlichste verletzt würde. Dieses Vertrauensver¬
hältnis steht aber unter dem starken Schutze des § 300 und der ihn
unterstützenden Paragraphen der Strafprozessordnung; dagegen
können die unser Beamtenverhältnis betonenden Paragraphen nicht
aufkommen.
Fs geht nicht an, den Direktor einer grossen Krankenanstalt
deshalb, weil er eine Unmenge von Verwaltungsgeschäften, die seine
Zeit und Kraft mehr oder weniger in Beschlag nehmen, zu erledigen
hat, ganz ausserhalb seines ärztlichen Berufes zu stellen, ihm etwa
lediglich den Charakter eines Verwaltungsbeamten in gleicher Linie
mit anderen Beamten und Behörden staatlicher oder kommunaler
Art aufzudrücken. Geradezu zu den Notwendigkeiten wie zu den
Vorzügen seiner Stellung gehört es, dass er über den Verwaltungs¬
geschäften sein eigentliches Amt, seinen ärztlichen Beruf nicht ver¬
gisst, sondern dass er in allen Zweigen seines Betriebes vor allem
die ärztlichen Gesichtspunkte heraushebt. Je grösser und umfang¬
reicher ein solches der Krankenfürsorge, also ärztlichen Zwecken
dienendes Werk wird, desto wichtiger ist es, dass die ganze Ver¬
waltung mit ärztlichem Geiste durchdrungen bleibt, nicht einseitig
bureaukratisch, sondern in gesundem Sinne praktisch ärztlich ge¬
halten wird. Das ist für die Leitung eines grossen Krankenhaus¬
wesens die erste Bedingung seines Gedeihens und darin besteht die
Hauptaufgabe seines Direktors.
Auf dieser Ueberzeugung fussend wird er es auch für seine
Pflicht und für sein schönstes Anrecht halten, für die Wahrung der
ärztlichen Berufsrechte, wo immer nötig, aufs kräftigste einzutreten.
Der ärztliche Direktor einer Krankenanstalt bildet mit seinem ganzen
Aerztekollegium eine gemeinschaftliche Aerzteinstanz, eine Einheit,
die zusammen und jeder für sich nach denselben Gesichtspunkten
handeln müssen. Wir werden somit als Aerzte öffentlicher Kranken¬
anstalten ruhig alle Beamtenpflichten in der Verwaltung unseres
Amtes übernehmen können, wie andere Beamte auch. Wo sich aber
ein Konflikt mit unserem Berufsgeheimnis ergibt, werden wir diesem
Geltung verschaffen, weil es gegenüber anderen die höhere Be¬
rufs- und Beamtenpflicht zugleich darstellt. Damit handeln wir sicher
auch mehr im wirklichen Sinne unseres Beamteneides, als wenn wir
das Berufsgeheimnis preisgeben.
2. Sind die Krankengeschichten der öffentlichen Kranken- und
Irrenanstalten als Aktenbestandteil nach § 96 StPO, anzusehen,
müssen sie dem Gerichte auf Verlangen ausgeliefert werden und
unterliegen sie der Beschlagnahme, oder aber bilden sie einen Be¬
standteil des ärztlichen Berufsgeheimnisses und sind unter allen Um¬
ständen gemäss § 95, letztem Satz und § 97 StPO, geschützt?
Meiner Ansicht nach fällt die Krankheitsgeschichte unter allen
Umständen unter das Berufsgeheimnis und es kommt ihr der Schutz
der erwähnten Paragraphen ganz selbstverständlich zu. Die vom
Arzt geführten Krankengeschichten samt Anlagen sind ihrer gan¬
zen Natur nach keine Aktenbestandteile im Sinne des § 96 StPO,
und können den Akten und Schriftstücken anderer Behörden nicht
gleichgesetzt werden; bei Gerichten handelt es sich zudem meist
um in öffentlicher Verhandlung vorgebrachtes Aktenmaterial. Sol¬
chen Akten anderer Behörden entsprechen vielmehr lediglich unsere
Personal- oder Verwaltungsakten der einzelnen Kranken mit den
Aufnahmebelegen und Formalien, Anfragen von Behörden usw.; diese
Akten werden von uns auch jederzeit au Behörden auf berechtigtes
Verlangen ausgefolgt.
Bei der Krankengeschichte aber handelt es sich ganz zweifellos
um uns kraft unseres ärztlichen Berufes und Amtes anvertraute
Privatgeheimnisse im Sinne des § 300 StPO., der für uns als Beamte
noch unterstützt wird durch die Pflicht der amtlichen Verschwiegen¬
heit (Amtsgeheimnis), allerdings, wie es hier scheint, nicht für alle
Fälle. Die Krankengeschichte ist einfach der schriftliche Niederschlag
unserer vertraulichen ärztlichen Beziehungen zum Kranken, der ge¬
rade weil er schriftlich fixiert und nicht allein mündlich uns über¬
antwortet ist, umso sorgfältiger als Privatgeheimnis zu behandeln
und zu hüten ist. Diese Privatgeheimnisse dürfen wir nur da offen¬
baren, wo wir uns als Aerzte dazu für befugt halten können, wo
also unser Beruf, nicht unsere Beamteneigenschaft es uns erlaubt
oder auferlegt. Die Herausgabe oder Beschlagnahme der Kranken¬
geschichte aber würde unsere ärztliche Berufs- und Amtspflicht auf
einem ihrer wichtigsten Gebiete aufs gröblichste verletzen. Wenn
also auch für andere Beamtenkategorien und Behörden eine weiter¬
gehende Pflicht der Mitteilung ihrer ganz anders gearteten Akten
und Schriftstücke an die Gerichte besteht, so muss sie für uns be¬
amtete Krankenhausärzte mit Rücksicht auf unser Berufsgeheimnis
(§ 300 StPO.) und mit Hilfe der es sichernden Paragraphen der
StPO, bezüglich unserer Krankengeschichten eingeschränkt werden;
sie können eben ihrem ganzen vertraulichen Charakter nach nicht
als mitteilbare Akten- und Schriftstücke angesehen werden.
Aus diesen Gründen müssen die ärztlichen Krankengeschichten
aller öffentlichen Krankenanstalten im Gegensätze zu den Personal¬
akten der Pfleglinge vor Auslieferung und Beschlagnahme durch die
Gerichte genau ebenso geschützt werden wie die Aufzeichnungen
privater Aerzte über ihre Kranken auch.
Die Abfassung unserer Krankengeschichten geschieht eben nicht
als Ausfluss unserer Beamtentätigkeit und in Erfüllung einer amtlichen
Pflicht, sondern sie ist das Produkt unseres ärztlichen Wirkens, die
Quintessenz unseres wissenschaftlichen Denkens über den einzelnen
Fall und dient rein nur ärztlichen Zwecken, nämlich der Kranken¬
behandlung, der wissenschaftlichen Forschung und Fortbildung; sie
ist nur für Aerzte verfasst und verständlich. Ausserdem .ist sie aber,
wie schon ausgeführt wurde, eine Vertrauensangelegenheit zwischen
dem Arzte und dem Kranken und, nicht zu vergessen, mit dessen
ganzer Familie. Selbst wenn eine Verwaltungsbestimmung der Be¬
hörde für die Krankenanstalten die Führung von Krankengeschichten
anordnet, so würde dies an dem vertraulichen Charakter des In¬
haltes und an der Pflicht der Aerzte zur Geheimhaltung gar nichts
ändern. Ein Recht der Behörden auf Herausgabe der Krankenge¬
schichte könnte daraus keinesfalls hergeleitet werden. Auch, ein¬
mal gesetzt den Fall, eine Verordnung der Vorgesetzten Behörde be¬
stimmte, dass die Krankengeschichte als Aktenbestandteil zu be¬
handeln und ihr und auf ihr Verlangen auch anderen Behörden, ins¬
besondere den Gerichten, generell oder im einzelnen Fall auszu¬
liefern sei, so könnte diese Bestimmung nach meiner Auffassung weder
die Mitteilung der Krankengeschichte aus einer unbefugten zu einer
befugten machen, noch den § 300 und die ihn unterstützenden Be¬
stimmungen der StPO, aus dem Wege räumen. Dem Beamten in
uns möchte aus Subordinationsgefühl vielleicht eine solche Weisung
zwar genügen, dem Arzte in uns darf sie aber nicht genügen; er muss
sich auch der Behörde gegenüber auf sein ärztliches Recht und seine
Pflicht der Berufsverschwiegenheit stützen und eine Auseinander¬
setzung und Entscheidung unter Berufung auf den § 300 StPO, ver¬
langen. Und die Vorgesetzte Behörde wird diesem klaren Para¬
graphen der Gesetzgebung gegenüber ihre gegenteilige Auffassung
oder Anordnung nicht aufrecht erhalten können. Denn erstens wird
sie ihre Beamten als Aerzte nicht in einen so schweren Konflikt mit
ihrer obersten und heiligsten Berufspflicht bringen wollen, sondern
gegenteils das Festhalten daran gerade im Interesse ihres Beamten¬
standes anerkennen und sogar unterstützen sollen, da ja die Be-
amtentiiehtigkeit in ihrem eigensten Wesen auf der gewissenhaften
Ausübung der Berufspflichten beruht. Zweitens darf aber die Be¬
hörde nicht selbst die Hand dazu bieten, dass einer der Paragraphen
des StGB, abgeschwächt oder gefährdet wird. Der Staat kann nicht
auf der einen Seite den § 300 als Bestandteil seiner Rechtsordnung
statuieren und ihn andererseits für einen Teil seiner Staatsbürger und
Aerzte deshalb, weil sie zugleich staatliche Bamte sind, die doch
als solche doppelt streng an die Einhaltung der Gesetze gebunden
sein sollen, wieder durch Vollzugsbestimmungen oder Verwaltungs¬
anordnungen illusorisch machen wollen.
Das Gleiche gilt natürlich auch vom Einverlangen der Krank¬
heitsgeschichten seitens der Gerichte, des Untersuchungsrichters und
Staatsanwaltes, für Zwecke der Rechtsverfolgung; auch sie können
im allgemeinen auf der Herausgabe gegenüber dem § 300 nicht be¬
stehen. Selbst im § 139 StGB. (Verhütung schwerer Verbrechen)
handelt es sich für den Arzt nur um die Pflicht zur vorherigen An¬
zeige, nicht um Auslieferung der Krankengeschichte: das ist etwas
wesentlich Anderes. Erst wenn die Anzeige vom Arzt verweigert
würde, könnte die Beschlagnahme der Krankengeschichte im ge¬
bieterischen Interesse der Rechtsverfolgung in Frage kommen.
Dagegen ist es allerdings richtig, dass wir, falls das Gericht
selbst auf unsere Weigerung der Herausgabe der Krankengeschichte
hin bei uns eine Haussuchung gemäss § 102 u. f. StPO, und die
Beschlagnahme der Krankengeschichte vornehmen würde, uns da¬
gegen nicht wehren könnten. Wir dürfen aber sicher von den Ge¬
richten als den obersten Hütern der Gesetze soviel Zurückhaltung
22 76
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. -17.
vor dem § 3ÜU voraussetzen, dass sie zu einer solchen Handlung
doch nur als letztem Hilfsmittel beim Versagen aller anderen (ärzt¬
licher Zeugen- oder Sachverständigenaussagen), also höchstens in
Ausnahmefällen, schreiten werden und dann erst nach genauer Ab¬
wägung aller darein spielenden Rechtsfragen und auf Grund eines
förmlichen Gerichtsbeschlusses. Je ernster es mit dieser Prüfung
aber genommen wird, desto seltener werden wir vermutlich eine
Haussuchung und Beschlagnahme zu gewärtigen haben.
Dass es aber recht schwierige Fälle dieser Arzt, so z. B. auch
der Kollision des § 300 mit anderen Strafgesetzparagraphen oder
anderen Reichsgesetzen, geben kann, wird allerdings ohne weiteres
zuzugeben sein; sie sind vielleicht sogar häufiger als wir Aerzte für
uns allein zu beurteilen vermögen. Wo die rechtliche Notwendigkeit
und Befugtheit der Herausgabe der Krankengeschichte trotz des § 300
einwandfrei nachgewiesen ist, werden wir natürlich die Krankenge¬
schichte ohne Zwangsmassnahmen herausgeben.
Im allgemeinen werden aber trotz solcher Streitfragen die
Interessen der Rechtsverfolgung selten durch den § 300 verkürzt
werden. Denn die Aerzte haben sich zu allen Zeiten, soweit sie
es mit ihrem ärztlichen Gewissen irgend vereinbaren konnten, dem
Gerichte in liberalster Weise als Zeugen, Sachverständige und Gut¬
achter zur Verfügung gestellt. Und darauf kommt es doch hier im
wesentlichen an; der Inhalt der Krankengeschichte selbst als rein
ärztlich-wissenschaftliche Niederschrift wird für die Gerichte dagegen
in der Regel ausser Betracht bleiben können. Bei dieser Tätigkeit
des Arztes vor Gericht ist die Sachlage aber eine total andere. Hier
bestimmt der Arzt, ob er aussagen will oder nicht; tut er es, so
stattet er in Gemässheit des Zeugen- oder Sachverständigeneides auf
Grund seiner allgemeinen ärztlichen Ausbildung und seiner speziellen
Kenntnis des Falles in befugter Weise ein ärztliches Urteil in einem
Rechtsverfahren ab. Bei der Abgabe der Krankengeschichte an das
Gericht aber würde er ihm als Arzt unter der selbstverständlichen
Abmachung der Verschwiegenheit anvertraute Geheimnisse unbefugt
und in einer Form aus der Hand geben, die der andere, sei es
auch eine Behörde, so doch jedenfalls ein Laie in ärztlichen Dingen,
selbst unabsichtlich und unbewusst missbräuchlich verwenden kann.
Hier wie überall muss eben durchaus mit dem vertraulichen
Charakter der ärztlichen Krankengeschichten gerechnet werden. Sie
sind nun einmal keine Aktenstücke wie das Material anderer Be¬
hörden, die unter bestimmten Bedingungen, ohne das Recht Be¬
teiligter zu verletzen, an Behörden mitgeteilt werden dürfen, sondern
sie sind und bleiben ärztliche Privatgeheimnisse, deren Schutz durch
den 8 300 gewährleistet, deren Preisgabe durch ihn mit Strafe ver¬
folgt wird. Dies ist der übergeordnete Gesichtspunkt nach dem offen¬
baren Willen des Gesetzgebers. Der wahre Geist und Zweck des
8 300 will die ärztliche Verschwiegenheit als ein hohes sittliches Gut
der Allgemeinheit und jedes Einzelnen so stark als möglich vor Miss¬
brauch schützen. Diesen Willen des Gesetzes kann meiner Ueber-
zeugung nach weder ein Paragraph der Strafprozessordnung noch
eine behördliche Verordnung durchbrechen.
3. Kann die Mitteilung der Krankengeschichte auch von andern
als richterlichen Behörden mit Recht verlangt werden oder darf hier
die Herausgabe bedingungslos abgelehnt werden?
Hierüber können wir uns nach den eben gemachten Ausführungen
kurz fassen. Nach meiner Ueberzeugung kann in solchen Fällen die
Herausgabe bedingungslos verweigert werden; es besteht bei keiner
Behörde ein Recht, in unser Vertrauensverhältnis zum Kranken und
in unser Berufsgeheimnis einzudringen. Dies gilt sogar auch für die
direkt Vorgesetzten Behörden der Anstalten. Hier sind wir rein nur
die ärztlichen Vertrauenspersonen unserer Kranken, in deren Schrift- 1
lieh nicdergelegte Geheimnisse wir in Auslegung des § 300 RStGB. I
niemand Unberechtigtem, d. h. keinem Laien, Nichtarzte Einblick ge¬
währen dürfen. Sobald wir die Krankengeschichte aus der Hand des
Arztes ausliefern, geben wir sie Unberechenbarkeiten preis und blei¬
ben über ihre Verwendung im unklaren. Ihr Inhalt wird Nichtärzten
bekannt und für nichtärztliche Zw'ecke verwertet. Damit ist selbst
unbeabsichtigtem Missbrauch Tür und Tor geöffnet; denn nur ein
Arzt kann Krankengeschichtsaufzeichnungen richtig beurteilen, wie
im allgemeinen so ganz besonders auf dem schwierigen Gebiete der
Psychiatrie. Schon daraus ergibt sich, ganz abgesehen vom Ge¬
sichtspunkte des Vertrauensbruchs und der unbefugten Preisgabe von
Privatgeheimnissen, auch das Absurde der Auslieferung der Kran¬
kengeschichte in Laienhände.
Keinesfalls dürfen wir uns darauf cinlassen, dass das einfache
Anfordern einer Behörde das Aufgeben des Berufsgeheimnisses oder
die Herausgabe der Krankengeschichte rechtfertige, aus einer un¬
befugten zu einer befugten Handlung mache. Befugt wird die Heraus¬
gabe im allgemeinen erst durch die Einwilligung des verfiigungs-
fähigen Kranken oder des Vormunds eines Entmündigten; ja selbst
hiebei können dem gewissenhaften Arzte noch Bedenken genug auf¬
steigen.
Ob es darüber hinaus und mit Ausnahme der noch zu besprechen¬
den Ausleihung an Berufsgenossen überhaupt noch andere Fälle gibt,
wo etwa beim Vorliegen höherer Interessen der Arzt zur Herausgabe
an Behörden entweder verpflichtet ist oder dazu gezwungen werden
kann, erscheint mir mehr wie fraglich. Auch staatliche Behörden
können meiner Ansicht nach darin vor andern nichts voraus haben:
ihre Interessen entbinden uns von unseren ärztlichen Pflichten nicht,
selbst wenn Bestimmungen der Beamtengesetzgebung und der Straf¬
prozessordnung dafür geltend gemacht würden. Der Hinweis auf
unsere eigene Beamten- und Behördeneigenschaft kann nicht wirk¬
sam sein: denn auf Beamte und Behörden, die wir zugleich
ärztliche Instanzen sind, können jene Bestimmungen keinen Bezug
haben. Bei der Hergabe der Krankengeschichte kommt nicht unser
Verhältnis nach auswärts zu andern Behörden und unser amtlicher
Verkehr mit ihnen in Betracht, sondern einzig und allein unser ärzt¬
liches Vertrauensverhältnis zum einzelnen Kranken und die still¬
schweigende. selbstverständliche Voraussetzung der Geheimhaltung
der uns an vertrauten Privatgeheimnisse; auf die Absicht und den
Willen des Anvertrauenden, des Patienten kommt es hier allein an.
Wenn auf irgendeine Materie, so müssen auf die Behandlung
unserer ärztlichen Krankengeschichten samt Anlagen nach ihrem gan¬
zen vertraulichen Charakter die unser ärztliches Amt und unser Be¬
rufsgeheimnis schützenden Paragraphen zutreffen und den andern
Vorgehen; d. h. der § 300 StGB, und die §§ 52, 95 und 96 der StPO,
gelten sinngemäss auch für uns beamtete Aerzte im Verkehr mit
andern Behörden; hierin kommen uns die gleichen Rechte und Pflich¬
ten wie den Privatärzten zu.
Etwa bestehende Gesetzesbestimmungen und Verwaltungsvor¬
schriften oder im einzelnen Falle gegebene Anordnungen gegenteiligen
Sinnes müssten, wie oben auseinandergesetzt wurde, hinter dem
8 300 zuriiekstehen.
Dagegen werden wir, soweit unser ärztliches Berufsgeheimnis
nicht berührt wird, auch diesen Behörden für die Verfolgung ihrer
staatlichen Aufgaben stets gerne durch Ueberlassung der Personal¬
akten oder zweckdienliche Auskunfterteilung an die Hand gehen.
Durch Verweigerung der Krankengeschichten werden also auch hier
die staatlichen Interessen nicht geschmälert oder gehemmt.
(Schluss folgt.)
Aus der II. Abteilung fiir Haut- und Geschlechtskrankheit im
k. k. Allgemeinen Krankenhause in Wien (Vorstand: Professor
S. E h r m a n n).
Ueber Abortivkur, Spirochätenreste und kombinierte
Behandlung der Syphilis.
Von Dr. Wilhelm L i e r, Assistent.
(Schluss.)
Was die Ehrlich sehen Präparate betrifft, so verwenden wir
da seit 2 Jahren ausschliesslich das Neosalvarsan. Seine sympto¬
matische Wirkung ist der des Salvarsans gleich, seine Wirkung auf
die WaR. vielleicht etwas schwächer, kann aber durch die grössere
Häufigkeit der Injektionen ausgeglichen werden. Dabei ist cs infolge
seiner leichten Löslichkeit und der neutralen Reaktion, infolge der
Möglichkeit, es in konzentrierter Form zu geben, soviel bequemer,
dass seine Anwendung in grossen Betrieben, wie dem unsrigen eine
wesentliche Erleichterung der Arbeit bedeutet. Indem wir es ferner
von Anfang an vermieden haben, jene übergrossen Dosen zu geben,
wie sie ursprünglich — namentlich von Schreiber — empfohlen
wurden, haben wir bei nunmehr 3000 Injektionen niemals einen Todes¬
fall oder auch nur einen ernsteren Zwischenfall erlebt. Vorüber¬
gehende Störungen, die auf zu rascher Darreichung des Neosalvarsans
in Form von 3 Injektionen innerhalb einer Woche beruhen, haben wir
im Beginne der Anwendungszeit des Neosalvarsans öfters gesehen;
sie sind damals auch von einer Reihe anderer Autoren beobachtet
und allgemein auf die Kumulierung des Mittels bezogen worden. Seit
wir zwischen die einzelnen Injektionen Intervalle von mindestens
1 Woche eingeschaltet haben und als maximale Einzeldose die Gabe
von 0,6 Neosalvarsan verwenden — Dosen von 0,9 geben wir nur
ganz ausnahmsweise bei sehr kräftigen Männern — , haben wir
nennenswerte Störungen nicht mehr erlebt. Da wir ferner schon
frühzeitig daran gegangen sind, jeder Neosalvarsaninjektion eine je
nach dem betreffenden Stadium der Erkrankung, mehr oder weniger
intensive Hydrargyrumbehandlung vorauszuschicken und überdies
auch die 1. Neosalvarsaninjektion möglichst vorsichtig zu dosieren.
ich möchte z. B. darauf hinweisen, dass bei dem jüngst von F r ii h-
wald beschriebenen Todesfall nach intravenösen Neosalvarsaninjek-
tionen bei einer Patientin mit sekundärer Lues keine Hydrargyrum-
behandlung vorausgeschickt wurde und beide Injektionen grosse
Dosen von Nosalvarsan waren — haben wir auch die initiale, oft
fieberhafte Jarisch-Herxheimer sehe Reaktion vermeiden
bzw. tunlichst herabzusetzen gelernt, so dass wir im Allgemeinen
die Gefahren der Ncosalvarsanbehandlung nicht wesentlich höher als
die der früheren Luestherapie einschätzen und seit 1 Jahre auch
dazu übergegangen sind, die Injektionen ambulatorisch zu machen.
Dazu verwenden wir eine Lösung in 10 ccm frisch destillierten,
sterilen Wassers und die Rekordspritze. Dabei muss natürlich auf
Grund mehrerer in der letzten Zeit beschriebenen Todesfälle nach
kleinen Dosen die Möglichkeit des unglücklichen Ausganges einer In¬
jektion bei einem entsprechend „disponierten“ Individuum zugegeben
werden. Tatsache ist aber, dass in weitaus der Mehrzahl Todesfälle
nur nach verhältnismässig hohen Salvarsandosen vorgekommen sind,
wie dies jüngst wieder Kohrs und Schmitt in seiner Kritik der
Salvarsantodesfälle betont hat. Wir haben bisher glücklicherweise,
wie schon erwähnt, bei über 3000 Injektionen keinen Unglücksfall
zu verzeichnen.
-4. November 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2277
Ich möchte an dieser Stelle nochmals an einen besonderen Vorzug
in die öfters erwähnte, aber scheinbar doch zu wenig beachtete
Möglichkeit erinnern, das Neosalvarsan auch intramuskulär zu appli-
ieren. An nunmehr 60 solchen Einspritzungen konnte ich mich über-
eugen, dass sie in isotonischer wässeriger Lösung niemals bleibende
nfiltrate oder gar Abszesse maclien. Da wir immerhin öfters auf
’atier.ten stossen, bei denen infolge ihrer schlechten Venen eine
atravenöse Injektion ausgeschlossen ist, wird man von ihr genug
iebrauch machen können; auch wird sie als erste Einspritzung in
enen Fällen am Platze sein, in welchen jede Reaktion tunlichst
ennieden werden soll. Ueber die neuerdings von Kersten emp-
ohlenen intramuskulären Neosalvarsaninjektionen in konzentrierter,
wässeriger Lösung, kann ich mangels eigener Erfahrung noch nichts
agen.
Was die Kontraindikationen der Ehrlich sehen Präparate be¬
ruft, so haben sie in den letzten Jahren eine wesentliche Einschrän-
ung erfahren. Uns gelten als solche nur die banalen katarrhali-
clien Affektionen der oberen Luftwege, Schnupfen, Angina und die
og. „Influenza“, weil dabei das Salvarsan Fieber, unangenehme
lebenerscheinungen macht und schlechter vertragen wird; sonst
chwere inkompensierte Vitien, vorgeschrittene Arteriosklerose, wes-
alb wir ungerne Leuten über 55 Jahren injizieren, schwere paren-
hymatöse Erkrankungen der inneren Organe, auch echter Diabetes
lellitus und endlich zum Teil die Affektionen des inneren Ohres. Ich
age zum Teil, weil ich gerade in letzter Zeit bei zwei Patientinnen
ureh die Anwendung von Neosalvarsan besten Erfolg erzielen
onnte, bei denen auf hereditärsyphilitischer Basis eine fortschrei-
mde Erkrankung des inneren Ohres entstanden war. Die Kranken-
eschichten sind folgende:
M. Sch., 19 Jahre, Kontoristin.
Ueber die Eltern der Patientin und ihre Geschwister konnte ich
iehts erfahren. Sie hat an beiden Augen Narben nach Keratitis
arenchymatosa. Das früher gute Hörvermögen verschlechterte sich
lötzlich vor wenigen Wochen und nahm rasch immer mehr ab.
Ohrenbefund: Doz. Dr. Ruttin (Klinik Urbantschitsch).
rommelfelle normal. Konversationssprache recht 10 cm, links 20 cm.
lit Hörschlauch rechts keine Besserung, links Besserung. Weber
:chts, Rinne beiderseits negativ. Schwabach beiderseits stark ver-
iirzt. Ci beiderseits bei stärkstem Anschlag nur einen Moment ge¬
ölt. C4 beiderseits stark verkürzt. Kein Fistelsymptom, kein spon-
ner Nystagmus. Beim Drehversuch stark herabgesetzte Erregbar¬
em beider Seiten.
Kalorische Reaktion beiderseits nur in Spuren. WaR. ++++.
5. II. 14. Hörvermögen nach einer intramuskulären Neo-
ilvarsaninjektion von 0,45 wie vorher. Ohrensausen gebessert,
chwindel hat aufgehört.
5. IV. 14. Pat. hat inzwischen eine wzeite Neosalvarsaninjek-
on intramuskulär erhalten. Hörvermögen rechts Vzm, links lm
leutlich gebessert).
A. K., 9 Jahre alt aus Czernowitz. Der Vater des Kindes ist
abiker, leidet an heftigen lanzinierenden Schmerzen in den Extremi-
ten. Die Mutter hat 3 mal abortiert. Das Kind selbst steht seit
Jahren wegen einer Keratitis parenchymatosa in Behandlung; bis
tide des vorigen Jahres hörte es gut. Zu dieser Zeit begann eine
ipide fortschreitende Verschlechterung des Hörvermögens beider
hren Sajodinbehandlung war ohne Erfolg.
Hörvermögen: Auf dem linken Ohre wurden nur sehr laut
^gesprochene Probeworte gehört, auf dem rechten besteht kom-
ette Nerventaubheit. Kein spontaner Nystagmus. Die Vestibular-
»parate beiderseits ergeben bei der Prüfung auf ihren Erregungs-
istand normalen Befund.
WaR. ++++.
16. VII. 14. Das Kind, das zurzeit noch in Beobachtung steht,
hielt eine Schmierkur und ausserdem bisher 5 Injektionen von 0,2
s 0,45 Neosalvarsan intravenös. Selbstverständlich wurde die erste
eosalvarsaninjektion, der 5 Einreibungen vorausgeschickt wurden,
•sonders gering gewählt.
Ohrenbefund: Deutliche Hörverbesserung auf beiden Ohren
zw. hört das rechte, früher taube Ohr Vz m Konversationssprache,
»er keine Flüstersprache, das linke versteht Konversationssprache
if 2 m, Flüstersprache auf 10 cm. Vestibularbefund wie früher.
Die Behandlung wird fortgesetzt.
Es beweist dies, dass die Erkrankung des inneren Ohres, wenn
i auf erbsyphilitischer Basis beruht, nicht als Kontraindikation gegen
e Anwendung des Ehrlichschen Mittels angesehen werden kann
ergl. Beck, M.m.W. 1912 Nr. 35); doch muss vorher durch Einleitung
aer Quecksilberkur, die am besten in Form von Einreibungen oder
it löslichen Injektionen begonnen wird, die Gefahr einer stärkeren
kalen Reaktion beseitigt und überdies die erste Neosalvarsan-
iektion besonders klein dosiert werden. p Auch ist die kombinierte
-handlung entsprechend lange, durchschnittlich mindestens durch
Monate fortzusetzen.
Seitens des N. opticus kennen wir eine Kontraindikation iiber-
upt nicht; wir haben sowohl bei genuiner als bei syphilitischer
»tikusatrophie, ohne jemals zu schaden — die Untersuchungen wur-
n ophthalmoskopisch kontrolliert — wiederholt Neosalvarsan ge-
dnsim mit Hydrargyrum gegeben.
Auch Störungen seitens der Nieren, wenn sie nicht sehr hoch-
adig sind, bilden keine unbedingte Gegenanzeige. Ja, wenn ausser
Nr. 47.
der positiven WaR. manifeste klinische Erscheinungen der Lues da
sind, deren Beseitigung nötig ist, sind wir sogar gezwungen, zum
Neosalvarsan zu greifen. Das werden wir dann aber natürlich nur
sehr vorsichtig und unter steter Urinkontrolle anwenden dürfen. Als
Beispiel dafür kann ich 2 Fälle anführen:
Beim ersten handelte es sich um einen 42 jährigen Manu, der
an Asthma cordiale infolge starker Adipositas cordis litt und eine
hämorrhagische Nephritis mit 3 Prom. Albumin hatte. Er akquirierte
eine frische Lues, in deren Verlauf ein Exanthem am Stamme und ein
Palmar- und Plantarsyphilid auftrat. Nach Hydrargyruminjektionen
verschlechterte sich der Urinbefund, der Eiweissgehalt stieg, so dass
ich damit aufhören musste. Dagegen behoben 5 Einspritzungen von
Neosalvarsan, deren erste, kleinste 0,10, deren grösste 0,45 Neo¬
salvarsan betrug, die manifesten Symptome der Lues, ohne dass der
Eiweissgehalt zugenommen hatte.
Der zweite Fall betrifft einen Privatpatienten meines Chefs, einen
54 jährigen Mann, der vor 4 Jahren eine Sklerose gehabt hatte. Im
Laufe seiner Syphilis war bei ihm eine Nephritis entstanden, die
durch weitere Hydrargyrumkur bedeutend verschlechtert wurde.
5 Neosalvarsaninjektionen, die grösste 0,45, beseitigten die klinischen
Erscheinungen. Gleichzeitig sank der Albumengehalt von 18 auf
2 Prom ; in der letzten Zeit ist er, nachdem der Patient neuerdings
2 Neosalvarsaninjektionen erhalten hatte, bis auf minimale Spuren,
völlig geschwunden.
Von Neurorezidiven kann ich hier nur über 3 berichten. Wenn
es auch vielleicht mehrere gewesen sein mögen, so stehen sie doch
an Zahl weiter hinter der am Anfang der Salvarsantherapie be¬
obachteten zurück. Es ist dies zweifellos lediglich die Folge der
energischeren Ausgestaltung der kombinierten Behandlungsmethode.
Die betreffenden Fälle sind die folgenden:
M. Q., 26 Jahre alt. 1. Erkrankung im Juni 1912 mit Lues
maculo-papulosa. Erhielt damals ambulatorisch 17 Hydrargyrum-
salicyl.-Injektionen ä 0,05 ccm. 2. Erkrankung 4. XI. bis 9. XII. 12
mit einer Rezidivroseola am Stamme, Papeln am Genitale und im
Munde. Wurde mit 6 Kalomel- und 10 Hydrargyrum-salicyl. -Ein¬
spritzungen ä 0,05 ccm behandelt und bekam ausserdem 2 mal Neo¬
salvarsan zu 0,2 und 0,3 intravenös. Am 21. III. 13 kam sie mit
der Angabe von nunmehr über 6 Wochen bestehenden Kopfschmerzen,
Ohrensausen und Schwindel wieder zur Aufnahme. Am Körper
waren jetzt keine Erscheinungen, auch der Nervenbefund war normal,
dagegen ergab die Ohruntersuchung (Klinik Urbantschitsch): Rechtes
Ohr normal, linkes Ohr blosse Schallempfindung. Kalorische Erreg¬
barkeit sehr schwach. Drehreaktion nicht auslösbar. Geringer spon¬
taner Nystagmus nach rechts.
Es bestand also eine fast vollständige Ausschaltung des
Kochlearis- und Vestibularisgebietes, die durch eine neue Hydrar-
gyrum-Neosalvarsankur vollständig behoben wurde.
E. B., 40 Jahre alt, Hausbesorgerin. Infiziert von ihrem Manne
im Mai 1913. Damals mit 20 Hydrargyruminjektionen behandelt. Lag
dann vom 8. XI. bis 10. XII. 13 wegen luetischer Iritis papulosa
auf der Klinik Dimmer, wo sie Einreibungen bekam. Anfangs De¬
zember 1913 trat ein Exanthem akut am Stamme auf, das ursprünglich
für syphilitisch gehalten wurde, weshalb sie neuerdings 13 Hydrar-
gyrum-salicyl.-Injektionen ä 0,05 und 2 mal Neosalvarsan (kleine
Dosen) erhielt. Später stellte sich der Ausschlag als ein psoriari-
former Lichen ruber planus heraus. 6 Wochen nach Abschluss
dieser Kur bekam sie sehr starken Kopfschmerz, häufiges Erbrechen,
magerte stark ab. Kein Schwindel, doch starkes Ohrensausen.
Wurde deshalb neuerdings aufgenommen. Die Untersuchung der Pa¬
tientin ergab jetzt folgendes (I. med. Abteilung, Prof. Pal):
Keine Erscheinungen auf der Haut ausser den Pigmentierungen
nach dem Lichen ruber. In einem Anfalle von Morbus sacer, der
bei ihrem Krankenhausaufenthalte beobachtet wurde, besteht Ein¬
stellungsnystagmus nach rechts. Bauchdeckenreflexe rechts stark ge¬
steigert, links nicht auslösbar. Reflexe an den unteren Extremitäten
bedeutend erhöht (Patellar- und Fussklonus). Oppenheim rechts
wie links deutlich positiv. Sonst ist der Nervenstatus normal. WaR.
vom 29. IV. ++++.
Es handelt sich hier um ein zerebrales Neurorezidiv, das nach
vorheriger ungenügender Behandlung (13 halbe Hydrargyrum-salicyl.-
Einspritzungen und 2 kleinen Neosalvarsandosen) nach der typischen
Zeit von 6 Wochen aufgetreten ist. Es zeigt übrigens bei der jetzt
noch in Beobachtung stehenden Patientin auf die neuerdings einge¬
leitete kombinierte Behandlung bereits bedeutende Besserung.
Ein dritter Fall betrifft einen Arzt mit Sklerose am rechten
Zeigefinger, der schon die erste Kur sehr lässig durchgeführt hatte.
7 Wochen nach der protrahiert und wenig sorgfältig gemachten
zweiten Kur erkrankte er mit Schwindel, Kopfschmerz, Ohrensausen.
WaR. -r-' I — k Steht zurzeit noch in Behandlung.
Es leitet uns diese Besprechung der Neurorezidive über zu
jenen merkwürdigen Rezidiven der Haut, auf welche zuerst Bett-
mann als vermeintliches Charakteristikum der Salvarsanära nach¬
drücklich hingewiesen hat. Sie wurden als Riesenpapeln, schankri-
forme Papeln und ähnlich bezeichnet: es handelt sich dabei um
einzelne wenige, abnorm grosse oder in ihrer Form von der gewöhn¬
lichen Erscheinungsform der Sekundärperiode abweichende Erkran¬
kungsherde auf der Haut. Mit den Neurorezidiven haben sie das ge¬
meinsam, dass sie auch fast regelmässig 4 — 7 Wochen nach einer
offenbar ungenügenden Kur meist im primären oder im anfänglichen
2
2278
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 47
sekundären Stadium der Syphilis auftreten; dass sie gegen die The¬
rapie recht hartnäckig sind; und dass sie offenbar gleich jenen der
intensiven und extensiven Wucherung lokaler, liegen gebliebenen
Spirochätenreste ihre Entstehung verdanken. Sind sie auch sicher¬
lich seit der Salvarsantheiapie öfter beobachtet worden, so sind sie
doch wie die Neurorezidive zweifellos nicht die direkte Folge dieser,
sondern die einer im jeweiligen Falle unzureichenden Behandlung
bzw. Sterilisierung des Organismus. Darum haben wir sie auch
nach missglückter Abortivkur mit Quecksilber allein gesehen.
So kam ein 34 jähriger kräftiger Mann im Juli 1913 wegen
einer Sklerose am Penis, einer mässigen Skleradenitis inguinalis und
schon positiver WaR. in unsere Ambulanz und erhielt dort 10 Hydrar-
gyrum-salicyl.-Injektionen ä 0,1 ccm. 3 Wochen nach der letzten
traten Erscheinungen auf und zwar in Form eines zweihandteller¬
grossen, fast die ganze obere Rückenpartie einnehmenden koryinbi-
formen Syphilids; ein gleiches, jedoch kleineres von Kokardeniorn
bestand an der rechten Brusthäifte und an der Innenseite des rechten
Vorderarmes.
Also 3 Monate nach der Infektion ein Exanthem, wie wir es sonst
um diese Zeit nicht sehen.
Ein besonders charakteristischer Fall dieser eigenartigen Maut-
rezidive ist der nachstehend mitgeteilte. Sein Verlauf beweist auch,
dass durch eine energisch durchgeführte Kur auch solche Patienten
schliesslich geheilt werden können.
R. B., 27 Jahre, kam Mitte Juni 1912 mit mehreren Sklerosen
am Glied, einer Skleradenitis inguinalis bilateralis und positiver WaR.
und erhielt 20 Einspritzungen von Hydrargyrum salicyl. ä 0,05 ccm.
Während der letzten Injektionen war eine grossmakulöse Roseola
am Stamme und den Extremitäten aufgetreten, zwischen welche ein¬
zelne erbsengrosse, leicht schuppende, papulöse Effloreszenzen einge¬
streut waren. Papeln am behaarten Kopfe, gruppiertes papulöses
Syphilid am Genitale Wegen dieses Ausschlages wurde er am
27. IX. 12 auf die Abteilung aufgenommen und hier mit 8 Hydrar-
gyrum-salicyl. -Injektionen zu 0,05 ccm, 2 Neosalvarsaneinspritzungen
und 2 Einreibungstouren behandelt; am 27. XI. mit negativer WaR.
ohne klinische Erscheinungen entlassen. 5 Wochen später, zu Ende
Dezember 1912, bemerkte er wieder Flecken am Körper und suchte
deswegen am 14. I. 13 neuerdings das Spital auf. Es bestanden jetzt
2 kreisrunde, kindshandtellergrosse, flache, aber doch deutlich infil¬
trierte Herde vor. braunroter Farbe am Stamme und zwar einer
über der rechten Schulter, der andere an der linken Rückenhälfte,
etwa über der Fossa supraspinata. Sie zeigten weissliche Schuppung
und dadurch psoriasiformes Aussehen. 2 — 3 gleiche flache Papeln
fanden sich an den Innenseiten beider oberen Extremitäten, ein fünf¬
kronenstückgrosses Palmarsyphilid an der rechten Vola.
Unter lokaler und sehr energischer Allgemeinbehandlung (3 Neo-
salvarsan-, 16 Injektionen von Hydrargyrum salicyl. ä 0,05 und 19
von 3 Proz. Hydrargyrum succinimidatum sowie 4 Schmiertouren)
verschwanden endlich die so lange resistenten Papeln und die WaR.
wurde negativ. Sie ist es auch bei nunmehr 5 maliger Nachprüfung
(letzte am 21. IV. 14) bisher geblieben, auch ist der Pat. dauernd
frei von klinischen Erscheinungen.
Ich möchte hier auch der Neosalvarsanbehandlung bei der Sy¬
philis Tuberkulöser dringendst das Wort reden. Bei diesen sieht
man unter einer irgendwie stärkeren Quecksilbertherapie häufig eine
Verschlimmerung des Lungenprozesses eintreten, während das Neo-
salvarsan ausgezeichnet vertragen wird. Es wirkt als Roborans
günstig auf das Allgemeinbefinden und damit auch auf die tuber¬
kulöse Affektion, anderseits spezifisch auf die Erscheinungen der Sy¬
philis ein, so dass wir bei solchen Patienten manchmal die anti¬
luetische Kur bloss mit Neosalvarsan durchführen werden, das
übrigens, da natürlich besonders vorsichtig und individualisierend
gegeben werden muss; höhere Dosen als 0,45 wird man bei irgendwie
ausgebreiteten Affektionen überhaupt nicht anwenden. Umsomehr
als das Salvarsan öfter geradezu spezifisch auf die tuberkulösen Pro¬
zesse zu wirken und Herdreaktionen hervorzurufen scheint, worauf
zuerst Herxheimer und A 1 1 m a n n hingewiesen haben. Wir
selbst haben ja gerade aus diesem Grunde und wegen der günstigen
Allgcmeinwirkung in der letzten Zeit das Neosalvarsan als Hilfsmittel
auch bei der Behandlung der Schleimhaut- und Hauttuberkulosen
und Tuberkulide herangezogen, wie dies neuerdings auch von R a -
v a u t, Tzanck und P e I b o i s geschehen ist. Auch über die
Syphilisbehandlung Tuberkulöser mit Neosalvarsan liegen günstige
Berichte vor (B e r n a r d und P a r a f, H a r 1 1 e y).
Wenn ich nun am Ende dieses Abschnittes unsere An¬
sichten über die Therapie der sekundären Lues zusammen¬
fasse, so hätte ich zu sagen, dass wir auch bei ihr die kom¬
binierte Behandlung der blossen Quecksilbertherapie unbedingt
vorziehen; dass wir auch in diesem Stadium Anhänger einer
möglichst energischen, natürlich individuell verschiedenen Be¬
handlung sind. Besonders im Anfangsstadium der sekundären
Lues sollte sie eine möglichst intensive, etwa nach Art der
früher geschilderten Abortivkur sein, die eher zu lange als zu
kurz gemacht und auch hier noch über das Schwinden der
klinischen und serologischen Erscheinungen fortgesetzt werden
soll. 4 Wochen nach einer solchen ersten Kur ist eine zweite
zu beginnen, die eventuell weniger stark sein kann. Dadurch
wird das Auskeimen von Spirochäten aus liegengebliebener
Nestern und das Auftreten von sogenannten Neurorezidiver
und Monorezidiven der Haut mit Sicherheit vermieden und ii
der Mehrzahl der Fälle eine Dauerheilung erzielt, soweit siel
bis jetzt von einer solchen reden lässt. Wo doch Erschei
nungen auftreten, ist die Behandlung intermittierend, unter Mit¬
berücksichtigung der Ergebnisse der biologischen Unter¬
suchungsmethoden (WaR., Lumbalflüssigkeit), fortzuführen. S<
wird man auch bei diesen Patienten schliesslich zum günstiger
Endziel, der Heilung, kommen.
Da es wohl keinem Zweifel unterliegt, dass wir — be¬
sonders bei der primären und im Beginne der sekundären
Syphilis — heute ausserordentlich günstige Resultate erzielen!
so muss auch die Frage, wann ein solcher Patient heiraten,
darf, einer Revision unterworfen werden. Gerade zu ihreii
Entscheidung wird man ausser den klinischen und biologischer
Untersuchungsmethoden auch die in Intervallen mehrfach
wiederholte provokatorische Neosalvarsaninjektion heran¬
ziehen müssen.
III.
Auch bei tertiärer Syphilis haben wir durch die kom¬
binierte Behandlung gute Resultate und oft eine negative WaR
erzielt. Wo die WaR. aber trotz wiederholter Kuren positiv
bleibt und schon viele Jahre seit der Infektion vergangen sind-
ohne dass Erscheinungen einer Erkrankung des Nerven- oder
Gefässsystems da sind, halten wir uns für nicht berechtigt
bloss auf Grund der Hämolysenhemmung die Behandlung in
infinitium fortzusetzen. Solche Patienten sind vielmein
psychisch als antiluetisch zu beeinflussen.
Ich möchte nunmehr nur noch kurz über unsere Erfolge bei der
spätsyphilitischen Affektionen des Nervensystems berichten. Para¬
lytiker haben wir nicht behandelt, weshalb wir darüber nichts aus-i
sagen können. Erfolge bei der Tabes dorsalis habe ich schon seiner-:
zeit erwähnt. Wir haben sie auch weiterhin gesehen und möchten
darum die kombinierte Neosalvarsan-Hydrargyrum-Behandlung be
ihr besonders befürworten. Nur muss sie in mehr chronischer Weise
durchgeführt nud meist eine grosse Zahl von Neosalvarsaninjektionei
gegeben werden, wenn der Erfolg von Dauer sein soll. Unsere ar
lanzinierenden Schmerzen leidenden Tabiker kommen jetzt bei Wie¬
derkehr ihrer Schmerzen von selbst zur „Ehrlichinjektion“ wieder
Reaktionen, die mit der Herxheimer sehen in Parallele zu steiler
sind, haben wir bei Tabikern in Form stärkerer Magenschmerzei
öfters gesehen, wo es sich um gastrische Krisen handelte (vgl
C i t r o n).
Zum Schlüsse möchte ich noch auszugsweise die vom Stand¬
punkte der Pathologie wie auch des therapeutischen Erfolges inter¬
essanten Krankengeschichten dreier Patienten mit luetischen oder
postluetischen Nervensystemerkrankungen mitteilen.
1. F. Sch., 27 Jahre. Sklerose im Jahre 1909. Damals mit
6 Hydrargyruminjektionen behandelt Seither ohne Therapie. Vor
mehreren Wochen trat Doppeltsehen, später eine Schwäche der
rechten unteren und linken oberen Extremitäten auf.
Status praesens vom 5. III. 14: Keine luetischen Erschei¬
nungen an Haut und Schleimhaut. Nervenbefund: Pupillen mittelweit
beiderseits gleich, reagieren prompt auf Licht und Akkomodation;
Geringer horizontaler Nystagmus beim Seitwärtsblick. Die oberer
Extremitäten zeigen eine geringe Herabsetzung der motorischen Kral-
auf der linken Seite. Keine Rigidität bei passiven Bewegungen, aus¬
gesprochene Ataxie beiderseits, keine Störung der Sensibilität
Leichte Parese der Bauchmuskeln, Bauchdeckenreflexe fehlen
Leichte Parese der beiden unteren Extremitäten mit hochgradiger
Ataxie und Steigerung der Sehnenreflexe. Andeutung von Fussklonus,
Babinski beiderseits. Leichte Störungen der Oberflächensensibilita
im Bereiche des rechten Beines. Der Gang ausgesprochen ataktisch
Rhomberg positiv.
Ophthalmoskopisch zeigte sich beiderseits Optikusatrophie. Psy¬
chisch besteht wechselnde Stimmung, häufiges Zwangslachen
WaR. H — M — h
Durch energische antiluetische Behandlung, die mit 10 3 proz
Sublimatinjektioncn begonnen, mit 5 Einreibungstouren und 4 Neo¬
salvarsaneinspritzungen weitergeführt wurde, konnte fast völlige Hei
Jung erzielt werden. Nur die Reflexsteigerung an den unteren Ex
tremitäten und die Optikusatrophie war bei der Entlassung des Pa
tienten, am 25. IV. 14, noch vorhanden.
Es hatte sich also um eine Lues cerebri gehandelt, die gaiu
unter dem Bilde einer multiplen Sklerose verlaufen war.
Bei dem 2. Fall, der bereits vor 2 Jahren von Stiefler ir
Linz ausführlich publiziert worden ist, handelte es sich um einer
Patienten von jetzt 40 Jahren. Er akquirierte seine Syphilis 1901
machte damals eine Schmierkur durch und war dann ohne Erschei
nungen bis zum Jahre 1911, in welchem eine allmählich zunehmendi
Schwäche der oberen Extremitäten eintrat. Jetzt besteht das Bild
M. November 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2279
•incr amyolrophischen Lateralsklerose. Durch eine Einreibungskur.
erbunden mit bisher 5 Neosalvarsaninjektionen ist eine geringe, aber
nit Rücksicht auf den nunmehr schon 3 jährigen Bestand der Affektion
echt bemerkenswerte Besserung in der Bewegungsfähigkeit der
ibercn Extremitäten eingetreten.
Der 3. Patient, ein Kaufmann von 43 Jahren, hatte die Sklerose
or 25 Jahren; sie wurde damals nur lokal behandelt. Er war dann
ngeblich frei von Erscheinungen und daher auch ohne Therapie, bis
•r vor 1 Jahr — im Monate November des Jahres 1912 — in einem
poplektischen Anfall (?) bewusstlos zusammenstürzte; doch erholte
r sich wieder im Laufe der folgenden 14 Tage, ohne dass irgend eine
üörung zurückblieb. Am 25. IV. 13 suchte er zum Zwecke der
Jlutuntersuchung die Ambulanz der Abteilung auf. Die WaR. war
dabei aber neurologisch nichts Pathologisches an ihm zu
»den. Es wurde nun eine Injektionskur mit löslichen Quecksilber¬
igen eingeleitet, die dann mit Hydrargyrum salicylicum fortgesetzt
vurde. Mitten in dieser Behandlung nun klagte der Pat. über
’arästhesien in der Bauchhaut und im linken Bein und jetzt konnte
ehlen des Bauchdecken- und starke Erhöhung der Patellarreflexe
eiderseits, Fussklonus rechts festgestellt werden. Die Kur wurde
artgesetzt, doch bildete sich das Bild einer Myelitis und zwar einer
luerschnittsmyelitis in der Höhe des unteren Dorsalmarkes (Assi-
tcnt Dr. Bi ach, Klinik Prof. Chvostek) immer deutlicher aus.
leiund vom 4. IX. 13: Patellar- und Fussklonus beiderseits. Be¬
rgungen des rechten Fuss- und der rechten Zehengelenke einge-
chränkt. Leichte Hyperalgesie des Abdomens und des linken Beines,
'at. erhielt nun auch 2 Neosalvarsaninjektionen und zwar die erste
u 0,10 am 4., die nächste zu 0,45 am 26. IX. 13. Nach dieser letzten
inspritzung stellte sich bei ihm Schwindel und starkes Erbrechen ein,
as durch fast 6 Wochen anhielt. Ausserdem entstand eine immer
rösser werdende Schwäche in den unteren Extremitäten, so dass
r schliesslich nicht mehr gehen konnte und am 10. XI. 13 mit Wagen
ur Aufnahme ins Spital gebracht wurde. Hier wurde jetzt folgender
lervenbefund erhoben:
Kcpfbewegungen (aktiv und passiv) frei, nicht schmerzhaft;
eder Druck- noch Klopfempfindlichkeit des Kopfes.
Fazialis in allen Aesten ohne Befund; kein Chvostek.
Augen: Pupillen rechts > links: linke Pupille leicht entrundet.
ieide reagieren prompt auf Licht und Akkomodation. Vollständige
.bduzensparese des linken Bulbus, doch bestehen wegen beider-
eitiger Optikusatrophie keine Doppelbilder.
Zunge wird gerade hervorgestreckt.
Rachengebilde ohne pathologischen Befund; die Rachenreflexe
ind etwas herabgesetzt.
Obere Extremitäten: Grobe motorische Kraft des rechten und
nken Armes erhalten, keine Atrophien; die motorische Kraft der
inger der rechten Hand gegen die der linken herabgesetzt. Ataxie
eringen Grades der rechten und linken Hand.
Untere Extremitäten: Motorische Kraft im Hüft- und Kniegelenke
?chts und auch links erhalten; im rechten Fussgelenke herabgesetzt,
trophie leichten Grades des rechten Ober- und Unterschenkels,
taxie links rechts, namentlich beim Kniehackenversuch. Beim
ehversuch, bei dem der Pat. gestützt werden muss, setzt er ataktisch
ie Füsse übereinander. Häufiges Einknicken im linken Knie- und
prunggelenk.
Reflexe: Muskel- und Periostreflexe beider oberen Extremitäten
esteigert.
Bauchdeckenreflexe rechts > links.
Patellarklonus beiderseits; Fussklonus rechts > links.
Babinski: rechts und links Plantarflexion.
Sensibilität: Beim Stecknadelversuch sind die Angaben am
ntcrschcnkel beiderseits ungenau, sonst prompt.
Schmerzempfindung bei tiefen Nadelstichen überall gleich.
Lageempfindung: an den unteren Extremitäten, namentlich links
robe Störungen. Das stark im Kniegelenk gebogene linke Bein wird
ir gestreckt gehalten, die jeweilige Stellung der Zehen wird un-
enau angegeben. Die Bewegungen im Hüftgelenk werden prompt
espürt
Temperatursinn: warm und kalt werden an den Unterschenkeln
ur unsicher, sonst prompt angegeben.
Sterecgnostischer Sinn nicht gestört.
Der Patient wurde nun während seines Spitalsaufenthaltes weiter
tiergisch antiluetisch behandelt und erhielt 12 Injektionen einer
proz. Sublimatlösung, hierauf noch 10 Einspritzungen von Hydrar-
vrum salicyl. ä 0,05 ccm und 3 intravenöse von Neosalvarsan. Er
onnte bereits am 10. XII. gehfähig entlassen werden. Die vor
enigeu I agen, am 18. VI. 1914 vorgenommene Nachuntersuchung
gab: Rechte Pupille noch etwas weiter als die linke; beide prompt
tagierend. Leichte Steigerung der Periost- und Sehnenreflexe an
-ii oberen Extremitäten ohne Herabsetzung ihrer motorischen Kraft;
dne Ataxie, keine Sensibilitätsstörung. An den unteren Extremitäten
nj* die Reflexe beiderseits gesteigert, doch besteht kein Patellar-
id kein Eussklonus mehr. Rechts besteht noch eine Andeutung von
abinski und Oppenheim. Doch ist beiderseits keine Ataxie, keine
eusif iiitätsstörungen oder Störung der Lageempfindung vorhanden.
Es handelte sich also nach den Berichten um eine Lues
irebro-spinalis, die 25 Jahre nach der Infektion die ersten
rscheinungen machte und während einer Quecksilberkur zur
vollen Entwicklung kam. Zu den anfänglichen Symptomen
einer Querschnittsmyelitis traten nach zwei kleinen Dosen von
Neosalvarsan Zeichen einer Erkrankung auch des Gehirns
hinzu (Erbrechen, Schwindel, Anisokorie), während gleich¬
zeitig die Störung der unteren Extremitäten noch stärker
wurde.
Durch die Weiterführung einer kombinierten Behandlung
konnten die subjektiven Beschwerden vollständig, die objek¬
tiven Erscheinungen grossenteils behoben bzw. gebessert
werden, so dass der Patient arbeitsfähig entlassen werden
konnte.
Bücheranzeigen und Referate.
Hans M u c h - Eppendorf : Die Imniunitätswissenschaft. Eine
kurz gefasste Uebersicht über die biologische Therapie und Diagnostik
für Aerzte und Studierende. Zweite, völlig umgearbeitete Auflage.
Wurzburg 1914. Curt Kabitzsch. Preis geh. 8 M., geb. 9 M.
Es ist dem Referenten ein besonderes Vergnügen, die zweite
Auflage von Muchs „Immunitätswissenschaft“ anzuzeigen. Die
gründliche Umarbeitung lässt auf Schritt und Tritt den rastlos for¬
schenden und mitarbeitenden, nie mit dem Erreichten zufriedenen
Geist erkennen. Eine stets wache, manchmal anspruchsvolle Kritik
und das Bestreben, von einer höheren überblickenden Warte aus
die Summe der Einzelerscheinungen zu sichten und sie umfassenden
Gesichtspunkten und Prinzipien unterzuordnen, leuchtet überall zwi¬
schen den Zeilen heraus und macht das Studium des Buches be¬
sonders reizvoll. Dass sich die Gedanken gelegentlich noch höher
erheben in das allgemein gültige Reich des Philosophischen hinein,
kann bei dem Dichter von „Denken und Schauen“ nicht überraschen.
Dass sich mit dieser künstlerischen Intuition aber straffer, wissen¬
schaftlich geschulter Geist in glücklichem Gefüge eint, dessen sind
die ganzen bisherigen Arbeiten Muchs und auch das vorliegende
Buch Zeuge. Es umfasst mit seinen 284 Seiten das ganze Gebiet der
Immunitätswissenschaft und hat auch noch Raum für technische
Einzelheiten. Wir wünschen dem Werke Muchs eine weitere ge¬
deihliche Entwicklung und eine dankbare Resonanz in Kollegenkreisen.
L. S a a t h o f f - Oberstdorf.
Dr. Leo H i r s c h 1 a f f - Berlin: Suggestion und Erziehung.
Heft 2 der Zwanglosen Abhandlungen aus den Grenzgebieten der
Pädagogik und Medizin, herausgegeben von Th. Heller- Wien und
G. Leubuscher - Meiningen. Berlin 1914. Verlag von Julius
Springer. Preis 6 M.
Hirschlaff hat zwei Jahrzehnte einer ausgedehnten prak¬
tischen und literarischen Erforschung des Wesens des Hypnotismus
und der Suggestion gewidmet. Das vorliegende Werk enthält das
Resultat dieser Arbeit. Ein erster Teil liefert eine — fast zu voll¬
ständige — Uebersicht über das gesamte Material zum Thema der
suggestiven Erziehung, wobei auch die in Betracht kommenden aus¬
übenden Persönlichkeiten eine (oft für sie peinliche) Beleuchtung fin¬
den. Im zweiten Teil gibt der Autor dann eine kritische Darstellung
und Erklärung der Tatsachen der Suggestionslehre. In den ab¬
schliessenden Betrachtungen des zweiten Teils versucht er schliess¬
lich zu überzeugen, dass die These von der erzieherischen Bedeutung
der Suggestion und Hypnose mit der wissenschaftlichen Erkenntnis
dieser beiden Faktoren in einem unlösbaren Widerspruche steht.
Das Wesen der Suggestion und das Wesen der Erziehung stehen in
einem völligen inneren Gegensatz. Die Möglichkeit einer suggestiven
Erziehung muss deshalb endgültig abgewiesen werden.
Albert Uffenheimer - München.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medizin. 80. Band, 5. u. 6. Heft.
A. Galambos und B. Tausz: Untersuchungen über den Ei¬
weissstoffwechsel beim experimentellen Pankreasdiabetes. II Mit¬
teilung. (Aus der med. Klinik in Pest.)
Die Verarbeitung des Eiweisses zu normalen Endprodukten
sichert die innere Sekretion des Pankreas. Insuffizienz dieser inneren
Sekretion erzeugt eine Hyperaminosurie. Die Pankreashyperaminos-
urie und die Pankreasglykosurie sind analoge Erscheinungen. Leber¬
erkrankungen und infektiöse Erkrankungen können von einer Aminos-
urie ebenso begleitet sein wie von einer alimeniären Hyperglykämie
oder alimentären Glykosurie. Es ist wahrscheinlich, dass den beiden
Stoffwechselstörungen in diesen Fällen eine gemeinsam^ Ursache zu¬
grunde liegt, und es ist möglich, dass diese Ursache in einer herab¬
gesetzten inneren Sekretion des Pankreas oder in einer durch eine
Krankheit herabgesetzten Wirkung des inneren Sekretes des Pan¬
kreas zu suchen ist.
A. Lawrynowicz: Ueber die Ausscheidung anisotropen
Fettes mit dem Harn im Zusammenhang mit dessen Ablagerung in den
Organen. (Aus dem städt. Obuchow-Männerhospital in Petersburg.)
Die Untersuchungen ergaben: Bei 12 akuten Nierenentzündungen
wurden nur 2 mal ganz geringe Mengen anisotropen Fettes im Harn
gefunden. Bei chronisch-parenchymatöser Nephritis wurde nur in 2
2*
2280
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 47
von 21 Fällen anisotropes Fett im Harn vermisst. Bei 12 Fällen
chronisch-interstitieller Nephritis wurde nie anisotropes Fett gefunden.
Bei 3 Fällen von allerdings nur klinisch festgestellter amyloider De¬
generation fand sich stets, bei 5 Fällen von Stauungsniere nur ein¬
mal, und zwar in unbedeutender Menge anisotropes Fett im Harn.
Pathologisch-anatomische Untersuchungen ergaben Ablagerungen von
anisotropem Fett in der Aortenintima, seltener in der Milz, im Kno¬
chenmark und in der Leber, stets in der Rindensubstanz der Neben¬
nieren, in letzterer in einem Fall in ungeheurer Menge. Die Ablage¬
rung von anisotropem Fett in den spezifischen funktionellen Zellen
der Organe setzt eine vorhergehende Infiltration mit isotropem Fett
voraus, welches dann allmählich mit Cholesterinverbindungen sich
sättigt und eine anisotrope Umwandlung erleidet. Tropfen des aniso¬
tropen Fettes gelangen mit zerfallenden Zellen des Epithels in die
Harnkanälchen und werden so durch den Harn ausgeschieden. Da der
ganze Prozess Zeit braucht, findet sich bei akuten Nierenentzündungen
so gut wie nie anisotropes Fett im Harn. Die Myelinose der Nieren
ist als Folge einer Störung des Cholesterinumsatzes im Organismus,
bestehend in einer allgemeinen Neigung zu Cholesterinverfettungen
zu betrachten. Anisotropes Fett im Harn weist auf eine langdauernde
Erkrankung des Nierenparenchyms hin, die Zellen werden nur mit
Mühe mit dem sich ablagernden anisotropen Fett fertig und zerfallen
gewöhnlich bei der Ausscheidung desselben. Da als Quelle des
Cholesterins hauptsächlich die Nahrung anzusehen ist, so kann durch
diätetische Massnahmen eingewirkt werden. Eigelb, Hirn, Sahne
und Fette überhaupt sind aus der Nahrung auszuschliessen.
W. Janowski: Der Blut- und Pulsdruck bei Arteriosklerose,
und Nephritis.
Bei 12 Proz. von 200 Fällen von Arteriosklerose war der Blut¬
druck gesteigert; bei 88 davon zwischen 120 und 160 mm, bei
51 Fällen 180 — 200, in 6 Fällen über 200 mm. Von 62 Sklerotikern,
welche eine Herzmuskeldyskompensation überstanden hatten, hatten
42 normalen Blutdruck, nur 4 einen Druck zwischen 140 und 160. Der
niedere Druck ist durch die weit fortgeschrittene Herzerkrankung be¬
dingt. Der Pulsdruck war nur bei 21 von 42 derartigen Kranken
zwischen 30 und 40 mm. Von 18 Kranken mit erhöhtem Blutdruck,
die eine Dyskompensation durchgemacht hatten, hatten nur 3 einen
niedrigeren Pulsdruck als 60 mm. Bei 50 Fällen von Arteriosklerose
mit Nierenleiden war in 4 Fällen sicher Myokarditis vorhanden, dabei
der Blutdruck zwischen 128 und 144 mm, der Pulsdruck zwischen
48 und 90 mm; bei den übrigen war der Blutdruck erheblich ge¬
steigert, bei 29 davon über 180 mm; der Pulsdruck bei 75 Proz. dieser
Gruppe zwischen 70 und 135 mm. Die Fälle von Arteriosklerose und
Nephritis zeigten die höchsten Blutdruckwerte. Bei 7 Fällen akuter
Nierenentzündung war der Blutdruck zwischen 130 und 185 mm. Bei
16 Fällen chronischer Nephritis war der Blutdruck und der Pulsdruck
normal, bei 84 gesteigert, davon bei 38 die Höhe von 180, 200 und
mehr erreichend.
E. R e i s s - Frankfurt a. M.: Zur Kritik und Einteilung der
Urämie. II. Teil: Die psychotische Urämie und die Mischformen.
Bei der psychotischen Form der Urämie, von der der Verfasser
3 Fälle beschreibt, kommen Zustände starker Verwirrtheit, Wahn¬
vorstellungen und Sinnestäuschungen sowie tiefes (nicht nur agonales)
Koma zur Beobachtung. Diese Zustände sind oft sehr flüchtig, ver¬
schwinden und kehren wieder, zuweilen mehrmals in einem Tag. Die
Affektion braucht nicht von einer nennenswerten Störung der
äusseren Nierensekretion begleitet zu sein; in den 2 zur Obduktion
gelangenden Fällen war ausgesprochene Sklerose der Hirnarterien
vorhanden. Die Mischfälle, von denen der Verfasser 6 beschreibt,
können alle bei den einzelnen Urämiegruppen vorkommenden Er¬
scheinungen darbieten, oft jedoch in wenig charakteristischer Weise.
Bei 2 weiteren Fällen waren klinisch wie anatomisch die Merkmale
einer Hirnläsion vorhanden, ausserdem aber liess sich die Annahme
nicht von der Hand weisen, dass ein urämischer Zustand mit im Spiel
war. Bei der asthenischen Form der Urämie findet sich eine mehr
oder weniger vollständige Sperrung der Nierenpassage, die auch zu
einer Vermehrung des Reststickstoffs führt, während bei den reinen
Formen der beiden anderen Gruppen, der Krampfurämie und der
psychotischen Urämie sich keine derartige Störung nachweisen lässt.
Die Stoffe, welche diese Formen hervorrufen, sind nicht durch man¬
gelhaftes Ausscheidungsvermögen der Nieren zurückgehalten. Ueber
ihren Entstehungsort und ihre Natur können vorderhand nur Ver¬
mutungen angestellt werden. Die psychotische Form der Urämie
wird durch die in vielen Fällen nachgewiesene Sklerose der Gehirn¬
arterien begünstigt, ihr Krankheitsbild unterscheidet sich aber doch
in vielen Punkten von dem der reinen Sklerose der Hirnarterien und
ist darum von dieser prinzipiell zu trennen. Bei den Mischformen
können natürlich alle bei den einzelnen Gruppen vorkommenden
Symptome vorhanden sein, für ihre Entstehung kommt die Summe
aller denkbaren Ursachen in Betracht. Sie stellen wahrscheinlich
die Mehrzahl aller Urämien dar, da reine Fälle der Gruppen 1 — 3
relativ selten sind. Einige der bei der Urämie vorkommenden Er¬
scheinungen sind in dieser Einteilung noch nicht untergebracht, so
dass möglicherweise noch andere Gruppen umschrieben werden
können.
E. R e i s s - Frankfurt a. M.: Zur Klinik und Einteilung der
Urämie. III. Teil: Urämie und Wasserhaushalt.
Der Verfasser fasst seine über die einzelnen Formen der Urämie
aufgestellten Schlusssätze zusammen und bemerkt, was den Wasser¬
haushalt anlangt, dass in der Mehrzahl der Fälle von Urämie die am
Eiweissgchalt (nach K j e 1 d a h I) gemessene Konzentration des Blut
Serums innerhalb oder über der Norm lag, auch dann, wenn durcl
grosse Flüssigkeitszufuhr, Aderlass usw. eine Verdünnung erstreb
worden war. Hieraus geht im Zusammenhalt mit anderen experimeti
teilen und klinischen Ergebnissen hervor, dass bei der Urämie di«,
normalen Beziehungen zwischen Wasser und gelösten Substanzei
gestört sind. Dem Urämiekranken fehlt die Fähigkeit einer zweck
entsprechenden Verdünnung seiner Körpersäfte. Dieser Störun;
kommt eine Bedeutung als auslösendes Moment der urämischen Er
scheinungen zu.
Zc'ntralblatt fiir Chirurgie. 1914. Nr. 45.
Prof. G. K c 1 1 i n g- Dresden: Pinzette mit Innensehieber zui
Einstülpung des Wurmfortsatzstumpfes.
Y erf. empfiehlt eine Pinzette, an der innen eine kleine Zungt
angebracht ist, um den Wurmfortsatzstumpf gut einstülpen zu können!
Die Pinzette ist an der Hand von 4 Skizzen genauer beschrieben
ihre Handhabung ist einfach, ihre Funktion sicher.
E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Band 80. Heft 2.
Johann v. Bökay: Ueber die Heilungsmöglichkeit der Menin
gitis tuberculosa.
Den aus der Literatur zusammengestellten Fällen von geheilte;
Meningitis reiht der Verf. 3 Beobachtungen an, durch welche er di<
Heilung bzw. die Möglichkeit der Rückbildung bestätigen kann. In
gereifteren Alter — unter 2 Jahren verlief kein einziger Fall günstii
— besteht nach Bökay die Möglichkeit der Heilung in erster Linit
in jenen Fällen, in denen die tuberkulöse Infektion des Organismu!
sich ausschliesslich oder sozusagen bloss auf die Hirnhäute erstreckt
d. h. neben der tuberkulösen Infektion der Meningen eine Infektion
der übrigen Organe entweder ganz fehlt oder nur in sehr geringen
Masse vorhanden ist; z. B. zirkumskripte käsige Peribronchialdrüsen!
tuberkulöse. In den Fällen, wo die Meningitis nur eine Teilerschei;
nung der allgemeinen Miliartuberkulose ist, ist die Möglichkeit eine
Heilung natürlich ganz ausgeschlossen. Als die Naturheilung unter
stützende Massnahmen werden vom Verf. die Trepanation des Scliä
delgewölbes mit ständiger Drainage und die systematische Lumbal!
Punktion nach Quincke vom Verf. anerkannt.
Erich Klose: Zur Kenntnis der Körperzusammensetzung be
Ernährungsstörungen. (Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik ii
Breslau. Leiter: Prof. Tob ler.)
Klose fasst seine mühevollen Untersuchungsergebnisse dahi;
zusammen, dass der Haut des Neugeborenen eine beträchtlich höher
prozentuale Beteiligung am Körperaufbau zukomme als beim Er
wachsenen. Dagegen tritt der Anteil der Muskulatur am Körper
aufbau, der beim Erwachsenen dominiert, beim Neugeborenen star!
zurück (ca. 25 Proz. gegenüber 40 Proz., Ref.). Während beim nor
malen Neugeborenen die Muskulatur den grössten Teil des Körper
wassers speichert, kann dies unter pathologischen Verhältnissen di:
Haut übernehmen, auch die Knochen können Wasser aufspeicherr
Das Problem der pathologischen Wasserbindung im Säuglingsorgar.is
mus scheint sich als ein recht komplizierter Vorgang zu erweiscr
Bei dem Oedem konnten in unserem Falle jedenfalls keine ein!
fachen und eindeutigen Beziehungen zwischen Wasserbindung un<
Chlor- und Natriumanreicherung gefunden werden Am meiste
scheint noch das Chlor zur Wasserspeicherung in Beziehung z
stehen. Die Wasserbindung des ernährungsgpstörten Säuglings
Organismus darf jedenfalls nicht einfach als Wasserbinduno- bei nephri
tischen Oedemen gleichgestellt werden. Die Konstanz der relative
Zusammensetzung sowohl der einzelnen Organsysteme als auch de
Gesamtkörpers ist im untersuchten Falle von extremer Ernährungs
Störung nicht gewahrt geblieben. — Literatur.
Siegfried Wolff und Walter Lehmann: Ueber Pneumn
kokkenmeningitis und ihre Behandlung mit Optochln. (Aus der Kin
derabteilung des städt. Krankenhauses in Wiesbaden. Leiter: Pro'
W ej n t r a u d.)
Die Heilung eines schweren einschlägigen Falles durch intra!
lumbale, subkutane und schliesslich intraventrikuläre Optochin
injektionen ohne geringste Schädigung lässt die Autoren diese chemo
therapeutische Applikationsweise des Optochins gegen die Pneumoj
kokkenmeningitis zur Nachprüfung empfehlen. — Literatur.
K. St ölte: Betrachtungen und Erfahrungen über eine wenige
schematische Behandlung von Säuglingen im Krankenhause. (Au
der Kgl. Universitäts-Kinderklinik in Berlin.) (Hierzu 6 Textabbil
düngen.)
Schilderung und Empfehlung einer freieren, mehr individualisieren
den Pflege des Säuglings auf Säuglingsstationen der Kinderklinike
und in Säuglingsheimen zur Erzielung besserer Resultate. Zur Lek
tiire und Beherzigung wärmstens empfohlen.
Literaturbericht, zusammengestellt von A. N i e m a n n - Berlin
O. Rommel- München.
Archiv für Hygiene. 83. Band, 5. Heft. 1914.
Albert Uffenheimer und J. Auerbach - München : An
aphylaxie und Lebertätigkeit.
Von der Tatsache ausgehend, dass zwischen Pepton und Lebe
einige Beziehungen bestehen und andererseits eine grosse Aehnlicli
M. November 1914.
MUKNCHKNKK MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
2281
eit zwischen Peptonvergiftung und dem Zustande des anaphylak-
ischen Schocks vorhanden ist, versuchten die Verfasser Beziehungen
wischen Anaphylaxie und Leber nachzugehen. Die Versuche wur-
!ci: so ausgeführt, dass Injektionen von Pepton in die Vena portae
durch Vermittlung einer Alesenterialvene) und in eine Jugularvene
emacht wurden. Desgleichen kamen auch Versuche mit Rinderserum
ur Durchführung nach Doerr-Rup mit einer Modifikation der
epischen Anordnung. Bei dem intrajugular injizierten Material
erstarben 87,5 Proz. der Versuchstiere, dagegen bei dem intra-
icsenterial verimpften Stofi nur 28,03. Eine Sensibilisierung
iurch die Leber wies bedeutend weniger ausgesprochene Erschei-
uingen auf. als die einer jeden anderen Applikationsart.
R. 0. Neumann - Bonn.
Arbeiten aus dem kaiserlichen (iesundlieitsamte. 48. Bd.
914. 1. Heft.
Küster-Berlin: Die Gewinnung, Haltung und Aufzucht keim-
reier Tiere und ihre Bedeutung für die Erforschung natürlicher
ebensvorgänge.
Verf. gibt in seiner Arbeit einen kritischen Ueberblick über die
.iteratur und die bisher angestellten Versuche zur Entwicklung von
eimfreien Lebewesen. Weiter bringt er den ausführlichen Nach¬
eis, dass es ihm gelungen ist, zweimal ein keimfreies Ziegenlamm
■i gewinnen und in keimfreiem Raume bei keimfreier Nahrung und
eimfreier Luft aufzuziehen. Versuchstechnik und die Schwierig¬
eren, mit denen zu rechnen ist werden mitgeteilt. Er konnte fest-
tellen, dass diese Lämmer sich bis zu 15 Tagen genau so gut. wie
i keimhaltiger Umgebung aufgezogene Kontrolliere entwickeln.
E. Hailer und G. Wolf -Berlin: Weitere Versuche zur Ab-
itung des Typhusbazillus im Organismus des Kaninchens. VI. Be-
andlung unmittelbar in die Gallenblase infizierter Kaninchen mit
erschiedenen Mitteln.
Bei der Fortsetzung früherer Versuche wurden die Kaninchen
lit Fyphusbazillen direkt in die Gallenblase eingespritzt und dann
er os oder intravenös verschiedene Medikamente zur Abtötung des
yphus angewandt. Es kamen in Betracht: Das Metaxylenol,
hymol, Pyrogallol, die Salizylsäure, das Sandelöl, Pinen, Eukolyptol,
imtöl, Metaoxybenzoesäure und Salvarsan. Nur beim Zimtöl konnte
•stgestellt werden, dass in 2 von 5 Fällen Typhusbazillen aus dem
aninchenorganismus verschwanden. Die Einwirkung von Meta-
ylenol, Metaoxybenzoesäure, Sandelöl und Salvarsan war so, dass
ie Typhusbazillen wohl aus der Galle selbst, aber nicht aus der
iallenwand verschwanden. Diese günstige Beeinflussung bildete
her auch nicht die Regel. Thymol, Pyrogallol, Salizylsäure, Pinen
nd Eukalvptol hatten gar keine Einwirkung.
L i n d n e r - Berlin: Zur frühzeitigen Feststellung der Tuber-
ulose durch den Tierversuch.
Die Untersuchungen haben ergeben, dass alle bisher ange-
-benen Methoden zur frühzeitigen Feststellung der Tuberkulose ver-
igen, sowohl die Oppenheimer sehe Leberimpfung, als auch die
uetschung der Kniefaltendrüse nach Bloch. Ebenso ist die sub-
atane Tuberkulinprobe nicht hinreichend zuverlässig und die intra-
utane Tuberkulinreaktion nach Römer nicht unbedingt spezifisch,
ür die einwandfreie Feststellung bleibt nur das Sektionsbild aus-
;hlaggebend.
L i n d n e r - Berlin: Einige Heil- und Immunisierungsversuche
;it Timotheebazillen gegen Tuberkulose an Meerschweinchen, Ka-
nchen und Ziegen mit Bemerkungen über den Verlauf der Ziegen-
iberkulose nach galaktogener Infektion.
E. Gildemeister und K. Baerthlein - Berlin : Ueber
iratyphusähnliche Stämme. (Ein Beitrag zur Paratyphusdiagnose.)
Es wurden eine Reihe Stämme aus der Sammlung des Kais. Ge-
mdheitsamtes mit einander verglichen und dieselben auf Grund
er biologischen und serologischen Merkmale in 4 verschiedene
ruppen geteilt. Einzelheiten können hier nicht erörtert werden.
Hans Pick- Berlin: Zur Bestimmung kleinster Mengen Blei im
eitungswasser.
Das Verfahren gründet sich auf das von Kühn angegebene,
elches sich in 4 Phasen gliedert. 1. Die Fällung des Bleies als PbS
id dessen Filtration, 2. die Oxydation des PbS zu PbSOi, die
erauslösung des PbSOi aus der Filtermasse, 4. die Ueberführung
-s Bleies in eine zur titrimetrischen Bestimmung geeignete Form,
a bei dem Schüttelverfahren mit Asbest scheinbar nur mit ganz
^stimmten Asbestsorten zuverlässige Ergebnisse geliefert werden,
i wurde das Verfahren verändert und vereinfacht. Nunmehr kann
r Bleigehalt bis auf einige Hundertstel Milligramm genau bestimmt
erden. Eisen und Mangan stören nicht.
R. 0. Neumann - Bonn.
Deutsche medizinische Wochenschrift.
Nr. 45. J o c h m a n n - Berlin: Wundinfektionskrankheiten.
Sepsis.
V. C z e r n y - Heidelberg: Zur Therapie des Tetanus. (Schluss.)
Mit 29 Krankengeschichten.
W. Pöppelmann - Coesfeld: Bis zum 20. Oktober behandelte
umdumverletzungen aus dem gegenwärtigen Kriege.
3 Krankengeschichten mit Abbildungen (auch eines Geschosses);
■ handelt sich um englische Geschosse.
A. B i 1 1 o r f - Breslau: Ueber gastrogenc Diarrhöen und das
Vorkommen von Achylia pancreatica bei Achylia gastrica.
Zusammenfassung: Schwere Kreatorrhöe und geringe Steator-
rhöe kommen bei den Durchfällen infolge Achylia gastrica häufiger
vor. Vielfach sind trotzdem die Trypsinmengen im Stuhl und Magen
normal. Eine (funktionelle) Achylia pancreatica wird durch diesen
abnormen Befund der Faezes nicht bewiesen. Sie ist selten, etwas
häufiger ist die Verminderung des Trypsins bei Achylie. Die un¬
gleichartige Ausnutzung der Nahrung ist bei Achylie die Folge be¬
schleunigter Peristaltik und ungenügender Magenverdauung. Der
Röntgenbefund zeigte bei diesen Durchfällen nur eine mässige be¬
schleunigte Magen- und Dünndarmentleerung, stärker beschleunigte
Dickdarmentleerung. Letztere häufig infolge eines chemisch oder
bakteriell bedingten Katarrhs.
M. R u b n e r - Berlin: Der Staat und die Volksernährung.
Im Anschluss an seinen Aufsatz in Nr. 40 betont Verf. die Not¬
wendigkeit für den Einzelnen wie für das Volk, den Nahrungsver¬
brauch und die Ernährungsgewohnheiten dem Kriegszustand anzu¬
passen. Vor allem wäre die Einschränkung des übermässig ge¬
wordenen, auch gesundheitlich nicht bedenkenfreien Fleisch- und Fett¬
verbrauches (z. B. Genuss des einfachen Brotes ohne Butter) sowie
die Ersetzung des Weissbrotes und des Kleinbrotes und des Weizen¬
brotes durch ausgiebigere Verwendung bzw. Beimengung von Roggen¬
mehl erforderlich. Allein durch stärkere Ausmahlung des Weizens Hesse
sich der bestehende Mangel an Weizenmehl vollständig ausgleichen,
ebenso wirksam ist auch das Verbot der Verbitterung von Brot¬
getreide an Tiere. Die von dem Bundesrat erlassenen Brotver¬
ordnungen haben einem oft betonten Bedürfnis entsprochen. Immer¬
hin ist es misslich, dass die gesamte Nahrungsmittelfrage jetzt im
Kriege nur stückweise und unter Schwierigkeiten zu lösen ist, weil
vielfach schwer zu beseitigende Volkssitten entgegenstehen. Die ge¬
eignetste Abhilfe erblickt Verf. in der schon in Friedenszeiten zu
schaffenden, vielleicht aber auch jetzt schon vorläufig gangbaren Er¬
richtung einer staatlichen Organisation oder Zentralstelle für das
gesamte Ernährungs- und Nahrungsmittelwesen, wobei die Erkennt¬
nisse der Wissenschaft sich sehr wohl mit dem praktischen Nahrungs¬
bedarf der einzelnen Landesteile in Einklang bringen lassen würden.
J. Ruhemann - Berlin : Ueber Ortizonwundstifte.
Das Ortizon (feste Verbindung von Wasserstoffsuperoxyd und
Harnstoff) eignet sich in Form von Stäbchen zur Behandlung von
Fisteln und Wundhöhlen.
Schultes - Hohenlychen: Feldärztliche Suspensionsvorrichtung
für verwundete Arme.
Für die Suspension werden die bei jedem Tischler (angeblich
auch in Frankreich) vorrätigen Tischleisten aus Buchenholz (234 m
lang, 2V2 cm breit, 1 cm stark) verwendet, die bogenförmig gespannt
an dem Kopf- und Fussende des Bettes festgebunden werden.
H. L i e p m a n n - Herzberge: Nachruf auf Karl Heilbronner-
Utrecht.
C h r i s t i a n - Berlin: Feststellung der Typhus- und Cholera¬
diagnose im Feldlaboratorium.
Ueberblick über die getroffenen Einrichtungen.
Z e r n i k - Wilmersdorf: Neue Arzneimittel, Spezialitäten und
Geheimmittel.
F r ä n k e 1 - Breslau: Kurze feldärztliche Mitteilung über Blut¬
stillung.
F. empfiehlt folgenden Druckverband: Mit einer Naht wird auf
der einen Seite vor der Wunde eingestochen, der Faden wird über
einen Tampon, der auf der Wundfläche liegt, nach der anderen Seite
der Wunde geführt und dort in gleicher Weise durchgestochen, dann
über dem Tampon geknotet. Die Naht wird nach vollendeter Blut¬
stillung bald entfernt. B e r g e a t - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Berlin. Juli— September 1914.
J affe Herrn.: Zur Klinik urethral mündender überzähliger Ureteren.
Straube Elisabeth: Ueber die Behandlung der Spondylitis tuber-
culosa in Leysin und die damit erzielten Resultate.
Wortmann Heinrich: Sind die Vaginalkeime imstande Fäulnis zu
erregen? Ein bakteriologischer Beitrag zur Frage der Selbst¬
infektion.
Braun Edgar: Ueber den Liquor cerebrospinalis in Hinblick auf die
Salvarsantherapie der Metalues.
Brumberg Marscha: Ueber Bauchfelltuberkulose mit besonderer
Berücksichtigung neuerer Behandlungsmethoden (Gaseinblasungen
in die Bauchhöhle).
Willer Alfred: Ueber das Herz der Selachier mit besonderer Be¬
rücksichtigung des Reizleitungssystems.
Borissowsky Nuchim: Ueber den Knochenabszess.
Gutstein Michael: Histologische Untersuchungen über die Musku¬
latur der rachitischen Kinder.
Rossels Alexander: Ueber die Prognose des primären Scheiden¬
krebses.
S i r 0 t a Lew: Katatonie und organisch-nervöse Begleiterscheinungen.
Hey mann Kurt: Beitrag zur Kenntnis der Myositis syphilitica und
Beschreibung eines Falles von Massetergummi mit anschliessen¬
der Subluxation der Mandibula.
2282
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 47
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 11. November 1914.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr Hansemann.
Herr Morgenrot h: Chemotherapie der Pneumokokken¬
infektionen.
Vortr. berichtet zunächst über die chemischen und tierexperimen-
tellcn Grundlagen der von ihm inaugurierten Chemotherapie der
Pneumokokeninfektionen mit Hydrochininderivaten, als deren wirk¬
samstes sich das Aethylhydrokuprein erwiesen hat, das unter dem
Namen 0 p t o c h i n als salzsaures Salz (Optochin. hydrochlor.) in den
Handel gebracht ist. Die therapeutische Wirksamkeit bei den ex¬
perimentellen Pneumokokkeninfektionen der Mäuse und Meerschwein¬
chen ist eine ausserordentlich grosse. In der Therapie der mensch¬
lichen Pneumokokkeninfektionen hat das Mittel namentlich beim Ulcus
seipens corneae nach den übereinstimmenden Aussagen aller Augen¬
ärzte sich aufs beste bewährt. Ueber die Wirksamkeit bei der Pneu¬
monie müssen noch weitere Erfahrungen gesammelt werden, doch
schon nach den bisher vorliegenden Mitteilungen scheint das Mittel
berufen, bei richtiger und namentlich rechtzeitiger Anwendung im Be¬
ginn der Erkrankung den Verlauf wesentlich milder zu gestalten und
abzukürzen. Namentlich bei der Pneumonie der Soldaten im Felde,
die eine erschreckend hohe Mortalität hat, sollte man das Optochin
von vornherein geben. Bei Anwendung von 3 mal 0.5 g täglich sind
Nebenwirkungen noch nicht beobachtet worden. Ueberhaupt ist bis¬
her noch kein einziger Fall einer dauernden Schädigung des Seh¬
vermögens durch Optochin nachgewiesen worden. Die Wirkung des
N e u f e 1 d - H ä n d e 1 sehen Pneumokokkenserums wird durch das
Optochin wesentlich unterstützt und sein wirksamer Schwellenwert
stark herabgesetzt. Vielleicht lässt sich durch gleichzeitige Optochin-
darreichung die sonst erforderliche Menge von mindestens 75 ccm
Pneumokokkenserum intravenös herabsetzen.
(Fortsetzung des Vortrages in der nächsten Sitzung.)
Erich Leschke - Berlin.
Freie militärärztliche Vereinigung zu Erlangen.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 13. November 1914.
Vorsitzender: Generalarzt Prof. Dr. Penzoldt.
Herr v. Kryger stellt folgende Fälle mit Schädelschüssen vor:
1. (Franzose) Verletzung des linken Parietallappens mit spasti¬
scher Diplegie der Beine, Aphasie, Lähmung des rechten Fazialis
und des rechten Armes. Entfernung von Knochensplittern aus dem
Gehirn. Vollkommene Wiederherstellung des Fazialis, des Armes und
der Sprache, Diplegie der Beine unverändert. — 2. Zwei Fälle von
Rinnenschuss mit Splitterung der Tab. interna und sensorisch-motori¬
scher Aphasie, die sich langsam bessert. — 3. Kind mit Schädel-
depression und Entstehung einer Flüssigkeitsansammlung unter der
Galea bei seitlicher Haltung des Kopfes, die nach Geradestellung des
Schädels wieder verschwindet.
Im Anschluss daran berichtet Herr Kreut er über seine Erfah-
i ungen an Gehirnverletzungen und referiert über folgende Fälle:
1. Schuss in der linken Schläfengegend mit grossem Prolaps, Aphasie,
Hemiplegie. Abszesserscheinungen; mehrfache Punktionen ergebnis¬
los; Exitus. Abszess in den Corpora quadrigemina. — 2. Schuss nahe
der Mittellinie mit spastischer Diplegie der Beine, Parese des linken
Armes; Trepanation, Entleerung eines Abszesses in der rechten
Hemisphäre; Fortdauer der Erscheinungen, wiederholte Punktionen
ergebnislos, Meningitis, Tod. Kleiner Abszess in der linken Hemi¬
sphäre mit Durchbruch. — 3. Tangentialschuss mit Diplegie der Beine;
Hebung der Depression; fortschreitende und nahezu vollständige Re¬
stitution. — 4. Steckschuss tief im Mark der rechten Hemisphäre mit
Lähmung des linken Unterschenkels. Entfernung des Granatsplitters;
vollständige Genesung. — 5. Tangentialschuss am Hinterkopf mit
Splitterung der Tab. interna und lokaler Zertrümmerung des Gehirns
ohne Ausfallserscheinungen; Trepanation; Heilung. — 6. Kleinhirn¬
schuss mit vorübergehendem Schwindel und leichten Sehstörungen,
konservativ behandelt, geheilt. — 7. Angeblicher Glassplitter (nach
Schlag mit einer Bierflasche) in der Schädeldecke, welcher das Tragen
des Helmes erschwerte. Lokalanästhesie ergibt Metallteil im Kno¬
chen so fest sitzend, dass Trepanation nötig, welche eine abge¬
brochene Messerklinge zum Vorschein bringt, die 3 — 4 cm
tief in der Gehirnsubstanz steckte. Trauma lag 2 Monate zurück,
der Verletzte war 6 Wochen mit dem Fremdkörper im Schädel im
Felde gestanden. Heilung
Diskussion: Hauser, Könige r, Kreuter, v. Kry¬
ger.
Herr Euler bespricht seine Erfahrungen bei 50 Fällen von
Kieierschüssen (rund 1 Proz. aller Patienten); sie wurden in den
zwei ersten Kriegsmonaten im Reservelazarett Ingolstadt beob¬
achtet. Sie verteilten sich wie folgt: Oberkiefer 17 mal. Unterkiefer
-5 mal, beide Kiefer zugleich 8 mal. Die Hälfte der Verletzungen
war schwerer Natur, namentlich im Unterkiefer infolge der hier vor
herrschenden starken Splitterungen; von einer Resektion konnte abei
in jedem Falle abgesehen werden.
Anschliessend an den Bericht eine kurze Uebersicht über zahn
ärztlich-spezialistische Behandlungsmethoden bei Kieferschüssen mi'
Demonstration von Schienen für Unterkieferbrüche. Kreuter.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1686. Ausserordentliche Sitzung vom 21. Septem¬
ber 1914, abends 7 Uhr im Sitzungssaal.
Vorsitzender: Herr Quincke.
Schriftführer: Herr B a e r w a 1 d.
Herr Pinner: Aneurysma arterio-venosum an der Arteria et
Vena femoralis; radikal operiert. (Demonstration.)
Herr G. L. Dreyfus: Ueber die Behandlung des Tetanus.
Vortragender bespricht zunächst einige experimentelle Tat¬
sachen, die für die Behandlung des Tetanus mit Antitoxin von Be¬
deutung sind.
Sodann berichtet er über den derzeitigen Stand der Antitoxin¬
behandlung. Nur mit grossen, täglich bis zur Besserung einzuver¬
leibenden intralumbalen und intravenösen Dosen von
Antitoxin ist überhaupt bei schweren Fällen eine Rettung zu erhoffen.
2 einschlägige, in der Klinik beobachtete Fälle unterstützen diese
Ansicht.
Unter allen Umständen sollte so früh wie möglich und so ener¬
gisch wie möglich die Antitoxinbehandlung eingeleitet werden.
Was die Magn.-sulf.-Therapie anlangt, so ist die intralumbale
Therapie zweifellos recht gefährlich und sollte nur dann Anwendung
finden, wenn der betr. Fall infolge der Atemkrämpfe oder Atem¬
lähmung zugrunde zu gehen droht.
Die subkutane Anwendung von Magn. sulf. birgt bei grossen
Dosen (18 — 25 g p. d.) offensichtlich schwere Schädigungen für das
Herz in sich.
Die Baccellische Behandlung mit 3 proz. Karbolsäure (am
ersten Tag im ganzen 0,45 g, an den folgenden Tagen 1 — VA g Phe¬
nol) verdient mehr beachtet zu werden, als es bisher geschehen.
Diskussion: Herr Sachs weist darauf hin, dass im all¬
gemeinen in der Serumtherapie möglichst viel und möglichst früh
injiziert werden soll. Für die Magnesiumsulfattherapie empfiehlt sich
vielleicht auf Grund neuerer Erfahrungen von Meitzer eine Kom¬
bination von Magnesiumsulfat und Aether, wodurch beide in erheb¬
lich geringerer Dose zur Anwendung gelangen können.
Herr U n g e r weist an Hand eines der beobachteten Fälle
nochmals auf die Ungefährlichkeit sehr grosser Dosen von Heilserum
hin. Der Pat. bekam bis 11 Antitoxineinheiten pro die und Körper¬
gewicht, im ganzen in wenigen Tagen 2500 AE., was allein cie
Einverleibung von 500 ccm artfremden Serums bedingte. Auser dem
schon erwähnten aseptischen Meningenreiz und einem sehr flüchtigen
urtikariaartigen Exanthem war nichts Nachteiliges zu bemerken.
Herr J o u r d a n.
Herr Quincke bestätigt, dass im Beginn des Tetanus Schling¬
beschwerden vorwiegendes Svmptom sein können; ein leichter, chro¬
nisch verlaufender Tetanusfall wurde ihm einmal mit der Diagnose
„Angina“ auf die Klinik geschickt. — Manche Tetanuskranke sterben
ausserhalb des Krampfzustandes, bei völlig schlaffer Muskulatur. Der
von Herrn Dreyfuss betonte Krampf der Atmungsmuskeln kann daher
ebensowenig als eigentliche Todesursache angesehen werden wie die
in früherer Zeit dafür beschuldigte Höhe der Körpertemperatur. —
1,5 Phenol, die Baccelli intramuskulär einspritzt, gelten sonst für
lebenbedrohend.
Herr Schott, Herr Dreyfus.
Herr Lehmann: Die grösseren Karboldosen, die Tetanus¬
kranke vertragen, erklären sich daraus, dass die Karbolsäure in erster
Linie als Sedativum wirkt und gleichsam die erhöhte Reflexerregbar¬
keit des Nervensystems ausgleicht, die Toleranz gegen alle Sedativa 1
und Narkotika ist eben bei Tetanuskranken bedeutend gesteigert.
Diskussion über aktuelle Fragen der Verwundetenfürsorge.
Schluss: 9 Uhr.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 3. Oktober 1914.
Vorsitzender: Herr Brauer.
Herr Dreyfuss bespricht die von ihm gesehenen Verletzungen
durch die Fliegerpfeile.
Herr R o t h f u c h s demonstriert 2 verwundete Soldaten, bei
denen es sich um eine Verletzung des Sehzentrums handelt. Der erste
erhielt einen Tangentialschuss am Hinterhaupt, durch den er 3 Tage
bewusstlos war. Als er erwachte, war er blind, nach einigen lagen
stellte sich das Sehvermögen wieder ein und es war bei der Ge-
sichtsfeldaufnahme eine komplette homonyme Hemianopsie zu kon¬
statieren. Es wurde trepaniert und eine walnussgrossc Abszesshöhle
24. November 19 1*4.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2m
nit Knochensplittern gefunden. Der Gesichtsfeldausfall ist geblieben.
Der zweite Fall ist ein Parallelfall, nur dass die Hemianopsie recht-
'Citig war. während sie im ersten Falle die linke Seite betraf.
Herr Liebknecht zeigt einen dritten Fall, der die gleiche
Schädigung zeigt. In diesem Falle nahm die doppelseitige homonyme
Hemianopsie immer zu. Das Gesichtsfeld wurde sehr stark eingeengt
Dabei hob sich aber auffallender Weise die Sehschärfe. Demnach
scheint die Monakow sehe Annahme über den Sitz des Sehzentrums
richtig.
Herr B ö 1 1 i g e r demonstriert zwei Kriegsverwundete aus dem
Hafenkrankenhause: 1 einen Streifschuss ain rechten Os parietale
ind 2. Verletzung des Rückenmarks in Höhe des ca. 6. und 7. Dorsal¬
segmentes.
Herr Janckel stellt den von v Bergmann in der letzten
Mtzung gezeigten Soldaten mit einem Geschoss im Perikard, das frei
) e w e g 1 i c h war. nunmehr durch Perikardiotomie von dem Fremd¬
körper befreit und geheilt vor. Die allmähliche Aufsaugung des
läniatopneumoperikard nach der Operation wird durch eine Reihe
Röntgenbilder illustriert.
2. Aneurysma arteriovenosuin communicans der Brachialis, durch
solierte Naht der Arterie und Vene geheilt.
3. Eine grössere Anzahl schwerer Schussverletzungen, die z. T.
iurch Querschläger, z. T. durch Dumdumgeschosse verursacht sind,
t'ortr. bespricht die differentialdiagnostisch wichtigen Momente,
deinem Einschuss entspricht am Ausschuss eine enorme Explosiv-
ivirkung: die Haut ist ähnlich den grossen Karbunkelquerinzisionen
aiseinandergeplatzt.
Herr Haenlsch zeigt 4 Fälle, die den Nutzen exakter Rönt¬
genuntersuchung von Schussverletzten beweisen.
Herr Sudeck: Bisherige Erfahrungen über Kriegsinfektionen.
I. Teil: Tetanus.
Vortr. betont, wie ausserordentlich gering die Statistik eines Ein-
'elnen zu bewerten ist und wie der erzielte Erfolg nicht immer auf
he angewandte Therapie zu beziehen ist. Der Virulenzgrad der
i etanusbazillen ist der unbekannte Faktor, mit dem zu rechnen ist.
Die kausale Tetanustherapie hat mit der Freilegung und Des-
nfektion der Wunde zu beginnen, wenn angängig Amputation. Ver-
orgung der Wunde äusserlich mit Antitoxin, auch Sauerstoffinsuffla-
ionen sind zu empfehlen. Dann spielt die subkutane, intravenöse und
ntradurale Infektion von Antitoxin die Hauptrolle. Die theoretische
kdeutung des Antitoxins wird besprochen; das Antitoxin bindet das
loch auf dem Transport befindliche Toxin, ist das Toxin erst mit der
'lervensubstanz verankert, ist es durch das Antitoxin nicht mehr zu
rreichen. Die Serumbehandlung soll so früh und so energisch wie
nöglich einsetzen. Symptomatisch kommen Narkotika wie
Morphium, Chloral, Skopolamin in Betracht. Der Tod tritt durch Er-
chöpfung und Erstickung ein; also ist nach Melzers Vor-
:ehen die Tracheotomie mit Sauerstoffinsufflation in die Tra-
hea zu empfehlen. Auch die vom gleichen Autor empfohlene
vlagnes.-sulfur.-Behandlung hat sich bewährt: 10 ccm einer 10 bis
'5 prozentigen Lösung intradural haben oft prompt gewirkt. Als
Vntidote bei einer Magnes.-sulfur.-Zuvielwirkung hat sich Kalzium
icwährt. — Ferner bespricht S. noch kurz die Baccellische Phenol-
>ehandlung. Unter den 600 Verwundeten seiner Station trat 6 mal
etanus auf, i. e. in 1 Proz.; davon starben 2.
Diskussion vertagt. Werner- Hamburg.
Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 14. Ju n i 1914.
Herr Klar: Demonstrationen.
L 5 jähriger Junge mit Ostitis fibrosa cystica im linken Ober-
rmkopf. Wie prognostiziert, hat sich infolge der bereits im Durch-
euchtungsbilde demonstrierten Oberarmfraktur in der Zyste ein
vfillus gebildet, der die Zyste allmählich ganz ausfüllt.
2. Demonstration eines 11 jährigen Knaben mit beiderseitiger
k»xa vara rachitica, mit Durchleuchtungsbildern.
3. Durchleuchtungsbilder von einem Fall von einseitiger Coxa
ara bei einem 12 jährigen Mädchen, einem Fall von einseitiger
kxa vara mit grotesker Hypertrophie des Troch. ma]or bei einem
0 jährigen jungen Mann und Durchleuchtungsbild einer Coxa valga
on einem 8 jährigen Mädchen.
Diskussion: Herr Drachter: Demonstration eines Rönt-
;enbildes von Ostitis fibrosa cystica des 1. Humerus bei einem
2 jährigen Mädchen.
Herr Hummel: Ueber unsere Erfahrungen mit dem Fried-
i a n n sehen Heil- und Schutzmittel.
Vortr. weist an der Hand der bisher veröffentlichten Arbeiten
ach, dass die Meinungen über das Mittel noch nicht geklärt sind
nd dass es zudem oft mit pathogenen Bakterien verunreinigt ist.
r hat 14 Kinder, darunter 10 lungenkranke, mit dem Mittel injiziert,
lach ganz vorübergehender Besserung des einen oder anderen Sym-
toms verfielen die Kinder nach dem Verlauf von ca. 4 Monaten
•Jeder in den alten Zustand, teilweise traten sogar Verschlechte¬
ungen auf. Vortr. kommt auf Grund seiner und vieler anderer
Erfahrungen zu einer Ablehnung des Mittels und warnt vor allem
or einer Schutzimpfung.
Herr Drachter: Das F r i e d tu a n n sehe Tuberkulosemittel
bei chirurgischer Tuberkulose.
Angewandt wurde das F r i e d m a n n sehe Mittel in 34 Fällen,
chirurgischer Tuberkulose. Bedrohliche Zustände oder Schädi¬
gungen des Patienten wurden in keinem Falle beobachtet. Nur in
einem Falle kam es zu einer Abszedierung an der Injektionsstelle,
in 7 Fällen wurde wässerige Sekretion aus der Einstichöffnung kon¬
statiert. Nach der Simultaninjektion trat nie Sekretion auf.
Bei wiederholter Untersuchung des Ampulleninhaltes konnten
im bakteriologischen Institut kulturell stets Begleitbakterien (meist
Staphylokokken) nachgewiesen werden.
2 Fälle von Coxitis tbc. sind während der Behandlung ge¬
storben; davon ein Fall an Basilarmeningitis tbc.; in eiern anderen
Falle war dem behandelnden Arzte eine sichere Diagnose nicht
möglich. Dass das Mittel einen roborierenden Einfluss habe, konnte
nicht bestätigt werden.
Heilungen oder Besserungen, die unzweideutig auf das Fried-
m a n n sehe Mittel zu beziehen gewesen wären, wurden nicht beob¬
achtet.
Für einige anscheinend spezifisch günstig beeinflusste Fälle ist
zurzeit eine Erklärung noch nicht möglich.
Die Mitteilung weiterer Erfahrungen ist erwünscht.
Diskussion zu den Vorträgen Hummel-Drachter:
Herr Hopf berichtet über 12 Fälle aus dem Giselakinderspital.
Nur einmalige Injektion in jedem Falle, 4 mal gefolgt von intra¬
venöser Injektion bei drohender Vereiterung des Infiltrates. Technik
und Indikationsstellung genau nach Friedmanns Angaben. Be¬
obachtungszeit ca. 4 Monate. 2 Todesfälle kamen vor. sind aber
nicht dem Mittel zur Last zu legen: 1 Säugling mit 2% Monaten,
an Miliartuberkulose erkrankt; ein 15 monatliches Kind mit Ohr- und
Lungentuberkulose, gestorben 7 Wochen nach der Injektion. Keine
Schädigung der 10 überlebenden Kinder. Wenig oder nicht ver¬
ändert wurde der Zustand bei drei Fällen von Knochen- und Haut¬
tuberkulose, 1 Drüsenabszess, 3 Fällen mit Phlyktäne. Anfängliche
Besserung bei 2 operierten Ohrtuberkulosen und 1 Peritonitis tuber-
culosa; bei 2 von diesen 3 gebesserten Fällen machten sich aber
floridere Lungenerscheinungen bemerkbar. 3 Spondylitiden zeigten
bei gleichzeitiger orthopädischer Behandlung Besserungstendenz,
doch erfolgte bei der einen der Einbruch des erkrankten Wirbels in
den ersten Tagen nach der Injektion (Herdreaktion?). Ein Auf¬
flammen chronischer Prozesse schien mit der Wirkung des Mittels
verbunden zu sein.
Herr Ibrahim: Da wir in keinem Falle die Injektionen wieder¬
holt haben (abgesehen von der in einigen Fällen nachträglichen intra¬
venösen Injektion) entsprach unser Vorgehen durchaus den neuesten
Indikationen Friedmanns. Die Zeit ist zwar zu kurz, um de¬
finitiv zu urteilen, aber von einem generellen Umschwung des Be¬
findens der Kinder zum Besseren war jedenfalls nicht die Rede.
Mehrfach haben wir neue tuberkulöse Herde auftreten sehen. Der
akute Einbruch eines kariösen Wirbelkörpers schien eine recht un¬
erfreuliche Herdreaktion. Er schien uns, ebenso wie das Rasseln auf
vorher stillen Lungenpartien, ein Zeichen spezifischer Einwirkung
des Mittels auf tuberkulöse Herde. Wir hätten unsfcre Versuche
wohl noch nicht abgebrochen, wenn nicht die Mitteilungen über den
häufigen Gehalt des Mittels an pathogenen Keimen, die man doch
bei Injektion in die Jugularvenen direkt ins Herz spritzt, uns jede
weitere Anwendung verboten hätten. Solange keine staatliche Kon¬
trolle hierfür besteht, kann man nur eindringlichst vor weiteren
therapeutischen Versuchen mit dem Mittel warnen.
Herr Drachter (Schlusswort): In einem Falle, der sich auf
eine einmalige Injektion mit IV rot auffallend besserte, seit kurzem
aber wieder etwas verschlimmert hat, ist eine nochmalige Injektion
mit IV rot beabsichtigt. Albert Uffenheimer - München.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzungen vom Mai und Juni 1914.
Herr Schmidt demonstriert 1. einen Fall von kardiovaskulärer
Insuffizienz auf thyreotoxischer Grundlage. Hochgradige Schwellung
im Bereiche der oberen Extremitäten, Brust, Rücken, Bauch und
Oberschenkel, Aszites und beiderseitigem Hydrothorax bei geringem
Oedem der Unterschenkel. Abnorm weite rechte Lidspalte mit deut¬
lichem Gr äf sehen Symptom, ohne sonstige Sympathikuserschei¬
nungen. Keine Vergrösserung der Schilddrüse. Vor 5 Jahren unter
plötzlicher Anschwellung der Schilddrüse ähnliche Symptome wie
heute, die nach % Jahre zurückgingen, worauf eine Periode durch
2V2 Jahre vollkommener Genesung folgte. Herr Sch. weist darauf
hin, dass sehr häufig bei Basedowerkrankungen Symptome schwer¬
ster Art oft ohne Operation zurückgehen, und legt andererseits den
Gedanken nahe, bei ätiologisch nicht genügend fundierten Fällen von
Myokarditis die Möglichkeit thyreotoxischer Einflüsse in Erwägung
zu ziehen.
2. Einen Fall von Jodbasedow. Nach Gebrauch von 10 proz.
Jodvasogen und innerlich Jodeisen.
3. Ein Fall von Tetanieäquivalenten bei gleichzeitigem Be¬
stehen von Trouseau schem. Erb schem und Chvostek schem
Phänomen, seit Jahren Ziehen in den Extremitäten mit Parästhesien,
2284
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 47
nach Resektion einer Struma echte Tetanieanfälle. Es handelt sich
um eine parathyreoprive Tetanie. Auffallend ist eine besonders hohe,
eingestellte Kohlehydrattoleranz, auch werden durch Adrenalin keine
Krämpfe ausgelöst. Eine konstitutionelle Minderwertigkeit der
Kranken ergibt sich auch aus dem Symptom des Irisschlottern, dem¬
entsprechend wird die bestehende Linsentrübung als nicht zur Te¬
tanie gehörig, sondern als kongenital angesprochen.
4. Einen Fall von Lungenaktinomykose.
5. Einen Fall von Aorteninsuffizienz nach Herzschuss. Selbst¬
mordversuch, vor demselben keinerlei Herzbeschwerden. Bald
nachher Zeichen einer gestörten Herztätigkeit im Sinne von Oedemen,
Dyspnoe und Herzpalpitationen. Die Röntgenuntersuchung zeigt das
Projektil lebhaft pulsierend hinter dem linken Vorhof. Bei der An¬
nahme eines geradlinigen Weges, von der als kleinen Narbe sicht¬
baren Einschussöffnung zur gegenwärtigen Lage des Projektils,
müsste eine Durchbohrung des Herzens angenommen werden und
liegt es nahe, an die Möglichkeit eines Aortenklappenrisses zu denken.
Herr Ghon demonstriert Präparate einer 37 jähr. Frau mit
einem Karzinom der rechten Mamma, Metastasen in der linken
Mamma und in den axillaren Lymphknoten beider Selten, in den
Nebennieren und paraaortalen Lymphknoten, im Knochensystem und
Zentralnervensystem; letztere dokumentierten sieb einerseits als
Pachymeningitis carcinomatosa spinalis, andererseits als zerstreute
kleine Knötchen in den Grosshirnhemisphären. Histologisch er¬
wiesen sich aber auch die basalen Hirnnerven, vor allem N. opticus
und abducens nicht nur in ihren Scheiden, sondern auch im Paren¬
chym von Tumor durchsetzt. Durch diesen Befund fanden intravital
beobachtete Symptome, wie Amaurose, ihre Erklärung.
Herr Schloff er stellt eine 24 jähr. Pat. mit einer, wenigstens
vorläufig, geheilten postoperativen Tetanie vor. Schwere Tetanie im
Anschluss an Kropfoperation wegen Basedow. Entfernung von Zwei¬
drittel des Schilddrüsengewebes und Unterbindung der linken Arterie
th.vr. inf. Vom 5. Tage nach der Operation schwere tetanische An¬
fälle mit Quincke schein Hautödem. Parathyreoidalpräparate ohne
Erfolg, erst Verabreichung getrockneter Pferdeepithelkörperchen
(0,02—0,06 pro Tag) brachte die Anfälle zum Schwinden, die jedoch
nach Aussetzen der Therapie wieder einsetzten, um seither nach
Beibehaltung derselben, seit 8 Wochen verschwunden zu sein.
2. Freie Autoplastik. a) Demonstration eines Jungen, bei dem
die oberen *,'* des Humerus durch eine Tibiaspange ersetzt wurden
(guter Erfolg) und Demonstration der Röntgenbilder eines zweiten,
gleichartigen Falles, wo später eine traumatische Fraktur in der Mitte
des Implantates aufgetreten ist, die mit normalen Kallus abgeheilt ist.
b) Ankylosis mandibulae bei einem 20 jähr. Mann nach einem
Fall auf den Kiefer in der Kindheit. Nach Ausmeisselung der breiten
Knochenmassen, welche den Kiefer mit der Schädelbasis verbanden,
wäre ein so grosser Muskellappen zur Zwischenlagerung nötig ge¬
wesen, wie er nicht zur Verfügung stand, daher Einpflanzung grosser,
verwiegend aus Knorpel bestehender dünner Scheiben aus den
Rippenknorpeln. Guter Erfolg.
c) Freie Faszientransplantation nach Wilms zur Ausschaltung
des Pylorus bei Geschwüren desselben und des Duodenum. Einige
nach 3—4 Monaten nachuntersuchte Fälle zeigen, dass die beab¬
sichtigte Ausschaltung zu dieser Zeit noch fortbestand, auch wenn
die Faszienstreifen späterhin nachgeben sollten, wäre es schon ein
Gewinn, wenn man nur für die ersten Monate nach der Operation
den Pylorus resp. das Duodenum vollkommen isolieren könnte.
d) W i e t i n g sehe Operation bei arteriosklerotischer Gangrän,
Dr. O. Wiener.
Aus den Wiener medizinischen Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
K. k. Gesellschaft der Aerzte.
Sitzung vom 23. Oktober 1914.
Prof. E. Ranzi und Prof. Otto Marburg: Demonstration
mehrerer Fälle von Hirnschüssen aus der chirurgischen Klinik
v. Eiseisberg.
E. Ranzi: Von 33 Hirnschüssen waren 19 Tangentialschtisse.
15 wurden an der Klinik primär operiert, 9 derselben mit Hirnabszess
(2 gestorben, 7 gebessert). 2 Tangentialschüsse wurden nicht ope¬
riert, 8 waren schon im Felde operiert worden und wurden an der
Klinik nachoperiert. Dann gab es 10 Steck- und 4 Durchschüsse.
Bei den Steckschüssen war 5 mal ein Hirnabszess vorhanden, die
4 Durchschüsse waren alle infiziert, von 3 operierten starb 1 Fall.
Der Vortr. bespricht eingehend die Behandlung des Hirnprolapses und
als weitere Komplikation die Liquorfistel, welche stets günstig verlief.
O. Marburg erörtert eingehend die neurologischen Fragen bei
den Schädelschüssen. Wohl alle hatten eine Commotio cerebri mit
1 — 2 stündiger Bewusstlosigkeit. Bemerkenswert sind die geringen
Allgemeinerscheinungen, also wenig Kopfschmerzen, kein Erbrechen,
in einzelnen Fällen Stauungspapille. Wo eine Gehirnerschütterung
bestanden hatte, wurde auch Pulsverlangsamung (60 — 64 Schläge)
beobachtet; fiel die Pulszahl weiter, so konnte das Symptom als
Folge der Progression des Prozesses angesehen werden. Auffallen¬
derweise war die bei Hirnschüssen beobachtete Lähmung fast immer
eine schlaffe, was schwer zu erklären ist und vielleicht mit dem gleich¬
zeitigen schweren Sensibilitätsausfall zusammenhängt. Bei Hirn-
abszesen bestand keine Steigerung der Temperatur, eher wurde noch
ein Absinken derselben konstatiert; ferner bestand Bradykardie
Der Vortragende besprach die Indikationen für den operativen Ein¬
griff. Gegenanzeigen waren ‘initialer grosser Hirnprolaps und tief¬
sitzende Steckschüsse (zumeist Abszessbildung hinter dem Projekte
mit Durchbruch in den Ventrikel). Wie die vorgestellten Kranken
zeigen, gingen Lähmungen und Aphasien auffallend rasch zurück
während sich die Sensibilitätsstörungen nur langsam besserten. Tan-
genitalschüsse mit positivem Röntgenbefund und mit stationären
allgemeinen oder Lokalsymptomen oder mit progressiven Erschei¬
nungen, dann oberflächlich sitzende Steckschüsse sind zu operieren,
wogegen tiefe Steckschüsse mit Vorsicht zu behandeln seien. Aus der
schlaffen Lähmung wurde im Verlaufe oft eine leicht spastische.
Dr. J. Robinsohn: Zwei neue einfache Methoden der rönt¬
genologischen Tiefenmessung, besonders bei Fremdkörpern. (Ohne
Abbildung nicht leicht verständlich.)
Aus den französischen medizinischen Gesellschaften.
Academie des Sciences.
Sitzung vom 6. Juli 1914.
Eine Reihe von Gesetzen über das Wachstum, auf 2000 Beobach¬
tungen an Kindern, 300 000 Messungen usw. begründet.
Paul G o d i n kommt auf Grund seiner, seit 4 Jahren angestelltert
Untersuchungen zu folgenden Schlüssen: I. Gesetze bezüglich des
alternierenden Wachstums: Die langen (Röhren-) Knochen
wachsen abwechselnd in die Länge und Breite (Dicke). Ein halbes
Jahr stellt die mittlere Dauer der Abwechslung zwischen Längen-
und Breitenwachstum dar; um die Pubertätszeit sind diese abwechn
selnden Perioden viel längere. Die Körpergrösse verdankt den
grössten Teil ihrer Entwicklung vor der Pubertät der Unterextremi¬
tät, nach derselben dem Oberkörper (Brust). Das hauptsächliche
Wachstum (in die Länge) um die Pubertätszeit herum, vollzieht sich
während der 2, dem Ausbruch der Pubertät vorangehenden Halbjahre.
Vor der Pubertät ist vor allem das Wachstum der Knochen und
nach derselben das der Muskeln ein ausgeprägtes.
II. Gesetze über die Pubertät. Die Schamhaare be¬
ginnen im Durchschnitt Wz Jahre vor dem Auftreten der Pubertät
zu wachsen. Beim männlichen Geschlechte entspricht der beginnende
Haarwuchs in der Achselhöhle dem Pubertätsbeginn; beim weib¬
lichen Geschlechte tritt diese Haarbildung kurze Zeit nach der ersten
Menstruation auf. 12 — 17 Jahre trennen die Pubertät von der Ge-J
burt, 2 Jahre genügen zu ihrer vollständigen Ausbildung; ausserdem
sind noch 3 Jahre zur Vollendung des Wachstums und Erreichung
der Mannbarkeit (Heiratsfähigkeit) notwendig. Die Pubertät hat aui
das Pigment einen Einfluss, je nachdem es sich um Pigment der
Haut und der Haare, welche es dunkler, oder Pigment der Iris, welche
es heller macht, handelt.
III. Gesetze bezüglich der Proportionen wäh¬
rend des Wachstums: Es sind 3 Stadien in der postfötalen
Entwicklung der durch Länge und Breite (Dicke) dargestellten Ver¬
änderungen vorhanden: Die erste von der Geburt bis zu 6 Jahren
die zweite von 6 — 15 Jahren und die dritte von 15 Jahren bis zurrt
völlig erwachsenen Zustande. Für jede Art organischer Konstitu¬
tionen entsprechen bestimmte Proportionen der Pubertätsperiode und,
meist dem Ausbruch der Pubertät selbst. Die Proportionen ermög¬
lichen daher annähernd, die Zeitspanne festzustellen, welche in einen)
gegebenen Augenblick ein Kind von seiner Pubertät trennt. Im Alter
von 6 Jahren im Mittel, ungefähr 9 Jahre vor der Pubertät, sind
die Proportionen Vs oder 1 Jahr lang hindurch derartige, dass die
Silhouette des Kindes eine Idee über jene des künftigen Erwachsenen
gibt.
IV. Gesetze über normale Asymmetrien: Zwischen
den doppelseitigen Organen herrscht eine, der überwiegenden Funk¬
tion entsprechende Asymmetrie: bei dem Rechtshänder ist die rechte
Oberextremität länger und dicker, die rechte Schulter niedriger, was
in umgekehrter Weise für den Linkshänder gilt. Die Entwicklung der:
normalen Asymmetrien doppelseitiger Organe und des Rumpfes geht
in umgekehrten Sinne wie das Wachstum, aber in Uebereinstimmuns
mit der Funktion vor sich. Die vermehrte Länge und Dicke dert
Oberextremität sitzt bei der Unterextremität oft auf der entgegen¬
gesetzten Seite. Die Ohrmuscheln bieten eine bemerkenswerte und
regelmässige Asymmetrie, welche das Wachstum zu verwischen
sucht.
(Berichtigung.) In der Arbeit von Dr. K. E. Ranke „Zur
Diagnose der kindlichen Tuberkulose“ ist folgendes zu berichtigen:
ln Nr. 42: In Fig. 1 bedeutet o-o-o Gesamtmortalität an Tuberkulose:
- Mortalität an Lungentuberkulose und - Mortalität an,
Tuberkulose anderer Organe. S. 2100, Sp. 2, Z. 15 v. u. lies „inter¬
kurrente“ statt „interessante“; S. 2101, Sp. 1, Z. 8 v. u.: „um die
Drüse“ statt „und die Drüse“. In Nr. 43: S. 2134, Sp. 2, Z. 25 v. u.
lies „Lunge“ statt „Lage“. Ebenda Z. 18 v. u. u. ff. lies: „Der Unter¬
schied ist bei jeder Perkussion wahrnehmbar, die ihn bestimmenden
Bedingungen sind also unabhängig von der Stärke der Perkussion.“
S. 2135, Sp. 2, Z. 22 v. o. del. „man“. S. 2136, Sp. 1, Z. 41 v. o.
lies „einiger“ statt „weniger“.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26.
■ •
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 47. 24. November 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 16.
Einige Winke für das Operieren im Felde.
,'on Professor Q. Perthes, Qeneraloberarzt und beratendem
Chirurgen XIII. Kgl. Wiirtt. Armeekorps.
Dass Operationen auf dem Hauptverbandplätze und in den
’eldlazaretten möglichst einzuschränken sind, ist anerkannte
riegschirurgische Regel geworden. Operationen ganz zu
imgehen, ist aber auch für den Kriegschirurgen unmöglich,
!er sich der grösstmöglichen operativen Enthaltsamkeit be-
leissigen will. Im Feldlazarett erweist sich, abgesehen von
len nur selten indizierten Gefässunterbindungen und Tracheo-
omien, z. B. bei Schüssen der Urethra die Urethrotomie
neistens als unbedingt notwendig; bei Thoraxschüssen mit
veit offener Pleurahöhle muss die Wunde unter peinlicher
Vahrung der Asepsis geschlossen werden. Die operative Ver-
orgung von Rinnenschüssen des Schädels wird von den
leisten Kriegschirurgen für indiziert gehalten; ein leider noch
mmer beträchtlicher Anteil kriegschirurgischer Tätigkeit in
en Feldlazaretten wird durch die Amputationen wegen Gan-
rän infolge Gasphlegmone, infolge schnürenden Verbandes
der missbräuchlicher Anwendung der E s m a r c h sehen
linde, sowie infolge Gefässverletzung dargestellt Es ver-
ient daher die Frage noch immer ernste Erwägung: Kann
m Felde eine Operation — besonders im Hin¬
lick auf die Asepsis-5- so vorbereitet und
urchgeführt werden, dass die. Verantwortung
afür übernommen werden kann?
Wer im Felde sich um die aseptische Vorbereitung von
)perationen bemüht hat, wird diese Frage nicht leichten Her-
ens bejahen. Aber eine absolute Asepsis im bakteriologischen
inne erreichen wir auch in den Operationssälen unserer
leimatklinken nicht. Auch im Felde aber gibt es Mittel und
Vege, um dem mir vorschwebenden Ziele der Asepsis so nahe
u kommen, wie es die kriegschirurgische Praxis erfordert.
Der aseptische Operationssaal fehlt. Ein Schulsaal, der
'horraum einer Kirche, eine Bauernstube oder gar eine
cheune müssen als Operationsraum dienen. Auch wenn wir
- so gut es eben geht — haben Herrichten und säubern lassen,
lüssen wir in einem Raum arbeiten, der keineswegs einwand-
ei ist. Nicht selten werden wir mit der Anwesenheit von
rregern des Wundstarrkrampfes auf dem Fussboden, ja auf
em Operationstische rechnen müssen. Aber wie Treu-
elenburg einmal ausgeführt hat: „Die Bakterien hüpfen
icht wie gewisse Insekten.“ Auch wenn die weitere Um-
ebung infektionsverdächtig bleibt, lässt sich alles was mit der
’perationswunde in direkte Berührung kommt, aseptisch ge-
:alten. Nur muss die Zahl der Fehlerquellen möglichst klein
emacht, dasganze aseptische Gebiet möglichst
infach und übersichtlich gehalten werden.
Das gilt insbesondere für die Hände. So wenig'
ände wie möglich sollen mit der Wunde und
iit den Instrumenten in Berührung komme n.
h habe es mir daher zur Regel gemacht, bei, den Feld-
serationen nur einen Assistenten als aseptische Hilfe zu
erwenden, das aseptische Material selbst übersichtlich bereit-
ilegen, bei der Operation es selbst aufzunehmen und auf das
nreichenlassen zu verzichten. Nur selten wird der Kriegs-
ürurg mit dem Sanitätsunteroffizier, der als Operationswärter
Frage kommt, für das Anreichen von Instrumenten schon
gut eingearbeitet sein, andererseits ist ein gewandter Opera¬
tionswärter oft eine wertvollere Hilfe, wenn er seine Hände
nicht sterilisiert hat und so für die zahlreichen nicht asep¬
tischen Handreichungen, die bei einer Operation notwendig
sind: Lagerung des Kranken, Sorge für gutes Licht, Aus¬
kochen verunreinigter Instrumente usw. zur Verfügung bleibt.
Die Operation verläuft nicht nur freier von Fehlern in der
Asepsis, sondern meistens auch rascher und glatter, wenn der
Operateur sein aseptisches Material selber sich anordnet.
Es ergibt sich daraus eine weitere Forderung. Um die
Uebersicht über das Operationsmaterial zu erleichtern, werden
nur möglichst wenige Instrumente verwendet,
diese wenigen aber übersichtlich bereit gelegt, also nicht etwa
in dem Siebeinsatz des Instrumentenkochers liegen gelassen.
Bei Beschränkung auf das Nötigste kann man bei der einfachen
Operation des Feldes mit sehr wenig auskommen.
Der Feldsterilisator unserer Sanitätsformationen für das
Auskochen der Instrumente bewährt sich gut. Die Näh¬
seide ist in Glasröhrchen steril vorhanden. Um aseptische
Entnahme zu ermöglichen, lasse ich das Glasröhrchen noch¬
mals zusammen mit den Instrumenten auskochen.- So wird
auch die Aussenfläche der Röhrchen aseptisch und der Opera¬
teur kann seine Nähte einwandfrei aseptisch einfädeln. Das
Einfädeln sämtlicher voraussichtlich bei der Operation ge¬
brauchter Nadeln sollte von dem Operateur vor Beginn der
Operation ausgeführt werden. Die eingefädelten Nadeln
werden auf einer sterilen Kompresse neben einander aufgereiht,
so dass sie ohne Zeitverlust abgenommen werden können.
Die gleiche Seide kann ganz wohl auch zum Unter¬
binden dienen, falls das für die Sanitätsformationen vor¬
handene, trocken steril aufbewahrte Katgut aufgebraucht sein
sollte. Als Tupfmaterial dienen die bereits in passender
Grösse sterilisiert vorrätigen Mullstücke, welche jedoch vor
Beginn der Operation aus der Papierumhüllung in ge¬
nügender Zahl zu entnehmen, in Bauschform zu bringen und
neben den Instrumenten bereit zu legen sind.
Nicht ganz so einfach ist für die Verhältnisse des Krieges
die Frage der sterilen Operationswäsche und
des Abdeckmaterial es zu beantworten. Gewiss er¬
möglicht der Feldsterilisator die Verwendung auch des strö¬
menden Dampfes zur Sterilisation dieser notwendigen Hilfs¬
mittel. Dann wenn nur einzelne Operationen in Ruhe vor¬
bereitet werden, mag von der Dampfsterilisation Gebrauch
gemacht werden. Wenn aber mehrere Operationen nach¬
einander auszuführen sind, so ergeben sich dadurch Schwierig¬
keiten, dass mit dem kleinen Sterilisator, in dem neben den
nötigen Abdeckstücken nur zwei Operationsmäntel Platz
finden, grössere Mengen Operationswäsche unmöglich auf
Vorrat sterilisiert werden können. Auch verfügt ein Feld¬
lazarett bekanntlich nur über sechs Operationsmäntel. Die
Operationswäsche wird bei dem ersten Gebrauch blutig und
verschmutzt. Die Möglichkeit, sie zu waschen, ist im Felde
sehr oft nicht gegeben. — So ist es wichtig, zu wissen, dass
man auf die mit Dampf sterilisierte Operationswäsche nötigen¬
falls überhaupt verzichten und das Auskochen als ein¬
zige, einfache Sterilisationsmethode verwenden
kann. Statt der leinenen Tücher dienen dann Stücke aus
Gummistoff, Mosettigbattist, statt der Mäntel kleine Schürzen
aus dem gleichen Material. Diese dünnen Stoffstücke bean-
2286
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. Al
Sprüchen so wenig Platz, dass sie sich mit den Instrumenten
zusammen auskochen lassen. Die Sterilisation ist durch
5 Minuten langes Verweilen in kochendem Wasser erledigt,
während die Dampfsterilisation eine Stunde in Anspruch
nimmt. Das sind wesentliche Vorteile, die für die Verwendung
des kochenden Wassers als Sterilisationsmittel auch für Schür¬
zen und Abdeckmaterial besonders dann sprechen, wenn
mehrere Operationen hintereinander auszuführen sind.
Dass die Abdecktücher durch passende Tuchklemmen1)
— nötigenfalls durch einige Nähte — in der Umgebung des
Operationsfeldes sicher fixiert werden, scheint mir richtig.
Auch die Händedesinfektion hat im Felde mit be¬
sonderen Bedingungen zu rechnen. Nicht selten mangelte uns
in den letzten Wochen Wasser, vor allem sauberes Wasser.
Die Pumpen der Dörfer, in denen Feldlazarette eingerichtet
werden mussten, waren defekt oder lieferten, nachdem sie zum
Tränken der Pferde grosse Wassermengen hergegeben hatten,
nur eine trübe Brühe. Meistens war es unmöglich, eine
grössere Menge warmen Wassers, das doch bei der Hände¬
waschung öfters gewechselt werden sollte, zu beschaffen. Auf
sterile Handtücher zum Abreiben der Hände musste verzichtet
werden. Auf ein Gelingen der Methoden der Händedesinfek¬
tion, bei denen die Heisswasserwaschung ein wesentliches
Glied ist, war daher nicht zu rechnen.
Für das Feld dürfte die reine Alkoholdesinfek¬
tion, wenn irgend möglich in Verbindung mit der Verwen¬
dung von Gummihandschuhen, am meisten zu emp¬
fehlen sein. Das einfache Verfahren, die möglichst sauber ge¬
haltene Hand ohne Wasserwaschung für 5 Minuten in Spiritus
mit einem Bausch Mull abzureiben, hat Sich in der Tübinger
Klinik, seit es vor mehreren Jahren auf die Anregung von
v. Brunn hin eingeführt wurde, durchaus bewährt. Da es
nicht schwer ist, die relativ kleine Menge Spiritus, die dafür
nötig ist, mitzuführen, so ist meines Erachtens diese Methode
für den Kriegschirurgen die beste. Als Waschgefässe — und
auch das ist ein Vorteil — reichen ein bis zwei kleine Blech-
schüsseln aus. Die im Spiritus vorbehandelten Hände bleiben
unter Gummihandschuhen trocken. Es entsteht kein „Hand¬
schuhsaft“, der bei Defekten des Handschuhs die Wunde in¬
fiziert. Gummihandschuhe sind aber für die Kriegschirurgie,
wie schon bei ihrer Einführung durch Zöge v.Man-
teuffel hervorgehoben wurde, besonders wichtig; nicht nur
zur wesentlichen Vervollkommnung der Asepsis bei den
sauberen Operationen, sondern auch, um bei den septischen
Operationen und Verbänden die Hand vor dem infektiösen
Material, z. B. der Gasphlegmonen, zu schützen.
Die mit Talk gut eingepuderten Handschuhe werden zweck¬
mässigerweise paarweise in Papierumschläge verpackt und in diesen
in Dampf sterilisiert. Es macht keine Schwierigkeit, die Verpackung
so einzurichten, dass die Handschuhe nach Oeffnung des Umschlages
durch einen nicht desinfizierten Gehilfen aseptisch entnommen und
trocken über die nach Alkoholdesinfektion sehr schnell lufttrocken
gewordenen Hände gezogen werden können. Die gegen die Dampf¬
sterilisation für die Operationswäsche geltend gemachten Bedenken
haben für die Handschuhe keine Bedeutung, da in dem Feldsterilisator
ohne weiteres ein beträchtlicher Handschuhvorrat Platz findet und
mit einem Male in den Papierpackungen auf Vorrat sterilisiert wer¬
den kann. Wenn mehrere Operationen hintereinander ausgeführt
werden, dann können die Handschuhe, zumal wenn sie nur bei asep¬
tischer Operation verwendet waren, unbedenklich an den Händen be¬
lassen und mit diesen vor der nächstfolgenden Operation in 2 proz.
Lysollösung oder einem ähnlichen flüssigen Desinfektionsmittel ab¬
gewaschen werden. Bakteriologische Prüfung hat gezeigt, dass die
Sterilisation der glatten Gummioberfläche auf diese einfache Weise
sehr wohl möglich ist.
Für die Narkose ist aus den bekannten Gründen der
fehlenden Feuersgefahr und der Raumersparnis für die Sani¬
tätsformationen des Heeres dem Chloroform vor dem Aether
der Vorzug gegeben worden. Da die meisten Chirurgen heut¬
zutage nur noch mit Aether zu narkotisieren gewohnt sind, so
dürfte es nicht überflüssig sein, daran zu erinnern, dass als
wichtigste Massregel gegen die grösseren Gefahren des
Chloroforms die tunlichste Herabsetzung der Konzentration
der Chloroformdämpfe angesehen werden muss. Niemals darf
daher das Chloroform auf die Maske gegossen werden.
*) Mir leisten die in Penzoldt-Stintzings Handbuch der Therapie,
letzte und vorletzte Auflage, Bd. 6, abgebildeten Tuchklemmen sehr
gute Dienste.
Das in langsamer Tropfen folge auf wechselnd*
Stellen der Maske aufgetropfte Mittel darf diese nieinaf
durchnässen. Nur ganz langsam darf die Narkose sich ein
schleichen.
Ich selbst verwende für die Chloroformnarkose im Felde dei
sehr einfachen Junker sehen Apparat, der infolge seiner bekannte
Konstruktion eine zu starke Konzentration des Narkotikum in de
durch das Chloroform hindurchgeblasenen und mittels Schlauch um
Metallmaske dem Patienten zugeführten Luftmenge ausschliessi
Besonders dann, wenn Gehilfen, die noch selten narkotisiert haben
notgedrungen die Narkose übernehmen müssen, bietet diese Methode
sehr beachtenswerte Vorteile. Sie setzt die Gefährlichkeit dei
Chloroformnarkose wesentlich herab und hat sich z. B. in langjährig
gern Gebrauche an der Leipziger chirurgischen Klinik unte:
T h i e r s c h und Trendelenburg gut bewährt.
Von der Rauschnarkose wird man im Felde fii
kurz dauernde Eingriffe besonders gerne Gebrauch machen,
Das geeignetste Mittel, eine Tube Aethylchlorid, aus der de
Strahl auf eine achtfache über das Gesicht gelegte Schieb
Mull gesprüht wird, ist bei den Sanitätsformationen für lokal:
anästhetische Zwecke vorhanden. — Die Lumbalanästhesi«
und die Lokalanästhesie durch Injektion insbesondere vor
Novokain leistet da, wo die genügende Erfahrung in der Ver
Wendung dieser Methoden vorhanden ist, aber auch nur d.
gute Dienste. Im allgemeinen wird wohl im Felde immer de
Allgemeinnarkose der Vorzug gegeben werden. Sie bedar
keiner aseptischen Vorbereitung des Instrumentariums und du
Ausschaltung des Bewusstseins wird meistens erwünscht sein
Noch nicht ganz befriedigend ist die Frage der Beleuchtung
für nächtliche Operationen im Felde gelöst. Die auf
zuhängenden Azetylenlaternen sind gewiss für die Beleuchtung de
Operationsraumes im ganzen durchaus zweckmässig. Für die Bc
leuchtung des Operationsfeldes selbst lassen sie zu wünschen übrig
besonders wenn man feinere Details erkennen muss. Sie versagen
völlig, wenn in Höhlen, z. B. in der Blase, operiert wird.
Mit grossem Nutzen bediene ich mich jetzt hier wie schon sei
vielen Jahren bei Operationen im Privathause einer elektrische)
Stirnlampe2), die von einer am Gürtel aufgehängten kräftiger
Trockenbatterie gespeist wird. Das Licht ist auch für feinere Opera
tionen vollkommen ausreichend. Eine Reservebatterie mitzufiihrei
ist jedoch auch für den Feldchirurgen notwendig. Da der Frsai:
der elektrischen Batterie Schwierigkeiten bereiten kann, so liegt di*
Frage nahe, ob nicht eine Azetylenfahrradlaterne in ähnlicher Weis«
als Stirnlampe funktionieren kann. Wenn sie so dem Operationsteil
nahegebracht und ihr Licht stets auf die richtige Stelle eingestell
wird, dürfte sie wenig in ihrer Leistung hinter der elektrischen Stirn
lampe zurückstehen. Leider wird eine im ganzen vor der Stirn an
gebrachte Fahrradlaterne dem Operateur durch ihre Schwere un
bequem. Es muss daher die Laterne in der Weise zerlegt werden
dass der Gasentwickler an dem Gürtel des Operateurs aufgehängt
der durch einen Gummischlauch mit Azetylen gespeiste Scheinwerfe
aber an dem Stirnbande befestigt wird. Versuche zur Ausführunj
einer solcher Konstruktion sind im Gange.
Ueber den Verband nach Operationen wird dasselbe
zu sagen sein, was in noch höherem Masse von den zur ein
fachen Wundversorgung angelegten Verbänden gilt. Man sieh
sehr oft Verbände, die zu klein, und sehr schnell durchblute
sind. Die Gefahr der Verunreinigung eines solchen vom Blut'
feuchten Verbandes von aussen, der Zersetzung des Blute
und der Wundinfektion ist dabei gross. Das sehr erstrebens
werte Ziel, mit dem Verbandstoff zu sparen, wird so auf gan:
falsche Weise verfolgt. Ein grösserer, gut abschliessende:
Verband, der längere Zeit liegen bleiben kann, ist nicht nur fii
die Wundheilung besser, sondern auch sparsamer als ein v
kleiner, der sofort durchblutet ist und gewechselt werdet
muss. Verbände von genügender Grösse, die sich nicht ver
schieben können, sind daher dringend notwendig, und es is
zu raten, dass über dem hydrophilen Verbandstoff, mag e
nun nur aus Mull oder auch aus einer darüber gelegten Schieb
Wundwatte bestehen, noch eine weitere Lage gewöhnlichen
nicht entfetteter, gelber Watte hinzugefügt wird. Diese saue
das Blut nicht auf und gibt eine trockene Schicht ab, welch
den eigentlichen Wundverband vor Verunreinigung schützt.
Das sind die Winke, die auf Grund von Erfahrungen de
letzten zwei Monate — zum Teil auch auf Grund von Fr
fahrungen aus der deutschen Chinaexpedition 1900/01 — - de'
im Felde stehenden Kollegen vorzulegen waren. Dass sie r
2) Die Brenndauer der Batterie beträgt etwa 60 Stunden un«
reicht also für eine ganze Reihe von nächtlichen Operationen aus
Bezugsquelle: C. Erbe, Handlung chirurg. Instrumente, Tübingen.
M. November 1914.
2287
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
;pät kommen und durch den baldigen Abschluss der krie¬
gerischen Operationen überflüssig werden möchten, das ist
.ein Ziel, aufs innigste zu wünschen“. Denn vollkommen Be-
riedigendes kann bei den kriegschirurgischen Operationen in
!er vorderen Linie nicht geleistet werden. Es bleiben zu viel
Störungen 3) und Fehlerquellen, die unsere Bemühungen ver-
iteln können. So werden wir denn bei den unumgänglichen
Iperationen mit allen Kräften bestrebt sein, den eigenartigen
ind schwierigen Verhältnissen des Krieges durch Anpassung
Rechnung zu tragen; wir müssen uns aber bewusst bleiben,
lass der Kriegschirurg nach wie vor gut daran tut, so weit
vie möglich nicht operative Wege zu gehen.
vus der Chirurgischen Universitätsklinik zu Freiburg i. B.
Ueber die Tangentialschüsse des Schädels und ihre
Behandlung*).
Von Privatdozent Dr. J. O eh ler.
Eine Reihe schöner Erfolge durch die operative Behand-
mg von Schussverletzungen des Qehirnschädels, welche wir
i den letzten Wochen zu beobachten Gelegenheit hatten, gibt
ns Veranlassung zu der nachfolgenden kurzen Besprechung
er Tangentialschüsse des Schädels und ihrer
iehandlung.
Während in der ganzen sonstigen Kriegschirurgie zum Teil
l auffallendem Gegensatz zur Friedenschirurgie die kon-
ervative Behandlung der Schussverletzungen immer mehr
nd, wie der Erfolg lehrt, mit vollem Recht bevorzugt wird,
iuss bei Schussverletzungen des Gehirnschädels in einem
rossen Teil der Fälle operativ vorgegangen werden; zum
lindesten muss die Wunde genau revidiert werden.
Schon die alte Erfahrungstatsache, dass bei Verletzungen
-S Gehirnschädels, wenn die Gewalt von aussen einwirkt, die
abula interna s. vitrea meist in grösserem Umfang verletzt,
^splittert oder eingedrückt ist als die Tabula externa, legt die
orderung nahe, bei jeder Schussverletzung des Schädels
e Tabula ext. soweit abzutragen, dass übersehen werden
inn, inwieweit die Tabula int. verletzt ist, besonders, ob
nochensplitter oder auch Fremdkörper, wie Haare, Tuch-
tzen, in das Gehirn eingedrungen sind.
Von einer eigentlichen Trepanation kann dabei nicht
.'sprochen werden; es handelt sich um eine Revision
:r Wunde, welche meist nicht mit den üblichen Trepan-
strumenten, sondern nur mit Elevatorium und Hohlmeissel-
nge ausgeführt zu werden braucht. Der Eingriff lässt sich
icht in Lokalanästhesie durch Umspritzung des Ope-
tionsgebietes ausführen. Eine solche Revision der Wunde,
i für den Verletzten durchaus ungefährlicher Eingriff, ist
r alle Schussverletzungen des Schädels zu empfehlen. Je
iher die Wunde revidiert wird, um so besser die Prognose,
e Gehirnsubstanz ist so empfindlich gegen äussere Schädi-
ngen, so wenig regenerationsfähig, dass dauernde Schädi-
ngen nur durch möglichst frühzeitige Eingriffe vermieden
irden können. Ausserdem ist die Gefahr der Infektion durch
1 'gedrungene Fremdkörper in der abgeschlossenen ge-
:nädigten Gehirnpartie, dem Gehirndetritus, eine sehr grosse,
h solche Verwundete erfahrungsgemäss auch längere Trans¬
ite gut überstehen, ist die möglichst frühzeitige Ueber-
Mrung derselben nach geeigneten Lazaretten oder Kranken¬
lusern dringend zu empfehlen. Wenn schon Abszedierung,
i tschreitende Entzündung der Meningen oder Gehirnsubstanz
^getreten ist, kommt die chirurgische Hilfe meist zu spät.
Am meisten muss ein aktives Vorgehen empfohlen werden
- den Rinnen- oder Tangentialschüssen des
■ hädels. Sie gehen in vielen Fällen mit so geringen klinischen
icheinungen, mit so geringer Verletzung der Kopfschwarte
her, dass der Unbefangene die Schädelfraktur leicht über-
ht. Wir haben selbst mehrere Fälle gesehen, wo nur eine
■ iz kleine pulsierende wunde Stelle an der behaarten
'pfhaut verriet, dass eine penetrierende Schädelverletzung
s) Es sei an die Fliegenplage erinnert, die eine bedenkliche und
■ wer zu beseitigende Störung der Asepsis darstellen kann.
) Auszugsweise vorgetragen am 13. September 1914 in der
iburger kriegsärztlichen Vereinigung.
vorlag, und doch fand sich nach Durchtrennung der Kopf¬
schwarte eine erhebliche Zertrümmerung des knöchernen
Schädels, besonders der Tab. vitrea. Die Geringfügigkeit der
äusseren Wunde kann zu exspektativem Verhalten verleiten,
wenn die penetrierende Verletzung nicht erkannt wird; erst zu
spät wird dann erkannt, dass ein frühzeitiges aktives Vor¬
gehen die Vereiterung der Wunde und des anliegenden Ge¬
hirnabschnittes und die Entzündung der Gehirnhäute hätte ver¬
hüten können.
In einem grossen Teil der Fälle ergibt sich die Indikation
zum operativen Eingreifen, zur Revision der Wunde von selbst
durch das Bestehen von Erscheinungen von seiten des Gehirns,
mag es sich nun um Herderscheinungen in Form von Läh¬
mungen oder Krämpfen oder um Hirndruckerscheinungen, als
Folgeerscheinung von Blutung, Infektion oder Impression des
Schädelknochens handeln. Wir möchten jedoch raten, die
Revision der Schädelwunden nicht von solchen Erscheinungen
abhängig zu machen, sondern in jedem Fall von
Schussverletzung des Schädels die Knochen¬
wunde genau nachzusehen.
Unter den uns bis jetzt vom Kriegsschauplätze zugegangenen
16 Schädelschüssen fanden sich 11 Tangential¬
schüsse; 3 von diesen letzteren standen an der Grenze
zu den Segmentalschüssen (Hohlbecksche Einteilung)
Alle stellten penetrierende Schädelverletzungen dar: die Dura
mater war bei allen in breitem Umfang mitverletzt; das
Gehirn lag frei, und zwar' meist schon in Form eines mehr oder
weniger schmierig-eitrig aussehenden Prolapses. In auffallendem
Gegensatz dazu stand häufig die verhältnismässig geringgradige Ver¬
letzung der Kopfschwarte, an welcher oft nur eine kleine wunde
Rinne oder ein kleiner Ein- und Ausschuss zu sehen war. Die Ver¬
letzungen gingen teils mit. teils ohne Gehirnerscheinungen einher, je
nach der Lage und der Tiefenwirkung des Schusses. In mehreren
Fällen war die linke Scheitelgegend betroffen, in 3 Fällen bestand
ausgesprochene Aphasie, in mehreren Fällen Lähmung der entgegen¬
gesetzten Körperhälfte, in einzelnen waren bei der Aufnahme hier
schon Hirndruckerscheinungen vorhanden.
Die Revision der Wunde ergab — in allen Fällen lag die
Verletzung schon einige Tage zurück — in den verschiedenen Fällen
eine verschiedene Beteiligung des knöchernen Schädels, von einer
leichten länglichen Eindellung desselben zu dem häufigsten Befunde,
einem schmalen länglichen Defekte im Schädelknochen, und in man¬
chen Fällen einer ausgedehnten Splitterung der umgebenden Schädel-
partien, so dass grosse Teile des Schädels abgehoben werden konnten.
In den letzteren Fällen fand sich ein Gehirnprolaps, nach dessen Ab¬
schiebung die scharfen unregelmässigen Ränder der Tab. externa
sichtbar gemacht werden konnten, und in dem Prolaps verborgen,
z. T auch nach der Tiefe disloziert, grosse und kleine Splitter der
meist in grösserem Umfange verletzten Tab. vitrea, welche vielfach
in senkrechter Richtung, also aufgerichtet in der Gehirnsubstanz
steckten.
Unser operatives Vorgehen bestand darin, nach
Umspritzung der Wunde mit Novokain den Schusskanal längs
zu spalten resp. in der Schussrichtung die Weichteile bis auf
den Knochen zu durchtrennen, dann die Wunde von ein¬
gedrungenen Haaren, oberflächlichen Knochensplittern etc. zu
reinigen. Der freie Rand der Tab. externa wird soweit mittels
der Hohlmeisselzange abgeknappert, bis die Tab. interna über¬
sichtlich freigelegt ist. Dann werden die frei zutage liegenden
Splitter entfernt und durch Betastung mit dem Finger in dem
Gehirnprolaps steckende und tiefer in die Gehirnmasse hinein¬
getriebene Splitter festgestellt und extrahiert. Wiederholt ent¬
leerte sich sowohl nach Hebung der imprimierten Fragmente
als bei der Extraktion der Splitter unter Druck stehender Eiter,
Gehirndetritus, Blutkoagula, gelegentlich auch klare Zerebro¬
spinalflüssigkeit. Zum Schlüsse werden die Knochenränder
geglättet, das freiliegende Gehirn mit einem Tampon bedeckt,
und die Wunde durch Situationsnähte geschlossen.
Der Eingriff wurde fast ausnahmslos sehr gut ertragen;
der Heilungsverlauf war im Verhältnis zur Schwere
des Befundes ein ausserordentlich günstiger. Am auffallend¬
sten war der unmittelbare Erfolg der Operation; die Kranken
waren wie von einem Alp befreit, von einem Druck,
der besonders auf ihrer Stimmung lastete. Auch eine Besse¬
rung des objektiven Befundes war sofort nach dem Eingriff
nachweisbar; besonders auffallend war die rasche Besserung
der Aphasie. Ein Kranker, der vorher apathisch dalag und
nur mit Mühe einzelne Worte hervorbringen konnte, bedankte
sich sofort nach der Operation für den Eingriff, der ihm solche
Erleichterung gebracht hatte. Ein anderer, der vorher miss-
2288
Feldärztliche Beilage zur Münch, nied. Wochenschrift.
Nr. 47.
mutig und leicht benommen gewesen war, fing noch auf dem
Operationstisch an, einen Parademarsch zu pfeifen. Völlige
Benommenheit ging in wenigen Stunden nach Hebung der
Fragmente zurück und machte einer heiteren Stimmung Platz;
ebenso besserten sich auch die übrigen Hirndruck¬
erscheinungen. Auch die wiederholt beobachteten halbseitigen
Lähmungen gingen im Laufe der nächsten Wochen zurück.
Es macht Freude, beobachten zu können, wie Ver¬
wundete, welche vorher hilflos, teilweise gelähmt und fast
stumm mit schweren Kopfwunden darniederlagen, von Tag zu
Tag sich bessern, wie die Lähmung zurückgeht, die Stimmung
sich hebt und in einen Zustand anhaltender gesunder Euphorie
übergeht. In der Gehirnchirurgie feiert die
Kriegschirurgie ihre Triumphe. Das Dogma von
der Empfindlichkeit von Gehirn und Gehirnhäuten gegen In¬
fektionen, gegen Traumen muss bei den Schussverletzungen
des Schädels eine Einschränkung erfahren: trotz ausgedehnter
Zersplitterung des Gehirnschädels, trotz Verunreinigung der
Wunden durch Haare, Granatsplitter etc. sind Infektionen sehr
selten. Wir haben von den 16 Schussverletzungen des Ge¬
hirnschädels nur 2 durch Infektion verloren; die beiden kamen
erst spät in unsere Behandlung: bei der Revision der Wunde
ergab sich schon eine ausgedehnte Eiterung. Alle übrigen sind
geheilt oder auf bestem Wege zur Heilung. Nachweisbare
Störungen von seiten des Gehirns sind bis jetzt nirgends
zurückgeblieben oder aufgetreten. Die Beobachtungszeit ist
jedoch zu kurz, um das event. Auftreten von Spätschädigungen
wie Epilepsie u. a. ausschalten zu können. Je früher die
Wunden zur sachgemässen Versorgung kom¬
men, um so besser w e r d en auch die bleibenden
Resultate sein.
Wir lassen hierunter auszugsweise die Kranken¬
geschichten einiger unserer Fälle folgen :
W. Friedrich, 23 jähr. Unteroffizier. Verwundet bei Mülhausen
am 9. VIII. Kopfschuss am linken Scheitelbein (Tangential-
schuss). Aeusserlich fast keine Wunde, sondern nur kleine pul¬
stet ende Gianulationsstelle zu sehen. Monaphasie (gibt auf alle
Fragen immer nur die Antwort „Wasser“), Parese des rechten
Fazialis, Parese der Zungenmuskulatur und des rechten Armes. Sen-
sorium leicht benommen. Augenhintergrund normal.
Revision der Wunde am 29. VIII.: Freilegung durch
Längsschnitt. Kleiner Gehirnprolaps, in diesem senkrecht
gestellt, ins Gehirn hineinragend mehrere Split¬
ter der Tab. v i t r e a.
Extraktion der Splitter. Glättung der Knochenwunden. Tam¬
pon, Situationsnähte.
Darnach rasche Erholung. Sensorium wird völlig klar, die
Aphasie verschwindet, wenn auch die Worte noch langsam und z. T.
mit Mühe ausgesprochen werden. Die Beweglichkeit des rechten
Armes bessert sich fast zusehends.
4 Wochen nach Entfernung der Splitter sind die Lähmungen fast
völlig verschwunden. Pat. wird, nachdem die Wunde geheilt ist, zur
Weiterbehandlung in ein Reservelazarett entlassen.
Sch. Heinrich, 34 jähr. Landwehrmann. Verwundet bei Mül¬
hausen am 19. VIII. Schädelschuss: Zertrümmerungsbruch
wenig oberhalb der Protuberantia occip. ext., nach der linken
Scheitelgegend hin gelegen. Völlig benommen. Rechter Arm und
rechtes Bein gelähmt. Deviation conjugee nach links. Kein Druck¬
puls.
24. VIII. Revision der Wunde: Ausgedehnte Splitterung
des Okzipital- und linken Parietalbeines mit ausgedehnter Ver¬
letzung der Dura. Extraktion einiger Splitter aus der Gehirnmasse.
Tampon. Situationsnähte. Verlauf: Pat. erholt sich rasch. Einige
Tage später Temperatur bis 40,4° ohne sonstige Erscheinungen oder
subjektives Fieberempfinden. Langsamer Rückgang der Lähmung
von Arm und Bein. Günstiger Heilungsverlauf.
5. X. Pat. geht wieder im Zimmer umher, kann den rechten
Arm wieder bewegen.
L. Ernst, 26 jähr. Ersatzreservist. Verwundet am 28. VIII. durch
Granatsplitter, auswärts behandelt; hier in benommenem Zustand am
9. IX. cingeliefert: Kopfschuss (Tangentialschuss).
Revision am 9. IX.: Am linken Scheitel- und Hinterhauptbein
rinnenförmiger Defekt. Gehirnprolaps, aus welchem sich einige
Knochensplitter entfernen lassen. Aus der Tiefe reichlich Eiter.
Tampon. Situationsnähte.
Verlauf: Schon nach wenigen Stunden wird das Bewusstsein
wieder klar. Die Erscheinungen gehen völlig zurück. Auch weiter¬
hin reaktionsloser Verlauf.
L. Robert, 30 jähr. Landwehrmann. Verwundet am 22. IX. auf
französischem Boden. Kopfschuss in der linken Hinterhauptsgegend:
Tangentialschuss mit reichlicher Zersplitterung. Trismus,
motorische Unruhe, leichte Benommenheit.
Revision am 26. IX.: Freilegung der Knochenwunde, Ab¬
tragung des Gehirnprolapses, Entfernung der Splitter, Glättung der
Knochenränder in üblicher Weise. Reichlich eitrig-hämorrhagischc
Flüssigkeit entleert. Tampon. Situationsnähte.
Verlauf: Sehr günstig. Pat. wacht momentan aus seinem De¬
pressionszustand auf. Die Kieferklemme verschwindet vom nächsten
Tage an.
lieber Querschlägerverletzung, Geschosswirkung des
deutschen und französischen Spitzgeschosses.
Von Prof. Dr. F e s s 1 e r in München.
Die Versuche, ein steilzugespitztes Geschoss, das ver¬
möge der Spitze am leichtesten die Luft und das Ziel durch¬
dringt, zu konstruieren, gehen schon auf viele Jahre zurück,;
scheiterten aber an der ballistischest Schwierigkeit, dieses!
Spitzgeschoss sicher mit seiner Längsachse in der Flugbahn
zu erhalten.
Erst durch innigere Führung (Geschossdicke 8 mm, Rohr¬
weite [Kaliber] 7,9 mm) im Lauf und ausserordentlich ge¬
steigerte Anfangsgeschwindigkeit konnte dies erreicht werden.
Will man die Anfangsgeschwindigkeit (V = 860 Mct.-Sek.
beim deutschen, 730 Met.-Sek. beim französischen Spitz¬
geschoss) bedeutend steigern, so muss das Geschoss in:
gleichen Verhältnis leichter werden.
Nach dem Japanisch-Russischen Krieg, in dem wie itn
südafrikanischen die Gutartigkeit der Verletzungen mit den bis-;
lierigen ogivalen (spitzbogenförmigen) Geschossen sehr oft ge¬
sehen wurde, trat Frankreich mit einem Spitzgeschoss hervor,1
das so lang war, als es der Lademechanismus seines Gewehre^
überhaupt gestattete, vielleicht auch in der Absicht, das Quer¬
schlagen des Geschosses zu- erleichtern; denn mit der Ge^
schosslänge wächst die Neigung zur Querlage. Die ersten
Geschosse der Art waren 39,9 mm lang, die neuesten messen
39,0 mm.
Diese neue „balle D“, wie die offizielle französische
Bezeichnung lautet, musste aus einem spezifisch leichteren
Metall sein (90 Proz. Kupfer, 6 Proz. Zink, 4 Proz. Nickel),
damit die erhöhte Anfangsgeschwindigkeit erreicht werden
konnte.
Deutschland führte 1906 ein kürzeres Spitzgeschoss
(27,8 mm lang) ein, das aus einem Hartbleikern mit nickel¬
plattiertem Stahlmantel besteht.
Weil das deutsche Spitzgeschoss leichter als das fran-j
zösische ist (10,0 g gegen 13,2, jetzt 13,0 g), verliert es rascher
seine Energie, lebendige Kraft (E):
In 25 m
In 800 m
In 1350 m
deutsch
860 Met.-Sek.
395 Met.-kg
362 Met.-Sek.
67 Met.-kg
24 6 Met.-Sek.
31 Met.-kg
französisch
730 Met.-Sek,
360 Met.-kg
377 Met.-Sek.
98 Met.-kg
296 Met.-Sek,
60 Met.-kg
V Met.-Sek.
E Met.-kg
V Met.-Sek
E Met.-kg |
V Met.-Sek!
E Met.-kg
Das deutsche Spitzgfeschoss hat aber den ballistisch¬
taktischen Vorteil, dass cs eine gestrecktere Flugbahn (grössere
Rasanz) besitzt, wodurch in 700 m Schussweite, der gewöhn¬
lichen Zielweite im Infanterieentscheidungskampf, noch Ross
und Reiter unter das gleiche Visier fallen. Des verringerten
Gewichtes wegen kann auch dem einzelnen Mann mehr
Munition mitgegeben werden. Diese Vorteile und die grössere
Treffsicherheit (verminderte Streuung) des S-Geschosses, wie
es offiziell heisst, waren die Gründe, welche die deutscL-
Heeresverwaltung bei Einführung des neuen Geschosses
leiteten.
Beide Geschosse treffen als Ersttreffer in allen Ent¬
fernungen mit der Spitze, wie ich durch Versuche mit dem
deutschen Spitzgeschoss *) gezeigt und bei den von mir be¬
handelten Verletzungen unserer Truppen im Vereinslazarett
vom roten Kreuz zu München gesehen habe, auf, wenn sie
das Ziel nur nach Luftdurchgang erreichen. Sie durchdringen
ein gleichmässig weiches Ziel, auch schwammigen Knochen,
ebenso als Spitztreffer. Die fast gleichgrossen rundlichen Ein-
und Ausschüsse in der Haut, die Schusskanäle der Epiphysen,
welche auf dem Röntgenbild bei beiden Geschossen nur
schwierig zu erkennen sind, beweisen dies. Streift aber das
Q Wirkung des deutschen Spitzgeschosses. Verlag der L e n t -
11er sehen Buchhandlung (E. S t a h 1), München 1909.
24. November 1914.
2289
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
S-Gcschoss, wie die balle 1) auf ihrer Flugbahn einseitig an
festere Gegenstände (z. B. auf der Flugbahn an Gesträuch,
üetreidehalme, beim Körperdurchschuss an Sehnen, harte
Knochenränder) an, so gerät ihre Spitze in Pendelbewegungen,
die eine fortwährend wechselnde Schieflage, Querlage, auch
zeitweilige Umkehrung des Geschosses bis zur endgültigen
Ruhestellung mit Neigung der Geschossspitze nach dem
Schützen zur Folge hat.
Diese Querwendung ist so häufig, dass beim Schuss in
liegender Stellung auf Kopfscheiben bis zu 80 Proz. Quer¬
schläger und mehr beobachtet sind.
Die Ursache des Pendelns ist die steile Spitze und die
damit verbundene weite Rückwärtslagerung des Schwer¬
punktes. Da das französische Spitzgeschoss viel länger als
Jas deutsche ist, auch seine Spitze s.chlankere Gestalt hat, wird
ps sich leichter querlegen. Dementsprechend sind die von ihm
verursachten Ein- und Ausschüsse länger und, weil es seine
Energie andauernder beibehält, namentlich auf weitere Ent¬
fernungen, auch die Splitterzonen und Zerreissungen aus¬
gedehnter und grösser.
Beim S-Geschoss tritt die Querlage im Ziel, beim Beschuss
von 8 mm dicken Fichtenbrettern, hintereinander mit 30 cm
mftabstand aufgestellt, immer in der 3. Bohle schon ein. Es
commt nach rundem Einschuss schon aus der zweiten schief-
;estellt heraus und bleibt unter starker Holzsplitterung quer
n der vierten stecken.
Das ogivale Geschoss dagegen durchschlägt 6 solche
Sohlen quer zur Faser rund und glatt; erst dann zeigt es hie
md da Neigung zur Querlage.
Das S-Geschoss hat also mehr Wirkung im Ziel, wird
labei häufiger im Körper stecken bleiben als das frühere
.männerdurchbohrende“, ogivale Geschoss.
Auch vom französischen Spitzgeschoss haben wir sehr oft
Steckschüsse zu erwarten, wie unsere Lazarettätigkeit gleich
iach Beginn des Krieges schon bestätigt hat.
Das fortwährende Pendeln und Ueberschlagen nach den ver¬
miedenen Richtungen der Windrose des durch seitlich stärkeres
vnstreifen einmal aus seiner Längslage gebrachten S-Geschosses
abe ich durch meine Schiessversuche an den Scheib endurchschlägen
i der Weise graphisch dargestellt, dass ich das Geschoss durch
lehrfach hintereinander mit 5 cm und 30 cm bis 120 cm Abstand auf-
estellte 4 mm dicke Pappdeckel schlagen liess.
Hiebei war der 5 cm weite Zwischenraum zwischen je 2 Papp¬
eckel mit trockenem Sägmehl gefüllt. In den weiteren Abständen
wischen diesen 5 cm starken Pappdeckel-Sägmehldoppelwänden
ar Luft. Das Geschoss musste also hintereinander abwechselnd
ichte und weniger dichte Medien durchschlagen. Gerade dieser
Wechsel im Widerstand gab die Veranlassung zum Ablenken und
eständigen Weiterwenden des Geschosses. Schon e i n e 5 cm dicke
appdeckel-Sägmehlwand genügte, das schon einmal pendelnde Ge-
:hoss sofort weiterzuwenden.
Ein Geschoss aber, das vorher an der Crista tibiae eines Mannes
sine Spitze verloren hatte, ging durch alle Pappdeckel als ein
nd derselbe Querschläger, der sich nicht mehr weiter wendete.
Dem entspricht nach meinen Versuchen auch die Wirkung
es S-Geschosses in den Körperteilen:
1. Es kann glatt mit kleinem Ein- und Durchschuss
:hwammige Knochen (Gelenkenden, Becken) durchschlagen,
benso gut verlaufende Lungen- und Bauchschüsse ver-
rsachen.
2. Es kann als Spitztreffer an Gliedmassen kleine Ein-
:hiisse machen, aber durch Aufschlagen auf harte Knochen¬
anten, sofort zum Schief- und Querschläger werden und dann
:hr bedeutende Knochentrümmerhöhlen vor und hinter dem
nochen, grosse Sprengzonen in den Diaphysen, mit langen,
ach isolierten Erschütterungsfissuren, daraus folgende Stück¬
rüche der ganzen Knochenröhre verursachen.
Die Ausschüsse sind dann vergrössert, durch Mitreissen
on Knochensplittern oft mehrfach.
Wird in Körperräumen durch Anstreifen an Knochen-
innten das mit der Spitze auftreffende S-Geschoss zum Quer-
:hläger, dann sind die Durchschüsse ebenfalls vergrössert,
ti Brustkorb finden sich oft bei Rippenberührung mehrfache
nochenausschüsse, und trotzdem kann das Geschoss ganz
^weichend von der Schussrichtung stecken geblieben sein.
Diese zweite Art von Kopf-, Brust- und Darmschüssen
ird also keineswegs so glatt verlaufen wie die oben er¬
ahnten.
3. Trifft endlich das Geschoss schon als Querschläger auf
den menschlichen Körper auf, so macht es grosse ovale, drei¬
eckige, geschlitzte Einschüsse, die sofort durch ihre Form auf¬
fallen. Die inneren Verletzungen werden dementsprechend
wie unter 2. auch grösser sein. Oft wird es sich um Steck¬
schüsse oder mehrfache Ausschüsse durch Knochensplitter
handeln, es kann aber auch, wenn das Geschoss sich wieder
längsrichtet, eine Ausschussöffnung vorhanden sein, die kleiner
ist als der Einschuss.
Besonders stark können diese Wirkungen bei Schüssen
Ins zu 700 m Entfernung sein; namentlich wenn zwei Glied¬
massen mit kurzem Abstand (30 cm) hintereinander durch¬
schossen sind, kann die Wirkung im zweitgetroffenen Teil so
stark sein, dass es zu förmlichen Abschüssen, wie bei Granat¬
verletzungen kommt.
An verwundeten Feinden, die in unserer Behandlung sind,
werden diese oft diametral verschiedenen drei Formen der
Verletzungen zu beobachten sein.
Noch viel grösser aber sind die verschiedenen Wirkungen
des französischen Spitzgeschosses:
Neben ganz glatten, in 8 Tagen gut verkrusteten Durch¬
schüssen mit kleinen Hautwunden (am Knie-, Ellenbogen¬
gelenk, durch Brust und Bauch, am Oberkiefer) sehen wir bei
anderen Verletzten vergrösserte Einschüsse, mehrfache Aus¬
schüsse, welche immer auf Geschosswendungen und aus¬
gedehnte Knochenzertrümmerungen schliessen lassen. Die
Frakturen der Röhrenknochen, namentlich in den Metaphysen
(oberhalb des Ellbogen-, unterhalb des Schultergelenkes), be¬
sonders aber die Oberschenkelknochendurchschüsse zeigen
grosse Beweglichkeit, starke Verschiebungen.
Nicht wenige Brustverletzungen zeigen starke Beteiligung
der Lunge (mit wochenlangem Bluthusten) mit ausgedehnter
traumatischer Pneumonie und Pleuritis. Unter 17 Fällen be¬
obachteten wir 2 mal bis jetzt schwere Empyeme, sogar Aus¬
husten von Galle während mehrerer Tage bei gleichzeitiger
Leberverletzung. Auch sekundäre Peritonitis, Abgang von
Darminhalt aus der Schussöffnung nicht allein bei Durch- son¬
dern auch bei Streifschüssen des Bauches haben wir einige-
male gesehen.
Die Röntgenbilder, die ja immer ein klares Bild der Ge¬
schosswirkung auf Knochen geben, zeigen im Vergleich zu den
Röntgenbildern meiner Versuche mit dem S-Geschoss, abge¬
sehen von den glatten, kaum erkennbaren Durchschüssen der
Epiphysen, ausgedehnte Knochensplitterung neben Knochen¬
grus mit Sprengwirkung, besonders gegen den Ausschuss, aber
auch gegen den Schützen zum Einschuss hin.
Die Ausdehnung der Splitterzohe in der Diaphyse, d. h.
Länge der Fissuren vom Durchschuss nach oben und unten ist
grösser als beim S-Geschoss, bei Schief- und Querschlägern
oft ungewöhnlich lang, bis in die Metaphyse reichend. Die Zahl
der kleinen Splitter ist bei Schüssen aus mittlerer Entfernung
oft so gross wie bei Nahschüssen. Sollten sekundäre
Fissuren, welche entfernt vom Durchschuss die Diaphyse
schief und quer durchziehen, wie ich sie bei meinen Versuchen
mit dem S-Geschoss als Erschütterungsfissuren beobachtet
habe, vorhanden sein, so sind diese oft weit ab vom eigent¬
lichen Knochenbruch zu suchen. Durchsetzen sie ganz die
Knochenröhre, so geben sie Veranlassung zu Stückbrüchen,
wie sie in der Femurdiaphyse durch Schief- und Querschläger
häufig sind.
Die Sprengwirkung der durch Querschläger verursachten
Knochensplitter kann beim französischen Spitzgeschoss zum
Ein- oder Ausschuss hin oder in beiden Richtungen auch in
mittleren Schussweiten so bedeutend sein, dass die darüber¬
liegende Haut in einer Weise platzt, wie man es beim ogivalen
Geschoss nur als Nahwirkung kennt. Namentlich am Mittel-
fuss und an der Mittelhand sah ich wiederholt auf 200—500 m
Schussentfernung derartige sternförmige Platzwunden von den
zersprengten kleinen Röhrenknochen herrührend. Die Weich¬
teile sind ringsum geschwellt, Knochen- und Sehnenteile liegen
in der kraterförmigen Wunde frei.
Auf dem Röntgenbilde sieht man die zerstückelten
Knochen sogar um die Querachse gedreht und weit disloziert.
Trotzdem heilen derartige Wunden glatt und rasch unter Peru-
balsam-Sterilgazeverbänden. Die Sehnen- und Knochenteile
2290
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 47.
welche noch fest am umgebenden Gewebe hängen, heilen alle
ein, wenn die Wunde nur aseptisch bleibt, das Gewebe durch
Tamponade, Spülung usw. nicht geschädigt wird. Aehnlich
verhält es sich mit den mehr rundlichen Platzwunden am
Unterschenkel. Auch hier vermeide ich jede feste Tam¬
ponade, selbst wenn die Wunde septisch geworden ist.
An Hand und Fuss kann der Einschuss durch einen Quer¬
schläger oft so geplatzt sein, dass er wie ein sehr ver-
grösserter Ausschuss aussieht. Romeis beobachtete einen
Einschuss am Fussrücken auf 500 m, der mehrere Zentimeter
oval war. Auf der Fusssohle ragte aus einer punktförmigen
Wunde die Spitze des französischen Geschosses. Ein Beweis,
dass das Geschoss innerhalb des Körpers in der Entfernung
vom Fussrücken zur Sohle wieder aus der Querlage in die
Spitzlage übergegangen war.
Die Querschlägerwunden sezernieren namentlich bei
Knochenschüssen viel länger als die kleinen Hautdurchschüsse
der Spitztreffer; sie sondern eine anfangs blutige, später braun¬
gelbe Flüssigkeit wochenlang, namentlich aus seitlichen Haut¬
trakten ab, ohne dass Anzeichen einer Infektion vorhanden
sind. Sie erfordern daher schon von Anfang an reichliche Ver¬
bandauflage, die man vorteilhaft mit nicht entölter Baum¬
wolle bedeckt, um das rasche Durchschlagen der Wund¬
absonderung zu verhindern. Dabei möchte ich besonders für
längeren Transport trockene sterile Gaze empfehlen, die mit
einem Dauerantiseptikum, wie Vioform, Perubalsam, Kollargol,
Xeroform getränkt ist. Bei aller Wertschätzung der sterilen
Wundbehandlung gebe ich doch zu bedenken, dass wir es bei
den Schusswunden mit nur keim armen, nicht sterilen
Wunden zu tun haben, deren vermehrte Wundabsonderung
bei der nunmehr häufigen Querschlägerwirkung sich leicht
zersetzt.
Deshalb glaube ich auch die kleinen Terpentinharzklebe-
verbände, kleinen Notverbandpäckchen nicht nach der Scha¬
blone für alle Fälle empfehlen zu dürfen.
Dass die Querschlägerwunden häufig Anlass zur In¬
fektion geben, habe ich schon bei verschiedenen Verwundeten¬
transporten beobachtet. Das liegt in der grossen Eingangs¬
pforte, in der ausgedehnten Zerreissung begründet.
Die sehr beweglichen Frakturen müssen sobald wie mög¬
lich durch lange Schienen (z. B. aus Bandeisen, Schuster¬
spänen), welche namentlich die Schulter, bzw. die Hüfte über¬
spannen, für den Transport ruhig gestellt werden. Für die
stationäre Behandlung hat mir der Zugverband ausgezeichnete
Dienste getan: die Blutergüsse werden sehr rasch aufgesaugt,
der Wundverband kann, ohne die Knochentrümmer viel be¬
wegen zu müssen, rasch gewechselt werden, die Knochen¬
trümmer selbst werden durch die allseitige Kompression wie
durch keinen anderen Verband in guter Lage erhalten, die Kon¬
trolle durch Röntgenbild ist leicht möglich; die Beweglichkeit
des Ellenbogengelenkes beim splitterreichen Metaphysenschuss
wird durch keinen anderen Verband in gleich guter Art ge¬
währleistet. Natürlich muss das Gelenk selbst durch Ueber-
brückung vom Zug entlastet werden, um nachträgliche Gelenk¬
schwellung, Schlottergelenke zu vermeiden. — Der Kupfer¬
gehalt des französischen Geschosses verursacht wahrschein¬
lich keine Eiterung. Wir haben öfters Geschosse entfernt, die
ohne Eiter im Gewebe lagen. Einmal fand ich das Geschoss
nach glatt und fieberlos geheiltem Rippenschuss in einem Eiter¬
sack der Bauchmuskeln.
Es ist aber möglich, dass durch Anwesenheit von Kupfer
im Körpergewebe die Auskeimung auch schwach virulenter
Keime leichter erfolgt und ihre Virulenz gesteigert wird.
Bemerkungen zur Behandlung und bakteriologischen
Diagnose des Typhus abdominalis.
Von Privatdozent Dr. L. Jacob (Würzburg), zurzeit Gou¬
vernementslazarett Lille.
Vor 4 Jahren habe ich aus der Strassburger medizinischen Klinik
über Erfahrungen berichtet (M.m.W. 1910 Nr. 33), die wir an einer
grösseren Zahl von Typhuskranken mit der systematischen Behand¬
lung mit Pyramidon gesammelt hatten, wie sie Prof. Moritz
dort ausgebildet und eingeführt hatte. Es sei erlaubt, hier kurz auf
die damaligen Untersuchungsergebnisse hinzuweisen, da sie bei
etwaigem Auftreten von Epidemien praktisch wichtig sind.
Die methodische Behandlung des Fiebers bei Typhus mit Arznei¬
mitteln hat auch jetzt noch viel mehr Gegner als Anhänger, besonders
in militärärztlichen Kreisen, v. Vogl nennt in seiner Arbeit „Ueber
die Wandlungen und den heutigen Stand der Typhustherapie“ (M.m.W.
1910 Nr. 9) die medikamentöse Antipyrese „als Methode einen üDer-
wundenen Standpunkt“. Auch Curschmann machte von anti¬
pyretischen Medikamenten nur geringen Gebrauch („Der Unterleibs¬
typhus, Wien und Leipzig 1913 S. 476), bevorzugte unter ihnen das
Chinin, gibt aber zu, dass er bei hyperpyretischen Formen des Typhus
und bei sehr schweren nervösen Störungen bei hohem Fieber aller¬
dings von der vorsichtigen Darreichung kleiner Dosen von Pyrami¬
don, aber auch von Aspirin (3 — 4 mal täglich 0,15 — 0,2) in ein¬
zelnen Fällen eine günstige Wirkung auf den Allgemeinzustand habe
beobachten könnnen. Systematische Untersuchungen über die Pyra-
midonwirkung scheint er nicht angestellt zu haben. Die hauptsäch¬
lichsten Gründe, die gegen den konsequenten Gebrauch von Anti-
pyretizis angeführt wurden, sind, dass man sie als Gifte für Blut
und Kreislauf ansehen müsse, dass ein wochenlanger Gebrauch nicht'
ohne schädliche Wirkung auf den Organismus bleiben könne, dass1
sie häufig zu Schweissausbrüchen, Schüttelfrösten, Kollaps führen;
schliesslich, dass sie gar keinen Einfluss auf die Krankheitserreger
ausüben und die Krankheit nicht abkürzen könnten.
Diese letzteren Einwendungen kann man gegen die Bäderbehand¬
lung ebensogut machen. Was die übrigen Schädlichkeiten betrifft, soj
kann man sie vermeiden durch richtige Dosierung und Auswahl des.
Mittels.
Das ZieldermedikamentösenBehandlungist nicht,
das Fieber völlig zu unterdrücken oder möglichst tiefe und lang-;
dauernde Remissionen zu erzeugen, sondern ein gleichmäs-
siges Neutralisieren der mit hohem Fieber einher¬
gehenden toxischen Wirkungen der Infektion. Dies
erreicht man, wenn man kleine Dosen des Pyramidons gleich-
massig auf den ganzen Tag verteilt. Wenn man die gewöhnliche
Dosis von 0,3g 3 — 4 mal am Tage gibt, so entstehen allerdings bei
vielen Kranken tiefe Remissionen mit starkem Schweissausbruch, die
den Patienten sehr belästigen und schwächen, oft gefolgt von raschem
Ansteigen der Temperatur unter Schüttelfrost und stärkerem Krank¬
heitsgefühl. Das Unruhige, Sprunghafte dieses Verlaufes verschwin¬
det aber ganz bei richtiger Dosierung: wir gaben 2 stündlich 0,1g
(Pyramidon 2,0, Sirup, simpl. 20,0, Aqua dest. ad 200,0) beginnend
um 6 Uhr morgens bis einschliesslich 12 Uhr nachts, so dass 10 X 0,1 g
in 24 Stunden verbraucht wurden. Daraufhin fiel das Fieber in fast
allen Fällen prompt um 1 — 2 0 ab und zeigte auch weiter einen
ganz milden Verlauf. Die Erscheinungen des „Status typhosus“, Un¬
ruhe, Delirien, Kopfschmerzen, schweres Krankheitsgefühl, ver¬
schwanden in kurzer Zeit, das Sensorium hellte sich auf, die Kranken
nahmen wieder Anteil an der Umgebung, boten oft sogar das Bild
von Rekonvaleszenten. Das Fieber hält sich dabei mit geringen
Schwankungen um 38°, erreichte bei Einzelnen mehrmals auch höhere
Werte (39,0 — 39,5° rektal), ohne aber den geschilderten Allgemein¬
eindruck zu verändern.
Man kommt in der Mehrzahl der Fälle mit 10 mal 0,1g aas.
nur bei einzelnen Kranken mussten wir die Dosis auf 10 mal 0,15 g
erhöhen, mehr haben wir niemals gegeben.
Auf diese Weise haben wir 30 Kranke 10 — 20 Tage. 15 Kranke
21 — 35 Tage, einen 41 Tage unter Pyramidonwirkung gehalten: im
Ganzen haben wir 80 Patienten so behandelt mit einer Mortalität
von 10 Proz. Die Todesfälle waren bedingt 4 mal durch Darmblutung
2 mal durch diffuse Peritonitis, einmal durch zirkumskripte Peritonitis
mit Herzschwäche und durch kruppöse Pneumonie. Selbstverständ¬
lich erhielten die Kranken daneben entsprechende Diät, es wurder
auch kühle Abwaschungen gemacht und P r i e s s n i t z sehe Um¬
schläge angewandt, aber keine Bäder.
Schädliche Wirkungen des Pyramidons haben wir nie¬
mals gesehen; besonders haben zahlreiche Untersuchungen gelehrt
dass der Blutdruck, überhaupt die Herztätigkeit, durch das
Mittel in dieser Dosierung unbeeinflusst blieb. Blutungen bilder
keine Kontraindikation; nur wenn sie zu starkem Temperaturabfal
und hoher Pulsfrequenz führten, haben wir das Pyramidon ausge¬
setzt. Im Uebrigen waren wir froh, gerade bei dieser Kom¬
plikation ein Mittel zu besitzen, das die oft grosse Unruhe
des Kranken beseitigte und so zur Heilung beitrug.
Leichte und mittelschwere Fälle ohne Somnolenz, ohne schwerere
Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes brauchen kein Pyramidon
ebensowenig wie sie eine systematische Bäderbehandnlung brauchen
Aber es ist klar, dass bei Epidemien, unter mangelhaften äusserer
Verhältnissen, bei Ueberlastung des Wartepersonals, kurz überall wc
sich der Bäderbehandlung oft unüberwindliche Hindernisse entgegen¬
stellen, die geschilderte medikamentöse Behandlung vpn unschätz
barem Werte ist. Unter solchen Umständen werden vielleicht aucl
entschiedene Anhänger der Bäderbehandlung zu dem Mittel, greifer
und vielleicht ergeht es dann manchen wie uns an der Strassburgei
Klinik, wo wir nicht zur Bäderbehandlung zurückgekehrt sind, nach¬
dem wir gesehen hatten, dass die Erfolge des Pyramidons nicht ge¬
ringer waren.
In der bakteriologischen Diagnose des Typhu:
und Paratyphus war die Anreicherung der Bakterien in Galh
ein wesentlicher Fortschritt und es sind ja auch die Galleröhrcher
allgemein eingeführt. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass mar
1. November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2291
;i Benützung von Galleagarplatten in der Mehrzahl der
•die wesentlich rascher ein positives Resultat bekommt,
an sollte deshalb überall da, wo man das Material nicht zu ver-
liicken braucht, sondern es am gleichen Ort weiter verarbeiten
inn, die üalleagarplatten vorziehen. Impft man ein Galleröhrchen
it mehreren Kubikzentimetern Blut, so muss man es meist 24 Stun-
•n im Brutschrank lassen, bis im hängenden Tropfen oder Aus-
lichpräparat die Bazillen zu linden sind. Dann erst kann man
- auf die entsprechenden Nährböden überimpfen und hat dann nach
eiteren 12 Stunden die sichere Diagnose. Auf Galleagarplatten sind
’cr die ersten Kulturen oft schon nach 8—10 Stunden deutlich zu
kennen. Bringt inan eine derartige Kultur in Vz ccm sterile Bouillon,
sst diese 4 5 Stunden im Brutschrank, so hat man in dieser
:it eine dichte Kultur, die man zur Agglutination benutzen kann
ier auf die entsprechenden Nährböden überimpft, so dass nach
eiteren 12 Stunden die Diagnose sichergestellt ist. Auf diese Weise
nn man in zahlreichen Fällen schon in 12—24 Stunden ein ein-
andfreies Resultat der Blutkultur haben.
Die Technik ist sehr einfach und in der einschlägigen Literatur
t genug beschrieben; jedoch werden in der Praxis, wie ich mich
ufig überzeugen konnte, oft wesentliche Punkte vernachlässigt,
eshalb ich noch ganz kurz darauf eingehen möchte. Man soll
s Blut möglichst auf der Fieberhöhe entnehmen und zwar 10 bis
ccm aus der Armvene mit steriler Spritze. Diese Menge verteilt
an auf 6 Agarröhrchen, nachdem man jedem dieser Röhrchen, das
: wohnlich ca. 5 ccm Agar enthält, 1 — 2 ccm steriler Rindergalle
gesetzt hat Man kann die Galle auch gleich beim Abfüllen und
erilisieren des Agars zusetzen. Dann werden die 6 Platten ge-
ssen. Man soll sich nicht mit kleineren Mengen
lut und einer geringeren Zahl von Platten be¬
lügen, denn häufig findet man auf allen Platten zu-
mmen nur 3 bis 4 Kolonien und es ist anzunehmen, dass
ese dem Nachweis entgehen, wenn man weniger Blut ver¬
endet. Es ist auch für den Patienten ganz gleichgültig, ob man
:cm oder 15 ccm Blut entnimmt, sobald der Punktion der Armvene
:hts im Wege steht. Oft wird auch der Fehler gemacht, dass der
rch Kochen verflüssigte Agar vor dem Impfen mit Blut nicht ge-
gend abgekühlt wurde; er soll auf 45—50° abgekühlt sein.
Ist die Punktion der Armvene aus irgend einem Grunde nicht
'glich (bei kleinen Kindern mit reichlichem Fettpolster missglückt
; sehr häufig), so muss man Blut aus den sorgfältig gereinigten
irläppchen entnehmen, das man dann am besten direkt in ein
illeröhrchen laufen lässt. Sind typische Roseolen vorhanden,
nn ist es zweckmässig, aus den Roseolen abzuimpfen,
diese stets Bakterien enthalten, nach E. Fraenkel als echte
etastasen des Typhus zu betrachten sind. Man reinigt die Haut
t Alkohol und Aether, macht einen kleinen Einschnitt in die Roseola,
ugt mit einer ausgekochten Leukozytenpipette die hervorquellen-
n Blutstropfen auf und bläst sie in ein Galleröhrchen aus. Auf
;se Weise gelingt die Kultur häufig, wenn auch nicht so regelmässig
e bei den Fällen, wo man eine grössere Menge Blut aus der
mvene entnehmen und verarbeiten kann.
irschlag zur Behandlung tiefer bedrohlicher Haut-
Weichteilemphyseme.
)ti Dr. F r i t z K r o h, Köln, zurzeit Oberarzt bei der Reserve-
Sanitätskompagnie Nr. 8.
Bekannt ist, dass grössere Hautemphyseme ohne chirur-
;che Intervention zur Abheilung, d. h. zu spontaner Resorp-
n gelangen — gleichgültig ob ein offener oder geschlossener
leumothorax ätiologisch in Frage kommt — , aber ebenso ge¬
ltet die Hartnäckigkeit, mit der in die tiefere Subkutis
presste Luftmassen exspektativer Therapie trotzen; die hier-
■ rch geschaffenen Gefahren sind gross, und letzten Endes
1 r Quelle noch beizukommen oft genug unmöglich.
Symptomatisch für die Grösse der Gefahr, in der der Ver-
zte bei Eintritt dieser Komplikation schwebt, ist das charak-
! istische äussere Bild, das ausnahmslos von uns fixiert
irde : die Hals- und Gesichtshaut erscheint gedunsen, wie
ngeblasen, die Gesichtshaut ist zyanotisch, der Gesichtsaus-
'uck ängstlich, der Stimmklang — dieses ein für die Diagnose
iradezu typisches Phänomen — eigenartig angiös, näselnd;
Atmung, naturgemäss nicht zuletzt durch den bestehenden
I eumothorax, erschwert, die Herztätigkeit beschleunigt.
Wo sitzt die Gefahr? In der Fortpflanzung der rhyth-
1 sch eingespressten Luftwelle über die grossen Halsein-
‘ weide hinweg in das Mediastinum,, d. i. in der konsekutiven
l’.chanischen Reizung desselben, der grossen Gefässe und
rvenstämme; Tatsache ist — - diese Beobachtung machte ich
i sämtlichen von mir operierten Fällen — , dass die Luft auch
;i tiefen Faszien- und Gewebsinterstitien nachgeht: jedesmal
fand ich bei Isolierung der Trachea das derselben vorgelagerte
lockere Bindegewebe durch Aufnahme feinster Luftbläschen
schwammig verändert, einmal geradezu verfilzt, sah in diesem
l alle bei Hustenstoss Luftbläschen in grossen Mengen aus dem
Mediastinum in das Wundgebiet sich entleeren.
Dem exspektativen, wie schon erwähnt oft genug erfolg¬
reichen Verhalten stehen eben für kompliziertere Fälle zu
reservierende chirurgische Massnahmen gegenüber.
Unter diesen begreife ich einmal jene Versuche, systematiscli
tmreh, bei offenem Pneumothorax der Wundöffnung zu gerichtete,
Massagestriche die in das subkutane Gewebe abgewanderte Luft zu
vertreiben — der Erfolg dürfte nach eigener Erfahrung häufig be¬
friedigend sein — ; sowie unsere operativen Verfahren: durch Haut¬
schnitte kann ohne weiteres Zutun die Luft abgeleitet, der Effekt
noch gesteigert werden durch in ihrer Wirkung zweckmässig dosierte
Absaugung, die einmal durch auf die Wundöffnungen gestülpte Saug¬
glocken ermöglicht werden, die aber auch im Interesse eindring¬
licherer Wirkung in Form eines durch einen von einer Wasserstrahl¬
luftpumpe abgeleiteten, durch Saugglas übermittelten permanenten
Saugstrom geschehen kann. Vor 5 Jahren schon habe ich letzteren
Modus persönlich an Tier und Patient als vorteilhaft ausprobiert;
wenn ich nicht irre, erzielte vor Jahresfrist T i e g e 1 - Dortmund mit
ähnlicher Technik gleich günstige Resultate.
Die Wirkungsbreite aber auch dieses Verfahrens ist beschränkt.
1 atsache ist, dass ein in tiefe Interstitien eingepresstes Luftquantum
auch durch energischste Aspiration durch vorgelagerte Gewebs-
massen hindurch nicht immer oberflächenwärts geleitet und beseitigt
werden kann.
Diese unleugbare Insuffizienz legt den Gedanken nahe, durch
druckentlastende Massnahmen jenem obenbeschriebenen, das Media¬
stinum und die Halseingeweide treffenden mechanischen Reiz bei¬
zukommen. Dieser mir unbedingt notwendig erscheinenden Forde¬
rung suchte ich durch ausgiebige Freilegung der Luftröhre, der der¬
selben benachbarten grossen Gefässscheiden sowie der Kuppe des
vorderen Mediastinums und durch nachfolgende lockere Tamponade,
d. h. durch Schaffung einer Kommunikation der tiefen vorderen Hals¬
region mit der Hautoberfläche, mit anderen Worten: durch eine per¬
manente Ableitung der synchron mit der Atmung eingepressten Luft
nach aussen hin, gerecht zu werden.
Der in 3 Fällen ausnahmslos erzielte volle Erfolg sprach für die
Richtigkeit unserer Erwägungen. Folgendermassen gestaltet sich
der kleine operative Eingriff: Durch einen ca. 10 cm langen, dicht
oberhalb der Incisura sterni und beider Schlüsselbeine gelegten Kra¬
genschnitt wird die Subkutis freigelegt, der obere Wundrand kopf-
wärts vielleicht 3 — 4 cm weit von der Unterlage abpräpariert, dann
erfolgt die scharfe Isolierung der Sehnen des rechten und linken
Kopfnickmuskels; beide werden durch stumpfe Haken auseinander¬
gehalten und stumpf und scharf die Trachea freigelegt, darauf mit
Präpariertupfer oder Finger die grosse Gefässscheide beiderseits
breit isoliert, gleichfalls das lockere, hinter dem Manubrium sterni
gelegene Bindegewebe auseinandergedrängt. — Der ganze Eingriff
verläuft ohne nennenswerte Blutung, nur einige Hautgefässe sind zu
ligieren. Eine lockere, zur Kuppe des Mediastinum, zu den beiden
Gefässscheiden und zur Trachea geführte Tamponade und Situations¬
naht beschüessen den ganzen belanglosen, bei einigermassen aus¬
gebildeter Technik in wenigen Minuten zu erledigenden operativen
Eingriff. — Nach 2 Tagen ist der erste Verbandwechsel, der Tam¬
ponadestreifen wird gelockert und zum grossen Teil gekürzt.
Die von uns nach Operation von Fall zu Fall gemachten klini¬
schen Beobachtungen dürfen als Beleg für die Zulässigkeit und Rich¬
tigkeit dieses Eingriffes betrachtet werden: Sehr bald, spätestens
24 Stunden nach dem Eingriff, ist die, wie auch schon hervorgehoben,
durch den Pneumothorax an sich mehr weniger gestörte Atmung
freier, der anginöse Stimmklang verschwunden, das Allgemeinbefinden
sichtlich gehoben, von dem Emphysem kaum noch Spuren nachweis¬
bar: das ganze Krankheitsbild derart überraschend umgestimmt, dass
der einmalige Versuch in anderen, ähnlich liegenden Fällen stets zur
Wiederholung anregen muss.
Luftnachschübe von der Thoraxwunde aus sine, nicht mehr zu
fürchten, einmal, weil dieselbe meistens sehr frühzeitig sich spontan
schliesst, im umgekehrten Falle die eingepresste Luft von den ab¬
tamponierten tiefen und oberflächlichen Halsweichteilen eben kon¬
tinuierlich nach aussen wegdrainiert wird. Eine Wundinfektion habe
ich keinmal beobachtet, vor allem blieb das Mediastinum, dem natur¬
gemäss unsere ganz besondere Sorge galt, verschont.
In 2 der von uns beobachteten Fälle, die sämtlich den oben
von uns beschriebenen Symptomenkomplex in grösster Form zeigten,
war der sofortige operative Eingriff absolut indiziert. In dem dritten,
bei dem das Emphysem schon über die obere Brustgegend, über die
Vorderfläche, beide Seitenflächen des Halses und über das Gesicht
ausgebreitet war, versuchte ich unter Berücksichtigung des relativ
günstigen Allgemeinzustandes zuerst konservative Massnahmen:
wirklich gelang es durch eine ca. 20minütige Streichmassage das
offenbar nur im subkutanen Gewebe oberflächlich ausgebreitete
Emphysem ungefähr restlos zum Schwunde zu bringen. Ungefähr
20 Stunden später war das Rezidiv wieder da, der Allgemeinzustand
derart bedrohlich, dass ich eingriff, mit bestem Erfolge: das Emphy¬
sem schwand spontan, durch die konsekutive Druckentlastung war
2292
Feldärztliche Beilage zur Münch, nied. Wochenschrift.
Nr. 4',
der Patient in kürzester Frist, d. i. schon innerhalb der ersten
12 Stunden nach der Operation, von seinen Beschwerden befreit.
Hinzufügen möchte ich noch, dass als Ausgangspunkt des Emphy¬
sems ausnahmslos eine im Bereiche der vorderen oberen Schulter-
Brustgegend, gewöhnlich im zweiten Interkostalraum gelegene
Schussöffnung festgestellt wurde.
Es ist möglich, dass dieser naheliegende Behandlungs-
modus anderweitig und mit gleichem Erfolge geübt worden ist,
genauere Literaturstudien waren begreiflicherweise nicht mög¬
lich. Int Interesse ausgedehnter praktischer Nachprüfung
dieses einfach und schnell überall da, wo aseptisches Operieren
möglich ist, durchführbaren Eingriffes hielt ich die Publikation
desselben für meine Pflicht. Operiert wurden unsere Fälle auf
dem von unserer Sanitätskompagnie eingericheteten Haupt¬
verbandplatz.
Aus dem k. k. Zentralröntgenlaboratorium in Wien (Vorstand:
Primararzt Prof. Dr. Q. Holzknech t).
Der Schwebemarkenlokalisator.
Ein einfacher und exakter Fremdkörpersucher.
Von Dr. Heinrich Wachtel.
Die Verfahren der Fremdkörperlokalisationen zerfallen in
zwei Gruppen:
1. Schätzende (Aufnahme in zwei möglichst senk¬
rechten Richtungen: ganz ungenau; Durchleuchtung mit Ro¬
tation; Durchleuchtung mit Markierung von vier Oberflächen¬
punkten). Sie sind einfach, aber wenig genau. An manchen
Körperteilen sind sie nicht anwendbar.
2. Messende. Die bisher bekannten, über 70 an der
Zahl, sind, soweit genau, äusserst kompliziert. Die angeblich
beste von ihnen, von Fürstenau, hat wenigstens das viele
Rechnen durch eine Schieberkonstruktion vereinfacht. Sie er¬
fordert aber noch immer Besonderheiten der Nebenapparate
(Stereoröhren oder präzise und gemessene Röhrenverschie¬
bung, ferner gemessene Röhrenhöhe und Entfernung des Fokus
von der Platte), was schon im Frieden unbequem ist, im Krieg
mit seinen grösseren Anforderungen und geringeren Vor¬
bereitungen aber die Methode unbrauchbar macht.
Der heutige Stand der Fremdkörperlokalisation muss also
als recht unentwickelt bezeichnet werden. Die wichtigsten
Lücken bestehen in Fällen, welche nicht in allen Richtungen
durchleuchtet werden können, bei ganz kleinen, nur photo¬
graphisch sichtbaren Fremdkörpern, wo auch eine ein¬
fache Schätzungsmethode vollkommen mangelt und bei allen
grösseren Körperteilen, wo jede einfache, genaue Methode
fehlt.
Ich habe daher getrachtet, eine Methode zur Fremdkörper¬
lokalisation im Röntgenbilde zu finden und tatsächlich eine
solche gefunden, welche genaue Resultate liefert,
kein Rechnen verlangt und zugleich auch in der
praktischen Ausführung einfach ist, indem nur
eine zweimal zu belichtende Platte ohne Umlagerung
des Patienten aufgenommen wird und die Röhren-
einstellungen ohne jede Messung bloss ungefähr
nach dem Augenmass vorgenommen werden, so dass wir von
der Röhrenhöhe, der Fokusdistanz und der Röhrenverschie¬
bungsgrösse unabhängig sind, daher diese ganz beliebig
gewählt werden können. Die Methode ist also mit jedem
Röntgenapparat auch unter noch so ungünstigen Verhältnissen
durchzuführen und gibt trotz ihrer Einfachheit und Handlichkeit
präzise Resultate.
Das neue Prinzip der Methode beruht darauf, dass
bei einer Röntgenaufnahme des Körperteiles, in welchem man
den Fremdkörper vermutet, eine besondere, über dem
Körper schwebende Marke mitphotogra¬
phiert wird, sodann die Röhre um ein beliebiges Stück ver¬
schoben und eine zweite Aufnahme auf dieselbe Platte ge¬
macht wird. Man erhält dann auf der entwickelten Platte ein
doppeltes Bild des Objektes, auf dem auch der Fremdkörper
und die Marke zweimal photographiert erscheinen.
Gerät: Diese Schwebemarke ist in einer fixen Höhe von 30cm
auf einem Träger (s. Fig.) angebracht. Sie ist 1,5 cm lang und in der
Mitte mit einem Loch versehen. Sie ist aus schattengebendem
Material.
Der Schwebemarkenträger ist in seinem oberen Anteil aus Holz,
da er für Strahlen durchgängig sein muss. Das andere ist Metal
Durch das Loch in der Schwebemarkenmitte ist ein Lot (ein Metall,
kettchen mit spitzem Ende) gezogen.
Die Gebrauchsanweisung findet sich auf dem Gerät.
Ausführung: Der Patient wird zur Aufnahme, wie üblicl
auf die photographische Platte gelagert. Unter diese kommt di'
Bodenplatte des Schwebemarkenträgers. Der bewegliche An
desselben wird nun so gestellt, dass die Schwebemarke übe
der einen Plattenhälfte zu stehen kommt. Jetzt stellt ma'
die Röhre in beliebiger Höhe mit Hilfe des Zentralstrahl
lotes (s. Fig.), welches man an die Röhre hält, so ein, das
uimrnrmmu
Der Schwebemarkenträger wird mit der Bodenplatte unter die Röntgenplatte, mit dei
Markenarm über dem Patienten aufgestellt; die Röhre kommt mittelst Lot senkrect
darüber. Nach der ersten Aufnahme wird die Röhre beliebig weit verschoben und ein
zweite gemacht. Die Platte zeigt alles doppelt. Die Verschiebungen werden gemesse
und die Tiefe etc. an der Schiebertafel abgelesen.
die Schwebemarkenmitte in die Bahn des zur Platte senk
rechten Strahles kommt. Der Punkt an der Haut, der dabei der Mitti
der Schwebemarke entspricht, wird mit Farbstift bezeichnet. Jetz
wird ein beliebiger zweiter Punkt auf der Haut im Bereiche de
photographischen Platte bezeichnet und auf ihm eine Bleimarke voi
Quadratform mit Pflaster befestigt. Dann wird zum erstenmal belichte
und hernach die Röhre horizontal beliebig weit verschoben, wobei sij
in derselben Höhe, wie bei der ersten Aufnahme bleibt. Der Schat
ten der Schwebemarke soll irgendwo im Bereiche der Platte bleiben
Dann wird zum zweitenmal belichtet.
Nachdem die Platte entwickelt und fixiert ist, werden auf ih
folgende Zahlen mittels Massstab oder Zirkel gemessen:
1. die Grösse eines der Bilder der Schwebemarke;
2. die Entfernung der Bilder der Schwebemarke voneinander
3. die Entfernung des Bildes des Fremdkörpers der ersten Be
lichtung von der Mitte des Schwebemarkenbildes der erstei
Belichtung;
4. die Entfernung beider Bilder des Fremdkörpers voneinander
Nun ist dem Gerät eine schieberartige Kurventafel (s. Fig.) bei.
gegeben, um das Rechnen zu ersparen.
Die Höhe (Tiefe) in welcher der Fremdkörpe
über der Platte liegt und die Entfernung de
Fusspunktes des Fremdkörpers von den
Fusspunkt der Schwebemarke werden mit Hilfe de
auf der Platte gemessenen Zahlen aus den beigege
benen Kurven einfach herausgelesen. Man ha
so den Tiefsitz des Fremdkörpers und di
Stelle, wo er sich im Körper befindet, bestimm'
Die mathematische Begründung der Formeln, nac
welchen die Kurven ermittelt wurden, sei auf einen gef
eigneteren Zeitpunkt verschoben.
Die Methode kommt für jene Fälle in Betracht, in welche
die Lokalisationen 1. mit Aufnahme in zwei Richtungen, 2. di
Durchleuchtung mit Anbringung von 4 Hautstiftmarken, 3. di
durch Drehen des Körperteiles hinter dem Schirm ge
wonnenen kleinsten Distanzen zur Oberfläche und des zuge
hörigen Oberflächenpunktes und 4. die ebenfalls durch Drehe
hinter dem Durchleuchtungsschirm gewonnene Nähe zu einen
leicht anzugebenden Punkt des Skelettes oder eines sichtbarer
’ November 1914.
C»nes versagt. Sie tritt wegen ihrer Einfachheit an Stelle
i r bisherigen rechnenden Methoden, beseitigt aber deren
, Inningen.
Da dm Methode auf mathematischen Prinzipien basiert,
n die Genauigkeit ihrer Resultate bei präziser Einhaltung
Bedingungen bis zu Bruchteilen eines Millimeters ge-
gert werden. Für die täglichen Zwecke der Fremdkörper-
disierung würde aber auch ein geringer Fehler keine Rolle
len.
Die Methode ist bei jedem Körperteil und jeder Fremd¬
perlage verwendbar. Wo der Fremdkörper sitzt, braucht
i auch nicht ungefähr zu wissen. Der verdächtige Teil wird
genommen. Man kann sogar in der Not mit der ersten
; genologischen Aufnahme zwecks Nachweis von Fremd-
pern gleich die Aufnahme mit dem Schwebemarken-
ilisator machen.
Es sei hervorgehoben, dass die Methode mit keiner Be-
i igung für den Patienten, der die ganze Zeit in der gleichen
. e in Ruhe verbleibt, verbunden ist.
Ihrer Einfachheit wegen wird die Methode wahrscheinlich
lauch bei Fremdkörpern angewendet werden, die auch mit
i heute üblichen schätzenden Methoden ziemlich gut lokali-
t werden können. Die Uebung ist rasch erworben. Die
'irzeit gegenüber einer gewöhnlichen Aufnahme beträgt
0 Minuten.
Man kann aus der nach unserer Methode angefertigten
te auch die anatomische Lokalisation betreiben, indem man
iier der Höhe des Fremdkörpers über der Platte auch z. B.
i Höhe der Knochen usw. herausliest und die Werte mit
nder vergleicht.
Die Methode ist nicht nur für Fremdkörperlokalisierung
.ebrauchen, sondern kann auch sonst als Durchleuchtungs-
mannigfache chirurgische und internistische Dienste
en, worauf einmal in friedlichen Zeiten zurückgekommen
den soll.
Zum Schluss erlaube ich mir auch hier meinem hochver-
en Chef, Herrn Primararzt Prof. Dr. G. Holzknecht,
las grosse Interesse an meiner Arbeit ergebenst zu danken.
Der Apparat ist mit allem Zugehör und genauer Ge-
chsan Weisung von der Firma O. Sommer, Wien VII,
kstätten für Wiener Röntgenmodelle, zu beziehen.
Zusammenfassung: Die bisherigen exak-
: (messenden) Fremd körperlokalisations-
thoden sind viel zu kompliziert. Die obige
thode erspart die komplizierte Röhren¬
ist e 1 1 u n g durch eine mitphotographierte
uwebemarke und alles Rechnen durch einen
'lieber.
der chirurgischen Abteilung des Reservelazaretts in For-
bach i. Lothr.
Zur Aneurysmabehandlung.
Von Dr. Oskar Ort h.
I. F a 1 1. E. K.. Einj. -Unteroffizier aus Wiirzburg, wurde bei
villc durch einen Schuss in die Gegend des linken Pöupart-
1 Bandes verletzt. Nach seinen Angaben habe er auf dem
chtfelde viel Blut verloren, wurde aber schliesslich als mittel¬
er \ erletzter dem Reservelazarett Forbach zugeführt. Hier lag
nächst 8 — 10 Tage und der behandelnde Arzt vermutete, da sich
pulsierende Geschwulst bildete, ein Aneurysma und zog mich
onsultierenden Chirurgen zu.
iJat. fand Aufnahme auf der chirurgischen Abteilung (Maria-
' .-Krankenhaus).
n dem Scar paschen Dreieck bis über das P o u p a r t sehe
i hinaufreichend grosse pulsierende Geschwulst, die sehr schmerz¬
est Deutliches pulsatorisch-synchrones Schwirren. Pat. sehr
> isch.
)a bereits 14 Tage verstrichen, entschloss ich mich in der Au-
e, dass der Kollateralkreislauf bereits ausgebildet, zur Ope-
Iperation: Exstirpation des Sackes. Arterie und Vene sowohl
• der Quere als auch der Länge nach unmittelbar vor und in
bgangsstellc der Art. profunda zerrissen. Da die Operation ohne
a r c h sehe Blutleere gemacht wurde, blutete Pat. sehr stark
- onnte die beabsichtigte Gefässnaht nicht gemacht werden. Ab-
n der Arterie und Vene zentral und peripher. Naht. Der
” gab meinen Vermutungen betr. des Kollateralkreislaufes Recht.
1 lach 14 Tagen chirurgisch geheilt.
2293
II. Fall. Musketier aus Lüdescheid. Einschuss durch die
rechte Beckenschaufel. Pat. nach 4 Tagen ins Reservclazarett auf¬
genommen. Der Arzt stellt eine pulsierende Geschwulst von leicht
Apfelgrösse in der Femoralis fest. Zugezogen 14 Tage nach der
Aufnahme.
Deutliches Schwirren an der Femoralis oberhalb des P o u p a r t-
schen Bandes und aussen eine Schwellung. Pat. sehr anämisch, kann
nur in gebeugter Stellung liegen (Symptom eines Psoaabszesses).
Operation: Schnitt wie zur Freilegung der Art. iliaca. Nach
präparatorischem Vorgehen, bei dem ich noch an die Möglichkeit
eines Abszesses dachte, sehe ich deutlich die dunklen, grünlichen
Membranen. Nach Ausräumung der Gerinnsel profuse, heftigste
Blutung. Kompression der Aorta abdominalis, Tamponade mit vielen
Kompressen. Freilegung der Art. femoralis nach Durchtrennung des
P o u p a r t sehen Bandes. Hinaufpräparieren von Arterie und Vene,
Entfernung der Kompressen, schliesslich gelingt es die Art iliaca und
Vene isoliert zu fassen. Beide Gefässe quer und längs zerrissen.
Zentrale und periphere Ligatur mit Risiko. Schichtnaht der Wunde.
Pat. moribund, erholt sich und ist heute, nach 7 7'agen, als chirurgisch
geheilt zu betrachten. Keine Gangrän. Puls in der Tibialis postica
schwach fühlbar.
Ohne auf die Details, die einer späteren Publikation Vorbehalten
sind, einzugehen, seien folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Nach 14 Tagen bzw. 3 Wochen kann man ein Aneurysma
operativ angehen.
2. Während dieser Zeit genaueste Beobachtung.
3. ln Feld- und Kriegslazaretten nur bei profuser Blutung zu
operieren, nicht zu operieren, wenn erstere Indikation nicht besteht,
weil zu früh nach der Läsion der Kollateralkreislauf versagt.
Als Operationsmethoden kommen in Frage:
1. Die definitive Unterbindung des Arterienrohres.
2. Die Wiederherstellung der Blutpassage:
a) durch seitliche Naht,
b) durch Resektion des kranken Gefässstückes und Vereinigung
End zu End,
c) Resektion und Einsetzung des transplantierten Schaltstückes.
Welche Methode Anwendung findet, entscheidet der Fall selbst.
Bei meinen war die Naht beide Male unmöglich, da beide Patienten
überhaupt kaum den schnellsten Eingriff aushielten.
Ich habe mir erlaubt aus den oben angeführten Erwägungen
beide Fälle zu veröffentlichen, um dem einen oder anderen Kollegen
einen Fingerzeig zu geben.
Aus dem Kgl. Reservelazarett Kapellen-Stolzenfels
(Chefarzt: Dr. B. Bema r d).
Vielfache Verletzung durch ein Geschoss.
Von Stationsarzt Dr. R. Bloch.
Der Infanterist F. Ph. wurde am 31. VIII. 1914 nahe Sedan durch
Infanteriefeuer verwundet; der Schuss wurde aus einer Entfernung
von 15 — 20 m von einem Baume herunter abgegeben und das feind¬
liche Projektil setzte 8 Wunden, welche auf dem Felde sofort ver¬
bunden wurden.
Am 13. IX. kam der Verletzte in unser Lazarett: der Befund
war folgender:
Am linken Arm befindet sich handbreit unterhalb Schulterhöhe
eine linsengrosse Einschusswunde an der Streckseite (1), der Aus¬
schuss 20 cm unterhalb der Achselhöhle an der Beugeseite, bohnen¬
gross (2); in seiner Umgebung ein hühnereigrosser Bluterguss.
Daumenbreit unter der linken Brustwarze eine mandelkerngrosse
Streifwunde (3); der Penis zeigt auf seinem Rücken eine bohnen¬
grosse Streifwunde (4); das Skrotum weist in seiner rechten Hälfte
ebenfalls Ein- und Ausschuss — mit Freilegung der Tunica vag. pr. -
auf (5, 6). Endlich befindet sich am rechten Oberschenkel daumen¬
breit nach aussen und unten vom äusseren Leistenring eine klaffende,
granulierende walnussgrosse Wunde (7), welcher eine handbreit
darunter gelegene ebenso grosse Wunde als „Endausschuss“ ent¬
spricht (8).
Das Röntgenbild ergibt am linken Oberarm einen dem Schuss¬
kanal entsprechenden Schrägbruch des Oberarmknochens.
Die Behandlung der Wunden war so einfach wie möglich, sie
bestand in feuchten und Xcroformsalbenverbänden : am 7. X. 14 waren
sie alle geheilt: am linken Oberarm sind mässige Kallusmassen vor¬
handen - — Umfang 1 cm mehr als rechts — ; oberhalb und unterhalb
der Bruchstelle sind die Umfänge links 1 cm geringer als rechts,
doch dürfte die Muskelatrophie durch die bereits einsetzenden
aktiven Bewegungen (Armheben fast bis zur Senkrechten möglich)
bald behoben und die Dienstfähigkeit in kurzem wieder hergestellt
sein.
Der Fall ist bemerkenswert durch die grosse Anzahl der Wun¬
den eines einzigen Projektils an den verschiedenen Körpergegenden
— erzeugt durch die Entfernung und den Stand des Schützen — ,
durch die auch hier erkennbare segensreiche Wirkung unserer ersten
Hilfe auf dem Truppenverbandplätze und durch die auffallende Rasch¬
heit der Heilung bei einfachstem Wundbehandlungsverfahren.
Feldärztlichc Beilage zur Miineli. mcd. Wochenschrift.
2294
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Unter welchen Voraussetzungen macht auch eine noch ,
geringfügige Schwerhörigkeit für sich allein schon un¬
tauglich zum Kriegsdienst?
Von Sanitätsrat Dr. Franz Bruck in Berlin-Charlottenburg.
Bel vollständig intaktem Trommelfell führt bekanntlich die
alleinige Schwerhörigkeit auf jeden Fall dann zur Dienstuntauglich¬
keit, wenn sie einen bestimmten, genau vorgeschriebenen Grad er¬
reicht hat. ist die Hörfähigkeit aber noch nicht so weit gesunken,
so wird der Wehrpflichtige in der Regel eingestellt. Dabei kommt
es selbstverständlich recht häufig vor, dass die Natur eines trotz
unerheblicher Hörstörung doch prognostisch ungünstigen
Ohrenleidens dem Militärärzte, der den zu Untersuchenden zum
ersten Male zu sehen Gelegenheit hat, verborgen bleibt, es sei
denn, dass vorher eine Behandlung durch einen Ohrenarzt statt¬
gefunden hat und dass dessen aufklärendes Gutachten rechtzeitig
v o r 1 i e g t. Wie wichtig dies aber für gewisse Ohrenkranke ist,
deren Leiden (sog. Otoskierose) sich durch eine allmählich pro¬
gressive Schwerhörigkeit, verbunden mit subjektiven Ohrgeräuschen,
charakterisiert, geht daraus hervor, dass sich gerade diese Fälle,
selbst wenn sie sich bei der Musterung und auch bei der Aushebung
noch im Anfangs Stadium ihrer Krankheit befinden, erfahrungs-
mässig häufig ganz rapide verschlechtern, wenn sie Schädlich¬
keiten ausgesetzt sind, die sich im Kriege nicht vermeiden lassen.
Denn durch körperliche Anstrengungen, durch seelische Erregungen,
ferner durch den Zwang, sich jedweder ungünstigen Witterung aus¬
zusetzen, und endlich durch starke, das Ohr von aussen treffende
Schalleinwirkungen (Knall von Gewehren und Geschützen, Explo¬
sionen) können Hörfähigkeit und subjektive Ohrgeräusche solcher
Kranken sehr leicht so ungünstig beeinflusst werden, dass daraus
eine dauernde Schädigung resultiert. Aus diesem Grunde kann
der untersuchende Militärarzt ein etwaiges, sich auf anamnestische
Daten und eine längere Bcobachtungszeit stützendes Urteil des be¬
handelnden Arztes nicht entbehren. Dessen verant¬
wortungsvolle Aufgabe aber ist es. den leicht progredienten
Charakter des Leidens richtig zu erkennen. Denn selbstverständlich
n u r in diesem Falle besteht eine Kriegsuntauglichkeit bei einer
Hörstörung, die an sich die Felddienstfähigkeit nicht aufhebt. Diese
Prophylaxe liegt nicht nur im Interesse des Kranken, sondern natür¬
lich auch in dem des Staates.
Verbandstoffersatz.
Von Dr. Bruglocher, K. Obermedizinalrat a. D. in Ansbach.
Die Sperre der Baumwollenzufuhr hat schon seit Beginn des
Krieges gemahnt, mit baumwollenen Verbandstoffen soarsam zu sein,
sie hat längst ausser Gebrauch gekommene Ersatzstoffe wieder in den
Vordergrund gerückt und den Nachweis der Verwendbarkeit der
Scharpie erbracht. Da habe ich, obschon seit Jahren der Praxis ent¬
rückt, meine Aufzeichnungen aus den 80 er Jahren hervorgeholt, nach¬
dem ich schon in den 70 er Jahren, einer Anregung meines Lehrers
Carl T h i e r s c h folgend, in meiner damaligen Eigenschaft als Kran¬
kenhausarzt in Schwabach von der Jute ausgedehnten Gebrauch als
Verbandstoff gemacht hatte. Es geschah dies lediglich aus Sparsam¬
keitserwägungen; ich hatte mir damals notiert, dass 1 kg Gaze
(= 40 m) 7.20 M., 1 Kilo Jute nur 0.90 M. kostete. Ob der Jutehanf,
dessen ursprüngliches Anbauland Ostindien war, während des Krieges
m unbegrenzter Menge zur Verfügung stehen wird, kann ich nicht
beurteilen. Selbstverständlich kam er in jener Zeit nur in antisep-
tisch imprägnierter Form zur Verwendung. Ich übergehe meine
Notizen über Selbstbereitung antiseptischer Verbandstoffe und über
die Verwendung von Torfmull, Moos, Holzwolle und Asche als Ver¬
bandmaterial und berichte nur, was ich über die Verwendung von
Sand in der Form von Sublimatsand nach einer Arbeit Kümmells
in Langenbecks Archiv 28. 3. H mir aufgezeichnet hatte, da ich
seinerzeit von diesem Verbandmaterial einen recht ausgedehnten
Gebrauch gemacht habe. Gewaschener und ausgeglühter Ouarzsand
wird nach dem Erkalten mit einer ätherischen Sublimatlösung ge¬
mischt und in fest verschlossenen Oefässen aufbewahrt. 10,0 Subli¬
mat in 100,0 Aether gelöst genügen bei längerem Umrühren zum Im¬
prägnieren von 10 kg Sand (= 0.1 Proz. Sublimatsand). Heute würde
man sich zumeist mit dem Ausglühen des Sandes begnügen können.
Die häufigste Verwendungsart war die von Mullsäckchen, welche nur
wenig prall mit Sand gefüllt waren, so dass sie sich der Köroer-
oberfläche genau anschmiegten. Für einfachere Fälle genügten klei¬
nere, die Wunde mässig überragende Säckchen; Dauerverbände, die
2 — 3 Wochen unberührt liegen konnten, wurden erzielt durch ein
zweites, grosses, nach allen Seiten weit überragendes Kissen.
Die Erfolge waren durchaus befriedigende, die Aufsaugungsfähig¬
keit des Sandes liess nichts zu wünschen übrig, dass je über Druck
des Kissens geklagt worden wäre, ist mir nicht erinnerlich. Bei
alten Unterschenkelgeschwüren mit schmutzigem Grund und harten
Rändern streute ich nicht selten den Sand unmittelbar in den Sub¬
stanzverlust. Ich hatte auch dies Verfahren nie zu beklagen. Dass
der Sand überall leicht und billig zu beschaffen ist, kann nicht unter¬
schätzt werden. Seine ausgedehntere Verwendung würde auch einer
Nr. 7
unbegründeten Preissteigerung baumwollener Verbandstoffe Schn
ken setzen.
Kriegschirurgische Erfahrungen in der Front.
Von Dr. Wilhelm D a n i e 1 s e n aus Beuthen O.-Sehl., /■
zeit Oberarzt der 20. Reserve-Sanitätskompagnic.
Unsere kriegschirurgischen Erfahrungen der letzten Kriege ba i
sich lediglich auf den Mitteilungen aus den Feld- bzw. Krlegsla,
retten auf. Sie sind daher für die allgemeine Beurteilung bis i
einem gewissen Grade einseitig und irreführend, denn jeder in diei
Feldzuge in der Front tätige Arzt findet häufig genug Widersprü*
zwischen dem, was er in den letzten Jahren gelesen hat und di
was er mit seinen eigenen Augen sieht, mit seinen Ohren hört, i
seinen Händen anfasst. Ich habe in den letzten Wochen an i
Kämpfen der Kronprinzlichen Armee teilgenommen, habe in der Fn
ca. 4500 Verwundete durch meine Hände gehen lassen und glah
durch Mitteilung meiner Erfahrungen aus der Front gewisse r
gänzungen unseres Wissens auf diesem Gebiet bieten zu könneil
Die Sanitätskompagnie gehört zum Verbände der i
fanteriedivision, ihre Hauptaufgabe ist die erste Fürsorge für i
Verwundeten in und nach dem Gefecht. Das geschieht in der Wet
dass die Verwundeten durch Krankenträger oder Krankenwagen;!
dem in möglichster Nähe des Schlachtfeldes eingerichteten Haupt^
bandplatz (HVP.) gebracht und dort von den 9 Aerzten der S;i
tätskompagnie ärztlich versorgt werden.
Die Fürsorge für die Verwundeten soll bestimmungsgemäss d
rin bestehen, dass die Verwundeten unter Vermeidung aller nicht h
bedingt erforderlichen Untersuchungen für die Weiterbeförderi:
vorbereitet, die dafür nötigen Verbände angelegt oder bereits n
gelegte entsprechend verstärkt und unaufschiebbare, lebensrettel
Operationen (Blutstillung, Luftröhrenschnitt, Harnröhrenschnitt, h
amputation u. dergl.) vorgenommen werden. Die Wahl des Op
zur Errichtung des HVP. trifft der Divisionsarzt. Es ist selbst*
ständlich, dass der Platz an einer grösseren Strasse liegt; er ki
in Gebäuden oder in festen Stellungen errichtet werden.
Die Wahl des Ortes war für uns oft recht schwierig. *
wir besonders auf dem Hochplateau unter Wassermangel zu leik
hatten. Bei der Prüfung der Frage, ob die Tätigkeit in einem e
bäude oder im festen mitgebrachten Zelt entwickelt werden soll, zip
ich im allgemeinen Gebäude vor. allerdings nur, wenn ein sehr bti
ter Eingang vorhanden ist. Das ist unbedingt erforderlich; i
hatten uns am ersten Schlachttage bei Baix-Bas Lieux in ein
Privathaus etabliert. Bei der ungeheuren Anzahl von 750 ms
Schwerverwundeten am ersten Tag, wo uns allen jede Erfahrt
fehlte, kam es beim Zu- und Abtragen der Krankentragen stets;
Störungen und Stockungen am engen Eingang. Ferner müssen i
Zimmer vom Korridor aus direkt zugängig sein, damit nicht i
Arbeit in den ersten Zimmern durch das Hindurchtragen der Kranfc
und das Hin- und Herlaufen der Krankenwärter gestört wird i
besten eignen sich mehrere nebeneinanderliegende Scheunen, das
der Zugang breit genug, genügend Lagerraum und Lagermata
steht zur Verfügung. Auch Kirchen und Schulen sind von uns i
wählt worden. Es muss aber stets bei der Auswahl des Ortes D
allen Dingen neben der Geräumigkeit auch auf leichte und beqim
Zu- und Äbtransportmöglichkeit der Hauptwert gelegt werden, a
man Besorgnis, dass die Krankentragen sich stauen könnten, schl;
man lieber die Zelte auf; am besten am Eingang des Dorfes, ■'
Wasser und Scheunen für die Verbundenen in der Nähe sind.
Die Anordnung des Hauptverbandplatzes im Freien geschl
zweckmässig etwa nach folgendem Schema;
Zufahrt _ vS 7~ R A v5 vS E _ ab fahrt
\ Bl
\ \. Signal -ynast
—
Leich /verwunde
Transport¬
fähige
Verbundene
Leichtverwundet^
Sammelplatz
x
^//■% |
1 Zelt fiir~\
/Schwer verwunde fe\
iWMKwl
Nicht transpor
fähige Venvundt
U- -?J
- 1
Sterbende j
Ausserdem werden noch Plätze eingerichtet für das Gepäck -
Verwundeten, für Tote, ferner hinter dieser Anordnung für >
Biwak der Sanitätskompagnie, Küche, Wagen usw.
Die Signalvorrichtung, welche an einer Stange bei I
die Rote Kreuzfahne, bei Nacht eine rote Laterne trägt, soll, J-
dem Schlachtfelde zu, weit sichtbar aufgestellt werden. Wir hD
versucht, den Verwundeten das Auffinden der Sanitätskompag-
dadurch zu erleichtern, dass wir den Flaggenmast auf einer AnU
24. November 1914
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
22 95
neben dem HVP. aufstellten. Unmittelbar nachher begann ein wüten¬
des Schrapnell- und Granatfeuer auf den Punkt. Da die Geschosse
in unmittelbarster Nähe des HVP. aufschlugen, musste die Signalvor¬
richtung, welche der Feind offenbar für die Fahne eines Stabes hielt,
entfernt werden. Bei den ausserordentlich weiten Entfernungen des
heutigen Schlachtfeldes wird man mit solchen Zwischenfällen rechnen
müssen.
Sobald die beladenen I ragen ausgeladen werden, trennt bereits
vor dem Empfangszelt einer der Aerzte die Leicht- und Schwer-
verwundeten, zunächst lediglich auf Grund einer, durch Befragen ge¬
wonnenen, Wahrscheinlichkeitsdiagnose und überweist sie den zu¬
ständigen Zelten oder Räumen. Im Raum oder Zelt für Leichtver¬
wundete regelt sich der Dienst von selbst, dagegen muss die Ein¬
teilung bei der Versorgung von Schwerverwundeten zweckmässig
sein und am besten von vornherein feststehen, damit schnell ein¬
gerichtet werden kann und Aerzte und Personal genau vertraut sind.
Da die Anzahl der Schwerverwundeten, welche schnellstens ver¬
sorgt werden mussten, mehrfach etwa 200 waren, war es notwendig,
zur schnellen Erledigung an 2 Tischen zu arbeiten. Hinter den
Tischen steht ein gemeinsamer Tisch für Verbandstoffe, welche von
einem geschulten Sanitätsunteroffizier zugereicht werden. Er hat
auch das Schienenmaterial bei sich, das von einem andern, möglichst
geschickten Krankenwärter stets zurechtgemacht und zugereicht
wird. Einem anderen Unteroffizier untersteht der Kocher und die
Sauberkeit der beiden Instrumentenschalen und der Schalen für die
Händedesinfektion. Die Verwundeten werden stets auf ihrer Trage
auf den Verbandtisch gehoben und nach der Versorgung wieder mit
ihr abgehoben. Es wird dadurch eine weitere Erschütterung ver¬
mieden. Damit die Tätigkeit einheitlich ist, richtet sie sich nach den
Ansichten des an dem einen Tisch arbeitenden Chirurgen, der für
die gesamte Tätigkeit in diesem Zelt die Verantwortung trägt.
Jnstrum
Verbandstoffe
Jnstrumente
5
Ich operiere und verbinde im allgemeinen in Gummihandschuhen,
weil sie sich am schnellsten säubern und desinfizieren lassen. Im
allgemeinen schlägt aber die Tätigkeit auf dem HVP. allen unseren
Lehren von Asepsis ins Gesicht. Selbst dem aufrichtigsten und
energischsten Bemühen gelingt .es nicht, auch nur die anspruchs¬
losesten Anforderungen durchzuführen. Es ist daher durchaus not¬
wendig, alles mit den meist relativ sauberen Instrumenten zu machen.
Als Hautdesinfektionsmittel benutzen wir Jod, doch unterscheidet sich
der Heilverlauf dieser Wunden von denen ohne Jodanstrich gar-
nicht. Sehr unangenehm fühlbar ist der Mangel an Tupfern. Der
zum Tupfen benutzte Mull muss stets von einem grösseren Stück ab¬
geschnitten werden. Das ist zeitraubend und unsauber. Von den
Verbandmaterialien kann das Verbandpäckchen nicht rühmend genug
hervorgehoben werden. Es ist in jeder Beziehung zweckmässig und
dem gleichartigen französischen weit überlegen. Den Mastixverband,
in der Friedenspraxis von uns viel verwandt, haben wir zugunsten
des Traumaplastes fallen lassen. Für die Bedeckung der Ein¬
schussöffnungen und bei kleinem Ausschuss auch dieser, genügt das
Pflaster vollkommen. Es arbeitet sich mit ihm tadellos rasch und
sauber. Als Abschluss grösserer Wunden dient leider immer noch
die sogen, hydrophile weisse Watte. Ich kann mich mit der Watte
absolut nicht befreunden, Zellstoffkissen wären besser, weil wir oft
unter der Watte Sekretstockungen gesehen haben. Auffallend ist
unter dem Bindenmaterial ein riesiger Bestand an Kambrikbinden
und ein Mangel an entsprechenden Mullbinden. So wird der Betrieb
durch Watte und Kambrik unnötig verteuert.
Eine allgemeine Prognose der Schussver-
Atzungen zu stellen, halte ich für unsinnig. Die Verletzungen
aei Nahschuss und bei Fernschuss, durch Infanterie- und durch Artil-
!eriegeschosse, durch Schrapnell und durch Granate sind so grund¬
verschieden, dass man sie unmöglich über einen Kamm scheren darf.
Wir haben an einem Tag ca. 1000 Infanterieverwundungen gehabt,
welche alle so leicht waren, dass die Verwundeten zu fast 95 Proz.
narschfähig waren. An einem andern Tage hatten wir wohl 400 In¬
fanterieverwundungen, unter denen nicht 100 marschfähig waren:
uer handelte es sich um Nahschüsse. Die Infanterienahschüsse des
ranzösisehen Geschosses, noch mehr aber unseres S.-Geschosses
Jnd furchtbar, die Fernschüsse beider relativ harmlos. Die ersteren
deichen oft im Ausschuss den Verwundungen durch Geschützfeuer.
Jnter den 4500 Verwundungen waren 713 als sehr schwer anzusehen.
Die Weichteilschüsse haben oft ungeheure Dimensionen,
’esonders wenn sie durch Granatsplitter hervorgerufen sind. War
iie Wunde nicht sehr verschmutzt, habe ich ziemlich regelmässig
mit ganz gutem Erfolge einige Situationsnähte gelegt und damit die
Heilung, die sonst ziemlich lange dauert, beschleunigt.
Tracheotomien wurden bei uns nicht gemacht.
Bei der Indikation zur Amputation bin ich denkbarst
zurückhaltend. Da es sich um gesunde Leute handelt, versuche ich
stets, die Extremität zu erhalten, wenn die Ernährung und Innervation
fortbesteht. Die Knochen- und Weichteilverletzungen sind auch in
den schwersten Graden für mich kein Grund zur Amputation. Sollte
wider Erwarten keine Anheilung erfolgen, kann immer noch abgesetzt
werden. Jedenfalls schadet auf keinen Fall eine abwartende Haltung.
Ich gebe zu, dass ich ausserordentlich weit gehe, denn ich habe
unter den ersten 4000 Verwundeten nur einmal im Unterarm ampu¬
tiert, später noch einmal im Oberarm. Bei ausgedehnter Knochen¬
zertrümmerung habe icli oft die Splitter etwas zusammengebracht,
wenn mir ihre Ernährung nicht gefährdet erschien: schien mir das,
so habe ich die Splitter entfernt und dann die benachbarten Stüifipfe
aneinandergebracht, dass Verkürzungen bis zu 10 cm vorkamen. Und
es heilte tadellos — allerdings mit einer Einschränkung: solange ich
sie unter Augen hatte. Indessen war nach ca. 4 Tagen der Eindruck
so gut, dass ich eines guten Enderfolges sicher bin. Zwar kann man
mir einwerfen, dass eine Verkürzung von 10 cm sehr gross ist, Zu¬
gegeben! Aber sie ist nicht zu gross im Vergleich mit dem Verlust
des ganzen Beines oder Armes.
Schwere Blutungen kamen nur 3 mal zu uns, davon wurden
2 arterielle durch Unterbindung gestillt, eine venöse aus der Subklavia
führte zum Tode. Aneurysmen haben wir gar nicht gesehen,
das hat seinen Grund wohl darin, dass wir die Wunden im günstigsten
Falle nur 4 Tage nach der Schlacht sahen.
Die Zahl der Kopfschüsse war recht gross: 83, die Mehr¬
zahl davon Gehirnschüsse. Die Gehirnschüsse haben im ganzen ge¬
nommen eine recht traurige Prognose. Bekannt ist ja, dass die
Tangentialschüsse von den reinen Lochschüssen zu unterscheiden
sind. Wir haben bei den reinen perforierenden Lochschüssen
uns jeden Eingriffes enthalten; sie sind meines Erachtens auch alle
gestorben, ohne dass Druckerscheinungen zu operativer Hilfe Ver¬
anlassung gaben. Hier war wohl stets die Zerstörung der Gehirn¬
masse am Tode schuld. Dass die Zerstörungen gross sein müssten,
zeigten uns die z. T. sehr grossen Hirnprolapse. Bei den Tangen¬
tialschüssen gingen wir aktiver vor. Wir haben, abgesehen
vom ersten Schlachttage, später .möglichst jeden Tangentialschuss
operiert und infolgedessen 12 Trepanationen gemacht. Der Eindruck
von dem Nutzen der Operation war oft sehr deutlich. Aber auch hier
richtete sich natürlich der Erfolg vor allem nach dem Grade der Ge¬
hirnverletzung. So z. B. habe ich einen Musketier operiert, welcher
im Schädel eine perforierende Rinne von 10 cm Länge und 2 cm
Breite aufwies. Die ausgedehnte Splitterung der Tabula interna hatte
zu einer mächtigen Zerstörung der Gehirnmasse geführt. Natürlich
konnte in dem Falle eine Reinigung und Tamponade der Zertrüm¬
merungshöhle keine Heilung bringen, während es in leichteren Fällen
gar nicht erst zu schweren Erscheinungen kam. Wir haben diese
Trepanation nur dann auf dem HVP. gemacht, wenn genügend Zeit
und Licht zur Verfügung stand. Ausgehend von der Erwägung, dass
solchen Kranken der Transport so ausserordentlich schädlich ist, dass
aber anderseits die Operation möglichst frühzeitig gemacht werden
muss, habe ich mich entschlossen, bei günstigen äusseren Umständen
die Entlastungstrepanation bereits auf dem HVP.
zu machen und die Operierten bei uns ruhen zu lassen.
Unter den Oesichtsschiissen nehrrfen noch die A u g e n s c h ii s s e
eine besondere Rolle ein. Für diese Verwundungen ist im allgemeinen
schlecht gesorgt. Da aber unter unseren Herren ein Augenspezialist
ist, konnten wir unseren Augenverwundeten und denen anderer For¬
mationen die beste augenärztliche Behandlung zuteil werden lassen.
Sehr häufig (9 mal) musste sie leider wegen der Gefahr, 1 mal wegen
schon bestehender sympathischer Ophthalmie in der Enukleation
oder Exkochleation bestehen.
Die Ansicht von der Gutartigkeit der Brustschüsse (89) ist
richtig, wenn es sich um Infanterieverletzungen handelt. Allerdings
haben wir bei Nahschüssen auch hierbei sehr schwere Zustände ge¬
sehen und Verluste gehabt. Noch schlechter ist die Prognose bei den
Granat- und Schrapnellverletzungen der Lungen. Nicht selten werden
uns die Verwundeten mit kleinem Einschuss und grossem Ausschuss
gebracht, so dass eine breite Kommunikation zwischen Pleura und
Aussenluft bestand. Um die Genesungsaussichten zu verbessern,
habe ich in diesen Fällen mit einigen durchfassenden Situations¬
nähten die Oeffnung geschlossen, weil ich der Ansicht bin, dass dann
der Pneumothorax resorbiert werden kann und so eine Schädigung
beseitigt ist. Der bisherige Erfolg hat meinem Vorgehen recht ge¬
geben. Die Besserung war in diesen Fällen unverkennbar. Sollte sich
ein Empyem entwickeln, würde dieses die Vorteile der primären
Situationsnaht nicht aufwiegen. Auch hier individualisieren wir also
die Prognose nach der Art des Geschosses und schematisieren die
Behandlung mit Morphium und Kamofer.
Eine grosse Crux sind auch die Bauchschüsse. S i e s i n d
lange nicht so günstig, wie wir angenommen haben.
Von den 63 zu uns gekommenen Bauchschüssen sind die allermeisten
bis auf wenige Ausnahmen gestorben. Diejenigen, welche nach
4 Tagen noch lebten und den Feldlazaretten überwiesen wurden
konnten allerdings auf den Beobachter, der die Vorgänge nicht kannte,
die Ansicht von dem günstigen Verlauf der Bauchschüsse erwecken!
2296
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 47.
Diese Ansicht ist durchaus falsch. Ihre Aussichten sind
schlecht, auch wenn — wie ich gesehen habe — junge eifrige
Kollegen im Feldlazarett laparotomierten. Sie starben nur noch
schneller. Das kam daher, weil zwischen Schuss und Operation zu
viel Zeit und zu viel Transport lag. Eine einigermassen aussichts¬
reiche Behandlung ist meines Erachtens nur möglich, wenn solche
Verletzte bald laparotomiert werden. Bei dem wie ein Gewitter auf
den HVP. hereinbrechenden grossen Strom der Verwundeten ist
dort eine Laparotomie unmöglich, will man nicht die übrigen Ver¬
wundeten einseitigerweise vernachlässigen. Die einzige Möglichkeit
läge in der Heranziehung eines der vielen nichtetablierten Feldlaza¬
rette, welches lediglich die eine Aufgabe hätte, gewissermassen die
Operationsabteilung des HVP. zu sein. Dann würde es vielleicht
auch möglich sein, die Verwundeten mit den schweren Blutungen aus
parenchymatösen Organen zu retten. Wie die Verhältnisse aber jetzt
liegen, können wir bei den Bauchschusswunden nichts anderes
machen, als Morphium, Opium, Ruhe und Enthaltung von Speise und
Trank, wohl wissend, dass die Verletzten mit allergrösster Wahr¬
scheinlichkeit zugrunde gehen.
Die Rückenmarkschüsse (4) haben wir ebenfalls stets
konservativ behandelt und glauben, dass dieses Vorgehen für die Ver¬
wundeten in der ersten Zeit unbedingt das richtige ist.
Die Verwundungen der Geschlechtsteile (17) be¬
dürfen stets peinlichster Säuberung, Desinfektion und sorgfältigster
Verbände. Bei Hodenzertrümmerungen habe ich mich häufiger zur
Semikastration entschlossen, um die Gefahr einer Phlegmone mög¬
lichst zu vermindern. Hier ist bei allen Verwundungen ausgedehnte
Tamponade und Drainage am Platze. Bei Harnröhrenverletzungen
habe ich stets den Katheter einführen und die weitere Versorgung
dem Feldlazarett überlassen können.
Sehr gross war natürlich die Zahl der Frakturen. Ich will
aus der grossen Anzahl nur die Oberschenkel- (109) und Oberarm¬
brüche (71) hervorheben. Ich betonte schon, dass wir bei diesen
Verletzungen trotz ausgedehntester Knochenzertrümmerung bis aufs
äusserste konservativ sind und dabei gute Erfahrungen gemacht
haben. Der Verband muss so angelegt werden, dass die Bruchenden
in guter Stellung festgehalten werden — auch bei einem langen
Transport mit Lastwagen. Ich halte im allgemeinen im Kriegsleben
bei Oberschenkelbrüchen den Hüften und Bein umfassenden Gips¬
verband für den besten, doch lag dazu gar keine Möglichkeit vor.
Wir haben allein an einem Nachmittag und einer Nacht neben den
übrigen schweren Verletzungen 19 Oberschenkclbrüchc gehabt. Da
ist zum Eingipsen keine Zeit. Ich habe mich mit grossem Nutzen der
ausserordentlich zweckmässigen Dupuytren sehen äusseren
Schiene mit Extension bedient und habe den Verband stets eo ipso
in Narkose angelegt. Nachdem Aerzte und Personal darauf ein¬
gefuchst sind, geht solch ein Verband mit riesiger Schnelligkeit vor
sich, lieg: exakt und verspricht guten Erfolg. Selbstverständlich wird
die Hüfte mit eingewickelt, über das Ganze eine Stärke- oder Gips¬
binde.
Bei Oberarmbrüchen verwende ich den ebenfalls bereits
in meinen Ratschlägen in der „Therapie des praktischen Arztes“ mit¬
geteilten Bandeisenverband. Ein Stück Bandeisen (z. B. vom Wein¬
fass) wird am oberen Ende gebogen, so dass es die Schulter von
hinten umfasst, der absteigende Ast ist 8 — 10 cm länger als der Ober¬
arm, dann wird das Eisen dem Unterarm entsprechend im rechten
Winkel nach vorn gebogen. Nach der Wundversorgung wird diese
Schiene von hinten über die Schulter gelegt und mit der Schulter
durch Binden am Thorax fixiert. Jetzt wird der Unterarm anbanda¬
giert, in der Ellenbeuge wird nach guter Polsterung tüchtig extendiert,
was leicht gelingt, da die Schiene länger ist als der Arm. Der Ver¬
band sitzt tadellos und garantiert gute Stellung. Im allgemeinen ist
das vorhandene Schienenmaterial unzureichend für die Behandlung
der vielen Knochenbrüche, eine Ergänzung ist theoretisch wohl mög¬
lich, praktisch aber sehr schwer zu erreichen. Hier bedarf es einer
gründlichen Revision.
Gelenkschüsse haben wir in Befolgung bewährter Grund¬
sätze möglichst alle mit Gipsverbänden ruhig gestellt.
Der Transport der Verwundeten wird bei den Wiirttem-
bergern und Badensern in grossartigster Weise durch wundervolle
Krankenautomobile besorgt. Die Königin von Württemberg hat
ihrem Armeekorps 32 neue Kraftkrankenwagen bei Ausbruch des
Krieges geschenkt und dadurch ihren Landeskindern und vielen,
vielen anderen Deutschen eine ungeheure Wohltat erwiesen. Die Er¬
schütterung ist weit geringer als sonst, weil diese Wagen 1. auf
Gummi laufen, 2. gut gefedert sind und 3. weil ausserdem noch jede
Trage gefedert ist. Der Transport der Verwundeten geht ausser¬
ordentlich schnell vor sich, so z. B. konnten kürzlich mit lft Wagen
in einem Tage von einem 10 km entfernten Schlachtfeld 800 Schwer-
verwundete in das nächste Feldlazarett transportiert werden. Die mit
diesen Krankenautomobilen gemachten Erfahrungen geben zu dem
Wunsche Veranlassung, dass auch bei den anderen Truppen solche
Wagen cingcfiihrt werden.
Uebcr die Zeit des Abtransportes der Verwendeten,
besonders der Nichttransportfähigen, ist von jeher und auch neuer¬
dings aus dem Balkan als wichtigster Grundsatz festgelegt worden,
dass die Schwerverwundeten möglichst lange Ruhe haben müssen,
die Nichttransportfähigen auch wirklich nicht
transportiert werden dürfen. Uebcr diesen Punkt entstehen
oft Meinungsverschiedenheiten. M. E. müsste die wichtigste Behand¬
lung für die Kopf-, Brust- und Bauchschüsse, nämlich die unbe¬
dingte Ruhe noch viel, viel mehr durchgeführt werden. Doch
darüber mehr nach Beendigung des Krieges.
Bemerkenswert ist auch auf unserem HVP. die ausgezeichnete
Haltung unserer oft durch Hunger und Anstrengung ermatteten Mann¬
schaften im Gegensatz zu den winselnden Klagen der Franzosen.
Dieses stille und würdige Dulden ruft trotz unserer, natürlich wie bei
allem Alltäglichen, zunehmenden Abstumpfung gegenüber dem ent¬
setzlichen Elend ein tiefes warmes Gefühl des Mitleidens mit unseren
Helden bei uns wach und lässt uns immer wieder nachdenken und
grübeln, wie wir ihr Leid am besten lindern können. Aus diesem
Wunsche heraus wurden auch diese Zeilen auf dem HVP. in Danne-
roux geschrieben. _
Ueber Amputationstechnik im Felde.
Von Dr. M e r c k 1 e, Oberarzt b. berat. Chirurgen des II. bayer.
Armeekorps Generalarzt Geheimrat E n d e r 1 e n.
Kein operativer Eingriff ist im Felde so häufig notwendig und
kein Eingriff w'irkt, w'enn sachgemäss ausgeführt, gleich lebensrettend
als die Amputation von Extremitäten. So selbstverständlich die
Technik und Behandlung im heimatlichen wohlausgerüsteten Kranken¬
haus ist, so verschieden muss sie draussen im Felde sein. Hier
kommt einerseits die ungeheure Schockwirkung der schweren Gra¬
natverletzungen und, neben den primitiven Verhältnissen des improvi¬
sierten Operationsraumes, bei dem Massenandrang die Unmöglichkeit
einer lokalen oder lumbalen Anästhesie, anderseits die Rücksicht¬
nahme auf den oft rasch nötigen Weitertransport der Operierten,
mitbestimmend für die Behandlung hinzu.
Schon auf dem Kriegsschauplatz in Lothringen hat sich die von
Geheimrat E n d e r 1 e n geübte Methode nach T h i e r s c h vorzüg¬
lich bewährt und ihre Vorzüge sind jetzt, wo auf Veranlassung
Enderlens auf den Hauptverbandplätzen und Feldlazaretten des
bayer. II. Armeekorps bei den zahlreichen wegen schwerster Gas-
phiegmonen vorgenommenen Amputationen das Verfahren geübt
wird, besonders ins Auge springend. Der grösste Vorzug besteht in
der einfachen Ausführung und Schaffung der allereinfachstcn, auch
für den nichtgeübten Chirurgen leicht zu behandelnden Wundver-
hältnisse: Einzeitiger Zirkelschnitt durch Haut und Muskel ohne jede
Lappcnbildung und manuelle Zurückziehung der Haut, Unterbindung
der Gefässe, Auflegen eines dicken Mullagers auf den Stumpf und
Fixierung der über die Wunde und Mull ohne jede fixierende
oder schliessende Naht gezogenen Haut durch einen Heft¬
pflasterstreifen, über den dann der Verband gelegt w'ird. Auf diese
Weise vorgenommene Amputationen schützen dllcin vor Fortschrei¬
ten der Phlegmonen, und ohne jeden Schaden kann bei einem allen¬
falls nötigen Transport der Verband mehrere Tage liegen bleiben
Kommt der Verletzte dann in stationäre Krankenhausbehandlung, so
kann die Retraktion der Haut durch einen Zugverband verhindert
werden. Die dann unter Umständen trotzdem nötige Reamputation
spielt als kleiner, in geordneten Verhältnissen und an einem gekräftig-
ten Verletzten ausgeführter Eingriff gegenüber den genannten Vor¬
teilen keine Rolle.
Vereine.
Chirurgischer Kongress im Feld.
Kurzer Bericht von Dr. Karl Lexer.
Wenn auch in den letzten Jahren eine grosse Reihe von Autoren
Erfahrungen auf den Kriegsschauplätzen gesammelt und veröffent¬
licht haben, so sind für uns naturgemäss die in dem jetzigen Kriege
gemachten Erfahrungen auf dem Gebiete der Chirurgie von viel
grösserem Wert, weil die Mehrzahl der deutschen Aerzte daran teil
iiat. Es ist deshalb besonders zu begrüssen, wenn es noch während
des Feldzuges den Kriegschirurgen möglich gemacht wird, die Art
ihrer ärztlichen Tätigkeit und die Ergebnisse der eingeschlagenen
Therapie zur Sprache zu bringen und so durch Austausch der Mei¬
nungen eine gemeinschaftliche Basis zu schaffen, auf der zum Wohlc
der Verwendeten weiter gearbeitet werden kann. Denn so hoch¬
entwickelt die moderne Friedenschirurgie ist und so sichere Nonnen
sie aufgestellt hat, im Kriege können wir nicht immer so handeln,
wie wir es im Frieden gelernt haben. Vor allem müssen wir uns
ja bequemen unsere operativen Massnahmen wesentlich einzuschrän¬
ken, besonders wenn das Arbeitsfeld im Operationsgebiet d. h. auf
den Verbandplätzen und Feldlazaretten liegt. Die grosse Chirurgie
hat hier keine Heimstätte, denn die äusseren Verhältnisse gestatten
nicht sic anzuwenden. Die Verwundeten strömen meist so plötzlich
und in solcher Masse zu, dass man sich meist nur auf Notoperatiouen
und Wundversorgung einlassen kann, besonders wenn beim Vor- oder
Zurückgehen der Heeresmassen die Stabilität der Feldlazarette nur
kurz ist. Trotz der erschwerten Verhältnisse soll aber auch in
den vordersten Linien das Bestmöglichste geleistet werden.
Um einige wichtige Fragen durch gemeinschaftliche Aussprache
zu klären, berief deshalb Exz. v. A n g e r e r, beratender Chirurg
im I. bayerischen Armeekorps, am 15. X. 14 die Aerzte des I. baye-
24. November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, nied. Wochenschrift.
2297
rischen und der benachbart liegenden Korps nach Peronne. , Es
fanden sich ca. 70 Herren ein von den Sanitätskompagnien, den Feld¬
lazaretten und auch der Etappe, darunter der Armeearzt der II. Armee
Pr. Scheibe, Gen. -Oberarzt Dr. Altgelt, die beratenden Chirurgen
F n d e r 1 e n, Stic h und W i 1 m s, die Korpsärzte W ü r d i n g e r,
E y e r i c h, Hahn, J o h a n n c s, ferner die im Kriegslazarett Pe-
ronne^ tätigen Herren mit Prof. Klausner an der Spitze uam.
Exz. v. Auge rer cröffncte die Versammlung und stellte zu¬
erst zur Diskussion die Art des Verbandes, besonders des 1. Ver¬
bandes. v. A. hat die Erfahrung gemacht, dass die Verbandpäck¬
chen für die Anlegung eines gutsitzenden und zum Transport ge¬
eigneten Verbandes nicht für alle Fälle genügten; abgesehen von
grosser, Zerrcissungswunden, bei denen Verbandpäckchen unzu¬
reichend sind, verschoben sich Verbände sehr häufig auf dem Trans¬
port, so dass die Wunden bei der Einlieferung der Verletzten in die
Feldlazarette unbedeckt waren, wodurch natürlich auch schwerste
Infektionen begünstigt werden. Mit .den bei den bayerischen Korps
tingeführten Mastisolverbänden scheinen diese Unzulänglichkeiten
beim Verband vermeidbar und v. A. befürwortete deshalb die allge¬
meine Einführung der Mastisolverbände.
Bestclmeyer (Sanitätskompagnie 1) teilte mit, dass er ztun
Fixieren des Verbandes immer Mastisol verwendet und ebenfalls
gute Erfahrungen gemacht hat Er gab noch einige technische Winke:
Das Aufträgen des Mastisols mit Pinsel ist schwierig, weshalb jetzt
nur noch sterile Tupfer zu diesem Zwecke verwendet werden; ferner
hält es B. für zweckmässig, wenn man kleine sterile Kompressen
mitführt, welche direkt auf den kleinen Wunden (Einschuss) mit
Mastisol festgelegt werden können.
Die guten Erfahrungen Bestei meyers bestätigte A 1 b r e c h t,
St.-A. im Feldlazarett 4. der die Anwendung von Mastisol für viel
besser hält als die von Verbandpäckchen, ohne auf die Bedeutung
der Bakterienfixation einzugehen, sondern nur vom mechanischen
Standpunkt aus. Das Aufträgen des Mastisols geschieht mit sterilen
kupfern und Pinzetten, wodurch ein Beschmutzen der Hände ver¬
mieden wird.
Armeearzt Dr. Scheibe betonte, dass das Mastisol in der
preussischen Armee bis jetzt gerade deshalb keinen Eingang ge¬
funden hat, weil sich die Sanitätsunteroffiziere bei der Anwendung die
Finger beschmutzten und dieses wegen des schwer zu entfernenden
Klebstoffes zu allerlei Unzuträglichkeiten führte.
End er len gab noch den Rat, Mastisol nicht zu dick aufzu¬
tragen, um ein schnelleres Trocknen zu ermöglichen, und ferner auch
die aufgelegten Kompressen nicht zu dick zu nehmen. Eine Anfrage
A 1 1 g e 1 1 s (Etappenarzt II. Armee), wie Mastisol am besten mit¬
geführt werde, wurde dahin beantwortet, dass kleine Flaschen mit
Glasstöpsel am geeignetsten sind. Die Mastisolverbände wurden von
allen Herren, die sie verwendet haben, sehr empfohlen, da sie
rasch anlegbar einen sicheren Verschluss der Wunde gegen äussere
Einflüsse gewährleisten; vielleicht ist es dadurch auch möglich die
Anzahl der schweren Gasphlegmonen, die oft sehr bald nach der
Verletzung — sowohl nach Artillerie- als Infanterieverletzungen —
auftreten, etwas herabzudrücken. Diese Gasphlegmonen haben einen
ausserst schweren Verlauf, der in der Mehrzahl der Fälle zur Ampu¬
tation der betroffenen Extremität zwingt. Die breiten Inzisionen ge¬
nügen meist nicht, die Phlegmonen zum Rückgang zu bringen und
sehr häufig sind auch die dann vorgenommenen Amputationen nicht
mehr lebensrettend.
v. Angerer warf deshalb die Frage auf, ob nicht durch
möglichst frühzeitige Vornahme einer Amputation das Leben des
Verwundeten häufig gerettet werden könne. Die Gefährlichkeit
:1er Gasphlegmonen wurde allgemein bestätigt und nach den bis
jetzt gemachten Beobachtungen waren die Inzisionen allein meist
unzureichend. Frühzeitige Amputation wurde empfohlen und dabei
betont, dass es nicht unbedingt nötig sei immer im Gesunden zu
:perieren. Wenn man oberhalb der festen derben Infiltration ampu¬
tierte, so ging fast immer die noch bestehende Entzündung des
Stumpfes zurück, sofern für offene Wundbehandlung gesorgt war
Die bei den Gasphlegmonen stets beobachtete mehr oder weniger
starke Thrombosierung der Gefässe benützt Stich zur Beurteilung
Jer einzuschlagenden Therapie. Er führte aus, dass eine Amputation
nötig ist, wenn der periphere Puls an der Extremität fehlt; ist er
noch fühlbar, dann genügen fast immer breite Inzisionen, um einen
Rückgang der Entzündung zu erzielen.
Der schlechte Allgemeinzustand der an Gasphlegmone er¬
krankten Verwundeten hat En der len dazu veranlasst, die Technik
Jer Operation möglichst einfach zu gestalten. Er bedient sich bei
Jen Amputationen wieder der alten Methode des einzeitigen Zirkel-
-chnittes, ohne jegliche Deckung des Stumpfes. E. hält die Vorteile
Jieses Verfahrens — schnelle Ausführbarkeit und glatte offene Wund-
• crhältnisse für sehr wesentlich für die Heilung. Die Beseitigung des
laturgemäss auftretenden konischen Amputationsstumpfes, der unter
Jen gegebenen Verhältnissen auch nicht durch Anwendung von
Jflasterstreifen vermieden wird, muss dann einer zweiten Operation
■berlassen werden. Die Weichteillappen, die bei Amputation in infi¬
ziertem Gewebe zur Deckung des Stumpfes benützt worden sind,
verfallen nach der Beobachtung Enderlens alle der Gangrän,
veshalb er auch von vornherein auf sie verzichtet.
v. Angerer befürwortete jedoch im Prinzip die Anwendung
Jer z w c i z e i t i g e n Amputation. Die Dauer der Operation wird
nach seiner Ansicht durch die Lappenbildung kaum so verlängert,
dass sie ernstlich ins Gewicht fällt, andererseits aber wird das Auf¬
treten der Osteomyelitis am konischen Amputationsstumpf durch
Deckung mit Weichteillappen leichter vermieden. Die Lappen wer¬
den nicht gangränös, wie von verschiedenen Seiten bestätigt wurde,
sofern sie nicht zu dünn geschnitten, sondern wenn eine Muskelplatte
und vor allem die oberflächliche Faszie mitgenommen wird. Selbst¬
verständlich ist bei der Lappenbildung die Naht der Wunde nicht
gestattet, nur einige Situationsnähte zum Fixieren des Lappens; im
übrigen muss die Wunde offen behandelt werden.
Die Frage, ob die Bauchschussverletzungen operiert oder kon¬
servativ behandelt werden sollen, wurde lebhaft erörtert.
v. Angerer sprach für die konservative Behandlung im
Gegensatz zu den Friedensverletzungen und zwar aus dem einfachen
Grunde, weil die Verwundeten zu spät in die Lazarette kommen, in
denen auch aus technischen Gründen die Möglichkeit der Vornahme
einer Laparotomie besteht. Die Verletzten kommen meist erst nach
Ablauf von 6 — 9 Stunden und nur innerhalb dieser Zeit kann eine
Operation (je nach der Lage des Falles) Aussicht auf Erfolg haben.
A 1 b r e c h t, der im Feldlazarett 4 eine grössere Anzahl Bauch¬
schüsse behandelt und nicht operiert hat, führte aus, dass die
Verletzten entweder in moribundem Zustand mit diffuser Peritonitis
ins Feldlazarett kamen, oder aber in einem derart guten Zustand,
dass eine Darmverletzung fraglich erschien oder aber schon feste
Verklebungen mit abgekapselter Peritonitis anzunehmen war. Beide
Arten der Krankheitsbilder kommen für eine Operation nicht in
Frage; im ersten Falle kommt sie zu spät; im zweiten kann sie durch
Lösung der Verklebungen nur Schaden bringen, denn hier wird durch
die konservative Behandlung ein ziemlich hoher Prozentsatz von
Heilungen erzielt; unter allen Umständen müssen derartig Verletzte
längere Zeit liegen; durch frühzeitigen Abtransport sterben noch
nachträglich viele infolge Lösung der Verklebungen an Peritonitis.
Eine dauernde Ruhe von 2 — 3 Wochen ist absolute Forderung. Auf
diese Weise hat Albrecht von 36 Bauchschüssen 19 durchge¬
bracht, E n d e r 1 e n jedoch als Anhänger der operativen Behandlung
von 15 Fällen nur 2.
Selbstverständlich wird daran festgehalten, dass Bauchschüsse,
die unmittelbar oder wenige Stunden nach der Verletzung in ge¬
eignete Lazarette kommen, auch operiert werden; dieses rasche Ein¬
bringen der Verwundeten, das eine rechtzeitige Operation ermöglicht,
scheitert jedoch zumeist an dem Mangel von geeigneten Transport¬
fahrzeugen. Es vergeht viel zu viel Zeit bis diese Verwundeten
aufgefunden, geborgen, von den Verbandplätzen dann im Pferde-
wagefi im Schritt nach den Lazaretten gebracht werden können. Es
wäre natürlich am besten, wenn solche Verletzte mit Automobilen
sofort von der Front zurückgebracht werden könnten. Von unter¬
richteter Seite wurde jedoch betont, dass das Vorfahren von grös¬
seren Kraftwagen mit Gefahr verbunden, ja fast unmöglich ist, da
derartige Züge sofort mit feindlichen Granaten überschüttet werden.
Ferner wird von Herren, die in Feldlazaretten tätig sind, daran
erinnert, dass es in den seltensten Fällen möglich ist, auch recht¬
zeitig eingelieferte Bauchschüsse sofort zu operieren, denn meistens
kommen solche Verwundete zugleich mit Hunderten ' anderer Ver¬
letzten in den Lazaretten an; würde man zunächst nur die Bauch¬
schüsse operieren wollen, so würde bei dem zumeist beschränkten
Räumlichkeiten, ferner dadurch, dass ein grosser Teil des Personals
bei det Operation festgehalten wird, die Menge der übrigen Ver¬
wundeten unversorgt bleiben. Das ist aber nicht der Zweck des
Arztes, der allen Verletzten möglichst rasch Hilfe bringen soll; etwas
anderes wäre es, wenn es gelänge für ein Feldlazarett stabilere Ver¬
hältnisse zu schaffen, d. h. es an gesichertem Ort, weiter rückwärts,
für längere Zeit als sonst üblich zu etablieren. Würden in ein solches
Lazarett die Bauchschüsse mittels Kraftwagen ohne Aufenthalt und
vor allem auch ohne jedes Umparkieren verbracht werden können, so
würde wohl ein Eingreifen innerhalb der ersten Stunden unter
günstigen Verhältnissen möglich sein; ob ein operatives Vorgehen
überhaupt nötig und erfolgreich ist, muss in Anbetracht der günstigen
Erfolge der konservativen Therapie dahingestellt bleiben.
Scheibe z. B. u. a. erinnerten daran, welch günstige Hei¬
lungen man bei Bauchschüssen beobachtete, wenn die Verletzten
2—3 Tage im Felde draussen liegen mussten, ohne dass es möglich
war, sie hereinzuholen.
Eine Anregung, nach Payrs Vorschlag bei Bauchschüssen die
Bauchhöhle oberhalb der Symphyse sofort zu drainieren, fand wenig
Anklang.
Die bis jetzt beobachteten Fixationsverbände mit Papp¬
schienen usw. bei Schussfrakturen sind nach der Beobachtung
v. Angerers unzureichend; er empfahl für den Transport sehr
dringend den Gipsverband und fragt an, ob nicht von diesem ein
ausgedehnterer Gebrauch gemacht werden könne. Den von verschie¬
denen Seiten gemachten Einwurf, dass es an guten Gipsbinden fehle,
konnte Albrecht entkräftigen mit der Erklärung, dass bei den
Feldlazaretten genügend Gips mitgeführt werden könne, nur müssten
die Binden vom Personal, das dazu leicht angelernt werden kann,
angefertigt werden. A. und auch andere haben mit den Gipsver
bänden die besten Erfolge erzielt.
Die ausserordentliche Häufigkeit und die Schwere der Tetanus¬
fälle im Felde veranlasst v. Angerer, auch dieses Thema in bezug
auf Actiologie und Therapie zur Diskussion zu stellen. Wenn auch
Nr. 47.
2298
Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
il..s Auftreten des Tetanus bei üranatverletzungen durch mitgerissene
Erde und bei sonstigen Verletzungen durch die im Felde vorhandene
Unreinlichkeit zum Teil erklärt wird, so gibt doch das ausserst
häufige Auftreten Grund zur Frage, ob nicht andere Einflüsse mit¬
spielen. Die Frage S c h e i b e s, ob auch im Frieden in den be¬
setzten Gebieten Tetanusfälle gehäuft auftreten, konnte von A 1 1 -
gelt nur dahin beantwortet werden, dass in Apotheken grosse
Mengen von Tetanusantitoxin gefunden wurden und dass nachweis¬
lich die Tierärzte grossen Gebrauch von Antitoxin machen. Ein
Beweis für gehäuftes Auftreten konnte jedoch nirgends erhoben
werden.
Betreff der Therapie konnte mitgeteilt werden, dass grosse
Mengen von Antitoxin nach den Feldlazaretten vorgezogen werden,
wenn auch die Unmöglichkeit besteht, alle Verwundeten einzu¬
spritzen; empfohlen wurde deshalb zunächst systematisch bei be¬
stimmten Gruppen von Verletzungen, z. B. Finger-, Fussgranatver-
letzungen prophylaktisch Injektionen zu machen und den Erfolg abzu¬
warten. im Allgemeinen beurteilte die Mehrzahl der Herren den
Wert der Einspritzungen ziemlich skeptisch; breite Eröffnung der zer¬
fetzten Wunden und Schaffung glatter Windverhältnisse scheinen
noch den besten Erfolg zu versprechen.
Nach zweistündiger Dauer wurde die Sitzung geschlossen; allge¬
mein wurde mit Befriedigung der Wert von solchem Austausch der
Erfahrungen anerkannt und der Wunsch nach baldiger Wiederholung
einer solchen Versammlung ausgesprochen, die zugleich ein Bild von
dem rastlosen Wirken unserer Feldärzte vor Augen führte; übrigens
ist die grosse Anzahl der bis jetzt an Aerzte verliehenen eisernen
Kreuze ein Beweis dafür, dass die ärztliche Tätigkeit auch an aller¬
höchster Stelle Anerkennung findet.
Kleine Mitteilungen.
Aus Feldpostbriefen.
Lille, 13. XI. 14.
Vielleicht haben Sie die Güte, in ihrer Feldbeilage nachdrücklichst
vor der Schienung der Schussbrüche mit Stroh zu warnen. Ich sah
gestern und heute hier mehrere Fälle, die mit .Stroh geschient waren,
und zwar so, dass der dünne Verband durchblutet war und eine Ver¬
bindung hergestellt war zwischen Stroh und Wunde. Wenn da kein
Tetanus entsteht, dann muss man sich ja geradezu wundern! Man
hat doch jederzeit im Felde ein Gewehr und ein Seitengewehr» zum
Schienen zur Hand, wenn man sonst nichts hat.
Ergebenst
Dr. Klar.
Ersatz für Kanadabalsam.
Ich verwende seit ungefähr 5 Monaten das Mastisol als Einbet¬
tungsmedium für mikroskopische Präparate.
Die Erfahrungen, die ich damit gemacht habe, sind bis jetzt als
gut zu bezeichnen. Allerdings will dies Urteil noch nicht viel be¬
sagen, da man nicht voraussehen kann, ob das Mastisol auf die Dauer
die Präparate schlecht beeinflusst. Es wäre dies um so eher mög¬
lich, da dasselbe ziemlich säurereich ist. Meiner Meinung nach lohnte
es sich aber, Versuche grösseren Massstabes mit dem Mastisol an¬
zustellen.
Gegenüber dem sonst allgemein gebräuchlichen Kanadabalsam
hat es den nicht unerheblichen Vorteil, dass es bedeutend schneller
trocknet. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass man ein in Masti¬
sol eingebettetes Präparat schon nach 3 Minuten unter schräggestell¬
tem Mikroskop untersuchen kann, ohne dass eine Verschiebung des
Deckglases eintritt. Bis jetzt habe ich gegen 150 Präparate mit
Mastix hergestellt. Eine Beeinträchtigung der Färbungen habe ich
nicht beobachten können. Ausgenommen ist nur ein Fall. Es ist je¬
doch sehr leicht möglich, dass an dem Misserfolge eine schlecht aus¬
geführte Färbung schuld ist. (Es handelt sich um eine Färbung nach
van Gieson iHämatoxylin, PikrofuchsinJ.)
Soweit mir die Literatur zur Verfügung steht, ist die Verwen¬
dung des Mastisols in der mikroskopischen Technik nur ein einziges
Mal veröffentlicht worden (M.m.W., Feldärztl. Beil. Nr. 14). Auf
diese Notiz hin teile ich meine Beobachtungen mit und würde mich
freuen, wenn dieselben von anderer Seite bestätigt würden.
Paul Rostock - Greifswald.
Moosscharpie.
Die schon mehrfach als Ersatzmittel für Gaze empfohlene Schar¬
pie liefert in Verbindung mit Moospräparaten ein vorzügliches Ver¬
bandmittel. Gereinigtes Moos, sowohl das ganze, Stengel und Blät¬
ter, wie auch die Moosblätter allein, sind aus Verbandmittelfabriken
zu beziehen. Als solche sind mir bekannt: M. Marwede in Neu¬
stadt am Rübenberge, Prov. Hannover und Severin Immenkamp
in Chemnitz-Hilpersdorf. Ein Kilogramm Moos kostet 70 — 90 Pf.,
ein Kilogramm Moosblätter 1.30—1.50 M. Moos ist sehr leicht, also
ein Kilogramm eine grosse Menge. Scharpie steht ja wohl überall
kostenlos zur Verfügung, ob aus Baumwolle oder Leinen gezupft, ist
gleichgültig.
Ueber eine flache Schale — photographische Entwicklungsschale
— wird ein entsprechend grosses Stück Gaze gebracht, die Schale
dann mit einer möglichst gleichmässigen, fest zusammengepressten
Mischung von Moos und Scharpie angefüllt. Die freien Gazeenden
werden über der Schale zusatnengeschlagen und mit einigen Faden¬
stichen geheftet. Diese Moos-Scharpie-Kissen nehmen die 10 fache
Menge ihres Gewichtes an Wasser auf, saugen aber auch Blut und
Sekrete in gleicher Weise gut auf und lassen sich vollkommen sterili¬
sieren. Die Verwundeten werden mit ihrer Anfertigung in sehr
zweckmässiger Weise beschäftigt.
Sanitätsrat Dr. Hasenbalg - Hildesheim.
Die geistige Bewertung der Japanesen.
Zu dem Artikel in Nr. 45, S. 2230 d. Wschr. wird uns von hoch¬
geschätzter Seite, die zugleich völlige Gewähr für die Wahrheit der
Geschichte bietet, folgendes geschrieben:
„Im Jahre 1909 wurde K i t a s a t o in Bergen (II. internat. Lepra¬
konferenz) vom König Hakon empfangen. Als dieser ihm sagte:
„Sie waren ja der Mitarbeiter von Koch und B e h r i n g“, ant¬
wortete Kitasato würdevoll: „Ew. Majestät entschuldigen, Koch
und Behring waren meine Mitarbeiter“. — Metschnikoff hat
übrigens früher dasselbe Urteil über die Japanesen ausgesprochen,
wie Geh.-Rat v. Hansemann; ich halte es für zutreffend.“
Therapeutische Notizen.
Die Behandlung der Gasphlegmone mit Sauer¬
stoffeinblasung hat Prof. Sudeck - Hamburg in 3 Fällen
mit sehr gutem Erfolg durchgeführt. Alle drei Fälle genasen, 2 mit
Erhaltung der erkrankten Extremität. Die Methode ist ausser¬
ordentlich einfach. Man schliesst einen Schlauch mit einer dicken
Kanüle unmittelbar an eine Sauerstofibombe an und sticht die Kanüle
unter die Haut und in die Muskulatur hinein. Das behandelte Glied
läuft sofort stark auf. Ich habe eine starke Spannung nicht gescheut
und gefunden, dass die Spannung sehr bald durch Resorption des
Sauerstoffes nachlässt. Das Sauerstoffemphysem bleibt aber in ge¬
ringer Spannung noch etliche Tage bestehen. Es ist mir nicht zweifel¬
haft, dass diese frappanten Erfolge lediglich der Müller sehen Me¬
thode der Sauerstoffanwendung zu verdanken sind. Da die Gangrän
sehr schnell eintreten kann, so ist es notwendig, die Sauerstoffein¬
blasung sofort bei Eintritt der Gasphlegmone anzuwenden. In dem
letzten von Hamburg abgegangenen Lazarettzuge ist deshalb auch
eine Sauerstoffbombe als Inventar mitgenommen worden.
(Med. Klinik Nr. 47.)
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 23. November 1914.
— Während das schwere Ringen der feindlichen Heere in Nord¬
frankreich und Flandern immer noch zu keiner Entscheidung geführt
hat, ist es auf dem östlichen Kriegsschauplätze der überlegenen
Kriegskunst des Generalobersten v. Hindenburg gelungen einen
weiteren glänzenden Sieg über die russische Armee zu erringen und
damit die neuen russischen Angriffspläne zu vereiteln. Unsere öst¬
lichen Provinzen sind dadurch von der drohenden Gefahr eines
feindlichen Einbruches abermals und hoffentlich für immer befreit
worden. Diese Hoffnung wird noch befestigt durch die Erfolge der
Oesterreicher in Serbien und der Türken in Transkaukasien, die
ihre Rückwirkung auf die Lage in Polen nicht verfehlen werden.
— Ueber unseren auf dem Felde der Ehre gefallenen Mitarbeiter
Privatdozent Dr. Meyer-Betz sendet uns sein ebenfalls im Feld
stehender Chef, Prof. Schittenhelm, nachstehende Zeilen, die
durch die Mitteilungen über Meyer-Betz’ Betätigung im Felde
den in Nr. 41 d. Wschr. erschienenen Nachruf in dankenswerter Weise
ergänzen:
„Meyer-Betz starb bei Apremont den Heldentod. Als er
eben den Schützengraben verlassen hatte, traf ihn die feindliche
Kugel. Trotz der besten ärztlichen Hilfe starb er einen halben Tag
später auf dem Hauptverbandplatz und man muss den raschen Tod
als ein Glück für ihn ansehen, weil er sonst wohl fürs Leben zuin
mindesten einen gelähmten Arm behalten hätte, eine Störung, die
ihn sicher aufs schwerste getroffen und ständig bedrückt hätte.
Die allgemeine Achtung und Zuneigung hat er sich auch im Felde
rasch erworben. „Er war einer unserer schneidigsten Offiziere“,
sagte mir ein Angehöriger seines Regiments, und wie sehr er ein Vor¬
bild tapferen Verhaltens war, drückte sich auch darin aus, dass er
als einer der ersten das Eiserne Kreuz verliehen erhielt. Er wai um
jeden besorgt, verstand es vorzüglich, überall hilfreich zu sein, trö¬
stend und aufmunternd da, wo es nötig war, kräftig dreinfahrend,
wo er einen Drückeberger erkannte. Seine ärztliche Hilfe wurde
von allen gesucht und hoch eingeschätzt. „Er war der beste Mensch
und alle betrauern seinen Hingang“, wurde mir mehrfach versichert.
Wer Meyer-Betz kannte, wusste schon im voraus, dass er
auch in der neuen Lebenslage sich voll bewähren würde. Ich hatte
-November 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2299
( Anfang an Sorge, dass sein lebhaftes Temperament, sein schnei-
I-S Draufgehen ohne Rücksicht auf seine eigene Person, das ja an
i schon im Frieden so hoch einzuschätzen war, die Gefahren des
iges für ihn doppelt so gross gestalten; ich hätte ihm daher eine
sendung an weniger exponierter Stelle dringend gewünscht.
: der Krieg nimmt keine Rücksicht auf persönliche Werte. Mag
. Tod für alle Zurückgebliebenen auch noch so traurig sein, für
iedeutet er den schönsten Abschluss eines erfolgreichen Lebens!“
- Aus Wien schreibt man uns: Die Wiener Aerztekamrner rich-
n die Aerzte Wiens nachfolgenden Aufruf: Die Einberufung Zahl¬
er Wiener Aerzte zur Kriegsdienstleistung hat die Familien der-
n vielfach in eine materiell sehr ungünstige Situation gebracht.
:r Absicht, dieser Not zu steuern, hat das Permanenzkomitee der
1er Aerztekamrner und der Wirtschaftlichen Organisation der
te Wiens eine Aktion unternommen, welche sich zur Aufgabe
i . für die Zwecke der Unterstützung der Genannten einen Fonds
:;t zu halten. Von Seite des Wiener medizinischen Doktoren-
i giums, einiger Standesvereine, sowie einiger Aerzte sind diesem
r itee bereits Mittel zur Verfügung gestellt worden. Soll aber
cs Komitee seine Aufgabe auch nur halbwegs erfüllen, ist ein.
■ ;erer Fonds notwendig. Das Permanenzkomitee der Wiener
i tekammer und der Wirtschaftlichen Organisation der Aerzte
i let sich daher an die Aerzte Wiens sowie an die ärzt-
: n Vereinigungen mit der ebenso höflichen als dringenden
; ., diesem Fonds ihre Unterstützung angedeihen zu lassen.
: r, selbst der geringste Betrag ist willkommen und soll an
; Adresse des Permanenzkomitees, Wien, 1. Börsegasse 1,
r sendet werden.
- Man schreibt uns: Mit Bezug auf die Zusammenstellung der
i iige" d. Wschr. Nr. 45 S. 22 31 mache ich Sie auf die Merk-
, igkeit aufmerksam, dass jeder nicht gediente Zivilarzt
Anschaffung seiner Uniform 200 M. erhält, der gediente Sanitäts-
i er a. D., der sich freiwillig wieder zur Verfügung stellt und
seine Uniform zu tragen hat, erhält keine Bekleidungsbeihilfe
enn er im Frieden eine „Uebung“ (Kurs) macht, erhält er
; gen solche! — „Erkläre mir Graf Orindur diesen Zwiespalt
Matur!“
- Man schreibt uns aus Lille: „Am letzten Mittwoch (4. XI.)
i hier in Lille eine ganz interessante Versammlung von Militär-
; n. Obergeneralarzt Reh- München führte den Vorsitz,
s ge- München sprach über Frakturbehandlung. Eine lebhafte
Hssion schloss sich daran an. Man sah in der Versammlung viele
1 inte Leute, darunter Perthes- Tübingen, Gerhardt- Würz-
’ K r ö n i g - Freiburg, Schmieden - Halle, Schittenhelm-
i ,rsberg, W u 1 1 s t e i n - Dortmund, H e n k e - Breslau, Borst-
j hen, G a r t e n - Giessen, W e s s e 1 y - Würzburg u. a. Es war
: eigenartig, wie sich plötzlich alle hier mitten in der Feindes-
i zusammenfanden. Die Sache gefiel so sehr, dass der Vorschlag
nommen wurde, jeden Mittwoch, solange man um Lille herum
s lmensitzt, zu einem medizinischen Abend im Höpital St. Sauveur
^amenzukommen.“
- Zur planmässigen Ergänzung der behördlich getroffenen Mass-
1 en zur Versorgung unserer Truppen mit warmen Sachen hat
I n Berlin auf Anregung der Kaiserin ein „Kriegsausschuss
vv a r m e U n t e r k 1 e i d u n g“ (Vorsitzende: Dr. P a n n w i t z,
i g h e i m, Fürst zu Salm-Horstmar) gebildet, der seit
( tober jeden Donnerstag „Wollziige“ zu den Armeen im Westen
i )sten entsendet. Der Wert der so bisher den Truppen zuge-
’ :n Gaben beläuft sich auf 15 Millionen Mark. Um üen erfolg¬
en Fortgang dieser gegenwärtig wichtigsten Aufgabe der frei-
I en Kriegsfürsorge durch die Mitarbeit aller wirtschaftlichen
nisationen im Reiche zu sichern, hat am 21. ds. in Berlin auf
Gung des Kriegsausschusses eine Versammlung im praktischen
ti stehender Persönlichkeiten stattgefunden. Spenden zur Sanim-
; ür die Wolizüge sind an das Bankhaus Mendelsohn 6c Co.,
n W. 56, Jägerstr. 49/50 zu senden.
- Die Firma Siemens Erben in Berlin hat dem Roten Kreuz
Jlen Kriegslazaretten bis heute insgesamt 33 Eisenbahnwagen-
Gen von den natürlichen Mineralbrunnen Fachingen und Selters
» ndet.
- Der Brunnenversand der Heilquelle zu Lauchstädt in
L hat für verwundete Krieger 10 Eisenbahndoppelwaggons des
i Städter Mineralbrunnens gespendet.
- Am 25. ds. Mts. ist der 100 Geburtstag des Entdeckers des
Ges von der Erhaltung der Energie und Begründers der mechani-
• Wärmetheorie (1842), Julius Robert v. Mayer. Das Bild
5 hervorragenden Arztes, der sich durch seine Entdeckung in
eihe der grössten Naturforscher gestellt hat, brachten wir in
<*:r Galerie anlässlich der Enthüllung seines Denkmals in Heil-
'i im Jahre 1892.
- Das Deutsche Haus in Agra im Kanton Tessin
■' eiz), oberhalb des Luganer Sees, die neue Anstalt der Deutschen
litte in Davos, wurde am 15. d. M. eröffnet. Die 100 Betten des
Ghen Hauses werden für die Dauer des gegenwärtigen Krieges
mässigten Preisen deutschen verwundeten und erkrankten
Teilnehmern und ihren Angehörigen zur Verfügung gestellt.
- Die Schweizerische Hochgebirgsbahn Chur-Arosa, welche
adt Chur mit dem Höhenluftkurort Arosa verbindet, wird am
ivemher 1914 dem regelmässigen Betriebe übergeben.
W ie die „Pharmaz. Ztg.“ mitteilt, hat die Liebig-Gesell-
schaft (Liebigs Extract of meat Company, Lim., London) auf Ver¬
langen der englischen Regierung ihre deutschen Angestellten in S ü d-
a m c r i k a vor die Wahl gestellt, sich naturalisieren zu lassen oder
„suspendiert“, d. h. entlassen zu werden. Da diese Zumutung von
allen Angestellten mit Ausnahme weniger älterer Herren, denen die
Sorge (ür ihre Familie keine Wahl liess, abgelehnt wurde, wurden
die jüngeren Herren sofort entlassen, die älteren „einstweilen“ sus¬
pendiert, darunter Chemiker und Techniker mit festen Verträgen und
über zehnjähriger Dienstzeit. Ein neuer Beweis für den Deutschen¬
hass dieser Firma, die ihr Entstehen und ihre Blüte deutschem
Geist und deutschem Fleiss verdankt. Hoffentlich werden von den
deutschen Käufern, namentlich auch von den Aerzten, die nötigen
Folgerungen gezogen.
— Cholera. Oesterreich-Ungarn, ln der Woche vom 25. bis
31. Oktober wurden in Oesterreich 570 Erkrankungen (und 187 Todes¬
fälle festgestellt, und zwar in Niederösterreich 34 (8) — davon in
Wien 22 (3), in Wiener-Neustadt 1, in 5 Gemeinden 11 (5) — , in
Oberösterreich in 1 Gemeinde 1, in Steiermark in 2 Gemeinden 4 (1)
— davon in Graz 3 — , in Kärnten in 3 Gemeinden 11 (7), in Böhmen
in 6 Gemeinden 30 (16), in Mähren in 15 Gemeinden 49 (4), in Schle¬
sien in 4 Gemeinden 93 (3), in Galizien in 46 Gemeinden 347 (148) —
davon in Krakau 14. Von den Erkrankten in Galizien waren 111 Mili¬
tärpersonen und 236 Einheimische; von den 223 in anderen Landes¬
teilen festgestellten Erkrankungen betrafen 18 die einheimische Be¬
völkerung, 194 hingegen Militärpersonen, die vom nördlichen Kriegs¬
schauplatz angelangt waren (hierunter 37 russische Gefangene) und
11 aus Galizien zugereiste Ortsfremde. In Ungarn wurden in der¬
selben Woche 265 Neuerkrankungen angezeigt, davon in den Städten
Arad 1, Baja 1, Pest 16, Debreczen 2, Györ (Raab) 1, Kaschau 2,
Klausenburg 4, Miskolcz 1, Grosswardein 10, Pressburg 3, Szatmar-
Nemeti 6, Szegedin 3, Stuhlweissenburg 2, Temesvar 1, Ujvidek
(Neusatz) 1.
— In der 44. Jahreswoche, vom 1. — 7. November 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Metz mit 30,2, die geringste Solingen mit 5,0 Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Bottrop, Buer, Königshütte, Zabrze, an Diph¬
therie und Krupp in Bottrop, Hamborn, Magdeburg.
Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Köln. Dr. Anton Frank wurde zum Prosektor am patho¬
logisch-anatomischen Institut der städtischen Krankenanstalten in
Köln ernannt, (hk.)
Innsbruck. Der ord. Professor der Geburtshilfe und Gynä¬
kologie, Hofrat Dr. Emil Ehrendorfer, erhielt anlässlich ' der
Uebernahme in den dauernden Ruhestand das Komturkreuz des
Franz-Josef-Ordens verliehen.
Prag. Der Privatdozent für Otologie und Rhinologie an der
deutschen Universität, Dr. Wilhelm Anton, und der Priv.-Doz. für
Psychiatrie an der tschechischen Universität, Dr. Johann Jansky,
erhielten den Titel eines ausserordentlichen Universitätsprofessors.
Dem em. ord. Professor der Pharmakologie und Pharmakognosie an
der tschechischen Universität, Dr. Karl Chodrunsky, wurde der
Titel eines Hofrates verliehen.
Wien. Der ord. Professor der Chirurgie, Hofrat Dr. Julius
Höchen egg erhielt den Adelsstand mit Nachsicht der Taxen ver¬
liehen. — Auf Kriegsdauer wurden ernannt: zum Generalstabsarzt
Prof. Dr. R. P a 1 1 a u f, Vorstand des serotherapeutischen Institutes
in Wien; zu Oberstabsärzten I. Klasse die o. ö. Professoren: B. Ka¬
der, Vorstand der chirurgischen Universitätsklinik in Krakau, V. Rit¬
ter v. H a c k e r, Vorstand der chirurgischen Universitätsklinik in
Graz und H. Schlöffe r, Vorstand der chirurgischen Universitäts¬
klinik in Prag; zu Oberstabsärzten II. Klasse die a. o. Professoren:
G. H o 1 z k n e c h t, Leiter des Zentralröntgeninstituts des Allg. Kran¬
kenhauses in Wien, K. S t e r n b e r g, Prosektor der mährischen
Landeskrankenanstalt in Brünn, K. A. Herzfeld - Wien, O. F ö -
d e r 1, Vorstand der II. chirurgischen Abteilung des Allg. Kranken¬
hauses in Wien, L. Schmeichler, Augenarzt, Professor an der
technischen Hochschule in Brünn, R. Weiser, Zahnarzt in Wien,
Max Rutkowski, Chirurg in Krakau, dann die Doktoren:
Preindlsberger, Primararzt am Landesspital in Sarajewo,
H. H i n t e r s t o i s s e r, Primarartz in Teschen und kais. Rat
H. Charas, Chef der Rettungsgesellschaft in Wien.
(Todesfälle.)
In München starb, 62 Jahre alt, der ord. Prof, der Hygiene,
Dr. Rudolf Emmerich, bekannt durch zahlreiche Arbeiten auf
den verschiedensten Gebieten der Hygiene und Bakteriologie, be¬
sonders aber als Mitarbeiter Pettenkofers und als begeisterter
und hartnäckiger Vertreter der Lehre Pettenkofers von der
Entstehung der Infektionskrankheiten. Ein Nachruf folgt.
Auf dem französischen Kriegsschauplatz fiel der a. o. Professor
für Radiumkunde und Vorstand des Radiuminstitutes an der Kgl.
sächs. Bergakademie zu Freiberg, Dr. phil. Fritz Ludwig Kohl-
rausch, Leutnant d. R„ Ritter des Eisernen Kreuzes. Seine letzte
wissenschaftliche Leistung war sein ausgezeichneter, in den Nr. 44
und 45 d. W. erschienener Uebersichtsartikel: „Ueber die physi¬
kalischen Grundlagen der Radiumtherapie.
2300
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift. _ _ Nr. 1
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Dr. med. Karl Abel. Leutn. d. Res. im Inf.-Reg. 172.
Mud. med. Walther Car o, Kriegsfreiwilliger in e. bad. Inf.-Reg.
Stabsarzt d. L. Dr. Willy Bä n sch, Breslau.
Feldunterarzt Dr. Otto Barmbichler, 1. Ass.-Arzt im
Krankenhause München-Schwabing.
Kriegsfreiwilliger stud. med. Georg Blankenhorn aus
Mülheim (Baden).
Einj.-Frciw. B o 1 1 e r h o f, stud. med.
Stabsarzt Dr. E b c 1 i n g, bisher kommandiert zum Hyg. In¬
stitut der Universität Strassburg, auf dem östlichen Kriegs¬
schauplatz.
cand. med. Fichtbauer, Einj.-Freiw. im bayer. 19. Inf.-Reg.
Dr. Otto Fischbach (Weidenau a. d. Sieg), Ass.A. und Bat.A.
im Bayer. Res. Inf.-Reg. Nr. 16. Er fiel durch Granatschuss
am 11. November in Bethlehem ferme bei Warneton.
Feldunterarzt Willi Fischer, Res.-Inf.-Reg. Nr. 29.
stud. med. B. F 1 o 1 1 r i n g.
Med. -Praktikant Unterarzt Carl Adolph Freusberg.
Stabsarzt d. Res. Friese, Koblenz.
Unterarzt Dr. Eduard G o r t o n, Berlin, Res.-Inf.-Reg. 3.
E. Heinrich (Nieder-Saulheim).
St.A. d. Res. Henssen, Inf.-Reg. Nr. 97, Saarburg.
Stabsarzt d. Res. E. Henzen, Sonnenberg.
U.-A. d. L. Friedrich H e r k n e r, Bremen, Wiirtt Gren.-Reg.
Nr. 123, III. Bat.-Stab.
Stabsarzt d. L. Dr. Hermann Heye r, Darmstadt.
stud. med. H o c h e, Freiburg i. Br., Kriegsfreiwilliger im bad
Inf.-Reg. 113.
H o f f h e i n z (Angerburg).
Stabsarzt d. L. Dr. Josef Jacke, Fürstenwalde, an einer im
Felde sich zugezogenen Lungenentzündung.
Feldunterarzt Dr. K i m s t e r. Sonnenberg, 11. Res.-San.-Komp.
IV. Res.-Korps in Kassel.
Feldunterarzt K i r c h e r.
Stabsarzt d. Res. Lembach, Köln.
Kriegsfreiwill. stud. med. Hugo Link von Dossenheim (Baden).
Marinestabsarzt Dr. Lippe, Lennverder a. Weser, am 23. X.
in Ostende.
cand. med. H. Lohe.
St.A. d. Res. Rieh. Möller (Magdeburg), San.-Komp. Nr. 2,
IV. A.K.
Reg.A. P 1 a t h, 12. Okt., in Russ. Polen.
Unterarzt Dr. Karl Preussen (Kirchen-Sieg).
Privatdozent Dr. med. Reich. Düsseldorf.
Sanitätsrat Dr. R o m b e r g. Braubach, durch Unfall im Feld.
Feldunterarzt Dr. Rudhardt, Strassburg.
O.A. Schmidtgail.
W. Schräder (Nörenberg).
Sanitätsrat Dr. Max Simon, Bromberg (gestorben durch bei
Verwundetenpflege erhaltener Infektion).
Privatdozent Stumpf, Breslau.
stud. med. T i in a n n.
cand. med. Erich Wachs, Offiziersstellvertreter im Füsilier¬
regiment 90.
O.A. Wachsner.
Sanitätsrat Dr. Heinrich Wagner, Saarbrücken, Stabsarzt
d. Res. 3. San.-Komp. 21. A.-K.
stud. med. Franz W i s s i n g, Kriegsfreiwilliger im bayer.
16. Int.-Reg.
Korrespondenz.
Offener Brief an die Aerzteschaft Englands.
Man ersucht uns um Abdruck des nachstehenden Schreibens:
„Nicht durch Gerüchte, sondern durch zuverlässige Zeugenaus¬
sagen ist einwandfrei festgestellt, dass in England seit Monaten an
verschiedenen Orten in sogen. Konzentrationslagern zahlreiche wehr¬
lose und schuldlose Deutsche gefangen gehalten werden. So sind
z. B. auf dem Rennplatz von Newbury etwa 1500 Deutsche ein¬
gesperrt, und zwar in der Weise, dass immer 6 — 8 und in der letzten
Zeit wohl ausnahmslos 12 Personen je eine 3 m breite zugige Stall¬
abteilung als Wohn- und Schlafraum erhielten, die zu gewöhnlichen
Zeiten einem einzelnen Pferde zur Aufnahme dient. Die ganze Aus¬
rüstung dieser jetzt als Unterkunftsräume für Menschen benutzten
Pferdeställe besteht in einigem Stroh und 2 Decken für das Nacht¬
lager. Ein Tisch, irgendeine Sitzgelegenheit ist nicht vorhanden;
Waschgelegenheit gibt lediglich eine Pumpe auf dem Hofe. Das Essen
müssen sich die Gefangenen in offenen Asphaltherden selber kochen.
Die Verpflegung besteht morgens und abends in Tee mit einem Stück
Weissbrot und Margarine, mittags in einem Stück Rindfleisch und
2 Kartoffeln. Das Mittagessen kommt aber häufig infolge verspäteter
Feuerholzlieferung erst gegen 6 Uhr zur Verteilung, und häufiger
noch ist das Fleisch in ungenügender Menge vorhanden oder Kartoffeln
und Fleisch sind in ungeniessbarem Zustande, weil nur halb gar
dass ein Teil der Gefangenen unfreiwillig oder freiwillig zum Verz i
und zum Hunger gezwungen ist. Um das Unglück voll zu macn
ist es bei dem Mangel jeglicher Hygiene in letzter Zeit nicht n i
gelungen, Lager und Körper von Ungeziefer frei zu halten. Beschvr
den haben keinerlei Erfolg, ziehen vielmehr im Wicderholungsiii
härtere Massnahmen nach sich, wie Uebcrweisung in kleine, unmi !
bar auf lehmigem Wiesengrund stehende Zeltlager, die zwecks i
leitung des Wassers von einem kleinen Graben umzogen sind. ,i
Unterschied bei der Internierung wird nicht gemacht, eine Rucks i
auf soziale Stellung, auf Stand und Bildung nicht genommen. So _•
finden sich seit dem 11. September unter den in Newbury In r
nierten auch 6, in neuerer Zeit sogar 13 Aerzte. Bittschriften ditfc
Aerzte, sie doch wenigstens in englischen Hospitälern mit verwenp
zu wollen, ltaben keinerlei Berücksichtigung gefunden.
Der Aerztliche Verein zu Hamburg weiss sich in Uebereins'i
mung mit der Aerzteschaft ganz Deutschlands, wenn er gegen i
oben geschilderten Tatsachen und Verhältnisse vor der Aerztescli
der ganzen Kulturwelt ernsten, lauten Protest einlegt.
Die Festlialtung und geschilderte Behandlung deutscher Aerk
die, wie stets, so auch in diesem Kriege ihre vornehmste Pflicht di
sehen, Freund wie Feind die gleiche Fürsorge zuteil werden zu lac.T
widerspricht offensichtlich den doch auch von den Briten gcbillb:
und anerkannten Grundsätzen der Genfer Konvention, und kann i
den einen Erfolg beabsichtigen und bewirken, Verwundeten und K«
ken nach Möglichkeit einen Teil der Behandlungskräfte und damit je
Heilungsmöglichkeit zu entziehen.
Auch gegen die gesundheitswidrige Unterbringung der übrrc
Deutschen in den Konzentrationslagern müssen wir im Namen j
deutschen Aerzte Verwahrung einlegen. Die Hygiene, Unterkif
Lagerung, Verpflegung und Reinlichkeit sprechen jeglicher Men 1
lichkeit Hohn und scheinen nur von der einen Absicht der Regier«
zu zeugen, Wehrlose und Unschuldige dem Siechtum und Verderb
auszuliefern, nur weil sie als Deutsche geboren sind.
Dieser Kampf gegen die Wehrlosen wird an dem Ausgange j
Völkerringens nicht das Leiseste ändern. Wie das deutsche Volk cp
einen Augenblick des Besinnens oder zaghafter Furcht bereit ist, li
sende seiner besten Männer zur Ehre des Vaterlandes und zur Mjf
rung der eigenen Kultur zu opfern, so wird das deutsche Volk iq
diese Opfer tragen, die Willkür und Grausamkeit ihm auferlegen. :
wird auch diese unschuldigen Geschöpfe als Märtyrer des Deut*
tums und Blutzeugen für den Tiefstand der Moral der britischen t
gierung dahinsiechen oder sterben sehen wie Helden, sie achtend e
nau wie ihre Krieger. I
Englands Aerzte aber, die als Akademiker auch geistige Füfe
des Volkes sein sollten, und die gemeinsam mit den Aerzten ^
Länder auf zahllosen internationalen Kongressen, noch vor wen.1
Monaten zu London, sowie auf dem Internationalen Tuberkulose«
gress zu Berlin, die Humanität als die vornehmste Pflicht des Ar t
und die höchste Errungenschaft moderner Kultur betont und t
priesen haben, sie haben die unabweisbare Verpflichtung, jetzt fi
gegebenes Wort einzulösen; an ihnen ist es, heute die Leidenscha^
des Volkes zu zügeln und die Regierung nach Möglichkeit vor t
Missachtung der schon durch die Satzungen aller Kulturreligionen i
botenen Menschlichkeit zu bewahren.
Der Aerztliche Verein zu Hamburg fordert also von den
tischen Aerzten als Pflicht und Ehrensache, durch ihr Ansehen l
ihren Einfluss bei ihrer Regierung die Freilassung der deutsce
Aerzte und die Schaffung hygienischer menschenwürdiger Leb,:
bedingungen in den Konzentrationslagern zu erwirken, wenn an«
sie nicht wie ihre Regierung dauernd das Brandmal der Schanda
der Stirne tragen wollen.
Wir erwarten von den britischen Aerzten e j
Erklärung vor den Aerzten der gesamten Welt
Hamburg, den 3. November 1914.
Prof. Brauer. Prof. D e n e k e. Dr. Marben. Dr. Mi
Prof. N o c h t. Dr. O e h r e n s. Prof. Rumpel. Prof. S i m in o nU
Aerzte gesucht.
Für die Reservelazarette im Bereiche des VI. Armeekorps ausi
halb Breslaus, und zwar in B r i e g. F r e i b u r g, O h 1 a u, T r t
nitz, Patschkau, Cosel, Gottschalkowitz, Reich i
stein, Nimptsch, R o s e n b e r g, G 1 e i w i t z, Tarnow :
Carlsruhe O/S., Kreuzburg und S 1 a w e n t z i t z fehlt init
noch eine grosse Anzahl von Aerzten, namentlich Fachchirur i
Auch Stellen bei Landsturmtruppen sind noch zu besetzen. Im hü
esse der Verwundeten und Kranken wird um zahlreiche Anmeldurf
der Herren Aerzte beim Sanitätsamt des VI. Armeekorps gebetc
Weihnachtsgabe für arme Arztwitwen in Bayern
Gabenverzeichnis: Uebertrag M. 320. Bezirksarzt 1
N i e d e r m a i e r - Pfarrkirchen M. 10. — . Dr. Max Dück-M
chen M. 50. — Dr. Jacob- Schwabach M. 25. — . Hofrat
Mayer- Fürth M. 20.— Summa M. 425. — .
Gaben nimmt dankbarst entgegen der Kassier der Witwenka <■
Dr. Hollerbusch, Fürth, Mathildenstr. 1. Z*» l
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26.
— Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
(j der einzelnen Nummer 60 J>. • ßerut-nrei» in Deutschland
• und Ausland siche unten unter Bezugsbedingungen. • • •
erntenschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
MÜNCHENER
Zusendungen sind /ii nenieri ,
f ür die Schriftleituug : Arnullstr. 2t> (Sprechstunden 8'4 — 1 Ulir).
hur Bezug: an I. F. Lelimann’s Verlag, Paul Heysestrassr 2 ft
Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstr asse S.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
| , 48. 1. Dezember 1914. Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Hcysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Ueber Kollaps nach Seegefechten*).
u Prof. Dr. Ehret (Strassburg), Marinoberstabsarzt d. R.
Nach einer Seeschlacht sehen die Kampfschiffe im Inter-
:e ihres weiteren Kampfwertes ihre Verwundeten möglichst
d an Lazarettschiffe oder eigens eingerichtete Leichter
osse flachgehende kanalschiffähnliche Fahrzeuge), je nach
• gang entweder auf hoher See oder in geschützteren Küsten¬
wässern ab. Von den Lazarettschiffen oder durch Schlepper
: ogenen Leichtern, werden die Verwundeten an die Marine-
;dlazarette herangebracht. Eine Anzahl unserer Sanitäts-
> ziere ist dazu bestimmt, die Verwundeten auf den Leichtern
i impfang zu nehmen, um dieselben während des Transportes
i h dem Lazarett, der je nach den Flutverhältnissen 6 bis
oder auch mehr Stunden in Anspruch nehmen kann, ärzt-
i zu versorgen. Vor der Schlacht werden die Matrosen
i h Möglichkeit gebadet und erhalten frische Wäsche. Schon
urend des Kampfes und bis zu ihrer Abgabe an die Lazarett-
iffe oder die Leichter wird den Verwundeten die erste ärzt-
i e Hilfe von den Aerzten der Kampfschiffe zuteil.
Bei der Flut von Verwundeten innerhalb kurzer Zeit —
: moderne grosse Seeschlacht spielt sich nicht selten in
i liger als einer Stunde ab — , den räumlich engen und vor
• Störungen nicht gesicherten Verhältnissen und der Knapp-
der bis zur Abgabe der Verletzten zur Verfügung stehen-
Zeit, wird sich diese erste Hilfe, soweit sie überhaupt ge-
jjwt werden kann, auf das Dringendste beschränken.
' hrend der Transportzeit auf den Leichtern wird sie auf alle
e zu ergänzen und zu vervollständigen sein.
Die Grundsätze der ersten Wundversorgung wurden Ihnen
':ern von Herrn Geheimrat Oberstabsarzt Lex er ent-
■ kelt. Heute soll es meine Aufgabe sein, den Kollaps zu
^rechen, d. h. seine Frühdiagnose, seine Vorbeugung und
1 andlung zu erörtern unter Berücksichtigung der Besonder¬
en des zu erwartenden Krankenmaterials und der äusseren
anderen Umstände, unter welchen sich das ärztliche Han-
u abspielen wird.
Falls es fruchtbringend sein soll, werden wir bestrebt sein
nsen, unser Handeln den äusseren Verhältnissen ent¬
gehend auf die einfachsten tatsächlich durchführbaren Mittel
neschränken.
Dass der Kollaps als dringlichstes internes Thema ge¬
ilt wurde, bedarf wohl kaum einer näheren Erläuterung,
on in Friedenszeiten kennen wir den Kollaps als häufigen
: cheidenden Zufall bei Infektionskrankheiten, als sympto-
Hsches Zeichen und Todesursache bei Bauchfellentzündung,
) oft überraschend auftauchende Klippe bei allen akuten und
'mischen Erkrankungen des Herzens, als Endstadium von
i'Sen Blutverlusten, als Folge von Vergiftungen. Seltener
r 'ich sehen wir ihn als Begleitfolge oder als einzige Folge
< Gewalteinwirkungen im weitesten Sinne des Wortes
’iock, Ohnmacht).
Bei Seegefechten haben wir es nach den Erfahrungen im
sisch-Japanischen Kriege fast ausschliesslich mit Ver¬
ödungen durch schwere und schwerste Artillerie, mit Ver-
"nungen, Gasvergiftungen und schwersten Kontusionen
: un.
Die auf den Schiffen Kämpfenden sind dazu während der
(acht den schwersten körperlichen und psychischen Fin-
*) Nach einem Vortrag vor Marinesanitätsoffizieren.
Nr. 48
Wirkungen ausgesetzt. Uebergrosse Hitze wirkt auf dieselben
in den Heizräumen und Panzertürmen ein; ihr Handeln geht
vor sich bei schlechter und vergifteter Atmungsluft, da alles
abgedichtet ist. So wird auf unseren Transportleichtern, wenn
auch die häufigste Friedensursache des Kollapses, die Infek¬
tionskrankheit, wohl überhaupt nicht in Betracht kommt, doch
der infolge von traumatischer Einwirkung zu Wunden hinzu¬
tretende oder primär mit und ohne Wunde erwirkte Kollaps
ein sehr häufiges Vorkommnis sein. Es werden demselben
sowohl Verwundete, wie auch ohne äussere Verletzung Trau-
matisierte zum Opfer fallen; darunter auch solche, die durch
die Art der Verletzung allein nicht in Lebensgefahr gebracht
worden wären. Somit wird auf den Leichtern neben der Ver¬
vollständigung der ersten gestern vor uns dargelegten
dringendsten Wundversorgung die weitere Aufgabe an die
Transportärzte herantreten, die durch den Kollaps bedrohten
Traumatisierten zu erkennen, nach Kräften dem Kollaps vor¬
zubeugen und bei ausgesprochenem Kollaps die erste, aller¬
dings in vielen Fällen entscheidende Hilfe zuteil werden zu
lassen.
I.
Was ist unter dem Sammelbegriff „Kollaps“ zu verstehen?
Welches sind die Ursachen der bekannten mannigfachen, in
ihrer Intensität und Gruppierung wechselnden Kollapserschei¬
nungen?
Nach unseren heutigen Anschauungen muss die Antwort
darauf lauten: Allen Kollapsen ist gemeinschaftliche Ursache
ein Versagen des Kreislaufes in der Weise, dass die in der
Zeiteinheit notwendige Blutmenge einer grösseren Reihe
lebenswichtiger Verbrauchsstellen des Körpers in verminderter
oder ganz ungenügender Menge zugeführt wird. Dieses in
seiner Intensität, in seiner Grösse von Fall zu Fall oder von
Augenblick zu Augenblick wechselnde Defizit von Blutzufuhr
ist in seinem Verhältnis zu der erforderlichen Blutmenge nicht
immer notgedrungen an allen Stellen gleichmässig dasselbe.
Der Mangel an Blut kann an den einen besonders prädispo¬
nierten oder affizierten Stellen mehr ausgesprochen sein als
an anderen; daher die Verschiedenheit der klinischen Erschei¬
nungen bei den verschiedenen Kollapsarten: z. B. schwere
Bewusstseinsstörungen bei verhältnismässig leichten Kollapsen,
bei denen sich die Blutzufuhr zuerst in der Grosshirnrinde
vermindert, oder vollständig klares Bewusstsein bei tödlichen
Bauchfellverletzungen. Dieses Versagen des Kreislaufes im
weitesten Sinne des Wortes muss, um ein klinisches Bild zu
verursachen, das unter dem Sammelbegriff „Kollaps“ ein¬
gereiht werden kann, ein akutes sein. Im Gegensatz dazu
steht das klinisch ganz anders geartete Bild der chroni¬
schen Kreislaufinsuffizienz oder Kompensationsstörung, wie
man diesen Zustand wohl früher nannte.
Die grosse Verschiedenheit des klinischen Bildes des Kol¬
lapses oder akuten Versagens des Kreislaufes und der chro¬
nischen Herzinsuffizienz oder Kompensationsstörungen beruht
vorwiegend auf dem Umstand, dass beim Kollaps die Kreislauf¬
störungen rasch einsetzen, dabei vorübergehend oder innerhalb
kurzer Zeit tödlich sind und es so nicht zu den bekannten Er¬
scheinungen kommen kann, die sich hei länger anhaltender
fortschreitender Kreislaufinsuffizienz in den verschiedenen Or¬
ganen, entsprechend den Störungen des Blutstromes, infolge
von Stauung einstellen und im Endstadium zum Hydrops uni¬
versale führen.
Wie kommt nun dieses Versagen des Kreislaufes zustande?
Die Erfahrung lehrt und bestätigt die theoretische Uebcrlegung,
1
2.302
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4S
dass der Kreislauf versagen kann infolge von Störungen a) des
Herzens, b) der Gefässe und c) der Nieren.
Während Kollaps bei Nierenkrankheiten im Frieden ein
nicht gerade seltenes Vorkomnis ist, können wir an dieser
Stelle, wo es sich um die Vorbereitung auf eine Seeschlacht
handelt, die Besprechung des Kollapses bei Nierenkrankheiten
übergehen.
Unter den borddienstfähigen Seeleuten werden wohl chro¬
nische Nephritisfälle überhaupt nicht oder doch nur ganz
selten sein, weil sie schon im Zivilleben erkannt oder bei der
Wiedereinstellung ausgeschieden werden. Akute Nierenent¬
zündungen machen nur sehr selten innerhalb der ersten
Stunden Kollaps.
a) Herzkollaps.
Das gesunde Herz verfügt über eine wunderbare, nach Bedarf
automatisch in Wirkung tretende Anpassungsfähigkeit seiner Lei¬
stungen an die jeweils an den Kreislauf gestellten Anforderungen.
Die Blutmenge (Schlag- oder Sekundenvolumen), die das Herz eines
Matrosen bei Körperruhe zu liefern hat, ist unverhältnismässig viel
kleiner, als diejenige, die das Herz desselben mit Anstrengung seiner
äussersten physischen Kräfte kämpfenden Matrosen zu liefern hat und
in der Regel auch liefert. Der Uebergang vom kleineren zum
grösseren Schlagvolumen vollzieht sich unvermittelt von einem
Augenblick zum anderen im Augenblick des Bedürfnisses. Zu dieser
Vcrgrösserung des Schlagvolumens kann als Ursache weiterer Stei¬
gerung der Herzarbeit die häufige psychisch bedingte Steigerung des
Blutdruckes treten. Dann lautet die Formel: Grössere Blut-
inenge gegen höheren Druck. Diese Anpassungsfähigkeit des Her¬
zens an die zu leistende Arbeit hat auch beim gesunden Herzen ganz
bestimmte Grenzen und zwar in den zur Verfügung stehenden Re¬
servekräften. Wird von einem gesunden Herzen mehr verlangt, als
es selbst unter Heranziehung sämtlicher ihm zur Verfügung stehen¬
der Reservekräfte zu leisten vermag, dann beantwortet dieses ge¬
sunde Herz unter Umständen die Ueberlastung mit irreparablem
Stillstand oder geht, falls die Ueberlastung nicht so lange Zeit an¬
gedauert hat, mehr oder weniger schwer geschädigt aus derselben
heraus. Die Grenze der Leistungsfähigkeit des Herzmuskels ist bei
Herzgesunden je nach der Beschaffenheit des Muskels ebenso ver¬
schieden, als z. B. die Leistungsfähigkeit des Bizepsmuskels bei ver¬
schiedenen Individuen. Es gibt keine normale, für alle Menschen
gültige Reservekraftmenge des Herzens. Die von den herzgesunden
Individuen von ihrem Herzen ohne Schädigung desselben zu leistende
Höchstbelastung wechselt von einem Menschen zum anderen. Dass
unter normalen Verhältnissen durch Ueberschreiten der Leistungs¬
fähigkeit des Herzens nicht mehr Unheil sich ereignet, wird dadurch
bewirkt, dass der Körper, wenn die geleistete Arbeit gegen die Gren¬
zen der Leistungsfähigkeit des betreffenden Herzens kommt, bei nor¬
malen Willenskraftentfaltungen seinen Dienst einfach versagt, ehe das
Herz tatsächlich überlastet ist. So wird die gefährliche Ueberlastung
in der Regel unmöglich gemacht. Darin liegt die Erklärung, dass bei
beschleunigtem Lauf einer mit Gepäck beladenen Truppe die ein¬
zelnen Soldaten in verschiedener Entfernung ihres Ausgangspunktes
„schlapp werden“; die einen recht früh (die Herzmuskelschwachen),
die anderen viel später. Wenige aber werden Schaden nehmen. Die
Entfernung, nach welcher die einzelnen abfallen, hängt ab in erster
Linie von der speziellen Leistungsfähigkeit des betreffenden (ge¬
sunden) Herzens, dann aber von der Willensenergie und Uebung,
die den einzelnen befähigt, die Erscheinungen des Nichtmehrkönnens
kürzere oder längere Zeit zu überwinden. Daraus erklärt sich die
an und für sich nicht genügend bekannte und gewürdigte Tatsache,
dass Menschen, die darauf ausgehen, durch täglich gesteigerte
Uebungen und sog. Stählen der Willensenergie zu trainieren, früher
oder später mit ihrem Herzen in Konflikt kommen. Es gibt kaum
einen bekannten berufsmässigen Radrekordfahrer, der nicht wegen
abnormen Herzens vom Militär abgewiesen worden wäre.
Sicher wird während eines Seegefechtes von unseren Matrosen,
selbst für gut ausgebildete, häufig an körperlicher Anstrengung ganz
Ungewöhnliches geleistet und erlitten werden. Beispiele Hessen sich
aus den letzten Erlebnissen schon anführen. Auch stärkste Herzen
werden oft an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangen und
kürzere oder längere Zeit ad maximum belastet sein. Denn es ist
Tatsache, dass in solchen Augenblicken höchster seelischer Er¬
regungen und fast übermenschlichen Willens die Vorboten, die sonst
das Herannahen an die Leistungsgrenzen des Herzens recht fühlbar
machen, übersehen, nicht beachtet oder nicht empfunden werden.
Beispiel für solches Vorkommnis aus der Geschichte ist der Läufer
von Marathon, der nach Erfüllung der ihm aufgetragenen Meldung tot
zusammensinkt. Deshalb werden wir in und nach der Seeschlacht
Kollapse, ja Todesfälle ohne jede zunächst greifbare Ursache erleben,
die hierher gehören. Dass einmalige Ueberanstrengungen des Her¬
zens unter solchen Umständen auf längere Zeit das Herz all seiner
Reservekräfte berauben können, wissen wir aus den selteneren, aber
in dieselbe Kategorie gehörigen Vorkommnissen der Friedenszeit: So
geschädigte Herzen mit oder ohne eindeutige anatomische Unter¬
lagen sind in der Marine nichts Seltenes.
Vielleicht noch häufiger und mit einer gewissen Regelmässigkeit
führen zum Herzkollaps, d. h. zu der effektiven Verkleinerung de;
Schlagvolumens plötzliche traumatisch gesetzte oder ausgelöste Ver
änderungen des früher gesunden oder doch selbst bei Funktions
Prüfungen gesund erscheinenden Herzens. Dahin gehören die trau
matischen Klappenfehler: Zerreissungen von gesunden oder durcl
schleichende Prozesse prädisponierten Klappen oder ihrer Sehnen
fäden unter urplötzlicher Ueberanstrengung des Herzens. Sofort trit
dann zu der von aussen verlangten Arbeit, die durch die Klappen
Stellung jeweils bedingte Mehrarbeit hinzu. Von diesem Augenblicl
ab kann das Herz dann versagen. Derartiges kommt im Frieden be
Unglücksfällen gelegentlich vor; wie solche plötzlich eintretendi
Klappendefekte wirken, wissen wir aber hauptsächlich aus den nich
gerade seltenen Fällen von akuter Ruptur latent luetisch erkrankte]
Aortenklappen. Gelegentlich entsteht bei derartigen Rupturen da:
sogen, musikalische Geräusch durch Schwingungen der geschädigte:
Klappe oder der geschädigten Sehne.
Auch das motorische Gewebe des Herzens, das Myokard, kam
durch Trauma geschädigt werden. Typisch dafür sind die Blutungei,
in das Myokard. Derartige Schädigungen des Herzfleisches werdet
hauptsächlich zu erwarten sein, wenn stumpfe Gewalt auf die Herz
gegend eingewirkt hat. Ein derartig geschädigtes Herzfleisch, da:
dazu noch unter starker Belastung bleibt, wird selbstverständlich eni
sprechend früher versagen.
Endlich wissen wir, dass gewisse Gifte selbst das gesunde Her;
entweder vorübergehend oder auch für längere Zeit in einen Zustand
geringer Leistungsfähigkeit versetzen, d. h. myasthenisch machet
können. Dahin gehören in erster Linie Alkohol, wohl auch Nikotin
Menschen, die unter Alkoholwirkung oder Nachwirkung sich befinden
werden in diesem Zustande weniger Herzarbeit leisten können, al:
sie in der Norm dazu befähigt sind; je nach dem Grade des myasthe
nischen Zustandes werden sie früher dem Kollaps verfallen. Derartif
ungünstig beeinflusste Herzen werden wir unter unseren Kollabiertet
wohl auch finden.
b) Der Gefässkollaps.
Die Gefässe sind lebendige, in ständiger Wechselwirkung zun
Herzen stehende, oft in verschiedenen Bezirken in verschiedenen
Sinne sich verändernde Blutzuführungsorgane. Zweck dieses Gefäss
spieles ist, Herzarbeit zu sparen und das Pumporgan zu schonen
Durch feinste Anpassung der von unzähligen Stellen auslösbarei
vasomotorischen Tätigkeit an das Blutbedürfnis der einzelnen Stellei
kann bei grösserem Blutbedürfnis an der einen Stelle dasselbe durcl
Erweiterung der betreffenden Arterien ohne Vcrgrösserung der Herz!
arbeit zugeführt werden, so lange es möglich ist, an anderen Stellet
durch Verkleinerung der betreffenden Arterien das Blut einzuspareri
Erst wenn dies nicht mehr möglich ist, wird vom Herzen eii
grösseres Schlagvolumen verlangt. Dieses grössere Schlagvolume;
könnte bei fehlender vasomotorischer Tätigkeit, also bei starren Ge
fässen — Zustand, den wir bei Gefässstarre annähernd sehen — J
den Verbrauchsstellen nur durch Erhöhung des Arterieninnendrucke
zugeführt werden. Diese grössere Arbeit bedingende Druckerhöhun)
wird dadurch vermieden, dass die Gefässe bestrebt sind, durch ent
sprechende Erweiterung ihrer Ablaufgebiete den Normalblutdrud
möglichst lange aufrecht zu erhalten.
Eine weitere Eigentümlichkeit ist die sogen. Weitbarkeit de
Arterien, d. h. die Fähigkeit, bei jedem Herzschlag eine iibergrossj
systolische Zunahme des Druckes durch Ausdehnung der Wandum:
eine zu grosse Abnahme des Druckes durch Kontraktion der Wan
düngen, d. h. Kleinerwerden des Querschnittes, zu vermeiden. Di
Weitbarkeit mindert die Druckschwankung innerhalb der Schlag!
revolution des Herzens. Im Prinzip wirkt die Weitbarkeit der Ar
terien, deren wichtige Komponente die Vasomotorentätigkeit ist
wie der Windkessel einer Pumpe: Sie reguliert und gleicht den Stron
aus, verhindert schockartiges Arbeiten der Pumpe, schont so Her
und Arterien. Die vasomotorische Tätigkeit bedeutet somit eint
grosse Ersparnis von Herzarbeit. Dieselbe ist zur Aufrechterhaltun:
des Kreislaufes notwendig. Wir wissen, dass auch, der herzgesumh
Mensch bei Lähmung grosser Gefässbezirke nicht mehr imstandi
ist, trotz stärkster Inanspruchnahme des gesunden Herzens den Kreis
lauf aufrecht zu erhalten: Er verblutet sich in seine eigenen Gefässe
Entgegengesetztes erleben wir bei schweren Blutungen: Die Vastv
motorentätigkeit kann durch Verkleinerung des Gefässgesamtquerj
Schnittes trotz akuter grosser Blutverluste den zur Durchblutuii:
der Gewebe und Organe notwendigen Druck lange aufrecht er
halten. Ist es den Vasomotoren wegen immer grösser werdenden Blut
defektes nicht mehr möglich, durch Verkleinerung des Gesamtquer
Schnittes den notwendigen Druck aufrecht zu erhalten, dann triti
der Tod durch Verblutung ein; ein echter Kollapstod. Mässige Bluj
tungen mit gleichzeitiger Störung der Vasomotoren werden scho'
recht früh, insbesondere bei Ueberlastung des Herzens zu scheinba.
unberechtigtem Kollaps führen. Solche vasomotorische, einer Vw
minderung des Schlagvolumens gleichkommende Einflüsse dürftet
manchen Zuständen zugrunde liegen, die unter dem Sammelbegrii
„Schock“ zusammengefasst werden. Die sogen. Hitzschlagkollapse
die bei Einwirkung grösster Hitze, vorwiegend bei gleichzeitiger kür
perlicher Arbeit zustande kommen, desgleichen die Kollapse nach dei
im Schiffsartilleriekampf nicht gerade seltenen Gasvergiftungen dürf
ten ebenfalls eine ausgesprochene vasomotorische Komponentt
haben.
I. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2303
II.
Falle reinen kardialen Kollapses kommen ebenso gut vor,
ils solche reinen vasomotorischen Ursprungs. Erstere dürften
-doch häufiger sein als die letzteren. Die grössere Mehrzahl
er Kollapse dürfte Mischform, also kardio-vasomotorischen
Ursprungs sein. Bei denselben wird der Kollaps ausgelöst
!urch Summation einer kardialen mit einer vasomotorischen
Komponente. Es empfiehlt sich somit die Behandlung der
kuten Kreislaufinsuffizienz auf beide Indikationen einzurichten,
’m so mehr, als erhöhte Heranziehung der Herzkräfte bei
ein vasomotorischem Kollaps, Unterstützung der vaso-
lotorischen Tätigkeit bei reinem Herzkollaps nur von Nutzen
ein kann.
a) Prophylaxe des Kollapses.
Während des I ransportes der Verletzten auf den Leichtern wer-
en die Fälle im Auge behalten werden müssen, bei denen Kollaps
roht. Hohe Pulszahl, unmotivierter rascher Wechsel derselben,
iterrnittierendcs Hinken des Herzens, unklares Bewusstsein, Ohn-
lachtsan Wandlungen bei geringen Anlässen, häufiger Farbenwechsel,
chweissausbrüche ohne äussere Ursache sind häufig Vorboten des
later mit elementarer Gewalt einsetzenden Kollapses. Kollapsfähig
nd nach dem für Herz und Vasomotoren höchste Belastung dar¬
eilenden Seegefecht alle Kranken mit schweren Wunden, insbeson-
ere mit Blutverlust, alle aus irgend einem nicht ersichtlichen Grunde
ewusstlosen. Bei solchen kollapsfähigen Menschen können ge-
gentlich Kleinigkeiten den Ausschlag geben für den Ausbruch eines
isch tödlich verlaufenden Kollapses. Dieser Erfahrung müssen wir
jf den Leichtern gerecht werden.
Es dürfte recht zweckmässig sein, die von Kollaps bedrohten
ranken in eine Ecke des Leichters zusammenzulegen. Da die ein-
.'lnen Kranken auf I ragbahren liegen, so dürfte diese Zusammen-
ellung nach Erkennung der einzelnen Fälle bei nicht zu starkem
eegange zu bewerkstelligen sein.
Die örtliche Vereinigung würde die Beobachtung der Kranken
»wie die Behandlung erleichtern.
Zunächst ein einschränkendes Wort über die Anwendung von
orphium. Dasselbe wahllos an alle Verwundeten und gleich in
ossen Dosen zu geben, dürfte wohl von unserem Standpunkte kaum
i rechtfertigen sein. Selbstverständlich ist es möglich, mit Mor-
num Linderung und Ruhe zu schaffen, und es soll diese Wohltat in
leingeschränktem Masse allen denjenigen zuteil werden, die vom
allaps nicht bedroht sind. In welcher Weise Morphium in die Vaso-
otorentätigkeit unter den in den einzelnen Fällen obwaltenden,
hlechterdings nicht zu erkennenden Verhältnissen eingreift, ist
»erhaupt nicht zu übersehen. Jedenfalls ist es theoretisch denkbar
id durch die Praxis auch wahrscheinlich gemacht, dass Morphium
irch Störung der Vasomotorentätigkeit Kollaps direkt begünstigen
mn; umgekehrt muss zugegeben werden, dass sehr grosser
ihmerz, insbesondere wenn er längere Zeit anhält, Kollapserschei-
ingen machen kann. Es würde sich deshalb empfehlen, in der
»llapsecke Morphium nur zu geben, wenn tatsächlich grosse
:hmerzen bestehen. Zur Linderung der Schmerzen bedarf es bei
:hwerverwundeten, die dazu noch vor dem Kollaps stehen, keines-
egs grosser Dosen. Kleine, ja kleinste Dosen von 5 mg, dürften
nächst genügen und uns einen Anhaltspunkt für die Morphium-
rkung in dem betreffenden Falle geben. Bei Benommenheit dürfte
>n Morphium in den meisten Fällen abgesehen werden können
»llapsvorboten oder Kollapserscheinungen mahnen uns zur Vorsicht
der Morphiumanwendung.
Bei der Versorgung kollapsbedrohter Verletzter ist zunächst für
^glichst unbehinderten Kreislauf zu sorgen: also Flachlage, Ent¬
mutig von körpereinschnürenden, also kreislauferschwerenden Klei-
ngsstücken (Aufknöpfen des Hosenbundes, Lockerung zu fest sitzen-
r, Stauung machender Verbände). Besondere Aufmerksamkeit ist
smar ch sehen Binden zuzuwenden; dieselben dürfen auch von
;sem Standpunkte aus unter keinen Umständen Stauung machen,
e dies Herr Geheimrat L e x e r aus Gründen chirurgischer Natur
enfalls forderte. Es muss ängstlich vermieden werden, dass durch
auungen oder Blutungen dem Kreislauf Blutmengen entzogen wer-
n. Bei der Lagerung des Kranken werden wir darauf achten, dass
impf und Extremitäten warm bedeckt sind. Bei weichem, kleinern
ils, bei allen denen, die Blut verloren haben, bei vollständig Er-
höpften, bei Ohnmachtsanwandlungen werden wir bestfebt sein,
:ht lebenswichtigen Gebieten die Blutzufuhr zugunsten wichtiger
eilen einzuschränken, jedoch ohne Stauung zu machen,
ir können dies durch Hochlagerung beider Beine, durch künstliche
1 Jtarmmachung von Gliedern (mit der Umwicklung unten beginnend,
: ichmässig drückend, zentralwärts fortschreitend).
Ferner ist immer für den Ersatz von Flüssigkeitsverlusten zu
■‘gen: Oefters kleine Mengen (bis 200 ccm) Flüssigkeit. Wegen der
Lzbeengcnden Magcnblase sind kohlensäurehaltige Getränke zu ver¬
eiden. Da nach der Schlacht Erschöpfung in der Regel eine Rolle
eit — Erschöpfung allein kann ja Kollaps machen — , so dürfte sich
1 pfehlen, dem Körper Energiequellen zuzuführen. Am besten ge-
Mieh' dies in flüssiger kompendiöser Form. Feste Nahrung erfor-
(rt vom Kreislauf für Verarbeitung und Resorption unverhältnis-
l ssig mehr als flüssige. Für den Gebrauch auf den Leichtern dürfte
es sich empfehlen, ein Getränk mitzuführen, das aus einem kräftigen
Kaffeeausguss mit einem Drittel Rahm und Zucker besteht (Zusatz
von Kognak). Durch dieses Getränk dürfte die Zuführung von Flüs-
stgkeit und Kalorien zweckmässig zu erreichen sein. Wo es nicht
j möglich ist, Flüssigkeits- und Kalorienzuführung durch den Magen
zu bewerkstelligen (Magendarmverletzung), dürften Klistiere von
J 150—200 ccm einer 10 proz. Traubenzuckerlösung ein- bis zweistünd¬
lich gute Dienste leisten. Bei Bewusstlosen ist diese Indikation nicht
zu vergessen. Bei denselben haben wir die Wahl zwischen der
stehet vorzuziehenden, auf den Leichtern jedoch kaum auszuführen-
cieit subkutanen Kochsalzinfusion und der Verabreichung von Flüssig-
keit durch die Schlundsonde.
. -'OljKfältig sind die Faktoren zu vermeiden, von denen die prak¬
tische Erfahrung lehrt, dass sie imstande sind, reflektorisch die Vaso-
motoren und das Herz ungünstig zu beeinflussen, z. B. schlechte Luft,
a ui- i™Cni Anblick von ekelerregenden Dingen (macht doch der
Anblick von Blut bei manchen Menschen Kollapserscheinungen). Re¬
flektorisch wirkende Riechmittel (Aetherfläschchen) sind manchmal
recht günstig. Eine günstige, nur reflektorisch zu erklärende Wir¬
kung hat bekanntlich auch Temperaturreiz von der Magenschleim-
haut aus. Es dürfte zweckmässig sein, unsere Kaffee-Rahm-Zucker-
Mischung sowohl heiss als eisgekühlt in Thermosflaschen auf den
Leichtern mitzuführen. Bei unseren von Kollaps bedrohten Kranken
durfte schliesslich die prophylaktische Verabreichung eines Mittels
j von dem günstige Wirkung auf die Gefässe und vielleicht auch auf
| *lerz ffstst^ht’ angezeigt sein. Ich meine das schlecht benannte
| knur^in. 1 g Diuretin (z. B. in unserer Kaffee-Rahm-Mischung ge-
! lost) wahllos jedem Kranken unserer Kollapsecke verabreicht. Bei
Bei iicksichtigung dieser, auch auf den Leichtern durchzuführenden
vorbeugenden Grundsätze wird der Ausbruch manchen Kollapses ver¬
mieden werden.
Dies käme schliesslich einer Zeitersparnis gleich, da der aus-
gesprochene Kollaps das ärztliche Wirken erheblich mehr in An¬
spruch nimmt, als die fast schematische Veranlassung und Aus-
tuhrung der eben besprochenen Massnahmen bei allen kollapsfähigen
Verletzten, die nach Erkennung der in Betracht kommenden Ver-
etzten dem gut geschulten Sanitätspersonal überlassen werden
konnten.
b) Therapie des Kollaps es.
Kommt es nun trotzdem zum ausgesprochenen Kollaps, so ist
e i g i e b i g e r Gebrauch von den durch die Erfahrung erprobten
Herz- und Gefassmitteln zu machen. Da jede andere Anwendungs¬
weise wegen der nicht zu übersehenden Resorptionsverhältnisse un-
S|- u *s^’ ^omrn^ dazu ausschliesslich die Einspritzung unter
die Haut oder in die Blutader in Betracht. Es dürfte sich empfehlen,
im Beginn viel häufiger, später dann während des ganzen Trans¬
portes unabhängig vonevent. auftretenden Besse¬
rungen, einhalbstündlich bis stündlich abwechselnd 0,20 g Koffein
und 1,0 g Kampferöl zu geben. Verschlimmert sich trotz der Ein¬
spritzung der Kollaps, was, abgesehen vom Puls, an dem Spitz¬
werden des Gesichtes, an der fortschreitenden Abkühlung der Ex¬
tremitäten, an dem Fallen der Temperatur zu ersehen ist, so kommt
feist wahllos für alle unsere Fälle der Versuch mit einer intra-
venösen Strophanthininjektion in Frage. Ich sagte fast wahllos
aus folgender Ueberlegung: Für die Entfaltung der Strophanthin¬
wirkung muss noch gesundes Herzfleisch vorhanden sein. Wo ge¬
sundes Herzfleisch noch vorhanden ist, und dies wird bei unserem
Material selbst bei einer Anzahl von denjenigen Fällen, wo auch
direkte akute Schädigung des Herzens vorliegt, der Fall sein ist
Strophanthin ein ideales Mittel. Es ruft die an gesundes Myokard
gebundenen Reservekräfte des Herzens auf den Plan, und zwar
im Gegensatz zu der Digitalis, deren intravenöse Verabreichung bis
jetzt noch ein unerfüllter Wunsch ist, innerhalb kürzester Zeit
Die Besserung des Pulses ist oft schon nach Sekunden fühlbar Dass
die akute Herzinsuffizienz nach der Sachlage nicht Gegenstand von
Digitalistherapie sein kann, ist ohne weiteres klar: Digitalis
braucht, solange wir kein vollwertiges Präparat für intravenöse Ein¬
spritzungen haben, Zeit. Erst im Lazarett wird die Frage an uns
herantreten, ob es sich empfehlen dürfte, Menschen, die Kollaps ge¬
macht haben, vorsichtig zu digitalisieren. Trotzt der Kollaps nun
auch der Strophanthininjektion von K>—1 mg, die wir im Gegensatz
zur Kampferkoffeineinspritzung vor 36—48 Stunden nicht
wiederholen dürfen, so wäre es wünschenswert, wenn wir
wenigstens bei denjenigen Fällen, die durch intensive Färbung und
grossen schlappen Puls auffallen, noch einen Versuch machen könnten
mit einer intravenösen Adrenalineinspritzung oder eines gleich¬
wertigen Präparates, von denen Lösungen in sterilen Tuben fertig
im Handel Vorkommen. Für gewöhnlich wende ich z. B. bei Pneu¬
moniekollapsen Mengen von 10 — 20 Tropfen der Adrenalinoriginal¬
lösung in etwas physiologischer Kochsalzlösung intravenös an. Der
Erfolg der Adrenalineinspritzung ist hauptsächlich bei rein vaso¬
motorischen Kollapsen mindestens vorübergehend ein sehr guter.
Die Wirkung ist allerdings leider oft eine sehr flüchtige; gelegentlich
gewinnt man jedoch den Eindruck, dass die Adrenalinlösung auf die
weitere Gestaltung der Dinge einen entscheidend günstigen Ffn-
fluss hat.
Die Aussichten der Behandlung der vom Kollaps bedrohten
und der kollabierten Kranken und Verwundeten wären fol-
r
J304
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 48.
gende: Wo funktionelle Schädigungen des Kreislaufes und
vorübergehende Folgen von Ueberlastung desselben, Sum¬
mation von verschiedenen Momenten, deren einzelne später
zurückgehen, den Kollaps bewirken, wird die Behandlung der
akuten Kreislaufstörung dem Kreislauf in manchen Fällen über
die kritische Zeit hinweghelfen, während er sich selbst über¬
lassen versagt und damit das Schicksal des Kranken besiegelt
hätte. In allen denjenigen Fällen, wo es sich z. B. bei schweren
Bauchverletzungen, stärksten Blutverlusten um irreparable
Schädigungen oder Schockwirkungen von längster Dauer
handelt, wird es wohl nur selten möglich sein, den Kreislauf
künstlich genügend aufrecht zu erhalten bis zu dem Augen¬
blick, in welchem Herz und Arterien in abgestimmtem
Wechselspiel ihre Funktionen wieder spontan aufnehmen.
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Halle a. S.
(Direktor: Qeheimrat Prof. Dr. J. Veit).
Zum Krankheitsbild der puerperalen Infektion mit dem
E. Fraenke I sehen Gasbazillus.
Von Dr. W. S c h ü 1 e r, Assistenzarzt der Klinik.
Auf die klinische Bedeutung der anaeroben Keime im
Blute hingewiesen zu haben, ist Schottmüllers Verdienst.
Die Verfahren zu ihrem Nachweis waren sehr lange kompli¬
ziert und umständlich. Verbesserung und Vereinfachung
brachten u. a. Schottmüller, Lamers und Linde¬
rn a n n. Wir verwenden in unserer Klinik vorwiegend die
von Lindemann angegebene Methode, weil sie technisch
sehr bequem ist. Mit der grösseren Beachtung^ der anaeroben
Blutkulturen kam man natürlich auch zu der Erkenntnis, dass
dieselben erstens weit häufiger und vor allem in ihrer Patho¬
genität weit gefährlicher sind als man auf Grund rein theo¬
retischer Erwägungen — das sauerstoffhaltige Blut lässt die¬
selben nicht aufkommen, sagte K r ö n i g noch 1895 — annahm.
Von den anaeroben Keimen spielt bei der puerperalen In¬
fektion der Bacillus aerogenes capsulatus Fraenkel eine der¬
artige Rolle, dass wir sein Krankheitsbild durchaus kennen
müssen, soll sich unsere Diagnose nicht auf Irrwege begeben.
Bisher waren die Fälle von Infektion mit Reinkultur im Blut
immerhin vereinzelt. Erst beim Entstehen dieser Veröffent¬
lichung bringt B i n g o 1 d aus der Abteilung Schott-
m ü 1 1 e r s am Eppendorfer Krankenhaus eine umfassende Ar¬
beit über den Bacillus aerogenes capsulatus an der Hand von
nicht weniger als 130 Fällen.
Trotzdem glaube ich, dass folgende beide Fälle wegen
ihres charakteristischen Krankheitsbildes einiges Interesse in
Anspruch nehmen können.
Fall 1. Frau Martha H., 21 Jahre, Aufnahme 7. II. 14 abends.
Temperatur 38,3, September letzte Periode. Am 31. I. 14 angeblich
spontaner Abort. Die Nachgeburt sei mit der Frucht zusammen fort¬
gegangen. Am 5. Tage Fieber und Schüttelfrost. Der erst am
7. Tage zugezogene Arzt überwies Pat. sofort der Klinik. Trotz
eifrigen Forschens wird jede abtreiberische Manipulation geleugnet.
Status: Mittelgrosse Frau in gutem Ernährungszustände, die
einen schwerkranken Eindruck macht, Bewusstsein ist nicht gestört,
Herz und Lunge o. B. Abdomen weich, nirgends druckempfindlich.
Milz ist nicht palpabel, perkutorisch eine Vergrösserung nicht nach¬
weisbar.
Vaginal: Uterus vergrössert, weich, Zervikalkanal für einen
Finger durchgängig, übelriechender Ausfluss, Ausstrich aus der Zer¬
vix: Staphylokokken und Bacillus aerogenes capsulatus, 2 aörobe
Platten aus dem Blute bleiben steril. In der anaeroben Blutkultur
Bacillus aerogenes in Reinkultur.
8. II. Temperatur morgens 40,4, abends 39,7.
9. II. Temperatur morgens 39,5, Ausräumung. Abends 37,5,
fieberfrei bis zum 10. Tage. Die 2. Blutentnahme nach der Aus¬
räumung bleibt anaerob und aerob steril. Nach dem Aufstehen Fieber,
am 28. II. Entlassung. Im Douglas ein unempfindliches derbes In¬
filtrat.
27. III. wieder aufgenommen, Befund: doppelseitige Pyosalpinx.
Fall 2. Frl. Lydia F., 21 Jahre, Aufnahme 1. V. 14, 3 Uhr
nachmittags. Letzte Menses Anfang Januar. Angeblich beim Ma¬
schinennähen plötzlich bewusstlos unter Krämpfen vom Stuhle ge¬
fallen. Vom Arzt wegen Verdacht auf Eklampsie in die Klinik ge¬
wiesen. Während des Transportes nochmals 1 Anfall.
Status: Pat. kommt ohne Fieber im bewusstlosen Zustande,
Pupillen nicht erweitert, Gesicht leicht gedunsen, zyanotisch,
keine ikterische noch subikterische Verfärbung der Haut, Atmung be¬
schleunigt, oberflächlich. Cor. o. B. Abdomen aufgetrieben, keine
Bauchdeckenspannung, keine Vergrösserung der Milz. Fundus uteri
handbreit über der Symphyse. Zervix verkürzt. Zervikalkanal ge¬
schlossen, blutiger Schleim geht ab. Blase enthält ca. IV* Liter
weinroten Urin. Kein Albuinen im Sediment, keine Zylinder, keine
Leukozyten noch Erythrozyten. Spektroskopisch Oxyhämoglobin im
Urin. Blutserum hämolytisch. Urin am nächsten Morgen gold¬
gelb, klar, wieder frei von Eiweiss. Pat. kommt nicht zum Be¬
wusstsein. 11 Uhr a. in. spontane Ausstossung der Frucht. Es ge¬
lingt nicht, die Plazenta zu exprimieren. Infolgedessen manuelle
Lösung, heisse Alkoholspülung. Plazenta ist hellrot (hämolytisch),
von starkem, aber nicht besonders typischem Geruch. Kurz darauf
Blutentnahme. Bacillus aerogenes in Reinkultur, Ausstrich aus der
Plazenta ebenfalls nur Bacillus aerogenes. 12 Uhr m. Exitus letalis.
Sektionsbefund 6 Stunden post mortem. Ich lasse aus dem Pro¬
tokoll (Geh.-Rat B e n e k e) das Wichtigste folgen. Bei Eröffnung
der Bauchhöhle Därme stark meteoristisch gebläht. Peritoneum
etwas feucht, kein freies Exsudat, im prävesikalen Bindegewebe ein
starkes, doch gasfreies Oecfcm. Uterus ragt mit einer dunkel ver¬
färbten und prall gespannten Spitze in die Bauchhöhle vor und macht
den Eindruck eines gefüllten Ballons. Beide Ovarien auffallend gross,
intensiv gerötet und mit eitrigem Fibrin belegt, besonders links. Der
Uterus, hochgradig hämolytisch, ist entsprechend vergrössert, weich.
Ueberall ist das Gewebe am Rande der fetzigen Innenwand gashaltig,
doch ist die Füllung der uterinen Venen mit Gas relativ gering.
Nach dem linken Uterushorn zu zwischen Ligamentum, üvarium und
Tubenansatz befindet sich eine flache Ausbuchtung der Uteruswand.
Hier eine Verdünnung bis zu 7 mm. Eine Verletzung an dieser Stelle
ist nicht nachzuweisen. Das Herzblut ist gashaltig, sonst keine
Schaumorgane, vor allem keine Schaumleber. Das Gehirn ist auf¬
fallend weich und öedematös. In der Rinde des Grosshirns befinden
sich einige kleine, kaum zu unterscheidende Nekrosen.
Sektionsbefund des Fötus: Herzblut nicht schaumig, keine
Schaumleber, Lunge gebläht, Schwimmprobe positiv. Im Herzblut,
in den mikroskopischen Schnitten von Lunge, Leber und Plazenta
Bacillus aerogenes in grosser Menge.
Von der in der Bauch- und Pleurahöhle angesammelten serösen
Flüssigkeit werden 5 ccm mit physiologischer Kochsalzlösung ver¬
dünnt einem Meerschweinchen unter die Rückenhaut gespritzt. Etwa
12 Stunden später erfolgt der Exitus des Tieres. An der Injektions¬
stelle hat sich ein deutlich knisterndes subkutanes Emphysem ge¬
bildet. Im Ausstrich und in der Kultur dieser Stelle nur Bacillus
aerogenes. Die Organe des Tieres sind nicht schaumig verändert.
Im Herzblut ebenfalls Bacillus aerogenes.
Wie aus den mikroskopischen Schnitten durch die Lunge
des Fötus deutlich zu erkennen ist, hat eine Aspiration infi¬
zierten Fruchtwassers in die Lunge nicht stattgefunden. Es
müssen also die Keime auf dem Blutwege durch die Plazenta
hindurch in den Fötus eingewandert sein. Hierauf weist auch
der Bakterienbefund in der Plazenta hin. Die Bakterien liegen
vorwiegend in den intervillösen Räumen und vereinzelt in den
Zotten. In forensischer Hinsicht muss die durch die Infektion
mit dem Gasbazillus erzeugte positive Schwimmprobe unbe¬
dingt bekannt sein und berücksichtigt werden. Umsomehr als
es sich bei derartigen Fällen häufig um eine artefizielle Ein¬
leitung der Frühgeburt handeln wird und somit eine Ursache
für diese Art der Infektion gegeben ist.
Die P r o g,n o s e wird von den meisten Autoren günstig
gestellt. Auch Bingold kommt bei seinem grossen Material
zu diesem Urteil: „Unter den 130 angeführten Aborten, bei
denen der Nachweis des Bacillus phlegm. emphysem. gelang,
verliefen 78 unter relativ leichten Erscheinungen. Sie konnten
nahezu alle als geheilt entlassen werden.“ Trotzdem ist die
Auffassung von Sachs, worauf ebenfalls B i n g o 1 d hinweist,
dass der Gasbazillus nicht zu den menschenpathogenen rechnet,
unzulässig. Heynemann reiht ihn der Pathogenität nach
so ein, dass er den Streptokokkus an die erste Stelle setzt,
weit dahinter den Staphylokokkus, nach ihm aber gleich den
Bacillus aerogenes capsulatus folgen lässt, womit er ihn von
diesem Gesichtspunkte aus wohl ziemlich richtig einschätzt.
Wenn auch zahlreiche von den berichteten Fällen mit Rein¬
kultur im Blut günstig abgeklungen sind, so haben doch
Fraenkel, S c h o 1 1 m ü 1 1 e r, Heynemann, Linde-
mann u. a. ebenfalls recht schwere und ebenfalls letal
endigende Fälle erlebt. Wir müssen also in jedem Fall die
Prognose durchaus zweifelhaft stellen. >
Eine befriedigende Erklärung für den verschiedenen Ver¬
lauf des Krankheitsbildes zu geben, werden wir nicht imstande
sein, so lange wir es nicht gelernt haben, die Virulenz der
Bakterien und die Widerstandsfähigkeit des Körpers zu be¬
urteilen. Wo wir schwerverlaufende Fälle haben, dürfen wir
meistens eine Infektion von aussen annehmen, da die Lebens¬
bedingungen für den Bacillus aerogenes in der Scheide nach
1. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2305
den Untersuchungen von v. H i b 1 e r ungünstig sind, so dass
eine autogene Infektion unwahrscheinlich, wenn auch nicht
sicher auszuschliessen ist.
Der Ansicht Hcglers, dass Fälle mit Methämoglobin¬
ämie und Methämoglobinurie meist gutartig verlaufen, kann
ich mich nicht anschliessen. Im Gegenteil scheint mir, soweit
ich aus den Berichten der einzelnen Autoren ersehe, die
Hämoglobinurie meist ein signum malum zu sein. In den letal
endenden Fällen von Fraenkel, Heyne mann hatte
Hämoglobinurie bestanden. Desgleichen finde ich bei Schott¬
müller einen Fall mit blutig verfärbtem Urin, der ebenfalls
ad exituni kam. Von den 7 Fällen mit blutigem Urin, die
Bingold in seiner Arbeit aufführt, starben 4.
Bei ähnlichen Krankheitszuständen wie den oben ge¬
schilderten muss blutig verfärbter Urin stets an eine Infektion
mit dem Bazillus aerogenes denken lassen. In unserem Falle
wurde mit Rücksicht auf die Hämoglobinurie zunächst als
Diagnose Eklampsie oder akute Vergiftung in . Erwägung ge¬
zogen. Daher wurde der Urin auch auf Porphyrinurie unter¬
sucht. Die Probe fiel negativ aus. An Tntoxikationserschei-
nungen unbekannter Herkunft glaubte man ebenfalls in dem
von Linde mann beschriebenen Fall.
In unserem Fall führte der Geruch der Plazenta die Dia¬
gnose auf den rechten Weg. Die dann unter Berücksichtigung
der klinischen Symptome gestellte Wahrscheinlichkeits¬
diagnose auf Infektion mit dem Bacillus aerogenes konnte als¬
bald durch die Bakterioskopie des Lochialsekretes und später
durch den positiven Blutbefund bestätigt werden.
Als charakteristisches Symptom wird ferner bei den
schweren Erkrankungen mit dem Gasbazillus eine eigenartige
Missfärbung der Haut, auf die Lenhartz zuerst aufmerksam
gemacht hat, hingewiesen. In unserem Fall war eine solche
nicht zu erkennen. Ob sie durch die Zyanose überdeckt war,
ist nicht ganz ausgeschlossen, aber auch nicht unwahrschein¬
lich. Die Krampfanfälle sind bisher nirgends erwähnt. Ihr
Auftreten durfte wohl durch den Sektionsbefund des Gehirns
eine befriedigende Erklärung gefunden haben.
Therapeutisch sind wir leider absolut machtlos. Selbst¬
verständlich wird es sich empfehlen, möglichst frühzeitig die
Quelle der Infektion, d. h. den noch vorhandenen Inhalt der
Gebärmutter vorsichtig zu entfernen, um auf diese Weise
Nachschüben von Bakterien vorzubeugen. Zertrümmerte und
nit Blut durchsetzte Gewebe geben nach v. H i b 1 e r ein sehr
geeignetes Infektionsgebiet ab.
Nach Lamers Ansicht scheinen die anaeroben Keime
resonders zur Thrombenbildung zu neigen. Er hält daher die
inaerobe Blutuntersnchung für therapeutische Zwecke für sehr
vichtig, um event. durch eine rechtzeitige Venenunterbindung
■ine allgemeine Sepsis zu verhüten. Die Literatur bringt
Jarüber keine Angaben. Desgleichen konnten an unseren
"ällen solche Beobachtungen nicht gemacht werden.
Von intravenösen Injektionen mit bakteriziden Mitteln
)zw. spezifischem Serum dürfte nadh den bisherigen Er-
ahrungen mit anderem Serum nicht allzuviel zu erwarten sein.
Bingold: Beiträge zur Klinik der Infektionskrankheiten und
:ur Immunitätsforschung. 3. 1914. H. 1/2. — Fraenkel: Dernoti-
•trationen zum Gasbazillus. Bericht aus der Sitzung der Biolog.
Abteilung d. Aerztl. Vereins Hamburg. 12. November 1912. M.m.W.
913 Nr. 3. — Fromme: Physiologie und Pathologie des Wocheti-
>ettes. Berlin 1910 bei S. Kager. S. 89. — Hevnemann Th.:
ler F. Fraenkel sehe Gasbazillus in seiner Bedeutung f. d. puer-
'erale Infektion. Zschr. f. Geb. u. Gvn. 68. — Lamer A. J. M.:
vnaerc.be Blutkulturen bei Puerperalfieber. Infektion und Fäulnis.
Ischr. f. Geb. u. Gyn. 68. — Lindemann W.: Vereinfachung der
maerofcenzüchtung und Angabe eines praktisch verwertbaren neuen
.ulturverfahrens. M.m.W. 1913 Nr. 5. — Derselbe: Zum Infek-
onsbild bei Abortus criminales Staphylococcus pyogen. aur. haemol.
Ibtis, Streptococcus anhaemolyticus und Bacillus aerogenes capsu-
itus, dessen Genese und Therapie. Beitr. z. Klin. d. Infekt. Krhk.
913. — Schottmüller H. : Zur Bedeutung einiger Anacrobien in
er Pathologie, insbesondere bei puerperalen Erkrankungen. Mitt.
irenzgeb 21. 1910. — Derselbe: Zur Pathogenese des septischen
bortes. M.m.W. 1910 Nr. 35 S. 1817.
_
Ein transportabler Blutdruckmesser.
Von F. Moritz- Köln.
Der grossen Bedeutung, welche in vielen Fällen einer
manometrischen Blutdruckmessung zukommt, entspricht der¬
zeit noch nicht der Umfang, in dem diese Untersuchungs¬
methode in der allgemeinen Praxis angewandt wird. Wie
wichtig kann in diagnostischer und prognostischer Hinsicht
beispielsweise die Feststellung einer arteriellen Hypertonie
sein! Oft genug lässt sich dieselbe ja bei genügender Uebung
mit dem palpierenden Finger wenigstens qualitativ erkennen.
Quantitative Unterschiede aber, ob der Druck in der Brachial¬
arterie vielleicht 230 oder 190 mm Quecksilber beträgt, lassen
sich mit Zuverlässigkeit durch Befühlen des Pulses meist nicht
konstatieren, obwohl sie recht oft, z. B. für die Beurteilung des
Erfolges eines diätetischen Regimes oder des Grades der Fort¬
entwicklung des zur Hypertonie führenden Zustandes von
grossem Interesse wären. Bei engen Radialarterien und in¬
folgedessen kleinem Pulse wird die Höhe des Blutdruckes in
der Regel unterschätzt1), während bei grossen Pulsen leicht
das Umgekehrte stattfindet.
Vor allem in der Hauspraxis, am Krankenbett wird von
der Blutdruckmessung noch zu wenig Gebrauch gemacht.
Auch unter den derzeitigen Verhältnissen des Krieges,
etwa zur Feststellung der Hypertoniker unter den älteren Jahr¬
gängen der gestellungspflichtigen Mannschaften, bei denen eine
Kontrolle ihrer Leistungsfähigkeit bei stärkeren Anstrengungen
von erheblichem, auch praktischem Interesse wäre, dürfte die
Blutdruckmessung nur sehr wenig zur Geltung kommen. Es
ist dies, wie ich meine, zum Teil wenigstens, eine Instru¬
mentenfrage.
Es gibt zwar zum Zwecke der Blutdruckbestimmung sehr
kompendiöse, auf dem Prinzip der Aneroidbarometer be¬
ruhende Federmanometer. Sie sind aber nach meiner Er¬
fahrung, abgesehen von ihrem relativ hohen Preise, nicht
widerstandsfähig genug. Wenn ich sie längere Zeit mit mir
geführt hatte, haben sie mich häufig im Stich gelassen; dazu
kommt, dass man Ungenauigkeiten und etwaige Veränderungen
ihrer Einstellung nicht erkennt, wenn man sie nicht wieder
mit Ouecksilbermanometern vergleicht. Verschiedene Formen
von Queckilbermanometern, die ich benutzt habe, waren teils
umständlich aufzubauen, teils zu zerbrechlich, teils Hessen sie
das Quecksilber leicht auslaufen, wenn der Verschlussstopfen
sich löste uam. Ich will natürlich nicht die Existenz brauch¬
barer transportabler Blutdruckmesser überhaupt bestreiten,
zumal ich sicherlich nicht alle existierenden Formen kenne,
aber jedenfalls habe ich das Bedürfnis empfunden, mich in der
Herstellung eines mir mehr, als die mir bekannt gewordenen,
entsprechenden Modelles selbst zu versuchen. Dasselbe soll
in Folgendem kurz beschrieben werden.
Der Apparat (siehe Abbildung) besteht aus 2 Holzleisten, die
35 cm lang und 4 cm breit und zusammen etwa 1,75 cm dick sind.
Q Da der Gegendruck einer engen Arterie nur auf einen ent¬
sprechend kleinen Teil des drückenden Fingers wirkt, so ist ein ge¬
ringerer Kraftaufwand zur Unterdrückung des Pulses in ihr nötig, als
bei einer weiteren Arterie von derselben Spannung.
2306
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. Ts.
Auf der einen Leiste ist das aus festem Qlas gefertigte Manometer
in entsprechenden Vertiefungen des Holzes zur Hälfte eingelassen.
Die andere Leiste hat gleiche Vrtiefungen, um bei Schliessen des
Apparates als Deckel die überstehenden Qlasteile aufzunehmen. Die
beiden I eisten werden bei Schluss des Apparates durch kleine seit¬
liche Metallschienen und durch einen Stift, der durch eine Bohrung
dieser Schienen und durch die Deckelleiste gesteckt wird, zusammen¬
gehalten Bei Aufstellung des Manometers dient die Deckelleiste als
Fuss, indem eine kleine Metallplatte an der unteren Schmalseite der
Manometerleiste in einen Schlitz der Deckelleiste gesteckt wird. Die
Befestigung geschieht wieder durch den Stift. Aufstellen und Zu¬
sammenlegen des Manometers sind das Werk weniger Augenblicke.
Die Glasröhre des Manometers trägt unten ein kleines erweitertes
Bassin, um grössere Niveaudifferenzen des Quecksilberfusspunktes
bei der verschiedenen Einstellung der Quecksilbersäule zu vermeiden.
Auch oben befindet sich eine Erweiterung, um ein Hinausspritzen des
Hg bei zu starker Pression zu verhüten. Die Steigrohre hat ein
enges Lumen, um den Quecksilberbedarf zu vermindern und auch auf
diesem Wege die Niveaudifferenzen an dem Fusspunkte des Queck¬
silbers möglichst zu beschränken. Die Glasteile des Manometers sind
am oberen und unteren Ende einander zugebogen. Der Schlauch,
welcher das untere Manometerende mit dem Druckball resp. der
Armmanschette verbindet, wird beim Zusammenlegen des Apparates
am unteren Manschettenende belassen und ausserdem noch in das
obere Ende gesteckt. Er schliesst auf diese Weise den ganzen
Manornetcrraum ab, so dass beim Umdrehen des Apparates kein
Quecksilber zu Verlust gehen kann. Beim Aufstellen des Manometers
wird der Schlauch vom oberen Manometerende abgenommen, worauf
mit dem Mund leicht an ihm gesaugt wird. So wird alles Quecksilber
das etwa in den oberen Teil des Manometers geflossen war, in das
untere Bassin befördert. Das Manometer ist dann gebrauchsfertig.
Die Zentimeterskala am Manometer ist verschieblich eingerichtet, um
auf den Nullpunkt des Quecksilberfadens eingestellt werden zu
können Das ist bequemer, als jeweils der Quecksilberfüllung eine
ganz bestimmte Einstellung zu geben. Das Gesamtgewicht des Mano¬
meters beträgt etwa 250 g. Bei Verwendung der üblichen breiten,
von v. Recklinghausen angegebenen, Armmanschette nebst
Doppelgebläse kommt ungefähr noch einmal das gleiche Gewicht
hinzu, so dass die ganze Apparatur ca. 500 g wiegt.
Noch wesentlich handlicher und auch leichter wird dagegen der
Apparat bei Anwendung einer schmäleren als der v. Reckling¬
hausen sehen Manschette. Ich habe eine solche von 6 cm Breite
des Gummiteiles (statt 12 cm bei v. Recklinghausen) anfertigen
lassen und halte eine solche mit Sahli1) trotz der Einwände von
v. Recklinghause n •’) praktisch für durchaus verwendbar. Zwar
erhält man ganz entsprechend den Angaben von v. Reckling¬
hausen mit einer solchen schmalen Binde regelmässig höhere Re¬
sultate als mit seiner breiten. Es ist aber, wie Sahli (1. c.) zu¬
treffend auseinandersetzt, die Frage, ob die niedrigeren Drucke auch
immer die richtigeren sind.
Aber wenn man auch theoretisch den Resultaten mit den brei¬
teren Manschetten den Vorzug geben sollte, so sind doch die Unter¬
schiede zu den mit den schmalen erhaltenen nicht so gross, dass
die Ergebnisse der letzteren praktisch unbrauchbar wären.
In einer grossen Reihe exakter vergleichender Messungen habe
ich zwischen den beiden Manschettenbreiten Differenzen von 5 bis zu
15-18 und im Durchschnitt solche von 10 mm Hg gefunden. Zieht
man also von dem mit schmaler Binde erhaltenen Resultat 10 mm
ab, oder stellt man, was noch bequemer und an meinem Apparat
vorgesehen ist, die Skala des Manometers so ein, dass ihr 0-Punkt
sich 10 mm über dem 0-Punkt des Quecksilberfadens in der Steige¬
röhre befindet, so erhält man beim Gebrauch der schmalen Binde
Zahlen, die wenn es hoch kommt, 5 — 8 mm nach oben oder unten von
den mit der v. Recklinghausen sehen Manschette erhaltenen
abweichen. Solche Differenzen sind klinisch aber belanglos. In den
meisten Fällen sind die Unterschiede kleiner oder die Werte decken
sich völlig. Je dicker die Arme sind, um so grösser pflegen die
Differenzen zu werden. Bei einem grössten Umfang des Oberarmes
von 26 — 27 cm (der gewöhnliche Fall beim Erwachsenen) beträgt die
Differenz fiir die schmale Binde fast immer + 10 mm, bei Armen
von 34 — 35 cm l'mfang + 15 — 18 mm. Man muss bei der Herstellung
der Manschette darauf sehen, dass sie aus möglichst dünnem Gummi
gefertigt wird, damit nicht ihre Aufblähung allein durch innere Wider¬
stände schon nennenswerte Druckkräfte beansprucht. Bei vergleichen¬
den Messungen am selben Menschen nacheinander muss man natür¬
lich auch mit interkurrenten tatsächlichen Blutdruckänderungen
rechnen. So bemerkt man fast regelmässig, wenn man die Messungen
einige Minuten lang fortsetzt, ein allmähliges Absinken des Blut¬
druckes um 5, 10 ja 15 mm Quecksilber. Ich bin, um diese Fehler¬
quelle auszuschalten, in meinen Versuchen über die Verwend¬
barkeit der schmalen Binde so vorgegangen, dass ich an
beide Arme gleichzeitig breite Binden anlegte und zunächst fest¬
stellte, inwieweit an beiden Armen der Blutdruck übereinstimmte.
Hatte ich so an dem einen Arm ein Vergleichsmass für den anderen
gewi nnen, so ersetzte ich an letzterem die breite Binde durch die
J) D. Aich. f. klin. Med. 81. S. 502 und Lehrbuch der Unter-
suchungsmcthoden 5. Aufl. S. 165.
-') Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 46. S. 86 u. 55. S. 395.
schmale und machte abwechselnd an beiden wieder eine Reihe von
Messungen
Eine schmale Binde erlaubt einer breiten gegenüber noch einige
Vereinfachungen, die ebenfalls zur Verringerung des Gewichtes und
des Umfanges des Blutdruckapparates beitragen. Statt eines Gurtes
und einer Schnalle genügt zur Befestigung der schmalen Manschette
eine Schnur, die um zwei an der Manschette befindliche Knöpfe hin-
und hergeschlungen wird. Ferner genügt bei dem kleinen Luftraum
der schmalen Manschette nur ein geringes Quantum von Kompres¬
sionsluft. Es bedarf dazu keines Doppelgebläses, sondern nur eine^
einfachen Ballons, den man mit dem Munde ein w'enig aufbläst,
ehe man ihn an das Manometer anschliesst. Die Kompression lässt
sich leicht aus freier Hand vornehmen und abstufen. Man hat
dabei noch den wesentlichen Vorteil, dass bei Nachlass der Kom¬
pression der Druck in der Manschette auf 0 absinkt, so dass der
Arm zwischen den einzelnen Messungen abschwellen kann. Mit
dieser Vorrichtung arbeitet man rascher als mit den gewöhnlich
benutzten Manschetten und Gebläsen.
Die schmale Manschette samt Ballon lässt sich um das Mano¬
meter wickeln und mit diesem in einer kleinen Tasche unter¬
bringen. Das Gesamtgewicht beträgt dann einschliesslich der Tasche
etwa 435 g 3).
Zur Technik der Albe eschen Operation.
Von Th. K ö 1 1 i k e r in Leipzig
Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen ortho¬
pädischen Gesellschaft hat A 1 b e e seine Knochenplastik bei
Spondylitis demonstriert. Da nun sein Instrumentarium ziem¬
lich kompliziert ist, habe ich den Versuch gemacht, die Opera¬
tion mit unseren üblichen Osteotomieinstrumenten auszuführen
und bin zum Schluss gekommen, dass das sehr leicht gelingt.
Den ersten Teil der Operation führe ich in Seitenlage
des Kranken aus, nachdem eine kleine Rolle unter die Taille
geschoben ist. Mit einem schmalen geraden Meissei bilde ich
nach Spaltung der Ligg. supraspinalia zunächst eine Längs¬
furche in jeden der zu spaltenden Dornfortsätze und durch¬
trenne die Ligg. interspinalia. Hierauf wird ein 7 cm breiter
Meissel in die Furchen der Dornfortsätze eingesetzt und diese
bis zur Basis gespalten. In die so gebildete Rinne wird ein
Jodoformgazestreifen gelegt und die Haut durch eine Naht
oder Klammer provisorisch darüber zusammengezogen. Es
folgt die Entnahme der zu transplantierenden Knochenspange
aus der Tibia. Der Kranke wird auf den Rücken gelegt und
ein Schnitt längs der äusseren Seite der Tibiakante geführt.
Nachdem die erforderliche Länge des Knochenspahns bestimmt
ist, wird die Tibia am oberen und unteren Ende des zu
bildenden Spahns von der äusseren Seite der Tibiakante her
und ohne Ablösung des Feriosts bis zur nötigen Tiefe quer
durchmeisselt. Alsdann wird der Knochen entsprechend den
medialen Enden der queren Meisseischnitte in der Längsrich¬
tung schräg nach aussen durchgemeisselt. So gewinnt man
rasch einen kräftigen Knochenspahn zur Implantation in die
Knochenrinne der Dornfortsätze. Der ganze Eingriff lässt sich
in kurzer Zeit ausführen.
Die Ausleihung der ärztlichen Krankengeschichten.
Von Medizinalrat Dr. Max Fischer, Direktor der Heil- und
Pflegeanstalt Wiesloch.
(Schluss.)
4. Darf die Krankengeschichte an Berufsgenossen, Aerzte un¬
eingeschränkt oder nur bedingungsweise und unter welchen Bedin-,
gungen mitgeteilt werden?
Auch hierüber sind die Meinungen geteilt. Von juristischer Seite,
von welcher zwar zu ihren Zwecken, d. h. im Strafverfahren, die Aus-
folgung der Krankengeschichte an die Staatsanwaltschaft verlangt!
wird, wird nämlich andererseits geltend gemacht, dass de»- einzelnej
behandelnde Arzt eigentlich die Krankengeschichte schlechthin nie¬
mand anders übergeben dürfe. Ohne Einwilligung des Patienten
könne also überhaupt keine Ausnahme gemacht werden; konsequen¬
terweise dürfe der die Krankengeschichte verfassende Arzt sie nicht;
einmal den übrigen Aerzten desselben Krankenhauses mitteilen; es
stehe auch gar nicht im Belieben des Krankenhausdirektors, wem
er die Krankengeschichte zugänglich machen wolle. Der einzige
Arzt, der das Berufsgeheimnis gegenüber dem einzelnen Kranken zu
wahren verpflichtet sei, sei der behandelnde Arzt, dem der Kranke
seine Geheimnisse tatsächlich anvertraut. Andere Aerzte, die da-
::) Der Apparat wird von der Firma Heinrich Faust, Fabrik
für Laboratoriumseinrichtiingen, Köln, Neue Langgasse 4.
Dezember 191-L
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2307
jn Kenntnis erhalten oder die Krankengeschichte zu lesen be-
immen, seien aber an die Geheimhaltung gar nicht gebunden. Ja,
enn ein derart unterrichteter Arzt nun über das Anvertraute aus-
ge, so sei nicht er strafbar, sondern nur der erstere, der behan-
lnde Arzt, der das Geheimnis direkt vom Kranken empfing und dann
eisgab.
Die Konsequenz daraus wäre in vielen Fällen eine Unterbindung
er wenigstens Erschwerung unseres ärztlichen Wirkens und lian-
Ins, und damit eine Schädigung der Kranken selbst; ausserdem er-
ichse daraus aber auch eine schwere Beeinträchtigung der wissen-
haftlichen Untersuchung und Erforschung der Krankheiten.
Mit dieser Auslegung geht man meiner Ueberzeugung nach ent-
hieden zu weit; sie kann weder im Sinne des Gesetzes noch des
•setzgebers gelegen sein.
Erstens bilden die Aerzte einer Krankenanstalt eine einheitliche
ztliche Instanz für die Förderung der ihnen gemeinsam anver-
mten Kranken. Um dieses Ziel zu erreichen ist die Mitteilung der
genseitigen Krankenbeobachtungen und Aufzeichnungen von Arzt
Arzt zum Zweck gemeinsamer Besprechungen und Beratungen der
igeren Aerzte mit den älteren, von Anordnungen dieser und der
rektoren an die übrigen usw. unerlässlich, ‘zumal die Aerzte sich
ch gegenseitig im Dienste vertreten und die Kranken häufig auf den
teilungen von einem Arzt zum anderen versetzt werden. Ein
derer Weg ist hier gar nicht denkbar.
Ausserdem sind jedermann, der ein Krankenhaus aufsucht, diese
rhältnisse wohlbekannt. Man kann also das stillschweigende Ein-
rständnis des Hilfesuchenden mit dieser gemeinsamen ärztlichen
handlung und ihren Konsequenzen annehmen.
Darnach ist es also ganz selbstverständlich, dass die Mitglieder
ii Acrztekollegiums einer Krankenanstalt sich über die Fälle ihrer
. teilungen gegenseitig unterrichten und die Krankengeschichten aus-
i ischcn. Die Aerzte sind eben gegenseitig Mitwisser und Teilhaber
i • Privatgeheimnisse ihrer Patienten und haben über deren Ge-
! inhaltung, jeder für sich, ebenso zu wachen wie der erste, der sie
i nittelbar mitgeteilt bekam. Sie stehen als Aerzte oder, wenn man
’ 1, als ärztliche Gehilfen des behandelnden Arztes ebenso unter dem
? >00 w'ie der behandelnde Arzt selbst; es handelt sich auch für sie
i Privatgeheimnisse, die ihnen, wenn auch mittelbar durch ihre
! liegen, gleichfalls kraft ihres Berufs anvertraut worden sind; sie
I inen sie nicht unbefugt und ungestraft weiter verbreiten; sie
i erstehen auch bezüglich dieser Geheimnisse dem § 300 und dem
i rufsgeheimnis nicht nur nach ihrem ärztlichen Gewissen sondern
; :h nach dem Gesetze.
Die gleiche Betrachtung ist meiner Ansicht nach aber auch
: vendbar auf unser Verhalten andern Aerzten als unsern Kranken-
1 iskollegen gegenüber: auch ihnen werden wir die Kranken-
t.chichte mitteilen dürfen, sofern im Einzelfalle ein gewichtiges
i z 1 1 i c h e s Interesse dafür geltend gemacht wird. Sie werden da-
• ch ebenfalls in das Privatgeheimnis des einzelnen Kranken unter
Uantwortlichkeit innerhalb des Berufsgeheimnisses einbezogen. Es
>i ja eine ganze Reihe von Fällen denkbar, wo wir um die Mit-
: ung der Krankengeschichte, sei es im Interesse des Kranken
>)St sei es der wissenschaftlichen Bereicherung unserer Kenntnisse,
! nicht herumkommen; z. B. wenn der früher behandelnde Arzt aus
i iresse für seinen Klienten unsere Krankengeschichte einsehen
J-hte; oder wenn ein anderes Krankenhaus, in das einer unserer
eigen oder früheren Kranken aufgenommen werden soll oder wor-
1 ist, unsere Aufzeichnungen verlangt, um sich über den Kranken
i er zu orientieren. Oder es will ein Arzt einen interessanten Fall
• senschaftlich verarbeiten usw. In allen diesen Fällen, wo die
' ausgabe unserer Krankengeschichte an Berufsgenossen zum
^ 'hie des Kranken selbst oder aber zwecks wissenschaftlicher
' derung erwünscht oder sogar nötig ist, werden wir sie auch zu-
: en können, sofern nicht etwa der verfügungsfähige Kranke vorher
i irgendeinem Grunde ein direktes Schweigegebot statuiert hat.
Wir werden dabei geltend machen können, dass die Bekannt-
; e oder Ausleihung der Krankengeschichte hier keine unbefugte,
■dern eine befugte ist, insofern sie in Ausübung unseres ärztlichen
• ufs, im Interesse des Kranken oder der Wissenschaft und ausser-
I i nur an Berufsgenossen, also an kraft ihres Berufs gleichfalls be-
1 e Mitwisser erfolge, die, wie wir selbst, an das ärztliche Berufs-
: eimnis und den § 300 StGB, gebunden sind.
Ich bin somit der Ansicht, dass wir die Krankengeschichten
i erer Anstalten Berufsgenossen, sofern sie ein gewichtiges ärzt-
■es Interesse daran geltend machen können, mitteilen dürfen, ohne
• Gesetz zu verletzen, unter der stillschweigenden Annahme, dass
Kollegen ihrerseits das Berufsgeheimnis bewahren. Ausserdem
<ien wir Aerzte ja alle unter demselben § 300, und wer immer ihn
etzt, setzt sich der Strafverfolgung aus. Will man aber vorsichtig
‘ . so kann man jeweils dem Kollegen vor der Ausfolgung der Kran¬
geschichte die Wahrung des Berufgeheimnisses zur Bedingung
<r bei der Ausleihung im Begleitschreiben ausdrücklich zur Pflicht
-Ten.
Wird die Krankengeschichte aber zu gerichtlichen Gutachten be-
• gt, so hat der einfordernde Kollege uns über diese Absicht auf-
lären, bzw. wir werden uns im Zweifelsfalle erst über den Zweck
Einverlangens vergewissern. Je nach Lage des Falles werden
■ uns dann auf Grund der im folgenden Punkte aufgestcllten Rieht-
1 :n zu entscheiden haben.
Wenn wir diese Vorsichtsmassnahmen anwenden, so haben wir
wohl auch den strengsten Anforderungen Genüge getan.
5. Ist die Krankengeschichte, einmal ganz abgesehen von der
Frage der ärztlichen Zeunisverweigerung und des Widerspruchs des
Patienten, mitteilbar an öffentlich bestellte Amts- oder Gerichtsärzte
oder muss sie sogar an solche ausgehändigt werden?
Auch hierüber herrscht keine volle Klarheit und es erscheint uns
wohl der Mühe wert, die Frage reiflich zu überlegen. Nach dem
unter 4 Gesagten sollte allerdings die Krankengeschichte auch an
diese Aerzte als Kollegen mitteilbar sein, da sie ja gleichfalls unter
dem § 300 stehen und durch ihn belangt werden können; es würde
sich für uns also auch hier einfach um eine Uebertragung der Ver-*
schwiegenheitspfiicht von uns auf den Gerichtsarzt handeln.
Die als öffentliche Sachverständige bestellten Gerichtsärzte
nehmen jedoch den Gerichtsbehörden gegenüber immerhin eine etwas
andere Stelle ein als Privatärzte und als jeder andere Arzt in seinem
Vertrauensverhältnis zum einzelnen von ihm behandelten Patienten.
Es ist dieselbe wie z. B. für uns Irrenärzte bei der Begutachtung in
Fällen von Einweisungen nach § 81; hier ist die Sachlage für jeden
zum Sachverständigen ernannten ja ganz klar; der Arzt ist mit der
Uebernahme des Gutachtens auch unbedingt als Gehilfe des Richters
anzusehen und als solcher zur vollen Offenbarung, soweit die ärzt¬
liche Beurteilung des Falles in Frage steht, verpflichtet.
Der Gerichtsarzt befindet sich aber, sofern er nicht im Einzel¬
falle aus besonderen Gründen die Begutachtung ablehnt, ständig in
dieser Lage des ärztlichen Gehilfen den Behörden gegenüber.
Wenn wir also Gerichtsärzten unsere Krankengeschichten aus¬
liefern, so wissen wir, dass sie sie im Dienste der Rechtspflege ver¬
wenden, soweit ihre ärztliche Gutachtertätigkeit es irgend erfordert.
Wir haben uns daher im einzelnen Falle vorher zu überlegen, ob wir
zugunsten der Rechtsverfolgung diese Tätigkeit unterstützen oder ob
wir aus gewichtigen Gründen die Einhaltung der Berufsverschwiegen¬
heit in den Vordergrund stellen wollen. Jedenfalls haben wir als
Aerzte, auch wenn wir Beamtencharakter haben, das Recht uns für
oder wider zu entscheiden, je nachdem wir das eine oder andere
Interesse für das höhere halten müssen.
Soweit als irgend mit unserm ärztlichen Gewissen verträglich,
werden wir natürlich die Verfolgung des Rechts unterstützen; es kann
aber auch Lagen geben, wo wir unser Berufsgeheimnis voranstellen
und die Herausgabe der Krankengeschichte an den Gerichtsarzt ver¬
weigern müssen. Der Krankenhausarzt kann also nicht gezwungen
werden, seine Aufzeichnungen an den Gerichtsarzt herauszugeben;
er kann es tun, er kann es aber auch ablehnen; eine Beschlagnahme
darf nicht erfolgen.
Ich glaube somit, dass hier die Sache sich nicht generell ent¬
scheiden lässt, sondern nur jeweils nach Lage des einzelnen Falles.
Jedem Krankenhausdirektor muss es überlassen werden, zu prüfen,
ob gerade bei dem betreffenden Kranken nach der Art der Krankheit
einerseits und dem Inhalte der Krankengeschichte andererseits ihm
deren Auslieferung zwecks gerichtsärztlicher Untersuchung und Ver¬
wertung angezeigt erscheint oder nicht. Erhält er dazu die Einwilli¬
gung des verfügungsfähigen Kranken oder bei Entmündigten des Vor¬
mundes, so ist die Situation für ihn einfach gelagert. Ist dies jedoch
nicht der Fall, so muss sich der Krankenhausarzt in dem Gewissens¬
konflikte zwischen Förderung der Rechtspflege und Einhaltung des Be¬
rufsgeheimnisses selbst entscheiden. Besser wäre es allerdings, wir
hätten für diese recht schwierige Materie klare gesetzliche Bestim¬
mungen und Richtlinien an Stelle des Gutdünkens des einzelnen.
6. Im Zusammenhang mit Punkt 5 steht die weitere Frage:
Können oder müssen sogar die als Sachverständige öffentlich bestell¬
ten Gerichts- und Amtsärzte den Inhalt der ihnen von uns mitgeteilten
Krankengeschichte nach ihrem Ermessen oder auf Verlangen den
Gerichtsbehörden, Staatsanwälten oder auch andern Behörden in toto
offenbaren, übergeben, oder sind sie, abgesehen von ihrer Gutachter¬
tätigkeit, an die Bewahrung des Berufsgeheimnisses insoweit gebun¬
den, dass sie die Krankengeschichte selbst samt Anlagen «fern Gerichte
nicht aushändigen dürfen? Dies unter keinen Umständen oder aber
bei welchen Ausnahmen?
Welche Praxis in dieser Hinsicht im Strafverfahren zwischen den
Behörden, Gerichten, Staatsanwaltschaften und den Gerichtsärzten
eingehalten wird, ist uns zwar nicht genau bekannt; wir halten es
aber nach uns gewordenen Aeusserungen immerhin für möglich, dass
eine Weitergabe der Krankengeschichte selbst an die Gerichte auf
deren Verlangen da und dort stattfindet. In diesem Punkte
sind wir nun der bestimmten Ansicht, dass ein derartiges Verfahren
nicht zulässig wäre. Die Krankengeschichte wird von uns dem Ge¬
richtsarzte als ärztlichem Kollegen überantwortet mit der selbstver¬
ständlichen Verpflichtung, sie als Ganzes so zu bewahren, dass sie
einem Nichtarzte nicht in die Hände fallen kann. Bis zu dieser Grenze
muss auch der Amts- und Gerichtsarzt Arzt und Vertrauensperson,
wenn auch mittelbar, des betreffenden Kranken bleiben. Hierin unter¬
steht auch er unbedingt dem § 300. Es ist etwas ganz anderes, ob
er auf Grund der Krankengeschichte ein Gutachten abgibt oder ob
er die ärztlichen Aufzeichnungen und die schriftlichen Bekenntnisse
des Kranken selbst in dieser, doch nur für Aerzte bestimmten und nur
für sie verständlichen Form an nichtärztliche Behörden weitergibt
und dadurch die Kontrolle über ihre Geheimhaltung resp. ihre rich¬
tige Weiterverwendung völlig aus der Hand gibt. Sie bleiben für
ihn Schriftstücke, die ihm unter dem § 300 anvertraut sind und die
2308
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4}
gemäss § 95 letztem Satz und § 97 der StPO, der Beschlagnahme
und der Einforderung durch die Gerichte nicht unterliegen.
Meines Erachtens kann darum kein Zweifel darüber herrschen,
dass der beamtete Arzt, Gerichtsarzt, Behörden oder dem Gerichte,
selbst auf ausdrückliches Verlangen, die ihm anvertraute ärztliche
Krankheitsgeschichte niemals und unter keinen Umständen übergeben
darf. Hierin gilt für ihn das unter 4. für andere Fälle Gesagte, wonach
er sich als Arzt an die allgemeine Berufsübung oder an die spezielle
Abmachung mit der ausleihenden Krankenanstalt und vor allem durch
sein ärztliches Berufsgeheimnis gebunden erachten muss. Trotz
seiner Beamtenstellung und seiner dadurch gegebenen Verpflichtung
, anderen Behörden gegenüber darf er sich in diesem Falle rein nur
als Arzt fühlen und muss ein ärztliches Denken bewahren. Zu seiner
Gutachtertätigkeit kann er die mitgeteilte Krankengeschichte, soweit
es zur ärztlichen Erforschung des Falles irgendwie nötig ist, be¬
nützen, da er annehmen darf, dass sie ihm zu diesem Zwecke, aber
n u r dazu, überantwortet worden ist.
Sollte sich da und dort eine entgegengesetzte Praxis eingelebt
haben, so müssten wir im Interesse unseres Standes dafür zu sorgen
suchen, dass sie so bald und so gründlich als möglich wieder aufge¬
geben wird.
Auch hierüber müssten allgemeine Richtlinien und Bestimmungen
ausgearbeitet werden. Solange solche aber nicht bestehen, können
wir uns nur in der Weise für den einzelnen Fall sichern, dass wir
bei jeder Ausleihung einer Krankengeschichte an einen Amts- oder
Gerichtsarzt ihn dazu verpflichten, es dürfe eine Weitergabe an Be¬
hörden und Gerichte nicht stattfinden.
Davon abgesehen steht es uns aber auch jederzeit frei, die
Herausgabe überhaupt abzulehnen, wenn uns je nach der Lage des
einzelnen Falles gewichtige ärztliche Bedenken oder der Wille des
Kranken selbst zur Wahrung des Berufsgeheimnisses, auch Kollegen
gegenüber, zwingen.
* * *
Das sind die sechs Punkte, die mir bei der genaueren Be¬
schäftigung mit dieser wichtigen und interessanten Materie am
meisten in die Augen gefallen sind; andere von geringerer Be¬
deutung laufen noch daneben her.
Ich möchte den ärztlichen Standpunkt, kurz zusammenfassend,
nochmals hervorheben:
Seine Anzeigepflicht muss der Arzt, sei er Beamter oder nicht,
in den gesetzlich festgclegten Grenzen erfüllen; auch dem § 139
StGB. — Anzeige zur Verhütung schwerer Verbrechen — hat er sich
unterzuordnen Seine Zeugen- und Gutachtertätigkeit wird der be¬
amtete Arzt, wenn er dazu im allgemeinen verpflichtet worden ist
oder wenn er sich durch sein ärztliches Gewissen nicht gebunden
fühlt, immer erfüllen und anbieten, auch anderen Behörden gegen¬
über zur Auskunft und zur Mitteilung der Personalakten bereit sein.
In der Ausübung dieser Betätigungen wird niemand uns Aerzten den
Vorwurf der Zurückhaltung machen können. Soweit es sich immer
mit unserem Berufsgeheimnis vereinbaren Hess oder soweit wir uns
zur Aussage für befugt halten konnten, waren wir — das beweisen
wir überall täglich von neuem — stets bereit die Zwecke und Inter¬
essen des Staates und seiner Behörden, insbesondere der Rechts¬
pflege, nach Kräften zu unterstützen und zu fördern, weil wir uns
selbst als unentbehrliche Glieder und Mitarbeiter der öffentlichen
Gesundheitspflege und des Staatswohles fühlen.
In der Frage der Herausgabe der in der ärztlichen Krankenge¬
schichte und in eigenen Aufzeichnungen unserer Patienten uns anver¬
trauten Privatgeheimnisse aber dürfen wir uns unter Berufung auf
§ 95 letzten Satz und § 97 StPO, desto ablehnender verhalten. Das
sind, wie wir schon auseinandergesetzt haben, zwei grundver¬
schiedene Dinge. Dem Standpunkt der Staatsbehörden und der
Rechtspflege bei Verfolgung ihrer Ziele müssen wir hier, auch in
unserer Stellung als staatliche Beamte und Behörden, unser ärzt¬
liches Berufsgeheimnis entgegenhalten, das gleichfalls ein anerkannter
und unentbehrlicher Grundbestandteil unserer Rechtsordnung ist. In
bezug auf ciie Krankengeschichten und ihre Anlagen, die uns kraft
unseres Berufes und unserer ärztlichen Vertrauensstellung, also im
Vertrauen auf Geheimhaltung, überantwortet worden sind, haben wir
dasselbe Recht und dieselbe Pflicht auf Wahrung der Verschwiegen¬
heit wie der Privatarzt auch. Je strenger wir darin handeln, desto
besser werden wir unserem ärztlichen Stande und Ansehen und
mittelbar auch dem staatlichen Interesse selbst dienen. Denn die
ärztliche Diskretion ist so gut wie jede derartige ideelle Errungen¬
schaft nicht nur ein hohes Rechtsgut, sondern auch eine notwendige
sittliche Forderung der Allgemeinheit. Bei ihrer Gefährdung trifft in
der Tat allgemein der Fall zu, von dem der § 96 der StPO, handelt,
dass nämlich damit dem Wohle des Staates, hier seiner Rechts¬
ordnung, sowohl als auch der gesamten leidenden Menschheit empfind¬
licher Nachteil bereitet würde; wir dürfen uns also mit Fug und
Recht darauf berufen.
Wo sich in dieser wichtigen Frage Widersprüche und Konflikte
zeigen, da müssen wir in unserem und der Allgemeinheit Interesse
dahin streben, dass sie in gemeinsamer Arbeit von einer Kommission
von Juristen und Aerzten aufgeklärt und gelöst werden. Wir unserer¬
seits müssen dabei alles daran setzen, dass die Garantien für unser
frei verantwortliches ärztliches Handeln innerhalb der Strafgesetze
und fiir die Wahrung unseres Berufsgeheimnisses auch ln unserer
Beamtenstellung und auch anderen Behörden gegenüber nicht nur
nach unserem ärztlichen Gewissen, sondern auch durch das Gese
sichergestellt werden. Es handelt sich dabei um eine gebieteriscl
Notwendigkeit sowohl für unser berufliches Wirken und für d
Volksgesundheit als auch damit für die öffentliche Wohlfahrt ui
das Staatsganze.
- - • • - -
August Weismann,
geb. am 17. Januar 1834, gest. am 5. November 1914.
Die grosse Erregung der gegenwärtigen Zeit lässt m
manche Ereignisse kaum beachten, welche sonst de
grössten Eindruck auf uns gemacht hätten. Aber kein g»j
hildetcr Mediziner wird die Nachricht vom Tode Weis!
m a n n s gelesen haben, ohne dass Eindrücke und Erintn
rungen an wissenschaftliche Diskussionen in ihm aufgetaucli
wären, in denen die Lehren Weismanns eine Rolle g^
spielt hatten. Wir haben schon von manchem Bejahrten unu
unseren grossen Männern gehört, dass die schwachen Kräf
seines Alters den Anforderungen nicht gewachsen wäre
welche unsere Tage an die Seelen deutscher Männer stelle1
Und so erlosch vor wenigen Tagen auch das Leben AuguH
Weismanns, welcher als 80jähriger mit jugendlicher Bi
geisterung alle Ereignisse des grossen Krieges verfolgt ha
Wie tief musste ihn, der einst ein vertrauter Freud
Treitschkes gewesen war, all das Grosse bewegen, di
über unser Vaterland hereingebrochen ist. Er hatte
während seines langen Lebens genug Kriegszeiten erlebt;
in einem Kriege hatte er sogar als Militärarzt Dienste tu
sollen. Es war dies der italienische Krieg von 1859.
W e i s m a n n hatte, wie fast alle Zoologen seiner Ze
Medizin studiert. Er hatte auch begonnen, von seinen Kenn
nissen praktischen Gebrauch zu machen. Nach Vollendur
seines Studiums hatte er sich in seiner Vaterstadt Franl
furt a. M. als praktischer Arzt niedergelassen. Noch ehe ab«
seine Praxis zu einer grösseren Entwicklung gekommen wa
nahm er die Stelle eines Leibarztes bei dem Erzherzc
Stephan an, welcher damals in dem Schloss Schaun
bürg a. d. Lahn lebte. In dieser Stellung fand er Ruhe ur
Zeit, sich mit dem Studium der Zoologie zu beschäftigen, t
dem er schon seit jeher mit glühender Begeisterung hing, f
arbeitete damals eine Untersuchung über die Entwicklung dJ
Fliegen aus, in welcher schon die Fäden zu vielen sein»
späteren grundlegenden Forschungen angesponnen wäre;
Ihnen konnte er erst mit voller Hingebung nachgehen, als <
in Giessen an der Universität seine spezielle Ausbildung al
Zoologe vollendete, um sich dann in Freiburg als Privatdoze:
zu habilitieren. Es war dies im Jahre 1863 und seitdem h
er ununterbrochen an der Freiburger Universität gelehrt urj
gewirkt. Im Jahre 1867 wurde er ausserordentlicher, i
Jahre 1873 ordentlicher Professor der Zoologie. Es hat ihi
zwar nicht an Gelegenheit gefehlt, die kleine Breisgai
Universität mit einem grösseren Wirkungskreis zu vertausche
Breslau, Bonn und München suchten ihn nacheinander zu g'
winnen. Er aber zog den Frieden und die Stille vor, welcH
ihm die schöne kleine Stadt mit ihrer wundervollen Umgebur
boten. Hier war das geeignetste Milieu für die Entwickln
eines Denkers von seiner Art. Auch gesundheitlich sagte ih
die kleine Stadt mehr zu, als irgend eine Grossstadt; den.
wenn er auch ein hohes Alter erreichte, so machte ihm doc
alle Zeit sein Körper viel zu schaffen. Schon Anfang d»
70 er Jahre befiel ihn eine nervöse Augenkrankheit, welche i
späteren Alter zunahm und ihm das Beobachten, vor allem di
Mikroskopieren immer mehr erschwerte.
Um so bewunderungswürdiger ist die Art und Weise, w
er stets seine Arbeiten auf sorgfältigste wissenschaftliche B
obachtung aufbaute. Er war ein echter Naturforscher; d
Beobachtung der Tatsachen war ihm stets die Hauptaufgab
die Theorie war nur dazu da, um den Zusammenhang der Ta
Sachen zu erklären. Als er in der späteren Periode sein»
Schaffens seine Theorien immer weiter ausbaute, glaubt»
manche Gegner ihm den Vorwurf machen zu dürfen, er en
ferne sich allzuweit vom Boden der Tatsachen. Wie unb>
rechtigt diese Annahme war, zeigten seine zahlreichen son
fähigen Untersuchungen, welche er immer wieder zwischt
seine theoretischen Studien einfügte. Ja er ist sogar einer d»
. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2309
reuigen, welche als Vorläufer der gegenwärtigen experi-
lentellen Schule die Grundlagen der Abstammungslehre schon
or 25 — 30 Jahren durch Experimente und Züchtungsversuche
u prüfen suchte.
Die Abstammungslehre, wie sic von Darwin neu belebt
nd in die Wissenschaft eingeführt, im Anfang der 70 er Jahre
iren Siegeszug durch alle Wissenschaften antrat, bildete von
ornherein die Richtlinie für alle Arbeiten W e i s m a n n s.
Vir können ihn wohl mit Recht den grössten Nachfolger
> a r w i n s nennen. Er hat nicht nur ebenso wie H a e c k e 1
usserordentlich viel zur Ausbreitung der Ideen Darwins
eigetragen, sie ergänzt und erweitert, er hat sogar die
igensten Ideen Darwins weiter entwickelt. Darwin
atte in die Abstammungslehre das Auslese-
rinzip eingeführt. Beim Durchdenken und
Veiterbilden der Theorie kam Weismann
u dem Ergebnis, die Auslese könne überhaupt
as einzig wirksame Prinzip bei der Ent-
tehung neuer Organismenformen sein. Die
on D a r w i n in Anlehnung an Lamarck-
che Vorstellungen beibehaltene Annahme
iner Vererbung erworbener Eigenschaften
erwarf er vollkommen; alle zu ihren Gun-
ten angeführten Beobachtungen unterzog
r einer scharfen Kritik. So konnte er denn
l der Tat nachweisen, dass die meisten zu
iren Gunsten angeführten Tatsachen anders
edeutet werden mussten oder wenigstens
onnten. Er entwickelte den Darwinismus
weiter zum sogen. Neodarwinismus, zu dem
’rinzip der Allmacht der Naturzüchtung.
Diese seine Ideen bildeten sich Hand in
fand mit der Klärung seiner Vorstellungen
her die Grundlage der Vererbungserschei-
ungen. Schon Darwin hatte dem Studium
er Vererbung, welche der Auslese erst das
laterial für ihre Wirksamkeit darbietet,
rosste Aufmerksamkeit geschenkt. Für
/eismanns Forschungen bot sie das wichtigste Gebiet
ar. In zahlreichen Schriften entwickelte er im Verlauf der
tzten 30 Jahre seine Vererbungslehre, indem er sie unter
en Angriffen ihrer Gegner immer weiter ausbaute, immer
üiärfer formulierte und immer mehr durch Tatsachen zu
ützen suchte. Nachdem durch zytologische Forschungen
'ar geworden war, dass die Vererbungssubstanz in den
ernen der Zellen, speziell den Geschlechtszellen enthalten
-in müsse, zeigte Weismann, dass als Träger der Ver-
•bung in ihnen speziell die Chromosomen zu betrachten sind,
r nahm an, dass sie aus kleinsten Substanzteilchen zu-
unmengesetzt seien, welche die Träger der einzelnen Eigen-
:haften seien, und welche er als deren Determinanten be-
üchnete. Nach seiner Vorstellung waren alle Eigenschaften
nes Tieres oder einer Pflanze bereits im befruchteten Eikern
'äformiert enthalten. Es war das Keimplasma, welches die
ererbung der Eigenschaften der Art von einem Individuum
if seine Nachkommen sicherte. Dieses Keimplasma war nach
m im Keimstock des Tieres vor allen Einflüssen der Aussen-
elt geschützt. So wenig wie Schädigungen, erfuhr es dort
inflüsse, welche es erheblich modifizieren konnten. Von
len Veränderungen, welche unter dem Einfluss äusserer Be¬
ugungen die Körperzellen und die aus ihnen aufgebauten
rgane erfuhren, blieb es unberührt.
In einer unerwarteten Weise haben die modernen ex-
nimentellen Vererbungsforschungen die theoretischen Vor-
issetzungen Weismanns bestätigt. Die Entwicklung,
eiche speziell der Mendelismus genommen hat, wäre voll-
)mmen undenkbar, ohne die Gedankenarbeit, welche Weis-
ann zur Klärung der Begriffe von Vererbungseinheiten,
ererbungsstoffen und dergleichen geleistet hat.
Darin liegt überhaupt ein Hauptverdienst W e i s m a n n s,
iss er grosse Gebiete gedanklich so vollkommen durch-
iarbeitet hat, dass jeder, der sich mit ihnen beschäftigt, die
eschehensmöglichkeiten von ihm analysiert und durchdacht
erfindet. So wird seine Bedeutung für die Vererbungslehre
ne unvergängliche sein, mögen auch manche seiner Ideen
Nr. 48
von der fortschreitenden Forschung abgeändert oder gar voll¬
kommen verlassen werden.
In der schönen Umgebung Freiburgs konnte man ihn noch
bis in sein höchstes Alter auf grossen Spaziergängen durch
die Wälder schweifen sehen; stets war er in tiefen Gedanken
versunken, immer an seinen Theorien bessernd, feilend und
vervollkommnend. War er in sein Institut zurückgekehrt, so
wandte er sich aber stets wieder aus der Welt der Ideen der
realen Basis der Beobachtung zu. In den letzten Jahren waren
es immer wieder die Schmetterlinge, denen er seine Auf¬
merksamkeit zuwandte. Hatte er doch an dieser Tiergruppe
seinerzeit grundlegende Untersuchungen gemacht, durch welche
eine Abänderung der Arten durch den Einfluss äusserer Fak¬
toren bewiesen wurde. Er hatte zeigen
können, dass durch hohe Wärme oder Kälte,
welche man während des Puppenstadiums
auf gewisse Arten unserer gewöhnlichsten
einheimischen Schmetterlinge einwirken lässt,
abgeänderte Falter erzeugt werden können,
welche oft von der Ausgangsform sehr er¬
heblich abweichen. Diese Versuche wurden
von späteren Forschern in erweitertem Mass¬
stab aufgenommen und führten zu der wich¬
tigen Entdeckung, dass die so erzielten Ab¬
änderungen sich auf die Nachkommen der be¬
treffenden Individuen übertragen können. An
diese Feststellung schloss sich eine lebhafte
Erörterung der Frage, ob es sich dabei um
eine Vererbung erworbener Eigenschaften
handle. An der wissenschaftlichen Diskussion
dieser ihn natürlich ganz besonders be¬
rührenden Frage beteiligte sich Weis-
mann auf das lebhafteste und suchte sie bis
in die letzten Jahre seines Lebens durch neue
Experimente zu klären, deren Material sich
heute im Freiburger Zoologischen Institut be¬
findet.
Ebenso waren die Schmetterlinge ein Lieb¬
lingsmaterial für seine Untersuchungen über Mimikry. Die Nach¬
ahmung belebter und unbelebter Gegenstände der Umgebung
durch schutzbedürftige Tiere ist ja seit den Untersuchungen von
Darwin und W a 1 1 a c e ein besonders wichtiges Beweis¬
mittel der Deszendenstheorie geworden. Es war ein Lieblings-
studium Weismanns in den letzten Jahren, den Wegen im
einzelnen nachzugehen, auf welchen die oft so peinliche Nach¬
ahmung der Umgebung von solchen Tierformen erreicht
worden ist. Immer wieder waren es Vererbungsprobleme,
welche dabei seine Gedanken beschäftigten, wenn man den
ehrwürdigen Greis in tiefem Sinnen über seine Schmetterlings¬
kästen gebeugt sah.
Seine Ideen über Vererbung waren es, welche von ihrer
ersten Veröffentlichung an alle wissenschaftlich denkenden
Mediziner auf das lebhafteste beschäftigten. Ihre Anwendung
auf den Menschen, ihre Bedeutung für die Auffassung der Erb¬
lichkeit von Krankheiten, Missbildungen und pathologischen
Anlagen lag auf der Hand. Wie oft haben sich die lebhaftesten
Diskussionen gerade zwischen Medizinern über die Tragweite
der W e i s m a n n sehen Ideen entsponnen. Es gehörte und
wird auch lange Zeit hinaus zur notwendigen Bildung des
wissenschaftlichen Mediziners gehören, dass er über Weis-
man ns Vererbungslehre genau orientiert ist.
Ich erinnere mich vor allem aus meinen medizinischen
Studentensemestern, wie stark unser Denken von der Dis¬
kussion W e i s m a n n scher Probleme erregt und beeinflusst
wurde. Ich sehe an meinen Studenten, dass auch heute noch
dasselbe der Fall ist. So kann man denn ermessen, welch
wunderbaren Einfluss Weismann als Universitätslehrer
auf seine Studierenden gehabt haben muss, deren Mehrzahl in
den letzten Jahren ja immer Mediziner waren. Wie manchen
von ihnen habe ich in der begeisterten Erinnerung an seine
Freiburger Studentenzeit von den Vorlesungen Weis¬
manns schwärmen hören. Die grosszügige Persönlichkeit,
welche mit dem Feuer der Begeisterung den Studierenden
grosse Ideen vortrug, die zum Teil in seinem eigenen Kopfe
entstanden waren, musste ja hinreissend auf empfängliche
2
2310 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 48.
jugendliche Seelen wirken. Dazu beherrschte er in einem
wundervollen Masse unsere deutsche Sprache; seine Vor¬
lesungen müssen ein grosses Vorbild inhaltsreicher, schöner
Reden gewesen sein.
Nicht weniger bedeutsam war seine Lehrtätigkeit im
Laboratorium, in welchem aus aller Herren Länder Jünger
zu seinen Füssen zusammenströmten, um in den Methoden
der Zoologie und speziell in seinen Forschungsideen unter¬
richtet zu werden. Seine belehrende Tätigkeit erstreckte sich
aber wreit über den Kreis seiner Universität hinaus. Denn
ebenso wie das gesprochene, so beherrschte er auch das ge¬
schriebene Wort. Sind schon seine rein wissenschaftlichen
Abhandlungen, wie z. B. der Band über „das Keimplasma“,
Muster lichtvoller Darstellung, so sind seine für weitere Kreise
bestimmten „Vorlesungen über Deszendenztheorie“ ein Werk,
welches durch seine vollendete Sprache, durch die metho¬
dische Verteilung des Stoffes, die vorzügliche Wahl der Bei¬
spiele und den feurigen Fluss der Ideen dazu beitrug, in weite¬
sten Kreisen zugleich für die Deszendenztheorie im ganzen
wie für seine eigenen Theorien Anhänger zu werben.
Aus seinen Werken spricht auf jeder Seite eine grosse,
feine und gerechte Persönlichkeit. Wer in näheren Be¬
ziehungen zu ihm stand, wird dies immer zum glücklichen Be¬
sitz seines Lebens rechnen. Ich lernte ihn in seinen letzten
Lebensjahren kennen, in denen naturgemäss das Alter manche
seiner glänzenden Eigenschaften hatte abschwächen müssen.
Und doch, welchen Eindruck hatte ich von dieser Persönlich¬
keit, und wie muss ich diejenigen beneiden, welche ihm in
seinen reichsten Jahren nahestehen durften! Noch in den
letzten Wochen hatte ich immer wieder Gelegenheit, wenn wir
von den grossen Ereignissen der Zeit sprachen, neben der
Bescheidenheit des grossen Gelehrten die ritterliche Ge¬
sinnung des edlen Menschen zu bewundern. Weis mann
gehört zu denjenigen, deren äussere Lebensumstände vom
Glück begünstigt waren. Und so wurde ihm denn nach einem j
langen, arbeits- und erfolgreichen Leben ein schöner fried- ;
licher Tod im Kreise seiner Liebsten zuteil. Er schlief sanft
ein, während Klänge der von ihm so geliebten Musik ihn um¬
rauschten. Wie seine Persönlichkeit denen, welche ihm näher
standen, unvergesslich sein wird, so werden seine Werke und
Ideen in der gesamten Wissenschaft weiterleben.
F. D o f 1 e i n - Freiburg i. Br.
( -
Bücheranzeigen und Referate.
Langstein und Meyer: Säuglingsernährting und Säuglings¬
stoffwechsel. Ein Grundriss für den praktischen Arzt. 2. und 3. Auf¬
lage. Verlag J. F. Bergmann, Wiesbaden 1914.
3 Jahre lang haben die Verfasser dieses Buch nach Verkauf der
ersten Auflage (1910) vergriffen sein lassen. Sie „wollten einerseits
erst die Bewegung zu einer gewissen Klärung kommen lassen,
anderseits sich selbst über die noch strittigen Punkte ein Urteil
bilden“. Hienach hatte Ref. vielleicht nicht unrecht, wenn er bei. der
eisten Auflage das Bedenken äusserte, sie sei um etliche Jahre zu
früh erschienen. Der Zuwachs an darzustellendem Material macht
sich durch eine Umfangsvermehrung des Buches auf nahezu aas
Doppelte erkennbar. So darf es bei ferneren Auflagen nicht weiter¬
gehen, sonst streikt der praktische Arzt, dem das Werk zugedacht
ist. Ohne Zweifel könnte in der Tat manches über Bord geworfen
werden, z. B. die Kapitel über Rachitis, über Möller sehe Krankheit
und Tetanie — nicht weil sie nicht herein gehörten, aber weil sie
der Praktiker unter dem Titel des Buches kaum suchen wird. Auch
in dem an sich so löblichen Bestreben, physiologische oder physi¬
kalisch-chemische Grundlagen zur Darstellung zu bringen, gingen die
Verfasser sehr weit. Eine Erläuterung über das Wesen der elektro¬
lytischen Dissoziation nach Arrheniusz. B. kann in einem Grund¬
riss der Säuglingsernährung für den Praktiker füglich entbehrt wer¬
den. Wer ganz genau zusieht, erkennt ja doch, dass von einem
wirklich systematischen Weiterbauen auf solchen Fundamenten Pis
zur einzelnen diätetischen Empfehlung keine Rede sein kann. We¬
sentlich erweitert wurden die theoretischen Kapitel, namentlich be¬
züglich des Wasser-Mineralstoffwechsels, der Stoffwechseiglelcnung
des Neugeborenen etc. Der Hauptteil (Ernährungsstörungen beim
Flaschenkinde) bleibt — in den Einzelheiten noch sorgfältiger ausge-
arbeitet — dem Glaubensbekenntnis aus der ersten Auflage treu.
Grundlegende Thesen, Einteilung, Namen, Darstellungsweise stammen
hier zumeist wie die Verfasser selbst aus dem F i n k e 1 s t e i n sehen
Kreise; man muss aber das Bestreben durchaus anerkennen, auch
anderen Schulen gerecht zu werden und aus anderen Lehren das zu
bringen, was gut und nützlich schien. Nicht alle pädiatrischen Autoren
verfahren so. Die Lehre von der Nährstoffvergiftung ist ja im Laufe
der Zeit reichlich verwässert worden; aber das Finkelstein-
sche Schema erfreut sich grosser Popularität; es bringt cDen eine
Marschroute für die Praxis, und eine so flüssige Darstellung wie die
L a n g s t e i n - M e y e r sehe macht wirklich glauben, der Stoff se:
nun gemeistert, der Arzt für alle Fälle gewappnet. Unter den Ver¬
hältnissen der Praxis aurea ist er es tatsächlich in ziemlich be¬
friedigendem Masse; aber unter minder günstigen Verhältnissen —
und diese waren ja von jeher das Kreuz der Flaschenkinder — be¬
gegnet er nur zu oft unauflösbaren Komplexen von dyspeptischer
Bilanzstörung mit Intoxikation und Dekomposition, infektiös-alimen¬
tärer Schäden, zu denen er auch in dem jetzt sehr vermetirten
Kapitel über die „Mischformen“ den Ariadnefaden nicht findet und
bei denen ihn auch das hinreichend gepriesene Arkanum der Eiweiss-j
milch im Stiche lässt. Ein weiterer Vorzug des Finkelstein-
schen Lehrgebäudes ist die Betonung des Toleranzbegriffes, durchi
die alles ganz auf den Boden der neuen Konstitutionspathologie ge-j
stellt wird; mit dieser mag mancher Arzt durch das vorliegendei
Buch vielleicht zum ersten Male eindrucksvolle Bekanntschaft machen.
Jedermann wird anerkennen, dass die Verfasser bei der Neubearbei¬
tung mit einer ungewöhnlichen Geschicklichkeit und Umsicht, aber!
auch mit besonderem Fleisse und Ernst zu Werke gegangen sind. Ihr]
todsicherer Erfolge ist redlich verdienter Gewinn. Pfaundler.
Treves-Keith: Chirurgische Anatomie. Uebersetzt von!
A. M ü I b e r g e r- London. Mit 152 Abbildungen von O. Klein-
schinidt und C. Hörhammer. Berlin, Springer, 1914.
Das im Jahre 1883 zum ersten Male erschienene Lehrbuch er-!
freut sich in England einer grossen Beliebtheit, was am bester,
an den 2\ bisher notwendig gewordenen Auflagen erkannt werdenj
kann. Die von Mülberger in trefflicher Weise besorgte deutsche
Uebersetzung kann als gute Ergänzung unserer zahlreichen ausge-i
zeichneten ähnlichen Lehrbücher angesehen werden. Das Treves-
sehe Buch soll durchaus praktischen Bedürfnissen dienen. Alles in
der Praxis nicht zu Verwendende ist weggelassen. Dafür ist aber
überall auf die Beziehungen zur Chirurgie hingewiesen, die Ver¬
letzungen und Operationsmethoden finden sich regelmässig im An-|
Schlüsse an die betreffenden Kapitel kurz erörtert. Kleinschmidt
und Hörhammer haben die deutsche Ausgabe mit guten Abbil-i
düngen versehen. K r e c k e.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medizin. 80. Band, 5. u. 6. Heft
Fleischmann und S a 1 e c k e r : Versuche über die Be¬
einflussung des Purinstoffwechsels durch die Sekrete der Drüsen mit
innerer Sekretion. (Aus der 1. med. Klinik in Berlin.)
Verfütterte Nukleinsäure wird vom Hund annähernd quantitativ
im Harn ausgeschieden; bei gleichzeitiger Pituitrinzufuhr dagegen
wird eine Verminderung und Verzögerung der Allantoinausscheidung
beobachtet. Pituitrin, einem purinfrei ernährten Tier injiziert, be-i
dingt häufig eine geringe Vermehrung des Allantoins mit darauffolgtn-l
der Senkung. Beim hungernden Tier tritt dieser Allantoinanstieg
nicht ein. Adrenalin, in nicht zu kleinen Mengen injiziert, bewirkt
eine erhebliche Steigerung der Allantoinausscheidung, ohne gleich¬
zeitige Steigerung der Stickstoffausscheidung. Eine entgegengesetzte
Wirkung zeigte sich nach Phloridzininjektionen, wodurch der Ge¬
samtstickstoff erheblich stieg ohne Vermehrung der Allantoinausschei¬
dung. Bei Tieren ohne Schilddrüse wird verfütterte Nukleinsäure
in verminderter Menge ausgeschieden. Jodothyrinzufuhr bewirkt!
eine Verminderung der Allantoinausscheidung im Stadium des starkenl
Eiweisszerfalles. Paraglandol-(Epithelkörperchen-)Zufuhr hat bisher
eine unregelmässige Einwirkung gezeigt. Beim Hungertier wurden
zugeführte Purinbasen in wesentlich verminderter Menge aus-j
geschieden (wahrscheinlich Retention). Ueberschüssige Flüssigkeits-i
zufuhr bewirkt eine beträchtliche Steigerung der Allantoinausscheidung
Külbs: Nebengeräusche über der Aorta. (Aus der I. med.
Klinik und Poliklinik in Berlin.)
Der Verfasser berichtet über 31 Beobachtungen von systolischemj
Geräusch, das im 2. rechten Interkostalraum lokalisiert hörbar war.
von ungleichmässigetn, kratzendem, rauhem Charakter. Verstär¬
kung des 2. Aortentones mit Verbreiterung des Aortenschattens im
Röntgenbild fand sich dabei 12 mal, Vergrösserung des Herzens nach
links 17 mal, der Blutdruck war in 7 Fällen über 160 mm, in 13 zwi¬
schen 160 und 140 mm und in 11 unter 140 mm. Subjektive Be¬
schwerden waren nur in 10 Fällen vorhanden, in 5 bestand Angina,
pectoris. Bei den übrigen 16 war das Geräusch ein zufälliger Neben¬
befund. In 17 Fällen war Polyarthritis und Lues der Anamnese und
dem objektiven Befund nach auszuschliessen; wahrscheinlich spielt
Arteriosklerose die Hauptrolle in der Aetiologie. Eine eigentliche
Stenose der Aorta war den klinischen Erscheinungen nach nicht an¬
zunehmen; das Geräusch muss demnach in Rauhigkeiten der Wand
oder in Spannungsveränderungen derselben seinen Grund haben.
W. Ce eien: Zur Kenntnis der Oesophagusdiphtherie. (Aus
dem pathol. Institut in Berlin.)
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
M. Lüdin: Ueber den anakroten Puls an der Arteria carotis
und Arteria subclavia bei Aorteninsuffizienz. (Aus der med. Klinik'
in Würzburg.)
Der Verfasser fand mehrfach eine anakrote Erhebung im Puls
der Karotis und Subklavia bei Aorteninsuffizienz, die auch im
'
Dezember 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
)hygmogramm und im Gaspulsbild zum Ausdruck kam; die erste
icke ist niedriger, dementsprechend erweist sich auch die zweite
hebung bei der Palpation als die kriiftigerc. Nur in einem Falle
lang es auch noch an der Brachiales die anakrote Zacke aufzu-
ichnen. Die Distanz zwischen den beiden (iipfeln der ersten und
»eiten Zacke war an der Brachialis kleiner als an der Subklavia;
raus ist zu schliessen, dass sich die beiden Wellengipfel nicht ge-
-insam fortbewegten, also nicht 2 zentrifugal laufenden Wellen ihre
itstehung verdanken konnten. Es ist vielmehr die Erscheinung
rch eine Reflexion zu erklären, die erste Erhebung wird durch die
■ntrikelsystole verursacht, die zweite durch eine superponierte Re¬
xwelle, die Reflexion kommt wahrscheinlich am distalen Teil des
■»erarms oder am Unterarm zustande.
D. Lampert: Ueber Kreatin- und Kreatininausscheidung bei
abetikern und Nephritikern. (Aus der inneren Abteilung des jüdi-
hen Krankenhauses in Berlin.)
Die mit der Aut henrieth - Müller sehen Methode an¬
stellten Untersuchungen ergaben bei Gesunden bei fleischfreier und
uillonfreier Diät eine Kreatininausscheidung von 0,9 — 2,4 g im Tag.
e Mehrzahl der Werte lag zwischen 1,2 und 1,5 g. Kreatin wurde
-ist gar nicht gefunden, wenn es auftrat, nur in Spuren (0,02 mg)
chgewiesen. Bei Diabetikern waren die Werte für Kreatinin meist
niedrigt oder lagen an der unteren Grenze der Normalwerte. Der
eatiningehalt ist in sämtlichen Fällen mit wenig Ausnahmen unter
S geblieben, doch fanden sich bei schweren Fällen mehrmals Werte
•n 1,0— 1,2 g. Bei Diabetes gravis mit stärkeren Graden von
etonurie fand ich stets Kreatin im Harn, meist erheblich mehr als
' g, im Maximum 1- — 1,2 g. Bei Diabetes levis mit Spuren von Aze-
i fand sich Kreatin entweder gar nicht oder nur in geringen
engen, meist unter 0,3 g. Bei Nephritikern fand sich in 5 Fällen
:ts eine Verminderung des Kreatinins, und zwar auch bei guter Diu-
se und .bei auch sonst nur wenig verringerter Nierenleistung;
eatin waf nur in einem Fall bei starker Niereninsuffizienz, und zwar
r in geringen Mengen (Maximum 0,15) zu beobachten. Die 2 Fälle
n Diabetes, bei welchen gleichzeitig eine Nierensklerose vorlag,
iren durch besonders niedrige Werte für Kreatinin ausgezeichnet,
edrige Werte fanden sich auch in einem Fall von Leberkarzinom
t Cholämie, wobei Kreatin in sehr geringen Mengen (bis zu 0,1 g)
beobachten war. Die Parallelität der Kreatinausscheidung mit der
idose bei schwerem Diabetes lässt vermuten, dass die Kreatin¬
sscheidung ebenfalls durch eine Störung des intermediären Stoff-
;chsels bedingt ist, dass also das Kreatin das niedere, das Kreatinin
<s höher entwickelte Stoffwechselprodukt ist. Die Kreatininaus-
leidung lässt sich für die Zwecke der funktionellen Nierendiagnostik
rwenden.
H. v. B o m h a r d - München: Ein Beitrag zum Myelom.
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet .
H. Köster - Gothenburg: Kranielle Geräusche.
ln relativ seltenen Fällen kann man bei einem intrakraniellen
iden ein Schädelgeräusch hören. Dasselbe hat weder eine all¬
meine noch lokaldiagnostische Bedeutung, da es bei den ver-
: liedenartigsten intrakraniellen Prozessen unabhängig von ihrer
! kalisation auftreten kann. Am häufigsten treten bei Erwachsenen
ihädelgeräusche auf bei anämischen Zuständen; sie treten bei sol¬
len Zuständen gewöhnlich auf, wenn die Zahl der roten Blutkörper-
i-n unter 2 500 000 und die Hämoglobinmenge auf40 Proz. gesunken
Die Hämoglobinmenge scheint grössere Bedeutung für das Auf-
i ten eines Schädelgeräusches als die Abnahme der Zahl der
lvfhrozyten zu besitzen. Die anämischen Geräusche sind oft am
1 rksten in den Schläfen und Ohrgegenden, manchmal hört man sie
: ^schliesslich an diesen Stellen. Sie entstehen innerhalb des Schä-
i s, wahrscheinlich in der Karotis. In einzelnen Fällen, in welchen
1 der eine hochgradige Anämie noch eine intrakranielle Läsion vor-
hden ist, kann man Geräusche zu hören bekommen, welche von
*i Halsgefässen fortgeleitet sind. Ein intrakranielles Leiden als
I sache eines Schädelgeräusches darf man erst dann annehmen,
1 nn man das Vorhandensein einer gleichzeitigen Anämie aus-
wchlossen hat. In prognostischer Hinsicht deutet die Gegenwart
1 es Schädelgeräusches das Vorhandensein einer ernsten Anämie an;
is Verschwinden desselben zeigt mit ziemlicher Sicherheit, dass
Isserung eingetreten ist. L i n d e m a n n - München.
Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 46, 1914.
Egbert B r a a t z - Königsberg i. Pr.: Zur Behandlung der Schlüs-
sbeinverrenkung nach vorne.
Verf. macht bei der Schlüsselbeinverrenkung nach vorne, um
E reponierten Knochen in der richtigen Lage zu erhalten, folgenden
’rband: er legt den rechtwinklig gebogenen Arm an die Brust,
tickt die Schulter vornüber, bringt auf die Gelenkgegend einen
* inen festen Bausch von Polsterwatte und legt darüber schräg von
ten über die Schulter nach der gesunden Brustseite zu einen Zink-
► itschukpflasterstreifen. Dieser Hcftpflasterverband wird durch
“en Bindenverband, der gleichfalls die Schulter nach vorne halten
* I. verstärkt. Mit dieser Verbandmethode erzielte Verf. in 6 bis
‘Wochen tadellose Heilung.
G. E. Konjetzny - Kiel : Kurze Bemerkung zur Original-
' teilung von Schiele in Nr. 43.
Verf. benützt bei infektiösen und gangränösen Prozessen die
» umskylösung; Mull wird mit ihr angefeuchtet und auf die Wunde
aufgelegt; subkutan hat er diese Lösung wegen der Gefahr der
Karbolvergiftung nie benützt. Er warnt deshalb auch dringend
davor, diese Lösung in der von Schiele angegebenen Weise intra¬
artikular oder intraabdominell bei Peritonitis zu benützen. Ueber-
haupt ist, besonders bei grossen Wundflächen, sehr massvollc Be¬
nützung zu Ueberschlägen unbedingt zu erfordern. Chlumskylösung ent¬
hält: Acid. carbol. liquefact. 30,0, Camph. trit. 60,0, Alkohol 10,0.
Nr. 47 ohne Originalarbeit.
E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 46, 1914.
Ernst C 1 a u s s - Hamburg: Ueber Dauererfolge der Schauta-
Wertheim sehen Prolapsoperation.
Bericht über 62 Fälle aus der P r o c h o w n i k sehen Klinik in
Hamburg. Nach kurzer Rekapitulation der Technik, wobei zu er¬
wähnen, dass trotz Tubenresektion 2 mal Gravidität auftrat und eine
1 at. an Sepsis starb, werden die Dauererfolge von 51 Fällen be¬
sprochen. CI. unterscheidet 3 Erfolgstufen: Heilung, Besserung und
Rezidive. Von den persönlich nachuntersuchten zeigten 33 = 66 Proz.
Dauererfolge und 4, über die nur briefliche Berichte Vorlagen. Bei
7 Pat. konnte man von Besserung reden; die subjektiven Erfolge
waren befriedigend, dagegen fanden sich objektiv leichtes Zystozelen-
rezidiv oder eine Verschiebung in der Lage des interponierten Uterus.
In 6 Fällen traten wirkliche Rezidive auf, 2 als Zystozelenrezidive,
4 als Rezidive der Uterussenkung.
Im ganzen kann man mit den Erfolgen der Schauta- Wert-
h e i m sehen Operation zufrieden sein. Ihre Indikation ist auf Frauen
über 35 — 37 Jahre zu beschränken. J a f f e - Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 46 und 47, 1914.
Eduard M e 1 c h i o r - Breslau: Zur Kasuistik der Verwundungen
durch indirekte Geschosse.
Im Anschluss an eine schwere Verletzung des linken Handge¬
lenkes durch eine von einem Infanteriegeschoss getroffene Armband-
uhr, rät der Autor dringend davon ab, im Felde ein Uhrarmband zu
tragen, besonders nicht am linken Arm, der erfahrungsgemäss Ver¬
letzungen im Schützengraben mehr ausgesetzt ist, wie der rechte.
D ö 1 1 k e n - Leipzig: Heilung der Neuralgie und Neuritis durch
Bakterientoxine.
Schluss folgt.
Georg Finder und Lydia Rabinowitsch - Berlin : Experi¬
mentelle Versuche über den Einfluss behinderter Nasenatmung auf das
Zustandekommen der Inhalationstuberkulose.
Die Tierversuche der Verfasser enttäuschten insofern, als sich
eine Inhalationstuberkulose durch Behinderung der Nasenatmung nicht
einwandfrei erzeugen Hess. Obwohl die Versuchsanordnung den
natürlichen Verhältnissen beim Menschen nicht vollkommen ent¬
sprechen kann, so dürften die Untersuchungen doch für weitere der¬
artige Forschungen von Nutzen sein.
Arthur M ii n z e r - Charlottenburg: Die Grenzen der Organ¬
therapie.
Ein totes Präparat kann nie die Stellung eines Örgans aus¬
füllen; die einzig wahre Organtherapie ist die Transplantation eines
gesunden Organes an Stelle des erkrankten. Alles andere ist ein
Notbehelf und kann unter keinen Umständen dem Körper einen voll¬
kommenen Ersatz bieten für das, was ihm durch Krankheit genommen.
Max Hesse- Graz: Beeinflussung der W a s s e r m a n n sehen
Reaktion durch Embarin und Merlusan.
Aus den Untersuchungen geht hervor, dass die beiden neuesten
antiluetischen Mittel Embarin und Melusan imstande sind, die Was¬
sermann sehe Reaktion in einer grossen Anzahl von Fällen im
günstigen Sinne zu beeinflussen, welche Resultate in Bezug auf die
vergleichenden Befunde bei Salvarsan und Salvarsanembarin sehr
günstige zu nennen sind.
P. S c h a r f f - Stettin: Zur Prophylaxe und Therapie der Ge¬
schlechtskrankheiten im Felde.
Prophylaktische und therapeutische Vorschläge, die den be¬
sonderen Verhältnissen des Feldzuges angepasst sind.
E. Fuid: Ueber die Behandlung der Durchfälle im Felde.
Verf. empfiehlt gegen die Durchfälle im Felde das Kokain, in
fester, dosierter Form, dreimal täglich 14 cg eine Viertelstunde vor
den Hauptmahlzeiten zu nehmen, am besten drei Stück der sog.
Gelonida neurenterica. Durch sie wird auch die Anästhesierung der
oberen Verdauungswege vermieden.
Nr. 47.
J. Morgenrot h- Berlin : Die Chemotherapie der Pneumo-
kokkeniniektion. (Vortrag in der Berl. med. Ges. am 11. Nov. 1914.)
Fortsetzung folgt.
Otto K a t z - Charlottenburg: Nervöse Störungen bei Kindern.
Verf. beobachtete bei mehreren aus nervösen Familien stam¬
menden Kindern Angstzustände, die durch den Krieg verursacht er¬
scheinen.
I s a a c - Berlin: Pilzerkrankung der Haut, infolge des Gebrauches
wollener Unterwäsche.
Es handelt sich um eine dem Herpes tonsurans ähnliche Haut¬
erkrankung, die durch Pilze verursacht wird, welche sich vorwiegend
an Wollzeug und Wäsche, die lange aufbewahrt wurden, finden. Das
beste Mittel zur Verhütung dieser an und für sich harmlosen Haut¬
erkrankung ist gründliches Auskochen und Austrocknen der Wäsche.
*2
2312
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 48
Stephanie L i c h t e ns t e i n- Berlin: Ueber die Differenzierung
einzelner Hefearten mit Hilfe spezifischer Agglutinine.
Es ist möglich durch intravenöse Injektionen von Heferein¬
kulturen beim Kaninchen gut wirksame agglutinierende Sera zu er¬
halten. Mit Hilfe der Agglutinationsmethode kann man nun nicht nur
verschiedene Saccharomyzesarten differenzieren, sondern auch den
obergärigen oder untergärigen Charakter einer Hefekultur feststellen.
Es ist ferner möglich, mit Hilfe der Agglutination die Terulaceen
von den Saccharomyzeten scharf zu trennen.
M. A. van H e r w e r d e n - Utrecht: Ueber die Nukleinsäure¬
verbindungen in den Nissikörnern der Ganglienzellen.
Physiologisch-chemischer Beitrag.
H. Renz-Berlin: Zur Klärung der Embarinfrage.
Das Embarin gehört nach den Untersuchungen des Verfassers
zu den besten und bekömmlichsten Hg-Präparaten, wenn es nicht
bei dem Fehlen der den übrigen Salzen anhaftenden Mängel über¬
haupt den ersten Platz einnehmen dürfte.
L. G ö r 1 - Nürnberg: Ueber Röntgensterilisierung. (Vortrag, ge¬
halten in der Nürnberger med. Ges. am 11. Juni 1914.)
Interessante Angaben des Verfassers über seine eigene Technik
der Röntgensterilisierung sowie praktisch wertvolle technische Rat-
Schläge.
D ö 1 1 k e n - Leipzig: Heilung der Neuralgie und Neuritis durch
Bakterientoxine. (Schluss.)
Die vorliegenden Untersuchungen lassen erkennen, dass wir im
Vakzineurin und in einigen verwandten Produkten gute und recht zu¬
verlässige Mittel zur wirksamen Bekämpfung der Neuralgie und
Neuritis haben. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift.
Nr. 46. Th. Kocher- Bern: Behandlung schwerer Tetanusfälle.
Schluss folgt.
E. v. Behring: Zur Anwendung des Tetanusserums.
Die Präventivbehandlung kommt bisweilen besonders für Ver¬
wundete von bestimmten Schlachtfeldern in Betracht. In Marburg
wurde unter den bei Sedan Verwundeten eine Morbidität von 4 bis
5 Prcz. (sonst 1 Prom.) beobachtet. Als Präventivgabe (subkutan,
ev. wiederholt) genügen 20 Antitoxineinheiten, beim ausgebrochenen
Tetanus sind 100 A.-E., in dringenden Fällen intravenös zu geben,
bei protrahiertem Verlauf subkutan zu wiederholen. Daneben ist
möglichst auch lokal zu behandelt: (20 A.-E.). Besondere Aufmerk¬
samkeit verdient die Einspritzung in die von dem Infektionsort zum
Rückenmark führenden, f r e i g e I e g t e n Nervenstämme.
K r o m a y e r- Berlin: Röntgen- und Lichtbehandlung zur Hei¬
lung von Schussverletzungen.
Die Röntgenbestrahlung kann dazu dienen, die nutzlose Granu¬
lation und entzündliche Infiltration schlecht heilender Wunden ein¬
zuschränken. Es genügten kleine Dosen (täglich Va Erythemdosis),
die Wirkung zeigt sich nach 8 Tagen und ist in 3 Wochen abge¬
schlossen. Für tief unter der intakten Haut liegende Wundprozesse
ist die Tiefenbestrahlung mit Schutz der Haut und schwachen
Dosen anzuwenden. Im Gegensatz hierzu ist die Lichtbehandlung,
Sonnenlicht oder künstliches (elektrisches oder Quarz-) Licht schon
bei frischen Wunden anwendbar; bei torpiden Wunden sind starke
Lichtdosen bis zur entzündlichen Reaktion am Platze, bei gut granu-
liei enden Wunden genügt die milde Bestrahlung zur Abkürzung des
Heilverlaufes.
S t a c h o w und Wiewiorowski - Breslau : Erste kriegs¬
chirurgische Eindrücke.
Kritische Benmerkungen zu dem Berichte Dreyers in Nr. 39.
J. S t r e b e 1 - Zürich: Anosmie und Enophthalmus traumaticus.
Krankengeschichte eines Falles. Hufschlag mit Bruch des
inneren Orbitalringes und der medialen Orbitalwand, (Pars orbitalis
des Stirnbeins einschliesslich der Lamina cribrosa, Os lacrimale, La¬
mina papyracea); Zertrümmerung der Bulbi olfactorii oder Abreis-
sung der Fila olfactoria. Enophthalmus. Periphere Fazialislähmung
wahrscheinlich infolge indirekter Fraktur.
E n g e 1 - Berlin: Die Harnabscheidung des Säuglings.
Nach E.s Untersuchungen erfolgen bei einem richtig ernährten
Säugling, der etwa täglich 800 ccm Flüssigkeit aufnimmt, durch¬
schnittlich 25 Harnentleerungen im Tage, bei vermehrter Aufnahme
(1200 — 1600 ccm), wie sie oft vorkommt, steigt die Zahl aut 60 — 70.
Im Schlaf sistiert im allgemeinen die Entleerung, am Tage und bei
vermehrter Muskeltätigkeit und Erregung ist sie am häufigsten. Die
meisten Urinportionen betrugen 10 — 20 ccm, die grössten Portionen
(in der Regel nachts entleert) 50 — 60 ccm, ausnahmsweise 70 — 90 ccm.
A. S c h n e e - Frankfurt a. M.: Weitere Beiträge zur Ferment¬
therapie des Diabetes mellitus.
Verf. bestätigt nach Versuchen an 40 Diabetikern, dass bei Ge¬
brauch von Fermozyltabletten eine Zerlegung der Kohlehydrate in
ihre Abbauprodukte und eine Herabsetzung der Zuckerausscheidung
und grössere Toleranz für Kohlehydrate erzielt wird; dieser Erfolg
fand sich etwa in der Hälfte der Fälle. Zugleich schwinden oft auch
andere Erscheinungen, wie Muskel- und Nervenschmerzen, Gefühls¬
störungen. Schlaflosigkeit, Durstgefühl. Zwei Krankengeschichten.
W. Roerdansz - Charlottenburg: Vereinfachte und zuver¬
lässige Methode der Blutkörperchenzählung.
Beschreibung einer neuen automatischen Blutmischpipette, einer
Blutmischpipette mit besonderem Mischraum und einer neuen Zähl¬
kammer.
Adam-Köln: Das deutsche, österreichische, russische und eng
lische Militärsanitätswesen. (Fortsetzung.)
III Frankreich. B e r g e a t - München.
Oesterreichlsche Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 44. Zum 25 jährigen Professorenjubiläum von J. W a g n e i
v. Jauregg,
O. Glas er- Wien: Ueber chronischen Veronalismus.
Uebersicht über die 9 Fälle der Literatur und Beschreibung eine'
10. Zusammenfassung: Der durch Euphorie begünstigte, fortgesetzt!.
Gebrauch auch kleiner Einzeldosen von Veronal kann zu mehr oder
weniger schweren Intoxikationserscheinungen führen, welche wie be
allen zur Harnstoffgruppe gehörenden Schlafmitteln das Kleinhirn
und den Vestibularapparat betreffen, dagegen den Gefäss- und Ver¬
dauungsapparat in der Regel verschonen. Der chronische Veronal
missbrauch tritt als „Süchtigkeit“ besonders bei konstitutioneller
Psychopathie hervor.
H. Her sch mann -Wien: Beitrag zur Lehre von den psychi¬
schen Veränderungen bei wiederbelebten Erhängten.
Die Erörterung einer grösseren Anzahl von Krankengeschichrei
führt H. zu dem Schluss, dass die bei manchen Fällen von De¬
pression nach Strangulation zu beobachtende Heilung oder Stirn
mungsumfärbung ins Manische durch die reaktive funktionelle Hyper¬
ämie des Gehirns zu erklären ist.
M. Infeld: Paradoxe Hirnembolie als Unfallsfolge.
Zwei Krankengeschichten.
A. J o a c h i m - Rekawinkel: Ueber 10 Fälle von geheilter Pan-
Ivsis progressiva nach Behandlung mit Tuberkulin.
Die kurz beschriebenen, bis zu 3/4 Jahre nach der Entlassung
beobachteten Fälle sind innerhalb 6 — 8 Monaten durch .rechtzeitige
energische Behandlung ihrem Beruf und ihren Familien wieder zu-'
geführt worden, jedenfalls ein grosser Fortschritt gegenüber demi
sonstigen Nihilismus in der Behandlung.
H. Müller: Kasuistische Mitteilung zur Lähmung des Nervus
musculo cutaneus.
Zwei Krankengeschichten.
E. Rai mann: Zur Hysteriefrage.
Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet.
E. R e d 1 i c h - Wien: Statistisches zur Aetiologie der Nerven-
und Geisteskrankheiten.
Mit besonderer Berücksichtigung der Unterschiede der Ge¬
schlechter und der Privat- und Krankenhauspraxis.
R. Reznicek: Klinische Studien über den Dermographismus.
Versuche betr. Beeinflussung des elevierten Dermographismus
(Urticaria factitia) bei einem Kranken. Durch Wärme, elektrische
Reizung, Pilokarpin, Atropin und Pituitrin war keine Einwirkung zu
erzielen; eine hemmende Einwirkung zeigte nur die Kälte und in ge¬
ringerem Grade Adrenalin. Interessant ist, dass der Dermographis¬
mus, welcher durch Kälte unterdrückt war, durch Erwärmung der
Haut noch geraume Zeit später in fast normaler Stärke hervorgerufen
werden konnte, obschon man hätte annehmen sollen, dass der wirk¬
same Reiz längst erloschen wäre. Der hemmende Einfluss des
Adrenalins dürfte der Wirkung auf die glatte Muskutalur (Sym¬
pathikus), derjenige der Kälte derselben Wirkung, aber auch einer
Einwirkung auf die kapillare Transsudation zuzuschreiben sein.
E. Wexberg: Ueber einen Fall von Spättetanie gastrischen
Ursprunges.
Der Fall hat einige Besonderheiten der Symptome und Aetiologie.
Nr. 45. R. K r a u s - Buenos-Aires: Bemerkungen über Schutz¬
impfungen und eine Bakteriotherapie des Typhus abdominalis.
Die stärksten Reaktionen ruft der Impfstoff nach Pfeiffer-
Kol 1 e hervor, in Anbetracht ihrer guten praktischen Resultate
verdienen besonders für Massenimpfungen die Impfstoffe nach L e i sh-
m a n n oder Vincent entschieden den Vorzug. Verf. hat mit dem
Vincent sehen Aethervakzin bei 1400 Impfungen fast keine allge¬
meine oder lokale Reaktion gesehen. Vielversprechend scheint dit
intravenöse Behandlung des Typhus mit Typhusvakzine zu sein. Had¬
der Injektion von 50 — 100 Millionen (wichtig ist die genaue Einhaitun -
der Dosis) der mit Aether behandelten Bazillen steigt sofort die
Temperatur unter Schüttelfrost um 1 — 2°, worauf nach einigen Stun¬
den kritischer Abfall und meist dauernde Entfieberung eintritt. Dit
gleichen Erfolge werden durch eine polyvalente Kolivakzine erzielt.
Vielleicht empfiehlt sich auch eine Kombination mit Serumbehandlun?
E Finger: Die Geschlechtskrankheiten und der Krieg.
F. beleuchtet die Frage von verschiedenen Seiten und beton*
schliesslich auch die Verzögerung, welche die Wundheilung durch die
wenn auch latente, Lues erfahren kann.
O. Fr an kl- Wien und C. P. K i m b a 1 1 - Chicago: Ueber die
Beeinflussung von Mäusetumoren durch Röntgenstrahlen.
Die Verf. haben gefunden, dass bei Mäusen, welche unmittelbar
vor der Injektion des Krebsbreies einer Röntgenbestrahlung unter¬
zogen wurden, teils ein Tumor nicht entstand, teils zu einer sehr
viel geringeren Entwicklung gelangte, als bei den Konfrontieren
Demnach ist eine starke indirekte Beeinflussung des Tumorwachs¬
tums durch eine Einwirkung auf den Mutterboden anzunehmen.
Nr. 46. O. Marburg und E. Ranzi-Wien: Erfahrungen
über die Behandlung von Hirnschüssen.
■ Dezember 1914. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Zusammenfassung: Alle I angentialschüsse, welche radiologisch
ne Knochenimpression zeigen und klinische Allgemeinerscheinungen
der Ausfallzeichen, die bleibend sind, bieten, sind zu operieren,
benso alle Steckschüsse bei oberflächlichem Sitz des Geschosses,
ei tiefsitzendem Geschosse und bedrohlichen Symptomen kann ein
ingriff versucht werden, hat aber geringe Aussicht. Fälle, wo gleich
nfangs ein Prolaps erfolgte, sind kaum fiir einen Eingriff geeignet.
v. Haberer- Innsbruck: Bericht über 13 Aneurysmen aus dem
egenwärtigen Kriege.
Ueber den richtigen Zeitpunkt der Aneurysmaoperationen lassen
oh bestimmte Regeln nicht geben. Oft wird er durch Zwischenfälle,
as Auftreten einer Blutung, sehr heftiger Schmerzen, die Schädigung
nes wichtigen Nerven, oder weiter durch sehr rasches Anwachsen
es Aneurysmas bedingt. Wichtig ist die Unterscheidung in infizierte
id nichtinfizierte Fälle. Von H.s Fällen waren 5 infiziert. Bei den
ifizierten soll nach Möglichkeit die Heilung der Infektion,
imentlich das Aufhören der Sekretion im Schusskanal, abgewartet
erden; aber gerade bei diesen Fällen kommt es eher zu den ge-
innten Zwischenfällen, die zur Operation zwingen. Nebenbei ist die
Jährliche Möglichkeit zu erwähnen, ein infiziertes, rasch wachsendes
neurysma mit einem Abszess zu verwechseln. Die nicht infizierten
alle wurden durchschnittlich in der 4.-5. Woche operiert, von den
fizierten drei schon nach 2, die anderen nach fast 4 Wochen. Die
üh Operierten haben den günstigeren Verlauf genommen. Zur
echnik bemerkt Verf., dass er bis auf einen Fall (Art. radialis) alle
ine E s m a r c h sehe Blutleere operierte, was eine bessere Blut-
illung und Schonung der kleineren Arterienäste ermöglicht; äusser¬
em hat er immer von Anfang an den Arterienstamm beträchtlich
lerhalb des Aneurysmas freigelegt und durch eine Fadenschlinge ge-
chert, die bei Gefahr jederzeit zugezogen werden kann.
St. Bernheimer - Innsbruck: Beiträge zu den Kriegsverwun-
iingen des Auges.
Besprechung von 6 Fällmi. B e r g e a t - München.
Ophthalmologie.
A Senn-Wil (Schweiz): Die nichtoperative Behandlung des
ig. Altersstares. (Wschr. f. Ther. u. Hyg. d. Auges, 17. Jahrg.
ili u. August 1914, Nr. 40 u. 41.)
Senn ist durch seine Beobachtungen zu der Anschauung ge-
immen, dass nicht nur die frühzeitige Starerkrankung, sondern auch
t sog Altersstar auf irgend einer Allgemeinerkrankung beruhe, und
yar möchte er alle Erkrankungen chronischer Art für die Star-
iologie heranziehen. S. hat dabei die Vorstellung, dass diese Er-
ankungen durch ihren Mehrverbrauch von Eiweiss im Körper ein
anko der Eiweisszufuhr zur Linse oder einen unphysiologischen
weissabbau derselben zur Folge haben müssen. Hauptsächlich sind
izufiihren: Lues, Tuberkulose, chronische Anämie und Chlorose,
•rniziöse Anämie, Nierenerkrankungen, Zuckerkrankheit, Unterer-
hrung, chronischer Rheumatismus, Gicht, Arteriosklerose, chroni-
her Alkoholismus und Nikotinabusus, letztere wieder durch das
ittelglied der Unterernährung. Auch langjährig ungenügend korri-
2rte Refraktionsfehler gaben Veranlassung zur Starbildung. Senn
mmt sogar als bewiesen an, dass jeder Refraktionszustand seine
den Hauptpunkten ganz umschriebene klinische Starform zeige,
ich diesen Ausführungen kommt Verf. zur medikamentösen Star-
erapie. Die dankbarsten Objekte einer solchen sind die gleic¬
herweise den weitaus überwiegenden Teil der Altersstare bilden-
nsubkapsulären Formen. S. unterscheidet 3 Abteilungen:
die erste gehören die erst rauchförmigen diffusen Trübungen in
r vorderen Kortikalis, die Herabsetzung der Sehschärfe nicht unter
> — 0,5 bewirken; dann die „Tropfenbildungen“, die durch Refrak-
msvermehrung auch subjektiv in die Erscheinung treten; endlich
le, die durch Aequatorspeichen und umschriebenere, dichtere Trii-
ngen das klinische Bild komplizieren.
Bei Starformen, die schon im Stadium der „Tropfenbildungen“
r Behandlung kommen, sind die objektiv und subjektiv nachweis-
ren Veränderungen unter entsprechender ambulanter Behandlung
hon in wenigen Tagen bis 1 — 2 Wochen zum Schwinden zu bringen,
was mehr Zeit und Geduld erfordern die diffusen Trübungen der
rderen und hinteren Kortikalis; doch auch diese sind in mehreren
ochen bis einigen Monaten aufzuhellen. — Solche Augen, welche
c Startrübungen verloren haben, müssen, um nicht rückfällig zu
rden, einer Star Prophylaxe unterworfen werden, die in sorgfältig-
r Korrektion von Refraktionsanomalien und steter Kontrolle des Allge-
i inbefindens besteht, sowie in medikamentöser Weiterbehandlung. Die
Handlung selbst führt S. mit Dionin (3 — 5 proz.) entweder allein
subkonjunktivaler Injektion oder in Verbindung mit Jod und hat
ie „Kochsalz-Dionin-Asterollösung zu subkonjunktivalen Injektionen
'« besonders bewährt gefunden. Für alle Details der Anwendung
rweist Verf. auf eine in der Wschr. f. Ther. u. Hyg. d. Auges
Jahre 1009 von ihm erschienene Arbeit über den „Ausbau der
: bkonjunktivaltherapie durch subkonjunktivale Verwendung von
onin-Asterol-Kochsalz“.
J. Hirschberg - Berlin : Die Prognose der gonorrhoischen
ihthalinie. (Zbl. f. prakt. Augenheilk., Juni 1914, S. 161.)
Nach früheren Literaturberichten wurden bei gonorrhoischer
tgenerkrankung Erwachsener nur höchstens 15 Proz. Heilungen
sielt. Nach einem Bericht von Dr. Oskar F e h r, dirigierender
2313
Arzt der Abteilung für Augenkranke am R. Virchow-Krankenhause
in Berlin, kamen von April 1907 bis März 1914 dort 45 Fälle von
Blennorrhoe von Erwachsenen und älteren Kindern zur Aufnahme;
es waren 36 Erwachsene und 9 Kinder. 35 mal war die Erkrankung
einseitig, 10 mal doppelseitig, 48 mal der Gonokokkusnachweis positiv,
31 mal war die Hornhaut bei der Aufnahme noch frei, 25 mal bleibt
sie frei, 6 mal erkrankt sie während der Behandlung, wird aber 4 mal
noch zu vollkommener Heilung geführt, 2 mal erfolgt die Heilung mit
Zurückbleiben eines L.eukoms, 22 mal war schon bei der Aufnahme
die Hornhaut ergriffen (und zwar 6 mal schon fast zerstört). In 9
dieser 22 Fälle wird noch vollkommene Heilung mit S = Vz — 1
erzielt: in 5 Fällen bleiben mehr oder weniger dichte Hornhaut¬
trübungen zurück bei noch brauchbarer Sehschärfe; in weiteren
5 Fällen ist die Sehschärfe schlecht.
Also vollkommene Heilung in 71,7 Proz., Heilung mit brauch¬
barer Sehschärfe in 11,3 Proz., Heilung mit schlechter Sehschärfe
bezw. Erblindung in 17,0 Proz. Das andere, gesunde Auge wurde
immer durch Schutzkapsel gesund erhalten. Die Behandlungsdauer
betrug durchschnittlich nicht ganz 5 Wochen. Die Behandlung
selbst besteht, bei strenger Bettruhe, in Eisumschlägen, solange die
Hornhaut frei ist, in stündlichen, Tag und Nacht fortgesetzten Irriga¬
tionen mit übermangansaurer Kalilösung, täglichem kräftigem Pinseln
mit 1 proz. Arg.-nitr. -Lösung, danach Einstreichen von Atropinsalbe
und Lenizetsalbe zum Schutze der Hornhaut, Skarifikationen bei
starker, derber Chemosis, auch nötigenfalls in Kauterisationen der
Hornhautgeschwiirs- und Bindehautplastik. Die Zelluloidschutz¬
kapsel, die mit Heftpflaster vor dem gesunden Auge befestigt und
täglich gewechselt wird, bleibt liegen, bis das erkrankte Auge nicht
mehr absondert und gonokokkenfrei ist.
Andogsky-St. Petersburg: Catarakta dermatogenes. Ein
Beitrag zur Aetiologie der Linsentrübung. (Klin. Mbl. f. Augenheilk.,
Jahrg. 1914, 52. Bd„ Juni, S. 824.
Unter den progressiven weichen Staren, deren Aetiologie öfter
ungeklärt bleibt, gibt es Fälle, welche im zweifellosen Zusammen¬
hang mit pathologischen Veränderungen der Haut stehen. Verf.
hat die in der Literatur veröffentlichten Fälle dieser Art gesammelt
und fügt ihnen aus eigener Beobachtung 4 neue an, welche im
Alter von 22, 25, 27 und 32 Jahren standen und von denen je 1 Fall
an Erythema exsudativum und Prurigo, 2 an Ekzema universale
litten. Diese dermatologenen Stare haben folgende charakteristi¬
schen Eigenschaften: a) die Trübungen entwickeln sich im jugend¬
lichen Alter vom 1. Lebensjahrzehnte bis zum 30. oder etwas höherem
Lebensjahre bei Personen, die vorher normale Augen gehabt haben
und an ausgebreiteten Hautaffektionen in Form von verschieden¬
artigen Entzündungen oder atrophischen Veränderungen und Gefäss-
erkrankungen leiden.
b) Die Trübungen sind beiderseitig und geben im Beginn ihrer
Entwicklung am häufigsten das Bild einer begrenzten Trübung der
unmittelbar unter der vorderen Kapsel gelagerten Schichten in Form
einer eigentümlichen Catarakta stellata anterior.
c) Nach ihrem Beginne schreiten diese Trübungen auf die ganze
Linse fort, so dass das Bild einer Catarakta mollis totalis entsteht.
Die Ausreifung kann zwischen 8 Tagen bis zu 3 Jahren, schwanken.
d) Diese Trübungen haben keineswegs den Charakter von kom¬
plizierten Staren und werden nicht von Veränderungen der inneren
und äusseren Augenteile begleitet.
e) Diese Kataraktform gibt eine ganz günstige Prognose beim
operativen Eingriff.
Hinsichtlich der Aetiologie könnte man auf Grund der embryo-
lc gisch festgestellten Verwandtschaft der Linse und der Haut an einen
direkten Zusammenhang der Erkrankung beider Organe denken,
wenn man die Veränderungen in den vorderen subkapsulären Schich¬
ten und zuerst im Epithel der vorderen Kapsel als Folge einer Auto¬
intoxikation des Organismus annimmmt, welche im Zusammenhang mit
einer Störung oder Schwächung der Hautfunktion in grosser Aus¬
dehnung auftritt. Die degenerativen Veränderungen, welche durch
diese Autointoxikation hervorgerufen werden, kommen dann haupt¬
sächlich in der Linse zum Vorschein als einem Organ, welches mit
der Haut embryologisch verwandt ist.
B e c k - München: Ein Apparat zur Bestimmung der Sehschärfe
bei Verdacht auf Simulation. (Wschr. f. Ther. u. Hyg. d. Auges.
17. Jahrg. Nr. 30, 7. Mai 1914.)
Der Apparat besteht 1. aus einem Kasten, der 30 cm lang, 26 cm
hoch und 23 cm breit ist. Die Rückwand und mit ihr ein Teil
des Deckels ist so herabklappbar, dass sie eine Verlängerung des
Bodens bilden. Der Kasten ist so auf einem Fuss angebracht, dass
man, wenn man ihn auf einen Tisch stellt, bequem durch einen
Tubus in seiner vorderen Wand blicken kann. Der Tubus ragt aus
dieser etwa 8 cm weit heraus, sein längerer Teil, 25 cm, ist im
Kasten verborgen. Er besteht aus 2 ineinander verschiebbaren
Röhren, deren eine am inneren Ende einen Konvexzylinder von 5 D.,
deren andere einen Konkavzylinder von 5 D. trägt. Der innere
Durchmesser ist 9 cm. Durch den Tubus schaut man auf einen
kleinen geneigten Spiegel, der 10 qcm gross ist. Dieser Spiegel kann
um seine vertikale und horizontale Achse gedreht werden. Der
2. Teil des Apparates besteht aus einem grösseren runden Spiegel,
desssen Durchmesser etwa 28 cm beträgt, der am besten in einem
Porzellanlampenschirm verborgen mit der Spiegelfläche gegen den
Fussboden gerichtet, etwa 2% m über diesen von der Decke herab¬
hängt ganz in der Nähe eines Fensters.
2314
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 48.
Der Prüflins: sitzt mit dem Rücken gegen das Fenster, der
Kasten wird vor ihm aufgestellt und hiebei die Rückenwand geöffnet
und es erfolgt nun die Aufforderung, durch den Tubus zu schauen und
hiebei so lange an dem Okular zu drehen, bis die Schrift im Kasten
ganz deutlich gelesen werden kannn. Dies geschieht, wenn die
Achsen des Konvex- und Konkavzylinders sich decken. Zu Beginn
der Untersuchung bilden sie einen Winkel von 40°. Die Seh¬
prüfungszeichen befinden sich auf weissen Kartonblättern von 20 qcm
Grösse und sind darauf so angeordnet, dass sie nur deren Mitte in
einem Raum von 8 qcm Grösse bedecken. Man legt diese Blätter
auf die aufgeklappte Rückenwand, sie werden durch den grossen
Spiegel in den kleinen und von da ins Auge geworfen. Die Ent¬
fernung, in der gelesen wird, beträgt dann 4 m. Die Länge des Tubus
ist so ausgerechnet, dass man nichts anderes sehen kann als die
Schriftzeichen auf weissem Grunde. Es dürfen, was zur Erreichung
des Effektes unbedingt nötig ist, die Spiegelränder nicht gesehen
werden, dadurch ist es direkt unmöglich, herauszubekommen, dass
man in Spiegeln liest.
Levinson - Berlin: Ueber Schulen bzw. Klassen für Schwach¬
sichtige. (Sitzungsber. d. Berl. ophthalmol. Gesellschaft. Zbl. f.
Augenheilk. Mai 1914 S, 136.)
Trotz der umfangreichen Fürsorge, welche Staat und Kommune
der heranwachsenden Jugend nach jeder Richtung zuteil werden
lassen, geschieht für die schwachsichtigen Kinder zurzeit so gut wie
nichts. Man hat sich daran gewöhnt, diese Kinder in Normal¬
schulen unterzubringen, wo sie wegen ihres körperlichen Defektes'
überhaupt nicht oder nur schlecht vorwärts kommen, oder man
steckt sie in Blindenschulen, wo sie auf den noch vorhandenen
Sehrest Verzicht leisten und wie Blinde erzogen werden. Aus
diesem Grunde hat der Vortr. auf dem Blindenlehrerkongress in
Hamburg 1907 die Forderung aufgestellt, besondere Schulen bzw.
Klassen für Schwachsichtige einzurichten. Bisher hat er aber dafür
bei den massgebenden Körperschaften keinen Widerhall gefunden. —
Auf dem Kongress südwestdeutscher Augenärzte wurde nun über
eine seit 3 Jahren in Strassburg i. E. befindliche Schule für Schwach¬
sichtige berichtet, die sich ausserordentlich bewährt hat. Und ebenso
vorzüglich sind die Resultate einer zweiten im Eisass befindlichen
Schule, nämlich in Mülhausen. Im Hinblick auf die praktischen
Erfolge dieser Schulen sieht Vortr. die Entwicklung einer gleichen
in. der grössten Kommune Deutschlands, in Berlin, als ein direktes
Bedürfnis an und empfiehlt zunächst statistisch festzustellen, wie
gross das Material ist, das in Berlin für diese Schulen bzw. Klassen
in Frage kommt Er ist der Anschauung, dass sich dasselbe, selbst
wenn man nicht über eine Sehschärfe von Vio der normalen hinaus¬
geht, nicht als klein erweisen dürfte. Die Unterweisung in solchen
Schulen wird sich ohne Schwierigkeit dem körperlichen Defekt der
schwachsichtigen Kinder leicht anpassen lassen, insbesondere wird es
empfehlenswert sein, die Unterrichtsmethode der Maria Montes-
s o r i einzuführen, bei der in äusserst praktischer Weise die Er¬
lernung des Schreibens und Lesens neben dem Gesichtssinne durch
den Tastsinn unterstützt wird. Rhein.
Inauguraldissertationen.
Universität Berlin. Juli — September 1914.
Rokach Leiba: Beiträge zur Klinik der perniziösen Anämie.
F r a d k i n Moissej: Ueber die Zusammensetzung der gebräuchlichsten
Kreosotpräparate und ihre Wirkung.
Gr inberg Eliaser: Ueber einen Fall von Hernia sacralis.
Kohan Jeremias: Ueber die Milzexstirpation bei .perniziöser An¬
ämie.
Ksinski Siegfried: Medizinische und chirurgische Behandlung des
Ulcus duodeni.
Leon Curt: Die klinische Diagnose der engen Aorta.
Pionitzki David: Ueber die Behandlung des Krebses mit Auto¬
lysaten.
Unvcr rieht Walter: Beitrag zur Kenntnis von Magenblutungen
ohne anatomische Grundlage.
Wengerad Jankel: Fälle von Thrombose und Embolie nach gynä¬
kologischen Operationen.
Wittenberg Adolf: Zur Symptomatologie der Schläfenlappenge¬
schwülste.
Alpert Esther: Die Diagnose und Differentialdiagnose des Sand¬
uhrmagens.
Salem Mohammed: Ueber die Digitalis, ihre Glykoside und den
physiologischen Wirkungswert derselben.
Gold mann Lotte: Gibt es im Rückenmark Gedächtniserschei¬
nungen.
Lotz Auguste: Der partielle Riesenwuchs mit besonderer Berück¬
sichtigung des sogen sekundären, eine pathologisch-anatomische
Untersuchung.
1^ osenberg Hans: Versuche und Betrachtungen über den Purin¬
stoffwechsel (mit einer experimentell-kritischen Analyse der Ato-
phanwirkung).
Silbermann Elias: Ueber die ischämische Muskelkontraktur und
ihre Bedeutung.
Wilenkin B. : Tabes dorsalis und Trauma.
T osselmann E.: Zur Kenntnis der Eventeratio diaphragmatica
und der subphrenischen Abszesse.
Vereins- und Kongressberichte.
Aerztlicher Bezirksverein Erlangen.
(Eigener Bericht.)
209. Sitzung vom 30. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr J a m i n.
Schriftführer: Herr König er.
Herr F. Hauser: Vorführung der Z e i s s sehen Punktallinse.
Nach einer kurzen Besprechung der übrigen, für die Brillen¬
gläser weniger in Betracht kommenden Linsenfchler wendet sich der
Vortragende zur Erläuterung des Astigmatismus. Er demonstriert
hiebei Drahtmodelle, welche den Astigmatismus sowohl bei der
Brechung an ebenen Grenzflächen als auch bei der Brechung durch
Linsen veranschaulichen. Die 0 s t w a 1 d sehen und W o 1 1 a s t o n -
sehen Brillengläser suchen unter Beibehaltung kugelförmiger Be¬
grenzungsflächen den Astigmatismus dadurch auszugleichen, dass der
einen Begrenzungsfläche eine bestimmte Krümmung gegeben ist. Da
für die stärker brechenden Stargläser durch dieses einfache Mittel
der Astigmatismus nicht vollständig zu beseitigen ist, so hat C. Z e i s s
in Jena ein besonderes Starglas hergestellt, bei welchem zufolge
einer Anregung Gullstrands die eine der beiden Begrenzungs-
flächen eine asphärische Rotationsfläche ist. Bei dieser Zeissschen
Punktallinse ist der Astigmatismus bis zu sehr grossen Neigungs¬
winkeln gegen die optische Achse beseitigt. Deshalb ist es mit
einem solchen Glas dem Staroperierten wie einem Gesunden möglich
auch ohne Drehung des Kopfes nach der Seite (bzw. nach oben
und unten) zu blicken.
Der Vortragende führt an Hand von Vergleichsaufnahmen und
mittels eines von Z e i s s gebauten und zur Verfügung gestellten
kleinen Demonstrationsapparates die Wirkungsweise einer Punktal-
linse im Vergleich zu der einer gewöhnlltlien gleich starken Sammel¬
linse vor.
Diskussion: Herr K ü m m e 1 1.
Herr Königen Ueber Myasthenie.
K. demonstriert ein 20 jähriges kräftiges Mädchen (B. B„ Korb¬
macherstochter in S.) mit schweren myasthenischen Erscheinungen,
die vor % Jahren mit Herabsinken der oberen Augenlider schleichend
begonnen und sich seitdem allmählich auf Arme und Beine ausge¬
breitet haben. Z. Z. besteht beiderseits deutliche Ptose, Ophthalmo-
plegia externa, maskenartige Starre der Gesichtsmuskulatur, ausser¬
dem grosse Ermüdbarkeit in der Muskulatur des Rumpfes und der
Extremitäten, insbesondere in den Nacken-, Schulter- und Hüft-
muskeln. ferner eine anhaltende hochgradige Schwäche in den
Interkostalmuskeln und im Zwerchfell. Am frühen Morgen ist die
Rat. gewöhnlich fähig allein zu gehen und die Arme zu erheben, aber
die Kraft nimmt rasch ab und nach relativ geringer Inanspruch
nähme steigert sich die Ermüdung bis zu dem Bilde der völligen
schlaffen Lähmung Dabei keine wesentliche Atrophie, keine Ent¬
artungsreaktion. Nirgends Hypertonie, normale Sehnenreflexe, er¬
haltene Haut- und Schleimhautreflexe, bisweilen eine Andeutung von
B a b i n s k i schein Zehenreflex. Keine Gefühlsstörung, auch keine
Schmerzen, keine Blasen-Darm-Störung.
In der Aszendenz und der eigenen Vorgeschichte der Pat. früher
niemals nervöse Störungen. Dagegen erscheint besonders beachtens¬
wert, dass die Pat. von früher Kindheit an bis zum 15. Lebensjahre
oft an Atemnot, zugleich mit Hustenreiz und Druck vorn auf der
Brust gelitten hat: diese Atembeschwerden traten ziemlich regel¬
mässig alle 4 Wochen auf, die Pat. konnte dann einige Tage nicht
viel laufen (Asthma thymicuml). Die Periode trat zum ersten
Male im 19. Lebensjahre ein, blieb dann noch ein Jahr aus, erst
seit dem 20 Lebensjahre kam sie ziemlich regelmässig.
Im Blutbild zeitweise leichte Lymphozytose. Eine Erkrankung
endokriner Drüsen klinisch nicht nachzuweisen, insbesondere kein
sicheres Zeichen einer Thymusvergrösserung. Trotzdem ist eine
enge Beziehung der Myasthenie zu den innersekretorischen Organen,
spez. zum Thymus und zu den Nebenschilddrüsen sehr wahrschein¬
lich. Leider ist die Abderhaldensche Reaktion gerade
beim Thymus noch nicht verwertbar. Die von Herrn R. Paulus
im Laboratorium der med. Klinik 2 mal ausgeführte Reaktion fiel mit
Gehirn, Rückenmark, Nerven, Muskeln, Schilddrüse, Pankreas, Neben¬
nieren, Ovarium, Leber negativ aus, ganz allein Thymus wurde
stark abgebaut. — Unter Röntgenbestrahlung der Thymus¬
gegend wurde übrigens eine merkliche Besserung der myasthenischen
Symptome beobachtet.
Die elektrische Untersuchung ergab eine sehr ausgeprägte mya¬
sthenische Reaktion, mit gradueller Abhängigkeit von der Unter¬
brechungsfrequenz. Die elektrische myasthenische Re¬
aktion unterscheidet sich nach den Erfahrungen des Vortragenden
nur quantitativ von den Ermüdungsreaktionen bei anderen In¬
dividuen, insbesondere bei anderen jugendlichen „nervösen“ Asthenic-
formen. Wird dadurch die diagnostische Bedeutung der mya¬
sthenischen Reaktion eingeschränkt, so kann durch eben diese Ueber-
gange die Myasthenie als Krankheitszustand nur an allgemeinem
Interesse gewinnen.
Diskussion: Herren Kleist, Penzoldt, Jamin.
Hauser.
1. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2315
Herr K ü m m e 1 1 bespricht die Pulsationen der Netzhautgefässe,
die er im Q u 1 1 s t r a n d sehen Ophthalmoskop beobachtete. Wäh-
rend der Arterienpuls bisher meist als pathologische Erscheinung
angesehen wurde, lässt er sich auch in den meisten, wenn nicht
dien normalen Fällen nachweisen und zwar bis in die feinsten Aeste
Jer Makulagegend. Auch der Venenpuls, beginnend von den feinsten
\csten bis zu dem Stamm der Zentralvene, ist physiologischer Weise
u beobachten und zwar ist der Venenpuls abhängig von der vorher¬
gehenden Systole des Herzens. Der früher sog. physiologische
Venenpuls auf der Papille ist nichts anderes als der gleiche Puls, wie
er sich an den übrigen Venen findet, nur modifiziert durch die ana¬
tomischen Verhältnisse an der Exkavation. Der ganze Venenpuls ist
als zentripetal aufzufassen und spielt sich so ab, dass unmittelbar
nach der Systole eine schnelle Erweiterung, daran anschliessend
eine langsamere Verengerung eintritt, die meist präsystolisch zur
liichsten Systole fällt. Der Venenpuls hat so den gleichen Rhythmus
wie der Arterienpuls, durch den er indirekt hervorgerufen wird.
Herr Seit/, und Herr Wintz: Lieber die biologische Funktion
des Corpus luteum, seine chemischen Bestandteile und deren thera¬
peutische Verwendung bei Störungen der Menstruation.
Der Vortrag ist in Nr. 30 und 31 dieser Wochenschrift erschienen.
Diskussion: Herren Toenniessen, Wintz, Spuler,
P e n z o 1 d t, J a m i n, K r e u t e r.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. NI.
(Offizielles Protokoll.)
1687. ordentliche Sitzung vom 5. Oktober 1914,
Abends 7 Uhr im Sitzungssaal.
Vorsitzender: Herr Quincke.
Schriftführer : Herr B a e r w a 1 d.
Herr E. Goldschmid: Pathologisch-anatomische Demonstra-
ionen.
1. 11 Todesfälle von Soldaten, davon 7 Tetanus (63,6 Proz.).
:iner hatte tetanische Symptome, die zurückgingen, und starb dann
in Sepsis. In 6 Fällen terminale Pneumonie oder Bronchopneumonie,
n allen Fällen mehr weniger grosse Verfettung von Myokard und
'deren, ln allen Fällen verschieden hochgradige Hyperämie der
nneren Organe, speziell der Lungen und des Gehirns. Ebenfalls in
illen Fällen auffallend hohes Gehirngewicht (im Durchschnitt 1516 g).
fon wichtigeren Nebenbefunden sind notiert bei einem aus Südfrank¬
eich stammenden Soldaten ein grosser Leberabszess und bei dem-
clben ein Gehirnabszess nach oberflächlich verheilter Bajonettver-
etzung der Schädelkapsel. Weiter eine Darmphlegmone durch Urin-
nfiltration nach Harnröhrenzerreissung durch Kugelschuss. In einem
'alle eine klinisch symptomlos gebliebene diphtherische Kolitis. Einer
:ing an eitriger Meningitis bei Hirnabszess zugrunde.
2. 9 Herzen mit frischer Endokarditis: verrucosa, thrombotica
ind ulcerosa. 2 der verrukösen Endokarditiden mit wesentlich
arietalen Veränderungen. 2 Aneurysmen bei Mesaortitis syphilitica,
ine höchstgradige Adipositas und eine höchstgradige Aortensklerose
lit aneurysmatischer Ausbuchtung der Aorta.
3. 6 Fälle mit Uterusveränderungen: ein gewöhnlicher, sehr
rosser Plazentarrest, ein puerperaler Uterus mit eitriger sperma-
ischer Thrombose nach Abort. Eine Puerperalsepsis mit grossem
luchigen Abszess der Symphysengegend bei septischer Parametritis
vereiterter Thrombus der Vena cava). Exitus 1 Monate post abor-
um. Seit 2 Jahren bestehendes, seit 10 Monaten (angeblich) bestrahl-
es Uteruskarzinom mit ausgedehntester Metastasierung im ganzen
lörper. Polypöses Portiokarzinom. Maligner „embryonaler Uterus-
umor“.
4. Diabetische Gangrän des Penis (45 Jahre), Tod im Koma.
5. Arthritis urica: Kniegelenke und grosse Zehe (Tod an Lungen-
imor), 63 Jahre. Zirkumskripte Arthritis deformans des Femurkopfes
iner 54 jährigen Frau (Tod an Lungentumor).
Herr Hanau: Schussverletzung der Nase.
Der Mann, den ich Ihnen hier vorstelle, wurde am 28. August bei
edan 2 mal verwundet. Er erhielt eine Infanteriegeschossverletzung
m linken Oberarm mit Durchbohrung des M. biceps, welche aber hier
icht in Betracht kommt. Die zweite Verwundung wird in dem von
im mitgebrachten Krankenblatt als „Streifschuss“ im Gesicht be-
eichnet.
Es findet sich etwa querfingerbreit unter dem linken Augen-
d, mit diesem gleichlaufend eine etwa \ 'A cm lange, auf der Unter-
ige festhaftende, rötliche, linienförmige Narbe. Unter der Haut des
echten Nasenflügels lässt sich ein kleinerbsengrosser, harter,
andlicher Fremdkörper, über dem die Haut verschieblich ist. ab-
istcn. Die Untersuchung der Nasenhöhle ergibt sowohl rechts wie
nks je eine massige Verwachsung von Nasenflügel. Scheidewand und
nterer Muschel miteinander zu einer breiten Brücke, mit Freilassung
: einer kleinen Oeffnung vorn und hinten. Die Nasenatmung ist da-
urch sehr erheblich behindert. Nachts kann der Mann überhaupt
icht durch die Nase atmen.
Herr Neuberger, dem ich den Fall gezeigt habe, ist mit mir
er Meinung, dass die Brücken gespalten und wenn möglich das Ge¬
noss. wahrscheinlich ein Granatsplitter, von der rechten Nasenhöhle
ns entfernt werden sollen.
Die mittels Films hergestellte Röntgenaufnahme, welche vor¬
gezeigt wird, lässt das kleine Geschossstück deutlich erkennen.
Diskussion: Herr V o h s e n.
Herr Neuberger: Das Geschoss hat ein Hämatom des Sep¬
tums erzeugt. Die Mukosa, die rund sich an die beiden unteren
Muscheln anlcgte, verwuchs mit den Muscheln und hat zu einer hoch¬
gradigen Atresie der Nase geführt. Die Verwachsungen sollen ge¬
trennt und die Nasenatmung wieder ermöglicht werden. Es ist mög¬
lich, dass das Geschoss dann frei zutage liegt.
Herr Siegel.
Herr Gr «edel: Lungenschüsse im Röntgcnbild.
Diskussion: Herr Siegel.
Herr Braun: Aetlologie der Dysenterie. (Mikroskopische De¬
monstration.)
Vortragender bespricht das bakteriologische und serologische
Verhalten der verschiedenen Dysenteriebazillentypen (Shiga-Kruse.
Flexner, Y, Strong) und die Bedingungen, unter denen die Verbrei¬
tung der Ruhr erfolgt; die Rolle der Kranken, der Bazillenträger und
Dauerausscheider, des Trink- und Badewassers.
Diskussion: Herren Quincke, Cahen-Brach,
v. W i 1 d.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vorn 17. November 1914.
Vorsitzender: Herr Brauer.
Herr S. Goldschmidt: Hühnereigrosses pulsierendes Aneu¬
rysma spurium am Halse, durch Schrapnellverletzung der Karods
bedingt: Verwundung am 1. XI. Operation beabsichtigt.
Herr Weygand t: „Kriegspsychosen“ im eigentlichen Sinne
gibt es nicht. Die Geisteskrankheiten stellen im Wesentlichen eine
durch die Kriegsaufregungen und Strapazen bedingte Auslösung vor.
Anlagen zu Psychosen dar, die offenbar vorher schon bestehen. De¬
monstration von 7 Fällen: Hysterische Psychosen, Dementia praecox,
Erschöpfungsdelirien, psychische Störungen bei Epileptikern, Alkohol¬
psychosen.
Herr Plaut h: Bakteriologische Prüfung der zur Sterilisation
des Trinkwassers im Felde empfohlenen Mikrozidtabletten (W e i t z)
ergab, dass die Wirkung nicht grösser ist. als die Wirkung der
Säuren überhaupt. Bei Cholera tritt eine sofortige Keimvernichtung,
bei Typhus nur eine 80 Proz., bei Dysenterie 50 Proz. betragende
Entwicklungshemmung ein. Es sind also auch diese Tabletten nicht
für den Gebrauch der Truppen zu empfehlen.
Herr Oehlecker: 4 Fälle von falschen Aneurysmen. Be¬
sprechung der Diagnose: Verwechslung mit Abszess, Phlegmone usw
Therapie: Wenn angängig früh operieren; längere Zeit nach der Ent¬
stehung Ligatur oder Gefässnaht mit Venenimplantation oder gleich¬
zeitige Unterbindung von Arterie und Vene je nach Art des Falles.
Herr Nonne hat in wenigen Wochen 27 Fälle vqn peripheren
Nervenverletzungen durch Geschosse gesehen. Demonstration von
bemerkenswerten, seltenen Fällen: 1. Isolierte Radialislähmung durch
Trauma der Achselhöhle, das offenbar gerade an der Stelle ein¬
wirkte, wo der Radialis aus dem Plexus sich isoliert. 2. Absolute
Durchtrennug des Nervenstammes des Radialis am typischen Um¬
schlagspunkt am Oberarm, Nervennaht. 3. Medianuslähmung.
4. Peroneuslähmung.
Herr Plate: a) Dumdumverletzung der Hand mit dem zuge¬
hörigen Geschoss und einem Röntgenbild, das die absolute Intaktheit
der Knochen zeigt.
b) Gelenkversteifung nach Schüssen in die starke Muskulatur
der Extremität. Erklärung: Lymphstauung. Reflektorische Vorgänge.
In Narkose gelingt die Bewegung im Gelenk tadellos.
Diskussion über Tetanus:
Herr Rumpel empfiehlt eine Antitoxinbehandlung in Fällen ein¬
zuleiten. in denen durch ein Thierexperiment schon früher die In¬
fektion festgestellt werden kann, als die tetanischen Krämpfe beim
Verwundeten auftreten.
Herr Jacobsthal macht auf das Vorkommen von Tet.-B. im
Penghavar Yambi aufmerksam. Es gibt Tetanusbazillenträger. In
den modernsten Lazarettzügen sind bakteriologische Institute vorge¬
sehen. Die Heeresverwaltung hat jetzt genügend Pferde zur Ver¬
fügung gestellt, um die nötigen Serummengen zu gewinnen. Be¬
sprechung der Schutzimpfungsmöglichkeit und der therapeutischen
Becinflussbarkeit durch Salvarsan und Ultraviolettbestrahlung.
Ueber diese letzteren sehr erfolgreichen Versuche berichten:
Herr Tamm.
Herr Kotzenberg hat 21 Fälle gesehen, von denen 13 starben,
die Prognose ist von der Inkubationsdauer und der Ausdehnung der
Inkubation abhängig.
Herr Roth fuchs hat 6 Fälle — 4 schwere, 2 mittelschwer, —
mit Salvarsan behandelt und nur einen Todesfall. Ihm scheint das
Salvarsan empfehlenswert.
Fortsetzung in der nächsten Sitzung. Werner.
2316
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 48.
Aerztlicher Kreisverein Mainz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. Oktober 1914.
Herr Hans Curschmann demonstriert 1. einen Fall von
F r i e d r e i c h scher Ataxie, der, wie in Rheinhessen nicht ganz
selten, sporadisch, ohne familiäre Erkrankung auftrat. Beginn
in frühester Kindheit, ganz allmähliche Progression der spastischen
Ataxie, der Sprachstörung, leichter mimischer Störungen zusammen
mit seltenen echten epileptischen Anfällen. Zur Zeit Pupillen, Augen¬
hintergrund, Gesichtsfeld, alle Hirnnerven bis auf leichte mimische
Fazialisschwäche intakt; leichtes Skandieren und Stolpern beim Spre¬
chen. Mässige spastische Ataxie, Hyperreflexie der U. E. mit Ba-
binski; Bauchdecken- und Kremasterreflexe normal. Hochgradige
Ausbildung des Pes varo-equinus, „F r i e d r e i c h scher Fuss“ Seit
früher Jugend. — Abgrenzung dieser mit Hyperreflexie einhergehen¬
den Fälle, vor allem von der multiplen Sklerose ist nicht immer
leicht; Beginn in frühester Jugend, allmähliche Progression, Erhalten¬
bleiben der Bauchdeckenreflexe, F r i e d r e i c h scher Fuss uam.
sprechen für die Diagnose der Friedreich sehen Systemerkran¬
kung. C. kritisiert die allzu schematischen Sonderformen von
Pierre Marie u. a.; fliessende Uebergänge zwischen den spinalen
und zerebellaren Formen sind die Regel.
2. Einen Fall von rezidivierendem spastischen Darmverschluss,
momentan geheilt durch Hormonal und hohe Einläufe. Der 56 jähr.
Herr, Gichtiker, leidet seit 10 Jahren an seltenen, heftigen diffusen
Bauchkoliken, die mit kurzdauernder totaler Retention flatuum et
faecium einhergehen. Vor der Spitalaufnahme 3 Tage lang Fehlen
der Flatus und Defäkation. Enormer Meteorismus (obere Leber¬
dämpfung III. Rippe), heftiger Schmerz spontan (auf Druck gering).
Bruchpforten und Rektum frei. Kein Fieber. Starker Singultus.
Blutdrucksteigerung auf 185 mm Hg. So qualvoller Zustand, dass
Pat. um 5 Uhr früh in die Klinik gebracht wird. Mannigfache
Abführmittel, Klystiere etc. bisher ohne Erfolg.
Therapie: Mittags 20,0 Hormonal, nachmittags hoher
Einlauf mittels Kugelsonde. Um 8 Uhr abends Entleerung enormer
Stuhlmengen und Flatus, ca. 8 Stühle hintereinander. Leib ent¬
spannt, kein Schmerz mehr. Blutdruck 150 R.-R. — Am nächsten
Morgen ab und zu noch kolikartiger Schmerz, auf Belladonna und
Morphium Besserung. Blutdruck 135 R.-R.
C. stellt die Diagnose des spastischen, nicht groborganisch be¬
dingten Darmsverschlusses (abgesehen von der Länge der Krank¬
heitsdauer) auf Grund der Hypertension des Blutdruckes. Es ist das¬
selbe Symptom, das sich bei den Splanchnikuskrisen, bei Tabes,
Bleivergiftung und vielleicht auch manchmal bei Nephritis und Aorten¬
erkrankungen findet.
Der Fall zeigt ausserdem, wie stark das Hormonal (Zuelzer)
auch bei exquisit spastischen Darmlähmungen wirken kann; die¬
selbe Erfahrung machte C. ganz regelmässig bei schweren Obsti¬
pationsfällen infolge von Bleivergiftung. Die Wirkung des Mittels
hat in diesen Fällen auffallende Aehnlichkeit mit der des Atropins, es
wird auch wohl denselben Angriffspunkt am Darm haben (vergl.
die peristaltikanregende Wirkung des Atropins auf den
Auerbach sehen Plexus nach R. Magnus).
3. C. berichtet über eine in dem Mainzer Vorort Mom-
bach kurz nach der Mobilmachung ausgebrochene
Typhusepidemie, die lei der starken Truppenansammlung im
Festungsbereich ree!;.1 unangenehm schien, aber ausserordentlich
rasch durch Isolierung der Kranken erstickt wurde. Eine Karte
zeigt, dass der htrd der Krankheit ein ziemlich eng begrenzter,
etwa 4 Strassen umfassender ist. Eine Nahrungsmittel- oder
rrinkwasserinfektion war nach den ausgeführten Untersuchungen
fast auszuschliessen. Die Untersuchung von 54 Personen auf Ba¬
zillenträger verlief negativ, trotzdem einige von ihnen Typhus über¬
standen hatten und als Nahrungsmittelhändler des „Bazillentragens“
verdächtig waren. Trotzdem glaubt C. bei der ganzen Art und dem
chronischen, zeitweise exazerbierenden Charakter der Typhus¬
morbidität in M. an irgend einen okkulten Bazillenträger, z. B. in
der Familie eines Wirtes, in der notorisch seit über 25 Jahren
immer wieder Typhusfälle verkommen. — Leider ist es noch nicht
gelungen, Bazillenträger mit Sicherheit von ihren Bazillen zu be¬
freien; auch die Exstirpation der Gallenblase ist kein sicheres Mittel.
Die Hauptsache ist immer : die zwangsweise rigorose Er¬
ziehung des Bazillenträgers zur Sauberkeit und Desinfektion seiner
Entleerungen und seine Entfernung aus einem Beruf der Lebensmittel¬
abgabe oder -bereitung.
Eine Reihe der Kranken bezeichnete sich nicht als krank, war
es aber, wie klinisch und serologisch erwiesen wurde; sie hatten
bisher den Typhus ambulant durchgemacht, z. B. eine 64 jährige
Frau als Emphysembronchitis, ein 20 jähr. Mann als „Influenzarekon¬
valeszent“; ein 25 jähr. Mann kam mit der Angabe der Hämoptoe,
durchwanderte die Differentialdiagnose „zentrale Pneumonie“, bis
schliesslich Kurve, Verlauf und Leukopenie den Typhus wahrschein¬
lich machten, der auch serologisch bestätigt wurde. — C. bespricht
die ausserordentliche Wichtigkeit der Leukopenie für die Dia¬
gnose des Typhus (beim Versagen der serologischen und — so häufig
— der bakteriologischen Untersuchung).
Weiter demonstriert C. Kurven von typischem senilen
Typhus mit andauernd subfebrilen Temperaturen und relativer Tachy¬
kardie, weiter den ausserordentlich seltenen Fall eines rein kriti¬
schen Temperaturabfalls nach Febris alta continua bei Fortbestehen
einiger anderer klinischer Symptome, z. B. Durchfälle, schliesslich den
Fall eines Meningismus typhosus bei 3 jähr. Kind mit
vorübergehender schlaffer Lähmung eines Armes (Pseudo¬
poliomyelitis); restlose Heilung.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 28. Mai 1914.
Vorsitzender: Herr Kraus.
Schriftführer: Herr Wilhelm V o i t.
Herr Wilh. Volt: Demonstration einer Röntgenphotographie
des Magens mit grossen Füllungsdefekten.
Interessant ist, dass Pat. trotz der grossen Zerstörung des
Magens und der extremen Abmagerung vor 2 Monaten ein normales
Kind geboren hat; die erstmals im Sommer 1913 aufgetretenen Magen¬
beschwerden wurden von Pat. mit der damals beginnenden Schwan¬
gerschaft erklärt.
Herr Steinhardt: Epidemiologisch-kasuistisches über Diph¬
therie.
1. In einer unteren Volksschulklasse erkrankten und starben
innerhalb 14 Tage 3 Kinder an Diphtherie, die, soweit sich nach¬
träglich feststellen liess, sämtlich nicht mit Heilserum behandelt wor¬
den waren. Die bakteriologische Untersuchung ergab unter den 45
übrigen Kindern der Klasse 2 Bazillenträger; diese wurden sofort aus¬
geschieden, blieben Monate hindurch, solange die Untersuchung posi¬
tiv ausfiel, der Schule fern, vom Augenblick ihres Ausschlusses an ist
ein weiterer Diphtheriefall in der Klasse nicht vorgekommen.
2. In einer Familie erkrankte im Februar 1913 ein 1 jähriges
Kind an typischem Kehlkopfkrupp, der trotz seiner Schwere unter
Heilserumbehandlung glatt verlief; 2 Geschwister wurden immunisiert
und blieben verschont. Im Januar 1914 erkrankte die Mutter an
Rachendiphtherie, die vom Hausarzt erfolgreich mit Heilserum be¬
handelt wurde; eine neuerliche Immunisierung der Kinder unterblieb
auf Wunsch des Vaters. Ein Zusammenhang der beiden Krankheits¬
fälle dürfte bei der langen Zwischenzeit auszuschliessen sein; auch
hatte die Familie inzwischen eine neue Wohnung bezogen, und die
alte war desinfiziert worden. Anfangs April d. J. erkrankte der
4 jährige Knabe an Kehlkopfkatarrh, dessen bakteriologische Unter¬
suchung — Frau Dr. Rodler — fast Reinkultur von Diphtherie¬
bazillen ergab, wenige Tage danach die beiden Geschwister (Zwil¬
linge), von denen der eine im Februar 1913 bereits an Kehlkopfkrupp
erkrankt gewesen, der andere immunisiert worden war, und fast zu
gleicher Zeit der kleine Sohn einer befreundeten Familie, ebenfalls
mit positivem bakteriologischen Befund. Sämtliche Kinder, bei denen
übereinstimmend die Rachenorgane dauernd frei blieben, genasen
unter Heilserumbehandlung, obwohl bei den Zwillingen sehr schwere
Anaphylaxieerscheinungen (hohes Fieber, Urtikaria, Kollapszuständc)
aufgetreten waren. Nach völliger Genesung wurden von den Er¬
krankten, ihren Eltern und dem Dienstpersonal Abstriche gemacht,
sämtlich mit negativem Ausfall mit Ausnahme der etwa Ya Jahr vor¬
her an Diphtherie erkrankt gewesenen Mutter, sie zeigte positiven
Befund und dürfte daher als Dauerausscheiderin mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit die Quelle der Infektion gewesen sein.
Filixextrakt und Rizinusöl.
Zu dem Aufsatz von Dr. F. Schotten „Tödliche Filix-
vergiftung bei einem klinisch latenten Morbus
Addisonii“ in Nr. 44 d. W., in dem vor der Kombination von
Rizinusöl mit Extr. Filicis gewarnt wird, wobei Sch. sich ausdrück¬
lich auf das Dieterich- Helfenbergsche Bandwurmmittel bezieht,
schreibt uns die Chemische Fabrik Helfenberg A.G., es
sei durch die bisher beobachteten Fälle von Filixvergiftung absolut
kein Beweis geliefert, dass gerade das Rizinusöl der Verbrecher sei.
Es sei nur beobachtet, dass bei gleichzeitiger Gabe von Filixextrakt
und Rizinusöl zusammen in vereinzelten Fällen Vergiftungserschei¬
nungen auftraten. Nur der eine Beweis sei geliefert, dass eben Filix¬
extrakt ein stark wirkendes Medikament ist, das nur bei wirklich
gesunden Personen ohne weiteres, bei kranken Menschen aber
mit Vorsicht angewendet werden soll. Der Fall Schotten
zeigt, dass Filixextrakt bei Morbus Addisonii kontraindiziert ist; auch
wäre nötig gewesen, hervorzuheben, dass das Mittel falsch, ent¬
gegen der Anweisung eingenommen wurde und das Extrakt unnötig
lange im Körper verblieb. Das Helfenberger Bandwurmmittel wurde
seit über 10 Jahren in gering gerechnet 5 Millionen Fällen mit treff¬
lichem Erfolg verschrieben, und es liege der Schluss nahe, dass ge¬
rade die Kombination von Rizinusöl und Extrakt den Wert des
Mittels ausmacht.
„In dem Moment, wo in vielen Fällen einwandfrei erst einmal
nach gewiesen wird, dass wirklich das Rizinusöl der schul¬
dige Teil ist, werden wir die ersten sein, die von dieser Kombination
Abstand nehmen.“
1
Schriftleitung: Dr. B. Spatz,
München, Amulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. r. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 48. 1. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 17.
Aus dem Reservelazarett B Marsfeldschule München.
Ueber Lungenschüsse.
ron Dr. med.. Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern.
Bei den Lungenverletzungen, die in unserem Lazarett zur
Beobachtung gelangten, konnten wir hauptsächlich drei
’ormen beobachten :
1. Sagittale Thoraxdurchschüsse mit meistens gut ver-
eilenden Einschüssen und Ausschüssen.
2. Durchschüsse mit Einschuss am Oberarm oder dem
•chultergelenk. Ausschuss an der hinteren oder vorderen
'horaxseite.
3. Steckschüsse. Das Geschoss steckt im Lungengewebe
der bei Flüssigkeitsansammlung manchmal am Boden der
lüssigkeit direkt auf dem Zwerchfell, wie bei einem Falle
us der Röntgenaufnahme einwandfrei zu sehen ist. Die Er-
cheinungen bei diesen drei Formen sind die gleichen. Die
chwere des Krankheitsbildes und des Allgemeinbefindens ist
ei allen Lungenverletzungen von zwei Faktoren abhängig:
) von dem Zustandekommen eines Pneumothorax, b) von der
irösse der Blutung in die Pleurahöhle.
Wenn ein in die Pleurahöhle eindringendes Geschoss das
inströmen von Luft ermöglicht, so retrahiert sich das
lastische Lungengewebe, es bildet sich ein Pneumothorax.
;ei den Verwundeten, die in unsere Pflege kamen, hatten wir
s nur mit geschlossenem Pneumothorax zu tun. Die Kom-
mnikation mit der Aussenluft war durch Verschorfung oder
erklebung des Wundkanals nicht mehr vorhanden. Ein
lerapeutisches Eingreifen war nie indiziert, da der Pneumo-
lorax meist in einigen Tagen, ohne dass es zu beträchtlicher
törung der Atmung kam, verschwunden war. Die bei weitem
'lgenschwerere Komplikation der von uns beobachteten
ungenverletzung ist die fast ständig vorhandene Blutung in
e Pleurahöhle — der Hämatothorax. In den meisten Fällen
urde auch hier die Blutung im Verlaufe des Lazarettaufent-
dtes resorbiert. Die Temperatur war während der Resorp-
anszeit um einige Striche erhöht! Jedoch fühlten sich die
atienten ausser manchmal auftretenden stechenden Schmer-
:n ganz beschwerdefrei. Die Heilung ging glatt vonstatten,
iese schön verlaufenden Fälle könnten einen verleiten, die
jngenverletzungen, soweit nicht lebenswichtige Gefässe ge-
offen werden, überhaupt als gutartige Verletzungen zu be¬
achten, bei denen jedes chirurgische Eingreifen ein Künst¬
ler wäre. Dass dem nicht ganz so ist, zeigen einige unserer
die, von denen ich zwei ganz besonders hervorheben möchte.
Fall 1. Lungendurchschuss. Einschuss an der rechten Thorax-
ite oberhalb des Sternoklavikulargelenkes. Ausschuss rechts
iten unten in der Höhe des 9. Brustwirbels. Ausschussstelle gut
rschorft. Aus der Einschussstelle entleert sich dicker rahmiger
ier. Temperatur 37 — 38 °. Atmung sehr beschleunigt, rechte Seite
merRl*cb zurück. Perkutorisch: Absolute Dämpfung bis zur
Rippe, Stimmfremitus aufgehoben. Oberhalb der absoluten Dämp-
ig tympanitischer Schall. Atemgeräusch über der gedämpften
•eile kaum vernehmbar, vesikulär. Die Temperatur des Patienten
eg in den nächsten Tagen bis 39°. Eine Probepunktion ergab dicke
üige Flüssigkeit, aber keinen Eiter, obwohl sich aus der Ein-
lussstelle immer noch dicker Eiter entleerte. Oberstabsarzt Dr.
■ ' e c k e, der zu Rate gezogen wurde, erweiterte die Einschussstelle,
P den Eiterabfluss zu erleichtern. Trotzdem blieb die Temperatur
• f der gleichen Höhe; die Dyspnoe wurde immer stärker. Wir ent-
• llossen uns nun doch zu einer Rippenresektion, obgleich wiederholt
obepunktionen eine Vereiterung des Hämatothorax nicht ergeben
hatten. Es wurde ca. 13T Liter übelriechende, jauchende, dunkel¬
braune, mit Fibrinflocken untermischte Flüssigkeit entleert. Nach
der Operation subjektive Erleichterung. Abnahme des Fiebers und
fortschreitende Besserung.
Fall 2. Lungensteckschuss. Verschorfter Einschuss, Geschoss
röntgenologisch dem Zwerchfell aufliegend. Patient kommt vom
Kriegslazarett. Da die Temperatur immer höher stieg, die Dyspnoe
für den Patienten unerträglich wurde, entschlossen wir uns auch hier
zur Rippenresektion und konnten über einen Liter faulige, nach
Schwefelwasserstoff riechende, dunkelbraune Flüssigkeit entleeren.
Vom Tage der Operation an Entfieberung und fortschreitende Besse¬
rung.
Diese Fälle zeigen, dass die konservative Behandlung des
Hämatothorax nicht immer durchzuführen ist, sondern dass
man, wie dies ja beim Empyem selbstverständlich ist, auch
beim verjauchenden Hämatothorax mit einem chirurgischen
Eingriff nicht zögern soll.
Vom östlichen Kriegsschauplatz.
lieber die Verwendung von Dumdum- und dumdum¬
ähnlichen Geschossen seitens des russischen Heeres
und über dumdumverdächtige Schussverletzungen.
Auf Grund eigener Beobachtungen
von Prof. P. L. Friedrich, Direktor der Kgl. chirurgischen
Universitätsklinik Königsberg, beratender Chirurg des I. (ost-
preussischen) Armeekorps.
Die im folgenden wiedergegebenen Beobachtungen be¬
schränken sich auf solche, wie sie im Kampfbereich des
I. Armeekorps erhoben werden konnten. Da dieses Korps
aber während des bisherigen Krieges wohl am meisten von
allen Korps der Ostarmee im Kampf mit dem russischen
Gegner gestanden hat, mit Petersburger, Wilnaer, Kownoer,
Grodnoer, Warschauer Truppen, sowie solchen aus dem
Innern Russlands, auch solchen des Kaukasus, Sibiriens und
Turkestans, dürften unsere Erfahrungen einen allgemeineren
Wert beanspruchen.
I.
Schon in den Grenzkämpfen der ersten Augusttage ge¬
langte ich vielfach in den Besitz von basis hohlen Ge¬
schossen, d. h. solchen, wo am Boden des Spitzgeschosses eine
3 mm tiefe Aushöhlung des Bleikerns in Kegelform sich fand.
a b
v Figur 2. In der Mitte durchbrochenes
Oechoss. Teilmantelgeschoss mit freige-
Figur 1. Basis-hohles Spitzgeschoss bei lassenem Bleiring?
einem Teile der russischen Infanterie.
Die Kegelspitze der basalen Aushöhlung war von ungleicher
Breite bei den verschiedenen Geschossen. Dass diese Ge¬
schosse durch eine besondere, stärkere Wirkung ausgezeichnet
wären, kann nicht behauptet werden; es kamen mir weder
2318
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. -IS.
Projektile mit extremer Deformierung zu Gesicht, noch auch
waren sie in Patronen von besonderer Durchschlagskraft ein¬
gefügt. Vielmehr überraschte oft die geringe Durch¬
schlagskraft, so dass — selbst bei Entfernungen von 300 bis
350 m — sehr häufig das Geschoss im Körper stecken blieb,
auch ohne dass es an Knochen Widerstand gefunden hatte.
Kaum mehr in der neueren Zeit für möglich gehaltene Ringel¬
schüsse kamen daher wiederholt zur Beobachtung. So zeigte
im Gefecht bei Kowallen (14. VIII,), wo ich die Verwundeten
unmittelbar vom Gefechtsfeld unter die Hände bekam, ein
Soldat den Einschuss unter der Spitze des linken Schulter¬
blattes, während das Projektil unter der Haut um den Rücken
herumgelaufen war und sich über der Mitte der rechten
Leistenbeuge unter der Haut fand, wo es von mir, weil es hier
sehr starke Schmerzen verursachte, sofort entfernt wurde.
Es war ein solches Spitzgeschoss, welches an der Basis, wie
oben geschildert, ausgehöhlt, im übrigen nicht deformiert war.
Der Mann bot keinerlei Erscheinungen innerer Verletzung. Er
hatte den Schuss als liegender Schütze mit stark ge¬
drehtem Körper erhalten und heilte reaktionslos.
II.
Mehrere von mir aus dem Körper Verwundeter entfernte
Geschosse zeigten eine quere oder schräge Halbierung in ihrer
Mitte, mit oder ohne abgestreiftem Mantel über der Spitzen¬
hälfte des Projektils. Sie Hessen die Vermutung aufkommen,
dass sie von Geschossen herstammten, wo Spitze und Basis
von Mantel umkleidet war, während dazwischen ein mantel¬
loser Ring geschaffen worden war. Diese Geschosse zeigen
bekanntlich nach Kranzfelders ausgezeichneten Ver¬
suchen eine geringere Stauchung, biegen sich aber im Blciring,
brechen hier auseinander und schlagen nun mit grösserem
Querschnitt auf. Auch sie haben eine viel intensivere Wirkung
als das Vollmantelgeschoss, „bewahren aber wegen der
mantclgedeckten Spitze eine grössere Stetigkeit des Fluges
und eine viel bessere Treffsicherheit, die der des Vollmantel¬
geschosses nicht nachsteht. Einer der von mir in S u w a 1 k i
operierten Soldaten unseres Kronprinzenregimentes ('die
Operation bestand in der Herausnahme des Projektils aus dem
Musculus pectoralis d. wegen starker Schmerzempfindlichkeit
des Mannes beim Gebrauch des Muskels) zeigte ein solches
ouer amputiertes Projektil mit daneben liegendem amputierten
Spitzenteil des Mantels, einen besonders weit aufgerissenen
Schusskanal quer durch die Lunge, vom Rücken nach der vor¬
deren Brustwand, mit Pneumothorax und ausgedehntem Haut¬
emphysem. Eine Rippe war am Angulus costae durchschlagen
und zerschmettert. Die Beobachtungen mit solchen Projektilen
müssten erst noch reichlicher angestellt werden, ehe daraus
bündige Schlussfolgerungen gezogen werden dürften.
III.
ln der chirurgischen Klinik in Königsberg, welche jetzt als
Festungshilfslazarett eingerichtet ist, wurde nach der Mit¬
teilung eines meiner dort verbliebenen Assistenten ein russi¬
scher Unteroffizier aufgenommen, welcher selbst hergestellte
Pumdumgschosse bei sich trug, und erzählte, dass die russi¬
schen Soldaten durch Abwetzen der Geschossspitze auf Steinen
sich diese Patronen herstellten. Leider ist ein Corpus delicti
dieser Art dem Unteroffizier nicht abgenommen und auf¬
bewahrt worden. Aber die in der Klinik wirkenden Aerzte
hatten den Dumdumcharakter dieser Geschosse sofort erkannt
und als solchen genau festgestellt.
IV.
Die ausserordentlich beschwerliche Kriegsführung hier im
Osten, die raschen Truppenbewegungen in grossen Eil¬
märschen brachten es mit sich, dass vielfach am Hauptkamof-
tage die Feldlazarette unmöglich schon den Stellen der
grössten Verluste nahe sein, die Sanitätskompagnien kaum die
ihnen zufallcnden Aufgaben bewältigen konnten, um so mehr
als es öfters unvermeidbar war, dass Artilleriegeschosse in
Truppen- und Hauptverbandplätze einschlugen. Andererseits
befand ich mich meist in der Nähe des Generalkommandos mit
auf dem Gefechtsfeld oder in unmittelbarer Nähe dabei. Daher
habe ich bei allen grösseren Kämpfen persönlich mich aus¬
giebig feldärztlich betätigt, und die Frischverwundeten in
grosser Zahl zur ersten Behandlung unter die Hände be¬
kommen, darunter häufig solche, wo Offiziere oder Mann¬
schaften, auch Aerzte, die Vermutung aussprachen, dass Dum¬
dumgeschosswirkung vorläge. So wurden mir bei Tannen-
berg mehrere sehr gleichartig gestaltete Verwundungen ge¬
bracht, die ich beim ersten Anblick selbst für Dumdumver¬
letzungen ansah ; ebensolche in 0 r t e 1 s b u r g, S u w a 1 k i,
0 1 c z a n k a. Und doch habe ich bei der weiteren Unter¬
suchung nicht vermocht, sie als Dumdumverletzungen anzu-
erkennen. Diese Verletzten zeigten das gemeinsam Charak¬
teristische, dass das Geschoss eine Gliedmasse nicht nur mit
eine m Schusskanal, sondern mit zweien durchbohrt hatte,
oder dass das Geschoss erst durch das eine Bein bzw. Arm
und dann durch das andere Bein bzw. den anderen Arm hin¬
durch gedrungen war. Von sämtlichen Verwundeten wurde!
zudem die Angabe gemacht, dass sie aus grosser Nähe, nicht
bis über 50 m Entfernung, verwundet worden waren. Ich
füge hier mehrere Abbildungen dieses Verletzungstypus ein.!
Wir sahen die Fälle auch so, wo am Unterarm die erste, am|
Oberarm die zweite Durchschiessung erfolgt war.
Rückseite. Weichteile der Beugeseite rechts bis zum Knochen vollständig herausgefetzt;
Nervus ischiadicus auf 15 cm ausgeschält, aber nicht durchtrennt,
a = 1. Einschuss, b = 1. Ausschuss, c = 2. Einschuss, d = 2. Ausschuss.
c
a = 1. Einschuss, bei. Ausschuss, c = 2. Einschuss.
Ich glaube mich nach der eingehenden Untersuchung dieser
Verwundeten mehr zu folgender Erklärung berechtigt: Das«
Geschoss dringt durch eine kleine Einschussöffnung ein. Die
typische kleine Einschussöffnung, wie wir sie auch
sonst bei dem Spitzgeschoss fast immer sehen, zeigt jeder
Fall. Das Projektil dringt dann durch Weichteile (Muskulatur.
Faszien, Sehnen), reisst 'Feile von diesen mit und setzt eine
durchschnittlich 10 — 20mal so grosse Ausschussöffnung, dringt
weiter in derselben Gliedmasse zum zweitenmal oder, wie er¬
wähnt, in die andere Gliedmasse ein, setzt hier schon eine
Einschussöffnung, die doppelt bis dreifach so gross als die
erste Ausschussöffnung ist und fetzt nun am zweiten Ausschuss;
. Dezember 191-4
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2319
ie Weichtelle ganz gewaltig auseinander. Beim zweiten Ein-
ringen kommt es mehrfach nicht zur Bildung von Ein- und
usschussöffnung, sondern die Weichteile werden in grossem
infang durchrissen, zerfetzte auf grosse Strecken zerfetzt
2. Ausschuss
Einschuss
1. Ausschuss
1. Einschuss
ur 4. Flankenschuss durch beide Arme mit hochgradiger Gewebszertrüminerung am
en Arm. Keinerlei Knochenverletzung. Als liegender Schütze getroffen. Das Ge-
- ir ist frei in die Zeichnung eingefügt, um den Verletzungshergang besser zu illustrieren.
er ganz aus dem Wundgebiet ausgerissen. Nie war bei
esen Verletzungen ein Knochen mit lädiert,
is ist das Wesentliche! Den bei gleichzeitiger Knochen-
Irtrümmerung sind wir ja über die bis 20 cm ausgedehnten
eiehteilzerreissungen längst unterrichtet und haben dabei
}hl nur selten Veranlassung, sie als Dumdumgeschosswir-
ng ansprechen zu müssen bzw. zu dürfen. Die Einheitlich¬
st dieser Verwundungsmechanik und ihrer Folgen spricht
'für, dass das aus der Nähe abgefeuerte Geschoss mit
ich unverminderter lebendiger Kraft, den
;erst^ getroffenen Weichteilen diese mitteilt und diese, wie
li Wasserschüssen, nun mitgerissen werden, so dass die
' eite Verwundung entsprechend gross sich gestaltet. Es er-
• )t sich dann das Bild einer kegelförmigen Gewebs-
' 'Störung, wobei die Spitze des Kegels der erste Einschuss,
b Basis der zweite Ausschuss ist.
Gestützt wurde meine Auffassung dadurch, dass bei den
t iS i sehen 1 ruppen, von denen diese Verletzungen stammten,
:h eingetretencr Gefangenschaft Dumdumgeschosse nicht
• runden wurden, sowie durch die Tatsache, dass ausser
Ilen, wie den geschilderten, andere dumdumverdächtige
rlctzungen uns in den betreffenden Gefechten nicht Zu¬
gängen sind. (Ich habe die genauere Wiedergabe dieser
robachtugen auch deswegen für geboten gehalten, weil ich
! zweiten Balkankrieg analoge Verletzungsbilder nicht ge-
>ien habe.)
Aus den aufgeführten Beobachtungen ergibt sich, dass
mdumveränderte Geschosse hie und da von
n russischen Truppen verwendet worden
id, dass aber kaum irgend welche Anhalts-
n k t e sich haben ermitteln lassen, welche
le russische Heeresleitung in Verbindung
t der Anwendung dieser Geschosse bringen
: n n t e n *).
Rr- — • — —
*) Während der Drucklegung dieser Mitteilung wurde bei gc-
?enen Russen ein Hohlgeschoss aus Blei in Ogivalform, ohne
1 ntel, mit einer Art Oelfiillung gefunden, welches der Dumdum-
'kung ähnliche, höchst schmerzhafte, ausgedehnte Weichteilwunden
-tzt haben soll. Weitere Nachforschungen werden ergeben, ob
ich obiger Satz eingeschränkt werden muss.
Zur Anwendung der Jodtinktur.
Von Professor Dr. W i 1 h e 1 tu Herzog, Kgl. bayer. General¬
arzt ä 1. s., zurzeit Etappeninspektion 6. Armee.
Die Anwendung der Jodtinktur zur schnellen Desinfektion
der Haut kann als ein wirklicher Fortschritt betrachtet werden.
Während man sonst die wünschenswerte Desinfektion durch
langes Waschen mit Seife und Bürste, Alkohol und antisep¬
tischer Abwaschung zuwege bringt, wird so ziemlich dieselbe
Wirkung mit einem einmaligen Jodanstrich erreicht. Dies ist
entschieden ein Vorteil bei Fällen, bei denen eine Indikation
zum sofortigen Operieren vorliegt oder die Körperstcllc sehr
schmerzhaft ist.
Diesen unleugbaren Vorteilen der Jodtinkturanwendung
stehen aber zweifellos Nachteile entgegen, über die ich hier im
Felde unangenehme Erfahrungen gemacht habe und über die
ich kurz berichten möchte.
Schon in S . wo unsere Kriegslazarettabteilung, bei
der ich damals war, am 13. und 14. August eine überaus
grosse Menge von Verwundeten zu besorgen hatte, war es
mir aufgefallen, dass eine ganze Anzahl Wunden und deren
Umgebung, bei denen Jodtinktur angewendet worden war,
gereizt aussahen; bei einigen bestand in der Umgebung
eine deutliche Dermatitis, teilweise mit starker Blasenbildung
und bei einem Falle eine oberflächliche Gangräneszierimg,
Dass solche gereizte Wunden eitern werden und für In¬
fektionen höchst empfänglich sind, liegt ja auf der Hand. Aelm-
liche Erfahrungen haben nach Mitteilung auch andere Herren
unseres Kriegslazaretts gemacht.
Besonders deutlich ist mir ein Fall in Erinnerung, in dem die
Anwendung der Jodtinktur schädlich gewirkt hat.
In Bl. kam ein Offizier mit einem Notverband in meine Behand¬
lung. der vor 5 Stunden durch einen Schuss am Kopfe verwundet
worden war. Bei Abnahme des Verbandes konstatierte ich eine
gerade verlaufende, etwa 12 cm lange, etwas nach links von der
Pfeilnaht parallel mit ihr gelegene Hautwunde, die von einem Streif¬
schuss durch Gewehrkugel herriihrte. Die Wundränder waren ge¬
schwollen, entzündet, ebenso die Umgebung: die Wunde selbst war
missfarbig, verätzt und ungemein gereizt. Auf meine Frage, was
denn mit der Wunde, die doch eigentlich ganz frisch sein sollte,
passiert sei, erklärte mir Pat., der Arzt auf dem Truppenverband¬
platz hätte die Wunde, damit keine Vergiftung emtretc, mit Jod¬
tinktur ausgetupft. Natürlich war eine Naht bei diesem Zustande der
Wunde unmöglich, und der Offizier, der sonst bei Naht nach einigen
Tagen wieder zur Front hätte zurückkehren können, was. da er der
letzte Offizier seiner Kompagnie war, sehr notwendig gewesen wäre,
musste mm zur Heilung, die jetzt Wochen in Anspruch nahm, in die
Heimat evakuiert werden.
Aus diesen Erfahrungen geht hervor, dass die Anwendung
der Jodtinktur sehr grosse Nachteile haben kann.
Die Jodtinktur wirkt stark reizend auf die Haut und zwar
bei stärkerer Konzentration bis in ziemliche Tiefe, was seiner¬
zeit schon Schede in seinen Untersuchungen aus der
v. V o I km a nn sehen Klinik nachgewiesen hat. Auch die
Hautreizungen, besonders bei hellblonden Leuten, sind sattsam
bekannt.
Müssen schon diese Tatsachen vor Anwendung von zu
starken Jodlösungen warnen, so sind die oben angeführten
Erfahrungen im Feld noch mehr dazu geeignet.
Die offizielle Jodtinktur ist 10 proz. Dies dürfte wohl die
äusserste Grenze von Dichtigkeit sein, die anzuwenden ist.
In sehr vielen Fällen ist diese Konzentration schon zu stark
und wird nicht ertragen. Häufig ist aber der Prozentgehalt
höher. Wie ich das in Kliniken, ja selbst in Feld- und Kriegs¬
lazaretten öfters gesehen habe, wird die Jodtinktur in eine
offene Schale gegossen, ein Tupfer oder Kompressenbausch
hineingetaucht und damit die betreffende Hautpartie ange-
strichen. Diese Anwendungsweise erregt die grössten Be¬
denken. Wenn die Jodtinktur offen in flachen Schalen stehen
bleibt, so tritt sofort eine starke Verdunstung von Alkohol und
ein höherer Grad von Konzentration des Jods ein. Wenn nun
noch dazu Watte- oder Mulltupfer verwendet werden, in denen
der Alkohol sogleich entweder verdunstet oder in tiefe Teile
cinsickert, das Jod aber oben liegen bleibt, so ist, wenn die
Jodtinktur auf die Haut gelangt, der normale Konzentrations¬
grad hoch überschritten und die starke Reizung muss eintreten.
Noch schädlicher ist aber, wenn Jodtinktur in frische
Wunden selbst gebracht wird, um sie zu desinfizieren, zu ent-
2320
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 48.
giften. Dies ist ein Zurückfallen in die Zeit der stärksten Anti-
septik, die wir glücklich bereits theoretisch und praktisch über¬
wunden hatten. Da: Ausspülen der Wunde mit 5 proz. Karbol¬
säure, wie dies während meiner Assistentenzeit an der
v. Volkmann sehen Klinik gebräuchlich war und wodurch
eine vollständige Verschorfung der Wunde eintrat, wurde mit
Recht verlassen. Und nun bringt man die viel stärker reizende
Jodtinktur direkt in die frische Wunde, um sie zu entgiften.
Die im Krieg gesetzte Wunde ist, wenn nicht schwere
Qranatverletzungen und besondere Verunreinigungen vor¬
liegen, als aseptisch anzusehen. Dies geht daraus hervor, dass
viele Wunden einfach bedeckt mit Qaze vollständig p. pr. int.
heilen. Ein Ausstreichen einer frischen Kriegswunde mit Jod¬
tinktur ist also nicht bloss überflüssig, sondern höchst schäd¬
lich durch die dadurch hervorgerufene Reizung und es kann
vor diesem Vorgehen nicht dringend genug gewarnt werden.
Neuerdings erheben sich immer mehr Stimmen gegen die allge¬
meine Anwendung der Jodtinktur. Schönwerth1) erwähnt bei
Besprechung der Versorgung der Schussfrakturen die Desinfektion
der Wundumgebung mit Jod gar nicht; bloss im Kapitel über die
Desinfektion des Operationsgebietes führt er nach ausführlicher Be¬
schreibung der bisherigen Methoden ganz kurz „Bestreichen der Haut
in weiter Umgebung mit Tct. Jodi“ an. Graser2) sagt in seinen
sehr beachtenswerten „Grundsätzen“, die mir ganz zufällig hier zu
Gesicht kamen, bei Besprechung des Verbandes Ziff. 7: „Eine voraus¬
gehende Desinfektion der Umgebung (Jodtinktur) erscheint nicht
notwendig“. Auch der Armeearzt der 6. Armee, Herr Obergeneral¬
arzt Dr Re h, will in seinen vortrefflichen Ratschlägen für Wund¬
behandlung, die für die im Felde tätigen Sanitätsoffiziere hinausge¬
geben wurden, bloss die verdünnte Jodtinktur angewendet wissen,
indem er sagt: „Die Umgebung der Wunden kann mit verdünnter
Jodtinktur gepinselt werden.“
Ich stehe nun nicht auf dem Standpunkt, dass Jodtinktur
überhaupt nicht anzuwenden ist. Schon im Eingang habe ich
bemerkt, dass man mit einem Jodanstrich am schnellsten eine
genügende Desinfektion der Haut erzielen kann. Man soll sie
aber mit äusserster Vorsicht anwenden, sie höchstens in
5 proz. Konzentration nehmen und sie bloss einmal auftragen,
ein öfteres Aufträgen ist unnötig und schädlich. Stärkere
Grade als 5 Proz. sind sicher zu vermeiden, da die Gefahr
einer Dermatitis nahe liegt und dadurch grosser Schaden für
die Wundheilung angerichtet werden kann. Stärkere Grade
und öfteres Aufträgen gerben die Haut leicht, so dass sie
schwerer zu durchschneiden und zu durchstechen ist.
Man soll auch stets dafür sorgen, dass die Konzentration
sich nicht ändert. Das Stehenlassen der Tinktur in offenen
Schalen ist wegen der schnellen Verdunstung ganz zu ver¬
meiden. Am besten ist es, mit kleinen Wattetupfern, die ähn¬
lich den ohrenärztlichen Tupfern um einen kleinen Holzstah
oder ähnliches gedreht sind, in die Flasche zu tauchen und
letztere sogleich wieder zu verschliessen, oder Pinsel zu ver¬
wenden, die am Stöpsel angebracht sind.
In frische Wunden aber Jodtinktur zu
bringen, ist vollständig zu vermeiden. Höch¬
stens kann sie später bei Verjauchung oder zur schnelleren
Abstossung von nekrotischen Gewebsteilen beschränkte An¬
wendung finden.
Zur Technik des ersten Wundverbandes im Felde.
Von Prof. Dr. Oberst (Freiburg i. Br.), Stabsarzt d. R. beim
2. Feldlazarett II. bayer. Armeekorps.
Die Verbandtechnik bei den kleinen Schusswunden durch
Infanteriegeschosse oder Schrapnellkugeln dürfte wohl kaum
Schwierigkeiten bereiten. Der Okklusionsverband mit asep¬
tischer oder antiseptischer Gaze ohne Berührung der Wunde
und ohne Desinfektion der Haut genügt im allgemeinen den
Anforderungen, die billigerweise im Kriege gestellt werden
können. Die Erfolge dieser Wundversorgung sind als recht
zufriedenstellend zu bezeichnen. Der von der Hand des Ver¬
wundeten oder seiner Kameraden mit Hilfe der Verband¬
päckchen angelegte Verband wird meistens als Notverband
betrachtet werden müssen, da er an vielen Körperstellen nicht
1) Schönwerth: Vademecum des Feldarztes. München 1914.
S. 3 und 51.
■) Graser: Einige wichtige Grundsätze zur Behandlung der
Schusswunden. M.m.W. 1914 Nr. 36. Feldärztl. Beil. Nr. 5, S. 43.
fest genug sitzt und die Bedeckung der Wunde ungenügend
wird. Ist die Blutung nach aussen nur gering und trocknet
das ausgetreten« Blut ein, dann klebt allerdings das Verband¬
päckchen fest und bleibt nun am besten definitiv, d. h. für die
ersten Tage liegen. Dieses Festkleben der Verbandstoffe an
die Wunde und ihrer nächsten Umgebung, sei es nun mit Blut
oder einem anderen Klebemittel, stellt ein Prinzip dar, das vor
dem Bindenverband ganz entschiedene Vorzüge hat.
v. Oettingen hat sich durch Einführen des Mastisol-
verbandes ein Verdienst erworben.
Wenn wir so mit der Versorgung kleiner Wunden im
Felde recht gut bestellt sind und die Heilresultate als vor¬
zügliche bezeichnet werden können, so macht uns die erste
Behandlung der grossen Wunden, also in erster Linie Granat¬
splitterverletzungen, nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Wenn
wir die kleinen Wunden der Infanteriegeschosse praktisch als
nicht infizierte Verletzungen ansehen dürfen, so müssen wir
diese grossen Rissquetschwunden unbedingt als infizierte
Wunden betrachten. Ein Ausspiilen solcher Wunden mit anti¬
septischen Lösungen im Felde muss als zweckwidrig be¬
zeichnet werden, wie wir ja auch in der Friedenspraxis —
von Ausnahmen abgesehen — ein Spülen unterlassen. Auch
das Einstreuen von antiseptischen Wundpulvern hat sich nicht
bewährt oder hat sich als zu gefährlich — Jodoformvergif¬
tung — erwiesen. Ebenso dürfte das Eingiessen oder Aus¬
pinseln von grossen Wunden mit Jodtinktur nicht ratsam sein.
Ueber das von v. Oettingen empfohlene Einlegen von
Kollargoltabletten in solche Wunden fehlt mir die Erfahrung.
Dagegen habe ich sofort ein Mittel, das sich mir in der
Friedenspraxis bei allen als infiziert zu betrachtenden oder
infektionsverdächtigen Wunden ausserordentlich bewährt hat,
auf die Kriegspraxis übertragen, das ist der Perubalsam. Der
Perubalsam hat schon seit langem in der Wundbehandlung
eine Rolle gespielt, er war aber nie Allgemeingut der Aerzte
geworden. Erst Stokum empfahl ihn wieder und berichtete
über glänzende Resultate bei der Behandlung von kompli¬
zierten Frakturen. Schloffer konnte bei seinen Unter¬
suchungen die gute Wirkung des Perubalsams bestätigen. Ich
habe durch König (Freiburger Doktordissert.) in grossem
Massstabe die Angaben der genannten Autoren nachprüfen
lassen und kam zu dem Ergebnis, dass wir in dem' Peru¬
balsam ein unschädliches Mittel besitzen, das bei frühzeitiger
und richtiger Anwendung in der Regel imstande ist, eir.e
Wundinfektion zu verhüten. Die Befürchtung, dass durch die
Resorption der im Perubalsam enthaltenen reizenden Stoffe
(Zimtsäure etc.) eine Nierenschädigung hervorgerufen werden
könnte, hat sich nach den Untersuchung von Schloffer und
König nicht bestätigt. Die Wirkung des Perubalsams dürfen
wir auch nicht der eines Antiseptikum gleichstellen. Der
Perubalsam wirkt in erster Linie physikalisch; die harzigen
Stoffe durchdringen alle in ihrer Ernährung geschädigten und
bereits abgestorbenen Teile und verhüten dadurch Fäulnis und
Zersetzung und entziehen so den Bakterien den ihnen so
günstigen Nährboden.
Die Anwendung des Balsams ist die denkbar einfachste.
Bei oberflächlich und gut klaffenden Wunden giessen wir
direkt aus einer Flasche einige Tropfen oder Kubikzentimeter
der dicken Flüssigkeit auf alle Teile der Wunde und legen
locker Gaze auf. Sind Taschen und Höhlen vorhanden, oder
klafft die Wunde nicht genügend, so ziehen wir die Ränder
schonend mit Haken auseinander und suchen den Balsam in
alle Taschen, Buchten, Gelenkhöhlen etc. zu bringen. Dann
wird die Wunde locker austamponiert. Nähte sind natürlich
verboten. Die Wunde bleibt offen. Dieses Verfahren hat sich
mir im Frieden ausserordentlich gut bewährt. Nicht nur die
Quetschwunden der Finger und Hand, wie sie im Frieden
nach Maschinenverletzung so häufig Vorkommen, sondern
auch komplizierte Knochenbrüche und Verletzungen grosser
Gelenke heilten überraschend gut. Der poliklinische Betrieb
konnte nach Einführung des Balsams vollkommen umgestaltct
und vereinfacht werden. Denn es traten nicht nur keine Ent¬
zündungen mehr auf, sondern solche Perubalsamverbände
konnten viele Tage, ja ein bis zwei Wochen liegen bleiben,
während unterdessen die Heilung normal voranging und eine
Wundsekretion so gut wie ganz unterblieb.
I. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift.
Ich habe nach diesen guten Erfahrungen des Friedens den
3crubalsam auch im Kriege angewandt. Wir haben nicht nur
Veichteilwunden damit beschickt, sondern ihn auch bei koni-
üizierten Knochenbrüchen und Gelenkeröffnungen verwendet.
\Vir haben auch nicht gezögert bei Schädelstreifschüssen —
■rakturprellschüsse und Furchenschüsse — nach Entfernung der
''Plitter und genügender Freilegung den Perubalsam direkt auf
las verletzte Gehirn zu giessen. Soweit wir die so be-
landelten Fälle verfolgen konnten, waren die Resultate gut;
insbesondere glaube ich, dass gerade bei Gehirnverletzung die
mtziindung der weichen Hirnhäute und der Hirnsubstanz
■elbst vermieden werden kann.
Im übrigen wurde nach der Anwendung des Perubalsams
lie Wunde immer offen gelassen und zuerst eine Lage Ver-
>andstoff mit Hilfe von Mastix und Stücken von Cambric-
;inden befestigt. Darüber kam dann nach Bedarf ein auf-
augendes Verbandkissen, das mit Binden oder Tüchern be-
estigt wurde.
Je früher der Perubalsam angewendet werden kann, je
icherer ist seine Wirkung. Wir haben aber auch Wunden,
lie schon älter waren und wo abgestorbene verfärbte Muskel¬
eile Vorlagen, gerne mit dem Balsam imprägniert und ver-
prachen uns hier eine sekretionshemmende und desodorierende
Virkung. S t o k u m hatte seinerzeit vorgeschlagen, dem
Verbandpäckchen der Soldaten eine kleine Tube mit Peru-
alsam beizufügen und; wenn ich nicht irre, ist dieser Vorschlag
ei der holländischen Armee auch verwirklicht worden. Der
Vorschlag ist jedenfalls beachtenswert und wird sicherlich
uch beim Notverband gutes stiften. Wichtiger ist indes, dass
ei der ersten ärztlichen Versorgung, die ja bei uns in der
Jegel recht frühzeitig einsetzt, Perubalsam zur Hand ist. Und
a trifft es sich günstig, dass sowohl in der Sanitätsausrüstung
er Sanitätskompagnien ein wenn auch nicht grosser, so doch
ei den Feldlazaretten ein reichlicher Vorrat (2600 g) dieses
orzüglichen Mittels vorhanden ist. Wenn auch die Mitführung
es Perubalsams zu ganz anderen Zwecken geschah, so kommt
ie uns bei der Wundbehandlung nun ausserordentlich zu-
tatten.
Zum Schlüsse möchte ich noch erwähnen, dass Peru-
alsam vielfach gefälscht wird und nur der echte natürliche
ialsam die heilsame Wirkung entfaltet.
Fraktionierter“ Gipsverband bei Schussfrakturen des
Oberschenkels und Schenkelhalses.
on Prof. Dr. R i 1 1 e r, Stabsarzt beim, Feldlazarett 6, V.* Korps.
Von allen Schussfrakturen sind die des Oberschenkels
ie einzigen, bei denen die Anlegung eines Gipsverbandes im
elde grosse Schwierigkeiten bereiten kann. Lagerungs-
pparate, die freies Arbeiten am Körper und zugleich ge-
ügenden Zug und Gegenzug gewährleisten, fehlen auch in
en Feldlazaretten und lassen sich in genügender Weise auch
icht leicht improvisieren. Die Esmarchsche Lagerung ist
ir Verletzten wie Haltenden sehr beschwerlich und unzu-
Mchend. *
Da ich überall Klagen und Fragen in dieser Richtung be-
egnet bin, ist vielleicht die Mitteilung, wie wir uns geholfen
aben, manchem im Felde Arbeitenden nicht ganz ohne Wert.
Wir haben „fraktioniert“ eingegipst und zwar zuerst in
arizontaler, dann in vertikaler Lage des Beins. Zunächst
ird der Verletzte auf den Tisch gelegt. Ein Wärter fasst das
ein und hebt es unter starkem Zug so hoch, dass man be-
aem einen Gipsverband um Knie und Oberschenkel bis zum
amm anlegen kann. Gegenzug am Becken ist in der Regel
cht nötig, natürlich aber leicht herzustellen.
Nun wartet man, bis der Gips hart geworden ist.
Dann wechselt man die Lage des Verletzten. Mitsamt
am Tuch, auf dem er liegt, wird er an den Rand des Tisches
azogen.^ Vorsichtig fasst er mit dem gesunden Bein auf dem
öden Fuss und stellt sich gerade hin, wobei er von zwei
artern unterstützt wird. Das verletzte Bein hängt dabei
icht abduziert herunter. Schnell wird jetzt der Gipsverband
treh Umfassung von Becken und Hüfte vollendet, was bei
nwendung von Schusterspahn sehr beschleunigt werden
Hl I
2.121
Nach meinen Erfahrungen kommt man mit einem Gips¬
verband, der unterhalb des Knies abschliesst, aus, wenn man
nur ordentlich ober- und unterhalb des Knies ihn anmodelliert.
Auch im Frieden habe ich mich mit diesem Verbände bei Ober-
schenkelschaftbrüchen ebenso wie bei Koxitis begnügt und
den Patienten später darauf herumgehen lassen. Die Kondylen
des Ober- und Unterschenkels bieten genügend Halt. Bei
stärkerer Rotation des unteren Fragments ist ein Gipsverband,
der den Fuss mitnimmt, natürlich erforderlich.
In einfacher Weise kann man im Stehen auch einen
üegenzug anwenden, indem man einen mit Watte umwickelten
Stab (Ledergurt, Handtuch) am Damm anbringt, dessen Enden
mit einem kleinen Flaschenzug verbunden sind, der über eine
an der Decke befestigten Rolle läuft.
Seit wir uns des vorstehenden Verfahrens bedienen,
haben wir keine Schwierigkeit mehr beim Anlegen des Gips¬
verbandes. Vor allem ist er so verhältnismässig schmerzlos.
Hält man Narkose wegen des Allgemeinzustandes doch für
ratsam, so kann man das Verfahren auch dann sehr gut an¬
wenden. Man wartet nur mit dem Aufstellen des Patienten
so lange, bis die Narkose im Abflauen ist. Wir haben so in
2 Fällen auch in Narkose eingegipst. Zahlreiche Kollegen
haben das Verfahren bei uns gesehen und wenden es seitdem
ebenfalls an.
Ueber die Behandlung von Armbrüchen nach Dr. Wildt,
Andernach*).
Von Oberstabsarzt Dr. Lambert z, Garnisonarzt der Festung
Köln.
Unter den Verletzungen des gegenwärtigen Krieges
spielen die Knochenbrüche der oberen Extremität (Ober- und
Unterarmbrüche mit und ohne Schussverletzung) eine grosse
Rolle. Ihre Zahl ist eine auffallend grosse; von der richtigen
Stellung der Knochenenden zu einander im Streckverband
hängt es ab, ob der Verwundete in kurzer Zeit für den ferneren
Verlauf des Krieges noch in Betracht kommt oder gänzlich
ausschaltet.
Die idealste Behandlungsmethode von Knochenbrüchen
stellt wohl die Bardenheuer sehe (von Grässner
mustergültig beschriebene) Extensionsmethode dar. Leider ist
die Bardenheuer sehe Schiene zu kostspielig (65 — 70 M.
pro Stück) und deren Handhabung zu kompliziert, um bei
Massenverletzungen im Felde in Frage zu kommen. Vielfach
befindet man sich den Armbrüchen gegenüber in einer ge¬
wissen Verlegenheit. Nun hat der Andernacher Chirurge
Dr. Wildt eine Extensionsschiene konstruiert, deren Hand¬
habung eine so verblüffend einfache ist, und welche eine so
ideale Stellung der Knochenenden garantiert, dass es ein
aktuelles Interesse haben dürfte, eine kurze Beschreibung
dieses Verfahrens möglichst umgehend weiteren Aerztekreisen
bekannt zu geben.
Das Eigenartige der Wildt sehen Verbände ist das An¬
bringen von Zug und Gegenzug am Glied selber, in der Längs¬
richtung des verletzten Gliedes mit Verzicht auf jeden anderen
Gegenhalt, den Bardenheuer beim Oberarm am Brust¬
korb sucht (Schulterklappe und Riemen um die gesunde
Achsel), beim Unterarm an der Vorderseite des Oberarmes.
Ausser dem nach unten gehenden eigentlichen Extensions¬
zug wird ein Gegenzug an demselben Gliedabschnitt be¬
festigt, letzterer geht nach oben, überragt also bei Oberarm¬
brüchen die Schulter, bei Unterarmbrüchen den Ellbogen. Zug
und Gegenzug werden zwischen den Enden einer oben und
unten stumpfwinklig abgebogenen Schiene aus verzinktem
Bandeisen angespannt. Das Glied ist alsdann ausgespannt in
der Schiene wie die Sehne im Pfeilbogen; enthält es eine nach¬
giebige Stelle, einen Knochenbruch, so tritt eine Dehnung, eine
Extension ein.
Nach dieser kurzen Erklärung werden die beigelegten
Skizzen ohne weiteres verständlich sein.
Bei einem Bruch des Oberarmes wird man folgender-
massen vergehen: Der Arm wird im Ellbogengelenk rechtwinklig ge¬
beugt und etwas vom Brustkorb abgehalten. Je ein Streifen Segel-
*) Nach einem am 16. Oktober in einem „Kriegsärztlichen Abend“
in Köln gehaltenen Vortrag.
2322
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 48.
tuchpilaster (4 cm breit. Yiilnoplastgesellschaft, Bonn) wird der Länge
nach an der Innen- und Aussenseite des Oberarmes so angelegt, dass
die Enden dieser Streifen etwa
40 cm über den Ellbogen hinaus
nach unten frei in der Luft
schweben. Diese freischweben¬
den Teile legt man (Pflaster¬
seite gegen Pflasterseite) so
um, dass sie nur noch 20 cm
lang sind, dann werden, ober¬
halb des Ellbogengelenkes an- ]
fangend, durch zirkuläre, luft¬
durchlässige Zinkkautschuk¬
pflasterstreifen (4 cm breit der¬
selben Gesellschaft) die Segel¬
tuchstreifen befestigt. Es ist zu j
sie keinen Halt mehr haben. Da die Schiene nicht dem Gliede an¬
liegt und sich durch die Schlitze des Bandeisens auch näher und
weiter vom Glied entfernt anlegen lässt, hat man Platz für Ver¬
bandstoffe. so dass die Wundbehandlung sich von der auch sonst
üblichen nicht unterscheidet. Zum Schlüsse des Verbandes wird Glied
und Schiene mit einer Mullbinde lose umwickelt.
Dass auch die Abhebelung nach Barden heuer - Grässner
zwecks Ablenkung der Fragmente durch Gummizug um Schiene und
Arm bzw. durch Polster zwischen Schiene und Glied leicht bewerk¬
stelligt werden kann, ist ohne weiteres ersichtlich aus Fig. 7.
Die Schiene Wildts wird von der Firma Esch bäum
(Filiale Köln, Passage) mit sämtlichen zum Verbände erforder¬
lichen Zutaten zum Preise von 6 M. versandt; sie nimmt kaum
Platz ein und ist immer wieder für weitere Verbände benutz¬
bar. Bei einiger Uebung ist der Streckverband in wenigen
Fig. 5.
Fig. 2.
Fig. 7.
Fig. 6.
Fig. 3.
beachten, dass die Zirkularstreifen nicht fortlaufend nach obeu in
einer Tour angelegt werden, sondern nach jeder Tour durch¬
schnitten werden, um Schnürungen zu vermeiden. Hiermit ist der
eigentliche Extensionszug angebracht (Fig. 1).
Der Gegenzug wird angelegt, an der Vorder- und Rückseite, er
beginnt am Ellbogen und überragt die Schulter genau so wie der
Extensionszug den Ellbogen. Auch er wird sodann durch zirkuläre
Streifen befestigt (Fig. 2).
Nunmehr geht das Anlegen der Schiene und Anspannen der
Segeltuchstreifen vor sich. Die Streifenenden werden oben und unten
in die an der Schiene angebrachten Schnallen eingeführt und syste¬
matisch so weit angezogen, bis sich die Schiene etwas biegt; der
erreichte Zug ist ziemlich gross (erreicht bis 10 kg). Täglich wer¬
den nun die Streifen etwas nachgezogen und bei Bedarf die Schiene
nach Lockerung einer Flügelschraube gedreht (Fig. 3).
Am Vorderarm wird ganz analog verfahren; der Ellbogen
wird rechtwinklig gebeugt, der Vorderarm supiniert. Die handwärts
gehenden Streifen liegen an der Beuge- und Rückseite; die ellbogen-
wärts gehenden Streifen an der Speichen- und Ellenkante des Vorder¬
arms. Die Streifenenden werden in derselben Weise lang gelassen
und urngeschlagen wie am Oberarm beschrieben (siehe Skizze 4, 5
und 6).
ist der Verband fertig, so liegt bei Oberarmbrüchen die Schiene
zumeist an der Aussenseite, bei Vorderarmbrüchen an der Rückseite
des supinierten Gliedes.
Bei komplizierten Brüchen umgeht man die Wunde,
indem man die Streifen etwas schräg anlegt, die zirkuläre Befestigung
nach Möglichkeit durchführt, an den Rändern der (selbstverständlich)
freibleibenden Wunden die Befestigung verstärkt durch schräg¬
laufende, X-förmig gelegte Streifen dünnen Heftpflasters. Auch bei
grossen Wunden (bis 15 cm Länge und 8 cm Breite) lässt sich die
Extension durchführen. Bei stark sezernierenden Wunden muss der
Verband ev. hin und wieder erneuert werden; meist kann er 2 Wochen
liegen, bis die Längsstreifen sich so weit verschoben haben, dass
Minuten zu machen. Ein nicht gering zu veranschlagender
Vorzug des beschriebenen Verbandes ist darin zu sehen, dass
die Verwundeten sich sehr bald an denselben gewöhnen und
nicht einen Augenblick bettlägerig sind.
Wird Arm und Binde durch ein dreieckiges Tuch ge¬
halten, so kann der Verletzte sich frei bewegen und den Ver¬
hältnissen entsprechend betätigen.
Kurze Mitteilung über Wundstarrkrampffälle und ihre
Behandlung im Reservelazarett Münster i. W.
Von Dr. S i e m o n, ' Gcneraloberarzt und Reservelazarett¬
direktor.
Im hiesigen Reservelazarett (Qarnisonlazarett) und den
ihm innerhalb der Stadt angegliederten Abteilungen kämen!
vom 1. September bis 13. Oktober 1914 unter ca. 1500 deut-i
sehen Verwundeten 26 Fälle = 1,66 Proz. — ungefähr das
Fünffache des Prozentverhältnisses von Tetanusfällen auf die;
Zahl der Gesamtverwundungen in den Kriegen des vorigen
Jahrhunderts — , unter 600 verwundeten Franzosen 2 Fülle
= 0,33 Proz. von Wundstarrkrampf vor. Letztere traten erst
in den drei letzten Tagen auf, so dass es völlig rätselhaft er¬
schien, dass nur die Deutschen von der schrecklichen Krank¬
heit ergriffen wurden. Der Verdacht, dass das französische
Kupfermantelgeschoss mitbeschuldigt werden müsste, war
nicht haltbar, weil es sich bei mehr als der Hälfte um .Granat¬
verletzungen, vereinzelt um solche durch Schrapnellkugeln
verursachte handelte.
Dezember 1914. _ Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2323
ln allen Fällen King die Krankheit von Schussverletzungen
er Gliedmassen aus und trat zwischen dem 3. und 14. Tage
ich der Verwundung auf.
Abgesehen von wenigen fast verheilten, durch Infanterie-
.schoss hervorgerufenen Wunden mit kleiner Ein- und Aus-
hussöffnung handelt es sich um grössere Muskelzerreissungen
id Gelenkschüsse mit starker Eiterung. Aus vielen Wunden
urden Granatsplitter, Strohreste und Tuchfetzen unserer
idgrauen Uniform entfernt.
Nur zweimal gelang es unseren Bakteriologen, einmal an
nem Tuchfetzen, das andere Mal im Wundeiter selber, Te-
nussporen nachzuweisen. Die weiteren bakteriologischen
beiten, wie Impfung von Mäusen, anaerobe Weiterzüchtung
c., die naturgemäss längere Zeit beanspruchen, sind im
mge.
Die Behandlung bestand anfangs nur in Einspritzungen
in I etanusantitoxin Höchst teils intralumbal, teils intravenös
id subkutan und zwar in der Menge von 50—100 A.E., die
glich wiederholt wurden. Doch war der Erfolg ein sehr
lilechter, da von den ersten 10 Fällen nur 1 geheilt wurde,
zum Tode führten. Ich habe daher, zumal Mangel an Te-
nusantitoxin Höchst eintrat, mit Magnesiumsulfat sub-
tan spritzen lassen, das auf die Krämpfe einen sichtbaren
ldernden Einfluss ausübte, ohne dass Kalziumchlorid zur An¬
endung gebracht werden musste.
Seit dem 1. Oktober ist die Behandlung eine gemischte
worden, deren lechnik, wie sie sich allmählich entwickelt
t, ich kurz angebe:
Sofort nach dem Eintreten der ersten Erscheinungen
0 A.E. Tetanusheilserum Behring (4 fach flüssiges Tetanus-
lilserum, 4 A.E. in 1 ccm) in möglichster Nähe der Verletzung
:bkutan; falls die Injektion in der Nähe der Wunde nicht gut
: sfiihrbar ist, subkutan in der M o h r e n h e i m sehen Grube,
hnn täglich 2 Injektionen des sterilen Magnesiumsulfates R.E.
10 ccm (10 ccm entsprechen 4 g MgSCL) bzw. 3X 10 ccm
ner 25 proz. Magnesiumsulfatlösung. Alle Injektionen sub-
itan am Oberarm oder Oberschenkel oder Brust. Wenn die
iämpfe nachlassen, täglich nur die halbe Menge der ange-
ibenen Injektionen. Ferner täglich gewöhnlich abends ein
üsses Bad von 40° 20 Minuten, danach Bestrahlen mit der
bhensonne: Am 1. Tage 50 cm Abstand 5 Minuten lang
i irinalerweise die höchste Beleuchtungszeit). Dabei zeigt
: h, dass die Patienten, mit Ausnahme von 2 Fällen, darunter
tier mit leichtem Wundstarrkrampf, auch nach den späteren
I gen Bestrahlungen keine Rötung oder Brennen der Haut auf-
visen. Am 2. Tage 50 cm Abstand 10 Minuten, am 3. Tage
1 Minuten lang bei 50 ein Abstand, am 4. Tage für Rücken
id vordere Körperhälfte je 20 Minuten Beleuchtungszeit bei
i cm- Abstand. Steigerung der E^estrahlung bis zur halben
'mde für jede Körperhälfte. Solange die Krämpfe heftig auf-
t ten des abends zum Schlafen 2 g Chloralhydrat als Klysma.
Im übrigen wurde von Chloroformnarkose und narkoti-
nen Mitteln, insbesondere von häufigeren Chloralgaben, wie
f her, kein Gebrauch mehr gemacht. Hierdurch ist ein voll-
• nmener Umschwung in der Mortalität eingetreten. Während
- ersten im Garnisonlazarett befindlichen 6 Kranken
'ntlich zugrunde gingen, ist dort seit dem 1. Oktober bis
ite, den 17. Oktober nur einer gestorben. 3 Fälle sind als
Heilt zu betrachten, die übrigen 8 befinden sich auf dem
Uge der Besserung.
Ich brauche kaum zu erwähnen, dass die örtliche Be-
ndlung: gründliche Reinigung des Infektionsherdes mit
"X chirurgische Operationen: Ausräumung der Wunden,
hputationen von Fingern, Zehen, bei grösseren Zerschmette¬
ren Amputationen grösserer Glieder, die auch sonst not-
■’ndig gewesen wären, nicht verabsäumt wurde.
Um überall rechtzeitig — soweit es bei dem späten Auf-
'ten der Krankheit nach Beginn der Infektion möglich ist —
1 hgemässe Behandlung einzuführen, habe ich sämtliche mir
i erstellten 13 hiesigen und 15 auswärtigen für Verwundete
stimmten Lazarette auf die Gefahren des Tetanus und die
^ der sofortigen Behandlung aufmerksam gemacht.
Angeregt durch Herrn Prof. A n s c h ii t z - Kiel, dem ich
\ seiner hiesigen Anwesenheit am 30. September meine
vgen über die wachsende Zahl der Tetanuskranken und die
bis dahin fast ausschliesslich eintretende Mortalität klagte,
möchte ich den Versuch machen, durch einen Fragebogen, der
die Angaben der Verwundeten in der unten angegebenen Form
enthält, festzustellcn, wo die Infektion stattgefunden hat, um
durch Ermittelung des Ortes und der auf dem Transport usw.
möglichen Gelegenheitsursachen vielleicht die Zahl der Neu¬
erkrankungen zu beschränken. Auch dürfte eine gleichinässige
Ausfüllung der Krankenblätter eine spätere wissenschaftliche
Verwertung erleichtern.
Es ist wohl zweifellos, dass die Infektion
1. zunächst an Ort und Stelle unmittelbar nach der Verwundung
durch Verunreinigung mit Erde und Schmutz eingetreten ist.
Die gehäuften Fälle lassen aber die Annahme zu, dass
2. vielleicht auch später in den Feld- oder Kriegslazaretten eine
Uebertragung stattgefunden hat, oder dass
.3- die Eisenbahnwagen, meist mit Strohschüttung versehen oder
e*nzclnen Fällen — nach Angabe der Verwundeten — vorher zum
1 ferdetransport benutzt, ein Herd nachträglicher Ansteckung sein
können. Es ist daher bereits durch das hiesige Sanitätsamt auf
eine peinliche Desinfektion der Wagen an massgebender Stelle ge¬
drungen worden. Eine Infektion während des Transportes erscheint
allerdings nur möglich bei schlecht sitzenden Verbänden. Indessen
haben wir leider die Beobachtung gemacht, dass der Abschluss viel¬
fach mangelhaft war.
4. Beruht die letzte Möglichkeit auf einer Hausinfektion der
Krankenanstalten. Diese kann ich durch die getroffenen Massregeln
der Isc'lierung der Kranken, abgesonderte Wundversorgung und vor
allem dadurch ausschliessen, dass fast alle Kranken unmittelbar nach
der Einlieferung oder bis zu 2 Tagen nach derselben erkrankten, eine
Zeitspanne, die unterhalb der anerkannten Inkubationsdauer liegt.
Ich füge die Fragen, die in den Krankenblättern beantwortet
werden sollen: hinzu:
1. Name, Dienstgrad, Truppenteil.
-• Tag, Monat, Jahr, Ort der Verwundung zur Feststellung, in
welcher Gegend Frankreichs der Boden besonders mit Tetanusbazillen
verseucht ist.
Hat der Verwundete längere Zeit auf der Erde gelegen?
3. Art und Sitz der Verwundung: Gliedmassen, Rumpf, Körper¬
höhlen.
4. Wo und nach welcher Zeit erfolgte der erste Verband?
5. Wer legte den ersten Verband an, auf welchem Verbandplatz,
Feldlazarett usw.
6. Etwaige Verunreinigung der Wunde und deren Umgebung und
wodurch
7. Verletzung grösserer Gefässe, Blutung.
8. Art des Transportes, Lagerung: War der Wagen vorher zu
Viehtransporten benutzt, mit Dünger verunreinigt oder sehr staubig.
9. Etwaige Störungen im Wundverlauf während des Transportes.
10. Verbandwechsel während des Transportes, wie oft, durch
wen erfolgt.
11. Befund der Wunde bei der Aufnahme in das Heimatlazarett.
12. Zeitpunkt und Art des Auftretens des Tetanus, ob am ver¬
letzten Glied oder mit Trismus beginnend.
13. Behandlung des Tetanus, ev. bei verunreinigten Wunden pro¬
phylaktisch.
14. Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung:
a) Direkter Ausstrich.
b) Kultur mit Eiter, Zeugfetzen, Stroh, Granatsplitter.
c) Ergebnis der Impfung eines Versuchstieres.
15. Ausgang der Erkrankung.
■■■■■■■ iii ■ n. ■« vxr:
Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Göttingen (Direktor:
Professor Dr. F. G ö p p e r t).
Indikationen für die subkutane Magnesiumsulfatbehand-
lung des Tetanus traumaticus.
Von Dr. Walther Usener, Assistenten der Klinik.
Gleichzeitig mit dem zusammenfassenden und kritischen
Bericht von Stadler1) über die Magnesiumsulfatbehandlung
des Tetanus konnte Mielke2) aus unserer Klinik eine ein¬
schlägige Beobachtung mitteilen. Von den Erfahrungen über
die Wirkungsweise des Magnesiumsulfats, die wir an einem
weiteren Fall sammeln konnten, soll hier berichtet und daraus
die Indikationsstellung begründet werden.
Als schwerste Fälle von Tetanus bezeichnen wir jene, bei
denen die kurze Dauer zwischen Auftreten der tetanischen
Symptome und Trauma die Tetanusvergiftung zur schwersten
und die Prognose absolut infaust gestaltet. Chirurgische Kli¬
niken mit bester ärztlicher Versorgung mögen berufen sein,
zu erweisen, ob die sehr wirksame aber leider sehr gefährliche
') B.kl.W. 1914 Nr. 1 und 3.
s) Ther. Mh. 1914 H. 4.
2324
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
subduralc Methode Kochers einen Teil dieser Fälle vor
Komplikationen und vor dem letalen Ausgang retten kann.
Von diesen abgesehen bleiben neben den leichtverlaufenden
ein grosser Teil schwerer Fälle, bei denen die Heftigkeit der
Entwicklung des Allgemeintetanus, sein Uebergreifen auf die
Muskelgebiete, die zu lebenswichtigen Organtunktionen (At¬
mung, Schluckakt) in Beziehung stehen und endlich das Auf¬
treten schwerer und gehäufter Krämpfe zu lebenbedrohen¬
den Komplikationen führt: Konsumption, Unernährbarkeit,
Dyspnoe, Unmöglichkeit abzuhusten.
Unsere letzte Beobachtung bezieht sich auf einen 8 jährigen
Knaben, die Inkubationszeit war unbekannt, die Aufnahme erfolgte
am sechsten Krankheitstag mit ausgesprochenem Bild des Allgemein¬
tetanus; die Symptome steigerten sich in weiteren 10 Tagen unter
zahlreichen z. T. sehr schweren Krampfanfällen zu dem bedroh¬
lichsten Bild der Schluck- und Atemspasmen und klangen dann inner¬
halb weiterer vier Wochen langsam ab.
Wir müssen diesen Fall nach seinem Verlauf zu den
schweren rechnen und können nach dem klinischen und ge-
wissermassen experimentellen Erfolg der subkutanen Ma¬
gnesiumsulfatbehandlung erweisen, dass diese Methode eine
wesentliche Bereicherung der Tetanustherapie bedeutet und
dass die Wirkung derjenigen der bekannten Narkotika bei
völliger Ungefährlichkeit überlegen ist.
Zu diesem Zweck haben wir ausschliesslich Magnesium¬
sulfat verwendet. Wir sahen in tastenden Vorversuchen, dass
die von Parker und M i e 1 k e angegebene Einzeldosis
von 0,17 — 0,2 pro 1 kg Körpergewicht eine flüchtige, im
schweren Stadium ungenügende Wirkung ergab und konnten
erst durch wiederholte gleiche Gaben im Intervall von 2 (bis
höchstens 2%) Stunden appliziert einen starken Einfluss auf
die Intensität und Ausdehnung des Allgemeintetanus und auf
die Zahl und Schwere der Anfälle erzielen. Den erreichten
Effekt konnten wir nach etwa 4 — 5 Dosen in 2 stündlichem
Intervall durch 2 — 3 weitere gleiche Dosen in 3 — 4 stündlichem
Intervall über die Nacht auf derselben Höhe erhalten. Es ge¬
lang bei dieser Anwendungsart unter dem lebenbedrohenden
Zustand der Schluck- und Atemspasmen mit 6 — 8 Dosen am
Tag (d. h. 30—40 g = ca. 1,2 — 1,6 pro 1 kg Körpergewicht am
Tag) Schlucken und Atmung im Laufe des Vormittags erträg¬
lich zu gestalten, Lebensgefahr im Anfall abzuhalten, die Er¬
nährung wesentlich zu erleichtern und die Zahl der Anfälle von
33 (darunter 9 schweren und 24 leichten) auf 14 (darunter
1 schwerer und 13 leichte) herabzudrücken. Den experimen¬
tellen Vergleichswert für die Wirkung haben wir dadurch ge¬
wonnen, dass wir an einem 3 — 4 Tage vor der Höhe der Er¬
krankung liegenden Tage die Magnesiumtherapie absichtlich
ausgesetzt haben. Der Effekt mag also eher höher sein.
Für die subkutane Anwendung hat sich uns die 20 bis
25 proz. Lösung als beste, wenigst schmerzhafte erwiesen.
Besonders hervorzuheben ist, dass die Applikation nach
Analogie der für das Salvarsan von Wechselmann an¬
gegebenen Methode nicht ins subkutane Fettgewebe, sondern
suprafaszial erfolgen muss, da sonst Fettgewebsnekrosen ent¬
stehen, die schmerzlos sind, also wahrscheinlich auch die Re¬
sorption stören.
Die über Dosierung und Methode gemachte Erfahrung
konnte an einem Kriegsverletzten bestätigt werden. Es ge¬
lang in diesem ebenfalls schweren Fall den intensivsten Tris¬
mus und Anfälle spontaner und reflektorischer Dyspnoe,
welch letztere die Sondenfütterung zur Unmöglichkeit machte,
völlig zu überwinden, so dass der Kranke den Kopf heben, den
Mund weit öffnen konnte und von seiner Dyspnoe befreit war.
Als Einzeldosis wurde 0,15—0,16 pro 1 kg Körpergewicht ge¬
geben. Als Konzentration erwies sich nach Vorversuchen mit
25 — 40 proz. Lösung die 50 proz. als die geeignetste. Sie war
keinesfalls schmerzhafter, ebensogut resorbierbar und hinter-
liess bei allein ca. 40 Injektionsstellen an Bauch und Brust
keinerlei nekrotisierenden Prozess. Es liess sich mit der
Sicherheit des Experimentes erweisen, dass eine volle Wirkung
bei 3 — 4 in 2 stündlichem Intervall applizierten Dosen eintrat,
dass dagegen bei gleicher Einzeldosis in 3 — 3/4 stündlichem
Intervall eine weit geringere Wirkung erst nach 4 — 5 In¬
jektionen zustande kam. Es spielt also für schwere Fälle die
Kumulation des Magnesiumsulfats im Körper eine Rolle. Auch
hier konnte der nach 4 Dosen erreichte Effekt durch 2 bis
Nr. 48.
3 Dosen in 3 stündlichem Intervall für Abend und Nacht aui
gleicher Höhe erhalten werden.
Neben der objektiven war stets auch eine subjektiv er¬
leichternde Wirkung vorhanden.
Zusammenfassend ist zu sagen:
1. für die IndikationsstelTung:
Das Magnesiumsulfat ist, subkutan verwendet, ein aus¬
gezeichnetes, die tetanische Uebererregbarkeit und die
Krämpfe herabsetzendes Mittel. Als solches ist es besonders
berufen zur Bekämpfung der lebensgefährlichen Schluck- und
Atemspasmen, zur Ueberwindung der Konsumptionsgefahr und
der Asphyxie und zur Herabsetzung der Zahl und Intensität
der Krämpfe.
Als symptomatisches Mittel rechtfertigt es nur unter be¬
sonders günstig gestalteten klinischen Verhältnissen die sehr
gefährliche intralumbale Applikation, deren Wirkungsdauer
eine ebenfalls beschränkte ist.
2. für die Anwendungsmethode:
Die Anwendung erfolgt beim Kind in 20 — 25 proz., beim
Erwachsenen in 40 — 50 proz. Lösung.
Die Injektionen müssen suprafaszial gemacht werden,
am besten so, dass mit einer mit Kochsalzlösung beschickten
Kanüle auf die Faszie eingegangen wird, nach Probeinjektion
die Spritze gewechselt, Magnesium eingespritzt und endlich
unter Nachspritzen mit Kochsalzlösung aus der ersten Spritze)
zurückgezogen wird.
Die Einzeldosis beträgt 0,15 — 0,18 — 0,2 pro 1 kg Körper¬
gewicht. Bei leichten Fällen können schon einzelne Injektionen
nützen, wie M i e 1 k e u. a. 3) gezeigt haben. Für die schweren
Fälle und für die volle Wirkungsentfaltung des Magnesium¬
sulfats sind aber 3 — 4 kumulierende, in 2 stündlichem Intervall
gegebene Dosen erforderlich; zur Erhaltung der erreichten
Wirkung genügen dann noch einige gleiche Dosen in 3 stünd¬
lichem Intervall. Am folgenden Tag muss die gleiche Behand¬
lungsmethode angewandt werden. Man sollte mit der Be¬
handlung beginnen, sobald irgend schwerere Symptome auf-
treten, um von Fall zu Fall rechtzeitig das Optimum in der
Dosierung gefunden zu haben. Durch Darreichung von Nar¬
kotika, besonders wo es aus psychischen Gründen indiziert ist
und für die Nacht, kann die Magnesiumtherapie wirksam er¬
gänzt und gesteigert werden.
Abtötung der Tetanuskeime am Orte der Infektion
durch ultraviolettes Licht.
Vorläufige Mitteilung von E. Jacobsthal und F. T a m m in
Hamburg.
f
In der Sitzung des ärztlichen Vereins in Hamburg voiv
17. November 1914 haben wir folgendes mitgeteilt:
Tetanussporen, wie auch die Anaeroben aus der Gruppe
des malignen Oedems sind, wie unsere systematischen Unter¬
suchungen gezeigt haben, ausserordentlich empfindlich gegen
kurzwelliges ultraviolettes Licht.
Dementsprechend haben wir künstlich und natürlich m i i
Tetanus infizierte Wunden den Strahlen dei
Kromayer sehen Quarzlampe und der künstlichen Höhen¬
sonne ausgesetzt. In einer Anzahl von Fällen -ist es uns ge¬
lungen, so die Tetanusbazillen und O e d e m b a z i 11 e r
vollständig zu entfernen. Die Strahlen der Höhensonne
werden 15 — 45 Minuten bei 25 cm Abstand unter Abdeckung
der Umgebung sehr gut vertragen. Die Applikation dei
Quarzlampenstrahlen in tiefe Höhlen der Wunden erfolg'
mittels besonderer von uns angegebener beweglicher Quarz¬
stäbe.
Wegen des starken Toxingehaltes der Infektionsstelk
(Nachweis durch die Toxizität des Berkefeldfiltrates) empfiehl
sich daneben chirurgische Reinigung der Wunde.
Wo eine Amputation nicht erwünscht oder unmöglich is
(Rumpfwunden), ergänzt die Strahlentherapie die übriger
Heilverfahren des Tetanus auf das glücklichste.
a) Literatur bei Stadler a. a. O.
1. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch. ined. Wochenschrift.
2325
Ein Beitrag zur Tetanustherapie.
Von Dr. Ernst Teller in Charlottenburg.
Der Tetanusbazillus, der Erzeuger des Wundstarrkrampigiftes,
besitzt u. a. drei der Wissenschaft bekannte Eigentümlichkeiten:
Eistens er ist in der Regel nur in der Wunde, dem Infektionsorte,
und erzeugt hier das ihm charakteristische Gift.
Sein Gift steigt in den peripherischen Nervenbahnen (v. Beh¬
ring: D.m.W. 1914 Nr. 41) empor zum Zentralnervensystem. Dort
angelangt bewirkt es nach einer Reaktionszeit von einigen Stunden
durch Reizung der motorischen Zentren den Wundstarrkrampf.
Die Zeit, welche das Gift braucht, von der Wunde zum Zentral¬
nervensystem emporzusteigen, ist die Dauer der Inkubationszeit. Sie
wird demnach wesentlich beeinflusst durch die Länge der Nerven¬
bahn und die Grösse des befallenen Organismus; beim Pferd beträgt
sic 5 Tage, beim Hund iVa — 2 Tage, bei der Maus 8 — 12 Stunden
(M. Meyer- Wien: Die experimentelle Pharmakologie).
Also nur das Gift, das Stoffwechselprodukt des Bazillus, wandert
vermöge seiner chemischen Affinität zur Nervensubstanz und zwar
entlang und innerhalb der Nervenbahnen (v. Behring, H. Meyer-
Wien: Die experimentelle Pharmakologie S. 538).
Der Bazillus selbst wandert nicht; er ist und bleibt in der
Wunde, vermehrt sich und produziert hier sein Gift.
Diese klar gewonnene Erkenntnis veranlasste v. Behring zu
dem therapeutischen Rat. die Antitoxineinspritzungen in diejenigen
Hauptnervenbahnen zu machen, auf denen je nach dem Ort der
Wunde das Toxin wahrscheinlich zum Zentralnervensystem hin¬
streben wird, also beispielsweise bei einer Fusswunde in den
Ischiadikus, bei einer Hand- oder Armwunde in den Plexus brachialis.
v. Behring konnte auf diese Weise einen seiner langjährigen
Mitarbeiter, der sich im Laboratorium an der Hand mit Tetanusrein¬
kultur stark infiziert hatte, infolge tiefeingedrungener Glassülitter vor
dem schrecklichen Tetanustod durch Antitoxininjektion in den ent¬
sprechenden Plexus brachialis bewahren, obwohl der Fall verloren
schien.
Zum anderen ist die Giftwirkung der Tetanusinfektion abhängig
von einer gewissen Temperatur. Kälte, d. h. in diesem Falle niedrige
Bluttemperatur, hält die Giftwirkung hintan oder lässt sie gar nicht
aufkemmen So sind Kaltblüter nur empfindlich gegen Tetanusgift,
wenn man sie längere Zeit bei 32° hält (H. Meyer- Wien: Exper.
Pharmakologie).
Ob der die Giftwirkung hemmende Einfluss der Kälte darauf be¬
ruht, dass die chemische Reaktion zwischen Toxin und Zentralnerven¬
system bei Kälte nicht stattfindet, oder darauf, dass der Tetanus¬
bazillus selbst — und das ist wohl das wahrscheinlichste — durch
Kälte geschädigt wird oder durch sie so beeinflusst wird, dass er
keine Giftstoffe produziert, ist meines Wissens noch nicht bekannt.
Wäre es möglich, durch Kälteapplikation den Tetanusbazillus zu
lähmen oder ungiftig zu machen, so bestünde darin eine sehr be¬
achtenswerte therapeutische Hilfe. Es ist mir nicht bekannt, ob Be¬
obachtungen darüber gemacht sind, dass Tetanuserkrankungen in
Winterfeldzügen seltener sind als im Sommer. In den tropischen
Ländern kommt der Tetanus viel häufiger vor als in unserem Klima.
Bekannt ist namentlich die Häufigkeit der Erkrankung bei Negern
(Strümpell: Lehrbuch der spez. Pathol. u. Ther. S. 611).
Drittens ist der Tetanusbazillus anaerob, d. h. er gedeiht nur
unter Sauerstoffabschluss. Deshalb benutzt man zu seiner Züchtung
reduzierende Nährböden. Daher nistet er hauptsächlich in tiefein¬
dringenden, verunreinigten Wunden aus straffem, sehnigem Gewebe
mit Gewebszertrümmerung, in lappenförmigen und taschenförmigen
Wunden.
Das hängt damit zusammen, nach v. Behring, „ — dass nach
Zertrümmerung — insbesondere von Muskelgewebe1 — die absterben¬
den Teile den Sauerstoff chemisch binden und zur Bildung hoch¬
oxydierter Körper (z. B. Fleischmilchsäure) verwenden. Derartige
mit Sauerstoffzehrung verbundene Prozesse kann man auch
überall da beobachten, wo im lebenden Organismus sog. tote Räume
entstehen Durch mitgerissene Kleiderfetzen, durch Granatsplitter
mul andere Fremdkörper erfolgt häufig genug auch der Import von
Tetanussporen enthaltenden Erdpartikelchen in die toten Räume, wo-
nit dann die günstigsten Bedingungen für die Vermehrung des Virus,
für die Giftproduktion und für die tetanische Vergiftung gegeben
sind.“ —
Die Eigenschaft des Tetanuserregers, nur bei Sauerstoffabschluss
-U gedeihen — die Anaerobiose — ist meines Wissens therapeutisch
toch nicht verwertet worden, obwohl es nahe liegt, ihn gerade auf
Qrund dieser Eigenart zu bekämpfen.
Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat ja eine grosse Aus¬
wahl solcher Präparate erzeugt, die bei der Berührung mit den Wund-
ekreten und den Wundflüchen beständig Sauerstoff absnalten ohne
lie Wunden zu reizen, z. B. HaOs-Merck, Ortizon-Bayer, Magnesium-
icrhydrol u. a.
Mit Erde oder schmutzigen Kleiderfetzen oder sonstwie ver-
mreinigte frische Wunden, die ihrer Entstehungsweise nach tetanus-
verdächtig sind, sollten unter allen Umständen neben ihrer chirurgi-
•ichen Behandlung intensiv mit Sauerstoff erzeugenden Lösungen,
Wundstiften oder Pulvern beschickt werden. — Auch bei älteren
Wunden, die schon zum beginnenden Starrkrampf geführt haben, kann
.‘in derartiges Vorgehen nur heilsam sein, indem der Sauerstoff Aus¬
sicht bietet die Tetanusbazillen zum Absterben zu bringen und somit
weitere Toxinproduktion zu verhindern. — Auch wirkt der in der
Wunde lebhaft aufschäumende Sauerstoff sanft mechanisch reinigend,
auch andere Keime abtötend, schmierige Beläge und Blutgerinnsel
sowie absterbende Gev/ebsteile ablösend und niemals schadend.
Bei schon ausgebrochenem Tetanus wäre ausser der Wundbe¬
handlung mit Antitoxin und Sauerstoff die endoneurale Antitoxin¬
injektion vorzunehmen. Die allgemeine Muskelerregbarkcit wäre mit
Chloralhydrat 2,0 — 3,0 oder Veronalnatrium 1.0 — 1,5 per elysma oder
mjt subkutaner Injektion von 0,02 Morphin + 0,001 Hyoszin zu be¬
kämpfen. Dazu kämen noch Iumbo-spinale Antitoxininjektionen. Die
Ernährung wäre am wirksamsten zu erreichen durch die Magensonde
via Nase, falls Trismus Schlucken und Saugen ganz unmöglich macht.
Kriegsbrief aus der Kriegslazarettableilung des
I. bayer. Armeekorps.
III. Brief.
Von Generalarzt Professor Dr. Klaussner.
Im nachfolgenden seien in Kürze unsere kriegschirur¬
gischen Erfahrungen iin allgemeinen niedergelegt, sie sind von
mir im Verein mit Oberstabsarzt Prof. Dr. Schönwerth,
Stabsarzt Prof. Dr. Grashey, Stabsarzt Dr. Schindler
und dem Hygieniker Stabsarzt Privatdozent Dr. Schneider
zusammengestellt und basieren hauptsächlich auf Beob¬
achtungen, die wir in einer stabilen Formation, dem Kriegs¬
lazarett, wahrzunehmen Gelegenheit hatten; letzteres ist in
hiesigem Orte bereits über 3 Wochen etabliert, nachdem es
vorher schon anderweitig auf je 8 Tage eingesetzt worden
war. Die Zahl der von uns in diesen Wochen stationär be¬
handelten Kranken beläuft sich bis jetzt (22. X. 14) auf
3300 Fälle.
Vom kriegschirurgischen Standpunkte aus beirachtet liegt
der Wert unserer Erfahrungen hauptsächlich in dem Um¬
stande, dass wir in der Lage waren, das weitere Schicksal
unserer Verletzten und Operierten längere Zeit zu verfolgen.
Dadurch ist es uns möglich geworden, über den Krankheits¬
verlauf und über das Resultat unserer operativen Eingriffe ein
Urteil abzugeben. In den Feldlazaretten ist dies ganz aus¬
geschlossen, weil die Verwundeten meist schon nach wenigen
Tagen evakuiert werden müssen. Ebenso sind die in den
Heimatlazaretten gemachten Erfahrungen für den Kriegs¬
chirurgen zwar als Ergänzung von der grössten Wichtigkeit,
lassen sich jedoch für die Kriegschirm gie im engeren Sinne
weniger verwerten; denn die Kranken erreichert die Heimat
meist relativ spät, während ihr Schicksal sich meist schon in
den ersten Tagen entscheidet. Dazu kommt noch die Tatsache,
dass die Art der dortigen Therapie sich in keiner Weise von
der Friedenspraxis unterscheidet.
Der Fachchirurg wird in den nachfolgenden Zeilen mehr¬
fach Einzelheiten angeführt finden, die ihm überflüssig, ja
selbstverständlich erscheinen. Wir glaubten trotzdem davon
nicht absehen zu dürfen, weil wir an unseren Verwundeten
mehr als einmal gesehen haben, dass selbst gegen einfache
chirurgische Grundsätze gefehlt worden ist. Im Interesse
unserer Verletzten sei daher darauf aufmerksam gemacht.
Wir sind uns dabei wohl bewusst, dass solche einzelne Ver-
stösse bei der oft geradezu übermenschlichen Inansnruch-
nahme der vorderen Formationen sich begreifen lassen.
Ueberhaupt kann von einer allzustrengen Beurteilung in dieser
Beziehung nicht dringend genug gewarnt werden. Was die
Aerzte in der Front leisten müssen, unter welchen Umständen
sie häufig gezwungen sind, ihren schweren Beruf zu erfüllen,
das kann nur derjenige abschätzen, der selbst im Felde ge¬
standen ist.
Im allgemeinen wurden die Verwundeten erst 4-10 Tage nach
stattgehabter Verletzung unserem Kriegslazarette überwiesen: sel¬
tener kamen sie, der momentanen Kriegslage entsprechend, schon
nach 2 mal 24 Stunden in Zugang, und nur vereinzelte bereits nach
wenigen Stunden; letzteres ausschliesslich nach Unfällen, die sich in
unmittelbarer Nähe des Etablierungsortes zugetragen hatten.
Die Wunden waren bei Einlieferung der Patienten im Kriegs¬
lazarett meist mit dem bekannten Verbandpäckchen versorgt; statt
dessen sah man aber auch vielfach mit Pflasterstreifen fixierte Gaze-
stiieke. Es sei schon an dieser Stelle bemerkt, dass diese beiden
Verbände sich nicht allzu seifen verschoben hatten, ein Umstand, der
in Verbindung mit dem oft lange dauernden, durchaus nicht immer
schonenden Transporte das Zustandekommen der von uns so häufig
2326
Nr. 48.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
beobachteten Infektionen begünstigen muss. Viel seltener sahen wir
Mastisolverbände. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass Mastisol
in Anbetracht seiner ausgezeichneten Klebekraft und seiner anderen
wohlbekannten Vorzüge im Felde viel mehr verwendet werden sollte,
als dies tatsächlich bis jetzt geschehen ist, und dass hiedurch manche
sonst unausbleibliche Infektion vermieden werden könnte.
Mit Gipsverbänden fixierte Schussfrakturen wurden uns äusserst
selten überwiesen; es erklärt sich dies aus dem Umstand, dass
meistens infizierte Fälle Vorlagen und dass andrerseits mit Gipsver¬
band versehene, nicht infizierte Frakturen gewöhnlich von der Front
aus ohne weitere Zwischenstationen in die Heimat geschafft werden.
Im übrigen betrachten wir die Verwendung des Gipsverbandes als
das Idealverfahren bei allen Schussfrakturen, die einen aseptischen
Verlauf erwarten lassen. Der Gipsverband ist nach den Regeln der
Kunst unter guter Extension und Kontraextension mit genügender
Polsterung eventuell in Narkose anzulegen und sollte diese Behand¬
lung in geeigneten Fällen schon bei den Sanitätskompagnien und in
den Feldlazaretten soviel wie möglich durchgeführt werden. Eine
gewissenhafte Kontrolle dieser Verbände während der nächsten Tage,
auch während des Transportes ist ein unumstössliches Erfordernis;
wenn möglich sollten derartig versorgte Patienten überhaupt nicht
vor dem 3. Tage evakuiert werden — selbstverständlich kommen hier
auch die neuerdings wieder so warm empfohlenen, aber schon lange
bekannten und geübten unterbrochenen und gefensterten Gipsver¬
bände vielfach in Betracht. — Die so zweckmässigen Extensions¬
verbände konnten nur selten angewendet werden, weil die Verwunde¬
ten meist erst lange nach stattgehabter Verletzung in unsere Behand¬
lung kamen und an den häufig nur improvisierten Betten ein Zug
überhaupt nicht anzubringen war.
Die meisten von uns beobachteten Schussfrakturen wurden mit
Schienenverbänden eingebracht. Sie waren im allgemeinen voll¬
kommen zweckentsprechend angelegt, doch sahen wir auch Fälle,
bei denen die Schienen zu kurz und nicht genügend mit Binden fixiert
waren; die nicht selten vorhandene seitliche Verschiebung der
Schiene hätte sich unschwer durch Umschlingen der beiden Schienen¬
enden mit Bindentouren vermeiden lassen. Der Schienenverband
kommt in Betracht bei Komplikationen: bei Frakturen mit grossen
Weichteilwunden oder bei bereits stattgehabten Infektionen; letztere
waren bei den uns überwiesenen Fällen erschreckend häufig; daher
der vorwiegende Gebrauch der Schienen zur Fixation der Frakturen.
Zur Verwendung gelangten mit Vorliebe die bekannten Kramer-
schen Schienen und französische zuschneidbare Drahtgeflechte, die
sich beliebig verlängern und modellieren lassen; leider sind bei letz¬
teren Verletzungen der Hände der Verbindenden an den vorstehenden
Drahtenden nicht selten, ein Umstand, der gerade bei gleichzeitiger
Behandlung von Eiterungen wegen der Infektionsgefahr wohl zu be¬
herzigen ist. Vielfach wurden improvisierte Schienen verwendet, ein¬
fache Holzlatten, 4 — 5 cm breit, 1 cm dick, welche vom Personal
jederzeit in beliebiger Länge rasch hergestellt werden konnten; die¬
selben haben sich sehr gut bewährt.
Oberschenkelbrüche wurden hiezu mit einer Aussenschiene, die
von der Gegend der unteren Rippen bis eine Handbreit unter den
Knöchel sich erstreckt und einer Innenschiene, die von der Symphyse
ebensoweit nach abwärts geht, behandelt; von grösster Bedeutung
ist dabei die genügende Polsterung an Spina, Kniegelenk und Knö¬
cheln. Spitzfussstellung und Rotation des peripheren Frakturendes
ist sorgfältig zu vermeiden.
Die bei Unterschenkelbrüchen anfangs verwendeten Volk-
mann sehen Schienen und Bonnet sehen Drahthosen mussten, da
sie nur in geringer Zahl vorhanden waren, bald durch improvisierte
Lattenverbände ersetzt werden.
Oberarmfrakturen wurden mit den bereits erwähnten Kramer-
schen Schienen, französischen Drahtgeflechten oder auch mit Papp¬
streifen fixiert.
Ueber das Verhalten der Wunden sei bemerkt, dass die Ver¬
letzungen durch das Infanteriegeschoss aus grösserer Ferne kleine,
meist trockene und nichtinfizierte Schussöffnungen aufwiesen; auch
viele Schrapnellwunden waren von derselben Beschaffenheit.
Im Gegensatz hierzu stehen die durch Granaten zerfetzten Wun¬
den, welche bei der gegenwärtigen Kriegsführung die überwiegende
Mehrzahl der Verletzungen bilden, sie charakterisieren sich durch
ihre Grösse, die Tiefenwirkung, die ausgedehnte Zerstörung der
Weichteile und die oft sehr ausgedehnte Knochensplitterung. Häufig
wurde multiples Vorkommen der Verletzung beobachtet; die Grösse
der Kontinuitätstrennung und der ausgedehnten Weichteilquetschung
bedingen die grosse Neigung zu Infektionen.
Die meisten Granatverletzungen kamen im infizierten Zustande
zu uns. Im allgemeinen konnten wir hierbei 2 Arten der Verletzungen
unterscheiden:
1. Riesige Wunden, Zerstörung und Abreissung der Weichteile,
oft bis auf den Knochen; letzterer weithin freiliegend und vielfach
zersplitternd, therapeutisch häufig nur mehr die Amputation in Be¬
tracht kommen lassend.
2. Kleinere, etwa markstückgrosse Wunden mit Taschenbildung;
bei der wegen Infektion erforderlichen Spaltung fand sich fast regel¬
mässig ein oft bis auf den gebrochenen Knochen führender Eitergang,
der häufig Fremdkörper (Geschossteile und Kleiderfetzen) enthielt.
Abschüsse grösserer Extremitäten konnten wir niemals beobach¬
ten. wohl deshalb nicht, weil dieselben schon in den vorderen Linien
versorgt werden mussten.
Bei den Infektionen handelte es sich in überwiegender Anzahl
um schwere Formen. Das bisweilen scheinbar günstige Verhalten
der Wunden erwies sich bei der Spaltung als trügerisch. Wir waren
immer wieder erstaunt, auch bei äusserlich ganz unscheinbaren Pro
zessen ausgedehnte eitrige Infiltrationen und vor allem ein weit nach
aufwärts reichendes, seröses Oedem zu finden. Einen entschieden för¬
dernden Einfluss auf die Bösartigkeit und das Fortschreiten der Eite¬
rung schien uns vorausgehende, infolge von Verletzung nötig ge¬
wordene Unterbindung von Gefässstämmen zu bilden.
Arrosionsblutungen wurden relativ häufig beobachtet, sowohl bei
ausgedehnten Weichteilverletzungen durch Granaten, als auch durch
Infanteriegeschosse aus grosser Nähe bedingt. Der Hergang hierbei
war der folgende: die ausnahmslose Infektion der Wunde machte die
ausgedehnte Spaltung des Infiltrates notwendig, eine wesentliche Blu¬
tung wurde hierbei nicht beobachtet. Zu einer Zeit, wo die Eiterung
bereits ganz oder teilweise zum Stillstand gekommen war, zwischen
10 — 20 Tagen, trat plötzlich eine heftige, den ganzen Verband durch-
tränkendc Blutung auf. In mehreren Fällen erwies sich als die Ur¬
sache ein grösseres Gefäss, welches unterbunden werden konnte; in
anderen Fällen zeigte es sich, dass nach Ausräumung der Blutgerinn¬
sel aus der Wundhöhle die Blutung bereits von selbst stand und ein
arrodiertes Gefäss sich überhaupt nicht finden Hess; es scheint sich
in diesen Fällen lediglich um Blutungen aus Muskelästen gehandch
zu haben.
Die Behandlung bestand in Unterbindung spritzender Gefässe,
event. im Tamponieren der Wundhöhle; in einem Falle war die Blu¬
tung eine derartige, dass nur sofortige Amputation das bedrohte Leben
erhalten konnte.
Eine im Frieden nur seltene Infektion stellt die üasphlegmonc
' dar, von der wir im ganzen 30 Fälle, meist im Bereich von Gesäss
und unteren Extremitäten, in der überwiegenden Mehrzahl durch
Granatverletzung bedingt, beobachten konnten. Charakteristisch ist
das rasche Auftreten (oft schon 2 Tage nach stattgehabter Infektion),
sowie das rapide, im Zeitraum von wenigen Stunden sich vollziehende
Fortschreiten. Die Wunde zeigt schmierigen Belag und entleert
jauchigen, stinkenden Eiter. Weichteile ödematös, die Haut dunkel¬
rot, in späterem Stadium eine eigentümliche graubraune Verfärbung
auf weisend; Perkussion: lufthaltigen Schall ergebend; auf Druck deut¬
liches Knistern; bei der Inzision entleert sich Gas, bisweilen unter
lautem Geräusch.
Die Prognose war eine schlechte; weitaus in den meisten Fällen
trat schon nach kurzer Zeit der Tod unter den Erscheinungen der
Sepsis ein.
Unsere Behandlung bestand in sehr ausgedehnten, tiefen, das
ganze Infiltrat rücksichtslos spaltenden Inzisionen. Auf diese Weise
konnten wir wenigstens in einigen Fällen Heilung erzielen: auch nach
Amputationen sahen wir etliche Male Erfolge. Mit der Möglichkeit
der Amputation ist in jedem derartigen Falle von vornherein zu
rechnen; den richtigen Zeitpunkt hierfür zu bestimmen ist oft sehr
schwer.
Gangrän im Bereich der Extremitäten wurde besonders im An¬
schluss an Granatverletzungen beobachtet. Neigung zu Demarkation
war in unseren Fällen nur in sehr geringem Grade zu beobachten.
Der progrediente Charakter war vorherrschend. Die Behandlung
konnte nur in Amputation bestehen.
Erysipel als solches für sich allein haben wir niemals ge¬
sehen; es wurde dasselbe höchstens im Verein mit phlegmonösen
Prozessen und auch da nicht häufig beobachtet.
Tetanusinfektionen kamen im Kriegslazaratt besonders
gehäuft in unserer letzten Ortsunterkunft vor, und zwar wurden deren
innerhalb 3 Wochen 21 beobachtet. Sie traten bei Verwundeten auf,
die im Kriegslazarett selbst bis dahin behandelt worden waren oder
sie sind aus Feldlazaretten der Umgebung zugegangen. Mit Aus¬
nahme dreier Fälle waren die Verwundungen durch Artillerie¬
geschosse verursacht und sehr schwer; meist waren mehrere Ex¬
tremitäten — in einem Falle alle 4 — unter gleichzeitiger Verletzung
von Weichteilen und Knochen betroffen. 7 mal war vor Auftreten der
Starrkrampferscheinungen eine Amputation resp. Exartikulation an
einer Extremität gemacht worden; bemerkenswert ist hier besonders
ein Fall, bei dem 5 Tage nach der Verwundung (Granatsplitterver¬
letzung des rechten Armes) eine Exartikulation des Schultergelenkcs
vorgenommen worden war und 16 Tage nach der Verwundung der
Tetanus aufgetreten ist. J
Die Inkubationszeit schwankte zwischen 5 und 16 Tagen. Von
den 21 Patienten sind bis heute 17 gestorben; und zwar erlagen der
Tetanusinfektion die meisten — 14 — innerhalb 4 Tagen nach Kon¬
statierung der ersten verdächtigen Symptome. Ein Unterschied in
der Schwere der Erkrankung je nach der Dauer der Inkubationszeit
in dem Sinne, dass die Fälle mit kürzerer Inkubationszeit rascher
und bösartiger verliefen, Hess sich im allgemeinen nicht feststellen.
Bei einem Kranken z. B„ bei dem der Tetanus bereits nach
einem Tag zum Tode führte, waren zwischen dem Auftreten
der ersten Krämpfe und der Verwundung 11 Tage ver¬
strichen: von 4 anderen Fällen, die nach 2 Tagen zugrunde
gingen, hatte der eine eine Inkubationszeit von 5, 2 eine solche
von 9 und einer eine solche von 12 Tagen. Bluttemperatur und
Pulszahl haben ebenfalls kein eindeutiges Kriterium für die Prognose
in unseren Fällen ergeben. Wir verloren Kranke, bei denen die Tem¬
peratur nicht über 38 u und die Pulszahl nicht über 90 und 90 ge¬
stiegen war. Meist trat allerdings nach dem Ende zu hohe Puls-
■ Dezember 1914. _ Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2327
equenz auf und bedeutete so ein ungünstiges Zeichen; dasselbe gilt
ich hinsichtlich der Temperatur, deren Erhöhung aber gewiss hie
id da hauptsächlich durch die eiterigen Prozesse an den Wunden
.'dingt war.
Was unsere Behandlungsart betrifft, so haben wir bisher von
ner örtlichen, bei der Heilserum getrocknet der Wunde aufgestreut
orden wäre oder bei der Einspritzungen flüssigen Serums in die
mgebung der Wunde oder in die erkrankten Nerven gemacht wor-
_'ti wären, Abstand genommen. Duralinfusionen unterblieben aus
issercn Gründen. Unsere Behandlung bestand anfangs in der sub-
itanen oder intramuskulären Einverleibung von Tetänusantitoxin-
•rum „Höchst“. Ein Erfolg blieb aber vollkommen aus, obgleich
s zu 600 Antitoxineinheiten innerhalb 4 Tagen eingebracht wurden,
ieses negative Resultat und frühere experimentelle Untersuchungen
Schneiders über den Antikörpergehalt des Blutes bei ver-
hiedener Applikationsweise von Pneumokokkenimmunserum Hessen
is das Heilverfahren folgendermassen abändern. Jeder Patient mit
tanischen Erscheinungen erhält sofort 60—120 Antitoxineinheiten in
e Armvene injiziert. Das gleiche geschieht gewöhnlich auch noch
n nächsten event. übernächsten Tage. Hierdurch soll das Blut einen
öglichst hohen Gehalt an Antitoxin möglichst rasch erhalten, um ent¬
eilendes Toxin an der Wunde abfangen und zirkulierendes neutrali-
eren zu können. Bis jetzt wurden keine unerwünschten Neben¬
scheinungen infolge der intravenösen Seruminjektionen beobachtet,
den späteren Tagen werden letztere fortgesetzt oder wenigstens
irch tägliche subkutane Einverleibung des Heilserums der Antitoxin-
er auf der Höhe zu halten gesucht. Seitdem wir so vorgehen, sind
e Resultate einigermassen besser.
Unbeschadet der Dauer der Inkubationszeit konnte bei so be-
mdelten Fällen mit schwersten allgemeinen Starrkrampferschei¬
ngen, die bei der subkutanen Applikationsweise m. E. in 2 — 4 Tagen
in Tode geführt hätten, der Eintritt dieses fatalen Ausganges bis
f den 8. und 9. Tag verschoben und bei 2 Patienten, deren Er-
ankung 6 resp. 7 Tage zurückdatiert, bis heute verhütet werden,
n Fall der unter dem Bild des lokalen Tetanus verlaufen ist, hat
r mehr leichte Krämpfe in der erkrankten Extremität und ist als
heilt anzusehen. Jedenfalls dürfte unserem jetzt geübten Verfahren
f Grund dieser allerdings noch spärlichen und bescheidenen Er-
irungen sowie oben angedeuteten Versuche und Erwägungen das
ort zu reden sein. Neben der spezifischen Antitoxinbehandlung
rd natürlich an den Narkoticis Morphium und Chloralhydrat nicht
spart. Letzteres wurde bis zu 6 g pro die gereicht und lindert
i vielen Tetanuskranken die Schmerzen besser als Morphium. Nur
einem Falle mit besonders heftigen Schmerzen und Krämpfen wurde
^rphium zusammen mit Skopolamin, und zwar mit gutem Erfolge
gewendet.
Neuerdings wird von uns das Tetanusantitoxin vielfach pro-
ylaktisch, besonders bei grossen, verunreinigten Wunden in der
enge von 60 AE. subkutan gegeben.
Eine behelfsmässig hergestellte Kochkiste für den
Gebrauch im Felde.
>n Oberstabs- und Chefarzt Dr. Kroner und Oberapotheker
Dr. Peyer, Feldlazarett 11 Gardereservekorps.
Es bedarf keiner näheren Ausführung, von wie unendlicher Be¬
ttung im Felde die Ernährung des Soldaten ist. Nur ein gut er¬
ster Soldat vermag die grossen Strapazen zu ertragen, die von
in verlangt werden und verlangt werden müssen.
Als eine segensreiche Erfindung hat sich nun die fahrbare Feld-
Lhe erwiesen, die den Truppen überall hin zu folgen imstande ist,
I fast bis an die Schützenlinien heran vorfährt, um den Soldaten
< warme Kost zu bringen.
Wie volkstümlich die Feldküche geworden ist, beweist die Tat-
;:he, dass der Volkswitz für sie schon einen eigenen Namen
• ulaschkanone“ geschaffen hat. Während nun die fechtenden Trup-
I I durchweg mit Feldküchen ausgestattet sind, konnte dies aus
‘iseren Gründen bisher noch nicht geschehen bei den Munitions-
\ onnen und Trains. Hier ergeben sich grosse Schwierigkeiten, den
nnschaften warme Kost zu verabfolgen. Bei den langen Märschen
i Staffelverband ist häufig keine Gelegenheit gegeben, um abzu-
vhen, was im Freien stets mehrere Stunden in Anspruch nimmt.
V Ungewissheit, wie lange ein Halt dauern wird, lässt es oft nicht
fsam erscheinen, mit dem Abkochen zu beginnen, da jeden Augen-
:k der Befehl zum Weitermarsch erfolgen kann.
Bei unseren langen Märschen in West und Ost war dies mehr-
tjh der Fall und öfter wurde das Quartier abends so spät erreicht,
Ts ein I eil der Mannschaften sich übermüdet zur Ruhe legte, ohne
[ Abkochen abzu warten, so dass diese Leute an einem solchen
Ue ohne warme Nahrung blieben. Ein Anwärmen der geöffneten
1 .ihscn mit Fleischkonserven blieb nur ein Notbehelf.
Dieser Uebelstand liess im Schosse des Feldlazaretts den Ge-
Tken entstehen, behelfsmässig eine sogen. „Kochkiste“ herzu-
'llen. Die Anwendung der Kochkiste im Haushalt ist neuerdings
Qt unbekannt, doch ist sie unseres Wissens bisher nicht für Massen-
- ährung verwendet worden. Der Plan konnte erst zur Ausführung
Eingen, als unser Feldlazarett eingerichtet und durch Zuweisung
eines erbeuteten russischen Kastenwagens ein Transportmittel für die
Kochkiste geschaffen war.
Die Herstellung der Kochkiste erfolgte nur durch Mannschaften
des Feldlazaretts unter Anleitung und Beihilfe des Oberapothekers.
Die Zeitdauer betrug knapp einen Tag, die Materialkosten etwa 15 M.
Bevor ein Versuch mit der eben fertig gewordenen Kochkiste
angestellt werden konnte, bewährte sie sich in der Praxis: Unser
Feldlazarett marschierte in der Gefechtsstaffel bei 3 — 4° C bei sehr
heftigem Wind und Regen.
Ein kleiner Halt wurde benutzt, um die Mahlzeit, bestehend aus
Fleisch- und Gemüsekonserven zu bereiten. Das Essen hatte gerade
aufgekocht, als der Befehl zum sofortigen Weitermarsch eintraf. Es
wurde nun der Kessel in die Kochkiste gestellt und als das Feld¬
lazarett nach neunstündigem Marsch und Halts bei andauerndem
Regen und Sturm Quartier bezog, war die Speise so heiss, dass sie
kaum genossen werden konnte.
Hatte die Kiste somit ihren Wert als Wärme kiste erwiesen, so
zeigten späterhin angestellte Versuche, dass sie auch als Koch¬
kiste ihren Zweck erfüllt.
Als Beweis gelte folgender Versuch:
Die Mahlzeit für 60 Mann bestehend aus 22,5 kg Schweinefleisch,
40 kg geschälten Kartoffeln und 3,5 kg weissen Bohnen wurde zu¬
sammen mit dem nötigen Wasser und Gewürzen zum Sieden ge¬
bracht, und Yi Stunde darin erhalten, danach wurde der Kessel in die
Kochkiste gebracht und letztere verschlossen. Die Aussentemperatur
betrug 6 — 8°. Bei dem nach 4 Stunden erfolgenden Oeffnen des
Kessels ergab sich folgendes Resultat: das Fleisch war völlig weich,
die Kartoffeln waren gut durchgekocht und die Bohnen ebenfalls ge¬
nussfähig. Die Temperatur der Speise betrug 75°. Nach weiteren
4 Stunden betrug die Temperatur 64". Die Beschaffenheit der Speise¬
bestandteile hatte sich, abgesehen von den Kartoffeln, die etwas zer¬
fallen waren, nicht geändert. Nach im Ganzen 24 Stunden war die
Temperatur auf 40° gesunken. Nach Geschmack und Konsistenz
war das Essen auch jetzt noch als durchaus wohlschmeckend zu be¬
zeichnen.
Zu beachten bleibt, dass das Essen mit weniger Wasser an¬
gesetzt werden muss, als beim Kochen auf dem Herde nötig ist, da
naturgemäss kein Verdampfen stattfindet und sonst das Essen zu
dünn gerät.
Fig. 1. Querschnitt. Fig. 2. Ansicht von oben.
hoi.. „ = oansrHÄ- «sr frw zfssrts&s.
ringe am Kessel. 1 — Reifen aus Gummi von einem Automobil, n = Rahmen aus Holz
o = Handgriff (an allen 4 Seiten) aus Seil, p = Speise, qu = Raum für die Isolierschicht.
r = Drahtgaze.
Die Einrichtung der Kochkiste ist folgende (Fig. 1 u. 2):
i • P*e/ besteht im wesentlichen aus einem Kessel, einer Isolier¬
schicht (qu) und einer Holzkiste.
Unser Kupferkessel, der beiderseitig verzinnt ist — es ist jeder
Kessel verwendbar — hat folgende Ausmessungen:
oberer Durchmesser .... 70 cm,
unterer Durchmesser ... 50 cm!
^öhe . 55 cm-
bein Rafid ist nach aussen umgebogen. Zwei bewegliche Eisen-
ringe (k) dienen als Griffe. Der Rauminhalt beträgt 150 Liter, davon
ausnutzbar 120 Liter. Die Kiste, deren Querschnitt ein Trapez ist,
ist aus 1/2 cm starkem Holz gefertigt und hat folgende Masse:
obere Breite
Länge . .
untere Breite
Seitenwand .
95 cm,
100 cm,
65 cm,
68 cm.
Es war geboten, der Kiste die Form eines Troges zu geben, um sic
genau in den für sie bestimmten Wagen einzupassen und den vor¬
handenen Raum auszunutzen. Der Raum zwischen Kiste und Kessel
ist mit einem schlechten Wärmleiter (qu) ausgefüllt. Für den Boden
wurde ein Gemenge von zusammengeballtem Zeitungspapier und
Holzdrehspanen gewählt, während die Seitenwände mit Drehspänen
fest ausgestopft wurden. Als Isoliermaterial könnte auch Torfmull,
der wenig Erde enthält, rohe Watte, Asche, Zeitungspapier u. a.
dienen. Das Füllmaterial schliesst nach oben hin ein Holzrahmen (nj
2328
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. .
ab, an ihn ringsherum angenagelt ist ein Korb (r) aus Drahtgeflecht
zur Aufnahme des Kessels.
Der feste Verschluss des Kessels wird auf folgende Weise er¬
zielt: Zur Abdichtung dient ein kreisbogenförmiges Stück eines alten,
durch Auskochen gereinigten Automobil-Radmantels (1), der sich dem
Kesselrand gut anschmiegt; darauf liegt ein Holzdeckel (g), der durch
eine Leiste (h), die stramm in die Trageringe (k) hineinpasst, fest¬
gehalten wird. Um den Deckel fest anzupressen, wird ein Holzkeil (i)
zwischen Deckel und Leiste geschlagen, dadurch wird diese an die
Ringe gedrückt und der Deckel fest an die Gummidichtung. Der
Deckel selbst wird zur besseren Isolation durch Kissen geschützt, die
aus Sackleinwand gefertigt und mit dem erwähnten Isoliermaterial
gefüllt sind. Die Kiste wird dann noch durch einen Holzdeckel ver¬
schlossen. Um einem unnötigen Spritzen und Bewegen der Flüssig¬
keit und einem damit bedingten Wärmeverlust vorzubeugen, befindet
sich im Innern des Kessels eine Holzscheibe (f), die auf der Flüssig¬
keitsoberfläche schwimmt.
Nach unseren Angaben haben schon mehrere Kolonnen unseres
Verbandes, die bis zu 180 Mannschaften zu verpflegen haben, sich
eine gleiche Kochkiste gebaut und sind, ebenso wir wir selbst, in jeder
Weise befriedigt.
Auswärtige Briefe.
Brief aus Köln.
(Eigener Bericht.)
In unserer, der Westgrenze des Reiches benachbarten Festung
kommt der Kriegszustand immerhin mehr als an vielen anderen
Orten zur Geltung Wen ein nächtlicher Gang über die Rheinbrücke
führt, der hat Gelegenheit, in besonders eindrucksvoller Weise sich
davon überzeugen. Der Blick fällt auf den breiten, matt schimmern¬
den Strom, auf den ragenden Dom im Hintergrund und die alte turm¬
reiche Stadt, ganz das vertraute schöne Bild. Aber es hat einige
Züge verändert, die eine eindringliche Sprache reden. Die mächtige
Brücke, scharf bewacht und nur mit militärischem Passierschein be¬
tretbar, ist in ungewohntes Dunkel gehüllt und am Firmament wan¬
dern leuchtende Streifen rastlos hin und her, Strahlen von Schein¬
werfern. die Fühlern gleich den Himmel nach Flugzeugen 'abtasten.
Zahlreicher wohl als anderwärts sehen wir an unserer grossen
Durchgangsstation die Züge mit begeistert unter vaterländischen
Gesängen gegen den Feind ziehenden Truppen, zahlreicher empfangen
wir aber auch die stilleren Transporte verwundeter oder erkrankter,
vom Felde heimkehrender Krieger. Bei dem enormen Verkehr hat
man Gelegenheit genug, die grossen Schwierigkeiten zu erkennen,
welche der Verpflegung und ärztlichen Versorgung umfangreicher
Verwundetentransporte entgegenstehen, man kann aber auch mit
Befriedigung die rasche Entwicklung und Vervollkommnung der
nötigen Einrichtungen verfolgen. Der militärische, von dem Gar¬
nisonsarzt, Oberstabsarzt L a m b e r t z, geleitete Sanitätsdienst und
die unter dem roten Kreuz verbundenen Vereine für freiwillige
Kriegskrankenpflege mit dem rührigen ärztlichen Beigeordneten der
Stadt Köln, Prof. K r a u t w i g. an der Spitze, arbeiten einträchtig an
der gemeinsamen grossen Aufgabe. Frauen und Mädchen der Stadt
teilen sich in eine, ohne Unterbrechung Tag und Nacht währende,
Wache auf den Bahnhöfen, um die durchkommenden Truppen und
Verwundeten mit belegtem Brot und warmen Getränken, Suppe, Kaffee,
Milch oder Kakao zu verpflegen. Fine grosse Zahl von Kölner
Aerzten hat sich zum Dienst auf der Verbandstation des Bahnhofes
zur Verfügung gestellt.
Von seiten der Bahnverwaltung wird das in Aussicht stehende
Eintreffen eines Verwundetenzuges und die Stärke von dessen Be¬
legung, wobei leicht und schwer Verwundete, sowie Deutsche und
Oiefangene unterschieden werden, rechtzeitig an die Zentrale der
freiwilligen Kriegskrankenpflege im Stadthause gemeldet. Von hier
aus werden die Verpflegungsstation des Bahnhofes, ferner die nötige
Anzahl von Aerzten verständigt und Automobile ausgesandt, um
letztere herbeizuholen.
Neben der etwa nötigen Erneuerung oder Verbesserung der
Verbände liegt den am Bahnhofsdienst teilnehmenden Zivilärzten auch
die Entscheidung ob. wer von den Kranken oder Verwundeten aus
ärztlichen Gründen von der Weiterreise ausgeschlossen werden muss.
Anfangs wurde auch noch dem menschlich gewiss sehr verständlichen
Wunsche der Verwundeten, jeweils in ihre Heimat verbracht zu wer¬
den, möglichst Rechnung getragen, doch musste davon bei der
starken Mischung der Truppenkontingente aus den verschiedensten
Teilen Deutschlands aus eisenbahntechnischen Gründen bald Abstand
genommen werden. Ein regelmässig anwesender Militärarzt be¬
stimmt die Reihenfolge der Lazarette, in welche die in Köln ver¬
bleibenden Leute zu verbringen sind. Ein speziell beauftragter Arzt
sorgt durch Telefonanruf für die jeweils erforderlichen Transport¬
mittel. seien es Automobile oder Trieb- und Anhängewagen der
städtischen elektrischen Strassenbahn. Die letzteren bewähren sich
besonders für den Transport schwerer Verwundeter auf den Trag¬
bahren. Die Sitze der Anhängewagen sind herausgenommen, eine
Anzahl der Tragbahren können auf dem Boden der Wagen unterge¬
bracht und ie 2 Bahren quer durch die offenen Fenster hindurch auf
iede Fensterbrüstung gelegt werden. Es werden so bis zu 10 Kranke
auf Bahren in einem Wagen befördert.
Die Verbandstation des Bahnhofes, auf der Krankenschwesti
aus einem benachbarten Spitale, Helferinnen vom roten Kreuz u
eine grosse Anzahl von samariternden Aerzten an die Hand geh
hat sich aus bescheidenen improvisierten Anfängen rasch zu eii
stattlichen Einrichtung mit mehreren heizbaren Hallen entwickelt. i;
mit zahlreichen, mit allem nötigen Zubehör ausgerüsteten Verbai
tischen ausgestattet sind. Die neben der Versandstation lieget’'
Verpflegungsstation des roten Kreuzes kommt den Verwundeten ul
Kranken nicht nur mit leiblicher, sondern auch mit geistiger Nahrui.
mit Büchern und vor allem mit den heiss begehrten Zeitungen
Hilfe, ferner mit Kleidung, mit Mützen, Strümpfen, Jacken, Hemd',
ferner mit Kissen, Decken, mit Stöcken, Krücken uam.
Es ist ein buntes, belebtes, trotz der vielen schmerzlichen ZiiL
doch auch des frischen soldatischen Geistes nicht entbehrendes Ri.
das sich entwickelt, wenn solch ein Verwundetenzug einläuft. Vi.
treter der verschiedensten Waffengattungen und aller deutsch^
Stämme finden sich da zusammen, alle in brüderlicher Kamen'
schaftlichkeit um einander bemüht, die leichter Verwundeten d*
schwereren Kranken helfend, sie stützend und versorgend. Oft u[
oft klingt dem Arzte aus dem Munde des soeben von der Front vq.
wundet Zurückkehrenden die Frage entgegen, wie lange es dauei
werde, bis er wieder hinauskönne und als Leitmotiv für dies:
Streben äussert sich bei den meisten in erster Linie eben wieder &
Gefühl der Kameradschaftlichkeit. Sie wollen zurück zu ihren Kam ■
genossen, mit denen sie sich durch die gemeinsamen Kriegserlebnis:
aufs innigste verkettet fühlen.
Auch dem französischen Feinde gegenüber, sei es, dass er sik
verwundet oder als Gefangener im Zuge befinde, tritt eine gewia
soldatische Sympathie und gutmütige Fürsorge in der Regel hervi.
Umsomehr aber hört man Worte des Hasses gegen die Engländer, y
allem wegen der gemeinen Kampfesweise, dass sie den Anschein <1
wecken, sich ergeben zu wollen, um dann den sich nähernden Gegr¬
ünter vernichtendes Feuer zu nehmen.
Schreiber dieses hat von Soldaten Namen ihrer Offiziere nenriji
hören, die diesem „Verfahren“ der Engländer zum Opfer fielen. Sk
haben ihm auch die äusserlich „legitim“ aussehenden Dumdu-
Patronen unserer Vettern gezeigt. Der dünne Blechmantel des Q
schosses birgt an seiner Spitze zunächst einen kleinen Aluminiui
kegel, hinter dem dann erst der Bleikern folgt. Da wo beide sij
berühren, ist der Blechmantel durch Abbiegen leicht aufzureiss,
und das Dumdumgeschoss ist fertig. Am Gewehr der Englänct
befinde sich, so sagten sie, aussen ein kleiner, mit einem Loch vi[
sehener Ansatz. In dieses Loch werde die Spitze der Patrone g
steckt und abgebogen.
Die von Köln aus betätigte Kriegskrankenpflege ist durch ö
Schaffung eigener Lazarettzüge in ein neues Stadium eins
treten. Der erste ist vor kurzem aus der grossherzig
Schenkung des Geheimen Kommerzienrates Theodor v. Gui
I e a u m e an das rote Kreuz (eine halbe Million) ferti
gestellt wurden. Dieser „Vereinslazarettzug Rotes Kreuz Köl
besteht bei einer Länge von 400 m aus ca. 30 Wagen und kann üb'
200 Schwerverwundete aufnehmen. 4 Aerzte, 15 Krankenschwestei
17 Samariter, je ein Vertreter der evangelischen und katholisch
Geistlichkeit widmen ihre Kräfte den Kranken. Die Erfahrung h
gezeigt, dass der Dienst sehr anstrengend ist. Die Einrichtung
des Zuges sind mustergültig. Eigentliche Krankenwagen mit
12 Tragbetten sind 17 vorhanden. In ihrer Mitte befindet sich d,
Operationswagen. Ausserdem finden sich 2 Schlafwagen, 1 als Wohj
raum eingerichteter Wagen und je 1 Wagen für das Gepäck, für c
Küche, für deren Vorräte, für die Wäsche und das Verbandzeug, f,
die Kühlung von Nahrungsmitteln, für Brennmaterialien, für die Hi
zung und für die Mitführung einwandfreien Trinkwassers. Der Z,
hat schon mehrere Fahrten gemacht, die eine Reihe von Tagen .
dauern pflegen. Als wichtige Ergänzung des Zuges sind Kranke
automobile in Vorbereitung, die 4 oder 6 Bahren aufnehmen und d
Verkehr möglichst von der Kampflinie bis zu dem Lazarettzug vej
mittein sollen. Ein schönes Zeugnis für den Kölner Gemeinsinn i
es. dass bald noch zwei weitere Lazarettzüge (einer von den G
schwistern M e v i s s e n und einer von der Eisenbahnwagenfabr,
van der Zypen & Charlier gestiftet), dem ersten folg
werden. Man spricht davon, dass sogar noch ein vierter in Vö
bercitung sei.
Bei Beginn des Krieges wurde unter grossem Zudrang an dr
Abenden ein „Orientierungskurs für freiwillig
Kriegsärzte“ abgehalten. Der damalige Garnisonsarzt von Köi
Oberstabsarzt Dr. H a b e r 1 i n g. gab eine allgemeine Uebersicht üb
den Kriegssanitätsdienst sowie über die Aufgabe des freiwillig bei d'
Armee tätigen, nichtdienstnflichtigen Zivilarztes. Am 2. Abend e,
örterte Prof. Martin. Oberarzt am Evangelischen Krankenhaus,
die leitenden Gesichtspunkte für die kriegschirurgische Tätigke
Dr. G o e t j e s. Assistenzarzt der Klinik T i I m a n n, berichtete üb
kriegschirurgische Erfahrungen aus dem Balkankriege, besonde
über Nerven- und Arterienverletzungen. Am letzten Abend snra1
Prof. Küster, Mitglied des Kais. Gesundheitsamtes und, an Stel
des im Felde stehenden Hygienikers der Kölner Akademie. Pn
Müller, derzeitiger Leiter der bakteriologisch-hygienischen Stath
in der Festung Köln, über Seuchenbekämpfung im Kriege, sow
Prof. Aschaffenburg über Kriegspsychosen. Dieser Orie
tierungskurs gab den Ursprung für weitere „k r i e g s ä r z 1 1 i c h
[Dezember 1014. _ _ Feldärztliche Beilage zur Miinch. med. Wochenschrift.
lende ab, welche unter Leitung des geschäftsführenden Pro-
fc ;ors der Akademie fiir praktische Medizin des Qarnisonsarztes
i des Vorsitzenden des Allgemeinen ärztlichen Vereins alle drei
^chen fiir die Militär- und Zivilärzte von Köln und Umgebung
, tfinden sollen. Am ersten derartigen Abend sprach Prof! T i 1 -
i n n, der als Armeechirurg im Felde tätig ist, über seine bis-
gen Kriegserfahrungen. U. a. betonte er die Schwierigkeit, aus
1 Beschaffenheit einer Wunde zu entscheiden, ob sie durch Dum-
igeschosse hervorgerufen sei, da Querschläger und Naheschüsse
i h hei gewöhnlichen Geschossen starke Zcrreissungen und Zer-
I :terungen machen können. Prof. Aschaffenburg stellte
n Fall von optischer Aphasie nach einem Gehirnschuss bei einem
i ibrigen sich völlig wohl befindenden Kranken vor. Das Projektil,
J französisches Kupfergeschoss, stak noch im Gehirn in der linken
i ren Parietalgegend und zwar mit der Spitze gegen die Einschuss-
i ung gerichtet. Es hatte sich demnach nach dem Eindringen in
I Schädel gedreht. Die Spitze war leicht abgebogen. (Das Ge-
,i rss ist später mit auch funktionell gutem Erfolge operativ ent-
I I worden.) Der zweite kriegsärztliche Abend brachte einen Vor-
r; des Garnisonsarztes Lambertz über einfache und billige
: ensionsbehandlung von Knochenbrüchen des Armes nach W i 1 d t.
Ir Vortrag erscheint an anderer Stelle dieser Nummer S. 2321.)
' 'er sprach Prof. Hochhaus über Tetanus. Der Redner
inte als Chefarzt des von der Militärbehörde requirierten Augusta-
initals, in das die grosse Mehrzahl der in Köln vorgekommenen
inusfälle verlegt worden war, über die für einen einzelnen Be-
• -htcr ungewöhnlich grosse Zahl von ca. 60 Fällen berichten. Er
mgte zu einer Empfehlung der Magnesiumsulfat- sowie auch der
1 noltherapie, während ihn die Antitoxintherapie, von der er frei-
< trotzdem nicht ganz absehen will, im Stiche Hess. (Auch dieser
trag ist in der M.mAV. Nr. 46, S. 2253 erschienen.)
In der Diskussion berichtete Herr Martin (Chirurg
i Evangelischen Krankenhaus) über 8 Tetanusfälle, darunter
i 1 leicht, 3 starben, 5 sind geheilt. Die Behandlung bestand
i ;t in intramuskulären Injektionen 15 proz. Lösung von Magnesium-
i it, 3 mal täglich 20 ccm. Gleichzeitig Chloralhydrat per Klysma.
■[ auch Morphium subkutan, strenge Isolierung der Kranken in
i eizimmern, Abhaltung aller äusseren Reize, sofort bei Ausbruch
( ersten Erscheinungen wenn möglich Exzision der Wunde im
i> inden, meistens aber breite Spaltung und Freilegung ohne Rück¬
et auf Muskulatur. Amputation wurde vermieden, nur einmal
:rtikulation einer Zehe. Antitoxinbehandlung versagte, ein pro-
1 aktisch mit Antitoxin intravenös behandelter Fall erkrankte am
>mden Tage mit Tetanus.
Herr C a h e n (Chirurg am Gefangenenlazarett) findet es auf-
i nd, dass er gegenüber den zahlreichen Fällen von Tetanus bei
tschen Verwundeten unter ca. 450 verwundeten Gefangen, meist
iizosen, nur 2 Fälle beobachtet hat. Symptomatisch wendet er
® in Verbindung mit Morphium Skopolamin an. Herr Go ecke
« rurg am Städtischen Krankenhaus Köln-Mülheim und im Gar-
i nlazarett Köln-Deutz) hat 8 Tetanusfälle beobachtet, darunter
eutsche und 5 Franzosen. Einer ist geheilt, 3 sind gestorben,
i finden sich noch in Behandlung. Bei den 3 gestorbenen traten
i ersten Erscheinungen am 7., 8. und 10. Tage nach der Ver-
r dang auf. Behandlung bei 2 von diesen mit Seruminjektionen
J Einheiten subkutan, ausserdem Chloralhydrat per Klysma resp.
- g Aspirin und Morphium-Skopolamin, bei dem 3. Fall nur Mor-
tim, Chloralhydrat. Der geheilte Fall hatte innerhalb 6 Tagen
) Einheiten Serum erhalten, meist subkutan, einmal 100 Einheiten
1 lumbal (von den 4 damals noch in Behandlung stehenden Fällen
l inzwischen noch 2 gestorben). Herr G e u e r (Chirurg am
eungslazarett 8 und am St. Franziskus-Hospital) beobachtete unter
1 Schwerverletzten 12 Fälle von Tetanus. 2 davon waren ins
usta-Hospital verwiesen worden. Von den 10 übrigen starben 4.
1 sicher Genesende sind 4 zu bezeichnen. Sehr gefährdet sind
V 2 (einer von diesen ist inzwischen gestorben). Das früheste
1 Ptom bildete durchweg die Klage über Schluckbeschwerden. In-
1 tionszeit zwischen 5 — 14 Tagen. Alle Kranken erhielten Serum
3 100—800 Einheiten. In 2 der Fälle glaubt der Beobachter eine
6 mvvirkung annehmen zu müssen. Herr Wette (Chirurg am
eungslazarett 3) hat bei ca. 1000 Verwundeten 13 Fälle von
e nus beobachtet, davon 10 gestorben, 3 geheilt. Inkubation bei
i Gestorbenen bei vieren 7 Tage, bei dreien 9 Tage, bei einem
age, bei einem 21 Tage. Bei den geheilten Fällen Inkubation
• 12 und 17 Tage; Art und Schwere der Verletzung scheint auf
£ Verlauf keinen wesentlichen Einfluss zu haben. Es wurden
I: von leichten und glatt vernarbten Fleischschusswunden mit
ehern Ausgang und andererseits Fälle mit schweren ausgedehnten
1 hen- und Weichteilwunden gesehen, die leichter erkrankten und
likamen. Amputiert wurde nur einmal eine stark verstümmelte
1. ohne dass davon ein Einfluss auf die Krämpfe ersichtlich war.
ler Behandlung wurde anfangs ausgedehnter Gebrauch von
Jnusantitoxin gemacht. Es wurden von vornherein grosse Dosen
Iben. Einzeldosis 100 Einheiten, die meist 3 mal, in einem Falle
r 5 mal am Tage verabreicht wurden. Die Anwendung geschah
lt intravenös, einige Male subkutan, intralumbal und intraneural.
■ dliche Folgen, ausser rasch vorübergehendem Serumexanthem,
ilen nicht gesehen, aber auch in keinem einzigen Falle eine Bes-
iig der objektiven und subjektiven Krankheitserscheinungen. Auf
Grund dieser Beobachtungen gibt Wette bei seinen Fällen jetzt
nur noch am ersten Tage eine einmalige Injektion von 100 Einheiten.
Palliativ wurden von Chloral bessere Wirkungen als vom Morphium
gesehen. Ausserdem Aspirin, um die an sich schon gesteigerte
Schweissbildung noch mehr zu erhöhen und so womöglich die natür¬
lichen Abwehrmassregcln des Körpers zu unterstützen. Bei einer
ganzen Reihe von verdächtigen Fällen, denen prophylaktisch Anti¬
toxin injiziert wurde, ist keiner an Tetanus erkrankt, ohne dass
natürlich diesem Umstande eine Beweiskraft für eine tatsächliche
prophylaktische Wirkung in diesen Fällen zukommen kann.
Herr Kurzak bemerkte zu der Frage, ob vielleicht französische
Verwundete seltener mit Tetanus erkrankten als deutsche, dass er im
Festungslazarett 7a bei 199 verwundeten Franzosen 6 Tetanusfälle
gesehen habe, darunter bisher 2 gestorben und im Festungslazarett 7
unter 400 verwundeten Franzosen 5 Fälle von schwerem Tetanus,
die binnen Kurzem tödlich endeten. Herr Kühn (Lazarett in
Neuenahr) hat in einem Falle von Tetanus von Luminal, 1 g pro die,
eine bemerkenswerte Besserung der Symptome gesehen. Herr Eber-
hart weist auf Grund von Beobachtungen in der gynäkologischen
Literatur auf die Gefahr der Uebertragung des Tetanus von Kranken
zu Kranken hin, woraus die Notwendigkeit, die Kranken zu isolieren
und ihnen eigenes Pflegepersonal zu geben, hervorgehe. Er macht
ferner auf die in Kriegsheft 4 der ärztlichen Sammelmappe von
Fr i e d r i c h empfohlene Methode der Perubalsambehandlung ver¬
dächtiger Wunden aufmerksam, da Subkutaninjektionen von Peru¬
balsam mit Gartenerde infizierte Tiere schützen sollen. Herr Frank
(Prosektor) hat bei 32 Obduktionen von Tetanusfällen in 12 Fällen
eine über beide Lungen diffus ausgebreitete konfluierende Broncho-
pneumonie mit eitriger Bronchitis, in 4 Fällen Schluckpneumonie, in
12 Fällen eitrige Spinalmeningitis gefunden. Er macht diese Ver¬
änderungen für den Tod verantwortlich. Nur in 4 Fällen, wo ein
entsprechender Befund nicht zu erheben war, möchte er den Tod
unmittelbar der Tetanusgiftwirkung zuschieben. Von 5 histologisch
und bakteriologisch untersuchten Bronchopneumoniefällen Hessen sich
bei vieren teils im Blut, teils im Lungengewebe Streptokokken und
im fünften Falle Pneumokokken nachweisen. Herr Wiedmann hat
6 Tetanuserkrankungen bei französischen Soldaten gesehen, meist
freilich mittelschwere und leichte Fälle. Einer starb. Für die Krampf¬
behandlung erwies sich Morphium und Skopolamin, subkutan, als
vorteilhaft. Herr Huisnians macht besonders in Hinsicht auf die
durch Frank hervorgehobene Häufigkeit von Bronchopneumonien
bei Tetanuskranken Bedenken gegen die aus der Sauerbruch-
schen Klinik stammende Empfehlung der Phrenikotomie bei Tetanus
geltend. Herr Czaplewski hebt hervor, dass der Tetanus¬
bazillus in der Erde verschieden häufig zu sein scheine. In Köln
konnte er durch Verimpfung von Erde auf Versuchstiere meist keinen
I etanus, sondern nur malignes Oedem erzeugen. Dagegen scheine in
Göttingen der Tetanusbazillus in der Erde häufig zu sein. So könne
es sich erklären, wenn Verwundete von manchen Schlachtfeldern
einen besonders grossen Prozentsatz von Tetanuserkrankungen auf¬
weisen sollten. Er weist auf die Kombination von Sepsis mit
1 etanus hin, wie ja auch die Untersuchungen Franks auf Misch¬
infektionen hinwiesen. Herr Küster legt dar, dass die anscheinend
geringen Heilerfolge mit der Serumbehandlung nach dem Tierexperi¬
ment verständlich seien. Bei einer Tetanustoxininfektion, die nur
24 Stunden zurückliegt, seien im Tierversuch schon ganz gewaltige
antitoxische Serummengen erforderlich, die beim Menschen (nach
D ö n i t z) der Injektion von 20 000 Antitoxineinheiten entsprechen
würden. Solche Mengen können aber bei unserem vierwertigem
Serum praktisch überhaupt nicht angewendet werden, man müsste
dazu das Serum ja literweise einspritzen. Trotzdem sei es unbe¬
rechtigt, von der Antitoxinbehandlung ganz absehen zu wollen, da
inan ja nicht wissen könne, ob bei Auftreten der ersten klinischen
Erscheinungen bereits die tödliche Toxindosis verankert sei und
nicht doch durch das Serum noch ein unverankerter Rest von Gift
gebunden werden könne. Auf Grund von Laboratoriumsversuchen
über die Schädigung des Tetanusgiftes durch chemische Substanzen
empfiehlt Küster zur Prüfung ihrer etwaigen Wirkung auch beim
Menschen in erster Linie den Alkohol, der gleichzeitig auch noch als
Narkotikum beruhigend wirken könne, ferner Lezithin, Methylenblau
und Eosin. Auch gegen Strahlenwirkung sei Tetanusgift empfind¬
lich.
Herr Moritz weist darauf hin, dass man erst die Schluss¬
resultate der Behandlung grosser Reihen von Tetanusfällen mit den
modernen Methoden abwarten müsse, ehe man den Schluss ziehe,
ob die bisherige Regel, dass 80—90 Proz. der Fälle verloren seien,
nicht mehr gelte. Unter 3 schweren Fällen, die an der Lindenburg
beobachtet wurden sind bisher 2 gestorben (Inkubation 4 und 5,
des noch lebenden 12 Tage). Morphium-Skopolamin-Narkose zeigte
palliativ gute Wirkung. Zur Ernährung vom Darme aus eignen sich
in erster Linie Traubenzuckerklystiere mit 7l/2 proz. Lösung. Auch
können intravenöse Zuckerinfusionen mit 10 proz. Lösung, die bis zu
1 Liter ohne Bedenken injiziert werden kann, als empfehlenswert
gelten. Was die Bronchopneumonie als Todesursache bei Tetanus¬
fällen anlange, so weise doch die klinische Beobachtung, auch bei
Fällen, bei denen die Sektion Bronchopneumonie aufweise, auf eine
ausgesprochene tetano-toxische Komponente in den zum Tode führen¬
den Vorgängen hin. Moritz.
2330
Nr. 48
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Vereine.
Berliner vereinigte ärztliche Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. November 1914.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer : Herr Hansemann.
ln Anbetracht der durch den Krieg herbeigeführten Verhältnisse
tagen folgende ärztliche Gesellschaften mit der Berliner medi¬
zinischen Gesellschaft zusammen (14 tägig): Verein für
innere Medizin und Kinderheilkunde, Gesellschaft für Chirurgie, Uro-
logische, Ophthalmologische, Dermatologische, Laryngologische,
H u f e 1 a n d ische Gesellschaft, Gesellschaft der Chariteeärzte und
Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Herr Bucky: Die Röntgensekundärstrahlenblende als Hilfs¬
mittel für die Lokalisation von Geschossen.
Vortr. demonstriert an 2 Herzschüssen und mehreren Aufnahmen
innerer Organe die Vorzüge der Buckyblende bei der Durchleuchtung
und Aufnahme.
Herr Bucky demonstriert darauf Photogramme eines Falles
von schwerer Röntgen Verbrennung nach gynäkologischer Tiefen¬
bestrahlung bei einer 41 jährigen Patientin, die wegen Uteruskrebses
in einer Frauenklinik bis zum Auftreten von Hautrötung bestrahlt
worden und sogar auf einem Kongress als besonders günstiger Fall
demonstriert worden war. Nach kurzer Zeit bildeten sich tiefe Ge¬
schwüre der Haut, des Gesässes und der Schamgegend. Einlegung
von 25 mg Radium in die Scheide wegen eines Rezidives führte zu
einer Blasenscheidenfistel. Bei der Sektion fand sich ein Uteruskrebs
mit ausgedehnten Metastasen. Vortr. schliesst daran die Mahnung,
an Stelle der Forderung der Gynäkologen: möglichst hohe Dosen in
kurzen Zeiträumen, die Forderung der Röntgenologen: mässige Dosen
über lange Zeiträume verteilt, zu setzen.
Herr Roth mann: Demonstration von Schussverletzungen des
Stirnhirns.
1. Fall: Motorische Aphasie durch Granatsplitter in der
Gegend des Operkulum, leichte Parese des rechten Arms
2. Fall: Fast reine sensorische Aphasie durch Schuss-
verletzung des Schläfenlappens, in Heilung begriffen.
3. Fall: Stirnschussverletzung. Pat. war anfänglich
geistig sehr träge, brauchte lange Zeit zum Antworten, obwohl er
alles verstand. Diese Erscheinung ist schon zurückgegangen. Keine
Apraxie; dagegen Vorbeizeigen nach rechts beim Zeige¬
versuch nach Barany und beim Greifversuch nach Rothmann.
Auch beim Gehen mit geschlossenen Augen weicht er nach rechts ab,
ebenso beim Berühren eines Gegenstandes mit der Nasenspitze durch
Kopfbeugen bei geschlossenen Augen. Keine Agraphie. Dieser Fall
beweist aufs neue die Richtigkeit der Munk sehen Lehre, dass das
Stirn h i i n ein Zentrum für das Gleichgewicht und
die Kordin ation der Bewegungen enthält. Die Ver¬
letzung betrifft wahrscheinlich den vorderen Teil der zwei¬
ten Stirnwindung, da nach Verletzung des hinteren Teils
Schreibstörungen auftreten. Vortr. betont die Wichtigkeit solcher
Gehirnverletzungen an gesunden Gehirnen für die Neurologie, die
durch die Beobachtung an kranken Gehirnen oft zu Fehlschlüssen
über die Funktionen des. normalen Gehirns verleitet wird.
Herr Max Levy demonstriert Präparate eines Falles von
Lungenschuss, bei dem das Geschoss eine Rippe zersplittert und zu
einer ausgedehnten Zerreissung des Lungengewebes geführt hatte.
Herr Morgenroth: Die Chemotherapie der Pneumokokken¬
infektion. (Fortsetzung.)
Die Behandlung des kriechenden Hornhaut ge sch würs
hat übereinstimmend gute Erfolge gegeben. Sie besteht in der
Einträufelung einer 1 proz. Lösung (G o 1 d s c h m i d t) oder in
einer vorherigen Betupfung des Geschwürs mit einer 2 proz. und
nachfolgender Einträufelung einer 1 — 2 proz. Optochinlösung (S c h u r,
K u h n t, K ü m m e 1 1), oder schliesslich in der Einreibung einer
1 proz. Optochinsalbe 6 mal täglich (G o 1 d s c h m i d t). Vortr. emp¬
fiehlt, eventuell noch stärkere Konzentrationen anzuwenden, und die
Behandlung auch während der Nacht fortzusetzen, um
eine Arzneifestigkeit der Pneumokokken durch die langen Zwischen¬
pausen zu verhindern.
Die Befreiung des Bindehautsackes von Pneumokokken vor
Operationen kann durch die Einträufelung in 12—24 Stunden sicher
erreicht werden.
Bei der Pneumokokkenmeningitis sollte die intra¬
lumbale Anwendung des Optochins versucht werden. Eine diesbezüg¬
liche Erfahrung von W e i n t r a u d ermutigt hierzu.
Bei der M a 1 a r i a hat sich das Optochin als dem Chinin
überlegen erwiesen. Die Tagesdosis beträgt 1,5 g (Izar). In
einem Falle trat auf die Verabreichung dieser Dosis innerhalb 3 Stun¬
den (anstatt 3 mal täglich 0,5 g) eine schnell vorübergehende Erblin¬
dung auf.
Bei der Pneumonie wird das Mittel in der vorgeschriebenen
Dosis gut vertragen. Dosen von 3 — 4 g machen Sehstörungen, die
nach Aussetzen des Mittels verschwinden (S t a e h e 1 i n). Das
Optochin soll nur in frischen Fällen und nie später
als am dritten Tage nach Beginn der Pneumonie
angewandt werden.
A. Fraenkel erzielte bei Innehalten dieser Indikation in
Gegensatz zu der von ihm früher beobachteten Wirkungslosigkeit bt
alten Fällen neuerdings gute Erfolge. Die Entfieberung trat ausser ii
einem Falle noch vor Ablauf des 5. Tages meist lytisch ein. Aui
fallend war die Besserung des Allgemeinbefindens und der Atmung
Die gleichen guten Erfolge haben neuerdings auch Rautenber«
W e i n t r a u d, S t a e h e 1 i n u. a. erzielt. Nebenwirkungen wurde-
in diesen Fällen niemals beobachtet. Sie sind um so seltener, je frühe
die Behandlung angewandt wird, da klinische Erfahrungen sowoh
wie Tierversuche dafür sprechen, dass die giftigen Stoffe der Pneumo
kokken die Empfindlichkeit der Netzhaut für Chininderivate erhöhen
Vortr. fordert die Behandlung bei der Pneumonie aucl
während der Nacht, um ein Absinken der Optochinkonzentra
tion im Blut und damit die Möglichkeit einer Arzneifestigung dei
Pneumokokken zu verhüten. Ueber die Tagesdosis von 1.5 i
soll nicht hinausgegangen werden. E. Leschke.
Kleine Mitteilungen.
Das Pariser Kriegsgericht gegen deutsche Aerzte.
Einem Basler Blatte entnehmen wir folgende Darstellung de'
unerhörten Prozesses:
Am letzten Freitag und Samstag (20. und 21. ds.) erschienen voi
dem ersten Pariser Kriegsgericht neun Angeklagte deutscher Natio¬
nalität: die Aerzte Schultz und D a v i d s o h n, die Hilfsärztd
Ähren s, Brambach und Horney, der Apotheker Just, de.
Verwaltungsoffizier M i 1 a c h, die Unteroffiziere Neitzel um
Wolfram. Alle gehörten der Reservesektion der 7. Ambulan,
des zweiten deutschen Armeekorps an. Sie waren angeklagt de
Mittäterschaft an Diebstahl und Plünderung und der Hehlerei. I)k
Anklageschrift gab folgenden Tatbestand an:
Am 3. September zogen die Deutschen in der Ortschaft Lizv
sur-Ourcq ein und plünderten sie in den darauffolgenden Tagen ausi
Einzelheiten über Plünderungsakte und rohe Taten der deutschen
Soldaten werden angegeben. Am 7. September zogen die Ange
klagten mit ihrer Ambulanz ein und blieben trotz dem Rückzüge
der Deutschen, der am 9. erfolgte, dort. Die Franzosen fanden
diese Ambulanz in der Schule der etwa 1800 Seelen zählenden Ort¬
schaft. Die deutschen Aerzte behielten die Ambulanz in Händen, die
von nun an unter französischem Kommando stand. Bei der Haus
suchung fanden die französischen Soldaten im Schulhause, wo die
Ambulanz eingerichtet war, eine Kuh, ein Zweirad und zwei Wägern
die sämtlich gestohlen waren, zwei Fässer mit Wein, die aus den
Schlosse hergeschleppt waren, Flaschenwein und Likör.
Die Untersuchung ergab nicht, dass die Angeklagten an der
Plünderungsakten teilgenommen haben, hingegen sieht der Unter
sucluingsrichter als erwiesen an, dass in der von den Angeklagtei
geleiteten Ambulanz von dem geraubten Wein und Likör gebrauch
wurde. Darauf stützt sich die Anklage.
Die Angeklagten erschienen sämtliche in Uniform und truger
am Arme das Genfer Kreuz. Nur einer von ihnen, Dr. Davidsohn
sprach französisch. Er und ein Dolmetscher machten Uebersetzer-
dienste. Den Angeklagten waren 3 Verteidiger beigegeben. Dr. Da
v i d s o h n ergriff nach dem Verhör das Wort zu einer Schil-j
derung der Vorgänge, aus der hervorgeht, dass nie eineii
von der deutschen Ambulanz irgend etwas geraubt odet
geplündert hat. „Ich habe Bons mit meinem Namen unc
meiner Adresse unterzeichnet, und zwar für einige Flaschen Likör, die
für Fiebernde als Ersatz für Medikamente nötig waren, die wir nicht
hatten. Ich selbst habe keinen Tropfen dieses Likörs getrunken.'
Der Präsident: „Der Wirt erklärt aber, dass man ihm 100 Fla¬
schen Likör und 100 Flaschen Champagner genommen hat.“
Dr. Davidsohn: „Dies ist unmöglich. Wir hätten schnei
trinken müssen, wenn wir bei unserer so schweren Arbeit in 10 Tagen
so viel Flaschen hätten leeren können.“
Dr. Schultz: „Ich hätte Sie in dieser Ambulanz des Elends
sehen wollen, Herr Präsident. Die Verwundeten trafen mit schreck¬
lichen Verletzungen ein. Die ganze Zeit hatten wir zu operieren
Wir hatten gewiss an anderes zu denken als an Wein und Plün¬
derung.“
Alle Angeklagten versicherten, dass man fortwährend alle Hände
voll zu tun hatte. So erklärt sich auch, dass man nicht daran dachte
vom Bürgermeister die Kuh aus dem Garten und die Wagen aus
dem Hof des Schulhauses wegnehmen zu lassen. Dr. Davidsohr
fügte noch hinzu, dass der Oberst der Truppen, die Lizy besetzt
hielten, sowie der Bischof von Meaux, M a r b o t, sowohl für die
deutschen als die französischen Verwundeten Wein und Lebensniitte
in die Ambulanz schickten.
Als Zeugen sind der Bürgermeister und einige Einwohner voi
Lizy, sowie verschiedene französische Militärärzte vernommen wor¬
den. Alle Einwohner von Lizy-sur-Ourcq beklagen sich über die
Plünderungsakte der deutschen Truppen, konnten aber gegen du
Angeklagten nichts Belastendes Vorbringen. D®1
Bürgermeister rühmt besonders den Dr. Davidsohn und erzählt
dass die Deutschen anlässlich eines Eisenbahnunglücks, wo 14 Wag¬
gons mit Verwundeten umstürzten, sofort helfend eingegriffen hätten
Die Ambulanz hat sich sowohl gegen den Zeugen als gegen die Ein-
. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Miincli. med. Wochenschrift.
2331
kohncr korrekt benommen und viel zur Hebung des Gesundheits-
ustandes beigetragen. Der Zeuge hat bei einem Besuch Im Schul¬
aus gesehen, dass sich dort gestohlener Wein befand. Er betrachtet
her die Angeklagten nicht als Plünderer, sondern als Nutzniesser der
Milderung (bentificiaires du pillage). Ein weiterer Zeuge erklärt,
ie Weinfässer der Ambulanz seien im Schlosse gestohlen worden,
»er Gendarmeriebrigadier erzählt, dass die Haltung der Ambulanz
1 Lizy korrekt war. Im ganzen waren zu ihrer Bewachung 4 Mann
a. Der Zeuge hat auf dem Acrztctisch Weinflaschen gesehen. Ma-
ame B a i 1 1 y hat gesehen, wie deutsche Sanitätssoldaten Häuser
Hinderten: „Aber diese Herren sind es nicht gewesen. Als sie an-
amen, waren die Plünderer abgezogen.“ Der Angestellte ües Herrn
ermentier, bei dem der Likör requiriert worden war, versichert,
ass alles bezahlt wurde. Nur der Zeuge G i r a u d be-
auptet, die Schule habe vor der Ankunft der Ambulanz leer ge¬
tänden, und die Ambulanz habe geplündert.
Die Verteidigung hat als Entlastungszeugen Militärärzte geladen:
>r. B o s q u e t sprach in bewegten Worten seine Achtung für
'r. D a v i d s o h n aus, der seine Arztpflicht mit grossem Mut erfüllt
abe. Dr. D e 1 in a s bezeugt, dass die deutschen Aerzte ihre Kranken
iit Ergebenheit gepflegt haben. Aehnlich sagt Dr. Briant aus.
'r. Ismail Pasquel hat gesehen, dass die Ambulanz der Ange-
lagten in gutem Zustande war. Der General Fevrier habe beim
esuch der französischen Verwundeten den deutschen Aerzten aus-
rücklich gedankt. Zum Schluss tritt ein Wärter, M a u r r a s, her-
or und bestätigt die Aussagen seiner Vorgesetzten. Nur von
r. A h r e n s behauptet er, dass er die Kranken im Schmutze habe
egen lassen.
Nach den Zeugenaussagen verlas der Major R e q u i e s t sein
n Voraus geschriebenes Requisitorium; er verlangte Verurteilung,
ie V erteidiger D u p 1 a n, H e n n i o t und B a d u e 1 taten dar, dass
egen die Angeklagten kein Beweis erbracht war, und sie baten
as Gericht, die Aerzte nicht für die Fehler anderer zu strafen. Zum
chlusse beteuerten die Angeklagten ihre Unschuld. Darauf zog
ch das Gericht zurück, und nach anderthalbstündiger Beratung
urde das Urteil verkündet. Die Angeklagten sind der Hehlerei bei
lünderung schuldig erklärt; es werden ihnen mildernde Umstände
igebilligt. Dr. Ähre ns erhält 2 Jahre, Dr. Schultz 6 Monate,
le übrigen 1 Jahr Gefängnis.
Lazarettzüge.
Die Lazarettzüge, die Verwundete vom Kriegsschauplatz in die
limischen Lazarette bringen, werden gewöhnlich von 4 Aerzten be-
eitet, einem leitenden Arzt und 3 begleitenden Aerzten.
Um nun auch nicht in militärischem Verhältnis stehenden Aerzten
i ermöglichen, sich durch .Uebernahme der Begleitung von
azarettzügen in den Dienst des Vaterlandes zu stellen, ohne
irch dauernde Abwesenheit den Verlust ihrer Praxis befürchten zu
üssen, wurde in einer Universitätsstadt der Versuch gemacht, die
egleitärzte der Lazarettzüge nicht dauernd hin- und herfahren, son-
:rn sie ablösen zu lassen. Das Aerztepersonal besteht dement-
irechend aus einem leitenden und besoldeten Arzt, der den Zug
mernd begleitet und den in bestimmter Folge wechselnden Aerzten,
e sich aus einer grösseren Zahl von freiwillig zur Verfügung ge¬
eilten ergänzen. Diese verzichteten im speziellen Falle auf Be¬
eidung, weil ihnen ihre Praxis bei einer derartigen kurzzeitigen,
wa achttägigen, Dienstleistung nicht verloren geht.
Die Aerzte erhalten das Recht, die Dienstuniform der Aerzte der
eiwilligen Krankenpflege während der Dienstausübung im Lazarett-
g zu tragen. Ausserdem erhalten sie freie Unterkunft und Ver¬
legung im Zuge.
Der Wechsel der Begleitärzte, kann je nach der Zahl der sich zur
irfiigung stellenden Aerzte und den praktischen Erfordernissen in
Tschiedener Weise erfolgen, so dass die einzelnen Aerzte immer nur
wa 8 Jage wegbleiben und je nach der Beteiligung und nach ihrer
;reitschaft nach einem gewissen Zeitraum wieder an die Reihe
mmen.
„ Die Firma Siemens-Schuckert-Werke in Charlottenburg sucht
Z. Aerzte, die sich in diesem Sinne freiwillig dem Dienste des
terlandes zur Verfügung stellen wollen, für einen neu zu bildenden
zarettzug.
Als Brotbelag für Massenverpflegung und im
uld empfiehlt Dr. O. B e tz - Heilbronn ein Hack aus rohem Speck
jt Zugabe von geräuchertem Schweine- oder Rindfleisch, halb und
Hb. Man lässt die Fleischmischung einige Male, nachdem man sie
n Knorpel, Knochen, Schwarte befreit hat, durch eine Fleisch-
Ukmaschine laufen. Eine solche hat jeder Metzger, ja jedes bessere
1 artier, aber auch die Feldküche müsste eine solche haben. Dieses
I cksel von geräuchertem Fleisch und Speck lässt sich leicht und
jne Butterbelag auf Brot streichen, schmeckt prächtig zu Thee.
»2 Ausnützung in Magen und Darm ist dem Speck gegenüber, der
‘ch nur selten gut gekaut wird, viel grösser. Die frische rote
rbe hält gut 5 — 6 Tage. Die Mannschaft sieht zu wie ihr Brot-
'ag entsteht und die Schauermären von Konserven haben ein
jde. Denn die zu Speck sowohl als auch zu geräuchertem Rind-
[ sch bestimmten Stücke werden sofort nach dem Schlachten zum
Gzen beiseite getan und liegen nicht in der Schlächterei herum
wie so oft die zum Verwursteln verwandten Stücke: sind also als
einwandfreie, gute Fleischarten zu bezeichnen.
Die Erfrischungsstelle des roten Kreuzes in Heilbronn hat diesen
praktischen Brotbelag auf dem Bahnhof eingeführt und seit Beginn
der Mobilmachung grosse Mengen davon verbraucht. Immer waren
die Verpflegten damit zufrieden. Nie ergab sich eine Klage, die
bei Kochwürsten sicher nicht ausgeblieben wäre. Dr. Betz emp¬
fiehlt Kollegen im Felde und im Feldlazarett die FleiSchhackmaschine
warm für die Mannschaft Wie wenige haben bei schlechten Zähnen
eine Fleischscheere, Mastikator, mit.
Therapeutische Notizen.
Zur Prophylaxe des Tetanus empfehlen A r n d und
Kr umbein nach experimentellen und klinischen Versuchen, die im
Schweizerischen Serum- und Impfinstitut in Bern und dem Inselspital
Bern vorgenommen wurden, ausser der Antitoxinanwendung die Ver¬
abreichung von Salol (Phenylum salicylicum) in grösseren Dosen
(4—6 g pro die). Diese prophylaktische Massregel empfiehlt sich
namentlich für die Feldverhältnisse, weil jeder Sanitätssoldat mit ab¬
geteilten Salolpulvern versehen und instruiert werden kann, jedem
Verwundeten, den er findet, mit dem ersten Labetrunk 1 g Salol zu
verabreichen. Da man damit sicher nicht schadet, ist, nach
A. und K., allen Feldärzten dieser Versuch der Tetanusprophylaxe an¬
zuempfehlen. (Schweiz. Korr.Bl. 1914 Nr. 48.) ' r s
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 30. November 1914.
Auch in der vergangenen Woche lag der Schwerpunkt der
kriegerischen Ereignisse auf dem östlichen Kriegsschauplatz. Der
noch in der vorigen Nummer erwähnte Sieg Hindenburgs bei
Wloclawek hat zu weiteren bedeutenden Erfolgen geführt, die
uns bisher über 60 000 Gefangene und reichliches Kriegsmaterial
als Beute eingebracht haben. Eine Entscheidung in den schweren
Kämpfen ist aber noch nicht erfolgt. Im Westen sind wichtigere Er¬
eignisse nicht zu verzeichnen. England bucht den Verlust zweier
grosser Schlachtschiffe, von denen eines über 700 Mann mit in die
Tiefe nahm.
— Eine Pressnotiz über den Gesundheitszustand beim
1. bayer. Armeekorps bezeichnet diesen als sehr günstig. Erkältungs¬
krankheiten haben eine unbedeutende Zunahme erfahren, ansteckende
Krankheiten sind nur in verschwindend geringem Masse aufgetreten.
Kompanien, bei denen sich einzelne Typhusfälle zeigten, wurden der
Typhusschutzimpfung unterzogen. — Auch über die Gesundheits¬
verhältnisse bei den württembergischen Truppen wurde ein günstig
lautender Bericht ausgegeben.
— Die zur Begründung der neuen deutschen Kriegsvorlage vom
Bundesrat ausgearbeitete Denkschrift äussert sich auch über die
Massnahmen zur Sicherung der ärztlichen Hilfe. Diese,
heisst es, haben ihren Zweck erfüllt: durch eine im dritten Kriegs¬
monat veranlasste Nachprüfung konnte festgestellt werden, dass etwa
2250 Kandidaten der Medizin seit Ausbruch des Krieges die Appro¬
bation als Arzt hat erteilt werden können, und dass von diesen etwa
1500 für Heer und Marine und etwa 750 für Krankenanstalten, Kran¬
kenkassen und die Bevölkerung im allgemeinen zur Verfügung stehen.
Die Gesamtzahl der im Deutschen Reich vorhandenen Aerzte ist da¬
mit um nahezu 7 Proz. vermehrt worden. Ferner konnte festgestellt
werden, dass weder bei dem Heer, noch bei der Marine zurzeit ein
Bedürfnis zur Vermehrung des ärztlichen Personals besteht, dass
vielmehr alle Stellen besetzt sind, und dass sogar noch ülper eine
aus älteren und bisher noch nicht eingezogenen Aerzten bestehende
Reserve verfügt werden kann. Auch bei den Krankenanstalten, Kran¬
kenkassen und der Bevölkerung besteht ein Mangel an ärztlicher Ver¬
sorgung im allgemeinen nicht. Der von einzelnen Krankenanstalten
in gewissem Umfange beklagte Mangel an geeigneten Hilfskräften
wird sich im Augenblick kaum völlig beheben lassen. Jedenfalls
würde es nicht angängig sein, unzulänglich vorgebildete Kandidaten
der Medizin mit der Approbation zu versehen und ihnen damit die
Wahrnehmung aller ärztlichen Funktionen anzuvertrauen. — Die
ausserordentliche Vermehrung der Zahl der Aerzte wird sich nach
dem Friedensschluss für den ärztlichen Stand schwer fühlbar machen
Sie muss, wie so vieles andere, im Hinblick auf den grossen Zweck
ohne Murren ertragen werden.
— Berechtigte Entrüstung erregt das Urteil, das ein Pariser
Kriegsgericht gegen 5 deutsche Militärärzte und andere Sanitätsper¬
sonen kürzlich gefällt hat. Aus der Darstellung eines einwandfrei
unparteiischen Schweizer Blattes, die wir an anderer Stelle dieser
Nummer geben, geht unzweifelhaft hervor, dass die angeklagten
Deutschen sich nichts, aber auch gar nichts haben zu schulden
kommen lassen und dass das auch fast von allen französischen Zeu¬
gen zugegeben wurde. Sie haben Wein und Likör, die sie in dem
Ambulanzlokal vorfanden und die offenbar von ihren Vorgängern
requiriert waren, für ihre Verwundeten verwendet; desshalb werden
sie als „beneficiaires du pillage“ beschuldigt. Unsere Quelle nennt
den Prozess einen Justizmord. Anders lässt sich dieses Urteil, das
nicht von dem Bestreben Recht zu finden, sondern am Feinde billige
>332 Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift. _ Nr. 48
Rache zu nehmen, diktiert ist, in der l at nicht bezeichnen. So krass ]
ist der Rechtsbruch, dass selbst französische Blätter ihn zugeben und
missbilligen. Die deutsche Regierung hat gegen das Urteil Protest
erhoben. Wenn dieser erfolglos bleibt, wird auf andere Weise dar¬
über abzurechnen sein.
— Der Oberbefehlshaber in den Merken hat unterm 23. Novem¬
ber folgende Bekanntmachung erlassen: „Den in der Stadt Berlin und
der Provinz Brandenburg erscheinenden Zeitungen untersage ich für
die Dauer des Krieges die Aufnahme von Anzeigen, in denen 1. sich
Personen zur Behandlung von Krankheiten oder Leiden, die als Ge¬
schlechtskrankheiten bekannt sind, einschliesslich ihrer
Folgezustände, anbieten; 2. Gegenstände oder Behandlungsmass¬
nahmen angepriesen werden, welche zur Linderung oder Heilung von
solchen Krankheiten dienen sollen. Diese Anordnung erstreckt sich
nioht auf Anzeigen ärztlich approbierter Personen.
— Im Hinblick darauf, dass während des Krieges mit einer Ver¬
schleppung des Heckficbers (Flecktyphus) gerechnet werden kann,
sind vom Kaiserl. Gesundheitsamt „Ratschläge an Aerzte für
die Bekämpfung des Fleckfiebers (F leckt yphu s)“,
ähnlich wie es für Pocken geschehen ist, ausgearbeitet worden. Sie
schliessen sich der vom Bundesrate festgeslellten Anweisung zur Be¬
kämpfung des Flcckfiebcrs an. Die Ratschläge sind im Min.-Bl.
f. Med.-Ängel. Nr. -17 veröffentlicht.
— Dem Kartell bayerischer Automobilkorps wurde die Grün¬
dung eines Bayerischen Sanitäts-Kraftfahrerkorps
genehmigt. Es wurden bisher 30 Wagen iür den Zweck des Korps
umgebaut, davon 3 Führerwagen und 27 für je 4 liegende Ver¬
wundete. Die Wagen sind feldgrau gestrichen, tragen das Rote
Kreuz und die offizielle Inschrift B. S. K. K. mit der bayerischen
Rautenkrone. Ausser der vorschriftsmässigen Automobilbeleuchtung
hat jeder Wagen eine starke Azetylenabsuchlampe. Jeder Wagen
ist mit Schaufeln, Schneeketten und Drahtseilen ausgerüstet, ent¬
hält einen reich besetzten ApothekerKasten und Kofferräume für den
Kraftfahroffizier und den Mechanikerunteroffizier, eine grosse Rote-
Kreuz-Flagge, eine Wassertonne und Platz für 2 Gewehre, ferner
natürlich die nötigeil Zubehörteile, wie Benzinkanister, Oelkanister,
Reserveräder, eine vorgeschriebene Zaiil von Reparaturteilen usw.
Das Korps setzt sich aus 31 Kraftfahroffizieren und 30 Mechaniker-
Unteroffizieren zusammen, welche eine vom Kgl. bayer. Kriegs¬
ministerium vorgeschriebene Uniform tragen, die der Uniform der
anderen Automobilkorps gleicht. Zum Führer des Korps ist vom
Kriegsministerium Dr. Theodor Schilling- Nürnberg bestimmt.
— Die Gesellschaft für Natur - und Heilkunde zu
Dresden hat aus ihrem Vermögen 4000 M. für die Kriegsorgani¬
sation und für das Rote Kreuz gespendet.
— Ueber deutsch-feindliches Verhalten der Firma La Zyma A.G.
in Aigle (Schweiz) berichtet Nr. 4 der Schlesischen Aerztekorrespon-
denz. Die Firma, die in Deutschland ihre grössten Abnehmer hat,
hatte beim Ausbruch des Krieges nichts Eiligeres zu tun, als ihre
deutschen und österreichischen Angestellten, auch weiblichen Ge¬
schlechts, ohne Kündigung und ohne Entschädigung zu entlassen —
zum Teil schon am 31. Juli, zum Teil am 8. August, sowie zugleich am
5. August ihre Zweigniederlassung in St. Ludwig (Eisass) aufzulösen
und die dortigen Angestellten in gleicher Weise zu entlassen. Grund
der Entlassung: „Der Krieg ist ein Fall höherer Gewalt, der uns ge¬
stattet, die Verträge zu brechen“ (Schreiben des Vorsitzenden des
Aufsichtsrates). Im September wandte sich die Gesellschaft an
2 Pariser Geschäftsfreunde und teilte ihnen mit, dass sie nach der
zu erwartenden Vernichtung aller deutschen und österreichischen j
Patente und Schut/.marken in Frankreich bereit und in der Lage sei,
den grössten Teil der pharmazeutischen Erzeugnisse jener beiden
Länder herzustellen. Als dorther ablehnende Antworten kamen,
wandte sich die Fabrik in gleicher Weise an die französische Gesandt¬
schaft in Bern, bewarb sich aber ausserdem um Kriegslieferungen für
Deutschland und Oesterreich! Die Präparate der „Zyma“ in Aigle
(Schweiz) führen das Suffix „Golaz“. Die bekanntesten sind: Dialys.
Digitalis Golaz, Dialys. Secalan, Dialys. Thymipin, Dialys. Uvae ursi,
Furunkulin, Laktofe/ment (Yoghurt in Pulverform). Alle diese Prä¬
parate sind durch gleichwertige deutsche ersetzbar.
— Der XVII. Jahrgang des „Jahresberichts über die
Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der
Neurologie und Psychiatrie“ (Berlin 1914, Verlag von
S. Karger) ist soeben erschienen. Der 1580 Seiten starke Band
enthält den Bericht über die Literatur des Jahres 1913 und ist
wie seine Vorgänger von Prof. Dr. L. Jacob so hn in Berlin
redigiert. Preis broschiert 50 Mark.
— Cholera. Nr. 47 der Vöff. Kais. Ges.A. enthält keinen
Bericht über Cholerafälle.
— Pest. In Beirut ist am 4. November und in Bagdad am
29. Oktober und 4. November je 1 Erkrankung festgestellt worden.
— Persien. Laut Mitteilung vom 17. November sind in dem persisch-
russischen Grenzgebiet im Distrikt Belesawar in der Nähe der
Kaspischen Meeresküste mehrere Pestfälle festgestellt worden. —
Niederländisch-lndien. Vom 21. Oktober bis 3. November wurden
541 Erkrankungen (und 509 Todesfälle) gemeldet. Für die Zeit vom
7. — 20. Oktober wurden nachträglich aus M a 1 a n g noch 30 Er¬
krankungen und 25 Todesfälle mitgeteilt.
— ln der 45. Jahreswoche, vom 8. — 14. November 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Dessau mit 43,3, die geringste Ofienbach mix 5,6 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬
storbenen starb an Scharlach in Gelsenkirchen, Königshütte, Thorn.
Tilsit, Zabrze, an Masern und Röteln in Hagen i. W., an Diphtherie
und Krupp in Berlin-Lichterfelde, Bottrop, Lehe, an Keuchhusten in
Herne Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Frankfurt a. M. Bis zum 27. November, dem letzten Im¬
matrikulationstermin, betrug die Gesamtzahl der eingeschriebenen
Studierenden 543. Darunter befinden sich 118 Mediziner, die zur
übergrossen Mehrzahl vorklinischen Semestern angehören.
Giesse n. Das veterinär-medizinische Kollegium der Universi¬
tät Giessen ist in eine veterinärmedizinische Fakultät umgew'andeh
w'orden. (lik.)
M ti n c h e n. Dem mit dem Titel und Rang eines a. o. Professors
bekleideten Privatdozenten für Geburtshilfe und Gynäkologie
Dr. Karl B a i s c h ist die erbetene Enthebung von seiner Funktion
bewilligt worden. Prof. Bai sch wurde im Herbst 1913 zum Chef¬
arzt der neuerrichteten gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des
Katharinenhospitals in Stuttgart berufen; seit dieser Zeit war er an
der Münchener Universität beurlaubt, (hk.)
Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
Dr. K. Alber, Neubreisach, Inf.-Rcg.
Stabsarzt Bretschneider, Grossenhain, 2. Sachs. Husaren¬
regiment 18, 4. Eskadron.
Unterarzt Caminer, Res.-Inf.-Reg. Nr. 61, Danzig-Neustadt,
II. Bat.-Stab.
stud. ined. Alfred C h ü d e n, Gifhorn, Maat d. Res. der Ma¬
trosenartillerie.
cand. med. dent. C o n r a t h, Völklingen a. Saar.
Stabsarzt d. Res. San.-R. Dr. med. Franz E i c h h o 1 z in
Kreuznach.
Universitätsprofessor Heinrich Josef Esser, Bonn a. Rh.
Walter v. Förster, Ass.-A. an der Univers.-Augenklinik
in Göttingen, Unterarzt im Landwehr-Inf.-Reg. Nr. 73.
stud. med. Wilhelm Hackmann, Berlin-Friedenau, Kriegs¬
freiwilliger.
Stabs- und Regimentsarzt Harke.
Assistenzarzt der Reserve Dr. Rudolf H e u s 1 e r, Barmen.
stud. med. Albert Hirt, Einj.-Freiw. in e. Inf.-Reg.
Felix J a n z o n, Student der Kaiser-Wilhelm-Akademie.
Einj.-Freiw.-Arzt K i e r z e c k.
Stabsarzt Klingelhoefer, Sanitätsrat, Rodheim.
Unterarzt Dr. Köhler, Graudenz.
Oberarzt d. L. Kramer, Feidart.-Reg. Nr. 66, gestorben in¬
folge Schädelbruches durch Sturz von der Treppe.
Künstler, Sonnenberg, 11. Res.-San.-Komp„ IV. Reserve¬
korps Kassel.
stud. med. F. Löbnitz, Einj.-Freiw. im Königin-Olga-Regi-
ment Stuttgart.
Unterarzt Dr. L o e c h e 1, Jäger-Bat. 2, Kulm, Ersatzabteilung,
gestorben durch Vergiftung infolge Gasexplosion.
Feldunterarzt d. Res. Karl Müller, Assistent am Institut für
Meeresforschung, am 4. November in Douai.
cand. med. Overbeck, Göttingen, Kriegsfreiwilliger im
234. Res.-Inf.-Reg., am 10. November bei den Kämpfen in
Flandern.
Offiizersstellvertreter Dr. Ernst P a n t e 1, Inf.-Reg. 42, ge¬
storben am 7. Oktober 1914 an der am 5. Oktober 1914
beim Sturm auf Beuvraignes erhaltenen Verwundung.
Assistenzarzt d. Res. Paradies, Berlin-Steglitz.
stud. med. Aug. Puls, Pfalzburg.
Feldunterarzt Hugo Rettich, am 6. November.
stud. med. Paul Roh, Einj.-Freiw. im Inf.-Reg. 106.
Dr. Richard Sarrazin, Emmerich a. Rh., gestorben an den
Folgen einer Krankheit, die er sich bei seiner Tätigkeit als
Kriegschirurg zugezogen hat.
Oberstabsarzt d. L. S a u b e r z w e i g, Balingen.
Dr. Schlesinger, Illowo, an Diphtherie, 11. X. 14 (Res.-
Lazarett Deutsch-Eylau).
Oberarzt Dr. Joseph Schlüter, Sterkrade, gestorben im
Reservelazarett Aachen I an Typhus.
Stabsarzt Dr. Paul Schmidt, Baumschulenweg bei Berlin.
Dr. Paul Siegfried. Königsberg.
Stabsarzt d. L. Dr. Timmermann.
Dr. H. Vogt, Berlin.
San.-Rat. Dr. Viktor N o 1 k w e i n, Sigmaringen.
Feldunterarzt Dr. W e r t h e i m, Dresden.
Zahnarzt Prof. Dr. Julius W i t z e 1, Bonn.
cand. med. W i 1 1 n o w aus Hadersleben, Kriegsfreiwilliger.
O.A. d. Res. Heinrich Wolf, Pionier-Bat. 21, aus Essenheini
(Rheinhessen).
Oberarzt d. Res. Dr. med. Zirkel, Bamberg.
Verlag von ]. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckeret A.O., München.
der einzelnen Nummer 80 -3,. • Bezugspreis in Deutschland
, und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen • • •
atenschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
Für die Schriftleitung : Arnulfstr. 26 (Sprechstunden — 1 Uhr).
Für Bezug: an I. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
49. 8. Dezember 1914. Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
: Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor,
Originalien.
ative und Strahlenbehandlung bei gutartigen und
bösartigen Geschwülsten der Gebärmutter*).
Von H. Fehling.
^ehr geehrte Herren Kollegen! Indem ich der Auf-
rutig, in Ihrem Kreise einen wissenschaftlichen Vortrag
alten, gerne nachgekommen hin, habe ich es für richtig
ten. nicht ein fertiges Thema vor Sie zu bringen, sondern
olches, das noch in Diskussion steht, über welches der
Her immerhin grössere Erfahrungen haben kann als der
i ische Arzt, das aber doch zurzeit Sie alle, wie auch das
Ikum besonders interessiert. Ich wünsche nun keinen
i unischen Vortrag zu halten, sondern wäre dankbar, wenn
Ingen von Ihnen, welche eigene Erfahrungen in der vor¬
igen Frage haben, am Schlüsse ihre Meinung mir mit-
| würden.
:h beginne mit den gutartigen Geschwülsten
Gebärmutter und werde mich auf die Frage der
ldlung der Myome beschränken.
in kurzes Wort zur A e t i o 1 o g i e: Man hat das Suchen
I Mikroben, nach kleinsten tierischen und pflanzlichen
wesen als Ursache der Entstehung der Myome glück¬
weise aufgegeben. Auch die Anschauung Aschoffs,
: die Entstehung der Myome auf missgebildete Muskel-
:i zurückzuführen sei, erklärt nicht alles. Nach heutigen
iiauungen hat dagegen viel für sich, dass es sich um eine
: nktion der Ovarien handle. Man wusste schon lange,
bei Myomen mehr oder weniger starke Veränderungen,
össerung der Ovarien, kleinzystische Degeneration usw.
Gen werden-, aber es war nie etwas durchaus Charak-
isches. Mayer- Tübingen hat nun das Verhalten des
ns von 22 Myomkranken auf das eigene Ovarium der-
• untersucht. 20 derselben bauten ihr eigenes Ovarium
j h. also nach Abderhalden: Entweder ist die innere
tion des betreffenden Organs gestört oder es handelt sich
ne grobe anatomische Schädigung, mit Organzerstörung
i gehend. Da die letztere fehlt, bleibt die erstere An-
Ung zu Recht bestehen. Diese Anschauung der Dys-
On der Ovarien stimmt mit mancher unserer bisherigen
(auungen überein. Man wusste schon längst, dass ältere
Lauen, besonders im Alter zwischen 30 und 40 Jahren,
Sig zur Erkrankung an Myomen haben. Sie werden
' alle die Beobachtung gemacht haben, dass Frauen, die
rüh nach der ersten oder zweiten Geburt ihre Fertilität
Blich oder unabsichtlich unterbrechen, später an Myom
iken. Es scheint also, dass die innere Sekretion des
bekes, wenn ihr keine Möglichkeit gegeben ist, die Ei-
üung und das Wachstum des Uterus in der Schwanger-
\ zu begünstigen, dass sie dann pathologischerweise den
1 zur Neubildung der runden Myomgeschwülste reizt.
' also nicht der Mangel sexueller Betätigung, wie man
lls glaubte, der die Entstehung der Myome begünstigt,
be Dysfunktion ist dann wohl in den Fällen Schuld an
erilität, wenn eine Frau schon mit Myom behaftet die
nseht, ebenso wieder an dem oft so stark verspäteten
ben des Klimakteriums.
in den Symptomen, die unser therapeutisches Eingreifen
gen, nenne ich in erster Linie die Blutungen;
'Vortrag im Verein der Aerzte zu Metz. 15. Juli 1914.
* 44.
Blutungen, die teils als regelmässig protrahierte, sehr starke
Menstruation auftreten, teils als unregelmässige zu oft und
zu lang dauernde Blutungen. Trotz der starken Blutverluste
geht wohl aber kaum eine Patientin direkt an Verblutung zu¬
grunde. Dagegen schadet die Blutung durch Erzeugung einer
schweren Anämie, die ihrerseits wieder nicht selten zu Herz¬
degeneration führt. Wir Gynäkologen nehmen, im Gegensatz
zu den Internen, ein Myomherz an, d. h. wir finden gar nicht
selten entweder fettige Degeneration des Herzmuskels oder
die bekannte braune Induration als Folge langdauernder
schwerer Blutverluste. Dass vielleicht in manchen Fällen eine
gewisse Disposition durch frühere Herzerkrankung gegeben
sein mag, will ich nicht bestreiten. Die weiteren Symptome,
welche zur Therapie drängen, sind Druck von seiten des Tu¬
mors auf Blase oder Rektum. Wenn Sie von einer Patientin
erfahren, dass sie alle 4 Wochen im Beginn und bei der
Periode an Blasenstörung, erst vermehrtem Drang, dann Un¬
möglichkeit zu lassen, leidet, so müssen Sie zunächst an ein
i etrozervikales Myom denken, welches durch Anschwellung
bei der Menstruation den Blasenhals verlagert und damit die
Dysurie bedingt. Druck auf den Mastdarm ist recht viel
seltener; nur in wenig Fällen war hämorrhoidale Blutung das
erste Symptom eines im Becken eingekeilten Myoms. Dass
das verzögerte Eintreten des Klimakteriums zu den Sym¬
ptomen gehört, habe ich schon oben betont. Sehr wichtig
scheint mir die von uns oft gemachte Beobachtung, dass einige
Jahre nach Aufhören der Blutung auf dem Boden alter Myo-
matosis ein Korpaskarzinom entsteht. Bei den meisten der
in den letzten Jahren operierten Fälle von Korpuskarzinom
waren Myome in der Uteruswand vorhanden.
Was die Behandlung betrifft, so möchte ich kurz daran
erinnern, dass der Altmeister Koeberle vielleicht der erste
war, der noch vor Einführung der Antisepsis sich an die
Operation der Myome wagte. Er setzte den Stiel mit einem
Schlingenschnürer ab und lagerte den Stumpf extraperitoneal.
Aehnlich verfuhr fast zur selben Zeit Pean. Bald darauf trat
H e g a r auf den Plan mit seinem geistreichen Vorschlag,
durch Abtragung der Ovarien den antizipierten Klimax herbei¬
zuführen, eine Operation, die damals weit ungefährlicher war
als die Myomotomie und sich daher rasch einbürgerte. Später
schuf dann H e g a r die bekannte extraperitoneale Methode
der Stumpfbehandlung, welche durch die von Schröder an¬
gegebene intraperitoneale Methode verdrängt wurde. Ir.
Schröders Publikation über die von ihm operierten ersten
100 Fälle figurierte noch eine Mortalität von 33 Proz.l Die
Methode wurde dann weiter ausgebaut von Chrobak u. a.,
daran schloss sich dann die vaginale und abdominale Total¬
exstirpation des myomatösen Uterus und wir können ruhig
sagen, dass die Erfolge bei der Myomotomie heutzutage die¬
selben sind, wie schon vor 25 Jahren bei der Ovariotomie,
dass man höchstens mit 2—3 Proz. Mortalität zu rechnen hat!
Die meisten Operateure haben Reihen von 50—100 Fällen
und noch mehr, ohne einen Todesfall zu verzeichnen.
Es ist deshalb verständlich, dass ursprünglich für die
Röntgenbehandlung der Myome kein dringendes Bedürfnis
vorlag. Die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die Keim-
drüsen wurde bekanntlich zufällig durch Schädigung des
männlichen und weiblichen Personales bei der Röntgen¬
behandlung entdeckt. Reiferscheid zeigte dann am Tier¬
experiment, dass man durch starke Bestrahlung das Ovarial-
parenchym völlig zugrunderichten, durch mässige Bestrah¬
lung eine teilweise und vorübergehende Schädigung erzielen
I
2334
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
kann. Albers-Sehönb'er g in Hamburg war der erste,
der die Methode der Röntgenbehandlung bei Gebärmutter¬
geschwülsten anwandte. Er wandte schwache Bestrahlungen
mit grossen Pausen an, verstand allerdings damals noch nicht
die weichen Strahlen abzufangen, so dass trotz der vor¬
sichtigen Behandlung manche Schädigung vorkam. Aber
immerhin sind die von ihm erzielten Erfolge als glänzend zu
bezeichnen. Ihm folgten die Franzosen, ebenfalls im ganzen
mit bescheidenen Dosen arbeitend, bis Kroenig und
Gau ss den Mut hatten, eine Tiefenbestrahlung mit sehr
harten, starken Strahlen anzuwenden und in letzter Zeit in
einer Serie 800 — 1000 X-Einheiten, schliesslich selbst in einer
Serie bis 1500 X zu geben. Wenn von ihnen behauptet wird,
dass sich auf diese Weise 100 Proz. Heilung erzielen lassen,
so ist doch daran zu erinnern, dass manche von diesen Fällen
hernach wieder schwere Blutungen zeigten, oder an anderen
Orten noch operiert werden mussten. Das weitere Verdienst
der Freiburger Schule ist, gezeigt zu haben, dass man von
verschiedenen Feldern aus den Tumor und die Ovarien gleich¬
sam in ein Kreuzfeuer nehmen kann, und dass sie zur ab¬
dominellen auch die Vaginalbestrahlung gefügt haben. Auch
wir sind seit Einrichtung des Röntgenlaboratoriums meiner
Klinik allmählich zu starken Dosen in die Höhe gestiegen und
verabreichen jetzt meist in einer Serie 150 — 300 X, so dass
die Kranke in 3 Serien zwischen 800 und 1000 X-Einheiten
bekommt. Der sogen. Röntgenkater ist aber nicht selten ein
sehr viel schwereres Leiden, als man unter dem Wort Kater
versteht. Manche Kranken sind nach der Bestrahlung schwer
angegriffen, leiden an Kopfschmerzen, sind leistungsunfähig,
andere bekommen sogar leichtes Fieber, oder, zumal bei der
nächsten Periode, starke, zuweilen schwer zu stillende Blu¬
tungen.
Es ist zweifellos, dass der Nutzen der Röntgenbehandlung
darin besteht, dass die Operation vermieden werden kann
und das ist bei messerscheuen Menschen ausserordentlich viel
wert. Bedeutungsvoll ist dieser Nutzen des Ausfalls der
Operation ferner für nieren- und herzkranke Patienten, bei
denen die Narkose die Hauptgefahr darstellt und für welche,
trotz Friihaufstehens, die Gefahr einer Embolie noch immer
besteht. Der Nachteil der Röntgenbehandlung ist vor allen
Dingen die Dauer und die Kosten der Behandlung. Für die
arbeitende Klasse ist es sehr störend, jeden Monat sich auf
einige Tage in der Klinik wieder vorstellen zu müssen und es
haben sich schon manche Patientinnen aus' diesem Grunde der
weiteren Behandlung entzogen oder sich auswärts operieren
lassen. Weitere Nachteile sind die Zwischenblutungen, die
manchmal recht schwer zu stillen sind; bei unvorsichtiger Be¬
strahlung Schädigung der Haut, der Interkostalmuskeln, ja
sogar, wie von pathologischen Anatomen nachgewiesen
wurde, der Lunge und Leber. Seit Einrichtung unseres
Röntgenlaboratoriums sind in der Frauenklinik ca. 30 Fälle
behandelt worden, wovon 20 geheilt, die anderen als gebessert
noch in Behandlung stehen. Einmal war trotz 750 X-Einheiten
vorläufig kein Erfolg zu erzielen, bei einer anderen trat nach
880 X längere Zeit Fieber auf, sie ist aber schliesslich geheilt.
Einen Fall haben wir an Kolipyämie verloren. Die Frau
blutete nach der zweiten Bestrahlung ausserordentlich stark,
sie wurde auswärts tamponiert, die Blutung stand aber nicht;
es entstanden Fieberbewegungen, so dass ich mich aus
Indicatio vitalis zur Operation entschlossen musste. Das
Zervixsekret enthielt vor der Operation schon Kolibazillen, die,
wie es scheint, auch schon in die Blutgefässe eingedrungen
waren und schliesslich nach wochenlangem Kranksein den Tod
an Kolipyämie zur Folge hatten.
So sehr wir nun auch die Vorteile des Röntgenverfahrens
bei Myomen für die meisten Fälle schätzen dürfen, so darf
doch nicht verschwiegen werden, dass es eine Anzahl Kontra¬
indikationen gibt. Als solche müssen gelten: submuköse
Myome, die sich schon zur Ausstossung vorbereiten (Demon¬
stration); meist weisen unregelmässige, nicht aufhörenwollende
Blutungen auf diesen Vorgang hin; im Zweifelsfalle würde ich
raten, durch eine Laminariadilatation die Sache festzustellen.
Demnächst ist davor zu warnen, bei den gar nicht seltenen
retrozervikalen und retrouterinen Myomen, von welchen Sie
hier ein Präparat sehen, die Bestrahlung vorzunehmen. Die
Nr. 49
Gefahr, dass trotz der Bestrahlung noch lange Zeit die An¬
wendung des Katheters nötig ist, kann leicht zu Blasen
katarrh, zu aufsteigender Pyelitis führen und damit das Lebet
gefährden. Dringend zu warnen ist vor Bestrahlung bei un
sicherer Diagnose, z. B. bei zweifelhafter Differentialdiagnosi
zwischen gestieltem Myom und Ovarialkarzinom; ferner he
Verjauchung und Nekrose und bei schon sicher malignen Tu¬
moren. Schwierig ist die Frage zu entscheiden: Soll man be
jüngeren Frauen unter 40 Jahren bestrahlen oder nicht? Die
Bestrahlung dauert hier viel länger, das Resultat ist unsicher
so dass die meisten sich, wenn nötig, hier lieber zur Operatiot
entschlossen. Schliesslich muss ich gestehen, dass ich ftii
Bestrahlung auch eine soziale Indikation aufstelle. Bei Frauer
der arbeitenden Klasse lässt sich durch die Operation iij
14 Tagen die Arbeitsfähigkeit wieder hersteilen und sie habet!
ausser dem Spitalaufenthalt, den noch meist die Kasse leistet'
keine Auslagen. Die Strahlenbehandlung dagegen zieht sie-
über Monate hin, und es ist meist unmöglich, bei dem Preist
der Röhren und der anderen Auslagen, die Strahlenbehandlung
umsonst durchzuführen.
Es bleibt demnach für die Behandlung der Uterus-
myome immerhin noch ein breiter Spielraum für dei
Operateur. Wir werden heutzutage vielleicht seltener ah
früher die Vaginalschälung machen, eher die Vaginal¬
totalexstirpation, dagegen werden wir je nach dem Falle ab¬
dominelle Tumoren ausschälen oder wir werden suchen, einer
kleinen Uterus zurecht zu schnitzeln mit einem Eierstock
so dass wenigstens die Möglichkeit der Menstruation bestehet!
bleibt. In anderen Fällen werden wir zur Amputatio uter!
supravaginalis oder zu der Totalexstirpation greifen. IcI
schliesse damit, dass ich gern und voll anerkenne, dass die
Röntgenbehandlung der Uterusmyome für die Kranken eit
zweifelloser Gewinn und Fortschritt ist.
Von den bösartigen Geschwülsten der Gebär¬
mutter betrachte ich nur die Uteruskarzinome; die ja ausser
ordentlich seltener vorkommenden Sarkome fallen wohl dei
gleichen Behandlung anheim. Auch hier beginne ich mit dei
Aetiologie und erinnere daran, dass auch heute noch der
Krebserreger völlig unbekannt ist und dass manche unter un:
Gynäkologen zweifeln, ob überhaupt ein solcher gefunden
werden wird. Das was beim Mäusekarzinom nachgewieser:
ist, darf man nicht ohne weiteres auf das Menschenkarzinon
übertragen; die beiden Karzinome sind zu different. Dageger
will ich nicht unerwähnt lassen, an die Erfahrung der Geburts¬
helfer zu erinnern, dass mit der Zahl der Entbindungen die
Gefahr, später an Kollumkarzinom zu erkranken, wächst. Ver¬
meidet also die Frau die Szilla des Myoms, so fällt die AermsR
unter Umständen in die Charybdis des Karzinoms. Es is’
ausserdem zweifellos, dass nicht bloss die Häufigkeit der Ge-!
bürten, sondern auch die soziale Stellung eine Rolle hierbe
spielt, insofern der Mangel an Schonung im Wochenbett, frühe
Arbeit, Anstrengungen zu dauernden Katarrhen und Schädi
gung führen, auf deren Boden später das Karzinom entsteht
Unerklärlich ist die von uns allen beobachtete Tatsache, dassi
Karzinom und Vorfall sich so gut wie ausschliessen. Trotz!
Hunderten von Operationen von Karzinom auf der einen, Vor¬
fall auf der anderen Seite, habe ich nur dreimal diese Kom¬
plikation gesehen. Was die operative Tätigkeit betrifft, sc:
möchte ich daran erinnern, dass es das Verdienst Freund
sen. war, zuerst die Totalentfernung des karzinomatöseü
Uterus gewagt zu haben. Diese auf abdominellem Wege ge¬
machte Operation ergab zuerst eine erschreckende Mortaliüi
von 60 — 70 Proz., so dass die von B i 1 1 r o t h und Czernv
angegebene vaginale Methode mit ihren weit besseren Re-,
sultaten wie eine Erlösung wirkte. Allmählich ging unter den
Schutze der Erfahrung und der Antisepsis auch bei ersterer
die Mortalität zurück und es war bekanntlich das Verdien:
Wertheims, durch Hinzufügung der Drüsenausräuinum
und Erweiterung der Operation durch Wegnahme des Becken
bindegewebes uns zu besseren Dauerresultaten verholfen zi
haben. Immerhin mussten wir auch bis zuletzt mindestem
noch mit ca. 10 Proz. primärer Mortalität rechnen und konntei
nur auf etwa 25 Proz. Dauerheilung zählen.
Es ist daher verständlich und Ihnen allen noch in Er^
innerung, welchen Sturm der Begeisterung die Märe, die voi
Dezember 1914.
MUKNCHENER MEDIZINISCHE Um iCHENSCHRIFT.
2335
va I * Jahren auf tauchte, hervorrief, dass nun das uni-
irsple Heilmittel für den Krebs gefunden sei. Welche prak-
Bedeutung ein derartiges Mittel hätte, erhellt schon
, aus, dass^ in Deutschland jährlich etwa 23 000 Frauen an
_'bs der Genitalien sterben. Dieses Krebsheilmittel wurde
i Qestalt des von dem Ehepaar Curie entdeckten Radiums
1 des von dem Berliner Chemiker dargestellten Meso-
i rhims bekannt gemacht. Ich will Sie nicht mit den längst
[ rannten physikalischen und biologischen Wirkungen der
u 11 d /'-Strahlen hier langweilen, ich will nur daran
. inern. dass die y-Strahlen, wie es scheint, fast identisch
den harten Röntgenstrahlen sind, und dass die Kunst,
dem Mittel Erfolge zu erzielen, darin besteht, die weichen,
. Oberfläche schädigenden a- und ^-Strahlen auszuschalten
J nur mit den in die liefe dringenden y-Strahlen zu arbeiten.
Dserdem ist bekannt, dass dabei sekundäre Strahlen ent-
ien- deren Wirkung ebenfalls zu paralysieren ist. Das
! kurzlebigere Mesothorium hat eine 300 mal so starke
ivität wie das Radium. Im grossen und ganzen kann man
i r von gleichartige! W irkung der beiden chemisch einander
i r nahestehenden Metalle sprechen. Während man ur-
ünglich von einer elektiven Wirkung der Radiumstrahlen
das Karzinomgewebe sprach, weiss man jetzt, dass die
Ghlen alle Gewebe schädigen, am meisten junge Zellen
die Karzinomzellen, Leukozyten, Ovarialfollikel, dann
[ t die Schleimhaut, Nervenfasern. Zur Schädigung des
1 '•kels, Bindegewebes, der Knochen braucht es dagegen
längerer, stärkerer Einwirkung der Strahlen. Es ist ver¬
glich, dass zuerst die Franzosen das von ihrem Landsmann
ieckte Mittel therapeutisch anwandten und es ist das Ver¬
ist von I) o m i n i c i, auch als erster die Filterung für
vtische Zwecke angewendet zu haben. Auch hier muss ich
-der als Verdienst der Freiburger Schule anerkennen, dass
1 zuerst den Mut hatte, mit grossen Dosen und langdauernder
Wirkung voranzugehen. Interessant ist die Wirkung der
hlenden Substanz auf das Gewebe. Zunächst tritt eine
wellung der bestrahlten Gewebe ein, mit vermehrter Se-
ion, daran schliesst sich, bald früher, bald später die
1 kbildung, es entsteht auf der Oberfläche ein gelblicher,
! »lieber Schorf, der am meisten an den Belag der Ampu-
i insflächen erinnert, den man vor Einführung der Antisepsis
diphtheritischen bezeichnete. Bei weiterer Einwirkung
1 die Oberfläche trocken, es stösst sich langsam Gewebe
Ist die Wirkung zu stark, dann geht die Nekrotisierung
| dem kranken Gewebe des Uterus auf die Nachbarschaft,
: B>ase, Becken, Bindegewebe, Mastdarm über und es
. ten schwerheilende Fisteln entstehen. Bei günstiger Wir-
t wird die ursprünglich harte Infiltration allmählich er-
•ht. Bei der Untersuchung des erweichten Zervix- oder
. malgewölbes findet man oft eine eigentümliche Saug¬
ung am Finger, die ich nirgends beschrieben fand.
Hand in Hand mit diesen makroskopschen Veränderungen
• n die mikroskopischen: schwere Schädigung der Kern-
1 tanz- dann schleimige Entartung der Zellen mit Bildung
Vakuolen (Demonstration). Es tritt dann eine starke
• mzytose auf, der die Bildung jungen, kernreichen Binde-
■ebes folgt, welches schliesslich häufig der hyalinen De-
: ration anheimfällt und durch kleinzellige Infiltration und
■ ebildetes Bindegewebe ersetzt wird. Schneidet man nach
1 erholter Bestrahlung kleine Stückchen aus, so ist das
1 inomgewebe zugrunde gegangen.
Auch hier ist klar, dass die Vorteile d i e der Vermeidung
Operation sind. Aber ich möchte heute noch nicht an-
‘nnen, dass, wie v. Seuffert behauptet, die Chancen
operativen und Strahlenbehandlung annähernd die gleichen
' • Die Radium- und Mesothoriumbehandlung ist schonen-
ind angenehmer als die Röntgenbehandlung, aber zwcifel-
vetährlicher. Die Erfolge, die in günstigen Fällen erzielt
; en, sind allerdings geradezu verblüffend und es ist diese
[ ode gewiss als die beste uns bisher zu Gebote stehende
I ativmethode zu verzeichnen. Diesen Vorteilen stehen
'auch Nachteile entgegen. Bei zu starker Wirkung sollen
- Krebszellen gereizt werden, der Krebs soll sich rascher
feiten, auf die Nachbarschaft übergehen, wovon jüngst
I I m u- a. einige eklatante Beispiele veröffentlicht haben.
In anderen hüllen entstehen nicht beabsichtigte Verbrennung
der Gewebe, Nekrose derselben mit schwerer Schädigung der
Nachbarschaft. In einzelnen Fällen sah ich tagelang anhal¬
tendes Fieber auftreten mit Auftreten von Eiweiss, Zylindern
im Ui in, andere Male höchst unangenehme Tenesmen von
seiten der Blase und des Darmes. Immerhin lässt sich bei
Erfahrung und Vorsicht ein Teil dieser Nachteile vermeiden.
W ährend nun K r ö n i g, wie schon erwähnt, rät, mit
grossen Dosen zu arbeiten, hat Bumm von Anfang an daran
testgehalten, nur mit mittleren Dosen, höchstens etwa 100 mg,
zu arbeiten. Nach seinen Erfahrungen genügt dies vollständig!
da immerhin mit einer Tiefenwirkung von 3—5 cm zu rechnen
‘st’ es lassen sich bei diesen mittleren Dosen die schweren
Schädigungen vermeiden, zumal wenn gewisse Zwischen¬
pausen eingeführt werden. Höchst wertvoll ist in dieser Be¬
ziehung eine jüngst von Schauta erschienene Publikation,
ln einer ersten Reihe von Fällen bestrahlte er anhaltend Tag
und Nacht, tage-, selbst wochenlang. Die Erfolge waren*
schwere Schädigung der Nachbarschaft, an denen alle 11 so
behandelten Patientinnen zugrunde gingen; dann folgte eine
Reihe, wo er nur des Nachts bestrahlte und der Tag frei war
Auch hier überwog noch die Schädigung den Erfolg. Schliess¬
lich ging Schauta ähnlich wie Bumm zu intermittierender
Bestrahlung mit längeren Pausen über und seine Erfolge waren
befriedigend. Aehnlich gehen auch wir in Strassburg vor.
zum 1 eil auch der Not, nicht der eigenen Tugend gehorchend!
weil uns nicht die grossen Dosen Freiburgs zur Verfügung
stehen, sondern wir vorläufig nur mit höchstens 226 mg
arbeiten konnten. Wichtig ist die Vorbereitung des Karzinoms
durch Abschabung der kranken Stellen, nicht selten durch vor¬
herige Anwendung der Chlorzinkpaste. Bei grossen Tumoren
besonders Rezidivtumoren, wende ich das sog. Tunnelsystem
an, das allerdings in der Vagina nicht ungefährlich ist, während
die einfache Einlegung der Radiumröhren (mit Messingfilter)
in Scheide, Zervix und Uterushöhle, wenn man die Schädigung
der Sekundärstrahlen vermeidet, im grossen und ganzen un¬
gefährlich ist.
Wenn manche Gynäkologen heute schon von Dauer-
Heilung spiechen, so muss dagegen daran erinnert werden
dass man auch nach der Operation der Uteruskrebse
vor Ablauf von 5 Jahren von Dauerheilung nicht sprechen
darr, und dass A s c h o f f sowie v. Hansemann bei den
Sektionen inoperabler Karzinome, die mit Radium behandelt
worden waren, am Rande der Neubildung immer noch Kar-
zinomzellen nachwiesen; ebenso wie Bumm, der nach Vor-
behandlung von Karzinomen durch Radium zur Operation am
Rande der Neubildung lebensfähiges Karzinomgewebe fand.
I rotzdem wollen wir gerne die Tatsache anerkennen, dass
therapeutisch eklatante Erfolge mit diesem neuen Mittel er¬
zielt werden können, wie bisher mit keinem anderen. Wir
haben manche Zervix- und Scheidenkarzinome so zur Rück-
i düng gebracht, dass später auch bei Exzision und mikro-
skopischer Untersuchung von einer Neubildung nichts mehr
gefunden wurde. Doch ist, wie gesagt, die Zeit der Be¬
obachtung noch eine viel zu kurze. Ferner darf anerkannt
rämj en’ ^aSS auc^ den ’n°Perablen Karzinomen sich durch
Milderung der Blutungen, der Jauchung und in manchen Fällen
durch Nachlassen der Schmerzen solche Besserungen er¬
zielen lassen wie bisher bei keinem anderen Mittel, so dass
die armen Kranken tatsächlich oft wähnen, geheilt zu sein.
Doch veitiete ich auch heute noch, wie Czerny u. a. den
Standpunkt, dass die gutoperablen Fälle so bald wie
möglich operiert werden sollen. Allerdings habe ich
die Konzession gemacht, dass ich die Wertheimsche
Operation wegen ihrer grösseren primären Mortalität vor¬
läufig aufgegeben habe und wieder zur vaginalen Totalexstir¬
pation übergegangen bin, an die sich dann sofort die prophy¬
laktische Bestrahlung anschliesst. Natürlich können wir erst
}—• 2 Jahren entscheiden, wie gross der Erfolg bei beiden
Reihen sein wird. Zweifellos ist, dass sich eine Verlängerung
der Lebensdauer erzielen lässt.
Der jüngste Vorschlag ist der von Bumm: die Kom¬
bination von Radium- und Röntgenbestrahlung; man hat in
jüngster Zeit duicli Fabrikation starker Röhren, die imstande
sind, eine grosse Menge harter Strahlen in die Tiefe zu
1*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2336
Nr. 49.
schicken, wie z. B. die Röhren der Veifawerke, die Zangen¬
röhren von Müller- Hamburg, prächtige Erfolge erzielt.
Bekannt ist der Fall von B u m m, der allein durch Bestrahlung
vom Abdomen aus ein Portiokarzinom zum Verschwinden
brachte. Die Zukunft wird lehren, welches Mittel die grösseren
Erfolge zeitigt, oder ob der Erfolg in der gemeinsamen An¬
wendung beider liegt.
Während bislang das Radium und Mesothorium des hohen
Preises wegen nur in klinischen Anstalten gebraucht wurde,
ist zu erwarten, dass wenn die ersten Nachfragen gedeckt
sind und vielleicht das Radium zum Teil durch Röntgenstrahlen
ersetzt wird, der Preis ein wesentlich geringerer sein wird.
Dann wird hoffentlich auch künftig der praktische Arzt es in
die Hand bekommen, um seinen armen Kranken wenigstens
die Wohltat der Palliativbehandlung des Uteruskarzinoms zu¬
kommen lassen zu können.
. Sie sehen meine Herren, dass für die mit gut- und bös¬
artigen Gebärmuttergeschwülsten behafteten Frauen eine Acra
der unblutigen Behandlung angebrochen ist, an deren weiterem
Ausbau mitzuarbeiten Sie alle berufen sind.
Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Heidel¬
berg (Dir.: Prof. R. Gottlieb).
Ueber die Verteilung injizierten Cholins im Tierkörper.
Von Dr. Philipp E Hing er, Assistent des Instituts.
Seitdem das Cholin in Form des Enzytol durch Werner
in die Krebstherapie eingeführt worden ist, wird es bei ver¬
schiedenen Krankheiten in ausgedehnter Weise angewandt,
zum grossen Teil auch in Kombination mit Röntgen- und
Radiumstrahlen. Man weiss aus den Arbeiten von Loh¬
mann T Schwarz und Lederer2) und F ii r t h und
Schwarz3), dass Cholin in kleinen Mengen in der Schild¬
drüse, Nebenniere, Thymus, Milz und Lymphdriisen im Or¬
ganismus vorkommt, und neigt dazu, ihm eine Hormonwirkung
als Gegenpart des Adrenalins 4) zuzuschreiben. Doch ist das
Schicksal des Cholins iin Körper nur wenig bekannt.
Ein gesicherter Befund bei der Cholinwirkung ist die
Sensibilisierung der Haut gegen die Wirkung der Röntgen-
Strahlen. Ritter und Allmann5) fanden, dass das Auftreten
von Erythemen der Haut nach Röntgenbestrahlung durch vorher¬
gehende Enzytolbehandlung um die Hälfte der Zeit beschleunigt
wird. Dieser Befund einer veränderten Reaktionsfähigkeit der
Haut nach Cholinzufuhr schien uns darauf hinzuweisen, dass
eine besondere Affinität des Cholins zu den lebhaft pro-
iiferierenden unteren Hautschichten bestehen könnte. Eine
solche Beziehung des Cholins zu jungen Zellen
wäre geeignet, auch die Sensibilisierung von Tumoren und
von tuberkulös verändertem Gewebe gegen Röntgen- und
Radiumstrahlen, die man auf Grund der klinischen Erfolge ver¬
muten darf, zu erklären. Wir gingen deshalb von der Frage
aus, ob sich Cholin oder eines seiner Zersetzungsprodukte in
der Haut und in Tumoren nach Cholinzufuhr nachweisen lässt.
Ich unternahm es, die Verteilung des Cholins im Tierkörper
nach folgender Methode zu untersuchen.
Das mit Cholin behandelte Tier wurde nach Möglichkeit ent¬
blutet — das Blut in absolutem Alkohol aufgefangen und wie die übri¬
gen Organe weiterbehandelt — , die einzelnen zur Untersuchung kom¬
menden Organe schnell herausgenommen, zerschnitten und in der
Reibschale mit Quarzsand verrieben. Der Organbrei wurde dann ent¬
weder in absolutem Alkohol 6 — 8 Stunden am Steigrohr oder in
schwach mit Essigsäure angesäuertem Wasser ebensolange auf dem
Wasserbade erhitzt. Die Haut, deren Extraktion grössere Schwierig¬
keiten machte, wurde zunächst in Streifen zerschnitten, dann in einer
Mühle so fein wie möglich zermahlen und mindestens 12 — 14 Stunden
in angesäuertem Wasser erhitzt. Nach dem Erkalten wurde der
Organbrei zunächst durch Kolieren, dann durch Filtrieren oder Ab¬
saugen auf der Nutsche entfernt. Die alkoholische Lösung wird auf
*) A. Lohmann: Pflügers Arch. 118. 1907. S. 215 und 122. 1908.
S. 203.
2) C. Schwarz und R. Lederer: Pflügers Arch. 124. 1908.
S. 353.
3) 0. v. Fürth und C. Schwarz: Pflügers Arch. 124. 1908.
S. 361.
') A. Lohmann: 1. c.
s) H. Ritter und Allmann: Strahlentherapie 4. 1914. S. 398.
dem Wasserbad eingedampft und der Rückstand mit Wasser auf¬
genommen; diese wässrige Lösung wird ebenso wie die mit Essig¬
säurewasser extrahierte unter Zusatz von ca. 3 ccm Salzsäure aut
dem Wasserbad zur Hälfte eingedampft, nach dem Erkalten 3 mal mit
viel Aether zur Entfernung des Lezithins ausgeschüttelt und nachher
vorsichtig, am besten unter vermindertem Druck, zur Trockne ein¬
gedampft. Den Rückstand nimmt man mehrfach mit warmem abso¬
luten Alkohol auf und fällt mit einer alkoholischen Platinchloridlösung.
Nach 12 Stunden filtriert man den Niederschlag und wäscht so lange
mit absolutem Alkohol aus, bis im Spiilalkohol kein Platinchlorid mehr
nachweisbar ist. Der im Schwefel^äureexsikkator 24 Stunden lang ge¬
trocknete Niederschlag wurde gewogen.
Das Platindoppelsalz wurde zur Identifizierung des Cholins zu¬
nächst in heissem Wasser gelöst, mit Schwefelwasserstoff zersetzt
und die wässrige Flüssigkeit auf dem Wasserbad unter Zusatz einiger
Tropfen Salzsäure stark eingeengt. Nach dem Erkalten wurde mit
wässriger konzentrierter üoldchloridlösnng gefällt. Das Q o 1 d s a 1 z
wurde mehrfach aus heissem Wasser umkristallisiert und der
Schmelzpunkt — 245° bis 247“ — bestimmt. Dann wurde der Nieder¬
schlag in reichlichem heissen Wasser gelöst und wieder mit Schwe¬
felwasserstoff zersetzt, filtriert und das Filtrat unter Salzsäurezusatz
auf dem Wasserbad eingeengt. Mit der wässrigen Lösung wurden
noch folgende Identitätsproben angestellt.
Einige Tropfen wurden mit wenigen Tropfen konzentrierter
wässriger Alloxanlösung ö) auf dem Wasserbade zur Trockne cin-
gedampft: es entsteht eine purpurrote Färbung, die auf Zusatz von
Natronlauge in violett übergeht.
Mit Kaliumtrijodid nach Stanek* 7) entsteht ein dunkelbrauner
Niederschlag.
Einige Tropfen wurden im Reagenzglas mit Krautschem Re¬
agens (i) versetzt, wobei ein hellrosa Niederschlag entsteht.
Einige Kristalle des Golddoppelsalzes wurden unter dem Mikro¬
skop mit Jodjodkalilösung8) zusammengebracht, wobei sich die gold¬
gelben Würfel in dunkelbraune Täfelchen oder Nadeln umwandelteu.
Wir verwandten zu den Versuchen das Cholin, hydro-
chloric. Kahlbanm und eine ca. 20 proz. Cholinchloridlösung
der Vereinigten chemischen Werke Charlottenburg8).
Zur Untersuchung kamen folgende Organe: Haut, Leber.
Nieren, Nebennieren, Ovarien, Hoden, Milz, Pankreas, Muskel,
Blut. Ferner wurde im Harn und Speichel Cholin bestimmt.
Es wurde zunächst in den Organen von zwei nicht mit
Cholin vorbehandelten Kaninchen folgender Cholinbefund fest¬
gestellt:
Haut: unwägbare Trübung bei Platinchloridzusatz,
Leber: kein Niederschlag,
Nieren: kein Niederschlag,
Nebennieren: kein Niederschlag,
Ovarien: in einem Falle kein Niederschlag, im zweiten
leichte Trübung,
Milz: kein Niederschlag,
Muskel: kein Niederschlag,
Blut: kein Niederschlag,
Urin: kein Niederschlag.
8 Kaninchen erhielten Cholin in Form einer 1 proz. Lösung
von Cholinchlorid intravenös in die Jugularis. Dabei trat Un¬
ruhe und Bewegungsdrang auf, nach kurzer Zeit konnte
Speichelfluss beobachtet werden. Zunächst kam dickflüssiger
Speichel in spärlicher Menge, nach einiger Zeit wurden grosse
Mengen dünnen Speichels produziert. Ebenso wurden
grössere Mengen Tränenflüssigkeit entleert. Die Blutdruck¬
wirkung, die in einem Teil der Fälle beobachtet wurde, war
nicht einheitlich und bedarf noch näherer Klärung. Die At¬
mung setzte bei jeder Injektion der in refracta dosi bei¬
gebrachten Lösung aus, um nach kurzer Zeit wiederzukehren.
Sie erholte sich jedoch nicht vollständig und am Ende der Ver¬
suche musste künstlich geatmet werden. Die Resultate der
chemischen Untersuchung sollen im folgenden einzeln gegeben
werden.
Versuch I. 18. II. 14.
Kaninchen, weibl., 2120 g, in 2 Stunden 50 ccm 1 proz. Cholinchlorid
intravenös.
Haut: 0,5230 g Platindoppelsalz,
Leber: 0,
Nieren: 0,
Nebennieren: Trübung,
Milz: 0,
Ovarien: Trübung,
Blut: Trübung,
Urin: Trübung,
Speichel: 0,0283 g Platinsalz.
°) O. Rosen heim: Journ. of Physiol. 33. 1905. S. 220.
7) Stanek: Zschr. f. physiol. Chemie 46, 1905. S. 280.
8) Dieses wertvolle Präparat wurde dem Institut von der Fabrik
zur Verfügung gestellt, wofür wir auch an dieser Stelle den besten
Dank des Institutes aussprechen.
S. I >cxcmbcr 1914, _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2337
V c r s u c li II. 20. II. L
Kaninchen, wcibl., 1850 k, in 47 Min. 35 ccm
Haut: 0,3242 g Platinsalz,
Leber: 0,
Nieren : 0,
Nebennieren: Trübung,
Muskel: 0,
Ovarien: Trübung,
Blut: 0,
Urin : 0.
Speichel: 0,0154 g
Cholinchlorid.
datinsalz.
Versuch
Kaninchen, vveibl., 1920 g, in 56
Haut: 0,3624 g Platinsalz,
Leber: 0,
Nieren: 0,
Nebennieren: Trübung,
Muskel: 0,
Versuch
Kaninchen, weibl., 2130 g, in 1
Haut: 0,7824 g Platinsalz,
Leber: 0.
Nieren : Trübung,
Nebennieren: 0.0243 g Platinsalz,
Ovarien: 0,0182 g Platinsalz,
Versuch
Kaninchen, weibl., 2300 g, in 1 Std.
Haut: 0,3218 g Platinsalz,
Leber: 0,
Nieren: 0,
Nebennieren: Trübung,
Versucli
Kaninchen, weibl., 2680 g, in 1 Std.
Haut: 0,3147 g Platinsalz,
Nebennieren: 0,
Muskel: 0,
III. 25. II. 14.
Min 34 ccm 1 proz. Cholinchlorid
Ovarien: Trübung,
Blut: 0,
Urin: 0,
Speichel: Trübung.
IV. 27. II. 14.
Std. 55 Min. 71 ccm Cliolinchlorid.
Milz: 0,
Muskel: 0,
Blut: Trübung,
Urin: Trübung.
Speichel: 0,0324 g
Platinsalz.
Cholinchlorid
V. 3. III. 14.
19 Min. 36 ccm 1 proz.
Ovarien: Trübung,
Blut: Trübung,
Speichel: Trübung.
VI. 6. III. 14.
34 Min., 36 ccm 1 proz. Cholinchlorid.
Ovarien: Trübung,
Blut: 0,
Speichel: Trübung.
Versuch VII. 7. III. 14.
Kaninchen, weibl., 2180 g, in 2 Std. 14 Min. 100 ccm 1 proz. Cholin¬
chlorid.
Haut: 0,9423 g Platinsalz,
Leber: 0,
Nieren: 0,
Nebennieren : 0,0242 g Platinsalz,
Ovarien: 0,0138 g Platinsalz,
Muskel: 0,
Milz: Trübung,
Blut: 0,
Speichel: 0,0185 g Platinsalz.
Versuch VIII. 10. III. 14.
Kaninchen, alt, weibl., 2680 g, in 2 Std. 4 Min. 76 ccm 1 proz. Cholin¬
chlorid.
Haut: 0,8143 g Platinsalz.
Leber: 0,
Nieren: 0,
Nebennieren: Trübung,
Ovarien: 0,0142 g Platinsalz,
Milz: 0,
Muskel: 0,
Speichel: 0,0132 g Platinsalz,
Urin: 0,
Blut: 0.
In allen diesen Fällen wurde die weitaus grösste Menge
des injizierten Cholins und zwar bis zur Hälfte der an¬
gewandten Substanz in der Haut wiedergefunden, die also
offenbar als ein Cholindepot anzusprechen ist. Weiter wurden
im Verhältnis zur Grösse des Organs reichliche Mengen in
Ovarien und Nebennieren nachgewiesen, während ein Teil
durch den Speichel ausgeschieden wird. Das Blut scheint das
Cholin schnell abzugeben. Im Urin konnte es nicht sicher
nachgewiesen werden. Leber, Milz, Muskel und Nieren
scheinen es nicht zurückzuhalten.
Zwei Hunde erhielten Cholinchlorid in die Jugularis. Die
Untersuchung ergab folgende Resultate, die sich mit den Be¬
funden der Kaninchen vollkommen decken.
Versuch IX. 11. VII. 14.
Hund, männl., 8000 g, in 1 Std. 18 Min. 160 ccm 1 proz
chlorid. Künstliche Atmung.
,2000 g Platinsalz,
0.
Trübung,
V|
),0528 g Platinsalz,
Milz: 0,
Pankreas: 0,
Speichel: Trübung,
Urin: 0,
Blut: 0.
Cholin-
Versuch X. 13. VII. 14.
Hund, männl., 9400 g, in 1 Std. 25 Min. 160 ccm 1 proz Cholin
chlorid. Künstliche Atmung.
Leber: 0,
Nieren: 0,
Nebennieren: Trübung,
Muskel: 0,
Hoden: 0,0614 g'Platinsalz,
Milz: 0,
Pankreas: 0,
Speichel: 0,0124 g Platinsalz,
Urin: 0,
Blut: 0.
Auch in den Hoden fanden sich also beträchtliche Mengen.
In zwei weiteren Versuchen wurde geprüft, wie lange
nach der fortgesetzten intravenösen Einführung kleiner Cholin¬
mengen sich die Substanz in der Haut oder anderen Organen
noch deponiert findet, ob also eine Dauerwirkung des Cholins
auf die Gewebe angenommen werden kann. Zu dem Zwecke
wurden zwei Kaninchen mit kleinen Dosen Enzytol intravenös
behandelt und mehrere Wochen nach der letzten Injektion ge¬
tötet und untersucht.
Versuch XI.
Kaninchen, weibl’., 3020 g. vom 11. II. bis 26. II. 2,8 ccm Enzytol
in 95 ccm physiol. Kochsalzlösung. Am 26. III. getötet:
Haut: 0,2483 g Platinsalz, Nebennieren: 0,
Leber: 0, Milz: 0.
Versuch XII.
Kaninchen, weibl., 2800 g, vom 9. III. bis 18. III. 2,7 ccm Enzytol
in 24 cm physiol. Kochsalzlösung. Am 5. V. 14 getötet:
Haut: 0,1739 g Platinsalz, Ovarien: 0,0087 g Platinsalz,
Leber: 0, Milz: 0.
Nebennieren: 0,
Es zeigt sich somit, dass noch nach Wochen ein erheb¬
licher Teil des Cholins in der Haut aufgespeichert bleibt,
während in den anderen untersuchten Organen nicht mehr als
die normalen Spuren gefunden wurden.
Von der subkutanen Einverleibung der Substanz .wurde
abgesehen, da die Untersuchung der Haut kein klares Bild er¬
geben hätte. Von praktischer Wichtigkeit erscheint jedoch die
Frage, ob man die festgestellte Aufspeicherung in der Haut
und ihr etwa analoge Anreicherungen pathologisch ver¬
änderter Gewebe auch bei der Einführung der Substanz vom
Magen aus erreichen kann. Um diese Frage zu ent¬
scheiden, erhielten zwei Kaninchen mit der Schlundsonde
jeden zweiten Tag je 2 g Cholinchlorid in 2 proz. wässriger
Lösung. Die Resultate sind folgende:
Versuch XIII.
Kaninchen, weibl., 2420 g, vom 22.4. bis 22. V. 14 jeden zweiten Tag
je 2 g Cholinchlorid in wässriger Lösung mit der Schlundsonde, im
ganzen 34 g. Als am 22. V. auf einmal 4 g gegeben wurden, trat der
Tod ein. Das Gewicht des Tieres war während der ganzen Vergif¬
tungsperiode annähernd konstant geblieben.
Haut: 2,1342 g Platinsalz, Muskel: 0,
Leber: 0, Milz: 0,
Nieren: 0, Blut: 0,
Nebennieren: 0,0214 g Platinsalz, Urin: 0.
Ovarien: 0,0312 g Platinsalz,
Versuch XIV.
Kaninchen, 2230 g. Vom 22. IV. bis 22. V. 14 jeden zweiten Tag
je 2 g Cholinchlorid in wässriger Lösung, im ganzen 32 g. mit der
Schlundsonde. Während der ganzen Periode annähernd Gewichts¬
konstanz.
Häut: 1,8427 g Platinsalz,
Leber: 0,
Nieren: 0,
Nebennieren: Trübung,
Ovarien: 0,0347 g Platinsalz,
Muskel: 0,
Milz: 0,
Blut: 0,
Urin: 0.
Es ergibt sich also auch nach stomachaler Einführung des
Cholins das gleiche Bild der Verteilung wie nach intravenöser.
Auch hier erscheint, während wohl der grösste Teil des Cholins
zerstört wird, als wesentlichstes Cholindepot die
Haut, daneben Ovarien und Nebennieren.
Die Untersuchung erstreckte sich im weiteren noch
auf einige rumoren, die nach den klinischen Erfahrungen
von Cholin beeinflusst zu werden scheinen. Es standen
mir durch die Liebenswürdigkeit des Heidelberger Samariter¬
hauses einige Rattensarkome (E h r 1 i c h) zur Verfügung.
Bei der Untersuchung zeigte sich, dass in normalen, d. h.
nicht mit Cholin behandelten Tumoren, so lange sie noch
nicht zerfallen waren, in zwei daraufhin untersuchter
Fällen Cholin nicht nachweisbar war. In zwei Fällen zer¬
fallener Tumoren dagegen wurde Cholinplatinchlorid
und zwar 0,0122 g und 0,0098 g gefunden. Behandelt man
Tumorratten mit Cholin, so lässt sich stets eine — in An¬
betracht der geringen Gewebsmengen — recht beträcht-
liche Cholin menge in den Tumoren nach-
w eisen. Den Tumorratten wurden subkutan im Verlauf
von zwei Stunden je 0,10 g Cholinchlorid in 1 proz. Lösung in
2338
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4t
Dosen von 0,01 g injiziert. Dabei wurden in den Tumoren
gefunden, j 0,0185 g Platinsalz (nicht zerfallen),
II. 0,0220 g ( „ , ),
III. 0,0342 g , (zerfallen),
IV. 0,0382 g ( , ),
V. 0,0413 g ( n )•
In einem menschlichen Karzinom, das zu zerfallen begann,
wurden 0,1134 g Platinsalz gefunden.
In der Aszitesflüssigkeit eines mit Enzytol behandelten
Darmkarzinompatienten, die uns durch Herrn Prof. Fromme-
Berlin zugestellt war, wurden Spuren Cholin nachgewiesen,
wobei es jedoch unklar blieb, ob diese nicht erst durch Zer¬
setzung entstanden waren.
Nach den angeführten Versuchen lässt sich also mit
Sicherheit sagen, dass das Cholin weit langsamer und in weit
geringerem Masse vom Organismus zerstört wird, als man
gemeinhin annimmt. Es wurde nach intravenöser
Injektion fast die Hälfte, nach stomachaler
Einverleibung ca. 3 Proz. des eingeführten
Cholins wieder gefunden, und zwar weitaus
der grösste Teil in der Haut, geringere
Mengen in den Ovarien, Hoden und Neben¬
nieren. Auch in den Tumoren mit Cholin subkutan be¬
handelter Ratten liess es sich nachweisen.
Aus der Kgl. Universitätsklinik für Hautkranke zu Breslau
(Direktor: Geh. Prof. Dr. A. N e i s s e r).
Salvarsanserum.
III. Mitteilung.
Einfluss von Oxydation und Reduktion auf die Wirkungsstärke
des Salvarsanserunis.
Von Dr. A. S t ü h m e r, Assistenzarzt.
In den beiden vorausgegangenen Mitteilungen über Sal¬
varsanserum (M.m.W. 1914 Nr. 14 und Nr. 20) und ferner auch
in meiner Arbeit über die „Topographie des Salvarsans und des
Neosalvarsans“ (Arch. f. Derm. u. Syph. 70. 1914. 2. H.) habe
ich mehrfach die Tatsache erörtert, dass an sich un¬
wirksames Blutserum salvarsanvorbehan-
delter Tiere durch Erhitzen derart verändert
werden kann, dass es jetzt in vitro auf Try¬
panosomen deutliche Wirkung ausübt.
Swift und E 1 1 i s, welche diese Tatsache zuerst be
schrieben haben, nehmen an, dass durch das Erhitzen ein
hindernde Komponente in dem Serum vernichtet wird, so da1-
die vorher gehemmte Wirkung jetzt offenbar werden kann. Si
schliessen das daraus, dass durch erneutes Hinzufügen frische
Normalserums die Hemmung zum Teil wieder eintritt, nehme
aber gleichzeitig eine Wirkung der Hitze auf das im Serur
enthaltene Salvarsan an.
Meine Untersuchungen mit dem Ehrlich-Bertheim
sehen Reagens (Paradimethylamidobenzaldehyd) führten mic'
auf einem anderen Weg zu ähnlichen Resultaten. Ich könnt
feststellen, dass das erwärmte Reagens noch mit Sa!
varsanserum intensiv reagierte, welches in der Kälte kein
Salvarsanreaktion mehr gab. Ehrlich ist der Meinung, das
man zur Erklärung dieser Tatsachen die Bildung lockerer Ver1
hindungen der Salvarsanreste mit irgendwelchen Stoffen in
Tierkörper annehmen müsse. Diese lockeren synthetische]
Verbindungen würden dann durch leichtes Erwärmen ge
sprengt und das bis dahin gebundene Salvarsan für die Wir
kung frei.
Man könnte aber immerhin auch daran denken, dass durc!
das Erhitzen des Serums 04 Stunde auf 56°) infolge des lange'
Kontaktes der Flüssigkeit mit dem Luftsauerstoff grobe Ver
änderungen mit den Salvarsanresten vor sich gehen. Es is*
ia doch allgemein bekannt, wie schnell sich Salvarsanlösungeii
bei blossem Stehen an der Luft verändern. Der Kontakt mi
dem Sauerstoff der Luft könnte demnach auch zur Erklärung
der Wirksamkeitssteigerung herangezogen werden. Es leuchte
ein, dass damit der ganze Vorgang jeder Bedeutung für dei
Tierkörper beraubt werden würde; denn es wäre immer de
Einwand berechtigt, dass es sich um Versuchsbedingungen ii
vitro handele, welche für die Vorgänge in vivo keinerlei Be:
deutung haben könnten.
Alles dies veranlasste mich, diesem Phänomen weite
experimentell nachzugehen und vor allem den Einflus
von Oxydation und Reduktion auf Salvarsan
serum zu studieren.
Eingreifende Oxydationsprozeduren mit den
Serum vorzunehmen, musste dabei vermieden werden, un
nicht gleich zu grobe Veränderungen in dem Serum zu machen
Ich beschränkte mich daher darauf, lediglich den vermutete'
Kontakt des Serums mit dem Sauerstoff der Luft dadurch zi
steigern, dass ich reinen Sauerstoff aus einer Ka
Versuch N. Salvarsanserum, normal.
' . . ■ ■ ■ — - - -
Blutentnahme
nach der
Injektion
Unerhitzt
Erhitzt
am . .
• Tage
Normalserum
Alter
ain . .
. Tage
Normalserum
Alter
1.
2.
3.
4
5.
6.
7
8.
9.
10.
1
10
1
2
3.
4-
5.
6.
7-
8.
9.
10.
1
10
Infekt. 3. VII.
4 VII.
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—
—
—
—
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+ w
4 w
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—
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4
4
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8. VII.
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9. VII.
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11. VII.
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_
_
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12. VII.
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_
_
_
_
13. VII.
—
_
_
_
*)
*)
*)
*)
*)
Versuch
0.
Sal
varsanserum, oxydiert.
Infekt. 3. VII.
\
'
4. VII.
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tot
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12. VII.
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_
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_
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_
13. VII.
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_
_
_
_
_
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•)
*)
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•)
*)
*)
•)
Versuch
R.
Salvarsanserum
, reduziert.
Infekt. 3. VII.
4. VII.
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9. VII.
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tot
10. VII.
—
—
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_
11. VII.
—
—
_
_
12. VII.
—
—
_
_
13. VII.
—
—
_
_
•)
•)
*1
*)
*) dauernd frei.
3. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2339
jillare mehrere Minuten durch das Salvar-
; a n s e r u in hindurchleitete. Durch Parallelver-
, uche bei gleicher Anordnung stellte ich fest, dass unter
olcher Behandlung sich Neosalvarsanlösungen in kurzer Zeit
lunkelbraun färbten.
Als Reduktionsmittel verwendete ich Natrium-
lydrosulfit. Ich hatte bei früheren Versuchen die gänzliche
Jnsehädlichkeit dieses Mittels für Tiere in relativ hoher Dosis
estgestcllt und überzeugte mich in einem Vorversuch, dass bei
•iner Endkonzentration der Lösung von 1 : 3000 Trypanosomen
uch bei ^stündigem Kontakt in ihrer Beweglichkeit und In-
ektionskraft nicht geschädigt werden.
Die Versuchs an Ordnung war nun folgende:
Kan. 245. 3000 g, erhält 0,075 g Salvarsan in alkalischer Lösung
ntravenös. Blutentnahmen nach 24, 48, 72 etc. Stunden bis zum
0. Tage nach der Injektion. Die einzelnen Sera werden im Frigo
ingefroren aufbewahrt, zugleich mit einer Normalserumkontrolle
om ersten und letzten Tage.
Am Tage des Hauptversuches wurden nun von den Seren
ilgende parallele Reihen angesetzt:
Von den 10 Seren werden je 6 Röhrchen mit je 0,5 Serum
eschickt. Die Reihen werden folgendermassen vorbehandelt:
I. Frisch verwendet.
II. Vst Stunde auf 56° erhitzt.
III. ln frischem Zustand je 3 Minuten mit Sauerstoffstrom be-
andelt.
IV. Nach Vs ständigem Erhitzen auf 56 0 je 3 Minuten mit Sauer-
toffstrom behandelt.
V. In frischem Zustand mit Natrium hydrosulfit versetzt, so
ass eine Endkonzentration von 1:3000 resultiert.
VI. Nach Vs ständigem Erhitzen mit Na. hydrosulfit versetzt,
3 dass eine Endkonzentration von 1 : 3000 resultiert.
(Kontrollen mit den Normalseren werden entsprechend vorbe-
andelt.)
Versuch N umfasst also frisches und erhitztes
ormalserum ohne weitere Vorbehandlung, Ver¬
lieh O frisches und erhitztes Serum mit nach-
olgender Oxydation und Versuch R frisches und
rhitztes Serum mit nachfolgender Reduktion.
Nach abgeschlossener Vorbehandlung wird in jedes Röhrchen
5 ccm einer Trypanosomen-Mäuseblutaufschwemmung gegeben, wel¬
le im (iesichtsfeld (Zeiss DD, Kompens. 6) 40 — 50 Trypanosomen
ithält. Nach Vs ständigem Kontakt bei Zimmertemperatur Beweg-
;hkeitskontrolle und intraperitoneale Injektion von je 0,5 pro 20 g
laus.
Ich lasse die Protokolle der Versuche N. O und R hier folgen.
-iehe vorhergehende Tabelle.)
Ergebnis:
Versuch N. (äbereinstimmend mit den Ergebnissen fräherer
ersuche). Serum frisch: absoluter Schutz: 1 Tag; relativer Schutz:
s 6. Tag. Serum erhitzt: absoluter Schutz: bis 6. Tag; relativer
ehutz: bis 10. Tag.
Versuch O. ebenso. Durch intensive Einwirkung des Sauer-
offes konnte also die Wirksamkeit des frischen und des erhitzten
erums nicht erhöht werden.
Versuch R. Serum frisch: absoluter Schutz bis 48 Stunden,
ilativer Schutz bis 6. Tag. Serum erhitzt: absoluter Schutz bis
Tage, relativer bis 6 Tage.
Durch Reduktion konnte also das frische
erum in seiner Wirksamkeit nicht ge-
chwächt, wohl aber das erhitzte Serum in
einer Wirksamkeit wieder dem des uner-
itzten gleichgemacht werden.
Klinisch folgt aus unseren Versuchen wohl folgendes:
Auch intensiver Kontakt mit Sauerstoff kann den wir-
tngssteigernden Einfluss erhöhter Temperaturen auf Sal-
arsanserum nicht ersetzen. Diese muss vielmehr auf einer
efreiung irgendwie gebundener Salvarsanreste beruhen,
iese Salvarsanreste sind höchst wahrscheinlich Salvarsan-
tyde, denn sie lassen sich nach ihrer Befreiung reduzieren
id unwirksam machen. Am ersten und zweiten Tage nach
2r Salvarsaninjektion beruht die Wirkung des Saivarsan-
rums in der Hauptsache noch auf dem Vorhandensein in-
kten Salvarsans. Dieses kann durch Reduktionsmittel nicht
^rändert werden, die Wirksamkeit solchen Serums mithin
ach nicht wesentlich abgeschwächt werden. Schon vom
Tage an summiert sich zu dieser Wirkung des intakten
alvarsans eine weitere von Oxydationsprodukten desselben,
llmählich tritt das intakte Salvarsan immer mehr zurück,
ird wahrscheinlich vollständig in Salvarsanoxyde iiber-
iführt, die dann vom 5. Tage an allein die Wirksamkeit des
-‘rums ausmachen. Diese Salvarsanoxyde sind im Blutserum
nicht frei vorhanden, sondern wahrscheinlich synthetisch au
irgendwelche Stoffe (Harnstoff?) gebunden und können erst
nach Sprengung dieser Verbindung zur Wirkung kommen.
Ob diese Sprengung der synthetischen Verbindung auch im
lebenden Tierkörper vor sich geht, kann vorderhand nicht
entschieden werden. Vielleicht liegt in dieser syn¬
thetischen Bindung der Salvarsanoxyde ein
normaler Entgiftungsvorgang.
Auf die sehr interessanten Beziehungen, welche zwischen
unseren Versuchsergebnissen und manchen Tatsachen der Sal-
varsanpathologie gefunden werden können, soll hier noch nicht
eingegangen werden.
Mitteilung aus dem Laboratorium für angewandte Chemie und
Pharmazie der Universität Leipzig.
Zur Sterilisation von Morphiumlösungen.
Von Dr. Ernst D e u s s e n.
Vorschriften für die Herstellung steriler oder möglichst steriler
Lösungen von Morphiumhydrochlorid gibt es viele. Wie man die
Sterilisation am zweckmässigsten vorzunehmen hat, darüber sind die
Ansichten geteilt. Von der Mehrzahl wird die Behandlung durch
Wasserdämpfe von 100° befürwortet. Erhitzung unter Druck soll
nicht angebracht sein, da nach Budde unter zunehmendem Drucke
in dem Sterilisationsgefässe eine Zunahme des Alkaligehaltes festge¬
stellt wurde. Von anderer Seite wird die schwache Zersetzung von
Morphiumlösungen beim Sterilisieren in der Hitze auf den Sauerstoff¬
gehalt der in den Gefässen befindlichen Luft zurückgeführt. Von
keiner Seite jedoch ist meines Wissens bis jetzt die Reinheit des
jeweils verwendeten Morphiumhydrochlorids in Betracht gezogen
worden. Nicht nur wässerige Lösungen von Morph, hydrochlor. er¬
leiden, wie bekannt, durch den Sauerstoffgehalt des Wassers und der
Luft eine schwache Oxydation des Alkaloids, sondern auch unge¬
löstes, wenn auch langsamer. An anderer Steile (Journ. f. prakt.
Chem. 86. 1912. 428) habe ich gezeigt, dass es Morphiumpräparate
im Handel gibt, welche den Anforderungen des D.A.B. 5 wohl ent¬
sprechen und doch nicht als rein angesehen werden können. Dass
solche Pharmakopöeware bei der Verwendung zu subkutanen In¬
jektionen physiologisch sich etwas anders verhalten wird als reine,
unzersetzte Präparate, ist wohl sehr wahrscheinlich.
Aus dem Folgenden wird es ersichtlich, dass offizineile Mor¬
phiumpräparate sich je nach ihren Reinheitsgrade verschieden beim
Sterilisieren in der Hitze verhalten.
Die Versuchsanordnung war folgende: Die Gefässe, in denen die
Morphiumlösungen sterilisiert wurden, waren weithaltige, mit Glas¬
stopfen versehene Glasflaschen von 30 ccm Fassungsvermögen und
wurden durch mindestens 30 Minuten langes Ausdämpfen im strömen¬
den Wasserdampfe von 100° sterilisiert. Die Glasstöpsel selbst wur¬
den durch Erhitzen mit stark verdünnter Salzsäure auf siedendem
Wasserbade gereinigt, mit destilliertem Wasser gut abgespült und ge¬
trocknet; die gebrauchsfertigen, mit etwa 20 ccm Morphiumlösung
(2 proz.) beschickten Glasflaschen waren während der Sterilisation
lose mit den Stöpseln verschlossen. Die zu sterilisierende Lösung
wurde vor Beginn der Sterilisation und nach Beendigung derselben
auf Farbenton in einem Polarisationsrohr von 10 cm Länge bei
Zimmertemperatur untersucht. Die verschiedenen Morphiumhydro¬
chloridproben des Handels, welche übrigens den Anforderungen des
D.A.Bs. entsprachen, wurden zunächst ohne weitere Vorbehandlung
in der eben angegebenen Weise auf das Verhalten ihrer Lösungen
bei der Sterilisation geprüft, darauf durch Umkristallisieren gereinigt
und dann in der- gleichen Weise untersucht. Zur Reinigung der
Morphiumproben wurden 3 g durch Erhitzen auf siedendem Wasser¬
bade in etwa 30 g ausgekochtem, sorgfältig destilliertem Wasser
unter Zusatz von 1 Tropfen verdünnter Salzsäure gelöst, hierauf
wurde die klare Lösung in einer ausgedämpften geräumigen Kri¬
stallisierschale in einem Vakuumexsikkator, der KOH in Stangen ent¬
hielt, gebracht und darin unter Vakuum so lange belassen, bis der
grössere Teil des Morphiumhydrochlorids (etwa 2 g) auskristallisiert
war. Die Kristalle saugte man auf einem Porzellansiebe scharf ab
und trocknete sie im Vakuumexsikkator. Aus der zurückbleibenden
Farbe der Lösung in 10 cm-Schieht
vor dem Sterilisieren
nach dem Sterilisieren bei
100° C; Dauer: 30 Min.
I. Morohiumprobe
A. Rein weisses Morph, hydrochl.
a) gelöst in ausgekochtem, destillier¬
tem Wasser .
ganz schwach gelblich
gelblich
b) gelost in nicht ausgekochtem, de¬
stilliertem Wasser ....
schwach gelblich
gelb
B. Umkristall. Morph, hydrochl.
gelöst in ausgekochtem, destillier¬
tem Wasser .
farblos
farblos (in 20 cm-Schicht
II. Morphiumprobe
weissliches Morph, hydrochl.
gelöst in ausgekochtem, destillier¬
tem Wasser .
gelb
schwach gelblich)
bräunlich-gelb
2.3-40
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr.
Mutterlauge Hess sich durch Verdunsten im Vakuum noch 0,7 g ziem¬
lich reines Morphium gewinnen, das aber für Injektionszwecke
nicht ohne weiteres geeignet ist.
Von den angestellten Versuchen mögen nur die folgenden aufge¬
führt werden. Wie bereits erwähnt, wurden 2 proz. Lösungen an¬
gewendet (siehe Tabelle).
Hiernach hat man für Sterilisationszwecke nicht nur ausge¬
kochtes destilliertes Wasser zu verwenden (was übrigens schon be¬
kannt ist), sondern auch möglichst frisch umkristallisiertes Mor¬
phiumhydrochlorid. Wie im D.A.B. für Aether, Chloroform reine
und etwas weniger reine Sorten vorgeschrieben sind, ebenso ist für
Morphium eine solche Forderung zu stellen. Die reinere Sorte
wäre für subkutane Injektion zu verwenden; in kleinen, zugc-
schmolzenen Olasröhrchen müsste dieses Morphium aufbewahrt
werden.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Nachbehandlung
Kriegsverletzter.
Von Dr. Qrassmann in München.
Der gegenwärtige Krieg wird besonders auch nach der Rich¬
tung hin alles Frühere weit hinter sich lassen, dass er eine Höchst¬
zahl von Invaliden liefern wird. Die ungeheure Grösse der kämpfen¬
den Heere, die veränderte Technik des Kampfes, die daraus un¬
mittelbar sich ergebende Massenhaftigkeit aller Arten Kriegsver¬
letzungen und -beschädigungen lassen das ohne weiteres voraus¬
sehen; dazu kommen noch als spezifische Umstände die ausgedehnte
Kriegsverwendung älterer Jahrgänge von Heeresangehörigen und
besonders die sichtliche Abnahme der Wundinfektionskrankheiten, die
ja auch noch 1870/71 Tausenden von Verletzten die Anwartschaft
auf das Weiterleben als „Invalide“ durch den Tod abgeschnitten
haben. Es werden eben nicht nur absolut, sondern auch relativ
unendlich viel mehr Kriegsbeschädigte ihre Invalidität „erleben“, als
nach allen früheren Kriegen. Oder, wie wir seit Einführung unserer
Arbeiterversicherungsgesetze uns gewöhnt haben, zu sagen: das Er¬
gebnis wird sein eine in der Höhe noch nicht übersehbare Zahl
von Männern, deren Arbeitsfähigkeit zum Teil oder ganz aufge¬
hoben ist.
Die Ansprüche auf Kriegsentschädigungen — für den völlig er¬
werbsunfähigen Gemeinen beträgt z. B. die Rente jährlich 540 M.,
für teilweise Erwerbsunfähigkeit einen entsprechenden Prozentsatz
dieses Betrages, wozu bei hochgradigen Gebrauchsstörungen von
Gliedmassen noch eine Verstümmelungszulage von monatlich 27 M.
kommen kann — werden also nach Beendigung des Krieges zu einer
Mehrbelastung des staatlichen Budgets führen, die sich jährlich auf
viele Millionen belaufen wird. Dabei haben wir schon für „Unfall'
jährlich 160 — 200 Millionen auszugeben.
Betrachtet man diese Seite der Dinge, so springt eine der wich¬
tigsten Aufgaben der Aerzte sofort in die Augen, welche jenseits
der anatomischen Wundheilung liegt: die Aufgabe, mit allen
Kräften und dem ganzen Rüstzeug unserer Wissenschaft an
der möglichsten Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der
Kriegsverletzten mitzuarbeiten. Da bei uns fast jeder Soldat
zugleich Arbeiter ist, bedeutet die Kriegswunde zugleich
einen Eingriff in die Arbeitsfähigkeit — in analoger Weise wie die
Unfallverletzung. Der kriegsverletzte Soldat und der Unfallverletzte
Arbeiter sind bezüglich der volkswirtschaftlichen Bedeutung iden¬
tische Werte. 1870/71, als wir die Arbeiterversicherung noch nicht
hatten und noch durchaus nicht im heutigen Masse gelernt hatten,
die Arbeitskraft des Einzelnen als ein staats- und volkswirtschaft¬
liches Gut einzuschätzen, was ja heute der Leitgedanke der ganzen
staatlichen Versicherung ist, konnte dieser Satz noch nicht eine solche
praktische Berücksichtigung fordern, wie heute, 44 Jahre später.
Bekanntlich haben sich die Anstrengungen immer mehr ge¬
steigert, für den Unfallverletzten Arbeiter Bedingungen herzustellen,
welche garantieren, dass nach einem erlittenen Unfall jenes Mass an
Arbeitsfähigkeit wieder erzielt wird, welches nur immer nach der
Art des vom Arbeiter erlittenen Unfallschadens möglich ist. Ich
erinnere da z. B. an die vom Reichsversicherungsamt noch im De¬
zember 1911 hinausgegebenen Sätze, deren Durchführung gewähr¬
leisten soll, dass der Unfallverletzte Arbeiter möglichst bald nach
dem Unfälle unter die allergünstigsten Verhältnisse für die Wieder¬
gewinnung seiner Arbeitsfähigkeit versetzt wird. Den Berufsge¬
nossenschaften sind dabei weitgehende Rechte und Piflchten zuge¬
sprochen.
Führt man die Analogie des kriegsverletzten Soldaten mit dem
Unfallverletzten Arbeiter weiter und frägt sich, inwieweit auch bei
dem kriegsverletzten Soldaten ganz allgemein für die möglichste
Wiedergewinnung seiner Arbeitsfähigkeit öffentlich und rechtlich Sorge
getragen ist, so ergibt sich vor allem, dass hier eine Institution fehlt,
welche das Gegenstück zur Einrichtung der Berufsgenossenschaften
in der Unfallgesetzgebung darstellen würde. Die militärische Sa¬
nitätsverwaltung und ihre Organe stehen organisatorisch nicht mit
den Berufsgenossenschaften beim Unfallwesen in Parallele. Sind
letztere die an der Herstellung grösstmöglicher Arbeitsfähigkeit leb¬
haft interessierte, gesetzlich organisierte Vereinigung von Arbeit¬
gebern, so ermangelt die Sanitätsverwaltung des deutschen Heeres
in weitem Umfange des Charakters einer Interessentenvereinigung
gegenüber dem kriegsbeschädigten Soldaten. Der Interessent
hier der Staat bzw. alle Steuerzahler. Dieser Zustand wird eii .
Tages wohl zur Schaffung einer Institution führen müssen, wek
mit der Berufsgenossenschaft bei der Unfallversicherung innere V
wandtschaft besitzt.
Diese sozialökonomische Bedeutung der Kriegsbeschädiguiui
schafft also die Forderung, zur Herstellung des möglichst gross i
Masses von Arbeitsfähigkeit bei den zu erwartenden Zehntausend
von Invaliden der Wiederherstellung der Funktion spez. kriegsl.
schädigter Extremitäten die höchste Aufmerksamkeit zuzuwend .
jetzt, im Kriege. Nach diesem Kriege braucht Deutschland ;n
verbliebenen Kräfte erst recht für den internationalen Wettbewc.
Naturgemäss ist der kriegsverletzte Soldat im allgemeinen tr
mittelbar nach der Verletzung, welche seine Erwerbsfähigkeit 1(.
droht, in keiner so günstigen Lage, wie der Unfallverletzte Arbeit.
Die Umstände nach dieser Richtung liegen auf der Hand, sie körn»
auch kaum je annähernd so günstig gestaltet werden, selbst weit
die erste ärztliche Versorgung nach der Kriegsverletzung noch ait-
reichender gestaltet werden wird, als es heute der Fall ist. Ik
Behandlung der gesetzten Wunde wird in diesem Zeitpunkte natürh
die Hauptaufgabe bleiben. Aber damit erschöpft sich die ärztlkfc
Behandlung in sehr vielen Fällen nicht, angesichts der zweiten Hau-
aufgabe: der möglichsten Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. ,i
einer Reihe von Fällen trifft dies ja zusammen mit dem Bestreb ,
die Dienstfähigkeit w ieder herzustellen. Es bleiben aber viele Fä .
wo eine militärische Dienstfähigkeit nicht mehr in Frage komn i
kann, weil die spezielle Art der Kriegsverletzung diese künftig ai
schlicsst. Diese nämliche Verletzung nebst ihren Folgen brauijt
aber keineswegs eine ähnlich deletäre Wirkung für die bürgerlR;
Erwerbsfähigkeit zu haben. Im ersten Falle hat die Sanitätsv-
waltung nicht in erster Linie ein Interesse an dem ferneren Schicksjj
des Verwundeten, während von sozialökonomischen Gesichtspunkt!
aus ein starkes Interesse besteht, das Optimum von bürgerlich1
Erwerbsfähigkeit wieder zu erzielen.
Diese Verhältnisse erfordern nun gerade in diesem Massenkriffi
erhöhte Beachtung. Man muss die Frage aufwerfen, ob nicht h
ganz genereller Weise möglichst frühzeitig nach der Verletzung ec
Ausscheidung der zu behandelnden Kriegsverletzten statlfinden körn:
nach dem Gesichtspunkte, ob der Betreffende voraussichtlich wieg
militärdienstfähig wird, oder aber nicht. Die letztere Kategorie sok
dann zur Entlastung der militärischen Seite möglichst bald abgegehi
und unter die nämlichen Bedingungen versetzt werden wie tr
Unfallverletzte Arbeiter. Die möglichst mit allen modernen Errungi-
schaften arbeitende Nachbehandlung der Kriegsverletzten von scä
de: Sanitätsorgane des Heeres, mit dem allseitig zu verfolgen«
Ziele einer möglichsten Herstellung der Funktion, also nicht bl®
der anatomischen Heilung, kann uns hier nicht beschäftigen. Für j
andere Kategorie aber, die ich da im Auge habe, die voraussichtl;
nicht mehr Militärdiensttauglichen, wird sich eine andere Orgaj-
sierung der Nachbehandlung als nötig heraussteilen. Vor allem me
der Zivilarzt, der etwa hier in Tätigkeit tritt, das Ziel der fui-
tionellen Wiederherstellung vom 1. Tage an ebenso wie beim unh-
verletzten Arbeiter ins Auge fassen und darnach seine Behandln
einrichten. Die Bewegungstherapie aller Formen wird daher fri-
zeitigst einsetzen. Gegenüber der aus diesem Kriege erwachsene!
Riesenaufgabe für die Nachbehandlung müssen sehr grosse Mittel, d
wenn es ein paar Millionen wären, sofort bereitgestellt werden, i
alle Beihilfen für die Nachbehandlung herbeischaffen zu können .Ep
Reihe von Massnahmen kämen da in Betracht. Ich denke da nid
nur an die ausgedehnte Heranziehung passender Badeorte zur 1-
seitigung der Bewegungsstörungen an Extremitäten — denn oft w -
den sie erst aufgesucht, wenn schon längst schwere Verstcifu.ic i
sich gebildet haben — , sondern besonders auch an Beschaffung mtf
oder minder einfacher Vorrichtungen für passive Bewegungen, an <:
möglichst breite Benützung bereits bestehender Institute dieser A;
um möglichst frühzeitige Beeinflussung der Funktionen zu erziel.
Der Gewinn an Arbeitsfähigkeit wird die Kosten reichlich deck.
Gewiss lässt sich aber auch in sehr vielen Fällen durch einfach
manuelle Bewegungstherapie, z. B. bei drohenden Versteifung!
kleiner Gelenke, viel erreichen.
Es lag mir vor allem daran, auf diese besondere ärztliche A-
gabc bei ihrer grossen sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung scl i
in diesem Zeitpunkte hinzuweisen.
Die entwicklungshemmende Wirkung der Kupfersal-
auf das Wachstum des Tuberkelbazillus.
Von Professor I)r. Gräfin v. Linden in Bonn;
Aus den Mitteilungen von A. F c 1 d t in Nr. 26 d. Wschr. g<
hervor, dass die entwicklungshemmende Wirkung des Kupfers auf o
Wachstum der Tuberkelbazillen auch bei der von ihm gcwäliD
Versuchsanordnung grösser ist und in weiteren Grenzen schwärt,
als es nach den ersten Experimenten des Verfasser zu sein schi -
Während nach den früheren Beobachtungen Feldts das Kupfcrch-
rid und Kupfersulfat nur in Verdünnungen von etwa 1:5000 o
Wachstum des Tuberkelbazillus zu hemmen vermochte, trat in seii'
neuen Versuchsserie eine Entwicklungshemmung bei Anwend«
i. Dezember 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2341
[cs für den tierischen Organismus viel weniger giftigen Cuprum-
valium tartaricum noch unter 1:10 000 ein, bei dem Cuprum-Kalium
j anatum noch unter 1:50 000. Dieselben Resultate ergaben sich
uf eiweissfreien und eiweisshaltigen Nährböden, ln dieser zweiten
ersuchsserie hat sich somit das Kupfer dem Tuberkelbazillus gegen-
ber im Maximum zehnmal wirksamer gezeigt als bei den
rsten Experimenten E e 1 d t s, und die Ergebnisse sind dadurch
leinen Resultaten schon etwas näher gerückt, besonders wenn
e 1 d t unter Entwicklungshemmung den völligen Wachstumstill-
tand versteht, der in meinen Versuchen bei Verdünnungen von
: 100 000 eingetreten ist.
Eine noch grössere Uebereinstimmung dürfte vielleicht unter
leichartigen Versuchsbedingungen erreicht werden, denn von
rosser Bedeutung für den Ausfall solcher Experimente ist die Wachs-
imsenergie und Empfindlichkeit des verwendeten Bakterienstammes,
ie Gleichförmigkeit der Verteilung der kupferhaltigen Flüssigkeit
n Nährboden und die Menge der überimpften Bakterien.
Dass sich die i uberkelbazillen in ihrer Wachstumsenergie und
äerapeutischen Bceinfiussbarkeit unterscheiden, ist bekannt. Um
anz übereinstimmende Resultate zu erhalten, müsste mit biologisch
löslichst gleichartigen Stämmen gearbeitet werden. Ich bediente
lieh bei meinen Experimenten eines Stammes, der mir von Exz.
.hrlich zur Verfügung gestellt worden ist und ihm durch geringe
lerapeutische Beeintlussbarkeit und gutes Wachstum bekannt war.
’ie zu Beginn des Versuches gleichzeitig angelegten Kontrollkulturen
eigten, wie zu erwarten, auch schnelles und üppiges Wachstum.
Es ist ferner nicht gleichgültig, in welcher Weise die kupfer-
altige Flüssigkeit dem Nährboden zugesetzt wird, ob die Zu-
lischung in konzentrierter oder weniger konzen-
rierter Form geschieht. Die gleichinässigste Verteilung
es Kupfers in den Nährböden ist zu erreichen, wenn diese doppelt
onzentriert bereitet und mit der kupferhaltigen Flüssigkeit erst auf
ie gewünschte Verdünnung gebracht werden, mit anderen Worten,
enn man wenigstens die Hälfte des Wassers als Kupferlösung zu-
etzt, und vor dem Erstarren des Nährbodens durch kreisförmiges
chwenken gleichmässig mischt. Zur Bereitung der Kupferlösung
ird sterilisiertes Wasser verwendet, auch müssen die Gefässe steril
ein, eine Sterilisierung der Lösung selbst ist nicht zu empfehlen,
a üie organischen Kuptersalze, wie ich beobachtet habe, durch lan-
es Kochen leicht reduziert werden.
Wird die Kupferlösung in konzentrierterer Form zugesetzt,
a ist die Verteilung des Kupfers im Nährboden ungleich, was bei
en stark konzentrierten Mischungen in der ungleichen Verfär-
ung des Nährbodens zum Ausdruck kommt. Die Nährbodenfarbe
eigt an, dass die Kupfersalze und ihre Verbindungen nach unten
nken und beim Beimpfen solcher Nährböden ergibt sich dann z. B.
och deutliche Wachstumshemmung in der unteren Hälfte bei Ver¬
minungen (1:10 000 001, wo eine solche nicht mehr zu erwarten
t und üppige Bakterienentwicklung auf der oberen Hälfte. Bei
leichmässiger Verteilung der hemmenden Substanzen und bei den
ontrollkulturen pilegen die Tuberkelbazillen auf der dickeren Nähr¬
odenschicht besser zu wachsen als auf der dünneren die auch
:hneller austrocknet.
1 ln erster Linie muss bei diesen vergleichenden Prüfungen d i e
berimpfte Bakterienmenge dieselbe sein. Es ist
icht gleichgültig, namentlich wenn mit hohen Verdünnungen ge-
rbeitet wird, ob 1 mg oder 2 mg Tuberkelbazillen auf den zu
rütenden Nährboden übertragen werden. Der Bazillus bedarf, um
schädigt zu werden, einer bestimmten Kupfermenge,
ld muss er die zu seiner Abschwächung oder Abtötung bestimmte
tenge mit einem zweiten teilen, so wird die Giftwirkung bei keinem
on beiden oder nur in halber Intensität eintreten. So werden, wie
h in meinen Mitteilungen schon erwähnt habe, Bacterien-
äufchen in ihrer Weiterentwicklung erst bei 10 mal stärkeren
onzentrationen gehemmt als in dünner Schicht bei möglichst gleich-
ässiger Ausbreitung der Keime. Noch deutlicher kommt die Ab-
ingigkeit der Wachstumshemmung von der Keimzahl der zu prüfen¬
in Bakterien zum Ausdruck, wenn man in jeder Verdünnung ein
öhrchen mit der einfachen, ein zweites mit der doppelten Bakterien¬
enge beschickt, ln einer Versuchsreihe übertrug ich auf ein Röhr-
len jeder Verdünnung den Inhalt einer Platinöse ca. 1 mg Bakterien,
if das andere Röhrchen das doppelte Quantum. Die Bakterien wur-
m mit dem Kondenswasser angefeuchtet und möglichst gleichmässig
if der Fläche des Nährbodens verteilt. Es ergab sich, besonders
iutlich in den mit Dimethylglykokollkupfer versetzten Nährböden,
der Verdünnung von 1:100 000 bei beiden Röhrchen keine Ent-
icklung der gleichmässig ausgebreiteten Keime, bei 2 hatten sich
)er an Stellen, wo die Verteilung keine so gleichmässige war, und
nhäufung von Keimen stattgefunden hatte, 5 kleine Kolonien ent-
ickelt. ln der Verdünnung 1:1 000 000 waren auf dem Röhrchen 1
der oberen Hälfte des Nährbodens, wo derselbe dünner ist und
ich weniger Kupfer enthält, 3 Kolonien gewachsen, bei 2 war neben
nzelnen grösseren Kolonien auch schwaches Flächenwachstum
ahrzunehmen. Bei der Verdünnung 1:10 000 000, bei der nach den
iiheren Versuchen keine Entwicklungshemmung mehr zu erwarten
ar, zeigten beide Röhrchen gleichartiges Wachstum, das aber ver-
ichen mit den Kontrollen, doch noch deutlich beeinträchtigt er-
hien.
In den Kontrollkulturen hatte sich in beiden Röhrchen ein gleich-
ässig starkes Flächenwachstum entwickelt. Der Nährboden des
Nr. 49.
stärker beimpften Röhrchens war aber schneller überwachsen, als
der des mit halber Bakterienmenge beschickten.
Bei der Beimpfung der Nährböden bediente ich mich stets der
jüngeren, teilweise etwa 4 Wochen alten Kulturen.
Eine so grosse Verschiedenheit in der Beeinflus¬
sung des Tuberkelbazillenwachstums durch ver¬
schiedene Kupfersalz c, wie sie Fel dt beobachtet hat, ist
mir unter gleichartigen Versuchsbedingungen nicht aufgefallen. Das
Dimethylglykokollkupfer ist, weil es weniger eiweissfällend wirkt
als das Kupferchlorid, in den Nährböden leichter gleichmässig
zu verteilen, und ich habe den Eindruck bekommen, dass es auch in
hohen Verdünnungen sicherer beeinflusst als das anorganische Salz.
Bei den komplexen Kupferlezithinverbindungen ist die entwicklungs¬
hemmende Wirkung nicht allein auf Rechnung des Kupfers zu setzen.
Was die Verfärbung der Tuberkelbazillen betrifft,
die auf kupferhaltige Nährböden übertragen werden, so wundert es
mich, dass die namentlich bei Anwendung des Kupferchlorids sehr
deutliche Grünfärbung Feldt entgangen ist. Es ist ein
schmutziges Grün, das die auf den Kupfernährböden übertragenen
Kolonien meist schon nach 24 Stunden annehmen. Die Färbung be¬
ginnt am Rand der Kolonien und verbreitet sich dann auf die ganze
Kolonie, wenigstens in Konzentrationen unter 1 : 150 000. Bei höherer
Verdünnung werden die grösseren Bakterienhäufchen bisweilen nur
am Rand gefärbt, während die kleinen ganz mit Patina überzogen
erscheinen. Nach einiger Zeit werden die zuerst grünlichen Kolonien
rotbräun bis schwarzbraun. Auf mitDimethylglykokollkupfer versetzten
Nährböden sind die Kolonien, ehe sie die rotbraune Färbung an¬
nehmen, häufig statt grünlich rötlich verfärbt, es kommt aber auch
hier Grünfärbung vor. Bei einem Versuch sah ich, wie auf mit
Kupferchlorid versetzten Nährboden bei einer Verdünnung des
Kupfers bei 1:1 000 000 sich die Tuberkelbazillen mit einer grünen
Patina überzogen hatten. Sie verloren diese Färbung nach 8 Wochen
wieder, und nach der Entfärbung wuchsen die Kolonien weiter.
Werden die grünlich verfärbten Kolonien auf einem Objektträger zer¬
drückt, so erscheinen die Bakterien diffus und saftgrün gefärbt. Aber
auch die bei mikroskopischer Betrachtung rotgelben oder braun¬
roten Bakterienhäufchen erscheinen, wenn sie unter dem Mikroskop
zerdrückt werden, bei schwacher Vergrösserung als kristalldrusen¬
ähnliche Gebilde von grüner bis braungrüner Färbung.
Mit der Immersion betrachtet lösen sich die grün-braungrün ge¬
färbten strahligen Massen in grünlich schimmernde, braun gekörnelte
Bakterien auf. Es macht den Eindruck, als ob das in dem Nährboden
enthaltene Kupfer zuerst in den Mantel der Bakterien eintreten würde,
um hier, vielleicht als fettsaure Verbindung gelöst, den Bakterien
eine diffus grüne Färbung zu verleihen. In zweiter Linie scheint das
Metall in den Bakterienleib selbst einzudringen und hier zu einer
braungefärbten Verbindung reduziert zu werden.
Die grüne Verfärbung der Bakterien wird übrigens nicht nur be¬
obachtet, wenn wir die Tuberkelbazillen auf kupferhaltige Nährböden
übertragen, dieselbe Verfärbung tritt ein, wenn wir Tuberkelbazillen¬
kulturen mit stark verdünnten kupferhaltigen Lösungen überschichten
oder Tuberkelbazillenhäufchen in Kupferlösungen einlegen. Bei Di¬
methylglykokollkupfer enthaltenden Lösungen, nehmen die Bakterien¬
kolonien zuerst die violette Färbung der Lösung an, sind aber nach
24 Stunden grünlich gefärbt, mehr oder weniger intensiv, je nach dem
Kupfergehalt der Lösung. In meiner im Druck befindlichen Arbeit, die
demnächst in den Brauerschen Beitr. z. Klin. d. Tbk. erscheinen wird,
findet diese Frage eingehende Erörterung.
Auch in bezug auf die Veränderungen, welche an den
auf kupferhaltigen Nährböden wachsenden Tuberkel¬
bazillen wahrgenommen werden, verweise ich auf diese Arbeit. Es
sei nur hier bemerkt, dass die beschriebenen Veränderungen auch in
Nährböden, die das Kupfer in hoher Verdünnung enthalten, auftreten
und mit der Zeit in den Bakterienhäufchen von aussen nach innen
fortschreiten. So können grössere Bakterienkolonien an der Peri¬
pherie, in der von mir beschriebenen Weise veränderte Bakterien
zeigen, während sich die Bakterien im Zentrum der Kolonien noch
färbbar erweisen.
Wurden diese Bakterienhäufchen, die ihre Säurefestigkeit zum
grössten Teil verloren haben, auf Versuchstiere überimpft, so wurden
die Tiere nicht tuberkulös, wie ebenfalls aus den in meinen in den
Beitr. z. Klin. d. Tbk. veröffentlichten Versuchsreihen hervorgeht.
Was die Giftigkeit des Kupfers anbelangt, so tritt die¬
selbe für den tierischen Organismus bei intravenöser Anwendung am
meisten hervor. Subkutan und per os können unverhältnismässig
viel höhere Dosen ohne Schaden ertragen werden. Aber auch bei
intravenöser Anwendung verhalten sich die verschiedenen Kupfer¬
salze nicht alle gleich giftig. Nach meinen Experimenten scheinen
diejenigen Kupfersalze die giftigsten zu sein, die sich am schnellsten
mit dem Blutfarbstoff der roten Blutkörperchen verbinden, und diese
ihrer Fähigkeit, Sauerstoff aufzunehmen am schnellsten berauben.
Während die von Kobert und seinen Schülern geprüften Kupfer¬
verbindungen, in Mengen von 2 mg Kupfer pro Kilo Körpergewicht
in die Venen eingespritzt, zum Tode führten, arbeite ich gegenwärtig
mit einem Kupferlezithinpräparat, von dem 1 kg schwere Kaninchen
pro Dosis 5 mg K u p f e r gut ertragen. Auch dem Menschen wurden
als Dimethylglykokollkupfer intravenös wiederholt 100 mg Kupfer
pro Dosis gegeben, ohne Störungen zu bewirken, was bei einem
Durchschnittsgewicht von 70 kg pro Kilo eine Kupferzufuhr von
2342
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 49.
1,4 mg bedeutet. Die Arbeiten Meissens1), Strauss’2), Böd¬
me r s :l), S o r g o s *) und die Mitteilungen von seiten anderer Aerzte,
die ihre Resultate noch nicht veröffentlicht haben, zeigen aber jetzt
schon, dass die tuberkulöse Erkrankung, da wo sie überhaupt auf
Kupfer anspricht, auch mit kleineren, regelmässig verabreichten
Kupferdosen in günstigem Sinn zu beeinflussen ist. Es kommt auch
keineswegs, wie Fel dt annimmt, zur Behandlung der innern Tuber¬
kulose ausschliesslich die intravenöse Anwendung in Betracht, die
intravenöse dürfte sogar in vielen Fällen der subkutanen und der
intramuskulären weichen, sobald wir ein Kupferpräparat besitzen,
das, in dieser Form eingeführt, keine erheblichen lokalen Reizerschei¬
nungen auslöst. Da ausserdem, wie schon Kobert festgestellt hat,
das Kupfer vom Dannkanal aus leicht resorbiert wird und von hier
aus eine sehr geringe toxische Wirkung entfaltet, so bleibt uns auch
dieser Weg für seine interne Verwendung. Jedenfalls kann man, so¬
weit es bisher die praktischen Erfahrungen gelehrt haben, das
Kupfer dem Menschen in viel grösseren Dosen ein¬
verleiben als die Goldzyanverbindungen. Wenn,
wie F e 1 d t angibt, das Goldzyansalz für Mäuse und Kaninchen erst
in einer Menge von 0,015 g pro Kilogramm Tier tödlich wirkt, so
darf man beim Menschen, wie Bruck5) in seinem zusammenfassen¬
den Referat in den Verhandlungen der IV. Sitzung des Lupusaus¬
schusses 1913 veröffentlicht, nicht höher gehen als bis auf 0,01 bis
0,05 pro Injektion. Bei Behandlung der Lungentuberkulose kommt
Junker“) zu dem Resultat, dass, um die Gefahren unerwünscht
schwerer Reaktionen zu vermeiden, die Dosis von 0,02 überhaupt
nicht überschritten werden sollte. Die Anwendung am Menschen
zeigt somit, dass das Verhältnis zwischen der bazillenschädigenden
und der körperschädigenden Wirkung für die Goldpräparate
weniger günstig und für die Kupferpräparate weni¬
ger ungünstig ist, als Feldt es aufgestellt hat. Wird dem
menschlichen Organismus 0,02 g Gold zugeführt, so ist das Gold im
Blut, die Blutmenge zu 5 kg berechnet, in einer Verdünnung von
1:250 000 enthalten. Beim Kupfer kann, ohne zu schädigen, bis zu
0,1 g pro Dosis gestiegen werden, die Verdünnung des Kupfers im
Blut würde somit 1:50 000 betragen. Wenn wir für das Gold die
äusserste das Tuberkelbazillenwachstum noch hemmende Ver¬
dünnung, die F e 1 d t mit 1 : 2 000 000 7) angibt, voraussetzen, so würde
das Blut, dem 0,02 g Gold zugeführt ist, 8 mal mehr Gold enthalten,
als zur Schädigung des Bazillenwachstums eigentlich notwendig
wäre. Eine wachstumshemmende Wirkung des Kupfers habe ich
bei gleichmässiger Verteilung der Tuberkelbazillen auf Glyzerinagar¬
nährböden bei 1:1 000 000 regelmässig erreicht — sie ist auch noch
deutlich bei Verdünnungen von 1:15 000 000 zu beobachten. Die in
den menschlichen Blutkreislauf einführbare Kupfermenge ist demnach
nicht nur 8 mal, sondern 20 m a 1 grösser als die, die theoretisch
zur Hemmung des Bakterienwachstums notwendig wäre. Sie ist
doppelt so gross, als sie zur Abtötung von Bakterienhäufchen auf
künstlichen Nährböden gebraucht wird — 1:100 000 — und aus¬
reichend, um auch unter den Feld sehen Versuchsbedingungen
Wachstumshemmung zu erzielen. Nach Feldt hemmt Kupfer-
Kalium cyanatuin in einer Verdiinnnung von 1:50 000. Theoretisch
müssten somit sowohl mit dem Goldsalz und noch leichter mit dem
Kupfersalz Tuberkelbazillen im Körper abgetötet werden können,
vorausgesetzt, dass das Metall an den tuberkulösen Herd heran¬
geführt und nicht unterwegs durch andere Körperzellen gebunden
wird und aus dem Kreislauf ausscheidet. Beim Kupfer lässt es sich
sowohl chemisch als auch mit blossem Auge sichtbar nachweisen,
dass das tuberkulöse Gewebe besonders kupferaffin ist, so dass sich
das Metall in den tuberkulösen Geweben in grösserer Konzentration
anhäuft, als in dem gesunden. Um aber die Krankheitserreger ab¬
zutöten ist im Körper genau wie im künstlichen Nährboden eine be¬
stimmte Kupfermenge nötig, die eine Zeitlang auf die Bakterien ein¬
wirken und der Bakterienmenge entsprechen muss, um die ge¬
wünschte Wirkung zu haben. Es wird deshalb für den Heileffekt
nicht nur die weniger grosse oder grössere Zugänglichkeit der Herde
sondern auch die Schwere der Infektion massgebend sein, ganz ab¬
gesehen von der natürlichen Widerstandsfähigkeit des erkrankten
Organismus und der grösseren oder geringeren Empfindlichkeit der
Bakterien. Die praktischen Erfahrungen haben bis jetzt gezeigt,
dass für die Kupfertherapie die Verhältnisse bei der äusseren Tuber¬
kulose — Hauttuberkulose und chirurgische Tuberkulose — am gün-
0 Meissen: Meine Erfahrungen bei Lungentuberkulose mit
Jod-Methylenblau und Kupferpräparaten. Beitr. z. Chemother. d.
Tbk., Wiirzburg, Kabitzsch, 1912.
-*) Strauss: Meine Erfahrungen mit Jod-Methylenblau und
Kupferpräparaten bei äusserer Tuberkulose. Beitr. z. Chemother.
d. Tbk., Würzburg, Kabitzsch, 1912.
3) Bo dm er: Ueber Chemotherapie der Lungentuberkulose, spe¬
ziell das F i n k 1 e r sehe Heilverfahren. M.m.W. 1913 Nr. 32.
4) S o r g o: Erfahrungen mit dem Finkler sehen Heilverfahren
bei Lungenphthise (intravenöse Kupferinjektionen). Vh. d 85. Ver¬
sammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte, Wien 1913, und
W.m.W. 1913 Nr. 48 S. 3094.
5) Bruck: Die Chemotherapie mit Goldpräparaten und Bor¬
cholin. Vh. d. IV. Sitzung d. Lupusausschusses, Berlin 1913.
“) Junker: Neuere immunisierende und medikamentöse Tuber¬
kuloseheilmittel. Zschr f. ärztl. Fortbildung, Jahrg. X 1913.
7) Nach Behring geht die desinfektorische Kraft des Gold¬
zyans bei Lösung im Blutserum auf 1 : 30 000 herunter.
stigsten liegen, dass aber auch befriedigende Ergebnisse bei der
Lungentuberkulose erzielt werden können, wenn die Behandlung mit
mittleren Dosen systematisch durchgeführt wird. Und ausserdem
hat sich erwiesen, dass die Kupfertherapie der Tuberkulose viel
weniger gefahrbringend ist als die Behandlung mit Goldpräparaten.
Rudolf Emmerich.
Am 15. November schied Rudolf Emmerich aus
dem Leben, ein herber Verlust für seine zahlreichen Freunde
und für alle Kollegen, die ihm nahestanden. Eine ideal an¬
gelegte Natur, ein selbstloser, anspruchsloser Charakter, ein
erfolgreicher Lehrer, ein überaus tätiger Forscher ist in ihm
dahingegangen.
Rudolf Emmerich wurde 1852 in Mutterstadt in der
Rheinpfalz geboren und bezog 1871 die Universität in
München, nachdem er im dritten freiwilligen Sanitätskorps
den Deutsch-Französischen Krieg bis nach der Schlacht von
Sedan mitgrnacht hatte. Eine gemeinsam mit Franz Brun n e r,
dem jetzigen Direktor des Krankenhauses München-Schwabing
gemachte, von der Universität München preisgekrönte Arbeit,
über „die Veränderungen des Isarwassers auf seinem Laufe
durch München“, brachte ihn in nähere Beziehung zu Petten-
k o f e r, in dessen Institut er bis 1878 verschiedene Unter¬
suchungen ausführte. Dann wurde er erster Assistent am
hygienischen Institut in Leipzig, wo er bei Franz Hof¬
mann eine Arbeit lieferte über „Die Verunreinigung der
Zwischendecken in ihren Beziehungen zu den ektogenen In¬
fektionskrankheiten“, welche berechtigtes Aufsehen erregte
und zu umfassenden Reformmassregeln Veranlassung gab. Im
Jahr 1880 wurde er nach Lissabon im Interesse hygienische!'
Einrichtungen berufen, aber schon ein Jahr spätei kehrte er
nach München zurück
und wurde Assistent
bei Pettenkof er und
Privatdozent. Sieben
Jahre später rückte er
zum Professor der Hy¬
giene und Bakteriologie
an der UniversitätMün-
chen vor. Nun entfal¬
tete er in den Fuss-
stapfen seines von ihm
innig verehrten Lehrers
Pettenkofer eine
unermüdlicheTätigkeit.
Besonders fesselten ihn
Pettenkofers An¬
schauungen über die
Cholera. Der gemein¬
schaftliche Versuch,
durch Verschlucken
von ie 1 ccm Cholera¬
kultur zu zeigen, dass
ausser den Bazillen
noch andere Umstände
zur Entwicklung der
Cholera im Körper mit-
wirken müssten, ist weltbekannt geworden. Schon 1884 besuchte
er behufs Studien über die Art der Verbreitung der Cholera
Palermo und dann 1893 Konstantinopel während der Cholera¬
epidemie. Später besuchte er noch Petersburg, um den Urin
Cholerakranker auf die Anwesenheit salpetriger Säure zu
prüfen, welche er darin tatsächlich nachweisen konnte. Die
gesamte Choleraliteratur der Erde wurde von ihm aufs ein¬
gehendste studiert und zahlreiche einschlägige Untersuchungen
ausgeführt. Seine langjährigen Studien wurden 1910 in einem
umfangreichen Werke über die asiatische Cholera nieüer-
gelegt. Seine Ansicht, dass die asiatische Cholera wesentlich
eine Nitritvergiftung sei, hat zwur viele Angriffe erfahren,
aber es hat schliesslich doch anerkannt werden müssen, dass
sie viel richtiges enthält. Es war nach vielen bitteren Er¬
fahrungen eine grosse Genugtuung für E m m e r i c h, als Pro¬
fessor Dr. Georg Sticker in seinem gründlichen und um¬
fangreichen Werke über die Cholera sich ihm im wesentlichen
8. Dezember 19I-«.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2343
völlig anschloss. (Abhandlungen aus der Seuchengeschichte
und Seuchenlehrc, II. Band. Giessen 1912.)
Auch das Prinzip der natürlichen und künstlichen Im¬
munität fesselte sein Interesse. Er gelangte bei seinen Studien
über Schweinerotlauf zum Schluss, dass bei der künstlichen
Immunität ein bakterizider Stoff im Blute vorhanden sei. Oft
betonte er in Freundeskreisen ferner, dass das sogen.
Pfeiffersche Phänomen schon Jahre vorher von ihm be¬
obachtet und gelegentlich erwähnt worden sei. In Gemein¬
schaft mit O. Loew entdeckte und studierte er bakterizide
Stoffe in manchen Bakterienkulturen, besonders in derjenigen
des B a c. p y o c y a n e u s. Das Resultat dieser Arbeiten
war (1899) die Herstellung der Pyozyanase, welche eine weit¬
verbreitete Anwendung in der ärztlichen Praxis gefunden hat.
Solche bakterizide Stoffe bewirken in Verbindung mit einem
tierischen Eiweisskörper nach Emmerich und Loew die
Künstliche Immunität. In Gemeinschaft mit mehreren Mit¬
arbeitern zeigte E m m e r i c h, dass die bakterizide Eigen¬
schaft bei den durch Erwärmen auf 56° inaktiv gewordenen
Vexinen durch sehr verdünntes Kali regeneriert werden kann,
-'ine interessante Beobachtung Emmerichs war es auch,
lass einige Flagellatenarten, welche in sehr geringer Menge
mch in gutem Trinkwasser Vorkommen, mit grosser Vorliebe
Typhusbazillen verzehren. In Gemeinschaft mit einigen
Schülern bearbeitete er diese Erscheinung, welche bei der
Selbstreinigung der Flüsse ohne Zweifel eine wertvolle Rolle
mielt.
Auch seiner Erfindung in Betreff der Fleischkonservierung
nuss gedacht werden. Emmerich ging von der Tatsache
ius, dass im gesunden Muskelfleisch von Tieren keine Bak-
erien Vorkommen und schloss, dass bei der nötigen Vorsicht
>eim Schlachten man die Infektion des Schlachtfleisches ver¬
ändern, somit dieses konservieren könne. Er schrieb vor,
las Fell von dem Schlachttiere nicht abzuziehen und mit ver-
lünnter Essigsäure die Blutgefässe auszuspritzen und die
nnenseite des Objektes zu behandeln.
Fleisch, nach dieser Methode konserviert, war nach
Monaten noch völlig unverändert, auch wenn es den Schiffs, -
ransport über den Aequator durchgemacht hatte. Die Kon-
urrenz jedoch mit dem auf billigerem Wege konservierten
lefrierfleische verhinderte die Einführung der Emmerich-
chen Methode.
In den letzten Jahren beschäftigte er sich viel mit der
lalktherapie. Er beobachtete, dass eine Erhöhung des Kalk¬
ehalts der tierischen Nahrung die Resistenz gegen Milzbrand
nd Rotlauf erhöhte. Auch bei Tuberkulose von Menschen
eobachtete er einen günstigen Einfluss erhöhter Kalkzufuhr
- wenigstens im Anfangsstadium. Das Wesen der Kalk-
lerapie in vielen Fällen führte er auf den von O. Loew
cobachteten Kalkgehalt der Zellkerne zurück. Im Verlaufe
:iner Studien beobachtete er äusserst günstige Wirkungen
er Kalkzufuhr bei Heufieber und Tic convulsif. Beide Krank-
eiten galten bis vor kurzem als unheilbar.
Die günstige Wirkung der Kalkzufuhr erklärte er durch
en Umstand, dass infolge mancher zu kalkarmer Nahrungs¬
ättel sich oft eine Unterernährung mit bezug auf Kalk aus-
ilde. In Hinsicht hierauf wurde der Vorschlag gemacht, den
3 geringen Kalkgehalt des Brotes durch einen kleinen Zusatz
on Chlorkalzium auf den Kalkgehalt des kalkreichsten
ahrungsmittels — der Kuhmilch — zu erhöhen. Dieses
<alziumbrot“ hat eine grosse Verbreitung und wird ohne
weifel viel Nutzen stiften, besonders auch in Hinsicht auf den
.'klagenswerten Zustand der Gebisse.
Mit Professor Pettenkofer war Emmerich aufs
nigste befreundet, beide schienen unzertrennlich. Wie
ettenkofer so war auch Emmerich von wohl-
ollendem, aufrichtigem Charakter, beiden war jeder Hoch-
ut fremd, beide fanden ihren Genuss im Arbeiten, im For¬
cen. Da Emmerich unverheiratet war, konnte er seine
tnze Zeit der Arbeit widmen. Noch in den letzten Jahren
)erarbeitete er sich geradezu. Vormittags war er mit Stu¬
ften in seinem Laboratorium im Hygienischen Institute in
:r Bearbeitung neuer Probleme tätig, nachmittags im neuen
’gienischen Laboratorium der technischen Hochschule, kaum
thrn er sich noch genügend Zeit zum Mittagsmalile. Dabei
rauchte er fast unaufhörlich ziemlich starke Zigarren. Wie oft
musste Schreiber dieses ihn vor dieser Gewohnheit warnen,
doch war es vergeblich. Allmählich stellte sich eine Schlaf¬
losigkeit ein, die er nicht mehr bekämpfen konnte und die
ihn zur Verzweiflung brachte. Schon zwei Monate vor seinem
I’ode äusserte er: „Mit mir ist es aus, es geht dahin!“
Alle Kollegen, die Emmerich näherstanden und alle
seine zahlreichen Schüler aus aller Herren Länder werden
ihm ein dauerndes Andenken bewahren. L.
Bücheranzeigen und Referate.
I . U m b e r - Berlin: Ernährung und Stoffwechselkrankheiten.
Zweite neubearbeitete Auflage. Berlin 1914. Preis geh. 18 M., geb.
20 M.
Der ersten Auflage des trefflichen Umber sehen Lehrbuches ist
nach 5 Jahren jetzt die zweite gefolgt. Einteilung und Stoff sind
dieselben geblieben. Der Inhalt hat sich aber dem Verfasser dank
seinem inzwischen ausserordentlich vermehrten Material so unter den
Händen erweitert und ist mit den eigenen wertvollen Erfahrungen
des Verfassers so reichlich ausgestattet, dass er den Titel „Lehr¬
buch“ streichen zu müssen glaubte. Die Seitenzahl des Buches ist
so von 400 auf 520 angewachsen.
Den Kern des Buches machen wieder die drei Kapitel über Fett¬
sucht, Diabetes und Gicht aus, und wenn schon in der ersten Be¬
sprechung des Buches die ausserordentlich klare, meisterhafte Ab¬
fassung dieser Stoffwechselstörungen gerühmt wurde, so ist dies jetzt
durch die inzwischen vertieften Kenntnisse des Verfassers, die überall
zum Ausdruck kommen, erst recht der Fall. Wir wünschen dem
Buche auch weiterhin den wohlverdienten, noch weiter ausgedehnten
Leserkreis. L. S a a t h o f f - Oberstdorf.
Dr. Paul Klemm: Die akute und chronische infektiöse Osteo¬
myelitis des Kindesalters. Berlin, K a r g e r, 1914. 261 Seiten. Preis
M. 10.20 ■
Klemm bespricht zunächst die Bedeutung des lymphatischen
Gewebes für die Osteomyelitis. Das Knochenmark ist trotz einer
spezifischen Artverschiedenheit der einzelnen Markzellen dem lym¬
phatischen Gewebe völlig gleichzustellen; die Osteomyelitis gehört
in die Gruppe der Erkrankungen des lymphatischen Gewebes. Sitz
der Entzündung ist allein das Mark des Knochens, möge nun diese
lokalisiert sein im Zentralkanal, in den Haversschen Kanälen oder
im blätterigen Gefüge der Spongiosa. Das klinische Bild der Osteo¬
myelitis wird erzeugt durch die Reaktion des Knochengewebes auf
die Erkrankung des Markes. Versteht man unter Entzündung im All¬
gemeinen einen Komplex von Reaktionen, mit welchen die Gewebe des
Körpers auf eine Reihe äusserer Schädlichkeiten mechanischer, ther¬
mischer, chemischer und bakterieller Natur antworten, so unter¬
scheidet sich die Entzündung im Knochenmark dadurch, von der Ent¬
zündung anderer Körpergewebe, dass bereits ein reiches Leukozyten¬
material angehäuft ist, auf welches der Entzündungsreiz direkt ein¬
wirken kann, während im anderen Falle die lymphoiden Zellen auf
dem Wege der Blutbahn herangezogen werden müssen.
Als Eingangspforte der Osteomyelitis kommen in Betracht: das
ausgedehnte Hautorgan, die lymphatischen Gebilde des Nasenrachen¬
raumes sowie die lymphatischen Apparate der Darm- und Appendix¬
schleimhaut.
Die akut verlaufende, durch Staphylokokken erzeugte Mark¬
eiterung im metaphysären Teil der Diaphyse ist das klassische Para¬
digma der Osteomyelitis.
Wichtig ist, was Klemm hinsichtlich der Therapie der akuten
Osteomyelitis sagt: Das erkrankte Mark soll so frei wie möglich
blossgelegt und gründlichst ausgeräumt werden, alle Versuche mit
Stauungshyperämie hält der Autor für durchaus schädlich; sich mit
der Inzision der Weichteilphlegmone bis auf den Knochen zu be¬
gnügen, ist — falls nicht gravierende Momente ein solches Vorgehen
rechtfertigen — ein grober Fehler. Besteht Epiphysenlösung, Ver¬
eiterung der Gelenke bei schwerem Allgemeinzustand, so darf man
vor der Amputation nicht zurückschrecken.
Im zweiten Teil seiner Monographie — der die Bearbeitung eines
Materiales von 320 Fällen zugrunde liegt — bespricht der Autor dieses
gesamte Material im Einzelnen je nach Lokalisation des osteomye¬
litischen Prozesses; ausführlicher geht er noch auf die Osteomyelitis
des Beckens und die Gelenkosteomyelitis ein.
Das Buch, das an manchen Stellen spezielle Anschauungen des
Verfassers bringt, darf zweifellos eine allgemeine Beachtung bean¬
spruchen. D r a c h t e r - München.
Klinke: Die operativen Erfolge bei der Behandlung des Mor¬
bus Basedowli. Berlin 1914, Karger. Preis 4 Mark.
Die viel umstrittene Frage über die beste Behandlung des Mor¬
bus Basedowii hat in K. einen sehr gründlichen Bearbeiter gefunden.
Das Buch gibt eine treffliche Uebersicht über alle in Betracht
kommenden Punkte, es ist von der Möbiusstiftung preisgekrönt. Der
Verf. lässt dem Standpunkte des Chirurgen alle Gerechtigkeit wi¬
derfahren, steht aber ihren Dauererfolgen etwas skeptisch gegen¬
über. K r e c k e.
2*
2344
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 49.
Neueste Journalliteratur.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 47, 1914.
Hans Meyer-Kiel: Das Iontoquantometer, ein neues Mess¬
gerät für Röntgenstrahlen.
Das neue Instrument, welches einer Idee von Dr. Szilard
seinen Ursprung verdankt, beruht auf der elektrischen Wirkung
der Röntgenstrahlen und gestattet, an einer Skala und einem Zeiger,
sicher vor Strahlen geschützt, die Strahlendosis unmittelbar abzu¬
lesen. Es beruht auf der physikalischen Erscheinung, dass Luft,
welche Röntgenstrahlen absorbiert, zu einem guten Leiter für Elek¬
trizität wird, und zwar nimmt der lonisationsgrad, die Leitfähigkeit
der Luft, proportional der absorbierten Strahlenmenge zu. Die nähere
Beschreibung des Apparates muss im Original nachgelesen werden.
Er hat den doppelten Vorteil, dass er gestattet, auf einer Skala die
zu applizierende Dosis unmittelbar abzulesen, und zweitens verschafft
er zum ersten Male ein Mass für die Flächenenergie, ein praktisch
absolutes Mass, wie es das Mass der Halbwertschicht für den Härte¬
grad ist. J a f f e - Hamburg.
Gynäkologische Rundschau. Jahrg. VIII, Heft 13.
Fritz H e i m a n n - Breslau: Röntgenstrahlen und Mesothorium in
der Gynäkologie. (Aus der Kgl. Univers.-Frauenklinik zu Breslau.)
Mitteilung der Erfahrungen der Breslauer Klinik. Gearbeitet
wird mit den Apex-Instrumentarien der Firma Reiniger, Gebbert
& Schall, als Unterbrecher dient der neue Gasunterbrecher, als
Röhren die Duraröhren derselben Firma. Die Technik im einzelnen
ist im Original nachzulesen. Bezüglich der Kontraindikationen steht
Verf. wie auch viele andere Schulen auf dem Standpunkt, dass
bei Verdacht auf maligne Entartung, sehr grossen Myomen, in Aus-
stossung begriffenen Tumoren, Verjauchung, unsicherer Diagnose und
Komplikation mit Adnexentzündungen oder Tumoren operiert werden
soll. Bezüglich der Höhe der Strahlendosis hält Verf. die Mitte. Die
Breslauer Klinik besitzt 100 mg Mesothor, diese sind in Mengen von
50. 30 und 20 mg in Glasröhrchen verschlossen und mit 2 mm dicken
Silberfilter umgeben, ausserdem kommt noch ein Blei-, Messing- oder
Aluminiummantel als Strahlenfilter in Anwendung. Verf. hält diese
Filtration für unbedingt notwendig. Die Patientinnen müssen wäh¬
rend der Bestrahlung zu Bette liegen, werden genau kontrolliert
und erhalten in dieser Zeit zwischen 6000 und 14 000 mg-Stunden.
Die Unterstützung der Mesothorbehandlung durch intensivste
Röntgenbestrahlung ist ein unbedingtes Erfordernis.
Verf. verfügt über ein Material von ca. 60 Karzinomen, alles
inoperable Uteruskrebse und Rezidive.
Nach Ansicht des Verf. muss die hohe Bedeutung der Strahlen¬
therapie unbedingt anerkannt werden, sie stellt ein wertvolles thera¬
peutisches Hilfsmittel dar, ohne dass aber die Operation entbehrt
werden kann.
Max Weissbart - München : Ueber ein neues Laxans (Istizin)
in der Frauenpraxis.
Verf. ist mit dem Präparat bei chronischer Obstipation ausser¬
ordentlich zufrieden; besonders gute Resultate gibt die atonische
Form der Verstopfung, wo Istizin noch wirkt, wenn viele andere
Laxantien im Stiche lassen: dabei hält die Wirkung des Mittels
mehrere Tage nach. A. Rieländer - Marburg.
Zeitschrift für Kinderheilkunde. XI. Band. Heft 5 und 6.
1914.
Fritz Heller und Georg B G r u b e r - Strassburg: Beitrag zur
Kasuistik der Herzmissbildungen.
'Iransposition des Ostiums der Aorta nach rechts und pulmonale
Kcnusstencse bei Defekt im Septum ventriculorum; abnorme Ent¬
wicklung der rechten Arteria subclavia und vertebralis. Dazu Uterus
unicornis und abnorme Lappung der Lungen.
Alfred B o s 1 e r - Strassburg: Ueber Nierenfunktionsprüfung bei
Säuglingen und älteren Kindern.
Untersuchungen nach der S c h 1 a y e r sehen Methode an ziem¬
lich kleinem Material; nierenkranke ältere Kinder zeigten keine
wesentlich andere Nierentätigkeit als nierengesunde; bei manchen
(nicht nierenkranken) Säuglingen war die Kochsalzretention auffallend
hoch, wohl infolge ihres Kochsalzhungers.
Erwin Lazar-Wien: Die nosologische und kriminologische Be¬
deutung des Elternkonfliktes der Jugendlichen. Eine psychiatrisch-
pädagr gische Studie.
An 5 plastisch geschilderten Fällen jugendlicher Psychopathie
wird das Bestehen des Elternkonfliktes, des Konfliktes zwischen
Elternliebe und -hass, nachgewiesen und seine Bedeutung und Be¬
urteilung besprochen.
Erich R c m i n g e r - Freiburg i. B.: Rachitis und innere Se¬
kretion.
Die Frage, ob es mit Hilfe des Abderhalden sehen Dialysier-
verfahrens gelinge, bei der Rachitis eine Störung der innersekre¬
torischen Drüsen nachzuweisen, wird hinsichtlich Schilddrüse, Thy¬
mus, Ovar und Hoden mit einem sehr entschiedenen Nein beantwortet.
FI. B a h r d t und F. Edelstein - Berlin : Untersuchungen über
die Pathogenese der Verdauungsstörungen im Säuglingsalter. IX. Mit¬
teilung: Die flüchtigen Fettsäuren in frischer und verdorbener Säug¬
lingsnahrung.
Weder in Milch, die bei Zimmertemperatur 2 Tage stehen ge¬
lassen wurde, noch in experimentell mit Reinkulturen verschiedener
Bakterien geimpfter und ebenfalls stehen gelassener Milch Hessen
sich solche Mengen freier flüchtiger Fettsäuren nachweisen, dass
diese Säuren als Ursache der Verdauungsstörungen, vor allem der
Sommerdurchfälle, angesehen werden könnten.
H. Bahrdt, F. Edelstein, P. Hanssen und E. F. W e 1 d e -
Berlin: Untersuchungen über die Pathogenese der Verdauungsstö¬
rungen int Säuglingsalter. X. Mitteilung: Tierversuche über die Ver¬
mehrung von Bakterien und die Bildung flüchtiger Fettsäuren im
Magen (und Darm) bei Fütterung von keimreicher Milch.
Im Mageninhalt von mit infizierter, keimreicher Milch gefütterten
und nach 2 Stunden getöteten Hunden war meist die Keimzahl er¬
heblich verringert; flüchtige Fettsäuren hatten sich nur in mässiger
Menge entwickelt, so dass, selbst wenn geringer Einfluss der Bakterien
auf die Bildung flüchtiger Säuren im Magen besteht, doch eine ur¬
sächliche Bedeutung dieser durch die Milchverderbnis entstandenen
Produkte für die Pathogenese akuter Verdauungsstörungen zumeist
abzulehnen sein dürfte.
F. Reiche- Hamburg-Eppendorf: Meningitis bei Diphtherie.
Kombination der Diphtherie mit Meningitiden der verschiedensten
bakteriellen Aetiologie ist selten (8 mal unter 8000 Diphtheriefällen);
die geheilten Fälle boten das Bild der Meningitis serosa.
A. Doll in ge r- Berlin: Ein Fall von Bromoderma tuberosum
bei einem 9 monatigen Säugling im Anschluss an Bromkalziummedi¬
kation.
Nach 12 tägiger, wegen Keuchhusten eingeleiteter Bromkalzium-
verabreichung (im Ganzen 22 g Calc. bromat.) entstand ein sehr hart¬
näckiges, erst kleinpapulöses und vesikulöses, später zu grossen
warzenähnlichen Knoten heranwachsendes Bromoderma.
Emmy Bergmann-Grunwald - Berlin : Ein F all von sogen.
Hemispasmus der Unterlippe.
Die bei einem 11 monatlichen Kinde beobachtete Erscheinung
wird als angeborener Motilitätsdefekt aufgefasst, hat also mit spasti¬
schen Zuständen nichts zu tun.
W. B. McClure und Ph. S. C h a n c e 1 1 o r - Chicago: Ueber
die diastatische Wirkung des Kinderharns.
Die diastatische Wirkung des Kinderharns steigt mit zunehmen¬
dem Alter der Kinder an; vielleicht haben auch Rachitis und Chorea
einen steigernden Einfluss.
A. Simons- Berlin: Bemerkungen zu den plethysmographischen
Untersuchungen an gesunden und kranken Kindern von R. Hess und
S. G o r d i n.
Bricht eine Lanze für derartige Untersuchungen, die auch an
Kindern in grösserem Umfang ausgeführt werden können, als die
vorerwähnten Autoren zugeben.
R. Hess und S. G o r d i n - Strassburg i. E.: Erwiderung auf
vorstehende Bemerkungen.
A. S i m o n s - Berlin: Bemerkungen zur Arbeit J. Huslers
über symmetrischen progressiven Fettschwund im Kindesalter.
Gött.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 78. Bd.
3. Heft. 1914.
Hayo B r u n s - Gelsenkirchen: Die mikroskopische Untersuchung
der Fäzes in ihrer Bedeutung für die Bekämpfung der Ankylo-
stomiasis. (Ein Bericht über den Stand der Wurmkrankheit im
Ruhrkohlengebiet nach 10 jähriger Bekämpfung.)
Die Mitteilungen sind insofern sehr interessant, weil sie zeigen,
wie durch umsichtige und sorgfältige Massnahmen auch eine so
schwierig zu bekämpfende Seuche allmählig eingedämmt werden
kann und zur Zeit sogar einen günstigen Stand erreicht hat.
Paul N e u m a n n - Gelsenkirchen: Beitrag zur Statistik der
Kinderkrankheiten Diphtherie, Scharlach, Keuchhusten, Masern in
Prcussen in den Jahren 1901 — 1902.
Bei den genannten Krankheiten macht sich in dem behandelten
Zeitraum ein erfreulicher Rückgang in der Sterblichkeit bemerkbar;
am stärksten ist er beim Scharlach, am geringsten beim Keuchhusten.
Diphtherie und Scharlach und andererseits Keuchhusten und Masern
zeigen ein ganz ähnliches Verhalten. Am grössten ist die prozentuale
Abnahme bei Diphtherie und Scharlach im 1. Lebensjahre, am ge¬
ringsten im schulpflichtigen Alter. Die Diphtheriesterblichkeit des
1. Lebensjahres zeigt einen ständigen Rückgang von Jahr zu Jahr;
im Alter von 10—15 Jahren macht sich aber für die zweite Hälfte
des Zeitraumes ein auffallender Anstieg bis 1911 bemerkbar. Kinder
von 3 — 5 Jahren erliegen am meisten der Diphtherie, von 5 bis
10 Jahren dem Scharlach, im 2. Lebensjahr rafft Scharlach am meisten
hinweg. Bei Diphtherie, Scharlach und Masern überwiegt die Sterb¬
lichkeit des männlichen, beim Keuchhusten die des weiblichen Ge¬
schlechtes.
Oskar Weltmann und Rudolf F i s c h e r - Wien: Nachweis
des Bakteriums der Pseudotuberkulose der Nagetiere in einem Falle
von Otitis media chronica suppurativa.
Das aus diesem Falle gezüchtete Stäbchen hatte hohe Patho¬
genität für Nagetiere und zeigte auch in seinen pathogenen Eigen¬
schaften die charakteristische Knötchenbildung, wie sie bei der sog.
„Pseudotuberkulose“ bei Tieren vorkommt.
8. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2345
N. CImanowitsch und J. Z a ! c s k i - Petersburg: Lieber
die Bedeutung der Chlorkapazitätsbestimmungen bei der Qualitäts¬
bewertung von Wasser.
Es handelte sich um Untersuchungen des Newawassers, welches
nach Chlorierung als Trinkwasser fiir die Stadt Verwendung findet
Mittels der Bestimmung der Oxydierbarkeit und der Chlorkapazität,
die sich gegenseitig ergänzen, liess sich der Charakter der verun¬
reinigenden Beimengungen bestimmen.
Th. Messerschmidt - Strassburg: Ueber die Wirkungsweise
von biologischen Abwasserreinigungskörpern. (I. Mitteilung.)
Während von D u n b a r die Wirkung der biologischen Ab¬
wasserreinigung in der Hauptsache auf Absorption beruhend ange¬
nommen wird, hatte S t o d d a r t die erzielte Reinigung durch die
Tätigkeit der nitrifizierenden Bakterien erklärt. Auf Anregung D u n-
b a r s sind vom Verf. neue Versuche angestellt worden, die zu dem
Resultate führten, dass die S t o d d a r t sehen Versuche und Theo¬
rien einer Kritik nicht standhalten. Die biologischen Prozesse sollen
nach der Annahme des Verf. erst dann eine bedeutsame Rolle in der
Reinigung des Abwassers spielen, nachdem die physikalisch-chemi¬
schen Vorgänge in den biologischen Körpern stattgefunden haben.
Karl K i s s k a 1 1 - Königsberg: Untersuchungen über Konstitution
und Krankheitsdisposition.
I- Die Ermittelung der Disposition zu Infektionskrankheiten.
Verf. versucht die Momente, welche beim Erwerben einer In¬
fektionskrankheit eine Rolle spielen (Resistenz, Disposition etc.) in
Formeln zum Ausdruck zu bringen.
II. Karl Kisskalt und Alexander Friedmann: Versuche
über die Disposition zur Bleivergiftung.
Die Versuche wurden in der Weise angestellt, dass Kaninchen
mit Bleiazetatlösung intravenöse Injektionen erhielten und nach dem
natürlichen resp. gewaltsamen Tode die Organe des Tieres — Gehirn,
Niere. Leber, Darm nebst Inhalt, Galle, z. T. auch Muskel, Knochen,
Haut und Haare auf Blei untersucht wurden. Aus all den Analysen
und Beobachtungen ist zu schliessen, dass die stärkere Ablagerung
im Gehirn die Ursache ist, warum die einen Tiere gestorben sind,
während die anderen überlebten. Möglich ist daneben, wie die
Autoren meinen, dass auch eine allgemeine Emnfindlichkeit gegen
den Bleistrom bei der Disposition eine Rolle spielt.
III. Karl Kisskalt: Hungersnöte und Seuchen.
An der Hand eines zahlreichen Unterlagenmateriales wird fest¬
gestellt, dass in Hungersnöten die Sterblichkeit an Seuchen eine
grössere ist. Es sei auch anzunehmen, dass auch geringe Schwan¬
kungen in der Volksernährung von Einfluss auf die Sterblichkeit
sein können.
Fr. C r o n e r - Berlin: Ueber die Beeinflussung der Desinfektions¬
wirkung des Formaldehyds durch Methylalkohol und die daraus zu
ziehenden Schlüsse auf die Raumdesinfektion mit Formaldehyd.
Setzt man Methylalkohol zu Formaldehyd, so sinkt zunächst die
Desinfektionskraft, steigt aber allmählich wieder und übertrifft bei
hohen Methylalkoholzusätzen die des reinen Formaldehyds. Der
Methylalkohol spielt bei einem Formaldehydgehalt von etwa 8 Proz.
pathogenen Keimen gegenüber keine wesentliche Rolle mehr: wes¬
halb auch sehr formaldehydreiche Dämpfe beim Raumdesinfektions¬
verfahren durch beigemischte Methylalkoholdämpfe nicht beeinträch¬
tigt werden. Allein ist die Desinfektionskraft des Methylalkohols
eine sehr erhebliche und erreicht ähnlich wie beim Aethylalkohol
bei 70 Proz. ihr Maximum
G o e b e I - Strassburg: Bericht über das Sektionsergebnis bei
zwei chronischen Typhusbazillenträgern.
In der Galle beider Fälle wurden Typhusbazillen nachgewiesen,
ebenso wie auch aus der Mitte und den Rindenschichten der bei
einem Falle gefundenen Gallensteine.
M. R h e i n - Strassburg: Ein neues Verfahren zur chemischen
Trink wassersterilisation im Felde.
Das neue Verfahren besteht darin, dass durch Vereinigung von
Antiformin und Salzsäure Chlor freigemacht wird und das Chlor
später durch Tabletten aus Natriumbikarbonat und Natriumthiosulfat
gebunden wird. Verf. gibt an, dass in einem Liter auf Zusatz von
2,1 ccm Antiformin und 1,1 ccm 25 proz. Salzsäure in 5 Minuten
4 Millionen Kolikeime vollständig abgetötet werden. Das desinfizierte
W isser schmeckt leicht alkalisch, ist klar, geruchlos und für den
Organismus unschädlich. Das Verfahren soll für kleinere Truppen¬
verbände und auch für einzelne Soldaten im Felde anwendbar sein.
Auch für eine Sterilisation von Schwimmbädern wird es empfohlen.
R. 0. Neumann - Bonn.
Deutsche medizinische Wochenschrift.
Nr. 47. J o c h in a n n - Berlin : Wundinfektionskrankheiten.
111. Erysipel.
Th. Koch er- Bern: Behandlung schwerer Tetanusfälle.
(Schluss.)
a) Leichte Fälle mit Anfangssymptomen. Injcknon von 10 ccm
Amitoxinserum in die Wundumgebung (Lokalanästhesie), wenn mög¬
lich endoneurale Injektion, als wichtigstes intralumbale Injektion von
10 ccm Antitoxinserum nach Ablassung von 10 ccm des Liquor. Sub¬
kutan 30 — 40 g 25 proz. Magnesiumsulfatlösung, wiederholt bei Zu¬
nahme der Muskelerregbarkeit. Bei gleichbleibcndem Zustand Unter¬
stützung durch grosse Dosen Chlorat (2 g pro dosi bis 12 g pro die),
b) Bei schweren Fällen mit allgemeiner Starre und Krampf- i
anfällen sind als erstes 10 ccm 15 proz. Magnesiumsulfatlösung
intralumbal zu injizieren bei horizontaler Körper- und erhöhter Kopf¬
lage. Erfolgt nach einer Viertelstunde keine Erschlaffung oder
weitere Anfälle, so sind Hals und Kopf tiefer zu lagern; zugleich muss
aber alles zur Bekämpfung eines Atmungsstillstandes bereit sein, am
besten durch intratracheale oder bukkal-pharyngeale Sauerstoff-
(oder Luft-) einblasung. Nötigenfalls sind (ev. 6 — 8 ccm) die intra¬
lumbalen Injektionen zu wiederholen; bei geringerer Verschlimmerung
kann hier auch eine subkutane Injektion genügen. Auf etwa ein¬
tretende Blasenparese und Urinverhaltung ist zu achten. Reichliche
subkutane Injektionen von physiologischer Kochsalzlösung (2 mal
P'2 Liter) sind notwendig. Glyzerinklvstiere regeln die Stuhlent-
leeiung. Abkühlung des Körpers mit Eisblasen scheint von Erfolg
za sein
Ri edel- Jena: Verletzungen durch Dumdumgeschosse.
3 Krankengeschichten mit Abbildungen.
O. H a r z h e c k e r - Berlin: Ueber die Aetiologie der Granat¬
kontusionsverletzungen.
Bei den durch Granatkontusionen. Kontusions- und Luftschüssen
Betroffenen entstehen verschiedenartige psychische oder somatische
mehr oder weniger schwere Krankheitsbilder, öfters tritt auch der
Tod ein, ohne dass eine äussere Verletzung bemerkbar ist. Von den
4 hier beschriebenen Fällen war bei 2 die Zerreissung eines Gehirn-
gefässes (typische Apoplexie), bei einem eine Lungenblutung und
Hämatothcrax, bei. einem ein Hämatom im Bindehautsack vorhanden.
Jedenfalls findet in vielen Fällen dieser Art durch den hohen Luft¬
druck das Bersten eines Gefässes statt; je nach dessen Grösse und
Lage kann auch eine tödliche Blutung erfolgen.
E 1 s c h n i g - Prag: Ueber sympathische Reizübertragung.
Berichtet in der M.m.W. 1914 S. 1653.
E. R e i n i k e - Berlin: Lipoidsubstanzen im Urinsediment beim
Kinde.
Berichtet in der M.m.W. 1914 S. 1148.
Bergeat - München.
Amerikanische Literatur.
F. F. Russell: Die Antityphusimpfung in der Armee während
des Jahres 1913. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 62. 1914. Nr. 18.)
Die Antityphusimpfung wurde im Jahre 1911 in der amerikani¬
schen Armee obligatorisch eingeführt. Diese Massregel hat sich aus¬
gezeichnet bewährt, da im vergangenen Jahre in der über 90 000 Mann
zählenden Armee nur zwei Fälle von Typhus abdominalis vorkamen,
von denen keiner mit Tod abging, während im Jahre 1909 173 Typhus¬
fälle auftraten, wovon 16 tödlich verliefen. Schädliche Wirkungen
der Impfung wurden nirgends beobachtet.
J. W. Stephenson: Die intensive Behandlung der Syphilis
des Nervensystems durch Neosalvarsan und Quecksilberinunktion.
(Med. Record, N.Y., 85. 1914. Nr. 18.)
Verf. berichtet über 15 Fälle von Syphilis des Nervensystems, die
mit günstigem Erfolge durch Neosalvarsan und gleichzeitige Queck¬
silbereinreibungen behandelt wurden In dreien dieser Fälle war vor¬
her Salvarsan angewandt worden, aber wirkungslos geblieben. Verf.
ist der Ansicht, dass wir bei exsudativer Tabes und anderen syphi¬
litischen Affektionen des zerebrospinalen Nervensystems eine ent¬
schieden günstige Prognose stellen können. Ob die Allgemeinparalvse
durch diese Behandlungsmethode günstig beeinflusst werden kann,
ist noch unentschieden, obgleich auch hier in mehreren Fällen eine
Besserung erzielt wurde.
H. M. Ewing: Vollständige bilaterale isolierte Paralyse des
7. Hirnnerven, welche 4 Monate nach der nrimären Infektion durch
Syphilis auftrat. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 62. 1914. Nr. 19.)
In diesem Falle war der N. facialis auf beiden Seiten involviert
und zwar unterhalb seines Kerns und wahrscheinlich unterhalb seiner
Austrittsstelle aus dem Gehirn. Der 6. und 8. Gehirnnerv, obgleich
dem N. facialis eng anliegend, wurden von der Krankheit nicht
berührt.
K. Nelson und E. F. Haines: Beobachtungen über die Re¬
sultate einer neunmonatlichen Erfahrung mit Neosalvarsan. (Journ.
Am. Med. Assoc., Chicago, 62. 1914. Nr. 13.)
Im Militärgefängnishospital zu Leavenworth wurden in einem
Zeitraum von 9 Monaten 108 Syohilisfälte durch intravenöse Iniek-
tionen von Neosalvarsan mit gleichzeitiger Ouecksilberanwendung
behandelt. Es wurden ?40 Injektionen vorgenommen Dabei wurde
1 mal eine schwere. 3 mal eine massige, 58 mal eine milde und 278 mal
keine Reaktion beobachtet. Verfasser kommen zu folgenden
Schlüssen: 5 Injektionen von Neosalvarsan mit gleichzeitiger Oueck¬
silberanwendung zeigen nicht so gute Resultate als eine einmalige
Injektion von Altsalvarsan. Um in 70—80 Proz. der Fälle eine Heilung
zu erzielen, muss 4 oder 5 mal soviel Neosalvarsan gebraucht werden.
F. E. Simpson: Radium bei der Behandlung der Blastomykose.
(Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 62. 1914. Nr. 11.)
Ein Patient mit Blastomykose im inneren Augenwinkel wurde
durch die Radiumbehandlung völlig geheilt.
E. C. S c h u 1 1 z e und L. A. Goldberger: Bericht über 128
mit Serum behandelte Fälle von Scharlachfieber. (Med. Re¬
cord. NY., 85. 1914. Nr. 21.)
Bereits vor 4 Jahren berichtete S c h u 1 1 z e über einen Kokkus,
den er im Rachen fast aller Scharlachkranker fand und den er fin¬
den möglichen Erreger der Krankheit hielt. Es wurde nun ein Serum
2346
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 49.
von diesem „Mikrokokkus S“ bereitet und 128 Scharlachkranke damit
behandelt. Die Resultate waren günstig, da im ganzen nur zwei
Patienten starben, während andere Behandlungsmethoden eine be¬
deutend höhere Mortalität aufweisen.
S. Flexncr und H. L. Amoss: Uebertreten des Virus der
Poliomyelitis aus dem Blut in die Zerebrospinalflüssigkeit. (Journ.
Exper. Med., N.Y., 19 1914. Nr. 4.)
Die Experimente unterstützen die Hypothese, dass die Infektion
des Nervengewebes vermittelst der Zerebrospinalflüssigkeit geschieht
und nicht direkt durch das Blut. Aber um in die Zerebrospinal¬
flüssigkeit zu gelangen, muss das Virus zuerst das Hindernis des
Plexus chorioideus überwinden, was längere Zeit in Anspruch nimmt.
Pathologische Zustände der Leptomeningen und des Liquor cerebro¬
spinalis spielen eine wichtige Rolle in der Pathogenese der epidemi¬
schen Poliomyelitis.
H. J. Nichols: Beobachtungen über einen aus dem Nerven¬
system isolierten Stamm der Spirochaete pallida. (Journ. Exper. Med.,
N.Y., 19. 1914. Nr. 4.)
Die aus dem Nervensystem gewonnene Spirochäte zeigte die
folgenden konstanten Charaktere: 1. Eine dicke äussere Form. 2. Her-
vorrufung harter, scharf abgegrenzter Läsionen mit nekrotischen Zen¬
tren. 3. Eine charakteristische Lokalisierung der Läsionen, nämlich
auf der skrotalen Seite der Tunica vaginalis. 4. Eine kurze In¬
kubationszeit. 5. Eine Neigung nach lokaler Inokulation der Hoden
und des Skrotums in der Form von Läsionen der Haut und des
Auges zu generalisieren. Diese charakteristischen Eigenschaften
bilden einen Stamm von hoher Infektionskraft und man kann die
Glieder der Pallidagruppe nach dieser Infektionskraft klassifizieren.
L. F. Rettger: Eierstocksinfektion beim Huhn und direkte
Uebertragung der Krankheit auf die Nachkommenschaft. (Journ.
Exper. Med., N.Y., 19. 1914. Nr. 6.)
Verf. untersucht die Frage, ob eine infektiöse Krankheit von
der Mutter auf das Ei übertragen werden kann. Beobachtungen an
der sog. weissen Diarrhöe der Hühner, welche seit dem Jahre 1900
in Amerika sehr häufig vorkommt und viel Schaden anrichtet, führten
zu dem Resultat, dass der Erreger der Krankheit, das Bacterium pul-
lorum, direkt von dem Eierstock auf das Ei übertragen wird. Verf.
fand, dass in allen krankhaften Fällen die Hühnchen den Dotter nicht
absorbieren und traf das Bacterium pullorum in allen Brutstadien im
Dottersack. Es wurde eine grosse Anzahl von Hennen, deren Brut an
weisser Diarrhöe erkrankt war, getötet. In allen Fällen war der
Eierstock erkrankt und enthielt das Bacterium pullorum. Verf. glaubt,
dass diese Ergebnisse sehr zu Gunsten der Ansicht sprechen, dass
Infektionskrankheiten auch bei Säugetieren durch das Ei übertragen
werden können.
J. R. Losee und A. H. Ebeling: Die Kultur menschlicher
Gewebe in vitro. (.Journ. Exper. Med., N.Y., 19. 1914. Nr. 6.)
Die Gewebefragmente wurden frischen Leichen von Kindern
und Erwachsenen entnommen. Der Nährboden wurde je nach Be¬
dürfnis alle 3 oder 4 Tage erneuert. Auf diese Weise gelang es ein
Stück Bindegewebe von der Haut einer frischen Leiche von einem
4 Monate alten Fötus während mehr als zwei Monaten am Leben
zu erhalten. Fötales Herzgewebe zeigte in einem Nährboden, be¬
stehend aus menschlichem Plasma und Ringer scher Lösung bei
einer Temperatur von 38° C nach 18 — 24 Stunden deutliche Zell¬
wucherung. Das Gewebewachstum war von einer langsamen pro¬
gressiven Verflüssigung des Nährbodens in der Zone der Zellwuche¬
rung begleitet. Man darf annehmen, dass, wenn ein Nährboden,
dessen Zusammensetzung von grösserer Beständigkeit ist, gefunden
wird, es möglich ist, menschliches Gewebe während grossen Zeit¬
räumen am Leben zu erhalten.
J. Coli ins: Salvarsan als wertvolles Heilmittel bei der Be¬
handlung von Symptomen von auf Syphilis zurückzuführenden Gehirn¬
tumoren. (NcwYork Med. Journ. 99. 1914. Nr. 20.)
Verf. berichtet über drei Fälle von Gehirntumoren, die durch
Salvarsanbehandlung in überraschend kurzer Zeit geheilt wurden.
Kopfweh und Paralyse eines oder mehrerer Augenmuskeln sind die
konstantesten Symptome dieser Krankheitsform. Wo immer in
solchen Fällen Verdacht auf Syphilis besteht, sollte die Wasser¬
mann sehe Probe angestellt werden.
C. B. C r a i g und J. C o 1 1 i n s: Vier Jahre Erfahrungen mit Sal-
varsan und Neosalvarsan bei der Behandlung syphilitischer Erkran¬
kung des Nervensystems. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 62.
1914. Nr. 25 )
Das Nervensystem kann innerhalb weniger Wochen nach der In¬
fektion mit Syphilis angegriffen werden. Je früher syphilitische Er¬
krankungen des Nervensystems behandelt werden, desto besser sind
die Aussichten auf eine völlige Heilung. Salvarsan ist hiebei das wir¬
kungsvollste Heilmittel. Neosalvarsan hat geringere Wirkung als Alt-
salvarsan. Die besten Resultate bei der Behandlung der Syphilis des
Nervensystems werden erzielt, wenn das Salvarsan mit einer gleich¬
zeitigen Quecksilberbehandlung verbunden wird.
W. J Malnney: Die ursächlichen Momente der Tabes dorsalis.
(New York Med. Journ. 99. 1914. Nr. 25.)
ln der amerikanischen Armee kamen von 1908 — 12 21 Fälle von
I Tabes bei 11 904 Syphilisfällen vor. Tabes ist eine seltene Folge der
Syphilis, aber Syphilis ist die alleinige Ursache dieser Erkrankung.
Der Erreger der Syphilis ist ein Sporozoon mit einem sporogenen
asexuellen und einem sexuellen Zyklus. Wenn die Spirochäte mit
Erfolg in irgendeine Gewebeart eingedrungen ist, erhält sie die Eigen¬
schaft, in diesem Gewebe besonders gut zu gedeihen. Ein syphili¬
tisches Protozoon kann sich eine besondere Invasionskraft für das
Nervengewebe aneignen und diese Eigenschaft kann auf mehrere auf¬
einanderfolgende Generationen von Spirochäten übertragen werden.
Die Spirochäte wird so zu einer Nervenspirochäte. Die Natur der
Spirochäte, der Korrelation der verschiedenen inneren Sekrete und
die biologischen Eigentümlichkeiten der chemischen Komposition des
Zentralnervensystems sind die bestimmenden Faktoren, ob in einem
gegebenen Fall Syphilis in Tabes enden wird oder nicht.
Inauguraldissertationen.
Universität Giessen. Juli und August 1914.
Bossler Albert: Untersuchungen über die Funktion des Pankreas
bei Achylia gastrica.
Doerr Heinrich: Untersuchungen über das Vorkommen säurefester
Bakterien in der Umgebung der Menschen und der Tiere.*)
Ewers Theodor: Ueber einen Fall von kongenitalem Defekt der
Gallenblase.
Feilbach Wilhelm: Zur Untersuchung der Assoziationen bei De¬
mentia paralytica. (S. A. a. d. Klin. f. psych. Krkh. 9. 1914. H. 2.)
Giessen Johannes: Klinische Beiträge zum Emphysema pulmonum
des Pferdes.
Huntemüller Otto: Kritische Studien zur Morphologie und Züch¬
tung von filtrierbaren Virusarten. (Habilitationsschrift.)
Jida Sozo: Ueber einen ungewöhnlich frühzeitigen Fall von akutem
otitischen Schläfenlappenabszess.
Modde Johannes: Untersuchungen über Nabelveneninfektionen bei
Kälbern.*)
Moos Erwin: Vier Fälle von künstlichem Pneumothorax, ein Fall
von spontanem Pneumothorax bei einseitiger Lungentuberkulose.
Müller Otto: Ueber die Gefahren und Misserfolge in der Lumbal¬
anästhesie. 1913.
Reck Adam: Ueber den Einfluss des Senfmehles auf die motorische
Tätigkeit der Wiederkäuermägen.*)
Schott Gottfried: Beiträge zur Kenntnis der Hauttemperatur nach
Wärmeentzug.*)
Schwarz Georg: Untersuchungen über Kaubewegungen bei wilden
Wiederkäuern.*)
Simon Karl: Ueber Senkungsabszesse nach Mittelohreiterungen.
Spiecker Arthur: Beiträge zum Studium der hereditären Lues des
Nervensystems (Friedreich scher Symptomenkomplex). (S. A.
a. d. Jb. f. Kindhlk. 79.)
Storck Hermann: Drei Fälle von kongenitalem Defekt der Vor¬
hofsscheidewand bei Erwachsenen.
S trüb er Paul: Beitrag zur Frage der Bildung von Aminosäuren
irri tierischen Organismus.*)
Weckbecker Hans Oskar: Beitrag zur Statistik der Unfallver-
letzungen des Auges im bergmännischen Betriebe.
Wolpe Soscha (! in der vita: Sascha), geb. Leikin: Ueber ein
myoblastisches Sarkom des Magens.
Universität Heidelberg. September 1914.
Busch Wilhelm: Die Enukleationen und Exenterationen des Aug¬
apfels in der Heidelberger Klinik von 1910—1912.
Atzler Edgar: Beiträge zur Methodik Nernstscher Gasketten
in ihrer Anwendung auf serologische Fragen.
Mell in Heinrich: Weitere 4 Fälle von Ulcus pepticum jejuni post
gastroenterostomiam.
Eckel Heinrich: Arteriomesenterialer Darmverschluss.
Schmitt Jakob: Ueber den Rhodangehalt des Speichels Syphi¬
litischer.
Gl ä sei Franz- Calculi prostatici veri.
Wienskowitz Hans: Physiologie und pathologische Physiologie
der Blutungen post partum und ihre Beeinflussung durch die
isolierte Scheidentamponade.
Hirschberg Fritz- Ueber die in den Jahren 1911/12 in der Uni¬
versitäts-Augenklinik zu Heidelberg beobachteten Fälle von Augen¬
verletzungen.
R o s e n th a 1 Rudi: Ueber Ascaridiasis der Gallenwege mit Berück¬
sichtigung eines selbst beobachteten Falles.
Strass mann Georg: Ueber die Einwirkung von Kollargolein-
spritzungen auf Niere und Nierenbecken.
Fried mann Martin: Die Tränensackoperationen der Heidelberger
Universitäts-Augenklinik in den Jahren 1911/12 mit einem Beitrag
zur pathologischen Anatomie der Tränensackblennorrhöe
Universität München. August und September 1914.
Jofan Jakob: Hundert Uterusperforationen.
Adam Alexander: Ueber eine Spontangangrän an den oberen Ex¬
tremitäten.
Tütündjian Erwant: Teratome des Hodens.
Heinrich Christian: Sensibilisierung im ultravioletten Lichte
Hahn Amandus: Ueber die oxydative Spaltung des Hämins und das
Hämopyrrol.
Lauterbach F. : Eine neue Heilmethode beim ansteckenden Schei¬
denkatarrh des Rindes. (Mit 2 Abbildungen.)
*) Ist veterinär-medizinische Dissertation.,
3. Dezember 191-4.
Vereins- und Kongressberichte.
Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o m 10. Juli ly 14.
Besichtigung der neuen kgl. orthopädischen Klinik unter Führung
des Herrn L a n g e.
Herr Lange: Die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens der
Pädiatrie mit der Orthopädie.
Lange führt die wichtigsten orthopädischen Erkrankungen in
ihrem ersten Auftreten, ihrer Behandlung durch den Pädiater und
durch den Orthopäden auf.
Der Beweis des notwendigen Zusammenarbeitens ist am
schlagendsten an der Rachitis zu liefern, denn die Patienten
kommen mit den schwersten rachitischen Verkrümmungen meist
erst nach einer vom Pädiater eingeleiteten knochenfestigenden Be¬
handlung in die Hände des Orthopäden. Es könnten durch gemein¬
same therapeutische Massnahmen viele blutige, nach dem 6. Lebens¬
jahre unumgängliche Operationen und damit verbundene Narkosen
vermieden werden, denn Deformitäten bei weichem Knochen Hessen
sich durch Schienen oder leichtere unblutige Operationen (Infraktion)
beseitigen.
ln gleicher Weise sei der rachitischen Verbiegung der Wirbel¬
säule von seiten der Herren Kinderärzte grosse Beachtung zu
schenken, ganz besonders der rachitischen Kyphose, die als harm¬
los angesehen werde, weil sie angeblich nicht versteift. In bezug
ruf die seitliche Verbiegung regte Prof. Lange an, es möchte in
Jen Merkblättern für Säuglingsfiirsorge auf die Gefahr des Tragens
auf dem Arm hingewiesen und für die Verbreitung von Korbge¬
flechtladen gesorgt werden. Die Fortschritte in der Beachtung der
Skoliose kamen dann zur Besprechung, wobei die Tatsache festge-
stellt werden konnte, dass durch Ueberweisen von Skoliosen ge-
ingen Grades durch die Schulärzte eine bedeutend aussichtsreichere
ind leichtere Behandlung ermöglicht wird. Durch aktive und passive
jyinnastik, Stahlkorsett und Gymnastik oder Gipskorsett Hessen sich
nit den neuesten Methoden gute Resultate erzielen. Für ebenso
iringend hält Lange die frühzeitige Behandlung der Polio-
uyelitis durch den Orthopäden und zwar schon im Höhenstadium
ler Erkrankung durch die vollkommene Ruhigstellung der Wirbel¬
säule und damit des Rückenmarks. Dies hätte am besten durch
an Gipsbett zu geschehen, das natürlich auch durch den geschulten
-’ädiater hergestellt werden könne. Weiterhin käme die Verhütung
on Kontrakturen in Betracht. Der genauen Untersuchung durch
(itzeln mit einer Nadel zur Feststellung, welche Muskeln gelähmt
•ind, habe eine Nachtschienenbehandlung zu folgen zur Verhütung
ler Ueberdehnung der geschädigten Muskeln. Ganz besondere Be¬
ichtling verdiene die Tensor-fasciae-Kontraktur (charakteristische
Jeiigestellung im Hüftgelenk), deren Beginn oft unbemerkt bleibe,
ind häufig die Ursache dafür darstelle, dass die Kinder nicht gehen
erneu. Zur Verhütung der Kontraktur käme wiederum ein Gipsbett
nit Beinlade in Frage, um das Bein in Adduktion und Ueberstreckung
u halten.
Zum Schluss kam die Frage der Behandlung der Knoche n -
ad Gelenk tuberkulöse zur Erörterung, die speziell durch
ie Erfolge R o 1 1 i e r s in Leysin in neue Bahnen geleitet ist. Grund-
rmzip der Sonnenbehandlung sei die höchstens 2 Stunden am Tage
vährende Bestrahlung in einer erfrischenden, ja rauhen Bergluft,
•in Erfordernis bestehe in der Betätigung von tüchtigen Orthopäden,
ic einen wirklich guten Gehgips anzufertigen vermögen und gleich-
eitig Sonnenbehandlung durchführen können. Dadurch Hessen sich
•ohl noch bessere Resultate erzielen, als in Rolliers Sanatorien;
eim die Erfolge durch Gehgips- und Apparatbehandlung ohne Sonne
önnten sich neben denen von R o 1 1 i e r wohl sehen lassen.
In dieser Beziehung, in der Errichtung von Freilich tinstituten
l unseren bayerischen Bergen wäre ein gemeinsames Arbeiten von
'ädiater und Orthopäden von grosser Zukunft.
VVährend des Vortrages erfolgte die Vorstellung von Patienten
i Gips und Apparaten. Behandlungsresultaten, und die Anfertigung
on Gipsladen und Gipsschienen durch die Assistenten der Klinik.
Diskussion: Herr Tr um pp und ein auswärtiger Gast.
Albert Uffenheimer - München.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 11. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Kraus.
Schriftführer: Herr Wilhelm V o i t.
Herr Kraus demonstriert einen 6jährigen Knaben mit Stell-
a a g schem, Gräfe schein und Möbius schein Symptom, ohne
iss sonst Basedowerscheinungen vorhanden sind. Herr K. geht aus-
ilirlich auf die Erklärung der Symptome ein und erwähnt einen
weiten von ihm beobachteten Fall bei einem 10 jährigen Mädchen.
Herr Weigel demonstriert einen Pat. mit partiellem Riesen-
uchs; derselbe erstreckt sich auf das ganze linke Bein, besonders I
2347
aber auf die .1, 4.. 5. Zehe des linken Fusses, zwischen 3. und 4. Zehe
besteht Syndaktylie, die grosse und die 2. linke Zehe sind normal.
Das Röntgenbild zeigt eine fast doppelte Vergrösserung der linken
Mittelfussknochcn. Am rechten Fuss ist nur die 2. Zehe hyper¬
trophisch. Der Pat. ist sonst geistig und körperlich normal. Auch
das Röntgenbild des rechten Fusses wird demonstriert.
Herr Johannes Müller referiert über einen Pat., der rechts¬
seitige typische Nieretischmerzen mit Blutharn und Bakterienharn
hatte. Die Röntgenaufnahme ergab rechts keine Steine, aber links
3 Steine, die bei mehreren Aufnahmen stets deutlich vorhanden
waren. Die 3 Steine von ansehnlicher Grösse, der grösste 7 mm
Durchmesser, gingen bald darauf per vias naturales ab. Die
chemische Untersuchung ergab Oxalatsteine.
Herr Görl: Ueber Sterilisierung mit Röntgenstrahlen. (Er¬
scheint in extenso in der D.m.W.)
Deutsche medizinische Gesellschaft in Chicago.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. April 1914.
Vorsitzender: Herr Lieberthal.
Schriftführer: Herr Reichmann.
Herr Reichmann demonstriert :
a) einen Fall von rezidivierendem Karzinom des I. Nasenflügels,
der nach zweiwöchentlicher Behandlung mit Chinininjektionen und
filtrierten Röntgenstrahlen glatt abgeheilt ist.
b) einen Fall von Fibrosarkom der Wange, das ebenfalls nach
dreiwöchentlicher Behandlung mit filtrierten Röntgenstrahlen sehr
gebessert erscheint.
Herr Emil Beck: Ueber den gegenwärtigen Stand der chirur¬
gischen Tuberkulosebehandlung. (Mit Lichtbildern.)
Diskussion: Herr Carl Beck bespricht die Somienbehand-
lung von Rolli er in Leysin. Rolli er gründet seine Erfolge auf
die Theorie, dass die Blutkörperchen durch das lange und intensive
Einwirken des Sonnenlichts so verändert werden, dass sie den Kampf
mit dem Tuberkuloseerreger besser aufnehmen können. Beck er¬
örtert auch die Erfolge, die er und sein Bruder mit der WismutDaste er¬
zielen und glaubt, dass Sonnenbehandlung in seinen Fällen nicht zum
Ziele führen würde, da er meistens fistulöse Erkrankungen zu Ge¬
sicht bekäme, während R o 1 1 i e r Kranke ohne Fisteln behandle.
Herr A. C. C r o f t a n: Experimentelles zur Kenntnis des Zucker¬
stoffwechsels. (Mit Demonstration.)
C r o f t a n wies zunächst einleitungsweise darauf hin, dass man
aus dem Studium des Pflanzenstoffwechsels wertvolle Einblicke in
den Stoffwechsel der Menschen und Tiere sich verschaffen könne. In
längerer Ausführung zeigte er, dass, was den Stoffwechsel betrifft,
die Unterschiede zwischen Pflanzen und Tieren nicht so ausgeprägt
seien, wie man das früher annahm, und dass es allerhand Grenz¬
gebiete gäbe, wo die Unterschiede ganz graduell ineinander über¬
gingen. Vom phylogenetischen Standpunkte ist es ferner interessant,
dass in manchen Richtungen der embryonale Stoffwechsel mehr dem
der Pflanzen als dem der höheren Tiere gleicht. Redner verwies auf
eigene Arbeiten in diesem Gebiete, die noch nicht in allen Details für
die Oeffentlichkeit reif seien. Es ist daher äusserst wahrscheinlich,
dass der tierische Stoffwechsel ein höheres Entwicklungsstadium des
Pflanzenstoffwechsels darstellt, angepasst an die wechselnden Lebens¬
bedingungen, die z. B. mit der Beweglichkeit entstanden. Man kann,
wenn man dies zugibt, annehmen, dass chemisch geradeso wie ana¬
tomisch gelegentlich Rückbildung zu einem mehr primitiven
Typus bei Tieren stattfinden kann. Dies wären dann gewisse Stoff¬
wechselanomalien, die spontan, als das Resultat eines entarteten
Zellenlebens (e. g. Embryonaltypus) entständen, und deren Typus
dem normalen Stoffwechsel ähneln würde. Das eingehende Studium
des Pflanzenstoffwechsels ist also für die menschliche Pathologie
von diesem, mehr oder weniger hypothetischem Standpunkte immer¬
hin wichtig und vielversprechend. Was den Kohlehydratstoffwechsel
betrifft, ist der wichtigste und der am meisten charakteristische
Schritt bei der Pflanze die Umwandlung der Luft-COs in Stärke.
Bezüglich dieses Prozesses und der Rolle des Chlorophylls gibt es
eine ungeheure Literatur, die an dieser Stelle nicht referiert werden
kann. Die wichtigste Entdeckung neuerer Zeit auf diesem Gebiete
ist die Feststellung der Tatsache durch Willstätter und seine
Mitarbeiter (erste Arbeit: Ann. 350, S. 48), dass Chlorophyll eine Ma-
gnesiumverbindung ist. Etwa zu gleicher Zeit machte Fenton
(J rans. Brit. Chem. Soc. 91. 1907. S. 68) die Entdeckung, dass ein
Strom von Kohlensäure, durch in Wasser suspendiertes Magnesium
geleitet, zu Formaldchyd reduziert wird. In der Literatur finden sich
nun viele Angaben, die auf die Gegenwart von Formaldehyd in grünen
Blättern hinweisen und man kann sich leicht vorstellen, dass For¬
maldehyd eine Vorstufe seiner höheren Polymeren, i. e. Zucker und
Stärke in der Pflanze darstellt. Die Hypothese ist demnach berech¬
tigt, dass die Kohlehydratsynthese bei der Pflanze aus Kohlensäure
mittels des im Chlorophyll enthaltenen Magnesiums auf dem Wege
durch Formaldehyd (vielleicht erst via Ameisensäure) stattfindet.
Mit dem ersten Teil dieses Prozesses hat das Sonnenlicht nichts zu
tun, denn Formaldehydbildung aus C02 mit Mg tritt im Dunklen
ebenso gut und ebenso schnell als im Sonnenlichte ein. Um eine
MUENCMEN ER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2348
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 49
Photosynthese handelt es sich in erster Linie also nicht, auch gar
nicht um einen sogen, „vitalen“ Prozess.
Es ist, wie oben angedeutet, wahrscheinlich, dass die Reduktion
der CO2 zu Formaldehyd durch die Ameisensäure führt. Es lässt sich
leicht zeigen, dass das Mg hier eine Sonderstellung einnimmt. Ueber-
giesst man einen Magnesiumstab mit 10 proz. Ameisensäure, so findet
stürmisch eine Reduktion zu Formaldehyd statt; benützt man
Ammoniumformat, so bildet sich Hexamethylenamin. Andere Metalle
reagieren nicht so. Ganz ähnlich verhält es sich bei der COa-Reduk-
tion zu Formaldehyd. Leitet man CO2 durch Na, K, Ba-Amalgame
in wässeriger Suspension, so bildet sich wohl Ameisensäure, aber kein
Formaldehyd — wahrscheinlich durch eine fast spezifische Reduktion
der zuerst gebildeten Ameisensäure in statu nascendi zu For¬
maldehyd. Unter den bei der Reduktion der Ameisensäure zu For¬
maldehyd durch Mg gebildeten Gase findet sich etwas freier Sauer¬
stoff. Bedenkt man die O-Exhalation der Pflanze, so gibt diese Tat¬
sache der Magnesiumtheorie eine Stütze.
Bei der Polymerisation des Formaldehyds zu Kohlehydraten
nimmt Mg eine weitere Sonderstellung ein. Es gelingt bekanntlich
leicht durch die meisten Alkalimetalloxyde, Formaldehyd zu Zucker
zu polymerisieren. Beim Magnesium gelingt dies nicht (Loew:
Journ. f. prakt. Chem. 33. S. 321). Durch Kalkhydrat lässt sich
(nach Locw) leicht schon bei Zimmertemperatur eine Formose
oder Methose aus Formaldehvd nach längerem Stehen erzeugen; da¬
bei bilden sich bedeutende Mengen von Ca-Format. Setzt man der
Kalkmilch-Formaldehydlösung Magnesium hinzu, so bildet sich mehr
Zucker und weniger Ca-Format, offenbar weil das Mg die gebildete
Ameisensäure wieder zu Formaldehyd reduziert und so mehr Aus¬
gangsmaterial für die ZucKerbildung frei hält. Es ist nebenbei vom
klinischen Standpunkte sehr interessant, dass diese Formose, direkt
aus Formaldehyd durch Kalk polymerisiert, von Diabetikern beson¬
ders gut vertragen wird. Sie sind, besonders die schweren TyDen,
sehr tolerant gegen diesen Zucker. Hierüber hoffe ich bald ausführ¬
lich mit den nötigen Protokollen Ihnen berichten zu können.
Was die Rolle des Mg beim tierischen Stoffwechsel der Kohle¬
hydrate betrifft, so müsste man eine Analogie zwischen gewissen
Blut- und Gallenpigmenten und deren Derivaten (die ja chemisch, was
empirische Formate betrifft, mit dem Chlorophyll quasi identisch sind)
und dem Chlorophyll suchen. Enthalten diese Pigmente Magnesium?
In der Literatur findet sich nichts hierüber, wahrscheinlich deshalb,
weil bei den gewöhnlichen Darstellungsmethoden durchweg Säuren
benutzt werden, die das Mg aus seinen lockeren Verbindungen los-
reisst. W i 1 1 s t ä 1 1 e r warnt bei seinen Chloroohyllarbeiten aus¬
drücklich vor dem Gebrauch selbst schwacher Säuren. Passt man
die Methoden, die Willstätter bei der Entdeckung des Mg im
Chloroohyll gelehrt hat, der Untersuchung grösserer Mengen eisen¬
freier Blutfarbstoffderivate an. so findet man kleine Mengen Magne¬
sium. Hierüber verspreche ich auch später Ausführliches. Der Ana¬
logieschluss ist hier auch berechtigt, dass dem in Pigmenten zirku¬
lierenden Mg eine Rolle bei der Knhlehvdratsvnthese aus Karbonaten
und Formaten im Tierkörper zufällt. Es wird, hierdurch ein grosses
und vielversprechendes Forschungsgebiet eröffnet. Möglich, dass die
exquisit reduzierende Wirkung mancher tierischen Gewebe mit der
Gegenwart von Magnesiumverbindungen zusammenhängt, während
an der Zellnerioherie eisenhaltige Pigmente der Oxydation vorstehen.
Auf Einzelheiten der chemischen Technik konnte ich mich natür¬
lich nicht in diesem kurzen Referate einlassen. Ich verweise auf die
ausführlichen Arbeiten, die bald erscheinen sollen. Ich bitte auch um
Entschuldigung, dass ich mich so sehr mit Hypothesen abgegeben
habe. Meine Tatsachen und Hypothesen geben aber zu denken und
werfen wenigsten einen schwachen Lichtschein in ein ganz dunkles
Gebiet und das dürfte Ihr Interesse angeregt haben.
Aus den Wiener medizinischen Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
K. k. Gesellschaft der Aerzte.
Sitzung vom 30. Oktober 1914.
Dr. Alfred Adler zeigt einen Mann, der nach einer Schuss¬
verletzung in den Oberschenkel ein Aneurysma mit Abmagerung der
Extremität etc. aufweist.
Privatdozent Dr. M. Weinberger möchte den Prozess als
Anastomosis arterio-venosa auffassen und hält einen operativen Ein¬
griff für an gezeigt.
Prof. Dr. Rudolf Weiser stellt mehrere Fälle von Kiefer-
Schussfrakturen und erörtert an der Hand von Wandtafeln die älteren
und neueren Methoden zur prothetischen und orthodontischen Be¬
handlung der Kiefer-Schussverletzungen. Diese Behandlung soll früh¬
zeitig einsetzen, dann sind auch die erzielten Resultate sehr gute.
Dr. Werner stellt aus der Klinik Wertheim eine Frau vor,
welche — wie namentlich die Röntgenbilder zeigen — mit einer ganz
exzessiven Kürze beider Tibien. zumal der linken Tibia, und dem¬
entsprechend mit abnormer Kleinheit beider Unterschenkel behaftet
ist. Diese seltene Missbildung ist angeboren, sie soll nach Angabe
der Eltern schon bei der Geburt bestanden haben.
Primararzt Dr. Lothelsen demonstriert eine 28jährige Frau,
bei welcher er wegen impermeabler Narbenstriktur eine antethora-
kale Oesophagoplastlk aus dem Magen nach J i a n u mit bestem Er¬
folge gemacht hat. Die Operierte ernährt sich seit Monaten durch ihre
neugebildete Speiseröhre.
In der Diskussion betont Prof Schnitzler, dass da'
Verdienst, anstatt des Darmes den Magen zur Oesophagusplastik be
nützt zu haben, dem Herrn Dr. Max Hirsch und nicht dem Hern
Dr. Max J i a n u, der die Methode nur unzweckmässig modifizierte
zuzuschreiben sei. Schnitzler selbst hat den nach Hirse 1
aus der vorderen Magen wand gebildeten Schlauch in 3 Fällen bis ai
das obere Ende des Manubrium sterni führen können.
Sitzung vom 6. November 1914.
Privatdozent Dr. H. L a u b e r stellt drei Augenkranke vor, um
zwar zwei Augenverletzte und eine eigentümliche Veränderung de;
Tarsus und der Konjunktiva beider Augenlider bei schwerem Trachom
In einem Falle (Schrapnellverletzung der Lider und WangenhauL
besteht einseitig eine traumatische, durch Kontusion be
dingte Katarakta bei normaler Hornhaut. Tm zweiten Falld
fiel das Projektil offenbar auf einen harten Gegenstand auf, zer
splitterte diesen und schleuderte gegen Gesicht und Augen kleimj
Steinpartikel oder feine Sandkörnchen, die jetzt in der Kornea um!
im Glaskörper sitzen; dabei ist ein Teil der Iris abgerissen und de;
Glaskörper getrübt.
Assistent Dr. E. Suchanek zeigt aus der chirurgischen Klinilj
v. Eiselb erg drei Schussverletzungen: a) einen Husar, dem schoi|
früher der linke Oberarm enukleiert worden war und der in de ;
Klinik eine schwere arterielle Blutung erlitt. Mehrere intravenöstl
Kochsalzinfusionen. Ligatur der Art. subclavia etc. retteten den schoi
puls- und bewusstlosen Mann, b) Gewehrschuss in den rechteii
Zeigefinger mit Zersplitterung des Phalangealknochens, eitrigem Be
lag; Extensionsverband mittels Mastisols und Zwirnfingerlings, de}
mit einem Drainrohr an eine eigens gebogene C r a m e r sehe Draht
schiene fixiert wird, c) Schrapnellschuss durch rechten Vorderarn
und linken Unterschenkel mit Snlitterbruch beider Vorderarmknocheii
und der Tibia. Am Unterschenkel Gipsverband mit Fenster, am Vor
derarm und an der Hand nach konservativer Behandlung mit Wasser
stoffsuperoxyd. Sublimatbädern und Hochlagerune in ähnlicher Weis«
mittels Mastisols, Zwirnfingerling und Cr am ersehen Schiene her
gestellter Extensionsverband. Es wird auf den Vorzug dieser Ex
tensions- und Fixationsmethode gegenüber der Schienenbehandiuii!}
hingewiesen.
Prof. Dr Riehl: Zur Behandlung der Phlegmone im kontlnuicr
liehen Bade.
Das anfangs bei Verbrennungen, Blattern, Pemphigus u. dg)
von H e b r a mit bestem Erfolge benützte kontinuierliche warm«
Bad hat später auch bei Nosokomialbrand, Dekubitus, gangränöse)
Bubonen und — woran Redner jetzt besonders erinnern möchte -
auch bei Phlegmonen sehr gute Dienste geleistet. Da jetzt be}
den vom Kriegsschauplätze eingebrachten Wunden wieder zahlreich)
Phlegmonen konstatiert werden, möchte er auf seine Beobachtungeij
in den achtziger Jahren hinweisen. da die nicht seltenen, zumeisj
hochfiebernden Phlegmonen sich im kontinuierlichen Bade rgsc)
reinigten, die nekrotischen und eitrig infiltrierten Partien sich ab
stiessen und die Kranken bald fieberfrei wurden. Aehnlich gut
Resultate hat er schon in den letzten Monaten bei Verwundeten be
obachtet, so dass er sagen könne, dass bei gewissen progrediente!1
Phlegmonen und Dekubitus das kontinuierliche Bad oft das rettend^
Heilverfahren sei. Da die Zahl der warmen Dauerbäder derzeit ein'
geringe sei, so sollte an deren ausgiebige Vermehrung gesch ritte)
werden. So könnte man in einem leichten Bau im Allgem. Kranken
hause eine Station für ca. 20 Wasserbetten errichten: man könnt*
— sowie man Schulen für die Verwundetenpflege einrichtet — eine i<
der Nähe des Krankenhauses befindliche Badeanstalt ganz für dies'
Zwecke in Anspruch nehmen; endlich könnte man in jeder chirurgi
sehen Station einige Badewannen, in welchen das warme Wasse*
von Zeit zu Zeit erneuert wird, aufstellen und die Kranken in ge
eigneter Weise daselbst behandeln.
An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion, at
welcher Prof. Ewald, Primararzt Dr. Kren, Prof. v. Eiseis;
b e r g, Prof. G o m p e r z. Privatdozent Dr. K v r 1 e und der Vor*
tragende selbst teilnahmen v. Eiseisberg betont, dass man be,
nur einigermassen schwerer Phlegmone vorerst eine Inzisiot
machen müsse, dann werde das Wasserbett in einzelnen Fällen ge>
wiss gute Resultate geben. Bei ambulatorisch behandelten Fäüei
möge man Ruhigstellung der erkrankten Körperteile, feuchte Ein
Wicklung mit 60 proz. Alkohol oder essigsaurer Tonerde anwenden
Weihnachtsgabe für arme Arztwitwen in Bayern.
Gabenverzeichnis: Uebertrag M. 425. — . Bez.-Arzt Dr. Schmitt
Wertingen M. 10.—. Dr. D r e y f u s s - Fürth M. 5. — . Hofrat Di
S c h u h - Nürnberg M. 20. — . Dr. Braune - Mkt. Einershein
M. 30. — . Summa M. 490.—.
Gaben nimmt dankbarst entgegen der Kassier der Witwenkasse
Dr. Hollerbusch, Fürth, Mathildenstr. 1.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 49. 8. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 18.
Aus den Feldlazaretten des VII. Reservekorps
Zur Prognose und Therapie der Bauchschüsse.
Von Professor J. R Otter (Berlin), Qeneraloberarzt und be¬
ratender Chirurg des VII. R.-A.-K.
Wer sich aus der kriegschirurgischen Literatur ein Urteil
über die Prognose der Bauchschüsse zu bilden versucht, ist
überrascht von den guten Erfolgen, über welche dort berichtet
wird. v. Oettingen schreibt in seinem Leitfaden der prak¬
tischen Kriegschirurgie: „Eine Generalstatistik der letzten
Kriege lässt uns annehmen, dass jeder zweite durch den Bauch
geschossene Soldat über kurz oder lang dem Tode anheim¬
fällt. Wir können 50 Proz. am Leben erhalten und vermögen
diese Zahl durch eine vernünftige Therapie um ein geringes
zu erhöhen, durch ein unzweckmässiges Vorgehen aber stark
zu verringern.“ K ü 1 1 n e r veranschlagt nach den Erfahrungen
im Russisch-Japanischen und dem Balkankriege die Mortalität
der Bauchschüsse bei konservativer Behandlung auf 45 und
bei operativer Behandlung auf 55 Proz., und Zick und
G o 1 d m a n n auf 8 bis 80 Proz. Krecke hatte das Glück,
im Reservelazarett zu München 5 Fälle von Bauchschüssen,
welche ihm aus der Schlacht in Lothringen zugegangen waren,
bei konservativer Behandlung sämtlich heilen zu sehen
(M.m.W. Nr. 37, F. Beil. Nr. 6 S. 50). Gegenüber diesen hoff¬
nungsfreudigen Mitteilungen haben wir im Bereich des
VII. Reservekorps bei der Belagerung von Maubeuge, 27. VIII,
bis 7. IX., in der Schlacht an der Aisne vom 13. bis 17. IX. und
den sich später anschliessenden Kämpfen hierselbst ein Bild
mit weit düstereren Farben gewonnen. Unser stationärer Auf¬
enthalt vor den Befestigungen an der Aisne hat uns die Zeit
und Müsse geschenkt, das bisher im Feldzug gesammelte Ma¬
terial zu sichten und nach manchen Richtungen zu ver¬
arbeiten.
Auf meine Anregung haben die Herren Aerzte der vier
Feldlazarette des VII. R.-K., Nr. 33, 34, 35 und 36, und der
Sanitätskompagnien 7 und 21 bereitswilligst die bisher ge¬
machten Beobachtungen ausgezogen und uns zur Verfügung
gestellt, wofür ich ihnen an dieser Stelle meinen besonderen
Dank ausspreche.
Aus dem gesammelten Material habe ich mir zunächst die
Bauchschüsse zu einer näheren Beachtung ausgewählt.
Wenn man von „Bauchschüssen“ spricht, versteht man im
allgemeinen darunter die intraperitonealen Verletzungen der
inneren Organe des Bauches sowohl als des Darmes. In der
Literatur scheint man indes nicht immer die Schussver¬
letzungen der Bauch wand, welche eine unvergleichlich viel
bessere Prognose besitzen und daher mit den intraperitonealen
Verletzungen nicht in einen Topf geworfen werden dürfen,
scharf genug getrennt zu haben. Ich will daher die Ver¬
letzungen der Bauchwand hier gesondert aufführen, um eine
schärfere Begrenzung des Materials der „Bauchschüsse“ zu
ermöglichen.
Schussverletzungen
1. der Bauchwand . 19 Fälle, davon tot 2 = 10 Proz.,
Mantelgeschoss 14 „ , „„0=0 „ ,
Schrapnell . . 5 „ , „ „ 2 = 40 „ ;
2. der inneren Organe 8 „ , „ „ 3 = 37 „ ;
(Leber und Milz)
3. des Darmes ... 32 „ , „ „ 25 = 80 „ ,
nicht operiert .27 „ , „ „ 20 = 77 „ ,
operiert . . . . 5 „ , , ,5 =100 , .
L An Schussverletzungen der Bauchwand
sind in unserer Statistik 19 Fälle mit 2 Todesfällen = 10 Proz.
Mortalität verzeichnet.
14 mal wurde die Verletzung durch Infan*erie- und 5 mal durch
Artillerieschüsse erzeugt. Die ersteren zeigten meist lange Schuss¬
kanäle mit kleinem Ein- und Ausschuss und sind alle ohne Zwischen¬
fall geheilt.
Dagegen erfolgte unter den Schrapnell- resp. Granatverletzungen
bei 3 Fällen, wo die grossen infizierten Wunden tamponiert werden
mussten, die Wundheilung per secundam intentionem, und bei 2 Fällen
ein tödlicher Ausgang, und zwar einmal infolge einer foudroyanten
progredienten Phlegmone und das andere Mal infolge von ander¬
weitigen schweren und vereiterten Verletzungen der Extremitäten.
2. Verletzungen der inneren Bauchorgane.
Hierher habe ich nur jene Fälle gerechnet, bei welchen die
Leber resp. die Milz isoliert getroffen waren, d. h. ohne
dass gleichzeitig der Darm in Mitleidenschaft gezogen war. In
der nächsten Gruppe der Darmrupturen finden sich, wie wir
bald sehen werden, eine grosse Anzahl von Fällen, bei denen
neben der Darmperforation noch Verletzungen der inneren
Organe vorhanden waren, die hier aber keine Berücksichti¬
gung gefunden haben.
Unter 8 Fällen handelte es sich einmal um Artillerie- und
6 mal um Gewehrschussverletzungen. Bei einem Fall fehlte
eine Notiz.
Von 4 Leberschüssen sind 3 geheilt und 1 ge¬
storben.
Die Diagnose stützte sich auf die Symptome der
inneren Blutung und den Verlauf der Schusskanäje.
Bei 2 Steckschüssen drang das Geschoss in der vorderen Leber¬
gegend ein, beim 3. und 4. Fall handelte es sich um Durchschüsse,
und zwar
bei Fall 3 (Nr. 111, F.L. 35) um Einschuss rechts in der Axillar¬
linie im 8. Interkostalraum und Ausschuss rechts neben dem Ster¬
num und
bei Fall 4 (Nr. 102, F.L. 35) um Einschuss in der vorderen Leber¬
gegend rechts und Ausschuss links hinten neben der Wirbelsäule.
Der Verlauf gestaltete sich bei einem Falle, dem letzt¬
genannten, tödlich. Er starb am 3. Tag infolge einer inneren Blutung,
die sich bei der Schussrichtung leicht erklärt.
Der zweite Durchschuss (Nr. 111) machte eine ganz glatte Re¬
konvaleszenz durch.
Beim 3. und 4. Fall bildete sich eine Gallenfistel an Stelle des
Einschusses vorn, und zwar einmal spontan, im Grunde des grossen,
durch Artilleriegeschoss erzeugten Bauchwanddefektes, welcher tam¬
poniert worden war (Dr. P e t e r m a n n). und bei dem anderen Fall
im Anschluss an eine Laparotomie, welche Dr. F r a u n e auf dem
Hauptverbandplatz (Sanitätskompagnie 21) ausgeführt hatte, in der
Absicht eine innere Blutung zu stillen. Fr tamponierte den Einschuss
in der Leber und sah dann im weiteren Verlauf daselbst eine Gallen¬
fistel entstehen, ln beiden letzteren Fällen besteht die Fistel noch
zurzeit, also etwa 4 — 5 Wochen nach der Verletzung, bei gutem Be¬
finden der Patienten.
Unter 3 Milzschüssen starb einer. Die Diagnose
wurde auch hier aus den Symptomen der inneren Blutung und
der Schussrichtung gestellt.
Bei einem der Fälle handelte es sich um einen Durchschuss:
Einschuss unter dem linken Rippenbogen, Ausschuss in der hinteren
Axillarlinie. Der Verlauf führte bei 2 Fällen mit Gewehrschuss,
welche konservativ behandelt wurden, zu glatter Heilung. Bei dem
3. Fall wurde von Dr. Fraune (Sanitätskompagnie 21) wegen
innerer Blutung mit Mittelschnitt Iaparotomiert und die Milzgegend
tamponiert. Der Patient starb am 5. Tage an diffuser Peritonitis.
Ein 8. Fall starb an innerer Blutung, ohne dass genauer
festgestellt werden konnte, woher die Blutung stammte.
2350
Feldärztliche Beilage zur Münch, rned. Wochenschrift.
Nr. -19.
3. Von Darm Schüssen liegen 32 Fälle vor. Von
diesen sind 25 Fälle gestorben und zwar 20 unoperiert und
5 nach der Operation, und 7 Fälle wurden geheilt oder sind in
Heilung begriffen.
Von den 25 gestorbenen Fällen wurden 20 Fälle nicht
operiert. Von denselben sind 18 Fälle sehr kurze Zeit nach der
Aufnahme — nämlich nach 1 — 12 Stunden — erlegen. Die Todes¬
ursache lag bei 11 Fällen hauptsächlich in schweren Nebenver-
letzungen, die in 6 Fällen durch Artillerie- und in 4 Fällen durch In¬
fanteriegeschosse bedingt waren, und 2 mal die Leber, 2 mal die Milz,
2 mal die Blase, 1 mal das Mesenterium, ferner die Brust und Extremi¬
täten betrafen. 3 von ihnen langten in bewusstlosem Zustande an
und starben darin. Bei 7 Fällen ist eine deutlich ausgeprägte diffuse
Peritonitis notiert.
2 Fälle haben nach der Aufnahme etwas länger gelebt. Der
eine gelangte am 3. Tage nach der Verletzung in das Feldlazarett,
mit diffuser Peritonitis, an der er 2 Tage später zugrunde ging, also
am 5. Tage, nachdem er noch blutige Stühle gezeigt hatte. Bei den
andern handelte es sich um einen Durchschuss, welcher unter dem
rechten Rippenbogen hinein und in der Milzgegend herausgegangen
war. Symptome von leichter Bauchdeckenspannung und Meteoris-
mus, die in den ersten Tagen bestanden, gingen bald zurück, der Stuhl
erfolgte spontan und das Allgemeinbefinden liess das Beste hoffen.
Als der Patient gegen das Verbot am 11. Tage das Bett verliess,
setzte eine vehemente Darmblutung ein, die sich per anum entleerte
und rasch zum Tode führte.
5 Fälle sind operiert worden und im Anschluss daran ge¬
storben.
3 derselben lagen bezüglich der Schwere der Verletzung und des
Zeitpunktes, in welchem sie nach dem Trauma zur Aufnahme ge¬
langten, nicht ungünstig.
a) Rotter: Ich operierte mit Dr. Petermann in Biuche
(bei Maubeuge) einen Fahnenjunker, welcher 3 Stunden nach dem
Bauchschuss in das Feldlazarett 33 gebracht' wurde. Die Gewehr¬
kugel hatte wenig links vom Nabel einen auffallend grossen — etwa
dreimarkstückgrossen — Defekt in der Bauchdecke durchgeschlagen,
durch welchen reichlich Netz vorgefallen war. Die Operation wurde
nachts — unter recht unzureichenden Verhältnissen — ausgeführt (es
war kein Operationstisch vorhanden und deshalb keine Beckenhoch¬
lagerung möglich, Darmnadeln und Nadelhalter passten nicht zu¬
sammen, infolge des starken Zuganges an Verwundeten war der
Gazevorrat auf der Neige). Es fanden sich 3 fünfzigpfennig- bis mark-
stiiekgrose Löcher im Darm und mehrere starkblutende Risse im
Mesenterium, welche versorgt wurden. Viel Blut im Bauch. Frei
in der Bauchhöhle wurde die Kugel gefunden, welche das Zifferblatt
des Kompasses mit sich gerissen und deshalb den grossen Bauch¬
wanddefekt erzeugt hatte. Der Patient starb 5 Tage nach der Opera¬
tion an Peritonitis, deren Entstehung zum Teil aus der mangelhaften
Asepsis bei der Operation, zum grösseren Teil aber auch aus dem
reichlich ausgetretenen Darminhalt und dem in der Bauchhöhle zu¬
rückgebliebenen Blut zu erklären ist.
b) Dr. F 1 ö r c k e n - Paderborn hat in meiner Anwesenheit
(F.L. 36), 2 Stunden nach der Verletzung (Gewehrschuss), 2 grosse
Löcher des Dünndarms und einen blutenden Mesenterialschlitz ge¬
näht. Der Patient kollabierte kurz nach vollendeter Operation und
starb.
c) Dr. F r a u n e - Dinslaken a/Wesel operierte auf dem Haupt¬
verbandplatz in Ployard (an der Aisne) einen Darmschuss und re¬
sezierte ein 15 cm langes Darmstück. Der Patient ist etwa 8 Tage
später einer Peritonitis erlegen. Ueber die Zeit, welche von der Ver¬
letzung bis zur Operation vergangen war, ist nichts genaueres fest¬
gestellt worden.
Bei dem 4. und 5. Fall von Darmschüssen fanden Di. Peter¬
mann resp. Dr. F r a u n e bei der Operation so ausgedehnte Zer-
reissungen der Därme und der Nachbarorgane, dass der Bauch unver¬
richteter Sache wieder geschlossen wurde.
Nachdem von den 32 Darmschüssen die 25 letal geendeten
besprochen worden sind, gehe ich zu den 7 Fällen über,
welche geheilt oder in Heilung begriffen sind.
a) Bei 4 von diesen Fällen lässt sich ein absoluter Beweis
dafür, dass das Geschoss eine Ruptur des Darmes erzeugt hat,
nicht liefern.
2 mal handelte es sich um einen Steckschuss, der in dem einen
Fall in das linke Hypochondrium, im andern Falle handbreit unter
dem Nabel eindrang. Bei beiden von Dr. Petermann behandelten
Fällen stellten sich in den ersten Tagen peritonitische Symptome ein:
Druckschmerz, Spannung, etwas Meteorismus, Aufstossen und Er¬
brechen. Um den 4. resp. 5. Tag erfolgte Besserung und Stuhl. Nach
später eingezogenen Erkundigungen ist auch fernerhin der Verlauf
günstig geblieben.
2 mal lagen Durchschüsse von Mantelgeschossen vor, und zwar
bei Fall 108, F.L. 35 (Dr. Fenner) kleiner Einschuss am linken
Rippenbogen in der Brustwarzenlinie. Ausschuss hinten neben der
Wirbelsäule. Ueber den Verlauf besagt die Krankengeschichte nur.
dass der Fall in Besserung zum Rücktransport nach Erquelinnc (bei
Maubeuge) gekommen sei.
Fall 158. F.L. 35. Einschuss rechts im Unterbauch. Ausschuss
unterhalb des rechten Darmbeinkammes Keine peritonitischen Sym¬
ptome. In Besserung nach Erquelinnc entlassen.
Bei den ersten beiden Fällen liegt eine grössere Wahr¬
scheinlichkeit vor, dass der Darm perforiert war, weil einige
Tage peritonitische Symptome nachweisbar waren, bei Fall 3
deshalb, weil die Schussrichtung für eine Verletzung des
Darmes spricht; bei Fall 4 aber bleibt es bei der angegebenen
Schussrichtung und weil gar keine peritonitischen Symptome
vorhanden waren, sehr fraglich, ob der Darm durchschossen
gewesen ist.
b) Bei den folgenden 3 Fällen ist durch die Entstehung von
Darmfisteln eine Verletzung der Darmwand durch das Ge¬
schoss absolut sicher bewiesen.
Fall 6, F.L. 35. Gewehrschuss. Einschuss rechts vorn. Ausschuss
rechts hinten. Am 7. Tage bildete sich eine Kotfistel in der Wunde.
Gebessert nach Bawai (bei Maubeuge), Rot-Kreuz-Lazarett, ent¬
lassen.
Fall 3, F. L. 36. Artilleriesteckschuss. Einschuss 3 Querfinger
unterhalb des Nabels. Prolaps von Netz und einer rupturierten Ileum-
schlinge. Kotfistel — Tamponade ohne Reposition der vorgefallenen
Teile. Ein Teil des Stuhles geht durch den After ab. Allgemein¬
befinden gut. Zurzeit (Colligis, 26. X. 14) besteht noch die Kotfistcl
und daneben ein mit Granulationen bedeckter Netzzipfel.
Fall 262, F.L. 34. Schrapnellsteckschuss. Einschuss: Linke
Leistengegend, äusserer Teil des Lig. Poupartii, etwas oberhalb des¬
selben. Ausserdem ein Lungenschuss auf derselben Seite.
In den ersten 6 Tagen peritonitische Symptome: Auftreibung,
Stuhlverhaltung, Abgang von Schleim per Anum. Fieber.
7. Tag: Eröffnung eines grossen blutigen Douglasabszesses per
Anum (Rotter). Auftreibung des Bauches geht zurück. Spontaner
Stuhl.
Einige Tage später Eröffnung eines Abszesses auf der linken
Beckenschaufel, Entleerung stinkenden Eiters (Dr. Busch). Im
Anschluss daran Kotfistel, die jetzt noch besteht.
Nach einigen Tagen (Fieber) zeigt sich der Hämothorax, der
nach dem Lungenschuss entstanden war, in Vereiterung. Resectio
costae, Entleerung eines stinkenden Blutergusses.
Jetzt Befinden gut.
Von diesen 3 Fällen verdankt einer sein Leben dem glück¬
lichen Zufall, dass die rupturierte Darmpartie mit etwas Netz
prolabierte, sich extraperitoneal lagerte und durch Tamponade
eine Infektion der Bauchräume verhindert wurde.
In den beiden anderen Fällen ist die defekte Stelle der
Darmwand durch Adhäsionen extraperitonealisiert worden, und
der austretende Darminhalt hat durch den Schusskanal den
Weg nach aussen gefunden.
Der Darlegung des Materials will ich noch einige allge¬
meine Bemerkungen anschliessen.
Wie oben schon gesagt wurde, sollen die Bauchwand-
verletzungen aus der Statistik der „Bauchschüsse“ aus¬
geschaltet werden. Denn sie haben als einfache Weichteil¬
schüsse eine ganz andere, weit günstigere Prognose — von
etwa 10 Proz. im ganzen, resp. bei Gewehrschüssen 0 Proz.
und bei Artilleriegeschossen 40 Proz. Mortalität.
Die Bauchschüsse sensu stricto ri umfassen die
intraperitonealen Verletzungen der inneren Organe der Bauch¬
höhle 8 Fälle mit 3 Toten und die Darmschüsse 32 Fälle mit
25 Toten, welche zusammen eine Mortalität von 70 Proz.
besitzen.
Am meisten interessiert uns die Prognose der Darm-
schüsse, von welchen 32 Fälle mit 25 Todesfällen eine Mor¬
talität von etwa 80 Proz. zeigen, ein Resultat, das die höchste
in der Literatur enthaltene Todesziffer erreicht
Diese Mortalität von 80 Proz. bleibt aber leider hinter der
nackten Wirklichkeit noch weit zurück. Denn sie ist aus dem
Material der Feldlazarette gewonnen. Gehen wir noch um
eine Zone näher an die Gefechtslinie heran, bis zum Haupt¬
verbandplatz, dann erst lernen wir die ganze Trost¬
losigkeit dieser Verletzungen kennen. Im Totenbuch der
Sanitätskompagnien unseres Korps ist verzeichnet, dass
während des Durchganges der Verwundeten durch die Haupt¬
verbandplätze noch 56 Verwundete an den Folgen von Bauch¬
schüssen verstorben sind. Diese 56 Tote müssen der Statistik
der Feldlazarette hinzugezählt werden, um einen richtigen Ein¬
blick in die Gefährlichkeit der Bauchschüsse zu gewinnen.
Also die 32 Fälle, welche in den Feldlazaretten behandelt
wurden, und die 56 Todesfälle der Hauptverbandplätze ergeben
8. Dezember 19M.
' Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2351
zusammen 88 Fälle mit 81 loten — was auf dem
Schlachtfelde liegen blieb ungerechnet.
Aus dieser Zusammenstellung erkennen wir, dass die Pro¬
gnose der Bauchschüsse überaus ungünstig ist und dass ihre
Mortalität diejenige der Hirnschüsse sogar noch übertrifft.
Diese Nachforschungen geben uns weiter den Schlüssel
iiir die Frage in die Hand, wie die grossen Unterschiede in
Jen Mortalitätsstatistiken der Bauchschüsse zu erklären sind,
welche in der Literatur enthalten sind: je näher am Schlacht¬
feld die Erhebungen angestellt werden, um so höher, und je
entfernter, weiter, um so niedriger ist die Sterbeziffer.
Auf unseren Hauptverbandplätzen waren schon 56 Fälle,
n den Feldlazaretten weitere 25 Fälle weggestorben. Wer
dann noch weiter zurückgeht und' bei den Etappen die Mor¬
alität studiert, wird endlich das ausgesiebte Material finden,
welches die schönen Resultate der Literatur darbietet.
Aus unserer Statistik lernen wir weiter die Tatsache
<ennen, dass bei den Bauchschüssen die Zerstörungen in der
Bauchhöhle in einem sehr hohen Prozentsatz so gewaltig sind,
lass eine Rettung durch eine Operation völlig ausgeschlossen
st und dass viele Nebenverletzungen an entfernter liegenden
(Örperteilen hinzutreten. Diese Tatsachen besagen, dass das
raurige Schicksal der Bauchschüsse, die sich während eines
(rieges ereignen, sich nicht ändern wird, so lange die Wir¬
kung der Waffen die gleiche bleibt.
Nur für eine ganz kleine Anzahl der Darmschüsse besteht
lie Hoffnung zur Ausheilung. In unserer Statistik finden sich
mr 7 Fälle (unter 86 Fällen), welche geheilt sind oder in
leilung begriffen sind und zwar alle unter konservativer Be-
landlung. Es sind Fälle, bei denen die Gewehrkugel —
'chrapnellverletzungen fehlen unter den geheilten Fällen —
ur kleine Perforationen in den wohl leeren Darm geschlagen I
at, die durch Verklebungen rasch verschlossen wurden oder
lirch einen glücklichen Zufall der Genesung zugeführt wurden,
o ist in einem Falle die perforierte Stelle des Darmes durch
cn Schusskanal der Bauchwand prolabiert, ist extraperitoneal
egen geblieben und hat zur Bildung einer Kotfistel geführt,
nd in zwei Fällen hat sich um die geschädigte Darmstelle ein
ltraperitonealer Abszess gebildet, dessen Eiter mit dem
Jarminhalt durch den Schusskanal den Weg nach aussen ge-
inden hat.
Neben der konservativen Methode der Behandlung wurde
on uns bei einer nur sehr bescheidenen Zahl von Fällen die
perative versucht. Unter den 5 operierten Fällen fanden
ich 2, welche bei der Laparotomie so weit gehende Zer-
törungen in der Bauchhöhle zeigten, dass Menschenhilfe un-
löglich war und der Bauch unverrichteter Sache wieder ge¬
flossen werden musste. Aber 3 Fälle kamen zu rechter Zeit
i— 5 Stunden nach der Verletzung) und mit so geringen
äsionen der Organe an, dass nach unseren Friedens-
rfahrungen der chirurgische Eingriff durchaus berechtigt war.
ie sind leider alle gestorben l). Wir waren im Beginn des
rieges für Laparotomien nicht hinreichend eingerichtet, wir
aben das Nötige nachgeholt und ich glaube, dass wir jetzt
mähernd unter den gleichen Verhältnissen wie im Frieden
beiten können und wollen deshalb die im Frieden geltenden
Gikationen für die operative Behandlung der Bauchschüsse
dten lassen — und wollen operieren:
1. wenn der Verwundete in den ersten 12 Stunden nach
-r Verletzung zu uns gelangt;
2. wenn voraussichtlich in der Bauchhöhle nicht zu
■hwere Zerstörungen stattgefunden haben und gröbere Neben-
-rletzungen am übrigen Körper fehlen und
3. wenn der aseptische und technische Apparat in hin-
lchender Ausrüstung zur Verfügung steht.
Dann, so hoffen wir, wird es uns doch gelingen, hie und
i ein sonst verlorenes Leben zu retten.
*) Inzwischen sind noch 3 Fälle von F 1 ö r c k e ti und Fraune
•eriert worden, von denen einer eine glatte Heilung durchgemaclit
t! Operation 8 Stunden nach der Verletzung, Naht von 7 Darm-
rforationen, von denen eine fast ganz zirkulär war (Hauptverband-
atz Chamonille — Dr. Fraun e). Beim benachbarten III. Korps
ilt mir Prof. Rumpel mit, dass dort schon 3 Fälle von Darm-
hüssen mit Erfolg operiert wurden.
Zur Frage der Asepsis im Felde*).
Von Professor Dr. Walther Hannes aus Breslau, zurzeit
Oberarzt im Feldlazarett 9, VI. A.-K.
Mit meinen Ausführungen, die ich ganz kurz halten will,
möchte ich nur für heute eine Grundlage schaffen zur Aus¬
sprache darüber, ob die zurzeit auch für das Feld geforderte
Asepsis eine unseren Anforderungen entsprechende ist, und
inwieweit wir diese Anforderungen mit den uns zur Ver¬
fügung stehenden Hilfsmitteln auch leisten können. Als
Gynäkologe stand ich ja bis zu meinen in diesen zwei Kriegs¬
monaten gesammelten, nicht übermässig zahlreichen Einzel¬
erfahrungen der speziellen Kriegschirurgie vollkommen fern,
während gerade die Fragen der modernen Aseptik und Anti-
septik uns Gynäkologen überhaupt und mich ganz besonders
interessieren und beschäftigen, so dass ich ganz naturgemäss
bei meiner bisherigen kriegschirurgischen Tätigkeit diesen
Fragen meine besondere Aufmerksamkeit zu wandte.
Die Technik der Asepsis ist zweifellos das A und O
unserer ganzen modernen Kriegschirurgie, nachdem wir auf
dem Standpunkt stehen, dass eine beim Eindringen eines
Gewehrgeschosses wenigstens entstandene Wunde, die sonst
keine Komplikationen aufweist, reaktionslos heilt, wenn sic
primär und sekundär aseptisch gehalten werden kann. Auf
die primäre Asepsis, d. h. auf die Asepsis bis zum Anlegen
des ersten kunstgerechten Verbandes, haben wir nur insofern
Einfluss, dass wir seine Anbringung möglichst frühzeitig be¬
werkstelligen. Dass vom Moment des Verbandes an eine bis
dahin aseptisch gewesene Wunde es auch weiterhin bleibt,
dass auch die sekundäre Asepsis gewahrt bleibt, liegt fast
ganz in unserer Hand.
Zur Wahrung der primären Asepsis, zum möglichst früh¬
zeitigen Anlegen eines sterilen trockenen Verbandes ist die
Beherrschung der Verwendetechnik des Verbandpäckchens
auch seitens der Truppe ein unbedingtes Erfordernis. Ich habe
den Eindruck gehabt, dass das Verbinden mit dem Verband¬
päckchen seitens des Verletzten selbst oder seitens seiner
Kameraden — ich habe vielfach die Leute daraufhin exami¬
niert — sehr gut funktioniert hat. Auch die Beschreibung, wie
es gemacht wurde, erweckte in mir die Ueberzeugung, dass
ganz oder leidlich aseptisch damit verfahren wurde.
In sehr vielen Fällen ist aber die Anwendung des ein¬
fachen Verbandpäckchens nicht angezeigt. Wir sind auch
schon auf dem Truppenverbandplatz oder auf dem Haupt¬
verbandplatz oder ganz besonders bei den mit einem mehr
weniger idealen Notverband ins Feldlazarett eingelieferten
Verwundeten genötigt, einen anderen, einen umfänglicheren
Verband zu machen, vielleicht auch eine genauere Unter¬
suchung auf Mitverletzungen vorzunehmen, eine bekämpfungs¬
bedürftige Blutung zu stillen, ein zertrümmertes Gewebsstiick
zu entfernen u. dgl. m.; kurz wir müssen, auch ohne dass ein
eigentlicher operativer Eingriff nötig ist, an der Wunde mani¬
pulieren; so wird damit bereits die sekundäre Asepsis der
Wunde sehr in Frage gezogen. Gewiss wird auch hierbei nie¬
mand die Wunde direkt mit den Händen anfassen, sondern
nur mit sterilisierten bzw. mit desinfizierten Instrumenten;
aber die neben der Wunde liegende Haut wird von der Hand
des Arztes berührt, um event. eine abnorme Beweglichkeit des
betreffenden Gliedes festzustellen, die Instrumente werden mit
unserer Hand angefasst und nachher nicht genügend in der Eile
und im Drange der vielen Arbeit desinfiziert und sterilisiert
kurz die Hand auch des nur konservative Kriegschirurgie
in Gestalt von Verbinden der Wunden treibenden Arztes muss,
wenn sie nicht allmählich zu einer bedeutenden Gefahr der
bis dahin noch leidlich aseptischen Wunde werden soll, ge¬
fahrlos, d. h. selbst aseptisch sein und es dauernd bleiben.
Schon die durch weitgehendste Noninfektion gepflegte Hand
des Friedenschirurgen ist ja durch keine der vielen bekannten
Desinfektionsverfahren keimfrei zu machen; es mag praktisch
richtig sein, dass die durch Abstinenz und Pflege genugsam
vor pathogenen Mikroben geschützte Hand des Friedens¬
chirurgen durch die keimarmmachenden Verfahren der Dcs-
) Nach einem an dem I. Kriegssanitätswissenschaftlichen Vor¬
tragsabend des VI. Armeekorps in Pont-Faverger am 20. X. 14 ge¬
haltenen Vortrage.
2352
Nr. 49.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
infektion und namentlich durch die Härtung der obersten Haut- ]
Schicht beim Alkoholverfahren genugsam für kleinere Eingriffe,
wie es oft das Verbinden frischer Wunden darstellt, vor¬
bereitet sei — ich persönlich stehe übrigens nicht auf diesem
Standpunkte — , und dass man sagen kann, mit keimfrei ge¬
machten Instrumenten und desinfizierter Hand sei man im¬
stande, auch grosse Wunden völlig keimfrei zu verbinden.
Nicht so im Kriege; die ganz natürlich mangelnde Handpflege,
die beim Truppenarzt und mehr weniger auch bei den Aerzten
aller anderen vorgeschobenen Sanitätsformationen bis zum un¬
mittelbaren Beginn der ärztlichen Tätigkeit unvermeidliche Be¬
rührung mit Pferd und anderen Dingen machen m. E. jedwede
sogen. Desinfektion der Hand völlig illusorisch. M. E. ist
für jede kriegschirurgische ärztliche Leistung vom Verbinden
der einfachen Wunde an der sterile Gummihandschuh un¬
bedingtes Erfordernis. Dem ist ausgiebig Rechnung getragen,
indem im Feldlazarett und bei der Sanitätskompagnie je
30 Paar sterile Gummihandschuhe zur Verfügung stehen; auch
der Truppenarzt verfügt über 10 Paar. Ein mit Talkum ein¬
gepuderter steriler Gummihandschuh — so werden die Hand¬
schuhe vom Sanitätsdepot geliefert — . trocken auf die event.
völlig undesinfizierte Hand gezogen, kann, wenn auch beim
Anziehen kleine Verstösse gegen die Asepsis Vorkommen, wie
auch sonst stets während des Verbindens, durch Waschen und
kurzes Abbürsten in Sublimatlösung schnell und absolut
wieder keimfrei gemacht werden. Es stehen dem Etappen¬
sanitätsdepot 300 Paar Gumminhandschuhe zum Ersatz zur
Verfügung, doch sind die Bestände während des Feldzuges
noch erhöht worden. Werden nicht zu dünne Gummihand¬
schuhe verwandt — die etwas dickeren sind überhaupt nach
jeder Richtung hin den ganz feingummigen Handschuhen vor¬
zuziehen — , so können diese leicht mit Gummiflecken und
Gummilösung völlig bakteriendicht geflickt werden, wodurch
selbst bei allseitigem Gebrauch der Verbrauch ap Handschuhen
kein abnorm grosser wird.
Ueber die Sterilisierung der Instrumente, des Naht¬
materiales und der Verbandstoffe brauche ich kein Wort zu
verlieren; man kann hier völlig, namentlich im Feldlazarett,
die absoluteste Asepsis wahren; darauf hingewiesen sei nur,
dass es mit Hilfe der ungemein praktischen Feldsterilisier¬
geräte, die ja bei Sanitätskompagnie und Feldlazarett in je
zwei Exemplaren vorhanden sind, sehr gut möglich ist, die
Gummihandschuhe in strömendem Dampf zu sterilisieren, da
sie ja beim Kochen zu schnell weiten.
Der Verbandwechsel einer einmal aseptisch verbundenen
Wunde ist oft in den ersten Tagen unnötig, ja schädlich. Um
die Verwundeten auch vor diesen Schädigungen möglichst zu
bewahren, sollen die den ersten Verband machenden Aerzte
auch bei ungünstigen und ungünstigsten äusseren Verhältnissen
bemüht sein, die so ungemein praktischen Wundtäfelchen aus¬
zufüllen und anzubringen. Ich scheue mich nicht, zu sagen,
dass diese kleinen Kärtchen eine recht bedeutsame Rolle auf
diese Weise in der Technik unserer kriegschirurgischen
Aseptik haben. Vielleicht wäre es praktisch, um eine einheit¬
lich und zweckmässige Ausfüllung anzustreben und die Aus¬
füllung zu erleichtern, auf dem Deckel jedes Wundtäfelchen-
Blockes ein probeausgefülltes Täfelchen anzubringen. Mancher
unnötige, ja schädliche Verbandwechsel wird durch die richtige
Ausfüllung dieser kleinen Täfelchen vermieden.
In der objektiven Asepsis der Wunde und der ihr an¬
grenzenden Hautpartien spielt in den letzten Jahren ja die
Jodtinkturdesinfektion und die Bakterienarretierung eine grosse
Rolle und steht ihre Zweckmässigkeit im Mittelpunkte der
Diskussion. Ob die Jodtinktur wirklich eine weitgehende Ab¬
tötung der Hautmikroben verursacht, oder ob hier nur eine
Gerbung der Haut und damit eine Arretierung der Bakterien
der Erfolg ist, lasse ich dahingestellt. Gerade wir Gynäko¬
logen mit unseren mannigfachen, nicht ex causa vitali indi¬
zierten Laparotomien haben frühzeitig auf eine möglichst voll¬
kommene Ausschaltung der Bauchhautmikroben hingestrebt.
Ich erinnere nur an das K ii s t. n e r sehe Gummituch und an
das D ö d e r 1 e i n sehe Gaudanin; mit beiden Methoden ist bei
nicht zu lange dauernder Operation eine Ausschaltung und
Fernhaltung der Hautmikroben möglich. Eigene Beob¬
achtungen haben mich aber gelehrt, dass beim Gaudanin in
den Tagen p. op., beeinflusst durch Schweiss- und andere
Sekretion, eine Abhebung der dünnen Gummihaut häufig ein-
tritt, und dass dann doch wie in einer feuchten Kammer ge¬
radezu eine Mikrobenanreicherung statthaben kann, die auch
gelegentlich zu Störungen der Wundheilung führt. Solche sind
denn auch erst ausgeblieben, als wir systematisch gleich nach
der Operation das Gaudanin mit Benzin oder Aether wieder
entfernten. Aus ähnlichen Gründen möchte ich gewisse theo¬
retische Bedenken gegen das jetzt so viel empfohlene Mastisol
haben, dem ja allerdings v. O e 1 1 i n g e n nachrühmt, dass es
im Gegensatz zum Gaudanin sich nicht abhebe und abblättere;
doch kann ich mir nicht recht vorstellen, dass nicht doch
einer Verlegung der Talgdrüsen durch Mastisol und damit so'
einer gelegentlichen Pustelbildung und folgenden Infektion
Vorschub geleistet werden kann. Wenigstens sah solches!
H e y m a n n, wie er kürzlich berichtete.
Nehmen wir dagegen an, dass auch die Jodtinktur selbst
nur durch eine zeitweise Gerbung und Bakterienarretierung
wirke, so wäre diese — ich selbst bin übrigens von ihrer;
hohen, auch in die Tiefe gehenden Desinfektionskraft schon:
seit v. Mikulicz überzeugt — zu bevorzugen, weil es bei
glatten Gewehrschusswunden namentlich wohl nur auf einen
Schutz der Wunde gegenüber den Mikroben der Umgebung!
während einer gewissen Zeit ankommt; dies leistet die Jod¬
tinktur, welche — von wenigen Idiosynkrasien abgesehen
den physiologischen Stoffwechsel der Haut nur für eine vor¬
übergehende Zeit brachlegt.
Aus dem Reservelazarett B Marsfeldschule München.
Ueber Nervenverletzungen*).
Von Dr. med. Georg Hohmann in München.
Wir sahen bisher relativ häufig periphere
L ä h m ungen bei den Schussfrakturen, vor allem viele
Radialislähmungen bei den Humerusfrakturen, die j^
dem Chirurgen schon länger bekannt sind. Mehrere Pa¬
resen der Nerven, wie z. B. des Ischiadikus bei querem
Durchschuss durch den Oberschenkel oder des Radialis durch
den oberen Teil des Oberarmes gingen spontan in einigen
Wochen zurück. Der Nerv war offenbar nur gequetscht
worden. Die zweithäufigste Nervenverletzung
sahen wir am Peroneus und T i b i a 1 i s in der Gegend
der Kniekehle.
Unser Standpunkt ist im allgemeinen bis jetzt ein ab-
wartender, konservativer gewesen. Die Beobachtungen
bei operativem Vorgehen in folgenden 6 Fällen aber sind
vielleicht geeignet, das Abwarten nicht zu sehi
zu verlängern:
F a 1 1 I. Bei einer Peroneuslähmung mit trophischen Ge¬
schwüren am Aussenrande des Fusses und an der Sohle und tronhi-
schem Oedem des unteren Teiles des Unterschenkels legten wir (gc-l
meinsam mit Dr. A. M u e i 1 e r) den Nerven frei und fanden das
periphere Ende des auf eine Strecke von etwa 6 cm vollständig
durchtrennten Peroneus superficialis gelbgrün verfärbt
stark aufgequollen, aufgefasert und ganz morsch, so dass an eine Naht
nicht zu denken war. Auch das zentrale Ende war etwas verfärbt
und mit der Knochennarbe des Fibulaeinschusses fest verwachsen
Es wurde herausgelöst und in einen Schlitz des Musculus neroneus
implantiert, um vielleicht eine Neurotisation nach dem Beispiele
Heinekes und Erlachers zu erreichen. Der Peroneus profun-
dus wurde ebenfalls aus dem Narbengewebe herausoränariert: elek¬
trische Reizung des zentral der Narbe gelegenen Abschnittes währent
der Operation war negativ.
Fall II. Bei einer weiteren Peroneus-tibialis-Läh
in u n g infolge Durchschuss in der Gegend der Femurkondvlen war
Wochen nach der Verletzung noch keine Wiederkehr der moto¬
rischen und sensiblen Funktion eingetreten. Bei der Operation zeigti
sich der Ischiadikus in der Gegend der Teilung in Tib'Mis uncfJ
Peroneus in eine derbe Narbenmasse eingebettet. Ein den
Bizeps angehörender losgerissener Muskelzipfel war mit dem Pero¬
neus narbig verwachsen Beide Nerven wurden aus der ausser
ordentlich festen Narbcnmassc, die an der unteren Seite mit dei
Scheide der grossen Gefässc fest verwachsen war, herauspräpariert
Es zeigte sich, dass der Peroneus in seiner Kontinuitä
vollständig erhalten, also nur durch die Narbenmasse kom
primiert, abgeschnürt war, dass dagegen der Tibialis sich bi'
I
) Nach einem Vortrag im Aerztlichen Verein am 28. X. 14
5.
Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
jui etwa ein Drittel seines Volumens quer durchrissen
zeigte. Mit dem elektrischen Strom liess sich sowohl Tibialis wie
Peroneus erregen. Der Tibialis wurde mit feinster Seide vernäht,
und ein Fettlappen unter ihm befestigt. Nach 14 Tagen begann
ier Tibialis sich deutlich zu erholen, Plantarflexion, T i -
Halis posticus und Zehenbeuger arbeiten jetzt kräftig
und machen gute Fortschritte; in dem vom Peroneus versorgten
Muskeln ist bis heute noch keine aktive Wirkung zu sehen,
dagegen lässt sich jetzt der Tibialis anticus galvanisch
erregen, die Musculi peronei aber noch nicht, ln diesem Fall hoffen
wir auf ein gutes Resultat.
Fall 111. Ein Schrapnellschuss in der Mitte des Oberschenkels
hatte eine Lähmung des Nervus tibialis mit partieller Ent-
irtungsreaktion in den üastrocnemii und heftigen neuralgischen
Schmerzen an der Aussenseite des Fusses, dem Ver¬
sorgungsgebiet des sensiblen Astes des Tibialis
ninterlassen. Da die Schmerzen und die Lähmung nach 8 Wochen
noch nicht zurückgingen, und der Patient wegen der Beschwerden
nicht gehen und auch nicht schlafen konnte, entschlossen
wir uns zur Operation, und fanden den Tibialis in der Mitte
des Oberschenkels in derbes Narbengewebe ein¬
gebettet. Der grösste Teil des Nerven war in der Kon¬
tinuität erhalten, der elektrische Strom brachte aber keine
Zuckung in den betreffenden Muskeln hervor. An der medialen
Seite fand sich ein kleiner Teil des Nerven in der Kontinui¬
tät getrennt, mit dem zentralen Ende fest mit der Narbe und
nit der Muskelfaszie verwachsen. Auch das periphere Ende war in
Narbengewebe eingebettet. Es war mit dem elektrischen Strom
nicht erregbar. Nach Anfrischung der beiden Enden und Mobili¬
sierung derselben gelang es bei Beugung des Kniegelenkes ohne be¬
sondere Spannung die Naht auszuführen Heute nach 8 Tagen
können wir feststellen, dass die bisherigen neuralgischen
Schmerzen an der lateralen Seite des Fusses ver¬
schwunden sind, der Patient klagt nur über zeitweises Auftreten
von durch das ganze Bein durchgehenden zuckenden Schmerzen,
die vielleicht mit der beginnenden Regeneration Zusammen¬
hängen.
Fall IV. Durchschuss durch den Plexus bra¬
ch i a 1 i s unterhalb der Klavikula. Ausschuss hinten im
Schulterblatt, totale Lähmung des ganzen rechten Armes. Anfangs nicht
die geringste Beweglichkeit möglich, im Laufe von etwa 8 Wochen
stellte sich eine gewisse aktive Beweglichkeit im Gebiete des Nervus
nedianus ein, und zwar eine aktive Beugung der Finger und Oppo¬
sition des Daumens, sowie eine Beugung im Handgelenk durch den
flexor carpi radialis. Sonst im ganzen Arm keine Beweglichkeit,
^ähmung des Bizeps, Trizeps, Deltoideus. Hebung der Schulter bis
zur Horizontalen wird mit Hilfe des Serratus ausgeführt. Die Schul-
erblattmuskeln, sowie Pektoralis und Latissimus dorsi sind erhalten.
Sensibilität ist überall bis auf eine engbegrenzte Zone im Bereich des
Handrückens erhalten. Träge Zuckungen im Bizeps und Deltoideus,
etwas weniger träge im Trizeps. Es handelt sich also um eine totale
^ähmung des Radialis, Ulnaris, Musculocutaneus und Axillaris und um
eine partielle Lähmung des Medianus. Der Sitz der Lähmung ist im
Bereich der Wurzeln des Plexus in der Mohren heim-
schen Grube zu suchen. Da sich seit Wochen trotz elektrischer
und Massagebehandlung im Zustande des Armes nichts mehr änderte,
schritten wir zur Operation. Ich legte den Plexus in der Mohren-
b e im sehen Grube mit einem grossen Schnitt frei und fand alle
3 Wurzeln des Plexus brachialis entsprechend der Stelle der Ein¬
schussöffnung in Narbengewebe fest eingebettet. Die Nervenstämme
waren nicht nur unter sich mit Narbengewebe fest verbunden, son¬
dern ebenso auch mit der Scheide der Arteria subclavia, von der ich
eden einzelnen mit ziemlicher Mühe abpräparieren musste. An der
Stelle der Narbe zeigten die 3 Nerven keine volle Trennung der Kon¬
tinuität, sondern der eine wies einen Durchschuss auf, der andere
zeigte eine geringe Verletzung am Rande, so dass eine Nervennaht
licht in Frage kam, sondern die Operation lediglich in der Entfernung
des die Nerven strangulierenden festen Narbengewebes und ihrer
Isolierung von der Arterie bestand. Jetzt nach 2 Wochen ist schon
eine wesentlich kräftigere Funktion der vom Medianus versorgten
Hand- und Fingermuskeln festzustellen.
Fall V. Isolierte Radial islähmung nach Schussfraktur
des Humerus in der Mitte. Einschuss vorn im Winkel zwischen Pek-
oralis und Humerus, Ausschuss in der Mitte des Humerus an der
iusseren hinteren Seite entsprechend der Umschlagstelle des Radialis.
Dicker Kallus fühlbar. Fraktur konsolidiert. Das ganze Radialgebiet
nit Ausnahme des Trizeps völlig gelähmt. Träge Zuckung der peri-
iher der Ausschussstelle gelegenen vom Radialis versorgten Muskeln
nit Ausnahme des Extensor digit. communis, der etwas prompter
zuckt. Diagnose: Radialisverletzung in der Höhe des Ausschusses.
Da 8 Wochen nach der Verletzung kein Rückgang der Lähmung,
Dperation, Freilegen des Nerven zwischen dem Caput laterale und
nediale des Trizeps. Der Nerv ist an der Umschlagstelle von derber
^allöser Narbe eingeschlossen, am Knochen mit seiner Scheide ad-
lärent. Nach der Entfernung des ihn bedeckenden Narbengewebes
sieht man, dass er in einer etwa bleistiftdicken Halbrinne des Humerus
legt, im Gebiete des Kallus. Spitze Knochensplitter am Rande der
Rinne werden entfernt, der Nerv selbst ist unverletzt. Zur Vermei-
lung einer neuen Verwachsung wird ein Muskellappen aus dem Caput
2353
mediale des Trizeps unter ihm durchgezogen und mit dem Caput
laterale vernäht, so dass zwischen Knochen und Nerv sich eine Mus¬
kelschicht befindet.
Fall VI. Isolierte Peroneuslähmung im unteren
Drittel des Oberschenkels. Die Muskeln geben träge, Zuckung; nach'
9 Wochen keine Aenderung des Zustandes. Die Freilegung des Ner¬
ven In der Höhe von Ein- und Ausschuss ergibt keinerlei Verletzung
desselben in dieser Strecke, dagegen zeigt sich, dass der Peroneus
etwa 3 Vi Querfinger breit peripher vom Schusskanal verändert ist.
Er zeigt hier eine knollige Verdickung, ist seitlich mit queren Narben¬
zügen fixiert und narbig mit dem Tibialis verwachsen. Eine über
bohnengrosse derbe Verdickung sitzt ihm an der dorsalen Seite auf;
nach deren Exzision zeigt sich der ganze Nerv in einer Ausdehnung
von etwa 3 cm von narbigen Massen durchsetzt. Unverletzte Ner¬
venfasern kommen nicht zu Gesicht. Deshalb Resektion dieses gan¬
zen Stückes aus der Kontinuität des Nerven. Mobilisierung des zen¬
tralen und peripheren Endes und Vereinigung mit feinster Seide bei
fast rechtwinkliger Beugung des Kniegelenkes. Naht des Fett¬
gewebes über dem Nerven. Elektrische Reizung während der Opera¬
tion war zentral und peripher von der Narbe negativ. Mikro¬
skopische Untersuchung der exzidierten Stücke (Prof. Obern¬
dorfer): Das grössere dem Nerven aufsitzende Stück ist ein Nar¬
benneurom, in dem äusserst derben Narbengewebe finden sich zahl¬
reiche, teils noch in Bündeln vereinigte, teils durch das Bindegewebe
dissoziierte Nervenfasern, die aber in verschiedener Rich¬
tung verlaufen. Das aus der Kontinuität des Nerven exzidierte 3 cm
lange Stück zeigt ein ähnliches Bild, höchstgradig durch narbiges
Schrumpfgewebe durchsetztes und auseinandergesprengtes Nerven¬
gewebe, das sich aber nur in der einen Hälfte des Stranges findet,
während die andere nur Narbengewebe darstellt. Das Narben¬
neurom sass dem zentralen Ende des getrennten Nerven auf
Unsere 6 Operationen zeigen ebenso wie die Befunde von
4 weiteren inzwischen vorgenommenen Operationen, dass
ein zu langes Hinausschieben der Operation nicht immer be¬
rechtigt ist, denn grosse Substanzverluste des Nerven werden
wohl kaum überbrückt werden, und das kallöse Narbengewebe
dürfte, wie der mikroskopische Befund des Falles 6 sowie
einiger weiterer Fälle zeigt, eine Wiederkehr der Funktion
vollständig ausschliessen, so dass es wohl berechtigt erscheint,
wenn man 6 — 8 Wochen nach der Verletzung, wenn der frak-
turierte Knochen konsolidiert, wenn die äussere Wunde geheilt
und damit keine Infektionsgefahr besteht, den Nerven freilegt
und entweder die Naht oder die Entfernung der Narbe oder des
Knochenkallus vornimmt. Die mikroskopischen Befunde der
aus der Kontinuität des Nerven exzidierten narbig veränderten
Stücke sprechen weiter dafür, die Operation nicht auf die
Lösung der einschliessenden Narbe zu beschränken, sondern
das knollig verdickte, narbig degenerierte Stück aus der
Kontinuität zu resezieren und die gesunden Enden zu nähen,
da voraussichtlich durch die Narbe für alle Zeit eine Nerven¬
leitung verhindert wird. Weitere Beobachtungen über diese
Frage sind jedenfalls von entscheidender Bedeutung für das
ganze nervenchirurgische Vorgehen.
Schussverletzungen der Kiefer und ihre Behandlung*).
Von Jul. Steinkamm, Zahnarzt des Reservelazaretts
Essen-Ruhr.
Es liegt in der Natur der modernen Kriegsführung, dass
die Verletzungen des Kopfes, als dem meist ungedeckten Teil
des Körpers, sehr zahlreich sind. Die letzten Feldzüge, russisch-
japanischer, südafrikanischer und Balkankrieg, haben dies be¬
reits deutlich ergeben. Weit häufiger als es auf den ersten
Blick scheinen mag, sind bei den Kopfverletzungen die Kiefer
beteiligt. Auf diese- Beobachtung ist auch die Neuschaffung
von Feldzahnärzten zurückzuführen, die in diesem Kriege zum
ersten Male im Sanitätswesen des deutschen Heeres eingereiht
sind, ln den wenigen Wochen, seitdem die ersten Ver¬
wundeten hier eintrafen, behandelte ich im hiesigen Reserve¬
lazarett bereits über 45 Fälle von Kieferfrakturen. Die Be¬
handlung der Kieferfrakturen, welche häufig mit grossen Sub¬
stanzverlusten einhergehen, mit gutem Erfolg durchzuführen,
ist dem Zahnarzt Vorbehalten. Die Frakturen und Verstümme¬
lungen der Kiefer zeitigen bei sich selbst überlassener Heilung
die traurigsten Resultate. In den meisten Fällen führen sie
*) Nach Vorträgen, gehalten in der wissenschaftlichen Abteilung
des Aerztlichen Vereins für ärztliche Fortbildung in Essen und in
der Medizinischen Gesellschaft in Bochum.
2354
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 49.
durch die durch den Unfall bedingte Unterernährung zur In¬
validität.
Die klinische Diagnose bietet in den meisten Fällen keine grossen
Schwierigkeiten. Ausser den bekannten Symptomen einer Fraktur
ist häufig ein Schiefstehen der Zahnreihen zu beobachten. Beim
Schliessen der Kiefer bringt der Patient die Zähne oft nicht mehr in
die normale Artikulation, d. h. die Zahnreihen greifen nicht mehr in¬
einander.
Bei der Behandlung der Kieferfrakturen ist folgendes zu be¬
achten: In erster Linie muss bei einfachen wie komplizierten Frak-
tmen die Erhaltung der funktionellen Fähigkeit, d. h. die urspriing-
Fig. 1. Drahtverband mit linksseitiger schiefer Ebene nach Sauer.
Fig. 2. Linksseitige Zinnscharnierschiene (Unterkiefer) nach Hauptmeyer.
liehe genaue Stellung zum Qegenkiefer als oberster Grundsatz gelten.
Es greifen dann die Zähne der Fragmente oder übriggebliebenen
Stümpfe in die des Gegenkiefers ein, und so wird die Kaufähigkeit
erhalten. Ist die Fraktur auch mit dem Verlust von Zähnen begleitet,
so ist es leicht, später nach Heilung die fehlenden Zähne durch eine
funktionsfähige Prothese zu ersetzen. Beiläufig bemerke ich aus¬
drücklich, dass naturgemäss alle Fragmente erhalten bleiben müssen
und selbst lose Zähne durch die Schienen zu stützen sind. Geht der
Zahn auch selbst später verloren, so erhält man aber damit oft das
Knochengerüst und bietet der später einzusetzenden Prothese hier¬
durch eine feste gute Grundlage. Es ist dies ausserordentlich wert¬
voll für einen gut funktionierenden Zahnersatz.
In zweiter Linie ist erst die Beseitigung der Kontinuitäts¬
trennung anzustreben. Dass diese sogar in gewissen Fällen bei
grossen Substanzverlusten nicht erwünscht ist, ergibt sich aus
obigem Grundsatz: Die Kieferstümpfe in der alten ursprünglichen Lage
mit Rücksicht auf die Kaufunktion zum Gegenkiefer zu erhalten.
Dieser Grundsatz wird von Chirurgen, welche den Wert der zahn¬
ärztlichen Mitarbeit bei Kieferresektionen erkannt haben, streng be¬
folgt. Es werden in solchen Fällen die Kieferstümpfe ln ihrer alten
früheren Lage fixiert, um die Kaufunktion unter Verzicht auf eine
Konsolidation zu erhalten. An einem Beispiele will ich dies kurz
erläutern: Geht bei einer Resektion das Kinnmittelstück auf zirka
4 cm verloren, so werden die Bruchenden nicht durch Knochennaht
Fig. 3. Fixationsschiene für totale Oberkieferfrakturen nach Kühns.
Fig. 4. Oberkieferschiene wie Fig. 3 angelegt am Patienten.
(Patient hat ausser der Oberkieferfraktur eine doppelte rechtsseitige Unterkieferiraktur.
Er trägt gleichzeitig im Unterkiefer eine Zinnschiene mit linksseitiger schiefer Ebene, die
durch den halbgeöffneten Mund sichtbar ist.)
vereinigt, sondern durch einen zahnärztlichen Fixationsapparat, der
an den Zähnen befestigt ist, auseinandergehalten. Würden die
Kieferstümpfe vereinigt, so wäre sehr schnell eine Konsolidation er¬
reicht, aber die Zähne des nunmehr spitzwinkligen Unterkiefers
artikulierten nicht mehr mit denen des Oberkiefers. Es wäre jede
Kaufunktion aufgehoben.
Je früher die Behandlung einsetzt, desto günstiger und voll¬
ständiger ist der Erfolg. Dieser Grundsatz gilt auch bei den Kiefer¬
frakturen. Aus dieser Erwägung heraus gehen auch die Feldzahn-
Feldärztliche Beilage zur Münch, nied. Wochenschrift
2355
S. Dezember 191-4.
iirzte mit bis zur Front. Sie schienen die Brüche provisorisch und
verhüten auf diese Weise eine stärkere Dislokation der Fragmente.
Fine Röntgenaufnahme ist bei den Kieferfrakturen unerlässlich.
Durch sie erhalten wir Aufschluss über den Verlauf der Fraktur und
können hiernach die Anfertigung der Apparate einrichten.
Die Dauerverbände benutzen zur Fixation die Zähne als Stütz¬
pfeiler. Vermittels Gipsabdriicken stellt man die Modelle der Kiefer
her. Ober- und Unterkiefer werden nun in einem besonderen Appa¬
rate (Artikulator) in die genaue Stellung des Aufeinanderbisses ge¬
bracht. Alsdann wird die Fixationsschiene angefertigt. Es würde
zu weit führen, wollte ich die Hauptapparate aufzählen oder gar
näher beschreiben. Ich darf nur noch erwähnen, dass ausser den
einfachen Drahtverbänden (Fig. 1) die Fixationsschienen aus
chemisch reinem Zinn, wie sie von Hauptmeyer eingeführt, sich
sehr bewährt haben (Fig. 2).
Die Fixierung der Unterkieferbrüche ermöglicht sich durch
Schienung der Fragmente untereinander oder mit Unterstützung der
von Sauer angegebenen Schienenebene, die rechts- oder linkseitig
am Oberkiefer vorbeigleitet. Durch diese wird eine Feststellung der
Fragmente in der alten, artikulierten Stellung zum Oberkiefer er¬
möglicht. Bei partiellen Oberkieferfrakturen findet man meistens
Stützpunkte zur Fixation auf der gesunden Seite. Frakturen des
ganzen Oberkiefers müssen durch Gebissprothesen fixiert werden
(Fig. 3). An diesen sind Drähte befestigt, die beiderseitig vom
Munde nach aussen führen und dort durch Gummizüge und Kopf¬
kappen an der Schädelbasis befestigt werden (Fig. 4).
J Die Schienen müssen 28 — 42 Tage liegen. Das chemisch reine
Zinn wird ausserordentlich gut von der Schleimhaut vertragen und
bleibt auch auf Wunden reaktionslos. Einen Vorteil vor den Draht-
verbänden haben die Zinnschienen in der bedeutend einfacheren An¬
legung. Die Mundpflege ist besonders peinlich durchzuführen. Die
Patienten müssen Zähne und Schiene 2—3 mal täglich mit der Zahn¬
bürste und Paste reinigen und häufiger Mundspülungen mit den
üblichen Desinfizientien machen. Zum Putzen hat sich die Bioxzahn-
paste bewährt.
In einer weiteren Veröffentlichung behalte ich mir vor,
über die einzelnen Fälle, deren Behandlung und Resultate zu
berichten. Nur das will ich schon heute vorwegnehmen, dass
die Resultate sehr befriedigend sind. Schmerzen und Be¬
schwerden werden dem Patienten durch die Schienung ge¬
nommen. Das Heilverfahren wird abgekürzt und dadurch
verbilligt. Die Soldaten werden früher oder überhaupt erst
durch die Schienung wieder felddienstfähig. Ein voller Erfolg
ist um so sicherer, je früher die Patienten ohne Rücksicht auf
noch so schwere Weichteilverletzungen sofort zahnärztlicher
Hilfe zugeführt werden.
Aus dem Seuchenlazarett in Strassburg i. E. (Chefarzt: Prof.
Dr. v. Tabor a).
Zur Typhusdiagnose im Felde.
Von Feldunterarzt Dr. M. Rhein, Assistent des Lazaretts.
Wenn es darauf ankommt, aus einer grösseren Anzahl
typhusverdächtiger Mannschaften in kürzester Zeit die
sicheren Typhuskranken auszuscheiden, bildet die Diazoprobe
sine sehr wertvolle Stütze der klinischen Typhusdiagnose. Die
gebräuchlichen Ehrlich sehen Diazoreagentien sind zu um-
ständlich im Gebrauche, als dass sie der Truppenarzt im Felde
mwenden könnte. Nun besitzen wir aber in dem vor einigen
lahren von W e i s s angegebenen Permanganatverfahren eine
sehr einfache und zuverlässige Diazoreaktion *). Die W e i s s -
>che Probe wird folgendermassen angestellt:
Der zu untersuchende Harn wird im Reagenzglase soweit ver-
iünnt, dass die bestehende Harnfarbe beinahe verschwindet: gewöhn-
ich genügt dazu eine 2 — 3 malige Verdünnung. Zu dem so ver-
Jünnten Harn werden 3 — 10 Tropfen einer 1 prom. Kaliumperman-
sanatlösung zugefügt. Ist die Reaktion positiv, so tritt eine deut-
iche, goldgelbe Färbung auf; ist sie negativ, so tritt entweder gar
\eine Färbung oder nur eine leichte Bräunung auf. Die gelbe Farbe
»ei positivem Ausfall der Probe entsteht nach W e i s s infolge Oxy-
lation des Urochromogens, des Prinzips der Diazoreaktion, zu Uro-
dirom, dem normalen Harnfarbstoff.
Wie ich mich bei der Untersuchung des Harnes von un¬
gefähr 100 Typhusfällen überzeugen konnte, entspricht das
Resultat des Permanganatverfahrens immer dem der E h r -
ich sehen Probe. In manchen Fällen (10 Proz.), in denen
die Farbe des Schüttelschaumes zweifelhaft war, ergab sogar
die W e i s s sehe Probe sichern Diazo. Die Methode ist so
einfach, dass ich bei Tage nur noch nach ihr die Diazoprobe
anstelle. Bei künstlicher Beleuchtung ist allerdings der Aus¬
fall schwerer zu beurteilen als bei dem Ehrlich sehen Ver¬
fahren.
Die W e i s s sehe Probe kann noch weiter vereinfacht
werden, indem man anstelle der Permanganatlösung zu dem
im Reagenzglase 2 — 3mal verdünnten Harn ein Körnchen
Kaliumpermanganat zusetzt. Schüttelt man sofort nach. Zu¬
satz des Permanganats den Inhalt des Reagenzglases, so tritt
bei positiver Diazoreaktion eine prachtvolle, goldgelbe Farbe
auf. Bei negativem Ausfall dagegen entsteht nach einigen
Sekunden eine bräunliche Suspension. Die Mitführung eines
starkwandigen Reagenzglases und einer Schachtel Kalium¬
permanganat dürfte sich auch im Felde ermöglichen lassen.
Trockennährböden nach Doerr zur Typhus- und
Dysenteriediagnose.
Von Prof. Dr. d. Morgenrot h.
Die Errichtung zahlreicher Lazarette und Reservelazarette
bringt es mit sich, dass vielfach bakteriologische Laboratorien
improvisiert werden müssen. Dem Hilfspersonal mangelt es
häufig an Schulung und an Zeit zur Herstellung zuverlässiger
Nährböden; der Bedarf an solchen ist vielfach kein kontinuier¬
licher, sondern tritt schubweise auf. In erster Linie dürfte in
derartigen Laboratorien die Typhus- und R u h r d i a -
gnose in Betracht kommen.
Seit längerer Zeit verwende ich für die bakteriologische
Typhusdiagnose bei unserem Leichenmaterial sowie für Kurs¬
und Demonstrationszwecke Endo- und Drigalski-Conradi-
Nährböden, die nach dem Verfahren von Doerr von der
Chemischen Fabrik Bram in Leipzig hergestellt
und in Tablettenform in den Handel gebracht werden.
Die Fertigstellung im Laboratorium ist ganz ein¬
fach und vollzieht sich in wenigen Minuten. Die Tabletten
werden — am besten in steriler Reibschale — verrieben, mit
der entsprechenden Menge Wasser übergossen, unter Er¬
wärmen gelöst; die Lösung wird einmal auf freier Flamme
aufgekocht und in eine Petri- resp. Drigalskischale aus¬
gegossen.
Mein Urteil über die Nährböden kann ich dahin zu-
sammenfassen, dass sie nicht minder gut und zu¬
verlässig sind, als die im Laboratörium mit
Sorgfalt frisch bereiteten Kulturmedien. Die
Reaktionen der Typhus-, Paratyphus-, Dys¬
enterie-, Kolik ulturen sind absolut charak¬
teristisch.
Gegenwärtig benutze ich für die Differentialdiagnose bei
Dysenterie den Lackmusagar mit Zusatz von Maltose, Man-
rtit, Saccharose, gleichfalls in Tabletten, die sich sehr gut be¬
währen. Diese letzteren dürften sich auch bei grösseren
Betrieben empfehlen, wo man der Ersparnis wegen — wie
ich dies jetzt für klinische Diagnosen tue — die meisten Spe¬
zialnährböden selbst herstellt.
In neuerer Zeit lobt Russ (Zbl. f. Bakt. (Orig.) 73. 1914)
die Doerr sehen Nährböden wegen ihrer „leichten Trans¬
portfähigkeit, guten Lösbarkeit und einfachen Handhabung“;
sie seien gleichwertig mit den frisch bereiteten Nährmedien.
Ebenso günstig spricht sich B e i n tk e r (ebenda 74. 1914) aus,
der mit Recht empfiehlt, sich für plötzlich eintretenden
grösseren Bedarf einen „eisernen Bestand“ vorrätig zu
halten.
Endlich empfiehlt Galli-Valerio und S c h i f f m a n n
(ebenda 74. 1914) auf Grund eigener Erfahrungen die Nähr¬
böden auf das wärmste, auch den gewöhnlichen Nähragar (der,
wie alle Nährböden, ausser in Tabletten- auch in Pulverform
geliefert wird), Blutalkaliagar nach Dieudonne, Neutralrot¬
agar etc.
Die Kenntnis dieses recht wervollen technischen Fort¬
schritts dürfte manchem bakteriologisch tätigen Kollegen von
Nutzen sein.
) Bioch. Zschr. 30. 333. 1911.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2356
Nr. 49.
Bolus alba bei Paratyphus.
Von Dr. v. Wilucki, Marinestabsarzt und Schiffsarzt S.M.S.
„Posen“.
Bereits im Jahre 1905 habe ich der Anregung von Professor
S t u m p f folgend, gelegentlich einer Choleraepidemie in Qnesen drei
Cliolerakranke mit sehr gutem Erfolge mit Bolus alba behandelt.
Seitdem habe ich häufig akute Magen-Darmkrankheiten durch Bolus
alba stets schnell beseitigen können. Auch zwei Fälle von bazillärer
Ruhr, die ich während des Aufstandes in Ponape 1911 zu behandeln
Gelegenheit hatte, heilten durch Gaben von 150 g von der von Prof.
Stumpf empfohlenen Bolusaufschwemmung sehr schnell. Jüngst
habe ich Bolus alba auch bei zwei sicheren Paratyphuskranken, die
zwar keine klinischen Erscheinungen mehr boten, die aber noch nach¬
weislich Bazillenträger waren, durch Bolus alba von den Krankheits¬
erregern befreit. Ich glaube, dass weitere Versuche bei dieser Er¬
krankung, die im Felde häufig genug beobachtet werden wird, zu
empfehlen sind. Einen kurzen Auszug aus den Krankengeschichten
füge ich bei.
Fall 1. Torpedomaschinistenmaat G., 24 Jahre alt.
Am 17. JX. Klagen über Kopfschmerz, Appetitlosigkeit, Frösteln.
Vorübergehend Gliederschmerzen in Ober- und Unterschenkeln.
Schwindelgefühl Kein Erbrechen.
Am 18. IX. Schiffslazarett: Befund: mittelgrosser Mann
von mässigem Ernährungszustand. Hautfarbe blass-gelblich. Zunge
stark belegt, trocken. Herz und Lungen o. B. Leib leicht auf-
getrieben, Nabel- und Unterbauchgegend druckempfindlich; Leber
nicht vergrössert, Milz nicht zu tasten. Blinddarmgegend frei. Stuhl
durchfällig, ca. 6 Entleerungen am Tage, braungefärbt, schleimig.
Urin: E. +. Temperatur steigt gegen Abend auf 39,2 (ax).
Diagnose: akuter Darmkatarrh (Verdacht auf Paratyphus).
Therapie: Bettruhe, Leibbinde, Diät, Einlauf. 15 Tr. Tct. Opii.
24. IX. Die subjektiven Beschwerden Hessen nach; Stuhlent-
leeri'ngen nehmen an Häufigkeit ab; Konsistenz breiig. Gestern
nachm. Brechreiz.
Paratyphus B im Stuhl nachgewiesen.
Therapie: Bettruhe, Diät; Tannineinläufe, täglich 1 mal 15 Tr.
Opium.
26. X. Völliges subjektives Wohlbefinden. Stuhl in Form und
Konsistenz normal.
27. X. Stuhl: Paratyphus B +.
G. wird trotzdem unter entsprechenden Kautelen dienstfähig ent¬
lassen.
Versuchsweise 3 mal 0,2 pro die Yatrenpulver (per os), um die
Bazillenausscheidung zu bekämpfen.
Am 30. IX. und 7. X. trotz fortgesetzter Yatrendosen Para¬
typhus B im Stuhl.
18 X. Bolus alba 3 mal täglich 1 Esslöffel.
19 X. Bolus alba 3 mal täglich 1 Esslöffel.
23 X. Stuhl Paratyphus B negativ.
Fall 2. Bootsmaat K., 25 Jahre alt.
22. IX Seit ein paar Tagen Leibschmerzen, Durchfall, Druck in
der Magengegend, Aufstossen.
Schiffslazarett: Zunge etwas belegt, Schmerzen in der
oberen Bauch- und Nabelgegend. Stuhl leicht diarrhoisch, braun¬
gefärbt, mit Schleim vermischt. Sonst keine krankhaften Erschei¬
nungen.
Im Stuhl Paratyphus B +.
Therapie: Diät, Einlauf, Bettruhe.
23 und 24. IX. Erbrechen, Leibschmerzen geringer.
26. IX. Völlig subjektives Wohlbefinden. Stuhl geformt.
Dienstfähig entlassen unter den üblichen Vorsichtsmassregeln.
25. IX. Stuhl Paratyphus B +.
1. X. Stuhl Paratyphus B + trotz Yatren 3 mal 0,2 pro die.
Ab 18. X. Bolus alba 3 mal täglich 1 Esslöffel.
Ebenso am 19. X.
Am 23. X. Stuhl frei von Paratyphus B.
Ueber einen glücklichen Verlauf eines Diametralschusses
des Halses.
Von Dr. Mühlenkamp, Spezialarzt für Hals-, Nasen- und
Ohrenkranke am Augusta-Krankenhaus in Düsseldorf.
Otto Werner, geb. 30. April 1891, Reservist des Pasewalker
Kürassierregiments, wurde bei einer Reiterattacke in der Nähe von
Brüssel durch einen Halsschuss verletzt; 8 Tage nach der Verletzung
wurde er von mir am 25. August zum ersten Male untersucht. In der
Anamnese gibt Patient an, nach dem Schuss vom Pferde gestürzt
und nur einen Moment bewusstlos gewesen zu sein. Die überaus
stark blutenden Schusswunden hatte er länger als eine Stunde, mit
den beiden Daumen stark drückend, zugehalten. Nachdem er so
eine Stunde in einem Rübenfelde gelegen hätte, sei er nach dem Ort,
von wo aus der Angriff stattgefunden habe, zurückgekehrt. Hier
wurde er verbunden und 8 Tage später von mir zum ersten Male
untersucht. Die laryngoskopische Untersuchung ergab eine Spaltung
des linken Stimmbandes, wie in nebenstehender Figur angedeutet ist.
Es besteht eine komplette linksseitige Rekurrenslähmung. Die Ein-
und Ausschussöffnung innerhalb des Kehlkopfes sind deutlich sichtbar.
Das rechte Stimmband ist unversehrt und kurz oberhalb seiner Basis
Erneuerte Einschuss¬
öffnung innerhalb
des Kehlkopfes.
}
Ausschussötfnung inner¬
halb des Kehlkopfes.
befindet sich die erneuerte Einschussöffnung innerhalb des Kehlkopfes.
8 Tage später fand ich bei der Untersuchung des Kehlkopfes, dass die
Spaltung des Stimmbandes verschwenden war und der losgelöste
Teil des Stimmbandes sich wieder angegliedert hatte. Die Einschuss¬
öffnung und Ausschussöffnung innerhalb des Kehlkopfes waren mit
einem dicken Granulationswall umgeben. Die Rekurrenslähmung hat
sich noch nicht zurückgebildet. Die äussere Ausschussöffnung am
Halse eitert noch, wohingegen die äussere Einschussöffnung bereits
vernarbt ist. Nach weiterem Verlauf von 8 Tagen war auch die Aus¬
schussöffnung innerhalb des Kehlkopfes vernarbt. Die Einschuss¬
öffnung innerhalb des Kehlkopfes ist jedoch noch immer mit einem
dicken Granulationswall umgeben. Auch die Ausschussöffnung am
Halse ist noch eitrig belegt und sezerniert noch. Nach einigen Tagen
trug ich den Granulationsw'all innerhalb des Kehlkopfes ab und ätzte
diese Stelle. In die äussere Halswunde wurde etwas Tinct. Jodi
gespritzt, welches der Patient wieder ausspuckte. Nach einigen
Tagen war auch die äussere Halswunde und die Einschussöffnung
innerhalb des Kehlkopfes vernarbt. Interessant ist an diesem Falle,
1. dass sich der Patient durch die Tamponade mit den Daumen wahr¬
scheinlich das Leben gerettet hat, 2. die eigentümliche Sprache des
Patienten, bedingt durch die Rekurrenslähmung, und dass der Patient
gewissermassen 3 Stimmbänder hatte. Interessant war ferner, be¬
obachten zu können, wie der losgelöste Teil des Stimmbandes sich
nach und nach wieder angliedcrte und die Ausschussöffnung am Halse
sich erst schloss, nachdem innerhalb des Kehlkopfes der Granulations¬
wall abgetragen war. Die Rekurrenslähmung besteht leider immer
noch, jedoch hoffe ich. dass dieselbe mit der Zeit durch Elektrisieren
auch verschwinden wird.
Zur Bekämpfung der Infektion durch den Bacillus
pyocyaneus.
Von Sanitäts-Oberleutnant Dr. Karl Bollag in Basel.
Anlässlich eines Besuches in verschiedenen Militär¬
lazaretten hatte ich mehrfach Gelegenheit, Infektionen mit
Pyozyaneus zu beobachten und begegnete dabei sehr ver¬
schiedenen Anschauungen in bezug auf die Bekämpfung dieser
lästigen Begleiterscheinung im Wundverlauf.
Der Bacillus pyocyaneus ist bekanntlich ein sehr häufiger
Gast auf der menschlichen Haut und zwar namentlich an
Stellen mit grösserer Schweisssekretion und deren Umgebung.
Während nun die Anwesenheit des Bazillus in genähten
Wunden und deren Gebiet den Wundverlauf nicht wesentlich
beeinflusst, sondern meist nur leichte Stichkanaleiterungen her¬
vorruft, die gewöhnlich nicht einmal mit Temperatur¬
erhöhungen einhergehen, vertragen granulierende
Wunden den farbigen Gesellen bedeutend weniger. Nicht,
dass hier der Schmarotzer etwa sich in die Tiefe der Gewebe
nistete, um Entzündung und Eiterung hervorzurufen; aber er
erregt eine äusserst störende erhebliche Wundsekretion und
bildet auf den offenen Wnndflächen fibrinöse Beläge, so dass
eine Ueberhäutung nicht möglich ist. Pathogen im eigent¬
lichen Sinne ist der Pyozyaneus für den erwachsenen Men¬
schen glücklicherweise selten.
Die Bekämpfung der Infektion wird erschwert durch die
grosse Widerstandsfähigkeit der Bazillen gegenüber anti¬
septischen Stoffen. In den Lazaretten wurde mir teils Jodo¬
formpulver, teils Alkohol als das bisher wirksamste Thera¬
peutikum angegeben, während ich die Anwendung des ein¬
fachsten, billigsten und wirksamsten Mittels nicht sah, und
mir deshalb gestatte, darauf aufmerksam zu machen.
Es ist dies die gewöhnliche essigsaure Tonerde. Ist
einmal der Pyozyaneus aufgetreten, so werden sofort die in¬
fizierten Verbandstoffe entfernt. Die Haut in der Umgebung
der Wunde wird mit etwas Chloroform abgewaschen und auf
die Wunde selbst und ihr Gebiet kommt der neue Verband,
welcher mit einer 2 p r o z. Lösung von Liquor a 1 u -
8. Dezember 1914.
Fcldärztliehe Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2357
m i n i i a c e t i c i durchtränkt ist. Darüber wird etwas Kriill
gelegt und die schliessende Binde. Am ersten Tag soll der
Verband einigemale gewechselt werden. Meist schon nach
zwei Tagen ist die Störung durch den Pyozyaneus behoben.
Brennen, Schmerzen oder sonstige unliebsame Erscheinungen
auf der Granulationswunde sind durch diese Behandlung nicht
zu fürchten.
Kriegsbriefe aus der Kriegslazarettabteilung des
I. bayer. Armeekorps.
4. Brief.
Von Generalarzt Prof. Dr. Klaussne r.
Mit diesem vierten Brief aus dem Kriegslazarette des
I. bayer. Armeekorps wird anschliessend an den letzten, der
eine Uebersicht über unsere chirurgischen Erfahrungen in
grossen Zügen zu bringen versuchte, im gleichen Sinne ein
weiterer Ueberblick über unsere Beobachtungen und Tätig¬
keit auf dem Gebiete der Röntgenologie, auf der ophthalmo-
logischen, otologen und odontologischen Station, auf der
internen Abteilung und in hygienischer Richtung gegeben.
Röntgenstation (O.St.A. Dr. Mülle r).
Das Problem, die ausgiebige Benützung der Röntgenstrahlen
auf dem Kriegsschauplätze zu ermöglichen, kann mit dem Bau des
Feldröntgenwagens durch die Firma Siemens u. Halske, der vom
Jahre 1910 ab allmählich für jedes deutsche Armeekorps als etats-
mässiges Feldsanitätsfahrzeug zu beschaffen war, als gelöst be¬
trachtet werden.
Die Aufgabe war eine doppelte insofern, als die gesamte
Röntgeneinrichtung bis in die kleinsten Details eines leistungsfähigen
Friedenslaboratoriums einerseits in ein Fahrzeug einzubauen war,
das sich äusserlich in keiner Weise von den übrigen Feldsanitäts¬
fahrzeugen unterscheidet, das aber überdies auch noch die eigene
Erzeugung des nötigen elektrischen Stromes durch Benzinmotor und
Dynamomaschine überall und zu jeder Zeit sicher gewährleistet. Die
Fahrzeuge werden 4spännig vom Sattel gefahren und stehen auf den
Ftappensanitätsdepots bereit auf Anruf an das Kriegslazarett, das
seiner so notwendig bedarf.
Die Etablierung der Feldröntgenstation wird sich immer in
einem geeigneten Gebäude der Kriegslazarettanlage selbst vollziehen,
praktisch genommen, wären aber alle erforderlichen Massnahmen im
Fahrzeug selbst getroffen, um selbst auf freiem Felde unter einem
Zeltdache den Röntgenbetrieb zu eröffnen; ein 30 m langes Kabel
führt den erzeugten Strom von dem Wagen zur Arbeitsstätte im ein¬
gerichteten Laboratorium.
Es ist ein nicht zu unterschätzender Vorzug unserer Fcld-
röntgencinrichtung, dass ihre Konstruktion den unmittelbaren Strom-
hezug aus bereits vorhandenen elektrischen Leitungen gestattet, also
der Anschluss an ein bestehendes Stromnetz nicht nur möglich,
sondern sogar mit Vorteilen verbunden ist. Auch bei der Etablierung
unserer Feldröntgenstation in Peronne wurde die elektrische Leitung
der Stadt in der Nähe der Kaserne angestochen und unsere Zweig¬
leitung über die Dächer hinweg in das Laboratorium geleitet. Einige
hierbei auftreteude geringe Nachteile, die in der Differenz der Vor¬
spannungen des Stromes zwischen Stadtleitung und Wagenleitung'
gelegen sind, mögen an dieser Stelle unerwähnt bleiben, um dafür
anderweitig vertreten zu werden.
Es ist ohne weiteres verständlich, dass für eine derartige Etab¬
lierung einer Feldröntgenstation immer die wünschenswerte Voraus¬
setzung besteht, dass dies nicht nur für einige Tage, sondern für
ein möglichst langes Bestehen des Kriegslazaretts überhaupt ge¬
schieht, um so mehr, als ja nach den bisherigen Bestimmungen das
Röntgenfahrzeug immer erst über die Etappeninspektion angefordert
und zum Kriegslazarelt auf dem Landweg transportiert werden muss.
Diesem Grundsatz entsprechend kam unser Kriegslazarett bisher
2 mal in die Lage der Einrichtung einer Röntgenabteilung. Einmal
in Saarburg, wo im dortigen Garnisonlazarett eine im Vergleich zur
Feldröntgeneinrichtung allerdings erheblich weniger leistungsfähige
Röntgenapparatur vorhanden und deshalb nach Möglichkeit zu be¬
nützen war. Sodann in dem Städtchen Peronne, wo sich gleich dem
Betriebe der übrigen eine überaus erfreuliche von den Friedens-
verhältnisseu nur durch die kriegsmässigen äusseren Umstände, wie
durch die hochinteressanten und schweren Verletzungsformcn unter¬
schiedene Tätigkeit auch auf der Röntgenstation entwickelte. —
Wollte man den Beweis für die Notwendigkeit der Röntgenstrahlen
in den Kriegslazaretten etbringen, so könnte vielleicht schon der
Hinweis darauf genügen, dass von den verschiedenen Abteilungen
des Lazaretts bzw. den ordinierenden Chefs in der kurzen Zeit von
kaum 3 Wochen bei der Röntgenstation gegen 300 Plattenaufnahmen
angefordert wurden. Und das bedeutet doch den klinischen Betrieb
eines Krankenhauses, wie er umfassender auch im grössten Friedens¬
lazarett kaum ie sein dürfte
Zu den interessantesten Untersuchungen gehörten vor allem die
sehr zahlreichen Schädelschüsse mit mehr oder weniger ausgiebigen
Knochendefekten, Splitterungen und Knochenfissuren der Schädel¬
kapsel. Lage und Art der eingedrungenen Geschosse boten wieder¬
holt gerade in der Schädelhöhle ein überraschendes Ergebnis der
Röntgenuntersuchung. Nicht minder waren die ausserordentlich
schweren Verletzungen des Kiefers, namentlich des Unterkiefers, von
Interesse. Die Folgen der Brustschüsse waren in sehr mannig¬
faltiger Form vorhanden, darunter in selten schön ausgeprägter Art
der Hämo- und Seropneumothorax nach Verschluss der Lungen,
während andererseits wieder Geschosse den ganzen Thorax quer
durchschlugen, ohne eine wesentlich sichtbare Folge an den inneren
Organen. Dass ferner die Wirkung der verschiedenen Projektile
Infanterie, Schrapnell und Granaten — auf Platte und Röhren¬
knochen in allen möglichen Formen und überaus zahlreich beobachtet
werden konnten, bedarf an sich kaum der Erwähnung.
So war auch für die Feldröntgenstration während der bisherigen
verhältnismässig langen Zeit der Etablierung ein Feld lehrreicher und
interessanter Tätigkeit.
Ophthalrnologische Station (O.St.A. Dr. Schlösse r).
Erkrankungen und kleinere Verletzungen des Auges sind beim
Kriegsheer nicht häufiger, als bei grossen Menschenmengen im
Frieden. A priori sollte man allerdings annehmen, dass Erkrankungen
wesentlich häufiger sein müssten, denn der Mann ist doch einer viel
grösseren Anzahl von Gefährnissen ausgesetzt als im Frieden; es
scheint diese höhere Gefahrenklasse aber wett gemacht zu werden
durch ausgezeichnete Ernährung, vorzügliche Bekleidung und
günstigen Einfluss des mit den Mannschaften lebenden Vorgesetzten.
Eine Ausnahme bestätigt auch hier die Regel. Es werden sehr viele
Fälle von akuter Konjunktivitis mit beträchtlicher Schwellung und
purulentem Sekret beobachtet als Teilerscheinung eines sonst nicht
geläufigen Symptomenkomplexes: Drüsenschwellungen (auch Tränen¬
drüsen), Angina, ziehende rheumatische Schmerzen, besonders im
Rücken, Schwellung von Knie- und Fussgelenken, Urethritis non
gonorrhoica, alles mit mässigem Fieber einhergehend.
Die Augenkriegsverletzungen sind verblüffend einfach zu klassi¬
fizieren. Entweder Auge oder Sehnerv wurden vom Projektil ge¬
troffen, dann ist wenig mehr davon übrig und das Sehen ist erledigt
oder das Auge wurde nur tangential durch Geschoss oder mit¬
gerissene Gewehrteile lädiert. In ersterem Falle handelt es sich um
rein chirurgische Wundbehandlung, in letzterem bestehen keine Be¬
sonderheiten gegenüber gleichgestalteten Schädigungen im Frieden.
Aehnlich steht es mit den Annexen des Auges, nur muss hier recht¬
zeitig eine Situation geschaffen werden, die entweder das sofortige
Einsetzen einer Prothese nach Abheilung ermöglicht oder doch eine
kosmetische Operation vorbereitet.
Wie bei der allgemeinen chirurgischen Behandlung muss auch
bei den Verletzungen des Auges und seiner Umgebung als oberster
Grundsatz gelten, dass nur dann eingegriffen werden darf, wenn es
unbedingt sein muss und möchte ich hiebei besonders darauf hin-
weisen, dass die Ausführung der Enukleation in den seltensten Fällen
begründet erscheint, denn bei den Kriegsverletzungen liegen fast
immer die Verhältnisse ganz anders, als bei den kleinen Stich- oder
Splitterverletzungen im Frieden, die so oft zu chronischer Irido¬
zyklitis führen und damit das Gespenst der sympathischen Ophthalmie
heraufbeschwören. Selbstredend gehe ich nicht so weit, einen zer¬
fetzten Bulbus erhalten zu wollen, aber durch Operieren können wir
eventuell schaden, denn wir wissen nie, ob wir nicht eine schon
bestehende Gewebsinfektion weiter in die Tiefe der Augenhöhle
bringen und andererseits können wir durch Erhaltung eines beweg¬
lichen Augenstumpfes das spätere Aussehen bessern; ferner ist mit
offener Wundbehandlung bei einer grossen Bulbuswunde eine sym¬
pathische Entzündung nicht zu befürchten und endlich, seitdem wir
die intravenöse Therapie mit den Elektrokolloiden kennen, hat ja die
ganze sympathische Ophthalmie ihren Schrecken verloren.
Die interessante Seite der ophthalmologischen Tätigkeit im
Kriege liegt in der Beobachtung der Schädel- und Gehirnverletzungen
mit und ohne Beteiligung der zentralen Optikuswege und Reflex¬
bahnen.
Odontologische Station (Dr. P. Mülle r).
Uebcr die Kieferverletzungen, die auf der zahnärztlichen Station
behandelt werden, dürfte einiges von Interesse sein. Es erübrigt,
darauf hinzuweisen, dass ein gewaltiger Unterschied zwischen den
Friedens- und den Kriegsfällen besteht, und dass dementsprechend die
Behandlung eine sehr verschiedene ist. Die verhältnismässig häufig
vorkommenden Kieferzerschmetterungen haben als Ursache öfter Ge¬
wehrkugel als Schrapnell und Granatsplitter. Grauenhaft ist das
Bild der Granatwunden: ausgedehnte Zerreissungen und Ver¬
wüstungen der Weichteile sowie der Knochenpartien, masslose Split¬
terungen und Verschmutzungen, während bei den Kugelverletzungen
noch einigermassen ein Zusammenhalt der Weich- und Knochenteile
vorhanden ist. Da die Verwundeten selten vor dem 5. Tag, oft aber
viel später in die mehr stationäre Behandlung kommen und dabei
häufig noch den ersten Verband tragen, schwimmt alles in einer Ver¬
jauchung. Es muss darauf hingewiesen werden, dass erfahrungs-
gemäss die dicken Kopfverbände, besonders wenn sie nicht häufig ge¬
wechselt werden können, recht ungünstig wirken. In sehr kurzer Zeit
von den Wund- und Speichelsekreten ganz und gar durchtränkt, wer¬
den sie zu vollständigen Brühverbänden, hindern die automatische
Spülung und Reinigung des Mundes, zerstören die provisorischen
2358
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift.
Nr. 49.
Nähte und fördern ausserordentlich die septischen Erscheinungen.
Es wäre angebracht, nach Möglichkeit nur leichte Verbände anzu¬
legen und durch Fenster oder sonstige Ablaufmöglichkeit den Mund-
und' Wundabsonderungen freien Austritt zu lassen. Relativ gering
sind die Schmerzen, häufig in der ersten Zeit die psychischen Depres¬
sionen. Der Einschuss ist bei den Kugelwunden hinsichtlich der
Fleisch- und Knochenteile glatt, der Ausschuss, besonders wenn vor¬
her noch einmal der Kiefer getroffen wird, ungewöhnlich gross. Dann
treten beim Unterkiefer Zerschmetterungen auf, die ihn bis zur Hälfte
zerstören können. Es waren Fälle da, wo eine einzige Gewehrkugel
doppelten Bruch des Ober- und des Unterkiefers, Alveolarbrüche und
die entsprechenden Wunden verursacht hat. Die Prognose ist fast
immer günstig. Die Behandlung besteht zunächst in einer gründlichen
Reinigung der in Betracht kommenden Partien und in der Entfernung
absolut unhaltbarer Splitter. Doch ist dringend zu warnen vor einem
Zuviel. Selbst über das Mass des scheinbar Möglichen soll beim
Unter- und besonders beim Oberkiefer alles erhalten werden, was
nicht von vornherein ganz verloren ist. Wird dann in geduldiger, un¬
ermüdlicher Art und Weise reichlich mit H2O2 gespritzt und, wenn
möglich von innen mit Eis gekühlt, so verschwindet die Verjauchung
überraschend schnell, Allgemeinerscheinungen und Unbequemlich¬
keiten treten zurück, und der Fall ist fertig zur technischen Behand¬
lung. Diese besteht darin, dass durch möglichst einfache Schienung
die Testierenden Knochenteile in ihre ursprüngliche Stellung gebracht
und in ihr gehalten werden und den Weichteilen das fehlende Gerüst
wieder gegeben wird. Nach dann vorgenommener eventueller Ver-
nähung der Aussenwunden heilt alles sehr schnell. Als Novum, das
hier in Anwendung kommt, ist die Kombination von Kronenarbeit mit
Schiene zu erwähnen, die den Vorteil grosser Einfachheit und sehr
guten Erfolges für sich hat. Zur Erläuterung ein einfaches, sich oft
wiederholendes Beispiel: Es steht noch einer der Molaren oder seine
Reste, von da bis zum Eckzahn etwa sind alle Knochenteile des
Unterkiefers verloren. Natürlich ist eine starke Verschiebung der
Restpartien eingetreten. Die sich hin und herbewegenden freien
Knochenenden verhindern jede Heilung und alle Funktionen des Mun¬
des. Der ganz oder teilweise vorhandene Molar wird mit einer Krone
bedeckt, diese mit einer einfachen Sauer sehen oder mit einer Blatt¬
schiene verlötet, die dem Kieferbogen entsprechend gebogen ist,
dann wird die Krone aufzementiert und die Schiene an den in¬
takten Zähnen durch Drahtligatur unter Herstellung der ursprüng¬
lichen Okklusion befestigt und sofort kann der Kranke bis zu halb¬
harten Speisen wieder jede Nahrung zu sich nehmen und ist ver¬
sandfähig. Ist kein Zahn mehr vorhanden, so stellen wir die provi¬
sorische Verbindung mit dem Knochen durch eine besondere Art von
Verschraubung her. Der Oberkiefer soll möglichst wenig mit Appa¬
raten belastet, höchstens gestützt werden, er heilt, wenn er sauber
gehalten wird, in der Mehrzahl der Fälle ohne Hilfe zusammen. Er¬
schwert wird die Arbeit dadurch, dass schwere sonstige Wunden
häufig den Patienten immobil machen. Eine Komplikation bilden die
Senkungserscheinungen, denen mit allen Mitteln vorgebeugt werden
soll. Sind Zunge oder Zungen- und Mundboden stark verletzt und in¬
folgedessen starke gangränöse Erscheinungen vorhanden, so soll
unbedingt an neutraler passender Stelle zu Drainagezwecken und
zur besseren Durchspülung eine Oeffnung nach unten hergestellt
und offen gehalten werden, bis eine Verheilung der Wundstellen statt¬
gefunden resp. die Wundsekretion aufgehört hat. Auf diese Art und
Weise werden schwere Abszessbildungen und phlegmonöse Erschei¬
nungen nach Möglichkeit verhindert und jede Stagnation unmöglich
gemacht.
Alle bisher in Behandlung gekommenen Fälle — und es waren
sehr schwere darunter — , konnten in der angegebenen Art und Weise
günstig erledigt und nach der Heimat gesandt werden zur definitiven
Behandlung, bis auf einen, der an metastatischer, multipler Leber-
abszessbildung zugrunde ging.
Otologische Station (St.A. Dr. Herzog).
Von den Erkrankungen des Gehörorgans stehen der Häufigkeit
nach im Vordergrund die Schädigungen durch äussere
Gewalteinwirkung - - in erster Linie durch Detonation. Die
Läsion trifft einmal das Mittelohr oder das Labyrinth allein, das
andermal sind beide Organkomplexe befallen.
Traumatische Rupturen des Trommelfelles sind über¬
wiegend zurückzuführen auf Platzen von Granaten in unmittelbarer
Nähe. Die Perforationen sind auffallend häufig sehr gross, so dass
nicht selten nur Randpartien des Trommelfelles übrig bleiben. Bil¬
der, wie sie die Friedenspraxis nur ausnahmsweise zu Gesicht bringt.
Seltener sind direkte Verletzungen des Mittelohrs durch Einstossen
von Strohhalmen bei Fall auf den Boden, von Zweigen beim Passieren
von Gestrüpp usw.
Die labyrinthäre Schwerhörigkeit zeigt naturgemäss
die verschiedensten Abstufungen in der Herabsetzung der Hörweite:
immerhin aber weist ein grosser Prozentsatz dieser Patienten ganz
ungewöhnlich starke Störungen auf — Herabsetzung der Hörweite
für Konversationssprache direkt am Ohre bis unsicher. Dass eine
grosse Zahl der Betroffenen ausser der Hörstörung über lästige sub¬
jektive Geräusche klagt, kann nicht Wundernehmen. Dagegen möchte
ich hervorheben, dass in keinem Falle subjektiv oder objektiv Schwin¬
delerscheinungen festzustcllen waren. Es scheint demnach auch bei
heftigster Schalleinwirkung nur der Nervus cochlearis bezw. sein End¬
organ befallen zu werden, während der vestibuläre Anteil des inneren
Ohres frei bleibt, eine Tatsache, die mit den experimentellen Schädi¬
gungen beim Tier im Einklang steht.
Zu Beginn des Feldzuges, während der trockenen, warmen
Augusttage, kamen entzündliche Mittelohrerkran¬
kungen nur vereinzelt zur Beobachtung. In der letzten Zeit, ins¬
besondere im Anschluss an die Regentage, mehren sich die akuten
Prozesse von Woche zu Woche.
a) Die Otitis media acuta zeigt bis jetzt einen verhältnismässig
leichten Charakter. Die Patienten konnten grösstenteils wieder
dienstfähig entlassen w'erden.
b) Sehr zahlreich sind die akuten Rezidive chronischer Eite¬
rungen. Für die Beurteilung der weiteren Dienstfähigkeit dieser
Patienten lässt sich wohl keine Norm aufstellen. Dass Träger chro¬
nischer Eiterungen mit randständiger Perforation als felddienst¬
unfähig zu bezeichnen sind, ist ausser Diskussion. Dagegen muss
bei chronischen Eiterungen mit zentraler Perforation von Fall zu Fall
entschieden werden. Wenn diese Mannschaften wegen der begleiten¬
den Schwerhörigkeit oder der zeitweise bestehenden Schmerzen auch
nicht in der ersten Linie verwendbar sind, so scheint es mir ander¬
seits doch nicht angängig, sie wegen der an und für sich harmlosen 1
Erkrankung ausnahmslos vom Felde zu entfernen. Ein grosser Teil
von ihnen ist meines Erachtens nach sachgemässer Behandlung und
entsprechender Belehrung über das weitere Verhalten sehr wohl im
Etappendienst zu verwenden.
Entsprechend der Häufigkeit der entzündlichen Erkrankungen
des Mittelohres finden sich als deren Ursachen die akut ent¬
zündlichen Prozesse der oberen Luftwege.
Grobe Verletzungen des inneren Ohres durch Schädelschüsse mit
ein- oder doppelseitiger Ausschaltung der L a -
byrinthfunktion wurden bis jetzt nicht beobachtet. Trotz der
relativ grossen Zahl von Fällen, in denen das Projektil den Schädel
durchquert oder tief in die Schädelhöhle gedrungen und ausgedehnte
Läsionen der zerebralen und zerebellaren Bahnen gesetzt hatte, sahen
wir keine Störungen des Vestibularis oder dessen Verbindungen mit
den Augenmuskelkernen. Durch Prüfung geeigneter Fälle, wenigstens
auf kalorischen Reiz, Hesse sich möglicherweise Aufschluss über
manche schwebende Frage der vestibulären Funktion erwarten.
Interne Station (St.A. Dr. K a 1 1 w i n k e 1).
Bezüglich der internen Erkrankungen dürfte vielleicht das Auf¬
treten der Infektionskrankheiten besonderes Interesse beanspruchen.
Vor allem sei vorausgeschickt, dass wir von schweren Epidemien!
verschont blieben. Wir hatten damit gerechnet und waren deshalb
von vorneherein bestrebt, bei der Einrichtung des Kriegslazarcttes
die interne Station möglichst zu isolieren, und zwar so, dass wir in
grossen Gebäuden, Kasernen) einen ganzen Fliigelbau mit internen
Kranken belegten, während es manchmal sogar gelang, ein vollständi¬
ges Haus getrennt von allen übrigen Abteilungen mit eigener Diät¬
küche einzurichten.
Unsere erste Tätigkeit in S _ erstreckte sich in der Haupt¬
sache auf die Behandlung von Hitzschlägen, die durchweg einen gut¬
artigen Verlauf nahmen, so dass die Patienten nach 4 — 5 Tagen wieder
zu ihrem Truppenteil entlassen werden konnten ohne dauernden Scha¬
den genommen zu haben. Mit der Verlegung des Kriegslazaretts
nach B . . . . änderte sich die Art der Krankheiten vollständig. Die
Hitzschläge traten allmählich in den Hintergrund, dafür kam eine
stark infektiöse Enteritis auf, die, man möchte sagen, endemisch, ganze
Truppenteile befiel. Für die Ausdehnung dieser Krankheit dürften am
besten Zahlen sprechen: 50 Zugänge an einem Tag, dazu die gleiche
Anzahl Patienten in ambulanter Behandlung waren keine Seltenheit.
Fast sämtliche Aerzte, Schwestern, Pflegepersonal blieben nicht ver¬
schont. Dazwischen traten schon einzelne heftigere Erkrankungen
auf, die ausgesprochenen Ruhrcharakter hatten. Trotzdem in ein¬
zelnen Fällen einwandfrei bazilläre Ruhr festgestellt werden konnte,
beobachteten wir glücklicherweise keinen Todesfall, wohl aber eine
grössere Anzahl von Fällen, die nach kurzer Zeit geheilt zum Trup¬
penteil zurückkehren konnten. Der Verlauf der hartnäckigeren Fälle
entzog sich unserer Beobachtung, da wir diese Patienten wegen Platz¬
mangels evakuieren mussten. Die Duelle der Erkrankung konnte
nicht mit Sicherheit gefunden werden.
Wesentlich ernster erschien uns das Auftreten von Typhus, den
wir erst bei unserem jetzigen Aufenthalt in P - feststellen konnten.
zum Glück aber nur in sporadisch auftretenden Fällen. Wir hatten
hier die Möglichkeit, diese Kranken in einem eigenen Pavillon unter-:
zubringen, und alle erforderlichen hygienischen Massnahmen gegen
die Verbreitung dieser gefährlichen Krankheit zu treffen. Aerzte und
Pflegepersonal wurden prophylaktisch mit Typhusserum geimpft. _ j
Auffallend gering erscheint uns das Vorkommen von Pleuritis.
Pneumonie, Herzleiden und schwerem Gelenkrheumatismus, während
naturgemäss Bronchitiden und sehr viel Erkrankungen des N. ischiadi-
cus zur Behandlung eingeliefert wurden. Frisch akquirierte Ge¬
schlechtskrankheiten konnten wir nicht beobachten, dagegen erscheint
das Aufflackern alter, als geheilt angesehener Gonorrhöen beachtens¬
wert.
Im grossen und ganzen kann der Gesundheitszustand unserer
Truppen, soweit wir in der Lage sind dies zu beurteilen, wenigstens
bis jetzt als vorzüglich bezeichnet werden, wofür auch die geringe
Zahl von Todesfällen während unserer ganzen Tätigkeit der
sprechendste Beweis sein dürfte.
8. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2359
Hygienische Station (St.A. Dr. Schneider).
Für die Schaffung hygienisch einwandfreier Verhältnisse sind
dem Kriegslazarett während des bisherigen Verlaufes des Krieges sehr
grosse, fast unüberwindbare Schwierigkeiten erwachsen. Vielleicht
bei keiner Sanitätsformation steht die Theorie der Kriegssanitäts¬
ordnung mit der Praxis so sehr in Widerspruch als bei dem Kriegs¬
lazarett. Schuld daran waren eine ganze Reihe zum Teil wenigstens
nicht vorauszusehender Umstände. Hierzu gehört einmal die zeit¬
weise sehr grosse Zahl der täglichen Zugänge; es dürften sich in der
Heimat nicht viele chirurgische Krankenhäuser finden, die einen
Tageszugang von über 1000 Verwundeten, w'ie das Kriegslazarett ihn
z. 13. in den ersten Tagen seines Aufenthaltes in P... gehabt hat, ohne
weiteres bewältigen könnten. Die Unterbringung sämtlicher Ver¬
wundeten und Kranken unter einem Dach oder in einer Krankenhaus¬
anlage war nirgends möglich; ja in einer Ortsunterkunft lagen die
von uns belegten Gebäude - — es waren ihrer nicht weniger wie 6
ziemlich weit auseinander. Es ist klar, dass dieser Faktor, besonders
wenn man mit einer bestimmten, relativ kleinen Zahl an Sanitäts¬
personal auskommen muss, grosse Nachteile mit sich bringt,
und man daher bestrebt war, durch Evakuation der Transportfähigen
nach der Heimat und mit Nachlassen der grossen Zugänge die Kran¬
ken in weniger zahlreichen Gebäuden zu konzentrieren, womit natür¬
lich ein in manchen Fällen unerwünschter Transport der Verwunde¬
ten verknüpft war. Meist fanden wir ein Militärlazarett, ein Zivil¬
hospital oder neben ihnen bereits mit Verwendeten belegte andere
Gebäude vor. Sie waren aber stets unzulänglich oder in einem
hygienisch so wenig befriedigenden Zustande, dass wir in ihnen so¬
fort eine grosse Reinigung vornehmen mussten, wenn wir nicht lieber
gleich neue Baulichkeiten für unsere Zwecke auswählten und ein¬
richteten. Waren nun solche auch in genügender Menge vorhanden,
so machte ihre Instandsetzung und Adaptierung sehr viel Mühe und
Arbeit. Vielfach hatten in ihnen vorher durchgekommene Truppen
und Kolonnen eine Menge Schmutz und Unrat zurückgelassen, deren
Beseitigung im groben einer gründlichen Reinigung des Fussbodens.
der Wände und Fenster vorauszugehen hatte. Auch die laufende
Reinigung ist eine mühevolle und gerade nicht dankbare Aufgabe.
Dies um so mehr, wenn als Lazarett eine ältere Kaserne dient, die im
Gegensatz zu unserer Vorstellung von einem modernen Kranken¬
haus mit ihren schmutziggrauen Estrichböden, rauhen, dunkelfarbig
gestrichenen Wänden und Türen, ihren rauchgeschwärzten Decken,
sowie ihren blinden, trüben Fensterscheiben, so gar keinen freund¬
lichen und reinen Eindruck machen kann; wenn weiter in dem glei¬
chen Gebäude noch verschiedene Gruppen Kriegs- oder Zivil¬
gefangener und deren Bewachung untergebracht sind, und wenn
schliesslich mangels einer Wasserleitung das Wasser zur Reinigung
im Eimer herbeigeschleppt werden muss. Bei Einrichtung der Laza¬
rette kamen wir in nicht geringe Verlegenheit durch den Mangel
an Betten, Matratzen und Decken; durch Requisition im Orte und in
der Umgebung gelang es ja meist, den nötigsten Bedarf daran zu
decken, doch liess es sich nicht immer vermeiden, dass selbst Schwer¬
verwundete mit Strohlagern vorübergehend vorlieb nehmen mussten.
Es ist auch klar, dass es zu Zeiten des Massenandranges nicht mög¬
lich war, den von hygienischer Seite gewünschten Luftkubus einzu¬
halten, doch wurde für reichlichen Luftwechsel durch die Fenster
und Gegenzug gesorgt, so dass sich hinsichtlich der Ventilation keine
Unzuträglichkeiten ergeben haben. Das gleiche gilt von der Be¬
heizung; durch eiserne Mantelöfen nud möglichst lange Ofenrohre,
die wir in den Lazaretträumen unserer jetzigen Ortsunterkunft erst
aufstellen mussten, haben wir die Temperatur auf der richtigen Höhe
halten können, wobei allerdings das relativ milde Klima günstig
mitwirkt. Auch die Wasserversorgung hat keine Anstände gemacht;
quantitativ war ausreichend Wasser stets vorhanden: wo keine zen¬
trale. gutes Trinkwasser garantierende Wasserleitung sich fand,
wurde ein besonderes Augenmerk auf die Brunnen gerichtet, ver¬
dächtige unter ihnen gesperrt oder, wie in der jetzigen Ortsunter¬
kunft, der Genuss des ungekochten Wassers widerraten. Die Er¬
nährung konnte im allgemeinen ausreichend gewährleistet werden;
besondere diätetische Vorschriften, wie sie besonders innere Erkran¬
kungen notwendig machen, konnten wohl nicht immer in ganzem
Umfange erfüllt werden, wurden aber nach Möglichkeit berück¬
sichtigt; dabei wurde besonders die Knappheit an Milch und Eiern un¬
angenehm empfunden. Die grösste Verlegenheit und Mühe bereitet
uns die Regelung der Abortfrage; das Dilemma war fast gleich gross,
ob in den als Lazarett verwendeten Gebäuden Klosetts mit Wasser¬
spülung oder überhaupt keine Aborte waren. Die Klosetts wurden
fast, stets in einer eckelerregenden Weise verschmutzt und gebrauchs¬
unfähig angetroffen; waren sie auch instand gesetzt worden, so wur¬
den sie gewöhnlich infolge der grossen Inansoruchnahme, falschen
Bedienung oder mangels hinreichender Spülwassermengen unbenutz¬
bar. Es wurden dann ebenso wie dort, wo Aborte überhaupt nicht
oder in ungenügender Zahl vorhanden waren, kleine Tonnen, Fässer,
die in der Mitte durchgesägt waren, oder die mit Blech aus¬
geschlagenen Infanteriemunitionskisten mit Sitzbrettern versehen, in
hinreichender Zahl aufgestellt und für ihre regelmässige Entleerung
gesorgt. Als Ergänzung hierzu wurden im Hofe neben den dort be¬
findlichen, meist wenig einladenden Abortanlagen besondere Latrinen
improvisiert. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, dass Gefässe
mit desinfizierenden oder geruchverbessernden Mitteln bereitgestellt
wurden. Für die an Infektionskrankheiten leidenden wurden be¬
sondere Abteilungen, meist sogar ein besonderes Gebäude ein¬
gerichtet; bei ihnen wurden natürlich besonders sorgfältige Mass¬
nahmen gegen Verbreitung des Infektionserregers und zur Verhütung
der Ansteckung getroffen; im Sinne der letzteren ist auch die Typhus¬
schutzimpfung bei unserem Kriegslazarettpersonal neuerdings ein¬
geleitet worden.
Aus der Kriegslazarettabteilung I. bayer. Reservekorps.
Die Beförderung von Verwundeten auf Lastautos.
Von Prof. F. Lange und Prof. J. T r u m p p.
Die Beförderung von Verwundeten auf Lastautos ist nicht
zu umgehen, trotzdem wir eine grosse Anzahl vorzüglich ein¬
gerichteter Sanitätsautos haben und diese nach Möglichkeit
zum Verwundetentransport benützen. Die Verwundeten haben
den berechtigten Wunsch, möglichst bald in die Ruhe des
Lazaretts zu kommen. Sind Sanitätsautos nicht zur Stelle,
sondern nur Lastautos, die eben mit Munition oder Proviant
zur Front kamen, so bitten die Leute inständig, mit dem leeren
Wagen zurückfahren zu dürfen. Sie bitten darum selbst dann,
wenn sie von Kameraden schon gehört haben, wie qualvoll
dieser Transport sein kann. Wer einmal eine Fahrt im Innern
eines Lastautos mitgemacht hat, wird zugeben, dass sie schon
dem gesunden Körper empfindlich zusetzt; für die Ver¬
wundeten, besonders solche mit Kopf-, Knochen- und Gelenk¬
schüssen, scheint sie eine kaum mehr erträgliche Marter zu
sein. So erzählten .schwer verwundete Kollegen nach einer
solchen Fahrt, sie hätten unter den Stössen des Autos so ge¬
litten, dass sie sich das Leben genommen haben würden, wenn
sie ihre Revolver bei sich gehabt hätten.
Man hat sich schon mehrfach bemüht, Abhilfe zu schaffen,
allein alle Vorschläge scheiterten daran, dass die angegebenen
Vorrichtungen viel zu kompliziert sind, um in der kurzen Zeit
bis zur Rückfahrt einer Munitions- oder Proviantkolonne aus¬
geführt werden zu können. Aussicht hat nur ein ganz einfaches,
mit schon vorhandenen Mitteln ausführbares Verfahren. Wir
glauben ein solches empfehlen zu können. Es besteht darin,
dass man die doppelt zusammengelegten gewöhnlichen Zelt¬
bahnen als Hängematten benützt, die mit starken Stricken quer
über die Lastautos gespannt werden (s. Abbild.). Man liegt
- wie wir uns selbst auf einer Probefahrt überzeugt haben —
auf den so aufgehängten Zeltbahnen, zumal mit irgend einer
weichen Kopfunterstützung, sehr bequem und verspürt wohl
die Schwingungen, aber nicht mehr die harten Stösse des Wagens.
Auf einem mittelgrossen Lastauto mit den Ausmassen des
Wageninnern von 1,90:4.00 m können 5 Zeltbahnen angebracht
werden. Deren Befestigung bietet keine Schwierigkeiten; allenfalls
lassen sich rasch ein paar kräftige Haken oder Ringschrauben an¬
bringen. ^ Das Auf- und Abladen der Schwerverwundeten wäre
mittete Tragbahre zu bewerkstelligen. Die Tragbahre selbst als
Lager ' im Auto zu benützen, verbietet sich aus verschiedenen
Gründen. Erstens werden auf den z. Zt. im Gebrauch befindlichen
Tragbahren die Stösse der Lastautos viel zu stark empfunden. Es
lassen sich zwar Tragbahren herstellen, die nach dem Prinzip der
Hängematte konstruiert sind und die Stösse ebenso gut auffangen
wie die von uns empfohlene Vorrichtung, allein sie nehmen — wie
jede Tragbahre - zu viel Raum in Anspruch, so dass ein mittleres
Lastauto nur 3 Tragbahren aufzunehmen vermag. Endlich aber
2360
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift. _ Nr. 4
stehen nicht immer solche Tragbahren zur Verfügung. Die Ueber-
legenhcit der stets vorrätigen Zeltbahnen über die Tragbahre scheint
uns demnach für den genannten speziellen Zweck ausser Zweifel
zu stehen.
Wir glauben, dass durch die von uns empfohlene Ein¬
richtung nicht nur den Verwundeten viele Schmerzen erspart
blieben, sondern auch die in ihrer Bedeutung bei weitem noch
nicht genügend gewürdigten Transportschäden gemindert
werden könnten.
Die Reinhaltung gefensterter Gipsverbände.
Von Stabsarzt Prof. Dr. Tru m p p.
Das beste Mittel zur Fixation und zu schmerzfreiem Transport
der Knochen- und Gelenkschüsse ist unstreitig der Gipsverband. Die
Technik dieser Verbände hat jüngst F. Lange- München in Nr. 42
und 43 d. Wschr. (Feldärztl. Beil. Nr. 11 u. 12) besprochen. Wir
haben diese Technik unter manchmal recht schwierigen Verhältnissen
angewandt und sehr befriedigende Erfolge erzielt. Selbstverständ¬
liche Voraussetzung eines Dauererfolges ist natürlich, dass der
Verband so solid hergestellt wird, dass er den meist recht strapa¬
ziösen Transport überdauert, dass er daheim nicht zu früh abge¬
nommen wird, und dass nach Abnahme des Verbandes die inzwischen
eingetretene Gelenkversteifung durch sachkundige Nachbehandlung
behoben wird. Sind die Wunden, wie so häufig, sehr gross und
liefern sie viel eitriges oder jauchiges Sekret, so droht die Gefahr,
dass der Verband durch Erweichung des Gipses und Durchtränkung
der Polsterwatte bald unbrauchbar wird. Man sucht dies ganz allge¬
mein dadurch zu verhüten, dass man über den Wunden Fenster im
Gipsverband anlegt, und die Wunden reichlich und in häufigem
Wechsel mit aufsaugendem Verbandmaterial bedeckt. Jeder Sach¬
verständige wird aber aus eigener leidiger Erfahrung wissen, nass
in vielen Fällen mit diesem primitivem Verfahren allein der ge¬
wünschte Zweck nicht zu erreichen ist.
Nach einigen Bemühungen ist es uns nun gelungen, durch eine
unter allen Umständen ausführbare wasserdichte Abdichtung der
Wunden den Verband dauernd rein und intakt zu erhalten.
Sind die Wunden so gelagert, dass eine primäre Aussparung der
Gipsfenster mit den bekannten Mitteln nicht möglich ist, so be¬
zeichnen wir den Sitz der Wunden an den symmetrischen Stellen
der gesunden Extremität mit Farbstift und schneiden dement¬
sprechend nach Fertigstellung des Verbandes die Fenster aus dem
noch nicht ganz erhärteten Gips aus. Die bequem zugängig ge¬
machten Wunden werden ebenso wie ihre nächste Umgebung ge¬
säubert und etwa schon mit Blut und Eiter durchtränkte Teile der
Polsterung entfernt. Danach wird soviel Watte unter die Ränder
der Gipsfenster gestopft, dass die Polsterung unbeweglich
fest sitzt. Nun taucht man Wattestreifen von 10 — 15 cm Länge
und knapp Vs cm Dicke in verflüssigtes Paraffin von etwa 48 0
Schmelzpunkt. Brauchbares Paraffin kann man sich in einfachster
Weise dadurch beschaffen, dass man gewöhnliche, überall käuflich
erhältliche Paraffinkerzen zerschneiden und schmelzen lässt. Die mit
dem Paraffin getränkten Wattestreifen werden mässig stark ausge¬
drückt und der eine Rand ihrer Längsseite mit dem Stiel einer
Pinzette oder dergl. 1 — 2 cm tief unter die Polsterung gestopft. Diese
Arbeit geht leicht und rasch von statten, wenn man das Instrument
von Zeit zu Zeit in heisses Wasser eintaucht. Bei Benützung kalter
Instrumente oder der Finger bleibt die paraffinierte Watte an diesen
kleben und zerreisst. Die Breite der Wattestreifen richtet sich
nach dem Abstand der Wunde von der Oberfläche des Gipsver¬
bandes. Man wählt die Streifen so breit, dass sie das Gipsfenster
um mehrere Zentimeter überragen. Der überragende Teil wird an
die Aussenseite des Gipsverbandes angestrichen. Ventral und dorsal
liegende Wunden müssen ringsum abgedichtet werden (siehe unten!).
Bei seitlich gelegenen Wunden genügt die Abdichtung der unteren
Fensterhälfte. Die Kosten eines mittelgrossen Paraffinfensters be¬
tragen 10 — 15 Pfennig. — Statt der Paraffin-Wattestreifen kann man
auch Guttaperchastreifen verwenden. Sie werden zweckmässiger¬
weise etwas grösser als erstere gewählt, da sie zu genügender
Fixierung tiefer unter das Wattepolster gestopft werden müssen. Die
Abdichtung mit Guttapercha geht leichter und rascher vor sich als mit
Pai affinwatte, doch ist das Guttapercha teurer, wird auch vielleicht
nicht von jeder Haut auf die Länge der Zeit vertragen (wir selbst
haben allerdings bis jetzt keine schlechten Erfahrungen damit gemacht.
Das Guttapercha ist unentbehrlich in solchen Fällen, in denen
mehrere Fenster so nahe bei einander liegen, dass das die Wunde
umgebende Wattepolster nicht immobilisiert werden kann. Paraffin
ist unter solchen Umständen unbrauchbar, da es sich ohne genügenden
Halt von der Haut wieder ablöst. Auch das Guttapercha erfüllt hier
nur dann seinen Zweck, wenn es mit Chloroform an die Haut an-
geklcbt wird. Man legt die Guttaperchastreifen ebenso in die Fenster
ein wie die Paraffinwattestreifen, stopft den unteren Rand ihrer
Längsseite genügend tief unter die Polsterwatte und bestreicht dann
die angrenzende Haut (gegen die Wunde zu) etwa 1 cm breit mit
Chloroform. Nun legt man die Streifen nach Bedeckung der Wunde
über die bestrichene Hautpartie um und stopft neuerdings Watte
dahinter, wodurch das Guttapercha auf die mit Chloroform bestrichene
Hautpartic aufgepresst und festgeklcbt wird. Danach werden d
Guttaperchastreifen wieder um den Gipsrand des Fensters uingi
schlagen und ihre freien Ränder an der Oberfläche des Gipsve
bandes mit Stärkebinden festgelegt. Die Arbeit darf nur mit Schei
und Pinzette und nicht mit den Fingern verrichtet werden, einm
um keine Verunreinigung der Wunde zu setzen, zum anderen um >
verhüten, dass das klebrige Guttapercha sich zusaminenknäuelt ut
unbrauchbar wird.
Noch kurz ein paar Ratschläge für besondere Fälle. Liegen zw
Wunden nur wenige Zentimeter von einander entfernt und an ein'
Stelle, die keine besonders starke Resistenz des Verbandes erfordei
so wird man für beide Wunden ein gemeinsames Fenster anlege
Weiter, will man für das Sekret einer ventral gelegenen, stai
eiternden Wunde freien Abfluss schaffen („Offenwundbehandlum
durchführen), so stellt man einen Tunnel unter dem Gipsverbai
mit dem Fenster der gewöhnlich benachbarten seitlichen oder do
salen Ein- bezw. Ausschussöffnung oder Gegeninzisionsöffnung hej
indem man im Bereich dieses Kanals die Watte unter dem Gii
entfernt und die Seitenwände mit paraffinierter Watte oder Guttj
percha und Chloroform abdichtet. Auf besonders schwer erreic
bare Stellen appliziert man zu vollkommener Abdichtung das flüssi#
Paraffin mit Hilfe einer Spritze.
Es ist wohl überflüssig, alle Eventualitäten und Variationen d
Abdichtungstechnik zu besprechen, da man bei einiger Uebung ui
Erfahrung, die Jeder selbst erwerben muss, bald herausfindet, \vj
das gewünschte Ziel im einzelnen Falle zu erreichen ist.
Wir glauben, die vorbeschriebenen Methoden der Wundabdic
tung bei Gipsverbänden den Kollegen mit gutem Gewissen empfehlii
zu können. Sie sind nicht nur geeignet den Verband sauber
erhalten, sie ersparen auch viel Verbandzeug und Zeit beim Verban
Wechsel. Endlich ermöglichen sie die Durchführung der neuerdiiv1
von Dr. M. Schede, Assistenten der orthopädischen Poliklinik
München, wieder empfohlenen und weiter ausgebildeten sog. ofienj
Wundbehandlung, die auch nach unseren Erfahrungen bei stark eitcr
den Wunden mit nicht zu grosser Wundoberfläche ausgezeichnete R,
sultate liefert.
Kurze Mitteilung zum gefensterten Gipsverband.
Von Dr. Ferd. Noll in Hanau.
Wie in Nr 11 der feldärztlichen Beilage von sehr kompetent;
Seite erwähnt wird, gehört auch im Reservelazarett dem GipsveJ,
band eine hervorragende Stelle unter den Verbänden, welche ei|
Korrektur der Stellungsanomalien der frakturierten Knochen bezweckt.
Auch nach meinen Erfahrungen eignen sich ganz besonders
durch Schusswunden komplizierten Knochenbrüche (einschliesslii
der des Oberschenkels) zur Behandlung mit Gipsverbänden, für der«
Applikationsweise Prof. Lange so vorzügliche Vorschriften erte;
hat. Wenn, wie so häufig, Schrapnellkugeln oder Granatstücke d
komplizierten Knochenbruch verursacht haben, so bedürfen die bl
treffenden Wunden gewöhnlich längerer Behandlung Der gefensterf
Gipsverband ist in diesen Fällen, ich möchte sagen, der Verband d
Wahl.
Ich will heute nur kurz erwähnen, in welcher Weise ich 11
das Fenster im Gipsverband anlege, weil ich glaube, dass d
einfache Verfahren bequem und zeitsparend ist:
Nachdem die Korrektur der Stellung der frakturierten Knochi
vorgenommen und die Weichteilwunde (oder deren mehrere) aseDtisJ
verbunden ist, wird ein Weissblechoval von nebenstehender For
welches vorher ausgekocht war, der verbundenen Wunde so a-
gelegt, dass die Mitte des nach der Form des Gliedes biegbar*
Bleches a der Mitte der Wunde entspricht. Das Blech wird n
einigen Bindentouren fixiert, Polsterwatte und Gipsverband so ans-
legt, dass der auf der Mitte des Bleches aufgesetzte Blechstreifen»
aus dem fertigen Verband noch heraussieht. Sobald der Verbajl
eben erstarrt ist, wird ein dem Blech a kongruentes Blech!,
welches in der Mitte mit einem Schlitz versehen ist, in der Wef
auf den Verband gelegt, dass durch den Schlitz desselben der hervr-
stehendc Blechstreifen gesteckt wird. So deckt das äussere Blei
das innerhalb des Verbandes liegende. Mit einem scharfen Mes^
tunschneidet man nun das äussere Blech c, legt es zur Se'te m
\ ertieft den gemachten ovalen Schnitt rasch und leicht bis auf d»
innere Blech, nimmt dieses heraus und das Fenster ist fertig. D1
Rand desselben umsäume ich mit Leukoplast.
Diese Blechschciben, die ich mir in vier Grössen vorrätig hui-
kann jeder Klempner in kurzer Zeit anfertigen. Will man das Origm
beziehen, so erhält man dasselbe von Klempner Pfeiffer, Har. ■
Glockenstrasse 6, vier Doppelstück zu M. 2.50.
Dezember 1914. Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift. 2361
Die Gipsschiene im Dienste der Kriegschirurgie").
Von Prof. Dr. A. Most aus Breslau, zurzeit im Felde.
Es ist ein bekannter und allgemein anerkannter Grundsatz, dass
Ge schweren Schussverletzungen, zumal alle
nochen- und üelenksschüsse möglichst bald und
o g 1 i c h s t gut fixiert werden müssen. Von vornherein
it fixierte Knochenverletzungen zeigen in der Regel einen günstigen
undverlauf, schlecht oder gar nicht fixierte Knochenschüsse weisen
cht selten bereits im Feldlazarett die Symptome der Infektion auf.
Als bester fixierender Verband, der den Verletzten auch bald
ansportfähig macht — und das ist besonders wichtig! — gilt der
rkuiärc Gipsverband. Seine Vorzüge sollen auch bei Schussfrak-
ren an der unteren Extremität mit kleiner, aseptischer Ein- und
isschussöffnung und geringem Hämatom nicht bestritten werden,
r fixiert sicherer und besser als alle Schienen — deren Vorrat
idem oft ausgeht — das verletzte Glied. An der oberen Extremität
joch, zumal am Oberarm und weiterhin an der unteren Extremität,
inn, wenn durch einen Querschläger oder einen Nahschuss eine
rossere Weich teil wunde vorhanden war oder wenn eine
ress er e Blutung ein weiteres Ansclnvellcn des verletzten
liedes befürchten liess, habe ich mich stets gescheut, einen zirku-
ren üipsverband anzulegen. Ich habe dabei auf die von mir auch
der Friedenspraxis öfters geübte Gipsschiene zurückgegriffen,
eiche alle Vorteile einer sich individuell der ver-
tzten Extremität eng anschmiegenden, sich an¬
odeliierenden Schiene hat, ohne den Zwang des
lamovilen, zirkulären Gipsverbandes zu teilen.
Die Technik ist einfach. Statt die feuchten Gipsbinden zirkulär
n die Extremität herumzuführen, werden dieselben an ihr entlang,
lbstredend über die der Verletzung benachbarten Gelenke hinweg
führt und so die Extremität etwa in ihrer halben Zirkumferenz
gegipst1). Bei Bruch des Oberarmes oder der Schulter wird,
enn keine andere Lage indiziert ist, am rechtwinklig' flektierten Arm
e Schiene vom Handgelenk bis zum Hals an der Aussenseite der
ctremität emporgeführt und dann der Arm an den Rumpf mit
mbrik- und Stärkebinden anbandagiert. Bei Oberschenkelbrüchen
icht die Schiene dorsal, lateral oder mehr an der Hinterseite der
itremität, je nach Lage der Wunde, von der Knöchelgegend bis
»er das Becken hinaus empor. Die Weichteilwunde, von
er man eine stärkere Sekretion erwartet, wird
eigelassen. Infolgedessen muss man die Schiene
1 1 weder der Wunde gegenüber oder wenigstens
Jitlich von ihr anlege n. Auch hier wird die Gipsschiene
hüesslich mit Kambrik- und Stärkebinde reichlich fixiert. Selbst-
dend ist es Vorbedingung, dass der Gips rasch härtet, dass der
irband reichlich ist, vielleicht mit Schusterspahn verstärkt wird
d dass eine gute Assistenz die Binden beim Anlegen oben und
ten sicher fixiert.
Den Vorzug der Gipsschiene irn Kriege erblicke ich in ihrer
tschen und stets möglichen Anwendbarkeit. Sie
nn also auch schon auf dem Hauptverbandplatz angelegt werden,
enn der Zustrom der Verwundeten nicht zu enorm ist. Ferner
imobilisiert sie das verletzte Glied bei guter Technik
; r a d e so gut, wie der zirkuläre Gipsverband, ge-
ittet aber dabei jederzeiteine schon endereu ndgriind-
chere Revision der Wunde als dies durch .die engere
■ffnung des gefensterten Gipsverbandes möglich ist. Leicht schnei-
n bekanntlich die Ränder des Fensters in die oft sich heraus-
ängenden Weichteile in empfindlicher Weise ein oder aber das
kret der Wunde staut sich zwischen Verband und Extremität, ver¬
ändert den Gipsverband, kann ihn erweichen und so unter Um¬
inden vielleicht sogar dessen Festigkeit gefährden. Vor allem aber
rd seine Abnahme besonders dann Schwierigkeiten bereiten und für
s verletzte Glied nicht gleichgültig sein, wenn die Knochenver-
zung noch relativ frisch ist oder Zeichen der Infektion drohen,
beiden Fällen ist gerade ein schonender Verba ndwech-
; 1, der die Frakturstelle möglichst wenig irritiert
ch den eingangs erwähnten Erfahrungen und Grundsätzen Vor-
idingung und dieser kann beim zirkulären Gipsverband wohl
r unvollkommen, bei einer richtig liegenden und
:aktappliziertenSchienejederzeitunschwerge-
a h r 1 e i s t e t werden. Aus diesen Gründen glaube ich die Gips-
hiene unter den oben erwähnten Indikationen gerade für die
riegschirurgie im militärischen Operationsge-
e t und für den Transport in die Heimat empfehlen zu
rfen.
*) Die vorliegenden Ausführungen waren bereits fertig gestellt
d der Redaktion dieser Zeitschrift übersandt, als mir der Artikel
Baeyers „Zur Anfertigung von Gipsschienen“ iti Nr. 7 der
Idärztlichen Beilage zuging.
J) Ich bin jetzt mit dieser einfachen Technik stets zufrieden ge-
isen. Die Erfahrung wird zeigen, ob der v. B a e y e r sehe Vor-
dag Vorzüge besitzt.
Einige Winke für das Operieren im Felde.
Nachtrag zur Arbeit Perthes (M.tn.W. Nr. 47, Feldärztl.
Beilage Nr. 16).
Der Verf. erwähnt in seiner obigen Abhandlung zur Frage der
Beleuchtung des Operationsfeldes, dass ihm die elektrische Stirn¬
lampe mit Trockenbatterie besonders gute Dienste geleistet habe. Da
jedoch der Ersatz der Batterie im Felde auf Schwierigkeiten stossen
kann, so erwägt Verf. die Verwendung von Azetylengas zum Betriebe
der Stirnlampe. Azetylen wird zur Beleuchtung der Automobile stets
in grossen Vorräten im Felde mitgeführt und ist daher überall zu
haben. Versuche mit einer derartigen Lampe seien bereits im Gange.
Ich bin nun beauftragt mitzuteilen, dass inzwischen eine brauchbare
Form dieser Lampe hergestellt wurde *). Sie besteht aus dem mit
Kugelgelenk am Stirnreifen befestigten Reflektor, wie er von den
Fahrradlaternen bekannt ist, und einem am Gürtel anzuhängenden
Gasentwickler von 15 cm Höhe. Beide Teile sind durch einen
Gummischlauch miteinander verbunden. Die Lampe ist bereits in
einer Anzahl von Exemplaren im Felde in Verwendung und hat sich
dort nach Mitteilung von Herrn Prof. Perthes vorzüglich bewährt.
H a r t e r t.
Referate.
Taschenbuch des Feldarztes. II. Teil. Herausgegeben von
Generalarzt Prof Dr. Ad. D i e u d o n n e, Geheimrat Prof. Dr.
M. v. G r u b e r, Prof. Dr. H. Guddc n, Oberstabsarzt z. D. Dr.
W. II a s s I a u e r, Privatdozent Dr. W. Heue k, Stabsarzt Prof.
Dr. Fr. Salzer, Oberstabsarzt Prof. Dr. Gg. S i 1 1 m a n n, Prof.
Dr W. S p i e 1 m e y e r, Prof. Dr. W. W e i c h a r d t. Mit einer
Tabelle und 12 Abbildungen. J. F. Lehmanns Verlag, München
1914. 238 Seiten. Preis 4 M.
Das praktische Bedürfnis unserer Kollegen draussen im Felde
oder sagen wir besser, die gebieterische Notwendigkeit, unser Heer
an den Fronten besonders vor den schweren Verlusten durch Kriegs¬
seuchen und andere Erkrankungen möglichst zu bewahren, rufen
dringend nach literarischen Erscheinungen, wie wir es in dem vor¬
liegenden Taschenbuch des Feldarztes vor uns haben, das als II. Teil
des chirurgischen Vademekums des Feldarztes (von Prof. Dr.
A. Schönwerth - München) eben erschienen ist. Auf knappem
Raume und in praktischer handlicher Form ist in diesem Büchlein
ungemein viel wertvolles zusammengestellt. Das Kapitel der über¬
tragbaren Krankheiten ist von drei Verfassern bearbeitet. General¬
arzt Prof Dr. Dieudonne und Prof. Dr. W. Weichardt-
Erlangeri haben den sehr gehaltvollen Abschnitt über die Ursachen,
Verhütung und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten ge¬
schrieben. Die Verfasser sprechen sich, fussend auf praktischen Er¬
fahrungen in anderen Heeren, bestimmt für die obligatorische Durch¬
führung von Schutzimpfungen zur Seuchenbekämpfung aus, in erster
Linie gegen Typhus und Cholera. Für alle in Betracht kommenden
seuchenhaften Krankheiten wird eine kurze Uebersicht über deren
Erreger, ihre Eigenschaften, ihre Verbreitungsweise im Körper und
ihre L.ebensbedingungen ausserhalb des Körpers gegeben und be¬
sonders die Anweisung, sowohl für etwa in Frage kommende mikro¬
skopische Untersuchungen, als besonders für die Erzielung eines
zweckmässigen Untersuchungsmateriales für die Speziallaboratorien,
ist für alle einzelnen derartigen Krankheiten, also besonders Typhus
und Paratyphus, Ruhr, Cholera, Flecktyphus, Pest, Diphtherie, Starr¬
krampf, Milzbrand, Tripper, Syphilis und andere in genügend ein¬
gehender Weise gegeben, so dass man sich im praktischen Falle sofort
Rat erholen kann. Daran anschliessend findet sich eine alphabetische
Uebersicht über die wichtigsten Keimtötungsmittel und deren Anwen¬
dung, letztere nach der Anweisung des Kaiserl. Gesundheitsamtes.
Ferner Angaben über geruchverbessernde Mittel und Mittel zur
Vernichtung von Ungeziefer. Die nicht im Felde stehenden Kollegen
können sich gerade auch von der Wichtigkeit der letzteren Aufgabe
kaum eine rechte Vorstellung bilden. Den klinischen Teil betreff der
übertragbaren Krankheiten hat Prof Sittmann in instruktiver
Weise verfasst und auch die Therapie in knapper Form berück¬
sichtigt. Auf die Behandlung mit Bolus alba, speziell bei Ruhr '
und Cholera, legt Verfasser grossen Wert. Auch die Pockenerkran¬
kung sowie Fleckfieber, Krankheiten, die wir ja ebenso wie die Pest,
gottlob höchst selten sehen, sind eingehender dargestellt. Für die
Behandlung des Wundstarrkrampfes wird die Amttoxinbehandlung
neben der Einverleibung von Magnesia sulfurica empfohlen. Eine
tabellarische Uebersicht über Inkubationsdauer, Infektionswege und
Entkeimung — das Werkchen befleissigt sich einer möglichsten Ver¬
meidung nichtdeutscher Worte — bei den wichtigsten übertragbaren
Krankheiten nach Gotschlich, welche sehr praktisen zu sein
scheint, scbliesst diesen Abschnitt ab. Es folgt sodann ein ebenfalls
von Sittmann- München verfasster Abschnitt über einzelne, be¬
sonders häufig durch den Krieg verursachte innere Erkrankungen, wie
Lungenblähung, akute Herzmuskelschwäche, nervöse Herzstörungen.
Bronchialkatarrh und Tuberkulose, Hitzschlag etc., häufig mit Hin¬
weisen auf die durch diese Erkrankungen gesetzte Bedrohung der
Felddiensttauglichkeit. Es folgen sodann praktisch sehr wichtige Aus¬
führungen über Verletzungen des Nervensystems, besonders die wicli-
*) Zu haben bei C. Erbe, Tübingen (Preis 20 M. mit Futteral).
23 62
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 49.
tigen peripherischen Nervenverletzungen und ihre Therapie, sowie
über die Erkrankungen des Nervensystems, worunter besonders der
Hitzschlag, Neuralgie und Neuritis, behandelt werden, diese Kapitel
von Prof. Dr. W. S p i e 1 in e y e r - München; dann das ebenfalls
aussen rdentlich wichtige Kapitel über die Geistesstörungen, welche
im Anschluss an Kriegsleistungen in den verschiedensten Formen
zur Beobachtung gelangen. Auch die Schock-, Luftdruck- und Geschoss
kontusionspsyebosen finden in diesem von Prof, ü u d d e n über¬
nommenen Abschnitt eine sachgemässe Darstellung. V., VI. und VII.
Kapitel sind den eigentlichen Spezialfächern gewidmet und zwai
hat Prof. Salzer- München das Wichtigste über Erkrankungen und
Verletzungen des Auges, einschliesslich der Therapie dargestellt,
W. Haslauer - München die in Betracht kommenden Ohren-,
Nasen- und Halskrankhciten, nebst einer Aufstellung über die Aus¬
rüstung des Feldarztes hinsichtlich dieser Krankheitsformen, Priv.-
Doz. W. H e u c k - München hat sowohl die in Betracht kommenden
zahlreichen Hautkrankheiten als die Geschlechtskrankheiten für die
praktischen Bedürfnisse übersichtlich zusammengestellt. Auf die
Verhältnisse irn Felde ist auch hier, besonders bei der Behandlung
überall Rücksicht genommen und sind auch eine Anzahl von Rezepten
beigegeben. Letzteres dürfte sich übrigens, um das Mitsichtragen
eines weiteren Büchelchens zu ersparen, auch bezüglich der anderen
Krankheitsgruppen empfehlen. Geh.-Rat Max v. G r u b e r - München
hat auf ein paar Blättern des Buches in eindringlichster Weise die
Aufgaben und Pflichten der Heeresangehörigen hinsichtlich der Ab¬
haltung von Geschlechtskrankheiten, besonders im Hinblick auf die
Rassenhygiene, auf das Schärfste betont und auch die Mittel liiefür in
lapidarer Form gezeichnet. Die Forderung, im Felde sich des
Alkohclgenusses so gut wie völlig zu enthalten, wird von Grub er
aus allgemeinen Betrachtungen über unsere Lage als Nation in das
hellste Licht gerückt. Den Schluss des Buches bildet, abgesehen von
einem alphabetischen Schlagwörterverzeichnis ein Verzeichnis der
Arzneimittel der Kriegssanitätsordnung. Dieses bringt nicht bloss
die lateinischen Namen, sondern auch ihre Uebersetzung ins Fran¬
zösische, Englische und Russische. Ob diese drei Sprachen wohl
für die nächste Auflage noch genügen werden? Das nützliche Werk
wird seinen Weg ins Feld hinaus und in die Zwischenstationen bis
zur Heimat hin in Bälde finden und gewiss der Nation keinen kleinen
Nutzen verschaffen. Grassmann - München.
Kleine Mitteilungen.
Die Ernährung der deutschen Zivilbevölkerung im Krieg.
11.
Der Plan der Triple-Entente, uns auszuhungern, kann als miss¬
lungen bezeichnet werden. Dagegen besteht die Möglichkeit, ja sogar
die Wahrscheinlichkeit, dass bei längerer Dauer des Krieges ein star¬
kes Ansteigen der Lebensmittelpreise stättfinden wird. Es ist not¬
wendig, weitere Vorsichtsmassregeln zu treffen, damit diese Preis¬
steigerung keine zu grosse wird.
Seefische könnten als Reserven für den nächsten Frühling
für uns sehr wertvoll werden. Im Winter lassen sich die Seefische
leicht versenden, für den Sommer empfiehlt sich die Konservierung
der billigen Seefischarten durch Einsalzen und Trocknen, und zwar
ist hier in erster Linie an den Kabeljau zu denken, von dem das Pfund
in getrocknetem Zustande bisher zu 25 — 30 Pf. gekauft wurde. Der
Kabeljau (Klippfisch, Stockfisch) ist ein vorzügliches Nahrungsmittel.
Es sollten von den Regierungen, Kommunen und Genossenschaften
grössere Lager getrockneter Klippfische errichtet werden. Zweck¬
mässig wäre es, wenn die Regierungen den Genossenschaften zu
diesem Zweck Geld zu geringem Zinsfusse vorschiessen würden.
Linsen und Erbsen sind heute in Deutschland fast gar nicht
zu haben. Diese Hülsenfrüchte wurden bisher zum grössten Teil aus
Russland bezogen. Es ist notwendig, uns auch für die Zukunft be¬
züglich dieses ausgezeichneten Nahrungsmittels vom Auslande un¬
abhängig zu machen. Es sollten im nächsten Frühjahre grössere Men¬
gen Erbsen und Linsen angebaut werden. Sehr empfehlenswert ist
auch der Anbau der Sojabohnen, die als gutes Nahrungsmittel in Japan
schon lange einer grossen Verbreitung sich erfreuen. Es werden dort
aus Sojabohnen nicht bloss Gemüse, sondern auch Suppen, Saucen,
Salate, Biskuite und andere wohlschmeckende Speisen hergestellt.
Um die Klein- und Mittelbauern zum Anbau dieser Nahrungsmittel an¬
zueifern, sollte der Staat Prämien für den Anbau von Erbsen und
Linsen aussetzen, etwa für den Bau von 10 Zentnern 1 M. pro Zentner.
Es sollte im November und Dezember der Boden umgeackert und
reichlich gedüngt werden. Wenn der Stalldünger nicht ausreicht,
muss man Kunstdünger, Thomasmehl u. dergl. nehmen. Wir haben
sehr viel Plätze, die leer stehen und die zum Anbau dieser Früchte
mit Vorteil verwendet werden können, so z. B. viele Bauplätze, ein
Teil der städtischen Anlagen, Ziergärten, einzelne Waldgegenden
u. dergl. Die Bezirksamtmänner sollten diese Anregungen an die
landwirtschaftlichen Kreise weitergeben. Wir sollten auch die Ungarn
auffordern, in ihren fruchtbaren Gegenden mehr Erbsen, Linsen usw.
zu bauen.
Auch Reis sollte in grösserer Menge auf Lager gelegt werden,
ln Italien sind noch grosse Reislager vorhanden, vielleicht könnte der
Bundesrat die Erlaubnis zur Vermehrung der Reisausfuhr erwirken
und auch Italien veranlassen, mehr Reis anzubauen. Es würde dann
auch der Reis in Deutschland wieder billiger werden und es möglich
zu machen sein, dass das Pfund Reis für 15 — 18 Pf. zu haben ist.
Auch der Reis ist ein vorzügliches Nahrungsmittel, bekanntlich leben
ja viele Volksstämme in Asien, Afrika usw. in der Hauptsache von
Reis, sind dabei sehr kräftig und ausdauernd in der Ertragung von
Strapazen.
Auch die Kastanien werden als Nahrungsmittel noch nicht
ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt. Sie sind ein sehr billiges
und zweckmässiges Ersatzmittel für Fleisch. Sie können gebraten
oder als Püree verspeist werden; ihr Preis ist ein sehr geringer. Mit
Bedauern musste man in den Zeitungen lesen, dass z. B. in der Tau-
nusgegend gewachsene Esskastanien unbenützt verdorben sind.
Aehnliches gilt von der Gemüsekost, auch ihre grosse gesund¬
heitliche Bedeutung wird von der grossen Masse des Volkes zu wenig
gewürdigt; es sind in diesem Herbste ebenfalls grosse Mengen von
Gemüse ungenützt zugrunde gegangen.
Auch Mais und Hafer sind vorzügliche Nahrungsmittel auch
für den Menschen. Es sollten im nächsten Frühling diese Getreide¬
arten in grösserer Ausdehnung als bisher von unseren Landwirten
angebaut werden. Auch sollten die Lebensmittelzölle für Nahrungs¬
mittel während des Kriegs möglichst herabgesetzt werden.
Die Bäcker sollten veranlasst werden, Semmeln aus
Roggenmehl mit Kleienzusatz zu backen. Es sollte den Wirten
befohlen werden, nur solche Semmeln oder anderes Roggenbrot in
ihren Lokalen aufzustellen.
Es müsste angestrebt werden, die irrige Meinung von der Not¬
wendigkeit oder Nützlichkeit des Konsums grösserer Fleischmengen
im Publikum zu widerlegen.
Die Aerzte sollten mehr, als dies bis jetzt geschehen ist, sich mit
den modernen Anschauungen in der Ernährungslehre bekannt machen.
Es wird die Ausbreitung des in weiten Kreisen der Bevölkerung
herrschenden Vorurteils, dass nur animalische Nahrungsmittel
(Fleisch, Milch und Eier) einen grossen Nährwert besitzen, noch
durch manche Aerzte gefördert, indem Kranken und Gesunden wegen
angeblich vorhandener oder zu befürchtender Unterernährung immer
wieder der Konsum grosser Mengen von Fleisch und Eiern empfohlen
wird, obwohl doch nahezu alle Forscher die Meinung vertreten, dass
der allzu reichliche Genuss grosser Quantitäten tierischen Eiweisses
geradezu schädlich wirkt. Erzieherisch würde in dieser Beziehung
es wirken, wenn in Krankenhäusern, Erziehungsanstalten, Gefäng¬
nissen und auch beim Militär ein ausgiebigerer Gebrauch von der
Pflanzenkost gemacht würde. Namentlich von seiten unserer im Felde
stehenden Truppen laufen vielfache Klagen ein über die Einförmigkeit
der Lebensweise, die dadurch herbeigeführt wird, dass sie fast aus¬
schliesslich mit Fleisch genährt werden.
Vor allem wäre es auch wichtig, bei der Erziehung der Kinder
darauf Rücksicht zu nehmen, dass sie sich an den Genuss von Salaten,
Gemüsen, Kartoffeln und Obst mehr gewöhnen.
Bezirksärzte, Bezirksamtmänner und Bürgermeister sollten bei
der Aufklärung der Bevölkerung in bezug auf die Ernährungsfrage
mitwirken.
Auch der Verbrauch der alkoholischen Getränke sollte
immer, vor allem aber in Kriegszeiten, mehr eingeschränkt werden.
Die Herstellung dieser Getränke bedingt eine gewaltige Verschwen¬
dung wichtiger Nahrungsmittel. Die durch den Alkoholgenuss an¬
geblich bewirkte Ersparung von Nahrungsmitteln fällt bei der Mehr¬
zahl der Trinker schon deshalb nicht in vorteilhafter Weise ins Ge¬
wicht, weil ja die alkoholischen Getränke meist nur nebenbei zur
Mahlzeit oder nach der Mahlzeit genossen werden. Eine möglichste
Verringerung des Alkoholgenusses muss geradezu als patriotische
Pflicht erklärt werden.
Auch von diesem Gesichtspunkte aus ist anzuraten, den Peti¬
tionen um Verlängerung der Polizeistunden nicht stattzugeben, um
so mehr als eingelaufene Feldpostbriefe zeigen, dass unsere Soldaten
sich zum Teil sehr bitter darüber beschweren, dass sie in den
Schützengräben frieren, hungern und bluten, während ein Teil ihrer
Angehörigen zu Hause einen grossen Teil der Nacht in den Wirts¬
häusern herumschwärmen will.
Um die Mässigkeit im Alkoholgenuss bei den Soldaten zu fördern,
wäre es wohl angezeigt, von Zeit zu Zeit in den Lazaretten für die
Verwundeten aufklärende Vorträge über den Alkohol zu halten..
In vielen Zeitungen waren in neuerer Zeit Aufrufe an das Publi¬
kum enthalten, es möge nicht zu viel gespart werden. Wir meinen,
dass diese Aufforderung ihre Berechtigung hat, wenn vermögende
Leute vor die Frage der Neuanschaffung von Bekleidungsstücken,
Möbel u. dergl. gestellt werden. Dagegen ist es falsch, vor Sparsam¬
keit in bezug auf Nahrungsmittel zu warnen. Der Import von Nah¬
rungsmitteln von seiten des Auslandes ist zurzeit ein sehr geringer.
Wenn also mit den Nahrungsmitteln nicht gespart wird, so werden
selbstverständlich in einigen Monaten die Preise für Nahrungsmittel
auf eine für viele Leute nur schwer zu erschwingende Höhe hinauf¬
getrieben.
Dr. Hecht Dr. H o h m a n n Prof. Kerschensteiner
Hofrat K r e c k e Dr. L u k a s Dr. S c h o 1 1
Aerztlicher Kriegsausschuss München.
Hofrat C r ä m e r, Hofrat Decker, Dr. K r ü c h e, Geh.-R. Prof,
v. Müller, Hofrat Oppenheimer, Hofrat Theilhaber.
Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2363
Aus Feldpostbriefen.
Aus einem englischen Kriegsgefangenenlager in Nord-Wales
.hreibt uns Herr Stabsarzt Dr. H.:
„Wir sind hier jetzt 9 Kollegen, die in einem Offiziersgefangenen-
,ger untergebracht sind. Ich selbst bin mit 4 anderen Herren seit
IX. in englischer Gefangenschaft. Wir versuchten bald nach unserer
nkunft unsere Entlassung herbeizuführen, erhielten aber Mitte Ok-
iber die Nachricht, dass wir aus militärischen Gründen zuriickge-
alten würden. Neulich hiess es auf eine weitere Eingabe, dass
ir wohl zurückgesandt werden würden, wenn Deutschland die dort
stgehaltenen englischen Aerzte entlasse. Soviel wir wissen, sind
ilche allerdings noch dort, aber ein Teil ist schon vor geraumer
eit zurückgekehrt. So ruht unsere Hoffnung jetzt auf einer Art
ustausch. Es ist natürlich ein betrübliches Gefühl, in solcher Zeit
itenlos zu sitzen, wo unsere Hilfe so nötig ist, im übrigen aber
eht es uns gesundheitlich gut.“
Ausländerei in der Medizin.
Unter diesem Titel wird uns geschrieben:
Obwohl wir unter einer Flut deutscher wissenschaftlicher Publi-
ationen leiden, gibt es bei uns in der Pädiatrie Zeitschriften, welche
on russischen Autoren förmlich überlaufen werden. Alle diese
ublikationen sind aber bereits jenseits von Eydtkuhnen russisch
schienen und werden uns durch unsere dortigen Referenten kurz
^ermittelt! Wenn ferner wenigstens die Qualität derartiger Ar-
;iten die Lektüre lohnte! Schlimmer noch ist jedoch die Art und
■ eise, wie unsere Muttersprache von diesen Autoren geschunden
ird. Es fällt keinem Redakteur ein, die Arbeit zurückzusenden
it der Bitte, sie erst mal in anständigem Deutsch abzuliefern. Nein,
it all den Fehlern gegen die einfachsten Regeln der Syntax wird
;r Plunder gedruckt.
Man macht es unseren Professoren zum Vorwurf, dass das aus-
ndische Element bei den Assistenten und Hörern mehr und mehr
inimmt. Nun darf aber nicht vergessen werden, dass die Leiter
iserer Kliniken von ausländischen Aerzten und Aerztinnen, die bei
nen arbeiten oder hören wollen oder aber direkt von Staats¬
egen nach Deutschland entsendet worden sind, geradezu überlaufen
erden. Die Buntscheckigkeit des Stabes mancher Klinik fordert oft
im Spott heraus. Ich erinnere mich aus meiner Assistentenzeit,
iss unsere Klinik in einem Semester folgende Mitglieder zählte:
Reichsdeutsche, 1 Oesterreicher, 1 Ungar, 1 Tscheche, 5 Russen,
Belgier, 1 Holländer, 1 Norweger, 1 Schwede, 1 Nordamerikaner,
Brasilianer und natürlich der unvermeidliche Japanese. Psycho-
gisch begreiflich ist es ja, dass unsere ersten Meister ein Gefühl
is Stolzes überkommt, wenn sie sehen, wie die Söhne aller Länder
ir Erde zu ihren Füssen sitzen. Aber es lässt sich nicht leugnen,
iss das Entgegenkommen gelegentlich zu weit geht. Es ist vor-
ikommen, dass bei Konflikten infolge von Uebergriffen russischer
olontäre der Chef seine deutschen Assistenten desavouiert hat.
ie schlimmste Folge der gekennzeichneten Verhältnisse ist meines
•achtens die, dass unseren Kliniken und Laboratorien der ursprüng-
:he Charakter einer kleinen, vertrauten Familie verloren gegangen
t. Der Konnex mit dem Chef fehlt. Wie oft habe ich mit Gleich-
:sinnten bedauert, dass eine buntgemischte internationale Gesell¬
haft von mindestens 20 Köpfen sich um das Krankenbett drängte
id einem jede Lust zur Diskussion benahm.
Alles, was ich hier gestreift habe, sind Kleinigkeiten. Ich glaube
>er, wenn andere ihre gleichsinnigen Erfahrungen veröffentlichen
ürden, dann käme schliesslich doch ein stattliches Kapitel heraus,
if das wir nicht sehr stolz sein dürften. Auch unserem medizini-
hen Verlagsfirmen scheint es hie und da an nationalem Rückgrat
i fehlen. So erzählte mir beispielsweise ein Schiffsarzt, er habe das
:kannte Werk: „Die deutsche Klinik am Eingang des XX. Jahr-
inderts“ in Brasilien in portugiesischer Uebersetzung gesehen,
rer wie hatte sich der Titel verändert? : Die zeitgenössische
mik am Eingang usw. Kl.
Sicheres Mittel gegen Flöhe.
Wer je während Kriegszeiten ein Lazarettbett oder überhaupt
i Soldatenbett zum Schlafen benutzen musste, wird erfahren haben,
ie oft nach schwer vollbrachtem Tagewerke oder auch nächtlicher
itigkeit der ersehnte Schlaf stundenlang hintangehalten wurde durch
ne Unzahl von Flöhen.
Hier ein Mittel dagegen: Man fülle ein 200-g-Glas oder eine
Ibe Weinflasche mit 2 proz. Karbollösung, nässe damit den Zipfel
nes Handtuchs oder Taschentuchs oder einen Bausch Wundwatte
id betupfe damit in der Grösse eines Zwei- oder Dreimarkstücks
.s Hemd auf der Brust links und rechts einmal, ebenso auf der
mch-, Rücken- und Gesässseite, desgleichen Oberarme und Unter-
me, Oberschenkel und Unterschenkel, je nur einmal.
Man wird sofort von den lästigen Tieren befreit und der er-
ünschte und nötige kostbare Schlaf tritt ein. Gut wird es sein, dies
irgehen nochmals am zweiten Abende zu wiederholen.
Geh. San.-R. Berkhan - Braunschweig.
Therapeutische Notizen.
O r t i z o n So gewagt es erscheinen mag, bei der Wundbehand¬
lung unserer und der feindlichen Krieger eine Art Panazee zu emp¬
fehlen, möchte ich doch auf ein Präparat hinweisen, welches m. E.
noch lange nicht den hervorragenden Platz in unserer Lazarett- und
Feldapotheke einnimmt, den es verdient. Ich meine das Ortizon
der Firma Bayer & Co. Ich benutze dasselbe in Form des „Stiftes“
(mitunter auch des trockenen Pulvers) in meinem Reservelazarett mit
seltenen Ausnahmen bei allen offenen Fleisch- und Hautwunden.
Der Ortizonstift wird bekanntlich wie ein Höllensteinstift (in
handlicher Fassung) verwendet, vor dem er aber u. a. den Vorzug
der Sauberkeit geniesst. — Uebelriechende und schmierige Wunden
werden durch täglich einmaliges Bestreichen oft schon in wenigen
ragen geruchlos und bilden gesunde Granulationen. Die Schmerz¬
haftigkeit bei der Anwendung ist minimal. — Bei stark sezernieren-
den Schusswunden kann der Stift mit Erfolg tief eingeführt werden,
ein Verfahren, das sich gut mit Durchspülung des Schusskanales mit
3 proz. W asserstoffsuperoxydlösung kombinieren lässt. Aus Spar-
samkeitsrücksichten kann man sehr wohl einen Stift (nach kräftiger
Abreibung) mehrmals verwenden, wenn man eine sonst einwand¬
freie Wunde vor sich hat. Wo hingegen der geringste Verdacht einer
Infektionsgefahr besteht, ist selbstverständlich für jeden Fall ein
neuer in Anwendung zu bringen. Zur nachherigen Bedeckung der
Wunde verwenden wir, um den Watteverbrauch möglichst einzu-
schränken, neuerdings fast nur noch sterile Charpie mit Gaze-
umhüllung und Zellstoff. San.-Rat Dr. Rindfleisch - Weimar.
Tagesgeschichtiiche Notizen.
München, den 5. Dezember 1914*).
— Während in dieser Woche von keinem der Kriegsschauplätze
grössere Ereignisse zu melden sind — die Besetzung von Belgrad
erfolgte ohne schwere Kämpfe — , bildete im Innern die kurze Sitzung
des Reichstages am 2. ds. eine eindrucksvolle Kundgebung; sie zeigte
von neuem die völlige Einigkeit aller Parteien und Stämme des
Reiches und die restlose Uebereinstimmung zwischen Regierung und
Volksvertretung in dem festen Willen, den uns aufgezwungenen Krieg
durchzuführen bis zu einem Frieden, der der gebrachten Opfer
wert ist.
Der von der Regierung verlangte Kredit von 5 Milliarden wurde
fast einstimmig (gegen die Stimme des Dr. Liebknecht) ge¬
nehmigt. Von dieser grossen Summe sollen 200 Millionen für soziale
Zwecke, zur Linderung der durch den Krieg geschaffenen Not ver¬
wendet werden. Besonders erfreulich ist, dass dabei auch eine
Reichshilfe für Wöchnerinnen ins Auge gefasst ist. Allen
Frauen, deren Ehemänner, soweit diese zum Kreise der gegen Krank¬
heit versicherten Personen gehören, während des Krieges dem Reiche
Kriegs-Sanitäts- oder ähnliche Dienste leisten, soll im Falle ihrer Ent¬
bindung eine ausserordentliche Unterstützung aus Reichsmitteln ge¬
leistet werden. Diese besteht in freier Hilfe durch Hebamme oder
Arzt, aus einem Wochengeld in Höhe von 1 M. täglich für 8 Wochen
und aus einem Stillgeld von 50 Pf. täglich tür selbststillende Wöchne¬
rinnen für die Dauer von 12 Wochen nach der Niederkunft. Die
Kosten dieser Wochenhilfe werden auf 2 Millionen monatlich ge¬
schätzt. Begründet wird dieser hohe Aufwand aus zwei Gesichts¬
punkten: „Einmal hat der Ruf zu den Fahnen, also die Wahrnehmung
der höchsten Pflicht gegen das Vaterland, den am Kriege teilnehmen¬
den Ehemännern die Möglichkeit genommen, hier selbst mit des-
nötigen Hilfe für die ihrigen einzutreten. Da ist es dann nur billig,
wenn diesen Männern die Sorge um Wohl und Bestand ihrer Familie
durch die Gewissheit erleichtert wird, dass ihre Frauen in deren
schwerer Stunde vor äusserster Not geschützt und der bitteren Sorge
um das Leben der Neugeborenen enthoben sind. Sodann aber machen
die gewaltigen Opfer an Menschenleben, die der Krieg fordert, es zu
einer unabweisbaren Pflicht des Reiches, vorsorglich auf die Er¬
haltung und Kräftigung der kommenden Generation schon bei deren
Eintritt ins Leben Bedacht zu nehmen.“
Die Not des Krieges hat hier also einer Forderung zur An¬
erkennung verholfen, die noch bei den Beratungen über die Reichs-
versicherungsordnung vergebens durchzusetzen versucht wurde. Be¬
merkenswert ist besonders auch die Betonung der Pflicht der Für¬
sorge für die Erhaltung und Kräftigung der kommenden Generation
schon bei deren Eintritt ins Leben. Hier liegt der erste Schritt zu
einer rassenhygienischen Betätigung von seiten des Reiches vor. Die
durch den Krieg erzeugte bittere Notwendigkeit wird wohl noch
weitere Schritte auf diesem Wege zur Folge haben. So gewinnen
die von uns in Nr. 28, S. 1568 d. W. mitgeteilten Leitsätze der Deutschen
Gesellschaft für Rassenhygiene eine vor wenigen Monaten noch nicht
geahnte Bedeutung.
— Der frühere Gynäkologe der Universität Bonn, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Fritsch, feierte am 5. ds. seinen 70. Geburtstag.
— Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. S a a t h o f f in Oberst¬
dorf im Allgäu, hat soeben seine neuerbaute Kuranstalt „S t i 1 1 a c h -
hau s“ für innere und Nervenkrankheiten eröffnet. Die Anstalt, die
einen Besitz von 24 000 qm umfasst, liegt in geschützter Lage auf
*) Die vorliegende Nummer musste wegen eines katholischer
Feiertags früher abgeschlossen werden. Red.
2m
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 49.
einer Anhöhe, gegen 900 m ü. M„ mit der vollen Front gegen
Süden und prächtigem Blick auf das Gebirge. Der Bau ist nach den
Plänen von Prof. Brill- Kaiserslautern errichtet und macht einen
ungemein freundlichen Findruck. Kr vereinigt in sich alle Fort¬
schritte der Technik im Sanatoriumsbau. Er verfügt über eigene
Wasserleitung und Kanalisation, Warmwasserheizung, Heisswasser¬
leitung, elektrische Lichtanlage etc.; ebene Gartenwege und Aufzug
ermöglichen auch herzleidenden Kranken freie Bewegung ohne steigen
zu müssen. Da Bayern nur wenige allen Anforderungen entspre¬
chende, ärztlich geleitete Sanatorien in dieser Höhenlage besitzt,
entspricht die Anlage auch einem Bedürfnis.
— Die zahlreichen Hilfsexpeditionen, die das Deutsche Rote
Kreuz in den letzten Jahren zur Linderung der Not in fremden Krie¬
gen ausgerüstet hat, haben jetzt eine zusammenfassende Darstellung
gefunden in dem soeben aus Anlass des 50 jährigen Bestehens des
Roten Kreuzes bei J. Springer in Berlin erschienenen Werk:
„Beiträge zur Kriegschirurgie aus den Hilfsunter¬
nehmungen der deutschen Vereine vom Roten Kreuz während des
italienisch-türkischen Feldzuges 1912 und des Balkankrieges 1912/13“,
herausgegeben vom Zentralkomitee der deutschen Vereine vom Roten
Kreuz. Mit 607 Abbildungen. 1113 Seiten. Preis 40 M. Wir wer¬
den eine eingehendere Besprechung des grossen, für die Kriegs-
chirurgie jetzt besonders wichtigen Werkes demnächst bringen.
In J. F. L e h m a n n s Verlag in München erschien das 2. Blatt
der Wandtafel: „Kriegsschiffsverluste unserer Feinde.
Verluste bis 15. November 1914“. Das Blatt zeigt im Bilde die zu
Verlust gegangenen Kriegsschiffe der feindlichen Flotten, mit Angaben
über ihre Grösse, Bewaffnung, Besatzung etc. Das Blatt wird vom
Veriag allen Lazaretten des Deutschen Reiches und von Oesterreich-
Ungarn für jeden Kranktnsäal kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Im gleichen Verlag erschien ferner das 2. Blatt der See - und
Landkriegskarte, enthaltend Mittelmcer und angrenzende
Länder Preis 1 M.
— Cholera. Deutsches Reich. Das Auftreten der Cholera in
Russland und ihr Vordringen nach Oesterreich-Ungarn hat dazu ge-
tührt, dass auch einige Fälle sich in Oberschlesien gezeigt haben.
Es handelte sich dabei bisher um 36 Erkrankungen, die, abgesehen
von 3 Fällen, sämtlich bei Angehörigen der österreichisch-ungarischen
Armee oder bei Fuhrleuten, die im Dienste dieser Armee stehen,
vorgekornmen sind, ln der Woche vom 8. — 14. November wurden
in Myslowitz (Reg.-Bez. Oppeln), Altberun und Tichau (Kr. Pless)
je 1 Erkrankung festgestellt. In der Woche vom 15. — 21. November
wurden 17 Erkrankungen gemeldet, und zwar in Kreuzburg 6, in
Tichau, Nikolai (Kr. Pless) und Gleiwitz je 2, in Boguschütz, Birken¬
thal- Kochlowitz (Kr. Kattowitz), Rosenberg und Pless je 1. Vom
22.-28. November wurden 16 Erkrankungen ermittelt, davon in Ro-
senberg und Kreuzburg je 4, in Pless 3, in Pogorzelletz bei Kandrzin,
Gleiwitz, Tichau, Kattowitz und Kgl. Neudorf je 1. — Oesterreich-
Ungarn. In der Woche vom 1. — 7. November wurden in Oesterreich
844 Erkrankungen (und 331 *) Todesfälle] festgestellt, und zwar in
Niederösterreich 105 (16) — davon in Wien 90 (10), in Galizien in
46 Gern. 584 (268) — davon in Krakau 22 (2), in Przemysl 126 (44).
Von den Erkrankten in Galizien waren 336 Militärpersonen und
248 Einheimische; von den 260 in anderen Landesteilen vorge-
kommenen Erkrankungen betrafen 19 die einheimische Bevölkerung
und 190 Militärpersonen, die vom nördlichen Kriegsschauplatz ange¬
langt waren (darunter 44 russische Gefangene) und 7 aus Galizien
zugereiste Ortsfremde. In Ungarn wurden in derselben Zeit 532 Er¬
krankungen gemeldet.
Pest. Türkei, ln Bagdad sind vom 4. — 15. November
3 Pestfälle, darunter 2 mit tödlichem Ausgange, festgestellt worden.
Ruhr. Preussen. In der Woche vom 15. — 21. November
sind 240 Erkrankungen (darunter 187 bei Kriegsteilnehmern) (und 7)
Todesfälle gemeldet worden. — Oesterreich. Vom 25. — 31. Oktober
wurden 705 Erkrankungen (und 36 Todesfälle) gemeldet.
- Unterleibstyphus. Spanien. In Barcelona herrscht
seit Mitte September eine Typhusepidemie, die auf die Verseuchung
einer Wasserleitung zurückgeführt wird und bisher etwa 10 000 Er¬
krankungen verursacht hat. Der Bestand an Typhuskranken in der
Stadt betrug zu Beginn des Monats November etwa 6000.
ln der 46. Jahreswoche, vom 15. — 21. November 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Zwickau mit 31,0, die geringste Neukölln und Recklinghausen-
Land mit 6,1 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als
ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Königshütte,
Thorn, Wanne, Zabrze, an Diphtherie und Krupp in Berlin-Pankow,
Beuthen, Buer, Erfurt, Gotha, Magdeburg, Mülheim a. Rh., an Keuch¬
husten in Gladbeck. Vöff. Kais. Ges.A.
(Hochschulnachrichten.)
Bonn. Dr. Heinrich Bickel, Assistenzarzt der Psychiatri¬
schen und Nervenklinik, hat die venia legendi für Psychiatrie und
Neurologie erhalten.
Frankfurt a. M. Der Prosektor am anatomischen Institut
der Universität, Dr. med. Hans Bluntschli, bisher Privatdozent
in Zürich, hat sich für normale Anatomie habilitiert.
Leipzig. Das Semester hat begonnen und die Kliniken und
wichtigsten medizinischen Vorlesungen werden vor einer kleinen
*) lin einzelnen angeführt sind nur 323 Todesfälle.
Verlag von J. E. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26
Hörerzahl, unter der die Damen stark vertreten sind, wie gewöhnlich
gelesen. Von den Direktoren der medizinischen Institute stehen nur
Geheimrat Payr (als beratender Chirurg des XII. Res.-Korps),
Prof. Heineke (als beratender Chirurg des XIX. Korps), Prof.
T h i e m i c h (als Stabsarzt) und Prof. Dcpendorf (als Ober¬
leutnant d. R.) im Felde; sie werden von Geheimrat Tillmanns,
Dr. Rosenthal, Privatdozent Dr. H o h 1 f e 1 d und Zahnarzt
Schuster vertreten. — Der a. ö. Professor der Augenheilkunde
Birch - Hirse Ilfeld hat einen Ruf als Nachfolger von Prof.
S c h i e c k nach Königsberg i. Pr. erhalten und angenommen. —
Geheimrat Payr erhielt das Offizierskreuz des Albrechtordens mit
Schwertern.
Rostock. Die venia legendi für Anatomie wurde dem Pro¬
sektor am anatomischen Institut Dr. med. et phil. Richard Nikolaus
Wegner erteilt, (hk.)
Prag. Den Privatdozenten Dr. Wilhelm Anton (Otologie und
Rhinologie) an der deutschen Universität und Dr. Johann Jansky
(Psychiatrie) an der böhmischen Universität wurde der Titel eines
ausserordentlichen Professors verliehen, (hk.)
I Ehrentafel.
Fürs Vaterland starben:
O.-A. d. Res. Dr. Aber t, 5. Bayer. Feld.-Art.-Reg.
Zahnarzt A h n h u d t, L. d. Res.
Kriegsfreiwilliger stud. med. Duttlinger.
Unterarzt Dr. Gr assmann.
stud. med. Karl ü u t e k u n s t, aus Württemberg, Unter¬
offizier im Kolmarer Jägerreg. am 5. IX. im Feldlazarett ln
i- Raon l’Etappe.
cand. med. H c 1 m e c k e.
I Marinestabsarzt d. Res. Hohene m s e r.
stud. med. Jos. Kretz.
Unterarzt K i m s t e r.
Stabsarzt d. Res. Dr. Langfelder.
stud. med. Otto Mausser aus Geislingen, Unteroffizier im
Inf.-Reg. Nr. 180 am 29. September bei Bapanne.
Z.-A. W. Renk.
stud. med. Josef Riedlinger, Kriegsfreiwilliger aus Kirch¬
seeon, am 19. November im Feldlazarett in Comines.
stud. med. Stange,
cand. med. K. Texter,
stud. med. H. Urban, 9. Jäger-Bat.
Zahnarzt N o g e 1.
stud. med. H. Wagner.
Oesterreich-Ungarn.
cand. med. Dragotin M a r c i n k o, am 2. XI. in Debrcczin.
Berichtigung. Unterarzt Dr. W. Künstler aus
Sonneberg i. Thür., 11. Res.-San.-Komp., IV. Reserve-Korps,
ist nicht gefallen, sondern nach 4 wöchiger Gefangenschaft
wieder bei der Truppe und Ritter des Eisernen Kreuzes.
Korrespondenz.
Bezüge der Sanitätsoffiziere a. D.
Zu der Notiz in Nr. 47 S. 2299 schreibt uns der dem XIV. Armee¬
korps angehörige Einsender, dass inzwischen die Verfügung heraus¬
kam, dass die gedienten Sanitätsoffiziere a. D. M. 400. — Bekleidungs¬
geld erhalten.
Zu derselben Sache schreibt uns das Kgl. bayer. Kriegsmini-
stcrium:
„Die Sanitätsoffiziere z. D. und a. D. erhalten, soweit sie nicht
schon im Frieden bis zur Mobilmachung in Wiederverwendung stan¬
den, eine Einkleidungsbeihilfe von 300 M„ wenn sie in mobiler Ver¬
wendung stehen; von 400 — 600 M., wenn sic einer immobilen Forma¬
tion angehören.
Diese mobilen Sanitätsoffiziere erhalten neben der bezeichneten
Einkleidungsbeihilfe noch das Mobilmachungsgeld.“
Abgabe von Nährgelatine durch die Kgl. Landes-
anstaltfür Wasserhygiene in Berlin-Dahlem, Post: Berlin-
Lichterfelde 3, Ehrenbergerstrasse 38, 40, 42.
Die Kgl. Landesanstalt für Wasserhygiene hat
mit der Abgabe von N ä h r g e 1 a t i n e, die für die Zwecke der
bakteriologischen Wasseruntersuchung bestimmt ist, begonnen. Der
Preis für je ein Reagenzgläschen mit 10 ccm Nährgelatine (aus¬
schliesslich Verpackung) ist, den Selbstkosten der Anstalt entspre¬
chend, auf 18 Pf. festgesetzt.
Eine Abgabe unter 10 Stück kann nur in Ausnahmcfällen statt¬
finden ; für grössere Aufträge muss sich die Landesanstalt eine Liefer¬
zeit von etwa 8 Tagen Vorbehalten.
Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruck rci A.G., München.
Brei» der einzelnen Nummer HO ■),. • Bezugspreis in Deutschland
• • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen • • •
Inseratenschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
Für die Schriftleitung : Arnulfstr. 26 (Sprechstunden * — 1 Uhry
Für Bezug: an I. F. Lelimann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 50. 15. Dezember 1914.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Der feinere Bau der Niere.
Von Dr. Karl Peter in Greifswald.
Die Lebenstätigkeit des Nierenkanälchens wird gerade in
letzter Zeit von vielen Seiten zu erforschen gesucht. Physio¬
logen, Pathologen, Kliniker und Pharmakologen arbeiten zu¬
sammen, um den so schwierigen und rätselhaften Vorgängen,
die sich in der Nierenzelle abspielen, auf die Spur zu kommen.
Das Ideal dieser Forscher ist ja, für jeden Abschnitt des
in verschiedene Segmente zerfallenden Nierenkanälchens die
spezifische Funktion zu erkennen, um dann bei Erkrankungen
aus dem Urin den erkrankten Teil bestimmen und isoliert
therapeutisch angreifen zu können.
Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Morpho¬
logie des Harnorgans in extenso berücksichtigt wird. Findet
man bei einem Experiment Veränderungen in einem Abschnitt
der Kanälchen, so muss man natürlich bestimmen können, um
welches Segment es sich handelt. Unter Berücksichtigung der
mikroskopisch-anatomischen Tatsachen erhält man wichtige
gesicherte Resultate, auf denen weiter gebaut werden kann.
Dies lehren die Arbeiten der A s c h o f f sehen und Mar¬
ch a n d sehen Schule.
Gar oft ist aber gerade von seiten der Kliniker diesen An¬
forderungen nicht genügt worden. So gelangen diese zu fal¬
schen Diagnosen, zu Verwechslungen der einzelnen Teile der
Harnkanälchen und zu falschen Schlüssen, die dann zum min¬
desten Verwirrungen in der Literatur zur Folge haben.
Ein Beispiel möge hier angeführt werden:
W. Gross hat in seiner eingehenden Arbeit „Experimentelle
Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen histologischen
Veränderungen und Funktionsstörungen der Nieren“ (Beitr. pathol.
Anat. 21, 1911) in seiner Fig. 5 ein Rindenstück mit 2 Markstrahlen
abgebildet ln letzteren findet er bei Sublimatvergiftung „Degenera¬
tion der breiten Schenkel“. Damit meint er, wie aus anderweitigen
Angaben hervorgeht, die distalen, rückläufigen Schleifenschenkel, an
die sich die Schaltstücke anschliessen (s. W. Gross: Ueber den
Nachweis von Zellveränderungen durch vitale Färbung. Verh.
Naturf. u. Aerzte, Karlsruhe). Nun sind aber in den Markstrahlen die
distalen Schenkel dünner als die absteigenden, die hier noch durch
das breite Hauptstück gebildet werden. Somit gehört der veränderte
Teil dem Hauptstück an und damit stimmt gut überein die Angabe
S u z u k i s, eines Schülers von Asch off, dass Sublimat haupt¬
sächlich den Endteil des Hauptstückes angreift. Gross hat sich
zu seiner falschen Annahme durch die älteren Diagramme vom Verlauf
der Nierenkanälchen verleiten lassen, die das Hauptstück nicht in
Markstrang und Mark hinabreichen lassen.
Auch anderweitig begegnet man ähnlichen Verwechse¬
lungen. Im Interesse der Sache erscheint es mir daher geboten,
hier noch einmal kurz die Anatomie der Niere des Kaninchens
zu schildern, um das Augenmerk auf die Morphologie zu
wenden, deren Berücksichtigung für experimentelles Arbeiten
unerlässlich ist, will man nicht den Fortschritt der Wissen¬
schaft hindern.
Ich wähle für meine Darstellung das Kaninchen, weil es
das Hauptuntersuchungstier der Experimentatoren ist und in
manchen Richtungen für uns geradezu schematische Verhält¬
nisse aufweist. Wer sich über Einzelheiten unterrichten will,
findet sie in meinen Untersuchungen über Bau und Entwicklung
der Nieren, Heft I (Jena, G. Fischer, 1909), in denen sich
auch eingehende Angaben über die Niere des Menschen, des
Schafes, der Katze und des Schweines finden.
Beginnen möchte ich mit einer Darstellung des Ver¬
laufes der Harnkanälchen, wie sie sich nach Iso-
Nr. 50.
lationspräparaten ergab, um dann ihre Lagerung zu be¬
sprechen.
Die Schilderung des Verlaufes des Nierenkanälchens geschieht
am besten an der Hand eines Diagramms (Fig. 1), das 2 solche
Kanälchen in der Länge 162/3mal, in der Dicke um das Dreifache,
also 50 mal vergrössert zeigt. Für die Bezeichnung der einzelnen
Segmente hatte ich neue Namen eingeführt. Ich gebe sie hier wieder,
nicht weil ich sie für unverbesserbar halte, sondern weil es zurzeit
die einzigen sind, die ein bestimmtes Stück nach Verlauf und Aus¬
sehen vollständig kennzeichnen. Der Uebergang eines Segmentes
in das folgende findet sfeh nämlich an einer bestimmten Stelle, die
aber meist unabhängig ist von dem Verlauf des Röhrchens, so dass
weder eine Einteilung nach dem Verlauf allein noch eine nach dem
histologischen Aussehen allein für wissenschaftliche Arbeiten genügt.
Auch ist meine Nomenklatur z. B. von A s c h o f f und seiner Schule
angenommen worden, so dass neue Bezeichnungen leicht Verwirrung
stiften könnten.
Aus der Bowmanschen Kapsel des Nierenkörperchens ent¬
wickelt sich, meist von ihrer peripheren Seite, mittels eines schwach
ausgeprägten Halses das Hauptstück (= Tubulus contortus erster
Ordnung der Autoren, in Fig. 1 punktiert angegeben), das erst ein
Konvolut gewundener Schlingen bildet. Diese Schlingen liegen
meist peripher vom Glomerulus. Dann tritt das Hauptstück entweder
direkt (links) oder nach einem verschieden langen Verlauf im Mark¬
strahl (rechts) in das Mark ein, in dem es eine ganz bestimmte Zone
(AS) durchläuft, um sich erst an deren zentraler Grenze in den
dünnen hellen Teil der H e n 1 e sehen Schleife fortzusetzen.
Fs ist zu beachten, dass dieser längste und wichtigste Abschnitt
des Harnkanälchens, der die Kliniker besonders interessiert hat, nicht
allein in der Rinde gelegen ist, sondern ohne Veränderung seines
Aussehens auch in das Mark hinein reicht; deshalb ist der Name
„Tubulus contortus“ nicht ausreichend. Ich spreche von einem
„Hauptstück“, dessen Pars convoluta oder corticalis das Konvolut
in der Rinde bildet, und dessen Pars medullaris oder recta schon
dem Mark zugehört.
Damit bildet das Hauptstück also einen Teil der Henleschen
Schleife, und zwar von deren proximalem Schenkel.
Auf das Hauptstück folgt der helle dünne Teil der H e n 1 e -
sehen Schleife (weiss gehalten in Fig. 1), ein eigentümlicher Abschnitt
mit glatten Zellen, der entweder — bei langen Schleifen (links) —
den Scheitel der H e n 1 e sehen Schleife mitbildet und dann noch in
den distalen oder rückläufigen Schenkel derselben mit
hinüberreicht oder — bei kurzen Schleifen (rechts) — schon vor oder
in oder kurz hinter dem Schleifenschenkel dem nächsten Segment
Platz macht. Jedenfalls bildet er stets einen Abschnitt der Henle¬
schen Schleife und liegt somit beim Kaninchen in der Marksubstanz.
Bei kurzen Schleifen am oder nahe am Scheitel, bei langen im
Verlaufe des distalen Schenkels, wiederum in bestimmter Höhe des
Markes, nimmt das Kanälchen wieder ein trüberes Aussehen an und
sein Epithelbelag erhöht sich zu kubischen Zellen.
Im Salzsäureisolationspräparat, das alle Segmente des Kanäl¬
chens deutlich von einander unterscheiden lässt, sieht dieser Abschnitt
trübe gekörnt aus. Dieser dicke trübe Teil der Henle¬
schen S c h 1 e i f e (in Fig. 1 kreuzweis schraffiert) umfasst nun aber
nicht den distalen Schleifenschenkel in seiner ganzen Länge, sondern
in der Höhe angelangt, in der die Hauptstücke in die dünnen hellen
Segmente übergehen, wird der Zellbelag niedriger und heller, das
Kaliber des Röhrchens nimmt wieder ab, ohne aber das Aussehen des
hellen dünnen Abschnittes zu erreichen. Diese Veränderung im Cha¬
rakter des distalen Schleifenschenkels ist beim Kaninchen sehr auf¬
fällig, wenn auch wenig bekannt und sogar bestritten. Ich möchte
auf ihn besonders hinweisen, da ihm sicher auch eine physiologische
Bedeutung zukommt.
So legt sich das Kanälchen an das Nierenkörperchen, von dem es
ausgegangen war, an und zwar an seine Gefässpforte. Darauf be¬
ginnt das Schaltstück, das im Beginne eng und hell ist (ich habe
diesen Teil als „Zwischenstüc k“ vom eigentlichen Schaltstück
unterschieden), bald aber (horizontal schraffiert) ein weites Kaliber
und trübes Aussehen zeigt. Es bildet eine rückläufige Schlinge. All¬
mählich geht aus diesem durch Aufhellen des Epithels das initiale
Sammelrohr hervor, das im peripheren Teil der Rinde mit (3
oder 4) anderen zusammenfliesst, dann, ohne Aeste aufzunehmen,
Markstrahlen und fast die ganze Aussenzone des Marks durchzieht
X
236 6
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 50.
und erst in der Innenzone sich mit anderen vereinigt, um als dicker
Ductus papillaris an der Papillenspitze auszumünden.
Dies ist in kurzem der Verlauf des Harnkanälchens und
seine Zusammensetzung aus einzelnen Folgestücken, die sich
durch ihre Epithelbeschaffenheit charakterisieren.
Besonders bedeutungsvoll ist es nun, dass alle diese Ab¬
schnitte eine fast normierte Lagerung innehalten. Der Ueber-
gang der Segmente in einander findet in einer ganz be¬
stimmten Höhe statt, so dass die Nierensubstanz in mehrere
konzentrisch umeinander geschichtete Zonen zerfällt, die ma¬
kroskopisch gut erkennbar sind und ein sehr willkommenes,
aber fast völlig vernachlässigtes Hilfsmittel für die Bestimmung
der Lokalisation einer Veränderung im Nierenkanälchen bieten.
Jede Zone birgt nämlich eine bestimmte Gruppe von Kanäl¬
chenabschnitten; findet man in einer Schicht makroskopisch
besonders eingreifende Veränderungen, so kann man schon
bestimmen, welche Kanälchenteile pathologisch affiziert sein
werden und welche nicht.
Auf dem Mittelschnitt [Sektionsschnitt durch die Niere
(s. Fig. 2)] findet man in dem streifig aussehenden Mark eine
Erklärung zu Figur 1.
Schema des Verlaufs der Nieren¬
kanälchen des Kaninchens, 50-
resp. 16,7 mal vergrössert.
Links ist eine lange Henlesche
Schleife dargestellt, zentralen
Konvoluten entstammend, rechts
eine kurze, von peripheren Kon¬
voluten ausgehend.
Schwarz : Nierenkörperchen.
Punktiert: Hauptstücke. Schraf¬
fiert : Schaltstück. Kreuzweis
schraffiert: Trüber Teil der
Henl eschen Schleife. Weiss:
Dünner heller und heller dicker
Teil der Schleife mit Zwischen¬
stück, Sammelröhrchen.
Die Ausdehnung der Mark¬
strahlen ist durch eine punktierte
Linie angegeben. R Rinde, AZ
Aussenzonne, JZ Innenzone des
Markes, AS Aussenstreifen, JS
Innenstreifen der Aussenzone.
Die beiden Figuren wurden mit
gütiger Erlaubnis des Verlegers,
Herrn Dr. O. Fischer, einer
vorläufigen Mitteilung in den
Verhandl. d. anatom. Gesellschaft
1907 entnommen.
Erklärung zu Figur 2.
Durchschnitt durch eine Kanin¬
chenniere 2: 1. AZ Aussenzone,
JZ Innenzone, M Mark, R Rinde.
Kaninchen
Figur 1.
Figur 2.
parallel der Aussenfläche des Organs laufende scharfe Linie,
die einen ausgedehnten zentralen, durchscheinend weisslichen
Teil von einem schmäleren, dunkleren, trüben, gelben Streifen
scheidet, der deutlich radiär gestreift ist und noch weiter
peripher durch Blut mehr rot gefärbt ist. Ersteren Bezirk
nannte' ich die „Innenzon e“ (IZ) des Markes, letzteren die
„Aussenzon e“ (AZ). An dieser Grenzlinie gehen, wie
Isolationspräparate und Schnitte zeigen, die dünnen, hellen
Teile der langen Schleifen in die dicken, trüben über. In der
Innenzone findet man also nur dünne Schleifenteile und
Sammelröhren; in sie reichen allein die „langen“ Schleifen
herab, da bei den „kurzen“ der Scheitel in der Aussenzone
liegt (s. Fig. 1). In der ersten Figur sind die Grenzen der
Zonen eingetragen; man kann aus ihr ersehen, wie sie durch
die Epithelvcränderungen im Harnkanälchen hervorgebracht
werden.
Auch die Aussenzone zerfällt wieder in zwei Streifen,
die etwa gleichbreit sind, an deren Grenze der Markteil des
Hauptstückes sich in den hellen, dünnen Teil der H e n 1 e sehen
Schleife fortsetzt (s. Fig. 1). Allerdings ist diese Einteilung in
einen „Innenstreifen“ und einen „Aussenstreifen“ an frischen
Nieren selten deutlich zu sehen, denn die Gefässe, die dem
peripheren Abschnitt der Aussenzone in wechselnder Breite
ein rotes Aussehen verleihen, verdecken ihn meistens, doch ist
sie an entbluteten und zwecks Mazeration in Salzsäure über¬
tragenen Nieren gut wahrzunehmen. In Fig. 2, die nach einer
frischen Niere gezeichnet worden ist, ist diese Grenze nicht
angegeben.
Man wird vermissen, dass ich der H e n 1 e sehen „G r e n z-
s c h i c h t“, besser „G e f ä s s s c h i c h t“ des Markes keine
Erwähnung getan habe. So bezeichnete man die rote Zone des
Markes, die der Rinde zu gelegen ist. Sie hat aber für die
Einteilung der Substantia medullaris keinen Wert, da die Ge-
fässfüllung, die ihr den Namen gegeben hat, die Aussenzone in
wechselnder Ausdehnung rot färbt; sie stellt keine konstant
breite Schicht dar, ihre Grenze fällt daher nicht mit Verände¬
rungen im Aussehen der Harnkanälchen zusammen. Stets zeigt
sich zentral von ihr ein gelber Streifen, der noch der Aussen¬
zone angehört.
Somit verteilen sich die Kanälchenabschnitte auf die ein¬
zelnen Zonen der Niere in ganz gesetzmässiger Weise. Die
Zusammensetzung der Schichten ist folgende:
I. Rinde, Substantia corticalis.
a) Pars convoluta, Nierenlabyrinth. Nierenkörper¬
chen mit Konvoluten des Hauptstückes. Letztes Ende des distalen
Schleifcnschenkels. Schaltstück mit Zwischenstück. Initiale Sammel-
röhren mit peripheren Vereinigungen.
b) Pars radiata, Markstrahlen. Markteile des Haupt-
stiiekes, distale Schleifenschenkel, helle Teile Sarnmelröhrchen.
II. Mark, Substantia medullaris.
a) Aussenzone:
1. Aussenstreifen: Markteile der Hauptstücke. Distale Schleifen-
schenkel übergehend in den dicken trüben Teil, Sarnmelröhrchen
zuflusslos.
2. Innenstreifen: dünne helle und dicke trübe Schleifenteile.
Scheitel der kurzen Schleifen, Sarnmelröhrchen.
b) Innenzone:
Helle, dünne Teile der langen H e n 1 e sehen Schleifen mit
Scheitel, Sarnmelröhrchen mit Zusammenflüssen.
Die Kaninchenniere zeigt also eine deutliche Schichtung;
diese sollte man bei der Schilderung pathologischer Verände¬
rungen zu Grunde legen.
Jedenfalls ist die oft gebrauchte Einteilung des Nieren¬
kanälchens in Tubuli recti und Tubuli contorti vollständig zu
verwerfen; sie sagt nichts über die Natur der einzelnen Ka¬
nälchensegmente aus, da keine Abteilung von der anderen im
Bau ihrer Kanälchen völlig verschieden ist; in beiden finden:
sich Hauptstücke, distale Schleifenschenkel und Sammel-!
röhrchen; den Tubuli contorti ist eigen das Schaltstück, den
recti der dünne uird der trübe Schleifenteil. Gerade also für
die Beteiligung des Hauptstückes an einer Veränderung sagt:
diese Einteilung nichts aus.
Die Kaninchenniere ist also, was die Lagerung der Ka¬
nälchensegmente anlangt, ein sehr günstiges Objekt, das die.
einfachsten Verhältnisse geradezu schematisch zeigt.
Dagegen ist ihr Schnittbild sehr schwer zu deuten,
und viele Autoren sind dabei in Unterschätzung der Schwierig¬
keiten in Irrtiimer verfallen.
Dies betrifft allerdings weniger das Mark, dessen einzelne:
Zonen leicht ihre Kanälchensegmente diagnostizieren lassen:
die Innenzone führt neben den grossen Sammelgängen, deren
Epithel deutliche Zellgrcnzen aufweist, nur die hellen, dünnen
Schleifenteile, deren glattes Epithel nur Spuren von Proto¬
plasma zeigt. Im Innenstreifen der Aussenzone gesellen sich
zu diesen Gebilden die dicken, trüben Schleifenteile, die mit
15. Dezember 1914.
muenchener Medizinische Wochenschrift.
2367
ihrem hohen. Eosin stark annehmenden Zellbelag den Haupt¬
stücken nicht unähnlich sind — es fehlt ihren Elementen jedoch
die Längsstreifung sowie der Bürstenbesatz. Im Aussenstreifen
wird ihr Epithel niedriger, färbt sich auch viel weniger mit
Eosin. Dagegen sind hier die dünnen Schleifenteile durch die
Markteile der Hauptstücke mit ihrem bekannten, nicht in Zellen
zerfallenen Epithel ersetzt.
In der Rinde verengt sich der distale Schleifenschenkel
ganz erheblich; er behält wie die Sammelröhrchen ein mehr
violettes Aussehen, dagegen nimmt das Schaltstück Eosin
ebenso oder vielleicht noch etwas stärker auf, als wie das
Hauptstück, und da beide Epithelien Stäbchen aufweisen, so
sind sie zum Verwechseln ähnlich. Erst eine Rekonstruktion
lehrte mich, das Schaltstück aus den Windungen des Haupt-
stiieks heraus erkennen.
Nun ist gerade von pathologischer und klinischer Seite
auf die Veränderungen des Hauptstücks einerseits und des
Schaltstiicks anderseits besonderer Wert gelegt worden. Ich
möchte dringend vor übereilten Diagnosen warnen, und m. E.
sind hier oft Versehen passiert. Ich rate, erst nach einer
Schnittserie eine kleine graphische Rekonstruktion der Rinden¬
kanälchen auszuführen, die keine grosse Arbeit darstellt. Nur
so kann man sicher sein, die beiden Segmente von einander
unterscheiden zu lernen. Ich selbst würde selbst nach jahre¬
langer Beschäftigung mit diesem Gegenstand nicht wagen,
einen Querschnitt durch die Rinde der Niere eines nicht von
mir untersuchten Säugers, z. B. eines Meerschweinchens, zu
deuten, ohne mich durch Isolation oder Rekonstruktion über
deren Bau unterrichtet zu haben. Man beachte, dass gerade
in der Nähe der Glomeruli, in der sich die Schaltstücke finden,
auch die Enden der distalen Schleifenschenkel und die Anfangs¬
teile der Sammelröhrchen liegen, die wohl oft als Schaltstücke
gedeutet wurden.
Diese kurze Darstellung vom Bau der Kaninchenniere soil
nichts Neues bringen, sondern nur die Aufmerksamkeit der ex¬
perimentell arbeitenden Forscher auf unsere Kenntnisse von
der Morphologie der Niere lenken, damit ihre mühsam ge¬
wonnenen Ergebnisse auch zu richtigen Schlüssen führen.
Mögen diese Zeilen ihren Zweck nicht verfehlen!
Aus der k. k. medizinischen Klinik zu Innsbruck (Vorstand
Prof. Dr. med. et phil. A. Steyrer).
Ein seltener Sputumbefund bei einem in die Lunge
durchgebrochenen Leberechinokokkus.
Von Dr. Edmund Maliwa, Assistent.-
Im Januar 1914 demonstrierte Herr Prof. Steyrer in
der wissenschaftlichen Aerztegesellschaft zu Innsbruck einen
Fall von Leberechinokokkus mit Durchbruch in die Lunge.
Der Aufforderung, die bei diesem Kranken erhobenen Befunde
durch Publikation weiteren Kreisen bekannt zu geben, komme
ich um so lieber nach, als einzelne Details der Beobachtung
in röntgenographischer und chemischer Hinsicht eines be¬
sonderen Interesses nicht entbehren dürften.
Anamnese und Krankengeschichte führe ich nur in gedrängtester
Kürze an.
Es handelte sich um einen 47 Jahre alten Italiener, der zuletzt
als Mineur in Amerika tätig gewesen war. Früher stets gesund,
merkte er vor ungefähr VA Jahren, dass seine Kräfte abnahmen; bald
darnach trat eine Schwellung im Oberbauch, vorwiegend rechts, auf,
die einmal zunahm, dann wieder geringer geworden sein soll. Vor un¬
gefähr einem Jahr erhielt Patient einen Stoss gegen den rechten Rip¬
penbogen, der ihn durch mehrere Wochen sehr schmerzte. Im No¬
vember 1913 setzten öfters morgendliches Erbrechen und diarrhoischc
Stühle ein. Trotz zunehmender Schwäche und wachsender Vorwöl¬
bung des Bauches arbeitete der Mann bis Mitte Dezember 1913 in
einem Bergwerke Nordamerikas. Seit dieser Zeit soll sich nach ärzt¬
licher Aussage Wasser im Bauche angesammelt haben. Am 25. De¬
zember trat plötzlich morgens starker Hustenreiz
ein, der anfangs schleimigen, gegen Abend aber
denselben Auswurf zutage brachte, wie ihn der
Patient auch jetzt noch zeigt. Der Auswurf wurde von
Tag zu Tag reichlicher. Im Liegen ging die Expektoration leichter
vonstatten als in aufrechter Haltung; beugte er sich über den Bett¬
rand, so stürzten die schleimigen Massen durch Mund und Nase
heraus. Innerhalb dieser Zeit merkte Patient auch ein Kleinerwerden
des Bauches. Ende Dezember Heimreise nach Europa.
Status praesens: Graziler, hochgradig abgemagerter, sehr blasser
Mann. Afebril. Mässige Oedeme an den Beinen bis zur Mitte der
Unterschenkel. Thorax flach, rechte Seite schleppt nach. Per¬
kutorisch links über den Lungen normale Verhältnisse; rechts über
der Spitze relative Dämpfung, absolute Dämpfung hinten von der
Mitte der Skapula nach abwärts, vorne von der 5. Rippe an. Aus¬
kultatorisch über der rechten Spitze spärliches kleinblasiges, nicht
klingendes Rasseln, über der Basis der rechten Lunge vorne und hin¬
ten klein- bis mittclblasiges, zum Teil klingendes I^asseln; links Vesi¬
kuläratmen. Herz: Annähernd normale Dämpfungsgrenzen; an der
Spitze ein wechselndes systolisches Geräusch hörbar; die zweiten
Töne an der Basis sind nicht betont; Frequenz des Pulses ca. 90,
schlecht gefüllt, niedrig gespannt. Abdomen: Der rechte obere Qua¬
drant ist etwas vorgewölbt, der Nabel eine Spur nach rechts ver¬
zogen. Die Leberdämpfung reicht vorne in der Mammillarlinie von der
5. Rippe bis gut eine Handbreit unter den Rippenbogen. Der von den
Rippen unbedeckte Teil fühlt sich gleichmässig hart, glatt an und
weist keine besondere Druckempfindlichkeit auf. Die Gallenblase
lässt sich nicht abgrenzen. Die Milz ist nicht vergrössert. Eine
geringe Menge freibeweglicher Flüssigkeit ist sicher nachweisbar.
Der obere Bauchdeckenreflex fehlt beiderseits.
Harn: Kein Albumen und Saccharum; Diazo- und Gallenfarbstoff¬
reaktionen negativ; ziemlich starke Indikanausscheidung; Reaktion
mit Paradimethylamidobenzaldehyd ziemlich stark positiv.
Blut: 5 Millionen Erythrozyten Hämoglobingehalt nach Sahli
70 Proz.; Leukozyten 7700, ihre Formel annähernd normal, vor allem
ist keine Eosinophilie vorhanden. Mit Typhus-, Paratyphus- und Koli-
bazillen keine Agglutination.
Sputum: ockergelbe Farbe; sehr zähe, schleimigeitrige
Konsistenz, etwas schaumig; nach Stehen zweischichtig: unten
braungelb, dick, krümelig, oben grünlichbraun,
zähwässerig. Eiweissgehalt sehr gering. Gallenfarb¬
stoffreaktionen in beiden Schichten negativ.
Im mikroskopischen Nativpräparat einzelne Erythrozyten und
Leukozyten, sonst keine morphologischen Elemente erhalten;
braune und zitronengelbe amorphe Schollen sind in grosser
Zahl zu sehen; sie geben ebenfalls keine Mikroreaktion auf
Gallenfarbstoff; ganz spärlich findet man kleine kristalloide,
gelbbraune bis schönrosa gefärbte Körperchen. Echinokokkus¬
hüllen oder Membranen sind niemals zu finden gewesen. D i e
Menge des Auswurfs ist ausserordentlich
gross: sie beträgt in 24 Stunden annähernd
stets 1000 ccm, in 4 Wochen ca. 30 Liter!
Mit ausschlaggebend für die Diagnose war die Röntgen¬
untersuchung. Röntgenoskopisch fiel auf die Unbeweglichkeit
der rechten Zwerchfellkuppe, an der aber keine besondere
Verziehung zu bemerken war. Unterhalb des Zwerchfell¬
schattens, in der oberen Grenze der Leber fanden sich zumeist
zwei helle, schmale Stellen, die an verschiedenen Tagen und
Tageszeiten ungleiche Grössen aufwiesen. Im rechten Unter¬
lappen und Mittellappen waren vor dem Schirm Verdichtungen
nicht zu erkennen. Das Herz lag wie ein schlaffer Sack dem
stark gewölbten linken Zwerchfell auf.
Die Plattenaufnahmen lassen aber in seltener Deutlichkeit
eine rechtsseitige subphrenische Höhle mit Durchbruch in die
Lunge erkennen. Ich bringe hier zwei Kopien von mir an¬
gefertigter Platten, die die subphrenische Höhle einmal etwas
entleert (Kopie 1) und einmal mit Flüssigkeit gefüllt (Kopie II)
zeigen; die Zwerchfellkuppc ist dabei um mehr als einen Inter¬
kostalraum höher gedrängt, die Luftblase ist fast verschwun¬
den. Auf der Platte kann man deutlich erkennen, wie das
Zwerchfell an einer Stelle eine aufgefaserte Kontur gibt und
von dort schmale, strangförmige Schatten gegen den Hilus
hinaufziehen. Eine intensivere peribronchitische Infiltration
fehlt und mag als Beweis angesehen werden dafür, dass die
Durchbruchsöffnung direkt mit einem für die Entleerung ge¬
nügenden Querschnitt bietenden Bronchus in Kommunikation
trat. A priori könnte man sonst erwarten, dass die Flüssigkeit
1*
236S
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 50.
aus der subphrenischen Höhle bei den respiratorischen Druck¬
verschiebungen in Bronchiolen und Alveolarräume gesaugt
und gepresst würde und dort intensive Reaktionsvorgänge
sichtbar werden müssten. Einen solchen Vorgang hinderte
aber wahrscheinlich die sehr erhebliche Viskosität der zu ex-
pektorierenden Massen, die nur den bequemsten Weg durch
den grössten Bronchus nahmen.
Die Differentialdiagnose bezüglich dieser unter dem Zwerchfelle
gelagerten Höhle schwankte zwischen durchgebrochener Echino¬
kokkenblase, abgekapseltem Leberabszess und Gallengangszyste.
Gegen Echinokokkus sprach nur der Mangel an auffindbaren Häck-
chen oder Membranen. Ein Abszess war so gut wie auszuschliessen
wegen des fieberlosen Verlaufes sowie des ausserordentlich geringen
Eiweissgehaltes des Sputums; auch war in der Vorgeschichte keine
ätiologische Ursache: sei es nun eine typhöse oder Amöbeninfektion
oder der Ausgangspunkt einer anderen Eiterung zu eruieren. Am ehe¬
sten hätte noch gedacht werden können an eine zystische Geschwulst,
sei es eine üallengangsektasie oder ein Zystadenom oder eine jener
in der Literatur beschriebenen Zysten, die aus Hämorrhagien ent¬
stehen, worauf sich ein anamnestischer Wink hätte beziehen lassen
können. Die Seltenheit aller dieser Erkrankungen liess bei kritischer
Verwertung der Symptome die Vermutung auf einen Echinokokkus,
sei er nun zystisch oder alveolär, als die nächstgelegene und be¬
gründetste erscheinen.
Im weiteren Verlaufe der Beobachtung stellte sich rasch zu¬
nehmender Aszites ein, der vor allem auf eine Behinderung im Por-
talkrcislauf bezogen wurde; es erwies sich sogar einmal eine Punk¬
tion des Abdomens vonnöten, bei der 5500 ccm einer hellgrünlichen,
leicht trüben Flüssigkeit entleert wurden. (Spezifisches Gewicht 1012,
Eiweiss nach Esbach fast 5 Proz. (!), Rivalta schwach positiv; im
Sediment Erythrozyten, grosse und kleine Lymphozyten, wenig poly¬
morphkernige Leukozyten.) Weitere Zunahme des Aszites, Einsetzen
von Diarrhöen, terminal Auftreten von pneumonischen Herden im
rechten Mittel- und Unterlappen, am 14. Februar Exitus durch Herz¬
schwäche.
Hauptergebnis der Obduktion: Alveolärer Echinokokkus der
rechten Nebenniere, durchgewachsen in die rechte Niere und in den
rechten Leberlappen. Grosse Nekrosehöhle im rechten Leberlappen,
Durchbruch in den Unterlappen der rechten Lunge, freie Kommuni¬
kation nach aussen durch einen Bronchus. Die Durchbruchsöffnung
im Diaphragma war kaum für einen Federkiel durchgängig. In der
Umgebung dieser Perforationsöffnung war nur in ungefähr taler¬
grosser Ausdehnung Zwerchfell und Pleura pulmonalis verwachsen.
Die Wandung der Höhle bestand zum Teil aus nekrotischem Leber¬
gewebe, zum Teil aus Reaktionsgewebe; Gefässe waren in der Höhle
nicht erhalten. Daneben fand sich eine eitrige Cholezystitis.
Auffallend ist, dass die anatomische Schädigung an der rechten
Niere so gar keine klinischen Spuren hinterliess; war doch im Urin
niemals Albumen nachzuweisen gewesen noch waren Zylinder zu fin¬
den. Die Ausschaltung der rechten Nebenniere mag vielleicht als
Ursache für die ausserordentliche Debilität des Gefässsystems an¬
genommen werden, die sich röntgenoskopisch durch den Mangel eines
Tonus der Herzmuskulatur manifestierte. Dieser Umstand im Verein
mit der erheblichen Zirkulationsstörung im Pfortadersystem haben
sicher das Ende durch Versagen des Kreislaufapparates beschleunigt.
Eine deutlichere Kollateralenbildung, die eigentlich eine gewisse vis
a tergo zur Voraussetzung hat, fehlte auch.
Chemische Exploration des Sputums.
Es war schon Erwähnung getan worden der auffallenden
ockergelben oder „galligen“ Farbe des frischen Sputums, die
das Interesse noch mehr fesselte durch die überraschende Tat¬
sache, dass sämtliche Gallenfarbstoffreaktionen negativ aus¬
gefallen waren. Nur gegen Ende der Beobachtungszeit fand
Herr Dr. Berger kleine braunrote Flöckchen, die unter dem
Mikroskop eine positive G m e 1 i n sehe Reaktion gaben; sie
bestanden aus zitronengelben Schollen und braungelben kri-
stalloiden, unregelmässigen Körperchen. Makroskopisch war
auch jetzt noch keine positive Gallenfarbstoffreaktion zu er¬
zielen.
Ich untersuchte nun weiterhin auf die Anwesenheit von
Gallensäuren. Im Sputum selber war ihr Vorhandensein
nicht zu ermitteln, wohl aber erhielt ich eine schwach positive
Rohrzuckerreaktion, wenn ich die Isolierung versuchte: Fäl¬
lung des gewaschenen Alkoholauszuges des eingedampften
Sputums mit ammoniakalischem Bleiessig, Kochen des Filter¬
rückstandes mit Alkohol, Zufügen von Sodalösung und noch¬
maliges Ausziehen des Trockenrückstandes mit Alkohol; An¬
stellen der P e 1 1 e n k o f e r sehen Reaktion mit einer wässe¬
rigen Aufschwemmung des letzten Rückstandes.
Das Vorhandensein von Gallensäuren legte zwingend die
Vermutung nahe, dass man es bei dem braunen Farbstoff des
Sputums nicht etwa mit Färbungen durch tyrosinhaltige Poly¬
peptide (A bderhalden und Guggenheim) oder mit
Farbstoffen niederer Tiere, die vielleicht zu einem sub¬
phrenisch gelegenen Leberabszess geführt hätten, zu tun habe,
sondern dass hier Abkömmlinge genuiner Gallenfarbstoffe vor¬
liegen dürften.
Ich konnte mich beim Fahnden nach Gallenfarbstoffderi¬
vaten hier naturgemäss nur mit der Anstellung qualitativer
Reaktionen begnügen, die aber doch mit ziemlicher Sicherheit
die Zuteilung zu einer bestimmten Farbstoffgruppe erlauben.
Verhalten des Farbstoffes gegenüber Lö¬
sungsmitteln;
In Wasser verdünnter (3 proz.) Essigsäure fast unlöslich;
in Eisessig mit tief dunkelgrüner Farbe sehr gut löslich; in
Alkohol mit gelbbrauner Farbe schlecht löslich; in Aether fast
unlöslich (mit gelber Farbe); in Ammoniak (10 proz.) mit braun¬
grüner Farbe löslich, durch einen Ueberschuss von Essigsäure
geht die Farbe in reines Grün über.
Sonnenlicht veränderte die Farbstoffextrakte nicht.
Spektroskopisch konnte ich distinkte Streifen nicht er¬
kennen; es war in alkalischer Lösung nur eine im Gelb be¬
ginnende, gegen Blau hin allmählich zunehmende Verdunkelung
wahrzunehmen.
Das Verhalten des Farbstoffes gegenüber Eisessig sowie
der Farbumschlag in ammoniakalischer und angesäuerter Lö¬
sung sind mit ziemlicher Sicherheit als charakteristisch anzu¬
sehen dafür, dass hier Choleprasin oder wahr¬
scheinlicher ein Gemisch von ChoLeprasin
und Bilifuszin vorliegt. Die gebräuchlichen Gallen¬
farbstoffreaktionen versagen bekanntlich bei diesen Derivaten.
Die Bekanntmachung dieses Untersuchungsbefundes er¬
scheint mir aus zwei Gründen berechtigt. Soweit ich die
Literatur über Farbstoffe im Sputum kenne, findet sich keine
Mitteilung über das alleinige Vorkommen von Gallenfarbstoff¬
derivaten, die keine Gallenfarbstoffreaktionen geben; bekannt
ist nur das Auftreten von genuinen Gallenfarbstoffen im Aust
wurf, die sich eben durch die gebräuchlichen Proben erkennen
lassen. Als zweite auffällige Tatsache möchte ich noch an¬
führen, dass trotz der sicheren Absonderung von genuinen
Gallenfarbstoffen in die offene Echinokokkenhöhle diese der¬
art vollständig verändert wurden, dass nur mehr die Derivate
nachzuweisen waren, während sich die Gallensäuren als resi¬
stenter erwiesen. Diese vollständige rapide Umwandlund
dürfte wohl durch fermentative (wahrscheinlich reduzierende)
Tätigkeit zustande gekommen sein; sie liess sich in vitro in-
soferne imitieren, als in einem Gemisch von Galle und eitrigem
Sputum nach 14 tägigem Stehen im Brutschränke die vorher
stark positiven Gallenfarbstoffreaktionen fast negativ wurdet1
oder ganz verschwanden; die gewöhnlichen Fäulnisvorgänge
in stehenbleibender Galle reichen dazu lange nicht aus. Der
Vermerk dieser Erscheinung möge als Ergänzung meiner au
anderer Stelle erschienenen detaillierteren Mitteilung über Fer¬
mentwirkungen im Sputum angesehen werden.
Aus der chirurgischen Abteilung des Rothschildspitals in Wien
(Vorstand: Prof. Dr. O. Zuckerkand 1).
Ueber Behandlung eines Falles seniler Gangrän
mit ultravioletten Strahlen.
Von jur. et med. Dr. Artur Krise r.
Seit April d. J. habe ich an der Abteilung Prof. Zucker-
k a n d 1 eine Reihe chirurgischer Fälle mit „künstlicher
Höhensonne“, einer Modifikation der Kromayer scheu
Quarzlampe nach Dr. Bach-Nagelschmidt behandelt
Von diesen will ich im folgenden über einen Fall von typischer
seniler Gangrän berichten, bei welcher der Erfolg ein ekla¬
tanter war, so dass es gerechtfertigt erscheint, das Indikations¬
gebiet der Quarzlampenbestrahlung in dieser Richtung hin zi
erweitern. Gestützt auf die Arbeit von Bach 1), nach welcher
Bestrahlung mit ultraviolettem Quarzlichte den Blutdruck
*) Dr. Hugo B a c h - Bad Elster: Die Einwirkung des ultra¬
violetten Quarzlampenlichtes auf den Blutdruck, mit Bemerkungen
über seine therapeutische Verwendung bei Allgemeinerkrankungen.
D.m.W. 1911 Nr. 9.
15. Dezember 1914.
lierabsetzt, habe ich in dem liier beschriebenen Falle den Ver¬
such eingeleitet, um in erster Linie die Blutdruckverhältnisse
bei einem Artcriosklerotiker vor und nach der Bestrahlung zu
prüfen.
60 jähriger Patient mit einem Blutdruck von 165 R.-R., Puls 72,
akzentuiedter zweiter Aortenton. keine stcnokardischen Beschwerden,
im Harn weder Albumen noch Saccharum nachweisbar. Seit 6 Mo¬
naten leidet Patient unter immer intensiver werdenden Schmerzen,
die \on der grossen Zehe des linken Fusses ausgehen und gegen den
Fussrücken und Unterschenkel ausstrahlen. Unter heftigen Schmer¬
zen. welche in den letzten 3 Monaten ununterbrochen bestanden, ent¬
wickelte sicli Fnde März d. J. an der Zehenspitze im äusseren Nagel¬
winkel ein bleigrauer Fleck. Dieser wurde immer dunkler und
schliesslich entstand an seiner Stelle ein trockener, fester, schwarzer
Schorf von der Grösse eines Zentimeters im Durchmesser. Mitte
April entwickelte sich ein zweiter, etwas kleinerer ebensolcher Fleck
an der medialen und plantaren Seite derselben Zehe; der ganze Fuss
leicht ödematös und zyanotisch. Die ersten drei Zehen verdickt, un¬
beweglich und überaus druckempfindlich.
An der A. dorsalis pedis ist der Puls nicht fühlbar, wahrend
er auf der gesunden Seite deutlich nachweisbar ist. Pat. kann nur
wenige Schritte, auf den Stock gestützt, gehen, nach 5 Minuten
langem Sitzen auf einem Sessel bekommt er einen heftigen Schmerz¬
anfall, im Bette muss er beständig die Lage wechseln. Er schläft
nur nach Gebrauch von Schlafmitteln u. zw. in Rückenlage, wobei er
mit beiden Händen das kranke Bein an den Rumpf angezogen hält.
Nachoem dem Patienten von autoritativer Seite die Amputation
als die einzige ’lherapie empfohlen worden war, fand er im Kranken¬
hause der Rothschild-Stiftung an der chirurgischen Abteilung des
Prof. Zuckerkandl Aufnahme und wurde auch hier die strikte
Indikation zur Amputation gestellt. Da jedoch schon nach der ersten
Bestrahlung, welche ich zum Zwecke der eingangs erwähnten Beob¬
achtung gemacht habe, ein Nachlassen der Schmerzen sich einstellte,
habe ich die Behandlung systematisch weiter durchgeführt.
6. Mai 1914. I. Bestrahlung: Quarzlampe + Glühlampenring,
2 Minuten Bauch, 2 Minuten Rückenseite auf 1 m Distanz, wobei
der kranke Fuss durch Heben resp. Beugen im Knie auf ca. 60 cm
der Quarzlampe genähert wird
Während der Bestrahlung steigert sich der Schmerz, aber schon
tags darauf (7. Mai) ist Pat. zum ersten Male nach 3 Monaten
den ganzen Tag schmerzfrei. Um 9 Uhr abends stellen sich die
Schmerzen wieder ein. Blutdruck vor der Bestrahlung 165 R.-R.,
nach der Bestrahlung 135 R.-R. Mehrere Stunden nachher leichtes
Hautjucken am ganzen Körper.
8. Mai. II. Bestrahlung: 3 Minuten Bauch, 3 Minuten Rücken,
Quarzlampe + Glühlampenring von 1 m Distanz. Blutdruck vor der
Bestrahlung 142 R.-R., nach der Bestrahlung 133 R.-R.
11. Mai. Im Laufe des Tages stellt sich ein Schmerzanfall ein.
12. Mai. III. Bestrahlung: 6 Minuten Bauch. 6 Minuten Rücken
wie vorher. Pat. gibt an, dass er jetzt selbst bei einstündigem
Sitzen auf dem Sessel keine Schmerzen verspürt.
14. Mai. Tagsüber schmerzfrei, die Nacht zum ersten Male seit
der Erkrankung ungestört.
15. Mai. IV. Bestrahlung: 5 Minuten Bauch, 5 Minuten Rücken
wie vorher Während der Bestrahlung stellt sich jedesmal ein heftiger
Schmerzanfall ein; Pat. windet sich in Zuckungen und stöhnt laut.
Der Schmerzparoxysmus lässt einige Minuten nach der Bestrahlung
nach, doch halten die Schmerzen, wenn auch in geringem Masse,
noch mehrere Stunden an. Der Nagel der grossen Zehe ist fast im
Ganzen vom Nagelbette abgehoben und lässt sich leicht mit einer
Pinzette entfernen. Der nekrotische Schorf an der Zehenspitze ist
abgefallen, au seiner Stelle sieht man eine Geschwürsfläche, deren
Boden mit frischem hellrotem Granulationsgewebe bedeckt ist.
IS. Mai. V. Bestrahlung: 6 Minuten Bauch, 6 Minuten Rücken,
wie vorher. Seit 2 Tagen leidet Pat. wieder unter heftigeren
Schmerzen
19. Mai. Die Schmerzen sind gleich intensiv, der Fuss sowie
Unterschenkel ödematös
22. Mai. Nach 4 tägiger Behandlung mit Burowumschlägen ist
das Qedem wesentlich zurückgegangen, die Schmerzen hören all¬
mählich auf.
23. Mai. VI. Bestrahlung: S Minuten Bauch, 6 Minuten Rücken,
wie vorher.
25. Mai VII. Bestrahlung: 8 Minuten Bauch, 5 Minuten Rücken,
wie vorher. Seit der letzten Bestrahlung subjektive Besserung, bei
Tag hat Pat. keine Schmerzen.
27. Mai. Der Fuss und Unterschenkel sind wieder ödematös.
weshalb mit der Bestrahlung ausgesetzt wird.
2. Juni. VIII. Bestrahlung: 5 Minuten Bauch, 5 Minuten Rücken,
Quarzlampe allein. 1 m Distanz Das Oedem ist unter Burowum¬
schlägen wieder zurückgegangen; die Wunde an der Zehenspitze
schliesst sich allmählich und ist von einer lichten bröckeligen Kruste
bedeckt. Die Zyanose des Fusses ist gewichen, nur die grosse Zehe
zeigt noch livide Verfärbung.
5. Juni. IX. Bestrahlung- 15 Minuten Quarzlampe (714. Minuten
Rücken, 714 Minuten Bauch). 10 Minuten Quarzlampe + Glüh¬
lampenring (5 Minuten rechte, 5 Minuten linke Körperseite), 1 m
Distanz.
2369
9. Juni. X. Bestrahlung: 10 Minuten Quarzlampe, 70 cm Distanz
(5 Minuten Rücken, 5 Minuten Bauch).
10. Juni. XI. Bestrahlung: 12 Minuten Quarzlampe, 70cm Distanz
(6 Minuten Rücken, 6 Minuten Bauch). Pat. schläft besser u. zw. in
jeder Lage, so wie vor der Erkrankung.
11. Juni. XII. Bestrahlung: 4 Minuten Bauch, 4 Minuten Rücken,
1 m Distanz Die Bestrahlungsdauer wird herabgesetzt, da der Fuss
wieder leichtes Qedem aufweist.
15. Juni. XIII. Bestrahlung: 4 Minuten Bauch, 4 Minuten Rücken,
Quarzlampe, 1 m Distanz.
17. Juni. XIV. Bestrahlung: 7 Minuten Bauch, 7 Minuten Rücken,
Quarzlampe 4- Glühlampenring, 70 cm Distanz. Seit 4 Tagen schläft
Pat. ohne Schlafmittel, hat keine Schmerzen: an der Zehenspitze
stecknadelkopfgrosse Hautlücke, die plantare Wunde geschlossen und
mit Epidermis bedeckt. Blutdruck vor der Bestrahlung 133 R.-R.,
nach der Bestrahlung 124 R.-R.
19. Juni. XV. Bestrahlung: 6 Minuten Bauch. 6 Minuten Rücken,
Quarzlampe, 1 m Distanz. Pat. klagt über leichte Schmerzen im
Fussrücken, welche in die Zehe ausstrahlen; überdies besteht seit
einigen Tagen das Gefühl von Ameisenlaufen im kranken Fusse. Das
Qedem ist zurückgegangen, die Beweglichkeit sämtlicher Zehen ist
wieder uneingeschränkt vorhanden. Pat. schläft ungestört ohne
Schlafmittel.
23. Juni XVI. Bestrahlung: 4 Minuten Bauch, 4 Minuten Rücken,
Quarzlampe, 70 cm Distanz. An Stelle der plantaren Wunde hatte
sich eine ca. B4 mm dicke, .schwielenähnliche Epidermisschicht von
konzentrisch lamellären Aufbau gebildet, die mit dem Skalpell abge¬
tragen wurde, wonach in der Mitte eine stecknadelkopfgrosse Lücke
sichtbar wird. An beiden erkrankten Stellen keinerlei Druckschmerz¬
haftigkeit mehr nachweisbar.
26 Juni XVII. Bestrahlung: 4 Minuten Bauch, 4 Minuten Rücken,
Quarzlampe, 70 cm Distanz.
1. Juli. XVIII. Bestrahlung: 4 Minuten Bauch, 4 Minuten Rücken,
Quarzlampe — Glühlampenring, 70 cm Distanz. Seit mehreren Tagen
keinerlei Beschwerden.
3. Juli. XIX Bestrahlung: 4 Minuten Bauch, 4 Minuten Rücken,
Quarzlampe. 70 cm Distanz. Blutdruck vor der Bestrahlung 134 R.-R.,
nach der Bestrahlung 117 R.-R.
8. Juli. XX. Bestrahlung: 8 Minuten Bauch. 8 Minuten Rücken,
Quarzlampe Glühlampenring, 70 cm Distanz. Der Fuss ist frei von
Oedem, die Zyanose ist gewichen. An der Zehenspitze eine narbige
Delle, an der plantaren Wundstelle verdickte Epidermis. Pat. sieht
gut aus, braun pigmentiert, bewegt sich leicht und ohne Stütze, ist voll¬
kommen beschwerdefrei und wird geheilt aus dem Spital entlassen
Der Erfolg der Therapie erscheint in vieler Hinsicht be¬
merkenswert. Die Therapie der senilen Gangrän ist derzeit
eine operative. Es gibt wohl Spontanheilungen nach Demar¬
kation und Spontanamputation des gangränösen Teiles, doch
muss dieselbe gewöhnlich mit einem lang währenden und
schmerzhaften Siechtum erkauft werden. In unserem Falle
erschien die Amputation unausweichlich und war auch schon
in Aussicht genommen. Durch die Bestrahlung mit ultra¬
violettem Licht teils allein, teils in Kombination mit roten und
warmen Strahlen des Glühlampenringes konnte in der relativ
kurzen Zeit von 2 Monaten der Prozess zum Stillstände ge¬
bracht und eine vollständige Heilung erzielt werden.
Während der ersten Bestrahlungen traten intensive
Schmerzreaktionen auf, denen regelmässig ein Nachlassen der
Schmerzen folgte; in kurzer Zeit hob sich das Allgemein¬
befinden. Patient konnte nach Monaten wieder ohne Schlaf¬
mittel schlafen, war bei gutem Appetit und erlangte seine volle
Gehfähigkeit. Die Zyanose ging zurück, an Stelle der Gan¬
grän traten schmerzlose Narben.
Fragen wir uns nun, wie das Zustandekommen des Heilungs¬
prozesses zu erklären ist, so liegt es nahe, einerseits die Ein¬
wirkung auf den Gesamtblutkreislauf und das Allgemein¬
befinden, andererseits die Einwirkung auf die lokale Zirkulation
heranzuziehen. Insbesondere letztere dürfte den Ernährungs¬
zustand der Zellen in den bedrohten Gebieten heben und die
Bildung von kollateralen Gefässen begünstigen.
Auch in unserem Falle war die blutdrucksenkende Wir¬
kung, wie sie zu wiederholtenmalen (Bach, Lampe) be¬
schrieben wurde, sehr deutlich ausgesprochen und zwar blieb
die Blutdrucksenkung eine dauernde.
Mit Rücksicht auf diese Beobachtungen erscheint es ge¬
rechtfertigt, in Fällen von beginnender Gangrän auf arterio¬
sklerotischer Basis, ehe man sich zur Amputation entschliesst,
einen Versuch mit Strahlentherapie zu machen.
Und sollte man auch zur Linderung der Schmerzen
raschere Demarkation erzielen, so wären hierdurch schon
günstigere Bedingungen für die Operation gegeben.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2370
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 50.
Hauskuren mit Krankenheiler Lauge.
Von Dr. Ida Democh-Maurmeier, Frauenärztin in
München.
Nicht jeder Patient ist in der glücklichen Lage, sich einen
Kuraufenthalt leisten zu können und besonders die Frauen des
Mittel- und Arbeiterstandes sind durch ihre Pflichten oft ver¬
hindert, sich einer energischen Kur ausserhalb des Hauses zu
unterziehen. Jahrelange Beschwerden veranlassen sic dann,
sich Operationen zu unterwerfen, von denen sie Heilung er¬
hoffen und die doch in vielen Fällen zu vermeiden wären,
wenn der Patient mit Geduld und Ausdauer die Vorschriften
des Arztes befolgen würde.
Von dem Gesichtspunkt ausgehend, dass die Operation das
Ultimum refugium in der Behandlung der Untcrleibsleiden sein
sollte, will ich im folgenden in Kürze einige Kranken¬
geschichten von Frauen mitteilen, die zum Teil aus Angst vor
einem operativen Eingriff sich einer Hauskur unterzogen. Aus
dem Material selbst werden die Indikationen zu der Behand¬
lung ersichtlich.
1. 23 jährige Il.-para, zuletzt Frühgeburt im 7. Monat, klagt
über Dysmenorrhöe und Kreuz weh am 1. und 3. Tage bei
der Menses, welche unregelmässig 2 — 6 wöchentlich eintritt und
8 Tage lang dauert.
Status: Uterus retroponiert, antevertiert, Korpus klein, Kollum
hypertrophisch mit Erosion an der hinteren Lippe. L. Para-
metrium verkürzt, 1. Ovar vergrössert und druck¬
empfindlich mit dünnen Strängen nach Rektum und Douglas
fixiert.
Entlassung nach 7 monatiger Behandlung: Uterus leicht beweg¬
lich, etwas retroponiert, antevertiert, keine Erosio, Ovarien hoch oben
im Douglas, nur bei starkem Zug des Uterus nach vorne leichte
Empfindlichkeit der Gewebe, keine Stränge palpabel. Menses seit
4 Monaten regelmässig, 4 wöchentlich, ohne Schmerzen, fühlt sich
geheilt.
Therapie: Hat anfangs nach Tölzer Sitzbädern Thure Brandt-
sclic Masage gehabt, später nur Bäder mit Lauge II.
2. 22 jährige Nullipara, seit einem Jahre verheiratet, früher
während der Menses beschwerdefrei, seit der Verheiratung Dys¬
menorrhöe mit nervösen Darmstörungen und zeitweisen
Schmerzen links.
Status: Zart und anämisch. Uterus stark retroponiert, ante¬
vertiert, vergrössert, geringe Erosio der Portio, 1. Para-
metrium verkürzt, teigig und linke Adnexe wegen
Schmerzhaftigkeit nicht palpabel. Os-internum-Gegend auf Druck
sehr empfindlich. Fluor, Blasenkatarrh.
Therapie: Fol. uvae ursi und Urotropin. Priessnitz mit Lauge III
verdünnt, 14 Tage Bettruhe, später nur Umschläge 8 Tage vor Men¬
ses und Sitzbäder mit Lauge II. Nach 4 Monaten beschwerdefrei,
obgleich die !. Adnexe auf Druck noch empfindlich und adhärent. Als
Nachbehandlung nochmals 12 Sitzbäder mit Lauge II.
Nach 2 Jahren Menses in Ordnung, beschwerdefrei, kinderlos.
3. 33 jährige Il.-para, zuletzt Abort, seit welchem Schmerzen
links und starke Kreuzschmerzen bestehen, Menses regel¬
mässig mit zeitweiser Dysmenorrhöe.
Status: Uterus antevertiert, retroponiert, vergrössert, be¬
sonders die Portio, durch Stränge im Douglas fixiert, worin
auch das 1. und vergrösserte Ovarium mit inbegriffen ist.
Ligg. ischio- und sacro-uterina straff und empfindlich.
Therapie: Sitzbäder mit Tölzer Lauge und dann Stassfurter Salz,
der Billigkeit halber, Dauer 2A Monate. Kur unvollkommen befolgt,
weil die Frau als Zugeherin oft zu müde war, um die Sitzbäder zu
bereiten.
Erfolg: Nach 3 Monaten Menses ohne Beschwerden, Stränge
noch palpabel, Uterus normal gross, Portio noch vergrössert, Lage
idem. Kreuzweh besteht besonders nach Anstrengungen.
Kontrolle nach einem Jahre: Noch Kreuzweh nach Anstrengungen.
Hat symptomatisch Sitzbäder mit Stassfurter Salz dagegen ge¬
nommen.
4. 30 jährige Nullipara mit 1 Abort vor A'A Jahren. Früher be¬
schwerdefrei, trotzdem Pat. beruflich viel stehen muss. Seit Abort
Kreuzschmerzen, Dysmenorrhöe und Intermen-
strualschmerz, Menses regelmässig, 5 wöchentlich 4 Tage.
Trägt Pessar wegen Retroflexio. Sollte operiert werden.
Status: Starke Adipositas, Anteversio uteri, die nach Entfernung
des Hodgepessars in Retroversio sich verwandelt; Uterus etwas
vergrössert, an seiner Hinterwand ein haselnussrosses
Myom; Erosio der Portio und Verkürzung des 1. Para-
inetriums; Ovarien im Douglas palpabel.
Therapie: Sitzbäder mit Dauerspülungen, Trinken von Adelheid¬
quelle, Thure Brandt und Bauchlage nach den Bädern. Kein Pessar.
Nach 3'A Monaten beschwerdefrei, was auch nach weiteren
6 Monaten der Fall ist. Das Myom hat sich nicht vergrössert, keine
Erosio, aber noch bewegliche Retroversio, wobei jedoch Portio und
Korpus nicht winklig abgeknickt, sondern mehr gerade zueinander
stehen.
5. 35 jährige Il.-para, kommt von auswärts wegen Blasen¬
beschwerden und Fluor albus.
Status; Uterus vergrössert, retroponiert; Portio hyper¬
trophisch, mit talergrosser blutender Erosion; Parametrien
verdickt, links hinten besonders sehr schmerzhaft; Ovarien wegen
starker und straffer Bauchdecken nicht palpabel.
Nach 4 Wochen Erosio verheilt. Portio und Uterus Hoch etwas
gross. Parametrien und Douglas nicht mehr empfindlich; fühlt sich
geheilt.
6. 33 jährige Nullipara. Klagt über Schmerzen in der
Ovarialgegend, die k r a m p f a r t i g in die Scheide ausstrahlen
und seit 2 Jahren bestehen; Menses regelmässig, postponierend,
5 — 6 Tage, ohne Schmerzen. Schwester starb an Unterleibstuber¬
kulose.
Status: Stark anämisch, beide Lungenspitzen affiziert. Magen
dilatiert. Uterus antevertiert, retroponiert; Korpus klein; Portio
vergrössert; rechts am Uterus Ovar und kleines subseröses
oder intraligamentäres Myom; rechtes Parametrium lang
und weich, linkes Parametrium verkürzt, straff und emp¬
findlich; Kollum nach links fixiert.
Therapie: Wegen Lunge anderweitig in Behandlung, sonst Sitz¬
bäder. Nach 4 und 8 Wochen beschwerdefrei. Objektiv hat sich
nur die Empfindlichkeit des linken Parametriums verloren.
7. 24jährige I.-para, wurde wegen Dysmenorrhöe mit
Endometritis und Erosion bei bestehender Anämie behandelt
mit Einlagen, Spülungen, Stärkemitteln. Der Erfolg war nie ein
dauernder und die Dysmenorrhöe verschwand nie ganz, die Erosion
kehrte nach 6 — 8 Wochen wieder.
Dann Sitzbäder mit Lauge II. Status: Uterus klein, retroponiert,
anteflektiert, Portio vergrössert und schmerzhaft, eben¬
so wie die Parametrien, im 1. Kollum tiefe Entbindungs¬
narbe. Nach 2 Monaten trat Heilung ein; nach 20 Monaten war
kein Rezidiv eingetreten, trotz gleichbleibender beruflicher Beschäfti¬
gung.
8. 22jährige Nullipara, Näherin. Klagt über Kreuz weh,
Dysmenorrhöe, Obstipation, Fluor albus.
Status: Uterus anteflektiert, dextroponiert, rechts fixiert; rechtes
Parametrium verkürzt, empfindlich, linkes dagegen weich
und lang. Virgo.
Therapie; Zuerst mit Stassfurter Salzsitzbädern. Menses sind
geringer geworden, aber noch schmerzhaft am 1. Tage; es treten
krampfartige, in die Vagina ausstrahlende Schmerzen auf,
Kreuzweh ist unverändert.
Darauf 8 Tage vor Menses Priessnitz mit Tölzer Lauge nachts
und Sitzbäder. Schon nach 12 Bädern beschwerdefrei, Menses 4 bis
5 Tage, Kreuzweh nur nach grösserer Anstrengung.
Uterus beweglich, anteflektiert, leicht dextroponiert; nicht emp¬
findliches Parametrium, das noch verdickt ist.
9. 39 jährige IX.-para. Einmal Frühgeburt, kam wegen Kreuz¬
weh.
Status: Uterus antevertiert, klein, Portio vergrössert,
weich mit Erosio. Parametrium post, zeigt empfindliche,
feine Stränge; Ovarien seitlich und nach hinten gelagert.
Frau wurde beschwerdefrei, kam später wegen Gallensteinen,
ohne über den Unterleib zu klagen.
10. 42 jährige V.-para. Klagt über Kreuzweh und starken
Leib. 1 Abort zuletzt, beim 2. Wochenbett lag sie 7 Wochen krank.
Status: Uterus antevertiert, retroponiert, klein, Portio hinter
Symphyse vorn ohne Erosion. Parametrien straff mit alten Strän¬
gen auch im Douglas. Starke Adipositas und Anämie.
Therapie: Tölzer Sitzbäder mit nachfolgender Thure Brandt-
Massage, Pil. asiat. Nach 4 Wochen keine Kreuzschmerzen mehr;
Uterus antevertiert, beweglich; Portio hinten, etwas nach rechts
vertiert, ohne Erosio; Parametrien dehnbar. Die Bäder wurden fort¬
gesetzt.
11. 44 jährige Il.-para. Partus zuletzt vor 10 Jahren. Kommt
wegen Angstzuständen, Schwindel und Kreuzweh.
Status: Uterus antevertiert, hart; Portio vergrössert; im
Douglas rechts Stränge, die empfindlich sind.
Nach 6 Wochen ist die Portio kleiner, die Stränge sind nur bei
starkem Zug nach unten erkennbar, weicher und nachgiebiger; keim.
Kreuzschmerzen mehr; zeitweiser Schwindel und Angstzustände blei¬
ben bestehen.
Nach 20 Wochen sind die Kreuzschmerzen nicht wieder¬
gekommen; Patientin war wegen klimakterischer Erscheinungen mul
beginnender Gefässverkalkung öfters in der Sprechstunde, ist zudem
starke Biertrinkerin.
12. 27jährige Nullipara. Klagt über Fluor albus seit
3 Jahren; Blutarmut: hat Gonorrhöe durchgemacht; Menses
dauert 8 Tage, sehr stark.
Status: Uterus retrovertiert, dextroponiert; Portio vorn, sehr
klein, ohne Erosion; linkes Parametrium verkürzt und ver¬
dickt, schmerzhaft.
Schon nach 6 Bädern Erleichterung. Die Schmerzen links sind
geringer, subjektiv und objektiv, die Menses waren schmerzlos und
der Blutabgang weniger.
13. 41 jährige Il.-para, I Abort dazwischen. Letzte Menses vor
4 Wochen, sonst regelmässig, aber seit 17 Tagen dauernde Blu¬
tungen mit Kreuz weh.
15. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE Vv uCHENSCHRIFT.
2371
Status: Uterus retrovertiert, beweglich, weich, nicht verKrössert;
Portio verKrössert, ohne Erosion. R. O v a r klein, im Douglas e i n -
K e k 1 e m m t und verwachsen. Descensus vaK. ant. et post. Chro¬
nische Obstipatio. Asthma, Anämie. Struma vasc.
Therapie: Styptizin, später Sitzbäder, weil Kreuzweh bleibt und
Schmerzen beim Koitus, vom rechten Ovar herrührend.
Nach 12 Bädern ist der Uterus manuell leicht aufrichtbar, sinkt
aber in bewegliche Retroversionsstellung zurück: Ovar auf Druck
empfindlich; Koitus angeblich weniger schmerzhaft. Nach weiteren
2 Monaten Wohlbefinden, ohne Kreuzweh und sonstige Schmerzen;
Menses regelmässig 4 Tage dauernd.
14. 36 jährige Nullipara. 1 Abort vor 7 Jahren. Hat starke
intermenstruelle Schmerzen seit 2 Monaten, angeblich
durch schweres Heben während der Menses entstanden.
Status: Gesund und kräftig. Uterus anteflektiert, retro- und
dextroponiert; Uterus klein, ohne Erosio; linkes Parametrium stark
verkürzt und empfindlich zwischen Ovar und 1. Uteruskante ein
haselnussgrosscr Tumor, wie kleines Myom palpabel.
Therapie: Heisse Sitzbäder mit Krankenheiler Lauge. Prompter
Erfolg, der seit 9 Monaten angehalten hat. Objektiver Befund ohne
wesentliche Aenderung.
15. 36jährige I.-para. Partus vor 10 Jahren im 7. Monat.
Fluor albus, Anämie.
Status: Uterus retroponiert, antevertiert; alte Parainetritis post.;
Adnexe frei. Bekam Spülungen verordnet.
Nach 5 Monaten plötzlich gerufen wegen pelvioperitonitischer
Erscheinungen. Vorher angeblich unregelmässige Blutungen, auf die
nicht geachtet wurde. Untersuchung wegen Schmerzhaftigkeit des
Leibes sehr vorsichtig, Uterus und Adnexe nicht palpiert, Verdacht
auf Tubarabort. Operation wird verweigert. Abwartende
Therapie.
Nach 3 Wochen: Uterus retrovertiert, deszendiert mit verlager¬
ter Portio; linkes Parametrium verkürzt, aber frei, rechtes zeigt einen
über faustgrossen prallelastischen Tumor, der nach hinten in ein dif¬
fuses Exsudat übergeht, das nach oben wegen noch bestehender Emp¬
findlichkeit nicht abgrenzbar ist.
Therapie: Wickel mit Tölzer Lauge. Nach 2 Monaten ist Tumor
noch über eigross, Exsudat nicht konstatierbar, Gewebe teigig. Nun¬
mehr Sitzbäder, weil Pat. keine Beschwerden fühlt und die Menses
regelmässig ohne Beschwerden gekommen sind.
Nach weiteren 3 Monaten kein Tumor mehr palpabel; im Douglas
dicke, schon derbe, aber nicht schmerzhafte Stränge, weshalb die
Bäder noch weiter verordnet wurden.
Mit diesen Beispielen, die ausser 3, 14 und 15 mindestens
2 Jahre kontrolliert sind, will ich es genug sein lassen. Selbst¬
verständlich sind auch negative Erfolge zu verzeichnen, die
meines Erachtens nicht gegen die Hauskur an sich sprechen,
weil es sich zum Teil um neurasthenische Patientinnen
handelt, oder Frauen, die ungenau die Vorschriften befolgten,
sei es aus Zeitmangel oder Bequemlichkeit, dazu gehört
eigentlich auch Fall 3.
Drei Fälle mit über kindskopfgrossen Myomen, die ausser
Blasenbeschwerden — durch Druck von seiten des Tumors —
und Varizen an den Beinen keine Beschwerden hatten, deren
Menses dagegen 6 — 8 Tage stark dauerten und die weder
operativer Behandlung noch der Strahlentherapie vorläufig
zugänglich sind, erhalten Bäder mit Lauge III.
Die Blutungen sind geringer geworden, die Tumoren
haben sich nicht vergrössert. bei zweien ist der Umfang ein¬
wandfrei zurückgegangen. Die ältere Patientin ist bereits im
klimakterischen Alter, weshalb der Erfolg der Lauge an sich
in Frage gezogen werden könnte. Die andere Patientin ist eine
•34 jährige Virgo, deren Uterusmyom handbreit über Nabelhöhe
stand und fest im Becken eingekeilt war. Jetzt reicht das
Myom etwa zwei Finger breit unter Nabelhöhe und wird be¬
weglich. Hier war subjektiv und objektiv eine wesentliche
Besserung zu konstatieren. Doch ist der Fall mit Vorsicht ein¬
zuschätzen, weil die Beobachtungsdauer erst 6 Monate er¬
reicht *).
Die Beschwerden der 15 angeführten Patientinnen be¬
standen in Kreuzschmerzen 7 mal, Dysmenorrhöe 6 mal, inter¬
menstruelle Schmerzen 3 mal, Fluor albus 7 mal.
Objektiv Hessen sich Veränderungen an den Unterleibs¬
organen feststellen; Para- und perimetritische Prozesse 7 mal
(bei allen waren Klagen über Kreuzweh), Oophoritis resp.
Adnexitis 5 mal, kleine Myome 3 mal, Endometritis mit Erosion
5 mal, mit Rezidivneigung.
*) Pat. arbeitet ohne Beschwerden a>s freiwillige Krankenschwester
seit Ausbruch des Krieges und ist seither nicht kontrolliert, hat nur
Berichte von auswärts über ihr Befinden eingesandt und ist auch frei
von Blasenbeschwerden. Den anderen Fällen ist nach den ver¬
flossenen 4 Monaten nichts hinzuzufügen.
Alle Patientinnen wurden beschwerdefrei, wenn sie auch
vom wissenschaftlichen Standpunkt nicht als geheilt be¬
trachtet werden können. Aber — heilt denn eine Operation
oder ein anderes Verfahren vollkommener? Die Hauptsache
ist das Gefühl der Gesundheit beim Menschen und wenn der
Arzt solches mit kleinen Mitteln erreichen kann, so erschöpft
er seine Heilungsmöglichkeiten nicht gleich im Anfang, auch
ist bei der Frau ein konservatives Verfahren zu bevorzugen
trotz der längeren Heilungsdauer, weil nach grösseren Opera¬
tionen mit teilweiser Entfernung des üeschlechtsapparates
lästige Ausfallserscheinungen auftreten, die niemals dauernd
zu beseitigen sind.
Zum Schlüsse erwähne ich noch die Art meiner Ver¬
ordnung: Die Sitzbäder sollen mindestens 33 — 35“ R haben,
Dauer 15 — 20 Minuten mit gleichzeitigen Vaginalspülungen
vom Badewasser,, die dem Einlegen eines Vaginalspiegels vor¬
zuziehen sind. Darnach Bettruhe, Geschlechtsverkehr ist an
den Badetagen verboten. Das Bad soll nicht öfter als jeden
zweiten Tag genommen werden und wird mit Lauge II oder
III hergestellt, und zwar K* Flasche bis 1 Flasche Lauge auf
8 — 10 Liter Wasser. Zu den Wickeln und Eingiessungen in
den After nimmt man Lauge I — III unverdünnt.
Da die Zusammensetzung der Lauge und ihre Eigen¬
schaften und Anwendungen von Tölzer Kurärzten, z. B. Hofrat
Dr. H ö f 1 e r und zuletzt von Kurarzt Dr. R e s c h nach
Dr. H o b e i n s Analysen eingehend besprochen sind, so be¬
schränke ich mich auf die bereits erwähnten Erfahrungen in
klinischer Beziehung.
Aus dem Bezirksspitale Kljuc, Bosnien.
Krankengeschichtliche Merkkarten.
Ein Vorschlag von Dr. Victor L. Neumayer, Bezirksarzt
und Spitalsleiter.
Im Folgenden möchte ich mir erlauben, der breiten medizinischen
Oeffentlichkeit einen Vorschlag zu unterbreiten, zu welchem der Ge¬
danke in mir schon vor 6 Jahren, gleich bei Beginn meiner selbst¬
ständigen ärztlichen Tätigkeit auftauchte. Immer wieder empfand ich
das Bedürfnis, durch diesen Vorschlag den Versuch zu machen, eine
Lücke auszufüllen, die ich als praktischer Arzt immer wieder und
überall fühlte und ein Vorkommnis der allerletzten Zeit brachte
mich zu dem Entschlüsse, mich endlich doch an die Oeffentlichkeit
zu wenden. Mein Vorschlag geht auf folgendes hinaus:
Jedem praktischen Arzte stösst es bei der grossen Ausdehnung,
welche chirurgische Tätigkeit im heutigen Krankenbetriebe gewonnen
hat, immer wieder zu, dass er an das Lager von Kranken zu treten
hat, welche die Handschrift irgend eines Operateus an ihrem Leibe
tragen. Leider ist aber diese Unterschrift, wie so viele Unter¬
schriften im Leben, meist gänzlich unleserlich und kann der zu solchen
Kranken gerufene Arzt nichts oder wenigstens nicht viel aus diesen
Schriftzeichen entnehmen.
Wenn sich das Leiden, dessentwegen man geholt wird, nicht
gerade in dem von der Operation betroffenen Gebiete abspielt, so
tut die Unlesbarkeit der erwähnten Schrift weiter nichts zur Sache.
Das Ganze wird aber mit einem Schlage anders, wenn sich die
Szenen der gerade ablaufenden Krankheit im einstigen Operationsge¬
biete abspielen. Die Angaben der Kranken, über die an ihnen vorge¬
nommene Operation sind meist äusserst dürftig und wohl immer
zu sonst nichts gut, als den Arzt auf einen Irrweg zu leiten.
Entweder wurden den Kranken in der Anstalt, wo sie operiert
wurden, überhaupt keine näheren Angaben über die Art der Operation
gemacht, wozu es genug naheliegende und begreifliche Gründe gibt.
Oder die Kranken vergassen die ihnen gemachten Angaben oder
verdrehen sie, kurz, der Arzt steht oft ratlos vor einem unergründ¬
lichen Rätsel.
Solche Erscheinungen können nun aber nur zu oft zu den
schwersten Schäden für die Kranken selbst führen. Dafür nur einige
Beispiele:
Es besitzt jemand eine Narbe in der Blinddarmgegend, deren
Beschaffenheit auf eine secunda intentio hindeutet. Nun werden wir
geholt, weil sich in der Gegend ein neuer Krankheitsprozess ab¬
spielt. Nur zu oft tritt an uns die Frage heran: Wurde damals
der Wurmfortsatz aufgesucht und entfernt, oder handelte es sich nur
um eine Abszesseröffnung? Die Antwort ist unergründlich und
wäre doch unter Umständen so unendlich wichtig für die Indikations¬
stellung. Ich sehe dabei ganz davon ab, dass es sich auch, wenn
auch in seltenen Fällen, um eine aseptische Operation mit nach-
heriger Vereiterung der Operationswunde handeln kann.
Ein anderer Fall: Eine Frau im gebärfähigen Alter erkrankt
plötzlich mit Erscheinungen unbestimmter Natur, welche den Ver¬
dacht auf eine extrauterine Schwangerschaft aufkeimen lassen. Dies-
fällig ausgeforscht, gibt die Frau an, sie habe bereits einmal eine
2372
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 50.
solche gehabt, sei operiert worden und es seien bei der Operation
beide Eierstöcke entfernt worden. Oder sie sei sterilisiert worden.
Der beigezogene Arzt kann sich nicht klar werden: rührt das Aus¬
bleiben der Periode von einer extrauterinen Schwangerschaft oder
von der Kastration her? Gesetzt den Fall nun, die Angaben der
Frau seien unrichtig, nur zu oft ja ist der Wunsch, schwanger zu
sein, der Vater des Gedankens! Und weiter gesetzt den Fall, es
handelt sich um eine extrauterine Schwangerschaft, die wegen der
Angabe der Kastration unerkannt bleibt! Objektiv ist an der Frau
über die Art der Operation nichts zu erkennen, als ein Bauch¬
schnitt. Wie schwer wird hier die Diagnosenstellung und die Indi¬
kation!
Ein anderer Fall, wie er mir vor einigen Tagen bei meiner
Spitalswärterin unterkam: Selbe wurde vor 2 Jahren anderwärts
operiert. Zuerst wurde der Ehemann durch die Angabe der Frau
irregeführt, man habe ihr die Eierstöcke entfernt. Die Folge war
eine Schwangerschaft, die den Eltern in Anbetracht ihrer drei be¬
reits vorhandenen Kinder und ihrer geldlichen Lage nichts weniger
als angenehm war. In den letzten Tagen erkrankte nun die Frau
mit Beschwerden in der Gallenblasengegend. Dort fand sich eine
Operationsnarbe. Aber was war gemacht worden? War die Gallen¬
blase entfernt worden oder nicht? Die Frau, obgleich selbst Wär¬
terin, wusste gar nichts darauf Bezügliches anzugeben. Eine an das
betreffende Spital gerichtete Anfrage ist nach 11 Tagen noch nicht
beantwortet. Wären die reflektorische Muskelspannung und die ab¬
dominalen Erscheinungen nicht unter Thermophor- und Heissluftbe-
handlung bis zum nächsten Tage gewichen, vor eine schwere und
verantwortungsvolle Frage wäre ich gestellt worden.
Betrachten wir die Sache von einer anderen Seite. Die Kranken
erzählen alles Mögliche, was bei ihnen operiert worden sei und
stellen sich als das Opfer einer blinden Operationswut hin. Trotz¬
dem man weiss, wie verlässlich die Angaben der Kranken im Allge¬
meinen und im Besonderen dort sind, wo sie ihren Arzt beurteilen,
kann man sie doch nicht so überzeugen und schlagfertig widerlegen,
wie man es gerne, ach so gerne, täte, weil man eben über den
wahren Tatbestand so gut wie gar nichts weiss.
Solche und ähnliche Fälle, wie sie wohl jedem beschäftigten
Arzte vielleicht täglich mehrfach begegnen, Hessen sich ungezählte
anführen.
Durch ein, wie ich glaube, sehr einfaches Mittel, Hesse sich
diesem, wenigstens von mir und sicher auch von vielen anderen
praktischen Aerzten schwer empfundenen Schwierigkeiten gründlich
abhelfen. Mein Vorschlag geht daher dahin, dass man auf irgend
einem grossen Kongresse ein Formular festsetze, das alle Kranken¬
anstalten, an welchen operiert wird, annehmen und in Form von
Karten drucken lassen. Wird nun ein Operierter entlassen, so gibt
man ihm eine solche ausgefüllte Karte mit der Weisung, sie aufzu¬
bewahren und bei jeder, wie immer gearteten neuen Erkrankung,
dun behandelnden Arzte sofort einzuhändigen. Welcher Art der Vor¬
druck auf diesen Karten am Besten sein würde, das müsste eben
auf einem Kongresse festgesetzt werden. Zur noch eingehenderen
Erklärung, wie ich mir die Sache ungefähr vorstelle, sei im Folgen¬
den ein Entwurf einer solchen „Merkkarte“ wiedergegeben:
Name und Ort der Anstalt:
Abteilung:
Buchführungsnummer :
Name und Alter des Kranken:
Dauer des Spitalsaufenthaltes:
Diagnose:
Tag der Operation:
Befund bei der Operation:
Art des Eingriffes:
Art der Schmerzstillung:
Komplikationen (Sekundaheilung usw.):
Anfällige Nachoperationen:
Wurde entlassen (gebessert, geheilt, ungeheilt):
Besondere Bemerkungen:
Ort und Datum:
Eine solche krankengeschichtliche Merkkarte Hätte nun auch
für die Anstalt selbst grosse Vorteile. Wenn ein solcher Kranker mit
einer solchen Karte eine andere Krankenanstalt aufsucht, hat man
nicht erst herumzuschreiben. Wenn er in der gleichen Anstalt war,
braucht man nicht erst die alten Krankengeschichten durchzustöbern,
was immer eine Riesenarbeit ist, weil die Kranken bekanntlich sich
nicht einmal das Jahr merken. Man entnimmt der Merkkarte die
Nummer der alten Krankengeschichte und fertig ist die Sache.
Hat man für spätere Nachuntersuchungen zu wissenschaftlichen
Zwecken irgendwelche Wünsche, so kann man sie am Merkblatt
aufzeichnen und der Kollege, der die Karte in die Hand bekommt,
wird wohl in den meisten Fällen die gewünschte Auskunft senden.
Solche Merkkarten Hessen sich in ähnlicher Weise sicher auch
mit grossem Vorteile für nicht operative Abteilungen und deren
Kranke herstelien und verwenden.
Möge also dieser Vorschlag Anklang und in seiner Durchführung
möglichst weite Verbreitung finden zum Heile der leidenden Mensch¬
heit, zur Entlastung von uns Aerzten und nicht zuletzt auch zum
Wohle der Wissenschaft!
~ - - . .
Angelo Celli.
Am 2. November erlag Prof. Celli, der Direktor des
hygienischen Institutes der K. Universität Rom einem Herz¬
leiden. Seine wissenschaftlichen Verdienste hatten seinem
Namen nicht nur in seinem Vaterland, sondern auch jenseits
der Alpen guten Klang verschafft, weshalb es auch angebracht
ist, seinem Andenken einige Zeilen in unserer „Münchener“ zu
widmen, um so mehr, als er ein Schüler Pettenkofers war.
Prof. Celli starb verhältnismässig jung, denn er war im
Jahre 1858 zu Cagli (Provinz Pesaro) geboren, folglich erst
56 Jahre alt.
Ich hatte ihn einige Jahre lang nicht mehr gesehen und
als mich der Zufall mit ihm zusammenführte, erschrack ich
über den Verfall, der sich in seinem Aeusseren kundgab. Fr
machte damals mit seiner liebenswürdigen Gattin, einer
Deutschen, einen Ausflug auf der herrlichen Stilfserjochstrasse
und mir tat das Herz weh, als ich ihn so vorzeitig gealtert
und niedergedrückt wiedersah, denn dem kundigen Blick des
Arztes konnte es nicht entgehen, dass das Ende des tüchtigen
Gelehrten nicht mehr lange auf sich warten lasse.
Die Grundlagen seines Könnens hatte Celli in Deutsch¬
land gelegt, denn gleich nach beendetem Universitätsstudium
war er nach München gegangen, wo er im Laboratorium
Pettenkofers eifrig arbeitete. In . die Heimat zurück¬
gekehrt, betrieb er das Studium der Hygiene mit dem gleichen
Eifer bei Tommasi-Crudeli weiter, mit dem zusammen
er eine Reihe sehr beachtenswerter Untersuchungen über die
Malaria ausführte. Als im Jahre 1887 die Cholera in Süd¬
italien ausbrach wurde er mit unbeschränkten Machtbefug¬
nissen in jene Gegenden geschickt. Die Energie und Ge¬
schicklichkeit, mit welcher er den gefährlichen Feind be¬
kämpfte, trugen neben seinen wissenschaftlichen Verdiensten
dazu bei, ihm den Lehrstuhl für Hygiene an der Universität
Palermo zu verschaffen, von wo er nach dem Tode Tom-
masi-Crudelis auf dessen Lehrstuhl nach Rom berufen
wurde.
Seinen Ruf verdankt Celli vor allem seinen Studien über
die Malaria. Er ist zweifelsohne einer derjenigen Männer, die
sich das grösste Verdienst um die Lösung dieses für Italien
so sehr schwerwiegenden Problems erworben haben. Als
Mitarbeiter Marchiafavas hat er Hervorragendes zur
Entdeckung des Parasiten der Malaria aestivo-autumnalis ge¬
leistet. Auf dem Gebiete der sozialen Hygiene war er der
eifrigste Vorkämpfer des Gesetzes zur Bekämpfung der Ma¬
laria und der Verstaatlichung der Chininabgabe, über welches
ich in dieser Wochenschrift mehrfach berichtet habe. Die
völlig unentgeltliche Abgabe des Chinins an die Armen und
den niedrigen Preis, für den es den Grundbesitzern etc. über¬
lassen wurde, ermöglichte eine wirklich gründliche und allge¬
meine Bonifizierung der Malariker.
Aber Celli rückte der Malaria auch auf anderen Wegen
zu Leibe und was er durch die systematische Belehrung und
Organisation der Bevölkerung der Malariazonen, ganz be¬
sonders in der Campagna romana geleistet hat, kann auch nicht
hoch genug eingeschätzt werden. Eine Propagandaschrift:
„Wie man in der Campagna romana lebt“ hat seinerzeit
viel Aufsehen erregt und sowohl Gesetzgeber als Philan-
tropen veranlasst, ihrerseits das möglichste zur Bekämpfung
der Malaria zu tun.
Da Celli selbst während mehrerer Wahlperioden dem
Parlament als Abgeordneter angehörte, vermochte er auch auf
diesem Wege direkt tätig zu sein. Allerdings sass er in der
Kammer auf der äussersten Linken, was vielleicht seiner Be¬
rufung zu höheren Aemtern hinderlich war, in denen sein Or¬
ganisationstalent und sein reiches Können auf sozial¬
hygienischem Gebiet noch besser hätte zur Geltung kommen
können. Der politischen Kämpfe müde, hatte er übrigens in
den letzten Wahlen seine Kandidatur zurückgezogen.
Als er am Schluss des letzten Studienjahres Rom verliess,
um einige Monate seiner Erholung zu leben, hofften alle, die
Ruhe möge seine erschütterte Gesundheit wieder kräftigen,
aber ungeachtet der liebevollen, aufopfernden Pflege seiner
Gattin und aller Bemühungen seiner Kollegen von der Fakultät
nahm sein Leiden einen raschen, tödlichen Verlauf.
5. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2373
Seiner tapferen, des tüchtigen Gelehrten so ganz würdigen
.ebensgeführtin, deren aufopfernden Tätigkeit zur Reorgani-
ation und Leitung des Pflegerinnendienstes in der römischen
ledizinischen Klinik ich mich aus meiner römischen Zeit noch
ehr wohl erinnere, möchte ich mit diesen Zeilen gleichzeitig
lein aufrichtigstes, innigstes Beileid ausdrücken.
Bordigbera, 15. Nov. 1904. Prof. G a 11 i.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Die chronischen Arthritiden").
Ursachen, Einteilung und Beurteilung.
Von Wilhelm H i s.
Im letzten Jahre hat auf dem Internationalen Kongress in
ondon Prof. v. Müller ein Referat erstattet über die Einteilung
er Krankheiten, welche unter dem Namen chronische Arthritis zu-
nnmengefasst werden. Er fasste den Gegenstand vom Standpunkte
er allgemeinen Pathologie und zeigte, wie aus den anatomischen
nd physiologischen Eigenschaften der Gelenke und ihrer Gewebe die
eiden Zustände der Entzündung und der Degeneration abgeleitet
erden können.
Ich möchte dieses Referat als Grundlage meiner Ausführungen
jhmen, diese aber nicht gewisserinassen aus der Vogelschau, son-
ern auf dem Boden der Erfahrung stehend, anstellen und versuchen,
men darzulegen, wie haben wir den konkreten Fall zu beurteilen
nd zu behandeln.
Ich vermeide es absichtlich auf eine Diskussion der Nomenklatur
nzugehen. Wir haben ja drei Prinzipien, nach denen wir in der
ledizin eine Einteilung treffen könnnen; die anatomischen Verände-
ingen, die Aetiologie und die Nosologie. Keines dieser Prinzipien
bt eine hinreichende Grundlage zu allseitig erschöpfender Einteilung
ld Benennung der Gelenkkrankheiten. Gleiche anatomische Ver-
lderungen werden von verschiedenen Ursachen hervorgerufen,
eiche Ursachen erzeugen sehr verschiedene Krankheitsbilder, wie
ir das namentlich von der Gonorrhöe und von der Lues wissen,
eren Gelenkerscheinungen von der einfachen flüchtigen Gelenk-
hwellung bis zur unheilbaren Ankylose und bis zur Vereiterung
es Gelenkes reichen können. Für eine auf rein nosologischem
öden aufgebaute Einteilung ist jedoch die Zeit noch nicht gekommen,
ie letzten Jahre haben über die Entstehung der Gelenkkrankheiten
nige Tatsachen und noch mehr Meinungen entstehen lassen, welche
r die Zukunft vielversprechend sind und deren Bestätigung abge¬
artet werden muss, bevor eine Nomenklatur Anspruch auf Dauer
iben kann.
Was für uns wesentlich ist, das ist ein Einblick in das krank-
ifte Geschehen im Gelenk.
Fast alle Gelenkkrankheiten lassen sich in wenige Formen unter¬
lagen, welche für sich oder kombiniert das anatomische Bild und
m Krankheitsvorgang zusammensetzen.
I.
Der einfachste Vorgang ist der Erguss einer Flüssigkeit in die
elenkhöhle ohne dauernde anatomische Veränderungen. Er wird
kannt an der Schwellung des Gelenkes und seiner Nebenhöhlen,
ozu im Falle der Entzündung noch Schmerz und Hyperämie der
aut sich hinzugesellen. Dieser Vorgang kann auf Infektion be-
ihen, er findet sich regelmässig bei der Polyarthritis acuta, häufig
frischen Stadien der Lues und der Gonorrhöe und, wie Poncet
izeigt hat, gelegentlich bei Tuberkulose. Als Symptom der Intoxi-
ition mit körperfremden Eiweissstoffen begegnen wir ihm bei der
iruinkrankheit, als Zeichen flüchtiger vasomotorischer Störungen bei
-in Hydrops articulorum intermittens, jenem eigentümlichen, dem
u i n c k e sehen angioneurotischen Oedem verwandten Zustand, der
sher auf keine bekannte Stoffwechselstörung zurückgeführt werden
inn.
Ein besonderer Fall dieser Exsudation ist der akute Gichtanfall,
:r sich von den übrigen Exsudaten nur dadurch unterscheidet, dass
e Flüssigkeit mit kleinen Nadeln von primärem Natriumurat erfüllt
t. Es ist bekannt, dass meistens in solchen Gelenken Ablage-
ugen der Urate im Knorpel Zurückbleiben. Doch können auch Ge-
nke, welche sicher der Sitz akuter Gichtanfälle gewesen sind, bei
latomischen Untersuchungen frei von Uraten gefunden werden.
Die einfachen Gelenkergüsse werden durch Besichtigung und
üpation leicht erkannt. Das Röntgenbild zeigt Anomalien nur im
^reiche der Synovialis, welche gedehnt erscheint, bei sehr grossen
giissen etwa auch eine Verbreiterung der Gelenkspalte, aber keine
^Hinderungen am Knorpel und Knochen.
II.
Die akute Entzündung der Synovialis ist häufig die Ursache
r beschriebenen Exsudate. Sie geht einher mit vermehrter Blnt-
*) Fortbildungsvortrag, gehalten in München am 1. Juli 1914.
Nr. 50.
fiillung der Synovialgefässe und lässt eine völlige Restitutio ad inte¬
grum zu. Die chronische Entzündung der Synovialis verläuft da¬
gegen stets unter Erscheinungen, welche nicht völlig zurückgebildet
werden können. Es handelt sich um Infiltrate innerhalb der Membran
und in deren Umgebung, welche zur Narben- oder Schwielenbildung
führen. Aus der Gelenkfläche spriessen mehr oder minder reichlich
Zotten hervor, welche bei längerem Bestand fettige oder knorpelige
Metamorphose eingehen, in deren äusserstem Grade das bekannte
Lipoma arborescens bilden oder durch Abstossen bindegewebige oder
knorpelige freie Gelenkkörper in die Höhle abgeben. Die Exsudation
ist bei der chronischen Form der Synovitis an Intensität von Fall
zu Fall verschieden und auch von Zeit zu Zeit wechselnd. Akute
Exazerbation gehen nicht selten mit frischer Exsudation einher.
Die chronische Entzündung der Synovialmembran zeigt stets
den Umfang des Gelenkes vergrössert und da der Prozess auch in
die Bursae und Rezessus und in das periartikuläre Gewebe über¬
greift, sieht das Gelenk oft spindelförmig aufgetrieben aus. Die
Betastung des Gelenkes kann mehr oder minder schmerznaft sein,
stets aber lässt sie die verdickte Membran als eine prall elastische,
wie Radiergummi sich anfühlende Masse fühlen. Das Röntgenbild
lässt, wenn es mit weicher Röhre aufgenommen ist, sehr oft die
Synovialis als zarte Schatten erkennen. Knorpel und Knochen zeigen
bei reinen Fällen keinerlei Strukturveränderungen.
III.
Der Gelenkknorpel ist gefässlos und an sich einer echten Ent¬
zündung nicht fähig. Seine Struktur kann gestört werden einmal,
wenn er direkten Verletzungen ausgesetzt ist, andererseits, wenn
seine normalen Existenzbedingungen gestört werden (abnorme Bean¬
spruchung und Belastung) und drittens wenn seine Ernährung leidet.
Letzteres kann der Ausdruck einer allgemeinen oder spezifischen
Stoffwechselstörung sein oder der Effekt abnormer Tätigkeit des
Ernährungsgewebes des subchondralen Knochenmarks. Bei dieser
Vielgestaltigkeit der Bedingungen muss man von vornherein er¬
warten, Störungen der Knorpelstruktur sehr häufig anzutreffen. Eine
Untersuchungsreihe an den Knie- und Grosszehengelenken von 200
Leichen, welche Prof. B e i t z k e auf meine Veranlassung vornahm,
ergaben, dass von diesen 200 Personen nur 35 normale Knorpel
besassen, bei weiteren 16 lag Harnsäuregicht vor, alle übrigen wiesen
mehr oder minder starke Knorpeldefekte auf, welche von den leich¬
testen umschriebenen kleinen Degenerationsherden bis zu den
schwersten Formen deformierender Arthritis alle Grade umfassten.
Vom 20. Lebensjahre ab zeigten die meisten untersuchten Gelenke
umschriebene Herde, in denen der Knorpel verdünnt, seine Grund¬
substanz samtartig aufgefasert, gequollen und degeneriert und die
basale Knochenlamelle sklerotisch verdickt war. An die Knorpel¬
degeneration schliessen sich jene sekundären Veränderungen an,
welche von P r e i s e r als Ausgleichserscheinungen aufgefasst wer¬
den, welche aber mit ihren Wucherungen von Bindegewebe von
Randexostosen und mit ihren mehr oder minder hochgradigen Ver¬
klebungen der beiden Gelenkilächen den Zweckmässigkeitsgrad bei
weitem überschreiten und die Ursache mehr oder minder hoch¬
gradiger Funktionsbehinderungen werden.
Die Degeneration des Knorpels kann, wenn sie geringfügig und
umschrieben ist, der Untersuchung vollkommen entgehen. Nament¬
lich die von B e i t z k e beschriebenen kleinen Entartungsherde
machen bei Lebzeiten keinerlei Beschwerden. Grössere Knorpel¬
defekte verraten sich durch feines Reiben, welches, wenn, der
Knorpelüberzug verschwindet, und die rohen Knochenflächen auf¬
einander schleifen in immer gröberes Knacken und Reiben übergeht.
Die mechanische Behinderung lässt sich bei passiver Bewegung er¬
messen, namentlich, wenn im warmen Bad oder ln Narkose die
oft sehr hochgradige Muskelspannung aufgehoben wird. Das Rönt¬
genbild zeigt oftmals die gänzlich veränderte Knochenstruktur und
in ausgezeichneter Weise die Randexostosen und Knochenbrücken,
welche die Bewegung behindern.
Eine besondere Form dieser Krankheit bildet die Pierre Mari e-
Strümpell-Bechterew sehe Krankheit, die Ankylose der
Wirbelsäule allein oder in Verbindung mit Erkrankungen anderer
Gelenke. Sie kann vorgetäuscht werden durch Spasmen in der
Lenden- und Rückenmuskulatur; das ist die von Cassierer be¬
schriebene myogene Wirbelsteifigkeit. Die echte Form zeigt eine
Zerstörung der Intervertebralscheiben mit exostotischen Randwuche¬
rungen, welche spangenförmig von einem Wirbel zum anderen über¬
greifen und eine völlige knöcherne Ankylose herstcllen. Der Vor¬
gang ist also der deformierenden Arthritis analog und kann durch
verschiedene Infektionskrankheiten, unter anderem Gonorrhöe und
Lues, ausgelöst werden, aber auch scheinbar völlig spontan ent¬
stehen.
An den Erkrankungen der Gelenke beteiligen sich bald mehr
bald weniger die übrigen der Bewegung dienenden Gewebe, vor allem
die Knochen.
Das Knochengewebe wird sehr oft iin Zustande der Atrophie
angetrofien. Diese kann einen gleichmässigen Schwund des immo¬
bilisierten Gewebes aufweisen und ist dann als Inaktivitätsatrophie
aufzufassen. Es ist bekannt, dass nicht nur die völlige Behinderung,
sondern schon die Beeinträchtigung der Bewegung zu Knochen¬
atrophie führen kann und oft zeigen die chronischen Arthritiden ähn¬
liche Bilder, wie die von Sud eck beschriebenen traumatischen Kno-
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. Sö.
7374
chtnatrophien. Mit Vorliebe sitzen die Atrophien in unmittelbarer
Nachbarschaft der befallenen Gelenke, so namentlich an den Epi¬
physen der Finger- und Zehenknochen.
Nicht selten begegnet man auch umschriebenen Resorptions¬
höhlen in der Nähe der befallenen Gelenke. Bei der Gicht handelt
es sich um wohlbekannte Uratablagerungen im Knochenmark, durch
welche die Knochenstruktur vollkommen zerstört wird. In anderen
Fällen müssen wohl Entzündungsherde infektiösen Ursprunges Ur¬
sache der Lakunen sein, ohne dass Genaueres bisher darüber bekannt
wäre.
Verdickungen des Knochens finden sich fast regelmässig unter
beginnenden Knorpeldefekten. Sie können hohe Grade erreichen und
sind zuweilen mit der Atrophie so vergesellschaftet, dass die Kor-
tikalis sklerotisch, die Spongiosa atrophisch ist.
Dass bei kompletter Ankylose und fehlerhafter Belastung die
Struktur des Knochens auf tiefste verändert und umgewandelt wird,
ist selbstverständlich.
Von besonderem Interesse sind die Subluxationen. Am auf¬
fälligsten erscheinen sie an den Fingern und Zehen, welche im
Basalgelenk nach der Richtung des kleinsten Gliedes abgelenkt er¬
scheinen. Diese ulnare Deviation erscheint zuweilen ganz früh, lange
vor jeder Bewegungsbehinderung und muss einer frühzeitigen Atro¬
phie gewisser Muskeln, wahrscheinlich der Lumbricalis, zugeschrieben
werden. In höheren Graden sind die Phalangen völlig subluxiert.
In anderen Fällen sind es die Muskelkontrakturen oder Sehnenver-
kürzungen, welche die Gelenkformen verändern und zuweilen jene
gänzliche Verkrüppelung erzeugen, die den Menschen gänzlich be¬
wegungsunfähig macht.
Die Muskeln nehmen an dem Krankheitsprozess in sehr wech¬
selndem Grade teil ohne dass man sagen könnte, dass ihr Verhalten
in direkter Beziehung zur Gelenkaffektion stände. Dass sie infolge
der Inaktivität atrophieren, ist selbstverständlich und durch neuere
Versuche noch besonders zur Evidenz erhoben. Man sieht aber zu¬
weilen gewisse Muskelgruppen ganz früh atrophieren, ohne dass Be¬
wegungshindernisse vorhanden sind, so namentlich die Musculi in-
terossei, Thenar und Hypothenar. Diese Atrophie kann hochgradig
sein bei beginnenden, kaum merklich bei fortgeschrittenen Fällen, sie
stellt also eine Besonderheit dar, welche nicht ohne weiteres auf die
Inaktivität bezogen werden darf.
Dasselbe gilt für die Muskelkontrakturen, welche den Prozess
nur in bestimmten Fällen, dann aber zuweilen sehr bedeutend kom¬
plizieren.
Die Sehnen und Sehnenscheiden sind nicht selten be¬
teiligt. Bei akuten wie bei chronischen Arthritiden erscheinen zu¬
weilen in und auf den Sehnenscheiden erbsengrosse, derb elastische
Knötchen, die Noduli rheumatici, sie stellen umschriebene Bindege¬
webswucherungen mit nekrotischem Zentrum dar. Bei einem 9 jähr.
Knaben sah ich sie beim langdauernden Rezidiv einer akuten Poly¬
arthritis entstehen und beim Abklingen des Abfalles in einigen
Wochen wieder verschwinden. Nicht selten sind flüchtige oder
dauernde Exsudate in den Sehnenscheiden, welche mit Verdickung
der Scheidenmembran, namentlich derjenigen der Gelenkkapseln, ein¬
hergehen können.
Endlich ist jener Erscheinung zu gedenken, welche die Masseure
seit langer Zeit kennen und beschreiben und deren anatomischer
Sitz sehr wahrscheinlich in den Sehnenscheiden, Schleimbeuteln, Fas¬
zien und Aponeurosen gesucht werden muss. Es sind dies um¬
schriebene, gegen Druck und namentlich Reiben empfindliche Punkte,
die als Ausstrahlungspunkte von Stirn, Scheitel und Nacken, Kopf¬
schmerz (E d i n g e r s Schwielenkopfschmerz) als Ursache hoch¬
sitzender Ischias und interkostaler Neuralgie eine so grosse Rolle
spielen, die aber auch sonst bei rheumatisch veranlagten Personen
häufig gefunden werden, oftmals genau symmetrisch am Hals, Hinter¬
haupt, Nacken und Kreuz. Es ist bekannt, dass Cornelius auf
diese richtige Beobachtung in Anlehnung an schwedische Gymnasten
eine unhaltbare Theorie, aber eine wirksame Therapie propagiert.
Die Haut zeigt in einzelnen Fällen, nicht eben sehr häufig, Ano¬
malien. Bemerkenswert ist die Neigung mancher Patienten zu reich¬
lichem Schwitzen. An den Händen kann die Haut bei gewissen
Formen jugendlicher chronischer Polyarthritis ganz auffällig atro¬
phieren, so dass sie sich dünn und faltenlos über die verdickten
Gelenke hinwegzieht. In anderen Fällen, namentlich bei älteren Pa¬
tienten, neigt sie zum Elastizitätsverlust und zu Wucherungen. Von
der echten Sklerodermie werden wir später zu sprechen haben. Die
Nägel nehmen in seltenen Fällen an dem Prozess teil, werden rissig,
spröd oder fallen aus.
Endlich ist noch der vasomotorischen Störungen zu gedenken,
welche bei jugendlichen Personen oder Frauen in der Menopause dem
Auftreten der Arthritis nicht selten vorausgehen. Die Patienten
klagen über Hitzegefühl, Spannungen oder über Kaltwerden der Glie¬
der mit Kriebeln und anderen Parästhesien. Diese Erscheinungen
gehen zuweilen vorüber, wenn der arthritische Prozess einsetzt.
Für die inneren Organe lässt sich ein einigermassen charakte¬
ristisches Verhalten bei chronischen Arthritiden nicht angeben. Herz
und Gefässe sind häufig abnorm, sei es durch Alter, sei es durch
vorhandene Infektionen beeinflusst, deren Bedeutung wir gleich zu
besprechen haben. Auch bei Patienten, welche in der Menopause
an Arthritis erkranken, sind natürlich Herz- und Vasomotoren¬
anomalien nicht selten.
Nicht rnindei vielgestaltig wie die anatomischen Veränderungen
ist die Aetinlogic der chronischen Gelenkveränderungen. Zweifellos
spielen unter ihnen die Infektionen eine bedeutende Rolle. Es sind
chronische Arthritiden im Anschluss an akute Exantheme, Erysipel,
Typhus, Paratyphus und Pneumokokkeninfektionen beschrieben. Auf
die Rolle der Gonorrhöe und der Lues brauche ich nicht nochmals
einzugehen und möchte nur auf jene Formen aufmerksam machen,
bei denen die Tuberkulose eine Gelenkentzündung von nicht spe¬
zifischer Beschaffenheit hervorruft.
Poncet ging von der Beobachtung aus, dass bei Tuberkulösen
zuweilen mehrere Gelenke anschwellen, von denen schliesslich nur
einige wenige der dauernden Gelenktuberkulose verfallen und er ver¬
ficht die Meinung, dass sehr vielen chronischen Entzündungsvor¬
gängen im Körper, für die sich eine andere Ursache nicht nachweisen
lässt, typische Tuberkulose seien. Er geht jedenfalls in seiner Deu¬
tung zu weit. Es gibt aber sicher chronische Entzündungen der
Synovialis, welche sich in nichts von anderen chronischen Arthri¬
tiden unterscheiden, welche aber auf Tuberkulin eine kräftige Lokal¬
reaktion aufweisen.
Unter chronischer Sepsis versteht man den Zustand, bei
dem ein örtlicher Herd dauernd oder anfallsweise den Körper mit
Bazillen oder ihren Produkten überschwemmt. Die Gelenke be¬
teiligen sich nicht selten an der Reaktion und namentlich Pässler
hat in letzter Zeit chronische Arthritiden auf Infektionsherde dieser
Art zurückführen wollen. Ausser den Gelenken zeigt häufig das
Herz und die Niere Funktionsstörungen oder es bestehen als Aeusse-
rung der chronischen Infektion Labilität der Temperatur und unregel¬
mässige Fiebersteigerungen, ferner Anämie und mehr oder minder
ausgeprägte Kachexie. Ucber die Erreger derartiger chronischer In¬
fektionen besteht jedoch keineswegs Einigkeit. Der Gelenkinhalt
wird fast ausnahmslos steril gefunden. Schon die älteren Unter¬
suchungen von Singer und M e n z e r suchten die Erreger (Strepto¬
kokken) im Urin oder im Blute darzutun. Zu den früher von
B 1 a c k s e 1 1 und Wohlmann, Poynter und P a y n e be¬
schriebenen spezifisch rheumatischen Erregern kommt neuerdings der
von Roseno w beschriebene Mikrococcus rheumaticus. Wenn nun
Roseno w in den Drüsen in der Nähe erkrankter Gelenke unter
38 Fällen, 35 mal seinen Micrococcus rheumaticus, daneben aber
14 mal Streptokokken, 9 mal anaerobe Bazillen, Staphylokokken, 1 mal
Mikrococcus mucosus und 1 mal den Gonokokkus findet, so erinnert
doch diese Vielgestaltigkeit an die analogen Befunde bei akuten
Exanthemen, namentlich Masern und Scharlach, bei denen ja auch
der eigentliche Erreger unbekannt ist, aber offenbar die Eintrittspforte
des Körpers für zahlreiche andere Bakterien eröffnet. Auch dass
durch die von Poynter und Payne beschriebenen Bazillen bei
Kaninchen Gelenkschwellung hervorgebracht wird, beweist zu-«
nächst nur, dass die Kaninchengelenke bei sehr mannigfachen In¬
fektionen mit Entzündung reagieren. Für sehr viele Fälle chronischer
entzündlicher Arthritis muss auch heute noch die Aetiologie als
unsicher gelten,
Jene Herde chronischer Sepsis können bekanntlich sehr mannig¬
fachen Sitz haben. Ausser den Tonsillen und den lymphatischen
Apparaten des Rachenringes und der Nase kommen die Nebenhöhlen
des Schädels, die Pyorrhoea alveolaris, die Gallen- und Appeudix-
eiterungen, die Pyclozystitiden, die Prostatitis, die Adnexerkrankungtn
und vielleicht auch ulzeröse Darmaffektionen in Betracht.
Die Bedeutung der nachweisbaren lokalen Herde für die Therapie
darf indessen nicht übertrieben werden. Von 17 Fällen chronischer
Arthritis, bei denen Eiterpfropfe in und hinter den Tonsillen nach-l
gewiesen und die Tonsillen völlig entfernt wurden, blieben 14 unge-
heilt, nur bei 3 trat ein Rückgang der Gelenkerscheinungen ein und
auch von diesen kann das Dauerresultat noch nicht angegeben wer¬
den, da keiner um mehr als 6 Monate zurückliegt *)- Diese Miss-j
erfolge zu deuten sind wir nicht völlig imstande, man kann annehmen
dass Bakterienherde in der Gelenkmembran selbst angesiedelt sind
und wir auch nicht erwarten können, dass eine entzündlich ver¬
dickte und mit Schwielen durchsetzte Synovialis völlig zur Norm
zurückkehrt. Wenn aber nach Entfernung des primären Herdes noch
neue Schübe und Temperatursteigerungen auftreten, so ist es ein
Beweis, dass ausser jenem Herd noch andere Krankheitsursachen
wirksam sein müssen.
Autointoxikationen nicht bakterieller Art können zweifello:-
chronische Gelenkveränderungen erzeugen. Das klassische Beispiel
dafür ist die Ochronose, die Braunfärbung und Auffaserung des
Knorpels, welche regelmässig die Alkaptonurie begleitet. Wir haben
ja ein Analogon in den Trommelschlegelfingern, bei Lungenaffektionen
und der Arthropatie pneumique hypertrophiante, die sich zuweilen
im Anschluss an Lungenherde, Pyozystitis und so weiter enwickelt
zuweilen aber auch völlig spontan entsteht. Als Hormonkrankheu
wird man wohl die zahlreichen Fälle chronischer Arthritis bei Frauer
bezeichnen müssen, welche um die Zeit der Menopause auftreten
stets symmetrisch polyartikulär sind, die Kniee, Fingergelenke und
Fussknöchel befallen und keine grosse Tendenz zum Fortschreiter
in späteren Jahren zu zeigen pflegen.
*) Pässler sah kürzlich septische Erscheinungen schwinden
als nach einer erfolglosen Tonsillektomie ein zweiter Eiterherd ent¬
fernt wurde, ln meinen Fällen waren weitere Herde nicht zu ent¬
decken.
iS. Dezember 1914.
MuencHener Medizinische WOCHENSCHRIFT.
23
7.5
Ich habe viele Fälle dieser Art untersucht und keine lokalen
Sepsisherde auffinden können, auch pflegen Fieberbewegungen zu
fehlen, Herz und Niere intakt zu sein, so dass die infektiöse Natur
dieser Form höchst zweifelhaft, ihr Zusammenhang mit den Involu¬
tionsvorgängen sehr wahrscheinlich wird.
Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, das zentrale Nerven¬
system in Verbindung mit den chronischen Gelenkveränderungen zu
bringen. Zwar sind die charakteristischen Atrophien bei Tabes und
Psychoneuropathien anatomisch von den Bildern bei chronischer
Arthritis total verschieden, doch treten bei manchen Formen chro¬
nischer Arthritis zweifellos nervöse Symptome in den Vordergrund,
von denen die vasomotorischen bereits genannt sind, die Gelenk¬
schmerzen aber zuweilen eine besondere Stellung einnehmen. Ich
habe mehrfach die Erfahrung gemacht, dass diejenigen Formen, bei
denen von vornherein die anatomischen Veränderungen sehr gering,
die Schmerzen aber sehr stark sind, der Therapie gegenüber sich als
ganz besonders widerstandsfähig und manchmal unzulänglich er¬
weisen. Dass es echte Gelenkneurosen im Sinne Volkmanns gibt,
darf wohl auch heute noch angenommen werden, obwohl sie gewiss
recht selten sind. (Schluss folgt.)
Bücheranzeigen und Referate.
W. v. O e 1 1 i n g e n - Berlin: Richtlinien für die kriegschirur¬
gische Tätigkeit des Arztes auf den Verbandplätzen. Dresden und
Leipzig. S t e i n k o p f. Preis M. 1.50.
Der durch seine kriegschirurgische Tätigkeit rühmlichst bekannte
Verf. hat den erfolgreichen Versuch unternommen, für die feld-
ärztliche Tätigkeit ganz kurze Schemata aufzustellen, die den plötz¬
lich zu Feldchirurgen beförderten Praktikern als Führer bei ihrer
verantwortungsvollen Tätigkeit dienen sollen. Ein solcher Versuch
erscheint von vorneherein berechtigt, da im Kriege die Freiheit des
ärztlichen Individuums dem Schema zu weichen hat Um die
Schematisierung noch zu erleichtern, hat Verf. alle Verletzungen in
9 Gruppen untergebracht und hat diesen Hauptgruppen wieder Unter¬
gruppen unterstellt, die sich alle durch ein sehr einfaches Zahlen¬
system bezeichnen lassen.
Ein allgemeiner Teil bespricht die wichtigsten kriegschirurgi¬
schen Grundsätze, betont die Festlegung von Bakterien, die Stillung
der Blutung, die Feststellung der Knochen und die Lagerung des
Kranken, und erörtert die verschiedenen Arten der Verbände. Die
Grundsätze für die Behandlung der Weichteilschüsse, der Gefäss-
schüsse, der Knochen- und Gelenkschüsse werden in Kürze hervor¬
gehoben
In dem speziellen Teile werden alle Verletzungen kurz aufge¬
zählt und für jede die aus ihr sich ergebenden Gefahren, die erste
Versorgung auf dem Truppenverbandplätze und auf dem Hauptver¬
bandplätze und die beste Art der Rückbeförderung angegeben.
Der vom Verf. mit den Richtlinien gemachte Versuch ist in
hohem Grade begrüssens- und anerkennenswert. Unsere Feldärzte
werden die Schemata des Verfassers sicher gern und mit Erfolg
benützen K r e c k e.
J. S c h r 1 j v e r - Amsterdam: Das Ulcus duodeni. Berlin 1914,
S. Karger. Preis 10 Mark.
Die Pathologie des Ulcus duodeni ist besonders von Chirurgen
gefördert worden. Sch. bringt als Internist einen wertvollen Beitrag
zu der Lehre von dem genannten Leiden. Auf Grund der Beob¬
achtungen von 95 Fällen kann er die Lehren von M a y o und
Moynihan durchaus unterschreiben. 47 der Kranken wurden
operiert. K r e c k e.
Theodore Heiman: L’oreille et ses maladies. Avec 176 figures
dans le texte. I. Partie generale 517 p.; II. Partie speciale 1428 p.
Paris. G. S t e i n h e i 1, editeur 1914. Broschiert 40 Fr.
Wir haben es in dem Buche von Theodore He im an mit
einem gewaltigen Lebenswerk zu tun, von bewundernswertem Fleisse,
grossem Wissen, reicher Erfahrung, enormer Vielseitigkeit und Reich¬
haltigkeit. Bei der Fülle des Stoffes muss man aber über manches
hinuegsehen, was eingehender, kürzer oder anders geschildert hätte
werden können. Gottfried Trautmann - München.
Fridtjof Nansen: Sibirien, ein Zukunftsland. Leipzig, F. A.
Brockhaus, 1914. Preis: geb. 10 M. 383 Seiten.
Fridtjof Nansen brauchte eines Tages Ferien, und da ein
Mann, wie er, sich nicht leicht begnügt, an einem norwegischen Fjord
in einer Villa den Sonnenuntergang zu betrachten, so machte er zu
seiner Erholung eine Reise nach Sibirien. Der berühmte Reisende
meint, es sei ihm selber ein Rätsel, warum er diese Fahrt an die
Mündung des Jenisei und diesen hinauf, dann über Land mit Bahn,
Kutsche und Auto nach Ostsibirien, ins Amurgebiet unternommen hat.
Nansen meint, er sei zu dieser Fahrt vielleicht auch aus dem
Grunde von den Russen eingeladen worden, weil er ein wenig Er¬
fahrung im Befahren des Eises habe. Nun, diese Reise, welche zu¬
nächst im Kampfe mit dem Karischen Meere bestand, schildert Nan¬
sen in der anziehenden Weise, die wir an seinen Werken gewohnt
sind, und mit jener eindringenden Exaktheit, welche den einzelnen
grossen Reisenden von der Vielheit der kleinen Reisenden unter¬
scheidet. Er gewann überwältigende Eindrücke aus diesen un^
geheuren Länderstrecken, wo, nach seiner Anschauung, noch so viel
Raum für Millionen von Heimwesen glücklicher Menschen wäre. Wir
wissen freilich, dass gegenwärtig in diesem ungeheuren Lande noch
viel mehr Unglückliche leben, als sonst. Das Werk gewährt einen
tiefen Einblick in das Leben der zum Teil noch recht primitiven Völ¬
kerschaften dieses Teiles der Erde. Von Völkerschaften, welche wir
zurzeit gewiss lieber nur im Bilde erblicken würden. Zahlreiche Ab¬
bildungen beleben die Beschreibungen und mancher Leser wird mit
Erstaunen sehen, dass auch in diese entfernten Gebiete eine gewisse
europäische Kultur eingedrungen ist und dass die Kolonisation in
vieler Hinsicht bemerkenswerte Fortschritte gemacht hat. Nansen
behandelt mit besonderer Bedeutsamkeit die wirtschaftliche Auf¬
schliessung Sibiriens und erörtert auch die gelbe Gefahr, welche da¬
hinter droht. Es ist hochinteressant, die Verhältnisse dieses Landes,
das Nansen in vielsagender Weise ein Zukunftsland nennt, aus der
Feder gerade dieses Mannes geschildert zu sehen und gerade in
gegenwärtiger Zeit, wo der Tag wohl ferne ist, dass deutsche Rei¬
sende wieder freiwillig dem Fischfang in einem russischen Strome
Zusehen, ist das neue Reisewerk Fridtjof Nansens von hervor¬
ragendem Interesse. Grassmann - München.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 116. Bd., 5. und
6. Heft.
E. Grafe: Ueber die Wirkung des Karamels im normalen und
diabetischen Organismus. (Aus der med. Klinik zu Heidelberg.)
Vergleiche d. Wschr. 1914 Nr. 54.
K. Usehai: Ueber Hypophysenerkrankungen, zugleich einige
Beiträge zur funktionellen Diagnostik der polyglandulären Erkran¬
kungen. (Aus der I. med. Klinik der Universität in Pest.) (Mit
Tafel V— ' VII.)
Bei 1 Falle von Akromegalie war ein aus den chromophoben
Zellen des glandulären Teiles der Hypophysis ausgehendes Adenom
vorhanden, dessen histologische Struktur im grossen der normalen
Struktur der Hypophysis entsprach. In 1 Falle von Dystrophia-
adipcso-genitalis war ein aus dem vorderen Teil der Hypophyse aus¬
gehendes zweiteiliges Adenom zu finden; die tumorartige Degenera¬
tion des Hypophysenstieles war die direkte Ursache der Dystrophia
adiposo-genitalis. Die Ursache des hypophysären Diabetes insipidus
ist eine Hypofunktion der Pars intermedia. Neben den progressiven
Knochenveränderungen bei Akromegalie sind auch sehr ausgeprägte
regressive Veränderungen anzutreffen. Bei 2 Fällen von Akromegalie
war die Kohlehydrattoleranz stark verringert, in anderen Fällen
normal oder erhöht. Zur funktionellen Diagnostik der Erkrankungen
des polyglandulären Systems werden 2 neue Reaktionen angegeben:
die Adrenalin- und Pituitrinreaktion der Konjunktiva und die Beob¬
achtung der quantitativen und qualitativen Blutbilderverschiebungen
nach Adrenalininjektion.
A. Weil: Beiträge zur klinischen Elektrokardiographie. (Aus
der med. Klinik Strassburg.) I. Mitteilung. (Mit 3 Figuren und
2 Kurven im Text und Tafel VIII — XI.)
Auch beim Menschen kommt eine Vorzacke vor unter Ver¬
hältnissen, die auf Störung innerhalb des Sinusknotengewebes
hindeuten und wahrscheinlich machen, dass die Vorzacke der Sinus¬
tätigkeit entspricht und nicht durch vorzeitiges Schlagen eines der
beiden Vorhöfe bedingt wird. Analog dem Tierversuch hat auch
beim Menschen die Digitalis elektiv schädigende Wirkung auf das
Leitungssystem und steigernde auf die Automatie des Reizbildungs¬
systems der Kammern. Die aus Tierversuchen bekannte Wanderung
der Ursprungsstelle der Herzreize kommt auch beim Menschen vor
und zwar sowohl innerhalb jedes Knotens (Sinus und A — V) für
sich als auch von einem zum anderen.
W. Weitz und Grauer: Ueber die Anspannungs- und Aus¬
treibungszeit des Herzens. (Aus der med. Klinik und Nervenklinik
Tübingen.) (Mit 6 Figuren.)
Die Systole des Herzens besteht aus 2 Teilen, der Anspannungs¬
und der Austreibungszeit. Die Anspannungszeit erstreckt sich vom
Beginn der Ventrikelsystole bis zur Oeffnung der Aortenklappen, die
Austreibungszeit von der Oeffnung der Aortenklappen bis zum Beginn
der Ventrikelerschlaffung. Einer herabgesetzten Kontraktilität des
Herzmuskels entspricht eine verlängerte Anspannungszeit, eine
sichere Abhängigkeit der Anspannungszeit von der Höhe des diastoli¬
schen Blutdruckes besteht nicht. In experimentellen Untersuchungen
an Katzen in Urethannarkose studierten die Verfasser die Frage,
wie sich Anspannungs- und Austreibungszeit unter verschiedenen
Bedingungen verhalten.
A. D e m b i c k i und J. L ö w y: Zur Frage des parenteralen
Stoffwechsels. (Aus der med. Universitätsklinik R. v. Jaksch-
Prag.)
Der parenterale Stoffwechsel ist zum Teil abhängig von den
zahlreichen fermentativen Prozessen, die den Ausdruck der Funktion
der verschiedensten Organzellen darstellen, und zu den wichtigsten
dieser Zellformen gehören die Leukozyten, denen ausser der Phago¬
zytose noch antitoxische, oxydierende, reduzierende, fett- und
eiweissspaltende Eigenschaften zugeschrieben werden, insbesondere
lässt sich unter dem Einfluss der Verdauung eine Vermehrung der
Leukozyten feststellen, die von manchen Autoren allerdings abge-
2*
2376
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 50.
lehnt wird. Die Verfasser beobachteten unter 104 Fällen ein Steigen
der Leukozyten nach der Verdauung in 53 Fällen, ein Sinken in 49,
ein (jleichbleiben in 31 Fällen, ln 23 Fällen von verminderter und
in 16 Pallen von gleichbleibender Serumkonzentration bestand Leuko¬
zytose. Line Rückresorption durch die Venen findet nicht nur patho¬
logischer Weise (z. B bei Oedemen) statt, sondern diese Form
des parenteralen Stoffwechsels spielt auch in der Physiologie der
Verdauung eine Rolle.
FI. Pribram: Zur Beeinflussung des anämischen Blutbildes
durch Infektionen. (Aus der med. Klinik R. v. J a k s c h in Prag.)
(Mit Tafel XII.)
Bei einer 39 jährigen Frau hatte sich im Anschluss an schwere.
1 Jahr dauernde Genitalblutungen ein der myeloischen Leukämie
gleichendes Blutbild entwickelt, das jedoch im Anschluss an eine
Infektion (Pneumonie) bald wieder zur Norm zurückging.
M. Gubergritz: Zur Frage nach der Entstehung des Herz¬
galopps. (Aus der therapeutischen Universitätsklinik in Kiew.) (Mit
3 Kurven.)
Der Galopprhythmus wird bei verschiedenen Formen der Herz¬
muskelschwäche beobachtet, vorwiegend bei Nephritis interstitialis,
bei verschiedenen Infektionskrankheiten und geht vorwiegend mit
Hypertension einher; bei Galopprhythmus mit niederem Blutdruck ist
die Prognose ungünstiger. Der Mechanismus der Entstehung der
verschiedenen Formen des Galopprhythmus (präsystolischer und
protodiastolischer Galopp) ist ein ganz differenter, wie das Elektro¬
kardiogramm zeigt.
H. Doll und R. Sieb eck: Untersuchungen an Nierenkranken.
II. Ueber die träge Einstellung der Sekretion bei Belastung. (Auls)
der med. Klinik in Heidelberg.)
Bei schweren Nierenerkrankungen können bei dauernder
Zulage recht erhebliche Mengen von Wasser und auch von N aus-
geschicden werden, obwohl bei einmaliger Zulage eine hoch¬
gradige Retention eintritt. Die Kranken können mit verschiedener
Zufuhr von HaO und N im Gleichgewicht sein trotz schwerer Aus¬
scheidungsstörung, es tritt allmählich ein Gleichgewicht ein. Das
wesentliche der Störung scheint das zu sein, dass sich die Aus¬
scheidung nur langsam den veränderten Anforderungen anpassen
kann, es besteht eine Funktionsträgheit, deren Mechanismus noch
nicht klar ist.
C. A. Müller: Ueber die Blutbildungszellen in der Leber bei
Syphilis congenita mit besonderer Berücksichtigung der Lympho¬
zyten und Plasmazellen. (Aus dem pathol. Institut der Universität
Leipzig.)
Zu kurzem Referate ungeeignet.
Kleinere Mitteilung.
E. Bruck: Zur Kasuistik der Polyneuritis alcoholica (schwere
Erkrankung der Nervi vestibuläres). (Aus der I. med. Abteilung des
Stadtkrankenhauses Dresden-Friedrichstadt.)
Das Wesentliche enthält die Ueberschrift.
Bamberger - Kronach.
Zentralblatt für Chirurgie. 1914. Nr. 48 und 49.
Prof. L a n z - Amsterdam: Untersuchung auf Genitalsymptome
zur Unterstützung der Diagnose bei Appendizitis.
Vcrf. lenkt die Aufmerksamkeit auf verschiedene Genitalsym¬
ptome, die oft die Diagnose „Appendizitis“ stützen: 1. Spannung
der vorderen Wand des Leistenkanales („Pfeilerspannung“) bei Ein¬
führen des Zeigefingers in den Kanal, dabei Muskelwiderstand
(„Rückwandstarre“) und Hustenschmerz; 2. Samenstrangsymptome,
bestehend in Zugschmerz bei Zug am rechten Samenstrang, in Druck¬
schmerz des rechten Samenstranges beim Hin- und Herrollen unter
dem Finger und in Schwellung desselben am vorderen Leistenringe;
3. Hodensymptome, bestehend in Abschwächung oder Fehlen des
rechtseitigen Kremasterreflexes. Wichtig ist immer eine rektale
Untersuchung, die Druckempfindlichkeit oder ein Infiltrat oft erkennen
lässt; bei gefördertem appendikulärem Douglasabszess steht der
M. sphinkter ani offen, der bei Senkung des Abszesses bereits er¬
schlafft.
Nr. 49 ohne Originalarbeit.
E. Heim- Oberndorf b. Schweinfurt.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. 40,
Heft 2.
Wilhelm Beckmann-St. Petersburg: Ueber vorgeschrittene
und ausgetragene Extrauteringravidität.
Eine fortschreitende extrauterine Schwangerschaft von ca. 7 Mo¬
naten und eine ebensolche, die bei der Operation ein ausgetragenes,
lebendes Kind ergab, sind dem Verfasser Anlass, sich über einige
Fragen der vorgeschrittenen und ausgetragenen Extrauterin¬
schwangerschaft zu äussern. In dem Falle der ausgetragenen
Schwangerschaft sass die Plazenta auf dem Fundus uteri, etwas ober¬
halb des Nabels und auf Darmschlingen. Der Fruchthalter kommuni¬
zierte mit der Uterushöhle durch eine breite Oeffnung, welche be¬
quem 2 Finger durchliess. Die Fruchtsackhöhle bildete eine unmittel¬
bare Fortsetzung der Uterushöhle. Es handelt sich um eine ausge-
tragene sekundäre Abdominalschwangerschaft. Es wäre möglich,
dass es sich um eine geborstene Schwangerschaft im Horne eines
Uterus bicornis handelte. Eine zweite Möglichkeit wäre eine
Schwangerschaft in einem Divertikel der Uteruswand; eine dritte die
einer interstitiellen Schwangerschaft.
Bei beiden beschriebenen Fällen traten in den letzten Monaten
starke Schmerzen im Leibe ein, die Verf. für ein wichtiges Zeichen
der Extrauteringravidität hält. Er erklärt sie durch Reizung des
Bauchfelles infolge Bewegungen des Kindes. Ein weiteres Zeichen
für eine Extrauteringravidität sind die Pseudowehen, die vor dem
Geburtstermin auftreten.
Die grössere Hälfte der extrauterin entwickelten Kinder kommt
mit Deformationen an Kopf und Extremitäten zur Welt. Die Hälfte
aller lebend entwickelten Kinder stirbt in den ersten 3 Tagen. Der
giössere Teil geht in der nächsten Zeit nach der Geburt zugrunde. Es
wäre also verfehlt, eine erkannte Extrauteringra¬
vidität im Interesse der Erhaltung eines Kindes
konservativ bis zum Ende des Geburtstermins zu
behandeln.
John Olow-Lund: Ueber die Behandlung der in den früheren
Monaten unterbrochenen Extrauterinschwangerschaft. (Schluss.)
G. S c h m a u c h - Chicago: Ziele und Zwecke einer sachge-
mässen Schilddrüsenbehandlung.
Auf Grund vielfacher eigener Beobachtungen ergeht sich Verf.
in sehr anregenden Ausführungen auf dem noch wenig ausgebauten
Gebiet der inneren Sekretion. Es zeigt sich, dass neuerdings in
Amerika, abweichend von unseren Massnahmen, bei Schilddrüsen¬
erkrankungen häufiger die Unterbindung der Gefässe, als die Re¬
sektion vorgenommen wird. Verf. studiert und erörtert besonders
den Kalkstoffwechsel im Organismus. Ganz besondere Beziehungen
schreibt er dem Kalke im Schilddrüsenchemismus zu. Er empfiehlt
warm eine Kombination von Kalkzufuhr mit Schilddrüsentabletten bei
verschiedensten Affektionen, die mit der inneren Sekretion in Zu¬
sammenhang stehen könnten: bei Eklampsie, Blutungen, Fluor, Men¬
struationsstörungen, Urtikaria etc.
Verf. verlangt für die Gynäkologie und Geburtshilfe eine be¬
sondere Ausbildung in der Stoffwechselerkenntnis, um eine kausale
Therapie an die Stelle der bisher geübten symptomatischen zu setzen.
Schaden hat der Verf. von einer sehr ausgedehnten Schilddrüsen¬
tablettentherapie nie gesehen. Die in Deutschland erfolgreich er¬
probte Behandlung durch Schilddrüsenmedikation bei gewissen For¬
men der Sterilität scheint dem sonst auf diesem Gebiete sehr er¬
fahrenen Verfasser nicht bekannt zu sein.
Arthur Eder- Berlin: Zur Kenntnis der Eigenschaften der radio¬
aktiven Substanzen und ihrer Anwendung.
Bericht über die Arbeiten mit Radium, Mesothor, Radiothor.
Bei intravaginaler Bestrahlung verwendet Verf. einen Metreurynter
oder einen diesem ähnlichen Ballon. Durch Aufblasen des Ballons
werden die gesunden Scheidenwände in genügendem Abstand vom
Präparat gehalten.
Hans B e t k e i j - Berlin: Die Couveusenbehandlung der Früh¬
geborenen und Lebensschwachen.
Auf Grund von 98 Fällen in den Jahren 1902 — 1912 wird über
den Erfolg und Misserfolg referiert. Die grösste Bedeutung für die
Prognose wird der Einlieferungstemperatur der Kinder zugeteilt. Sic
ist wichtiger als das Körpergewicht. Auf alle Fälle muss eine initiale
Abkühlung vermieden werden.
B. S. S c h u 1 1 z e - Jena: Gynäkologie und Psychiatrie.
Seit einiger Zeit wird — besonders von italienischer Seite —
den gynäkologischen Erkrankungen der geisteskranken Frauen wie¬
der eine grosse Bedeutung zugemessen. Man geht so wreit, viel¬
fach die Geisteskrankheiten als durch gynäkologische Leiden bedingt
zu halten. Eine Arbeit von S i e m e r 1 i n g (Mschr. f. Geb. u. Gyn. 39)
über dieses Thema gibt Schnitze Veranlassung, die Forderung
aufzustellen, dass zum Befunde über das körperliche Befinden der
in die Irrenanstalten eintretenden weiblichen Kranken unbedingt die
von einem sachverständigen Gynäkologen erhobene, u. zw. in Nar¬
kose erhobene, Darstellung des Beckenbefundes gehören müsse.
Josef Novak-Wien: Wege und Ziele auf dem Gebiete der
inneren Sekretion vom gynäkologischen Standpunkt. Sammelreferat.
Nachrufe auf Heinrich Fassbender t und Karl B r e u s 4\
Vereins- und Literaturbeilage. M. Nassauer - München.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 48, 1914.
J. B r a u d e - Berlin: Zur Behandlung des Karzinoms der weib¬
lichen Genitalien mit Mesothorium.
B. berichtet über 44 Fälle aus der Strass mann sehen Klinik.
Nur in 3 Fällen war die Mesothorium- mit der Röntgenbehandlung
kombiniert. Alle, auch die profusesten Blutungen kamen dabei zum
Stillstand. Störungen der Nierenfunktion wurden nie beobachtet.
In 4 Fällen trat vorübergehend eine Zystitis auf. Beim Kollum-
karzinom wurde die vaginale gegenüber der intrazervikalen Appli¬
kation bevorzugt. Die Gesamtdosis betrug bei den vorläufig abge¬
schlossenen Fällen 10 — 12 000 mg-Stunden. Eine Blasen- oder Rek-
tumfistel wurde niemals beobachtet, ebensowenig Darmerscheinungen,
wie Tenesmus, oder Reaktionen in Form von Temperatursteigerung,
Anämie u. dgl. Klinisch „geheilt“ wurden im ganzen 20 Fälle, doch
gelten diese Resultate nur als vorläufig, da bekanntlich mindestens
5 Jahre vergehen müssen, die rezidivfrei sind, ehe man von wirk¬
licher Heilung sprechen kann. B.s Fälle datieren aber alle erst
seit Oktober 1913.
15. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2377
Zu bemerken ist noch, dass alle menstruierenden Frauen, jüngere
wie altere, ihre Menstruation verloren haben, und zwar manchmal
schon nach einer geringen Dosis von 4—6000 ing-Stunden.
J a f f e - Hamburg.
Archiv für Kinderheilkunde. 63. Band, 3. und 4. Heft.
C. H r o d s k y (N i c o 1 a j e f f) : Beobachtungen über die Lak¬
tation der Ammen. (Aus dem Kantonalen Säuglingsheim Zürich.)
Protokollarische und tabellarische Mitteilungen über die Lak¬
tationsdauer und -menge, sowie über die Aenderungen der Laktation
während der Menstruation. Ohne leitende und zusammenfassende
Gedanken.
Carl Stamm: Ein Fall von multipler Sklerose im Kindesalter.
(Aus der Kinderpoliklinik in Hamburg.)
Der 12 jährige Knabe zeigte initiale Sehstörung: zentrales Sko¬
tom, partielle temporale Abblassung der Pupille bei normaler Seh¬
schärfe. Dazu kamen dann die typischen Erscheinungen: spastische
Ataxie, Tremor bei intendierten Bewegungen, gesteigerte Reflexe der
Beine, herabgesetzte Hautreflcxe, skandierende Sprache. Die Be¬
handlung bestand in Bettruhe und intramuskulären Fibrolysininjek-
tionen. Die Einspritzungen (8 ä 2,0 in 5—6 tägigen Pausen) wurden
gut vertragen. Nach der dritten Injektion war das Zittern ver¬
schwunden, Patellar- und Fussklonus nur mehr schwach auszu¬
lösen. die grobe Kraft war fast normal. Der Knabe war nach einigen
Monaten völlig beschwerdefrei.
Fritz F r a n k - Stuttgart : Beiträge zur Lehre von der akuten
Nephritis im Säuglingsalter bei Ernährungsstörungen. (Aus dem
pathologischen Institut der Düsseldorfer Akademie für praktische
Medizin und dem pathologischen Institut Kiel.)
Aus der Beobachtung von 22 Fällen zieht Verfasser folgende
Schlussfolgerungen: Die akute Nephritis kommt im Säuglingsalter nicht
häufig vor. Sie ist vorwiegend exsudativer Natur und hat häufig
einen hämorrhagischen Charakter, was auf die im ersten Lebens¬
jahre abnorm grosse Durchlässigkeit der Blutgefässe zurückzuführen
ist. In ätiologischer Hinsicht spielen alle Arten von Infektionen und
besonders Ernährungsstörungen eine grosse Rolle. Unter den mit
Ernährungsstörungen im Zusammenhang stehenden Nephritiden kommt
den aufsteigenden, urogenen, eine besondere Bedeutung zu, da die
abführenden Harnwege bei den Säuglingsverdauungskrankheiten
auffallend häufig in Mitleidenschaft gezogen werden.
Hermann Brüning und G. P a u 1 s e n - Rostock: Die medi¬
zinische Kinderabteilung des grossherzoglichen Universitätskranken¬
hauses zu Rostock.
Kurzer Jahresbericht.
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 54. Bd.,
3. Heft, 1914.
Felix Stern: Die psychischen Störungen bei Hirntumoren und
ihre Beziehungen zu den durch Tumor Wirkung bedingten diffusen
Hirnveränderungen. (Aus der Kgl. psychiatrischen und Nervenklinik
zu Kiel. Mit 2 Tafeln und 9 Textfiguren.) Fortsetzung, aus H. 2
und Schluss.
Im ersten Teil dieser umfangreichen Arbeit (363 Seiten) bespricht
Yerf. die psychischen Störungen bei Tumoren der einzelnen Hirn¬
regionen. Die Balken-, Stirnhirn-, Schläfenlappentumoren, die Tu¬
moren der Scheitel- und Hinterhauptslappen, der grossen Ganglien,
der hinteren Schädelgrube und die multiplen Tumoren werden in
besonderen Kapiteln behandelt. Es werden nicht nur die in der
Literatur niedergelegten Fälle eingehend kritisch verwertet, sondern
auch 46 neue klinisch und anatomisch genau untersuchte Fälle mit¬
geteilt.
Im zweiten Teile der Arbeit wird die Symptomatologie der bei
Tumoren gefundenen Störungen einer eingehenden Betrachtung unter¬
zogen: die Benommenheit, der Ausfall an Spontanität, der amnestische
Symptomenkomplex, die deliranten Zustände, die psychischen Stö¬
rungen im Gefolge epileptischer bzw. epileptiformer Anfälle, die
Demenz.
Lokalisatorische Bedeutung haben die Störungen, die sich auf
Läsionen elementarer Vorgänge im gnostisch-praktischen und Sprach-
apparat zurückführen lassen. Eine Lokalisation grober komplexer
psychischer Störungen ist nicht möglich. Zum Teil handelt es sich
hierbei um Folgen der raumbeschränkenden Wirkung des Tumors,
dies gilt besonders von der Benommenheit, oder um andere Sym-
tome, welche auf eine diffuse Schädigung des Gehirns zurückzu¬
führen sind, zum Teil um akzidentelle individuelle Reaktionsweisen,
die nicht vom Sitz des Tumors, sondern von endogenen Momenten
abhängen.
Max Käs tan: Die Pathogenese der Psychosen Im Lichte der
A b d e r h a 1 d e n sehen Anschauungen. (Aus der Psychiatrischen
und Nervenklinik der Universität Königsberg.)
Für die Erkenntnis der Pathogenese der Psychosen sind durch
die Abderhalden sehe Methode und die Anschauungen, auf denen
sie fusst, viele neue Fragestellungen aufgerollt worden, die noch der
Lösung harren.
M. P. Nikitin: Zur Frage des Verlaufes der Hinterwurzel¬
fasern des Rückenmarkes. Fall von Degeneration der Fasern des
V. Lumbahvurzelpaares. Hierzu Tafeln XIX — XX. (Aus dem Labo¬
ratorium der Nervenklinik der medizinischen Hochschule für Frauen
zu St. Petersburg.)
Fälle isolierter Degeneration einer einzelnen hinteren Rücken¬
markswurzel sind nur selten beschrieben. Solche Fälle sind aber
wichtig zur Feststellung des Verlaufes der Hinterwurzelfasern beim
Menschen. Die Degeneration war in dem beschriebenen Falle durch
einen extraduralen Tumor bedingt. Verf. beschreibt genau den Ver¬
lauf der Degeneration. Von besonderem Interesse war der Befund
degenerierter Bahnen im extraspinalen Abschnitt der Vorderwurzeln
desselben Segments. Auch klinisch bietet der Fall Interessantes.
Carl Ernst Neuber: Ueber Neurosen nach elektrischen Un¬
fällen. (Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität
Kiel.)
Fall I. Unfall durch Blitzschlag. 8 Jahre später Paralyse. Zu¬
sammenhang mit dem Unfall sehr unwahrscheinlich.
Fall II. Unfall durch Starkstrom. Seitdem nervös. Befund
V/a Jahr später: 65 jähriger Mann; Arterienverkalkung des Gehirns,
Lähmungen, Abnahme der geistigen Kräfte, hypochondrische Ver¬
stimmung. Das Leiden hängt insofern mit dem Unfälle zusammen,
als es durch denselben eine Verschlimmerung erfahren hat und
. zu rascherem Ausbruch gekommen ist.
Fall III. Blitzschlag und längeres Liegen in der Nässe. Be¬
gutachtung 6 Jahre später. 57 jähriger Mann; Arterienverkalkung
und Schrumpfnieren. Letztere Krankheit möglicherweise indirekte
Unfallfolge.
Fall IV. Hysterie als Folge einer Starkstromverletzung.
Fall V. Telephonunfali durch starkes Drehen der Kurbel ver¬
ursacht. Keine Stromwirkung, sondern Schreckwirkung. Neurasthe-
nische Beschwerden und Beeinträchtigungsideen. Erstere mit grösster
Wahrscheinlichkeit, letztere mit Sicherheit auf den Unfall zurückzu -
führen.
Fall VI Verbrennung dritten Grades durch Starkstrom. Unfall¬
folgen: Unbrauchbarkeit des rechten Armes, Nervosität.
R. J. Tuwim jun.: Zur Frage der Pathogenese und Therapie
des chronischen Alkoholismus. (Aus dem städtischen in memoriam
des 19. F'ebruar 1861 errichteten Alexander-Krankenhauses zu St. Pe¬
tersburg.)
Bei Trinkern ist die Dauer der erregenden Wirkung des Al¬
kohols grösser als bei normalen Menschen. Das Stadium der Läh¬
mung, welches sich an die Erregung anzuschliessen pflegt, ist kürzer.
Der Alkohol vermag bei Trinkern daher schon nach kürzester Zeit
wieder eine erregende Wirkung auszuüben. Diese Reaktionsweise
kann angeboren sein oder durch Uebung erworben werden. Sie
disponiert zur Trunksucht. Beim normalen Menschen ruft der schnell
eintretende lähmende Einfluss bald eine Abneigung gegen den Al¬
kohol hervor. Durch Darreichung von Atropin in grossen Dosen
sucht nun Verf. bei Trinkern eine schnellere Ueberreizung und Er¬
schöpfung des Nervensystems herbeizuführen, um dadurch eine
weitere Erregung durch Alkohol unmöglich zu machen. Sobald dies
erreicht ist, hört der Trinker auf zu trinken. Das Atropin muss in
Dosen verordnet werden, welche eine Ueberreizung der Hirnrinde
hervorrufen, die sich in Schläfrigkeit, Schlappheit, Apathie und Arbeits-
unlust äussert. Verf. gab meist 1 — 9 mg Atropin pro die in steigen¬
der Dosis. Die Tagesdosis wurde in 3 Einzeldosen in Abständen
von 2 Stunden verabreicht. Die Kur dauert 10 — 12 Tage. Tritt kein
Erfolg ein, so gibt man noch höhere Dosen. Nach einiger Zeit muss
man die Kur wiederholen. Gegen die Störung der Akkomodation ver¬
ordnet man Konvexgläser.
.1. L. Ent res: Ueber den Schädelinhalt Geisteskranker.
Verf. stellt folgende Schlusssätze auf:
1. Aus 300 an Leichen von Geisteskranken ausgeführten Schädel¬
kapazitätsbestimmungen berechnet sich die mittlere Schädelkapazität
auf 1411 ccm.
2. Aus getrennt für jedes der beiden Geschlechter angestellten
Berechnungen ergibt sich für die Männer eine mittlere Schädel¬
kapazität von 1488 ccm, für die Frauen eine solche von 1326 ccm.
Die mittlere Schädelkapazität der Männer ist mithin um rund 160 ccm
grösser als die der Frauen.
3. Die mittlere Körpergrösse der Frauen ist durchschnittlich
8,13 cm kleiner als die der Männer.
4. Bei gleicher durchschnittlicher Körpergrösse ist der Schädel¬
inhalt der Frauen fast immer wesentlich grösser als der des Mannes.
5. Meiner Ansicht nach unterscheiden sich die Schädelkapazitäten
Geisteskranker im Allgemeinen nicht wesentlich von denen Geistes¬
gesunder.
Leonid Omorokow: Zur pathologischen Anatomie der De¬
mentia praecox. (Hierzu Tafeln XXI— XXIII.)
Zur pathologisch-anatomischen Untersuchung eignen sich nur
solche Fälle, die ein charakteristisches, deutlich ausgeprägtes Bild
darbieten und nicht durch etwaige hinzutretende Begleiterscheinungen
kompliziert sind. Kranke, welche im Senium starben oder an fieber¬
haften Erkrankungen zugrunde gingen, sind zur Untersuchung unge¬
eignet. Die bisherigen Befunde sind vielseitig und ergeben nichts
Bestimmtes In den vom Verf untersuchten Falle starb der Kranke
zwei Jahre nach Ausbruch des Leidens. Folgender Befund wurde am
Gehirn festgestellt: Fehlen deutlich ausgeprägter Degenerations¬
zeichen im Bau des zentralen Nervensystems. Die vorhandenen
Schädigungen beschränken sich nicht auf bestimmte Hirnlappen oder
Rindenschichten. Die Anwendung verschiedener Methoden zeigte ein
erhebliches Frkranktsein der Ganglienzellen. Es fanden sich sowohl
akute als chronische Veränderungen derselben, begleitet von fettiger
2378
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 50.
Degeneration und Fibrillenzerfall. Das Auftreten von Lipoiden eigen¬
artiger Form weist auf eigenartige chemische Veränderungen des
Zellkörpers hin. Auch am Gliagewebe fanden sich prägnante Verän¬
derungen. Erhebliche Degenerationen von Nervenfasern waren
nicht vorhanden.
Das vaskuläre und das Bindegewebe war nicht krankhaft Ver¬
ändert. Das die Dementia praecox hervorrufende schädliche Agens
wirkt demnach unmittelbar auf die Ganglienzellen ein, eine Reaktion
seitens der Gefässwandungen fehlt vollkommen.
S. S t u c h 1 i k - Sirotow. Zur Frage über die sekundäre Degene¬
ration der Pyramidenbahnen bei Porenzephalie. (Aus der medizini¬
schen Klinik der Universität Zürich.)
Die eingesunkene, etwa hühnereigrosse Stelle nahm die unteren
*/ ü der Zentral Windungen, die hinteren und unteren Teile des Stirn¬
lappens ein und erstreckte sich bis in den Parietallappen. Trotz
dieser Lage und trotzdem bei Lebzeiten eine halbseitige Lähmung
bestanden hatte, war das Rückenmark makroskopisch und mikro¬
skopisch normal. Es fand sich keine Agenesie, keine Atrophie, keine
Degeneration oder derartige Anomalie. Insbesondere waren die *
Ryramidenbahnen intakt.
Referate. Kleinere Mitteilungen. Campbell- Dresden.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 48, 1914.
H. Oppenheim: Zur Kriegsneurologie.
Sammelreferat.
H. K o s s e 1 - Heidelberg: Ueber Typhusschutzimpfung. (Nach
einem Vortrag, gehalten vor Lazarettärzten in Heidelberg am 11. No¬
vember 1914.)
Statistisches sowie Technik der Typhusschutzimpfung. Die
Dauer des Schutzes soll wenigstens ein Jahr betragen.
Eduard M e 1 c h i o r - Breslau: Ueber Erfrierungen im Kriege
und ihre Behandlung. Klinischer Vortrag.
Aetiologie, Pathogenese, Symptomatologie, Prophylaxe und The¬
rapie der Erfrierungen im Kriege. Rasches Erwärmen der erfrorenen
Gliedmassen ist sehr gefährlich. Durch Abziehen der Epidermis ge¬
lingt es bei Gangrän leicht, eine Gewebseintrocknung zu erzielen.
A. P 1 e h n - Berlin: Ueber grosse Bluttransfusionen. (Vortrag,
gehalten in der Berl. med. Ges.) (Schluss folgt.)
V. F e i 1 i t s z s c h - Berlin: Kalmonal, ein neues Sedativum.
Kalmonal ist ein Bromkalziumurethan und erwies sich bei
leichten und mittelschweren Fällen von Schlaflosigkeit in Dosen von
1 — 2 g als gutes Schlafmittel, besonders für bejahrte Personen. Bei
Depressionszuständen und Angstneurosen ersetzte es in Dosen von
0.5 — 1,0 das sonst übliche Opium, auch bei Epileptikern wirkte es
günstig.
J. M o r g e n r o t h - Berlin: Die Chemotherapie der Pneumo¬
kokkeninfektion. (Vortrag, gehalten in der Berl. med. Ges. am 11.
und 25. November 1914.) (Schluss.)
cf. pag. 2330 der M.m.W. 1914.
C o e n e n - Breslau: Ueber einige chirurgische Erfahrungen aus
dem zweiten Balkankriege.
Bemerkungen zu der Arbeit von R. Klapp in M.m.W., Feld¬
ärztliche Beilage, 1914, Nr. 7. G r a s s m a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift.
Nr. 48. Gr ob er- Jena: Behandlung akut bedrohlicher Zu¬
stände bei Erkrankungen der Speiseröhre Klinischer Vortrag.
A. T i e t z e und Korbsch: Ueber Gasphlegmone.
Klinische Erfahrungen. K. hat in allen Fällen einen anaeroben
Bazillus gefunden, der an einem Ende eine Vakuole (Spore) und eine
ihm umgebende Gasblase zeigte. In Agar wächst er unter Gasent¬
wicklung mit sehr spezifischem Geruch.
S c h ii 1 e - Freiburg i. B.: Furunkelbehandlung.
Durch Ausbrennung der Mitte (nach Anästhesierung mit 2 proz.
Novokain) lässt sich in den ersten 2 Tagen jeder Furunkel kupieren.
Zur Verhütung weiterer Furunkel dient das frühzeitige Aus¬
brennen neuer Infektionsstellen.
A. B u s c h k e - Berlin: Zur Prophylaxe der Geschlechtskrank¬
heiten im Felde.
B. konnte feststellen, dass eine Reihe von Infektionen aus dem
Bordell einer französischen Stadt stammten. Durch entsprechende
Nachforschung und Anzeige Hesse sich vieles erreichen.
W. Lange und G r e n a c h e r - Hannover: Untersuchung von
Katgut auf Sterilität und ihre praktische Bedeutung.
Als ein gutes Verfahren, um die Wundinfektionen durch Katgut
zu vermeiden, haben sich seit 4 Jahren die bakteriologischen Nach¬
prüfungen (Methode s. im Original) des von den Fabriken gelieferten
Katguts vor seiner Hinausgabe an die Krankenanstalten bewährt.
P ö p p e 1 m a n n - Coesfeld: Ersatz für baumwollene Verband¬
stoffe.
P. lässt in Rollen oder Tafeln ein fertiges sterilisierbares Ver¬
bandmaterial herstellen, das auf einer einzigen Lage Mull eine dickere
Schicht Scharpie, dann noch eine ganz dünne Watteschicht und
schliesslich oben noch etwas Zellstoff oder Fliesspapier enthält.
A. B o c h y n e k - Berlin: Ein Fall voii Wärmestauung (Hitze¬
kollaps).
Beschreibung eines dieser von dem Hitzschlag ätiologisch und
klinisch abzugrenzenden Fälle. B e r g e a t - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 47. Riehl -Wien: Zur Behandlung der Phlegmone im kon¬
tinuierlichen Bade.
Der Nutzen der von H e b r a eingeführten Dauerbäder kommt
bei der gegenwärtigen Häufung von Phlegmonen (auch Dekubitus¬
geschwüren etc.) bei Verwundeten wieder voll zu Geltung. Die
Einrichtung ist überall ohne grosse Kosten möglich.
L. Arzt-Krakau: Ueber Cholera und Choleravakzination.
Bericht über 25 Fälle. Die Mortalität war mit 24 Proz. (30 Proz.
der bakteriologisch festgestellten Fälle) eine günstige. Die Behand¬
lung bestand in Bolus alba, Kampferspiritusabreibungen und subku¬
tanen oder intravenösen Einspritzungen von physiologischer, neuer¬
lich 1,5 proz. Kochsalzlösung. Bemerkenswert ist das mehrfache
Auftreten von bronchopneumonischen Herden und in 3 Fällen das
eines mehrtägigen toxischen Exanthems (am 12., 16. und 18. Tage
nach dem Krankheitsbeginn). Zwei Fälle zeigten einen milden Krank¬
heitsverlauf kurze Zeit nach der Choleravakzination. Letztere er¬
scheint als empfehlenswert.
E. Suchanek - Wien : Die Kriegsphlegmone.
Verf. legt an Krankengeschichten dar, dass die aus dem Felde
zugehenden Phlegmonen oft allein durch Ruhe, Hochlagerung und
gute Ernährung sehr günstig beeinflusst werden und die Hochlagerung,
Inzision und Drainage in den meisten Fällen ohne Amputation aus-
kommen lässt.
E. H oma-Brünn: Vergleichende meteorologische Studien über
österreichische und ausländische Winterstationen an der See.
Der Vergleich der Beobachtungen im Winter 1913/14 zeigt, dass
die meteorlogischen Verhältnisse der österreichischen Riviera denen
der französischen ähnlich waren und bezüglich der Zahl der klaren
und nicht ganz bewölkten Tage, welche ausgiebigen Aufenthalt im
Freien gestatteten, kein Unterschied zu der italienischen Riviera be¬
stand.
Nr. 48. S. Exter- Wien: Julius Robert v. Mayer.
H. v. H a b e r e r - Innsbruck : Zirkuläre Naht der Carotis com¬
munis.
Der hier beschriebene Fall (Aneurysma nach Schussverletzung)
ist anscheinend der erste einer erfolgreichen Zirkulärnaht der Carotis
communis bei Aneurysma.
N. v. Jagic: Milzexstirpation bei perniziöser Anämie.
3 Krankengeschichten. 7 — 11 Monate nach der Exstirpation
war den Fällen gemeinsam eine günstige Beeinflussung des allge¬
meinen Kräfte- und Ernährungszustandes. Ein einheitlicher Einfluss
auf das Blutbild trat nicht hervor, es blieb noch das Bild der makro-
zytischen und hyperchromen Perniziosa erhalten.
Wiener medizinische Wochenschrift.
Nr. 35. B. Schick- Wien: Fortschritte in der Therapie der
Diphtherie.
Sch. empfiehlt bei jedem bedrohlichen Fall sofort 500 I.-E. pro
Kilogramm Körpergewicht zu injizieren, was wiederholte Seruminjek¬
tionen unnötig macht; zur Immunisierung emofiehlt er 50 I.-E. pro
Kilogramm. Bei negativem Ausfall der subkutanen Toxinhautreaktion
kann die Immunisierung unterbleiben. Um den Herzbeschädigungen
durch das Antitoxin entgegenzuwirken, dient vor allem eine reich¬
liche, d. h. die häufige Zufuhr kleiner Flüssigkeitsmengen, ev. auf
subkutanem Wege oder durch Tropfklysma, weiter die bekannten
Herzmedikamente; unter diesen kommen auch zur Beeinflussung der
Gefässmuskulatur bald, etwa am Ende der ersten Woche, das Adre¬
nalin und Hypophysin in Betracht: z. B. 5 Tropfen der Original¬
lösung (1:1000) Adrenalin und 1 ccm Hypophysin, täglich 2 — 3 mal
subkutan.
Prager medizinische Wochenschrift.
Nr. 27. C. H i r s c h - Prag: Augensymptome bei Selbstmordver¬
suchen durch Strangulation.
Nach selbstmörderischen Strangulationsversuchen beobachtet
man sekundär, ev. erst nach 36 Stunden, in der vorher freien Lid¬
spaltenzone der Oberfläche des Augapfels beiderseits symmetrische,
vom unteren Fornix her sich ausbreitende Ekchymosen im T enon-
schen Raum zusammenhängend mit einem Blutaustritt im basalen
Subduralraum. Mehrere Krankengeschichten.
A. Horner-Prag: Unterbindung der Carotis communis wegen
Arrosionsblutung (Halsabszess nach Oesophagusverletzung).
Der Fall scheint bisher der erste geheilte zu sein.
Nr. 31. A. L i n h a r t: Radikaloperation der Kruralhernie mittels
Verlagerung der grossen Schenkelgefässe und des Musculus ileopsoas.
Nach Versorgung des Bruchsackes legt L. die grossen Gefässe
frei und verschiebt sie weit lateral, dann wird mit stark gekrümmten
kleinen Nadeln der Ileopsoas und seine Faszie an das P o u p a r t sehe
Band genäht; weiter wird das P o u p a r t sehe Band mit dem Muse,
pectineus bzw. seine Faszie vernäht. 6 Krankengeschichten.
Nr. 33. J Löwy-Prag: Ueber die Beeinflussung innerer Blu¬
tungen durch intravenöse Traubenzuckerinfusionen.
Von Darmblutungen kam eine solche unbekannter Ursache und
eine auf anämischer Basis 24 Stunden nach Infusion von 200 ccm
20 proz. Traubenzuckerlösung zum Stillstand, unbeeinflusst blieb die
Blutung bei einem Fall von Darmkrebs und in einem Falle von
15. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2379
\nämie; ebenso bei einer Nephritis haemorrhagica. Von 7 Fällen von
Mämoptoe wurden zwei leichte gestillt, die übrigen schwereren nicht
Beeinflusst, erst durch andere Mittel gestillt. Demnach scheint die
Fraubenzuckerinfusion höchstens bei einzelnen Fällen von Darm¬
blutung die Verwendung als Styptikum zu verdienen.
Bergeat - München.
Amerikanische Literatur.
E. B. Krumbhaar: Hämolyse, verursacht durch intravenöse
njektion destillierten Wassers. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 62.
;914. Nr. 13.)
Es wurde eine Anzahl Experimente an Hunden gemacht. Das
Resultat war folgendes: Eine rapide Injektion destillierten Wassers
/on etwa 2 — 3 Proz. des Körpergewichts verursacht beim Hund vor¬
hergehende Hämoglobinurie und Albuminurie. Verlängerung der
'citdauer der Injektion auf 45 Minuten hat keine bemerkenswerte
Virkung. Die Hämoglobinämie tritt in 25 — 30 Minuten nach Beginn
ler Injektion auf und die Hämoglobinurie dauert 4 — 16 Stunden. Be-
leutend geringere Mengen Wassers genügen, um eine merkliche
lämoglobinämie ohne Hämoglobinurie zu verursachen.
J. H. Blaisdell: Die Anwendung konzentrierten Neosalvar-
ans vom klinischen und serologischen Standpunkt. (Boston Med.
md. Surg. Journ. 70. 1914. Nr. 23.)
An der Bostoner Klinik für Hautkrankheiten wurden in einem
Zeitraum von 2 Monaten 341 Injektionen von Neosalvarsan vorge-
lommen, ohne dass irgendwelche unangenehme Folgen sich bemerk-
>ar machten. Nur in einigen wenigen Fällen wurde vorübergehender
ichwindel, Kopfweh und ..Diarrhöe“ beobachtet. Bei jeder Iniektion
vurden 20 g intravenös angewandt. Mit Rücksicht auf die Wirkung
teht das Neosalvarsan dem Altsalvarsan nach.
S. J. M e 1 1 z e r: Wie tief sollte der Gummischlauch bei der intra-
rachealen Insufflation eingeführt werden? (Journ. Am. Med. Assoc.,
Chicago, 62. 1914. Nr. 20.)
Um sicher zu sein, dass der Gummischlauch sich in der Luft¬
öhre befindet, ist es absolut notwendig, ihn so tief einzuführen,
•is er auf Widerstand trifft, d. h. bis zur Bronchialgabelung reicht.
Venn der Schlauch keinen Widerstand findet, kann man sicher sein,
iass er in die Speiseröhre statt in die Trachea geschoben wor-
en ist, ein Irrtum, welcher nicht erkannt wird, wenn man obiges
^erfahren nicht beobachtet.
E. G. Brackett: Anwendung von Jodoformölinjektionen bei
ielenkerkrankungen. (Boston Med. and Surg. Journ. 170. 1914. Nr. 23.)
Die Injektionen werden durch einen offenen Einschnitt, niemals
urch Punktion gemacht. Genügend Flüssigkeit muss im Gelenk ge-
issen werden, um die Gelenkkapsel in Spannung zu halten. Es ist
aher eine Naht notwendig, um diese Spannung zu bewahren, wenn
ie Spritze entfernt wird. Diese Methode ist nur anwendbar bei Fäl-
mi von alter infektiöser Arthritis mit Adhäsionen und teilweiser Ob-
teration der Kapselhöhle, bei Fällen infektiöser Gelenkentzündung im
kuten Stadium, besonders gonorrhoischen Ursprungs bei Synovial-
iberkulose bevor der Knorpel oder Knochen angegriffen ist und bei
Isteoarthritis mit bedeutender Verdickung der Gelenkkapsel.
W. C. McCarthy und B. F. McGrath: Ueber die Häufig-
eit von Krebs des Wurmfortsatzes. (Annals of Surgery, Pliila., 59.
914. Nr. 5.)
Bei 8039 Appendixoperationen, die an der Mayoklinik ausgeführt
wurden, war der Wurmfortsatz 40 mal an Krebs erkrankt. In allen
allen befand sich der krankhafte Prozess am äussersten Ende der
ppendix, deren Lumen an dieser Stelle gänzlich obliteriert war.
E. F. Robinson: Behandlung unvereinigter Frakturen des
chienbeins durch Knochentransplantation. (Annals of Surgery, Phila.,
9. 1914. Nr. 4.)
Verf. entfernt die Bruchenden der beiden Knochenstücke mit
iner Kettensäge, ohne das Peritoneum mitzunehmen. Das Mark der
nochenhöhle wird beiderseits 4 cm weit ausgeräumt. Hierauf wird
in 8 — 10 cm langes Knochenstück, das dem Schienbeinkamm der
nderen Tibia entnommen worden, in die Markhöhle der beiden
nochenfragmente eingesetzt, wodurch die letzteren fest verbunden
'erden.
M. S. Henderson: Die Behandlung der unvereinigten Frak-
iren des Schienbeins durch Knochentransplantation. (Annals of Sur-
ery, Phila., 59. 1914. Nr. 4.)
Auf der inneren Seite des Schienbeins wird vermittels einer
reissäge ein etwa 5 — 6 cm langes und 1 cm breites Knochenstück
us dem grösseren Tibiafragment entfernt. Ein ähnliches, aber nur
alb so langes Stück wird in der gleichen Linie aus dem kleineren
ibiafragment herausgenommen. Hierauf wird das längere Knochen-
iick mit verkehrten Enden in die so entstandene Rinne gerade über
ie Bruchlinie eingelegt, während das kleinere Knochenstück ge¬
raucht wird, um den leer gelassenen Raum der Rinne auszufüllen.
Fälle wurden auf diese Weise ’mit Erfolg behandelt.
L. Buerger: Ueber den Nachweis von Obstruktionen im
nteren Teile des Harnleiters. (New York Med. Journ 99. 1914.
r. 12.)
Zu Einspritzungen von Argyrol und Kollargol in den Harnleiter
ebraucht Verf. einen spitz zulaufenden Katheter mit einer Oeffnung
der Spitze. Zum Nachweis einer Stenose, eines Uretersteines oder
instiger Obstruktion wird der Katheter in den Harnleiter eingeführt,
is die Spitze des Instruments sich zwischen dem Stein und der
Ureterwand einkeilt ; oder es wird ein Katheter von hinreichender
Grösse gebraucht, um die Harnleitcrmiindun"' völlig zu verschliessen,
so dass die Argyrollösung nicht zurückfliessen kann. Wenn voll¬
ständige Obstruktion besteht, kann die Flüssigkeit nicht über das
Hindernis hinausdringen. Der Harnleiter dehnt sich unterhalb des
Steines aus und bildet im Radiogramm einen spindelförmigen Schatten.
J. B. Murphy: Arthroplastik bei Intraartikulärer knochiger und
fibröser Ankylose des Kiefergelenks. (Journ. Am. Med. Assoc.,
Chicago, 62. 1914. Nr. 23.)
Es wird ein L-förmiger Einschnitt gemacht, dessen senkrechter
Teil unmittelbar vor dem Ohr den Jochbogen erreicht und dessen
horizontaler Arm etwa 2 cm von hier nach vorne verläuft. Der
senkrechte Schnitt ist zur Beschaffung des nötigen Fettgewebes er¬
forderlich. Nun werden die Wundränder zurückgezogen und die
Gewebemassen um das versteifte Gelenk herum mit besonders ge¬
bogenen Periostomen losgelöst. Hierauf werden 2 Periostome hinter
das Kollum des Proc. condyloid. gelegt, so dass sie sich berühren. Mit
einer Giglisäge oder mit dem Meissei wird der Hals durchschnitten,
ohne jedoch die Gelenkflächen des Knochens zu entfernen. Wenn
knochige Ankylose besteht, wird ein Knochenstück von etwa 2 mm
Breite aus dem Kollum entfernt, so dass die Fingerspitze in die da¬
durch entstehende Oeffnung gelegt werden kann. Hierauf wird ein
3 cm langer U-förmiger Lappen von Faszie und Fettgewebe über dem
Jochbogen losgelöst, doch so, dass seine Basis mit dem Zygoma ver¬
bunden bleibt. Dieser Lappen wird umgestülpt und in die Knochen¬
öffnung gepackt, mit einigen Nähten befestigt und die Wunde ge¬
schlossen Verf. hat mit dieser Methode stets ausgezeichnete Re¬
sultate erzielt.
H. B. Thomas: Knochentransplantationen bei Spondylitis tuber-
culosa. (Journ. Am. Assoc., Chicago, 62. 1914. Nr. 14.)
Bei einem 14 jährigen Mädchen, das an Spondylitis tuberculosa
litt, wurde die A 1 b e e sehe Knochentransplantation ausgeführt. Es
wurde ein elliptischer Einschnitt gemacht, der alle Dornfortsätze vom
4. bis zum 8. umfasste. Die letzteren wurden gespalten und an ihrer
Basis abgebrochen. Das weiche Gewebe zwischen den Querfort¬
sätzen wurde entfernt, so dass eine Rinne 10 cm lang. VA cm tief
und 1 cm weit entstand. Hierauf wurde ein entsorechendes Knochen¬
stück, das der vorderen Seite der Tibia der Patientin entnommen
worden, in die Rinne eingesetzt und verankert. Auf ganz ähnliche
Weise wurde eine Anzahl von Patienten behandelt, die meisten mit
sehr gutem Erfolg.
J. B. Clark: Die operative Behandlung der akuten gonor¬
rhoischen Eoididvmitis durch Epididymotomie. (Annals of Surgery,
Phila.. 59. 1914. Nr. 5.)
Verf. macht einen 3 cm langen Einschnitt über der geschwollenen
Epididymis. Die Tunica vaginalis wird geöffnet und die Flüssigkeit
entleert. Die Ränder der Tunika werden beiderseits gefasst und
zurückgezogen, so dass der Nebenhoden blosseelegt wird. In den
letzteren wird ein 1 cm langer Einschnitt gemacht. mit einer Sonde
der Nebenhoden untersucht und allfälliger Eiter entfernt. Eiter wird
in 33 Proz. aller Fälle gefunden. Während der ersten 48 Stunden
wird Drainage angewandt. Verf. erzielte ausgezeichnete Resultate
mit dieser Methode.
W. A. Plummer: Tumor der mittleren Schädelgrube, welcher
das Ganglion Gasseri in Mitleidenschaft zog. (Journ. Am. Med.
Assoc., Chicago, 62. 1914. Nr. 14.)
Bei diesem seltenen Fall waren die Halsdrüsen auf der rechten
Seite vergrössert. Der Patient fühlte beständig einen dumpfen
Schmerz vor dem rechten Ohr. wobei Schmerzparoxvsmen das ganze
Gebiet des N. trigeminus ergriffen. Er zeigte keine Symptome intra¬
kraniellen Drucks, wie Erbrechen, Kopfweh, Staungspapille usw. Es
bestand lokale Anästhesie im Gebiete des N. trigeminus. Paralyse
aller Augenmuskeln auf der rechten Seite mit beinahe vollständiger
Ptose. Die Schädelhöhle wurde nach der Hartley-Krause-
schen Methode geöffnet. Man fand eine harte Masse unter dem
rechten Schläfenlappen, die als inoperabel erkannt wurde. Die mikro¬
skopische Untersuchung ergab ein Rundzellensarkom. Der Patient
starb einige Monate später.
B. M. Anspach: Erfahrungen mit der Spinalanästhesie in der
Beckenchirurgie. (Am. Journ. Obstet., Phila., 1914 Nr. 5.)
Es gibt Fälle, in denen die Allgemeinnarkose nicht wünschens¬
wert, selbst gefährlich ist. Dies ist namentlich der Fall bei Herz-,
Lungen- und Nierenleiden, bei denen der Blutkreislauf, die Atmung
oder der Harnapparat beeinträchtigt werden. Auch bei toxischen
Zuständen, in denen die Exkretionsorgane stark in Ansoruch ge¬
nommen werden, ist die Einführung eines neuen Giftes nicht ratsam.
Seine Erfahrungen führen Verf. zu folgenden Schlüssen: Die Spinal¬
anästhesie ist selbst in erfahrenen Händen von einer höheren un¬
mittelbaren Mortalität begleitet als die Aether-, Chloroform- oder
Stickstoffoxvdulnarkose. Auf der anderen Seite hat die Spinal¬
anästhesie keine postoperative Mortalität zur Folge und ist der
Aether- und Chloroformnarkose, nicht aber dem Stickstoffoxvdul und
Sauerstoff überlegen. A. A 1 1 e m a n n.
Neuere stimmärztliche Publikationen.
Autophonoskop, ein Instrument, um die Phonationsbewegungen
im Larynx beobachten zu lassen und gleichzeitig selbst zu beobach¬
ten. Von Dr. G. Panconcelli-Calzia. (Zschr. f, Larvngol.
6 H. 3.)
2380 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 50.
Beschreibung und Abbildung einer vom Verf. an dem für phone¬
tische Zwecke wertvollen H a y s - F 1 a t a u sehen Instrumente an¬
gebrachten Konstruktion.
Versuche mit Polsterpfeifen. Von Franz W e t h 1 o - Berlin.
(Passows Beitr. 6. H. 3.)
W. beschreibt das von ihm konstruierte Modell einer „Polster-
pfeife“, an dem er, die Versuche Ewalds fortsetzend, die Mechanik
des menschlichen Stimmorganes studierte. Die Kontraktion des
Muse, vocalis wird dabei durch das Aufblasen der Polster nach¬
geahmt. Von den Resultaten ist von besonderem Interesse, dass bei
Steigerung des Anblasedruckes meist eine Vertiefung des Tones ein¬
trat. Die Versuche hinsichtlich der Aenderung der Tonhöhe bei Ver¬
wendung verschiedenartiger Wind- und Ansatzrohre sind noch nicht
abgeschlossen.
lieber Atemvolummessung beim Sprechen und Singen. Von
R. Du Bois-Reymond und J. Katzenstein. (Katzensteins
Arch. f. exper. u. klin. Phonetik 1. H. 1.)
Die Versuche wurden in der Weise ausgeführt, dass der Ver¬
suchsperson eine doppelt durchbohrte Glasglocke über den Kopf ge¬
stülpt wurde, die durch eine Art Halskrause aus Gummimembran um
den Hals herum abgeschlossen werden konnte. Der abgeschlossene
Raum wurde mit einer Gasuhr verbunden. Aus den in der Arbeit
wiedergegebenen Versuchen ergibt sich folgendes:
1. Bei vertiefter Mundatmung steht dem Sprecher und Sänger
die grösste Atemmenge bei der geringsten Atemfrequenz zu Gebote.
2. Der Luftverbrauch beim Lesen, freien Sprechen, Pianosingen
ist um 20 — 30 Proz. geringer als bei ruhiger Atmung.
3. Der Luftverbrauch beim Deklamieren und Singen übertrifft
den Ruheverbrauch in desto höherem Masse, je mehr die Stimm-
gebung forte ist.
Die Deckung des Gesangstones im Röntgenbilde. Von R. Schil¬
ling- Freiburg i. B. (Ibid. 1. H. 2.)
Es wurden Momentaufnahmen von 1/ioo Sekunden Dauer gemacht, .
wobei die Platte parallel zur Medianebene des Kopfes, diesem dicht
anliegend, gehalten wurde. Bezüglich der Resultate muss auf die
Arbeit selbst verwiesen werden.
Untersuchungen über das Wesen der Nasalität. Von Hermann
Gutzmann - Berlin. (Arch. f. Laryngol. 27. H. 1.)
Die umfangreiche, höchst interessante, zu kurzem Referat jedoch
nicht geeignete Arbeit enthält eine eingehende Beschreibung der Me¬
thodik, sowie der klinisch-therapeutischen und klanganalytischen
Untersuchungsergebnisse.
Stimmgabelharinoniiitn und dessen Anwendung zur Stimmbildung
und Stimmbehandlung. Von Privatdozent M a 1 j u t i n - Moskau.
(Ibid. 27. H. 3.)
Beschreibung und Abbildung eines von M. konstruierten Modells,
das im Prinzip aus einem System von 3 durch einen Ständer mit¬
einander verbundenen Stimmgabeln besteht, die durch Umstellen von
Klemmen Töne in beliebigen Intervallen hervorzubringen ermöglichen
und so eine kontinuierliche Tonreihe darstellen. Die physikalische
Einwirkung der Stirnmgabelvibrationen, die Uebertragung auf den
Patienten, erfolgt durch ableitende Gummiröhrchen, die mit einem
Phonendoskop (das sich der Pat. anlegt) verbunden sind. M. glaubt
den Apparat auch zur Behandlung von Ohrensausen, sowie zur Ge¬
hörsbildung bei hochgradig Schwerhörigen bzw. Tauben empfehlen
zu sollen.
Menschen- und Tierstimme in ihrem Verhältnis zum anatomischen
Bau des Kehlkopfes. Von Dozent Dr. Josef N e m a i - Pest. (Ibid.
27. H. 3.)
Nach den Untersuchungen N.s liefern die anatomischen Verhält¬
nisse den Beweis dafür, „dass die Unvollkommenheit in der Stimm¬
bildung der Tiere in erster Linie durch den unvollkommenen Ver¬
schluss der Stimmritze begründet äst; denn es schliesst sich bei ihnen
bloss die Bänderglottis. Im Gegensatz zu diesem unvollkommenen
Verschluss wird beim Menschen die ganze Stimmritze gut ge¬
schlossen; die Glottis cartilaginea und Glottis ligamentosa bilden bei
ihm die gut schliessende und offenbar der ganzen Länge nach gieich-
mässig schwingende und daher zum Hervorbringen musikalischer
Töne geeignete Stimmritze. Den Unterschied in der Stimmbildung
zwischen Mensch und Tier finde ich darin begründet, dass sich beim
Menschen die Lücke der Knorpelglottis bereits zurückgebildet hat.“
Zur Physiotherapie der funktionellen Stimmstörungen. Von Prof.
Dr. Th. S. F 1 a t a u. (Die Stimme 7. Jahrg. H. 9.)
Bei Fällen schwerer Dysästhesien und Parästhesien hat sich die
Applikation hochgespannter Frequenzströme als überaus wirksam er¬
wiesen. Eine weitere Kombination für die elektrische Tonbehand¬
lung hatte die Aufgabe, den Tonschwingungen entsprechende sinus¬
förmige Wechselströme bei hoher Frequenz und niedriger Spannung,
40 — 50 Volt, als therapeutisches Agens einzuführen. Beschreibung und
Abbildung der Apparate.
Experimentelle Untersuchungen über den Luftverbrauch beim
harten und beim weichen Tonansatz. Von Prof. Dr. Rethi-Wien.
(Ibid. H. 2.)
Die Untersuchungen, die im Wiener physiologischen Institut an¬
gestellt wurden, führten zu dem Ergebnis, dass beim harten Ansatz
mehr Luft verbraucht wird als beim weichen. Ersterer, dessen
Schädlichkeit in stimmhygienischer Hinsicht ja bekannt ist, ist so¬
mit auch mit Bezug auf die Atemführung unangebracht und un-
ökonomisch. (R. versteht hiebei unter „Ansatz“ das, was nach der
sonst üblichen Auffassung als „Einsatz“ bezeichnet wird. Ref.)
Zum Studium der sichtbaren Sprachbewegungen. Von Prof. Dr.
Th. S. Fla tau. (Ibid. H. 9.)
1. Zum Studium der sichtbaren Sprachbewegungen ist die Auf¬
nahme und Vermessung von Reihenaufnahmen ein vorzügliches Mittel.
2. Durch die Vermessung markierter Punkte der Lippen-, Wan¬
gen- und mimischen Muskulatur am Mundboden, am Halskieferwinkel
wird bewiesen, dass die bisher angegebenen optischen Hilfszeichen
revidiert werden müssen.
3. Es ergeben sich — wie früher beim physiologischen Studium
der Ortsbewegungen — durch das Mittel der Reihenaufnahmen vor¬
dem unbekannte, fremdartig wirkende Zwischenstufen neben den be¬
kannteren Anfangs- und Endstellungen.
4. ln Fällen, wo die optische Aufmerksamkeit in der psychischen
Anlage mangelt und notwendigerweise herangezogen werden muss,
ist die Verwendung vorgeführter Reihenaufnahmen ein Erziehungs-;
verfahren von heilpädagogischem Wert für die Ausbildung der ver-j
kümmerten Funktion.
Die funktionellen Stimmstörungen. Von Dr. Zumste e g, Stabs¬
arzt a. D. (Vox 1913 H. 1.)
Ueberblick über die Erfahrungen, die an den im Gutzmann -
sehen Universitätsambulatorium für Stimm- und Sprachstörungen zu
Berlin innerhalb eines halben Jahres zur Beobachtung gelangten
Fällen gesammelt wurden. Untersuchung und Behandlung werden
eingehend beschrieben und in instruktiver Weise durch die Wieder¬
gabe von 36 Krankengeschichten illustriert. Was die Häufigkeit der;
einzelnen Stimmstörungen betrifft, so standen an erster Stelle die be-i
ruflichen Erkrankungen, vor allem die der Sprechstimme. Dann folg-,
ten die funktionellen Lähmungs- und Krampfzustände, ferner die,
organisch bedingten und endlich die Mutationsstörungen.
Wissenschaft und praktische Stimmbildung. Von Clara H o f f -
m ann - Hamburg. (Ibid.)
Wiedergabe und Erläuterung einiger Atemkurven, welche die Be-j
deutung dieses wissenschaftlichen Hilfsmittels für den praktischen
Sprech- und üesangunterricht vor Augen führen.
Die einfache Kinematographie und die Strobokinematographie der
Stimmlippenbewegungen beim Lebenden. Von J. H e g e n e r und
Panconzelli-Calzia - Hamburg. (Ibidem H. 2.)
Vorläufige Mitteilung. Die Frage der Kinematographie der Be¬
wegungen der Stimmlippen kann, wie die beigegebenen Tafeln zei-;
gen, durch Aenderung an der Optik der vorhandenen Stroboskope und
bedeutende Steigerung der Helligkeit der Beleuchtung im Prinzip ab
gelöst betrachtet werden.
Ein neues Laryngostroboskop, zugleich Universalbeleuchtungs-
apparat für die Beobachtung und Momentphotographie in Körper¬
höhlen mit engem Zugang. Von .1. H e g e n e r - Hamburg. (Ibid
1914, H. 1.)
Ausführliche Beschreibung mit Abbildung.
Zimmer mann - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Greifswald. August-Oktober 1914.
Co est er Heinrich: Amyloide Degeneration der Konjunktiva.
Lad i sch Ernst: Zur Wirkung der Chinaalkaloide auf die glatte
Muskulatur des Kaninchendarmes unter Berücksichtigung dc^
Quinetum, der Kombination der Gesamtalkaloide.
Görs Erich: Beiträge zur Entwicklung der Zunge. Entwicklung dei
Zunge der weissen Maus (Mus musculus var. alba).
Wasner Martin: Psychosen auf dem Boden der angeborenei
geistigen Schwächezustände. Eine klinische Studie.
Universität Halle a/S. Oktober 1914.
Dyckerhoft Hans: Dauerresultate der Operationen der Herni.
cruralis 1908—1913 an der Kgl. Chir. Univ.-Klinik zu Halle a/S.
Riwosch Joel (Eugen): Ueber Stieltorsion des Hodens.
Universität Jena. Oktober und November 1914.
S a u p e Kurt: Ueber die Erfolge der Operationen bei jugendlichen
Katarakt.
Guttmann Kurt: Anomalien der Zähne, insbesondere Verände¬
rungen ihrer Schmelzstruktur als Folge von chronischen Konsti
tutions- und Infektionskrankheiten.
Heid er K.: Zwei Fälle von Pseudomyxoma peritonei. — Aus
waschen der Bauchhöhle mit Kochsalzlösungen.
Fr ie sicke Georg: Ueber eine besondere Form von Thymuskar
zinom (Carcinoma cylindrocellulare).
Barch an Eduard: Ueber Anwendung von Sekakornin, Pituglando
und ß-Imidatolyläthylamin während der Geburt.
R o i c k Walter : Zwei Fälle von Friedreich scher Ataxie.
Universität Marburg. Oktober 1914.
Berge Otto: Behandlung der Melaena neonatorum vera mittels Ge
latine.
Berghahn Heinrich: Zur Kenntnis der Hypophysenstruktur be
Akromegalie.
Berling Elisabeth: Ueber die Ergebnisse der Gesichtsfeldunter
suchung nach B j e r r u m bei verschiedenen Erkrankungen de
Sehnerven.
Cordes Wilhelm: Zur Kenntnis des serologischen Verhaltens de
Kapselbazillen.
15. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2381
De wenter Karl: Lieber Schnittführung bei Gallensteinoperationen
mit besonderer Berücksichtigung der von König- Marburg an¬
gegebenen Methode.
! Döllner Max: Die puerperale Infektion vom gerichtlich-medi¬
zinischen Standpunkte aus.
Universität München. August und September 1914.
Edelberg 14.: Zur Aetiologie des primären Lymphdrüsenkarzinoms.
Bar kan Otto: Die Lage des Auges in der Augenhöhle unter ver¬
schiedenen physiologischen Bedingungen.
Sartorius Alfred: Ueber Drusenbildung im Sehnervenkopfe mit
Beiträgen zur Kasuistik.
Hausmann Markus: Zur Klinik der Doppelmissbildungen des weib¬
lichen Genitale.
Fels Arthur: Kasuistischer Beitrag über Durchbrüche nach der
Orbita von den Nebenhöhlen der Nase, spez. Siebbein- und Stirn¬
höhle.
Wal deck Karl: Zur pathologischen Anatomie der Iristuberknlose.
Saito Kaku: lieber die Histogenese der traumatischen Iriszyste.
Wertkin N.: Hämatokritversuche auf alter und neuer Basis (mit
Salzlösungen, Blutgiften und spezifischen Hämolysinen).
Mobitz Waldemar: Beiträge zur Klinik der Basedowschen
Krankheit.
Knorr Emil: Ueber die Perforation des pericholezystitischen Ab¬
szesses im Gefolge von Cholezystitis calculosa in den Herzbeutel.
Zoeppfel H.: Statistische Zusammenstellung der während der
Jahre 1903 — 1913 an der chirurgischen Poliklinik zu München
behandelten Kiefertumoren.
Sato Kogoro: Subkutane Bauchkontusion mit Quetschung des Milz¬
stieles.
Goldberg Toby: Die Harnkryoskopie, A 1 b a r r a n sehe Probe
und Phenolsulfophthaleinmethode im Dienste der funktionellen
Nierendiagnostik.
Ahlborn Knud: Die desinfizierende Wirkung der Gasbeleuchtung
auf Zimmerluft.
Lande Lotte: Ueber die Palpabilität der Arterien.
Adorno Ludwig: Ueber Pancreatitis acuta.
Eckhard Heinrich: Ueber den Tod und Scheintod der Neuge¬
borenen.
Forst August W. : Ueber kongenitale Varizen. Verblutung aus
einem kongenitalen Varixknoten der Vena jugularis.
Fukui Schohei: Zur Wirkungsweise des Schweinerotlaufimmun¬
serums.
Hopf Friedrich: Statistische Untersuchungen über die Resultate der
Säuglingsabteilung der Münchener Kinderklinik.
Wüllen weber Wilhelm: Ueber operative Behandlung von
Tuberkulose der weiblichen Genitalien.
Tsukamoto Masaji: Das Kasein im Stuhl gesunder und kranker
Säuglinge.
Röstel Hugo: Ein Fall von Mukosaadenotnyositis uteri.
Bühner Eustach: Ueber Hydramnion in Verbindung mit Hydrops
foetus.
IRupp Otto: Beitrag zum gegenwärtigen Stande der Abortfrage.
Fr ankau August: Statistische Mitteilungen über Mammakarzinom.
Auf Grund der in den Jahren 1903 — 1913 an der Kgl. Chirurg.
Poliklinik zu München beobachteten Fälle.
Cohen Ludwig: Die Goldreaktion im Liquor cerebrospinalis.
Miller Fidel: Ueber ein primäres Chorionepitheliom des Ovariums.
Kasuistischer Beitrag mit Bildern.
Universität Rostock. Oktober 1914.
Goldmund Walter: Zur pathologischen Anatomie der Skleritis.
Blass Kuno: Das Wachstum von Bakterien auf magnesiahaltigen
Nährböden.
Vetter Hanns: Rektumtumoren als Geburtshindernisse.
Walter Herbert: Ueber die Bewertung der Digitalispräparate mit
Hilfe biologischer Methoden.
Zeh Wilhelm: Ueber mediastinale Dermoidzysten.
Groth Willy: Zur Aetiologie des Keratokonus.
Muenk Gustav: Beiträge zur Kenntnis der Bestandteile und Wir¬
kungen der Lupinensamen.
Universität Tübingen. September 1914.
End er Karl: Ueber den Bleigehalt glasierter Tongeschirre.
Frey Alfred: Eine seltene Schussverletzung des Halses mit Ver¬
letzung der Carotis communis.
Mäulen E : Bericht über die vom 1. April 1900 bis 1. April 1914
auf der Universitäts-Ohrenklinik zur Beobachtung gekommenen
Fremdkörper des Ohres.
Neuffer Rudolf: Ueber die Beziehungen des primären Glaukoms
zu Geschlecht, Lebensalter und Refraktion.
Oelhafen Heinrich: Ueber Knochenmarksriesenzellen im strömen¬
den Blut.
Re in old Karl: Ueber Tuberkulose im frühesten Kindesaltcr.
St eng Hermann: Die Milch brünstiger Kühe als Kindermilch.
Waldschmidt Wilh.: Ueber die verschiedenen Methoden Pepsin
und Trypsin quantitativ zu bestimmen nebst Beschreibung einer
einfachen derartigen Methode.
Vereins- und Kongressberichte.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1689. Ordentliche Sitzung vom 19. Oktober 1914, abends
7 Uhr im Sitzungssaal.
Vorsitzender: Herr Quincke.
Schriftführer: Herr Buecheler.
Herr Joh. Jul. Schmidt: Demonstration eines Apparates zur
Harnsäurebestimmung im Blute nach Brugsch-Kristeller.
Redner hebt die Vorteile dieser Methode hervor gegenüber der¬
jenigen von Roethlisberger, die viel längere Zeit in Anspruch
nimmt und besonders den Nachteil hat, dass das Silberpapier nicht
haltbar ist. Das neue Verfahren nach Brugsch-Kristeller,
welches auf der Farbenreaktion von 0. Maschke beruht und
eigentlich die modifizierte Methode nach Fol in- Denis ist, hat
den Vorzug, dass es im Vergleich zu der grossen Analyse nur
geringer Blutmengen bedarf und auf Enteiweissung sowie Isolierung
der Harnsäure verzichten kann. Die Autoren schreiben zwei Rea-
gentien vor, nämlich 7,5 proz. NaaCOa-Lösung und eine 10 proz. Phos¬
phorwolframsäure, deren genaue Zusammensetzung und Herstellungs¬
weise von ihnen kontrolliert wird. Zur Reaktion entzieht man dem
Ohrläppchen 20 Tropfen Blut, lässt ein klares Serum in 3 Stunden
absetzen, entnimmt davon 0,2 ccm mittelst Kapillarpipette und setzt
dem Reagenzglas von Reagens I 1 ccm und von Reagens II 0,4 ccm
hinzu, worauf sofort eine Blaufärbung entsteht, die dem Harn¬
säuregehalt parallel geht. Letzterer wird nach 5 Minuten an einer
Earbenskala von 1 — 5 mg für 100 ccm Blut verglichen und zwar bei
durchfallendem Tageslicht. Uebersteigt die Blutharnsäure die Menge
von 5 mg, so verdünnt man vor der Reaktion zuerst 0,2 ccm Serum
mit 1,5 ccm destilliertem Wasser und setzt dann die beiden Reagentien
zu. Die Nachprüfung des Apparates (zu beziehen durch die Ver¬
einigten Fabriken für Laboratoriumsbedarf, Berlin N 39) sowohl bei
regulärer als atypischer Gicht, als bei Gesunden ergab, dass diese
Methode als praktisch und zuverlässig empfohlen werden kann.
Herr Grödel demonstriert einen Fliegerpfeil und die dadurch
hervorgerufenen Verletzungen im Röntgenbild.
Diskussion: Herr Schott.
Herr V o h s e n fragt, ob und zu welchen Preisen grössere
Mengen Tetanusserum für die dringlicher Bedarf ja angemeldet ist,
zu haben sind.
Herr Sachs erwidert, dass die Farbwerke in Höchst und die
Behringwerke in Marburg seit Kriegsbeginn um Herstellung möglichst
grosser Mengen bemüht sind.
Referate über die Ruhr:
Herr Quincke gibt einen Ueberblick über die Pathologie und
Therapie der Ruhr. Dieselbe ist ein aus der Krankenbeobachtung
hervorgegangener Begriff, der weder anatomisch noch ätiologisch ein¬
heitliche Grundlagen hat. Für uns ist von Interesse hauptsächlich die
durch „Ruhrbazillen“ erzeugte Ruhr, die jetzt auf dem Kriegsschau¬
platz vorkommt. Doch ist es die Frage, ob nicht eine Anzahl von
„Ruhr“fällen, ganz unabhängig von den Ruhrbazillen, durch andere
Schädlichkeiten hervorgerufen sind.
Herr E. Goldschmid: Die pathologische Anatomie der bazil¬
lären Dysenterie und ihre Diagnose am Sektionstisch.
In den meisten zur Sektion kommenden Fällen, bei denen die
Frage nach Dysenterie auftaucht, handelt es sich um eine diph¬
therische Erkrankung der Dickdarmschleimhaut. Zur Diagnose ist
hierbei beweisend nur der Nachweis des Erregers. Alle anderen
Formen diphtherischer Darmerkrankungen sind ihrer Aetiologie nach
auszuschliessen. Bei den selteneren Fällen, bei denen es sich um
frühe Stadien handelt, also im wesentlichen um katarrhalische Er¬
scheinungen, ist die Differentialdiagnose schwieriger.
Nach L e n t z ist zu unterscheiden das katarrhalische Anfangs¬
stadium, das Stadium der Epithelnekrose („kleienartige Beläge“,
später Borkenbildung), das Stadium der Geschwürsbildung. Bespre¬
chung der einschlägigen Angaben bei Orth, Kaufmann und
A s c h o f f sowie der Arbeiten von Dopte r, Raubitschek und
Lentz Befunde in anderen Organen sind uncharakteristisch oder
fehlen. Es handelt sich also um „eine lokale Erkrankung der Darm¬
schleimhaut und der zugehörigen Lymphdrüsen“. Nach Kruse ist
Dysenterie eine „im Darm lokalisiert bleibende Infektion, bei der
man die begleitenden Allgemeinerscheinungen zum Teil auf Gifte zu¬
rückführen darf“.
Die einzelnen Stadien der Erkrankungen werden an der Hand
von Sammlungspräparaten demonstriert und besprochen und zum
Vergleich entsprechende Darmaffektion anderer Aetiologie daneben
gestellt.
Demonstrationen:
L 55 Jahre alt. Chronische Dysenterie des Dickdarms. Starke
Verdickung der Wand. Flache, tiefgreifende Narben, an anderen
Stellen frische Entzündung.
2. 40jähr. Mann. Schwerste chronische ulzeröse Dysenterie.
Ausgedehnte Ulzeration und verschieden starke Polypose. Hoch¬
gradige Dilatation. Anämien. Klinisch: Periproktitischer Abszess.
Blutungen.
Nr. 50.
3
2382
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 50.
3. 34jähr. Frau Schwerste polypöse Dickdarmdysenterie mit/
ausgedehnter Vernarbung und multiplen Perforationen. Diffuse Peri¬
tonitis. Anus praeternat. Klinisch: Ulzeröse Kolitis. Früher mehr¬
fach Anfälle von Dickdarmkatarrh. Rezidiv nach Wochenbett.
4. 31 jälir. Mann. Schwerste Dysenterie mit Perforationsperi¬
tonitis und frischer Entzündung der Schleimhautreste.
5. 27 jähr. Frau. Höchstgradige polypöse Colitis ulcerosa mit
ausgedehnter Vernarbung in den unteren Abschnitten. Akute Ent¬
zündung einzelner Stellen. Enger Darm! Klinisch: Streptokokken¬
sepsis.
6. Dysenterische Ulzera des Dickdarms beim Säugling. Ulzeröse
hämorrhagische Kolitis.
7. 62 jähr. Frau. Höchstgradige ulzeröse Kolitis mit ausge¬
dehnter Vernarbung. Subakute hämorrhagische Nephritis.
8. 56 jähr. Mann. Dünndarmdiphtherie bei Magenkrebs.
9. 43 jähr. Frau. Diphtherische Kolitis. Pfortaderthrombose.
10. Strikturierendes Rektumgeschwür mit sterkoraler Diphtherie
oberhalb der Striktur und oberflächlicher Diphtherie unterhalb der
Striktur.
11. Höchstgradiger urämischer Darmkatarrh ohne oberflächliche
Schleimhautnekrose.
12. Diphtherischer Dickdarmkatarrh bei Urämie mit kleien¬
förmigem Schleimhautbelag und starker Wandverdickung.
13. 39 jähr. Mann. Oberflächliche urämische Dünndarmulzera bei
chronischer hämorrhagischer Nephritis.
14. Diphtherischer Dickdarmkatarrh bei Urämie. Höchstgradiger
akuter Katarrh mit beginnender oberflächlicher Nekrose.
15. 27 jähr. Mann. Sublimatvergiftung (Verätzung der Schleim¬
haut in Mund, Rachen und Oesophagus. Magenblutung). Hochgradige
Entzündung und Geschwiirsbildung in Dickdarm und Rektum. Akute
tubuläre Nephritis.
16. 20 Jahre alt. Diphtherische Enteritis des Dickdarms bei
Sublimatintoxikation durch Vaginalspülung. (Nekrose der Schleim¬
haut von Scheide und Portio uteri. Schleimhautblutung in Magen und
Darm.)
17. 39 jähr. Frau. Typische tuberkulöse Polypose bet ulzeröser
Dickdarmtuberkulose.
18. Syphilitische Rektumstriktur.
Herr H. Braun: Serumtherapie der Dysenterie.
Der Vortragende berichtet über die Erfolge der Serumbehand¬
lung der Dysenterie an Hand der in der Literatur niedergelegten Er¬
fahrungen, nachdem er zuvor die theoretischen Grundlagen der
Serumtherapie auseinandergesetzt hat.
Diskussion: Herr Günzburg hat Fälle mit Y-Agglutination
jetzt hier gesehen und möchte zur Prüfung darauf auffordern.
Herr Quincke bestätigt, dass auch in seinem Lazarett Fälle
in dieser Richtung geprüft werden.
Schlusswort: Herr Quincke.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 1. Dezember 1914.
Vorsitzender: Herr Brauer
Herr Krüger zeigt aus dem Material des Barmbecker Kranken¬
hauses eine grosse Zahl von Kieferschüssen, bei denen die Korrektur
der Zahnstellung, die Adaption der Bruchenden, der Ersatz der
Knochen durch zahnärztliche moderne Technik: schiefe Ebene, Gleit¬
schiene, Immeüiatprothesen, Zelluloidprothesen, Drahtverbände u. a.
in ausgezeichneter Weise gelungen ist.
Herr H a e n i s c h demonstriert am Röntgenbilde eines zer¬
splitterten Unterschenkels ein englisches Geschoss, das ausge¬
sprochene Dumdumwirkung haben musste, weil es durch seine
Konstruktion eine explosive Wirkung hat. Das verbogene Geschoss
steckt im Fuss. (Erscheint in dieser Wschr.)
Herren Stargardt, Ringel, Albers-Schönberg de¬
monstrieren zu derselben Frage Röntgenbilder und die Originalge¬
schosse (durchsägt), die vorne einen Aluminium-, hinten einen Blei¬
kern zeigen. Aus ballistischen Gründen ist die zertrümmernde Wir¬
kung vorhanden, ohne dass an dem Geschosse, noch etwas abge¬
brochen werden muss, weil der Bleikern im Moment des Aufschlagens
den Aluminiumkern überholt. Ueberall da, wo unsere Truppen den
Engländern gegenüberstehen, häuft sich die Zahl der schweren
Schussverletzungen.
Herr Nonne: Schussverletzungen des Zerebrum.
a) Streifschuss in der Mitte des Schädels: Doppelseitige sym¬
metrische zerebrale Lähmung der Beuger am Oberschenkel und der
Strecker am Unterschenkel. Trepanation: beiderseits liegen auf der
Dura 3 — 4 Knochensplitter, nach deren Entfernung die Lähmung lang¬
sam zurückgeht.
b) Schläfenschuss in den hinteren Teil der rechten Zentral¬
windung. Zerebrallähmung von oben bis unten durchgehend, Sensi¬
bilitätsstörung für alle Qualitäten. Annahme eines diffusen, resorbier¬
fähigen Blutergusses und deshalb konservatives Abwarten. Rück¬
gang aller Symptome.
c) Schussverletzung des Parietallappens. Isolierte Lähmung der
Fingerextensoren. Astereognosie und Reflexerhöhung der Sehnen
und Periostreflexe der oberen Extremitäten.
d) Funktionelle Lähmungen als Folge körperlicher und seelischer
Ueberanstrengungen. Kontrakturlähmung der rechten oberen Ex¬
tremitäten. Suggestivbehandlung von Erfolg.
e) Hysterischer Mutismus bei einem jungen Offizier als Folge
der grossen Ueberanstrengungen, Strapazen und Schlafmangel.
Auffallend ist die Zunahme von Beobachtungen von Fällen typi¬
scher C h a r c o t scher grosser Hysterie. Interessant ist, wie gut
sich schwere Neurastheniker (Zwangsvorstellungen, Platzfurcht usw.),
Tabiker, selbst Paralytiker in der Remission im Felde befinden,
Strapazen aushalten und selbst dekoriert werden.
Diskussion über Tetanus: Herr Deneke bespricht die
B a c c e 1 1 i sehe Karbolbehandlung, die in Deutschland deshalb nicht
die günstigen Resultate ergeben hat, weil die verwendeten Dosen
nicht gross genug waren. Man soll von einer 2 proz. Lösung mehr¬
fach 4 — 5 ccm injizieren, also mit 0,4 reiner Karbolsäure beginnen
und bis 1 g pro die steigen. Kasuistik von 3 Fällen.
Herr Fahr stellt den Tierversuch weit vor den morphologi¬
schen oder kulturellen Nachweis der Tetanusbazillen aus der Wunde.
Herr Zeisler bespricht: 1. Das Missverhältnis der Infektions¬
möglichkeit zum Vorkommen der Erkrankung. 2. Den Wirkungs¬
bereich des Antitoxins. 3. Die Unzweckmässigkeit der Amputation
in der Therapie.
Herr Fraenkel: Die Beurteilung der Heilerfolge beim Tetanus
ist noch schwieriger als bei der Diphtherie. ■ Vortr. bespricht in
kritischer Weise 7 zur Obduktion gekommene Fälle. Nur ein ein¬
ziger bot einen rein negativen Obduktionsbefund, inkl. Untersuchung
des Blutes. Bei den übrigen fanden sich folgende Komplikationen,
die an sich schon als Todesursache hätten in Frage kommen können.
Fall 1: Blutungen im Gehirn. 2. Luische Herzmuskelveränderungen.
3. Wirbelschuss kompliziert mit Lungenschuss und grossem Pleura¬
hämatom. 4. Pneumonien in den Unterlappen. 5. Mischinfektion mit
Bac. emphysematosus. 5. Mischinfektion mit Streptokokken und
anaeroben Bakterien.
Der morphologische Nachweis der Tetanusbazillen in der Wunde
ist sehr schwer, der kulturelle langdauernd. Wenn daher der Ruin-
pe Ische Vorschlag praktische Erfolge ergibt, ist er ganz besonders
zu begriissen, weil dann die sicher nur prophylaktisch wirkende
Antitoxintherapie vor Ausbruch der Krämpfe eingeleitet werden kann.
Herr Brauer: Die Verteilung des Serums war am Beginn
dieses Krieges unzweckmässig; jetzt ist durchaus genügend Serum
vorhanden und vom Sanitätsamt jederzeit zu beziehen. Es ist so
viel vorhanden, dass möglichst alle Verwundeten Schutzdosen ver¬
abfolgt bekommen können.
Herr Alsberg hat 3 Fälle mit Salvarsan wie Rothfuchs
behandelt, kann aber nicht die guten Resultate von R. bestätigen.
Alle 3 Fälle kamen zum Tode. — Die intralumbale Anwendung ist
deshalb wohl auch nicht ganz gleichgültig, weil es sich um eine
gleichzeitige Injektion von einer Vs proz. Karbolsäurelösung handelt.
A. sah ebenso wie Hochhaus meningitische Reizungen.
Herr Rumpel hat seine Versuche, Wundmaterial auf Mäuse
zu verimpfen, fortgesetzt: 20 neue Fälle. Die Mäuse erkrankten
nicht, trotzdem kam aber ein Tetanusfall vor. Von 3 in den letzten
2 Wochen beobachteten Fällen bekam der erste sofort grosse Anti¬
toxindosen, starb am 9. Tage an Sepsis, der zweite starb im ersten
Krampfanfall (Schwere der Infektion), der dritte lebt am 29. Tage,
scheint Bazillenträger zu sein. Ob der Vorschlag, jeden Frischver¬
letzten schutzzuimpfen, durchführbar ist, ist zu bezweifeln.
Herr Kafka: Schädliche Folgen der endolumbalen Behandlung
sind nicht bekannt. Vor der Behandlung war der Liquorbefund völlig
normal, nach der Injektion fanden sich aber schwere pathologische
Veränderungen.
Herr Jacobsthal: Das Versagen des Tierversuches in ein¬
zelnen Fällen ist auf das Ueberwuchern der anaeroben Mischinfektions¬
bakterien zu beziehen. Der Tierversuch ist aber trotzdem das Ver¬
fahren der Wahl. Werner.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. Juli 1914.
Herr zur Verth macht Mitteilung über die kriegschirurgische
Sammlung im Marinelazarett Wik.
Herr Oloff: a) Ein sehr seltener Fall von Tumor des Seh-
nervenkopfes.
20 jähr. Matrose vom Linienschiff „Posen“, der seit einigen
Jahren eine zunehmende Herabsetzung des linkseitigen Sehvermögens
verspürt. Er vermag jetzt nur noch die oberste grösste Buchstaben¬
reihe der Sn eilen sehen Tafeln und zwar nur noch exzentrisch in
Vs m Entfernung zu erkennen (S — 0,5/30), während eine vor einem
Jahre vorgenommene Untersuchung noch V20 S ergeben hatte. Auge
äusserlich vollkommen reizlos und frei von Entzündung.
Bei der Augenspiegeluntcrsuchung findet sich ein fester, konsi¬
stenter Tumor, der vom Sehnervenkopf ausgeht, keulenförmig bis
etwa in die Mitte des Glaskörpers hineinragt und eine ziemlich
glatte, grauweisse, von Netzhautgefässen durchzogene, ca. P/2 Pa¬
pillendurchmesser grosse Oberfläche zeigt. Umgebende Netzhaut
vollkommen frei. Gegen parasitären Charakter (Echinokokkus, Zysti-
zerkus) sprachen die feste Konsistenz und der Mangel an Bewegungs¬
erscheinungen — Syphilis und Tuberkulose, wie sie in seltenen Fällen
15. Dezember 1914.
in Form von Gummen bzw. konglobierten Tuberkeln an der Papille
beobachtet worden sind, Hessen sich auf Grund der spezifischen
Diagnosen (Blutuntersuchung nach Wassermann, probatorischc
Tuberkulineinspritzung unter die Haut) ausschliessen. Trotz senr
energischer antiluetischer Behandlung und einer monatelang durch¬
geführten Tuberkulinbehandlung nahm der Tumor unter weiterer
Verschlechterung des Sehvermögens an Grösse zu. ohne dass sich
bisher begleitende entzündliche Erscheinungen des übrigen Auges
bemerkbar gemacht haben.
Aus diesem Grunde und da die wenigen sonst bisher beob¬
achteten präpapillaren 1 urnorcn sich durchweg als Sarkome heraus¬
gestellt haben, wird auch hier die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf
Sarkom gestellt und Enukleation des Augapfels vorgeschlagen.
(Ausführliche Publikation, insbesondere auch des Ergebnisses
der pathologisch-anatomischen Untersuchung in den „Klinischen Mo¬
natsblättern für Augenheilkunde“ in Aussicht genommen.)
b) Ueber Suizidialverletzungen des Auges.
An der Hand eines z. Z. auf der Augenabteilung des Marine¬
lazaretts Kiel befindlichen Falles von Selbstmordversuch (Revolver¬
schuss in die rechte Schläfe) bespricht Vortragender kurz das Zu¬
standekommen derartiger Augenverletzungen. Nähere Erläuterung
der Flugbahn des Geschosses und der Lage der Projektilstücke an
den bei dieser Gelegenheit aufgenommenen Röntgenphotographien,
die sehr gut erkennen lassen, dass es sich im vorliegenden Falle
um eine sog. indirekte Kontusion infolge der Sprengwirkung handelt,
ohne dass die Projektilstücke in die Orbita hineingedrungen sind und
ohne dass sie den Orbitalinhalt getroffen haben.
Zum Schluss Demonstration einschlägiger Bilder von intra¬
okularen Tumoren und Selbstmordverletzung der Augen am Epi¬
diaskop und Besichtigung der beiden Fälle im Augenspiegelzimmer
mit dem elektrischen Augenspiegel von W o 1 f f.
Diskussion: Herren zur Verth, Oloff.
Herr Auer: Zwei Fälle von Atrophie und Lähmung im Bereich
der Schuitermuskulatur.
Demonstration von 2 Matrosen. Die degenerative Lähmung er¬
streckte sich bei dem einen auf den M. cucullaris. serratus anticus,
supra- und infraspinatus der rechten Seite und war die Folge einer
postinfektiösen Polyneuritis (Erysipel).
Der andere Matrose war vor Auftreten seiner Muskelatrophie
im linken Deltoides und Serratus anticus nicht in ärztlicher Behand¬
lung. Er befand sich angeblich einige Tage nicht recht wohl und
hatte rheumatische Schmerzen in allen Gliedern, versah aber seinen
Dienst weiter. Neuritische Erscheinungen fehlten vollkommen, so
dass die Annahme berechtigt erscheint, dass es sich um die im ganzen
seltene subakute Form der atrophischen Spinallähmung handelte.
Diskussion: Herren Lubarsch, Auer, Kaerger,
(Schluss folgt.)
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. Oktober 1914.
Vorsiteznder: Herr Kluge.
Herr Kluge: Nachruf auf die verstorbenen Mitglieder.
Herr W e n d e 1 eröffnet die wissenschaftlichen Sitzungen mit
einem Hinweis auf die kriegschirurgischen Vorträge, welche er im
August d. J. als Vorbereitung für die Arbeit an Verwundeten ge¬
halten hatte. Er gibt einen Ueberblick über die Erfahrungen, welche
er als beratender Chirurg der Reservelazarette in Magdeburg und
Umgebung hat sammeln können. Er bespricht ausführlicher:
1. Infizierte Verletzungen der Knochen und Ge¬
lenke, bei denen sich eine weitgehende erhaltende Behandlung
ausserordentlich bewährt hat. Gute fixierende Verbände, Spaltung
der Eiterherde. Ausräumung von Knochentrümmern machen verstüm¬
melnde Operationen meist überflüssig.
2. Verletzungen nervöser Organe sind sehr häufig,
besonders der peripherischen Nerven.
Hier sind alle möglichen Befunde zur Beobachtung gekommen:
Strangulation des Nerven durch Narbengewebe um den Nerven, Blu¬
tungen und Schwielenbildung im Nerven, Fremdkörper in oder un¬
mittelbar neben dem Nerven, Druck durch Kallus oder Knochen¬
splitter, endlich Durchschiessungen und Abschiessungen mit bis¬
weilen grossen Defekten und Verlagerungen der Nervenstümpfe in
der Richtung des Schusskanales. Kurze Besprechung von Hirn- und
Rückenmarksverletzungen.
3. Aneurysmen. Der Vortragende hat bisher 16 Fälle ope¬
riert, meist die Unterbindung im Sacke ausgeführt, einmal eine Ge-
fässnaht machen müssen. In 14 Fällen trat ganz glatte Heilung mit
voller Funktion ein, zwei sind noch zu frisch, lassen aber eine be¬
schränkte Gangrän vielleicht befürchten. Da häufig grosse infizierte
Wunden vorhanden waren und das entzündliche Ocdem und grosse
Weichteilsdefekte dem Kollateralkreislauf wenig günstig waren, so ist
das Resultat als gut zu bezeichnen.
Nachtrag. Die Zahl der operierten Aneurysmen ist bisher auf
etwa 2 Dutzend gestiegen. Kein Todesfall. Einmal Zehengangrän
mit Lisfranc, einmal bei schwerer Infektion mit Temperatursteige¬
rungen bis 40" wurde der Fuss bei Unterbindung der Poplitea gan¬
2383
gränös, aber der Unterschenkel für einen brauchbaren Stumpf mit
gut beweglichem Kniegelenk gerettet. Alle übrigen völlig geheilt.
Herr Hilger bespricht die Bedeutung, die namentlich im Winter
ein schnelles Auffinden derVerwundeten im Fel de hat. Durch
den frühen Eintritt der Dunkelheit wird das Erblicken der Ver¬
wundeten, namentlich auch bei der feldgrauen Uniformierung der¬
selben, erschwert, während andererseits die Gefahr des Erfrierens
eine grosse ist. H. regt an, den Soldaten, als Teil ihrer Ausrüstung,
eine kleine Knochenpfeife mitzugeben. Der Ton einer solchen, ja
leicht zu beschaffenden und billigen Pfeife ist sicherlich viel weiter
reichend, wie der einfache Hilferuf des Verwundeten. H. hat diesen
Vorschlag mit einem auf diesem Spezialgebiete des Sanitätsdienstes
tätigen Offizier durchgesprochen und erfahren, dass die Sanitäts¬
spürhunde, abgesehen davon, dass diese ja auch nicht überall zur
Stelle sein werden, gerade bei Durchfeuchtung des Bodens, wie
sie im Winter häufiger sein wird, sehr leicht versagen können, da
die Riechstoffe unter diesen ungünstigen Verhältnissen nur schwach
oder gar nicht wirken können. Da kann dann die Benutzung einer
Pfeife oft lebensrettend wirken. H. erfuhr von demselben Offizier,
dass militärische Bedenken der Benutzung einer solchen Pfeile durch¬
aus nicht im Wege stehen.
Aerztlicher Kreisverein Mainz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. November 1914.
Herr H. Curschmann demonstriert: 1. 17 jähr. Mädchen mit
zahlreichen hysterischen Selbstbeschädigungen, Verätzungen. Es
gelang, suggestiv die Lokalisierung der Aetzwunden zu bestimmen
und die Kranke zu heilen. Differentialdiagnose gegenüber der „idio¬
pathischen Hautgangrän".
2. Chronische Chloroformsucht. 52 jähr. Fräulein, das seit über
19 Jahren, zeitweise tägliche, Selbstnarkosen mit Spirit, chloro-
formii ausübt (vergl. Storath: D.m.W. 1910 Nr. 29). Entziehung stets
ohne jede Abstinenzerscheinung. In den letzten 3 Jahren Ausbildung
einer ziemlich leichten toxischen Neuritis an den Beinen, die auf
Entziehung des Chloroform auffallend rasch heilt unter Wiederkehr
der Reflexe.
3. Multiple Sklerose des vorwiegend sakralen Typus
bei 18 jähr. Mann. Spastische Paraplegie rasch heilend, Testie¬
rende typische und schwere Herderscheinungen des Conus terminalis
(Publikation andernorts).
4. Bespricht C. die Prophylaxe und Therapie des Typhus abdo¬
minalis, besonders im Hinblick auf die Kriegsseuchengefahr. Dar¬
legung der Grundlagen und Methoden der Schutzimpfung nach K o 1 1 e,
Pfeifer, Vincent u. a., der bisher ziemlich negativen Resultate
der Heilsera (Chantemesse). Besprechung der diätetischen Be¬
handlung, wobei C. die Uebertreibungen der zu reichlichen und kom¬
pakten Ernährung ablehnt. Bezüglich der Hydrotherapie empfiehlt C.
grosse Mässigung, er badet nur Kinder noch regelmässig. Die medi¬
kamentöse Therapie des Fiebers ist auf der Höhe desselben ohne
Nutzen, im Stadium der steilen Kurven empfehlensw'ert (Chinin oft
besser als Pyramidon).
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 25. Juni 1914.
Vorsitzender: Herr Kraus.
Schriftführer: Herr Wilhelm V o i t.
Herr Kirste: Präparat einer Spontanruptur des Fundus uteri
im V. Monat der Gravidität.
Herr H e i n I e i n: legt die Gallenblase eines 39 jährigen Fräuleins
vor, welche wegen akuten septischen Empyems entfernt worden war,
sich durch beträchtliche Grösse und mächtige Wandverdickung aus¬
zeichnete und in reichlichem Eiter 4 walnussgrosse Steine mit ebenso
grossem Zystikusschlussstein enthielt. Wundverlauf glatt, Heilung.
Die Diagnose war wegen der hochgradigen, hauptsächlich in der Lum¬
balgegend auffälligen Druckschmerzhaftigkeit auf Epityphlitis gestellt
worden. Die Beobachtung illustriert die für gewisse Fälle bestehende
Unmöglichkeit differentialdiagnostischer Scheidung von Epityphlitis
und Cholezystitis.
Weiter teilt Heinlein die Krankheitsgeschichte eines 54 jähri¬
gen Schreiners mit, bei welchem im Jahre 1911 eine tuberkulöse
rechtsseitige Koxitis zur Entwicklung gekommen war. Unter metho¬
discher Behandlung mit Gehgipsverbänden Wiederherstellung der
Gehfunktion mit völliger Hiiftsteifigkeit. Im Sommer 1913 Senkungs-
abzess am linken Oberschenkel; Punktion, Borspülung, Formalin-
glyzerininjektion, glatte Heilung. Nach einigen Wochen Abszess in
der rechten Fossa iliaca; gleiches Verfahren wie links erfolglos;
wegen jauchiger Eiterverhaltung breite Eröffnung des Psoasabszesses.
In der Folge Aufflackern der koxitischen Erscheinungen im heurigen
Frühjahr, Abszessbildung am Aussenrand des Sartorius, weiterhin
Auftreten heftiger Schmerzen, hohen Fiebers, Kräfteverfall. Re¬
sektion der Hüfte mit Sprengel schem Schnitt; jetzt gutes Befinden.
H. betont die Seltenheit einer Wirbeltuberkulose bei einem
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2384
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 50.
54jährigen und der Kombination einer Wirbel mit einer Hüftgelenk¬
tuberkulose; ferner die bei fehlender Psoaskontraktur und Buckelbil¬
dung vorhandene Schwierigkeit der Diagnose des Wirbelleidens. Ob
das Wiederaufflackern der Koxitis durch Einbruch des Psoasabszesses
in die mit dem Hüftgelenk kommunizierende Bursa iliaca bedingt
war, konnte bei der Resektion in Anbetracht der weitvorgeschrittenen
eitrigen Einschmelzung nicht mit Sicherheit festgestellt werden.
Das Resektionspräparat wird vorgelegt.
Herr Fürnrohr: Ueber Myotonia congenita. (Mit Demon¬
stration.)
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
Sitzung vom 9. Juli 1914.
Vorsitzender: Herr Kraus.
Schriftführer: Herr Wilhelm V o i t.
Herr Frankenau demonstriert einen Knaben mit ausgedehn¬
ter, über alle Körperregionen sich erstreckender Sklerodermie.
Herr Weigel demonstriert einen Patienten mit ausgedehnter
Deformität des Radius und der Ulna unterhalb des Ellenbogen¬
gelenkes. Demonstration der Röntgenbilder.
Herr Grünbaum: Demonstrationen.
a) Ei mit nur teilweise zu Blasenmole entarteter Plazenta und
erhaltenem Embryo.
b) Papilläres Zystadenom, das den ganzen Uterus um¬
wuchert hat.
c) Resezierte vordere Muttermundslippe, die als grosser Tumor
zur Vagina heraushing, kurz vor der Entbindung und ein Hindernis
für die Entbindung abgab.
d) Tuberkulöser Tumor, der sowohl mit Ovarium als auch mit
Flex. sigmoidea und Netz fest verwachsen war. Ausführlicher Be¬
richt der Operationsgeschichte.
Aus den Wiener medizinischen Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
K. k. Gesellschaft der Aerzte.
Sitzung vom 13. November 1914.
Prof. v. Eiseisberg stellt einen Fall von Steckschuss des
Vorderarmes vor, der das Merkwürdige zeigte, dass man beim
Schütteln des Vorderarmes ein deutliches An¬
schlägen eines Fremdkörpers fühlte. Das deformierte Ge¬
schoss befand sich lose in einem mit Flüssigkeit (Hämatom) gefüllten
Hohlraurn und davon rührte das besagte Phänomen her. Seit 2 Tagen
ist die Erscheinung weniger gut fühlbar, offenbar ist das Blut in dem
das Geschoss umhüllenden Sacke schon geronnen.
Prof. Dr. M. Sternberg und Dr. Viktor Albert zeigen
mehrere Fälle von Schussverletzungen, bei welchen es sich wahr¬
scheinlich um funktionelle Lähmungen handelte, da die
eingeleitete Mechanotherapie sehr rasch bei dem betroffenen Gliede
die Funktion wesentlich besserte resp, herstellte. Zweimal handelte
es sich um lschiadikusschüsse mit intensiver Lähmung des Peroneus
und geringerer des N tibialis, einmal um einen Schuss zwischen
Patella und Femurkondylen mit Homarthros, starker Atrophie des
Quadrizcps und Unfähigkeit, das Bein aktiv zu strecken resp. zu
gehen, endlich einmal um einen Schuss durch die rechte Hand mit
Atrophie der Armmuskulatur und schlaffem Herabhängen der Hand.
Der Vortr. glaubt nicht an die Existenz der sog. „aszendierenden
Neuritis " und hält dafür, dass die rasche Besserung der Fälle nach
gymnastischer Behandlung trotz noch bestehender Muskelatrophie für
die Annahme einer funktionellen Lähmung spreche. Die Atrophie sei
eine einfache Inaktivitätsatrophie.
In der Diskussion, an welcher die Professoren Redlich,
v. Wagner, S p i t z y, Benedikt, Priv.-Dozent Dr. Bum und
der Vortr. selbst teilnahmen, wurde erörtert, dass es — wenn auch
selten — eine Neuritis ascendens gebe, dass ferner die Fälle Stern-
b e r g s wohl Ausnahmen bilden, da bei penetrierenden Nerven¬
verletzungen. speziell des N. ischiadicus, auch heftige, schwer zu be¬
handelnde Beschwerden restieren können.
Primararzt Dr. Kren stellt einen durch das kontinuierliche
Wasserbett wesentlich gebesserten Fall von Erythrodermia generali¬
sata idiopathica vor und bespricht die gute Wirkung des warmen
kontinuierlichen Bades.
Dr. Julius Hass hält einen Vortrag: Ueber die Behandlung der
Schussfrakturen des Oberschenkels, wie sie an der chirurgischen Ab¬
teilung des Primararztes Dr. Hans Lorenz derzeit geübt wird. Er
demonstriert eine Lagerungsschiene, ein Drahtgestell zur
gleichzeitigen Fixation des Beckens und Ober- und Unterschenkels,
leicht abbiegbar, dennoch fest, gut transportierbar. Die frakturierte
Extremität wird durch Schraubenzug gut extendiert, die Fragmente
werden adaptiert und dann ein Gipsverband angelegt. Man geht
dabei so vor, dass man erst den Fuss und Unterschenkel eingipst
und dann erst die Extension, Adaptierung der Bruchstücke und Ein¬
gipsung des Oberschenkels vornimmt. Gegenextension durch einen
weichen „Rcitgut“ zwischen Skrotum und Schenkel. Es werden
einige Schussverletzte und deren Röntgenbilder gezeigt, welche be¬
weisen, dass die Verletzten in dieser Weise mit gutem Resultate
behandelt wurden. (Erscheint an anderer Stelle d. Nr.)
Assistent Dr. E. Suchanek bespricht eingehend die Behand¬
lung der Frakturen der unteren Extremität und zeigt die an der Klinik
v. Eiseisberg für solche Fälle angewandten Extensions- und
einfachen Suspensionsapparate.
Diskussion: v. E i s e 1 s b e r g anerkennt das Bedürfnis nach
einer leicht transportierbaren Lagerungsschiene für Oberschenkel¬
brüche und hat selbst eine solche Fixationsschiene aus einer C r a -
m e r sehen Schiene mit zwei Flügeln konstruieren lassen. Dagegen
spricht er sich gegen das forcierte Redressement aus, das in vielen
Fällen nicht angezeigt sein werde.
Prof. Ewald, Prof. S p i t z y und Dr. Suchanek erörtern
die Vorzüge der Extensionsbehandlung mit nachfolgendem Gipsver-
bandc.
Primararzt Dr. O. v. Frisch zeigt zahlreiche praktische Rönt-
genbilder von Kopfschüssen und führt aus, dass der Chirurg im
grossen und ganzen und in der Regel mit der Photographie in zwei
aufeinander senkrecht stehenden Richtungen auskomme, um an der
Hand der klinischen Erscheinungen die Lokalisation und spatere Ex¬
traktion der Projektile machen zu können. Dabei billige er selbst¬
verständlich alle Bemühungen nach exakter Lokalisation von Fremd¬
körpern mittels neuer röntgenologischer Methoden.
Dr. Erich Stoerk zeigt vorerst die Photographie eines typi¬
schen Falles von schwerer Cholera im Stadium algiduin und bespricht
sodann die Behandlung der Cholera, wie sie von ihm im Infektions-
spitale in Krems in zalilreichen Fällen mit Erfolg geübt wurde. Sie
bestand darin, dass man bei Cholera gravis sofort eine Adrenalin¬
injektion (0,0005) gab, den Kranken heisse Senfbäder verabreichte,
das Erbrechen mit Atropin (bis zu 0,002) bekämpfte, dann hyper¬
tonische Kochsalzlösungen nach Gärtner (2 proz.) infundierte. Im
Bette wurde der Kranke, wenn er auf diese Therapie reagierte, mit
heissen Tüchern und Thermophoren erwärmt. Konnte man den Pat.
ernähren, so gab man ihm anfangs ^stündlich einen Esslöffel schwar¬
zen Kaffees oder Thees, sodann Tierkohle in Giesshübler Wasser und
Bolus alba in heissem Thee. In leichteren Fällen (Cholerine, Cholera¬
diarrhöe) genügte die Verabfolgung grösserer Mengen von Tierkohle
und Bolus (bis zu 300 g im Tage). Der Vortr. besprach sodann die
oft schwierige Differentialdiagnose zwischen Cholera, Dysenterie und
Typhus, zumal von Choleratyphoid gegen Typhus und hob hervor,
dass die Fälle in Krems zumeist günstig verliefen, von ca. 1 00
Cholerakranken verschieden schwerer Grade starben nur 2.
Sitzung vom 20. November 1914.
Dr. S. Gatscher demonstriert zwei Verletzungen des linken
Oberarmes, eine Schussverletzung mit Bildung eines Aneurysma der
Art. brachialis (mit Parästhesien im Bereiche des Medianus, Schmer¬
zen bei Streckbewegungen etc.), sodann einen Muskelbruch am Bizeps
infolge Hebens einer schweren Last.
cand med. Fritz Hausmann zeigt einen Mann, der nach einem
elektrischen Unfälle eine teilweise Depigmentation der Haare auf-
w'eist. Er geriet in den Stromkreis eines Drehstromes von 250 Volt
und wurde erst nach 8 Minuten aus demselben befreit. Nach einer
Bewusstlosigkeit, die mehrere Tage anhielt, erholte er sich. Nun
fielen an der linken Kopfhälfte, an der linken Schnurrbarthälfte die
Haare und die Zilien des linken oberen Augenlides aus, die nach-
wachsenden Haare waren weis s, völlig depigmentiert.
Sodann demonstriert H. einen Mann, der vor IV2 Jahren, wohl
im Suizidversuche, eine Revolverkugel gegen seine rechte Schläfe
absciioss. Es bestand damals linkseitige Hemiparese, die zurückging,
so dass der Mann im August I. J. als Chauffeur im Felde Dienst
machte. Ende September trat abermals eine linkseitige Hemiparese
auf, die sich im Spitale wieder gebessert hat. Das Projektil sitzt,
wie die Röntgenbilder zeigen, in der Hirnsubstanz, ungefähr in der
Gegend des Corpus callosum. Trotzdem w-ar der Mann so lange
ganz aktionsfäliig.
Dr. Oskar Kraus demonstriert: 1. Fingerverbände, welche über
Anregung des Zahnarztes Dr. Trebitsch mit Hilfe der plastischen
sog. Stentmasse hergestellt wurden, einem in heissem Wasser
sich erweichenden, sodann plastischen, knetbaren Materiale, das aber
wieder rasch erhärtet, also für die Fixation frakturierter Phalangen
u. dergl. sich sehr gut eignet. Man kann daraus auch kleine Schienen
machen, den fixen Verband gut fenstern, durch Drahteinlagen ver¬
stärken etc.
2. Eine Schussverletzung in die rechte Schläfe und Sitz des
Projektils an der linken Halsseite, unter und hinter dem Kiefer¬
winkel. Es wird der eigentümliche Verlauf dieses Durchschusses,
der fast folgenlos verlief, eingehend erörtert. Demonstration
mehrerer Röntgenbilder.
Diskussion: Prof. Wunschheim und Dr. Trebitsch.
Es folgt eine Diskussion zum Vortrage des Primararztes
Dr. v. Frisch „über röntgenologische Fremdkörperlokalisation, an
welcher Dr. H a u d e k, Prof. Holzknecht und v. Frisch teil¬
nahmen
Hierauf hielt Prof. Dr. Sigm. E x 11 e r einen Vortrag über Julius
Robert v. Mayer aus Anlass der hundertsten Wiederkehr seines
Geburtstages am 20. November 1914.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26.
MÜNCHENER
Verlag von J. F. Lehmann,
München, Paul Heyseslr. 26.
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 50. 15. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 19.
Ueber die subkutane Katgut-Patellarnaht im Felde.
Von Prof. Riedel in Jena.
Im Verlaufe dieses kfrieges werden Querbrüche der Knie¬
scheibe durch Muskelzug, Sturz aufs Knie, Stoss gegen die
Patella usw. gelegentlich Vorkommen. Derartig Verletzte
wird man möglichst bald in die Heimat transportieren; es fragt
sich nur, in welchem Verbände das geschehen soll. Ein ein¬
facher Gips- oder Schienenverband genügt beim Querbruchc
mit stärkerer Dislokation der Fragmente gewiss nicht; er
kann nur angewendet werden beim Zertrümmerungsbruche
der Kniescheibe durch Einwirkung direkter Gewalt, wobei die
Retraktion der Quadrizepssehne öfter keine erhebliche ist.
Klaffen beim Querbruche die Fragmente weit auseinander,
so ist baldige Vereinigung derselben dringend nötig. Im
Felde wird kein Arzt bei subkutanem Bruche ein Kniegelenk
breit aufschneiden und in offener Wunde die Patellarnaht
machen; das ist auch gar nicht nötig, weil wir in der sub¬
kutanen Katgutnaht ein vollständig sicheres und rasch aus¬
zuführendes unblutiges Verfahren haben, was sich in längerer
Friedenspraxis durchaus bewährt hat.
Der gegen dasselbe gerichtete Einwurf, dass es die Frag¬
mente nicht genügend aneinander fixiere, die Interposition von
abgerissenen Weichteilen vernachlässige usw., ist im Hin¬
blicke auf die erzielten Resultate ohne praktische Bedeutung.
Wir wissen gar nicht, wie sich bei intakten Hautdecken die
Weichteilsfetzen verhalten. Schneidet man das Gelenk weit
auf, so sieht man in der Tat dieselben eingestülpt am dor¬
salen Rande der Bruchfläche liegen; bei geschlossenem Ge¬
lenke werden sie wahrscheinlich auf dem zwischen den Frag¬
menten gelegenen geronnenen Blute schwimmen, beim Zu¬
sammenziehen derselben vielleicht nach oben ausweichen.
Jedenfalls spielen sie bei der subkutanen Katgutnaht gar keine
Rolle; die Naht, richtig angelegt, sorgt auch dafür, dass die
Bruchstücke beson¬
ders in ihrem dor¬
salen Teile richtig
aneinander liegen,
und das ist der
springende Punkt,
weil die Heilung des
Patellarbruches vom Perioste des Dorsum ausgeht, was
ich Q schon vor vielen Jahren nachgewiesen habe an der
Hand von Präparaten, die bei Amput. fern, nach Resectio
genu (V o 1 k m a n n) gewonnen waren. Ich bin aber auch
durch unglückliche Zufälle in den Besitz von zwei durch sub¬
kutane Katgutnaht vereinigte Patellae gekommen; sie demon¬
strierten vorzügliche knöcherne Heilungen der Frakturen (s. u.
Nr. 11 und 17).
Je früher man operieren kann, desto besser, am vorteil¬
haftesten ist die Naht unmittelbar nach der Verletzung, resp.
1 — 2 Stunden später. Dann besteht noch sehr geringer Blut¬
erguss. Die Blutung kommt aus dem verletzten Knochen; er
blutet langsam, aber konstant weiter, weil die im Knochen vor¬
handenen Gefässe sich nur mangelhaft retrahieren können.
Diese Blutung aus den Bruchflächen wird am besten gestillt
durch feste Vereinigung derselben. Unterbricht man die Blu-
') Zbl. f. Chir. 1880 4.
tung nicht, so kommt es gelegentlich zur Perforation des oberen
Rezessus, was ich einmal sicher (durch Obduktion) gesehen 2),
dreimal wegen der gewaltigen Schwellung des Oberschenkels
für wahrscheinlich gehalten habe. Das perforierte Blut gerät
zwischen die Ursprungsstellen der Vasti vom Os femoris, läuft
um den Knochen herum bis zur Linea aspera und bildet ge¬
ronnen eine derbe, schwer resorbierbare Masse. Entfernt man
am 6. — 8. Tage den Verband bei einem Kranken mit einer
solchen Perforation, so glaubt man eine schwere Phlegmone
vor sich zu haben; das Bein sieht dunkelblaurot aus, ist
ödematös bis unten hin; mit diesem Befunde kontrastiert das
gute ungestörte Allgemeinbefinden des Kranken, wenn der¬
selbe auch bis 38° und höher fiebert; es handelt sich um ein
aseptisches Resorptionsfieber.
Ich erwähne diese immerhin seltenen Perforationen, weil
sic etwas Beängstigendes haben, besonders wenn subkutane
Katgutnaht appliziert ist; man denkt an Infektion durch un¬
genügend präpariertes Katgut, während re vera von Infektion
gar keine Rede ist. Das Fieber verschwindet nach einiger
Zeit von selbst, das Bein schwillt ab, doch bleibt der Qua-
dratus femoris sehr lange Zeit funktionsunfähig, so dass er
kräftig massiert werden muss.
Für gewöhnlich perforiert der Bluterguss den oberen Re¬
zessus nicht, wir finden das Gelenk nicht leer wie bei dem
Durchbruche, sondern prall gefüllt, so dass es punktiert werden
muss. Im Kriege wird selten ein Verletzter sofort nach dem
Unglücksfalle einem Lazarette zugeführt werden; er wird erst
nach mehreren Stunden resp. Tagen kommen, dann hat er
meist ein prall gefülltes Gelenk, das sofort ' in Angriff ge¬
nommen werden muss, falls man das nötige Instrumentarium
hat; daran wird es allerdings wohl fehlen, weil das Verfahren
trotz aller meiner Bemühungen nicht populär geworden zu
sein scheint.
Unbedingt nötig ist die derbe gestielte Nadel, wie
sie beistehend gezeichnet ist (Fig. 1); alle anderen Nadeln
genügen nicht, mögen sie auch noch so gross sein.
Unbedingt nötig sind Gummi- und übergezogene leinene
Handschuhe, weil man die Katgutfäden oberhalb der Pa¬
tella in der Tiefe sehr energisch zusammenziehen resp.
knüpfen muss; operiert man ohne Handschuhe, so besteht die
Gefahr, dass abgeriebene Epithelien von den Händen mit in
die Tiefe geraten. Sterilisierte Militärhandschuhe genügen
auch.
Nötig ist sodann Narkose, weil sonst der Quadrizeps viel¬
leicht Widerstand leistet; in Narkose gibt er spielend leicht
nach; ob das auch bei lokaler Anästhesie, die sonst wohl aus¬
reichend wäre, der Fall ist, darüber habe ich keine Erfahrung;
bei Rückenmarksanästhesie, die einmal (Nr. 17) angewandt
wurde, gab der Muskel gleichfalls gut nach.
Wer nur chemisch präpariertes Katgut hat, vermeide
2) Zbl. f. Chir. 1890 12.
2386
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 50.
dickes Material, weil dasselbe schwerlich ganz sicher ist;
selbst nach Eisberg gekochtes enthält Mikrokokken, wenn
es von kranken Tieren stammt. Am sichersten sind immer
dünne Fäden; ich nehme gewöhnlich 6 für die Nat.
Die Technik der Operation ist ausserordentlich einfach:
Nach genauer Reinigung der Kniegegend und Punktion des Ge¬
lenkes, 1 Yi cm oberhalb der Patella kurzer Längsschnitt durch
die Haut. Von dort wird die gestielte Nadel durch die Sehne
des Quadrizeps durch in den oberen Rezessus gestossen, von
dort läuft sie hinter den Fragmenten, also auf der vorderen
Femurfläche weiter und durchbohrt dicht unterhalb des Apex
patellae das Lig. patellae und die Haut; letztere wird auf
1 cm Länge gespalten. Durch das jetzt freiliegende Oehr der
Nadel werden die 6 ca. 60 cm langen Katgutfäden bis zur
Mitte ihrer Länge durchgeführt; sodann zieht man die mit den
Fäden armierte Nadel zurück und zur oberen Wunde heraus;
• ihr folgt etwas mehr als die eine Hälfte der langen Fäden,
die andere Hälfte derselben oder wenigstens ein Drittel wird
unten festgehalten.
Nun folgt der zweite Einstich der Nadel von oben; sie
gleitet jetzt vor den beiden Fragmenten vorbei, also event.
durch die Bursa praepatellaris hindurch zur unteren Stich-
resp. Schnittöffnung heraus; die 6 dort hängenden Fäden
werden durchs Oehr durchgeführt und folgen jetzt dem Zuge
der Nadel vor den Fragmenten vorbei, treten dann gleichfalls
aus der oberen Schnittwunde aus. Beide Fragmente sind also
jetzt durch zirkuläre, in der Richtung von oben nach unten
geführte Fäden umfasst; letztere verschwinden beim Anziehen
in der unteren Wunde, in der oberen werden sie gekreuzt,
während ein Assistent das obere Fragment nach abwärts
drückt. Dann gilt es die beiden sechsfachen Fäden möglichst
tief in der oberen Wunde zu knoten und zwar unter scharfem
Anziehen derselben; es empfiehlt sich chirurgischer Knoten,
auf den sodann noch einige weitere Knoten aufgesetzt werden.
Sie werden versenkt, nachdem die Fäden kurz abgeschnitten
sind. Die beiden kleinen Längsschnitte werden durch je eine
Katgutnaht geschlossen.
Es folgt Schienen- resp. Gipsverband mit Lagerung in
V o 1 k m a n n scher Schiene. Der Verlauf pflegt völlig un¬
gestört zu sein; kein Schmerz, Temperatur abends in den
ersten Tagen 37,5 — 38,0, dann kein Fieber mehr, falls der
obere Rezessus nicht ante op. perforiert ist.
Die Operation lässt sich schneller machen als beschreiben.
Da ich aber schon einmal gründlich (T h i e m) missverstanden
bin, so füge ich eine Skizze bei zunächst vom ersten Akte der
Operation (Fig. 2), dem Durchstechen der grossen Nadel
(etwas zu stark gekrümmt gezeichnet, weil Patellafragmente
nicht genügend nach vorne verschoben sind) hinter den
Fragmenten durch. Leicht kann man sich danach den zweiten
Akt vorstellen: die Nadel, etwas gedreht, wird oben ein¬
gestochen, läuft vor den Fragmenten vorbei zur unteren
Wunde heraus (Fig. 2). Die vor und hinter den Fragmenten
gelegenen Fäden sind zur oberen Wunde hinausgeführt und
werden nun oberhalb der Patella in der Substanz des Rectus
femoris geknüpft; sie spalten sicherlich beim festen Anziehen
unten das Lig. pat., oben die Rektussehne, so dass sie dicht
an der Patella liegen (Fig. 3), oben, unten und ringsum. Man
darf die Patellafragmente post op. gar nicht mehr gegen
einander verschieben können.
Bei dem gewöhnlich ungestörten Verlaufe dürfte nach
5 — 6 Tagen der Transport des Verletzten in die Heimat mög¬
lich sein.
Ich habe den ersten Verband durchweg 4 Wochen liegen
lassen, dann leichten Gehverband in gestreckter Stellung ge¬
macht. Es ist nicht zu verlangen, dass ein Kniescheibenbruch
rascher heilt, als jeder andere Knochenbruch, im Gegenteile,
er wird langsamer heilen, weil von der hinteren, mit Knorpel
überzogenen Fläche her keine Kallusbildung erfolgt; ich rechne
mit 5 — 6 Wochen Heilungsdauer. Vor Ablauf dieser Zeit sollte
das Bein nicht aus der gestreckten Stellung herauskommen,
nur seitlich muss die Patella beim ersten Verbandwechsel ver¬
schoben werden, damit sie nicht mit dem unterliegenden
Femurknochen verlötet. Die Versteifung des Gelenkes fürchte
ich nicht; sie lässt sich später durch energische Bewegungen
recht wohl überwinden; Hauptsache ist und bleibt: solide Ver¬
einigung des Knochenbruches.
Bis jetzt habe ich 11 Verletzte frühzeitig operiert und zwar
3 in den ersten 3, 5 nach 24 Stunden, 3 nach 2, 3 resp. 11 Tagen.
9 von diesen Operierten habe ich weiter kontrolliert, einzelne
jahrelang, Sie sind sämtlich gut resp. sehr gut geheilt bis
auf einen Kranken, der sein Knie nur bis zum R beugen
kann, dabei aber voll arbeitsfähig ist. Er gehört zu dem Tri¬
folium, das Perforation des oberen Rezessus hatte; es ist denk¬
bar, dass der Bluterguss in den Quadratus femoris letzteren
weniger nachgiebig gemacht hat, doch verhinderten vielleicht
die Aussicht auf dauernde Rente, desgleichen die Entwicklung
schwerer Varizen energische Uebungen des Gelenkes (Nr. 12).
Alle waren knöchern geheilt; Nr. 11, 3 Monate post op.
wegen gangränösen Erysipels, das von einem Furunkel in der
Glutäalgegend ausgegangen war, im Oberschenkel amputiert,
wies gleichfalls eine knöchern geheilte Fraktur auf; eine
Röntgenaufnahme einige Wochen vor der Amputation hatte
noch einen hellen Streifen zwischen den Fragmenten ergeben,
wohl nur Folge mangelhafter Kalkablagerung im neugebildeten
Knochen, also täuschender Befund, den ich noch in einem
weiteren Fall erlebte.
Zwei neuerdings untersuchte, vor 7 resp. 5 Jahren ope¬
rierte Kranke (Nr. 12 u. 16) hatten stark vergrösserte Patellae,
besonders das untere resp. distale Fragment war in allen
Richtungen hypertrophiert. Unwillkürlich dachte man an ver¬
mehrtes Wachstum auf nervöser Basis, wie es bei Ver¬
letzungen von Nerven, Tabes, Syringomyelie usw. vorkommt.
Es ist auch wohl kaum zu bezweifeln, dass der nervöse Ap¬
parat, desgleichen die Ernährung des distalen Fragmentes
durch die Fraktur Aenderungen erleidet, die in Hypertrophie
der Knochen zum Ausdrucke kommen.
Diese verbreiterten Patellae schleifen aber ganz glatt, der
Knorpelüberzug kann also nicht geschädigt sein, so dass die
Hypertrophie nur theoretisches Interesse hat. Beifolgend eine
Photographie von Nr. 16 (Fig. 4).
5. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2387
Das Bein ist absolut normal, lässt sich aktiv vollständig
eugen und strecken, ohne irgendwelche Geräusche im Ge-
jnkc. Beide Beine gleich stark; Narben verschiebbar mit der
laut, minimal. Der Mann arbeitet schwer in einem Möbe!-
ansportgeschäfte, kniet ungestört usw. Das Verfahren ist
Iso geprüft und hat sich bewährt; cs wird sich auch im
riege bei richtiger Ausführung bewähren, so dass die Ver-
■tzten mit tadelloser Extremität voll leistungsfähig werden.
Wenn nun durch irgendwelche unglücklichen Verhältnisse,
iefangenschaft etc. die Naht im Laufe der ersten 14 Tage
icht appliziert werden kann, so fragt es sich, ob sie später
och möglich ist.
Ich habe 2 Verletzte 3 Wochen nach dem Unglücksfalle operiert;
eide haben verschiebbare Fragmente behalten. Der eine, demens,
5. I. 01 operiert, hatte 3 Jahre später eine 1 cm breite, meist
nöcherne Narbe zwischen beiden Fragmenten; sie waren noch etwas
erschiebbar gegeneinander. Knie von voller Streckung bis zum Win-
el von 45 0 beweglich, also fast normal.
Der zweite Verletzte wurde zu einer Zeit aufgenommen (31. 1. 08),
ls gerade Bardenheuer den Extensionsverband auch für Patel-
irfrakturen lebhaft empfohlen hatte. Ich versuchte also das Ver-
ihren bei diesem Kranken, gab es aber nach 3 Wochen wieder auf,
eil ich gar keinen Erfolg sah. Die Patella wurde subkutan genäht,
atient bereits nach 4 Wochen entlassen. Er lief gleich umher, war
Jeder in seinem Geschäfte tätig. Dadurch erklärt es sich
ach wohl zum Teil dass die Fragmente nur bindegewebig, aber
:st miteinander verwachsen sind. Patient, ein herkulischer Mann,
ann vielleicht deshalb, weil sein Streckapparat durch die Diastase
er Fragmente etwas verlängert ist, sein Kniegelenk noch mehr beu-
en (vergl. Fig. 5), als der in Fig. 4 wiedergegebene Fall. Streckung
idellos, beide Beine gleich stark; auch hier Hypertrophie des unteren
ragmentes.
Fig. 4. Fig. 5.
Der Extensionsverband kommt während des Krieges
berhaupt nicht in Frage, aber auch in der Friedenspraxis
iirde ich mir nie wieder die Chancen für das gute Gelingen
2r subkutanen Katgutnaht durch den Extensionsverband ver¬
erben. Mangelhafte Technik war schwerlich Schuld an
leinem Misserfolge; es eignen sich wohl nur Brüche mit sehr
eringer Diastase der Fragmente für diese Behandlung. Sah
h doch im September 1908 einen gänzlich verunglückten Fall
n Krankenhause des Meisters selbst; man plante Naht in
ifener Wunde.
Diese ist wohl erst nach Ablauf von 5- — 6 Wochen indi-
ert; bis dahin wird man immer subkutane Naht machen, auch
if die Gefahr hin, dass man nur bindegewebige Vereinigung
■zielt; letztere ist ja für die Funktion der Patella genügend,
enn knöcherne auch noch besser ist. Einmal habe ich nach
Wochen noch knöcherne Heilung erzielt mit der subkutanen
atgutnaht (Nr. 13), einmal habe ich aber schon 3 Wochen
ach der Verletzung in offener Wunde genäht, weil ich Re-
div der Fraktur vor mir hatte (Nr. 17) bei einem Kranken,
-r % Jahre zuvor mit subkutaner Naht behandelt war; ich
ollte wissen, ob die Fraktur knöchern bei diesem Verfahren
-heilt sei. Das war der Fall; ich hatte deutlich eine frische
ruchfläche vor mir. Gleichzeitig wollte ich ganz sicher
-‘hen, deshalb nähte ich in offener Wunde.
Sonst habe ich nur veraltete Fälle in dieser Weise be-
mdelt und zwar 5, sämtlich mit Katgutnaht. Da Gefangene
it Patellarbrüchen vielleicht erst sehr spät in die Heimat
trückkehren, so mag die Operation veralteter Brüche
er auch gleich erörtert werden.
Alle 6 Kranke bekamen beiderseits Längsschnitte ca. 1 cm
von den Rändern der Patella entfernt. Dann wurde die Haut
vom Dorsum patellae abgelöst, etwas über den oberen wie
den unteren Rand derselben hinaus. Hebt man den jetzt be¬
stehenden Brückenlappen mit grossen stumpfen Haken in die
Höhe, so liegen die Fragmente der Patella frei ; man löst sie vom
Femur ab und frischt nach Entfernung der Narbenmassen die
Bruchflächen mit der Stichsäge an. Dann kommt der schwie¬
rigste Akt der Operation: Es sollen drei sehr derbe Katgutfäden
unter dem Brückenlappen oben und unten um die Fragmente
herumgeführt werden. Dazu braucht man grosse, sehr derbe
Nadeln und starken Nadelhalter. Unter beständigem starken
Anziehen des Brückenlappens glückt mit einiger Mühe die An¬
legung dieser Nähte, sie sind dann mit grosser Kraft anzu¬
ziehen, weil natürlich in veralteten Fällen der Quadrizeps stark
geschrumpft ist. Ich habe bis jetzt immer die Bruchstücke
zusammengebracht, würde aber selbstverständlich multiple
subkutane Teno- resp. Myotomien machen, wenn der Muskel
nicht nachgeben will. Die sehr massiven Knoten der drei
Katgutnähte werden auf das Dorsum des unteren Fragmentes
gelagert; sie treiben die Haut hässlich vor sich her, was aber
nichts ausmacht, da sie später verschwinden. In den ersten
4 Fällen habe ich die Seitenschnitte offen gelassen, in den
letzten beiden sie in toto vernäht, nachdem ich nur dickes
Katgut benutzt hatte, das kurz vor der Operation dem Züch¬
tungsverfahren unterworfen war und sich sicher als steril er¬
wiesen hatte. Beide Längswunden heilten, mit dünnem Katgut
vernäht, per primam, so dass man sich gar nicht um dieselben
zu kümmern brauchte; die Beine lagen ruhig 4 Wochen unter
dem Gipsverbande.
Die geschilderte Operation ist mühsam, der Erfolg aber
auch ein sehr guter. Der Querschnitt wird vermieden, der
Verletzte kann nach Heilung des Bruches knien, wie ein Ge¬
sunder, und da die Kranken meist der arbeitenden Klasse an¬
gehören, so ist es sehr wichtig für sie, dass sie in keiner
Weise im Gebrauche ihrer Extremität gehindert werden. So
richtig der Querschnitt ist bei der Resectio genu mit nach¬
folgender Heilung des Beines in geradsteifer Stellung,
so bedenklich erscheint er mir bei Operationen, die ein be¬
wegliches, zu schwerer Arbeit brauchbares Knie erzielen
sollen, doch kann ich mich ja irren. Man sollte einmal eine
grössere Anzahl von Leuten, die mit Querschnitt operiert sind,
auf dem Chirurgenkongress vorstellen; der Einzelne sieht
immer nur seine eigenen Operierten, nicht die von Anderen Be¬
handelten; er urteilt also vielleicht zu einseitig. Ich selbst habe
auch einmal mit Querschnitt operiert, aber das war ein ganz
besonderer Fall: Offene, ins Kniegelenk eindringende Wunde,
hohe Morgentemperatur, so dass man an Infektion des Ge¬
lenkes glauben konnte. Dazu Patient kein Arbeiter, sondern
„reicher Engländer“, der nicht zu knien brauchte bei der
Arbeit. Ich riskierte keine zirkuläre Katgutnaht unter diesen
Verhältnissen, vereinigte nur das Periost, trotzdem heilte die
Fraktur knöchern. Patient ist, wie ich 1914 in dem betreffenden
Pensionate hörte, ganz gesund geworden, hat wieder den
Salto mortale geübt, dem er seine Fraktur 1909 verdankte
(Nr. 20).
Ueber den Ausgang der Operationen mit 2 Längsschnitten
(6 Fälle) weiss ich, dass die ersten drei Kranken gut gehen:
zwei haben ein vollständig bewegliches Gelenk, eine
Operierte nicht, weil die Fraktur schon 7U Jahre bestand, ehe
der Eingriff stattfand. Von den drei in jüngerer Zeit Operierten
sind inzwischen zwei gestorben; über die Leistungsfähigkeit
ihrer Gelenke habe ich erst neuerdings etwas erfahren
können (s. u. Anm. b. d. K.); der dritte ist vollständig gesund.
In toto habe ich also bis jetzt 14 mal die subkutane zirku¬
läre Katgutnaht gemacht, 6 mal dieselbe bei doppelseitiger
Längsinzision und einmal periostale Naht bei Querschnitt. In
allen Fällen, die ich weiter verfolgen konnte, wurde ein gutes,
in den meisten ein glänzendes Resultat erzielt.
Am 14. VI. 83 wurde zum ersten Male die subkutane
Katgutnaht von mir angewandt, mühsam, noch ohne die ge¬
stielte Nadel. Das Resultat war gut. Ca. 2 Jahre später ver¬
unglückte mir ein Fall, ohne Zweifel, weil ich dickes Karbol-,
also nur chemisch präpariertes Katgut angewandt hatte; ich
musste aufschneiden; das Gelenk wurde ankylotisch in gerad
steifer Stellung. Das hat mich für viele Jahre von der Katgut-
2388
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 50
naht abgeschreckt, was ich jetzt sehr bedaure. Ich versuchte
mit Gips- und Heftpflasterverbänden in alter Weise aus-
zukommen; Kranke mit geringer Diastase heilten leidlich im
Verlaufe von vielen Monaten, solche mit stark klaffenden
Fragmenten wurden Krüppel. Ein mit zirkulärer, d. h. rings
um die Seite der Patella geführter, extraartikular gelagerter
Seidennaht nach V o 1 k m a n n behandelter Kranker bekam
Thrombose der Vena femoralis — also eigentlich vorwiegend
ungenügende Resultate. Sie veranlassten mich 1901 die sub¬
kutane Katgutnaht wieder aufzunehmen; sie ist das Ideal der
Behandlung, weil kein Fremdkörper im Kniegelenke zurück¬
bleibt und doch Restitutio in integrant rem garantiert ist bei
rechtzeitiger Anwendung der Naht. Kein Draht im Gelenke!
Es ist höchst auffallend, dass diese Naht trotz der vernichten¬
den Kritik, die v. Brunn3) im Jahre 1906 durch seine ver¬
dienstvollen Untersuchungen an derselben geübt hat, nicht
sofort verschwunden ist; „unbedingt zu verwerfen“, das sollte
das allgemeine Urteil sein.
Möge die subkutane Katgutpatellarnaht auch in diesem
schrecklichen Kriege den Verunglückten gesunde Gliedmassen
erhalten.
Uebersicht über die seit 1. Januar 1907 operierten Fälle in Fort¬
setzung der in D.m.W. 1906 Nr. 50 mitgeteilten 11. Zuerst kommen
die mit subkutaner Naht, dann die mit 2 Längsschnitten behandelten, !
zum Schlüsse der mit Querschnitt Operierte, nachdem noch Fall 11 ,
bis zu seinem Abschlüsse mitgeteilt ist.
Nr. 11. Laura Schilling, 54 J., op. 21. VII. 06.
Vor 2 Stunden ist die 180 Pfd. schwere Frau gestürzt und hat
die Patella im unteren Dritteile gebrochen. Bursa praepatellaris voll
Blut, wahrscheinlich auch oberer Rezessus perforiert. Katgutnaht.
Ende August Patella geheilt, Pat. geht umher. Röntgen ergibt im
September noch einen hellen Spalt zwischen beiden Fragmenten.
Ende September gangränöses Erysipel von einem Furunkel in
der ülutäalgegend aus; das Erysipel zieht über das Kniegelenk hin,
letzteres vereitert (schon wiederholt bei ganz intakten Kniegelenken
beobachtet).
Am 3. X. grosse Inzisionen.
Ende des Monats Abszess unten am Beine, deshalb am 30. Amp.
femoris. Geheilt entlassen.
Die in der Längsrichtung aufgesägte Patella war knöchern ge¬
heilt.
Nr. 12. Hermann Schubert, 33 J., op. 3. I. 07.
Gestern Vormittag Fraktur, pat. dextr. im mittleren Dritteile.
Skrofulöser Mann, Drüsennarben am Halse. Bein bis über die Mitte
des Oberschenkels stark und hart geschwollen. Fragmente stehen
4 cm auseinander, unteres enthält Sprung (Röntgen). Gelenk leer,
also Perforation des oberen Rezessus. Subkutane Katgutnaht.
10. III. Geheilt, aber mit noch sehr steifem Kniegelenk entlassen.
1. XI. 14. Vorgestellt. Rechtes Bein bis zur Mitte des Ober¬
schenkels mit gewaltigen Varizen bedeckt; dieselben sollen erst nach
der Verletzung entstanden sein.
Patella knöchern verheilt, um A breiter als die linke; sie schleift
seitlich glatt, desgleichen bei Flexion, die aber nur bis zum rechten
Winkel möglich ist.
Pat. gibt an, dass er noch ein halbes Jahr seit der Entlassung
arbeitsunfähig gewesen sei. Seitdem ist er wieder als Färberei¬
arbeiter, und zwar beständig in stehender Stellung tätig: er bekommt
noch Rente.
Nr. 13. Carl Dobenecker, 50 J., op. 6. II. 08.
Querbruch der Kniescheibe im mittleren Dritteile am 31. XII. 07.
Oberes Fragment schon ziemlich stark am Femur fixiert, am Bruch¬
rande etwas verdickt. Diastase nicht erheblich, trotzdem kann Pat.
sein Bein gar nicht erheben. Deshalb subkutane Katgutnaht.
30. III. Geheilt entlassen. 1914 laut Brief Knie bis zum rechten i
Winkel beweglich.
Nr. 14. Robert Hahn, 32 J., op. 5. VI. 08.
Soeben vom Rollwagen in der Stadt gestürzt. Querbruch in der
Mitte der Patella, noch mit wenig Bluterguss eingebracht, offenbar
sehr wenig empfindlich, denn Pat. beugt und streckt auf dem Opera¬
tionstische sein Bein mit Hilfe der Hände immerfort, wundert sich,
dass der Bruch nicht schmerzt. Bluterguss nimmt rasch zu. Punk¬
tion entleert reines Blut. Katgutnaht. 8. VII. im Gehverbande ent¬
lassen.
Vorgestellt am 20. X. 14. Absolut normales Bein, vollständig be¬
weglich. Beide Extremitäten gleich stark. Unteres Fragment viel
stärker als das obere. Knöcherne Heilung. Narben kaum sichtbar.
Nr. 15. Robert Lentsch, 38 J., aufg. 17. XII. 08.
Vor J/2 Stunde Fractura patellae, noch ohne Erguss ins Gelenk
eingeliefert. Röntgen ergibt Schrägbruch von vorne unten nach oben
hinten etwas unter der Mitte. Während der Röntgenaufnahme hat
sich das Gelenk gefüllt. Punktion und Katgutnaht.
18. II. 09 geheilt entlassen. 1914 auf Wanderschaft.
Nr. 16. Carl Helbig, 41 J., aufg. 18. II. 09.
Vorgestern Abend Fractura patellae im mittleren Dritteile
rechts; unteres Bruchstück anscheinend mit Sprung von vorne nacl
hinten. Gelenk wenig gefüllt, wird nicht punktiert. Katgutnaht.
7. III. im Verbände auf Wunsch entlassen; nach 2'A Wochei
Verband definitiv entfernt, alsbald mit Stock umhergegangei
(8 Tage), dann ohne denselben, am 30. III. schon wieder im Diensti
als Beamter; Kniegelenk ohne Beschwerden kräftig weiter gebeugt
nach 3 Monaten völlig gesund.
1. XI. 14. Vorgestellt; Ganz normales Bein, spitzwinklige Beu
gung möglich; beide Beine gleich stark. Patella knöchern geheilt
unteres Fragment erheblich vergrössert. Rechte Patella 8,5 cm lang:
linke = 6,5 cm, desgleichen um 2 — 3 cm verbreitert, seitlich glatt ver
schiebbar. Auf dem Dorsum 2 etwas stärkere knöcherne Vorsprünge,
Nr. 17. Johann Semmclrot, 54 J., op. 16. I. 07.
Pat. ist 10. III. 06 hier wegen Fractura patellae am Uebergang<|
vom mittleren zum unteren Dritteile mit Katgutnaht behandelt; e::
trat knöcherne Heilung ein.
Kurz vor Neujahr ist er abermals gestürzt. Bruch an alter Stelle
2 Längsschnitte. Bruchflächen mit frischem geronnenen Blute bej
deckt, selbst frisch, etwas abgetragen und vernäht. Gelenkkapsel'
und Muskelwunde mit Katgut vernäht. Hautwunden bleiben offen.
28. III. Geheilt entlassen. 1914 laut Brief völlig gesund.
Nr. 18. Robert Kramann, 51 J., op. 22. III. 09.
Vor 4 Monaten Querbruch der Patella, auswärts behandell!
Unteres Fragment steht weit lateralwärts; schlaffe bindegewebig^
Vereinigung, so dass bei gebeugtem Kniegelenke beide Bruchstück«
fast im rechten Winkel zueinander stehen
2 Längsschnitte beiderseits neben der Patella, Fragmente an!
gefrischt, vernäht. Ganze Wunde vernäht. Ungestörter Verlauf.
10. IV. Im Gipsverbande entlassen. — 1914 bereits gestorbeii)
Nr. 19. Robert Jahn, 54 J., op. 20. IV. 09.
Vor 8 Wochen Bruch der Patella am Uebergange vom mittleren
zum unteren Dritteile, Hautwunde, so dass Operation zunächst uni
möglich ist.
2 Längsschnitte, Fragmente ohne jede Verbindung miteinandet|
wohl aber hat sich eine bindegewebige Scheidewand vom Dorsum bi
auf das Femur entwickelt.
Anfrischung und zirkuläre Katgutnaht. Gelenk-, Muskel- um
Hautwunde mit Katgut vernäht.
5. V. im Gipsverband entlassen. 1914 bereits gestorben.
Nr. 20. Ernst Cabry, 17 .1., aufg. 10. I. 09.
Beim Weitsprung in Schneeschuhen von der Höhe (angeblich
22 m) mit linkem Kniegelenk gestern auf einen Stein gefallen.
Jetzt Kniegelenk prall geschwollen, Patella quer gebrochen. Au;
der lateralen Seite derselben zweimarkstückgrosse Hautabschürfung
im Zentrum derselben ein erbsengrosses, ins Gelenk führendes Loci
Wegen der Hautabschürfung zunächst einfacher Schienenver
band. Da aber am 14. 1. die Temperatur abends auf 38,6, am nächste
Morgen auf 38,2 steigt, das Bein ganz extrem schwillt, so wird da
Gelenk im Bereiche der Wunde und des Spaltes zwischen den Frag
menten durch 8 cm langen Schnitt quer aufgeschnitten. Bursa prat
patellaris voll Blutgerinnsel, Gelenk gleichfalls. Um den Fall nie!
weiter zu komplizieren, die typische Naht auch vom Querschnitt
aus nur schwer anzulegen ist, wird nur das Periost der beiden BrucI
stücke durch Katgutnaht vereinigt, Wunde vernäht, weil Blutkoagul
im Gelenke aseptisch zu sein scheinen.
Temperatur fällt alsbald ab, weiterer Verlauf ungestört.
Am 4. II. ergibt Röntgenaufnahme dass die ursprünglich nac!
dem Femur zu sich voneinander entfernenden Bruchflächen unmittel
bar aneinanderliegen.
10. III. Pat. steht auf. Gelenk bis 90° beweglich.
18. IV. Mit guter, aber noch nicht völliger 'Beweglichkeit ent
lassen.
Januar 1914. Gesund, hat wieder seine früheren Sprünge m
Schneeschuhen gemacht.
Anmerkung bei der Korrektur.
Ueber Nr. 18 und 19 berichtet der Gemeindevorstand nach
träglich :
„Nr. 18 konnte wohl gehen, hinkte aber doch ziemlich stark
seine regelmässige Arbeit konnte er nicht so verrichten als vorden
Nr. 19 hinkte weniger, konnte auch besser marschieren, als Nr. L
doch die frühere Beweglichkeit fehlte.“
Beide wurden bereits 2Vi Wochen nach der Operation im Gip>
verbände auf Wunsch, weil sie selbst zahlen mussten, entlasse)
Offenbar ist jede durchaus nötige Nachbehandlung versäumt wordei
Die Krankheiten der Kreislauforgane und der Krieg.
Von Prof. Dr. Grober aus Jena, konsultierendem Arzt dt
Festungslazarette in Metz.
Im allgemeinen sind die ärztlichen Beobachtungen, d
die Truppenärzte zu machen Gelegenheit haben, dadurch au:
gezeichnet, dass sie eine besonders ausgesuchte Menschei
Schicht betreffen. Viele Krankheiten, die wir jetzt sehen, e:
halten dadurch ein verändertes Gepräge, und auch unsere Bi
3) Ch. C. I. 163.
5. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2389
andlung kann mit einer grösseren Widerstandsfähigkeit des
esunden Körpers des Soldaten rechnen. Andrerseits bildet
er Krieg und die Ansprüche, die er an den Körper stellt, eine
esonders energische Auslese. Von unseren Feinden wissen
ir, dass sie nicht in der Lage gewesen sind, eine so gesunde
ruppe in den Krieg zu senden wie wir; aber es versteht sich
anz von selbst, dass bei der beschleunigten Mobilmachung
ach der älteren Jahrgänge ab und zu Personen dem Heere
ingereiht worden sind, die in ihrer körperlichen Gesundheit
eit der letzten militärärztlichen Untersuchung Veränderungen
rfahren hatten. Das trifft auch auf die Kreislauferkrankungen
u. So ist es in ganz wenigen Fällen bisher vorgekommen,
ass schon bestehende Leiden dieser Organe erst im Kriege
•stgestellt wurden, da die Kranken sie entweder bei der
lobilmachung und Indienststellung nicht gemeldet hatten
der da bei derselben deutliche Erscheinungen überhaupt nicht
achzuweisen waren.
Die häufigsten Einwirkungen des kriegerischen Zustandes
uf die Kreislauforgane unserer Soldaten waren bisher die-
■nigen, die man als eine Ermüdung des Kreislaufs
ifolge grosser körperlicher Anstrengungen ansieht. Wenn
nsere Truppen oft mehrere Tage und Nächte lang kaum zur
uhe kommen konnten oder dieselbe doch nur im notdürftigen
iwak fanden, so musste, wie wir das bei anderen körper¬
dien Anstrengungen ja auch immer wieder sehen, ganz er-
artungsgemäss sich eine Anzahl von minderwertigen Herzen
nd Gefässen offenbaren. Der Ausdruck „minderwertig“ ist
atiirlich nur für die in dem gegebenen Zeitabschnitt ge¬
äderten Anstrengungen zu verstehen. Solche Herzen können
nter anderen Umständen die gleichen Ansprüche oder unter
leichen Umständen andere Ansprüche durchaus befriedigen,
ie klinischen Erscheinungen bei diesen Zuständen, die man
lit Recht als eine „Herzschwäche“ bezeichnen kann, stehen
jrchaus nicht immer im Vordergründe des Krankheitsbildes;
mn mit den körperlichen Erscheinungen gehen häufig auch
;elische Veränderungen einher, die die Kranken oft gar nicht
mi Bewusstsein ihres körperlichen krankhaften Zustandes
mimen lassen. Im allerakutesten Zustande sieht solche Be-
nde wohl nur der Arzt unmittelbar an der Front oder in den
evierstuben und Feldlazaretten. Kriegs- und Festungs-
zarette nehmen die schon länger andauernden derartigen
ustände bei sich auf. Man findet, was die Kreislauforgane
llangt, einen kleinen, schwachen und weichen Puls, wahr-
peinlich mit sehr niedrigem Blutdruck, den wir jetzt keine
elegenheit haben, zu messen. Dikrotie des Pulses, Unregel¬
ässigkeiten in der Schlagfolge habe ich nicht beobachtet,
ohl aber recht starke Abhängigkeit von der Atmung. Das
erz selbst zeigt einen stark verbreiterten, aber nicht nach
iten verschobenen Spitzenstosss. Man findet ihn breit, aber
hwach, hebend, im 5. Zwischenrippenraum von der gewöhn¬
ten Stelle bis zur vorderen Achsellinie reichend. Dem ent¬
richt auch eine Vergrösserung der relativen Dämpfung des
erzens, die meist auch, aber nicht immer, nach rechts bis über
■n rechten Brustbeinrand hinüberreicht. Auch nach oben links
n habe ich die Herzdämpfung wiederholt vergrössert ge-
nden und mir die Vorstellung gebildet, dass es sich dabei
n eine Erweiterung des linken Vorhofs handelt. Deutliche
eräusche waren selten und wurden häufiger an der Basis
s an der Spitze — auffallenderweise — beobachtet. Wie sie
:h im Anfang des Nachlassens der Herztätigkeit verhalten
iben, können wir hier nicht entscheiden. Wir sehen aber,
iss neue körperliche Anstrengungen auch geringster Art, wie
B. Aufsetzen und Niederlegen im Bett, beim Sitzen Umsich-
hlagen mit den Armen und endlich der Katzenstein sehe
ersuch, jene Geräusche am Herzen auf kurze Zeit hervor¬
achten. Alle diese Erscheinungen traten besonders deutlich
if, wenn die Kranken sich gleichzeitig in der Genesung von
tektionskrankheiten, namentlich von Ruhr oder leichten
/phen, befanden. Bei der ersteren Erkrankung spielt die von
r herbeigeführte Blutarmut eine wichtige Rolle für die Ver¬
derung der Kreislauforgane. Bei Truppen, deren Ernährung
s den verschiedensten Gründen Not gelitten hatte, versteht
sich von selbst, dass die körperlichen Anstrengungen gleich-
11s besonders schädigend auf den Kreislauf wirken mussten.
Erfreulicherweise sind wir bisher von den im Frieden
hauptsächlichsten Ursachen der akuten Herzerkrankungen,
dem Gelenkrheumatismus und der Angina, ver¬
schont geblieben. Dementsprechend ist die akute Endo¬
karditis eine sehr selten beobachtete Erkrankung ge¬
wesen. Wo wir sie gesehen haben, handelte es sich meist
um septische Erscheinungen nach Verwundung
oder auch, wie in einem Fall, um Pyämie nach Furun¬
kulose. Aber das sind Seltenheiten.
Dagegen haben die schon vorher erwähnten Infektions¬
krankheiten einen zwar nicht durch die Bazillen bedingten,
sondern durch ihre Gifte hervorgebrachten Einfluss auf die
Muskelzellen des Herzens. Das ist vom Typhus längst be¬
kannt und zum Teil auch pathologisch-anatomisch untersucht.
Bei der Ruhr sind diese Untersuchungen noch im Gang. Das
eine ist sicher, dass sie sich jedenfalls nicht auf das Endokard
erstrecken; wahrscheinlich handelt es sich um zuerst rein
toxische Nekrosen der Muskelzellen mit späterer entzündlicher
oder degenerativer Infiltration.
Es wurde schon hervorgehoben, dass die Kriegsanstren¬
gungen auch den seelischen Zustand unserer Soldaten beein¬
flussen. Dem entspricht, dass nervöse Erscheinungen
an den Kreislauforganen zu den häufigsten Beobachtungen
gehören. Das trifft sowohl auf das rein psychische Trauma,
wie z. B. den Aufenthalt im Granatfeuer oder im länger
dauernden Schützenkampf zu, als auch auf den Zustand der
Schwerverletzten. Von den letzteren ist hier nur insoweit
die Rede, als sie sich auf dem Wege der Besserung befinden.
Diese Kranken zeigen bei objektiv regelrechtem Herzbefund
eine Beschleunigung der Herztätigkeit, die bis zu 120, ja
140 Schlägen in der Minute gehen kann, anfallsweise auftritt
oder von anderen Einflüssen verschiedenster Art abhängig ist
und häufig mit Störungen der Schweissabsonderung und der
Durchblutung einzelner Körperteile einhergeht. So sah ich
z. B. einen etwa 30 jährigen Offizier, der bei sicherlich nicht
vorhandener Arteriosklerose und ohne vorhergegangene Lues
über Erscheinungen zu klagen hatte, die der Claudicatio inter-
mittens genau entsprachen und durch eine hydrotherapeutische
Behandlung nach einigen Wochen völlig verschwanden. Diese
nervösen Herzerscheinungen traten besonders dann bei den
Kranken auf, wenn sie durch sich selbst oder durch ihre
Umgebung in die schweren Zeiten, die sie durchgemacht
hatten, zurückversetzt wurden, namentlich bei Berichten über
die erlebten Ereignisse. Eigentliche Herzschwäche war aber
bei diesen Kranken nie zu beobachten. Der Organbefund war
durchaus regelrecht.
Aber auch sonst, abgesehen natürlich von den vorher ge¬
nannten Fällen von Endokarditis, konnte von einer wirklichen
Störung des Kreislaufs, was die zur Erhaltung des Lebens
notwendige Blutversorgung der einzelnen Organe anlangt,
nicht die Rede sein. Eine wirkliche Dekompensation des Kreis¬
laufs im ganzen oder in einzelnen Teilen kam nicht zur Be¬
obachtung.
Es ist möglich, dass durch die kältere Witterung, der wir
entgegen gehen, die Anginen und die rheumatischen Erkran¬
kungen an Zahl zunehmen werden, und dass dementsprechend
auch mehr davon abhängige Kreislauferkrankungen beobachtet
werden. Abgesehen davon aber lässt sich wohl heute schon
ein Ueberblick darüber gewinnen, was denn von Nach¬
wirkungen des Krieges auf die Kreislauforgane für die
Kriegsteilnehmer in Betracht kommt. Wenn die Athero¬
sklerose, wie die meisten von uns doch annehmen, eine
Aufbrauchkrankheit ist, so werden wir bei dem ausserordent¬
lichen Verbrauch von körperlichen und geistigen Kräften und
bei dem häufigen Wechsel des Blutdruckes, wie ihn die Kriegs¬
ereignisse dem einzelnen Teilnehmer notwendigerweise
bringen, eine Verstärkung und Beschleunigung der sonst zu er¬
wartenden Arterienveränderung als eine unvermeidliche Folge
des Krieges ansprechen dürfen. Die Franzosen scheinen nach
dieser Richtung hin grössere Befürchtungen zu haben als wir;
denn ich habe wiederholt in verlassenen französischen Biwaks
Arzneimittelgefässe gefunden, in denen mancherlei Mittel,
namentlich Salzzusammensetzungen, zum Teil mit Jodkali, ent¬
halten waren, die zur Vermeidung der Atherosklerose, wie die
angebrachte Reklame zeigte, empfohlen waren. Auch andere,
die Leistung angeblich erhöhende und besonders dem Kreis-
2390
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschriit.
lauf zugute kommende Mittel, wie z. B. die Kolapräparate, sind, !
wie aus gleichen Anzeichen entnommen werden konnte, jen¬
seits unserer Schützengräben recht häufig in Anwendung ge¬
zogen worden. So, wie heute unsere Anschauungen und
Kenntnisse über die Atherosklerose beschaffen sind, ist es
selbstverständlich ausgeschlossen, ein Mittel zu empfehlen,
das ihr Vorbeugen könnte. Die Krankheit ist eines von den
Opfern, die unsere Generation dem Wohl des Vaterlandes
bringen muss, und im Frieden wird es unsere Aufgabe, d. h.
diejenige der Aerzte sein, auch diese Schäden, die der Krieg
geschlagen hat, nach Möglichkeit wieder auszugleichen und
zu beseitigen.
Neben der Atherosklerose werden bei Menschen, die in
ihrem Nervensystem anfällig sind, wahrscheinlich auch die
oben geschilderten nervösen Kreislaufsymptome erhalten
bleiben. Ich habe mich allerdings vielfach davon überzeugen
können, dass sie bei wirklich gesunden jungen Menschen nach
kurzer Ruhezeit vollständig wieder verschwinden.
Besondere Behandlungsarten für die kriegerisch
bedingte akute Herzschwäche und für die nervösen Kreislauf¬
erkrankungen gibt es natürlich jetzt nicht. Man wird sich
darauf beschränken, während der Behandlung die ursächlichen
Schädlichkeiten fernzuhalten, für die notwendige Ruhe des
Körpers und der Seele zu sorgen, gute Pflege zu beschaffen,
in der Ernährung alle den Kreislauf belastenden Speisen aus¬
zuschalten und bei den nervösen Erkrankungen ableitende
Mittel, zu denen in erster Linie die Kälteanwendung auf die
Herzgegend zu rechnen ist, zu verwenden. Nur bei gleich¬
zeitiger Einwirkung der Infektionskrankheiten auf das durch
Anstrengungen geschwächte Herz hat es sich uns bisher als
notwendig erwiesen, Herzreizmittel im eigentlichen Sinne zu
geben. Wir haben dabei die für das Militärsanitätswesen
etatsmässigen titrierten Fingerhutblätter mit gutem Erfolge
verwendet. Meist war nach wenigen Wochen entsprechender
Behandlung die Krankheit gewichen; nur in seltenen Fällen
trat Felddienstunfähigkeit, in ganz wenigen auch Garnison¬
dienstunfähigkeit ein.
Im allgemeinen aber hat die besonders darauf gerichtete
ärztliche Aufmerksamkeit ergeben, dass der Zustand der
Kreislauforgane bei unseren Soldaten ein ganz ausgezeichneter,
und damit für die Leistungsfähigkeit des Heeres ausschlag¬
gebend gewesen ist und zu bleiben verspricht.
Aus der Verwundetenstation des Piushospitals zu Olden¬
burg i. Gr. (Chefarzt Obermedizinalrat Dr. Greve).
Die künstliche Höhensonne im Dienste des Kriegslazaretts.
Von Dr. med. Thedering.
Die künstliche Höhensonne verdankt ihre Erfindung
bekanntlich dem Bestreben, dem Arzt in der Ebene eine Licht¬
quelle zur Verfügung zu stellen, welche durch ihren Reichtum
an kurzwelligen Strahlen einen Ersatz für die natürliche
Höhensonne bietet.
Dass die therapeutische Wirksamkeit der künstlichen
Höhensonne in erster Linie bei den mannigfachen Formen
chirurgischer Tuberkulose erprobt wurde, ist durch R o 1 1 i e r s
glänzende Erfolge gerade auf diesem Gebiete leicht ver¬
ständlich.
Indessen fehlt es nicht an erfolgreichen Versuchen, auch
andersartige torpide Geschwürsprozesse der Haut durch Licht
heilend zu beeinflussen.
Die gegenwärtige traurige Kriegszeit erfordert die Hilfe
des Arztes in zahlreichen Fällen schwerer Verletzung der
äusseren Haut. Durchaus nicht immer handelt es sich um
glattheilende, ebenso oft um verunreinigte, stark zerrissene,
mit Gewebsfetzen und gangränösem Schorf bedeckte Schuss¬
verwundungen, deren Prognose bezüglich rascher und glatter
Ausheilung von vornherein keineswegs immer günstig zu
stellen ist. Eine möglichst schnelle Wiederherstellung der Ver¬
letzten aber liegt ebenso sehr im Interesse des Verwundeten
wie des Vaterlandes.
Die Erreichung dieses Zieles hat uns die künstliche Höhen¬
sonne in vielen Fällen wesentlich erleichtert.
Zunächst ein Wort über die allgemeinen Bedingungen der
Lichtheilwirkung.
Nr. 50
Jedem Radiologen ist die Erfahrung geläufig, dass Licht nur au
gereinigte pathologische Prozesse wirksam ist. Borken, Eiterbelas
usw. absorbieren einen grossen Teil gerade der wirksamsten Ober
flächenstrahlen. Daher ist die Säuberung mit Licht zu behandelnde!
Wunden von derartigen Auflagerungen zunächst durch feuchte Um¬
schläge anzustreben.
Die Natur des Quarzlichts als eines oberflächlich wirkenden, nur
wenig in die Tiefe dringenden strahlenden Agens bedingt es, dass für
seine therapeutische Verwendung vorwiegend oberflächlich gelegene
Wunden indiziert sind. Auf tiefreichende Schusskanäle ist es ohne
Einfluss. Hin und wieder hatten wir sogar den Eindruck ungünstiger
Wirkung, indem die Kranken nach der Belichtung über bohrendt
Schmerzen klagten.
Bei oberflächlichen torpiden Schusswunden der Haut finden wir
jedoch, dass durch den Einfluss der Besonnung der Prozess der Wund¬
heilung in die Bahn möglichst günstiger physiologischer Bedingungen
gelenkt wird. Als nächste Folge der Belichtung sezernierender Wun¬
den sehen wir eine austrocknende Wirkung. Manchmal erscheinen
die Wunden wie mit einem grauen Häutchen belegt, eine Erscheinung
analog der Wirkung weicher und überweicher, d. h. reichlich mir
Ultraviolettlicht vermengter Röntgenstrahlung. Dann beginnt mit dei
alsbald einsetzenden Vermehrung der' aktiven Blutzufuhr eine Stei¬
gerung der natürlichen Wundabsonderung, wodurch eine beschleunigte
Säuberung des Wundterrains bewirkt wird. Eiterbeläge, brandige
Gewebsfetzen, nekrotische Schorfe stossen sich ab und die Wunde
bietet nach wenigen Belichtungen im allgemeinen ein gereinigtes Aus¬
sehen dar. Die Granulation wird ersichtlich angeregt, neigt sogar
bei zu intensiver Besonnung zur Ueberwucherung, so dass zum Lapis
gegriffen werden muss. Die Zellvermehrung des epithelialen Wund¬
randes wird gleichfalls angeregt und dadurch die Wundiiberhäutuny
beschleunigt.
Ob das Ultraviolett der Höhensonne daneben noch eine des-,
infizierende Kraft auf pathogene Wundkeime ausübt, ist schwer zu
sagen, theoretisch jedoch in hohem Grade wahrscheinlich. Die immer
wiederkehrende Beobachtung, dass arg zerfetzte, stark verunreinigte,
nicht selten stinkende, ausgesprochen brandige Wunden entgegen aller
bakteriologischen Theorie ohne fieberhafte Wundinfektion glatt heilen
wird z. T. jedenfalls auf Rechnung der gesunden Konstitution unserer
jugendlichen Helden, z. T. auch auf das Prinzip möglichst konserva¬
tiver Wundbehandlung zu setzen sein. Daneben ist aber eine des-
infizierende Wirkung des Lichts durchaus möglich und wahrschein¬
lich.
Eine kritische Abwägung der Vorteile also, welche die Behand¬
lung von Schusswunden der Weichteile mit der künstlichen Höhen¬
sonne gewährt, wird vor allem anerkennen müssen, dass der Pros
zess der Wundheilung im ganzen rascher, bei manchen von vorn¬
herein verzweifelt erscheinenden Fällen auffallend günstig verläuft,
d. h. ohne Fieber, mit glatter Heilung und guter Wiederherstellung
der Funktion. Hierbei dürfte namentlich die schnelle Wundreinigung
und kräftige Anregung der Wundgranulation dem Lichte als Ver¬
dienst zugesprochen werden müssen. Auch die regelmäsig wieder¬
holte Beobachtung, dass brandige, stinkende Wunden schon nach
wenigen Belichtungen mit der Höhensonne geruchlos werden, dürfte
mit der desodorisierenden Eigenschaft des Lichts (Ozonisierung) Zu¬
sammenhängen.
Grund genug also, unsern Verwundeten die Vor¬
teile der Besonnung ihrer Verletzungen überall
dort zu gewähren, wo eine künstliche Höhensonne
zur Verfügung steht.
Die Technik betreffend, bestrahlt man aus etwa 1 m Entfernung
anfänglich täglich und in kurzen Sitzungen (5 — 10 Minuten), all¬
mählich länger (15 — 20 — 30 Minuten) und in grösseren Zwischen¬
räumen (2 — 3 mal wöchentlich). Die Umgebung der Wunden ist sorg¬
fältig abzudecken, da entzündliche Reaktion derselben eine recht
lästige Beigabe ist. Sobald die Granulation zu überwuchern beginnt
muss mit der Besonnung ausgesetzt und mit Lapis geätzt werden.
Erwähnen wir noch, dass man leicht 4 — 5 Personen gleichzeitig be¬
lichten kann, so erscheinen die Kosten der Sonnenbehandlung als be¬
langlos.
Subkutane Infusionen fünfprozentiger Kochsalzlösung
als Therapie der Cholera asiatica. *
Von Dr. Emil Prasek, Vorstand des sero-bakteriologischer
Institutes der bosn.-herzeg. Landesregierung in Sarajevo.
Als Chefarzt der Infektionsabteilung des Garnisonspitales
Nr. 3 in PrzemysI habe ich Gelegenheit gehabt, eine Therapie
zu versuchen, zu der ich durch die Arbeiten von Gärtnei
und Beck1) angeregt wurde. Wie bekannt, haben die ge¬
nannten Autoren zuerst darauf hingewiesen, dass man die
Q G. Gärtner und A. Beck: Ueber den Einfluss der intra¬
venösen Kochsalzeinspritzung auf die Resorption von Flüssigkeiten
W.kl.W. 1893 Nr. 31. — G. Gärtner: Zur Therapie der Cholera
asiatica. Das österr. Sanitätswesen 1911 Nr. 35 u. 36. — G. Gärt¬
ner: Fortschritte in der Behandlung der Cholera asiatica. Der Mili¬
tärarzt 1914 Nr. 23.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2391
15. Dezember 1914.
Bluteindickung, welche die Gefahren der Cholera asiatica be¬
dingt. nicht durch Einverleibung physiologischer Kochsalz¬
lösung, sondern einer hypertonischen — also konzentrierteren
Lösung bekämpfen sollte.
Ich habe gewisse Modifikationen eingeführt, die sich so
gut bewährt haben, dass sie die vorliegende Mitteilung be¬
rechtigt erscheinen lassen.
Es war aus äusseren Gründen nicht möglich, alle meine
Patienten in der folgenden geschilderten Weise zu behandeln.
Alle aber ohne Ausnahme erhielten sofort bei der Ein¬
lieferung Tinctura jodi und zwar 3 Tropfen in 3 Esslöffeln
Wasser 4—5 mal täglich. Die Jodtinktur stillt in den meisten
Fällen das furchtbare Erbrechen2). Eine wesentliche Beein¬
flussung der Mortalität bei ausschliesslicher Jodbehandlung
konnte mit Sicherheit nicht festgestellt werden. Es starben
ungefähr 50 von 100.
In 40 Fällen, darunter sehr vielen schweren — scheinbar
verlorenen — ging ich wie folgt vor:
Ein halber Liter einer 5 proz., sterilen, auf ca. 37° er¬
wärmten Kochsalzlösung wurde unter die Bauchhaut in¬
fundiert 3). Dieser Eingriff wurde nach ca. 6 Stunden wieder¬
holt und in einigen Fällen auch noch am folgenden Tage eine
dritte Infusion vorgenommen. Ferner erhielten die Patienten
mehrere subkutane Injektionen von Coffein, natr. benzoic. in
jedesmaliger Dosis von 0,2 g. Sobald sich der Puls gebessert
hatte, brachte ich die Patienten in ein heisses Vollbad und Hess
die Extremitäten kräftig massieren. Schon nach der ersten
Infusion erholten sich meist die Patienten. Der Gesichts¬
ausdruck änderte sich, die Zyanose schwand, der Puls wurde
tastbar, die Krämpfe nahmen an Intensität ab oder ver¬
schwanden, die Diarrhöen sistierten und manchmal schon am
zweiten, gewöhnlich am dritten Tage trat geformter, normal
gefärbter Stuhl auf. Die Diurese stellte sich in vielen Fällen
rasch wieder ein. Die Patienten fühlten grossen Durst und
konnten jetzt grosse Mengen Flüssigkeit (Krondorfer:
Potus citri) zu sich nehmen und behalten.
Die Resultate waren überraschend. Während, wie schon
erwähnt, bei unbehandelten Fällen die Mortalität 50—60 Proz.
betrug, starben von den in der geschilderten Weise be¬
handelten (ca. 40 Fälle) nur 18—20 Proz. Dass es die grosse
Konzentration der Lösung ist, die den Erfolg bedingt, beweist
folgende Beobachtung: Es wurde missverständlich bei einer
Reihe von Kranken eine nur 1 proz. Lösung injiziert — ohne
jeden Erfolg. Wie wichtig es ist, die Infusion sehr früh nach
dem Krankheitsbeginn durchzuführen, beweisen drei Fälle von
Hausinfektionen (Pflegepersonal), die nach den ersten Be¬
schwerden sofort der erwähnten Therapie unterzogen wurden
und nach wenigen Tagen genasen, ohne dass es zur Ent¬
wicklung eines Kollapszustandes gekommen wäre.
Technik des Verfahrens.
In einem Liter destillierten Wassers werden 50 g Kochsalz ge¬
löst, filtriert, im Dampftopf oder durch K ständiges Kochen über freier
Flamme sterilisiert.
Die Infusion wird aus einem sterilisierten Irrigator, an dessen
Schlauch ein dünner Troikar angebracht ist, durchgeführt. Es genügt
eine Druckhöhe von Vi — 1 m. Die Flüssigkeit soll ungefähr 37° warm
sein. Man infundiert auf einmal einen halben Liter. Um der Ent¬
wicklung von kleinen Hautnekrosen vorzubeugen, soll die Infusion
tief in das subkutane Fettgewebe der Bauchhaut (Oberschenkel,
Brust) erfolgen.
Ausdrücklich sei bemerkt, dass in allen Fällen, die dieser
Behandlung zugeführt wurden, die Diagnose Cholera asiatica
von mir immer bakteriologisch (Kultur, Agglutination) fest-
gestellt wurde.
Es wäre natürlich sehr zweckmässig, neben der be¬
schriebenen Therapie, namentlich in frischen Fällen, auch
Bolus, Tierkohle (Toxodesmin Wiechowski) zu verwenden.
Ich konnte darüber noch keine Erfahrungen sammeln.
—
2) Tinctura jodi hat sich mir auch beim Erbrechen bei anderen
Krankheiten sehr gut bewährt.
3) Subkutane Injektionen schwach hypertonischer Kochsalz¬
lösung wurden mit gutem Erfolge von Reg.-Arzt Dr. Müller im
Balkankriege angewendet.
Aus dem K. K. Universitätsambulatorium für orthopädische
Chirurgie, derzeit kriegschirurgische Station des allgemeinen
Krankenhauses in Wien (Vorstand: Prof. Dr. A. Lorenz).
Eine Schiene zur Fixation der Oberschenkelfrakturen.
Von Dr. Julius Hass, Assistent.
In der Forderung nach einer sicheren Fixation der Schuss¬
frakturen herrscht in der Kriegschirurgie eine erfreuliche
Uebereinstimmung; und der Grundsatz, den Verwundeten
so schnell als möglich transportfähig zu machen, ist allgemein
anerkannt.
Während nun dieses Ziel bei den Frakturen der oberen
Extremität und des Unterschenkels in mehr oder weniger
idealer Weise erreicht wird, kann dies bezüglich der Schuss¬
frakturen im Bereich des Oberschenkels, des Schenkelhalses
und des Beckens noch nicht als gelöst betrachtet werden.
Von der grossen Zahl der Schussfrakturen, die in unsere
Station bisher eingebracht wurden, trafen speziell die Frak¬
turen des Oberschenkels in einem auffallend schlechten Zu¬
stande, mit schweren Eiterungen und hochgradigen Dis¬
lokationen, mit Verkürzungen bis 12 und 14 cm ein. Die
meisten von ihnen hatten einen jammervollen Transport
hinter sich.
Für diese Erscheinung kann weder die besondere Schädi¬
gung der Weichteile, noch die Zugspannung der Muskulatur
verantwortlich gemacht werden, der Grund muss in der
mangelnden Fixation während des Trans¬
portes gelegen sein.
In der Tat hatten wir bei diesen Verwundeten Gelegen¬
heit, die Unzulänglichkeit und Unzweckmässig¬
keit des verwendeten Immobilisierungsmaterials zu be¬
obachten. Die meisten der Verletzten langten mit Verbänden
ein, die allzu kurz geraten waren, andere waren mit einem
Blechstiefel ausgestattet, der höchstens bis zur Frakturstelle
reichte, nur wenige — die bereits ein Spital passiert hatten —
waren mit einem durch eine Aussenschiene verstärkten und
vom Becken bis zu den Füssen reichenden Verband versehen.
Es scheint also im Felde an einem ge¬
eigneten Material zu fehlen, das unter Ein¬
beziehung der beiden Nachbargelenke (Hüft-
und Kniegelenk) die Fraktur des Oberschen¬
kels sicher fixieren würde. Auch in der normierten
Ausrüstung ist nichts für die Immobilisierung des Ober¬
schenkels vorgesehen. Die zuletzt angegebene Improvisation
von Hacker und die Tragbahre von Weissenstein
dürften bei mehreren und längeren Transporten im Stiche
lassen. Es fehlt an einer Schablone zur Lagerung und
Fixierung der Oberschenkelfrakturen, deren Anwendung
jedermann — auch dem Nichtarzte — verständlich sein müsste.
Ich habe nun eine Schiene zur Fixation der Oberschenkel¬
frakturen konstruiert, die den Anforderungen, die an eine
solche zu stellen sind, entsprechen dürfte (Abb. 1).
2392
Feldärztliche Beilage £ur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 50.
Sie besteht aus einem flachen Drahtgestell (2 Aussenschienen,
die mit 3 Drahtmanschetten verbunden sind, eine für das Becken,
eine für den Ober- und die dritte für den Unterschenkel), ist leicht
und dauerhaft, ebenso für die rechte wie für die linke Seite gebrauchs¬
fertig, lässt sich leicht an den Körper anschmiegen und kann dann
über den Kleidern mittels beliebiger Binde befestigt werden oder
aber sie kann mit Watte ausgepolstert und mit blauer Binde fixiert
werden (Abb. 2 und 3).
Eine weitere Verwendungsmöglichkeit ergibt sich — so¬
bald man die Schiene auf den Kopf stellt — für die Lagerung
von Wirbelsäulenverletzungen.
Diese Schiene is4 als Lagerungs- und Transportschiene
gedacht und sollte ebenso als Schablone mitgeführt werden
wie etwa der Petitsche Stiefel für die Unterschenkel¬
frakturen *).
Die Hängematten-Tragbahre.
Von Prof. Dr. Fr. Lange und Prof. Dr. J. Trump p.
Herr Obergeneralarzt Dr. Reh hat in Nr. 7 der Feld¬
beilage den Vorschlag gemacht, die Verwundeten vom
Schlachtfeld bis ins Reservelazarett auf ein und derselben
Tragbahre zu befördern. Es steht ausser Zweifel, dass damit
den Verwundeten alle mit dem häufigen Umladen ver¬
bundenen Schmerzen erspart würden, und auch die in primi¬
tiven Feldlazaretten manchmal recht schwierige Bettenfragc
eine einfache befriedigende Lösung finden könnte. Leider
stossen Versuche zur Ausführung dieses vorzüglichen Ge¬
dankens in einer Phase des Transportes auf derzeit kaum
überwindliche Schwierigkeiten (cf. uneren Artikel „Die Be¬
förderung von Verwundeten auf Lastautos“ in Nr. 18 der Feld¬
beilage).
Ist der Plan Rehs nun zurzeit auch nicht in toto durchführbar,
so sollte er doch jetzt schon, wenigstens für den Eisenbahntransport,
bald in Angriff genommen werden. Seitdem die Umwandlung des
Krieges in einen Festungskrieg allenthalben stabilere Verhältnisse ge¬
schaffen hat, kann ja die Mehrzahl der Verwundeten mit den gut ein¬
gerichteten Lazarett- und Hilfslazarettzügen in die Heimat gebracht
werden. Aber so wenig wie sich im vorausgehenden Abschnitt des
Transports die Benützung von Lastautos ganz umgehen lässt, so
wenig lässt es sich vermeiden, dass auch heute noch zuweilen leere
Güter- und Munitionszüge zum raschen Abtransport von Verwundeten
benützt werden müssen. In der Regel bleibt in solchen Fällen nur
sehr wenig Zeit dazu, die Güterwagen für ihren neuen Zweck einzu¬
richten, und nicht selten müssen auch Schwerverwundete sich mit
einem dürftigen Strohlager begnügen, auf dem sie während der tage¬
langen Fahrt wahre Folterqualen auszustehen haben. Fehlt, wie
nicht selten, in solchen Zügen auch noch das nötige Pflegepersonal,
so werden die Verbände beschmutzt, die Wunden infiziert, und die
Verwundeten kommen in bejammernswertem Zustand am Ziel ihrer
Reise an.
Hier tut Abhilfe dringend not, und sie Hesse sich rasch, gründ¬
lich und mit verhältnismässig geringen Unkosten bewerkstelligen,
wenn man die Verwundeten nach dem Reh sehen Vorschlag statt auf
Stroh auf Tragbahren legen würde. Der Einwand, dass Tragbahren
in solchen Mengen, wie sie zu solchen Massentransporten nötig sind,
nicht schnell genug beschafft werden könnten, ist für die relativ sta¬
bilen Verhältnisse eines Kriegslazarettes, von denen aus diese Trans¬
porte abgehen, hinfällig. Das Kriegslazarett wird fast immer in der
Lage sein, sich einen genügend grossen Vorrat an Tragbahren zu
halten, die entweder aus der Heimat bezogen oder in Feindesland an¬
gefertigt werden. Der Bezug der Tragbahren aus der Heimat Hesse
sich wohl in der Weise regeln, dass man alle ins Feld gehenden Laza¬
rettzüge und Hilfslazarettzüge nach Möglichkeit mit Tragbahren be¬
lädt, die selbstverständlich so zusammenlegbar sein müssen, dass
sie wenig Raum beanspruchen. Die Anfertigung der Tragbahren in
*) Die Schiene wird von der Firma M. E s t e r I u s, Wien IX,
hergestellt.
Feindesland hat zur Voraussetzung, dass Konstruktion und Material
der Bahren möglichst einfach sind.
Da die Tragbahre bei solchen Gelegenheiten den Verwundeten
tagelang das Bett ersetzen soll, so muss sie so gebaut sein, dass
sie ein angenehmes Dauer lager abgibt. Das
Gestell muss eine grosse Stabilität besitzen, da¬
mit der darauf Liegende das Gefühl absoluter
Sicherheit hat. Die Tragefläche, das Bahrtuch,
muss so am Gestell angebracht sein, dass die
Wagenstösse genügend abgeschwächt werden, und
der Körper mit möglichster Muskelentspannung,
weich und ohne Druckpunkte zu verspüren, dar¬
auf ruhen kann.
Wir haben uns schon in Zweibrücken mit
diesem Problem befasst und sind auf den Gedan¬
ken gekommen, das Prinzip der Hängematte zu
verwenden.
Das von uns konstruierte Modell (s. Fig. 1) besteht aus einem
einfachen hölzernen Tragegestell von 250 cm Länge und 60 cm Breite,
dessen 30 cm hohe Füsse zu bequemem Massenversand abnehmbar
sind. Die 8 cm breiten Längshölzer befinden sich 22 cm über dem
Boden. An den in einem Abstand von 184 cm an den Längshölzern
angebrachten Querleisten sind die Enden eines (inkl. Umschlag um
die Querleisten) 235 cm langen und 50 cm breiten Stückes Drell fest¬
genagelt. Dadurch, dass die Tragefläche länger ist als der Abstand
der Querhölzer, ruht der Körper auf ihr so weich und bequem wie
auf einer Hängematte. Böte unser Tragbahrenmodell keine weiteren
Vorzüge als die bisher genannten, so wäre es für den Bahntransport
entbehrlich, und man könnte dafür ebenso wie für den Transport der
Verwundeten in Lastautos (s. unseren darauf bezüglichen Artikel)
Zeltbahnen benützen, die an den Seitenwänden der Wagen auf¬
gespannt werden. Wir möchten dazu auch in allen Fällen raten, in
denen es nicht möglich sein sollte, den Transport auf geeigneten
Tragbahren zu vollziehen.
Nun wird aber der Mangel jeglicher Unterstützung in Kreuz und
Knie auf einer Hängematte bei tagelanger Fahrt lästig empfunden,
weil der Körper dabei in kyphotischer Stellung zusammensinkt. Wir
haben deshalb bei unserem Tragbahrenmodell die Hängematte auf
Sattlergurte oder handbreite doppeltgelegte Bänder aus festem Drell
gelagert, die quer über den Längshölzern des Gestells liegen und an
diesen festgenagelt sind (s. Fig. 2). Durch die verschiedene Länge
dieser Quergurten kann der Körper auf der Hängematte an bestimm¬
ten Stellen verschieden tief einsinken. Die Länge der Gurten und
ihr Befestigungsort am Gestell ist selbstverständlich so gewählt, dass
der Körper eine möglichst gute Unterstützung findet und die er¬
wünschte Muskelentspannung eintreten lassen kann. Der erste Quer¬
gurt, 64 cm lang — vom Innenrand der Lärigshölzer gemessen — ,
dient zur Unterstützung der Schultern, der zweite, 69 cm lang,
zur Unterstützung des Kreuzes, der dritte, 51 cm lang, zur
Unterstützung der Oberschenkel dicht oberhalb der Knie. Ein vierter
und fünfter Gurt. 60 bzw. 64 cm lang, ermöglicht das Auflegen der
Unterschenkel bzw. der Füsse, die man also nach Belieben mit ge¬
schlossenen Beinen auf der Hängematte oder mit leicht gespreizten
Beinen und stärker gebeugten Knien auf den etwas tiefer liegenden
Fussgurten liegen lassen kann (s. Fig. 3). Die Entfernung der Quer¬
gurte vom oberen Querholz beträgt der Reihe nach: 16, 46, 110,
140 und 157 cm.
Um eine genügende Hochlagerung des Kopfes zu bewirken, ist
auf das obere Querholz eine 3,5 cm hohe abgeschrägte Querleiste
15. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch. med. Wochenschrift.
2393
aufgenagelt. Ein Kissen ist entbehrlich, sichert aber natürlich eine
sehr viel angenehmere Lage. Allenfalls genügt auch eine zusammen¬
gerollte Decke oder etwas Stroh.
In der Mitte der Hängematte, 16 cm unterhalb des Kreuzgurtes,
st ein 30 cm langer Schlitz angebracht, der durch seitlichen Zug an
Jer Matte erweitert werden kann und den Zweck hat, Schwerver¬
wundeten die Defäkation zu erleichtern. Die Reh sehe Klappe wäre
ür unser Modell unbrauchbar, da der Kranke zu tief einsinken würde.
Da nur die praktische Erfahrung und nicht die theoretische Er¬
wägung über die Brauchbarkeit einer solchen Erfindung entscheiden
kann, so probierten wir unser Tragbahrenmodell auf der VA Tage
and 3 Nächte währenden Fahrt von Zweibrücken bis Cambrai, die
wir im Güterwagen zurücklegten, aus. Es ist nicht übertrieben, wenn
wir behaupten, dass wir in den Nächten auf der Tragbahre wie in
einem guten Bett geschlafen haben. Das sehr reichliche Strohlager,
das uns nebenbei zur Verfügung stand, hielt trotz. Decken und Kissen
den Vergleich nicht im entferntesten aus. Die Feuerprobe aber be¬
stand die neue Tragbahre in Cambrai, wo wir ihre Brauchbarkeit bei
wiederholten Fahrten auf Lastautos zur Genüge prüfen konnten. Wir
hatten zum Vergleich ausser unserer Tragbahre noch eine gewöhn-
iche bayerische Tragbahre, eine Schwungfedermatratze, einen guten
Strohsack und einen Bund Stroh aufgeladen. Nach dem einstimmigen
Urteil von 8 Kollegen, welche die Fahrten aus Interesse mitmachten,
verspürte man die Stöse des Wagens am wenigstens auf unserer
Tragbahre und auf der Schwungfedermatratze. Beide leisteten darin
annähernd gleich Gutes.
Wir haben andern Orts auseinandergesetzt, dass die Tragbahre
für den Transport von Verwundeten auf Lastautos wegen des be¬
schränkten Raumes nicht in Betracht kommen kann. Dass sie aber
— im Gegensatz zu anderen Tragbahren — überhaupt imstande ist,
die Fahrt auf einem Lastauto so erträglich zu machen, scheint uns ein
unwiderleglicher Beweis für die Richtigkeit ihres Konstruktions¬
prinzips.
Aus der Besprechung und den beigegebenen Abbildungen dürfte
ersichtlich sein, dass die Tragbahre in Bau und Material an Einfach¬
leit nichts zu wünschen übrig lässt. Das erste, in Zweibrücken ge¬
fertigte Modell, kostete nur 10 M. Lässt man solche Tragbahren in
Feindesland hersteilen, was man nach unserer eigenen Erfahrung
n C. ohne jede Schwierigkeit bewerkstelligen kann, so kommt der
Kostenpunkt überhaupt nicht in Betracht. Das ist schon deshalb
licht unwichtig, weil sich jede Formation unter Umgehung des lang¬
wierigen Instanzweges rasch in den Besitz einer genügenden Menge
von Tragbahren setzen kann. Dadurch schliesslich, dass man die
einen Verwundetentransport begleitenden Sanitätsmannschaften für
prompte Zurücksendung der Tragbahren haftbar macht, wird man
verhindern können, dass die Tragbahren nach einmaligem Gebrauch
durch Verbleiben in der Heimat ihrer wertvollen Bestimmung weiter¬
hin entzogen werden.
Aus den Reservelazaretten I und II Ingolstadt (Reserve¬
lazarettdirektor: Oberstabsarzt Dr. Carl Koch).
Jeber eine improvisierte medico-mechanische Anstalt.
Von Dr. Adolf V e i t h aus Nürnberg.
Bei allen Qelenkschüssen und allen Weichteil- oder
Knochenverletzungen, die in der Nähe von Gelenken gesetzt
wurden, ist es von grösster Wichtigkeit, dass von vorneherein
nicht nur auf eine gute Wundheilung gesehen wird, sondern
dass man auch vor allem die spätere möglichste Restitutio ad
ntegrum in bezug auf die Funktion der betroffenen Ge¬
lenke stets im Verlaufe der Wundbehandlung im Auge behält.
Es stehen dazu verschiedene Hilfsmittel zu Gebote: richtige
Lagerung, zweckmässige Verbände, gute Schienung, recht
läufige Anwendung von Extensions- und Suspensionsver-
oänden und vor allem frühzeitige Versuche, die betroffene
Extremität im Gebrauche wieder zu üben. Geschieht dies
alles in zweckmässiger Weise, so wird man nur in wenigen
Fällen in die Lage kommen, eine spezialistisch-orthopädische
Nachbehandlung in einer Klinik Vorschlägen bzw. anwenden
zu müssen.
In den Reservelazaretten der Garnison Ingolstadt wurde
von allem Anfang an von den behandelnden Kollegen auf die
ausdrückliche Weisung des Reservelazarettdirektors hin bei
allen hier einschlägigen Verletzungen in dem oben angedeuteten
Sinne gehandelt.
Eine gut geleitete und eingerichtete mediko-mechanische
Anstalt, in welcher neben Uebungsbehandlung an Apparaten
insbesondere auch sachgemässe Massage, manuelle Wider¬
standsgymnastik getrieben wird und Heissluft in geeigneten
Fällen angewandt wird, stiftet recht viel Gutes und bewahrt
manches Gelenk vor dauernder Bewegungsbeschränkung.
Aber nicht in jedem Reserve- oder Vereinslazarett steht ein
derartiges Institut zur Verfügung und es wäre auch für die
Militärbehörde zu kostspielig, derartige grosse Anstalten zu
errichten. Die Beschaffung einzelner sogen. Universalapparate,
von denen z. B. der Minimoapparat für Privatzwecke sonst
recht brauchbar ist, empfiehlt sich nicht, da an diesen Ap¬
paraten immer nur ein Mann arbeiten kann, also bei der
grossen Zahl der täglich zu Behandelnden die Zeit zur aus¬
giebigen Uebung nicht ausreichen würde.
Abb. 1.
Abbildung 1: Zwei einfache Vorrichtungen zum Beugen und
Strecken der Finger bzw. des Ellbogengelenkes: über Rollen laufende
Schnüre mit Handgriffen an dem einen und dosierbaren Widerständen
am anderen Ende; der Widerstand besteht aus einem einfachen Ge¬
häuse, in das mehr oder weniger Bleiplatten eingelegt werden können.
Abbildung 2: Nachahmung eines Pumpenschwengels, ebenfalls
mit dosierbarem Gegengewicht.
Abbildung 3: Apparat zur Pronation und Supination mit verstell¬
barem Hebel.
Abb. 2.
Abb. 3.
Aus diesen Erwägungen heraus, einerseits der Notwendig¬
keit einer derartigen Station zur Weiterbehandlung solcher
Verletzungen, anderseits um mit möglichst geringen Kosten
etwas Brauchbares und Gutes für den Massenbetrieb zu
schaffen, habe ich für die hiesigen Reservelazarette mit ihrer
grossen Belegungsmöglichkeit von ca. 5000 Betten mit Hilfe
eines geschickten Mechanikers und eines Schreiners, die ich
unter dem Sanitätspersonal vorfand, um weniges Geld, kaum
100 M. für das Rohmaterial, ein mediko-mechanisches Institut
improvisiert, das seinen Zweck sehr wohl erfüllt und dessen
Einrichtung ich hier veröffentliche, um andere Lazarette an-
2394
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift
Nr. 50
Abb. 7.
Abb. 5.
Abb. 6.
Abb. 10.
5. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, tncd. Wochenschrift.
2395
tu regen, in dieser oder ähnlicher Weise dieser wichtigen Seite
ier Nachbehandlung gerecht zu werden. Nur dann wird es
ins gelingen, möglichst bald und möglichst vielen Kriegern
vV jeder gebrauchsfähige Gliedmassen zu verschaffen; nur so
werden wir die Unzahl der Kriegsbeschädigungen wesentlich
.erhindern und der Gesamtheit durch die Verminderung der
'.u gewährenden Renten auch nützen. Genauere Beschreibung
asse ich an der Hand der Abbildungen folgen. Selbstredend
ege ich auf Massage, aktive und Widerstandsgymnastik und
»inngemässe Freiübungen mit den betroffenen Extremitäten
»rossen Wert und habe jetzt schon die grosse Freude, bereits
•echt schöne Erfolge verzeichnen zu können, obschon die
Station wenig über 5 Wochen in Betrieb ist. Bis heute wurden
iber 300 Mann behandelt und ein 'Feil von ihnen schon als
Jienstfähig zur Truppe entlassen.
Abbildung 4: Ringe, die durch eine Winde hochgedreht werden,
iir Schulter- und Ellbogenversteifungen.
Abbildung 5: Zwei Ringe, durch eine Schnur, die über eine Rolle
äuft, miteinander verbunden, besonders für Ellbogengelenk.
Abbildung 6: Ein durch ein Schwungrad bewegliches Brett mit
Schlitz zur Beugung und Streckung des Handgelenkes und der Fin-
tergelenke.
Abbildung 7: Ein Teil eines alten Fahrrades, in einer Gleitschiene,
üe verstellbar ist, ebenso wie der Handgriff, um einen grösseren oder
(leinen Radius zu bieten, für Schulterkreisen.
Abbildung 8: Ein altes Fahrrad, durch Stützen am Boden fest-
;ehalten, für Knie- und Fussgelenk.
Abbildung 9: Einfacher Flaschenzug mit verschieden schweren
iewichten, um die grobe Kraft zu üben.
Abbildung 10: Heissluftapparat, bestehend aus einer mit Asbest
iusgeschlagenen Kiste, einem einfachen Spiritusbrenner und einem
deinen Blechschornstein.
Abbildung 11: Gewöhnlicher Schleifstein zum Beugen und
'trecken des Kniegelenkes.
Abbildung 12: kleine Holzleiter, gerade ansteigend, um das Heben
m Schultergelenk wieder zu lernen.
Abbildung 13: Unterteil einer alten Nähmaschine, um das Fuss-
telenk zu üben; die Füsse werden angeschnallt und zunächst das
Schwungrad mit der Hand, dann allmählich das Pedal durch die
:igene Kraft des Fusses bewegt.
Abbildung 14: Schräge Leiter, zu gleichem Zwecke wie 12, aber
)ei schwereren Fällen.
Weitere Apparate sind zurzeit in Anfertigung und lassen sich
eicht noch manch andere improvisieren, z. B. mit Hilfe einer Dreh-
irgel, einer Futterschneidmaschine usw.
Ich glaube, den Reserve- und Vereinslazaretten es warm
.mpfehlen zu dürfen, sich in ähnlicher Weise kleine mediko-
nechanische Abteilungen zu improvisieren, zum Wohle der
ms anvertrauten wackeren verwundeten Krieger.
Das Reservelazarett D im Hauptzollamtsgebäude an der
Landsbergerstrasse.
Zu den in München bereits errichteten Lazaretten ist nun auch
das Reservelazarett D in dem neuen Hauptzollamtsgebäude mit einer
Belegungsfähigkeit bis zu 1000 Krankenbetten gekommen.
Die günstige Lage neben den Bahnhofsgeleisen mit seiner ge¬
deckten Rampenanlage liess das Gebäude für eine unmittelbare Ent¬
ladung der Verwundeten aus den Zügen in das Lazarett besonders
geeignet erscheinen, da sie hier wie in einem geschlossenen Raum
erfolgen kann und der mühsame Zwischentransport mit Strassen-
bahn oder Automobil entfällt.
Durch das grosse Entgegenkommen der obersten Finanz- und
Zollbehörde unter Verlegung des grössten Teiles des Geschäftsbe¬
triebes, der Lager- und Äbfertigungsräuine in andere von der Eisen¬
bahnverwaltung überlassene Bauteile, konnte die Heeresverwaltung
über fast ganze 4 Stockwerke des 8 stockigen Lagerhauses verfügen;
dazu kam noch die grosse Schalterhalle mit dem Eingang von der
Landsbergerstrasse nebst den umgebenden Schalter- und Bureau¬
räumen, die ebenfalls für Lazarettzwecke bestimmt wurden.
Hiernach stehen der Lazarettverwaltung zur Verfügung:
Im Erdgeschoss: Das Lagerhaus auf 140 m Länge und 24 m
Tiefe, dazu die Räume um die grosse Schalterhalle mit insgesamt
5440 qm.
Im 1. Obergeschoss: Das Lagerhaus und der daneben
liegende Abfertigungsraum mit 2920 qm.
Im 2. Obergeschoss: Das Lagerhaus mit 2400 qm.
Im 3. Obergeschoss: Das Lagerhaus mit 3400 qm.
Hiezu 3 Offiizerszimmer mit 200 qm.
Im Kellergeschoss: 3140 qm.
Sonach im ganzen eine Grundfläche von rund 17 500 qm.
Im Erdgeschoss befindet sich inmitten des Lagerhauses
eine grosse Aufnahmehalle für die ankommenden Verwundeten, nach
der einen Seite sich öffnend unmittelbar zu den Bahnhofsgeleisen
mit der geschlossenen Unterfahrtsrampe, nach der anderen zum
Strassenbahnanschluss zu der Landsbergerstrasse.
Von der Aufnahmehalle erfolgt die Verteilung der Verwundeten
durch 2 geräumige Aufzüge und 3 Treppen in die Krankensäle der
einzelnen Geschosse. An die Aufnahmehalle schliessen sich rechts
und links an 4 grosse Räume als Unterkunft für Unteroffiziere und
Mannschaften, 1 Bekleidungskammer und 1 Geräteraum, ferner ver¬
schiedene Untersuchungszimmer, Räume für Verbandmittel, für die
Apotheke und Verwaltung, 2 Krankensäle mit 50 Lagerstellen und
daran anstossendem Wärterzimmer, Waschraum und Aborten.
Im Zusammenhang mit der Aufnahmehalle, in dem Bauteil neben
der grossen Eingangs- und Schalterhalle befindet sich ein zweiter
Krankensaal mit 7 Betten, Bad, Theeküche, Operationsraum und
Zubehör, 1 Zimmer für Pflegerinnen, Raum für Röntgenunter¬
suchungen nebst Dunkelkammer und schliesslich um die grosse Ein¬
gangs- lind Schalterhalle gelagert Speiseräume für Aerzte, Unter¬
offiziere und Schwestern, Geschäftsräume für den Chefarzt und
die Verwaltung.
Das 1 Obergeschoss enthält 6 grössere und 2 kleinere
Krankenräume mit insgesamt 193 Betten, in sachgemässer Verbindung
mit 5 Wärterzimmern, 1 Untersuchungszimmer, 2 Zimmer für
Pflegerinnen, Operationssaal mit Vorbereitungs- und Verbandraum,
je 3 Theeküc.hen und Waschräume, 4 Badezimmer und eine ent¬
sprechende Anzahl von Abortsitzen Auskerdem ein Tagesraum
und Wandelgänge im Zwischengeschoss der grossen Eingangs- und
Schalterhalle.
Im 2. Obergeschoss befinden sich 6 Krankensäle mit zu¬
sammen 209 Betten für Kranke und für Pflegepersonal, 1 Unter¬
suchungszimmer, 5 Warteräume, je 4 Theekiichen und Waschräume
und 3 Badezimmer sowie Abortsitze in angemessener Verteilung.
Im vorderen, südlichen Bauteil, vor der grossen Eingangs-
schalterhallc s^nd noch 3 Krankenzimmer für 5 Offiziere mit eigener
Theeküche, Bad und Abort eingerichtet.
Im 3. Obergeschoss sind eingebaut 9 Krankensäle mit
348 L.agerstellen für Kranke und 27 für Wart- und Pflegepersonal,
1 Untersuchungszimmer, 8 Zimmer für Wärter, je 3 Theekiichen und
Badezimmer und 600 Waschräume sowie die zugehörigen Aborte.
Im Kellergeschoss ist der umfangreiche Küchenbetrieb
untergebracht. In der Mitte liegt die Küche mit einem Herd, der
6 grosse Kessel nebst Brat- und Wärmeröhren etc. enthält, sowie
eine gesonderte Bäckereianlage, ausreichend für die Beköstigung von
1200 Personen. Daran schliesst sich auf der einen Seite an die
Spülküche mit allem Zubehör, auf der anderen Seite ein Saal für die
Abgabe von Speisen mit einem gesonderten Speiseaufzug zum Erd¬
geschoss für die Bedienung der Aerzte- und Mannschaftsspeiseräume.
Ferner ein Geschäftsraum für den Wirtschafter, 5 Vorratsräume,
Aufenthaltsraum für Küchenpersonal, Kohlenkeller und Aborte, dann
abseits noch verschiedene Räume für Lazarettwäsche und Geschirr.
Die Verbindung der einzelnen Stockwerke mit- und untereinander
geschieht über die bereits erwähnten 2 Aufzüge sowie über 3 Stiegen
des Lagerhauses und über die Hauptstiege an der grossen Eingangs¬
schalterhalle.
Um die vorbeschriebenen Einrichtungen zu schaffen, waren um¬
fangreiche Bauarbeiten notwendig. Sie erstreckten sich in der Haupt-
2396
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 50.
sachc auf das grosse Lagerhaus mit seinen weiträumigen, langge¬
streckten Speichergelassen.
Diese Speicherräunie haben durch eingebaute doppelte Ver¬
schlüge von gehobelten Brettern die Einteilung erhalten, wie sie
vorstehend beschrieben ist. Sie sind mit Zentralheizung durchzogen
worden und mit einer weit verzweigten Rohrleitung für die Wasser¬
zuleitung und die Ableitung der Aborte, Spül- und Waschwasser. Alle
Waschgelegenheiten haben kalte und wanne Wasserzuführung, für
die eine eigene Warmwasserbereitungsanlage hergestellt werden
musste. Für die Gaskocher in den Theekiichen und in einigen
Vorränmen sind vorhandene Gasleitungen weiter ausgedehnt worden.
Die elektrische Beleuchtung erforderte eine bedeutende Erweite¬
rung, ebenso die Schwachstromleitungen für Läutesignale u. a.
Bäder, Waschräume und Aborte haben Linoleumbelag erhalten,
ebenso die Operationssäle und deren Vorräume.
An 80 Fenstern der Krankensäle, Badezimmer und Aborte sind
Oberlichtfrischluftöffner angebracht und schliesslich haben alle dem
Lazarettzweck zugeführten Räume einen lichten freundlichen Anstrich
erhalten In dieser Ausstattung erinnert nur -weniges mehr an die
ursprüngliche Zweckbestimmung des Gebäudes.
In einem Nebengebäude des Hauptzollamtes ist noch ein Leichen¬
raum mit Obduktionszimmer eingerichtet.
Diese sämtlichen Arbeiten sich nach einem unter Mitwirkung des
Chefarztes ausgearbeiteten Entwurf des Militärbauamtes II in der
verhältnismässig kurzen Zeit vom 24. IX. bis 31. X. ds. Js. vergeben
und fertiggestellt worden.
Um einen annähernden Begriff von der grossen Summe der
geleisteten Arbeit zu geben, die in diesen wenigen Wochen geleistet
wurde, mögen folgende Zahlen dienen:
Es wurden, in runden Zahlen ausgedrückt, neu eingebaut:
I freistehender Schoferkamin von 22 m Höhe für die Küche sowie
die gesamte Küchenanlage mit Herdkessel und Zubehör.
1300 qm doppelte Holzdecken.
4000 qm grösstenteils doppelte gehobelte Bretterwände.
183 ein- und zweiflügelige Türen.
4850 laufende Meter Rohrleitung der Zentralheizung mit zu¬
sammen 11 00 qm Heizoberfläche.
700 laufende Meter Warmwasserleitung im Keller.
3000 m Rohrleitung für Kalt- und Warmwasserleitung in den
Geschossen.
600 laufende Meter Klosett- und Waschablaufleitungen.
250 laufende Meter Gasleitungen.
360 Deckendurchbrüche für die Installationen.
3250 laufende Meter Drahtlcitungen für elektrisches Licht.
131 Stück Deckenbeleuchtungen.
53 Klosettsitze.
22 Urinare.
38 Badewannen.
91 Reihenwaschtische.
15 Fayencewaschtische.
9 Ausgüsse.
II Wärmeschränke.
12 Gas- und elektrische Kocher.
600 qm Linoleumbelag.
SO Frischluftoberlichte an vorhandenen Fenstern.
40 000 qm Wand- und Deckenanstriche in Leim- und Oelfarbe.
Die Bauleitung hatte das Militärneubauamt.
Der Stand des ärztlichen und Pflegepersonals ist zur Zeit:
1 Chefarzt,
12 ordinierende Aerzte,
19 assistierende Aerzte,
8 Beamte (Apotheker und Verwaltungsbeamte),
124 Sanitätsmannschaften und Krankenwärter,
46 Berufskrankenpflegerinnen und freiwillige Helferinnen.
Der Stand an Verwundeten und Kranken betrug am 4. XII. 14
397 Mann. Dr. Herrmann.
Aus dem Kriegsgefangenenlazarett Grafenwöhr.
Mastisolersatzmittel.
Von Oberarzt d. R. Dr. Fiessler und Unterapotheker .d. L.
E. B o s s e r t.
In Nr. 45 Seite 2203 der M.m.W. 1914 hat Dieterich ver¬
schiedene Formeln für Klebestoffe zu Verbandzwecken angegeben, die
das teuere Mastisol ersetzen sollen. Er empfiehlt dabei als zweck-
mässigste die Lösung von Dammarharz in Benzol. Wir haben gleich¬
zeitig und unabhängig davon Versuche mit verschiedenen Lösungen
gemacht und sind dabei ähnliche Wege gegangen. Nur können wir
die Empfehlung von Dammarharz nicht billigen, da es sich um ein
relativ teueres, grossen Preisschwankungen unterworfenes Ausland¬
produkt handelt, das bei umfangreicherer Verwendung wohl in Kürze
nocii eine wesentliche Preissteigerung erfahren dürfte. Das Benzol
als Lösungsmittel glauben wir aus mehreren Gründen ebenfalls ab¬
lehnen zu müssen. Erstens ist Benzol ein sehr wichtiges Betriebs¬
mittel für Kraftfahrzeuge und sollte daher sein anderweitiger Ver¬
brauch möglichst eingeschränkt bleiben. Zweitens sind die damit
hergestellten Lösungen vom verbandtechnischen Standpunkte aus
wenig zu empfehlen, da die Verdunstung sehr langsam vor sich
geht und daher der Verband zu langsam trocknet. Wir empfehlen
im Gegensatz hierzu die Verwendung von Aether, der vermöge seines
ausserordentlich niedrigen Siedepunktes eine rasche Verdunstung
garantiert, wodurch in allerkürzester Zeit ein Fcsthaften des Ver¬
bandes bewirkt wird. Bei umfangreicher Arbeit, also gerade in
der fcldärztlichen Tätigkeit dürfte dieser Umstand sehr ins Gewicht
fallen. Ferner ist die Beschaffung von Aether auch bei langer
Dauer des Krieges jederzeit leicht möglich und beeinträchtigt den
sonstigen Heeresbedarf in keiner Weise. Als Klebemittel empfehlen
wir Fichtenharz, das sich in Aether sehr leicht löst und in dieser
Zusammensetzung sehr ausgiebig ist. Dazu stellt es ein sehr
billiges, im Preise ziemlich konstantes Inlandprodukt dar, dessen
Beschaffung durch die Kriegsdauer nicht beschränkt werden kann.
Dadurch dürfte sich der Preisunterschied in den Lösungsmitteln
Benzol und Aether ausgleichen, zumal letzterer für Heereszwecke
steuerfrei geliefert wird.
Nach unseren im Kriegsgefangenenlazarett Grafenwöhr ge¬
machten Erfahrungen halten wir folgende Lösung für die zweck-
massigste:
Resin.' pin. 300,0
Aether 1000,0
Ol. Iin. 10.0.
Eine Neutralisierung der Fichtenharzlösung, die Dieterich
verlangt, halten wir für nicht unbedingt notwendig. Wir haben bei
unserem sehr umfangreichen Material keine Hautreizungen beob¬
achtet, während dies beim Mastisol nicht so selten der Fall war.
Wir glauben, dass hierfür mehr das Lösungsmittel verantwortlich
ist (Chloroform), als die minimale Säurebildung im Harz. Wesent¬
lich dürfte auch hierbei wieder die Kürze der Verdunstungszeit sein,
da nach dem Trocknen des Verbandes die Säure wieder im Harz
gebunden ist und daher kaum noch imstande sein dürfte, eine stärkere
Reaktion hervorzurufen.
Die Wasserversorgung Antwerpens während der
Belagerung der Stadt.
Von Marinestabsarzt Dr. Fürth.
Das Anrücken der deutschen Truppen versetzte die Stadt Ant¬
werpen im August 1914 plötzlich in die Notwendigkeit, ihrer Ein¬
wohnerschaft von über 400 000 Seelen einen Ersatz für das städtische
Leitungswasser zu bieten, da die weit vor der Stadt im feindlichen
Aufmarschgebiet liegenden Pump- und Filteranlagen des Wasser¬
werkes zerstört zu werden drohten.
In Kürze sei hier berichtet, wie diese durch den Mangel an ge¬
eignetem Wasser sehr erschwerte Aufgabe durch geschickte Ver¬
wendung vorhandener Hilfsmittel glücklich gelöst wurde.
Vor ungefähr 35 Jahren errichtete eine englische Gesellschaft
etwa 15 km von Antwerpen entfernt am Nethefluss ein Pump- und
Filterwerk für eine zentrale Wasserversorgung der Stadt, die bis
dahin ihren Wasserbedarf aus meist schlechten Einzelbrunnen ge¬
deckt hatte. Das filtrierte Wasser wird durch das Pumpwerk an
der Nethe den Reservoiren einer Zwischenstation in der Vorstadt
Leuthaagen zugeführt und von hier mittels starker Pumpen in das
städtische Leitungsnetz gedrückt.
Eine genaue Beschreibung der Anlage verbietet der Umfang
dieser Mitteilung. Doch sei erwähnt, dass das Werk angeblich stets
zur Zufriedenheit arbeitete und regelmässig ausgeführte chemische
und bakteriologische Untersuchungen eine einwandfreie Beschaffen¬
heit des Wassers ergaben.
Was der Stadt an Trinkwasser ausser dem Leitungswasser zur
Verfügung steht, genügt bei weitem nicht, den Bedarf zu decken
und ist auch zum grössten Teil keineswegs einwandfrei. Es sind
dies zunächst die in den Häusern der Altstadt vorhandenen Pumpen,
die Grundwasser ans geringer Tiefe liefern, sodann vereinzelte
sogenannte artesische Brunnen, angeblich bis zu 200 m tief,
deren Wasser jedoch stark salzhaltig ist und zuletzt ein Süss¬
wasserkanal, der überdeckt die Stadt durchfliesst, in den Anlagen
einige Teiche speist, und aus dem Brauereien ihren Wasserbedarf
decken.
So lagen die Verhältnisse, als Ende August 1914 beim ersten
Besuch, den deutsche Luftschiffe der Stadt abstatteten, die Befürch¬
tung laut wurde, durch Bomben könne das Wasserwerk an der
Nethe zerstört und Antwerpen vom Trinkwasser abgeschnitten
werden.
Einer sofort zur Beratung über die Wasserersatzfrage zu¬
sammentretenden Kommission erschien als einzige Quelle für eine
genügende Wasserversorgung die Schelde. Jedoch steht diese bei
Antwerpen unter dem Einfluss der Ebbe und Flut und führt daher
salziges, stark getrübtes Wasser. Doch was half es! Alle Be¬
denken hygienischer Art mussten hinter der Notwendigkeit zurück¬
treten, einer Stadt von fast einer halben Million Einwohnern für die
verschiedensten Zwecke des Haushaltes, für Strassenreinigung, für
Kanalspülung, Feuerlöschwesen uam. genügende Wassermengen zu
liefern.
Die unten beschriebene improvisierte Anlage war, wenn sie auch
infolge technischer Mängel ihren Zweck nicht ganz erreichte und
infolge der schnellen Einnahme der Stadt durch die deutschen Truppen
15. bezenihcr 1914.
P eidärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2.597
nicht voll in Tätigkeit trat, doch ein Weg zur erfolgreichen Lösung
der Aufgabe.
Diese bestand darin, das Scheldewasser durch einen Sedimen-
tierungsprezess zu klären und so dein Leitungsnetz der Stadt zuzu-
führen.
Für diesen Zweck erwiesen sich die grossen, auf verschlossenem
Werftgebiet liegenden Trockendocks des Hafens sehr geeignet. Be¬
reits am 21. August begann man die Notwasserversorgung in folgen¬
der Weise einzurichten:
Am Kai in Höhe des Trockendocks 1 wurde ein grosser Saug¬
bagger auf der Schelde festgelegt und von hier aus Wasser nach
dem einige hundert Meter entfernten Dock gepumpt. Für den Pump¬
betrieb wählte man die Zeit von Niedrigwasser bis 2 Stunden nach
Beginn der Flut, da in dieser Zeit das Scheldewasser erfahrungs-
gemäss den niedrigsten Salzgehalt hat. In dem ungefähr 30 000 cbm
fassenden Dock 1 sollte sich eine erste Klärung des Wassers durch
Sedimentierung abspielen. Um diese zu befördern, fügte man dem
einströmenden Wasser aus einem Eisentank konzentrierte Alaun¬
lösung zu, deren Menge so bemessen war, dass ungefähr 30 kg Alaun
auf 1000 cbm Wasser kamen.
Nach mehrstündigem Stehen des Wassers in Dock 1 pumpten
dann die Pumpen kleiner Schleppdampfer, die sonst zu Feuerlösch¬
zwecken im Hafen dienen, das Wasser nach Dock 4, 5 und 6, die
zusammen fast 45 000 cbm Wasser fassen.
Im ersten dieser Docks erhielt das Wasser einen Zusatz von 3 kg
Chlorkalk zu 1000 cbm. Es war damit beabsichtigt, eine Oxydation
der organischen Substanzen und so eine Verminderung der fäulnis¬
fähigen Stoffe herbeizuführen, damit zugleich desinfizierend auf das
Wass'er einzuwirken.
Aus Dock 5, das mit Dock 6 kommuniziert, entnahmen wieder
die Pumpen von vier kleinen Schleppdampfern das Wasser und
drückten es durch eine oberirdisch gelegte Rohrleitung, in die zur
Erhöhung des Druckes zwei Windkessel eingeschaltet waren, in das
Leitungsnetz der Stadt.
Als am 27. September die Pumpstation an der Nethe wegen
der Beschiessung die Wasserlieferung einstellte, musste die neue
Wasserversorgung am Hafen in Betrieb genommen werden. Da
jedoch die Rohre, die die Verbindung mit dem Stadtleitungsnetz
herstellten, zu geringen Durchmesser hatten, war es nicht möglich,
den Wasserdruck genügend hoch zu bringen, um auch die Etagen
der Häuser zu versorgen. Man half sich im September zunächst
damit, dass man das Wasser in die grossen Reservoire nach Leut-
haagen pumpte und von hier mittels der starken Pumpanlage des
Zentralwasserwerkes mit ausreichendem Drucke dem Stadtnetze zu¬
führte. Mit dem Legen eines neuen, an Durchmesser grösseren
Rohres vom Dock bis zum Stadtnetz war begonnen worden; doch
machte die Beschiessung der Stadt am 9. Oktober den Arbeiten ein
Ende. Mit Hilfe eines 50 cm-Rohres wäre es gelungen, direkt vom
Dock aus ca. 20 000 cbm Wasser täglich mit ausreichendem Druck dem
Stadtnetz zuzuführen.
Dass man mit der improvisierten Anlage kein zu Trinkzwecken
geeignetes Wasser liefern könne, darüber war man sich klar.
Zeitungsartikel und Maueranschläge warnten deshalb auch die Be¬
völkerung vor dem Genüsse ungekochten Wassers.
Bei der Einnahme der Stadt Mitte Oktober fanden wir die
Verhältnisse wie oben beschrieben vor. Das Pump- und Filterwerk
an der Nethe war durch verschiedene Granattreffer stark beschädigt.
Das Bedienungspersonal am Nethewerk und in der Pumpstation in
Leuthaagen geflohen. Das Dockwasser wurde vom Hafen direkt
in das Leitungsnetz der Stadt gepumpt.
Die Instandsetzung der Netheanlagen wurde sofort in Angriff
genommen, die Pumpstation in Leuthaagen wieder in Gang gesetzt
und vorläufig mittels letzterer das geklärte Scheldewasser der Stadt-
lcitung zugeführt.
Um die Wirkung des Reinigungsverfahrens festzustellen, wurden
gleichzeitig Wasserproben aus der Schelde und den verschiedenen
Docks bakteriologisch und chemisch untersucht. Das Ergebnis ist in
nachfolgender Tabelle mitgeteilt:
Wasser
aus:
Farbe
Geruch
Geschmack
Durch¬
sichtigkeit
Rückstand
110°
Salpeter¬
säure
Schwefel¬
säure
Chlor
NaCl
im Mille
Ammoniak
Salpetrige
Säure
Organ.
Substanz
KMnO,vertr
Härte
Schelde
leicht
gelb¬
lich
ge¬
ruch¬
los
salzig
wenig
trübe
4,21
0,004
Spuren
1,576
2,597
wenig
wenig
0,047
45°
Dock 1
farb¬
los
ge¬
ruch¬
los
sehr
wenig
salzig,
fast
rein
klar
2,88
0,017
Spuren
1,049
1,696
wenig
Spur.
0,041
35°
Dock 4
farb¬
los
ruch¬
los
desgl.
klar
2,97
0,0011
Spuren
1,171
1,93 wenig
Spur.
0,037
40°
Dock 5
farb¬
los
ge-
ruch- desgl.
los
klar
2,92
0,0011
Spuren
1,171
1,93 wenig
Spur.
0,035
40°
Die Keimzahl, die im Scheldewasser unzählige Keime in 1 ccm
betrug, verringerte sich durch den Sedimentierungsprozess in Dock 1
schon auf 90 Keime in 1 ccm. In Dock 4 fanden sich 80 Keime in 1 ccm
Wasser.
Während sich an den physikalischen Eigenschaften und der Keim¬
zahl ein guter Einfluss des Klärverfahrens erkennen lässt, zeigt sich
die chemische Zusammensetzung des Wassers, wie nicht anders zu
erwarten war, nur wenig verändert. Insbesondere ist der Gehalt an
Chlor bzw. NaCl und organischen Substanzen sehr hoch. Für den
Gebrauch im Haushalt war wohl die grosse Härte des Wassers am
störendsten.
Die Wiederherstellungsarbeiten am Nethewerk gingen so flott
vonstatten, dass es möglich war am 21. Oktober schon wieder
7000 cbm filtriertes Wasser nach Leuthaagen zu pumpen. Seit dem
25. Oktober konnte die Entnahme aus den Docks unterbleiben, da das
Nethewerk genügend Wasser lieferte. Doch wird es noch eine ge¬
raume Zeit dauern, bis der Filterbetrieb, die Reservoire und das
Stadtnetz soweit in Ordnung gebracht sind, dass eine einwandfreie
Wasserlieferung gewährleistet ist.
Vergegenwärtigen wir uns zum Schluss nochmals alle die
Schwierigkeiten, denen sich die Stadt Antwerpen beim plötzlichen
Versiegen der zentralen Wasserversorgung gegenüber sah — Fehlen
eines Reservewasserwerkes, Mangel an genügendem Brunnenwasser,
als einzig ergiebige Wasserquelle nur der unter dem Einfluss von
Ebbe und Flut stehende Fluss, ohne hierfür vorgesehene Reinigungs¬
anlagen — so müssen wir sagen, dass es in guter Weise gelungen
ist, unter geschickter Benutzung vorhandener anderweitiger Anlagen
und Hilfsmittel einen genügenden Wasserersatz zu schaffen. Zwar
war das gewonnene Wasser zu Trinkwasserzwecken nicht geeignet,
doch musste diese Forderung hinter der Notwendigkeit der Be¬
schaffung genügender Mengen von Wasser zu Gebrauchszwecken
zurücktreten.
Vereine.
1. Kriegssanitätswissenschaftlicher Abend in Pont
Faverger (VI. Armeekorps)
vom 20. Oktober 1914.
Vorsitz: Generalarzt Dr. Leopold.
Teilnehmerzahl: 54.
Generalarzt Dr. Leopold wies nach einer kurzen Begrüssung
der Versammlung, an der auch mehrere höhere Offiziere teilnahmen,
mit einigen Worten auf den Zweck und die Ziele dieser aus den
Friedensverhältnissen ins Kriegsleben übernommenen Veranstal¬
tungen hin.
Oberstabsarzt Prof. Dr. Riemer: Ueber den gegenwärtigen
Stand der Seuchen und deren Bekämpfung im VI. Armeekorps.
Von Infektionskrankheiten seien bisher nur Fälle von Typhus
und Ruhr zur Meldung gelangt und zwar ausschliesslich bei der
12. Inf.-Division. Die Zahl der Fälle sei bisher gering. Während die
Ruhrerkrankungen, die in der Mehrzahl leicht verliefen, bereits
wesentlich abgenommen hätten, wäre ein Rückgang der Typhusfälle
noch nicht festzustellen, doch schiene der Höhepunkt erreicht zu
sein Die Ansteckungsquelle für die Typhuskranken sei unter Be¬
rücksichtigung der Inkubationszeit, in früheren Unterkünften, westlich
von V . .zu suchen. Die Quelle für die Ruhrerkrankungen
müsse dagegen in den gegenwärtigen Unterkunftsorten gesucht
werden.
Redner geht dann auf die Bekämpfung der Seuchen ein
und betont, dass im Kriege dieselben Massnahmen wie im Frieden
anzuwenden seien. Er schildert dann kurz das Vorgehen, wie es
im Frieden bei der Seuchenbekämpfung in den Kasernen gehandhabt
wird und vergleicht damit die Massnahmen, welche im Felde unter
den gegenwärtigen militärischen Verhältnissen möglich seien. Wäh¬
rend man im Frieden nach dem Vorgänge von Koch in der Haupt¬
sache aktiv gegen die Krankheitserreger vorgehe, d. h. sie überall
dort, wo sie ausserhalb des Kranken erscheinen, zu vernichten suche,
müsse man sich im Felde wegen der ungünstigen äusseren Ver¬
hältnisse mehr auf eine Defensive, d. h. den Schutz der Soldaten
gegen das Eindringen der Krankheitserreger in den Körper be¬
schränken. Als ein besonders erfolgreiches Mittel, um die Wider¬
standskraft des Organismus gegen die Wirkung der Typhusbazillen
zu stärken, sei die Typhusschutzimpfung zu nennen. Der
Erfolg derselben sei durch die Statistik bei den Engländern, Fran¬
zosen, Amerikanern und auch in unserem südwestafrikanischen Kriege
einwandfrei nachgewiesen. Redner geht kurz auf die verschie¬
denen Arten und die Bereitung des Impfstoffes ein. Am 6. X. 14
sei auch bei der 12. Division mit der Schutzimpfung begonnen wor¬
den. Es sei zu hoffen, dass sie sich trotz der vorliegenden schwie¬
rigen Verhältnisse durchführen lasse und auch von Erfolg gekrönt
sein werde.
Diskussion: Stabsarzt d. Res. Prof. Dr. Coenen sah im
1. Balkankriege in Athen starke Störung der Wundheilung
bei ausbrechender Typhusinfektion, er nimmt eine Toxinwir¬
kung auf die Gefässe an. Er bespricht dann die auf dem türkischen
Kriegsschauplatz häufig beobachtete Spontangangrän der Füsse, die
ein Teil der Chirurgen auf die fortwährenden Abkühlungen und
Durchnässungen zurückführte, und Abkühlungsgangrän nannte, andere
sahen den Grund für diese Erscheinung in dem schnürenden Zug
der Wickelgamaschen (D r e y e r), wieder andere (W e 1 c k e r)
2398
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 50,
machten die chronischen Darniseuchen, hauptsächlich die Cholera¬
toxine, dafür verantwortlich.
Oberarzt d. Res. Dr. Käthe macht auf die in Schlesien be¬
sonders häufig vorkommenden Typhusbazillendauerausscheider auf¬
merksam und hebt hervor, dass diesen eine wesentliche Bedeutung
für die Entstehung der Epidemie im VI. Armeekorps zugeschrieben
werden müsse.
Stabsarzt d. Res. Dr. 0 p p e 1 1 betont, dass in Sachsen eben¬
falls viele Dauerausscheider vorkämen. Der Verlauf der Typhus¬
erkrankungen im hiesigen Seuchenlazarett wäre nicht schwer, die
Mortalität gering.
Oberarzt d. Res. Prof. Dr. Hannes: Zur Frage der Asepsis im
Felde. (Der Vortrag ist in Nr. 49 der M.m.W., Feldärztl. Beil. Nr. 18
erschienen.)
Diskussion: Beratender Chirurg, Hofrat Dr. Haenel-
Dresden betont die unbedingte Notwendigkeit des Arbeitens mit
Gummihandschuhen, hält den Bestand der Feldlazarette an solchen
für nicht ausreichend. Dem Mastisol, das er in der eigenen Praxis
seit 3 Jahren mit gutem Erfolge anwendet, gibt er vor der Jod¬
tinktur den Vorzug und empfiehlt seine Anwendung bei jedem Ver¬
bände und jeder Operation.
Stabsarzt d. Res. Prof. Dr. C o e n e n hält den in der Friedens¬
praxis üblichen verschärften Wundschutz mit Gummihandschuhen,
Gaudanin. Mastisol und dergleichen in den vorderen Linien
bis zum Feldlazarett rückwärts nicht für durchführbar, er
ist auch nicht nötig, wenn man rein physikalisch der Wund¬
infektion entgegenarbeitet, wenn man ausgiebig grosse Ver¬
bände mit weitgehender Schienung anlegt und dadurch den Re¬
sorptionsstrom eindämmt. Dies ist das alte v. Bergmannsche
Prinzip, das heute noch so besteht, wie vor 50 Jahren. C o e n e n
ist ein Gegner des Mastisol, für die Mastisolbehandlung eignen sich
nur glatte, wenig sezernierende Wunden, nicht die schweren, stark
blutenden Zerreissungen und Zerschmetterungen, die hauptsächlich
unsere Eingriffe erfordern.
Generalarzt Dr. Leopold weist kurz auf die Ergebnisse der
von der Heeressanitätsverwaltung vor dem Kriege angeordneten
Versuche mit Mastixlösung hin und betont, dass die grosse Mehrzahl
der Berichterstatter seinerzeit ihre Verwendung in der ersten Linie
wegen der nicht ganz einfachen Anwendungsweise und der Gefahr
des Verschmierens der Finger abgelehnt habe.
Stabsarzt Dr. Kayser berichtet kurz über die Erfahrungen
des Feldlazaretts 6 während 4 Va tägiger Tätigkeit in L . . . F . . . .
unter ungeheuer schwierigen äusseren Verhältnissen und während
3 wöchiger Tätigkeit in Pont Faverger, wo die Verhältnisse selten
günstig liegen. Organisatorische und Ausstattungsfragen werden
kurz gestreift. In der Frage der Asepsis hält der Vortragende für
das Wichtigste im Felde die Abstinenz der Hände, deshalb
jeder Verbandwechsel infizierter Wunden nur mit Handschuhen.
Die ersten Verbände waren fast durchweg vorzüglich. Schaden
von Jod wurde nie gesehen. Das Mastisol hält der Vortragende für
hervorragend nützlich und für nahezu unentbehrlich bei allen jenen
Verbänden, die auf dem Transport erfahrungsgeinäss auch bei
vollendetster Verbandtechnik rutschen (Schulter, Rücken, Gesäss).
ln der Behandlung der Gliedmassenverletzungen ist Kayser ausser¬
ordentlich konservativ, was er noch nicht zu bereuen Anlass hatte.
Hinsichtlich der Bauchschüsse haben ihm klinische und Obduktions¬
erfahrungen der letzten Zeit immer wieder vor Augen geführt, dass
so mancher zu retten wäre, wenn der Transport unterbliebe. Die
Mehrzahl der beobachteten Lungenschüsse bot seit Wochen ein der¬
art schweres Krankheitsbild, dass Redner dem oft ausgesprochenen
Worte von deren Harmlosigkeit ganz und gar nicht zustimmen kann.
Die Differentialdiagnose Hämothorax oder Empyem ist oft sein-
schwierig. Ein Zertrümmerungsschuss der Wirbelsäule mit abso¬
luter Lähmung vom Nabel abwärts kam in der Glissonschen
Schlinge zu günstiger Ausheilung. Die Mitführung dieses Gerätes
bei den Feldlazaretten wäre nötig. Die Tangentialschüsse des Schä¬
dels waren ein dankbares Feld operativer Tätigkeit. Zum Schluss
berichtet K. über die sehr wertvollen Ergebnisse von Obduktionen
im Feldlazarett, zu deren Ausführung, wo sie nur irgend möglich ist,
zu Nutz und Frommen unserer Verwundeten gar nicht genug geraten
werden kann.
Diskussion: Herr C o e n e n macht auf die sich jetzt häufen¬
den Handschüsse aufmerksam, die im Balkankriege meist von Selbst¬
verstümmelungen herrührten, jetzt aber ihre natürliche Erklärung
finden durch die Tatsache, dass in den Schützengräben die Hände in
der Anschlagstellung stark exponiert sind.
Berliner vereinigte ärztliche Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 9. Dezember 1914.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr v. Hansemann.
Herr Toby Cohn: Behandlung der Peroneuslähmung.
Vortr. demonstriert einen Kollegen mit Peroneuslähmung infolge
einer im Kriege erworbenen Verletzung, der durch einen sinnreich
angebrachten Schnürsenkel den Fuss dorsal flektiert hält und daher
einen normalen Gang aufweist.
Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Morgen rot h:
Die Chemotherapie der Pncumokokkeuinfektion.
Herr Erich L e s c h k e berichtet über chemotherapeutische Ver¬
suche mit Optochin bei verschiedenen Infektionskrankheiten. Die Er¬
fahrungen bei der Pneumonie sind noch zu gering, um ein ab¬
schliessendes Urteil zu ermöglichen, was hauptsächlich an der un¬
günstigen Beschaffenheit des Krankenhausmateriales liegt, das meist
Patienten, die schon im Stadium der vollendeten Hepatisation sind,
umfasst. Wenn auch bei diesen Fällen die günstige Wirkung der
Optochinbehandlung meist zu erkennen ist, so sind für die endgültige
Bewertung des Mittels in der Therapie der Pneumonie doch nur die
Fälle zu benutzen, bei denen die Behandlung am ersten oder zweiten
Tage eingesetzt hat. Am augenfälligsten ist die günstige Beein¬
flussung des Allgemeinbefindens und der Atmung, die die Kranken¬
pflege ungemein erleichtert. Objektiv bemerkenswert ist die anti¬
pyretische Wirkung sowohl auf die Höhe wie auf die Dauer des
Fiebers. Meist erfolgt lytischer Abfall der Temperatur schon am
3. — 6. Tage. Die Unwirksamkeit des Mittels im Stadium der aus-
gebildeten Hepatisation beruht wohl darauf, dass es an die in ein
dichtes Netz von Fibrin und Exsudatzellen eingebetteten Pneumo¬
kokken gar nicht oder nur in ungenügender Konzentration heran¬
kommt. — Auch Versuche bei der Behandlung der Pneumo¬
kokkenangina und Pneumokokkeninfluenza führten zu
günstigen Ergebnissen. Vortr. unterscheidet 3 Formen der Pneumo- i
kokkenangina: die follikuläre Pneumokokkenangina, die Pneumo-
kokkeninfluenza (die häufigste Form der grippalen Erkältungskrank¬
heiten) und die Pneumokokkämie mit sepsisartigem Fieberverlauf.
Bei allen 3 Formen bewährte sich die Verabreichung von 0,4 — 0,5 g
Optochin dreimal täglich in Oblaten. Vortr. empfiehlt auch, Ver- j
suche bei der Pneumokokkenotitis mit lokaler Optochineinblasung zu 1
machen. Bei allen anderen Infektionskrankheiten, namentlich auch
bei den durch Streptokokken hervorgerufenen, sowie beim Typhus
war das Optochin wirkungslos und zeigte auch keinen antipyretischen |
Effekt. Die antipyretische Wirkung bei den Pneumokokkeninfck-
ticnen ist daher keine allgemeine Chininwirkung, sondern eine spe¬
zifische ätiotrope.
Herr Morgenroth (Schlusswort) bestätigt auf Grund seiner
experimentellen Erfahrungen die Angabe von L e s c h k e, dass die
Optochinwirkung eine spezifische und keine allgemeine Chininwirkung
sei. Klinische Untersuchungen französischer Autoren über die Be¬
handlung der Pneumonie mit hohen Chinindosen führten zu dein
Ergebnis, dass das Chinin (im Gegensatz zum Optochin) bei der
Pneumonie keine deutliche antipyretische Wirkung hat, wohl aber
einen gewissen günstigen Einfluss ausübt.
Die Amblyopie beruht weniger auf dem Optochin als auf der
Wirkung der Pneumokokkentoxine. Bemerkenswerterweise sind ge¬
rade in den Fällen, bei denen die Therapie frühzeitig eingeleitet
wurde, solche Nebenwirkungen niemals beobachtet worden. Auch
Glaser hat ebenso wie A. F r a e n k e 1 bei rechtzeitiger Verab¬
reichung günstige Erfolge gehabt. Schon Curschmann hatte i
vermutet, dass die meisten Fälle von Influenza auf Pneumokokken¬
infektion beruhen. Die Ausführungen von Leschke über die Opto¬
chinbehandlung der verschiedenen Formen der Pncumokokkcnangina
berechtigen zu weiteren Versuchen auch bei dieser Erkrankung.
Herr Saul: Beziehungen der Helminthen und Protozoen zur
Geschwulstätiologie.
Vortr. demonstriert Mikrophotogramme von Geschwulstbildungen
durch Parasiten. Löwenstein hat schon 1910 bei einem Epi¬
theliom der Ratte Parasiten gefunden (vor Fibiger). Die Para¬
siten fungieren dabei nicht als Zwischenwirte eines gesch willst- i
erregenden Mikroben, sondern geben durch ihre Stoffwechselprodukte
den Reiz ab sowohl zur Gewebseinschmelzung in der nächsten, wie
zur Gewebswucherung in der weiteren Umgebung, wie Vortr. schon
1908 durch Versuche mit Einpflanzung von Cysticercus fasciolatus.
gefunden hat. Auch die Kokzidien in den üallengängen sowie die
Insektenstiche bei Pflanzen haben die gleiche Wirkung: Gewebs-
auflösung in der nächsten Umgebung, Wucherung in den folgenden
Zonen. Das physiologische Analogon hierzu bietet die Einbettung
des befruchteten Eis in die Uterusschleimhaut, wobei auch die um¬
gebenden Partien des Gewebes einschmelzen, die entfernteren
wuchern. Manche Parasiten bewirken bei Tieren eine starke Hyper¬
trophie der von ihnen befallenen Zellen (W eissenberg: Parasiten
in Ganglienzellen), ln Froschblut kann man die zellauflösende Fern¬
wirkung der Stoffwechselproduktc mancher Parasiten auf die roten
Blutkörperchen sehen. (Schluss folgt.)
Kleine Mitteilungen.
Therapeutische Notizen.
In Nr. 44 d. Wschr., Feldärztl. Beil., habe ich auf die vortreff¬
liche Wirkung der Ortizonstifte hingewiesen, ihren ausser¬
ordentlich stimulierenden Einfluss auf die Granulationsbildung sowie
das vortreffliche Endresultat bei Weichteilwunden, die anfangs stark
jauchten und eine Heilung kaum erwarten Hessen. Neben der ad¬
stringierenden — ich will nicht sagen ätzenden — Wirkung spielt
aber auch die desodorisierende Wirkung eine Rolle, die wir augen¬
blicklich im Reservelazarctt I bei den schwer verwundeten Russen
mit starken, z. T. jauchenden und schwer eiternden Weichteilver-
15. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2399
letzungen tagtäglich feststellen können. Die gleich günstige Wirkung
wurde vor kurzem von Sanitätsrat Dr. Ruhemann (Reservelaza¬
rett Berlin-Tempelhof) in der D.m.W. festgestellt. Sehr erfreulich
war es mir nun, dass auch von Herrn Kollegen Rindfleisch aus
dem Reservelazarett Weimar die gleichen Beobachtungen mitgctcilt
wurden. Die Aerzte meines Lazarettes wollen den Ortizonstift in
geeigneten Fällen gar nicht mehr entbehren. Auch in Wundhöhlen
kann man den Stift unbesorgt einlegen, da er ja, im Gegensatz zu
Höllenstein, nicht ätzt. In meinem Aufsatz über Wasserstoffsuper¬
oxydpräparate erwähnte ich, .dass ich Ortizon — ähnlich dem vor¬
trefflich wirkenden Merck sehen Zinkperhydrol — auch in Pulver¬
form mit Zinc. oxydat. und Talkum verwenden liess. Neuerdings hat
mir die Firma Bayer & Co. ein in der Fabrik hergestelltes Orti-
zonstreupulver zu Versuchen zur Verfügung gestellt, so dass
wir die Wirkung des Ortizonstiftes mit derjenigen des Trockenver¬
bandes mit hydrophiler Gaze und dem desinfizierend wirkenden Orti-
zonpulver verbinden können. Die Wundheilung vollzieht sich aus¬
gezeichnet unter dieser Kombination, so dass ich beide Mittel — Orti-
zonstifte und das neue Ortizonpulver — aufs dringendste empfehlen
möchte. Eine diesbezügliche Arbeit wird demnächst an anderer Stelle
erscheinen.
Prof. Dr. Walther, Chefarzt des Reservelazarettes I Giessen.
Der Jodspray. Der Jodspray hat folgende Vorteile: 1. Er
spart sehr an Jod. Bisher wurde mehr als 4/s vom entnommenen Jod
mit der Gaze fortgeworfen. 2. Er spart Gaze, da man keine ge¬
braucht. 3. Er lässt die Finger rein. 4. Er gestattet die Anwendung
des Jods in alle Fugen und Höhlen der Wunden, die man mit der
Gaze gar nicht erreichen kann. 5. Er erspart den Patienten Schmer¬
zen, da man die Wunde nicht zu berühren braucht. 6. Derselbe kann
auch bei der Desinfektion des Operationsgebietes vorteilhaft Ver¬
wendung finden. Ich habe einen Spray anfertigen lassen, welcher
es gestattet, alle Körperstellen des liegenden oder sitzenden Patienten
bequem erreichen zu können. Mit dem gewöhnlichen Spray ist dies
nicht möglich, da er beim Schiefhalten versagt. Die Apparate sind
gesetzlich geschützt und von der Firma Heinz, Aachen, Vinzenz¬
strasse 15, zu beziehen. Jedem Apparat wird eine Gebrauchsan¬
weisung beigegeben. Dr. D e d o 1 p h, Aachen, Reservelazarett II.
Tagesgeschichtliche Notizen
München, den 14. Dezember 1914.
— Die Chronik der abgelaufenen Woche verzeichnet die Ver¬
nichtung von vier deutschen Kreuzern bei den Falklandsinseln. Be¬
deutungslos für den weiteren Verlauf des Krieges und als unab¬
wendbares Geschick vorausgesehen, löst das beklagenswerte Er¬
eignis doch wegen des unersetzlichen Verlustes von zahlreichen
blühenden Menschenleben in ganz Deutschland tiefste Trauer aus.
Von der erdrückenden Ueberniacht besiegt, starben sie in treuer
Pflichterfüllung zum Ruhme Deutschlands. Auf dem westlichen
Kriegsschauplatz sind grössere Ereignisse nicht zu erwähnen: im
Osten bezeichnet die Einnahme von Lodz den Haupterfolg der
deutschen Operationen.
— Die gegen das schändliche kriegsgerichtliche Urteil gegen
deutsche Militärärzte durch amerikanische Vermittlung
deutscherseits erhobene Verwahrung scheint nicht ohne Erfolg ge¬
blieben zu sein. Es wird gemeldet, dass das Revisionsgericht des
Militärgouvernement Paris das Urteil wegen eines Formfehlers auf¬
gehoben und die Angelegenheit vor ein anderes Kriegsgericht ver¬
wiesen habe. Man darf hoffen, dass dieses Gericht einen gerechteren
Spruch fällen und so die französische Kriegsjustiz von dem Vor¬
wurfe brutaler Rechtsbeugung befreien wird.
Inzwischen sind weitere Verurteilungen deutschen Sanitätsper¬
sonals vorgekommmen, bei denen allerdings die Schuldfrage weniger
klar zu liegen scheint. In diesen Fällen wird behauptet, dass die
Verurteilten im Besitz von Wertgegenständen (Uhren u. dgl.), die
sie sich widerrechtlich angecigne» hätten, gefunden worden seien.
Der Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privateigentums im Kriege
ist zwar gerade von unseren Gegnern in diesem Kriege oft genug
gebrochen worden; daraus folgt aber nicht, dass deutsche Truppen
das auch tun sollen. Im Interesse des guten Rufes unseres Heeres
sollten sich namentlich Offiziere und Aerzte der Mitnahme irgend¬
welcher Wertgegenstände im Feindesland streng enthalten. Dass
dies in einem bestimmten Falle nicht geschehen sei, müsste aller¬
dings erst einwandfreier erwiesen werden, als es durch das etwas
in Misskredit gekommene Pariser Kriegsgericht geschehen kann.
— In Lille ist in der Nacht vom 28. auf 29. November ein
Flügel des Gouvernementslazaretts abgebrannt. Die
Verwundeten und Kranken konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht
werden. Die Ursache des Brandes ist nicht bekannt. Brandstiftung
ist nicht ausgeschlossen, doch ist es wahrscheinlicher, dass das Feuer
durch Handwerksleute entstand.
— Nach den bisherigen Verlustlisten berechnet die Berlin.
Aerztekorr. den bisherigen Verlust an rein ärztlichem
Personal auf 342 Mann: davon sind leicht verwundet 112, schwer
verwundet 40, erkrankt L tot (einschliesslich der an Krankheiten
gestorbenen) 65, vermisst 78, in Gefangenschaft 46; das sind an¬
nähernd 3 Proz. des gesamten Aerztepcrsonals.
Disziplin arstrafgewalt der Chefärzte der
grösseren K r i e g s 1 a z a r e 1 1 e. Das Verordnungsblatt des
Kriegsmini9teriums meldet: S. M. der König hat genehmigt, dass die
Chefärzte der grösseren Kriegs-, Etappen-, Festungs- und Reserve-
iuzarette die Diszlplinarstrafgewalt eines nicht detachierten Kom¬
pagniechefs über die zu diesen Lazaretten gehörenden und die darin
aufgenommenen Unteroffiziere und Gemeinen erhalten. Hierzu gibt
das Kriegsministerium erläuternd bekannt, dass als grössere Lazarette
diejenigen anzusehen sind, in denen Stationsbehandlung nicht durch
den Chefarzt, sondern durch besondere Sanitätsoffiziere erfolgt.
— Das König-Ludwig-Bad (Fürth in Bayern) lässt auf
die Dauer von zunächst 6 Monaten in jedem Monat 180 Kriegsteil¬
nehmer ohne Unterschied des Dienstgrades zu je einer 4 wöchigen
unentgeltlichen Trink- und Badekur zu. Von dem Anerbieten wird
seitens der Militärbehörden bereits Gebrauch gemacht. Ausserdem
hat die König-Ludwig-Quelle G. m. b. H. seit Beginn des
Krieges dem Bayerischen Kriegsministerium und dem Zentralkomitee
des Roten Kreuzes 100 000 Flaschen ihres Mineraltafelwassers Do-
sanabrunnen überlassen.
— Bad Kreuznach wird in diesem Jahre seinen Kurbetrieb
im Winter nicht unterbrechen, sondern im Interesse unserer ver¬
wundeten und kranken Krieger aufrecht erhalten. Die Kreuznacher
Kurmittel werden den Lazaretten, in denen fast stets ca. 1000 Ver¬
wundete in Behandlung sind, von der Stadt Kreuznach unentgeltlich
geliefert.
— Der Inhaber der Firma J. Serra vallo in Triest, hat für
Kriegsfürsorgezwecke nebst einem grösseren Barbetrag über 3300
Flaschen seines „Serravallos Chinawein mit Eisen und
600 Liter Tafelwein gespendet.
— Cholera. Deutsches Reich. In der Woche vom 29. No¬
vember bis 5. Dezember sind im Reg.-Bez. Oppeln 8 Cholerafälle
gemeldet worden, darunter 4 in Königl. Neudorf (Kr. Oppeln), 3 in
Beuthen — bei österreichischen Militärpersonen — und 1 im Kreise
Pless. Ausserdem wurden einige Cholerafälle bei russischen Kriegs¬
gefangenen sowie bei Verwundeten oder Kranken, die vom östlichen
Kriegsschauplatz kamen, festgestellt. — Oesterreich-Ungarn. In der
Woche vom 8. — 14. November wurden in Oesterreich 515 Erkran¬
kungen (und 132 Todesfälle) festgestellt, und zwar in Niederöster-
reich 103 (7) — davon in Wi?n 100 (6) — , in Salzburg in 1 Gern. 1
in Steiermark in 6 Gern. 19 (6) — davon in Graz 3 — , in Kärnten in
2 Gern. 7 (4), in Böhmen in 11 Gern. 28 (12), in Mähren in 20 Gern.
64 (15), in Schlesien in 7 Gern. 18 (5), in Galizien in 29 Gern. 269 (83)
— davon in Krakau 19 (1), in Przemysl 6 (3). In Ungarn wurden
in derselben Zeit 417 Erkrankungen (hierunter 265 bei Militärper¬
sonen und 1 bei einem Kriegsgefangenen) gemeldet, davon in den
Städten Pest 20 (darunter 19 bei Militärpersonen), Debreczen 11
(bei Militärpersonen), Kaschau 4 (darunter 3 bei Militärpersonen),
Kecskemet 1, Kiausenburg 1, ürosswardein 3, Pressburg 1, Szatmar-
Nemeti 1.
— Pest. Niederländisch-Indien. Vom 4. — 17. November wur¬
den 409 Erkrankungen (und 471 Todesfälle) gemeldet. — China. In
Kanton sind vom 11. Juni bis 12. Juli 325 Erkrankungen festgestellt
worden, doch erreicht diese amtlich ermittelte Zahl angeblich nicht
die Zahl der in Wirklichkeit vorgekommenen Krankheitsfälle.
— - In der 47. Jahreswoche, vom 22. — 28. November 1914, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Heilbronn mit 59,4, die geringste Berlin-Friedenau mit 4,4 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Königshütte, Thorb, an Diphtherie
und Krupp in Altenessen, Berlin-Pankow', Bromberg, an Unterleibs¬
typhus in Heidelberg, Pforzheim, Thorn. Vöff. Kais. Ges.A.
(H o e i. $ e h u 1 n a c h r i c h t e n.)
Berlin. Der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Karl Posner, der
langjährige, um die deutsche medizinische Publizistik hochverdiente
Herausgeber der B.kl.W., feiert am 16. ds. seinen 60. Geburtstag.
Breslau. S. M. der Kaiser besuchte bei seinem Aufenthalt in
Breslau, in den ersten Tagen des Dezember, auch die Verwundeten
und sprach den Aerzten seine Anerkennung aus. — Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. K ii 1 1 n e r, Direktor der chirurgischen Universitätsklinik,
Marine-Generaloberarzt ä 1. s. ist auf Veranlassung des Kriegsmini¬
steriums als beratender Chirurg für die Festungslazarette Breslau
sowie für die Reserve- und Vereinslazarette der Provinzen Schlesien
und Posen vom Reichsmarineamt zur Verfügung gestellt worden und
bereits wieder in Breslau eingetroffen.
Halle a/S. Der Assistent der chirurgischen Klinik Dr. Paul
Zander hat sich für Chirurgie habilitiert.
Königsberg i. Pr. Der a. o. Professor Dr. Arthur Birch-
Hir Sehfeld in Leipzig wmrde als Ordinarius der Augenheilkunde
als Nachfolger von Prof. Schi eck berufen; er wird schon in den
nächsten Tagen den augenärztlichen Unterricht in Königsberg über¬
nehmen. (hk.)
Strassburg. Dem Stabsarzt der Landwehr a. D. im würt-
tembergischen Sanitäskorps, Geh. Med.-Rat Dr. H. Fehling ist der
Charakter als Generaloberarzt verliehen worden, (hk.)
Innsbruck. Der ordentliche Professor der Geburtshilfe und
Gynäkologie Hofrat Dr. Ehrendorfer ist in den dauernden Ruhe¬
stand getreten, (hk.)
(Todesfälle.)
In Bad Tölz starb am 8. ds. im 67. Lebensjahr der dortige Bade¬
arzt Hofrat Dr. Max Höf ler. Um den Kurort, in dem er 40 Jahre
2400
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 5f
lang wirkte und der auch seine Vaterstadt war — sein Vater war
der eigentliche medizinische Begründer des Bades — hat er sich
grosse Verdienste erworben. Die Stadt Tölz ernannte ihn dafür zum
Ehrenbürger. Ausgezeichnetes hat H ö f 1 e r in der folkloristischen
Erforschung seiner Heimat geleistet. Seine Schriften auf diesem Ge¬
biete haben in Fachkreisen hohe Anerkennung gefunden und die Uni¬
versität Heidelberg veranlasst, ihm die philosophische Doktorwürde
honoris causa zu verleihen. Höf ler war ein echter Sohn seiner
Heimat, ein gesunder Kern in rauher Schale, ein guter Typus des
praktischen Arztes: aufopfernd, energisch, unbedingtes Vertrauen er¬
weckend, dabei gebildet und von Interessen weit über sein Fach
hinaus erfüllt. Ehre seinem Andenken!
Am 6. Dezember starb der Direktor der Grossh. bad. Heil- und
Pflegeanstalt zu Pforzheim, Geh. Med.-Rat Dr. Franz Fischer, (hk.)
Der berühmte Physiker der Hochschule in Münster, Exz. Geheim¬
rat Wilhelm Hittorf ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Er
war der Entdecker der Kathodenstrahlen und der für die Röntgeno¬
logie so wichtig gewordenen, in Deutschland aber mit echt deutscher
Zähigkeit fälschlicherweise nach dem Engländer C r o o k e s benann¬
ten Röhren.
Fürs Vaterland starben:
Feldunterarzt Friedrich D i e r k e, 28. Oktober 1914, Lazarett
Schöneberg.
Feldunterarzt Gustav D ü n b i e r, 158. Infanterieregiment,
cand. med. E. Erdtmann, Grenadierregiment 3.
M. Gaste 1, Unterhaching.
stud. med. Karl Guide, Kriegsfreiw. im Res.-Feldart.-Reg.
Nr. 54 (Mössingen).
Unterarzt Hammel aus Strassburg, Inf.-Reg. 143.
St.-A. d. Res. Martin H e y d e, Privatdozent für Chirurgie in
Marburg.
cand. med. Johann Hein,
stud. nicd. F. Holzman n.
Unterarzt Kersting, Res.- Inf.-Reg. Nr. 236, Köln, I. Bat.
3. Komp.
Stabs- und Bat.-Arzt Dr. Fritz P o 1 y, Würzburg, Inf.-Reg. 116
(Giessen), gest. im Lazarett Nesle.
Feldunterarzt C. S a 1 o m o n. Lübeck.
Unterarzt Dr. Seligmann, Res.-Inf.-Reg. 214, bisher Assi¬
stent am Krankenhaus in Lübeck,
stud. med. Hugo S t e i n b a c h, Gefr. d. Res., gefallen am 1 1. No¬
vember beim Sturm auf Lombartzijde.
Stabsarzt R. Tresp e, Breslau.
H Treuer, Neustrelitz.
Berichtigung. Dr. K 1 i n g e 1 h o e f e r ist nicht tot,
sondern war verletzt i^nd ist jetzt geheilt.
Amtliches.
(Deutsches Reich.)
(Nr. 4561.)
Bekanntmachung, betreffend Wochenhilfe während des Krieges.
Vom 3. Dezember 1914.
Der Bundesrat hat auf Grund des § 3 des Gesetzes über die Er¬
mächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Massnahmen usw.
vom 4. August 1914 (Reichs-Gesetzbl. S. 327) folgende Verordnung
erlassen:
§ 1. Wöchnerinnen wird während der Dauer des gegenwärtigen
Krieges aus Mitteln des Reichs eine Wochenhilfe gewährt, wenn ihre
' Ehemänner
1. in diesem Kriege dem Reiche Kriegs-, Sanitäts- oder ähnliche
Dienste leisten oder an deren Weiterleistung oder an der
Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit durch Tod, Verwun¬
dung, Erkrankung oder Gefangennahme verhindert sind und
2. vor Eintritt in diese Dienste auf Grund der Reichsversiche¬
rungsordnung oder bei einer knappschaftlichen Krankenkasse
in den vorangegangenen 12 Monaten mindestens 26 Wochen
oder unmittelbar vorher mindestens 6 Wochen gegen Krank¬
heit versichert waren.
§ 2. Die Wochenhilfe wird durch die Orts-, Land-, Betriebs-,
Innungskrankenkasse, knappschaftliche Krankenkasse oder Ersatz¬
kasse geleistet, welcher der Ehemann angehört oder zuletzt angehört
hat. Ist die Wöchnerin selbst bei einer anderen Kasse der bezeich-
neten Art versichert, so leistet diese die Wochenhilfe; sie hat davon
der Kasse des Ehemanns sofort nach Beginn der Unterstützung Mit¬
teilung zu machen.
§ 3. Als Wochenhilfe wird gewährt:
1. ein einmaliger Beitrag zu den Kosten der Entbindung in Höhe
von 25 M.,
2. ein Wochengeld von 1 M. täglich, einschliesslich der Sonn- und
Feiertage, für 8 Wochen, von denen mindestens 6 in die Zeit
nach der Niederkunft fallen müssen,
3. eine Beihilfe bis zum Betrage von 10 M. für HebammendiensO
und ärztliche Behandlung, falls solche bei Schwangerschafts
beschwerden erforderlich werden,
4. für Wöchnerinnen, solange sie ihre Neugeborenen stillen, eii
Stillgeld in Höhe von einer halben Mark, einschliesslich de
Sonn- und Feiertage, bis zum Ablauf der 12. Woche nach de
Niederkunft.
§ 4. Die Vorstände der Kassen (§ 2) können beschliessen, stat
der baren Beihilfen nach § 3 Nr. 1 und 3 freie Behandlung durch Heb
amme und Arzt sowie die erforderliche Arznei bei der Niederkuni
und bei Schwangerschaftsbeschwerden zu gewähren.
Ein solcher Beschluss kann nur allgemein für alle Wöchnerinnei
gefasst werden, denen die Kasse auf Grund dieser Vorschriftei
Wochenhilfe zu leisten hat.
Bei Wöchnerinnen, denen die Kasse diese Behandlung bei de I
Niederkunft und bei Schwangerschaftsbeschwerden schon auf Grunc|
ihrer Satzung als Mehrleistung nach der Reichsversicherungsordnunsj
zu gewähren hat, bewendet es dabei in allen Fällen.
§ 5. Das Wochengeld für diejenigen der im § 1 bezeichnetcij
Wöchnerinnen, welche darauf gegen die Kasse einen Anspruch nact
§ 195 der Reichsversicherungsordnung haben, hat die Kasse selbs
zu tragen.
Die übrigen Leistungen werden ihr durch das Reich erstatten
Dabei ist für Aufwendungen, welche die Kasse nach § 4 gemacht hau
in jedem Einzelfall als einmaliger Beitrag zu den Kosten der Entbin
düng (§ 3 Nr. 1) der Betrag von 25 M. und als Beihilfe für Heb
ammendienste und ärztliche Behandlung bei Schwangerschafts
beschwerden (§ 3 Nr. 3) der Betrag von 10 M. zu ersetzen.
Die Kasse hat die verauslagten Beträge dem Versicherungsamte
nachzuweisen; dieses hat das Recht der Beanstandung; das Ober
versicherungsamt oder knappschaftliche Schiedsgericht entscheide;
darüber endgültig.
Das Nähere über die Nachweisung, Verrechnung und Zahlung be
stimmt der Reichskanzler.
§ 6. Einer Satzungsänderung auf Grund dieser Vorschriften be
darf es für die Kassen nicht.
§ 7. Für das Verfahren bei Streit zwischen den Empfangsberechj
tigten und den Kassen über diese Leistungen gelten die Vorschriften
der Reichsversicherungsordnung über das Verfahren bei Streitig]
keiten aus der Krankenversicherung; jedoch entscheidet das Ober
versicherungsamt oder knappschaftliche Schiedsgericht endgültig, j
Für die Leistungen nach §§ 3, 4 und den Anspruch darauf gelten
die §§ 118, 119, 210, 223 der Reichsversicherungsordnung ent]
sprechend.
§ 8. Gegen Krankheit versicherten Wöchnerinnen, die Anspruch
auf Wochengeld nach § 195 der Reichsversicherungsordnung, nich
aber auf Wochenhilfe nach § 1 haben, hat ihre Kasse, auch wenn
die Satzung solche Mehrleistungen nicht vorsieht, während der Dauci
des Krieges die im § 3 Nr. 1, 3 und 4 bezeichneten Leistungen aus
eigenen Mitteln zu gewähren.
8 4 gilt entsprechend.
§ 9. Die Versicherungsanstalten haben den Kassen, die in ihren]
Bezirke den Sitz haben und mindestens AlA v. H. des Grundlohns als
Beiträge erheben, auf Antrag Darlehen zur Deckung der durch die
Vorschrift des § 8 erwachsenden Kosten zu gewähren.
Sofern die Versicherungsanstalt und die Kasse nichts anderes
vereinbaren, richtet sich die Höhe der Darlehen nach den bis zum
Antrag und demnächst von Vierteljahr zu Vierteljahr der Kasse er¬
wachsenen Kosten dieser Art.
Die Darlehen sind mit 3 v. H. zu verzinsen und nach 10 Jahreii
zurückzuzahlen. Eine frühere Rückzahlung steht den Kassen frei.
Für Kassen, deren Mitglieder gegen Invalidität überwiegend bei
einer Sonderanstalt versichert sind, tritt diese an Stelle der Ver¬
sicherungsanstalt.
§ 10. Diese Vorschriften treten mit ihrer Verkündung in Kraft
Wöchnerinnen, die vor diesem Tage entbunden sind, erhalten die^
jenigen Leistungen, welche ihnen von diesem Tage an zustehen wür¬
den, wenn diese Vorschriften bereits früher in Kraft getreten wären.
Der Bundesrat behält sich vor, den Zeitpunkt des Ausserkraft-
tretens zu bestimmen. •
Berlin, den 3. Dezember 1914
Der Stellvertreter des Reichskanzlers.
Delbrück.
Weihnachtsgabe für arme Arztwitwen in Bayern.
üabenverzeichnis: Uebertrag M. 440. — . Dr. B r a u n e - Mkt
Einersheim M. 30.—, Hofrat Dr. Schuh- Nürnberg M. 20.—, Land¬
gerichtsarzt Dr. B a u m a n n - Fürth M. 10.—, Bezirksarzt Dr. R a a b -
Ansbach M. 20. — , Ungenannt-München M. 10. — , Hofrat Dr.
G ö s c h e 1-Niirnberg M. 10. — , Dr. Theinhardts Nährmittelgesell¬
schaft Stuttgart-Cannstatt M. 200.—, Prof. Dr. Oberndorfer-
München M. 20.—, Bezirksarzt Dr. Bauer- Freising M. 20—, Hof¬
rat Dr. Volkhardt-Bayreuth M. 30.—, Hofrat Dr. Doerfler-
Regensburg M. 20.—. Summa M. 830. — .
Gaben nimmt dankbarst entgegen der Kassier der Witwenkasse:
Dr. Hol ler husch, Fürth, Mathildenstr. 1.
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
preto der einzelnen Nummer 80 J). • Bezugspreis in Deutschland
. . • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
Inserstenschluss am Donnerstag einer jeden Woche.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richte«
Für die Schriftleltung: ArnuTfstr. 26 (Sprechstunden — 1 Uhr).
Für Bezug: an I. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 51. 22. Dezember 1914.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
61. Jahrgang.
I ■ ■ I ■ ■ II I II I ... I . . ■ I I A ■■ ■ ■ I. ■ —
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus der äusseren Abteilung des städt. Krankenhauses zu
Frankfurt a. 0.
Erfahrungen an den 22 ersten Fällen von vaginalen
Operationen in parametraner Leitungsanästhesie.
Von Dr. Ernst Ru -ge, dir. Arzt der Abteilung.
So gering das Interesse der Gynäkologen am Ausbau von
Methoden der Lokalanästhesie auf ihrem Gebiet zu sein
scheint, trifft man doch hier und da auf Bestrebungen, bei den
zahlreichen kleineren Eingriffen der Frauenheilkunde die Nar¬
kose auszuschalten. In seiner sehr fleissigen Dissertation aus
meiner Abteilung hat Baltzer1) die hierhergehörige Literatur
bis auf den Anfang dieses Jahres zusammengestellt. Sein
Literaturverzeichnis umfasst jedoch nur 22 Nummern und ver¬
teilt sich auf die Jahre von 1904 bis 1914. Dazu kommt noch
eine Arbeit von Kraus- Brünn in der Münch, med. Wochen¬
schrift vom Juli dieses Jahres.
Alle diese Arbeiten befassen sich entweder mit der von
M ü 1 1 e r in die Operationslehre eingeführten, später besonders
von S e 1 1 h e i m angewandten Pudendusanästhesie oder mit
Bemühungen, durch Injektionen an die Portio oder in die Zer¬
vix für kleine Eingriffe das Operationsgebiet empfindungslos
zu machen. Es ist genügend bekannt, dass das relativ leicht
gelingt.
Der Vorteil solcher Methoden ist nun aber bei aller
Würdigung jeden Versuches zur Ausschaltung überflüssiger
Narkosen immerhin ein verhältnismässig bescheidener, da
gerade die bei Abortausschabungen, Kürettierungen, Polypen¬
entfernungen, Portioplastiken etc. notwendigen Narkosen recht
kurz sein können und schon deshalb keine allzugrosse Gefahr
für die Kranke mit sich bringen. Vorzüglich bewährt haben
sich mir die kurzen Narkosen mit Aethylchlorid. Anders ist
das bei Eingriffen von grösserer Schwierigkeit und längerer
Dauer, bei denen die Schädigungen einer langen und tiefen
Narkose, selbst bei der ausschliesslichen Anwendung von
Aether, das Risiko des an sich gefährlicheren Eingriffes be¬
trächtlich erhöhen. Methoden der Lokalanästhesie sind um so
segensreicher, je schwerere und räumlich ausgedehntere
Operationen mit ihnen ausgeführt werden können. Mit Hilfe
der örtlichen Anästhesie dehnt sich das Indikationsgebiet
mancher Eingriffe aus, mit ihrer Hilfe werden herunter¬
gekommene Kranke operabel, bei denen man eine Narkose
von einer Stunde und mehr nicht gern riskiert hätte. Was das
bedeuten kann, ersieht man einfach schon dann, wenn man
sich überlegt, in was für einem Allgemeinzustand oft genug
Frauen mit Uteruskarzinom zur Operation kommen, ohne dass
der örtliche Befund eine Radikaloperation aussichtslos er¬
scheinen Hesse. Freilich gelingt es in solchen Fällen hier und
da, durch entsprechende Krankenhauspflege den Allgemein¬
zustand auf ein, die Operation ermöglichendes Niveau zu
heben, aber das betrifft doch nur einen geringen Teil der
Kranken. In den meisten Teilen bringt eine rationelle Er¬
nährungstherapie wohl eine Gewichtszunahme, während der
Jas Karzinom weitere Fortschritte macht und lokal inoperabel
wird; oder aber es wächst trotz aller Bemühungen die
Kachexie (oft nur die Folge der Jauchung und der an¬
dauernden Blutverluste).
1 ) Vaginale Operationen in parametraner Lcitungsanästhesie.
.Dissertation Leipzig 1914.
Nr. 51.
Ganz allgemein gesprochen kann es doch wohl keinem
Zweifel unterliegen, dass unter sonst gleichen Umständen eine
in Lokalanästhesie ausgeführte Operation geringere Gefahren¬
chancen in sich trägt, als wenn sie unter Narkose vor sich
geht. Seit der Einführung des Novokains in die Lokal¬
anästhesie sind Intoxikationen mit dem Anästhetikum so
ausserordentlich selten geworden, dass man wohl von der
völligen Unschädlichkeit der Anästhesie als solcher sprechen
kann.
Der Vorteil einer Methode, die erlaubt, in örtlicher An¬
ästhesie Exstirpationen des Uterus, vaginale Myotomien,
Vagini- und Vesizifikationen etc. auszuführen, liegt wohl auf
der Hand.
Seit meiner ersten Veröffentlichung in dieser Angelegen¬
heit2) der ich zwei in parametraner Leitungsanästhesie aus¬
geführte Uterusexstirpationen aafügen konnte, habe ich nun¬
mehr weitere 17 solcher Eingriffe ausführen können, so dass
ich zurzeit über 19 mit dieser Anästhesie ausgeführte Total¬
exstirpationen verfüge. Dazu kommen 3 Eingriffe wegen
fixierter Retroflexio, bei deren zweien ich die Fixation des
Uterus an dem Blasenperitoneum machte, während der 3. Fall
mit einer Vaginifixation behandelt wurde.
Die während dieser Zeit an dem genannten Material ge¬
sammelten Erfahrungen haben insofern einen Nutzen für die
Methode erbracht, als sie eine Anzahl wesentlicher Verein¬
fachungen erfahren konnte.
Das Wesentliche der Methode ist die Injektion einer ge¬
nügend grossen Menge 1—2 proz. Novokains, dem auf 100 ccm
5 Tropfen 1 prom. Suprareninlösung zugesetzt wurden, in das
parametrane Gewebe. Das geschieht mit einer genügend
langen Rekordnadel, die rechts und links vom Uterus am
höchsten Punkt des Scheidengewölbes in einer etwas nach
aussen von der Uterusachse abweichenden Richtung ein¬
gestochen wird. Die Nadel soll etwa der lateralen Uterus¬
kante parallel im parametranen Gewebe stecken, muss deshalb
bei Retroflexio oder Gestaltsveränderungen des Uterus ent¬
sprechend anders gerichtet werden. Sie wird zunächst ohne
Spritze, langsam, je nach der Grösse des Uterus 5 — 7 cm ein¬
gestochen, wobei man darauf achtet, ob aus dem Konus Blut
ausläuft. Bei genügender Vorsicht beim Einstechen passiert
das so gut wie nie, da die Venen des Parametriums der lang¬
sam eingestochenen Nadel ausweichen, wenn nämlich nicht
das parametrane Gewebe etwa entzündlich infiltriert ist und
hierdurch die Gefässe ihre Verschieblichkeit eingebüsst haben.
In solchen Fällen ist deshalb vorläufig von mir auf die An¬
wendung der Lokalanästhesie verzichtet worden, da ich nicht
riskieren wollte, das Anästhetikum direkt in die Blutbahn ein¬
zuspritzen. Bei entzündlichen Infiltraten grösseren Umfanges
fürchtete ich eine mögliche Verschleppung von Keimen aus dem
Parametrium, endlich aber würde ja wohl auch die Anaesthesie
ausbleiben.
Läuft aber wirklich einmal aus der Nadel Blut aus, so
braucht man damit noch nicht auf die Anästhesie zu verzichten.
Man zieht die Nadel einfach ein wenig zurück und schiebt sie
in ein wenig geänderter Richtung wieder vor, bis sie die not¬
wendige Tiefe erreicht hat. Erst wenn das geschehen ist, setzt
man die 10 ccm-Rekordspritze auf den Konus der Nadel auf
und injiziert unter langsamem Zurückziehen der Nadel den In¬
halt der Spritze. Handelt es sich um einen besonders grossen
Uterus, wie z. B. in einem meiner Fälle, in dem ein klein¬
faustgrosses Myom vorlag, so muss man entsprechend mehr
s) Lokalanästhesie in der Gynäkologie. Zbl. f. Gyn. 1912 Nr. 18.
1
2402
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5
cinspritzen. Ich habe in diesem Fall jederseits 15 ccm 2 proz.
Novokainlösung injiziert, mit dem Erfolg einer sehr guten An¬
ästhesie. In einzelnen Fällen, bei kurzem Uterus, bin ich jedoch
auch mit weniger, 6 ccm jederseits, ausgekommen.
Mit diesen beiden Injektionen, je einer auf beiden Seiten,
ist die Anästhesierung gewährleistet. Und zwar tritt sie 20 bis
25 Minuten nach erfolgter Injektion in vollem Umfange ein.
Zuerst wird die Portio, dann das ganze Scheidengewölbe, dann
der Blasengrund, zuletzt werden die Adnexe, das Corpus
uteri und ein Teil des Mastdarms anästhetisch. Nicht von der
Anästhesie betroffen wird der Scheideneingang mit Klitoris,
die Vulva und der Anus. Immerhin scheint die Anästhesie
auch auf einen kleinen Teil des Gebietes des Pudendus über¬
zugreifen, nämlich auf den von ihm versorgten Teil der
Scheidentiefe.
In meinen ersten beiden Fällen, wie auch in einem kleinen
Teil der späteren hatte ich eine Portion des Anästhetikums mit
einem Katheter in die Blase injiziert. Das hat sich als über¬
flüssig erwiesen. Ebenso unnötig ist eine besondere Anästhe¬
sierung der Vagina, zu der ich im Anfang eine Auspuderung
derselben mit dem sonst sehr wirksamen Schleimhau t-
anästhetikum Zykloform empfahl. Wie ich schon gesagt habe,
wird durch die parametranen Injektionen die obere Hälfte der
Vagina völlig, ein Teil der unteren Hälfte jedenfalls minder
empfindlich, was für die Eingriffe am Uterus vollkommen aus¬
reicht. Den ruhigen Druck der Scheidenspekula vertragen die
Kranken sehr gut. Freilich muss man sich stets daran er¬
innern, wie weit das anästhetische Gebiet reicht, um nicht
durch unmotiviertes Kneifen der Klitoris oder Quetschen der
Labien den Frauen Schmerzen zu bereiten. Das ist ja schliess¬
lich keine übermässige Reserve, die man sich so auferlegen
muss.
Endlich habe ich bei meinen ersten Versuchen den para¬
metranen Injektionen noch solche in das Gewebe zwischen
Uterus und Blase sowie in die Submukosa des hinteren
Scheidengewölbes hinzugefügt. Auch diese Injektionen sind an
sich überflüssig. Man kann sie aber anbringen, wenn man
den Beginn des Eingriffes beschleunigen will, da, wie oben
erwähnt, der Blasengrund und der Mastdarm später unemp¬
findlich werden, als Portio und Zervix. M i t diesen Hilfs¬
injektionen (zwischen Uterus und Blase an zwei bis drei
Stellen je 1 — 2 ccm 1 — 2 cm tief, unter die hintere Scheiden¬
gewölbeschleimhaut einige Kubikzentimeter ganz oberfläch¬
lich) kann man die Operation meist nach lA Stunde, ohne
s i c nach 20—25 Minuten beginnen. Vor Beginn des Ein¬
griffes empfiehlt es sich jedoch jedesmal, sich von dem Ein¬
tritt der Anästhesie durch Zwicken der Portio oder der
höheren Vaginalschleimhaut zu überzeugen. Denn die bis zum
Eintritt der Anästhesie verstreichende Zeit ist individuell und
endlich gibt es auch Versager, wie mir ein Fall bewies, auf
den ich weiter unten komme.
Die Dauer der Anästhesie ist eine ziemlich erhebliche. In
einem Falle hatte ich die parametranen Injektionen ausgeführt,
konnte aber aus äusseren Gründen erst 1 % Stunden später
mit dem Eingriff beginnen. Er wurde trotzdem in völliger
Anästhesie zu Ende geführt, obwohl die Exstirpation des
Uterus wegen bestehender Verwachsungen mit dem Rektum
fast eine Stunde dauerte.
Mit der geschilderten Methode habe ich bis jetzt aus¬
geführt:
10 vaginale Totalexstirpationen wegen Zervixkarzinoms,
2 vaginale Totalexstirpationen wegen Totalprolaps mit Vesiko-
und Rektozele,
3 vaginale Totalexstirpationen wegen blutender Metritis chronica,
1 vaginale Totalexstirpation wegen interstitiellen Myoms,
1 vaginale Totalexstirpation wegen alter Uterusperforation,
2 vaginale Totalexstirpationen wegen Korpuskarzinoms,
2 Vesizifixationen.
1 Vaginifixation, alle drei mit starken Verwachsungen am Rektum.
Im Ganzen also 22 Operationen, bei denen ausgedehntere Mani¬
pulationen am Uterus und den Adnexen, zum Teil an der Blase und
am Mastdarm, teilweise auch derber Zug und kräftige Gewaltanwen¬
dung notwendig waren.
In 21 von den 22 Fällen war die Anästhesie während des ganzen
Eingriffes vollkommen ausreichend, in 14 Fällen war sie absolut,
worunter ich verstehe, dass die Frauen auf mehrfaches eindringliches
Befragen während uftd nach dem Eingriff erklärten, sie hätten keiner¬
lei Schmerzen gehabt, oder unangenehme Sensationen im Operations¬
gebiet. und auch sonst durch ihr Verhalten auf dem Operation
tisch dem entsprachen. In 6 Fällen klagten die Frauen üb<
Schmerzen bei bestimmten Handgriffen, fast stets nur bei Ligatur d<
Tuben oder bei der Ligatur des Lig. latum. Während der Oper;
tionen lag stets die Narkosemaske bereit, brauchte aber in diesi
6 Fällen nicht benutzt zu werden. Ich hätte es sofort angeordne
wenn ich den Eindruck gehabt hätte, es beständen wirklich nennen:
werte Schmerzen oder wenn die Frauen Abwehrbewegungen gi
macht hätten, die Unruhe oder Störung in den Ablauf des Eingrifft
gebracht hätten. Es ist möglich, dass die Gleichartigkeit der Klagt
dieser 6 Frauen durch Mängel der Methode zu erklären sind, k
glaube aber, dass es meist an der Injektionstechnik lag, in der A
etwa, dass die Injektion ins Parametrium nicht hoch genug nach de
kleinen Becken zu appliziert wurde, dass also die Nadel nicht ti
genug eingestochen und nicht lateral genug gerichtet war. Immerh
waren auch bei diesen 6 Eingriffen die anwesenden Kollegen ste
überrascht, wie gut sich ohne Narkose operieren Hess. Keiner vq
ihnen hatte je den Eindruck, dass die Frauen gequält wurden. Urj
ich registriere diese Unvollkommenheiten der Anästhesie auch nti
um über diesen Punkt vollständig zu sein.
Sämtliche Kranken bekamen am Abend vor dem Eingriff V>,
Vcronal, 1 Stunde vor vermutlichem Beginn des Eingriffes 0,01
Morphium subkutan, kein weiteres Medikament. In einem Falle,
dem es sich um eine sehr ausgeblutete, sehr aufgeregte Frau nt
Korpuskarzinom handelte, habe ich- Vs mg Skopolamin mit der Mo
phiuminjektion gegeben, was vielleicht der Anlass zu einem pos
operativen mittelschweren Kollaps war, dem einzigen unter alle
Fällen.
Sämtliche Frauen bekamen am Morgen des Operationstage
etwa 3 Stunden vor dem Eingriff, ihr gewohntes erstes Frühstüc;
In einem Falle, dem einer 53 jährigen, sehr ausgebluteten, dekn
piden Frau, bei der sich an der Portio eines myomatösen Uteri
ein ulzeriertes Karzinom fand, das auf die Scheide übergegriffen hat!
erlebte ich einen Versager der Methode. Es war nicht etwa d(
erste der in Leitungsanästhesie operierten Fälle, so dass m;
denken könnte, dass ich noch nicht genügend in den Injektionen geiii
gewesen sei, sondern der 8 der ganzen Reihe. Ich hatte ln Jede
Paiametrium je 10 ccm 10 proz. Novokain mit etwas Suprarenin eii
gespritzt und sowohl im vorderen als dem hinteren Scheidengewüll
je 2 Depots mit je 3 ccm derselben Lösung angelegt. Eine hall
Stunde darauf wurde der Eingriff begonnen. Zunächst (vordei
Köliotomie, Abschieben der Blase, Einsetzen des vorderen Spekulun
in die Bauchhöhle, Einschieben der langen nassen Schutzkompressi
ging alles völlig empfindungslos. Als ich aber versuchte, den faus
grossen Uterus nach vorne umzukippen und vor die Vulva zu ziehe
begann die Kranke zu jammern und zu klagen. Freilich musste ic
um den grossen Uterus vorzuwälzen, recht erhebliche Gewalt at
wenden. Nach ein paar kurzen Versuchen gab ich Narkose, in dt
dann der Eingriff zu Ende geführt wurde.
Der anatomische Befund war aber sicher nicht allein Schu
an dem Versagen der Anästhesie. Unter den Fällen, bei denen s
ausgezeichnet verlief, waren mehrere mit ganz ähnlichen Schwierig
keiten. Wir erleben bekanntlich hier und da Fälle, in denen auch ;
anderen Körperteilen, z. B. gelegentlich einer Herniotomie, ohne e
sichtliche Ursache die Anästhesie trotz sachgemässer Injektion au
bleibt. Ich fand einmal diesen Mangel bei einem sehr verständigt
15 jährigen Mädchen, der ich eine kleine Geschwulst am Fingt
in Oberstscher Anästhesie entfernen wollte und bei der ich kur/
Zeit hintereinander 3 mal je 4, an jede Fingerkannte 1 ccm 2 pro
Novokain einspritzte, ohne auch nur die geringste Herabsetzung dt
Schmerz- und Tastempfindung zu erzielen. Als ich die Mutter dai
um Bewilligung der Narkoseerlaubnis bat, erinnerte sie mich dara
dass ich 2 Jahre vorher mit ihr bei einer Lipomexstirpation gen2
denselben völligen Misserfolg gehabt hatte. Es gibt also doch wo
Individuen, auf die das Novokain nicht so wirkt, wie es soll, wom
ich beileibe nicht etwa die Möglichkeit und genügende Häufigkd
technischer Fehler bei Lokalanästhesien aller Art leugnen will.
Dass man mit der parametranen Leitungsanästhesie auo
ganz komplizierten Verhältnissen zu Leibe gehen kann, wer
nur eben nicht ausgedehnte entzündliche Infiltrate der Par;
metrien oder Tubeneiterungen etc. die Methode von von
herein als unzweckmässig erscheinen lassen, geht aus folgei
dem Fall hervor.
Bei der 30 jährigen Frau N. war ein Jahr vor dem diesmalig^
Kiankenhausaufenthalt gelegentlich einer Abortausräumung von de;
Hausarzt der Uterus perforiert worden, woran sich eine schwer
Peritonitis schloss. Im Krankenhaus Eröffnung eines Abszesses voi
Scheidengewölbe aus. Heilung. Nach einem Vierteljahr erneut
Krankenhausaufnahme mit inkomplettem Darmverschluss. Lapan
tomie. Ablösung einer Dünndarmschlinge vom Uterus. Seit-zu-Sei
Anastomose. Heilung. Jetzt, ein Vierteljahr nach ihrer Entlassun:
kommt sie wieder mit einem neuen Abort, sehr stark ausgeblutet. Si
wird ausgeräumt, wobei der Assistenzarzt erklärt, er fürchte, i
habe den Uterus von neuem perforiert. In der Tat hatte die Fra
wiederum eine Perforation, aber wie sich nachher herausstellte, a
derselben Stelle, wie damals. Eine gynäkologische Laparotomie c:
schien mir wegen des sehr schlechten Allgemeinzustandes nicht möi
lieh, obwohl sehr wünschenswert, da auch die Frau mittlerweile rccl
2403
22. Dezember 1014. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE W< )CHENSCHRIF I .
operationsängstlich geworden war. Deshalb versuchte ich die An¬
ästhesierung von unten, mit vollem Erfolg. Nichts als je 10 ccm
2 proz. Novokainlösutlg in jedes Parametrium, je 7 cm tief. Der
Uterus, dem dritten Graviditätsmonat entsprechend vergrössert, sehr
blutreich, ist in seiner ganzen Peritonealfläche mit Netz und Dünn¬
därmen mehr oder weniger fest verwachsen. An seiner rechten
Tubenecke, der Stelle der alten Perforation, ist eine Dünndarm¬
schlinge nur scharf von ihm zu lösen. Hier befindet sich ein in
Granulationen eingebettetes kleines Eiterdepot. Beim Vorziehen
der Darmschlinge zu genauerer Revision äussert die Kranke die uns
von Laparotomien her bekannten „Magenschmerzen“, die auf Zug
am Mesenterium zurückzuführen sind, und in diesem Falle nur sehr
leicht auftraten, da auch die Schlinge nach Uebernähung der ent¬
zündeten Stelle gleich wieder zurückgeschoben werden konnte. Im
übrigen verlief die Uterusexstirpation in guter Anästhesie ohne Zwi¬
schenfall und führte zu völliger Genesung der vielgeplagten Frau.
Der Uterus zeigte einen dünnen, von seinem Kavum zu der Adhäsions¬
stelle an der rechten Tubenecke verlaufenden, eitererfüllten Kanal,
der sicher nicht von der letzten mit dem Finger, sondern von der
ersten instrumenteil ausgeftihrten Ausschabung herrührte.
Diesem Fall möchte ich noch kurz einen anderen, der die
Ausbreitung der Anästhesie illustriert, anschliessen.
Es bestand eine stark fixierte Retroflexio. Die Anästhesie be¬
schränkte sich nach den berichteten Veronal- bzw. Morphiumgaben
auf je eine Injektion rechts und links vom Uterus mit je 6 ccm 2 proz.
Novokainlösung. Nach 25 Minuten war die Anästhesie vollkommen.
Bei der Eröffnung der Bauchhöhle im vorderen Scheidengewölbe
passierte es nun, dass ich mich plötzlich mit meinem Finger in der
eröffneten Blase befand. Weder bei dieser unfreiwilligen vaginalen
Zystotomie, noch bei der folgenden Blasennaht empfand die Kranke
irgend etwas von den an der Blasenwand notwendigen Manipula¬
tionen. Auch liess sich in diesem, wie in den anderen Fällen, in
denen Verwachsungen des Uterus mit dem Rektum getrennt werden
mussten, der beim Vorwälzen des Uterus notwendige Zug an den
Adhäsionen vor ihrer Durchtrennung ohne jeden Schmerz ausführen.
Daraus glaube ich schliessen zu können, dass in den meisten
Fällen das in das Parametrium eingespritzte Anästhetikum nach vorn
und hinten diffundiert und so auch die sakralen Aeste, die der Inner¬
vation der Blase und des Rektums dienen, teilweise unterbricht.
Im Anschluss an die 19 mit parametraner Leitungsanästhesie aus¬
geführten vaginalen Totalexstirpationen erlebte ich einen Todesfall.
Es war das die Frau mit dem myomatösen Uterus. Sie war in
einem so schlechten Zustand, dass ich die sonst meist von mir
ausgeführte abdominelle supravaginale Amputation nicht wagte. Ihrer
Myokarditis wollte ich wo irgend möglich, eine Narkose ersparen.
Der schlechte Verlauf hatte mit der Art der Anästhesie nichts zu
tun, insofern der Exitus an Darmlähmung und Herzinsuffizienz am
6. Tage nach der Operation eintrat. Obwohl noch 2 Tage vor
dem Exitus die Darmfunktion regelmässig war und obwohl die Ob¬
duktion ausser sehr hochgradiger Blähung der Dünndärme im kleinen
Becken nur eine mässige Menge serös-hämorrhagischen Exsudates
ergab, und die Ligaturstümpfe sauber aussahen, glaube ich doch,
dass den Exitus eine operative Peritonitis milder Form verschuldete,
der das schlechte Herz nicht gewachsen war.
Nachteile der Methode habe ich nicht gesehen. Ins¬
besondere keine Zeichen von Intoxikation. Die verwendeten
Mengen des Anästhetikums reichen ja auch bei weitem nicht
an die bei Laparotomien etc. hier und da ohne Schaden ein¬
gespritzten heran. Immerhin wäre es möglich, dass im An¬
schluss an die Injektionen ins Parametrium postoperative
Blasenstörungen ein wenig häufiger sind, als nach in Narkose
bewerkstelligten Eingriffen. Das müsste eine auf ein grösseres
Material sich erstreckende Untersuchung feststellen. Ich kann
darüber um so weniger Aufschluss geben, weil ich seit ge¬
raumer Zeit nach allen Operationen an den weiblichen Geni¬
talien, auch nach gynäkologischen Laparotomien, in die Blase
einen Dauerkatheter für die ersten paar Tage einlege. Bei
seiner Entfernung ist dann meist die Blase in Ordnung. Ich
wollte von dieser mir sehr bewährten Anordnung nicht im
Interesse einer Untersuchung der Blasenfunktion: bei den in
Novokainanästhesie Operierten abgehen.
Störungen des Wundverlaufes sah ich nicht.
Nicht angewandt habe ich die Novokainanästhesie in allen
den Fällen, in denen eine entzündliche Infiltration der Para¬
metrien mich die Möglichkeit einer Keimverschleppung mit der
Spritze fürchten liess. Ferner habe ich natürlich mit der Me¬
thode nur solche Fälle operiert, die ich auch sonst vaginal in
Angriff genommen hätte. Ich habe aber unbedingt mit ihr eine
Anzahl von Kranken operieren können, die eine Narkose nicht
vertragen hätten. Und der angewandten Methode ist es zu
danken, dass mir von den 19 zum Teil sehr heruntergekom¬
menen Frauen nur eine einzige gestorben ist. Einer 3A bis
1 ständigen Narkose wäre mehr als eine erlegen!
18 von den 19 Totalexstirpationen konnten geheilt werden.
Und zwar trat auffallenderweise bei keiner von ihnen eine der
gewöhnlichen postoperativen Komplikationen (Embolie,
Thrombose, Pneumonie, Atonie etc.) auf. Eine Pneumonie er¬
lebte ich dennoch und zwar bei der letzten Frau mit Vesizi-
fixation.
Nach allem Gesagten glaube ich mich berechtigt, die
weitere Anwendung der parametranen Anästhesie für Eingriffe
der geschilderten Art, vor allem aber für die Uterusexstir¬
pationen an elenden, ausgebluteten, kachektischen Frauen
empfehlen zu können. Obwohl die Methode noch durchaus
weiterer Vervollkommnung bedarf, ist sie meines Erachtens
jetzt schon weit genug, um zur Herabsetzung unserer Mor¬
talität und zur Erweiterung «ler operativen Indikationen mit
ins Feld geführt zu werden.
Zum Schluss noch ein paar mir nötig erscheinende Be¬
merkungen allgemeiner Art.
Mit ein wenig Takt und bedachter Fürsorge kann man die
Unannehmlichkeiten des während der Eingriffe vorhandenen
Bewusstseins der Kranken, die bei so manchem Operateur die
Methoden der Lokalanästhesie diskreditieren, leicht aus der
Welt schaffen. Gegen die Unbequemlichkeiten der Lage
auf dem gynäkologischen Tisch (D ö d e r 1 e i n - K r ö n i g)
hilft gute Polsterung, Ausfüllung der Lendenwirbelgegend mit
einem flachen Faktiskissen, vor allem aber Polsterung der
Beinstützen. Sollten die Frauen, was öfter einmal vorkommt,
über Einschlafen eines Beines klagen, so helfen eine leichte Ver¬
änderung der Lage auf dem Beinhalter und ein paar leichte,
von einer Wärterin ausgeführte Massagestriche der Wade.
Ueber mangelnde Entspannung (S t i a s s n y) bei gynäko¬
logischen Operationen habe ich eher bei schlechten Narkosen,
nie aber bei der Lokalanästhesie zu klagen gehabt, selbst nicht
dann, wenn die Frauen, wie das ja in 6 Fällen vorkam, leichte
Schmerzen hatten. Und über die Unheimlichkeit des Milieus
(Stiassny), die Aufregungen des Operationssaalbetriebes etc.
bringt man mit einigen beruhigenden Worten, einer vertrauen¬
erweckenden sicheren Haltung, durch Ruhe im Operations¬
saal, Vermeidung unnötiger dozierender Darlegungen, endlich
— last not least — durch Applikation eines kleinen Watte¬
bausches in die Ohren und eines dichten Mullschleiers auf das
Gesicht die Kranken leicht hinweg. Ich kann mich oft, wenn
ich solche Einwände gegen die Anwendung der Lokal¬
anästhesie von Chirurgen oder Gynäkologen höre, des Eindruckes
nicht erwehren, dass man an ihnen vornehmlich eine Ein¬
schränkung der eigenen Bequemlichkeit perhorresziert. Dieser
Standpunkt ist wahrlich nicht unberechtigt und in jenen Fällen,
in denen die Anwendung der einen oder anderen Art von
Schmerzverhinderung für den Kranken gleichgültig ist, von
ausschlaggebender Bedeutung. In den Fällen aber, bei denen
ein Minimum an schädigenden Einflüssen mehr oder weniger
das Zünglein an der Wage der Prognose zu beeinflussen im¬
stande ist, soll man kein Mittel unversucht lassen, die Chancen
des Kranken zu bessern.
Aus dem pathologischen Institut des Eppendorfer Kranken¬
hauses (Prof. Eug. F r a e n k e 1).
Zur Aetiologie der Endocarditis verrucosa.
Von Dr. Edgar Reye, Sekundärarzt am Institut.
Auf Grund zahlreicher histologischer und experimenteller
Untersuchungen darf wohl heute mit T h o r e 1 als feststehend
angenommen werden, dass es sich bei den gutartigen Formen
der sogen, verrukösen Endokarditis, wo sich kleine oder
grössere, graue oder rötlich-graue Auflagerungen auf den
Klappen bilden, im wesentlichen um Klappenthromben handelt,
die sich aus Blutplättchen oder häufiger aus einem körnigen
resp. homogenen, fibrinarmen Material zusammensetzen und
offenbar auf primäre Schädigungen des endothelialen Klappen¬
überzuges zurückzuführen sind. Welcher Art diese Läsionen
sein müssen und wodurch sie entstehen, hat sich bisher nicht
sicher eruieren lassen.
Bekanntlich gelangt die Endocarditis verrucosa Simplex
bei den allerverschiedensten Erkrankungen zur Beobachtung,
in erster Linie bei Infektionskrankheiten, z. B. bei der Pneu¬
monie, Diphtherie, mit besonderer Vorliebe bei der Polyarthritis
1°
2404
Nr. 51.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
rheumatica und bei der Chorea ininor, ferner aber auch bei
allen möglichen, zur Kachexie führenden, chronischen Er¬
krankungen wie Tuberkulose, chronischer Nephritis, Karzinom,
Lues. Man hat, veranlasst durch die Fortschritte der ätiologi¬
schen Forschungen, versucht, die Endokarditiden überhaupt zu
scheiden in mykotische und amykotische Formen. Zur Gruppe
der mykotischen Formen wären die meist akut verlaufenden,
mit schweren nekrotisierenden oder ulzerösen Prozessen ein¬
hergehenden, malignen Entzündungen des Endokards zu
rechnen, neuerdings auch die von Schottmüller be¬
schriebene Endocarditis lenta, die in anatomischer wie klini¬
scher Beziehung, vor allem durch ihren fast ausnahmslos chro¬
nischen Verlauf, eine gewisse Sonderstellung einnimmt. Zu
den amykotischen Formen sollte vor allem die eingangs cha¬
rakterisierte Endocarditis verrucosa Simplex mit ihren ver¬
schiedenen Verlaufsarten und Endzuständen gehören.
Jedoch lässt sich diese Einteilung nicht durchführen.
Freilich gibt es eine Reihe von Autoren, die- die my¬
kotische Natur der Endocarditis verrucosa ablehnen und
dieselbe als das Produkt toxischer Vorgänge erklären.
Auf der anderen Seite werden aber immer mehr Stimmen
laut, dass auch die Endocarditis verrucosa bakteriellen
Ursprungs sei respektive sein müsse. Schon im Jahre
1887 haben sich Eug. Fraenkel und A. Saenger
dahin ausgesprochen, dass eine jede verruköse Endokarditis
durch Bakterien hervorgerufen werde und dass die Fälle mit
negativem Resultat darauf beruhten, dass die Mikroben ab¬
gestorben seien. Einen bestimmten Erreger der Endocarditis
verrucosa konnten die genannten Autoren freilich nicht fest¬
stellen und so ist es auch vielen Untersuchern späterhin er¬
gangen. Von zahlreichen Autoren — ich nenne nur Rosen¬
bach, Bartel, Saltykow, Kämmerer und Weg-
ner — sind Mikroben gefunden worden, aber von keinem
Untersucher regelmässig in jedem Falle und dann keineswegs
immer ein- und derselbe Mikroorganismus, Es wurden die
verschiedensten Stäbchen und Kokken, Diplokokken, Strepto¬
kokken, Gram-positive oder Gram-negative nachgewiesen
und als Erreger der in Rede stehenden Erkrankung an¬
gesprochen.
Bei diesen verschiedenen Befunden und den einander
widersprechenden Ansichten ist es eigentlich nicht verwunder¬
lich, dass die Auffassung von der mykotischen Natur der Endo¬
carditis verrucosa noch keine allgemeine Anhängerschaft ge¬
funden hat.
Die heute bestehende Anschauung über die Endocarditis
verrucosa, wie sie also auch z. B. von A s c h o f f und Kauf¬
mann in ihren bekannten Lehrbüchern interpretiert wird,
ist denn auch die, dass die genannte Herzklappenerkrankung
durch infektiöse oder toxische Stoffe erzeugt wird. Ein be¬
stimmter Erreger derselben ist zurzeit nicht bekannt.
Nur für eine Klasse der verrukösen Endokarditis, für die
Endocarditis rheumatica, die meines Erachtens, wie auch
K ö n i g e r annimmt, anatomisch durchaus denselben Prozess
darstellt wie die Endocarditis verrucosa bei anderen Allge¬
meinerkrankungen, ist man heute schon immer mehr geneigt,
einen bestimmten Erreger anzunehmen. So sind es in letzter
Zeit namentlich englische Forscher (Poynton und Paine),
die in einer grossen Monographie dargetan haben, dass für die
Endocarditis rheumatica (auch für die übrigen charakteristi¬
schen Veränderungen, die bei der Polyarthritis rheumatica auf-
treten!), ein und derselbe, den Streptokokken sehr nahe ver¬
wandter, Diplokokkus in ätiologischer Hinsicht in Frage komme.
Allerdings sagen die Autoren ausdrücklich, dass sie in den
endokarditischen Auflagerungen nur dann die Diplokokken ge¬
funden hätten, wenn der Prozess ein bösartiger gewesen sei.
Um über die Endocarditis verrucosa in ätiologischer Be¬
ziehung ins Klare zu kommen, habe ich schon Ende des vorigen
Jahres im pathologischen Institut des Eppendorfer Kranken¬
hauses mit entsprechenden, zunächst histologischen Unter¬
suchungen begonnen und dieselben bis jetzthin systematisch
fortgesetzt. Ich habe jede vorkommende verruköse Endo¬
karditis untersucht, Fälle von der feinsten, eben sichtbaren
Exkreszenz bis zur ältesten, weit fortgeschrittenen, rekur¬
rierenden Endokarditis, bei der es schon zu fibrösen, retra-
hierenden Prozessen und Kalkablagerungen gekommen war.
Im ganzen habe ich 23 Fälle untersucht und bei allen
diesen — das möchte ich voranstellen — regelmässig ohne Aus¬
nahme den gleichen eindeutigen Befund erheben können.
Die untersuchten Fälle sind kurz skizziert folgende:
1. S.-Nr. 2041/1913.
K., männl., 24 J.
K 1 i n. : F r i s c h e P o-
lyarthritis rheuma¬
tica. Frische Endo- und
Perikarditis. Tod an zu¬
nehmend. Herzschwäche.
Blut steril.
Patholog.-anatom.:
Pericarditis serofibrinosa.
Endocarditis recens
verrucosa mitralis,
tricuspidalis, aorti-
ca. Dilatatiocordis
ventriculi sin.
An Mitral-, Tricuspi-
dal- und Aortenklappen
zarte, girlandenartig an¬
geordnete, rötliche, fein¬
höckerige Exkreszenzen.
Leichenblut steril.
Mikroskop.: Das
Klappengewebe geht an
der Stelle der Auflagerung
unter Kräuselung der ela¬
stischen Elemente und
starker Proliferation des
Zellen über in ein amor¬
phes Gewebe, dem frisches
thrombotisches, stellen¬
weise sehr kernreiches
Gewebe angelagert ist.
Sowohl in, diesem, wie an
der Basis der Auflagerung
ganz vereinzelt ein Gram¬
positiver Diplokokkus (s.
Abbildung 1 und 2).
2. S..-Nr. 2239/13. A„ «uu.,, ^ „.
K 1 i n. : Keine Herzkrankheiten, kein Gelenkrheumatismus in der
Anamnese. An Lungen - und Darmtuberkulose gestorben.
Patholog.-anatom.: Tuberculosis pulmonum cum vomicis
apicis sin. Endocarditis verrucosa recurrens valvu-
lae aorticae et mitralis. Ulcera tuberculosa laryngis et in-
testini tenuis et crassi.
Aortenklappen verdickt, miteinander verwachsen und mit hanf¬
korngrossen, mässig derben, feinhöckerigen Auflagerungen versehen.
Am Schliessungsrand der Mitralklappen feinste, weiche, rötlich-graue
Exkreszenzen. Sehnenfäden verdickt.
Leichenblut steril.
Mikroskop.: Entsprechend der sehr kleinen Exkreszer.z findet
sich das Endokard leicht verdickt. Darauf wie ein kleiner Bürzel
amorphes, stellenweise feinkörniges Material, an der Oberfläche von
kleinen Haufen roter Blutkörperchen bedeckt. Inmitten des amorphen
Materials vereinzelte Gram-positive Diplokokken.
3. S.-Nr. 2274/13. St., weibl., 12 J.
K 1 i n. : Im Anschluss an eine Angina akute Polyarthritis
mit Endo- und Perikarditis. Verlauf in 3 Wochen mit hohem Fieber.
Tod an zunehmender Herzschwäche. Blut mehrfach steril.
Patholog.-anatom.: Carditis rheumatica. Pleu¬
ritis exsudat. duplex.
An den Mitralklappen nahe dem Schliessungsrand zahlreiche sub¬
miliare bis hirsekorngrosse, girlandenförmig angeordnete, graugelb¬
liche, festsitzende, derbe Exkreszenzen. An den Aortenklappen die
gleichen Veränderungen. Leichenblut steril.
Mikroskop.: Nur ganz oberflächliche Schädigung des Endo¬
kards. Starke Zellproliferation. Darauf amorphes Material mit fri¬
schen thrombotischen Niederschlägen besetzt. An der Grenze von
amorphem Gewebe und proliferierendem Klappengewebe vereinzelte,
Gram-positive Diplokokken.
4. S.-Nr. 2431/13. v. S., männl., 60 J.
Klin.: Vor 20 Jahren Gelenkrheumatismus. Seit¬
dem oft Erkältungen und Herzbeschwerden. Seit lA Jahr geschwol¬
lene Beine. Kurzatmigkeit. — Herzverbreiterung nach links. Systo¬
lisches Geräusch über der Aorta. Kleiner unregelmässiger Puls.
Langsam an Herzschwäche zugrunde gegangen. Kein Fieber.
Patholog.-anatom.: Endocarditis inveterata
calcificans et recens verrucosa subsequente i n -
sufficientia et stenosi valvulae Aorta e. Hypertrophia
ventriculi sin. cord. Emphysema et Induratio rubra pulmonum.
Stauungsorgane. Multiple Nierenzysten.
Aortenklappen stark verdickt, hart, miteinander verwachsen.
Am Schliessungsrand warzige, grau-weisse Auflagerungen, steinhart.
Dazwischen kleinste, fleischfarbene Wärzchen von weicher Kon¬
sistenz. Leichenblut steril.
a = Sitz der Kokken.
Abbildung 1. Schwache Vergrösserung.
Abbildung 2. Starke Vergrösserung.
22. Dezember 1914. _ MUF/NCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2405
Mikroskop.: Aortenklappen schwer verändert, zum grössten
Teil aus schwieligem Gewebe mit Kalkeinlagerungen bestehend. An
der Oberfläche kleine Auflagerungen von teils amorphem teils fein¬
körnigem Material, hier und da einige Zellen enthaltend. In den
feinen Auflagerungen, in der Nähe der Zellen ganz spärliche Gram¬
positive Diplokokken.
5. S.-Nr. 2445/13. Sch., männl., 35 J.
KI in.: 1907, 1909 Gelenkrheumatismus, vor 5 Mo¬
naten wieder. Seitdem zunehmende Stauungserscheinungen.
Herz o. B. Nieren- und Darmamyloid. Lungentuberkulose.
Patholog. -anatom.: Tuberculosis apicis pulmonum. Hydro-
thorax duplex. Endocarditis verrucosa mitralis.
Thrombi parietales ventric. dext. subsequente embolia arter. pul¬
monal. Ulcera tbc. intestini. Peritonitis tbc. Amyloidosis renum,
hepatis, lienis, glandular. suprarenalium. Nephritis parenchymatosa.
An den verdickten Mitralsegeln, nahe dem freien Rand, feine,
graurote, festsitzende Exkreszenzen. Leichenblut steril.
Mikroskop.: Entsprechend den Exkreszenzen starke Proli¬
feration der Klappengewebszellen, zahlreiche Pigmentschollen. Die
Auflagerung besteht aus nur ganz wenig Kerne enthaltendem, struk¬
turlosem Material. In diesem, ziemlich nahe der Oberfläche, ver¬
einzelte Exemplare (bei Durchmusterung von 11 Präparaten 2) von
Gram-positiven Diplokokken.
6. S.-Nr. 2512/13. K., männl., 18 J.
Klin.: Aufgenommen 10. XI. 13. Gestorben 20. XII. 13. Akut
erkrankt^ mit hohem Fieber. Multiple Gelenkschwel¬
lungen. Systolisches Geräusch am Herzen. Blut mehrfach steril.
Pleuritis links. Perikarditis. Unter zunehmender Dyspnoe und Herz¬
schwäche Exitus letalis.
Patholog. -anatom.: Arthritis serosa multiplex. Perikardi¬
tis fibrinosa. Myocarditis acuta. Endocarditis verrucosa
recens valvulae mitralis, tricuspidalis, pulmo¬
nal i s, aorticae. Dilatatio ventriculi sin. Nephritis parenchyma¬
tosa.
Auf allen 4 Klappen, besonders reichlich auf den Aortenklappen,
girlandenartig angeordnet, rötlich-graue Wärzchen in grosser Zahl.
Auch an den Sehnenfäden der Mitralis streusandähnliche Auflage¬
rungen. Leichenblut steril.
Mikroskop.: Wucherung der Zellen des Endokards, darauf
eine dünne Lage von homogenem Gewebe, welchem frisches throm¬
botisches Material aufsitzt. In allen 3 Schichten hin und wieder ein
Gram-positiver Diplokokkus.
7. S.-Nr. 2580/13. L„ weibl., 77 J.
Klin.: Niemals Herzerscheinungen. An Magenkarzinom
und Folgeerscheinungen gestorben.
Patholog. - anatom.: Carcinoma ventriculi subsequentibus
metastasibus pleurae, peritonei, hepatis. Endocarditis verru¬
cosa recens valvulae mitralis. Arteriosclerosis gravis.
Infarct. multipl. renum. Bronchopneumoniae.
Auf dem Schliessungsrand der Mitralis winzige warzige, grau-
weisse Auflagerungen. Leichenblut steril.
Mikroskop.: Entsprechend den sehr kleinen Exkreszenzen
findet sich eine Unterbrechung des Endokards und statt dessen, wie
ein kleiner flacher Höcker, amorphes Material, das nur an einem
kleinen Bezirk der Oberfläche einige Kerne und etwas Pigment er¬
kennen lässt. Daselbst ganz vereinzelt ein Gram-positiver Diplo¬
kokkus.
-8) S.-Nr. 1/14. C., männl., 11 .1,
Sitz der Kokken.
Klin.: Seit langer Zeit wegen Knochen- und Lungen¬
tuberkulose in stationärer Behandlung. Niemals Erscheinungen
von seiten des Herzens. Schwerer Dekubitus.
Patholog. -anatom.: Spondylitis tuberculosa. Peripachy-
meningitis spinalis caseosa. Myelomalacia circumscripta c cotn-
pressione. Tuberculosis apicis pulmonis utriusque. Decubitus pör-
gravis. Abscessus renum. En¬
docarditis recens verru¬
cosa valvulae mitralis.
Am Schliessungsrand der
Mitralis, dicht aneinander gereiht,
bis hirsekorngrosse, rötliche, fein¬
höckerige, ziemlich weiche Ex¬
kreszenzen.
Leichenblut durchsetzt von
Proteus vulgaris.
Mikroskop.: Auf einer,
eine erhebliche Zellproliferation
darbietenden Verdickung des
Endokards sitzen fast völlig kern¬
lose, homogene Massen, zum Teil
gestielt. An der Grenze zum
Endokard ganz vereinzelte Gram¬
positive Diplokokken (s. Abb. 3
und 4.).
9. S.-Nr. 48/14. E., männl., 25 J.
Klin.: Behandelt an Lungen - und Kehlkopftuberku¬
lose. Niemals herzleidend.
Patholog. -anatom.: Tuberculosis pulmonum cum vomicis.
Ulcera tuberculosa pharyngis, laryngis, intestini tenuis et crassi.
Endocarditis verrucosa recens valvulae mitralis.
Am Schliessungsrand der Mitralis an 3 verschiedenen Stellen
kleinste, rötliche, warzige Auflagerungen. Leichenblut steril.
Mikroskop.: Die winzigen Wärzchen bestehen im wesent¬
lichen aus proliferierenden Klappengewebszellen, dazwischen etwas
amorphes Material und Pigment. Inmitten der Auflagerungen in sehr
geringer Zahl Gram-positive Diplokokken.
10. S.-Nr. 57/14. Sch., männl., 78 J.
Klin.: Niemals Rheumatismus, niemals Herzbeschwerden. Hoch¬
gradige Arteriosklerose. Lungentuberkulose. Kein Fieber.
Patholog. - anatom.: Myodegeneratio cordis adiposa.
Endocarditis valvulae aorticae et mitralis ver¬
rucosa recens. Arteriosclerosis universalis. Tuberculosis pul¬
monum. Perisplenitis chron. fibrosa. Renes granulati.
An Aorten- und Mitralklappen bis hirsekorngrosse, rötlich-gelbe,
feinhöckerige Exkreszenzen von zäher Beschaffenheit.
Leichenblut steril.
Mikroskop.: Entsprechend den Auflagerungen ist der normale
Endokardüberzug unterbrochen; daselbst wenige proliferierende Zel¬
len, Pigmentschollen und amorphes, zum Teil wie zersplittert aus¬
sehendes Material. In diesem ganz vereinzelte Gram-positive Diplo¬
kokken.
11. S.-Nr. 80/14. T„ weibl., 45 J.
Klin.: Niemals Rheumatismus, niemals Herzbeschwerden. Seit
1909 lungenleidend. Cor klinisch o. B. An Lungenschwind¬
sucht gestorben.
Patholog. - anatom.: Myodegeneratio cordis adiposa. Peri-
carditis fibrinosa. Endokarditis valvulae mitralis re¬
cens verrucosa. Tuberculosis pulmonum cum vomicis. Emphy-
sema pulmonum. Arteriosclerosis aortae.
An der Mitralis am Schliessungsrand stecknadelkopfgrosse grau-
weissliche, warzige, derbe Exkreszenzen. Leichenblut steril.
Mikroskop.: Fast genau dasselbe Bild wie in Fall 10.
12. S.-Nr. 89/14. K., weibl., 57 J.
Abbildung 5. Schwache Vergrösserung.
Klin.: Niemals Herzerscheinungen. Ausgedehntes K a r z i n o m
in der 1. Ohrgegend. Kachektisch zugrunde gegangen.
Abbildung 4. Starke Vergrösserung.
2406
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 51.
Patholog.-anato in.: Carcinoma cutaneum regionis mastoi-
deae sin. subsequentibus metastasibus lymphoglandularum, lienis,
hcpatis, renum, suprarenum. Endocarditis verrucosa re-
cens mitralis.
Am JSchliessungsrand des
hinteren Mitralsegels eine eben
stecknadelkopfgrosse, weisslich-
rote, trockene, feinhöckerige Auf¬
lagerung.
Leichenblut steril.
Mikroskop: Umschriebene
Verdickung des Endokards. Da¬
rauf, wie ein Polyp, mit einem
dünnen Stiel, fast völlig kernloses,
amorphes Material, dem Blut¬
pigment und rote Blutkörperchen
anliegen. Unter diesen und auch
inmitten des amorphen Materials
. . „ . .. wenige Gram-positive Diplo-
Abbildung'6. Starke'Vergrosserung. kokken (s. Abb. 5 u 6).
13. S.-Nr. 105/14. K., weibl., 57 J.
Kl in.: Moribund eingeliefert mit den Erscheinungen einer Mi¬
tral- und Aorteninsuffizienz. Oedeme. Keine nähere
Anamnese.
Patholog. - anatom.: Endocarditis recurrens
verrucosa valvulae mitralis, tricuspidalis, aorti-
cae. Stenosis valvulae mitralis. tricuspidalis,
a 0 r t i c a e. Stauungserscheinungen. Hydrothorax, Aszites, Ana-
sarka.
Linkes venöses Ostium für die Kuppe des kleinen Fingers, das
rechte für den rechten Zeigefinger durchgängig. An den stark ver¬
dickten,' schwieligen Rändern von Mitralis und Trikuspidalis in rosen¬
kranzartiger Anordnung am Schliessungsrand stecknadelkopf- bis
hirsekorngrosse rötlich-weisse Exkreszenzen. Aortenklappen ver¬
dickt, miteinander verwachsen, mit Kalkeinlagerungen versehen. An
den Kommissuren feinhöckerige, rötliche Auflagerungen.
Leichenblut steril.
Mikroskop.: Wie Fall 4. #
14. S.-Nr. 119/14. K., männl., 65 J.
Klin.: Mit 40 Jahren Gelenkrheumatismus, seitdem
oft „kurzluftig“. Herztöne unrein. Puls irregulär, inäqual. Geschwol¬
lene Eiisse. Exitus letalis erfolgt unter zunehmender Herzschwäche.
Patholog. -anatom.: Endocarditis recurrens
verrucosa valvulae mitralis et tricuspidalis. Dila-
tatio atrii dextri. Hypertrophia ventriculi sin. Myodegeneratio cor-
dis adiposa. Emphysema pulmonum. Laryngitis. Tracheitis, Bron¬
chitis purulenta. Aszites.
An Trikuspidalis und Mitralis feine, warzige Auflagerungen von
bröckliger Beschaffenheit und graugelblicher, teilweise rötlicher
Farbe. Ausserdem alte schwielige Verdickungen der Klappensegel.
Sehnenfäden stark verkürzt, plump. Leichenblut steril.
Mikroskop.: Schwielige Verdickung des Klanpengewebes.
Stellenweise starke Zellproliferation. Namentlich dort Auflagerungen
von amorphem Material. In diesem und an den Stellen der Zell¬
wucherung vereinzelte Gram-positive Diplokokken.
15. S.-Nr. 161/14. H„ männl., 51 .1
Klin.: Moribund aufgenommen. Keine nähere Anamnese.
Patholog. - anatom.: Endocarditis recurrens
verrucosa valvulae mitralis et aorticae. Cor bo¬
vin u m. Myocarditis fibrös a. Emphysema pulmonum.
Arteriosclerosis universalis.
Linkes Ostium venosurn stark stenosiert. Mitralsegel plump, un-
regelmäsig verdickt. Auf dem derben, höckerigen Rand sitzen zahl¬
reiche warzige Auflagerungen von rötlich-grauer Farbe, die sich nicht
wegwischen lassen. Aortenklappen eingerollt, narbig verkürzt, stark
verdickt. Auch hier vereinzelte frische warzige rötliche Auflage¬
rungen. Leichenblut steril.
Mikroskop.- Fast ganz das nämliche Bild wie in Fall 1. Im
Myokard typische Asch off sehe Knötchen.
16. S.-Nr. 172/14. H.. weibl., 25 J.
Klin.: Niemals Herzerscheinungen. Lange Zeit an Lues be¬
handelt. Gestorben unter zerebralen Erscheinungen.
Patholog. - anatom.: Endocarditis verrucosa r e -
cens valvulae aorticae et mitralis. Lymphadenitis et
Perilymphadenitis cervicalis gummosa. Leptomeningitis syphilitica.
Status post exstirpationem lymphoglandularum regionis supraclavicu-
laris sin.
Am Schliessungsrand der 3 Aortenklaopen und an den Mitral¬
segeln finden sich unregelmässig verstreut, fest aufsitzende, bis steck¬
nadelkopfgrosse, feine, warzige Exkreszenzen von weisslicher und
grauroter Farbe. Leichenblut steril.
Mikroskop.: Ganz oberflächliche Schädigung des Endokards
mit mässiger Zellproliferation. Darauf sehr kernarmes, von Lücken
durchzogenes Material. Nahe der Oberfläche, wo die Kerne etwas
reichlicher vorhanden sind, vereinzelt ein Gram-positiver Diplo¬
kokkus. (Schluss folgt.)
Argobol,
ein neues Silberboluspräparat.
Von Dr. Ernst Puppel, Frauenarzt in Mainz, zurzeit irn
Felde.
Die Bolustherapie des Fluor albus gehört heute zum ge¬
sicherten Besitztum des Gynäkologen. Ihre Vorzüge vor der
früheren Ichthyol-, Jod-, etc. Behandlung sind so oft klarge¬
legt worden, dass hier nicht weiter darauf einzugehen ist. So
gut die Erfolge bei dem einfachen Scheidenkatarrh sind,
namentlich bei der Verwendung von Lenizetbolus, so musste
man doch bald die Erfahrung machen, dass bei infektiösen
Erkrankungen, bei der akuten und chronischen Gonorrhöe, die
trocknende Wirkung der Bolus und die adstringierende des
Lenizetpulvers nicht ausreichten, eine Heilung herbeizuführen.
Zwar verschwinden nach der Anwendung von Lenizetbolus
bald die akuten Erscheinungen, die Anzahl der Gonokokken
nimmt in jedem Gesichtsfelde ab, aber eine Gefahr besteht:
das Auftreten eines Rezidivs nach Aussetzen der Behandlung.
Um diesen Missständen abzuhelfen, hat man Bolus mit Silber¬
verbindungen gemischt; Bruck hat sein Uranoblen heraus¬
gegeben, eine Verbindung von Silber und Uranin, die zirka
40 Proz. Silber enthält, und die vermöge ihres Farbstoffgehaltes
geeignet erscheint, in die Tiefe der Gewebe zu diffundieren
und die dort befindlichen Gonokokken abzutöten. Der Ge¬
danke ist ausserordentlich einleuchtend, aber ich hatte ver¬
schiedene Gründe, mich von dem Präparat abzuwenden. Es
färbt die Wäsche stark und es ist nicht so reizlos, wie
B r u ck angibt. Ich sah wiederholt Blutungen und heftige
Schmerzen nach Einführung der Caviblenstäbchen in die
Urethra und in die Zervix. Sichtbar war die starke Beein¬
flussung der vaginalen Gonorrhöe durch Uroblenbolus. Da
aber durch das Nachsickern des Pulvers nach Entfernung des
Tampons recht hässliche Flecken in der Wäsche entstehen,
die sich nicht mehr entfernen lassen, und da es kaum möglich
ist, die Vulva hermetisch abzuschliessen, so stellte ich Ver¬
suche mit einem anderen Präparat an, das mir von den
Farbenfabriken Fr. Bayer, Leverkusen-München zur Ver¬
fügung gestellt wurde und nunmehr, nach Abschluss der Prü¬
fung, als „Argobol“ in den Handel kommt. Es bildet ein gelb-
lich-weisses, in Wasser unlösliches Pulver mit einem Silber¬
gehalt von 20 Proz. in Form von Silberphosphat. Durch einen
besonderen Vorgang ist jedes Boluskörnchen mit einer Schicht
von Silberphosphat überzogen, und diesem Umstande dankt
das Präparat wohl seine gute Wirkung, die sich auf Des¬
infektion und Austrocknung erstreckt.
Die von der Fabrik vorgenommenen bakteriologischen
Versuche ergaben eine erhebliche wachstumshemmende Kraft
des Argobol.
Meine eigenen Versuche, die ich an klinischen und ambulanten
Patientinnen vornahm, erstrecken sich auf 21 Fälle mit zusammen
347 Anwendungen des Präparates, 11 akute, 5 chronische Gonorrhöen,
letztere mit allen erdenklichen Komplikationen; 3 subakute Gonor¬
rhöen in der Schwangerschaft, 1 schwere Metritis mit Erosionen und
Ektropium und 1 Fall mit schwerster Bact.-coli-Infektion, ausgehend
von einer schweren Kolpitis und Metritis bei Totalprolaps.
Es erheben sich bei jeder Gonorrhöebehandlung immer wieder
dieselben Fragen: Wie lange dauert die Behandlung? Ist das Prä¬
parat imstande, Komplikationen zu vermeiden und Rezidive auszu-
schliessen?
Von den akuten Gonorrhöen scheiden 2 aus, weil sie nach 8 mali¬
ger Behandlung Mainz verliessen. 4 sind nach durchschnittlich
22 maliger Anwendung des Argobols geheilt, ohne Komplikationen
oder Rezidive zu zeigen.
Von Komplikationen wurden beobachtet: 1 Monarthritis manus
dextr., die nach 6 maliger Anwendung von Argobol auftrat, in andere
Hände überging und erst nach 4 Wochen, nach vollständiger Ver¬
steifung des Gelenkes wieder zurückkehrte; sie wurde durch Omegon-
iniektionen völlig geheilt. In 1 Fall trat nach 8 maliger Uranoblen-
behandlung eine schwere Pelveoperitonitis auf, nach deren Ablauf ein
grosser linksseitiger Adnextumor konstatiert wurde. 2 mal zeigte sich
nach einigen Monaten ein Rezidiv; da beide Fälle Ehefrauen sind, ist
es unbestimmt, ob es sich um ein Rezidiv im engeren Sinne oder um
eine Reinfektion durch den Ehemann handelt. 1 Fall steht noch in
Behandlung.
Von den 5 chronischen Gonorrhöen, die mit Adnextumoren.
Retroflexio uteri fixati und Lues kompliziert sind, sind 3 geheilt, eine
hat nach fast völliger Heilung Mainz verlassen, eine steht noch in Be¬
handlung.
Die Behandlungsdauer betrug durchschnittlich 2 Monate.
2. Dezember 1914
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2407
In der Gravidität ist die therapeutische Beeinflussung entzünd-
cher Genitalaffektionen natürlich schwieriger. Trotzdem konnte ein
ervixkatarrh in gravid, nach 9 maliger Behandlung und 1 akute
olpitis nach 7 maliger Anwendung als geheilt betrachtet werden,
in dritter Fall verhält sich fast refraktär, trotz 26 maliger Anwen-
ung. Nach kürzeren Pausen tritt immer wieder der eitrige Fluor auf.
Die schwere Mctritis mit Ektropium und Erosionen ist nach
1 Sitzungen mit Lenizetbolus, die fast ohne Erfolg blieben, noch
Omal mit Argobol behandelt worden und völlig geheilt.
Der Fall von Koliinfektion wurde nach völliger Entfieberung und
ersch winden des Fluors operiert: Ovariotomie rechts, Ventrofixation,
aginale Plastik. Die Heilung erfolgte p. p. i.
Wir können nach diesen kurzen Angaben unsere obige
ragestellung dahin beantworten, dass die Behandlung mit
vrgobol durchschnittlich zwei Monate dauert
- bei 1 bis 3 maliger Anwendung in der
Voche und selbstverständlichem Aussetzen
er Therapie während der Menses — und
ass es in der grössten Mehrzahl der Fälle
elingt, Komplikationen und Rezidive zu ver¬
leiden.
Indiziert ist das Argobol vor allem
ei akuten chronischen Gonorrhöen in jedem
Stadium, aber auch bei anderen eitrigen Ent-
ündungen von Scheide und Gebärmutter,
lei dem Ektropium mit starker Erosions-
ildung wird man nur in hartnäckigen Fällen
um Argobol greifen, die leichteren heilen
uch mit Lenizetbolus.
Das Auffälligste an der Argoboltherapie
>t der unmittelbare Erfolg der ersten 3 bis
Sitzungen. Die Patientinnen äussern jedes-
lal ihre Befriedigung über die schnelle Wir-
ung auf die Menge des Sekretes.
Ein völliges Verschwinden der Gono-
okken wurde frühestens nach 10. längstens
ach 18 Sitzuhgen beobachtet, ein im Ver-
leich zu der alten Spülbehandlung und der
rüheren reinen Bolustherapie gutes Re-
ultat.
Wenn wir noch hinzufügen, dass Reizungen seitens der
’agina oder Zervix nicht beobachtet wurden, so haben wir in
er Tat in dem Argobol ein Präparat, dem in seinem An¬
wendungsbereiche bisher kein anderes gleichkommt.
Von der Verwendung des N a s s a u e r sehen Siccators
abe ich abgesehen 1). Zweckmässig erscheint mir die Be-
andlung im Spekulum mit Einschüttung von ca. 4 — 6 g des
’ulvers und Fixierung desselben durch einen Wattetampon.
>ie Urethra muss besonders behandelt werden. Dass der
'ische Zervixkatarrh ein noli me tangere ist, erwähne ich
ur der Vollständigkeit halber. Er heilt unter vaginaler An¬
wendung von Argobol in kurzer Zeit aus.
Nach Abschluss der Prüfung von Argobol an dem eigenen
orliegenden Material kann ich den praktischen Aerzten und
iynäkologen das Präparat für die Behandlung der akuten
ud chronischen Gonorrhöe bestens empfehlen.
Ein neuer, verstellbarer, federnder Mundsperrer
nach Zahnarzt Alfred Kreis.
Von Zahnarzt L. P. Grünwald in Kassel.
Schwierigere Operationen jeder Art in Mundhöhle oder Rachen
rfordern zuweilen eine gute Spanne Zeit und wir haben dann meist
lit einem hauptsächlichen Uebel zu kämpfen: Ermüdung der Kau-
luskulatur beim Patienten, die es ihm unmöglich macht, über wenige
’inuten hinaus den Mund gleichmässig ruhig und vor allem genügend
eit aufzuiialten. Gegen andere feindliche Faktoren, die hauptsäch-
ch dem Zahnarzt bei seinen meist überaus zeitraubenden Arbeiten
n Mund viel zu schaffen machen, als da sind: erhöhter Speichel-
uss, Brechreiz, die unerwünschten Manöver der Zunge etc. exi¬
lieren zweckentsprechende Apparate — Speichelsauger, Zungen¬
alter, Wattcrollen — und gleichzeitig partieller Zungenhalter stehen
ns zur Verfügung.
Noch fehlte uns aber bisher die ausreichende und sichere Gegen¬
ehr gegen das in der zahnärztlichen wie ärztlichen Praxis gleicher¬
eise zutage tretende eingangs erwähnte Hauptübel: das wiederholt
') Fortschr. d. M. 1913 Nr. 26.
teilweise oder gar vollständige Zuklappen des Mundes infolge Er¬
schlaffung der überanstrengten Muskeln.
Verschiedene Versuche wurden gemacht und auch zum Teil in
die Praxis umgesetzt: Apparate zu konstruieren, um diesem Uebel
abzuhelfen. Ich erinnere an den König-, den Heister-Mundsperrer.
Doch das bis jetzt Erschienene war teils zu kompliziert und eher
geeignet das Gesichtsfeld zu verbauen: teils war die Anwendung
nicht ohne Assistenz möglich.
Nun ist es Zahnarzt Kreis- Kassel gelungen, einen Mundsperrer
zu bauen, der voll funktionierend bei leichter Einführung und zwang¬
losem Sitz mit dem Muskelapparat des Mundes sich sozusagen or¬
ganisch verbindet. Man definiert die Vorrichtung am besten, wenn
man sie als künstlichen Hilfsmuskel bezeichnet.
Die Konstruktion ist wesentlich diese: Zwei etwa 3cm lange,
l‘/jcin breite Backenteile als flache Rinnen geformt, um ein Seit¬
wärtsgleiten, mit gerieftem Gummi ausgelegt, um ein Längsseitsgleiten
zu verhindern.
Eine Federung dazwischen, bestehend aus einem verschieb¬
baren Gelenkviereck, lässt ein Zusammenführen der Backen zu,
zwecks bequemer Einführung in die Mundhöhle, und bringt sie dort,
sich selbst überlassen, wieder automatisch auseinander.
Ungefähr diagonal im Gelenkviereck und parallel zu den Backen¬
teilen läuft eine gezähnte Raste, durch die der Apparat auf ein ge¬
wünschtes Mass sich einstellt.
Die Expansionsfähigkeit des Apparates ist so bedeutend, dass
auch dem grössten vorkommenden Oeffnungswinkel Rechnung ge¬
tragen wird. Doch gibt er infolge Federung bei starkem Muskel-
diuck auf Sekunden ganz unwesentlich nach, was indes genügt, die
Muskeln etwas in Aktion treten zu lassen und somit vor Ermüdungs¬
starre zu bewahren. Um die Spannung für eine gewünschte Zeit
ganz aufzuheben, drücke man mit dem Finger von oben auf den
Rastenhebei. Zu diesem Zweck muss der Apparat immer so in die
Mundhöhle gebracht werden, dass der Rastenhebel nach vorne steht.
Das Einführen geschieht mittels einer Spezialzange, deren Branchen
um zwei an den Backenteilen seitwärts angebrachte konische Gelenk¬
köpfe greifen.
Fig. 1 soll lediglich den Apparat mit Zange in etwa 2U der natür¬
lichen Grösse darstellen.
Abbildung 2 demonstriert seine Einführung in die Mundhöhle,
wobei er zwecks besserer Veranschaulichung auf den vorderen Teil
der Zahnreihen aufgesetzt ist. Sonst muss der Apparat selbstredend
zwischen den oberen und unteren Kauzähnen ruhen und dabei im
Interesse des freieren Arbeitsfeldes so weit als möglich nach hinten
verlegt werden.
Die Backenteile lassen sich, weil durch Drehgelenk an die Fede¬
rung montiert, im Längssinn zu einander in beliebigen Winkel
bringen und ausserdem ist eine Backe um die Querachse frei be¬
weglich, so dass die ganze Vorrichtung nicht einen steifen, starren
Sperrapparat darstellt, sondern der jeweiligen Stellung der Zahn¬
reihen zu einander gerecht wird.
Das Umdrehen des Apparates um die Längsachse macht ihn
für die Gegenseite verwendbar, wobei natürlich der Fingerdruck auf
den Rastenhebel von unten nach oben zu wirken hat.
Die Reinigung und Desinfektion des Apparates auch durch Aus¬
kochen, unterliegt keinerlei Schwierigkeiten, da der Gummi eigens
dafür präpariert ist. Wenn keine Infektion vorliegt, dürfte es übrigens
! genügen, den Sperrer 10—15 Minuten in Lysoformwasser zu be-
Abbildung 1. Abbildung 2.
2408
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 51.
lassen. Doch empfiehlt es sich in beiden Fällen, ihn hernach einige
Augenblicke in Alcohol absol. zu legen, um ein vollständiges Ab¬
trocknen auch der schwer zugänglichen Teile zu bewirken.
Ich habe den kleinen Apparat seit seinem Erscheinen in Dutzen¬
den von Fällen angewendet und fand in ihm eine bedeutende Unter¬
stützung für den Patienten und einen mächtigen Helfer für den
Operateur. Die ewigen langweiligen Ermahnungen: „Bitte machen
Sie den Mund etwas weiter auf! — Nicht schliessen, bitte!" — usw.
fallen fort. Meine Patienten konnten mir auch alle bestätigen, dass
der Mundsperrer in keiner Weise lästig falle und die Unterstützung
des Kiefers obendrein sehr angenehm empfunden werde. Für die Be¬
handlung von Kindern, diesen ungeduldigen und leicht aulgeregten,
meist aber unruhigen Patienten ist dies von besonderer Wichtigkeit.
Der Apparat ist so klein und schmal, dass er das Arbeiten an
der Gegenseite in keiner Weise stört. Auch die Einführung von
Watterollenhalter und Speichelsauger zu gleicher Zeit stösst auf
keine Hindernisse.
Auch in der Narkose ist seine Anwendung, wenn er vor der Be¬
täubung eingeführt wurde, von grossem Nutzen, da dann durch ihn
die Assistenz für andere Hilfeleistungen die Hände frei hat. Durch
die angepasste Form und den sicheren Sitz sowie die grosse Expan¬
sionsfähigkeit des Apparates wird ein Verrücken oder Herausfallen
unmöglich.
Bei schweren Extraktionen und Entfernung von Geschwülsten
mit nachfolgender Knochenmeisselung und Naht, hauptsächlich im
Unterkiefer, leistete mir der Mundsperrer eminent gute Dienste. Denn
gerade die so notwendige gleichmässige und ruhige Uebersicht über
das Operationsfeld gewährleistet der Apparat.
Spezialärzte für Hals- und Mundkrankheiten können in gleicher
Weise wie Zahnärzte durch die Verwendung des Kreismundsperrers
ihren Patienten die Situation und sich selbst in ungezählten Fällen
die Arbeit erleichtern.
Der Apparat ist zu haben bei „Respira Sanitäts-Kompagnie
in. b. H.“ Kassel.
- rt«»« -
Siegmund Gottschalk f.
ln diesen Tagen, da der Tod mit weitausholender Sense mäht
und nicht die Besten schont auf dem Schlachtfelde, darf doch nicht
ganz der Toten vergessen werden, die in der Heimat dahingehen. Es
starb am 3. November d. J. in Berlin, 54 Jahre alt, der Gynäkologe
Prof. G o 1 1 s c h a 1 k nach langem Leiden, von dem es nicht sicher
ist, ob er es sich nicht auf dem wissenschaftlichen Felde geholt hat.
Denn kaum ein anderer deutscher medizinischer Gelehrter sass aus¬
dauernder und ausschliesslicher bei seinen mikroskopischen Prä¬
paraten, bei seinen Büchern, bei seinen Kranken als G o 1 1 s c h a 1 k.
Ja cs gab für ihn kaum etwas anderes als Arbeiten und es konnte
ihm völlig entfallen, dass man auch essen und trinken müsse, wenn
wissenschaftliche Arbeiten drängten: da kam es vor, dass er und
wir, seine Assistenten^ von früh 7 Uhr an operierten, alsdann
Visite machten, um im Anschluss daran die gewonnenen Präparate
sofort zur Untersuchung zu bringen — kein Stückchen eines Organs
durfte verloren gehen — und so wurde es nicht selten später Nach¬
mittag, bis er und seine Mitarbeiter das erste Frühstück einnehmen
konnten.
Dieser ungeheuren Anspannung aller Kräfte allein verdanken die
fast ungezählten wissenschaftlichen Arbeiten Gottschalks ihre
Entstehung. Nicht weniger als 113 Arbeiten konnten aus seinem
Nachlass zusammengestellt werden. In Wirklichkeit sind es viel
mehr.
Vor allem war es das pathologisch-anatomische Gebiet in der
Gynäkologie, auf dem Gottschalk Meister war. Insbesondere
hat er das unzweifelhafte Verdienst, die grundlegenden Arbeiten über
das Chorionepitheliom geschrieben zu haben.
Gottschalk war eine Kampfnatur. Herb und oft Wider¬
spruch herausfordernd. Immer beseelt von dem Glauben an die
von ihm erzielten Resultate. Nur wer seine minutiöse Gewissen¬
haftigkeit kannte, konnte wissen, dass diese Resultate ihre sichere
Basis hatten.
Aber seine Arbeiten beschränkten sich nicht auf das rein medi¬
zinisch-wissenschaftliche Gebiet: Auch therapeutisch wusste er stets
die neuen Forschungen sich und seinem Spezialfach dienstbar zu
machen. Insbesondere befleissigte er sich, die konservative Behand¬
lung der Frauenleiden auszubauen. Die Balneotherapie, die physi¬
kalische Therapie haben in ihm einen gründlichen Bearbeiter in
vielen umfangreichen Arbeiten gefunden.
Gottschalks Name wird als würdiger Vertreter deutscher
gründlicher Wissenschaftlichkeit nicht aus dem Gedächtnis der Me¬
dizin verschwinden.
Max Nassauer - München.
Fortbildungsvorträge und
Uebersichtsreferate.
Die chronischen Arthritiden.
Ursachen, Einteilung und Beurteilung.
Von Wilhelm H i s.
(Schluss.)
Der Begriff der Konstitution ist in letzter Zeit bekanntlich im An¬
schluss an die pädiatrischen Erfahrungen einer Revision unterzogen
worden und der alte Begriff der Diathese kommt wieder zu Ehren.
Meine Auffassung desselben habe ich in einem Referat auf dem Kon¬
gress für innere Medizin dargelegt. Es bedeutet eine gewisse an¬
geborene, oftmals familiäre oder erbliche Beschaffenheit, welche den
Körper gegen physiologische Reize abnorm reagieren lässt.
Als Typus der Diathese mag hier die Gicht genannt sein. Wir
verstehen darunter eine Störung im Purinstoffwechsel, welche zu
einem Ueberreichtum des Blutes an Harnsäure führt, deren Ablage¬
rungen in den Geweben die manifesten Erscheinungen der Gicht her-
vorrufen. Die diathetische Natur zeigt sich in dem überwiegend
häufigen gleichzeitigen Vorkommen von Diabetes, Fettsucht,
Schrumpfniere, frühzeitiger Arteriosklerose und Hypertonie, auch
darin, dass die üppige Lebensweise selbst nicht imstande ist, Gicht zu
erzeugen, wenn das Individuum nicht von vornherein zu dieser Krank¬
heit disponiert ist. Die atypischen Formen der Gicht bereiten häufig
der Diagnose und namentlich der Differentialdiagnose gegenüber chro¬
nischer Arthritis nicht geringe Schwierigkeiten. Wir finden da zirkum¬
skripte Herde in den Muskeln, in den Sehnen und Sehnenscheiden, im
periartikulären Gewebe, ferner Neuralgien des Trigeminus oder Ischia-
dikus mit scharf umschriebenen Druckpunkten in Aponeurosen oder
im Muskel. Wir finden allerlei Dermatosen, Wachstumsstörungen der
Nägel u. dergl m. Alles dies sind Symptome, die auch bei Nicht¬
gichtischen gefunden werden und die an sich die Diagnose auf Gicht
nicht zulassen, wenn nicht die charakteristischen Stoffwechselstö¬
rungen nachgewiesen werden können.
Mit dem Namen Gicht wird sehr viel Missbrauch getrieben. Wer
jede chronische Gelenkaffektion als Gicht bezeichnet, und so be¬
handelt, als ob ihr eine Stoffwechselstörung zugrunde liege, wird seine
Patienten ganz unnötigen und nutzlosen Entbehrungen aussetzen, und
ich kenne sehr viele Patienten, welche durch strenge Verordnung
vegetarischer Diät oder anderer diätetischer Einschränkungen, durch
Gebrauch von Kolchikum und anderen Gichtspezifizis ohne jeden
Nutzen körperlich aufs schwerste geschädigt wurden. Neuerdings hat
Goldscheider den Gichtbegriff zu erweitern gesucht. Er hat das
Verdienst, auf die in deutscher Literatur allzu kritisch behandelten
Formen von atypischer Gicht die Aufmerksamkeit gelenkt zu haben.
Sein nosologischer Standpunkt führt ihn zur Auffassung, dass jede
Affektion, welche bei Gicht Vorkommen kann, z. B. das Gelenk¬
knirschen und tophusähnliche Gebilde, überall da, wo sie vorhanden
sind, auch die Existenz der Gicht beweisen. Dieser Standpunkt ist
zweifellos unhaltbar. Es ist etwa so, wie wenn man jeden Fall von
Durchfall, Kopfschmerz und Fieber als Typhus bezeichnen wollte,
weil diese Symptome bei Typhus auch vorhanden sind. Wir haben
oben schon gezeigt, dass tophusähnliche Gebilde in Sehnen und
Sehnenscheiden durch Infektion entstehen können und dass das Ge¬
lenkreiben und Knirschen eine Degeneration der Knorpel zeigt,
welche sehr mannigfache Ursachen haben kann. Es ist ja das Ver¬
dienst Alfred G a r r o d s, durch den Nachweis der Stoffwechsel¬
störungen, die Gicht von den chronischen Arthritiden unterschieden
zu haben und wir weichen hinter diesen Standpunkt zurück, wenn wir
der Goldscheider sehen Auffassung folgen.
Leider ist zurzeit der Nachweis der Stoffwechselstörung da¬
durch erschwert, dass wir nicht über hinreichend sichere Methoden
verfügen. Wo Uratablagerungen in einem Gelenk oder Tophus auf¬
gefunden werden, ist die Diagnose ja sicher, aber die von Bloch,
sowie Schittenhelm und Brugsch angegebene Verzögerung
in der Ausscheidung der Purinsubstanzen kommt nicht nur dem Gicht¬
kranken, sondern auch dem Alkoholiker und Nephritiker zu und kann
beim Gichtkranken mindestens vorübergehend fehlen. Bleibt also der
Nachweis für Harnsäure im Blut. Nach der vielbenutzten Methode
von Krüger und Schmidt Hess sich im Blute des Gesunden nach
dreitägiger purinfreier Nahrung Harnsäure nicht oder nur in Spuren
nachweisen, während die typischen und atypischen Gichtkranken in
den meisten Fällen mehrere Milligramm in 100 ccm Blut auffinden
und darstellen Hessen. Die neueren Methoden zeigen nun, dass auch
im Blute des Gesunden bei purinfreier Nahrung Harnsäure vorhanden
ist und es würde sich darum handeln, zu wissen, ob ein quantitativer
schärferer Unterschied zwischen dem Gichtkranken und dem Ge¬
sunden besteht. Leider differieren die Methoden untereinander sehr
erheblich und wir müssen das Ende der gegenwärtig im Gang befind¬
lichen Untersuchungen über die Zuverlässigkeit der Methoden ab-
warten, bevor wir endgültig über deren Wert für die Gichtdiagnostik
uns äussern können 2). Für praktische Zwecke habe ich bisher die
2) Anm. b. d. Korr.: Dass die Methode, von Brugsch-Kri-
steiler keine zahlcnmässig genauen Resultate gibt, haben Fried-
m a n n und Z o n d e k in einer noch nicht miblizierten Arbeit nach-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
22. Dezember 1914.
2409
Methode von Krüger-Schmidt beibehalten. Sie liefert das
Prodult kristallisiert, so dass damit die Murexidprobe angestellt wer¬
den k 'an. Ihr Ergebnis stimmt mit dem klinischen Befund sehr gut
überein und sic erlaubt, die meisten balle von atypischer Gicht mit
Sicherheit zu erkennen. Sie versagt freilich zuweilen in Fällen
sicherer Gicht und kann heute als ein brauchbares, wenn auch nicht
absolut zuverlässiges Provisorium betrachtet werden.
Zu den diathetischen Formen arthritischer Veränderung gehören
zweifellos auch die bleberden sehen Knoten. Sie sind bekanntlich
keineswegs für Gicht charakteristisch, wohl aber für die Gruppe,
welche die Franzosen als Arthritisnius zusammenfassen und finden
sich dementsprechend sehr häufig bei Personen mit Fettsucht,
Schrumpfniere, Diabetes, harnsaurer Diathese, oftmals als einziges
Symptom einer Anomalie schon in jungen Jahren. Ich kenne einen
20 jährigen Studenten, dessen Vater sie ausgeprägt besitzt, dessen
Schwester an Nierensteinen leidet, er selbst gesund ist, aber aus¬
geprägte Heberdenknoten hat. Zu den konstitutionellen Formen ge¬
hört höchstwahrscheinlich auch die eigentümliche Kalkgicht, die Ab¬
lagerungen kohlen- und phosphorsauren Kalkes in allerlei Binde¬
gewebe in kleinen oder, wie in einem kürzlich von Magnus-
Lcvy demonstrierten Falle, in den monströs erweiterten Arterien¬
wandungen.
Dass das Trauma für die Entstehung chronischer Gelenkdegenera¬
tionen eine grosse Rolle spielt, wird mehr und mehr anerkannt und
es sind dabei nicht nur die gewaltsamen Einwirkungen sondern auch
die Schädigungen, welche infolge Belastungsdeformitäten auf das Ge¬
lenk einwirken als Ursache der Arthritis deformans und namentlich
der senilen Hüft- und Wirbelgelenksdeformationen anerkannt.
Für manche Gelenkerkrankungen fehlt uns freilich noch jedes
ätiologische Verständnis, so für die Arthritis psoriatica, die progres¬
siven Gelenkveränderungen, welche gemeinsam mit Sklerodermie
nicht selten auftraten. In beiden Fällen liegt offenbar eine bestimmte
Disposition der Körperorgane vor, die sich bei der Psoriasis bekannt¬
lich darin äussert, dass Ueberimpfung nur bei psoriatischen Individuen
gelingt. Der vielfach vermutete Zusammenhang mit Anomalien der
Schilddrüse oder anderer Hormondrüsen ist zurzeit noch mehr als
fraglich.
Wenn ich hier jetzt noch kurz die Gelenkveränderungen nenne,
welche sich an Myositis ossificans, an Osteopsathyrosis und an Paget¬
krankheit anschliessen, so habe ich damit wohl die wichtigsten dieser
seltenen Gelenkkrankheiten aufgezählt und kann dazu übergehen, die
diagnostischen Aufgaben zu besprechen, die den Aerzten im Einzel¬
fall gestellt sind.
Zunächst ist zu ermitteln, ob der Knorpel oder die Synovial¬
membran primär erkrankt ist, welche Ausbreitung und welchen Grad
die Veränderungen erreicht haben. Wie sich die Muskeln, Sehnen
und Knochen verhalten. Dies alles geht aus der Besichtigung, Pal¬
pation, Funktionsprüfung und dem Röntgenbild hervor und es lässt
sich ermessen, ob die vorhandene Funktionsstörung durch Muskel¬
atrophien oder Kontrakturen, durch rückbildungsfähige Entzündungs¬
prozesse oder durch derbe verkalkte Ankylosen und Randwuche¬
rungen hervorgerufen sind. Danach richtet sich in weitgehendstem
Masse die Prognose.
Ferner ist auf das Verhalten der inneren Organe, vor allem des
Herzens, der Gefässe, der Nieren, der weiblichen Sexualorgane zu
achten. Daraus lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Schluss
ziehen, ob eine Infektion Ursache der Krankheit ist. Bei Lues, Go¬
norrhöe und Tuberkulose ist, wenn Verdacht vorliegt, in der bekann¬
ten Weise zu forschen, ein Hauptaugenmerk auf die Möglichkeit einer
chronischen Sepsis mit Infektionsherd zu richten. Tonsillen und Zahn¬
fleisch brauchen äusserlich die Anwesenheit eitriger Herde nicht zu
verraten. Erst das Ausquetschen der Lakunen und Wurzelsäcke
gibt Gewissheit. Dass auf Galleneiterungen, Appendizitis und Pyelo-
zystitis zu achten ist, wurde bereits erwähnt, ebenso gewisse Formen
chronischer Darmulzerationen. Weiterhin ist das Verhalten des Stoff¬
wechsels zu prüfen, und bei Verdacht auf Gicht das Blut in der oben¬
genannten Weise zu untersuchen. Auch die Familienanamnese darf
nicht vernachlässigt werden und ich möchte im Sinne älterer Autoren
auch nach meinen Erfahrungen bestätigen, dass in arthritischen Fa¬
milien, namentlich bei weiblichen Mitgliedern chronische Arthritiden
auftreten, ohne dass die charakteristische Störung des Purinstoff-
' Wechsels nachweisbar ist.
Hat man sich dergestalt ein Bild von der Art und dem Umfang
der Krankheit und ihren eventuellen Ursachen geschaffen, dann ist der
Therapie ihr Weg vorgeschrieben. Wo es gelingt, die Krankheits¬
ursache zu beseitigen, etwa bei Lues oder chronisch-infektiösen For¬
men wird es von dem Grade der anatomischen Veränderungen ab-
hängen, welcher Erfolg der Behandlung bescliieden sein kann. Es
gibt eben reparable und irreparable Veränderungen.
Symptomatisch stehen uns sehr mannigfache Mittel zu Gebote.
Zunächst jene Arzneimittel, welche wir als Gclenkspezifika be¬
zeichnen, obwohl sie zwar den Schmerz und die Entzündung lindern,
ohne den Grundprozess wesentlich zu beeinflussen. Dazu gehört die
Salizylsäure und ihre Abkömmlinge, die Antineuralgica und auch das
Atophan. Das Kolchikum dagegen ist ein spezifisches Gichtnüttel und
hat bei Arthritiden nichtgichtischcr Art keinerlei Wirkung.
Viel umstritten ist die Wirkung der Stoffe, welche bei chronischer
gewiesen. Die Methode von Krüger-Schmidt versagt bei man¬
chen Kranken, ist aber quantitativ zuverlässig.
Nr. 5!.
Sepsis angewendet werden. Vom Kollargol, intravenös eingespritzt,
sieht man viel, wenn auch selten in akuten und chronischen entzünd¬
lichen Formen deutliche Wirkungen. Dasselbe gilt von den Strepto¬
kokkenseren und der Vakzination. Alle diese Wirkungen sind aber
aus unübersehbaren Gründen völlig inkonstant. Dasselbe ist zu sagen
vom Arthigon, das vielleicht von allen gonorrhoischen Affektionen auf
diejenige der Gelenke noch verhältnismässig am häufigsten bessernd
einwirkt.
Die gelegentliche Beobachtung, dass Bienenstiche bei Arthritis
gute Wirkung hatten, führte zur Anwendung der Ameisensäure; von
einzelnen Spezialisten viel angewandt, ist dies Mittel genauer bisher
noch nicht geprüft worden. Gute Wirkungen sind mir von einzelnen
Patienten versichert worden, andere blieben unbeeinflusst oder wur¬
den selbst verschlechtert.
Von den physikalischen Heilmethoden ist die Wärmeanwendung
die älteste und bestgeprüfte, und nach den Lehren Aug. Biers
müssen wir trachten, eine möglichst hohe Temperatur durch Anwen¬
dung von Sandbädern oder Heissluft zu erzielen. Noch wirksamer
ist die elektrische Erzeugung hoher Temperaturen mittels der Dia¬
thermie, welche in der Tat bei geduldiger und sachgemässer Anwen¬
dung ganz ausgezeichnete Erfolge in sehr vielen Fällen zu geben ver¬
mag. Von der Anwendung der Bi er sehen Stauung bei sehr chro¬
nischen Fällen bin ich allmählich zurückgekommen, da sie sich der
trockenen Wärme gegenüber als minderwertig erwies. Bei lebhaften
Schmerzen und frischer Entzündung wirkt sie zuweilen schnell
schmerz- und entzündungslindernd.
Die Strahlentherapie ist ebenfalls ein äusserst wirksames Mittel
in der Behandlung chronischer Arthritiden. Sonnenbäder haben
eigentlich keine Heilwirkung, können aber bei heruntergekommenen
und verweichlichten Patienten durch Anregung der Hauttätigkeit und
der Ernährung oft gute Dienste tun.
Den Röntgenstrahlen kommt, wie schon Williams J a u g i e s
und neuerdings Eckstein betont haben, eine schmerzlindernde
Wirkung zu. Eigentlich therapeutische Effekte sind mir von ihnen
bisher nicht bekannt geworden. Doch ausgedehntere Versuche mit
harten Strahlungen sind wohl noch kaum durchgeführt und des Ver¬
suches würdig.
Auf das Radium und seine Strahlungen wurde die Aufmerksam¬
keit Neussers dadurch gezogen, dass in den Pechblendegruben von
Joachimsthal die Bergleute angeblich von rheumatischen Erkran¬
kungen frei bleiben sollen. Von da hat die Radiumtherapie ihren
Ausgang genommen und allerlei Formen angenommen.
Das Radium ist zweifellos ein arthrotropes Mittel und seine
Strahlungen können schon bei geringer Intensität in manchen Fällen
ausserordentlich schmerzlindernd wirken. Aber auch darüber hinaus
ist eine heilende Wirkung in etwa 2/.i der Fälle bei passender Anwen¬
dung festzustellen. Für die Anwendung hat sich die Einatmung von
Emanation besonders bewährt, wobei in den meisten Fällen ein Ema¬
nationsgehalt von 5 = 10 Macheeinheiten im Liter Luft ausreicht,
und nur in einzelnen Fällen eine Erhöhung der Dosis bessere Erfolge
ergibt. Die Trinkkur mit emanationshaltigem Wasser scheint, obwohl
theoretisch ebenbürtig, in praxi nicht ganz dieselben Erfolge zu geben.
Besonders wirksam erwies sich die Injektion radiumbromidhaltiger
Lösungen in die Umgebung der erkrankten Gelenkes wobei Depots
aktiver Zerfallsprodukte der Emanation sich bilden und eine Dauer¬
wirkung ausüben. Der Gehalt der einzelnen Injektionen beträgt
1 — 10 000 Macheeinheiten. Sie werden an demselben Gelenk 4 — 5 mal
an verschiedenen Stellen wiederholt. Radioaktive Kompressen von
geringer Intensität haben zuweilen ausgesprochen schmerzstillende
Wirkung, eine intensivere Einwirkung kommt ihnen jedoch nicht zu.
Aeusserst wichtig ist es im Einzelfall das Mass von Schonung
und Uebung zu bestimmen, das dem Kranken zugemessen werden soll.
Absolute Schonung ist nur bei äusserten Schmerzen und bei frisch in¬
fektiösen Fällen notwendig. Ueberall sonst ist die Bettruhe und Scho¬
nung der Gelenke auf das geringste zulässige Mass zu beschränken.
Wir wissen ja, wie rasch schon bei unvollkommener Inaktivierung
Knochen und Muskulatur dem Schwund verfallen und ich habe zahl¬
reiche Kranke gesehen, bei denen die Funktionsstörung nicht vom
Gelenk, sondern von der Muskelatrophie ausging und durch syste¬
matische Uebung in weitgehendem Masse wieder hergestellt werden
konnte. Chirurgische Eingriffe sind überall da angezeigt, wo es sich
um chronische Prozese handelt, welche zu irreparablen Bewegungs¬
hindernissen, Ankylosen, Randwucherungen, Spannungen u. dergl.
geführt haben. Es ist selbstverständlich, dass operative Behandlung
nur da am Platze ist, wo einzelne wichtige Gelenke in der genann¬
ten Weise deformiert sind, Hüft-, Knie-, Ellbogen-, Schulter- und
vor allen Dingen Kiefergelenk. Die Erfolge sind oft sehr befriedigend.
Dass gichtische Tophi an exponierten Stellen und da, wo sie nicht mit
der Gelenkhöhle Zusammenhängen, zweckmässig exstirpiert werden,
darf ich als bekannt voraussetzen.
In allen Fällen ist der allgemeinen Behandlung der Kranken die
grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Bedenken Sie wie oft durch
Bettlager, Stubenluft, anhaltenden Schmerz das Gesamtbefinden ge¬
litten hat, wie sehr namentlich bei chronischer Infektion die Er¬
nährung und Blutbildung leidet und so werden Sie verstehen, welche
Sorgfalt dem Gesamtbefinden gewidmet werden muss. Und die Er¬
fahrung lehrt, dass durch Roborantien, China, Arsen in seinen ver¬
schiedenen Formen, Lebertran in geeigneten Fällen und vor allem
durch Aufenthalt in frischer Luft, Sonnenschein und Wärme nicht nur
der Zustand der Muskulatur, sondern auch die entzündlichen Erschei-
2
2410
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
nungen in den Gelenken wesentlich gebessert werden können. Mehr¬
fach haben Patienten und Patientinnen, welche in der Stadt in den
Bewegungen sehr gehemmt waren, durch Spazierengehen und Stei¬
gen in trockenem und sonnigem Klima, z. B. Südtirol ihren Zustand
ganz wesentlich gehoben.
Lieber klimatische und Badekuren möchte ich mich hier nur kurz
und allgemein aussprechen. Es ist längst anerkannt, dass warme und
trockene Klimata den Arthritikern gut bekommen und es ist nicht un¬
zweckmässig, leichtere Formen, welche einer besonderen Behandlung
sonst nicht bedürfen, einen Winter in Meran, an der westlichen Ri¬
viera oder selbst in Aegypten zubringen zu lassen. Selbstverständ¬
lich sind schwere unbewegliche und fieberhafte Formen von solchen
Klimakuren auszuschliessen. Alle Bäder, welche seit Jahrhunderten
bei Behandlung der Arthritiden sich bewährt haben, sind Thermen
mit sehr wechselndem Gehalt an mineralischen Bestandteilen und
einem grösseren oder geringeren Gehalt an radioaktiven Substanzen.
Von den uns bekannten Faktoren spielt jedenfalls die Wärme eine
bedeutende Rolle. Dass die Radioaktivität natürlicher Quellen den¬
selben Heilwert besitzt, wie die künstlich angewendeten, ist selbst¬
verständlich, doch geht der therapeutische Effekt mit dem Gehalt der
Emanation durchaus nicht parallel -und manche sehr wirksame Quelle,
z. B. in Wiesbaden sind relativ arm an Radiumemanation. Es ist
sehr wahrscheinlich, dass noch andere therapeutisch wirksame Fak¬
toren in diesen Quellen enthalten sind die sich bisher unserer Kennt¬
nis entziehen. Dass die Moorbäder und Schlammarten als stark
hyperämisierende Mittel eine Heilwirkung enthalten, ist selbstver¬
ständlich und der Gebrauch der eisenhaltigen Quellen an Moorkur¬
orten unterstützt durch allgemeine Wirkung die lokalen Einflüsse.
Eine besondere Rolle spielt zweifellos der Fango, jener mineralische
Talkschlamm, der mit hoher Temperatur und schlechtem Wärme¬
leitungsvermögen, eine beträchtliche Radioaktivität verbindet. Die
volle Wirkung kann jedoch nur an Ort und Stelle erwartet werden,
da die Radioaktivität beim Versand beträchtliche Verluste erleidet.
Die Sandbäder sind bekanntlich in Köstritz zu besonderer Vollendung
gebracht worden, indem die Kranken in ihrem Sandkasten ins Freie
geführt und dadurch von dem sonst unvermeidlichen Staub verschont
bleiben. Ein Verfahren, das auch auswärts Nachübung verdiente.
Die Verordnung klimatischer und baineotherapeutischer Kuren ver¬
langt sorgsames Eingehen auf Art und Stadium der Krankheit. Nir¬
gends rächt sich der Schematismus stärker als hier. Gerade die
frischinfektiösen Formen ertragen derartige Kuren durchaus nicht, son¬
dern neigen während derselben zu häufigen und oft fieberhaften Re¬
zidiven. Wo es sich aber darum handelt, entzündliche Exsudate zur
Rückbildung zu bringen, Muskelkontrakturen zu entspannen, Schmer¬
zen zu lindern, da kann die Wirkung der Heilbäder ganz vortrefflich
sein. Und dies um so mehr, wenn sie unterstützt werden kann durch
die obengenannten physikalischen Reagentien, durch Massage und
Gymnastik und durch Uebungstherapie unter sachverständiger An¬
leitung.
Ich komme zum Schluss, und hoffe Ihnen gezeigt zu haben, dass
das in unserer Literatur etwas stiefmütterlich behandelte Kapitel der
chronischen Arthritiden nicht nur für den aufmerksamen Beobachter
eine Menge interessanter Fragen und Probleme birgt, sondern dass
es auch dem Therapeuten Gelegenheit bietet, wenn nicht immer Hei¬
lung, so doch oft weitgehende Besserung und Erleichterung zu
schaffen. Sobald man sich darüber klar ist, welche Art des Prozesses
vorliegt, wenn es gelingt, dessen Aetiologie festzuste'len und die
Grundursache zu beseitigen, wenn man sich überlegt, welche Pro¬
zesse der Rückbildung fähig sind, welche nicht, wenn man die Hilfs¬
mittel arzneilicher und physikalischer Art kennt und beherrscht, dann
ist die therapeutische Aufgabe keineswegs undankbar. Wohl gibt es
Fälle, welche auch der geschicktesten Therapie trotzen und unaufhalt¬
sam progressiv verlaufen, doch sind sie gottlob selten und weit
grösser ist die Zahl derjenigen Krankheiten, bei denen der Prozess
zum Stillstand kommt und einmal eingetretene Besserungen von jahre¬
langer Dauer sind. Je weiter wir in das Wesen und in die Ursache
dieser Vorgänge eindringen, um so höher dürfen wir die Erwartung
auf therapeutische Erfolge spannen. Schon heute dürfen wir mit
Freude bekennen, dass die Menge von Arbeit, welche auf die Er¬
kennung dieser Krankheiten verwendet wurde, nicht umsonst ge¬
wesen ist, sondern dass durch Erkennung der Krankheitsursachen
und Krankheitsbedingungen, unser therapeutisches Handeln an Sicher¬
heit und Wirksamkeit gewonnen hat.
Bücheranzeigen und Referate.
Die Materie: Ein Erforschungsproblem in Vergangenheit und
Gegenwart. Von The Svedberg, Professor an der Universität
Upsala. Deutsche Uebersetzung von Dr. H. Fink eist ein. Mit
15 Abbildungen. Leipzig 1914. Akadem. Verlagsgesellschaft. 162 S.
Preis M. 6.50.
Der bekannte schwedische Gelehrte Schilden in meisterhafter
Weise den Werdegang unserer Ansichten über den Bau und das
Wesen der Materie. Mit dem griechischen Altertum beginnend lernen
wir nicht nur Demokritos, den Begründer der Atomlehre, sondern
auch die Ansichten seiner Vorläufer und Zeitgenossen kennen. Ueber
die Alchemisten des Mittelalters mit ihren Bestrebungen, unedle
Metalle in Gold umzuwandeln, gibt ein eigenes, mit zahlreichen Bil¬
Nr. 51.
dern ausgestattetes, Kapitel Aufschluss. Weiterschreitend sehen wir.
wie mit der Befreiung von den alchemistisehen Problemen sich all¬
mählich eine naturwissenschaftliche Betrachtungsweise Bahn bricht
und schon im 17. und 18. Jahrhundert in den Forschungen eines
Bovle. Stahl, Scheele, Lavoisier u. a. reiche Früchte
trägt verfolgen .dann die Weiterentwicklung in dem an theoretischen
und praktischen Ergebnissen so reichen 19. Jahrhundert und lernen
endlich die der jüngsten Zeit angehörenden epochemachenden For¬
schungen auf den Gebieten der physikalischen Chemie, der Elek-
trizifätslehre und der Radioaktivität mit ihren umwälzenden Folgen
für unsere Ansichten über die Materje, ihren Aufbau aus Grund¬
stoffen, ihre Verwandlungsfähigkeit und ihre atomistische Struktur
kennen.
Alle jene, welche das Büchlein zur Hand nehmen, werden es
nicht wieder beiseite legen, ehe sie es ganz gelesen haben und sich!
ebensosehr durch die Reichhaltigkeit als durch die glänzende Dar--
stellungsweise befriedigt fühlen. L i n d e m a n n - München.
Klein Stanislaus: Die Myelogonie, als Stammzelle der Knochen¬
markszellen im Blute und in den blutbildenden Organen und ihre
Bedeutung unter normalen und pathologischen Verhältnissen. 140 S.
Mit 10 farbigen Tafeln. Berlin, Springer 1914. Preis 12 Mark.
Klein hat bei myeloischen Leukämien eine Zelle, und zwar!
gelegentlich in grosser Zahl, gefunden, die ein starres und weniger;
feines Netzwerk der Kernstruktur aufweist als wir es bei den
Myeloblasten finden, zu denen aber Zwischenformen existieren. Die
beigegebenen Abbildungen und die vom Ref. eingesehenen Präparate
belegen die Richtigkeit der Beobachtung und verlangen eine Deutung. I
Da nun Klein mit diesen neuen Zellen die Stammzellen der
weissen Blutkörperchen von Maximow identifiziert und seine i
neuen Zellen auch im Knochenmark und bei myeloischer Metaplasie !
ebenfalls entdeckt, so spricht er seine Myelogonien als Stamm-
zellen aller Knochenmarkszellen überhaupt an und da- i
mit als Zellart, die noch vor den Myeloblasten stehen soll.
Von der Myelogonie leitet er durch Zwischenformen nicht nur
die Megakaryozyten, sondern auch die grossen Ehrlich scheu i
Mononukleären und Uebergangsformen als gealterte Myeloblasten ab,
und direkt aus den Myelogonien durch Alterung die Türk sehen i
Reizungsformen, ferner durch Hämoglobinausbildung die Megalo¬
blasten.
Viele Schlüsse und Ausführungen scheinen dem Ref. irrig, so !
kann z. B. darüber kein Zweifel mehr bestehen, dass in den Reizungs¬
formen besonders differenzierte Lymphozyten vorliegen. Die von
Klein neu beschriebenen Zellen sind wahrscheinlich keine normalen,
sondern pathologische Zellen mit pathologischen Kernveränderungen.
Die aufgeworfenen Fragen sind in mancher Richtung interessant, die ,
Abbildungen sehr gut. N a e g e 1 i - Tübingen.
Th. R o v s i n g - Kopenhagen: Die Gastro-Koloptosis. Ueber-
setzt von G. Saxinger. Leipzig, Vogel, 1914. Preis 10 Mark.
Die Gastro-Koloptose ist eine selbständige Erkrankung, die nicht
wie Stiller will, das Glied einer allgemeinen Asthenie ist, sondern i
ein sehr wichtiges Krankheitsbild, namentlich beim weiblichen Ge¬
schlecht, darstellt. Sie verdankt ihre Entstehung vor allen Dingen
mechanischen Momenten, dem Korsettdruck, dem Schnüren und der :
Erschlaffung der Bauchwand durch Schwangerschaft und Geburt
Die Symptome der Erkrankung sind Obstipation, Kardialgien (die
im Liegen verschwinden), Erbrechen, Abmagerung. Bei der objek- i
tiven Untersuchung ergibt neben dem Röntgenverfahren die Umriss¬
auskultation die besten Ergebnisse. Die Behandlung der Gastro- I
Koloptose geschieht zunächst mit inneren Mitteln und Leibbinde
Führen dieselben nicht zum Ziele, so muss die Gastropexie vorge¬
nommen werden, unter Umständen in Verbindung mit einer Gastro¬
enterostomie.
300 nach der R o v s i n g sehen Methode operierte Fälle zeigen
die Wirksamkeit des Verfahrens. Kr ecke.
P. L iss mann: Geburtenrückgang und männliche sexuelle
Impotenz. Würzburg 1914. Kurt Kab-itzsch. Preis M. 1.50.
Der Verf. hat versucht, durch eine Rundfrage an 200 Aerzte '
festzustellen, ob die von ihm vermutete Zunahme der nervösen
sexuellen Störungen in Deutschland existiert. Das Ergebnis führte
zu einer Verneinung der Frage. Ein wesentlicher Zusammenhang
zwischen Geburtenrückgang und männlicher nervöser Impotenz be¬
steht nicht. A. Groth.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle
Therapie. 22. Band. 2. Heft.
Margarete Stern- Breslau: Zur Theorie und Praxis der Was¬
ser m a n u sehen Reaktion.
Die ausführliche Arbeit der Verf. zeigt, dass die Methodik der
Wassermann sehen Reaktion in dem Neisser sehen Institute
einer fortlaufenden Entwicklung und Verbesserung unterliegt.
Von praktischer Wichtigkeit ist es, dass dort die Meerschwein¬
chen nicht mehr getötet werden, sondern dass ihnen das Blut aus
den Ohrvenen entnommen wird. Ein grösseres Meerschweinchen
liefert 6 — 7 ccm Blut. Für den täglichen Bedarf an Meerschweinchen-
22. Dezember 1914. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
komplement werden jedesmal 5 — 10 Tiere gebraucht und das Serum
gemischt, was wegen der individuellen Eigenschaften mancher Meer¬
schweinchensera von Vorteil ist. Aut diese Weise können die Tiere
alle 4 Wochen zur Blutentnahme herangezogen werden. Die eigen¬
lösende Wirkung mancher Meerschweinchensera beruht auf eigenem
Ambozeptorgehalt. Eiir die Lueslebercxtrakte ist seit einem Jahre
das cholesterinisierte Ochsenherzextrakt nach Sachs mit gutem
Erfolg eingeführt worden. Paradoxe Reaktionen werden immer noch
beobachtet. Die Ablenkung des Komplementes allein und in Gegen¬
wart der Extrakte differiert in vielen Fällen ganz ausserordentlich.
Daher müssen die individuellen Beziehungen der Komplemente zu den
Extrakten in einem Vorversuche eruiert werden. Nach den Erfah¬
rungen der Verf. geschieht das am besten durch die Austitration
des Ambozeptors. Die Sera werden inaktiv mit 5 und aktiv mit
3 Extrakten untersucht. Die Versuche über quantitative Unter¬
suchungen der Sera haben noch zu keinem abschliessenden Resultat
geführt. Die Vereinheitlichung der Wassermann sehen Reaktion
hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn neben der Einführung der
in einer Zentralstelle hergestellten Reagenzien auch die ganze Ver¬
suchstechnik auf eine einheitliche Basis gestellt wird. Dazu aber
müssten die meisten Institute eine kompliziertere Methodik einführen.
Christian Schöne- Greifswald: Eine experimentelle Begrün¬
dung der Dosierung des Diphtherieheilserums beim Menschen.
Da das Diphtherieheilserum bisher ausschliesslich nach empirisch
gewonnenen Regeln und Ueberlegung dosiert wird und diese Dosis in
der Praxis ganz ausserordentlich schwankt, so hat der Verf. nach
Methoden gesucht, um die für den Menschen minimal tödliche Dosis
von Diphtherietoxin und die zur Neutralisation dieser Dosis er-
iorderliche Menge Antitoxin zu berechnen. Er fusst dabei auf der
von Römer angegebenen Wirkung der intrakutan gegebenen In¬
jektionen und kommt zu dem Schlüsse, dass eine gewisse gesetz-
massige Proportion zwischen Haut- und Allgemeinempfindlichkeit be¬
steht. Bei den in Betracht kommenden Tierarten konnte er lest-
stellcn, dass die Allgemeinempfindlichkeit stets das 200 bis 150 fache
der Hautempfindlichkeit, bezogen auf 100 g Körpergewicht, darstellt.
Bei Kindern und jüngeren Menschen ist die Hanrempfindlichkeit
etwa zehnmal so gering wie bei den Meerschweinchen, Hunden und
Katzen. Bei älteren Menschen ist sie noch geringer. Aus der zur
Neutralisation der intrakutanen Dosis erforderlichen Menge Antitoxin
ist die zur Neutralisation der einfachen tödlichen Dosis notwendige
Menge Serum zu berechnen. Die näheren Zahlenangaben sind im
Original nachzulesen.
3. Heft.
Ferdinand Schenk-Prag: Ueber die Giftigkeit von Organ¬
extrakten.
Aus allen Organgeweben werden durch kurzdauernde Extraktion
mit physiologischer Kochsalzlösung Gifte gewonnen, welche oei intra¬
venöser Injektion akut tödlich wirken. Durch die Untersuchungen
einer Reihe von Autoren erscheint es dem Verf. erwiesen, dass diese
Giftwirkung lediglich auf dem Gehalt der Extrakte an Fibrinferment
beruht. Der beste Beweis dafür ist die Aufhebung der giftigen
Wirkung durch Hirudin. Dieselbe Wirkung kann erreicht werden
durch Vorinjektion von untertödlichen Dosen, durch langsames Ein-
fliessenlassen oder durch Zusatz von normalem Serum.
S. J. Metalnikov: Ein Beitrag zur Frage über die Ursachen
der Immunität in Bezug auf die Tuberkulose.
Nach dem Verf. sind fast alle Tiere, wie auch der Mensch in
höherem oder geringerem Grade gegen Tuberkelbazillen immun. Die
Ursache dieser Immunität sieht er in der Anwesenheit eines be¬
sonderen Fermentes im Organismus der Tiere, welches die Fähigkeit
besitzt, Fette zu spalten und die Hüllen der Tuberkelbazillen aufzu¬
lösen. Der tuberkulöse Eiter enthält eine Lipase, welche nicht nur
Fette, sondern auch Tuberkelbazillenwachs aufzulösen vermag. Bei
tuberkulösen Infektionen kann man ein starkes Sinken der Iipolyti-
schen Energie in allen Organen beobachten. In der Ernährung mit
Fetten, welche die lipolytische Energie steigert, sieht der Verf. die
erfolgreichsten Mittel gegen die Tuberkulose.
L. Saathoff - Oberstdorf.
Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Herausgegeben von
L. B r a u e r, Hamburg. Band 29. Heft 1. 1913—1914.
Heft 1.
O. Fever abend- Ueber spontane Meerschweinchentuber¬
kulose.
Bei einer Sendung von 50 Meerschweinchen wurden 12 tuber¬
kulös gefunden. Die Erkrankung war erfolgt durch Ansteckung von
einer im gleichen Stalle gehaltenen Ziege und deren Milch. Tier¬
versuche Hessen die Tuberkulose als durch den Typus bovinus be¬
dingt erkennen Man muss demnach die spontane Tuberkulose der
Meerschweinchen mein berücksichtigen und vor allen Tuberkulose¬
versuchen an Meerschweinchen durch intrakutane Prüfung mit
Tuberkulin ausschalten
W. Schultz: Weitere Mitteilungen über Eisentuberkulin.
Eisentuberkulin enthält sämtliche primäre Albumosen und den
grössten I eil der Deutcroalbumosen A und B und weist einen Ver¬
lust an Pepton gegenüber dem Alttuberkulin auf. Alle organischen
Bestandteile des K o c h sehen gereinigten Tuberkulins sind in das
Eisentuberkulin übergegangen, dagegen nicht die meisten anorgani¬
schen Salze das Alttuberkulins. Die Behauptung, dass Eisentuber¬
kulin weniger häufig Allgemcinreaktionen auslöst, ist durch die Ar¬
beiten von S c h e 1 1 e ti b e r g und Amrein bestätigt worden.
G. Breccia: Zur Frage des künstlichen Pneumothorax.
Bei einem mit künstlichem Pneumothorax behandelten Affen
zeigte die Kollapslunge frisch entstandene tuberkulöse Knötchen, die
dazugehörige Pleura wies hämatogen mit den Gefässen in Ver¬
bindung stehende Tuberkel auf. Die nicht komprimierte Lunge war
doppelt so gross und bestand aus einem kompakten tuberkulösen
Gewebe.
A. Mayer: Experimentelle und klinische Mitteilungen über die
nach Pneumothoiaxoperationen auf tretenden Pleuraergüsse.
• Operationen kamen 18 Exsudate zur Beobachtung, meist
mit Fieber verbunden, welches oft noch längere Zeit nach Beseitigung
des Exsudates bestand. Exsudate entstehen nur bei längerem Be¬
stehen eines grösseren Pneumothorax; zweimal wurde das Auf¬
treten eines Exsudates nach Angina und fieberhafter Bronchitis be¬
obachtet; ein Fall wies ein äusserst zellenreiches Mischinfektions¬
exsudat infolge einer Perforation des viszeralen Pleurablattes über
dem ausgedehnt erkrankten Unterlappen auf. Nach dem klinischen,
chemischen, zytologischen und bakteriologischen Verhalten ergeben
sich vier Typen von Pnenmothoraxexsudaten: 1. Exsudate, die der
Pleuritis der Tuberkulösen entsprechen. 2. Exsudate mit akut in¬
fektiösem Charakter (nach Angina, Bronchitis u. a.). 3. Exsudate,
die durch Perforation der Pleura visceralis entstehen. 4. Exsudate
eines besonderen Typus, mit mässigem Eiweissgehalt, spärlichen
Lymphozyten und ausgesprochener Eosinophilie. Die Exsudate
sind möglichst zu beseitigen. Autoserotherapie ist nur
wirksam bei Vorhandensein von Antikörpern, ln hartnäckigen Fällen
kann die Pleurahöhle mit Lysoformlösung ausgewaschen werden.
Kr. F. And word: Die Tuberkulose eine Kinderkrankheit.
An Hand der Literatur sucht Verf. zu zeigen, dass unter den
gegenwärtigen Verhältnissen die Mehrzahl der Tuberkulosen schon
auf eine ■ Infektion in der Kindheit zurückgehen; durch solche früh
ei wordenen Infektionen wird, sofern sie benignen Charakter haben,
ein gewisser Immunitätsgrad erreicht, der den gutartigeren Verlauf
der Tuberkulosen des späteren Alters erklärt. Als Infektionsquelle
symptomloser Tuberkulosen sieht Verf. einmal die Ansteckung durch
tuberkulöse Menschen an, ziemlich oft sei die Infektion jedoch tuber¬
kulöser Milch zuzuschreiben. Keine eigenen Fälle.
Wendenburg: Ueber eosinophile Sputumzellen, im beson¬
deren bei Tuberkulose.
Lokale Eosinophilie kann bedingt sein durch einen chronischen
Entzündungsreiz, der eine Proliferation, Umwanderung und Auswan¬
derung der Kapillarendothelien der Umgebung bewirkt. Bei der chro¬
nischen Tuberkulose entsteht durch peribronchioly tische Entzündung
eine eitrige Absonderung in die Bronchien ohne Bazillen im Auswurf.
Ein eitriges Sputum, dessen eitriger Charakter durch andere Erreger
nicht genügend aufgeklärt ist, wird durch das Auftreten von Eosino¬
philen in über 5 Proz. mit ziemlicher Sicherheit als tuberkulös er¬
kannt- Erich Leschke - Berlin.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 49, 1914.
O. Hoehne-Kiel: Ueber die Behandlung retinierter Plazentar¬
reste.
Die Lehre Winters, retinierte Plazentarreste bei uteriner In¬
fektion nicht aktiv zu behandeln, gab H. Veranlassung, seine dies¬
bezüglichen Erfahrungen aus der Kieler Klinik mitzuteilen. Es
handelt sich um 29 Fälle, von denen 14 in der Klinik entbunden und
15 nach der Entbindung eingeliefert worden waren. Von letzteren
fieberten 7; hiervon starben 2, während 5 genasen, eine allerdings
erst nach schwerem Krankenlager. Bei den fieberlosen Fällen ver¬
lief nach Entfernung des Plazentarrestes das Wochenbett stets
günstig. Man soll unter allen Umständen auf das Erkennen eines
Plazentardefektes grossen Wert legen und baldmöglichst das fehlende
Stück entfernen, auch bei gleichzeitigem Fieber, es sei denn, dass
schon eine Allgemeininfektion besteht.
Bei aktivem Vorgehen in fiebernden Fällen soll die Ausräumung
des Uterus eine möglichst schonende, ohne Zuhilfenahme scharfer
Instrumente und unbedingt vollständig sein. Hat die Infektion schon
die Uteruswand überschritten bzw. besteht schon eine Allgemein¬
infektion des Körpers, so wäre zu erwägen, ob man bei profusen
Blutungen sich auf die Entfernung des Plazentarrestes beschränken
oder radikaler Vorgehen soll. Hier käme die Totalexstirpation des
Uterus oder Unterbindung der Uterusvenen in Betracht.
H. steht also nicht auf dem radikalen Standpunkte Winters,
der bei uteriner Infektion jedes aktive Vorgehen verbietet; er hält'
vielmehr, vor allem wenn die Infektion den Uterus noch nicht über¬
schritten hat, die Entfernung des Plazentarrestes für unbedingt er¬
forderlich. J affe- Hamburg.
Archiv für Kinderheilkunde. 63. Band, 5. u. 6. Heft.
1 h i m m - Steglitz: Zur Kenntnis der Epithelkörperchen —
Glandulae parathyreoideae. (Aus dem pathologischen Institut des
Kudcli-Virchow-Krankenhauses zu Berlin.)
Die fleissigen, an Querschnitten von Menschen und Tieren
angestcllten Untersuchungen bringen nichts wesentlich Neues und
sind von Spezialforschern im Bedarfsfall im Original nachzulesen
2412
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 51.
Wilhelm Wegen er: Ueber psychogene Magensekretionsano-
nialien im Kindcsalter. (Aus der medizinischen Kinderabteilung der i
Universitätsklinik zu Rostock.)
Unter 80 poliklinischen Kindern mit Magenstörungen fanden
sich 19 mit pathologischer Zusammensetzung des Magensaftes, und
zwar 2 mit Hyperazidität und 17 mit ausgesprochener Anachlor-
hydrie. Solche Störungen kommen also in der älteren Kindheit
relativ häufig vor. Sie haben fast immer eine neuropathische Kon¬
stitution als auslösendes Moment zur Grundlage. Es nandelt sich
meistens um massig oder dürftig genährte Kinder von blassem Aus¬
sehen mit mehr oder minder stark ausgeprägter Vasomotorenparese,
mit fehlender oder starker Herabsetzung der Konjunktival- und
Rachen-, Steigerung der tiefen Reflexe, mechanischer Uebererregbar-
keit der peripheren Nerven und positivem Rosenbach schem Phä¬
nomen. Zuweilen scheint eine Beziehung zur exsudativen Diathese
zu bestehen. Die Prognose dieser nervösen Störungen ist im Kindes-
altcr günstig.
Michael G u t s t e i ti - Charlottenburg: Histologische Unter¬
suchungen über die Muskulatur der rhachitischen Kinder.
Die Untersuchungen bestätigen die Arbeiten von ß i n g und
Hagenbach und zeigen, dass die rhachitische Muskelstörung eine
wohl durch die bestehende Stoffwechselstörung (Kalkmangel!) be¬
dingte Wachstumsstörung ist. Es gibt also eine primäre, den Knochen
koordinierte Muskelerkrankung der Rhachitis.
Ernst Schloss: Vergleichende Untersuchungen über die Wir¬
kung anorganischer und „organischer“ Kalkphosphorpraparate auf den
Stoffv echsel bei frischer und abheilender Rhachitis. (Aus dem
grossen Friedrichswaisenhaus der St'adt Berlin.)
Die Versuche studieren die Retention des Trikalziumphosphats
einerseits und des Tricalcols, eines Kaseinkalkpräparates, und des
Plasmon andererseits bei Kindern mit frischer und abheilenaer Rha¬
chitis; ferner die Bedeutung des Lebertrans für die Verwertung der
zugclegten Mineralien und schliesslich die Bedeutung der Ernährungs¬
weise für den Erfolg der Medikation, ln Bestätigung früherer Ver¬
suche ergab sich auch hier unzweifelhaft wieder ein günstiger Ein¬
fluss der Kalkphosphorpräparate auf den Mineralstoffwechsel; und
zwar kommt diese Wirkung nicht nur der kombinierten Leoertran-
mineralstofftherapie zu, sondern es bewirken die Kalkphosphorprä¬
parate für sich allein schon im Milieu der üblichen Ernährung eine
Retentionsverbesserung, die durch die Beigabe von Lebertran nur
unwesentlich gesteigert wird. Organische und anorganische Prä¬
parate verhalten sich dabei ziemlich gleichwertig; es kommt vor
allem auf die inneren Bedingungen der Aufnahme, hier auf den
Stand des rhachitischen Prozesses an. ln einer Periode z. B., wo
hauptsächlich der Verlust an Alkalien zu decken ist, wirkt die Zufuhr
von Eiweiss oder Kalkphosphorpräparaten eher ungünstig ein. Das
Nahrungsmilieu, in dem die Präparate dargeboten werden, ist von der
grössten Bedeutung: das einfache anorganische Salz, in Frauenmilch
dargeboten, wird bei weitem besser verwertet als die genuinen
Mineralstoffe der Kuhmilch, trotz Zugabe von Lebertran. Die Dar¬
reichungsform tritt in den Hintergrund gegenüber der inneren Auf¬
nahmefähigkeit des Organismus und dem Nahrungsmilieu.
R. H e c k e r - München: Zur Pathologie des periodischen Er¬
brechens mit Azetonämie.
Bemerkung zu der Arbeit von Hugo Zade: Kritische Studie
über das mit Azetonurie einhergehende Erbrechen etc. im Bd. 63,
H. 1 u. 2 des Arch. f. Kinderheilkunde. Hecker- München.
Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 49, 1914.
Stutzin- Berlin: Einige praktische Winke zur Behandlung von
Schussverletzungen.
Verf. rät den Verband nicht unnötig oft zu wechseln; nur Fieber,
Schmerzen und starke Sekretion geben dazu Veranlassung, nicht der
Geruch. Schussfrakturen verlangen steife Verbände, am besten Gips.
Als Verbandstoff genügen sterile Stoffe vollkommen, desinfektions-
und granulationsfördernde Mittel sind unnötig und reizen oft nur die
Wunde.
Zondck: Entfernung einer russischen Maschinengewehrkugel
aus der Blase durch die Urethra.
Der Schnabel des Kugelfängers wurde genau der Form eines
russischen Maschinengewehrgeschosses angepasst und es gelang dann
ohne besondere Schwierigkeiten, das Geschoss zu extrahieren.
Georg Wolfsohn: Zur Tetanusfrage.
Die Erfahrungen des Verfassers sind sehr traurig; von 29 Er¬
krankten starben 27. Das Tetanusserum schien nur eine prophylak¬
tische Wirkung zu haben.
Paol R i c h t e r - Berlin: Der Milzbrand als Kriegsseuche.
Historischer Beitrag.
L. H. M a r k s - Frankfurt a. M.: Chemotherapeutische Versuche
bei Vogelmalaria.
Weder Chinin und Methylenblau, noch eine Reihe anderer che¬
mischer Substanzen zeigten im chemotherapeutischen Versuch bei
intramuskulärer Applikation einen Einfluss auf die Vogelmalaria. Im
Gegensatz dazu vermochte die Verfütterung des Methylenblau mittels
eines zu diesem Zweck hergestellten Nährgemisches das Angehen
der Infektion in etwa 50 Proz. zu verhüten. In vitro wirkt das
Methylenblau wesentlich' stärker auf die Plasmodien ein, als das
Chinin.
Max Einhorn- NewYork: Die direkte Untersuchung des Duo¬
denalinhalts (und der Galle) als diagnostisches Hilfsmittel bei Gallen¬
blasen- und Pankrcasafiektionen.
Kurze Beschreibung der Untersuchungsmethode nebst Kasuistik.
Heinrich P e t r y - Göttingen: Zur Kenntnis und Bedeutung des
Nasenblutens im späteren Kindesalter.
Bei jedem Nasenbluten, auch des nicht fiebernden Kindes, ist
die Lokalinspektion der Nase gebeten. Wenn man auch meist nur
das bekannte Septumgeschwür zu sehen bekommen wird, so wird
doch auch gelegentlich einmal eine chronische Nasendiphtherie ent¬
deckt werden Noch mehr gilt dies beim Säugling. Bei Sepsis und
sepsisähnlichen Erkrankungen sowie bei allen Infektionskrankheiten
ist die Diagnose „septische Nasenblutung“ ohne genaue Inspektion
der Nase nicht gestattet. Blutung aus einem einfachen Septumge¬
schwür kann den Krankheitsverlauf zum Schlimmeren wenden und
völlig das Bild septischer schwerster Infektion hervorrufen.
A. PI ehn- Berlin: Ueber grosse Bluttransfusionen. (Vortrag,
gehalten in der Berl. med. Ges.)
Cf. Nr. 23, S. 1311 der M.m.W. 1914. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift.
Nr. 49. E. H e r t e 1 - Strassburg: Ueber Verletzungen des Seh¬
organs im Kriege.
Der Besprechung liegen 127 Fälle zugrunde.
E. Leschke - Berlin : Ueber ruhrähnliche Darmerkrankungen.
L. legt an 8 Fällen (Soldaten) dar, dass es Darmerkrankungen
mit blutigen und schleimigen Durchfällen gibt, die klinisch der echten
Bazillenruhr völlig gleichen, aber ätiologisch nichts mit ihr zu tun
haben, sondern auf anderen enterogenen Infektionen (auch Parasiten)
odci enterogenen Intoxikationen, weiter auf parenteralen Infektionen
(z. B. von den Tonsillen aus) oder auf mechanischen Darmwand-
schädigungcn beruhen. Es ist auch auf die Enteritis anaphylactica hin¬
zuweisen und es ist zu beachten, dass die hier beschriebenen Fälle
mehr oder weniger ausgesprochene Lymphatiker betrafen, bei wel¬
chen die Empfindlichkeit des Darmes und der Gefässe gesteigert zu
sein pflegt. Solche, nicht seltene Fälle sind allerdings anfänglich
wie Ruhrfälle strerig zu isolieren, nach Erkennung aber von den
Ruhrkranken abzuscheiden. Für die Behandlung ist die pulverisierte
K( hie (namentlich die Blutkohle, täglich 15 — 25 g in Oblaten) von
besenderem Wert. Die Genesung erfolgt in den meisten Fällen in
kmzer Zeit.
Syring-Neu-Ruppin: Behandlung des Wundstarrkrampfes mit
Magnesiumsulfat.
Beschreibung eines Falles, der nur mit Magnesiumsulfat, täglich
4 mal (in 8 Tagen 25 mal) 10 ccm der 10 proz. Lösung per os, be¬
handelt, heilte.
E. S e n g e r - Krefeld: Ueber Wadenschüsse und deren Behand¬
lung.
Zur Abkürzung der oft sehr langwierigen Behandlung der Waden¬
muskelkontrakturen empfiehlt Verf. die Tenotomie der Achillessehne,
welche frühzeitig, sowie die Spitzfussstellung einzutreten beginnt,
ausgeführt werden soll.
Link: Zur Wundbehandlung.
L. wendet sich gegen den noch nicht geschwundenen Missbrauch
des Jodoforms, den allzuhäufigen Verbandwechsel, die unnötig lange
Immobilisierung der Extremitäten. Bei Fingeramputation soll statt
der Erhaltung kurzer Stümpfe der Grundphalangen lieber die Exarti¬
kulation erfolgen; schliesslich empfiehlt L. die baldige sorgsame Ent¬
fernung von Fremdkörpern, deren Sitz nicht zu ungünstig ist.
O. H a r t o c h und W. Schür mann - Bern : Die Schutz¬
wirkung des Diphtherieserums bei der Reinjektion.
Bei gegen Pferdeserum überempfindlichen Meerschweinchen ver¬
leiht die subkutane Injektion von Diphtherieantitoxin (Pferdeserum)
bei nachfolgender intrakutaner Prüfung mit Toxin eine 8 — 32 mal
geringere Schutzwirkung als bei nicht vorbehandelten Tieren. Wird
bei solchen Meerschweinchen durch kleine Dosen normalen oder anti¬
toxinhaltigen Pferdeserums Antianaphylaxie erzeugt, so zeigt das
nachher einverleibte Antitoxin dieselbe Wirkung wie bei nicht vor-
bchandelten Tieren. Die subkutane Injektion kleiner Serummengen
nach Besredka vermeidet nicht nur die Gefahr der Anaphylaxie
bei den Reinjektionen, sondern verhütet auch die Inaktivierung des
Antitoxins.
G. S t ü m p k e-Hannover: Die Vakzinebehandiung und -dlagnose
der Gonorrhöe.
Ergebnis- Die vielfach auseinandergehenden Urteile über die
Vakzinebehandiung erklären sich aus der verschiedenen Reaktion der
Gunokokkenstämme. Die ideale Forderung, in jedem Falle autogene
Vakzine zu verwenden, ist undurchführbar. Die möglichste Abhilfe
liegt in der Steigerung der Polyvalenz des Arthigons und Gonargins,
welche wenigstens auf eine grosse Zahl von Gonokokkenstämmen
einwirken.
E. R e i c h e n o w - Ajoshöhe-Kamerun: Die Grundlagen für eine
Therapie der Schlafkrankheit.
R. berichtet über noch nicht abgeschlossene Versuche, nach
intravenöser Neosalvarsanbehandlung auch intralumbal Neosalvarsan
im eigenen Serum des Kranken einzuverleiben. Bisher wurden so
Gaben bis 0,04 g Neosalvarsan ohne Schaden ertragen. Bei anderen
Versuchen erhielten die Kranken an mehreren Tagen je 200 g Aethyl-
alkohol; darnach zeigte sich im Liquor cerebrospinalis eine starke
22. Dezember 1914. MUENCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2413
Abnahme, aber kein Schwinden der Trypanosomen und eine baldige
W iederzunahme ihrer Zahl. Versuche mit Methylalkohol und anderen
Nervengiften sind geplant.
E. S i e b u r g - Rostock: Zur Kenntnis des Imidazoläthylainins
(Histamin).
Entsprechend den eigenen Tierversuchen und den vorliegenden
nicht ungünstigen Berichten über das verwandte Tenosin empfiehlt
Verf. weitere Versuche mit kleinen Dosen des /Mmidoazoläthylamins
in der Geburtshilfe.
E. S c h i e c k - Halle a. S.: Die Bedeutung der von J. Schere-
schewsky angeblich durch Syphilisspirochäten hervorgerufenen
Keratitis parenchymatosa.
Die von Schereschewsky in Nr. 41 berichteten Versuche
sind nicht einwandfrei, da das von ihm zur Züchtung der Spirochäten
benutzte Pferdeserum an sich ohne jede Beimengung dieselben Ver¬
änderungen am Kaninchenauge hervorruft.
N. G o r i a e w - Kasan: Meine Netzteilung für die Zählkammer.
Beschreibung der Zählkammer und ihrer Anwendung.
Bergeat - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1914. Nr. 31
bis 35.
Nr. 31. A. M a c h a r d - Genf : l’Osteosynthese de Lambotte
dans le traitement des deviations rachitiques.
Genaue Beschreibung der Methodik, die Verf. in einer grösseren
Zahl von Fällen erprobt hat.
Nr. 32. W R. Hess- Zürich: Ueber die funktionelle Bedeutung
der Arterienmuskulatur.
Verf. lehnt die Annahme eines aktiven Antriebes des Blut¬
stromes nach der Peripherie durch die Arterien ab, weil im Arterien¬
rohr ein Mechanismus, der die einseitig gerichtete Strömung gewähr¬
leisten würde, fehlt. Die Arterienmuskulatur dient nur dazu, die
Anpassung an die lokalen Schwankungen des Zirkulationsbedarfes zu
ermöglichen, so dass sie von der Herzarbeit unabhängig werden und
Herzarbeit gespart wird
H. H e r z o g - Solothurn: Erstickung infolge Durchbruches einer
tuberkulösen Drüse in die Trachea.
Beschreibung eines Falles.
Nr. 33. 0. S t e i g e r - Zürich: Pathologie der Leberfunk-
und moderne funkiionelle Prüfungsmethoden. (Med. Klinik Zürich.)
Schluss folgt.
Nr. 34. 0. S t e i g e r - Zürich: Pathologie der Leberfunk -
tinnen und moderne funktioneile Priifungsmethoden.
Kritische Uebersicht des heutigen Standes der Frage auf Grund
ausführlicher Diskussion der Literatur und der Ergebnisse bei 14
eigenen Fällen.
K. B o 1 1 a g - Basel: Uicus gummosum vaginae et vulvae.
Ausführliche Beschreibung eines Falles.
E. M ü 1 1 e r - Gersau: Ein Beitrag zur medikamentösen Per¬
tussisbehandlung.
Nr. 35. F de Q u e r v a i n - Basel: Die Diagnose des Magen-
und Duodenalgeschwürs.
Fortsetzung folgt.
E. K o e c h 1 i n - Zollbrück: Eine seltene Erkrankung des Oeso¬
phagus.
Beschreibung eines Falles von Oesophagitis dissecans superfic.
bei einer 30 jähr. Frau mit Abstossung einer 25 cm langen Membran.
Heilung. L. J a c o b - Würzburg.
Inauguraldissertationen.
Universität Kiel. Oktober 1914.
Alexander Alfred: Zur Symptomatologie und Pathologie der
Kleinhirnzysten.
Asch Richard: Die Zungenstruma. Gleichzeitig ein kasuistischer
Beitrag zum postoperativen Myxödem und zur Frage der Tetania
parathyreopriva.
Baecker Hans: Ueber Alkoholismus und alkoholische Geistes¬
störungen beim weiblichen Geschlecht.
Bathe Otto: Die Behandlung von Blutkrankheiten mit radioaktiven
Substanzen.
Benninghaus Franz: Beitrag zur Paranoia chronica sexualis und
Paranoia erotica.
B inhold Adalbert: Ein Beitrag zu dem Kapitel traumatische Psy¬
chosen.
Bruns Erich: Ueber ausgedehnte Dünndarmresektionen (drei Fälle
der chirurgischen Klinik zu Kiel, bei denen mehr als 200 cm
Dünndarm reseziert wurde).
Buhl Friedrich: Zittmannkuren bei syphilitischen Erkrankungen der
Sehbahnen.
Crem er Diedrich: Zur Klinik der Puerperalpsychosen.
Doose Hermann: Leitungs- und Lokalanästhesie bei volaren Phleg¬
monen der Hand.
Forche Ernst: Ueber die vom 1. Oktober 1910 bis 1. November 1913
an der Kieler Universitätsfrauenklinik zur Beobachtung gekom¬
menen Fälle von Extrauteringravidität.
Frankenthal Käte: Beitrag zur Lehre von den durch Balantidium
coli erzeugten Erkrankungen.
Go Ich Fritz: Hemichorea mit Paresen.
Harpe Carl: Ueber Choreapsychosen in der Schwangerschaft.
Hey der Otto: Beitrag zur forensischen Beurteilung der Katatonie.
Kleine Heinrich: Beitrag zur Lehre von der senilen Hysterie.
Kroes Heinrich: Ueber die Diagnose und Therapie der Nieren¬
tumoren.
Kronen Jakob: Ueber Lumbalhernien.
Loechel Karl: Eingebildete Gravidität.
Olfs Heinrich: Ueber Mammakarzinome.
Otzen Hugo: Ueber psychische Störungen im Verlaufe der Para¬
lysis agitans.
Schönfeld Alfred: Ein Fall von Pseudobulbärparalyse infolge
von Lues cerebri.
Schonlau Otto: Zur strafrechtlichen Beurteilung des Eifersuchts¬
wahnes.
Stahl Peter: Kasuistischer Beitrag zur Chorea chronica progressiva
(Huntington sehe Chorea).
Stiel Ernst: Ein Beitrag zur forensischen Bedeutung der chro¬
nischen Paranoia.
Winkelmann Adolf: Progressive Paralyse und Schwangerschaft
Stoppel Oskar: Ueber Blasenmole im präklimakterischen Alter
und ihre Differentialdiagnose.
Witzmann Siegfried: Stauungstherapie bei Mastitis.
Wolf f Peter: Zur Aetiologie und Symptomatologie der Zwangsvor¬
stellungen.
Wolters Franz: Ueber starke und aussergewöhnliche Nierenblu¬
tungen.
Universität Marburg. Oktober 1914.
Gramberg Hans: Ueber einen Fall von Atresia ani congenita et
communicatio ani cum parte prostatica urethrae, complicata cum
atresia urethrae congenita.
Greger Helmuth: Ueber Harnverhaltung im Wochenbett.
Hassenkamp Ernst: Beitrag zur perniziösen Anämie in Gravidität
und Puerperium.
Hoff mann Walter Kurt: Ueber totale Rhinoplastik.
Lahmeyer Friedrich: Ein Fall von Geschwulstbildung im Gehirn
und in den weichen Häuten des gesamten Zentralnervensystems.
Landgraf Wilhelm: Ueber intrakranielle Bluturgen beim Neu¬
geborenen mit besonderer Berücksichtigung der Blutmenge infolge
von Tentoriumzerreissungen.
Lürick Heinrich: Die progressive Paralyse in der Heil- und Pflege¬
anstalt zu Osnabrück (1868 — 1913).
Martin Ferdinand: Ueber eine neue Dekompressionsoperation bei
intrathorakalem Drucke. (Ein Beitrag zur Thoraxchirurgie.)
Müller Gustav: Ueber einige Erfahrungen mit der „künstlichen
Höhensonne“.
Odya Boleslaw: Ueber den Gleitbruch des Dickdarms.
Oppenheimer Max: Die forensische Bedeutung der Zwangsvor¬
stellungen.
Pröbsting Erich Arnold: Ueber metastatische Niereneiterung und
deren Behandlung.
Rein icke Johannes: Experimentelle Untersuchungen über das
Wesen des immunisatorischen Serumantitrypsins.
Sardemann Emil: Ueber die Behandlung der Aktinomykose mit
Röntgenstrahlen.
Schmidt Ludwig: Vagitus uterinus.
Sommer Otto: Wirkung von Uzaron auf den quergestreiften
Froschmuskel.
Staeckert Kurt: Blutneubildung durch Br uns sehe Unterdruck¬
atmung.
S t r u e v e r Willy: Ein Beitrag zur Klinik und Hämatologie des fami¬
liären hämolytischen Ikterus.
Tichy Johannes: Klinischer und experimenteller Beitrag zur Opera¬
tion der Wanderniere.
V ol p Adolf: Ueber die traumatischen Lähmungen des Nervus radialis
und ihre Behandlung.
Wack Paula: Ueber Leukozytenbefunde bei Miliartuberkulose und
ihre diagnostische Bedeutung.
Universität München. Oktober 1914.
Hütwohl Ottilie: Ueber das Vorkommen von Ikterus bei Kindern.
Aus den Fällen der Münchener Kinder-Poliklinik in den Jahren
1902—1911.
Klein Max: Ein kasuistischer Beitrag zur Kenntnis des Meckel-
schen Divertikels. Zwei Fälle von persistierendem Ductus
omphaloentericus.
Drisch Alois: Ein Leberabszess bei entzündlichen Veränderungen
im Appendix.
Cnopf Julius: Die A b d e r h a 1 d e n sehe Reaktion bei Lungen¬
tuberkulose. Untersuchungen mit Hilfe der optischen Methode.
Friedberg Gertrud: Beitrag zur Lehre der ischämischen (arterio¬
sklerotischen) Rückenmarkserweichung.
Hund Josephine: Tentamen abortus provocandi deficiente gravidi-
tate.
Kraus Hans: Ueber maligne Hodengeschwülste, speziell Sarkome
J414
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 51.
Vereins- und Kongressberichte.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll )
1690. OrdentlicheSitzungvom 2. November 1914. abends
7 Uhr im Sitzungssaal.
Vorsitzender: Herr Quincke.
Schriftführer: Herr B a e r w a 1 d.
Herr E. Goldschmid: Demonstration pathologisch-anatomi¬
scher Präparate.
1. 58 Jahre alter Maurer mit inoperablem Oesophaguskarzinom,
durchgebrochen in Trachea und rechten Hauptbronchus. Vereinzelte
Drüsenmetastasen. Multiple Fibrome der rechtseitigen Pleura sowie
des Perikards.
2. 3 Jahre altes Mädchen. Plötzlich verblutet bei eitriger Media¬
stinitis und Sepsis. Hat vor ca. 8 Tagen einen eisernen Vorhangsring
verschluckt, der aus dem Oesophagus entfernt wurde: Mediastinitis
posterior purulenta bei ausgedehnter Zerreissung des Oesophagus in
Bifurkationshöhe mit Nekrose der Umgebung und der Wand
des Aortenbogens. Linkseitiger Pleurariss. Blutung in die
linke Pleurahöhle, in den Magen-Darm- und den Respirationstrakt.
Diffuse Bronchopneumonie. Mikroskopische septische Lebernekrosen.
3. 24 Jahre altes Mädchen, das plötzlich mit Halsentzündung und
Erbrechen erkrankt ist. Später Durchfälle: Zirkuläre tiefgreifende
Ulzeration des Zoekums mit Polypose. Ausgedehnte Serosaverwach-
sungen. Akute eitrige Peritonitis. Mikroskopisch: Ganz vereinzelte
Tuberkel in der Submukosa. Akute eitrige Peritonitis. (Gering¬
gradige einseitige Spitzentuberkulose.)
4. 20jähr. Mädchen mit Urämie. (Vor 12 Jahren Gesichtsrose.)
Vorgeschrittene atrophische Schrumpfniere. Urämie. Gastroentero-
coütis uraemica catarrhalis. Polyposis coeci. Hochgradiges Oedem
des Pharynx und Kehlkopfeinganges.
5. 47 jähr. Mann. Bald nach der Aufnahme gestorben. Klagte
über Schmerzen im Leib und Rücken. Periodische Störung von Herz
und Atmung: Aneurysma der Aorta descendens. Mesaortitis syphi¬
litica. Zum Teil vernarbte zirkuläre Ulzeration im Colon ascendens.
ln der Schleimhaut festsitzend ein Exemplar von Trichocephalus
dispar (Weibchen). Mikroskopisch: eitrige Infiltration und Ver¬
dickung der Submukosa. Abflachung der Mukosa. Drüsenlumina und
Stroma mit Leukozyten und Eosinophilen vollgestopft; Riesenzellen.
6. 26 jähr. Soldat. Plötzlicher Exitus bei Typhus aoaommalis
am Ende der 3. Woche. Kolotyphus mit zahlreichen kleinsten Ulzera
in S romanum und Colon descendens. Chronische parenchymatöse
Nephritis. Katarrhalische Zystitis
7. 36 Jahre alter Soldat mit Typhus abdominalis: Eitrige fäku-
lentc Peritonitis nach Perforation eines typhösen Geschwürs im
untersten Ileum. Ausgedehnte Ulzeration und Unterminierung der
Rektumschleimhaut. Geschwürsbildung ausgedehnt auf den ganzen
Darm vom mittleren Ileum abwärts.
8. und 9. Knabe von 1% Jahren und Mädchen von 4 Jahren.
Ungewöhnlich stürmisch verlaufender Darmkatarrh mit heftigsten
dysenterischen Entleerungen. Bakteriologisch: Bazillus Shiga-
Kruse. Infektion durch den dysenterisch aus dem Felde zurückge¬
kehrten Vater. Die Mutter ebenfalls erkrankt. Dysenterie, vor¬
geschrittene hochgradige diphtherische Entzündung im Zoekum. unter¬
sten Ileum und ganzen Kolon. Katarrhalische Tracheobronchitis. In¬
fektiöser Milztumor. Trübe Schwellung der Leber. Stase in den
Bauchorganen.
Herr Abi (a. G.): Adrenalin Wirkung bei Milztumor.
An einem Fall von hämolytischem Ikterus mit vergrösserter Milz,
welche 13 cm unter dem Rippenbogen hervorragt, wird demonstriert,
dass nach subkutaner Verabreichung von 1 mg Suprarenin (Höchst)
eine sofortige Verkleinerung der Milz eintritt. so dass sie nach 3 Mi¬
nuten unter dem Rippenbogen eben noch festgestellt werden kann.
Es werden Papierpausen gezeigt von früheren Versuchen. In einem
Falle trat nach 5 Minuten eine Verkleinerung der Milz mit den ur¬
sprünglichen Massen von 15 zu 25 cm bis auf 7 zu 11cm ein, nach
10 Minuten hatte die Milz schon wieder eine Ausdehnung von 11: 17,
erreichte aber ihre ursprüngliche Grösse erst nach einem Tage.
Auch an Milzvergrösserungen bei Leukämie wurde die Reaktion
festgestellt. Es trat innerhalb 13 Minuten bei einer ursprünglichen
Ausdehnung von 19 zu 40 cm eine Verkleinerung von 8 zu 24 ein.
Nach 2 Stunden war die annähernd frühere Grösse wieder erreicht.
In diesem Falle hatten sich auch die Grenzen der vergrösserten
Leber um 2 — 3 cm weiter zurückgezogen.
Weitere theoretische Erläuterungen gibt Abi vorläufig nicht;
er erwähnt nur, dass diese gewaltige Reaktion, die das Volum des
Organs bis auf 3/s vermindert und eine andere Vorstellung von
dem Begriff des Milz-„Tumcisl< gibt; dass es sich wohl in der Mehr¬
zahl der Fälle um ein Organ handelt, das seinen Tonus verloren
hat und zu einem Blutsack geworden ist.
Es wird die Möglichkeit erörtert, die Reaktion diagnostisch zu
verwerten 1. zur Feststellung, ob eine Geschwulst einem benach¬
barten Organ angehört oder die vergrösserte Milz ist, 2. zur Fest¬
stellung. in welchem Zustande sich eine Milz befindet, da bei chro¬
nischer Indurierung, bei Amyloid und bei Fibroadcnie (Ban tische
Krankheit) keine Wirkung zu erwarten steht.
Herr Plnner stellt einen Fall von gehelltem Hirnabszess nach
Schussverleizung vor.
Diskussion: Herren Brill und Quincke.
Herr Aug. Schott demonstriert einen Fliegerpfeil.
Diskussion: Herr E i e r m a n n.
Herr H. Sachs: Ueber Schutzimpfung gegen Cholera.
Nachdem schon im Jahre 1885 in Spanien von Fe r ran mit
Schutzimpfungen gegen Cholera beim Menschen in technisch aller¬
dings nicht einwandfreier Weise begonnen war, wurde durch die :
Arbeiten von G a m a 1 e i a sowie von Brieger, Kitas ato und
Wassermann die Möglichkeit einer Schutzimpfung gegen Cholera
im Tierexperiment begründet. Als dann durch die Untersuchungen
Pfeiffers und seiner Mitarbeiter das Wesen der Choleraimmunität |
entdeckt war und sich zeigte, dass als Ausdruck der durch die Impfung i
eintretenden Immunität im Blutserum der geimpften Tiere bakterizide
Antikörper nachweisbar werden, erfuhr die Choleraschutzimpfung !
beim Menschen durch K o 1 1 e ihre wissenschaftliche Begründung, in¬
dem als Folge der Impfung beim Menschen die gleichen Schutzstoffe
im Blute nachgewiesen werden konnten, welche aus dem Tier¬
experiment bekannt waren. Auf mehr empirischer Basis war be- 1
reits seit dem Jahre 1892 von H a f f k i n e in Indien eine Methode
der Schutzimpfung eingeführt worden, welche sich lebender Kulturen
bediente und zwar nach dem Vorgänge Pasteurs zweier ver¬
schiedener Impfstoffe. Bei der Schutzimpfung nach Haffkine ;
dienten nämlich zur ersten Injektion lebende, aber abgeschwächte
Kulturen, zur zweiten Injektion in ihrer Virulenz durch Tierpassagen
gesteigerte Kulturen. K o 1 1 e ersetzte dann auf Grund experi- J
menteller Begründung die lebenden Kulturen durch abgetötete Ba- \
zillenaufschwemmungen, und das von Kolle begründete Verfahren
ist das neuerdings meist übliche.
Als Impfstoffe dienen dabei 24 stündige Schrägagarkulturcn, die i
in physiologischer Kochsalzlösung abgeschwemmt werden und nach
1— DA ständiger Erhitzung auf 55° mit 0,5 proz. Karbolsäure ent¬
haltender physiologischer Kochsalzlösung derart verdünnt werden, !
dass der Inhalt von 1 ccm 2 Oesen entspricht. Zu der ersten —
subkutanen — Injektion dient dann 0,5 ccm des Impfstoffes, zu der
zweiten nach 5—6 tägigem Intervall 1 ccm. Dosierung und Appli¬
kation entsprechen also derjenigen bei der Typhusschutzimpfung.
Die Reaktionen sind bei der Choleraschutzimpfung trotz der erheb- ;
lieh grösseren Konzentration des Impfstoffes im allgemeinen ge¬
ringere als bei der Typhusschutizmpfung.
Der Wert der Schutzimpfung gegen Cholera ergibt sich aus I
den zahlreichen Statistiken. Ueber das Haffkine sehe Verfahren
liegen solche aus Indien vor; den Wert der Schutzimpfung nach
Kolle demonstrieren die Berichte von Mur ata aus Japan (1902), i
von Zabolotny, Liebermann u. a. aus Russland (1908/09), j
von Babes und Savas aus Rumänien und Griechenland (1913).
Es folgen Demonstrationen und Besprechungen des statistischen
Materiales.
Diskussion: Herr U n g e r.
Schluss 9 Uhr.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 16. Juni 1914. (Nachtrag.)
Vorsitzender: Herr A 1 1 a r d.
Schriftführer: Herr v. Engelbrecht.
Herr Reye: Zur Aetiologie der Endocarditis verrucosa.
Siehe unter den Originalien dieser Nummer Seite 2403.
Diskussion: Herr Schottmüller: M. H.! Die Mit¬
teilungen des Herrn Reye. aus welchen wir entnommen haben, dass
es ihm gelungen ist, in sehr vielen Fällen die Aetiologie der
Endocarditis verrucosa festzustellen, sind zweifellos von
grosser wissenschaftlicher Bedeutung.
Auch wir haben schon längst auf dem Standpunkt gestanden,
dass die Endocarditis verrucosa auf bakterielle Ansiedelungen zu¬
rückzuführen ist und haben niemals die Ansicht derjenigen geteilt,
welche toxische Einflüsse irgendwelcher Art für ihre Entstehung ver¬
antwortlich machten und so haben wir immer wieder die patho¬
logische Anatomie veranlasst, in den Klappen nach Keimen zu suchen.
Nun möchte ich von vornherein feststellen, dass der Begriff der
Endocarditis verrucosa ein anatomischer und kein ätiologischer ist
und bleibt. Damit will ich behaupten, dass, wenn auch hier nach
den gehörten Beobachtungen recht häufig Diplokokken in den Herz¬
klappen bei der genannten Veränderung mikroskopisch oder kulturell
nachgewiesen werden konnten, trotzdem sicherlich noch Fälle von
verruköser Endokarditis übrig bleiben, bei denen eine andere Ur¬
sache in Betracht kommt. Hier meine ich vor allen Dingen warzige
Auflagerungen auf den Herzklappen, die bei der typischen Poly¬
arthritis acuta Vorkommen. Zwar hat Herr Reye an einer
Reihe von Fällen, bei denen klinisch eine Polyarthritis acuta vorher¬
gegangen war, einen Streptococcus gefunden, indessen bin ich über¬
zeugt, dass wir darum in diesem Streptokokkus nicht den Erreger
des Gelenkrheumatismus zu sehen haben, dass vielmehr es sich auch
hier nur um eine Sekundärinfektion handelt. Herr Reye scheint ja
derselben Ansicht zu sein.
Jedenfalls sind noch genauere Mitteilungen von Herrn Reye
über den klinischen Verlauf dieser Fälle zu erbitten, insbesondere
22. Dezember 1914.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2415
eine Angabe darüber, ob nicht in den angezogenen Fällen der
klinische Verlauf doch von dem Typus Polyarthritis abweicht, vor
allen Dingen darüber, ob die betreffenden Patienten gestorben sind
im ersten akuten Anfall einer typischen Polyarthritis oder nicht.
Was nun den von Herrn R e y e beschriebenen Erreger dieser
Fälle von Endocarditis verrucosa anlangt, so zweifle ich nach den
gemachten Angaben nicht, dass wir es hier mit dem von mir be¬
schriebenen Streptococcus viridans zu tun haben. Jeden¬
falls entspricht der zarte grüne Rasen auf der Blutplatte und die nach
mehreren Tagen auf dem Nährboden sichtbare Hämolyse absolut dem
charakteristischen Wachstum des genannten Streptokokkus. Wir
sahen auch in den gezeichneten Präparaten die langen Ketten, wie
wir es in flüssigen Nährböden gewöhnt sind.
Wenn wir aber anerkennen, dass derselbe Streptokokkus,
wie wir wissen, so häufig die Endocarditis 1 e n t a erzeugt,
so ergibt sich die Frage, wie ist es zu erklären, dass in einem Falle
eine oft nur wenig hervortretende Form der Endokarditis (Endo¬
carditis verrucosa) hervorgerufen wird, während andererseits nicht
selten das schwere, zum Tode führende Krankheitsbild ausgelöst
wird. Besteht da nicht ein unüberbrückbarer Widerspruch?
Ich teile die Ansicht des Herrn Vortragenden, dass es sich hier
um graduelle Unterschiede handelt. Woher aber in dem einen
Fall eine so milde Erkrankung, an der die Patienten nicht zugrunde
gehen, im anderen Falle der maligne Verlauf?
Wie ich schon in meinen früheren Arbeiten über Endokarditis
lenta hervorgehoben habe und auch jetzt nur immer wieder betonen
kann, sehen wir das Krankheitsbild der Endocarditis lenta mit ganz
geringen Ausnahmen eigentlich nur entstehen, wenn an den
Herzklappen infolge einer überstandenen Poly¬
arthritis acuta oder Chorea Klappenverände¬
rungen vorher gesetzt worden waren. Es bedarf also
offenbar einer erheblichen Klappenveränderung, um dem Strepto-,
, coccus viridans die Möglichkeit zu verschaffen, sich in derartiger
Ausdehnung an den Klappen anzusiedeln, dass das Bild der Endo¬
carditis lenta ausgelöst wird.
Wie leicht zu verstehen, sind die krallenartigen Wucherungen
und Unebenheiten geeignet, den im Blute kreisenden Streptococcus
viridans an der Klappe festzuhalten und in ausgedehnter Form zur
Ansiedelung zu bringen.
Indem ich so eine besondere lokale Disposition für die Ent¬
stehung der Endocarditis lenta fordere oder annehme, erklärt sich
m. E. völlig einwandfrei die sonst unverständliche Tatsache, dass in
dem einen Falle nur eine verruköse Endokarditis von geringer Aus¬
dehnung und sehr bescheidener klinischer Bedeutung entsteht, im
anderen Falle schwere, über Monate sich hinziehende Symptome auf-
treten.
Ich teile also nicht den Standpunkt des Herrn Reye, welcher
für die Ausbildung der Endocarditis lenta im Gegensatz zur ver-
rukosa nur eine gesteigerte Allgemeindisposition der Pa¬
tienten annimmt.
Die Bakterizidie. welche Herr Reye bei der Endocarditis lenta
als besonders geschädigt ansieht, ist sicherlich in diesem Falle bis
zum Tode ungeschwächt vorhanden, wie uns diesbezügliche Ver¬
suche gelehrt haben. Also nicht Verminderung der allgemeinen Dis¬
position, sondern eine besondere lokale Disposition erklärt den Zwie¬
spalt.
Immerhin will ich zugeben, dass bei kachektischen Patienten,
z. B. bei Karzinom, Tuberkulose, bei denen wir ja vorzugsweise
die Endocarditis verrucosa auftreten sahen, eine verminderte Wider¬
standsfähigkeit besteht, doch wohl aber hauptsächlich auch der Ge¬
webe und im vorliegenden Falle eben der Herzklappen.
Herr Reye konnte im Tierversuche nur dann ein positives Er¬
gebnis. d. h. die Erzeugung einer Endokarditis durch Injektion von
Streptokokken in die Blutbahn erzielen, wenn er eine massive Dosis
anwandte, und wenn die Kaninchen durch äussere Umstände in ihrem
Ernährungszustände wesentlich geschädigt waren. Er gründet darauf
die Meinung, dass auch in der menschlichen Pathologie die Ent¬
stehung der Endokarditis auf eine sehr reiche Invasion von Strepto¬
kokken zurückzuführen ist. Ich bin dieser Ansicht nicht. Zweifellos
gelangt beim Menschen sehr häufig der Streptococcus viridans in die
Blutbahn und zwar insbesondere bei Katarrhen der oberen Luftwege,
die nach unserer Untersuchung oft ihre Entstehung einer Infektion
mit Streptococcus viridans verdanken. Selten oder nie aber wird
es zu so reichlicher Einschwemmung von Keimen kommen, dass
dadurch die Widerstandsfähigkeit des Kranken erheblich geschädigt
wird.
Wir müssen also, wie gesagt, als Ursache für die Entstehung
der Endokarditis lokale Veränderungen annehmen, ganz aus¬
nahmsweise mag aber auch eine spontane Ansiedelung auf bis dahin
intakten Klappen stattfinden.
Es ist ja wunderbar, wenn der Streptococcus viridans, der so
leicht und regelmässig vom Blute abgetötet wird, sich in der Blut¬
balm anzusiedeln vermag. In Wirklichkeit siedelt er sich aber eben
nicht im Blute an, sondern findet vielmehr einen Unterschlupf in den
geschädigten Geweben der Herzklappen selbst, in der er dann durch
ThTornbenbildung usw. vor dem bakteriziden Einfluss des Blutes
geschützt wird.
Zweifellos spielt aber auch das mechanische Moment beim Zu-
standekommmen der Endokarditis eine grosse Rolle. Wie wir wissen,
ist am häufigsten bei der Endocarditis lenta die Mitralklappe, weniger
häufig, wenn auch sehr oft. die Aortaklappe, so gut, äusserst selten
die Klappe des rechten Herzens. Da die Streptokokken das rechte
Herz so gut passieren, wie das linke und das Endokard an sich
überall empfänglich ist für eine Ansiedelung des Streptococcus viri¬
dans, so kann der häufige Sitz oder Beginn der Endokarditis an den
Mitralklappen bzw. Aortenklappen nur dadurch erklärt werden, dass
die Kokken gerade an dieser Stelle durch das Zusammmenschlagen
der Klappenränder in das Gewebe gleichsam eingepresst werden.
Haben die Kokken dann erst einmal festen Fuss gefasst, so ist es
ihnen möglich, per contiguitatem sich weiter im Endokard hin, auch
da, wo es den Herzmuskel überkleidet, zu wuchern.
Die im Blute nachzuweisenden Erreger sind dann die Keime,
welche an der Oberfläche der Wucherung sitzend, vom Blutstrom
losgelöst und abgeschwemmt werden.
Wie wir aus den Ausführungen des Herrn Reye entnommen
haben, ist die Zahl der in den Klappen vorhandenen Keime eine
aussci ordentlich beschränkte. So erklärt es sich auch, dass die
Blutkultur intra vitam in den von Herrn Reye untersuchten Fällen
stets negativ gewesen sind.
Wie ich schon früher angedeutet habe, ist die Endokarditis durch
den Streptococcus viridans bedingt, die häufigste von allen bak¬
teriellen Formen.
Die Mitteilungen des Herrn Reye stützen nicht nur diese Be¬
hauptung, sondern beweisen, dass der Streptococcus viridans insge¬
samt noch viel häufiger, vielleicht häufiger als alle anderen Bak¬
terien zusammmengenommen, wenn man von der Endokarditis bei
Polyarthritis acuta absieht, der Erreger einer Endokarditis ist.
Unter diesen Umständen muss man allerdings auch annehmen,
dass der Streptococcus viridans entweder mehr als andere Bakterien
die Fähigkeit besitzt, an den Herzklappen zu haften und sich dort
anzusiedeln, oder aber er gelangt viel häufiger in das Blut, als die
anderen Keime. Letztere Auffassung erscheint mir, nachdem, was ich
eben gesagt habe über das häufige Vorkommen des Streptokokkus
bei Rachenaffektion, das Wahrscheinlichere.
Es sei hier auch noch darauf hingewiesen, dass zwischen den
Fällen von Endocarditis verrucosa und den Fällen der Endocarditis
lenta, die zum Tode führen, eben jene Fälle von schleichender Herz¬
klappenentzündung ein Bindeglied bilden, welche, wenn nicht in
Heilung, so doch in ein Stadium des Stillstandes der Infektion über¬
gegangen sind. Diese Fälle beweisen jedenfalls, dass auch bei aus¬
gedehnterer Form der Endokarditis, wie wir sie eben in den Fällen
der Lenta finden, eine Weiterentwicklung der Streptokokken an den
Klappen aufhören kann.
Auch was den negativen Blutbefund bei der Endocarditis verru¬
cosa anlangt, so sei daran erinnert, dass wir keineswegs in allen
Fällen und zu jeder Zeit während des Verlaufes der Endocarditis
lenta im Blute die Streptokokken finden.
Allerdings hängt ein positiver Ausfall der Kultur wesentlich von
der Art der verwendeten Methoden ab. Wenn man nur die übliche
Form der Blutkultur gebraucht, wie wir sie ursprünglich angegeben
haben, Aussaat von je 2 — 3 qcm Blut auf etwa 5 qcm Agar (in toto
20 ccm Blut), so wird man in der Tat nur in den schwereren Fällen
der Endocarditis lenta ein positives Ergebnis erzielen.
Als wir aber eine kleinere Menge Blut in eine grössere Menge
Agar oder Bouillon verimpften, d. h. 1 — 2 qcm Blut auf 100 qcm
Bouillon, da hatten wir auch noch gelegentlich ein positives Resultat,
selbst wenn die Temperatur 38° bei Rektalmessung kaum über¬
schritt.
Hieraus geht hervor, dass als Ursache des negativen Ausfalles
bei grösserer Aussaat in geringere Menge Nährboden nicht das Fehlen
der Keime schuld war, sondern offenbar die bakteriziden Kräfte des
verimpften Blutes noch so wenig verdünnt waren, dass sie das Aus¬
keimen der Kokken noch verhindern konnten.
Vielleicht wird man also auch in den Fällen von Endocarditis
verrucosa, bei denen in den Fällen des Herrn Reye intra vitam
Keime nicht im Blute nachgewiesen werden konnten, künftig ein
positives Resultat haben, wenn man nur die eben erwähnte Ver¬
dünnung bei der Blutkultur anlegt.
Herr Reye: Schlusswort.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. Juli 1914. (Schluss.)
Herr Kaerger: Ueber die Behandlung von Muskelbrüchen
durch freie Faszientransplantation.
Meine Herren! Gestatten Sie mir, zu dem überaus interessanten
Vortrage des Herrn Prof. Göbell in der letzten Sitzung unserer
Gesellschaft über die Verwendung der freien Faszientransplantation
noch ein Anwendungsgebiet dieser Operation hinzuzufügen; das ist
ihre Verwendung zur Behandlung von „Muskelbrüchen“. Die Muskel-
brüche sind ein Gebiet, welches besonders in der Militärinedizin,
weniger in der Zivilchirurgie, in Erscheinung tritt. Es mag dies
wohl hauptsächlich daran liegen, dass es sich hier stets um be¬
sonders muskulöse, junge Leute handelt, welche ganz besonderen
körperlichen Anstrengungen und ganz besonderer Ausbildung ihrer
Muskeln beim Militärdienst ausgesetzt sind. Das Leiden ist früher
häufig verkannt worden. Erst in letzter Zeit sind durch sorgfältige
Arbeiten, auch experimenteller Art, von seiten der Franzosen, dann
2416
MUENCEIENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 51.
besonders durch Arbeiten aus der Klinik von E s m a r c h, aus der
Militärchirurgie von D ü m s und, besonders in letzter Zeit, von
L e x e r diese Krankheitszustände geklärt worden. F a r a b e u f und
V e r n e u i 1 unterschieden zwischen wahren und falschen Muskel¬
brüchen, je nachdem es sich um eine Zerreissung des Muskels und
der Faszie oder nur um eine Dehnung und Zerreissung der Faszie
handelt. Lex er stellt der Hernie des unverletzten Muskels die
des verletzten gegenüber und unterscheidet: der unverletzte Muskel
wölbt sich aus dem Risse der Faszie nur im schlaffen Zustande
hervor und zieht sich im kontrahierten und bei passiver Dehnung
des Muskels zurück. Der verletzte Muskel dagegen tritt im kontra¬
hierten Zustande stärker und härter als in der Ruhe hervor. Jedoch
lassen sich praktisch nicht so starke Unterschiede zwischen den
beiden Formen finden, da es auf die Verletzung und die Ausheilung
des verletzten Muskels ankommt. Abgesehen von den schweren
Formen, bei denen eine ausgiebige Zerquetschung oder Durchtren¬
nung eines Muskels die Funktion desselben aufhebt, und nur eine
Operation am Muskel selber durch Naht desselben oder Sehnen¬
plastik, oder freie Sehnentransplantation, wie sie L e x e r empfiehlt,
Heilung bringen kann, sind es doch beim Muskelbruch nicht Stö¬
rungen der Funktion des Muskels, sondern der Kranke bekommt
dadurch Beschwerden, dass sich bei der Muskelarbeit der Muskel¬
bauch durch die Faszienöffnung vorwulstet, dass durch die immer
weitere Dehnung des vorgewölbten Muskels Ermüdungserschei¬
nungen an demselben und Schmerzen auftreten, und dass ferner
auch die unter dem Muskel liegenden Nerven allmählich durch die
Dehnung beeinträchtigt werden, dass Neuralgien, Sensibilitätsstö¬
rungen und Lähmungserscheinungen auftreten. Solche Nervenschädi-
gungen habe ich zweimal im Gebiete des Nervus peroneus bei Muskel¬
brüchen an der Vorderseite des Unterschenkels und einmal im Ge¬
biet des Nervus medianus bei Muskelbruch im Bereich der Beuge¬
muskeln des Unterarms beobachtet. Die früheren Operations¬
methoden, bestehend in Naht der Faszienlücke mit oder ohne keil¬
förmige Exzisionen des vorgewulsteten Muskelbauches haben so¬
wohl nach dem Urteil erfahrener Autoren als auch nach meinen
eigenen Beobachtungen nur in wenigen Fällen zur vollkommenen
Heilung geführt. D ü in s hält deshalb die Heilung eines Muskel¬
bruches für zweifelhaft und gibt ferner an, dass nach seinen reichen
Beobachtungen aus der Militärmedizin die Dienstfähigkeit durch einen
Muskelbruch in Frage gestellt wird.
Es liegt ja auf der Hand, dass schon die Entstehung der
Muskelbrüche in der Regel bei sehr muskulösen Leuten an Stellen,
wo sich eine starre, feste, unelastische Muskelbinde über einen
Muskel spannt, gegen eine erfolgreiche Vereinigung des Risses
dieser Muskelbinde durch Naht spricht. Ausgenommen sind hiervon
Muskelbrüche im Bereich der Bauchmuskulatur, besonders im Be¬
reich des Rektums, wo sie an Stellen, wo Gefässe oder Nerven die
Faszienscheide durchbrechen, häufig auftreten.
Ich zeige Ihnen einen Musketier, bei dem 4 Muskelbrüche der
Rektusscheide, nach dem von Mayo angegebenen Verfahren der
Faszienreffung beim Nabelbruch mit Erfolg durch Naht geheilt sind.
Ausserdem stelle ich Ihnen einen Matrosen mit einem Muskelbruch
im Bereiche des Musculus semimembranosus in der Kniekehle vor,
bei dem die Naht ebenfalls zu einem leidlichen Erfolg geführt hat. In
einem anderen gleichen Falle und bei Muskelbrüchen des Tibialis
anticus und der Extensoren am Unterschenkel sind nach der Naht
stets Rezidive aufgetreten.
Ein besonders schwerer Fall von traumatischem Muskelbruch am
rechten Unterschenkel infolge alter komplizierter Fraktur des rechten
Wadenbeins mit erheblicher Zerreissung der Faszia cruris und der
Muskulatur führte mich dazu, ein anderes Verfahren zur Behand¬
lung cinzuschlagen. Ich zeige Ihnen hier einen 23 jähr. Matrosen B ,
welchem am 6. Juni 1913 durch die Haken eines Ankers infolge
Reissens des Taues die obenerwähnte schwere Verletzung am rechten
Unterschenkel zugefügt wurde. Nach langsamer Heilung der Haut¬
wunde und des Knochenbruches konnte der Kranke allmählich wieder
gehen, es trat aber allmählich eine gut enteneigrosse Vorwölbung
an der verletzten Stelle auf, welche ich Ihnen hier auf dieser Ab¬
bildung zeige. Die Vorwölbung hatte eine weiche Konsistenz
(Pseudofluktuation), wurde bei Beginn der Muskelzusammenziehung
etwas kleiner, trat dann aber wieder bei Näherung der Insertions¬
stellen des Tibialis anticus und der Extensoren besonders stark her¬
vor. Faszienlücken waren bei dem narbigen Gewebe und bei der
flächenhaften Zerreissung der Muskelbinde nicht zu fühlen. Auf tage¬
lange Bettruhe ging die Geschwulst etwas zurück, um beim Auf¬
stehen sofort in ihrer alten Grösse mit ihren alten Beschwerden, der
Ermüdung des ganzen Beines und heftigsten neuralgischen Schmer¬
zen im Gebiet des Peroneus wieder aufzutreten. In diesem Falle
bin ich folgendermassen vorgegangen. Durch einen grossen huf¬
eisenförmigen, nach innen gestielten Hautschnitt habe ich in Lokal¬
anästhesie die Fascia cruris sorgfältig in grosser Ausdehnung frei¬
gelegt- indem ich darauf achtete, dass wie bei der Hautlappenbildung
zur Amputation sämtliches subkutanes Fettgewebe am Hautlappen
blieb. Nach Herumklappen des Hautlappens nach innen zeigten sich
2 grosse Löcher in der Fascia cruris, ein dreimarkstückgrosses, aussen
von der Schienbeinkante und ein etwa zweimarkstückgrosses über
der Bruchstelle des Wadenbeines. Diese Löcher hatten zerrissene,
narbig veränderte Ränder und es wölbte sich aus ihnen die schwielig
veränderte Muskulatur hervor. Bei sorgfältiger Entspannung des
Muskels verschwand die Vorwölbung ganz. Es wurde nun ein 13 cm
langes und 10 cm breites Stück aus der Fascia lata des rechten
Oberschenkels ebenfalls unter Lokalanästhesie entnommen und mit
der inneren spiegelnden Fläche glatt auf die Fascia cruris gleich¬
sam als Duplikatur, auch die Lücken mit überdeckend, heraufge¬
legt. Einige feine Katgutnähte fixierten und spannten das Trans¬
plantat etwas an. Darüber wurde der Hautlappen gelegr und die
Hautwunde fest verschlossen. Leicht komprimierender Verband,
Gipsverband etwa 3 Wochen zur sicheren Herbeiführung der Ent¬
spannung des Muskels. Ich zeige Ihnen den Patienten 8 Monate
nach der Operation. Sie sehen eine vollkommen glatte Narbe, fühlen
eine absolut feste straffe Faszie, über die sich die Haut leicht ver¬
schieben lässt, keine Spur mehr der alten Vorwölbung. B. ist voll¬
kommen beschwerdefrei und seit 5 Monaten allen Anforderungen des
Marinedienstes gewachsen, ist auch infanteristisch ausgebildet
worden.
Die grossen Stücke der Fascia lata kann man an der Aussen-
seite des Oberschenkels ohne Gefahr späterer Beschwerden ent¬
nehmen, da der Vastus externus noch eine besondere eigene Faszie
besitzt. Es ist nur darauf zu achten, dass die Ränder der Fascia
lata nach der Entnahme durch starke Katgutnähte möglictist wieder
genähert werden. Ich habe Faszienstücke von 18 cm Länge und 13 cm
Breite ohne Folgen entnommen und habe dies besonders deshalb auch
ohne Bedenken getan, weil ich bei früheren plastischen Operationen
an der Klinik meines früheren Chefs, des Herrn Geheimrat Bier und
bei grossen Faszienstreifen bis 25 cm Länge, die Herr Prof. Schmie¬
den zur Hebung und Fixierung des Schulterblattes nach Akzessorius-
lähmung entnahm, niemals irgendwelche Störungen gesehen habe.
Dieser ausgezeichnete Erfolg der Behandlung eines Muskel¬
bruches durch freie Faszientransplantation hat mich veranlasst, dieses
Verfahren noch in einer ganzen Reihe von Fällen anzuwenden. Ich
zeige Ihnen hier noch eine Reihe geheilter Fälle, darunter Heilungen
von Rezidiven nach früherer Naht der Faszie. Abbildungen des Zu¬
standes vor der Operation und Skizzen des Operationsverfahrens
werden demonstriert.
Vorstellung eines geheilten Falles von Muskelbruch an beiden
Unterschenkeln, vorn im unteren Drittel an der Austrittsstelle des
Nervus peroneus, bei dem eine erfolglose, früher vorgenommene Naht
der Faszie zu einem Rezidiv und zu Störungen im Gebiete des
rechten Nervus peroneus geführt hatte.
Vorstellung eines geheilten Rezidives nach Muskelbruch (M.
semimembranosus) in der rechten Kniekehle.
Vorstellung eines doppelseitigen Muskelbruches an der Beugeseite
beider Unterarme im Bereiche der Musculi pronator teres, flexor
carpi radialis und ulnaris sowie der Flexoren, durch freie Faszien¬
transplantation geheilt.
An der Hand dieser Erfolge kann dieses Operationsverfahren
zur Behandlung der Muskelbrüche aufs wärmste empfohlen werden.
Diskussion: Herren zur Verth, Kaerger, Goebell.
Aerztlicher Kreisverein Mainz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 20. November 1914.
Herr H. Cur sch mann: Demonstrationen.
1. Fall von Bronchotetanie bei 2 jähr. Kind. Spasmophiles Kind,
schon früher „Asthma“, in schwerstem asthmatischem Anfall aufge¬
nommen. Alle Uebererregbarkeitszeichen stark positiv, Chvo-
stek ++. Auf Calzium chlorat. (3 mal 1,0 in 2 Tagen) Beseitigung
der Lebensgefahr und Heilung des Asthma. Besprechung des Zu¬
sammenhanges zwischen endokrinen Drüsen und Asthma.
2. 52 jähr. Frau mit Osteomalacia tarda, Basedowoid und Hy-
steria gravis. Deutung der thyreotoxischen Symptome (Tremor,
Tachykardie bis 140, Schweisse) durch positive Adrenalinmydriasis
und Lymphozytose. Auslösung der Hysterie durch die (der Pat.
unsympathische) Verlegung ins Invalidenhaus. Die gemeinsame Er¬
krankung von Schilddrüse, Nebenschilddrüse und Knochen (Osteo¬
malazie) ist nicht ganz selten. Im Gegensatz zur unkomplizierten
Spätosteomalazie sind diese Fälle prognostisch ungünstig.
3. Luminalbehandlung des Status epilepticus. 23 jähr. Mann, bei
dem Luminal im Stat. epil. lebensrettend wirkte. C. verwendet das
Luminal besonders gern und mit vorzüglichem Erfolge bei Epi-
lepsia nocturna. Fall von Graviditätsepilepsie, rein nokturn;
Heilung, die auch nach Aussetzen des Luminal anhält.
4. Strophanthin (B o e h r i n g e r), seine Vorzüge und Gefahren.
An Kurven wird gezeigt, dass S t r o p h a n t h in als Kardiakum und
Diuretikum in manchen Fällen den Digitalispräparaten stark über¬
legen ist und noch wirkt, wo die letzteren völlig versagen. Die
Gefahren des Mittels kennzeichnet ein akuter Todesfall 1 Stunde
nach der Injektion von 0,0008 Strophanthin Boehringer bei einer Pat
(chron. Nephritis), die langsam steigende Dosen (0,3, 0,3, 0,5 der
Ampulle) gut vertragen hatte. C. betont, dass die ursprüngliche
Dosierung von 0,001 pro dosi (Inhalt der Ampulle) zu hoch ist und
grosse Gefahren birgt. Es ist dringend zu fordern, dass
der Inhalt der Ampullen zukünftig nur 0,0005 sei; diese
Dosis genügt und lässt die Gefahr des Vergiftungstodes vermeiden.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz,
München, Arnulfstrasse 26
Verlag von J. T. Lehmann,
München, Paul Heysestr. 26.
MÜNCHENER
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 51. 22. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage Nr. 20.
Aus der Medizinischen Klinik der Universität Frankfurt a. M.
Die kombinierte Antitoxinüberschwemmungs- und
Narkosetherapie des Tetanus.
Von Dr. GeorgL.Dre.yfus und Dr. Wa 1 d e m a r Unger.
Die Tatsache, dass wir infolge äusserer Umstände in der
Lage waren, eine relativ grosse Anzahl von Tetanuskranken
(bisher 32) in einheitlicher Weise zu behandeln, veranlasst uns,
schon jetzt in Kürze über unsere bisherigen Beobachtungen
zu berichten. Dazu kommt, dass im Vergleich zu zahlreichen
in der jüngsten Literatur niedergelegten Beobachtungen die
Mortalität unserer Tetanuskranken als relativ recht gering
(10 auf 32) zu bezeichnen ist, trotzdem wir vorwiegend
schwere Fälle zur Behandlung bekamen.
Nachdem wir unsere ersten beiden kriegsverletzten Te¬
tanuskranken verloren hatten, die nur mit ganz geringen Anti¬
toxindosen behandelt waren, wandten wir uns einer wesentlich
energischeren spezifischen Behandlung zu. Unsere weiteren
therapeutischen Erfahrungen haben uns immer mehr in der
theoretisch begründeten Ansicht bestärkt, dass sich eine
Ueberschwemmung des Organismus mit Antitoxin
empfiehlt, in der Absicht, dem noch nicht im Nervensystem
verankerten Toxin auf allen zugänglichen Wegen Antitoxin
entgegen zu stellen. Mit dieser spezifischen Behandlung
muss aber eine energische narkotische Therapie einher¬
gehen, um die sich hauptsächlich in Starre und Krämpfen
äussernde gefahrbringende Wirkung des gebundenen Toxins
nach Möglichkeit abzuschwächen. Es ist dies nur eine Fort¬
setzung der schon den alten Aerzten geläufigen und von ihnen
gerühmten Behandlung des Tetanus mit Narkoticis. Nur dass
wir jetzt über eine grössere Auswahl von Mitteln verfügen,
und so durch Kombination den gewünschten Erfolg auf relativ
unschädliche Weise erzielen können.
Im einzelnen gehen wir so vor, dass wir zunächst die
Wundverhältnisse nach den in der letzten Zeit ja zur
Genüge besprochenen Gesichtspunkten möglichst günstig zu
gestalten suchen: gründliche Entfernung aller nekrotischen
Gewebsfetzen, Knochensplitter, etwaiger Fremdkörperreste,
Spaltung verborgener Buchten, gründliche Durchspülung mit
Wasserstoffsuperoxydlösung, sodann zur weiteren Reinigung
zuerst warme Dauerbäder etwa verletzter Extremitäten oder
gleich Austamponieren mit in Antitoxin getränkten Streifen
(je nach Wundgrösse 10 — 50 A.E.), event. auch noch Um¬
spritzung der Wundgegend mit 50 AE.
Darauf erfolgt die intralumbale Injektion von
100 AE. und eine intravenöse von 100 — 300 AE. Schliess¬
lich versuchen wir stets auch noch durch endoneurale
Einspritzung des Antitoxins (100 AE.) dem Gift einen seiner
Hauptwege zu verlegen. Allerdings muss man sich darüber
klar sein, dass eine sichere Einverleibung des Antitoxins
in den Nerven nur nach dessen vorheriger Freilegung möglich
ist. Doch kann man die meist in Frage kommenden Stellen:
Plexus brachialis unterhalb der Klavikula, N. ischiadicus in
der Gesässfalte und N. femoralis in der Leistenbeuge bei nicht
zu fetten Patienten oft auch tasten. Dass die dort fühlbaren,
dem Finger entgleitenden Stränge wirklich dem Nerven ent¬
sprechen können, erkannten wir in einigen Fällen daran, dass
der Druck auf die betreffende Stelle einen lokalen Tetanus der
verletzten Extremität sofort erheblich verstärkte. Dass man
in einer gewiss nicht kleinen Zahl von Fällen trotzdem das
Antitoxin nicht endoneural, sondern nur subkutan einverleibt,
darf nicht davon abhalten, die Injektion in den Nerven zu ver¬
suchen.
So werden sofort bei Beginn der Behandlung, d i e
selbstverständlich unmittelbar nach Er¬
kennung der Krankheit einzusetzen hat,
400 — 600 AE. dem Kranken einverleibt.
Bei schweren Fällen (kurze Inkubation, frühzeitig
ausgesprochener erheblicher Trismus, rasche Progredienz)
geben wir täglich — zum mindesten intralum¬
bal und intravenös — weiter Antitoxin (200 bis
500 AE. pro die) bis wir den deutlichen Eindruck
haben, dass die Schwere der Krankheit ge¬
brochen ist. Aber auch später bekommen die Kranken
bei jedem vereinzelten Aufflackern tetanischer Symptome aufs
neue Antitoxin, hauptsächlich wiederum intralumbal und intra¬
venös. So haben wir in schweren Fällen bis zu
12 Tagen hintereinander Antitoxin gegeben
und als höchste Gesamtdosis beim einzelnen Patienten
3800 AE. erreicht. Bei leichteren Fällen kommt man
mit erheblich geringeren Dosen aus. Es genügt dann nach der
ersten grösseren Serumgabe einen um den anderen Tag je
100 Einheiten, abwechselnd intralumbal und intravenös, zu
geben.
Mit dieser Art der Antitoxinüberschwemmung des Or¬
ganismus konnten wir bei den geheilten Fällen fast regelmässig
denselben Verlauf beobachten: für gewöhnlich war der Te¬
tanus noch einige Tage progredient, dann kam er zum Still¬
stand, um endlich — event. mit vereinzelten Nachschüben —
allmählich abzuklingen.
Dass diese günstige Beeinflussung des Krankheitsverlaufes
mit grosser Wahrscheinlichkeit dem Antitoxin zu verdanken
ist, lehrten uns auch andere Fälle: es handelt sich dabei um
Tetanuskranke mit längerer Inkubationszeit und langsamerer
Entwicklung des Krankheitsbildes, bei denen die Progredienz
unverkennbar war. Mit dem Einsetzen der Antitoxinbehand¬
lung hörte das Fortschreiten der Erkrankung auf, um bald
einer wesentlichen Besserung Platz zu machen.
Von Nebenwirkungen dieser Ueberschwemmungs-
therapie kommt der fast regelmässig zu beobachtende so¬
fortige, manchmal hohe Grade erreichende Temperatur¬
anstieg in Betracht. Dass dieser dem Antitoxin zur Last
gelegt werden muss, beweist uns der Umstand, dass wir bei
einzelnen leichten Fällen, die unbehandelt fieberlos verliefen,
nach der Einverleibung des Serums in so grossen Dosen jedes¬
mal denselben jähen Temperaturanstieg erlebten, wie bei den
schweren von Anfang an mit Antitoxin behandelten Fällen.
Zudem kamen diese letztgenannten auch so gut wie immer
f i e b e r 1 o s in die Klinik. Von weiteren Nebenwirkungen be¬
obachteten wir zweimal einen anaphylaktischen
Schock (Fall 1 und 4), der aber beidemale nicht sehr be¬
drohlich war und schnell vorüberging, so dass wir in beiden
Fällen uns nicht scheuten, den Patienten später wieder Anti¬
toxin zu verabfolgen, ohne dass ähnliche Zufälle wieder auf¬
traten. Weiter sahen wir je einmal Durchfälle und Er¬
brechen; dieses sistierte erst nach Aussetzen des Serums.
Endlich traten mehrfach urtikariaartige Exantheme
auf, die aber stets sehr schnell vorübergingen, auch wenn sie
sich gelegentlich bei weiteren Injektionen wiederholten.
2418
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 51.
Wie eingangs erwähnt, verbanden wir regelmässig mit
der geschilderten Art der Antitoxinbehandlung eine energische
narkotische Therapie. Wir benutzten ausser den altbewährten
Mitteln Morphium und Chloralhydrat mit Erfolg das Lumi-
n a I, das wir in letzterer Zeit wegen seiner bequemeren An¬
wendungsweise (1 — 2 ccm einer 20 proz. wässerigen Luminal-
natriumlösung subkutan = 0,2 — 0,4 Lurninal-Natrium) und
relativen Unschädlichkeit für lebenswichtige Organe an Stelle
des Chlorals ausschliesslich gebrauchen. Es hat sich uns
dauernd bewährt, besonders in Kombination mit Morphium
und Magnesium sulfuricum.
Das Magnesium sulfuricum gaben wir sowohl
i n t r a I u m b a 1, als auch — anfänglich in sehr grossen
Dosen — intramuskulär. Wir sind von den grossen
intramuskulär verabreichten Dosen (20 g und darüber p. d.)
ganz zurückgekommen, da wir dabei mehrfach sehr bedroh¬
liche Erscheinungen von seiten des Herzens und der Atmung
beobachteten. Zudem erreicht man auch mit kleinen Dosen
(5,0 in 25 proz. Lösung 1 — 2, höchstens 3 mal täglich intra¬
muskulär) ein wesentliches Zurückgehen der Krämpfe und die
so sehr erwünschte Allgemeinberuhigung. Zur Illustration
mögen folgende Beobachtungen dienen: Bei Fall 2 vor Ma¬
gnesium 69 Krampfanfälle in U Stunde, eine erneute, Y* Stunde
rach intramuskulärer Injektion von 5,0 Magnesium einsetzende
Zählung ergab 16 Krämpfe, ein anderes Mal zählten wir ohne
Magnesium 32 und 37 Krämpfe gegenüber 13 und 7 nach
dessen Darreichung. Wenn, wie dies öfters der Fall ist, 5 g
Magnesium für sich allein die Krampfzahl nicht in wünschens¬
werter Weise herabzudrücken vermögen, so erweist sich die
Kombination der Magnesiumdarreichung mit Morphium und
Luminal als zweckmässig. So konnten wir bei einem jüngst
beobachteten Kranken, der ganz besonders zu Krämpfen
neigte, folgende Krampfzahlen feststellen:
Tabelle 1.
12 XI 14
13 XT. 14
Zeitspanne
1. Unbeeinflusst . . .
36 Krämpfe
23 Krämpfe
in V„ Stunde
2. Nach Maunesiuminjektion (5,0 g in 25 proz.
Lösung intramuskulär) .
17 „
11
„ l4 „
3. Nach 5 g Magnesium- dann darauffolgender
subkutaner Morphium- (0,n2) und Luminal-
(0,2) Injektion flntervall zwischen den Ein¬
spritzungen V? Stunde, Beginn der Zählung
Yi Stunde nach der letzten Injektion) . . .
-
6 „
4
„ V* „
Auf diese Weise (event. kann man noch andere Nar¬
kotika, z. B. Skopolamin 0,0005, hinzunehmen) vermag man
so gut wie immer auch in schweren Fällen eine leichte Dauer¬
narkose zu erzielen, die dann den Gesamtzustand in er¬
wünschter Weise schont, ohne aber im allgemeinen die so
wichtige Nahrungsaufnahme zu beeinträchtigen.
Wegen der ausserordentlichen Gefährlichkeit der endo-
lumbalen Verabreichung des Magnesiums
(S — 10 ccm einer 15 proz. Lösung) wenden wir es auf diese
Weise nur in den äusserst seltenen Fällen an, bei
welchen die anderen narkotischen Möglichkeiten versagen
und Zahl und Intensität der Krämpfe unmittelbar lebens¬
bedrohend erscheinen. Inhalationsnarkosen wende¬
ten wir nur zur Ueberwindung der die Lumbalpunktion
unmöglich machenden Rückenstarre an. Anfangs bevor¬
zugten wir den schnell zum Ziele, führenden Aetherrausch.
Um die Atmungsorgane zu schonen, die ja ohnedies schon
beim Tetanus bedroht sind, wenden wir jetzt gleichfalls eine
Kombinationsnarkose an, in der Weise, dass wir 10 bis
15 Minuten vor der Betäubung 0,02 Morphium subkutan geben
und dann mittels des Roth-Draeger sehen Apparates ein
Chloroform-Aethergemisch verabfolgen; von diesem genügen
dann meist geringe Dosen.
Die von B a c c e 1 1 i empfohlene Karbolsäure¬
therapie1) haben wir gleichfalls, in einem leichten Fall
allein, in schweren neben der Antitoxinbehandlung, angewandt.
Trotz Einverleibung grosser Dosen (bis 1,5 g pro die) be¬
obachten wir in einem zunächst rein behandelten Fall Fort¬
schreiten der Erkrankung, die erst unmittelbar nach Beginn
der Antitoxinbehandlung sich deutlich zum Besseren wandte.
') Näheres über Technik und Dosierung s. G. L. Dreyfus:
l'ie Behandlung des Tetanus. J. Springer, Berlin 1914.
Wie notwendig endlich eine äusserst sorgsame Pflege
und Bewachung des Kranken ist, hat der eine von
uns (D.) schon ausführlich an anderer Stelle geschildert ').
Nachtragen möchten wir noch, dass sich uns das Einschieben
einer etwa 1 cm dicken Gummischeibe zwischen die Zähne
sehr bewährt hat zur Vermeidung der so schmerzhaften und
unter Umständen gefährlichen Zungenbisse bei Masseteren-
krämpfen.
Zur Illustration der dargelegten Behandlungsprinzipien
haben wir folgende 4 Krankengeschichten aus unserem Ma¬
terial gewählt. Die beigegebenen Kurven unterrichten über
Puls und Temperaturverlauf und geben gleichzeitig in tabel¬
larischer Uebersicht Beispiele für unsere Therapie. Ueber der
Kurve finden sich Angaben über die spezifische Behandlung.
Die intralumbal (L), intravenös (V), endoneural (N) und in die
Wunde (W) gegebenen Antitoxinmengen sind in Antitoxin¬
einheiten angegeben. In dem unter der Kurve befindlichen
Abschnitt ist die narkotische Therapie dargestellt (Magn.=Ma-
gnesium sulfuricum jn 25—30 proz. Lösung, Mo = Morphium,
Lu = Luminal, Nark = Inhalationsnarkose).
I. Schwere Fälle,
Fall 1 (6 Tage Inkubation).
27. IX. 14. Gewehrschuss in den rechten Unterschenkel.
3. X. Seit heute früh Schluckbeschwerden. Dann schnell fort¬
schreitende Behinderung der Mundöffnung, sowie Kreuz- und Nacken¬
schmerzen. Abends Aufnahme in die Klinik. Macht keinen schwer¬
kranken Eindruck. Lidspalte etwas eng. Nasen-Lippenfalte markiert.
Schweiss auf der Stirn. Starker Trismus: Die Zahnreihen können fast
gar nicht voneinander entfernt werden. Kein Opisthotonus, keine
Nackensteifigkeit, in den Extremitäten keine Spasmen. Bauchdecken
weich. Keine Krämpfe.
Am rechten Unterschenkel kleine Ein- und grössere Ausschuss¬
wunde; beide enthalten reichlich nekrotische Fetzen und riechen
übel.
Therapie s. Kurve.
4. X. Zunehmende Steifigkeit. Krämpfe.
5. X. Nachts heftiger Krampf mit Respirationsbeteiligung und
Zyanose. Heute Trismus vermehrt. Mundöffnen nicht möglich.
Opisthotonus und Nackensteifigkeit, sowie Spasmen im verwundeten
Bein. Starkes Schwitzen.
7. X. Schwerer Allgemeinzustand. Starke Spasmen und viel
Krämpfe. Durchfall.
9. X. Wird mit Magnesium und Luminal in leichter Dauernar¬
kose gehalten; weniger Krämpfe, aber andauernd starke Spannung
der Nacken-, Rücken- und Kiefermuskulatur. Serumexanthem.
10. X. Serumexanthem geschwunden. Durchfall gebessert.
Heute, 10 Minuten nach intravenöser Antitoxininjektion, plötzlich
Frieren unter Exanthemausbruch und starker Rötung des Kopfes.
Gleichzeitig heftige Atemnot. Puls gut. Der Anfall geht sehr schnell
vorüber.
15. X. Seit gestern Besserung. Zunehmender Appetit. Die Stei¬
figkeit beginnt sich allmählich zu lösen. Entfiebert.
19. X. Nur noch Reste von Spannung in Kiefer, Rücken- und
Beinmuskulatur.
20. X. Rücken- und Beinmuskulatur frei von Spannung.
31 X. Andauernd sehr gutes Befinden. Bis auf mässige Er¬
schwerung der Mundöffnung keinerlei Starrkrampfzeichen mehr.
Zusammenfassung: Es handelt sich um einen sehr schwe¬
ren, rasch fortschreitenden Fall mit kurzer Inkubationszeit. Trotz
energischer Antitoxinbehandlung verschlechterte sich der Zustand
22. Dezember 191 4.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2419
während 6 lauen, um daun relativ rasch sich zum Bessern zu wen¬
den. Am 4. Tage wurden die Krampfanfälle so heftig und bedroh¬
lich, dass wir Magnesium geben mussten. Man sieht aber, dass wir
in Kombination mit Morphium und Luminal nur relativ kleine Mengen
Magnesium verbrauchten. Karbol gaben wir nur 4 Tage in grossen
Dosen. Als am 8. I age mit der Antitoxintherapie vorübergehend aus¬
gesetzt wurde, ging die Temperatur zur Norm zurück. Der anaphy¬
laktische Schock am 8. Krankheitstage hielt uns nicht davon ab, am
11. läge noch einmal eine relativ grosse Dose Serum intravenös zu
geben. Auch die Durchfälle und das Exanthem sprachen im Sinne der
Anaphylaxie.
Wir halten es für wahrscheinlich, dass der Kranke bei der
Schwere und dem raschen Fortschreiten der Erkrankung auch der
Tatsache sein Leben zu verdanken hat, dass er am 1. Tag des
ausgebrochenen Tetanus in Behandlung kam.
Gesamtmenge: 2500 AE.
Fall 2 (Inkubation 8 Tage).
17. IX. 14. Granatsplitterverletzung an Zeige- und Mittelfinger
der rechten Hand.
26. IX. Aufnahme in die Klinik. Bemerkte gestern morgen Er¬
schwerung der Mundöffnung, seit heute Nacht auch Nacken- und
Rückensteifigkeit. Krämpfe nicht schmerzhaft, aber unangenehm
ziehend. Fühlt sich im allgemeinen nicht schwer krank. Schwitzt
bei der Aufnahme sehr reichlich, besonders im Gesicht. Etwas starre
Gesichtszüge. Starker Trismus: Mundöffnen kaum möglich. Lid¬
spalten eng. Kopf nach hinten gebeugt. Ausgesprochener Opistho¬
tonus. Bauchdecken gespannt, Bauchdeckenreflexe nicht auslösbar.
Extremitätenreflexe in mittlerer Stärke vorhanden: ihre Auslösung
ruft keine Krämpfe hervor. Auch heftige Geräusche und Erschütte¬
rungen verursachen keine Krämpfe. Auffallend lebhafte Dermo-
graphie, jedoch nicht von urtikariellem Charakter. Während der
Untersuchung zuweilen krampfartige Verstärkung der Rücken¬
spannung.
An den Grundgliedern des rechten 2. und 3. Fingers ausgedehnte,
schmierig aussehende Quetschwunde mit Knochenbruch. Exartikula¬
tion beider betroffenen Finger im gesunden Grundgelenk.
(Sonstige Therapie s. Kurve.)
27. IX. Temperaturanstieg. Muss katheterisiert werden.
Abends vermehrte Krämpfe, auch der Respirationsmuskulatur.
Schwerstes Allgemeinbild. Nachts kein Schlaf. Später weniger
Krämpfe, auch Spasmen etwas vermindert.
Nach 2 Tagen, in denen der Zustand im ganzen gleich schwer
blieb, am
30. IX. Verschlimmerung: mehr Krämpfe.
3. X. Nach vorübergehender Besserung wieder mehr Krämpfe
bei sonst leidlichem Wohlbefinden. Wunde sieht gut aus. Serum¬
exanthem. Herpes labialis.
4. X. Viel leichtere Reflexkrämpfe.
5. X. Starker Krampf, vermehrter Muskeltonus. Mundöffnen
nicht möglich. Künstliche Ernährung.
6. X. Weiter erhebliche Steifigkeit, viel Krämpfe, auf Magnes.
sulf. weniger.
.. 7. X. Reichlich Erbrechen, elendes Allgemeinbefinden. Viel
Krämpfe, wieder starkes flüchtiges Serumexanthem.
8. X. Schläft viel, sehr matt, weniger Krämpfe.
9. X. Fühlt sich weiter matt. Erbrechen, neues Exanthem.
10. X. Erhält kein Antitoxin mehr. Kein Erbrechen mehr, nimmt
flüssige Nahrung zu sich. Ausserdem Nährklystier.
12. X. Keine Krämpfe. Trismus vermehrt. Nach wie vor Mat¬
tigkeit. Starke Verschleimung. Ueber den Lungen verstreut Rassel¬
geräusche, 1. h. u. klingend bei verschärftem Atmen.
14. X. Fühlt sich wohier. Auch im rechten Unterlappen Verdich¬
tung: Schallabschwächung, verschärftes Atmen.
15. X. Atmung freier. Keine Krämpfe. Nur noch geringe
Nacken- und Rückensteifigkeit. Trismus nicht weiter gebessert.
Bekommt täglicli Nährklystiere (teilweise als Tropfklysticr).
Hydrotherapie. Reichlich Kampfer.
19. X. Beiderseits hinten unten deutliche Verdichtungsherde
naenwe^bar (Dämpfung, Bronchialatmen, etwas klingendes Rasseln),
kühlt sich trotzdem wohier.
21. X. Leichtere Exspektoration. Bis auf mässigen Trismus
keine Tetanussymptome mehr. Subjektiv erhebliche Besserung: hat
guten Appetit und Schlaf, liest und unterhält sich.
26. X. Verdichtung r. h. u. nicht mehr nachweisbar. I. h. u.
zurückgegangen; weniger Rasselgeräusche. Kein Auswurf mehr.
2. XI. Bis auf wenig Rasseln keine Lungenerscheinungen mehr,
tntfiebert, steht auf, fühlt sich sehr wohl. Trismus nur noch an¬
gedeutet.
Zusammenfassung: Der Kranke kam erst am 2. Krank¬
heitstage in Behandlung und bot etwa 14 Tage lang ein sich rasch
steigerndes, nur mit kurzen Remissionen einhergehendes ausser¬
ordentlich schweres Krankheitsbild. Durch diese schnell ausgeprägte
Schwere des Zustandes veranlasst, gaben wir von Anfang an beson¬
ders hohe Antitoxindosen (in den ersten 3 Tagen 1750 AE.) und setzten
die Serumbehandlung so lange fort, bis eine deutliche Besserung
einzusetzen begann, und auch das häufige Erbrechen uns veranlasste,
zurückhaltender zu sein. Dass das Erbrechen mit dem Antitoxin in
Zusammenhang stand, wird durch dessen sofortiges Aufhören nach
Aussetzen der spezifischen Behandlung wahrscheinlich gemacht. Vom
5. bis 10. X. konnte die Ernährung nur künstlich durchgeführt werden
(Nährklystiere, 5 proz. Dextroselösung intravenös, bis % Liter
pro die).
Wegen der zahlreichen Krämpfe, die vom 5. Krankheitstage be¬
sonders heftig einsetzten, brauchten wir mehr Narkotika als bei dem
vorigen Fall, gingen aber absichtlich nie über 5,0 Magnesium pro die
hinaus. Die am 17. Krankheitstage deutlich werdende und infolge des
Irismus lebenbedrohende Bronchopneumonie ging glücklich vorüber.
Gesamtantitoxinmenge: 3800 AE.
Fall 3 (Inkubation 6 — 7 Tage).
17. IX. 14. Gewehrschuss linker Arm.
26. IX. Aufnahme in die Klinik.
Seit gestern abend Schluckbeschwerden. Seit heute Nacht hef¬
tige Schmerzen im Rücken, so dass Pat. kaum gehen kann. Von Zeit
zu Zejt schmerzhafte, krampfartige Verstärkung der Rückenspannung.
Seit heute Morgen Erschwerung der Mundöffnung, kann die
krampfhaft gekrümmten Finger der linken Hand nicht auseinander
bringen (seit 23. IX.). Schwitzt stark bei der Aufnahme. Kopf
steif nach hinten gebeugt, enge Lidspalte, etwas starrer Gesichts¬
ausdruck. Ausgeprägter Trismus und Opisthotonus. Starke Spasmen
im ganzen linken Arm. Finger zusammengekrallt (bei gestrecktem
Grundglied). Die anderen 3 Extremitäten frei von Muskelspannung.
Bauchdecken hart. Sehnen und Periostreflexe ziemlich lebhaft, ausser
am linken Arm. Bauchdeckenreflexe beiderseits vorhanden. Pupillen
ziemlich weit, reagieren träge. Reflexprüfung macht keine Krämpfe,
doch treten mässige Rücken- und Nackenkrämpfe bei Erschütterung
des Bettes ein. Atmung flach, aber regelmässig. Puls etwas be¬
schleunigt, sonst o. B.
An der Beugeseite des linken Unterarmes gut aussehende Ein-
und Ausschusswunde.
(Therapie s. Kurve.)
27. IX. Muss katheterisiert werden. Abends mehr Krämpfe,
auch Atemkrämpfe. Bekommt Magnes. sulf. (s. Kurve).
28. IX. Nachts keine Krämpfe, kein Schlaf. Fühlt sich etwas
besser. Spasmen im linken Arm zeitweise aufgehoben.
29. IX. Schmerzen im linken Arm. dessen Reflexerregbarkeit
herabgesetzt ist. Mässig starke und häufige Krämpfe.
30. IX. Auf mehrfache warme Armbäder Besserung der Arm¬
beschwerden.
2. X. Leichte dekubitale Erosion über dem Steissbein. Seit
gestern rektal und intravenös Kochsalzlösung.
2420
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 51.
3. X. Unruhig. Zeitweises Schreien und Desorientiertheit.
Nacli der (ohne Narkose vorgenommenen) Lumbalpunktion schwerer
Kollaps: Pulslosigkeit, Atemstillstand. Herztöne nicht hörbar.
Haut blass. Auf Herzmassage, künstliche Atmung, Sauerstoffinhala¬
tion und 0,4 Koffein subkutan bald völlige Erholung.
6. X. Besserung. Seit gestern ruhiger. Weniger Krämpfe.
Im linken Arm und Hand weiter Spasmen. Seit gestern kein Anti¬
toxin mehr.
13. X. Andauernd gutes Befinden, guter Appetit.
19. X. Bis auf Steifigkeit des verwundeten Armes keine Muskel¬
spannung mehr. Fühlt sich sehr wohl.
3. XI. Wunden fast geheilt. Bis auf geringe Behinderung der
Armbeugung keinerlei Tetanussymptome mehr.
Steht seit 3 Tagen auf.
Zusammenfassung: Hier begegnen wir zum 1. Male der
Tatsache, dass der lokale Tetanus dem allgemeinen vorausging, der
ausserdem ungewöhnlicher Weise vor dem Trismus schon in Schluck¬
beschwerden und Rückenspannung zum Ausdruck kam. Mit dem
dann bald aufgetretenen Trismus war bereits das Bild des Tetanus
mit schwerstem Allgemeinbefinden voll ausgeprägt. Nach einer
vVoche war die Besserung so ausgesprochen, dass wir zunächst auf
eine kleine Antitoxindose herabgingen. Nachdem der weitere Ver¬
lauf dann noch durch einen akuten Verworrenheitszustand (der
schnell restlos vorüberging), sowie durch einen schweren Kollaps,
der an eine Lumbalpunktion sich anschloss, unterbrochen war, er¬
folgte ziemlich schnelles Abklingen der Krankheit bis auf den lokalen
Tetanus des verwundeten Armes, der nur sehr allmählich zur Lösung
kam. Gesamtmenge des Antitoxins: 3040 AE.
11. Mittelschwerer Fall.
Fall 4 (Inkubation: 9 Tage).
18. IX. 14. Gewehrschussverletzung am linken Unterarm.
(Querschläger?)
28. IX. 14. Aufnahme in die Klinik. Seit gestern früh Behinde¬
rung der Mundöffnung. Bei der Aufnahme gutes Allgemeinbefinden,
doch etwas leidender Gesichtsausdruck. Trismus mässigen Grades.
Keine Nackensteifigkeit, kein Opisthotonus. Hals- und Rumpf¬
bewegungen völlig unbehindert. Bauchdecken weich, keine Krämpfe.
An der Beugeseite des linken Unterarmes 2 grosse, durch breiten
Kanal verbundene Schusswunden, sehr übelriechend, enthalten viel
schmierig-nekrotische Fetzen. (Therapie s. Kurve.) Nachmittags
treten leichte Kreuzschmerzen auf, ebenso starke Uebelkeit mit hefti¬
gem Erbrechen. Temperaturanstieg.
29. IX. Heute ausgesprochenes Bild des Tetanus: Kopf tief in
die Kissen gebohrt, Nackensteifigkeit. Starker Trismus. Bauch¬
decken gespannt. Lebhafte Periost- und Sehnenreflexe. Harnver¬
haltung; Katheter. Seit heute Nacht kein Erbrechen mehr.
30. IX. Mässig zahlreiche, nicht sehr intensive Krampfanfälle.
3. X. Fühlt sich wohler. Muss dauernd katheterisiert werden.
5. X. Wieder mehr „Zuckungen“ (Rückenkrämpfe). Warmes
Bad wohltuend empfunden.
6. X. Besserung. Nach intravenöser Seruminjektion plötzlich
heftiger Blutandrang zum Kopf. Schwindel, Beängstigungsgefühl.
Atemnot. Schnelle Erholung.
13. X. Fortschreitende Besserung. Nur selten noch etwas
„Zucken“.
15./16. X. Geringe Temperatursteigerung mit Schulterschmer¬
zen ohne objektiven Befund.
21. X. Wiederum Temperatursteigerung (38°). Allgemeines Un¬
behagen. Beiderseits mässige, etwas schmerzhafte Leistendrüsen¬
schwellung. Sonst kein krankhafter Befund.
26. X. Schwellung der Leistendrüsen geschwunden. Unregel¬
mässige Temperaturkurve mit subfebrilen Zacken. Wunde heilt sehr
gut.
31. X. Beiderseits Schmerzhaftigkeit der Wadenmuskulatur und
Hypästhesie der darüber gelegenen Haut. Temperatursteigerung
bis 38,2.
5. XI. Entfiebert. Keinerlei Beschwerden mehr. Keine Tetanus¬
symptome. Steht heute auf. Wunde in guter Heilung.
Zusammenfassung: Auch hier schnelles Fortschreiten des
Tetanus, aber mit weniger Krampfanfällen als bei den vorhergehenden
Fällen. Nach 6 Tagen Besserung, die dann nach kurzem Rückfall an¬
hielt. Dieser veranlasste uns zu erneuter intralumbaler Serumdar¬
reichung. Am 6. X. anaphylaktischer Anfall, trotzdem am nächsten
Tage noch einmal Serum. 16,2 g Phenol (innerhalb 12 Tagen) wur¬
den anstandlos vertragen. Wegen des leichteren Zustandes brauchten
wir weniger Narkotika und kein Magnesium.
Gesamtmenge des Antitoxins: 2350 AE.
Mit der hier durch einige wenige Beispiele belegten Therapie
haben wir, wie schon erwähnt, bisher 32 Fälle behandelt. Von
diesen 32 Kranken sind 22 genesen. Dieses relativ
günstige Ergebnis scheint uns im wesentlichen auf die grossen
Antitoxingaben in Verbindung mit der Narkosetherapie zurück¬
geführt werden zu dürfen.
Die Grösse der Antitoxin gäbe richtete sich
nach der Schwere des Falles, wie aus folgender Ta¬
belle 2 zu ersehen ist, welche die im Durchschnitt für den Ein¬
zelfall verbrauchten Dosen für die schwereren (bis zu 9 Tagen
Inkubation) und meist leichteren Fälle (10 und mehr Tage In¬
kubation) gesondert angibt.
Tabelle 2.
—
Gesamt
Davon
Die Ueberlebenden
Im Durchschnitt erhielt
der einzelne Ueber-
lebende AE.
Inkubationszeit
zahl
t
Ge¬
heilt
erhielten AE.
6—9 Tage
15
9
6
180O-3S00
2742
10-24 Tage*)
16
1
15
360 - 2250
1018
*) In einem leichteren Falle (Zivilist ohne sichtbare Wunde) war die Inkubationszeit
nicht zu ermitteln.
Unsere 10 Todesfälle bedürfen noch einer kurzen epikriti¬
schen Betrachtung. Es handelte sich durchweg um sehr
schwere Fälle mit kurzer Inkubationszeit (meist 6 — 7, nur je
einmal 8 und 9 .und 11 Tage).
Für die Frage der Antitoxin-Ueberschwemmungsbehand-
lung kommen nur 8 Fälle in Betracht, da die beiden anderen
in den Beginn unserer Tetanusbeobachtungen fielen und wir
damals nur relativ geringe Antitoxingaben verabfolgten (200
bzw. 300 AE. im ganzen).
Von den 8 mit grossen Antitoxinmengen Behandelten ge¬
hörten 5 jener Gruppe foudroyanter Fälle an, die unter
raschem Verfall in kurzer Zeit (2 — 4 Tage nach Beginn der
Erscheinungen) sterben; Fälle, bei denen wahrscheinlich schon ;
beim Ausbruch der Erkrankung die letale Dosis im Nerven¬
system gebunden ist.
Zwei Patienten befanden sich schon auf dem Wege der
Besserung. Der eine starb an einer komplizierenden doppel¬
seitigen Bronchopneumonie am 10. Tage, der andere aus rela¬
tivem Wohlbefinden an einem an Zungenbiss sich anschliessen¬
den Atemkrampf. Der letzte Todesfall betrifft einen Patienten
mit 11 Tagen Inkubation und zunächst leichtem Krankheitsbild.
Der bis dahin nicht spezifisch behandelte Kranke kam erst
am 8. (!) Krankheitstage in schwerem Zustand in die Klinik
und starb 6 Tage später. Dass der einzige Todesfall aus der
prognostisch günstigeren Gruppe (über 9 Tage Inkubation) ;
einen Patienten betrifft, der 7 Tage nach Beginn des Tetanus .
ohne spezifische Behandlung blieb, scheint uns für die Be¬
urteilung der Antitoxinbehandlung nicht unwichtig.
Aus den Feldlazaretten des VII. Reservekorps.
Zur Prognose und Behandlung der Schädelschüsse.
Von Dr. Hancken, Oberarzt beim berat. Chirurgen General¬
oberarzt Prof. Dr. Rotter.
Bis zur Beendigung dieser Statistik, welche fortgesetzt
werden wird, wurden 105 Schussverletzungen des Schädels
in den vier Feldlazaretten des VII. Reservekorps Nr. 33, 34, 35
und 36 beobachtet. Die folgende kurze Uebersicht möge zur
Orientierung dienen.
1. Weichteilschüsse: 9 Fälle, ohne Operation, geheilt.
2. Knochenschüsse ohne Hirnverletzung: 6 Fälle,
alle operiert, kein Todesfall.
3. Tangentiale Verletzung des Gehirns: Kon¬
servativ behandelt: 10 Fälle, 5 Todesfälle; früh-
22. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2421
operiert: 10 Fälle, 1 Todesfall; spätoperiert: 5 Fälle,
2 Todesfälle.
4. Schüsse in das Gehirn hinein:
a) S t e c k s c h ü s s e: 15 Fälle. Konservativ be¬
handelt: 4 Fälle, 2 Todesfälle, 1 voraussichtlich noch
ungünstig; operiert: 11 Fälle, 5 Todesfälle.
Ib) Durchschüsse: 9 Fälle. Konservativ be¬
handelt: 6 Fälle, 3 Todesfälle; operativ behan¬
delt: 3 Fälle, 3 Todesfälle.
c) Als Durch- und Steckschüsse nicht trenn¬
bar (Schrapnell!): 21 Fälle, 2 Operationen, 21 To¬
desfälle.
1. Die 29 reinen Weichteilschüsse wurden 7 mal durch Gewehr¬
schuss, in 16 Fällen durch Schrapnellkugeln und 6 mal durch Granat¬
splitter hervorgerufen. Einzelne Kranke zeigten vorübergehend Kom-
motionserscheinungen, im übrigen nahmen die Verletzungen alle einen
günstigen Verlauf, keiner erlag einer Infektion, obwohl teilweise
starke Schwellung auftrat.
2. In 6 weiteren Fällen handelte es sich um Knochenschüsse ohne
Eröffnung der Dura. Auch sie konnten alle nach einigen Tagen in
gutem Zustande abtransportiert werden. 5 waren durch Schrapnell¬
kugeln, 1 durch Granatsplitter bedingt. Bei allen musste ein opera¬
tiver Eingriff vorgenommen werden. Die Knochenwunde wurde frei¬
gelegt, die Splitter wurden ausgeräumt, die Ränder geglättet, als¬
dann tamponiert. Danach folgte stets ein fieberfreier Verlauf, so
dass ich wohl glaube, dass diese 6 Fälle alle einen guten Ausgang
genommen haben und mit der Infektion fertig geworden sind.
3. Wir kommen nun zu den eigentlichen Hirnverletzungen und
haben unterschieden die tangentialen Schüsse und die Schüsse in die
Hirnsubstanz hinein (Durchschüsse und Steckschüsse).
Bis zum Abschluss dieser Statistik verfügen wir über 25 tan¬
gentiale Verletzungen des Gehirns. Verursacht wurden sie 14 mal
durch Infanteriegeschoss, 7 mal durch Schrapnellkugeln, 3 mal durch
Granatschüsse.
Unter unserer Behandlung sind 8, also etwa ein Drittel, gestor¬
ben. Von diesen wurden 5, als von vornherein aussichtslos, überhaupt
nicht operativ angegriffen. Meist bestand sehr ausgedehnte Hirnzer¬
trümmerung, z. T. boten sie schon bei der Einlieferung das Bild der
schweren diffusen Meningitis. Nur bei dreien von den 8 Todesfällen
wurde operiert. Eine Frühoperation, der Tod erfolgte an Meningitis,
es bestanden ausser der Hirnverletzung noch ausgedehnte Rücken¬
verletzungen. Der 2. Fall wurde erst am 6. Tage nach der Ver¬
letzung eingeliefert, die Allgemeininfektion konnte bei der schweren
Hirnzertrümmerung nicht mehr aufgehalten werden. Im 3. Fall, bei
dem wiederum schwere Hirnzertrümmerung mit Aphasie und Fieber
bestand, wurde am 9. Tage nach der Verwundung ein Abszess er¬
öffnet. Der Tod trat am nächsten Tage an Meningitis ein.
Da die Frage nach der Behandlung der Hirnsdiüsse noch nicht
einstimmig beantwortet wird, scheint mir das Resultat der konserva¬
tiv und chirurgisch behandelten Fälle nicht ohne Interesse zu sein.
Von den letzteren muss man die Frühoperierten von den Spätope¬
rierten abtrennen. Da unser Material aus der Hand verschiedener
vorzüglich geschulter, in unseren Feldlazaretten tätiger Chirurgen
stammt, bietet es interessante Vergleichspunkte.
Frühoperationen wurden bei Tangentialschüssen mit Verletzung
des Gehirns im ganzen 10 ausgeführt. Die Kranken kamen meist am
Tage nach der Verletzung ins Lazarett, in Narkose wurde die Wunde
erweitert, das Loch in der Schädelkapsel geglättet, eventuelle Im¬
pressionen gehoben, Splitter und Koagula aus dem Gehirn entfernt
und in der Regel eine Mikulicz sehe Beuteltamponade ausgeführt.
Der Beuteltampon blieb beim Verbandwechsel in der Wunde liegen.
Von den so behandelten Fällen ist nur einer, der bereits oben er¬
wähnt wurde, gestorben. Hier lagen ausser der Hirnverletzung noch
ausgedehnte Hautmuskelwunden vor. Die übrigen 9 Fälle haben alle
einen wesentlich fieberlosen Verlauf genommen und konnten frühe¬
stens nach 8—10 Tagen in vorsichtiger Weise abtransportiert wer¬
den. Ich möchte wohl glauben, dass diese alle im wesentlichen ausser
Gefahr sind und ihrer Genesung entgegengehen. Inwieweit spätere
Narbenstörungen und Defekte zu fürchten sind, lässt sich natürlich
nicht beurteilen. Hauptsache ist für den Augenblick die Verhütung,
bzw. Ueberwindung der Infektion. Dass diese Fälle fast alle als
wahrscheinlich infiziert anzusehen sind, geht schon daraus hervor,
dass ausser 3 durch Gewehrschuss bedingten, alle übrigen Artillerie¬
verletzungen (1 Granatsplitter, 6 Schrapnellkugeln) waren. Speziell
unsere Erfahrungen bei Extremitätenschussfrakturen haben uns ge¬
zeigt, dass trotz guten aseptischen Verbandes und einwandfreier Im¬
mobilisierung doch phlegmonöse Prozesse ein schnelles Eingreifen
sehr häufig notwendig machten. Man gewinnt schon an dem kleinen
Material den Eindruck, das bei den Tangentialschüssen die Frühopera¬
tion das beste Mittel zur Bekämpfung der Infektion ist. Diese
scheint von vornherein bei Artilleriegeschossen mehr als beim In¬
fanteriegeschoss zu drohen.
Spätoperationen wurden 5 ausgeführt mit 2 I odesfällen.
Der eine wurde bereits erwähnt (Abszesseröffnung am 9. Tage). Bei
dem 2. Todesfall handelte es sich um einen Patienten, der lange
draussen gelegen hatte und erst am 6. Tage nach der Verletzung ein¬
geliefert wurde. Die Wunde war schmierig belegt, Eiter, Hirn sowie
Knochensplitter quollen hervor, es bestand totale Aphasie, der Kranke
starb am 9. Tage nach der Verletzung an der diffusen Meningitis.
Hier konnte also die Infektion nicht mehr beseitigt werden.
Glücklicher verlief ein Fall, in dem ebenfalls wegen des Fiebers,
jedoch schon am 3. Tage, eingegriffen wurde. Hier gingen die menin-
gitischen Symptome allmählich zurück.
In den beiden anderen Fällen bildeten Herdsymptome bei an¬
scheinend aseptischem Verlauf die Indikation. In dem ersten Falle
wurde wegen zunehmender linksseitiger Halbseitenlähmung und ein¬
tretender Somnolenz am 3. Tage ein tief eingepresstes Knochenstück
mit gutem Erfolg (Wiederkehr des Bewusstseins, nicht vollkommener
Rückgang der Lähmung) entfernt. Im zweiten Fall handelte es sich
um geheäufte Jacksonanfälle. Am 6. Tage wurde eine Impression ge¬
hoben, nach der Operation wurde nur noch ein Anfall beobachtet.
Nichtoperativ behandelt während ihres Aufenthaltes in den Feld¬
lazaretten wurden 10 Fälle von tangentialer Hirnverletzung.
2 Streifschüsse, einer an der Stirn und einer in der Hinter¬
hauptsgegend boten von vorneherein ein leichtes Bild. Es war offen¬
bar keine stärkere Sprengwirkung des Geschosses (Infanterie) zu¬
stande gekommen. Ausfallserscheinungen bestanden nicht, der Ver¬
lauf war fieberlos.
3 weitere Fälle waren von vornherein schwer. Es handelt sich
um je eine Gewehr-, Schrapnell- und Granatverletzung.
Bei dem Gewehrschuss bestand Hirnprolaps, Lähmung der linken
Körperhälfte, jedoch kein Druckpuls und kein Fieber.
Der Patient mit der Granatverletzung bot schwere Hirnzertrüm¬
merung mit Somnolenz.
Bei der Schrapnellverletzung bestand Aphasie und rechtsseitige
Hemiplegie. In den beiden letztgenannten Fällen war der Knochen
ausgedehnt zertrümmert.
Diese 3 Fälle besserten sich langsam, doch konnte bei der Ueber-
gabe des Lazaretts Sicheres über die Prognose noch nicht gesagt
werden, jedenfalls war die Heilung keineswegs gesichert.
In 5 weiteren Fällen handelte es sich um schwere Hirnzertrüm¬
merungen mit teilweise multiplen Nebenverletzungen in desolatem
Zustande mit septischen und meningitischen Symptomen. Sie alle
starben in den ersten Tagen nach der Verletzung.
Die in diesem Abschnitt kurz behandelten Fälle boten natur-
gemäss die verschiedensten Hirnlokalsymptome, z. T. in seltener Rein¬
heit. Es wurden Hemiplegien, Monoplegien der verschiedensten Art,
aphasische Störungen u. a. m. beobachtet. Ein in dieser Statistik noch
nicht enthaltener Fall bot als einziges Lokalsymptom eine Alexie
und Agraphie, ausserdem konnte ich neurologisch nur das Fehlen
des rechten Bauchdecken- und Skrotalreflexes feststellen. Der Fall
mit den Jacksonanfällen wurde bereits erwähnt.
4. Wohl zu den traurigsten Kapiteln der Kriegschirurgie dürften
die Schüsse zählen, die tiefergehende Verletzungen der Hirnsubstanz
setzen. Sie haben eine sehr hohe primäre Mortalität, doch kommen
gut ausgehende Fälle vor. Bei der Berechnung der Resultate ist zu
bedenken, dass von den in den Kopf Getroffenen ein grosser Teil
auf dem Felde bleibt, eine weitere Anzahl auf den Verbandplätzen
stirbt. Die gewöhnlichsten Todesursachen sind dort eben Kopf-
und Bauchschüsse.
In den Lazaretten wurden im ganzen 45 Schüsse in das Gehirn
beobachtet, davon 24 Gewehr-, 22 Schrapnell- und eine Granat¬
verletzung.
15 Fälle können nach den Aufzeichnungen als Steckschüsse,
9 als Durchschüsse bezeichnet werden, bei 21 war die Unterschei¬
dung nicht mehr durchführbar.
4 a. Von 15 Steckschüssen wurden 4 nichtoperativ behandelt.
Von diesen nahm einer einen guten Verlauf, es handelte sich um einen
kleinen Einschuss ohne sichtbare Knochenzertrümmerung, es bestan¬
den keine Lähmungserscheinungen, kein Druckpuls, der Kranke war
somnolent. Er wurde fieberfrei abgegeben, doch dauerte die Be¬
obachtung nur wenige Tage, so dass über den endgültigen Verlauf
nicht sicher geurteilt werden kann.
Von den 3 übrigen konservativ behandelten Steckschüssen
wurde einer schwer somnolent abgegeben, 2 starben am 2. Tag nach
der Verwundung. Von diesen 4 nichtoperativ behandelten Fällen hat
also wohl nur einer Aussicht auf Erhaltung.
Von 11 operativ behandelten Fällen starben 5. Die Operation
wurde in ähnlicher Weise wie bei den Tangentialschüssen aus¬
geführt. Die Kranken konnten meist bald nach der Verletzung ope¬
riert werden, nur in einem der Fälle wurde erst am 4. Tage ein¬
gegriffen. In diesem Falle war in der Zertrümmerungshöhle bereits
stinkender Eiter, der Kranke starb einen Tag später an Meningitis.
Die übrigen Fälle starben an der schweren Hirnzertrümmerung im
Verein mit der Infektion.
Immerhin nahmen 6 Fälle bei operativer Behandlung einen zu¬
nächst günstigen Verlauf, wenn auch der Erfolg noch nicht als un¬
bedingt gesichert angesehen werden darf. Ein Fall lag insofern
günstig, als sich aus der Zertrümmerungshöhle die Schrapnellkugel
mitentfernen Hess. Die anderen 5 Fälle machten zum Teil von vorne¬
herein einen schweren Eindruck, hatten erhebliche Knochen- und
Hirnzertrümmerungen, Lähmungen, ein Fall Krampfanfälle. Die Besse¬
rung ging meist nur langsam vonstatten.
4 b. An Durchschüssen des Gehirns wurden 9 beobachtet. Alle
Fälle waren Gewehrschüsse. 3 Fälle wurden, alle mit tödlichem
Ausgange, operiert. 4
Die übrigen 6 Fälle wurden konservativ behandelt. Von ihnen
starben wiederum 3 wenige Tage nach der Verletzung, 3 Fälle
nahmen bisher einen günstigen Verlauf.
Nr. 51.
2422
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Im ersten dieser 3 Fälle können Zweifel bezügl. der Hirnver¬
letzung geltend gemacht werden (Einschuss r. Stirnseite nahe Haar¬
grenze, Ausschuss 1. Mundwinkel, Somnolenz).
Im 2. Fall handelte es sich um einen Transversalschuss, Ein- und
Ausschuss war winzig klein, links 12, rechts 8 cm oberhalb des
Ohransatzes. Beide Augen waren stark blutunterlaufen, es bestan¬
den keine Ausfallserscheinungen, das Sensorium war klar, der Ver¬
lauf war fieberlos.
Der 3. Fall, ein Offizier, wurde 2 Tage nach der Schussver¬
letzung zugeführt. Es bestand hohes Fieber, Somnolenz, Nacken¬
steifigkeit, Puls 58. Der Einschuss war rechts am Os occi-
pitale, dreifingerbreit hinter dem rechten Ohr, der Ausschuss war
links vierquerfingerbreit nach oben vom Os occipitale. Die
rechte Hand war paretisch. Stuhl und Urin Hess der Kranke unter
sich. Am 5. Tage bekam er beim Verbandwechsel einen Krampf¬
anfall. Allmählich liess das Fieber nach, das Sensorium wurde frei,
so dass es dem Patienten jetzt, 4 Wochen nach der Verletzung, gut
geht.
4 c. In 21 weiteren Fällen von Schuss in das Qehirn lässt sich
nach den zurzeit zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen eine
Trennung in Durch- und Steckschüsse nicht mehr durchführen. Es
waren alles Schrapnellschüsse, die sämtlich tödlich endigten. 2 mal
wurde ohne Erfolg versucht, operativ einzugreifen.
Zusammenfassend kann man, wie auch schon von anderen
Autoren betont wurde, sagen, dass bei tangentialen Knochen¬
schüssen des Schädels mit und ohne Verletzung des Gehirns
die Frühoperation die besten Heilungsaussichten bietet.
Bei Steckschüssen muss man sich von Fall zu Fall ent¬
scheiden.
Durchschüsse des Gehirns geben wie die Steckschüsse
im ganzen eine schlechte Prognose, es kommen bei zu¬
wartender Behandlung einzelne Fälle zur Heilung. Fälle mit
guter Prognose waren im allgemeinen Gewehrschüsse, die
Schrapnellschüsse gaben eine schlechte Voraussage.
Zum Schluss erfülle ich eine angenehme Pflicht, wenn ich
Herrn Generaloberarzt Prof. Dr. Rotte r für die gütige An¬
regung und den Aerzten der Feldlazarette, besonders den
Operateuren Herren Stabsarzt Dr. Determann und
B u h t z, den Herren Oberärzten Dr. F 1 ö r c k e n und
Fenner für die Ueberlassung des Materiales danke.
Aus der Kgl. orthopädischen Poliklinik München (Geheimrat
Prof. Dr. F. Lange).
Mobilisation versteifter Gelenke.
Von Dr. Schede, Assistent.
Seit dem Ablauf des ersten Kriegsmonats tritt die Frage
nach dem Schicksal der verletzten Gelenke immer mehr in den
Vordergrund. Die Versteifung irgend eines grösseren Ge- j
Ich greiie aus der Fülle der Möglichkeiten eine Gruppe
heraus und sehe von vornherein von allen denen ab, wo
knöcherne Hindernisse ein operatives Vorgehen erheischen
und auch von denen, wo infektiöse Prozesse ernsterer Art
noch nicht oder erst kurz erloschen sind und eine Mobilisation
von vornherein verbieten. Es soll von der Mobilisation der
durch fibröse Narbenstränge versteiften Gelenke die Rede sein,
wie sie im Anschluss an Frakturen oder Schussverletzungen
des Gelenkes oder seiner Nachbarschaft entstehen. Und zwar
von solchen, deren Zustand eine Mobilisation überhaupt zu¬
lässt und ein Wiederaufflackern eines infektiösen Prozesses
nicht befürchten lässt.
Es sei hier bemerkt, dass die eitrige Sekretion der granu¬
lierenden Schusswunden, die durch Knochensplitter oder durch
nekrotische Gewebsfetzen verursacht wird, keine üegen-
anzeige gegen eine spätere Mobilisation zu bilden scheint, so¬
fern sie fieberlos und ohne phlegmonöse Erscheinungen ver¬
läuft.
Es ist von alters her in einer Reihe von Fällen gelungen,
die erwähnten Narbenstränge unblutig zu dehnen, gedehnt zu
erhalten und so ein völlig bewegliches Gelenk wieder her¬
zustellen. In vielen Fällen jedoch trotzen diese Narbenstränge
allen Versuchen, sie dauernd zu dehnen. Diese Narbenstränge
sind nämlich ein ausserordentlich reizbares Gewebe; die
Streckversuche haben vielleicht eine Zeitlang befriedigende
Fortschritte gemacht, plötzlich aber werden die Manipulationen
immer schmerzhafter, die Gelenkgegend schwillt und fühlt sich
heiss an, die ganze Umgegend befindet sich in einem krampf¬
artigen Zustand, die Muskeln wenden alle ihnen gebliebene
Energie auf, um sich gegen jeden Versuch der Bewegung zu
wehren. Die so wertvolle aktive Mithilfe des Patienten wird
zum reflektorischen Widerstand gegen unsere Bestrebungen.
Es wird nötig, den Patienten einige Tage zu schonen, und in
diesen Tagen geht das ganze bisher erreichte Resultat ver¬
loren. Diese Reizbarkeit ist nicht zu verwechseln mit dem
Wiederaufflackern eines infektiösen Prozesses. Sie ist auch
nach einfachen Frakturen zu beobachten und unterscheidet sich
von der infektiösen Entzündung durch das Ausbleiben des
Fiebers. Sie ist individuell sehr verschieden, Es kommt aber
auch darauf an, wie die Dehnungsversuche gemacht werden.
Besonders sind es die Pendelapparate, die solche Reizungen
hervorrufen. Das wird verständlich, wenn man sich die Wir¬
kungsweise dieser Apparate überlegt. Der Hebelarm, an dem
der eine Gliedabschnitt befestigt ist, durchläuft zunächst den
Abb. 1 a. Ellbogen in Beugespannung.
Abb. 2a. Handgelenk in Beugespannung.
Abb. 3 a. Kniegelenk in Beugespannung.
Abb. 1 b. Ellbogen in Streckspannung.
Abb. 2 b Handgelenk in Streckspannung.
Abb. 3 b. Kniegelenk in Streckspannung.
lenkes bedeutet in der Regel die dauernde Erwerbsbeschrän-
kung, oft auch die Erwerbsunfähigkeit des Betroffenen. Die
rechtzeitige Mobilisation solcher Gelenke erscheint als eine
Aufgabe von allergrösster Wichtigkeit.
Kreisabschnitt, in dem das Gelenk ohnehin schon beweglich ist.
Das hat für die Therapie keinen wesentlichen Wert, denn es
kommt mehr darauf an, die Grenzen zu erweitern als sich im
schon vorhandenen Spielraum hin und her zu bewegen. Dann
22. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2423
aber stösst der Hebelarm gegen die Grenze und es gibt einen
plötzlichen, sehr schmerzhaften Ruck, dem die Muskeln durch
sofortige Kontraktion begegnen. Auf diese Weise kommt zwar
keine Dehnung zustande, sondern vielleicht ein Einriss; meist
aber setzt der Muskelreflex schon vor Erreichung der Grenzen
ein. So werden die Hauptfeinde unserer Therapie: die ent¬
zündliche Reaktion des Gewebes und der reflektorische
Widerstand der Muskeln gereizt, anstatt beruhigt. Man be¬
denke ferner, dass bei dem jetzigen Andrang an die vor¬
handenen Pendelapparate ein Patient in der Regel 34 bis
1 Stunde täglich zum Ueben kommt. Dass damit herzlich
wenig erreicht wird, ist selbstverständlich.
Es ist daher die Zahl der Autoren beträchtlich, die von jeher
eine ganz langsame und schonende Dehnung, eine Fixation des
Gliedes in der erreichten Stellung und eine 14— 2 tägige Ab¬
wechslung zwischen den zwei Extremen empfehlen. In den
Zwischenpausen wird aktiv geübt, massiert, ein warmes
Bad gegeben und die Gewebe mit Heissluft oder Diathermie
erweicht.
Diese Methode wirkt dauernd und dabei sehr schonend.
Ihre Technik ist allerdings nicht leicht. Die mechanischen
Schwierigkeiten der Bewegung eines versteiften Gelenkes sind
ausserordentlich gross. Der notwendige starke Druck muss
so angewandt werden, dass er vertragen wird. Er muss auch
an den richtigen Punkten angreifen, da die Patienten unwill¬
kürlich alle erdenklichen Manöver machen, um dem Druck
auszuweichen. Es kommt aber darauf an, den Druck eine
Zeitlang unverrückbar festzuhalten, bis die Schmerzen nach¬
lasseil und die Muskeln erschlaffen.
Die bisher von uns verwandten Apparate nach Gipsabguss
aus Zelluloidstahldraht oder Stahlschienen mit Lederhülse er¬
füllten ihre Aufgabe. Aber für einen solchen ungeheuren Be¬
darf, wie er jetzt herrscht, sind sie viel zu teuer; ausserdem
ist die Herstellungsmöglichkeit auf relativ wenige Orte be¬
schränkt.
Ich habe mich nun bemüht, eine Schiene zu
konstruieren, die für jeden passt und von
einer unbeschränkten Zahl von Patienten be¬
nützt werden kann, die ausserdem billig ist
und von jedem und überall leicht gehandhabt
werden kann.
Ich glaube, dass die folgende Schiene diesen Ansprüchen
gerecht wird.
Sie besteht aus 2 Paar gelenkig untereinander verbundenen
Bandeisenstreifen. Die Fixation des Armes geschieht durch gepol¬
sterte Auflager aus Blech, die drehbar sind, damit sie sich gleich-
massig flach anschmiegen. Diese 3 Auflager sind an den 3 Punkten
angebracht, die bei jeder Mobilisation gedrückt werden müssen: 2 an
den Endpunkten der Hebelarme und 1 Widerlager am Drehpunkt.
Der Zug geht nun nicht von einem Hebelende zum andern, was
bei stumpfwinkligen Kontrakturen sehr ungünstige Kraftverhältnisse
ergibt und Verschiebungen der Schiene begünstigt. Der Zug geht
vielmehr über einen drehbaren Eisenbügel, durch dessen Einstellung
jedesmal die beste Zugwirkung gefunden werden kann. Eine ein¬
fache Umdrehung des ganzen Apparates um die
Achse des Armes kehrt seine Wirkung in ihr
Gegenteil um. Man kann also mit dem gleichen
Apparat die Beugung und die Streckung forcieren.
Der Apparat erlaubt eine ausserordentliche Kraftanwendung, ohne
dass ein schmerzhafter Druck entsteht. Nach dem gleichen Prinzip
sind die hier in der Abbildung folgenden Apparate für Handgelenk
und Kniegelenk konstruiert, die aus der Abbildung ohne weiteres ver¬
ständlich sind.
Die gleichen Schienen werden jetzt für Schulter-, Finger- und
Hüftkontrakturen konstruiert.
Die mit diesen Apparaten im Vereinslazarett Poliklinik und
andern Lazaretten erzielten Resultate sind sehr befriedigend.
Der Preis einer Schiene beträgt 8 — 11 M. Die Herstellung hat
die Firma Apparatebau München, Dachauerstr. 15, übernommen.
Nachbehandlung von Gelenkschüssen, besonders des
Schultergelenks.
Von Dr. med. Fr. J. K a i s e r - Zürich, zurzeit Reservelazarett
Blankenburg (Harz).
Mehr noch wie an anderen Körperteilen ist es bei den Gelenk¬
schüssen von Wichtigkeit, ob es sich um eine Verletzung mit kleiner
Ein- und Ausschussöffnung handelt, oder ob am Ein- und Ausschuss
oder nur am Ausschuss eine grosse, zerfetzte Wunde mit ausge¬
dehnter Knochen- und Weichteilzerstörung vorliegt, wie sie durch
Schüsse aus grosser Nähe, durch Ouerschläger oder Dumdumge¬
schosse hervorgerufen werden. Die zweite Rubrik von Verletzungen
wird, wenn ein Gelenk in Mitleidenschaft gezogen ist, ganz besondere
Anforderungen an das Interesse und die Aufmerksamkeit des Arztes
stellen. Mögen hierbei operative Eingriffe nötig sein oder nicht, mag
der Wundverlauf ohne oder mit schwerer Infektion vonstatten gehen,
stets wird, auch im günstigsten Falle, nach der Heilung zunächst
ein mehr oder weniger steifes Gelenk Zurückbleiben. Hier wird der
Arzt ohne weiteres durch systematische mechanotherapeutische
Massnahmen die Beweglichkeit im Gelenk wieder herzustellen suchen
und in sehr vielen Fällen dieses Ziel mehr oder weniger erreichen.
Anders bei der ersten Kategorie, wo bei kleinem Ein- und
Ausschuss die Weichteile und selbst der Knochen ohne grössere Zer¬
störung durchschlagen werden; w'o wir in den allermeisten Fällen
einen aseptischen Wundverlauf zu erwarten haben und dement¬
sprechend die Wunde in relativ kurzer Zeit heilt. Bei den Ge¬
lenken ist, im Gegensatz zu den Schussverletzungen an anderen
Körperteilen, mit der Heilung der Wunde die Behandlung nicht be¬
endet. Wir haben das funktionelle Resultat zu prüfen und auf dieses
unser Augenmerk zu richten, auch schon während der Behandlung.
Bei den meisten Gelenken des Körpers ist es, bei einfacher, aseptisch
verlaufender Schussverletzung, bei rechtzeitigem Beginn aktiver und
passiver Bewegungsubungen meist leicht, ein volles Resultat zu er¬
zielen.
Eine Ausnahme macht das Schultergelenk, das allseitig beweg¬
lich mit dem Gürtel der oberen Extremität verbunden, dieser selbst
aber wieder am Rumpf ausgiebig beweglich ist. Hier wird auch
beim besten Willen des Patienten, das Gelenk zu bewegen, dieses
dadurch unmöglich, dass infolge der Schmerzhaftigkeit der durch¬
schossenen Schultermuskulatur der Kranke reflektorisch durch Mus¬
kelspannung den Oberarm im Schultergelenk feststellt, und bei Be¬
wegungen die Skapula mitgeht. Dementsprechend sieht man bei
aktivem seitlichem Heben des kranken Armes das Schulterblatt von
Anfang an mitgehen; und infolgedessen ist ein senkrechtes Hoch¬
heben des Armes unmöglich. Da also auch bei fixierter Skapula der
Arm ziemlich ausgiebig, jedenfalls bis zur Horizontalen, bewegt wer¬
den kann, kann der Defekt umso leichter übersehen werden, zumal
der Kranke häufig länger als nötig den Arm in einer Mitella trägt.
Die Schultergelenkschüsse sind von allen Gelenkschüssen wohl die
häufigsten, wie das ja die Lage des Soldaten im Schützengraben
ergibt. Der Schuss durchbohrt das Gelenk meist in der Richtung von
vorn oben nach hinten unten, sehr oft noch auf dem Rücken eine
Streifst husswunde erzeugend.
Bei allen anderen Körpergelenken sind aktive Bewegungsübungen
leicht durchführbar, da die Gelenke meist geringere normale Be-
wegungsmöglichkeit besitzen und die Beweglichkeit sich meist schon
von selbst bessert in dem Bestreben des Kranken, das Gelenk wieder
zu gebrauchen. Anders, wie gesagt, beim Schultergelenk. Hier
müssen wir durch passive Bewegungsübungen nachhelfen. Diese
führen wir am besten in der Art aus, dass der Arzt sich hinter
den Kranken stellt und z. B. bei rechtseitiger Erkrankung mit der
linken Hand den unteren Skapulawinkel bei gesenktem, schlaff herab¬
hängendem Arm derart umfasst, dass der Daumen auf die Aussen-
seite zu liegen kommt, die übrigen Finger von der medialen Seite her
den Innenrand der Skapula umgreifen und sich in einer Hautfalte auf
der Hinterseite zwischen Schulterblattunterfläche und Thoraxwand
einschieben. Mit der zweiten, rechten Hand drückt man von oben fest
gegen die obere Kante und die Gräte des Schulterblattes. Eine
zweite Person führt nun mit dem kranken Arm systematische Be¬
wegungsübungen aus. Ist die linke Schulter die kranke, so ist die
ganze Anordnung die umgekehrte. Finden sich noch anderweitige
Verletzungen (Streifung des Rückens durch das Geschoss etc.), so ist
man zur Schonung dieser Wunden natürlich zur Modifikation beim
Fixieren des Schulterblattes genötigt1).
Man beginnt diese passiven Bewegungen etwa 10—14 Tage nach
der Verletzung, um bis dahin der Muskulatur und dem Uelenk Zeit
zu lassen, den ersten entzündlichen Reiz und eine ev. leichte Infektion
zu überwinden. Zunächst schonend, unter Kontrolle der Temperatur
und der nachfolgenden Schmerzen. Gegebenenfalls stellt man nach¬
her zunächst wieder für einige Tage das Gelenk ruhig und beginnt
dann von neuem. Die Uebungen werden täglich vorgenommen und
brauchen nur kurze Zeit zu dauern. Man wird zunächst weiches
Krepitieren und Knurbeln im Gelenk fühlen, ähnlich wie bei defor¬
mierender Arthritis. Dieses bessert sich aber schnell, die Schmerzen
nehmen ab. Zusehends bessert sich auch die aktive Beweglichkeit
im S c h u 1 1 e r g e 1 e n k selbst. Das funktionelle Resultat ist
bei den einfachen, sog. aseptischen Schusswunden ein ausgezeichnetes.
) Für die Bewegungsübungen des Schultergelenks sind ausser¬
dem eine Menge Methoden im Gebrauch. Bei den meisten führt der
Kranke diese Uebungen selbst aus, indem er entweder direkt mit der
gesunden Hand den kranken Arm fasst und hochhebt oder indirekt
mittels eines Stabes oder einer über eine Rolle geführten Schnur in
die Höhe zieht. Ganz abgesehen davon, dass sie weniger wirksam
sind, sind wir von dem guten Willen des Patienten zu sehr abhängig.
— Die für diese Zwecke im Gebrauch befindlichen Apparate, die das
Schulterblatt feststellen sollen, während der Arm bewegt wird,
sind in ihrer Wirkung sehr unsicher und wohl auch nur den wenig3
sten Kranken zugänglich.
2424
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 51.
Wenn es sich hier auch eigentlich nur um Wiederholung be¬
kannter Tatsachen handelt, scheint es mir bei der Häufigkeit der
Schnltergclenkschiisse doch wichtig genug, noch einmal hierauf hin¬
zuweisen.
Zur Behandlung grosser Weichteilverletzungen.
Von Dr. Arthur M u e 1 1 e r - München.
M. H.l Jeder von uns, der in diesem Kriege zum ersten
Male Gelegenheit gehabt hat, die Wirkung der modernen
Feuerwaffen an den Verwundeten zu beobachten und zu be¬
handeln, wird zunächst entsetzt gewesen sein über die ko¬
lossalen Weichteildefekte, die durch Granatsplitter bewirkt
werden können. Und hierbei müssen wir uns noch vergegen¬
wärtigen, dass die schlimmsten derartigen Verletzungen,
welche durch Blutverlust sofort zum Tode führen und die¬
jenigen, welche durch Blut¬
verlust und Infektion das Ende
in kürzester Zeit herbeiführen,
überhaupt nicht in das Hinter¬
land zu uns kommen. Immer¬
hin haben wir nicht selten
Gelegenheit, furchtbare Zer¬
störungen auch hier zu be¬
handeln.
Eine Anzahl solcher Fälle
hat S. K- H. Prinz Ludwig
Ferdinand soeben im Bilde
demonstriert. Bei denjenigen
dieser grossen Weichteilver¬
letzungen, bei denen Blutver¬
lust, Schock und Infektion
glücklich überwunden werden,
pflegt sich ein sehr langes
Krankenlager anzuschliessen,
bis die tiefen, oft faustgrossen
und grösseren Muskel- und
Bindegewebsverluste ver¬
narbt und überhäutet sind.
Der elastische Zug der Haut
und des Unterhautzellgewebes wirkt dem Bestreben des
Narbenzuges nach Verkleinerung entgegen. So muss
Jedem, der solche Wunden behandelt, das Bedürfnis sich
aufdrängen, den Schluss dieser grossen Wundhöhlen zu be¬
schleunigen. In günstig gelagerten Fällen, wenn die Längs¬
richtung und Tiefe der Wunde der Breite gegenüber
wesentlich überwiegen, so dass die Wunde einer Hiebwunde
ähnelt, kann man bis¬
weilen durch quer zur
Wunde gelegte Heft¬
pflasterstreifen schon
frühzeitig die Wundränder
einander nähern und spä¬
ter mit Sekundärnaht die¬
selben vereinigen. Dies
geht besonders häufig an
der oberen Extremität, wo
es mir z. B. in einem
Falle gelang, eine bis auf
den Knochen reichende
schnittartige Granatsplit¬
terverletzung nur mit zir¬
kulären Heftpflasterstrei¬
fen zu fast linearer Hei¬
lung zu bringen. Bei den
entgegengesetzten Fällen,
in welchen sich nur eine Abschürfung oder eine im Verhältnis
zur Breite und Länge der Wunde geringe Tiefenwirkung findet,
wird man die Ueberhäutung vom Rande abwarten oder zur
Transplantation seine Zuflucht nehmen müssen. Findet sich ein
tiefgehender und breiter Substanzverlust, dann sind diese Me¬
thoden erst spät anwendbar und man muss den langwierigen
Verlauf mit tiefer Narbenbildung abwarten. Bei einzelnen,
günstig gelagerten Fällen kann man die Verheilung durch
dicke, gestielte Lappenbildung zu beschleunigen suchen. Dies
sind aber grosse Eingriffe, zu denen man sich bei den meist
geschwächten Patienten schwer entschliesst. So liegt es wohl
nahe, dass man sich bemüht, bei diesen grossen Weichteil¬
verletzungen die Wundränder einander möglichst bald zu
nähern und die Narbenbildung möglichst klein und den
Heilungsprozess möglichst kurz zu gestalten.
Als ich die Abteilung IV im Reservelazarett Marsfeldschulc
übernahm, fand ich besonders bei den französischen Ver¬
wundeten eine grössere Anzahl solcher schwerer Ver¬
letzungen. Bei einem der Kranken war durch einen grossen
Granatsplitter das Kreuzbein so gequetscht, dass ich sofort
von der Mitte des Gesässes eine abgetorbene Masse von der
Fläche und Dicke einer sehr grossen Hand abtragen konnte.
Bei einem anderen Franzosen war oberhalb der Kniekehle in
der Länge von etwa 12 cm und Breite von etwa 10 cm Haut-
und Unterhautfettgewebe weggerissen; ein dritter hatte einen
über handgrossen Defekt über dem linken Schulterblatt, aus
welchem sich Splitter des Schulterblattes abstiessen. Auch
bei den deutschen Verwundeten fanden sich ähnliche aus¬
gedehnte und tiefe Verletzungen. So kam mit dem letzten
Transport eine Gesässverletzung ähnlich wie bei dem Fran¬
zosen, aber zum Glück nicht von dieser kolossalen Aus¬
dehnung. Auch grosse. Substanzverletzungen an Schulter,
Rücken, Oberschenkel und Unterschenkel wurden beobachtet.
Um die Heilung derselben zu beschleunigen und die Wund¬
ränder von Anfang an möglichst einander zu nähern, verwende
ich den elastischen Zug. Ich lasse Haken- oder Haftenbänder,
wie man sie fertig in Weisswarengeschäften kauft, auf ca. 5 cm
breites Leukoplast aufnähen. An diesen Bändern sind in etwa
2 cm Entfernung Haken und Oesen abwechselnd befestigt.
Diese Bänder klebe ich am Rande der Wunde, der grössten
Längsausdehnung derselben entsprechend, auf; durch die
Oesen werden dünne Gummiringe geschlungen, wie sie zum
Verschnüren von Paketen benutzt werden.
Nachdem die Wunde wie üblich behandelt und mit Gaze
bedeckt ist, werden die Gummiringe über die Haken an der
entgegengesetzten Seite mit beliebig starkem Zuge befestigt.
Hat die Wunde einen unregelmässigen Umfang, so kann man
durch Einkerben des Leukoplastes demselben folgen. Wir
haben den Eindruck gehabt, dass der Verschluss dieser
grossen Substanzverluste hierdurch wesentlich beschleunigt
wird.
Da von den zahlreichen Herren, die bei uns Gelegenheit
hatten den Verband zu sehen, keiner denselben kannte, halte
ich mich für berechtigt, hierüber zu berichten und zur Nach¬
prüfung vorzuschlagen.
In bezug auf die Technik möchte ich betonen, dass das
Band aufgenäht und dass es Leukoplast sein muss,
da Bonaplast den starken Zug nicht aushält. Am geeignetsten
sind Verletzungen in Rücken, Schulter, Gesäss und in der
Längsrichtung des Ober- und Unterschenkels.
Praktische Winke zur Verhütung und Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten und von Ungeziefer im Felde.
Von Fritz Lesser - Berlin, zurzeit Stabsarzt bei einer
Kriegslazarettabteilung.
Dass auch die Geschlechtskrankheiten im Kriege eine nicht
zu unterschätzende Rolle spielen, musste nach den Er¬
fahrungen aus früheren Feldzügen als selbstverständlich
gelten, und jeder im Felde stehender Arzt hat wohl während
des jetzt viermonatlichen Kriegszustandes die praktische Be¬
stätigung gefunden. Ganz abgesehen davon, dass die mili¬
tärische Leistungsfähigkeit des Soldaten durch venerische
Krankheiten bedeutend herabgesetzt ist, und dass bei dem
engen Zusammenleben in Massenquartieren und dem Mangel
an Hygiene und Körperpflege die Gefahr der Uebertragung
eine grössere ist, muss noch besonders in Erwägung gezogen
werden, dass ungemein häufig, vielleicht in der Mehrzahl,
verheirate Leute (besonders der Landsturm und die
Besatzungsmannschaft der Festungen sind der Verführung in
hohem Masse ausgesetzt) Geschlechtskrankheiten erwerben
und bei der Heimkehr infolge ungenügender
Behandlung die nicht ausgeheilte Krankheit
22. Dezember 1914.
Feldärztliche Beilage zur Münch, mcd. Wochenschrift.
2425
auf ihre Familie übertragen können. Daher
kann gar nicht genug für die Prophylaxe der venerischen Er¬
krankungen geschehen, und jede praktisch durchführbare Ver¬
besserung verdient volle Berücksichtigung.
ln feldärztlichen Artikeln sind bereits die Geschlechts¬
krankheiten im Kriege, sowohl was ihre Verhütung, als auch
Behandlung anbetrifft, von berufenster Seite (A. Ne iss er,
A. Blaschko, Haberling, E. Lesser u. a.) gewürdigt
worden. Es wurden die verschiedensten Vorschläge gemacht:
Genaue Ueberwachung der Prostituierten und aller ver¬
dächtigen Elemente, ferner Ueberwachung aller, insbesondere
nächst der Kaserne gelegenen Lokale, militärische Bewachung
von ausschliesslich für den Besuch von Soldaten freigegebenen
Bordellen, ja sogar gesundheitliche Ueberwachung der sie be¬
tretenden Soldaten, kriegsgesetzliche Bestrafung wissentlich
kranker Prostituierter bei Ausübung ihres Gewerbes, Aus¬
stellung von Ausweiskarten (Gesundheitsattesten) an Pro¬
stituierte und Zulassung nur mit Ausweiskarten versehener
weiblicher Personen in Hotel garnis; rechtzeitige Orientierung
durch den dem Korpsarzt beigegebenen Hygieniker über
die Prostitutionsverhältnisse, Handinhandarbeiten der Orts¬
behörde mit dem Truppenkommandanten und den Sanitäts¬
offizieren, in bestimmten Zeitintervallen angesetzte Auf¬
klärungen und Warnungen der Soldaten, Verteilung von
Merkblättern, regelmässige Gesundheitsbesichtigungen etc.
Jede dieser Massnahmen hat zweifellos ihren Wert, wenn
auch die Verhältnisse des Krieges ihre praktische Durch¬
führung oft nicht gestatten.
In folgendem möchte ich zu dem vorliegenden Thema einige
Beiträge liefern, die sich mir aus eigener Anschauung im Felde be¬
reits praktisch bewährt haben und vielleicht zur allgemeinen Ein¬
führung gelangen sollten. Als Chefarzt eines Kriegslazaretts auf dem
östlichen Kriegsschauplatz, das direkt auf der Hauptverkehrsstrasse
der Stadt lag und durch die weisse Fahne mit rotem Kreuz vom Mili¬
tär, sowie auch von der Zivilbevölkerung als Station für erste ärzt¬
liche Hilfe häufig in Anspruch genommen wurde, wurde ich oft von
Offizieren und Unteroffizieren um eine Schutzeinspritzung gegen eine
Tripperinfektion gebeten. Die Motivierung lautete fast regelmässig,
dass der Kondom geplatzt sei. Durch die Aufklärungen und belehren¬
den Vorträge, die ja in Friedenszeiten über die Geschlechtskrank¬
heiten gehalten wurden, sind ja heute die meisten jungen Leute über
den Nutzen einer frühzeitigen bzw. vorbeugenden Behandlung orien¬
tiert, und ich mochte und konnte mich der an mich gerichteten Forde¬
rung nicht entziehen. So hat sich aus der Praxis heraus für mich
die Notwendigkeit ergeben, dass der Feldarzt auf die vorbeugende
Behandlung von Geschlechtskrankheiten, insbesondere Tripperinfek¬
tion eingerichtet sein muss. Die ausgezeichneten Erfahrungen, die
man mit starken Protargoleinträuflungen (Rp. Argent. proteinic. 5,0
s o 1 v e in Aq. frigid., Glyzerin, ad 25,0. S. 2 Tropfen in die Harn¬
röhre und 1 Tropfen in den Vorhautsack einzuträufeln. Adde Tropf¬
pipette.) zur Verhütung des Trippers u. a. auch bei der Marine ge¬
macht hat, rechtfertigen durchaus die Aufnahme der vorstehenden
Lösung in die Sanitätstasche des Feldarztes, in der Natr. bicarbon.
und Acid. tartaric. als ärztliche Arzneistoffe entbehrlich sind, während
sie in den Arzneitaschen des unteren Sanitätspersonals verbleiben
könnten. Zum mindesten sollten die auf den Bahnhöfen gewöhnlich
errichteten Krankensammelstellen mit den prophylaktischen Mass¬
nahmen ausgerüstet sein. An grösseren Orten, besonders in Feindes¬
land und in Städten, wo der Bahnhof ausserhalb der Stadt liegt, würde
die Einrichtung einer Station für erste ärztliche Hilfe an der Haupt¬
verkehrsstrasse sehr vorteilhaft sein.
Es wäre bedenklich, dem unteren Sanitätspersonal die unein¬
geschränkte Verabfolgung von Schutztropfen zu überlassen, da da¬
durch der Empfehlung des Geschlechtsverkehrs zu leicht Vorschub
geleistet werden könnte. Das Predigen der Abstinenz als sicherster
Schutz gegen Geschlechtskrankheiten muss immer an erster Stelle
Berücksichtigung finden. Gewiss ist es richtig, dass in einer Zeit,
welche so grosse Opfer an jeden einzelnen stellt, das Verlangen nach
Enthaltsamkeit vom Geschlechtsverkehr auch für den Soldaten keine
allzu rigorose Forderung ist. Anderseits muss man aber mit den
menschlichen Schwächen, besonders bei dem Reiz, der von einer
fremden weiblichen Rasse in Feindesland ausgeht, rechnen und
unsere ärztlichen Massnahmen müssen gegen Verhältnisse gerichtet
sein, wie $ie tatsächlich sind und nicht, wie sie sein sollten. Ob der
Nutzen einer Schutzeinspritzung den Soldaten bei den Gesundheits¬
besichtigungen bekannt gegeben werden soll, lässt sich generell nicht
entscheiden. In einer richtig gewählten Form empfohlen, würde m. E.
damit kein Anreiz zum Geschlechtsverkehr gegeben werden. Die
Forderung von E. Lesser, dass das Kondom den Leuten von den
Lazarettgehilfen verabreicht werden sollte, erscheint mir schon etwas
bedenklich.
Auf dem westlichen Kriegsschauplatz, wo wir zuerst tätig waren,
kamen übrigens Geschlechtskrankheiten wohl infolge der feindlichen
und erbitterten Haltung der Bevölkerung nicht häufig vor, dagegen
stieg die Zahl der Geschlechtskranken in dem deutsch-freundlicheren
Russisch-Polen, wo auch die Bevölkerung kulturell viel niedriger
steht und die Prostitution geschäftsmässig durch Vermittler, ja so¬
gar durch halbwüchsige Burschen feilgeboten wird, bedeutend an.
Was das Ulcus <nolle anbetrifft, so ist dasselbe nach meinen feld¬
ärztlichen Erfahrungen viel häufiger als der Primäraffekt anzutreffen.
Zur Verhütung desselben kommen Waschungen post coitum, event.
unter Zusatz von Antisepticis in Betracht. Hat sich erst einmal
der weiche Schanker etabliert, so kommt alles darauf an, dem Ent¬
stehen neuer Ulcera durch Ueberimpfung und dem eitrigen Bubo
vorzubeugen. Hierfür wird fast übereinstimmend die Aetzung mit
Acid. carbolic. liquefact. empfohlen. Es sollte auch dieses Mittel der
Sanitätstasche des Feldarztes einverleibt werden.
Um die Aetzung von Ulzera schmerzlos auszuführen, taucht man
ein mit etwas Watte armiertes Streichholz in die Karbolsäure und be¬
tupft die Ulzera, ohne zunächst einen Druck auf den Geschwürsgrund
auszuüben. Man wartet erst etwa A Minute ab, bis die anästhe¬
sierende Wirkung der Karbolsäure eingetreten ist, und nun kann
man schmerzlos durch Druck auf den Geschwürsgrund die eigentliche
Ausätzung vornehmen.
Was die Syphilis anbetrifft, so gibt es kein Medikament, das mit
Erfolg vorbeugend angewendet werden kann, auch Kalomeisalbe
leistet nichts. Dagegen kommt alles auf eine frühzeitige Feststellung
der syphilitischen Infektion an. Wird der Primäraffekt erkannt, be¬
vor die Spirochäten sich in den Organen eingenistet haben und wenn
die WaR. noch nicht positiv ist, so gelingt es meist mit Leichtigkeit,
eine Abortivheilung der Syphilis zu erzielen. Hier leistet das Salvar-
san nach übereinstimmendem Urteil ganz Ausserordentliches. Man kann
sagen, eine frische Syphilis wird in 5 Tagen geheilt durch eine zwei¬
malige intravenöse Neosalvarsaninjektion (konzentrierte Lösung in klei¬
ner Spritze) ohne Quecksilberkur. Wird aber mit der Behandlung der
Syphilis begonnen, wenn schon die WaR. stark positiv geworden ist,
so genügt meist eine kombinierte, lang fortgesetzte Salvarsan-Hg-Kur
nicht, um die Syphilis zur Ausheilung zu bringen, dann verläuft sie
meist chronisch und bedarf einer mehrjährigen Behandlung und Be¬
obachtung. Keine, noch so unbedeutende umschrie¬
bene wunde Stelle am Glied ist zu gering, um nicht
ein Primäraffekt zu sein. Die Frühdiagnose der Syphilis
und der so leichte Spirochätennachweis wird noch oft verfehlt, und
da gerade im Kriege Spezialärzte anderer Disziplinen sich mit dem
ihnen fremden Gebiete der Geschlechtskrankheiten befassen müssen,
so seien die Hauptunterschiede des ganz frischen Ulcus durum
und molle noch einmal gegenübergestellt:
Ulcus durum.
Oberflächliche, umschriebene Erosion
ohne Vertiefung, also eigentlich gar kein
Ulcus, selbst auf Druck und Schaben nicht
leicht blutend. Peripher allmähliche Ver¬
härtung. Spirochätennachweis: Auf einen
Objektträger bringt man ein Tröpfchen
Wasser, rührt etwas durch Pression des
Ulcus mit einem Streichho'z entnommenen
Oewebssaft hinein, dann wird ein Tropfen
Tusche (Günther Wagners schwarze Aus¬
ziehtusche) hinzugerührt und das Präparat
mit der Kante eines zweiten Objektträgers
ausgestrichen und trocknen gelassen. Die
engspiralige, zarte Spirochäte pallida er¬
scheint unter dem Mikrosop ungefärbt auf
dunklem Grunde.
Cave Ulcus mixtum (Ulcus durum + molle)!
Jede Behandlung (Dermatol, essigsaure Tonerde, Vaseline) macht
einen späteren Spirochätennachweis illusorisch. Durch Aetzung mit
Karbolsäure tritt bei jedem Geschwür eine periphere Verhär¬
tung ein.
Als Dermatologe führe ich auch schwarze Tusche und 3 Objekt¬
träger zum Spirochätennachweis in meiner Sanitätstasche mit. Jeden¬
falls sollte dafür Sorge getragen sein, dass bei den Gesundheits¬
besichtigungen und Krankensammelstellen die für ein mikroskopisches
Präparat notwendigen Ingredienzien zur Stelle sind.
Dem kriegsärztlichen Standpunkt Ne iss er 5, unter den ob¬
waltenden Umständen jeden mit einer venerischen ulzerösen oder
erosiven Affektion Behafteten geradeso zu behandeln, wie einen mit
sicherer Syphilis Infizierten, kann ich nicht beipflichten, dazu ist nach
meiner feldärztlichen Erfahrung das reine Ulcus molle viel zu häufig,
wie gesagt häufiger als die syphilitische Infektion. Ausserdem ist
das psychische Moment zu berücksichtigen und die Konsequenzen, die
bei der Heimkehr auf die Fragen: War es nun Syph’lis oder nicht?
Werde ich meine Frau anstecken? zu ziehen sind.
Wie es bisher gehandhabt wurde, sind im allgemeinen alle frisch
venerisch Erkrankten den Reservelazaretten zuzuführen oder wenig¬
stens bis zur Etappe zurückzubefördern.
Anhangsweise möchte ich noch einige feldärztliche Erfahrungen
hinsichtlich der Diagnose der Krätze und der Behandlung von Un¬
geziefer hinzufügen. Die Diagnose auf Skabies ist, so sonderbar
es klingen mag, oft äusserst schwierig. Als der junge Kaposi
seinen Lehrer Hebra vertrat, soll er alle Diagnosen richtig gestellt
und die seltensten Hautkrankheiten erkannt haben, nur nicht die
Skabies. Man kann sagen, dass die Skabies, wenn sie erst diskret
ausgebildet ist, meist übersehen wird, und wenn anderseits am ganzen
Körper Kratzeffekte zu sehen sind, zu häufig „Krätze“ diagnostiziert
wird. Gerade im Felde, wo Wanzen, Flöhe und Läuse allen Kame¬
raden ausnahmslos wohlbekannte und treue Mitkämpfer sind, ist die
Ulcus molle.
Umschriebenes, eiförmig vertieftes Ge¬
schwür mit überhängenden Rändern und
gelblichem Grunde, leicht blutend, meist
in der Mehrzahl vorhanden.
2426
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 51.
Differentialdiagnose bei einem mit Kratzeffekten bedeckten Körper
zwischen Krätze oder Ungeziefer sehr schwierig. Die Angabe der
Soldaten, dass abends im Bett das Jucken besonders stark ist, ver¬
leitet oft zur Diagnose Skabies. Ein wichtiges, wohl nicht gebührend
berücksichtigtes Kriterium ist das Verhalten der -Achselfalten, i. e.
die Ausläufer der Achselhöhle nach vorn. Sind die Achselfalten frei,
so wird man selten fehlgehen, wenn man Skabies ausschliesst. All¬
gemeiner bekannt ist die Lokalisation der Milben zwischen den
Fingern und am Penis. Kratzeffekte infolge Ungeziefers sind beson¬
ders an den Stellen, wo die Kleider eng anliegen, zu finden, Gesäss-
backen, Hüften und Schultern.
Zur Entfernung von Läusen empfehlen sich nach Kurzschneiden
der Haare Waschungen mit Petroleum. Acetum Sabadillae ist merk¬
würdigerweise nicht etatsmässig, erscheint aber auch entbehrlich.
Die Kleider, Tornister und die entleerten Strohsäcke werden aus¬
geklopft und dann am besten ausgeschwefelt. Die Leute selbst schäu¬
men abends vor dem Schlafengehen ihren Körper mit Schwefelseife
ein und lassen den Schaum in die Haut einziehen.
Bei Behandlung von Phthiriasis mit Ungt. einer, muss ein E i n -
reiben der Salbe in die Haut unterbleiben, da die Schamgegend
gegen Quecksilber sehr empfindlich ist und häufig eine sehr lästige
und langsam zu beseitigende Dermatitis entsteht. Es genügt die graue
Salbe in den Haaren der Genitalien mit den Fingern zu verfilzen.
Abrasieren der Schamhaare ist zu unterlassen, da das Nachwachsen
der Haare oft so heftiges Jucken auslöst, dass die Marschfähigkeit
des Soldaten vollkommen herabgesetzt sein kann.
Aerztliche Unterweisung der Mannschaften für den Krieg.
Von Dr. M i 1 n e r, Chirurg in Leipzig.
ln meiner Tätigkeit als Bataillonsarzt eines Landwehrersatz¬
bataillons fand ich Anfang September, dass die unverwundet zurück¬
kehrenden Mannschaften fast alle an Rheumatismus oder Herz¬
schwäche oder Magenkatarrh oder Bruchbeschwerden litten. Die
Rheumatiker waren fast ausnahmslos schon vor dem Feldzug
dauernd oder zeitweise rheumatisch erkrankt gewesen und ohne
zweckmässige Schutzmittel ausgerückt, die Mannschaften mit Herz¬
schwäche waren ganz überwiegend fettleibige Landwehrleute, die
Magenkatarrhe waren häufig auf grobe Diätfehler zurückzuführen
und die Bruchkranken waren ohne gutes oder überhaupt ohne Bruch¬
band ins Feld gerückt. Unter den aus der Garnison selbst stammen¬
den Revierkranken waren Plattfussbeschwerden und ähnliche Ueber-
lastungsfolgen am häufigsten; zweckmässige Selbstbehandlung hat
manchen Plattfuss oder X-Fuss geheilt.
Diese Erfahrungen veranlassten mich, als Mitte September
700 Ersatzreservisten neu eintraten, ihnen bei Gelegenheit der Unter¬
suchung in kleinen Abteilungen zu 30 Mann die wichtigsten Rat¬
schläge über Kräftigung und Pflege ihres Körpers und Verhütung
von Erkrankung vorzutragen und zu begründen. Der Aufmerksam¬
keit, mit der diese Rekruten fast sämtlich meinen Worten folgten,
entnahm ich die Ueberzeugung, dass diese Art der Belehrung, die
in meiner Garnison nicht vcrgeschrieben ist, durchaus zweckmässig
und erwünscht war.
Als dann wenige Wochen später 800 Mann ins Feld rückten,
wurden diese Mannschaften etwa 1—2 Tage vor dem Abmarsch auf
meine Anregung hin zu einem ärztlichen Unterricht befohlen, in
dem ich wieder das Wichtigste über Vermeidung von Erkrankungen
im Felde darlcgtc und das Nötigste über Verhalten bei Verwun¬
dungen hinzufügte. Im Anschluss an diesen Unterricht liess ich
durchschnittlich an jeden 3. Mann der Ausrückenden ein von einem
Vizefcldwebcl d. R. gedrucktes Blatt mit Ratschlägen für die Aus¬
stattung verteilen, die ich zusammengestellt hatte auf Grund münd¬
licher und schriftlicher Mitteilungen von Offizieren, Feldwebeln und
Mannschaften, die im Feld gewesen waren. Das vielleicht etwas
bunt scheinende Blatt mag für sich selbst sprechen; es lautete:
RatschlägefürdieAusstattungderinsFeldziehen-
den Mannschaften.
Ein zweites Paar Unterhosen; ein zweites Paar Hosenträger;
eine Strickjacke, möglichst weich; Gelenkwärmer, wollenes Hals¬
tuch; 1 Paar Einlegesohlen, nicht zu weich, damit sie sich nicht
verschieben; Gummikragen (1.20) mit 2 Knöpfen, nicht Druckknöpfen;
Gummischützer für Knie- und Ellbogengelcnk (Paar 2 M.), kein
Leder; 3 bunte Taschentücher; 1 Handtuch; Knöpfe, Nähzeug und
Sicherheitsnadeln verschiedener Grössen; kräftige Schere; Taschen¬
messer mit gutem Korkzieher und Konservenöffner; Bindfaden; Notiz¬
buch und Tintenstift: Papier (auch als Wärmeschutz und für Reini¬
gung); Reinigungslappen für Essgeschirr; Luntfeuerzeug; Stearin¬
kerzen; Kompass; Heftpflaster in Rollen (z. B. Leukoplast, kein eng¬
lisches); Seife; Insektenpulver; Boluspulver gegen Durchfall (100 g
30 Pf.); Präservativcreme zur Behandlung wunder Füsse; Ersatz¬
gläser für Brillen.
Der Gummikragen wurde mir inzwischen als sehr zweckmässig
gerühmt; er muss seitlich bis etwa zur Höhe des Deltaansatzes
hinabreichen. Die Gummiknie- (oder -gelenk-) Schützer sind 45 cm
lang und 35 cm breit und an allen 4 Ecken mit langen Bändern ver¬
sehen. Für alle die empfohlenen Dinge ist im Tornister und den
Kleidertaschen der Mannschaften ausreichend Platz.
Ich halte die ärztliche Belehrung der Mannschaften beim Ein¬
tritt und beim Ausrücken, die gewiss auch anderswo freiwillig oder
auf Befehl erfolgt, allgemeiner Einführung für wert, zumal auf dem
Weg von der Garnison zum ersten Kampf die Truppenärzte oft keine
Gelegenheit mehr haben, das in dieser Beziehung Versäumte nach¬
zuholen. Wem es nicht vergönnt ist, den Verwundeten zu helfen,
kann durch diese Belehrungen manchen Nutzen stiften, ja manches
Leben retten.
Aus dem Röntgenlaboratorium der Frauenklinik der Universität
Tübingen (Direktor: Prof. Dr. Hugo S e 1 1 h e i m).
Der Schwebemarkenlokalisator.
Bemerkungen zu obigem Aufsatz von Dr. H. Wachtel.
Von Dr. Helene Holder.
In Nr. 47 der M.m.W. (Feldärztliche Beilage Nr. 16) veröffentlicht
Herr H. Wachtel- Wien eine Methode zur Lokalisation von
Fremdkörpern, speziell Geschosssen, mittels Röntgenaufnahme. Die
Methode gestattet mit geringstem Aufwand an Zeit und Rechnungs¬
arbeit eine Bestimmung der Tiefenlage des Geschosses und der Ent¬
fernung desselben in der zur Tiefenrichtung senkrechten Ebene von
einem Punkt der Hautoberfläche aus. Nach derselben Methode, die
uns schon vor Wochen von Herrn Dr. rer. nat. Walther Ger lach
angegeben wurde, haben wir seit Beginn des Krieges lm Reserve¬
lazarett der Frauenklinik vor Operationen und Geschosscntfernungen
den Sitz der Fremdkörper genau bestimmt. Die vorgesehene Publi¬
kation ist nun überflüssig; Zweck dieser Zeilen ist nur, darauf hin¬
zuweisen, dass die Resultate der Methode ausserordentlich be¬
friedigende sind. Vor allem bei zahlreichen in kurzer Zeit auszu¬
führenden Aufnahmen ist das Wegfallen jeglicher Messung während
der Aufnahme selbst ein grosser Vorteil; ferner kann die Methode
mit den einfachsten Aufnahmeinstrumentarien ausgeführt werden. Sic
ersetzt ferner in fast allen Fällen stereoskopische Aufnahmen, da die
Lage des Geschosses relativ zu den benachbarten Knochen aus der
Grösse der Verschiebung derselben auf der photographischen Platte
im Verhältnis zur Verschiebung von Geschoss bzw. Marke festzu-
stcllen ist. _
Sterile Schnellverbandschiene.
Von Dr. med. Felix Kraemer in Frankfurt a. M.
Dieselbe besteht aus:
1. Dem festen Material, der Pappschiene (bzw. anderem Ma¬
terial).
2. Der Verbandkomoresse, die durch die Schiene hindurch an
letztere durch Haltebänder festgeknotet ist.
Es werden zweckmässig bei den Schussfrakturen 2 Schnell¬
verbandschienen für die betreffende Extremität verwandt. An der
einen Schiene werden die Haltebänder lang gelassen und dienen zur
raschen Fixation beider Schienenverbände (s. Fig.). k
In der Verpackung liegen beide Wattekissen fest aufeinander, so
dass zur Anlegung der Schienenverbände nur die Aussenflächen der
Schienen an deren Haltemittel angefasst werden. Die sterile Innen¬
fläche der Schiene wird überhaupt nicht berührt.
Danach gestaltet sich der Vorgang zur Behandlung z. B. einer
komplizieiten Schussfraktur mit Ein- und Ausschuss ausserordentlich
einfach:
Die Schienenverbände werden an den Haltemitteln erfasst, die
i Wattekompressen auf die beiden Wundflächen gedrückt, und Schiene
12. Dezember 191-1.
Feldärztliche Beilage zur Münch, ined. Wochenschrift.
2427
uid Waltekompresse gleichzeitig durch die Haltcmittcl befestigt.
A’atteun. Wickelung und definitive Befestigung mit einer 10 m langen,
' — 10 cm breiten Mull- bzw. Stärkebinde ist empfehlenswert, kann
iber auch weggelassen werden, ln diesem Falle wäre cs jedoch
:weckmässig, vor Anlegung des Schienenverbandes mit einem oder
wei der von mir in dieser Wochenschrift (1914 Nr. 7) angegebenen
'Chnellverbände Nr. 3 (grosse Form ohne Binde) die Wunden zu
ledecken und darüber die Schnellschicne zu befestigen.
Im Bedarfsfälle können diese Schnellschienenvcrbände aus Pappe
lurch eine 1— 2 cm breite Aluminiumschiene auf einfachste Weise da-
iur.'h verstärkt werden, dass die Aluminiumschiene durch die Knoten
m der Aussenseitc der Pappschiene durchgeschoben wird (s. Fig.).
Auch können auf solche Weise mehrere kleine Schienen zu einer
grösseren i zusammengeschoben, andererseits auch eine mittelgrosse
’Cliiene für Ellenbogen- sowie Fussgelenk zurechtgebogcn werden.
Die Vorteile dieser Schnellverbandschienen sind vielfach:
1. Sie enthalten sterile Kompresse und Schiene zugleich.
2. Sie garantieren aseptische Anwendung, auch unter den un-
ünstigsten lokalen Verhältnissen.
3. Sie .sind ausserordentlich einfach in der Handhabung.
4 Die Pappschienenverbände sind von Gewicht sehr leicht,
elbst mit Aluminiumstäben.
5. Die Zeitersparnis bei diesem Verfahren ist bedeutend,
i 6. Die doppelte Schienenanwendung wirkt durch Kompression
ilutstillend. ohne dass die Gefahr einer Blutstauung besteht.
7. Die Abnahme des Schienenverbandes gestaltet sich einfach.
Ich glaube, dass die sterilen Schnellschienenverbände an der
•ront und in den Etappenlazaretten mit grossem Vorteil verwandt
cerJen können.
Elastisches Augenverbandkissen.
Von Sanitätsrat Dr.,W o 1 f f b e r g in Breslau.
Eine gewisse Elastizität ist von jedem Augenverbande zu ver¬
engen; es gibt aber Fälle, in welchen an die Elastizität erhöhte
mforderungen gestellt werden müssen — , das sind u. a. Fälle von
ubkonjunktivalen und Vorderkammerblutungen, Fälle von, Horn-
auterosionen und ganz besonders solche von Netzhautablösung.
Die Elastizität der von mir eingeführten sterilisierten Augen-
erbandauflagen, welche nebst meinen ovoiden Lederschildbinden von
er Firma Rudolf R e i s s - Charlottenburg seit Jahren hergestellt
••erden, reicht für Augenverbände im Allgemeinen nicht nur aus,
andern übertrifft erheblich die üblichen Watte-Mullauflagen; dabei
ieten sie die Bequemlichkeit, dass sie bereits sterilisiert, also
derzeit gebrauchsfertig zur Hand sind.
Für die genannten Fälle, in welchen auf die Elastizität des
erbandes ganz besonderes Gewicht gelegt werden muss, bediene ich
lieh aber seit einiger Zeit elastischer, mit Kapok, d. i. Pflanzenfaser,
efiillter Leinwandkissen von ovoider Form und zwar entweder dieser
Hein oder zusammen mit den sterilisierten Verbandauflagen.
Kapok ist ein Produkt des ostindischen Wollbaumes (Erioden-
ron); es ist ein der Rohseide überaus ähnliches, sehr weiches
nd elastisches Füllmaterial von grosser Leichtigkeit und besitzt vor
er Watte den Vorzug, die Elastizität des Verbandes ziemlich unbe-
renzt konstant zu erhalten. Die Fähigkeit der Watte, Sekrete auf-
usaugen kommt hier nicht in Betracht. Ein elastischer Verband
otzt Trockenheit des Auges bis zu einem gewissen Grade voraus, und
in das Kissen wenigstens gegen leichteres Tränen zu schützen, ist
un ein Lintovoid beigegeben, welches als Unterlage dient. Zu-
eilen bewirkt der Kissenverband ein Aufhören selbst erheblichen
ränens; andernfalls ist ein Erfolg nur durch Wechseln der Kissen
x erzielen, denn mit der Durchnässung des Kissens schwindet auch
iine Elastizität. Aber gerade darin, dass man bei ambulanter Be-
indhuig dem Patienten selbst den Verbandwechsel überlassen kann,
egt ein grosser Vorzug des Kissenverbandes.
Bei der traumatischen Hornhauterosion z. B. wird nur ein leicht
astischer Kissenverband sehr angenehm empfunden; es ist aber
tatisbleihlich, dass sich im Anfangsstadium reichlich Tränen im Auge
t’.sammeln, welche heftige Schmerzen verursachen, die nur durch
(erauslassen der Tränen und Verbandwechsel behoben werden
onnen.
Da ist es dann ausserordentlich angenehm für den Patienten,
eil "Verbandwechsel ohne Hilfe des Arztes vornehmen zu können.
ieist genügt es, das Lintovoid gegen ein neues umzutauschen; unter
mständen ist aber auch das Auswechseln des Kanokkissens ange-
ägt. Bei der Behandlung von subkonjunktivalen Blutungen erreicht
an mit den Kissenverbänden eine raschere Resorption, auch wenn
e nur zeitweise und vom Patienten selbst angelegt werden. Bei
lutungen in die Vorderkammer sind natürlich Dauerverbände not¬
endig; aber auch bei diesen Verbänden, welche der Arzt allein
izttlegen hat, bewähren sich die Kissen durch ihre Elastizität, da¬
eben auch durch die Sicherheit des Liegenblcibens.
Der eigentliche Grund, mit der Veröffentlichung der Kapokkissen
er vorzu treten, liegt indessen in den überaus günstigen Erfahrungen,
eiche ich in der Behandlung der Netzhautablösung mit denselben
emacht habe. Ich bin weit entfernt, den Druckverbaiid an sich
‘wa als Heilmittel gegen Ablatio retinae zu empfehlen: vielmehr
stehe ich im grossen ganzen auf dem Standpunkt, welchen
h tti a n u e 1 - Frankfurt a. M. l) vertritt. Ich beobachte gleich ihm
zunächst, wie sich die Ablösung bei Lagerungsveränderungen verhält:
cs lässt sich oft feststellen, dass die subretinale Flüssigkeit in Rücken¬
lage des Fatientcn keine Neigung zur Resorption zeigt, aber bei
ruhigem Sitzen und auch Herumgehen sich senkt und dann auf¬
fallend rasch verschwindet. Ganz ohne Verband soll man aber den
Patienten während dieser Zeit nicht lassen, nur sind die vielfach
empfohlenen Schniirverbände direkt von Uebel; vielmehr ist gerade
hier das Anlegen eines leicht elastischen Verbandes mit dem Augen¬
verbandkissen angezeigt. Bei mangelndem Erfolge kommt dann die Ope¬
ration in Frage; eine Allgemeinbehandlung — ev. Tuberkulinkur —
hat ihr vorauszugehen. Nach meinen, freilich nur spärlichen, Er¬
fahrungen ist die Kombination des operativen Verfahrens von Birch-
Hirschfeld mit dem von El sehnig am ersten zu empfehlen; aber
auch hier ist, wie Fehr betont (Graefes Arch. f. Ophth. 85. H. 2)
der r>ruckverband als Nachkur äusserst wichtig. Ich halte es für
nicht minder wichtig, dass der zwar anfänglich intensive Druck¬
verband nach und nach in einen leicht elastischen übergeführt werde,
da der feste Druckverband nach mehr weniger langer Dauer nachteilig
zu wirken pflegt. Auch soll man nicht plötzlich mit dem Verbände
aufhören, sondern ihn in leichtester Art bei Tage stundenlang, zumal
beim Herumgehen, tragen lassen. Was unter leichtestem Grad zu
verstehen, darin ist das Gefühl des Patienten am ehesten mass¬
gebend und in dieser Beziehung ist eine Binde wie meine Leder¬
schildbinde, welche nicht an geschlossenem Gummiband hängt, son¬
dern mit freien Köperbändern beliebig fest geknüpft werden kann,
wohl als zweckentsprechend zu empfehlen.
Mit den hier besonders hervorgehobenen wenigen Indikationen
ist das Anwendungsgebiet der Verbandkissen natürlich nicht er¬
schöpft: ich gebe mich der Erwartung hin, dass die Kollegen, welche
sie, zumal in Verbindung mit der Schildbinde, einmal in Gebrauch
genommen, das Indikationsgebiet gern erweitern werden.
Der Kostenpunkt 2) ist freilich höher als bei einem einfachen
Wattebausch, aber abgesehen von den therapeutischen Vorteilen hat
ein Augenverbandkissen auch längere Lebensdauer.
Zur Behandlung der Frakturen im Kriege.
Von Dr. Erich Freiherrn v. Redwitz, Assistenzarzt der
Chirurg. Universitätsklinik in Würzburg, zurzeit Assistenzarzt
der Landwehr am Festungslazarett I in Germersheim.
Die bisherige Erfahrung hier hat gezeigt, dass die Frakturen
der unteren Extremität, namentlich die Frakturen des Oberschenkels,
zuin grossen Teile vollkommen ungenügend geschient eingeliefert
worden sind. Nach den grossen Schlachten in Lothringen handelte es
sich dabei nicht nur um Verletzungen, die nahezu direkt vom
Schlachtfelde hieher transportiert worden waren, sondern auch um
Knochenbrüche, die nach 14 tägiger bis 3 wöchentlicher Extensions¬
behandlung in einer Etappe einem langen Transport mit mehrfachem
Umladen ausgesetzt worden waren, obwohl die Frakturen noch lose
oder federnd waren. Der ganze Erfolg der bisherigen Extensions¬
behandlung war dadurch vernichtet worden. Da auch von anderer
Seite (Kolb: M.m.W. Nr. 43, Feldärztliche Beilage Nr. 12 S. 2148)
ähnliche Erfahrungen berichtet werden, möchte ich mir erlauben in
aller Kürze auf ein altes, aber vorzügliches Improvisationsmittel
zur Schienung der Frakturen der unteren Extremitäten hinzuweisen,
das stets leicht und in grosser Anzahl zu beschaffen sein dürfte und
mit den gewöhnlichen Ausrüstungsgegenständen unserer Soldaten
herzustellen ist, wenn es an Gips oder Langeschen Schienen
mangelt. Es ist dies die seinerzeit von v. Hacker angegebene und
von v. Saar, auf dem diesjährigen Chirurgenkongress neuerdings
empfohlene (Bruns Beiträge z. klin. Chir. 91. 1914. S. 335) Trans-
U Klin. Mbl. f. Augenheilk. März-April 1914.
‘) Preis des Augenverbandkissens mit abnehmbarem Lintovoid
in Pergaminbeutel 2 Stück 25 Pfg., einer Lederschildbinde mit steriler
Verbi ndauflage = 40 Pf. Bei direktem Bezug aus der Fabrik von
Dr. Rud. R e i s s, Charlottenburg 4, erhalten Aerzte Vorzugspreise
2428
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 51.
portlatte, die beim Transport von Knochenbrüchen im Gebirge sich
vorzüglich bewährt hat. Eine Abbildung wird jede Beschreibung
ersetzen. Bei der Anwendung dieser Latte wird neben der Ruhig¬
stellung der beiden der Fraktur benachbarten Gelenke eine gewisse
Extension erzielt, die sich ev. durch eine Einschaltung von Gummi¬
drains zwischen Fuss und distalem Ende der Latte verstärken lässt.
Holz zur Latte ist wohl fast über all zu erhalten, die Tücher können
schlimmsten Falles durch zerschnittene Kleidungsstücke ersetzt wer¬
den. Jedenfalls verdient die Kenntnis der Latte in dem jetzigen
Kriege allgemeinste Verbreitung.
Die durch den Krieg auf dem Gebiete des Versicherungs¬
wesens geschaffenen Aenderungen.
Von Dr. R e c k z e h, Stabsarzt der Reserve und ord. Sanitäts¬
offizier der inneren Abteil. Festungslazarett 1-Graudenz.
Sowohl im staatlichen wie im privaten Versicherungswesen sind
durch den Krieg eine Reihe von Aenderungen geschaffen worden,
deren Beachtung nicht nur für einen ungestörten Ablauf unserer
sozialmedizinischen Tätigkeit unentbehrlich ist, sondern auch im
Interesse zahlreicher in Armut zurückgebliebener Familien liegt.
Die ärztliche Sachverständigentätigkeit hat natürlich mit Aus¬
bruch des Krieges eine wesentliche Einschränkung erfahren. So
ist z. B die Entziehung und Minderung von Renten von den Berufs-
gencssenschaften und Landesversicherungsanstalten meist bis zum
Fintritt ruhigerer Verhältnisse zurückgestellt worden. Auch sonst
hat der Umfang der durch die Kranken-, Unfall-, Invaliden- und
Angestelltenversicherung bedingten ärztlichen Tätigkeit (sowohl der
behandelnden als auch der begutachtenden) seit Beginn des Krieges
erheblich nachgelassen, da durch den Krieg die versicherungspflichtige
Tätigkeit eine wesentliche Einschränkung erfahren hat und ein
grosser Teil der Versicherungsnehmer in den Krieg gezogen, ein
anderer Teil stellungslos geworden ist. Auch die Privatversicherung,
namentlich die Lebensversicherung, hat aus naheliegenden Gründen
durch den Krieg eine wesentliche Einschränkung erfahren.
Die gutachtliche Tätigkeit des im Felde stehenden Arztes ist
natürlich auf die dringenden Fälle beschränkt, in denen von seinem
Gutachten die Zahlung von Unterstützungen an zurückgebliebene
Familien, an Hinterbliebene, der Abschluss oder die Auszahlung von
Lebensversicherungen und ähnliches abhängt. Eine rasche und sach-
gemässe Erledigung solcher Gutachten, soweit es die Sorge um Ver¬
wundete und Kranke gestattet, liegt nicht nur im Interesse der Ver¬
sicherungsnehmer und -geber, sondern auch im Interesse des begut¬
achtenden Arztes.
Die Beziehungen der staatlichen Versicherungen zum Kriege
sind kürzlich von K a s k e 1 *) einer eingehenden Besprechung unter¬
zogen worden. Juristische Fragen betreffen zunächst den Einfluss des
Krieges auf das Versicherungsverhältnis für die Zeit bis zum Eintritt
des Versicherungsfalles (Krankheit, Unfall, Invalidität, Tod) und für
die Zeit nach dem Eintritt eines dieser Fälle. Sie beziehen sich
auf die Versicherungspflicht, die Versicherungsberechtigung, die Zah¬
lung oder Anrechnung von Beiträgen, die Gewährung der Entschä¬
digungsleistungen und andere damit im Zusammenhang stehende
Fragen. Die Mitwirkung des Arztes bei der Beantwortung dieser
Fragen, z. B. die Feststellung, ob Erwerbsfähigkeit vorliegt und in
welchem Grade, ist im wesentlichen dieselbe wie im Frleaen. Ich
habe diese Verhältnisse in meinem demnächst bei Karger er¬
scheinenden Lehrbuch der sozialen Medizin besprochen.
Mit dem Uebertritt ins Heer scheiden die Angehörigen ver-
sicherungspflichtiger und versicherungsberechtigter Berufe aus dem
Versicherungsverhältnis aus, wobei aber der Krieg die allgemeinen
versicherungsrechtlicheJi Verhältnisse nicht aufhebt. Mit diesem
Ausscheiden hört auch die Zahlung von Beiträgen auf. Belm Eintritt
des Versicherungsfalles während des Krieges kommt die Gewährung
von Geldrenten in allen 4 Versicherungszweigen, die Gewährung
von Sachleistungen und Sterbegeld nur in der Unfall- und Kranken¬
versicherung in Betracht. Aerztliche Behandlung, Arznei-, Heil-
und Hilfsmittel werden nicht gewährt werden können, so lange
der Versicherte im Felde steht, wohl aber, wenn die Krankheit noch
nach dem Kriege andauert. Solange der Versicherte im Felde steht
und seine wirtschaftlichen Erwerbsverhältnisse nicht beeinträchtigt
sind, ruht eine Rente, während das Sterbegeld a-ch bei Todesfällen
im Kriege auszuzahlen ist.
Durch ärztliche oder militärärztliche Zeugnisse muss der ent¬
schädigungspflichtige Tatbestand nachgewiesen werden. Der Militär¬
arzt kann hier in mannigfachen Fällen zur Abgabe von Gutachten
herangezogen werden, da eine Tätigkeit für militärische Zwecke auch
ohne Eintritt in den Militärstand denkbar ist, sei es, dass die Armee¬
verwaltung Angestellte als Arbeiter beschäftigt, sei es, dass Ange¬
stellte von Firmen, welche für militärische Zwecke arbeiten, bei der
Armee tätig sind.
') Binder, Bruck, B r ü d c r s, C o n r a d t, Flor schütz.
K a s k e 1, M ii 1 1 e r, v. O e 1 1 i n g en : Versicherung und Krieg. Ver¬
öffentlichungen des deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft,
Heft .26.
Der Krieg beeinflusst nun ferner nicht nur das eigentliche Vcr-
sicherungsverhältnis, sondern auch das Vermögen der Versicherungs¬
träger. Hier taucht die Frage auf, inwieweit die Versicherungstrager
im Kriegsfälle ihre Mittel zur Verfügung stellen dürfen, sei es durch
die Bewilligung von Barmitteln oder Darlehen. Die Versicherungs¬
träger haben ihr Vermögen vielfach in umfangreicher und bereit¬
williger Weise in den Dienst des Vaterlandes gestellt. So hat bei¬
spielsweise die Landesvcrsicherungsanstalt Berlin 5 Millionen Mark
zur Linderung der Not ihrer Versicherten zur Verfügung gestellt, und
auch sonst sind grosse Kapitalien für arbeitslose und in Not ge- i
ratene Versicherte und für notleidende zurückgebliebene Familien in
enger Fühlungnahme mit den Unterstützungsmassnahmen des Staates
oder der Kommune von den Versicherungsträgern zur Verfügung !
gestellt worden.
Auch die Beziehungen der privaten Versicherungen, namentlich
der Lebensversicherungen, zum Kriege haben für uns Acrzte grosses
Interesse, zunächst, weil wir ja selbst vielfach in die Lage kommen,
durch Abschluss einer Lebensversicherung unsere Angehörigen über I
den Tod hinaus sicher zu stellen. Die mit der Lebensversicherung im
Kriege eng zusammenhängende Frage der zu erwartenden Kriegs¬
sterblichkeit ist ja ferner nicht nur von ärztlichem und sozial¬
medizinischem, sondern auch von allgemein menschlichem Interesse.
Die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften haben in den
ersten Jahren ihres Bestehens das Kriegsrisiko nicht übernommen,
änderten aber, seit die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde,
diesen Grundsatz, so dass während der Kriege 1864, 1866 und 1870/71
die meisten Gesellschaften die Kriegsgefahr gegen besondere Zu¬
schläge übernahmen.
Je mehr die deutschen Lebensversicherungen bestrebt waren,
ihren Versicherten einen möglichst vollkommenen Versicherungs¬
schutz zu gewähren, umsomehr wurde die Uebernahme des Kriegs¬
risikos eingeführt. Eine Berechnung dieses Kriegsrisikos ist nun, da
auch nur einigermassen zuverlässige Unterlagen fehlen, ausserordent¬
lich schwierig. Die sorgfältigen Statistiken aus dem Kriege 1870/71
und aus den letzten europäischen Kriegen umfassen ein zu kleines
Material und sind auch nach zu wenig einheitlichen Grundsätzen auf- ;
gestellt, um zur Berechnung des Kriegsrisikos verwendet zu werden.
Die deutschen Lebensversicherungen tragen das Kriegsrisiko in
verschiedener Weise teils unentgeltlich, teils gegen Vormerkungsge¬
bühren oder eine einmalige oder fortlaufende Zuschlagsprämie; zu¬
weilen wird für die Deckung der Kriegsgefahr auch eine bestimmte
Karenzzeit verlangt oder es wird die Höhe der Versicherungssumme
begrenzt. Mit dem Ausbruch dieses Krieges haben die deutschen
Lebensversicherungsanstalten mannigfache, untereinander sehr ver¬
schiedene Bestimmungen über die Aufnahme in die Versicherung und
die Auszahlung der Versicherungssumme erlassen. Ueber diese Be¬
dingungen, insbesondere über den Neueintritt in die Kriegsversiche-
rung und den Verzicht auf die Karenzzeit hat das Kais. Aufsichtsamt
für Privatversicherung kürzlich bestimmte Normen aufgestellt, durch
deren Beachtung sowohl die Interessen der Kriegsversicherten als i
auch die der übrigen Versicherten gewahrt werden. Auf Einzelheiten
kann hier nicht näher eingegangen werden.
Als Kriegssterbefälle werden nicht nur die unmittelbar durch
Kriegsereignisse bedingten Todesfälle angesehen, sondern die mittel¬
bar infolge von Verwundungen, Unfällen, Strapazen im Kriege und
eine Zeitlang nach dem Kriege verursachten Sterbefälle.
Der Nachweis des Versicherungsfalles im Kriege hat manche
Erleichterung erfahren; so z. B. gelten, wie mir auf eine Anfrage
beim Kgl. Preuss. Kriegsministerium mitgeteilt wurde, die Mitteilungen
des Zentralnachweisebureaus als Sterbeurkunden. Auch ärztliche
Atteste über den Hergang des Todes oder den Verlauf der letzten
Krankheit w'erden in vielen Fällen natürlicherweise nicht beizu¬
bringen sein.
Im allgemeinen ist die Aufgabe, den Kriegsteilnehmern einen
möglichst umfangreichen Versicherungsschutz zu gewähren, unter
Wahrung der Interessen der übrigen Versicherungsnehmer, in glück¬
licher und liberaler Weise gelöst worden.
Das Recht der bei ausländischen Gesellschaften versicherten
Deutschen ist durch die Kaution und den Prämienreservefona, so gut
es geht, gesichert, da ja solche Versicherungsverträge während des
Krieges die Klagbarkeit verlieren und Ansprüche aus Verslctierungs-
fällen, die während des Krieges eintreten, nicht klagbar sind.
Ueber die eigentliche Kriegssterblichkeit haben kürzlich Bin¬
der und Florschütz (1. c.) berichtet.
Das Kriegsrisiko hängt von der Kriegswahrscheinlichkeit, von
der Wahrscheinlichkeit der Kriegsteilnahme und von der Wahrschein¬
lichkeit des Todes eines Kriegsteilnehmers während des Krieges oder
nach demselben ab. Was den letztgenannten Faktor betrifft, so sind
die statistischen Zusammenstellungen der Verluste aus früheren
Kriegen für eine Schätzung der Sterblichkeit im gegenwärtigen
Kriege nicht zu gebrauchen, da die Bedingungen, von denen die
Kriegssterblichkeit abhängt, sowohl die die Sterblichkeit erhöhenden
wie die dieselbe vermindernden bekanntlich in den letzten Jahr
zehnten ganz wesentliche Umgestaltungen erfahren haben. Ich er
innere in dieser Beziehung an die enormen Fortschritte auf dem
Gebiete der Feuerwaffen, der Munition und der Luftfahrzeuge einer¬
seits und an die Fortschritte in der Erkennung und Bekämpfung über¬
tragbarer Krankheiten und in der Verwundetenbehandlung anderer¬
seits.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2429
22. Dezember 1914.
Im Kriege von 1866 betrug die Verwundetensterbliclikeit 1,2 Proz.
und die Krankheitssterblichkeit 1,8 Proz. Bei den anderen Kriegen
der letzten Jahrzehnte überwiegt jedoch die Sterblichkeit durch Ver¬
wundungen. Die gesamte Sterblichkeit der deutschen Heere in den
3 letzten grossen Kriegen betrug 3Vz Proz.. die gesamte Sterblichkeit
aller Kriege seit 1870 etwa 8 Proz. Die Behandlung der Ver¬
wundeten in unserem Heere (Transport- und Verbandverfahren) hat
sich gut bewährt. Nach einer Bekanntmachung des Chefs des Fcld-
sanitätswesens zeigen die von regelrechten Heeresgeschossen verur¬
sachten Wunden ein gutes Heilungsbestreben, und ein grosser Teil
von Verwundeten befindet sich bereits wieder in voller Genesung
Die Gefahr der Verwundung ist aus vielen Gründen für Offiziere
grösser als für Mannschaften und variiert auch bei Mannschaften
nach den Truppengattungen, dem Aufgebot und mannigfachen zu¬
fälligen Momenten.
Die Sterblichkeit durch Erkrankungen, wobei in umgekehrter
Weise die Mannschaften stärker gefährdet sind als die Offiziere, wird,
wie wir hoffen dürfen, im gegenwärtigen Kriege die hohen Zahlen
früherer Kriege nicht erreichen, da der Gesundheitszustand unserer
Soldaten, wie ebenfalls eine Bekanntmachung des Chefs des Feld¬
sanitätswesens hervorhebt, bisher gut ist, und da die weitgehendsten
Vorsichtsmassregeln gegen das Auftreten von Epidemien getrofien sind.
Die Diagnose und Behandlung der am meisten zu fürchtenden Infek¬
tionskrankheiten (Pocken, Typhus, Cholera, Ruhr) hat, wie hier nicht
näher ausgeführt zu werden braucht, in jüngster Zeit höchst erfreu¬
liche Fortschritte zu verzeichnen, welche in denkbar umfassendster
Weise unseren Truppen zugute kommen.
Auch für die Gesundheit der zurückbleibenden Bevölkerung,
deren Sterblichkeit in Kriegszeit erfahrungggemäss in die Höhe geht,
ist durch mannigfache hygienische und sanitätspolizeiliche, wie auch
durch wirtschaftliche Massnahmen gut gesorgt. So ist bisher der
Gesundheitszustand der zurückbleibenden Bevölkerung und der durch
ansteckende Krankheiten besonders gefährdeten Kriegsgefangenen er¬
freulicherweise ein guter geblieben.
Sowohl von Behörden als auch von privaten Körperschaften
und Versicherungsgesellschaften ist also der durch den Krieg ge¬
schaffenen veränderten Lage auf dem Gebiete des Versicherungs¬
wesens in einer Weise Rechnung getragen worden, welche zu der
Hoffnung berechtigt, dass die schweren Schädigungen, welche jeder
Krieg mit sich bringt, im Interesse unseres Volkes und namentlich der
versicherten Klassen nach Möglichkeit aufgehoben und gemildert
werden. Auch wir Aerzte können durch Opferfreudigkeit und Hilfs¬
bereitschaft in dieser Beziehung viel zum Wohle unseres Vater¬
landes beitragen.
Krieg und Tuberkulose.
Von Dr. Georg Liebe in Waldhof Elgershausen.
Als der Krieg ausbrach, stellten sofort die grossen sozialen In¬
stitute, die Landesversicherungsanstalten und vor allem die Reichs¬
versicherungsanstalt, ihre Fürsorge für Tuberkulöse ein, insofern
wenigstens, als sie kein Heilverfahren mehr übernahmen. Ihre
Majestät die Kaiserin aber verlor, wie eine fürsorgende Hausmutter,
trotz der Not des Volkes und des schweren Herzens einer Mutter
von sechs ausrückenden Söhnen, nicht den freien Blick über das, was
dem Volke not tut, rief die massgebenden Persönlichkeiten zusammen
und warnte vor einem Nachlassen in der Bekämpung der Tuber¬
kulose, damit nicht nach dem Kriege wieder viel weiter vorne an¬
gefangen werden müsse1).
Wohl alle Sachkundigen sind mit der hohen Frau darin einig,
dass bei einem Aussetzen der Heilstättenkuren bald nach dem Kriege
ein derartiger Andrang kommen würde, dass er auch mit den vielen
Betten der deutschen Anstalten nicht zu bewältigen wäre. Zumal
wenn man etwa annimmt, dass dieser Zeitpunkt in den beginnenden
Sommer falle, der sowieso für Heilstättenkuren noch immer die be¬
vorzugte Zeit ist. Nunmehr dagegen kann mancher die arbeitslose
Zeit dazu benutzen, sich wieder zu kräftigen, um, wenn die Industrie
wieder mehr arbeitet und wenn dann viele Erholungsbedürftige aus
dem Felde kommen, zum Besten des Vaterlandes und der Seinigen
seinen Mann stellen zu können. Die Heilstätten aber werden dann
Platz für die Opfer des Krieges bieten. Dass aber der Krieg manche
schlummernde Tuberkulose wecken wird, manche auch, die sonst
vielleicht im ganzen Leben nicht an ein Aufwachen gedacht hätte,
darüber kann wohl kein Zweifel herrschen. Deshalb ist es gut, schon
jetzt davon zu reden.
Es ist der Vorschlag aufgetaucht, zu versuchen, schon bei
unseren draussen kämpfenden Truppen Tuberkulöse auszusondern und
dazu besonders eingeübte Tuberkuloseärzte hinauszuschicken. Das
scheint mir praktisch undurchführbar zu sein. Die Aerzte, die selbst
im Felde stehen und die dortigen Verhältnisse ohne den mildernden
Hauch der Entfernung kennen lernten, werden das wohl bestätigen.
Aber an einer anderen Stelle kann man meines Erachtens einsetzen:
in den Lazaretten. Ich meine, man könnte sehr viel erreichen und
noch manchen Zusammenbruch verhüten, wenn man durch Tubcr-
kuloseärzte systematisch alle Verwundeten in den Lazaretten durch-
') S. Erlass des Tuberkuloseausschusses vom 17. August 1914
untersuchen Hesse, ehe sie irgendwohin entlassen werden. Das ist
technisch und finanziell sehr wohl durchführbar. Ja, es lässt sich
sogar soweit ausdehnen, dass für jeden der Weggehenden eine
knappe, auf die Tuberkulose bezügliche Anamnese aufgenommen
wird.
Da schon, mehr aber natürlich noch nach dem Kriege, tritt dann
die Frage dringend an uns heran, wie die erhöhte Zahl der Lungen¬
kranken unterzubringen sei. In der W.kl.W. (s. M.m.W. Nr. 37
S. 1944) schlägt K o 1 1 a r i t s vor, leerstehende Sommerfrischen dafür
heranzuziehen. Wer einigermassen Erfahrung in der Unterbringung
von Lungenkranken in offenen Quartieren hat, muss sich entschieden
dagegen aussprechen. Ich denke heute noch mit Schrecken an die
früheren Verhältnisse in St. Andreasberg oder an die rncinlgen in
Braunfels. Dabei möchte ich gar nicht so sehr die Gefahr für die
anderen betonen. K o 1 1 a r i t s sagt ja richtig, dass man die Zimmer
später desinfizieren könne; und dass von recht häufigem Spucken
auf die Strasse ein Ort nicht verseucht wird, dafür wissen die
Auguren Beispiele genug anzuführen. Aber die Kranken können eine
richtige Kur nicht machen, es ist eben bei der Lungentuberkulose
nicht mit einem gemütlichen Sommerfrischeaufenthalt in gesunder
Luft abgetan. Die psychische Behandlung, der gelinde Zwang des
Sanatoriums gehört für diese Art von Kranken unbedingt dazu. Sie
können sonst nicht verstehen, warum sie, die doch „keine Schmerzen
haben“, in so strenger oder vielmehr geregelter Ordnung gehalten
werden müssen. „Hier ist doch kein Zuchthaus.“ Und ich kann
mir lebhaft denken, dass auch Soldaten, die im Felde, wie wir lesen,
so Uebermenschliches für ihre Volksgenossen daheim geleistet haben,
sich schwer in die kleinlichen Ordnungsmassregeln des Sanatoriums
fügen, die doch nun einmal jetzt Grundbedingung eines guten Fort¬
schrittes sind. Hier muss die Sachkenntnis der Ratgeber einsetzen,
damit nicht mit wohlgemeinten Massnahmen Fiasko gemacht wird.
Von anderer Seite (Mayer: Die Bekämpfung der Tuberkulose in
der Feldarmee. M.m.W. Nr. 36 S. 1920) werden als Aufnahmestätten
für solche Erkrankte die Lazarette und Lungenheilanstalten genannt.
Es sei gleich kurz mit dem Verf. auf die jedenfalls auch nicht
gerade in geringem Masse unter den Gefangenen auftretende Tuber¬
kulose hingewiesen. Das ist ein Problem. Inwieweit sind wir ver¬
pflichtet, darauf einzugehen und in der Zeit, in der diese Leute, diese
Kranken ihrer Freiheit beraubt sind, ein Weiterschreiten ihrer
Krankheit durch geeignete Massnahmen zu verhüten? Ich bin
durchaus jeder Sentimentalität den Gefangenen gegenüber abhold
und kann mich doch einer gewissen Sorge nicht erwehren, dass
nach dieser Hinsicht vielleicht zu wenig geschieht. Aber, wie gesagt,
es ist ein Problem, über das ich mir mangels jeder eigenen Erfahrung
kein Urteil anmasse. Vielleicht sind auch die Gefangenenlager, je
ungemütlich luftiger sie sind, desto besser für solche 2).
Ob für unsere erkrankten Soldaten die Lazarette in Frage
kommen? Von denen, die ich gesehen habe, kann ich das nicht sagen.
Das ist natürlich nicht der geringste Vorwurf gegen die Lazarette,
sondern einfach die Feststellung der Tatsache, dass es sich eben um
Lazarette für Verwundete und nicht um Heilstätten für Lungenkranke
handelt. Uebrigens glaube ich, dass die Lazarette .auch noch auf
recht lange Zeit hin gar nicht frei sein werden. Es bleiben also die
Heilstätten und die Tuberkuloseabteilungen grösserer Krankenhäuser.
In der jetzigen Ausdehnung wird aber wohl nach dem Kriege in
diesen Häusern auch nicht allzuviel überflüssiger Platz sein, wenn
man nicht die doch immer noch einen recht beträchtlichen Teil
der Bevölkerung bildenden „Zivilisten“ zum Schaden des Ganzen
zu kurz kommen lassen will. Deswegen sollte man schon jetzt
tuberkulös erkrankte Soldaten, die man in der anfangs angegebenen
Weise aussuchte, in Heilstätten schicken, deren ja viele leer stehen
und bisher noch vergeblich auf Verwundete warteten. Wenn sich
aber dann nach Einsetzen eines grösseren Zustromes die Plätze als
nicht ausreichend erweisen, so stellt man einfach neben die schon
stehenden Heilstätten eine Anzahl der dann wieder freigewordenen
Baracken vom Roten Kreuz. Eine unserer ältesten Anstalten,
Grabowsee, war ja lange genug in Baracken untergebracht. Die
Heilstätten haben wohl alle soviel Gelände, dass sie mehrere Ba¬
racken stellen .können. Die Verbindung mit dem Betriebe lässt sich
ohne dessen Störung technisch recht wohl ermöglichen. Einen der
Militärärzte, die wohl zum Teil auch etwas Erholung brauchen
werden, gibt man für diese Abteilung als Stationsarzt, und braucht so
für das Ganze durchaus keinen grossen besonderen Apparat. Wahr¬
scheinlich werden die meisten Lungenheilstätten dazu erbötig sein.
Internationale Konferenzen und Kongresse werden, wie ich
glaube, für die nächste Zeit etwas an Zugkraft eingebüsst haben.
Selbstverständlich kann sich Deutschland mit Oesterreich und seinen
neutralen Nachbarfreunden nicht von der Aussenwelt abkapseln; und
dass Wissenschaft und Kunst international ist und sein muss, wird
man bald wieder merken. Aber diese grosse Verbrüderung aller
schlitz- und sonstäugigen Rassen, wie sie die bisherigen Kongresse
zeigten, wird wenigstens für die jetzige Generation nicht mehr auf
allzuviel Gegenliebe stossen. Erst allmählich wird man wieder in
2) Für die „zentrifugale“ Seuchenfürsorge ist ja, wie man liest,
reichlich genug getan. Vergl. „Die gesundheitliche Ueberwachung
der Kriegsgefangenen“. Frankf. Ztg. 1914 Nr. 283, Abendblatt. Die
„zentripetale“, worauf oben hingewiesen wurde, dürfte viel schwie¬
riger in den Kreis der Massnahmen einzubeziehen sein. L.
2-130
Feldämliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
Nr. 51
ein gewisses Vergessen sich hineinleben können 3). Umsomehr
müssen wir uns unter Leitung der Berliner Zentrale zur Innenarbeit
im Kampfe gegen die Tuberkulose zusammenschliessen. Und an
Stelle der ausgefallenen Berner Konferenz dürfte sehr bald nach dem
Kriege eine deutsche Tagung nötig sein, um alle diese Fragen
zu behandeln und die von Ihrer Majestät der Kaiserin mit Recht
hervorgehobene Sorge durch Ueberlegung und Tat zu beseitigen.
Wie aber unsere Militärbehörde uns gezeigt hat, was es heisst, einer
eintretenden Gefahr bis ins Kleinste gerüstet und vorbereitet gegen¬
über zu treten, so soll auch uns unser alter Feind, die Tuberkulose,
immer mit scharfer Klinge vorfinden. Deswegen scheint es nicht
unangebracht zu sein, dass schon jetzt der eine oder der andere der
älteren Fachärzte seine Gedanken der Gesamtheit darbietet. Wir,
die wir daheim bleiben müssen, haben ja auch den brennenden
Wunsch, nach Kräften zum Wohle des Vaterlandes beizutragen.
Vereine.
Berliner vereinigte ärztliche Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 9. Dezember 1914. (Schluss.)
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr v. Hansemann.
Herr Lewandowsky: Referat über Kriegsverletzungen des
Nervensystems.
Von 120 Kriegsverletzungen des Nervensystems entfielen 25 Proz.
auf das Gehirn, 10 Proz. auf das Rückenmark und 65 Proz. auf die
Nerven. Die Gehirnschüsse im Felde unterscheiden sich von
den Friedensverletzungen dadurch, dass die Kugel meist nicht im
Schädelinnern bleibt. Daneben kommen aber infolge des Frank¬
tireurkrieges Schädelschüsse mit geringerer Durchschlagskraft, selbst
Schrotschüsse vor. Granatsplitter im Gehirn werden häufig erst
durch das Röntgenbild aufgedeckt. Die Geschosse sind nur dann zu
entfernen, wenn der chirurgische Eingriff infolge oberflächlicher Lage
leicht ausführbar ist. Von grosser Bedeutung ist eine gute chirur¬
gische Wundversorgung unter Entfernung aller Knochensplitter und
zertrümmerten Gewebsteile möglichst bald nach der Verletzung. An¬
dernfalls kommt es später häufig zu Meningitiden (Lumbalpunk¬
tionen!) oder Hirnabszess, der fieberfrei verläuft und daher oft ver¬
kannt wird. Durchschüsse durch das Gehirn verlaufen oft ohne
Folgen. Ein Feldwebel ging mit 2 Schüssen durch das Gehirn noch
eine halbe Stunde vorwärts, ohne das Bewusstsein auch nur einen
Augenblick zu verlieren, und kam erst durch einen Schenkelschuss
aus der Gefechtslinie. Streifschüsse verursachten ott Basisbrüche
(Prüfung des Akustikus und Vestibularis).
Die Rückenmarksverletzungen erfordern nur selten
eine Laminektomie. Querschnittsläsionen verlaufen stets tödlich
durch Dekubitus und Zystitis, selbst wenn das Rückenmark nicht vom
Geschoss getroffen ist. Bei den teilweisen Rückenmarksverletzungen
besteht die Hauptaufgabe in der Verhinderung dieser Komplikationen.
Die peripheren Nervenverletzungen machen etwa 1,5 Proz. aller Ver¬
letzungen (also etwa 10 000 Fälle) aus. Schmerzen sind nur selten
heftig. Die Nerven sind nicht nur direkt getroffen, sondern häufig
in Narben eingebettet. Wenn in 4—8 Wochen sich die Funktion nicht
bessert, ist die Nervenfreilegung angezeigt. Ein sicheres Kenn¬
zeichen, um die Regenerationsfähigkeit eines Nerven zu beurteilen,
gibt es nicht. Bei Narben im Nerven ist die Resektion angezeigt.
Bei der Nervennaht ist darauf zu achten, dass möglichst die zuge¬
hörigen Fasern miteinander vereinigt werden. Ischämische Läh¬
mungen durch zu langes Liegenbleiben der Esmarch sehen Binde
(bis zu 3 Tagen) sind irreparabel.
Funktionelle Neurosen und Hysterie sind relativ selten, treten
auch im Frieden bei nur 2 Proz. der Unfallverletzten auf. Die
erste Prognosenstellung des behandelnden Arztes hinter der Front
ist hier oft von ausschlaggebender Bedeutung und sollte me un¬
günstig sein. E. Leschke - Berlin.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 19. Dezember 1914*).
Die schweren Kämpfe in Polen haben im Laufe dieser Woche
zu einer fi:r die deutschen Waffen glücklichen Entscheidung ge¬
führt: Die feindlichen Armeen sind in ganz Polen zum Rückzug ge¬
zwungen, der Feind wird verfolgt. Noch lässt sich nicht übersehen,
wie weit die russische Armee durch diese Niederlage in ihrem Be¬
stände erschüttert ist, man darf aber hoffen, dass sie jedenfalls für
längere Zeit zu neuen Angriffen unfähig sein wird. Diese Schwä¬
chung unseres mächtigsten Gegners wird sich auch im Westen bald
3) „Internationale“ Zeitschriften, die den Lesern englische und
französische Referate vorsetzen, hat wohl nur Deutschland, und auch
da könnte etwas mehr Zurückhaltung und etwas weniger Inter- j
nationalismus nichts schaden. L.
") Der Weihnachtsfeiertage wegen musste diese Nummer früher
fertiggestcllt werden.
fühlbar machen. Die Beschiessung einiger befestigten Plätze de>
englischen Küste durch deutsche Kreuzer, die mit der Vernichtunv
zweier englischer Torpodebootszerstörer verbunden w'ar, beweis
aufs neue die Tatkraft der deutschen Flotte.
— Die k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien nahm in ilirci
jüngsten Sitzung folgende Resolution an: Die Genfer Konventioi
bestimmt im Kapitel III, Artikel 9: Das ausschliesslich zur Bergung
Beförderung und Behandlung von Verwundeten un».
K r a n k e n sowie zur Verwaltung von Sanitätsformationen und
-anstalten bestimmte Personal und die den Heeren beige
gebenen Feldprediger sollen unter allen Umständen ge achtel
und geschützt werden; wenn sie in die Hände des Feindes
fallen, dürfen sie nicht als Kriegsgefangene behandelt wer¬
den. Artikel 12 handelt von der Rücksendung solcher Personen zi
ihrem Heere oder in die Heimat. Diese Bestimmungen sind vor
den Vertretern Belgiens, ürossbritaniens, Serbiens, Russlands und
Frankreichs angenommen und von den Regierungen der genannter
Reiche auch ratifiziert worden. Trotzdem werden zahlreich ej
österreichische Aerzte, welche in Ausübung ihrer Pflicht
den Feinden in die Hände fielen, von diesen als Gefangene be¬
handelt und seit Monaten zurückbehalten. Die k. k
Gesellschaft der Aerzte in Wien protestiert gegen ein solches
Verhalten und erklärt mit Entrüstung, dass es eines zivilisierten!
Staates unwürdig ist, Abmachungen zu treffen und sie dann, wenn
sie zur Geltung kommen sollen, zu ignorieren. Die Resolution wurde
von der Versammlung einstimmig angenommen.
Ucber zahnärztliche Behandlung bei der
österreichisch-ungarischen Armee im Felde wird
uns geschrieben: Im Bereiche des 4. Armee-Etappen-Kommandos
wurden über Initiative des Herrn Generalstabsarztes Dr. Ritter1
v. M o rdynski 3 mobile zahnärztliche Feldambulatorien errichtet.!
Eines der Ambulatorien ist abgesehen von der kompletten zahnärz!-'
liehen und zahntechnischen Einrichtung derart ausgestattet, dass inj
demselben die Durchführung zahnärztlich-chirurgischer Behandlungs¬
methoden im weitesten Ausmasse möglich ist. Die kricgszahnär?t-
liche Hilfe erstreckt sich in erster Reihe auf die KieferbruchschienungJ
Die Leitung dieses Ambulatoriums ruht in den Händen des k. u. k.
Stabsarztes Universitätsdozenten Dr. Juljan Z i 1 z.
Die k. k. n.-ö. Statthalterei hat mit dem Erlasse vom 17. XI. 14
dem Wiener Magistrate nachstehendes zur Kenntnis gebracht: „In
letzter Zeit findet die Verwendung von TieMBlut-)kohle als Heil¬
mittel bei Darmerkrankungen, namentlich bei Dysenterie und Cholera,
ausgedehnte Verbreitung und hat sich insbesondere auch in den
Choleraspitälern Galiziens bestens bewährt. Zugleich zeigt aber auch
die Erfahrung, dass vielfach Tierkohlenpräparate in den Verkehr ge¬
bracht w'erden, die sich für Heilzwecke nicht eignen, da die ver¬
wendete Tierkohle zu geringe Absorptionskraft besitzt, oft auch durch
gesundheitsschädliche Stoffe verunreinigt ist. Der Vorstand des phar¬
makologischen Institutes der deutschen Universität in Prag, Sani-i
tätsrat Prof. Dr. Wilhelm Wiechowski, hat auf Grund seiner ein¬
schlägigen Versuche festgestellt, dass Tierkohle, welche arzneilichen
Zwecken dienen soll, den nachstehend beschriebenen Proben stand¬
halten muss: 1. Feststellung der Absorptionskraft:
a) 0,1 g feingesiebte und bei 120° C getrocknete Kohle muss minde¬
stens 20 cm einer 1,5 proz. wässerigen Lösung von Methylenblau-
Chlorhydrat medicinale (Merck) beim Schütteln im verschlossenen
üefässe innerhalb einer Minute vollständig entfärben, b) Wird eine
Aufschüttelung von 2,3 g Kohle in 65 ccm der unter a beschriebenen
Methylenblau-Chloralhydrat-Lösung getrunken, darf der innerhalb der
nächsten 24 Stunden ausgeschiedene Harn keine Grünfärbung zeigen.
2. Bestimmung der in Salzsäure löslichen Ver¬
unreinigungen. 5 g Kohle werden mit 150 ccm doppelt normal
Salzsäure 5 — 10- Minuten gekocht; nach dem Erkalten wird auf
200 ccm mit destilliertem Wasser ergänzt, filtriert und 150 ccm des
Filtrates in einer gewogenen Schale zur Trockene verdampft. Der;
bei 110° C getrocknete Rückstand darf nicht mehr als 0,05 g wiegen.
3. Bestimmung der in Wasser und Lauge löslichen
Verunreinigungen. Das Filtrat einer Aufschüttelung der
Kohle in destilliertem Wasser darf mit Silbernitratlösung höchstens
die Spur einer Trübung geben; an kochende Lauge darf die Kohle
keine färbenden Substanzen abgeben. Hievon wurde die Wiener
Aerztekammer zur Kenntnisnahme mit der Einladung die Mitteilung
gemacht, diesen Statthaltereierlass mit dem Beifügen zu verlautbaren,
dass sich der eingangs bezeichnete Fachmann bereit erklärt hat, durch
das unter seiner Mitwirkung tätige Kriegsmedikamentenkomitce in
Prag (II. Krakauergasse 13) arzneiliche Tierkohle auf ihre spezielle
Wirksamkeit prüfen zu lassen, und dass für Zwecke der Sanitäts¬
behörden und Spitäler durch das bezeichnete Komitee geprüfte Tier¬
kohle bis auf weiteres bezogen werden kann. (Eine Arbeit über
diese Frage aus dem Institut des Prof. Wiechowski erscheint
in einer der nächsten Nummern dieser Wochenschrift.)
— Am 31. Dezember d. J. verjähren im Bereiche des Deut¬
schen Reiches die ärztlichen Forderungen aus dem Jahre 1912. Die
Verjährung wird nicht unterbrochen durch ein einfaches Mahnver¬
fahren, sondern nur: 1. durch schriftliches Anerkenntnis der Be¬
rechtigung der Forderung seitens des Schuldners, womit man zweck¬
mässig ev. die Festsetzung eines bestimmten Zahlungstermines ver¬
bindet; 2. durch Abzahlung bzw. Teilzahlung; 3. durch gerichtliche
Klage bzw. Zahlungsbefehl; 4. durch Anmeldung zum Konkurse. —
22. Dezember 191-4.
Feldärztliche Beilage zur Münch, med. Wochenschrift.
2-431
Die Bestimmungen über die Verjährung erfahren iür den gegen¬
wärtigen Kriegszustand eine wichtige Ausnahme. Laut
Sü 2 und 8 des Gesetzes vom 4. August 1914 (R.G.BI. S. 328) ist
die Verjährung gehemmt zugunsten der zur mobilen Armee
eingezogenen Personen und ihrer Gegner bis zur Beendigung des
Kriegszustandes oder ihres militärischen Dienstverhältnisses. (Sächs.
Korr.- Bl.)
— Die Beiträge für die Weihnachtsgabe für arme
Arztwitwen in Bayern (s. u.) fliessen in diesem Jahre spär¬
lich. Das ist begreiflich, aber doch im Interesse vieler armer
Kollegenswitwen sehr zu bedauern, denn auch unter ihnen ist die
Not grösser als sonst. An ihnen sollte also nicht gespart
werden Wir bitten erneut um Einsendung von Gaben an Herrn
Dr. Hollerbusch, Fürth i. B., Mathildenstrasse 1.
— Zur Feier der 25 jährigen Amtstätigkeit des Direktors der
kantonalen Krankenanstalt Aarau (Schweiz) Dr. Heinrich B i r c h e r.
haben dessen Freunde und ehemaligen Assistenten eine Reihe von
Arbeiten verfasst, die zum grössten Teile in Bruns Beiträgen z. klin.
Chir. Bd. 89 und 91 erschienen sind. Die Arbeiten sind jetzt in
einem besonderen Band zusammengefasst und als Festschrift
dem Jubilar überreicht worden. Der Band ist auch im Buchhandel
zu haben. (H. Lauppsche Buchhandlung, Tübingen. Preis 18 M.)
— Das Bakteriologische Taschenbuch von Geh.
O.-Med.-Rat Dr. Rud. Abel ist in 18. Auflage (Verlag von Kurt
K a b i t s c h in Würzburg 1914. Preis 2 M.) erschienen. Das Buch
kam zuerst im Jahre 1889 heraus; seit dem Jahre 1903 erscheint
jedes Jahr eine neue Auflage. Gegenüber einem derartigen Erfolg
erübrigt sich eine weitere Empfehlung.
— Cholera. Deutsches Reich. In der Woche vom 6. bis
12. Dezember wurde im Reg.-Bez. Oppeln in Ratibor bei je einem
deutschen und österreichischen Soldaten Cholera iestgestellt: ebenso
in Polenziger Bruch (Kr. Weststernberg, Reg.-Bez. Frankfurt) bei
3 Personen. Ausserdem zeigten sich wieder einige Cholerafälle bei
russischen Kriegsgefangenen sowie bei Verwundeten oder Kranken,
die vom östlichen Kriegsschauplätze kamen. — Oesterreich-Ungarn.
In der Woche vom 15. — 21. November wurden in Oesterreich 363 Er¬
krankungen (und 72 Todesfälle) festgestellt, und zwar in Nieder¬
österreich 78 (14) — davon in Wien 67 (12), in 4 weiteren Gemeinden
11 (2) — , in Steiermark in 2 Gern. 11 (3), in Kärnten in 1 Gern. 2 (2),
in Böhmen in 10 Gern. 17 (7), in Mähren in 18 Gern. 93 (24), in
Schlesien in 5 Gern. 61 (7), in Galizien in 13 Gern. 101 (14) — davon
in Krakau 11 ( — ). In Ungarn wurden in derselben Zeit 485 Er¬
krankungen gemeldet, davon in den Städten Pesf 19 (bei Militär¬
personen), Debreczin 5 (bei Militärpersonen), Kaschau 14 (bei
Militärpersonen), Grosswardein 3, Pressburg 2. Szatmar-Nemeti 1.
Neusatz 1.
— In der 48. Jahreswoche, vom 29. November bis 5. Dezember
1914. hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die
grösste Sterblichkeit Zwickau mit 39,1. die geringste Berlin-Friedenau
mit 4.4 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Beuthen. Königs¬
hütte, Recklinghausen Land, Thorn. Tilsit, Zabrze, an Diphtherie
und Krupp in Berlin-Lichtenberg, Berlin-Pankow, Bottrop, Gera,
München-Gladbach, Recklinghausen-Land, an Keuchhusten in Lübeck.
Vöff. Kais. ües.A.
(Hochschulnachrichten.)
Freiburg i. B. Zum Prorektor der Universität Freiburg
ist für 1915 16 der Direktor des Patholog. Institutes, Geh. Hofrat
Dr. Ludwig A s c h o f f, gewählt worden.
Jena. 1666 immatrikulierte Studierende zählt in diesem Win¬
tersemester die Universität Jena, gegen 2007 im Sommersemester
1914 und 1862 im Wintersemester 1913 14. Davon sind 440 Mediziner,
darunter 31 Studierende der Zahnheilkunde. 955 Studenten, darunter
296 Mediziner stehen im Felde.
Münster i. W. Die Zahl der immatrikulierten Studierenden
beträgt in diesem Wintersemester nach den vorläufigen Feststellungen
2352, wovon aber ein erheblicher Teil im Felde steht. Der medi¬
zinisch-propädeutischen Abteilung (medizinisches Studium innerhalb
der ersten 5 Semester bis zur ärztlichen Vorprüfung einschliesslich)
gehören davon mit Einschluss der Studierenden der Zahnheilkunde
443 Immatrikulierte an, darunter 17 Studentinnen der Medizin. Im
ganzen studieren in diesem Wintersemester an der hiesigen Universi¬
tät 239 Studentinnen.
Rostock. Die Gesamtfrequenz der Universität beträgt
262 Studierende, davon sind immatrikuliert 243. Die Zahl der Medi¬
ziner, einschl. der Studierenden der Zahnheilkunde, beträgt 75.
Von den im Sommersemester 1914 immatrikulierten Studierenden
stehen im Heere 573, im Kriege gefallen sind bisher 30.
Prag. Als Privatdozenten wurden zugelassen: Dr. Erwin
Klausner für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Prager
deutschen Universität und Dr. Emil Sieber für interne Medizin an
dei Prager böhmischen Universität, (hk.)
(Todesfall.)
ln Frankfurt a. M. starb am 15. Dezember im 48. Lebensjahre
an den Folgen einer Blutvergiftung der Chefarzt der chirurgischen
Abteilung des Marienkrankenhauses, Dr. Franz Sasse, der zu den
bekanntesten Chirurgen Frankfurts gehörte. Als der Krieg aus¬
brach, ersuchte die Stadt den Verstorbenen, gemeinsam mit Dr. S i e -
g e 1 die Leitung der Chirurgischen Universitätsklinik zu übernehmen.
nachdem Geh.-Rat Prof. Rehn ins Feld gerückt war. Vor etwa
4 Wochen erlitt Dr. Sasse bei der Behandlung eines Soldaten
eine Infektion am Finger, die so verhängnisvolle Folgen für ihn
hatte.
Amtliches.
(Bayer n.)
Nr. 5285 c 70.
Entschliessung vom 4. November 1914 über die Bekämpfung des
Fleektiebers.
Kgl. Staatsministerium des Innern.
Ar. die Kgl. Regierungen, Kammern des Innern, die Distriktspolizei¬
behörden, die Kgl. Bezirksärzte und die Kgl. Landgerichtsärzte.
Da während des Krieges mit einer Verschleppung des Fleck¬
fiebers (Flecktyphus) gerechnet werden kann, ist eine besondere Be¬
lehrung der praktischen Aerzte über die Erkennung und Bekämpfung
dieser Krankheit angezeigt Zu diesem Zwecke sind im Kaiserlichen
Gesundheitsamte „Ratschläge an Aerzte für die Bekämpfung des
Fleckfiebers (Flecktyphus)“ ausgearbeitet worden, die sich der im
Bundesrate festgestellten Anweisung zur Bekämpfung des Fleck-
fiebers anschliessen. Die amtliche Ausgabe der Schrift ist bei
Julius Springer in Berlin W 9, Linkstrasse 23/24, erschienen
und kann von dort um den Einzelpreis von 5 Pfennig, bei Ab¬
nahme von 100 Stück um 3 Pfennig für das Stück bezogen werden.
Den Kgl. Regierungen, Kammern des Innern, wird die Schrift
in entsprechender Stückzahl zur Verteilung an die Distriktspolizei¬
behörden, Bezirksärzte und Landgerichtsärzte übermittelt werden.
Zu Seite 6 der Anweisung, letzte Zeile, wird bemerkt, dass
in Bayern der zugezqgene Arzt und der Leichenschauer die Anzeige
der Erkrankung und des Todesfalles sowie jedes Falles, der den
Verdacht der Krankheit erweckt, nicht der Ortspolizeibehörde, son¬
dern der Distriktspolizeibehörde zu erstatten haben, während die
übrigen nach § 2 Ziff. ? — 4 des Reichsgesetzes zur Anzeige ver¬
pflichteten Personen diese sowohl bei der Distriktspolizeibehörde
als auch bei der Ortspolizeibehörde erstatten können (Verordnung
vom 8. Mai 1911 Abs. 3 und 4, GVB1. S. 425).
München, den 4. November 1914.
I. A. : Ministerialdirektor v. Heule.
Ratschläge an Aerzte für die Bekämpfung des Fleckfiebers (Fleck¬
typhus).
Bearbeitet im Kaiserlichen Gesundheitsamte.
Das Fleckfieber (exanthematischer Typhus, Petechialtyphus) ist
eine schwere, in Deutschland nicht einheimische Infektionskrank¬
heit. Während es noch bis gegen die Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts sich auch bei uns zeitweilig in epidemischer Ausbreitung
gezeigt hatte, wird es seither nur in vereinzelten, aus dem Ausland
eingeschleppten Fällen hier beobachtet1). Es hat namentlich in
Kriegszeiten früher zu grossen und weit verbreiteten Epidemien
geführt und war wiegen seiner ungewöhnlich starken Ansteckungs-
fäbigkeit sehr gefürchtet. Insbesondere wurde ausser den Acrzten
das Krankenpflegepersonal häufig von der Seuche befallen. Die
Sterblichkeit an Fleckfieber wird auf etwa i/^ der von der Krank¬
heit Befallenen bemessen. Sein Erreger ist noch nicht bekannt.
Die Erkrankung an Fleckfieber erfolgt ungefähr eine bis zwei
Wochen nach Aufnahme des Ansteckungsstoffes. Mitunter gehen dem
eigentlichen Ausbruch der Krankheit für einige Tage Vorboten voraus,
die insbesondere in Mattigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Appetit¬
mangel, vermehrtem Durste, Hitzegefühl, unterbrochen von Frösteln,
und Gliederschmerzen bestehen. Die eigentliche Erkrankung beginnt
dann ziemlich plötzlich mit einem ausgesprochenen Schüttelfrost,
wobei die Körpertemperatur schnell 40° C und menr erreicht; nicht
selten tritt zugleich Erbrechen auf. In wenigen Tagen entwickelt
sich nun unter hohem, bis 41 u C oder mehr betragenden, fast
gleichmässig anhaltendem und am Morgen nur wenig sinkenden
Fieber ein starkes Krankheitsgefühl mit grosser Hinfälligkeit und
Abgeschlagenheit und mit heftigen Kreuz- und Gliederschmerzen.
Zugleich zeigen sich nervöse Störungen, wie anhaltender überaus
starker Kopfschmerz, Flimmern vor d